Tintoretto und sein Umfeld / Geschichte der venezianischen Malerei Band 005 9783205204909, 3205204905

Der fünfte Band steht - eingebettet in die kirchlichen, gesellschaftlichen und staatspolitischen Gegebenheiten der Seren

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German Pages 359 [360] Year 2017

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Tintoretto und sein Umfeld / Geschichte der venezianischen Malerei Band 005
 9783205204909, 3205204905

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Günter Brucher

GESCHICHTE DER VENEZIANISCHEN MALEREI Band 5: Tintoretto und sein Umfeld

2017 BÖHLAU VERLAG WIEN ∙ KÖLN ∙ WEIMAR

Gedruckt mit Unterstützung durch das Amt der Steiermärkischen Landesregierung und die Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg

© 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien www.boehlau-verlag.com Umschlagabbildung: Tintoretto, Tarquinius und Lucretia, © Chicago Art Institute Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch Umschlaggestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Finidr. Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20490-9

I N H A LT S V E R Z E I C H N I S

Zu Tintorettos Biografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die frühe Schaffensperiode (bis 1547). . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  17 1548–1558. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  53 1559–1567. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übergang zur Reifezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die beiden großen Gemälde im Chor von Madonna dell’ Orto . Die späteren Bilder Tintorettos für die Scuola di San Marco . . . Die Gemälde in der Sala dell’ Albergo der Scuola di San Rocco .

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1568–1581. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tintoretto als führender Porträtmaler der Serenissima . . . . . . . . . Tintoretto am Höhepunkt seiner künstlerischen Tätigkeit . . . . . . . Die Gemäldeausstattung der Sala superiore (= Kapitelsaal) in der Scuola di San Rocco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . 185 . . . 240 . . . 250

Das Spätwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Bilderzyklus der Sala terrena in der Scuola di San Rocco. . Gemälde für den Dogenpalast . . . . . . . . . . . . . . . . . Die letzten Werke (San Giorgio Maggiore) . . . . . . . . . . .

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Anmerkungen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

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ZU TINTORET TOS BIOGRAFIE

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em Sterberegister zufolge starb Jacopo Tintoretto am 31. Mai 1594 im Alter von 75 Jahren, woraus man auf 1519 als sein Geburtsdatum schließen kann. Sein Vater Battista Robusti, dessen Vorfahren wahrscheinlich aus Lucca (seit dem 14. Jahrhundert ein Zentrum des Seidenhandwerks) stammen, war als venezianischer cittadino Inhaber eines Seidenfärberbetriebs. Den diminutiven Beinamen „Tintoretto“ erhielt Jacopo – darin der Berufsbezeichnung (tintore) folgend – aufgrund seiner kleinwüchsigen Statur. Die früheste Nachricht über Jacopos Charakter, äußere Erscheinung und Ausbildung beruht auf einem 1547 verfassten und 1548 in Druck erschienenen Brief von Andrea Calmo, dem damals in Venedig bedeutendsten Komödienschauspieler, dessen Vater wie Battista Robusti gleichfalls der Färberzunft angehörte und der vermögend genug war, um die Fassade seines Hauses von Tintoretto mit einem Raub des Ganymed freskieren zu lassen. Das von Calmo an den aufstrebenden Künstler adressierte Schreiben gleicht einer einzigartigen Lobeshymne: „An den Liebling der Natur, die Mixtur des Äskulap, den Adoptivsohn des Apelles, Messer Jacomo Tentoretto, Maler […]. Ihr seid – obwohl erst seit kurzem im Leben – mit großem Geist ausgestattet. Ihr habt einen lichten Bart und dichten Verstand, eine kleine Gestalt und ein großes Herz, seid jung an Jahren und alt an Überlegung, und in der kurzen Zeit, die Ihr Schüler gewesen seid, habt Ihr mehr gelernt, denn hundert andere, die als Meister geboren wurden […]. Wisst Ihr, dass Ihr eine so schöne Art habt, die Gesten, das Benehmen und die Würde, die Verkürzungen, Profile, Schatten, Hintergründe und Perspektiven darzustellen wie kein anderer, der den modernen Pegasus reitet?“1 Die Kernaussage dieser Briefstelle betrifft Tintorettos sich schon in jungen Jahren abzeichnende Begabung sowie kurze Lehrzeit. Mehr erfahren wir über die knappe Ausbildung des Malers aus Carlo Ridolfis 1642 veröffentlichten „Le maraviglie dell’ arte“, in denen er als frühester Biograph des Künstlers Folgendes berichtet: „Als kleiner Junge machte er sich daran, mit Kohle und mit den Farben seines Vaters auf Wände zu zeichnen und dort kindliche Figuren zu bilden, denen nichtsdestoweniger eine gewisse Anmut eignete. Als seine Eltern dies sahen, hielten sie es für richtig, dass er seine Neigung pflegte; daher gaben sie ihn zu Tizian. In diesem Haus hielt er sich mit anderen Jungen auf und bemühte sich, die Vorbilder von der Hand des Meisters zu kopieren. Aber nur wenige Tage später sah Tizian, als er nach Hause kam und in den Raum der Gesellen trat, am Fuß einer Bank einige Blätter hervorschauen; und da bestimmte gezeichnete Figuren darauf zu bemerken waren, forschte er nach, wer sie gemacht habe. Jacopo aber, der sie gezeichnet hatte und fürchtete, sie seien nicht gelungen, sagte schüchtern, dass jene von seiner Hand seien. Da Tizian aus diesen Anfängen erriet, dass jener ein bedeutender Mann werden und ihm

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einige Sorgen im Gewerbe bereiten könne, beauftragte er seinen Schüler Girolamo [Dente] ungeduldig, er möge Jacopo schnell aus seinem Haus entlassen. So blieb er, ohne den Grund dafür zu kennen, eines Lehrmeisters beraubt.“2 Abgesehen von Calmos Korrespondenz, in der von einer auffallend kurzen Lehrzeit Tintorettos berichtet wird, sind den Quellen bezüglich dessen künstlerischer Ausbildung keine weiteren Informationen zu entnehmen. Dessen ungeachtet werden – neben Tintorettos kurzfristigem Aufenthalt in Tizians Atelier – auch Paris Bordone und vor allem Bonifacio de’ Pitati als Lehrmeister in Betracht gezogen. Als Beleg dafür dienen die frühesten, von der rezenten Forschung dem jungen Maler zugeschriebenen Andachtsbilder und Sacra Conversazione-Darstellungen, die in der Tat bemerkenswerte Einflüsse seitens der beiden Künstler erkennen lassen.3 Ob Ridolfis Bericht von Tintorettos vorzeitigem Hinauswurf aus Tizians Werkstatt auf Tatsachen beruht oder eher in den Bereich des Anekdotischen gehört, sei dahingestellt. Unabhängig davon ist der drastischen Schilderung des Kunstschriftstellers insofern eine gewisse Glaubwürdigkeit zu attestieren, als Tizian seinen zum Konkurrenten herangewachsenen ephemeren Schüler noch Jahrzehnte später mit Animositäten verfolgte. Ein schlagender Beweis dafür ist der 1556 ausgeschriebene Wettbewerb für ein Deckengemälde im Lesesaal der Libreria, als Tizian dafür sorgte, dass Tintoretto aus diesem concorso zugunsten Paolo Versoneses ausschied. Wie wenig sich der junge Jacopo von Tizians ablehnender Haltung beeindruckt sah, zeigt sich schon allein daran, dass er in seinem Frühwerk nicht selten tizianeske Motive verarbeitete. Beispielhaft dokumentiert sich dies in der um 1539 entstandenen Bekehrung Sauls (Washington, National Gallery), die deutlich durch Tizians für den Dogenpalast geschaffene Schlacht von Spoleto (1577 verbrannt) angeregt ist. Und wie an der Haltung des gestürzten Saulus nachweisbar ist, macht sich hier auch Jacopos Interesse an der Kunst Raffaels bemerkbar. Als Nachweis dafür dient dessen gleichnamiger Teppichkarton, der sich seit 1521 im Besitz der Sammlung Grimani in Venedig befand, dem lernbegierigen Färbersohn somit direkt vor Ort zugänglich war. Der dynamisch-manieristischen Bildkonzeption zufolge ist ferner anzunehmen, dass Jacopo auch mit Pordenone, einem Zeitgenossen Tizians, Kontakt aufgenommen hat. Pordenones Verdienst bestand vor allem darin, dass er den römisch-toskanischen Manierismus  – lange vor den Besuchen Vasaris und Francesco Salviatis in Venedig (1539–1541) – in weiten Bereichen der Republik inauguriert hat; Letzteres entsprechend einer die klassische Hochrenaissance infrage stellenden neuen Stillage, auf die etwa Tizian nur in seltenen Fällen (wenn es die ikonographischen Bedingungen nahelegten) Bezug genommen hat.4 Welche Wertschätzung Tintoretto für Tizian hegte, manifestiert sich nicht zuletzt in jenem in der Literatur nach Ridolfi unentwegt zitierten Spruch: „Die Zeichnung Michelangelos und die Farbe Tizians“, den er über seiner Ateliertür angebracht hatte und wird dessen Authentizität mitunter bezweifelt. Dazu besteht eigentlich kein Grund, zumal sich diese Devise – allerdings ohne explizite Nennung Tintorettos – bereits in Paolo Pinos 1548 publiziertem „Dialog über die Malerei“ findet.5 Diese Formel bedarf indes einer Klarstellung: Außer Streit steht sie lediglich für Michelangelo, für die „Farbe Tizians“ hat sie hingegen nur bedingt Gültigkeit, zumal sich für Tin-

torettos Koloritauffassung lediglich bis in die Mitte der 50er-Jahre, und dies mit fallender Tendenz, mitunter eine Affinität mit Tizians Farbgebung registrieren lässt – kurz gesagt bis in eine Schaffensphase, als Jacopos Verwendung von Lokalfarben der sich schon früher ankündigenden Dominanz des Lichts weichen musste. Hier stellt sich neuerlich die Frage nach Tintorettos Ausbildung, die wie bisweilen behauptet mancherlei autodidakte Züge aufweist.6 Dafür sprechen mehrere Faktoren: zunächst der Umstand, dass Jacopo – wie die prächtige Farbigkeit und malerische Differenziertheit vieler seiner Frühwerke verrät – schon im Kindesalter hinsichtlich der Koloritproblematik mit dem väterlichen Färbereibetrieb in Berührung kam und sich nach und nach Vorkenntnisse in der Pigmentbereitung aneignen konnte. Und entgegen den Gepflogenheiten jener venezianischen Maler, die als Lehrmeister in Betracht kommen, fertigte er, so Von der Bercken, „unendlich viele Zeichnungen, nicht so sehr – und es ist dies besonders charakteristisch – nach der Natur als vor allem auch nach Kunstwerken, und hier weniger nach Gemälden als nach Plastiken. Besonders bedeutsam sind seine zahlreichen Studien nach Abgüssen berühmter antiker Skulpturen und [später laut Ridolfi vor allem von Daniele da Volterra in Umlauf gebrachten] Modellkopien der Werke Michelangelos“.7 Auch jüngeren Kollegen gegenüber (z. B. Odoardo Fialeti) sparte er diesbezüglich nicht mit Ratschlägen. Um in der Malerei Fortschritte zu erzielen, sei, so seine dringende Empfehlung, unermüdliches Zeichnen erforderlich, zumal „schöne Farben [ohnedies] in den Läden des Rialto zu kaufen seien, zeichnen jedoch sei nur mit viel Arbeit und langen Nachtwachen aus dem Schrein des Geistes herauszuziehen, darum verstünden und übten es auch so wenige aus“.8 Ein dritter Punkt betrifft die von Jacopo aus Karton konstruierten, vielleicht von Lorenzo Lotto angeregten, sonst aber bei den potenziellen Lehrmeistern unüblichen, guckkastenähnlichen Bühnenvorrichtungen, die mit kleinen Fensterausschnitten versehen waren, durch die künstliches Beleuchtungslicht auf die figuralen, aus Wachs, Ton oder Gips gefertigten Modelle fiel, geeignet, um perspektivische Effekte und komplizierte Licht/ Schatten-Wirkungen zu studieren.9 Bereits 1539 – also etwa als 20-Jähriger – erhielt Tintoretto die Meisterwürde. Seine Kopie nach Carpaccios Marter der zehntausend Gekreuzigten könnte dabei als offizielles Lehrstück beziehungsweise als Leistungsnachweis gedient haben. Mit dem Tod Pordenones eine Marktlücke füllend betätigte er sich vorerst als Fassadenmaler. Im Laufe der Zeit schuf er mindestens elf Fassadenfresken, die leider ausnahmslos zugrunde gegangen sind. Erhellend dafür sind die von Antonio Maria Zanetti nach den Fresken für den Palazzo Soranzo und der Ca’Gusoni in der Mitte des 18. Jahrhunderts geschaffenen Kupferstich-Kopien, aus denen hervorgeht, wie nachhaltig Jacopo dem Einfluss Michelangelos und Pordenones offenstand. Vor allem die Fresken am Palazzo Gusoni, die eine Auseinandersetzung mit Michelangelos Aurora und Crepuscolo aus der Medici-Kapelle erkennen lassen, gelten, so die weit verbreitete Forschungsmeinung, als Beweis für Tintorettos frühes Michelangelostudium.10 Besonders fruchtbar erwies sich die Begegnung mit dem nur wenig älteren, aus Zara stammenden Andrea Schiavone, dem Tintoretto sowohl bezüglich der Freskotechnik als auch des Kolorits manches zu verdanken hat. Welch hohe Wertschät-

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zung dieser dem slawischen Kollegen entgegengebracht hat, bezeugt sein von ­Boschini tradierter Ausspruch, wonach „derjenige Maler Tadel verdiene, der nicht ein Werk des Schiavone besitze, um von seinem Kolorit zu lernen“.11 Darüber hinaus dürfte Schiavone Jacopo Kenntnisse vom manieristisch überlängten Figurenstil Parmigianinos, dessen elegante Formensprache in Venedig damals viel Anklang fand, vermittelt haben. Jacopos enge Verbundenheit mit dem Dalmatiner kam unter anderem auch darin zum Ausdruck, dass er diesem bei der Fassadenfreskierung des Palazzo Zen unentgeltlich behilflich war. DIe koloristische Nähe zu Schia­ vone fand auch in Tintorettos Cassone-Malerei, einem wie die Fassadenmalerei besonders für aufstrebende Künstler lukrativen Arbeitsgebiet, ihren Niederschlag; beispielhaft dafür die sechs langgestreckten, im Besitz des Kunsthistorischen Museums in Wien aufbewahrten und um 1544/45 entstandenen Tafelbilder. Mit den 16 für den Palast des venezianischen Patriziers Vettor Pisani auf Holz gemalten Deckenbildern (Modena, Galleria Estense) erhielt Tintoretto um 1542 als 23-Jähriger seinen ersten, ebenso umfangreichen wie prominenten Auftrag. Die nach Ovids „Metamorphosen“ ausgeführten Szenen bestechen durch ihre ex­ treme sotto in sù-Perspektive und können mit den in waghalsigen Untersichten von Giulio Romano für dessen Palazzo del Tè in Mantua gemalten Deckengemälden durchaus mithalten. Dass hier Jacopo unter dem Einfluss des Raffael-Schülers stand, steht laut Krischel außer Streit. Ob dem Kupferstiche oder sogar eine autoptische Begegnung mit Giulios Werk zugrunde lagen, bleibt offen. Letzteres ist jedenfalls nicht auszuschließen, zumal Jacopo eine Reise nach Mantua auch mit einem Besuch seines Bruders Domenico, der als Musiker am Gonzaga-Hof tätig war, verbunden haben könnte.12 Spätestens seit seiner Meister-Ernennung wohnte Tintoretto am Campo San Cassiano, unweit vom Canal Grande, wo Pietro Aretino, der berühmte Literat, Diplomat und Kunstkritiker, seit 1529/30 residierte. Eine erste Kontaktnahme der beiden ließ nicht lange auf sich warten. Schon bald erkannte der in Kunstangelegenheiten höchst versierte Schriftsteller das überragende Talent des jungen Malers, von dem er sich porträtieren ließ und den er um 1545 mit der Produktion zweier mythologischer Deckenbilder beauftragte; nur eines davon, jenes heute in Hartford befindliche (Apoll und Marsyas) ist erhalten geblieben. Anstatt eines Honorars musste sich Jacopo – das Schicksal auch anderer Künstler teilend – mit einem Lobesbrief des Auftraggebers begnügen: „An Messer Jacopo Tintore. Für schön und kühn und lebendig werden von jedem erfahrenen Kunstkenner die beiden Geschichten – die Fabel von Apoll und Marsyas sowie die Novelle von Argus und Merkur – erachtet, die Ihr so jung an Jahren quasi in weniger Zeit […] gemalt habt, als man brauchte, um zu überlegen, was Ihr an der Decke des [Schlaf-]Zimmers malen solltet.“13 Nicht zuletzt waren es wohl Porträtsitzungen, die dem Eleven Gelegenheit boten, in die Kunstsammlung seines Förderers Einblick zu nehmen. Neben Gemälden und Zeichnungen waren es vermutlich in erster Linie plastische und graphische Reproduktionen (vor allem Michelangelos), die Jacopos Aufmerksamkeit erregten. Krischel zufolge erhielt dieser hier vielleicht zum ersten Mal genauere Kenntnisse von Skulpturen Michelangelos – vermittelt gleichsam durch

eine Art ‚Fernstudium‘, zumal eine Romreise des Künstlers seitens der Forschung überwiegend ausgeschlossen wird. Und möglicherweise war es Aretino, der, mit Giulio Romano eng befreundet, Jacopo einen Besuch des Palazzo del Tè in Mantua empfohlen hat.14 Weiters ist zu vermuten, dass der einflussreiche Literat den jungen Maler dem damals bedeutendsten Architekten der Serenissima, Jacopo Sansovino, vorgestellt hat. Wie Aretino erkannte auch dieser die verheißungsvolle Begabung seines Besuchers, dem er gleichfalls die Fertigung seines Porträts (vor 1546; Florenz, Uffizien) in Auftrag gab. Sansovino stand im Dienst der Prokuratoren von San Marco, Venedigs höchster Baubehörde. Im Bemühen, zwischen diesen und seinem Schützling Kontakte herzustellen, war der Baumeister erfolgreich, was die umgehende Bestellung eines Porträts des führenden Prokurators Antonio Cappello bestätigt. Damit erschloss sich Tintoretto eine neue Klientel beziehungsweise den Auftrag versprechenden Zugang zu venezianischen Adelskreisen. Ein besonderer Glücksfall war die Begegnung mit Francesco Marcolini (um 1500 in Forlì geboren), dem mit Aretino befreundeten Verleger, Buchhändler und Antiquar, der auch als Architekt, Zeichner und Holzschneider wirkte. Wie aus einem Brief an Aretino hervorgeht, behandelte er Jacopo „wie seinen eigenen Sohn“. Als „Multitalent“, so Krischel, trug er in erheblichem Maße dazu bei, den Bildungsnachholbedarf des jungen Malers in den Disziplinen Literatur, Musik und Ikonographie abzudecken.15 In der Folge kam es zu einer Ausweitung des Auftragvolumens, gepaart mit der Notwendigkeit, auch größere Bildformate zu bewältigen. Letzteres war wahrscheinlich eine der Ursachen, weshalb Tintoretto die bescheidene Behausung am Campo San Cassiano aufgab und 1545 in den Pfarrsprengel San Marziale übersiedelte, wo er – in unmittelbarer Nähe zur Kirche Madonna dell’ Orto, einer seiner später wichtigsten Wirkungsstätten – einen Anbau des im Besitz der Familie Mastelli befindlichen Palazzo Camello mietete und damit über ein beträchtlich geräumigeres Atelier verfügte. Erwähnt sei hier vor allem seine geheimnisumwitterte stanza secretaria, in der er seine Modell- und Grafiksammlung, vor allem aber, so Ridolfi, plastische Reproduktionen nach Michelangelos Skulpturen für Studienzwecke aufbewahrte. In den Besitz eines eigenen Wohnhauses, der in der Nachbarschaft zum Mastelli-Palast am Rio della Sensa gelegenen Casa Tintoretto, gelangte er erst 1574, als dies seine stetig anwachsende Familie und der expandierende Werkstattbetrieb erforderlich machten. Schon bald nach seiner Übersiedlung kam Tintoretto erstmalig mit der bürgerlichen Institution der Scuole, der wichtigsten Klientel seines künftigen Schaffens, in Berührung. Mit der Einrichtung der gesellschaftlichen, karitativen, berufsspezifischen und religiös-repräsentativen Zwecken gewidmeten Scuole bot die Adelsrepublik Venedig den Bürgern Gelegenheit, ihren Mangel an politischer Macht zu kompensieren und einen wichtigen Beitrag zur „Stabilisierung des venezianischen Sozialgefüges“ zu leisten.16 Diese Laienbruderschaften gliederten sich in die sechs Scuole Grandi, die hauptsächlich den höher gestellten Bürgern (Cittadinanza originaria) vorbehalten waren, und in die weit über hundert, nach Nationalitäten und Berufssparten organisierten Scuole Piccole. Zu Letzteren zählte auch die „Scuola del Santissimo Sacramento“, für die Jacopo ein auch von Paris Bordone beeinflusstes Letztes Abendmahl schuf, sein bislang

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größtes Leinwandgemälde, das im Presbyterium von San Marcuola angebracht ist; wie viele andere Scuole Piccole verfügte auch diese Sodalität über kein eigenes Versammlungsgebäude. Um 1550 folgte eine weitere Scuola Piccola, die Scuola della Trinità, die für ihren „Albergo“ fünf Bilder bei Jacopo in Auftrag gab. Darunter besonders eindrucksvoll jenes mit der Ermordung Kains (ca. 1551/52, heute Accademia), das von Tizians bereits einige Jahre früher geschaffenem gleichnamigen Deckengemälde (Venedig, Santa Maria della Salute, Sakristei) merklich angeregt ist. 1550 heiratete Jacopo Faustina Episcopi, die ihm acht Kinder schenkte, darunter Marietta, die sich als begabte Porträtistin bewährte, und vor allem Domenico (geb. 1560), der im väterlichen Werkstattbetrieb dereinst eine hervorragende Rolle spielen wird. Für Tintoretto brachte diese Heirat einen erheblichen gesellschaftlichen Aufstieg mit sich, zumal sein Schwiegervater Marco di Episcopi einer privilegierten, teilweise adeligen Bürgerschicht (cittadini originari) angehörte und 1547 in der Scuola Grande di San Marco das Amt des Guardian Grande innehatte. Dass der Künstler damals den Auftrag erhielt, für den Kapitelsaal der Scuola das Markuswunder (Venedig, Accademia) zu malen, verdankte er wohl nicht zuletzt seinem künftigen Schwiegervater, der ihm wahrscheinlich empfahl, auf ein Honorar zu verzichten und das Werk nur gegen Erstattung der Materialkosten zu fertigen – Letzteres ein charakteristisches Zeichen für Tintorettos auch weiterhin mangelnde Geschäftstüchtigkeit. Das Gemälde erregte umgehend großes Aufsehen, bedeutete einen entscheidenden Karriereschritt und begründete Jacopos Stellung als führender Monumentalmaler Venedigs, mit dem nur Paolo Veronese – zumal Tizian mittlerweile den europäischen Hochadel gegenüber venezianischen Auftraggebern vorzog – zu konkurrieren vermochte. Dieses neu errungene Ruhmesblatt blieb auch den staatlichen Stellen nicht verborgen. 1555 erhielt der Künstler mit einer Christo morto-Darstellung den ersten Auftrag für den Dogenpalast (Sala dello Scrutinio), dem alsbald in unmittelbarer Nachbarschaft zu Tizians Schlacht von Spoleto ein Historienbild (vermutlich die Exkommunikation Barbarossas) für den großen Ratssaal folgte; beide Werke wurden Opfer der Brandkatastrophe von 1577. Nachdem Tintoretto sich vergeblich um die Mitgliedschaft in der Scuola di San Marco, die etwa dem älteren Paris Bordone nicht vorenthalten worden war, bemüht hatte, versuchte er angesichts dieser Kränkung mit der rivalisierenden Scuola Grande di San Rocco in Kontakt zu treten, was ihm schon bald nach der Vollendung des Markuswunders gelang, als er 1549 den Auftrag erhielt, für das Presbyterium der neben dem Scuolengebäude situierten Kirche San Rocco ein monumentales Gemälde mit dem Thema Die Heilung der Pestkranken zu produzieren. Zugleich wurde ihm die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, ein Versprechen, das die Sodalität allerdings erst 1565 einlöste. – Die Enttäuschung über die Verweigerung dieser nobilitierenden Position seitens der Scuola di San Marco geriet in Vergessenheit, als diese 1562 Tintoretto den Auftrag erteilte, im Anschluss an das zeitlich schon weit zurückliegende Markuswunder für den Kapitelsaal drei weitere Bilder mit Wundern des Hl. Markus zu malen, Werke, die vor allem bezüglich ihrer manieristischen Gestaltungsweise Aufsehen erregten. Dahinter stand wohl haupt-

sächlich die Initiative Tomaso Rangones, der in diesem Jahr der Bruderschaft als Guardian Grande vorstand und darüber hinaus als Arzt, Astrologe, Mathematiker und Traktatenschreiber tätig war. Nicht zuletzt aufgrund seines sagenhaften Reichtums und vor allem seit seiner Ernennung zum Ritter galt er als prominentester Vertreter der bürgerlichen Elite Venedigs. Zudem war er mit dem Dogen Girolamo Priuli (reg. 1559–67) befreundet, den er vermutlich auch in Kunstangelegenheiten beriet, was dazu führte, dass sich dieser von Tintoretto porträtieren ließ, ferner ein oktogonales Deckenbild (1564/65) für den Atrio quadrato im Palazzo Ducale bestellte, das ihn, begleitet vom Hl. Markus und zwei allegorischen Figuren (Friede und Gerechtigkeit) in prächtigem Staatsornat zeigt – für den Künstler zweifellos ein bedeutender Zugewinn seiner gesellschaftlichen Stellung. Erst 1564 fasste die Bruderschaft von San Rocco den Beschluss, ihr Scuolengebäude nach und nach mit Gemälden auszustatten. Die Ursache für diese langjährige Verzögerung bestand darin, dass das äußerst prunkvoll gestaltete Bauwerk erst um 1560 fertiggestellt war. Am Anfang stand die Ausschmückung der Sala dell’ Albergo (= Herbergssaal, Sitzungsraum und Schatzkammer) mit einem zentralen Deckenbild zum Thema der Apotheose des Hl. Rochus. Ein Wettbewerb sollte die Auftragsvergabe klären. Eingeladen wurden „vier der hervorragendsten Meister Venedigs“, laut Ridolfi Schiavone, Zuccari, Salviati und Paolo Veronese, die man dazu aufforderte, entsprechende Entwürfe einzureichen. Tintoretto wurde übergangen, zumal einer der Räte 15 Dukaten bot, wenn der Auftrag ihm nicht erteilt würde.17 Diese Brüskierung führte dazu, dass der Künstler die Wettbewerbsauflagen ignorierte und anstatt Skizzen wie die anderen Konkurrenten, einem Handstreich gleich, ein vollendetes und bereits vor Ort fixiertes Gemälde präsentierte. Allgemeine Empörung über diese unfaire Vorgehensweise war die Folge, was allerdings nichts daran änderte, dass die Bruderschaft das zudem unentgeltliche Angebot letzten Endes doch akzeptierte. Schon bald nach dem von Jacopo trickreich unterlaufenen concorso glätteten sich die Wogen. Vollends verstummten die kritischen Stimmen, als Girolamo Rota, ein glühender Parteigänger Tintorettos, 1565 zum Guardian Grande gewählt wurde. Bestärkt dadurch, dass sich Jacopo bereits 1562 mit den beiden groß dimensionierten, für den Chor der Kirche Madonna dell’ Orto geschaffenen Gemälden als führender Monumentalmaler Venedigs ausgezeichnet hatte, vermittelte der Guardian dem Künstler jenen Auftrag, um den sich Tizian schon etwa ein Jahrzehnt zuvor vergeblich beworben hatte: die Ausführung einer Kreuzigung für den Albergo der Scuola um den Preis von 250 Dukaten. Der durchschlagende Erfolg führte dazu, dass Tintoretto umgehend als Mitglied in die Rochus-Bruderschaft aufgenommen wurde – vielleicht mit ein Grund, weshalb er, gemeinsam mit Tizian, Palladio und Salviati am 9. März 1566 die Mitgliedschaft an der Accademia di Pittura di Firenze erlangte. Dies alles bewirkte auch einen nachhaltigen Aufstieg Jacopos in der gesellschaftlichen Rangordnung der Seerepublik. Dazu passt auch sein Erwerb eines kleinen Landguts bei Mirano in der Nähe von Padua, dessen Finanzierung ohne die großzügige Unterstützung seines Schwiegervaters Marco di Episcopi mit einem Zuschuss von 825 Dukaten wohl nicht möglich gewesen wäre. Im Kaufvertrag firmiert Tintoretto mit „Jacobus de Robusti“, Zei-

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chen dafür, dass er bereits zu den privilegierten cittatadini der Serenissima zählt. Nachdem Tintoretto das Ausstattungsprogramm des Albergo in der Scuola di San Rocco 1567 mit drei weiteren christologischen Bildern vervollständigt hatte, trat in seinen Beziehungen zur Bruderschaft eine längere Pause ein, die er mit anderweitigen Aufgaben zu nutzen wusste. Schon einen Monat nach der siegreichen Seeschlacht von Lepanto (7. Oktober 1571) beschloss der Consiglio dei Dieci (= Zehnerrat) für die Sala dello Scrutinio im Dogenpalast anlässlich dieses denkwürdigen Ereignisses ein Schlachtengemälde in Auftrag zu geben, und zwar zunächst bei Tizian und Salviati. Indessen verstand es Tintoretto, die Konkurrenz wie schon zuvor im Albergo der Rochus-Bruderschaft zu überlisten, indem er ohne Umschweife ein fertiges Gemälde lieferte und auf ein Honorar verzichtete. Letzteres war wohl mitentscheidend, dass der Zehnerrat ihm umgehend den Auftrag zuerkannte, zumal Tizians Honorarforderungen längst unerschwinglich waren. Seine eigenwillige Initiative begründet der Künstler in einem ausführlichen, an den Vorsitzenden des Entscheidungsgremiums adressierten Schreiben wie folgt: „Als ich die glückselige Nachricht von unserem ruhmreichen Siege erhielt […], entschloss ich mich doch, einen großen Teil dessen, was ich für lange Zeit meiner armen und gottergebenen Familie Lebensunterhalt […] vergönnt hätte, daran zu geben, um das Bild zu machen, das nach Eurer Huld […] in der Sala dello Scrutinio aufgehängt worden ist. Dass Ihr dies mein Geschenk annahmt, zeigte mir Euren Großmut und gab mir die Gewissheit, dass Eure erlauchten Herrlichkeiten nicht verfehlen werden, mir zu helfen, damit ich dank Eurer Huld fortfahren kann zu leben und Euch zu dienen. Auch erbiete ich mich, solange ich lebe, mit all meinem Eifer meine Kunst auszuüben […], ohne irgendwelchen Lohn außer den benötigten Farben und Leinwänden. Darum ersuche ich Euch ehrerbietig, mir das erste Maklerpatent [= Sansaria] am Deutschen Handelshaus zu verleihen […].“18 Dieser Brief spiegelt Tintorettos stets angespannte wirtschaftliche Lage, die es ihm erschwerte, seine anwachsende Familie durchzubringen, was ihm kaum gelungen wäre, hätte er nicht die tatkräftige Unterstützung seines Schwiegervaters genossen. Um seine künstlerische Entwicklung voranzutreiben beziehungsweise über volle Auftragsbücher zu verfügen, ist er zu jedem Opfer bereit. Die Geschäftstüchtigkeit eines Tizian ist ihm völlig fremd. Mit seinen meist sehr niedrigen Honoraren betreibt er mit seiner Konkurrenz ein unglaubliches Preisdumping. Nicht selten verschenkt er seine Bilder oder beschränkt sich auf den Ersatz des Malmaterials. Am 6. Mai 1574, weniger als ein Jahrzehnt nach der Ausgestaltung der Sala dell’ Albergo, beschloss die Rochus-Bruderschaft, die Deckendekoration der Sala superiore (= Kapitelsaal) in Auftrag zu geben. Um ganz sicher zu gehen, offerierte Jacopo am 2. Juli 1575 dem Rat der Scuola die kostenlose Ausführung des zentralen Deckengemäldes (Die Errichtung der ehernen Schlange). Zudem verpflichtete er sich, das Werk bis zum 16. August 1576, dem Fest des Hl. Rochus, fertigzustellen. Bei der Vergabe der übrigen Deckenbilder überließ er es dem Gutdünken der Scuola, die Honorarfrage zu regeln. Mit der Ausführung der zehn Wandgemälde war das grandiose Unternehmen im Sommer des Jahres 1581 in erstaunlich kurzer Zeit vollendet. Der Künstler hatte die Aufgabe seines Lebens gefunden und

bemühte sich, so Emmrich, „mit Erfolg, den möglichen Wechselfällen einer sich wandelnden Meinung über seine Kunst vorzubauen“.19 Schon am 27. November 1577 hatte er sich bereit erklärt, seine künftige Arbeit bis zu seinem Lebensende der Scuola und der Kirche San Rocco zu widmen, unter der Bedingung, dass ihm, sollte er arbeitsunfähig werden, jährlich eine Pension von hundert Dukaten ausgezahlt werden müsse – eine Vereinbarung, an die sich die Scuola bis zu seinem Tod treulich hielt.20 Nunmehr erstmals finanziell abgesichert, ging Tintoretto daran – gleich nach Vollendung der Gemälde der Sala superiore – , die Sala terrena mit einem Bilderzyklus auszustatten. 1587 waren die Arbeiten abgeschlossen und damit das zuvor wie danach umfangreichste Projekt der venezianischen Malerei. 1576 starb Tizian. Nach mehrheitlicher Meinung war es Tintoretto und nicht Veronese vorbehalten, die Nachfolge des Malerfürsten anzutreten. Dies scheint der Umstand zu bestätigen, dass der Herzog von Mantua, Guglielmo Gonzaga, den Künstler 1579 damit beauftragte, acht große Bilder (München, Alte Pinakothek) mit Kriegstaten des Fürstentums zu malen. Obwohl Jacopo die Ausführung jener Gemälde wegen Arbeitsüberlastung größtenteils seiner Werkstatt überließ, wurde er mit seiner Gemahlin dazu eingeladen, die Hängung der Bilderserie persönlich zu beaufsichtigen.21 Diese herzogliche Ehrung dürfte auch Veronica Franca, der in Venedig hoch im Kurs stehenden Kurtisane und allgemein bewunderten Dichterin nicht entgangen sein, wenn sie in einem Brief an den Maler schreibt: „Ich habe vornehme Herren, die sich nicht wenig in der Antike auskennen, und die sehr viel von der Kunst verstehen, sagen hören, dass es in unseren Zeiten Maler und Bildhauer gab und auch heute noch gibt, die den antiken nicht nur zur Seite, sondern sogar vorangestellt werden müssen, wie etwa einst Michelangelo, Raffael, Tizian und andere – und heute Ihr. Ich sage dies nicht, um Euch zu schmeicheln, seht, denn die Spatzen pfeifen es von den Dächern.“22 Dem verheerenden Brand von 1577 im Dogenpalast waren auch Werke Tintorettos zum Opfer gefallen, darunter seine Schlacht von Lepanto in der Sala dello Scrutinio und die Exkommunikation Barbarossas in der Sala del Maggior Consiglio. Gleich nach der Katastrophe war Jacopo, neben Paolo Veronese, Francesco Bassano und Palma il Giovane, bezüglich der Neuausstattung des Palastes der bevorzugte Maler der Serenissima, in deren Diensten er, ungeachtet der Doppelbelastung durch die Scuola di San Rocco, bis 1592 stand. Schon der erste, in den Jahren 1577 und 1578 realisierte Auftrag – die vier politisch-mythologischen Allegorien mit Bezug auf das venezianische Staats- und Verwaltungssystem – bildet den qualitativen Höhepunkt seiner Arbeiten für den Dogenpalast. Die vier Gemälde schmückten einst den Atrio quadrato und befinden sich seit 1716 im Anticollegio. Von den gleichzeitigen Arbeiten in der Scuola unterscheiden sie sich insofern, als, so Krischel, „der sichtbare Pinselstrich eine geringere Rolle spielt“ und die Körper und Gegenstände angesichts geschlossener Farboberflächen fester und plastischer erscheinen – wenig verwunderlich somit, dass sie sogar vom Konkurrenten Paolo Veronese gewürdigt wurden. 1579 folgen fünf Deckenbilder im Großen Ratssaal, eine einzigartige Verherrlichung der Macht Venedigs: Um das zentrale Gemälde Der Triumph des Dogen Nicolò da Ponte gruppieren sich vier oktogonale Bilder mit Darstellungen von

Zu Tintorettos Biografie

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siegreichen Schlachten der Republik im 15. Jahrhundert zu Wasser und zu Land. Im Vergleich mit der hervorstechenden Qualität der Allegorien ist unverkennbar, dass an der Ausführung der 1582 fertiggestellten Bilderfolge, nicht anders als in Mantua, Tintorettos Sohn Domenico namhaften Anteil hatte. Diese staatlichen Aufträge hatten den Vorteil, dass sie angemessen honoriert wurden. Emmrich zufolge „war es Tintoretto nur auf diese Weise möglich, die Aufgabe seines Lebens, die Arbeiten für die Scuola Grande di San Rocco fast unentgeltlich zu leisten“.23 Letzteres trug wesentlich dazu bei, dass er, unabhängig von allfälligen Wünschen der Bruderschaft und unbelastet von staatlicher Kontrolle im Palazzo Ducale, in der Scuola seinen persönlichen Stilambitionen nachgehen konnte. Obwohl eine namhafte Anzahl von Senatoren in Paolo Veronese den Nachfolger Tizians, mithin den führenden Maler der Republik sah, wurde der bedeutendste Auftrag, der im Zusammenhang mit der Neuausstattung des Dogenpalastes zu vergeben war, Tintoretto übertragen: die Krönung Mariens („Il Paradiso“) an der Stirnwand des Großen Ratssaals. Zu diesem Zweck wurde 1580 ein Wettbewerb ausgeschrieben, an dem neben Tintoretto auch Veronese, Francesco Bassano und Palma il Giovane teilnahmen. Die Entscheidung der Jury fiel zunächst zugunsten Veroneses und Bassanos aus, die das Riesengemälde (7x22m) gemeinsam malen sollten. Erst als Veronese 1588 starb, erhielt Jacopo den Zuschlag. Die jahrelange Ausführung (bis 1594) des bis dahin monumentalsten Gemäldes Venedigs überließ er jedoch weitgehend Domenico beziehungsweise seiner Werkstatt.24 In die späteste Schaffensphase fällt der aus sechs Bildern bestehende, für die Kirche Santa Caterina geschaffene Katharinenzyklus (1590/92; Venedig, Accademia), in dem Jacopo mehrfach auf retardierende Kompositionsmodelle zurückgriff; die Realisierung der Gemälde oblag neuerlich vorwiegend Domenico beziehungsweise einigen Werkstattgehilfen. – Seinen letzten Großauftrag erhielt der Meister 1592 von der benediktinischen Klosterkirche San Giorgio Maggiore, deren Bildausstattung ihm zur Gänze übertragen wurde. Während die Ausführung der Altarbilder im Lang- und Querhaus ausschließlich Domenico und der Werkstatt anvertraut wurde, sind die beiden monumentalen, breitformatigen Gemälde im Presbyterium der Kirche als autographe Leistungen Tintorettos anzusehen, die nichts von einer altersbedingten Ermüdung erkennen lassen und sich stilistisch, kompositionell wie koloristisch merklich voneinander unterscheiden. Krischel zufolge „gilt das Letzte Abendmahl (1593) als Kronzeuge für die visionäre Kraft des alten Tintoretto“.25 Am 31. Mai 1594 starb Jacopo Robusti. Nur wenige Stunden vor seinem Tod diktierte er – die wirtschaftliche Lage seiner zahlreichen Familie sicherstellend – sein Testament: „Ich wünsche, dass mein Sohn Domenico diejenigen meiner Werke, die unvollendet sind, fertigstelle, mit der Sorgfalt und dem Eifer, womit er bereits bei einer großen Anzahl mit mir zusammengearbeitet hat.“26 Das Resümee überlassen wir Emmrich, die in ihrer gelungenen Monographie schreibt: „[Tintorettos Werke] beflügeln die Fantasie und treffen ins Herz. Sie treffen die großartigste Demonstration dessen, was Malerei über Sinnhaftes und Geistiges, über Sichtbares und Verborgenes, über Erfahrenes und Erahntes auszusagen imstande ist.“27

D I E F RÜ H E S C H A F FEN S P E R I O D E ( B I S 15 47 )

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ls Battista Robusti seinen Sohn Jacopo „Tintoretto“ laut Ridolfi zu Tizian in die Lehre schickte, war nicht abzusehen, dass diesem Schulverhältnis eine nur sehr kurze Zeitspanne beschieden sein sollte. Mit Kennerblick registrierte der Malerfürst die zeichnerische Begabung des Jungen, erratend, „dass jener ein bedeutender Mann werden und ihm einige Sorgen im Gewerbe bereiten könne“ – für Tizian Grund genug, den aufstrebenden Schüler, der sich redlich bemühte, dessen Werke zu kopieren, aus seinem Atelier zu entfernen. Über die Suche nach einer Lehrersatzlösung schweigen die Quellen. Wie Ridolfi berichtet, habe sich Tintoretto nach seiner ephemeren Lehrzeit bei Tizian autodidaktisch weitergebildet. Schon Zabeo, einer der Repräsentanten der frühen Forschung, teilt diese Anschauung, wenn er schreibt: „Il Tintoretto non fu scolaro di alcuno“.28 Eine ähnliche Meinung scheint auch Krischel zu vertreten: „Es ist daher denkbar, dass der junge Tintoretto, bevor er sich endgültig selbstständig machte, zunächst mit verschiedenen, bereits etablierten Meistern zusammenarbeitete. Zu ihnen gehörte [neben Paris Bordone] der aus Verona stammende Bonifacio de’ Pitati (1487–1553), in dessen Atelier mehrere später bekannte venezianische Maler – darunter wohl auch Jacopo Bassano und Andrea Schiavone – frühe Gastauftritte hatten.“29 Falls sich Tintoretto zwischenzeitlich doch als Lehrling oder Geselle der Obhut eines arrivierten Malers der Serenissima anvertraut hatte, kommt am ehesten Bonifacio infrage, der, um die kontinuierlich eingehenden Aufträge der zahlreichen Beamtenschaft im Palazzo dei Camerlenghi zu erfüllen, den damals in Venedig wahrscheinlich umfangreichsten Werkstattbetrieb unterhielt.30 Zu Bonifacios Hauptaufgaben zählte die Produktion von Sacra Conversazione-Darstellungen, die er, für eine konservative Klientel gedacht, in altertümlicher, meist symmetrischer Weise komponierte. Nicht zuletzt dadurch angeregt schuf Jacopo seine frühesten Werke, ihm zugeschriebene und vor allem von Pallucchini eingehend besprochene Andachtsbilder, und dies in einer Schaffensphase, als ihm die Zuerkennung der Meisterwürde noch bevorstand; Letztere bezeugt ein mit Mai 1539 datiertes Dokument, das er mit „Io mistro Giacomo depentor“ unterzeichnet hat.31 Eine halbfigurige, von Pallucchini zugeschriebene Sacra Conversazione (um 1537; Luzern, Privatsammlung) zählt zu den ersten selbstständigen Leistungen des etwa 18-jährigen Künstlers.32 Wie in Bonifacios Anfängen zeigt das Andachtsbild mit der zentral angeordneten Madonna und dem Jesuskind, die von den Hll. Magdalena und Katharina sowie dem Johannesknaben flankiert werden, angesichts seiner symmetrischen Komposition und streng bildparallelen Flächenprojektion noch verspätete Reflexe seitens der von Giovanni Bellini ausgehenden Bildtradition. Bei der links außen hinzugefügten Frau im Trauerkostüm könnte es sich um die

1 Tintoretto, Sacra Conversazione, Öl auf Leinwand, Luzern, Privatsammlung

Die frühe Schaffensperiode

2 Tintoretto, Sacra Conversazione mt Stifter, Öl auf Leinwand, 148 x 193 cm, Privatsammlung

3 Tintoretto, Madonna mit Kind, Öl auf Leinwand, 143 x 110 cm, Venedig, Collezione Curtis

Stifterin des Gemäldes handeln. Die schlanke Erscheinung sowie die zarten Physiognomien der Protagonisten scheinen, so Pallucchini, auf parmigianeske Anregungen hinzuweisen. Als Vermittler kommt hier vor allem Andrea Schiavone infrage, der, um 1510/1515 im dalmatinischen Zara geboren, anfänglich, so die Vermutung, als Schüler oder Gehilfe in Parmigianinos Atelier tätig war, ehe er in die Werkstatt von Bonifacio nach Venedig übersiedelte. Sein Interesse am mittelitalienischen Manierismus (Correggios Malerei inbegriffen) bezeugen seine zahlreichen, nach Werken Parmigianinos gefertigten Grafik-Kopien.33 Schon bald nach seiner stilistisch auffallend retardierenden Sacra Conversazione vollzog Tintoretto mit dem Gemälde Madonna mit Kind, den Hll. Josef und Hieronymus und dem Procurator Girolamo Marcello (Privatbesitz) einen erstaunlich progressiven Entwicklungsschritt. An die Stelle eines bildflächenparallelen, ebenso starren wie eintönigen Sacra-Conversazione-Schemas tritt eine raumgreifende Figurenabstufung, zu deren Dynamisierung heftige Licht/Schatten-Kontraste einen erheblichen Beitrag leisten. Letzteres manifestiert sich vor allem an der torsierenden, in ihrer Größe dominierend in den Vordergrund drängenden Gestalt des Hl. Hieronymus, der sich mit bogenförmigem Umriss der Madonna zuwendet, diese überschneidet und dadurch ihre zentrale Position deutlich relativiert. Damit geht auch eine merkliche Lockerung der symmetrischen Komposition einher, die sich nicht zuletzt in der zurückgedrängten Stellung des abgedunkelten, beinahe in die Hintergrundsdraperie eintauchenden Nährvaters niederschlägt. Prononciert antiklassische Kontraste dieser Art und eine figurale Schwerpunktverschiebung lassen bereits erste Anzeichen eines manieristischen Gestaltungswillens erahnen. Zunächst hatte Fiocco (1931) Pordenone als den Schöpfer des Gemäldes vorgeschlagen, eine Zuschreibung, die von Von der Bercken (1942) zugunsten Tintorettos korrigiert wurde. Zudem hat dieser Fioccos auch stilistisch viel zu späte Datierung (1550/55) mit dokumentarischem Bezug auf den links unten abgebildeten Stifter mit „1537 bis vor 1540“ richtiggestellt. Dass es sich um Girolamo Marcello handelt, bestätigt das ihm von Jesus dargebotene aufgeschlagene Evangelienbuch, auf dessen rechter Seite inschriftlich sein Name vermerkt ist: „MARCE/LLO PRO/ CURATOR/SANCTI/MARCI./CONSTI/TUTUS/SUPCON/ISARIIS/DE ULTRA“. Seine Wahl zum Procurator de Ultra erfolgte am 18. Juni 1537, womit bezüglich seiner Bildbestellung ein zuverlässiger terminus post gewonnen ist.34 Fioccos falsche Zuschreibung an Pordenone ist insofern nicht ganz unverständlich, als in Tintorettos Werk eine gewisse Affinität mit dem mitunter michelangelesk geprägten Figurenideal des Friulaners – speziell was die monumentale, dynamisch ausgreifende Gestalt des Hl. Hieronymus anlangt – in der Tat (wie auch Pallucchini betont) nicht zu leugnen ist.35 Eines der kunstgeschichtlichen Verdienste Pordenones bestand darin, erstmals Strömungen des toskanisch-römischen Manierismus in den Veneto zu importieren, und zwar noch erheblich früher als Francesco Salviati und Giorgio Vasari, die diese antiklassische Stilrichtung anlässlich ihres Besuchs der Lagunenstadt (etwa 1539–1541) den venezianischen Malern zur Kenntnis gebracht hatten.36 Es liegt im Wesen eines jugendlichen, vorwiegend autodidaktischen Genies, sich nicht an den Stil eines bestimmten Meisters zu binden, vielmehr Anregungen

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unterschiedlichster Art offenzustehen und diese dann individuell zu verarbeiten. Ein signifikantes Beispiel dafür bietet jene Madonna mit Kind (um 1537/38; Privatbesitz), die Tintoretto als ausschnitthafte, ‚verbesserte‘ Replik einer ihm von Fiocco zugeschriebenen Sacra Conversazione (um 1537; Privatbesitz) entnommen hat. Schon für Fiocco war evident, dass sich Tintoretto bei der Formulierung seiner thronenden, in Dreiviertelansicht mit geneigtem Haupt und den stehenden Jesusknaben stützenden Gottesmutter an Tizians Madonna der Pala Pesaro (1526; Venedig; Frari-Kirche) orientiert hat, unbeeindruckt davon, dass ihn der Meister durch den unverhofften Hinauswurf aus seiner Werkstatt brüskiert hatte.37 Mit der Madonna mit Kind und sechs Heiligen (sog. Sacra Conversazione Molin; New York, Berry-Hill Galleries) schuf Tintoretto sein bis dahin größtes, mit 1540 datiertes und mit Iachobus firmiertes Bild. Jahreszahl und Signatur sind auf einem Felsbrocken vermerkt, der an ein stilisiertes Mühlenrad erinnert. Letzteres nahm Von Hadeln (1928) zum Anlass, den Autor des Werks mit einem fiktiven Maler namens Jacopo Molino (mulino= Mühle) zu identifizieren, eine Zuschreibung, die erst Pallucchini (1950) mit Jacopo Tintoretto richtiggestellt hat. Zugleich verifizierte der Autor – auf Basis eines Briefs von Pietro Aretino – jenen Jacopo Molino, ein Mitglied einer weit verzweigten venezianischen Familie, in deren Wappen ein Mühlrad aufscheint, als Auftraggeber des Gemäldes. Ungeachtet seiner irrtümlichen Attribution gelangte Von Hadeln letztlich doch zu einer aufschlussreichen Erkenntnis, wonach es sich bei der Sacra Conversazione Molin um eine Fusionierung des mittelitalienischen Manierismus mit der venezianischen Maltradition handelt, um ein Resultat, das in manchem an Werke des jungen Tintoretto erinnert.38 Welche Bedeutung der 20-jährige Künstler dem Gemälde beigemessen hat, beweist allein schon der Umstand, dass er es (sonst selten genug) signiert und datiert hat. Vergleicht man es mit Bonifacios konventionellen, stets streng symmetrischen, vor-

Tintoretto, Sacra Conversazione Molin, Öl auf Leinwand, 171,5 x 243,8 cm, New York, Berry-Hill Galleries

Abb. 3, S. 18

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wiegend statisch konzipierten Sacra Conversazione-Darstellungen, so ist hier in der Tat ein signifikanter Traditionsbruch zu registrieren, der sich einerseits in einer merklichen Lockerung der Symmetrie, andererseits in einer partiellen, vermutlich unter anderem von Pordenone angeregten Anreicherung mit manieristischen Bewegungsmotiven niederschlägt. Hinzu kommt – wiederum im Gegensatz zu Tintorettos mehr als um eine Generation älterem Konkurrenten Bonifacio, der noch in den 20er-Jahren an der Verwendung gesättigter Lokalfarben festhielt – eine viel stärker dem Licht ausgesetzte Koloritauffassung, die zusammen mit den manieristischen Anklängen als eine stilistisch in die Zukunft weisende Weichenstellung des jungen Künstlers zu betrachten ist. Die Abkehr vom herkömmlichen Sacra Conversazione-Schema manifestiert sich vor allem darin, dass die Madonna die Heiligen (den Hl. Franziskus ausgenommen) nicht mehr überragt, aus der Symmetrieachse abweicht und sich angesichts ihrer schräg zurückgelehnten Sitzhaltung mit dem ebenso schräg ausgerichteten Hl. Zacharias und der höher postierten Elisabeth zu einem pyramidalen, die linke Bildhälfte beherrschenden Bildmuster zusammenfügt. Diesem geometrischen Kalkül begegnet man auch am blauen, keilförmig drapierten Umhang der Gottesmutter, der sich mit dem fast horizontal liegenden Jesusknaben als Basis zum Dreieck komplettiert. Das göttliche, vom Nimbus eines goldenen Strahlenkranzes akzentuierte Kind ist, nur vom linken Knie der Mutter gestützt, fast schwebend dargestellt. Den Blick auf Franziskus gerichtet verweisen seine ausgebreiteten Arme alludierend auf seinen künftigen Kreuzestod. Mit dem Anspruch auf das eigentliche Bildzentrum sorgt es, die Symmetrieachse überschneidend, in der Funktion eines „Kompositionsriegels“ (Arnheim) für eine Verbindung der Bildhälften.39 Die schlank überlängte Mariengestalt entspricht bereits dem manieristischen Figurenideal. Mit ihrer Kopfneigung, der zurückgenommenen rechten Schulter, dem eng an den Leib gepressten Arm, den überkreuzten Beinen und dem markant hervortretenden Knie erinnert sie laut Schulz an Michelangelos Medici-Madonna (1524–1535; San Lorenzo, Nuova Sagrestia, Florenz), eine Anregung, der vielleicht eine durch Vasari vermittelte grafische Reproduktion zugrunde lag; abweichend davon lediglich der quer gelagerte Jesusknabe, der als eigenständige Invention Tintorettos anzusehen ist.40 Dass Tintoretto schon in seiner frühesten Schaffenszeit dem „Michelangelismus“ Tribut zollt, bezeugt auch der links außen platzierte, stark bewegte Hl. Zacharias, mit dessen Körpertorsion das vorgebeugte, im Profil wiedergegebene Antlitz in konsequentem Einklang steht. Krischel zufolge besteht hier eine prinzipielle Affinität mit Michelangelos an der Decke der Sixtinischen Kapelle dargestellten Ezechiel-Figur.41 Dem dynamischen, skulptural durchgebildeten Zacharias ist ein statischer Hl. Franziskus gegenübergestellt, dessen ausgebreitete Arme mit jenen des Christusknaben korrespondieren und so an den Empfang der Stigmata erinnern. Dass sich der Künstler hier der älteren venezianischen Tradition verpflichtet fühlte, beweist, so Krischel, die unveränderte Übernahme der Gestalt des Ordensgründers aus einer Sacra Conversazione von Bonifacio (The Young Memorial Museum, San Francisco).42 Dieser Rekurs bleibt indes eine Ausnahmeerscheinung. Anstatt additiver Reihung sind die Figuren, unterstützt durch zahlreiche Interferenzen, strukturell eng ineinander

verzahnt und durch das wechselhafte Auf und Ab der Köpfe rhythmisiert. Schon ein Jahr nach der Verleihung der Meisterwürde liefert Tintoretto den Befähigungsnachweis, eine figurenreiche Komposition in eine gestaltliche Ganzheit zu integrieren. Zwei Faktoren sind dafür maßgebend: zum einen ein dynamischer, der sich – ausgehend vom Johannesknaben, über das schräg liegende Christuskind bis zur nach rechts ausgreifenden Hl. Katharina – als von links ansteigende, das gesamte Gemälde umklammernde Diagonale niederschlägt; zum anderen eine flächenprojektive, dem venezianischen Prinzip des „Ornamentalen“ (Hetzer) verpflichtete Komponente43. Auch das Kolorit wird in den Dienst der Komposition gestellt. Den Schwerpunkt setzt das Karminrot des Marienkleids, das der Gottesmutter trotz Abweichung aus der Bildachse eine zentrale Stellung sichert. Entscheidend ist indes, dass das Karmin – und dies gilt auch für die Mehrheit der übrigen Farben – der modellierenden Kraft des Lichts ausgesetzt ist und dadurch eine Transposition ins Rosa erfährt. Damit hat sich der Künstler schon frühzeitig von Bonifacios Farbgebung emanzipiert, in dessen Sacra Conversazione-Bildern der 20er-Jahre gesättigte Flächenfarben lichtresistent dominieren. Steht die Lichtwirkung in der Sacra Conversazione Molin vorerst noch ganz im Zeichen einer Steigerung der Farbhelligkeit, so wird sich dies in absehbarer Zeit zugunsten von Farbtrübung beziehungsweise Farbdunkel sowie eines entsprechenden Verlusts an Buntheit ändern. Kurzum: Das Kolorit wird vom Licht weitgehend absorbiert oder, anders ausgedrückt, tritt in mehr oder minder gesättigter Weise meist nur an jenen Bildstellen in Erscheinung, wo es darum geht, die ikonographischen oder kompositionellen Gegebenheiten zu akzentuieren. Mit dieser sich schon im Laufe des fünften Jahrzehnts abzeichnenden Trendwende beginnt sich Tintoretto auch von Tizians Farbauffassung zu lösen, zumal dieser erst in seinen späten Jahren ähnlich farbabweisende Koloritvorstellungen verfolgen wird. So gesehen ist es angebracht, der Glaubwürdigkeit jenes Leitspruchs, der angeblich über Tintorettos Ateliertür prangte („Die Form von Michelangelo, die Farbe von Tizian“) bezüglich des Altmeisters der venezianischen Malerei mit einiger Reserve zu begegnen. Das Gemälde Christus unter den Schriftgelehrten (Mailand, Dommuseum) wurde von Arcangeli gleichsam wiederentdeckt und anlässlich einer Restaurierung (1955) als autographe Leistung Tintorettos bezeichnet, eine Zuschreibung, die in der Kritik fast allgemein Zustimmung fand; desgleichen seine Datierung in die Jahre 1542–1543. Eine Ausnahme bildet m.W. lediglich Arslan (und ihm erst jüngst Villa folgend), der für 1540/41 plädiert und damit das Werk in die Nähe der Sacra Conversazione Molin rückt.44 Das vom apostolischen Nuntius in Venedig, Filippo Archinti, in Auftrag gegebene, bis dahin monumentalste Gemälde gibt Zeugnis von Tintorettos schon früh, geradezu obsessiv auf den Manierismus abzielenden Ausdruckswillen, dem in figuraler Hinsicht laut Pallucchini sowohl michelangeleske Strömungen als auch eine Kenntnis von Giulio Romanos Wirken im Palazzo del Tè in Mantua zugrunde liegen.45 Arslan definiert Jacopos exzeptionellen, nahezu „abenteuerlichen“ Hang zum Manierismus treffend als „esperimento liberissimo di un giovane“.46 Dass der zwölfjährige Jesus als die inhaltlich wichtigste Figur der Szene, entsprechend verkleinert, in den Hintergrund verbannt ist, und stattdessen

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5 Tintoretto, Christus unter den Schrift­ gelehrten, Öl auf Leinwand, 197 x 319 cm, Mailand, Museo del Duomo

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einer Nebenfigur, dem die rechte Bildhälfte absolut beherrschenden Schriftgelehrten, die Rolle der visuellen Hauptattraktion zugedacht wird, ist als das wohl gravierendste Bekenntnis zum Manierismus aufzufassen. Der lebhaft disputierende Jesusknabe behauptet seine zentrale Stellung nur insofern, als er auf der Symmetrieachse platziert ist, die Spitze eines vom Figurenensemble flankierten, heftig in die Tiefe stoßenden Raumkeils markiert und den beidseitig perspektivisch angelegten, an Kulissen eines bühnenartigen Ambientes erinnernden Kolonnaden als Fluchtpunkt dient. Christus thront auf einem exponierten, bis knapp an den unteren Bildrand heranreichenden Treppenpodest, dessen Stufen sukzessiv an Höhe gewinnen, woraus ein zwischen Höhen- und Tiefendimension schwankendes Spannungsverhältnis resultiert. Der göttliche Bibelexeget ist hermetisch von Gelehrten und Pharisäern umzingelt. Selbst der frontale Zugang zu Jesus ist durch eine liegende, sich über fünf Stufen erstreckende Figur blockiert, die dem Gottessohn provokant ein geöffnetes Buch entgegenhält. Generell ist das manieristische Gestaltungsprinzip des horror vacui vorherrschend. Lediglich im unteren Bereich der Treppenpyramide wird diese Verdichtung durch ein freies quadratisches Feld ausgesetzt. Auch darin – im Kontrast von Fülle und Leere – hat der Künstler einem Spannung erzeugenden Kriterium des Manierismus Rechnung getragen. Mit dem Schriftgelehrten im Vordergrund schuf Tintoretto einen veritablen Giganten, dessen Körpergröße mit den unmittelbar hinter ihm in fluchtender Reihung angeordneten, abrupt verkleinerten

Protagonisten – ganz im Sinne der künstlerischen Freiheit eines Manieristen – in keinem logischen Maßstabsverhältnis steht. Obgleich Christus den Rücken zugekehrt, vernimmt dieser sehr wohl dessen Botschaft. Vermutlich nicht mehr ganz von der Stichhaltigkeit seiner Gegenargumente überzeugt, hat er sein aufgeschlagenes Buch bereits seinem jungen Begleiter übergeben, der Mühe hat, den gewaltigen Folianten – sogar unter Zuhilfenahme des angehobenen Beins – zu bändigen. Dass sich Tintoretto bei der Formulierung der komplizierten Sitzhaltung des Assistenten durch Zeichnungen nach Michelangelos Ignudi-Darstellungen in der Sixtina angeregt fühlte, ist nicht auszuschließen. Auch bezüglich des Schriftgelehrten schöpfte der Maler sicher nicht aus eigenem Formenfundus. Die Körperlichkeit der heroischen Gestalt wird – mit Ausnahme des in großem Bogen bis zum Haupt des Jünglings ausgreifenden Arms – fast gänzlich von der Stoffmasse des Kleides absorbiert. Ihre torsierend bewegte, manieristisch geprägte Haltung wird allein durch die teigig fließenden, in S-Form die gesamte Figur umfassenden Gewandfalten verdeutlicht, worin sich eine Nähe zu Andrea Schiavone abzeichnet; zur Bestätigung dieser These sei als Vergleich auf dessen Anbetung der Magier (Mailand, Pinacoteca Ambrosiana) verwiesen.47 Mit dem großflächig strahlenden Gelb verstärkt der Künstler die Zentralstellung des prophetisch anmutenden Gelehrten. Gelb ist die einzige gesättigte Buntfarbe im Bild, wogegen alle übrigen Farbtöne in unterschiedlichen Hell-Dunkel-Abstufungen mittels Braun, Grau, Ocker, Blau und bisweilen auch durch Gelb- und Rosabeimengungen gebrochen sind. Hinzu kommt, dass der Künstler im Umfeld Christi die Farben mit offenem, fast schon skizzenhaftem Pinselduktus aufträgt. Das die Aufmerksamkeit des Betrachters vordringlich beanspruchende Gelb, das auch bei Schiavone an kompositionell relevanten Stellen häufig in Erscheinung tritt und von dem Tintoretto seit den 50erJahren in so ausgeprägter Weise nie mehr Gebrauch machen wird, erhärtet auch die Funktion des Gelehrten als Bedeutungsträger, und zwar dahingehend, dass dieser – anscheinend durch Christi Weisheit bekehrt – den Blick mit bedenklich anmutendem Gesichtsausdruck auf seinen links knienden Gefährten richtet, der sich, um Christi Erläuterungen zu falsifizieren, vergeblich bemüht, im am Boden liegenden Folianten entsprechende, der Gegenargumentation dienliche Textstellen zu entdecken. Im Rücken des emsig blätternden Forschers steht, tief verschattet an den Bildrand gedrängt, eine alle Figuren überragende Frauengestalt, die mit ihrer streng vertikalisierten, statuarisch bewegungslosen Haltung der hinter ihr sich erhebenden Säule angeglichen ist. Dabei könnte es sich um die Gottesmutter handeln, die den Blick auf ihren eigenwilligen Sohn richtet. Allegorisch interpretiert ist indes nicht auszuschließen, dass sie angesichts ihrer dunklen Erscheinung die längst verstrichene Stilphase der klassischen Hochrenaissance verkörpert, wogegen der mit ihr als Lichtgestalt kontrastierende Schriftgelehrte einen dynamischen Entwicklungsschritt zum stile nuovo, dem Manierismus, symbolisiert. Seinen bis dahin größten Auftrag erhielt Tintoretto 1542 vom Grafen Vettor Pisani, einem Verwandten des berühmten Dogen Andrea Gritti und begüterten Bankier. Künstlerischen Innovationen aufgeschlossen und bekannt auch als Förderer der Architekten Palladio und Vincenzo Scamozzi fasste der venezianische

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6 Tintoretto, Deukalion und Pyrrha, Holz, 127 x 124 cm, Modena, Galleria Estense

7 Tintoretto, Fama, Öl auf Leinwand, 222 x 74 cm, Venedig, Privatbesitz

Patrizier anlässlich seiner Hochzeit den Beschluss, seinen gotischen Palazzo bei San Paterniano gründlich zu modernisieren, wobei er den mit ihm fast gleichaltrigen Maler beauftragte, die prachtvolle Kassettendecke des Festsaals mit 16 orthogonal gerahmten, heute in der Galleria Estense in Modena aufbewahrten Bildern auszustatten; als Thema waren Episoden aus Ovids „Metamorphosen“ vorgesehen.48 Alle 14 Bilder des Zyklus (zwei weitere sind verschollen) bestechen durch ihre geradezu „schwindelerregenden Untersichtdarstellungen“ und geben Tintoretto Gelegenheit, seinen manieristischen Neigungen freien Lauf zu lassen. Krischel zufolge „bedeutet der Zyklus mit seiner starken Untersicht, seiner drängenden Plastizität und gewaltsamen Dynamik eine qualitative Steigerung für das Werk Tintorettos und die venezianische Deckenmalerei überhaupt. Die fast bedrohlich wirkende Perspektive und die heftigen Licht-Schatten-Kontraste sind auf Giulio Romano zurückzuführen“. Der Vermutung des Autors, wonach Tintoretto auf persönlichen Wunsch Pisanis nach Mantua gereist sei, um die Malereien Giulios im Palazzo del Tè zu studieren, ist durchaus etwas abzugewinnen. Als unmittelbares Vorbild standen dem Künstler Giulios in ähnlich radikaler sotto in sù-Ansicht gefertigte Deckenbilder der Sala Psiche (um 1527) vor Augen – laut Krischel ein „Erlebnis, das ihn für sein ganzes Leben prägen sollte“.49 Wie schon angedeutet brachte Tintorettos manieristischer Ideentransfer aus Mantua in seine Heimatstadt für die venezianische Deckenmalerei einen erheblichen Entwicklungsschub mit sich, dem sich auch Tizian nicht entziehen wollte, als er erstmalig nach der Initialleistung seines verschmähten Schülers mit seinen später in die Sakristei der Kirche Santa Maria della Salute dislozierten Deckengemälden, wiewohl in gemäßigter Weise, dem neuen sotto in sù-Trend Rechnung trug. Aus dem Zyklus sei, Krischel folgend, die Szene mit Deukalion und Pyrrha herausgegriffen, die im Gebet zur noch radikaler verkürzten Statue der Themis, der Göttin der Gerechtigkeit, emporblicken. Zum Vergleich verweist der Autor auf Giulios Zephir bläst Psyche über das Meer (Ausführung von Rinaldo Mantovano), ein auf Stuck gemaltes Bild, in dem vor allem Neptun von Interesse ist. In der Tat hat Tintoretto die Brustmuskulatur des Meeresgottes fast wörtlich auf Deukalion übertragen.50 In der Verkürzungstechnik des sotto in sù ist Tintoretto sogar noch um einen Schritt weitergegangen, indem er von Deukalions Kopf nur noch den grauen Vollbart zeigt. Zudem ist die Figur mit einem rötlichen, förmlich am Körper klebenden Hemd bekleidet, unter dem sich die Muskulatur bis ins Detail abzeichnet. Fast möchte man meinen, sie sei wie bei Giulio nackt dargestellt – ein typisch manieristisches Verwirrspiel, dem man mitunter auch in Bildern Pontormos begegnet; als signifikantes Beispiel dafür dessen Grablegung (1525/26–1528; Florenz, San Felicità).51 Auch bei Pyrrha, die ihre Arme betend emporstreckt, ist die Untersicht so weit getrieben, dass man von ihrem Haupt lediglich das Kinn zu sehen bekommt. Gut möglich, dass sich der Künstler hier laut Krischel (eine absichtliche Betrachtungsweise aus der Froschperspektive vorausgesetzt) durch die allegorische Skulptur der Hoffnung am Grabmal des Senators Giovanni Battista Bonzio (gefertigt von Paolo Stella Milanese; 1525/26; Venedig, Santi Giovanni e Paolo) inspiriert sah.52

Annähernd gleichzeitig mit den in Modena befindlichen Deckenbildern schuf Tintoretto ein Gemälde (Venedig, Privatbesitz) mit einer nackten Frauengestalt, die, illusionistisch perfekt gemalt, in aufrechter Haltung und mit dynamischem Schwung in den Himmel schwebt. Das Werk wurde von Von der Bercken erstmalig als autographe Leistung Tintorettos publiziert, jedoch ohne Angabe von Gründen mit 1570–1580 viel zu spät datiert. Auch seine Identifikation der mythologischen Figur als Aurora wurde von Pallucchini bald danach zugunsten einer Fama richtiggestellt, wohl begründet, wenn man die lange Trompete in ihrer Rechten und den von einer Schlange umwundenen Reif als Ewigkeitssymbol in ihrer Linken in Betracht zieht. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass es sich hier nicht um ein Einzelwerk, sondern, so auch Von der Bercken, um „einen Teil einer Deckendekoration“ handelt. Dafür spricht zweierlei: zum einen die ausgeprägte Untersichtdarstellung der Fama, zum anderen das für ein singuläres Gemälde kaum vorstellbare extrem schmale Hochformat.53 Die Bekehrung des Saulus (Washington, National Gallery) dürfte mit jenem Gemälde identisch sein, das Ridolfi im Palast des Senators Gussoni gesehen und beschrieben hat. Das Werk wurde von Suida erstmals in den Fokus der Forschung gerückt und als von Pordenone und Schiavone beeinflusstes Jugendwerk Tintorettos bezeichnet. Letzteres wurde von Von der Bercken und Pallucchini alsbald bestätigt und in der Folge nie mehr infrage gestellt.54 Uneinigkeit besteht indes bezüglich der zeitlichen Einordnung des Gemäldes. Obwohl Krischel und Villa in

8 Tintoretto, Die Bekehrung Sauls, Öl auf Leinwand, 152,4 x 236,2 cm, Washington, National Gallery

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9 Tintoretto, Die Schlacht von Asola, Öl auf Leinwand, 198 x 473 cm, New York, Sammlung Stanley Moss

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ihren rezent erschienenen Monographien auf 1539 beharren, sind m.E. die Datierungsvorschläge De Vecchis (um 1544/45) und Pallucchinis (um 1544) zu präferieren. Als Beleg für seine These verweist Letzterer auf Tintorettos ebenfalls um 1544 geschaffene Schlacht von Asola (New York, Sammlung Stanley Moss), ein Werk, das in manchen Details – besonders hinsichtlich seiner Figurenkonfusion – dem Saulussturz nahekommt.55 Ridolfi zufolge hatte sich Tintoretto bereits anlässlich seiner Fassadenfreskierung des Palazzo Zen mit dem Thema befasst, und zwar, wie Ridolfi betont, in Kollaboration mit Schiavone, der schon zu Beginn des fünften Jahrzehnts ein Gemälde (Venedig, Pinacoteca Querini Stampalia) gleichen Inhalts ausgeführt hatte. Dass sich Jacopo durch dessen Koloritauffassung angeregt fühlte, wird allgemein bestätigt.56 Wie bei Schiavone fungiert Saulus, auf der Bildachse platziert, als Bildzentrum, von dem sein Gefolge, so auch Ridolfis Beschreibung, zentrifugal in alle Richtungen entflieht. Vom Pferd gestürzt und mit dem roten Pallium als hochrangiger römischer Offizier gekennzeichnet sowie mit dem Weiß des über ihm galoppierenden Schimmels akzentuiert, ist Saulus in Rückenlage auf einem abgestuften Felsblock, der an einen Opferaltar erinnert, hingestreckt. Die Arme weit ausgebreitet vernimmt er die mahnende Stimme („Saulus, warum verfolgst du mich?“) des links oben erscheinenden Heilands. Von dort ausgehend führt eine durch eine abschüssige Terrainkontur markierte, kompositionsbestimmende Diagonale abwärts, die eine weitläufige Flusslandschaft vom terrestrischen Areal trennt. Rechts unten stürzt Sauls dunkelbraunes Streitross kopfüber in die Fluten, einen bedrohlichen Aufruhr erzeugend, der Soldaten in Schrecken versetzt, von denen einige schwimmend zu entkommen suchen. Mit dem extrem abgedunkelten Pferd Sauls kontrastiert das Weiß des sich links außen zur Levade aufbäumenden Pferdes, dessen Reiter sich entsetzt die Haare rauft und dessen leuchtendes Gelb sich – ähnlich wie Blau und Rot – streumusterartig mehrfach im Bild wiederholt, wobei dieser Primärfarbtrias eine kompositionell nur geringfügige Funktion zu attestieren ist. Begünstigt durch den Verzicht auf einen Horizont sowie einen nur angedeuteten Bodengrund steht

10 Raffael, Die Bekehrung Sauls, Wandteppich, Rom, Vatikanische Bibliothek

11 Tizian, Die Schlacht von Spoleto, Kohle und schwarze Kreide, 38,1 x 44,2 cm, Paris, Louvre

die gesamte Erdzone – im Gegensatz zur farb- und luftperspektivisch behandelten Flusslandschaft – ganz im Zeichen der Flächenprojektion. Daran ändert auch die durch zahlreiche Interferenzen verdichtete Schar der Reiter und Fußsoldaten nur wenig. Anstatt in räumlicher Staffelung ist sie eher in Draufsicht beziehungsweise übereinander wahrzunehmen. Ergebnis ist eine nahezu bildteppichartige Erscheinung, deren kompositionell eingeschränkte Stringenz der thematisch bedingten Darstellung des Chaos zugutekommt. Als großteils autodidaktisch geschulter Künstler war Tintoretto – abgesehen von seiner Nähe zu Schiavone – auch anderen Anregungen zugänglich. Bezüglich der Haltung Sauls, des links unten flüchtenden Soldaten sowie des sich aufbäumenden Pferdes hat er sich offensichtlich an Raffael orientiert. Als Grundlage dafür diente ihm, so Ballarin, dessen Teppichentwurf zum gleichen Thema, ein heute verschollener Karton, der sich seit 1521 in Besitz der venezianischen Patrizierfamilie Grimani befand und den Tintoretto mit Sicherheit zu Gesicht bekommen hat. Der Vergleich ist indes auch insofern aufschlussreich, als sich Raffael eines klar strukturierten Raumkonzepts bedient hat, wogegen sich Jacopo dem in der venezianischen Malerei häufig bevorzugten Prinzip des flächenhaft „Ornamentalen“ (Hetzer) verpflichtet fühlte.57 – Obwohl von Tizian argwöhnisch behandelt, sah sein junger Konkurrent keinen Anlass, diesem seine Reverenz zu verweigern. Dies beweist der Umstand, dass er aus dessen 1538 vollendeten Schlacht von Spoleto (1577 beim Brand im Dogenpalast vernichtet, indes durch eine Kreidezeichnung überliefert) den über einen Fluss gespannten Brückenbogen mitsamt den beiden fahnenschwingenden Reitern und dem Getümmel am Ufer nahezu wörtlich an visuell prominenter Stelle in sein Gemälde übertragen hat.58

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Die sechs im Besitz des Wiener Kunsthistorischen Museums befindlichen Tafelbilder mit alttestamentarischen Darstellungen dienten angesichts geringer Höhe und extrem langgestreckten Querformats mit Sicherheit der Ausschmückung von Truhen (cassoni). Lediglich Benesch vermutet, dass es sich um die Dekoration von Orgelbrüstungen oder um eine Raumvertäfelung gehandelt haben könnte. Da die Tafeln weitgehend gleiche Maße aufweisen, ist mit einer geschlossenen Werk­ serie, demnach mit einer singulären Auftraggeberschaft zu rechnen. Im Galeriekatalog von 1907 wurde die Serie Schiavone und bald danach von Fröhlich-Bum zum Teil der Werkstatt des Bonifacio de’ Pitati zugeschrieben. Erst 1922 änderte sich der Forschungsstand, als Von Handeln die Werkreihe Tintoretto zuerkannte, was – m.W. mit Ausnahme von Uvodic, der an Schiavone festhielt – in der Folge allgemeine Zustimmung fand. Die zunächst mit 1545–1548 präferierte Datierung wurde von Pallucchini zutreffend mit 1543–1544 korrigiert. Maßgeblich dafür war dessen Hinweis auf Tintorettos gerade in diesen Jahren besonders ausgeprägte Kontaktnahme mit Schiavone, der sich laut Ridolfi gleichfalls mit der CassoneMalerei (mitunter in Zusammenarbeit mit Tintoretto) beschäftigte und dessen „chromatisch-luminaristischer“, häufig von Gelb überstrahlter Farbgebung man auffallend oft auch in der Wiener Bilderserie begegnet.59 Aus der Reihe der sechs qualitativ schwankenden Gemälde, denen man bisweilen eine Beteiligung der Werkstatt ansieht, sei jenes mit Salomo und der Königin von Saba herausgegriffen, zumal dem Bild – ungeachtet dessen narrativer Tendenz, der vielleicht Anregungen des ebenso erzählfreudigen Bonifacio zugrunde liegen, (erinnert sei beispielhaft an dessen Gemälde Das Gastmahl des reichen Prassers in der Accademia) – auch von Pallucchini und Krischel eine Vorrangstellung eingeräumt wird.60 Zu Recht betont Letzterer, „dass ein Bild dieser Proportion nicht auf einen Blick überschaut werden kann, sondern nur nach und nach, also abschnittweise“, wodurch dem Beschauer ein hohes Maß an „Betrachterzeit“ abverlangt wird, verbunden mit der Bereitschaft, den überlängten Handlungsfaden als gestaltlich ganzheitlichen Schöpfungsprozess des Künstlers wahrzunehmen – eine beachtliche Her-

ausforderung, der Tintoretto mit der originellen Idee einer triptychalen Unterteilung des sonst kaum überschaubaren Ganzen entsprochen hat. – Den kompositorischen Auftakt bildet der hoch thronende, von Ratgebern und Höflingen flankierte Salomo, zu dessen Füßen die Königin von Saba, mit ihm in einen gestenreichen Dialog vertieft, Platz genommen hat und von einer dunklen, einer Treppe als Stütze dienenden Bogenöffnung akzentuiert wird. Hinter ihr befindet sich – stark verschattet mit ihrem weißen Kleid kontrastierend – die Gruppe der Höflinge, aus der eine prächtig gekleidete und mit einer Goldkette versehene Gestalt herausragt, deren porträthafte Physiognomie die Frage aufwirft, ob es sich hier vielleicht sogar um den Auftraggeber der Cassone-Malereien handelt. Die schräg gestellten Stufen des Thronpodests öffnen eine perspektivische Raumgasse, die bis zur linken Arkade einer Säulenhalle führt. Davor ist eine freie Säule postiert, die den Abschluss des ersten Bilddrittels markiert. Diese Zäsur wird zusätzlich durch die am unteren Bildrand platzierte, ebenso solitäre wie dynamisch raumgreifende Gestalt eines dunkelhäutigen, Gastgeschenke der Königin abstellenden Dieners betont, dessen komplexe Haltung Tintoretto laut Krischel einem nach Raffael von Marcantonio Raimondi gefertigten Kupferstich David und Goliath entnommen hat. Vor der sechsachsigen, stark aufgehellten Säulenhalle, die das mittlere Bilddrittel umklammert, haben sich die fantasievoll orientalisch gekleideten Hofdamen der Königin versammelt, denen sich von hinten zwei in Dunkel gehüllte, Gaben schleppende Diener nähern. Wie Salomos Höflinge begrenzen auch diese mittels schräger Staffelung einen Freiraum, dessen Tiefenwirkung durch die perspektivisch fluchtenden Säulenstellungen des transparenten Hallengebäudes noch verstärkt wird. Daraus resultiert ein lebhaftes, rhythmisch anmutendes Vor und Zurück der Komposition. Demgemäß ist die im rechten Bilddrittel angesiedelte, ausnehmend narrativ-genrehaft wirkende Szene, vom Blau des Himmels überwölbt, ganz in den Vordergrund gerückt. In unterschiedlichen Stellungen, in gebrochenen Farben und flüchtigem Pinselduktus wiedergegeben (Letzteres gilt für die gesamte Tafel), sind weitere Diener, ein Boot entladend, im Begriff, kostbare Gastgeschenke, darunter Elfenbein und Goldgefäße, herbeizuschaffen.

12 Tintoretto, Salomo und die Königin von Saba, Holz, 29 x 157 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

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13 Tintoretto, Salomo und die Königin von Saba, Öl auf Leinwand, 160 x 270 cm, Chenonceaux, Schloss

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In der Entwicklung des bis dahin noch bescheidenen Œuvres bilden die Cassone-Gemälde insofern einen bemerkenswerten Einschnitt, als sich der Künstler hier erstmals mit der neue kompositionelle Möglichkeiten erschließenden Raumproblematik auseinandersetzt. Dies hat auch Emmrich so gesehen, wenn sie schreibt: „Bei diesen Tafeln erprobte Tintoretto wohl zum ersten Male eine Bildstruktur der jäh in die Tiefe des Raumes drängenden Konfigurationen, der einander widerstrebenden Perspektiven, die leere Flächen begrenzen und sie in unendlich fluchtende Räume verwandeln. Das ungewöhnliche Bildformat – die Bildhöhe beträgt nur ein knappes Fünftel der Breite – wird ihn zu den perspektivischen Kühnheiten ermuntert haben, die später zu einem Charakteristikum seiner Kunst wurden.“61 Wahrscheinlich hat Tintoretto das Gemälde Salomo und die Königin von Saba zufriedener als die anderen Cassone-Tafeln gestimmt. Dafür spricht immerhin, dass er das linke Drittel des Bildes – in etwas verengter und in einigen Details modifizierter Weise, allerdings unter Tilgung der Raumgasse – später in ein selbstständiges Gemälde (1546/47, Salomo und die Königin von Saba, Schloss von Chenonceaux) übertragen hat.62 Die frühzeitige Begegnung mit Pietro Aretino war für Jacopo ein ausgesprochener Glücksfall. Offenbar ohne Rücksprache mit seinem Freund Tizian, der dem jungen Künstler bekanntlich reserviert gegenüberstand, beauftragte der auch in Kunstangelegenheiten ebenso berühmte wie gefürchtete Propagandist – wie zum Beweis seines sicheren Gespürs für außergewöhnliche Talente – den aufstrebenden Maler mit der Produktion zweier mythologischer Deckenbilder. Anstelle eines Honorars, eine bei Aretino auch gegenüber anderen Künstlern übliche Vorgehensweise, erhielt Jacopo einen mit 15. Februar 1545 datierten Lobesbrief: „An Messer Jacopo Tintore. Für schön und kühn und lebendig […] werden von jedem erfahrenem Kunstkenner die beiden Geschichten – die Fabel von Apoll und Marsyas sowie die Novelle von Argus und Merkur – erachtet, die Ihr so jung an Jahren quasi in weniger Zeit […] gemalt habt, als jemand brauchte um sie auszudenken.“63 Einst bestehende Zweifel daran, dass es sich beim in Hartford (Wadsworth Atheneum) aufbewahrten Gemälde Apoll und Marsyas um jenes von Aretino in Auftrag gegebenes handelt, hat Arcangeli überzeugend zerstreut; das zweite Deckenbild gilt als verschollen.64 Mit den 16 von Vettor Pisani für den Festsaal seines Palastes bestellten, großes Aufsehen erregenden Bildern hatte sich Tintoretto bereits 1543/44 als Deckenmaler bestens ausgewiesen. Doch anstatt an seinem für Venedig revolutionären sotto in sù festzuhalten lieferte er unter Verzicht auf jegliche Untersichtprojektion ein streng bildflächenparallel konzipiertes, der zentralitalienischen Deckenmalerei-Tradition verpflichtetes Werk, dessen quadro riportato-Prinzip, so Schulz, bereits der Florentiner Francesco Salviati anlässlich seines Venedig-Besuchs (1539/41) mit dem für den Palazzo Grimani bei Santa Maria Formosa gefertigten Deckenbild (Die Verehrung der Psyche) zur Anwendung gebracht hatte. Schulz zufolge war für Jacopos konservative Wahl eines quadro riportato die mittelitalienische Herkunft Aretinos mitbestimmend, wiewohl ihm bekannt gewesen sein müsste, dass dieser ein erklärter Anhänger Giulio Romanos, somit auch Bewunderer dessen sotto in sù-Technik war. Umso erstaunlicher

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14 Tintoretto, Apoll und Marsyas, Öl auf Leinwand, 137 x 236 cm, Hartford, Wadsworth Atheneum

die Lobeshymne des kunsterfahrenen Schriftstellers auf Jacopos wenig innovatives Gemälde, in dem laut Schulz rechts außen auch jener abgebildet ist.65 Wer – wie auch andere aufstrebende Künstler – über ein ähnlich rühmendes Empfehlungsschreiben Aretinos verfügte, hatte sozusagen ausgesorgt, brauchte sich jedenfalls nie mehr über einen Mangel an Auftraggebern zu beklagen. So auch Tintoretto, dem sich fortan – abgesehen von dem in den 40er-Jahren noch eingeschränkten Interesse kirchlicher Stellen – die Türen zu bürgerlichen wie adeligen Sammlerkreisen öffneten, einer Klientel, die an seinen ebenso figurenreichen wie erzählfreudigen Bildern besonderes Gefallen fand. Beispielhaft dafür Themen wie Christus und die Ehebrecherin, sowie Salomo und die Königin von Saba, die Jacopo in mehreren Fassungen zur Darstellung gebracht hat. Schon damals war evident, dass ihm weniger die Einzelfigur als der kompositionelle Anreiz der Gruppenbildung wichtig war, eine künstlerische Einstellung, die auch in seinem künftigen Œuvre dominieren wird. Anders als etwa bei Tizian, wo, so Waldmann, „gelegentlich der ganze Bildrhythmus von der Geste einer Einzelgestalt bestimmt wird“.66 In diesem Zusammenhang sei auf zwei weitere, um 1546 entstandene Versionen zum Thema Salomo und die Königin von Saba verwiesen, wobei die in Greenville (Bob Jones Universitiy) aufbewahrte gegenüber jener in Bologneser Privatbesitz befindlichen m.E. einen höheren Qualitätsanspruch erhebt. Unabhängig von den Bedingungen eines extrem langgestreckten Cassone-Querformats mit seinen triptychalen Zäsuren konnte Tintoretto in der Greenville-Version seine tiefenräumliche Konzeption innerhalb eines einheitlichen, bühnenartigen Architekturambientes verwirklichen. Konstituierend dafür ist ein perspektivisch verlaufendes, schachbrettartig verfliestes Bodenareal, das, zunehmend sich verdichtend, bis in den Hintergrund führt, in seiner Kontinuität lediglich durch die Gestalt der Königin von Saba unterbrochen, die aufgrund ihrer freiräumlich isolierten Position eine zentrale Stellung einnimmt. Fast doppelt so groß wie diese ist am unteren Bildrand eine in Rückenansicht wiedergegebene Frauengestalt, die als Repoussoirfigur dem Bildeinstieg dient und mit dem im Hintergrund platzierten, triumphbogenähnlich

Abb. 15, 16, S. 32

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15 Tintoretto, Salomo und die Königin von Saba, Öl auf Leinwand, 150 x 217,5 cm, Greenville, Bob Jones University

16 Tintoretto, Salomo und die Königin von Saba, Öl auf Leinwand, Bologna, Privatsammlung

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zu einem giardino segreto vermittelnden rustizierten Portal, in dessen Bogenbereich die Fluchtlinien konvergieren, in Maßstab bildender Beziehung steht. Krischel zufolge ist die bauliche Anlage (abgesehen vom Gartenausblick) „als freie Variante auf den Innenhof des Dogenpalastes anzusehen“. In der Tat mag das am linken Bildrand schräg fluchtende Gebäude mit dem triumphalen Bogen, vor dem sich das weibliche Gefolge der Königin versammelt hat, an den Arco Foscari erinnern. Demgemäß könnte es sich bei der rechts im Hintergrund ansteigenden Freitreppe um eine Anspielung auf den unteren Abschnitt der Scala dei Giganti handeln. Da sich die Treppe im Bild wie in der Realität aus 15 Stufen zusammensetzt, ist, so der Autor weiter, eine Allusion auf den salomonischen Tempel durchaus denkbar.67 Letzteres bestätigen die dem Tempel vorgelagerten torsierenden Säulen „Jachin“ und „Boas“, zwischen denen der thronende Salomo auf einem fünfstufigen Thronpodest – seine königliche Besucherin hierarchisch überragend – platziert ist. Zu seiner Linken befinden sich Mitglieder seines Hofstaats, die mit ihrer interfe-

rierenden Staffelung der schräg fluchtenden Architekturkulisse entsprechen und mit dessen baulichem Vis-à-vis einen Raumtrichter bilden. Der Umstand, dass der Zielpunkt des Ganzen – das die Königin akzentuierende Gartenportal – aus der Symmetrieachse nach links verlagert ist, erzeugt als Abweichung von der Zentralperspektive ein hohes Maß an Dynamik und Spannung. Als Ausgangspunkt dafür dient der in der rechten unteren Bildecke positionierte, das Ereignis in einem mächtigen Folianten festhaltende Chronist, der ähnlich wie die weibliche Rückenfigur als Repoussoir fungiert und von dem aus – entsprechend einem fiktiven Idealstandort des Betrachters – sich das raumkompositorische Gefüge des Gemäldes erschließt. Krischel verweist auf Bonifacio de’ Pitatis für das Tribunal des Magistrato del Sal gemalte Urteil des Salomo (1533; ursprünglich im Palazzo dei Camerlenghi in Venedig, heute Venedig, Accademia), dem Tintoretto in der Tat einige Motive wie den thronenden Salomo, das Antlitz des alten Ratgebers und die links postierte Rückenfigur entnommen hat. Der Vergleich ist aber auch insofern aufschlussreich, als hier „die neue Qualität von Jacopos Bild deutlich“ wird.68 Dies manifestiert sich in der tiefenräumlichen, das Figurenensemble adäquat einbeziehenden Konzeption, wogegen Bonifacio – trotz perspektivischen Bodenmusters und Landschaftsausblicks – an der traditionellen Projektion des Figuralen festhält. So gesehen ist eine prinzipielle Affinität zwischen Bonifacios Gemälde und Tintorettos dritter, qualitativ wohl schwächeren Version des Besuchs der Königin von Saba bei Salomo (Bologna, Privatbesitz) nicht zu leugnen. Diese besteht darin, dass Jacopo die lange Prozession der Hofdamen quer durch das Bild bis knapp vor das Thronpodest Salomos heranführt. Dadurch wird die räumliche Durchlässigkeit der Szene suspendiert und die perspektivische, zur Erschließung des Tiefenraums notwendige Kontinuität der Bodenverfliesung unterbrochen. Hinzu kommt, dass sämtliche Architekturmotive – durch den Figurenzug vom Vordergrund getrennt – in den Hintergrund verbannt sind und trotz perspektivischer Anordnung wie separat angestückte Theaterkulissen anmuten.69 Annähernd zeitgleich (um 1546) mit den Salomo-Bildern malte Jacopo Christus und die Ehebrecherin (Rom, Galleria Nazionale), ein Gemälde, das mit jenem ident sein dürfte, das Ridolfi anlässlich eines Besuchs im Haus des Vincenzo Zeno – unter besonderer Erwähnung der Portikus-Säulenhalle – beschrieben hat. Das Werk wurde m.W. von Pittaluga erstmals (1925) als autographe Leistung des Künstlers bezeichnet, eine Zuschreibung, die (wiewohl heute allgemein anerkannt) noch Jahrzehnte später mitunter bestritten wurde. Während Maxon darin die Arbeit eines anonymen Meisters vermutete, plädierte Coletti, völlig unverständlich, für Tintorettos Sohn Domenico. Neuerlich befasste sich Jacopo mit dem Thema der Integration eines Figurenensembles innerhalb eines perspektivisch höchst anspruchsvollen Architekturambientes, einem Problem, das er erst nach mehrfachen Korrekturen zu seiner Zufriedenheit löste. Letzteres bezeugt eine 1965 angefertigte Radiographie, die etliche pentimenti zutage förderte und die von Weddigen überzeugend interpretiert wurde.70 Demzufolge plante Jacopo zunächst eine als Hintergrundsfolie dienende, bildparallele, an jene der Wiener Cassone-Tafel erinnernde Arkadenhalle, ein Vorhaben, das er in der Folge zugunsten einer fünf-

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Abb. 16, S. 32

Abb. 17, S. 34

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17 Tintoretto, Christus und die Ehebrecherin, Öl auf Leinwand, 118,5 x 168 cm, Rom, Galleria Nazionale dell’ Arte Antica

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schiffigen, mehr als den halben Bildraum füllenden Säulenhalle verwarf, wobei er vier Schiffe mit einer kassettierten Flachdecke und das fünfte, rechts außen sich öffnende Schiff mit einem jochweise in Kreuzgrate unterteilten Tonnengewölbe versah. Die schräg gestellten Säulenreihen und ebenso in die Tiefe weisenden Architrave sowie das perspektivisch nach rechts zielende Pavimentmuster finden im Haupt der im tonnengewölbten Seitenschiff forteilenden Rückenfigur ihren Fluchtpunkt. Dahinter öffnet sich ein Ausblick auf eine unter einem dunkel bewölkten Himmel verlaufende Flusslandschaft, die den Tiefensog der Komposition noch verstärkt. Vermutlich erst in einem dritten Arbeitsschritt verlängerte der Künstler die rechte Seitenschiffwand bis an den Bildrand. All dem entspringt ein hohes Spannungspotenzial, das sich unter anderem darin äußert, dass sich der Betrachter innerhalb des von zahllosen Überschneidungen geprägten Säulenwalds nur erschwert zu orientieren vermag. Hinsichtlich des ungewöhnlichen Wechsels von der Flachdecke zum Tonnengewölbe sah sich Jacopo, so Krischel, einmal mehr durch Giulio Romano beeinflusst, der 1545 mit dem Um- beziehungsweise Neubau des Mantuaner Doms begonnen hatte, „wobei er die inneren Seitenschiffe mit Tonnengewölben, die angrenzenden äußeren Seitenschiffe jedoch mit flachen, kassettierten Balkendecken versah“.71

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18 Tintoretto, Christus und die Ehebrecherin, Öl auf Leinwand, 189 x 355 cm, Dresden, Gemäldegalerie

Bei seinem komplexen Architekturkonzept stand Jacopo indes auch anderen Anregungen offen. So entnahm er laut Weddigen sein perspektivisch fluchtendes, aus rautenförmigen und oktogonalen Bodenplatten bestehendes Bodenmuster Serlios zweitem Buch des Trattato di Architettura. Gegliedert durch die Säulen haben sich die großteils abgedunkelten Apostel im Halbkreis um Christus versammelt, der den zuvor ausgesprochenen Satz: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“ (Joh., 8,1–11) eben erst auf das Paviment niedergeschrieben hat. Vor der nach links abgedrängten Gruppe weitet sich das hell belichtete Bodenareal, in dessen Mitte die Ehebrecherin positioniert ist, die, in Blau und Rosa gekleidet und mit skizzenhaftem Pinselduktus wiedergegeben, mit überraschter Geste die Arme ausgebreitet und den Blick zu Boden gerichtet, den schicksalhaften Schriftzug Christi zur Kenntnis nimmt. Angesichts ihrer isolierten Stellung und der sie akzentuierenden Säule, die die Komposition nach der Proportionsregel des Goldenen Schnitts unterteilt, ist der Sünderin die strukturelle Rolle eines Bildzentrums zugedacht. Von gesättigten Farben machte der Maler einen äußerst geringen Gebrauch, letztlich nur in Hinblick auf das Rot, das lediglich in den beiden unteren, kompositionell allerdings wichtigen Bildecken in Erscheinung tritt – zum einen an der Rückenfigur des links außen situierten Apostels, von dessen Standort sich die perspektivische Konzeption des Ganzen folgerichtig erschließt, zum anderen am Pharisäer rechts gegenüber, der – vom Schiedsspruch Christi betroffen – fluchtartig den Schauplatz verlässt. In der Dresdener Version von Christus und die Ehebrecherin spielt die tiefenräumliche Architektur nur eine Nebenrolle. Sie beschränkt sich auf eine schmale, zu einem Rundbogenportal führende Raumgasse, deren Tiefenwirkung sich lediglich durch das schachbrettartige Bodenmuster erschließt. Der Tradition folgend beansprucht die figurale Szene den Großteil der Bildfläche, ist aufgrund der fast bildhohen Gestalten dem Betrachter sehr nahe gerückt und auf einer schmalen Vordergrundbühne zusammengedrängt. Was hier an messbarem Raumvolumen fehlt, wird durch Körperplastizität und vor allem durch die grundrisslich gesehen ovale Anordnung der Figuren ersetzt. Einen wichtigen Beitrag leistet hier die als Repoussoir dienende Rückenfigur. Jesus sitzt vor einer den Goldenen Schnitt

Abb. 18

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19 Tintoretto, Christus und die Ehebrecherin, Öl auf Leinwand, 160 x 225 cm,Amsterdam, Rijksmuseum

Abb. 20, S. 37

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markierenden Säule, in Körperdrehung den Blick auf die Sünderin gerichtet. Und obgleich der Erlöser seine Argumente zugunsten der Beschuldigten bereits vorgetragen und auf dem Paviment schriftlich fixiert hat, sind die Pharisäer, ungeachtet des Johannes-Evangeliums, immer noch anwesend, anscheinend bemüht, ihn von seinem Schiedsspruch abzubringen. Ihre Präsenz ignorierend verkündet Christus – gemäß dem Ende der Bibelstelle – der Ehebrecherin mit folgenden Worten gleichsam sein Schlussplädoyer: „Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner Herr. […] Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ Wie man sieht, pflegte Tintoretto hier einen freien, durchaus interpretationsbedürftigen Umgang mit dem Bibeltext. In dieselbe Richtung weist der Umstand, dass Jacopo die Hauptszene mit dem in den Evangelien häufig vorkommenden Thema der Krankenheilung junktimiert hat. Darauf deuten die im Hintergrund an der Pforte zum Tempel Einlass begehrenden, schemenhaft skizzierten Hilfesuchenden, vor allem aber die beiden auf Heilung hoffenden männlichen Aktfiguren – der eine kniend, der andere in geradezu waghalsig manieristisch verkürzter Haltung dargestellt. Offensichtlich sah sich der Maler hier durch nach Michelangelo angefertigte Zeichnungen oder Stiche angeregt. Die Verbindung zweier völlig voneinander unabhängiger Szenen – die eine moralisierenden, die andere karitativen Inhalts – lässt eine der zahlreichen, sich eben auch der Krankenpflege widmenden Scuole piccole als Auftraggeber vermuten. – Bezüglich der Datierung des Gemäldes hat sich Pallucchinis These (um 1547) gegenüber jener von Von der Berken (1543/46) und Walther (1542/45) durchgesetzt.72 Mit dem Sujet Christus und die Ehebrecherin hat sich Tintoretto in seiner frühen Schaffensperiode besonders häufig auseinandergesetzt, wobei er dem Thema hinsichtlich Komposition und Ikonographie jedes Mal neue Aspekte abgewann. Erwähnt sei nur noch das im Amsterdamer Rijksmuseum aufbewahrte, um 1546 entstandene Gemälde, in dem die Raumkomponente wie in den besprochenen Salomo-Bildern dominiert und Christus ebenso auf einem hohen, dem Tempel vorgelagerten Treppenpodest thront. Bemerkenswert ist, dass Tintoretto hier Anregungen aus verschiedenen Bildquellen verarbeitet hat. So stammen etwa die entlang eines rechts in die Tiefe weisenden Straßenzugs aufgereihten Paläste aus dem dritten, 1540 erschienen Architektur-Traktat von Sebastiano Serlio, ein Motiv, von dem auch Paris Bordone – ungefähr gleichzeitig mit Jacopos Gemälde – in seiner Bathseba im Bade (Köln, Wallraf-Richartz Museum) Gebraucht gemacht hatte. Zudem lässt die ausgeprägte Erzählfreudigkeit, die Integration des Figuralen in ein phantastisches Architekturensemble und das Interesse an der partiellen Wiedergabe orientalischer Gewänder auf einen Einfluss durch Carpaccio schließen.73 Mit keinem anderen Thema hat sich Tintoretto so häufig beschäftigt wie mit dem „Letzten Abendmahl“ (Ultima Cena). Tradiert sind neun Versionen, verteilt über sein gesamtes Œuvre, innerhalb dessen jede Schaffensperiode mindestens ein Exemplar aufweist. Das letzte, in San Giorgio Maggiore befindliche vollendete der Künstler 1594, in seinem Todesjahr. Als gesichertes ‚opus 1‘ gilt die an der linken Wand des Presbyteriums in San Marcuola applizierte Ultima Cena. Als Beleg dafür dient eine an einem vor dem Abendmahlstisch postierten Schemel ver-

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merkte Inschrift, die das Jahr 1547 anzeigt und Iseppo Morandello, den damaligen Vorsitzenden der Scuola del Santissimo Sacramento, als Auftraggeber nennt. Die dem eucharistischen Gedanken verpflichtete Bruderschaft besaß wie die meisten Scuole piccole kein eigenes Gebäude. Stand eine Sitzung am Terminkalender, traf man sich in der jeweiligen Pfarrkirche, in der entweder (in prominenten Fällen) der Chor oder eine geräumige Seitenkapelle als Versammlungsort zur Verfügung stand. Von funktionell zentraler Bedeutung war der „banco“, die Vorstandstribüne mit Sitzbank, rückwärtiger Wandverkleidung und schrankartig ausgebautem Tisch. Für die Sakramentsbruderschaften (so eben auch jene in San Marcuola) war es naheliegend, über dem „banco“ eine Darstellung des Letzten Abendmahls anzubringen – laut Krischel gleichsam als Vorbild für den Vorstand, der sich – übereinstimmend mit der Zahl der Apostel – neben dem Vorsitzenden aus zwölf Mitgliedern zusammensetzte.74 Die erwünschte Positionierung des Gemäldes über dem „banco“, die eine streng frontale Betrachtungsweise der Scuolenmitglieder evozierte, war gewiss mitentscheidend für Tintorettos im Vergleich mit dessen späteren Versionen des Themas eher konventionell anmutende Komposition, der man gleichwohl das Bestreben ansieht, Leonardos Epoche machender und noch lange künstlerisch nachwirkendender Ultima Cena eine gleichsam venezianische Alternative gegenüberzustellen, eine Absicht, deren manieristische Realisierung allerdings noch ausstand. Vorerst hält Jacopo noch an der Tradition fest, indem er den Tisch horizontal – parallel zur Bildebene – ausrichtet, drei der Apostel (abweichend von Leonardo) jedoch vor dessen Stirnseite platziert. Ungewöhnlich ist die exorbitante Längenerstreckung des Querformats, die mit Sicherheit durch die entsprechenden Maße des „banco“ präjudiziert war. Die Bildhöhe ist gerade noch ausreichend, um die Protagonisten zu bergen. Entsprechend zurückgedrängt ist die Raumkomponente, woran auch der perspektivisch verflieste Boden nur wenig ändert, zumal sich dessen Fluchtlinien im weder als Wand noch als Raum definierbaren Dunkel des Bildgrunds verlieren. Kurz: Der Boden wirkt wie aufgeklappt, eine Eigenschaft, die zur dominierenden Flächenprojektion der nur aus wenigen Raumschichten bestehenden Komposition beiträgt. Der frontale Standort der auf das Wunder der Transsubstantiation konzentrierten Bruderschaft war wohl mitbestimmend für eine

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Tintoretto, Das letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, 157 x 443 cm, Venedig, San Marcuola

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zahlenmäßig symmetrische Anordnung der Apostel. Was vorliegt, ist indes eine Symmetrie sui generis, in der – kennzeichnend für das unterschiedliche Verhalten der Apostel – ein rhythmisch differenziertes chiaroscuro mit den aus dem magisch anmutenden Dunkel des Hintergrunds hervortretenden, dumpf glühenden Farbakzenten kontrastiert, wir folglich von einer ‚offenen‘ Symmetrie sprechen, in der sich laut Arnheim Ausgewogenheit „als das Gleichgewicht der miteinander ringenden Kräfte“ definiert.75 Genau genommen bleibt die Symmetrie lediglich in der bildaxialen Stellung Christi und den beiden ihn flankierenden Aposteln Petrus und Johannes gewahrt. Vor ihnen sind Judas und ein weiterer Apostel seitlich abgerückt, so dass sich das strahlend weiße Tischtuch dem Blick des Betrachters ungehindert öffnet. Die fünf Figuren umreißen eine von einer pyramidalen Struktur durchdrungene mandorlaähnliche Form, die das Bildzentrum zusätzlich betont und die lateralen, komprimiert zusammengefassten, jeweils eine ganzheitliche „Gestalt“ annehmenden und dadurch gleichsam als Nebenzentren fungierenden Apostelgruppen abgrenzt. Den Blick gesenkt und das hell beleuchtete Antlitz von einem goldenen Nimbus umstrahlt segnet Christus das auf einem Teller liegende Lamm, das als Agnus Dei auf seinen bevorstehenden Opfertod alludiert. Zugleich scheint er den Verrat anzukündigen, wofür die bereits in heftige Diskussionen verwickelten Apostel Zeugnis geben. Die größte Aufmerksamkeit erregt die in manieristischer Drehbewegung vom Schemel aufspringende Rückenfigur, die, das Haupt ihren vier Gefährten zugewandt, mit dem linken Arm zum Erlöser weist. Der Apostel trägt einen in teigigen Falten fließenden, an die Form einer zugespitzten Mandorla erinnernden Mantel, in dem sich, so der Befund Schneebauers, der wulstige Umriss einer riesigen, symbolisch leicht deutbaren Ohrmuschel abzeichnet.76 Das glühende, mit dem schwärzlichen Rotviolett des Kleides kontrastierende Karminrot des Mantels, das mit dem zu Rosa aufgehellten Kleid Christi korrespondiert, präsentiert den stärksten Buntfarbwert im Bild und verleiht der rechten Apostelgruppe ein ungleich größeres, Dynamik erzeugendes Anschauungsgewicht als der linken in dumpfen Farbtönen gehaltenen, nachdenklich introvertierten Gruppe. Zur Rechten der Rückenfigur, die den benachbarten leeren Schemel, an dem nicht zufällig der Name des Vorsitzenden der Scuola vermerkt ist, für den Betrachter zu reservieren scheint, sitzt ein weiterer, in Seitenansicht wiedergegebener Apostel, dessen silbrig glitzerndes Kleid am stärksten dem Licht ausgesetzt ist, wobei die nervöse, kleinteilig zerknitterte Faltengebung laut Krischel durch Paris Bordones Faltenstil (beispielhaft dafür dessen ungefähr gleichzeitig geschaffene Kölner Bathseba im Bade) angeregt ist.77 Unter den links versammelten Jüngern nimmt die Rückenfigur des Judas eine dominierende Stellung ein. Dies manifestiert sich zum einen in seiner isolierten Position, die durch den ihn von seinen Nachbarn trennenden Schemel sowie durch ein zwischengeschaltetes Stück des weißen Tischtuchs verursacht wird, zum anderen darin, dass dieser mit seinem schwarzvioletten Kleid, das jenem der rechten Rückenfigur gleicht und dadurch eine Brückenfunktion innehat, den vor allem durch den Kontrast mit dem Weiß des angrenzenden Tischtuchs evozierten

Dunkelpol der Komposition bildet. Angesichts der Verratsankündigung sitzt Judas wie erstarrt auf seinem Hocker, den linken Arm zurückgenommen, um den Geldbeutel zu verbergen. Sein in Ocker und matt schimmerndem Blau gekleideter Gefährte ist an der Eckkante der Tafel situiert und korrespondiert – aufgrund seiner gekrümmten Haltung – gleichsam als Kompositionsklammer mit den in Gegenrichtung ebenfalls kurvierten Rückenpartien der beiden rechts platzierten Jünger. Um dem exzeptionell breiten, wunschgemäß der Längenerstreckung des „banco“ angepassten Querformat Rechnung zu tragen, hat Tintoretto an den Flanken des Gemäldes zwei allegorische Frauengestalten platziert, die linke den Glauben (fides) mit dem Kelch, die rechte durch ihre Kinder die Nächstenliebe (caritas) symbolisierend, wohl auch in der Absicht, die Scuolenbrüder damit an ihre Pflichten zu erinnern. Zudem leistet die fides auch kompositionell insofern einen wichtigen Beitrag, als sie, vom Licht gestreift, aufgrund ihres silbergrauen Gewandes über eine große Distanz hinweg mit dem gleichfarbig gekleideten Apostel rechts außen korrespondiert. Darüber hinaus verfügt sie mit ihrer Linksposition (mit der sich, so Arnheim, der Betrachter identifiziert) über ein größeres visuelles Gewicht als ihre allegorische Gefährtin. So gesehen trägt sie wesentlich dazu bei, das zunächst durch die stärkere Pointierung der rechten Apostelgruppe gestörte Gleichgewicht der Komposition sicherzustellen. Ausgehend von Goethes Maxime, wonach „alles, was ein erscheinendes Dasein hat, der Zeit unterliegt“ – einer Erkenntnis, die von Theissing mit dem Satz: „Die Zeitlichkeit ist der Grund des Daseins“ noch pointierter formuliert wird – stellt sich auch hier die in der Kunstwissenschaft meist vernachlässigte Frage nach der „Zeit im Bild“, die in den künftigen Werken Tintorettos eine zunehmend wichtige Rolle spielt. Dementsprechend sollte jede aussagekräftige Bildanalyse auch eine Stellungnahme zur Zeitproblematik beinhalten, zumal Böhm die Zeit zu Recht als „die Grundkategorie der Malerei“ bezeichnet, ein damit verbundener Appell, der in der Forschung, Pochats dreibändige Zeitstudien ausgenommen, bislang wenig Widerhall gefunden hat.78 Dazu nur einige, methodologisch für die Erforschung der Bildzeit nützliche Leitsätze Theissings: „Die Zeit ist etwas an der Bewegung, das sich uns an einem Bewegten zeigt. Zeit ohne Bewegung widerspricht dem Wesen von Zeit und Zeitlichkeit. Zeit ist ein wesenhaft Kinetisches. Die Zeit […] wird sichtbar an den Erscheinungen im Bild durch [Dynamik erzeugende] Qualitätsveränderungen [bezüglich Form, Ebene, Raum, Farbe und Licht] von etwas her zu etwas hin. Die Raumlosigkeit bewirkt, dass jedes Bewegungsmotiv auch der Potenz zur Veränderung entbehrt und zum Zeichen wird, weil es zeitlos ist. Die ungeschiedene Zeiterfahrung der gleichmäßigen Füllung gerät aufgrund der Symmetrie in eine außerzeitliche Sphäre, die als geometrischer Raster und ornamentale Musterartigkeit unzeitlich wird.“79 Für die durch die Dichotomie von Symmetrie und Asymmetrie bestimmte Abendmahlskomposition sind die beiden letztzitierten Sätze besonders relevant. Christus, von zwei Aposteln flankiert, ist auf der Symmetrieachse angeordnet, die, so Theissing, den „Inbegriff des Zugleich“ darstellt.80 Mit seiner absoluten, strukturell zusätzlich durch eine pyramidale und mandorlaähnliche Form beton-

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Abb. 21, S. 41

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ten Zentriertheit sorgt er, der Zeit enthoben, für Ruhe und Dauer. Zumindest vom Zahlenaspekt her gesehen steht die beinahe klappsymmetrische Disposition der als Nebenzentren in zwei Fünfergruppen zusammengefassten Jünger ebenso für Außerzeitlichkeit; hinzu kommen die gleichfalls symmetrisch platzierten allegorischen Figuren der Fides und Caritas. Ein weiteres Indiz für Zeitarmut zeigt sich im stark reduzierten Raumvolumen, das durch den hermetisch blockierenden, fast schwarzen Hintergrund hervorgerufen wird. Theissing zufolge „bewirkt die Raumlosigkeit, dass jedes Bewegungsmotiv auch der Potenz zur Veränderung entbehrt und zum Zeichen wird, weil es zeitlos ist“.81 Indessen ist es keineswegs zutreffend, dass sich Tintoretto mit einem unzeitlich erstarrten Kompositionsmuster zufriedengegeben hätte. Was ihm vorschwebte, war, strikte Symmetrie und „offene“ Symmetrie in ein ambivalentes Verhältnis zu bringen, in der Absicht, dadurch eine spannungsvolle Ambiguität zu erzielen. Dies beginnt schon damit, dass er den mittleren, unbesetzten Schemel von der Symmetrieachse nach rechts, dem rot gekleideten Apostel angenähert, abrückt. Mit seiner drastischen Reaktion auf Christi Verratsankündigung weisend versetzt er, unterstützt von der Ausdrucksqualität des wild zerfurchten und im Silberton changierenden Gewandes seines Gefährten, die Jüngergruppe in Aufruhr, die sich anscheinend bereits hektisch darum bemüht, den Verräter zu identifizieren. Bildzeitlich gesehen handelt es sich, in Gombrichs Terminologie, um jenen „fruchtbaren Moment“, in dem, komprimiert auf einen schmalen Zeithof, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – hier konkret ausgedrückt: Verratsankündigung (Nicht-Mehr), Reaktion (Jetzt) und Erkenntnisziel (Noch-Nicht) – kopräsent sind.82 In der linken Apostelgruppe herrschen andere Bedingungen. Im Gegensatz zu seinem roten Pendant rechts ist Judas bewegungslos und streng vertikal ausgerichtet, hinterfangen von der Horizontalen der Tischkante, die das Prinzip der zeitdehnenden Orthogonalität unterstreicht. Die Gruppe ist fast völlig frei von zeitenden Qualitätsveränderungen. Nur unterbrochen von einem matten Blau und einem kleinen Gelbpartikel dominiert ein vom Licht beinahe gänzlich vernachlässigtes, bis in schwärzliches Dunkel gedämpftes Kolorit. Über dem Ganzen liegt eine Düsternis, in der sich die Ratlosigkeit gegenüber Christi Verratsankündigung widerzuspiegeln scheint. Im Warten auf das Noch-Nicht der Erkenntnis wird ein Zeitgefühl manifest, das sich als fast schon gähnend dahinschleppende Dauer niederschlägt. Selbst diese knapp ausgeführte Bildzeitanalyse mag als Beweis dafür dienen, dass mit ihrer Hilfe auch ein hermeneutisch ergänzender Ertrag einhergehen kann. Ob eine andere, in venezianischem Privatbesitz befindliche Ultima Cena als eigentliches ‚opus 1‘ der langen Serie von Tintorettos Abendmahlsdarstellungen beziehungsweise als autographe Leistung des Künstlers anzuerkennen ist, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Das Werk wurde von Jorghensen Jacopo zugeschrieben, eine Meinung, die lediglich bei Pallucchini, Rossi, Swoboda und Schneebauer Anklang fand, sonst jedoch von der Forschung völlig ignoriert wurde.83 Der bildparallel sich über die gesamte Breite des Gemäldes erstreckende Tisch bildet – zusammen mit der vertikalen Gliederung des Wandhintergrunds, in dem sich ein vom oberen Bildrand angeschnittenes Fenster öffnet – die orthogonale Matrix einer

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21 Tintoretto, Das letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, 121 x 216 cm, Privatbesitz

geradezu ermüdend gleichmäßigen Figurenkomposition. Im Rahmen einer genau beachteten Symmetrie sind die Figuren – in altertümlicher Isokephalie – in streng additiver Reihung angeordnet. Anders als in der offenen Symmetrie der durch kontrastierende Gruppenbildung bestimmten San Marcuola-Version machen sich maßgebliche Qualitätsveränderungen nur sehr geringfügig bemerkbar. Daraus resultierend erweist sich die Bildzeit der Dauer, beinahe schon der Außerzeitlichkeit verpflichtet. Dem scheinen die drei an der Frontseite der Tafel sitzenden Apostel zu widersprechen. Als Rückenfigur und in dynamisch torsierender, gleichwohl wenig variabler Haltung dargestellt wenden diese den Kopf nach links zu Judas, der, vom Blick Christi getroffen, offensichtlich – abweichend von der ikonographisch gebräuchlichen Verratsankündigung – bereits als Verräter entlarvt wird. Bildzeitlich gesehen handelt es sich um ein punctum temporis, um ein Zugleich, das mit der ganzheitlichen, auf Dauer abzielenden Bild-„Gestalt“ in einem ambivalenten Verhältnis steht. Innovativ ist lediglich der Umstand, dass die gesamte Frontseite der Tafel – gleichsam als Antithese zum jahrzehntelang gültigen Schema Leonardos – von Aposteln besetzt ist, deren enge Reihung den Blick auf die Tischoberfläche weitgehend verstellt. Gegenüber dem Abendmahl in San Marcuola besteht – bezüglich der eintönigen Komposition, Schwächen in der Zeichnung (s. die unbeholfene Beinhaltung des dunkel gekleideten Apostels rechts außen) sowie der schematischen Faltenbehandlung – ein beträchtliches Qualitätsgefälle, das an Tintorettos eigenhändiger Autorschaft zweifeln lässt. Sollte dies zutreffen – ein endgültiges Urteil verbietet die schwere Zugänglichkeit des Gemäldes, somit das Unvermögen, eine autoptische Farbanalyse vorzunehmen –, so bleibt doch das Bedenken gegenüber Pallucchinis Datierungsvorschlag (um 1546), der nur schwer erklärbar macht, wie Tintoretto in San Marcuola nur innerhalb eines Jahres zu einer dermaßen ausgeprägten Qualitätssteigerung gelangen konnte. Unter allen damals in Venedig – etwa zeitgleich mit Jacopo – mit dem Thema der Ultima Cena beschäftigten Malern fühlte sich Andrea Schiavone, wie eine Kreidezeichnung (Paris, Louvre) zeigt, am deutlichsten der leonardesken Rezeption verpflichtet. Dies bezieht sich – gegensätzlich zu Tintorettos weit selbstständigerer

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22 Andrea Schiavone, Das letzte Abendmahl, Zeichnung, 300 x 552 mm, Paris, Louvre

23 Giuseppe Salviati, Das letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, Venedig, S. Maria della Salute

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Gestaltungsweise in San Marcuola – zum einen auf die Übernahme einzelner Figurentypen und die rhythmische Gliederung der Apostel in Dreiergruppen, zum anderen auf die fast völlige Freistellung der Tischfrontseite. Lediglich Judas ist hier in einsamer Isolation platziert, darin immer noch der ikonographischen Tradition des Mittelalters folgend.84 Im Gegensatz zu Schiavones Zeichnung manifestiert sich in Giuseppe Salviatis Abendmahlsdarstellung eine radikale Emanzipation von Leonardos berühmtem Fresko. Salviati schuf das Gemälde für das Refektorium von Santo Spirito in Isola, von wo es nach Auflösung des Klosters zusammen mit Tizians Deckenmalereien in die Sakristei von Santa Maria della Salute transferiert wurde. Das Werk wird allgemein in die Mitte der 40er-Jahre datiert, dürfte folglich noch vor den beiden Bildern Tintorettos entstanden sein.85 Salviatis Gemälde entspricht zwar auch dem Querformat, zeigt aber im Vergleich mit jenem Jacopos in San Marcuola eine erheblich reduzierte Längenerstreckung, begünstigt mithin schon a priori eine zentralisierte Komposition. Auch hier sind drei Apostel der Tischfront vorgelagert. Zwei davon öffnen wie in San Marcuola eine zu Christus führende Raumgasse. Der rechts anschließende, manieristisch torsierende Apostel könnte Jacopos an gleicher Stelle postierte und ebenfalls rot gekleidete Rückenfigur im San MarcuolaAbendmahl angeregt haben. Im Übrigen besteht auch zwischen Salviatis links in Rückenansicht sitzendem Jünger und jener in Jacopos angeblich erster Fassung des Themas ähnlich platzierten Rückenfigur eine signifikante Analogie, die Jacopos Interesse am Schaffen Salviatis vollends zu bestätigen scheint. Trotz derlei Motivanleihen ist unverkennbar, dass Tintoretto seine ganz eigenen Gestaltungsziele verfolgt hat, von denen sich Salviatis Tendenz zur Raumerschließung, luminaristischer Malweise und Vorliebe für ein im Blau- und Rotbereich gesättigtes Kolorit grundlegend unterscheidet. In Antithese zum flächenprojektiven Abendmahl schuf Tintoretto bald danach (um 1547/48) die ebenfalls für San Marcuola (in ähnlich proportioniertem Querformat an der rechten Chorwand positioniert) bestimmte Fußwaschung, in dem

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die radikale Erschließung des Tiefenraums beinahe die Hauptattraktion darstellt. In San Marcuola durch eine Kopie ersetzt, wurde das Gemälde zunächst von Karl I. von England erworben, dann an den spanischen Botschafter Alonso de Cárdenas weiterverkauft und 1654 nach Madrid geschickt. Zwei Jahre danach wurde es auf Velázquez’ Empfehlung in die Sakristei des Escorial transferiert, um schließlich im Madrider Prado seinen akuellen Aufbewahrungsort zu finden.86 Die scharf konturierten, in Rot, Blau und Braun wiedergegebenen und zum Teil mit Hell-/DunkelKontrasten voneinander abgesetzten Protagonisten stehen vor der silbrigen Kühle eines unendlich weiten Architekturambientes. Die Szene zeigt jenen überraschenden Augenblick während des Letzten Abendmahls, das Christus unterbricht, um seinen Jüngern die Füße zu waschen. Dazu der Evangelist Johannes (13,6–8): „Petrus: Du, Herr, willst mir die Füße waschen? Jesus: Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen. Petrus: Niemals sollst du mir die Füße waschen. Jesus: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir.“ Im Johannes-Text (13, 14 u. 15) heißt es weiter: „So nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr auch euch untereinander die Füße waschen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe.“ Beispielhaft für Demut und Nächstenliebe zählte auch der Akt der Fußwaschung zu den zahlreichen zeremoniellen Verpflichtungen des Dogen, der am Gründonnerstag zwölf armen Leuten die Füße wusch. Rechts außen am unteren Bildrand befindet sich die Hauptgruppe mit dem vor dem Waschbottich knienden, vom Licht erfassten Christus, mit dem die fast bildhohe, weitgehend abgedunkelte Gestalt Petri kontrastiert. Der demütig gesenkte Blick und die wie abwehrend angehobene Hand des Apostelfürsten zeugen von dessen zögernder Haltung. Ihm zur Seite steht Johannes, der sich mit einem kostbaren Silberkrug zur bevorstehenden Fußwaschung bereithält. Farblich fast gänzlich vom Licht aufgezehrt ist der Evangelist – bestimmt vom spannungsvermittelnden „Gestaltfaktor der Nähe“ – in Umrisskonkurrenz in die schwärzliche Kontur Petri eingebettet. Die von einem rechtwinkeligen Dreieck umschriebene

24 Die Fußwaschung, Öl auf Leinwand, 210 x 533 cm, Madrid, Prado

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Figurengruppe wird von einer extrem dunklen, genau ein Drittel der Bildlänge umfassenden Wand hinterfangen, in die eine Pforte eingelassen ist, die den Blick ausschnitthaft auf das in irrlichternden Reflexen skizzierte Abendmahl freigibt. Determiniert durch den Typus des „quadro laterale“ markieren Christus und seine Apostel das ikonographische Bildzentrum. Zugleich bilden sie den Ausgangspunkt der perspektivisch fluchtenden Raumfolge. So gesehen erregt die Gruppe, als Repoussoir dienend, neben dem fantastischen Architekturkonzept die meiste Aufmerksamkeit des Beschauers. Dies führt zu einer Kritik an Krischels Hypothese, der zufolge Tintoretto die Fußwaschung „für eine linke Seitenwand“ geschaffen habe.87 Im Übrigen scheint Krischel die Meinung zu vertreten, dass das Gemälde nicht im Chor von San Marcuola zu lokalisieren sei. Hier liegt insofern eine Fehleinschätzung vor, als die Fluchtlinien der baulichen Anlage von rechts nach links, also in Richtung Hochaltar weisen, womit der Anbringungsort des Gemäldes zugunsten der rechten Seitenwand des Chors eindeutig geklärt ist. Wie die Christusgruppe auf der vordersten Bildebene angesiedelt bildet der sandalenlösende Apostel den linken Eckpfeiler der Komposition. Für eine Verbindung mit Christus sorgt ein Treue und Wachsamkeit symbolisierender Hirtenhund, den Jacopo laut Krischel wörtlich einem Gemälde Bassanos (Zwei Jagdhunde; Paris, Louvre) entnommen hat. Der den Fuß auf einen Schemel stützende Jünger ist „eine durch und durch manieristische Figur, deren Körperdrehung die Meisterung formaler Schwierigkeiten zur Schau trägt“.88 Dahinter steht, so Krischel, eine Anregung durch eine Soldaten-Rückenfigur aus Michelangelos durch einen Kupferstich überlieferter Schlacht von Cascina, die Tintoretto in Frontalansicht transformiert hat.89 Akzentuiert durch das feurige Rot seiner Kleidung, das als wärmste Farbe die Bildfläche beinahe zu sprengen scheint, erfüllt der Jünger wie Christus – also in bipolarer Tendenz – eine Repoussoirfunktion, zugleich – wie der Erlöser – den Ausgangspunkt der asymmetrischen Schrägperspektive betonend. Dies hat auch Auswirkungen auf die bildzeitlich unterschiedliche Erschließung des Tiefenraums. Während die über dem Jünger interferierend in rascher, fast lotrechter Folge angeordneten Architekturmotive auf den im Triumphbogen situierten Fluchtpunkt weisen, somit zeitverkürzend wirken, herrscht auf der langgestreckten Gegenseite, deren Schräge beinahe mit der Bilddiagonalen übereinstimmt, ein enormes Maß an Zeitdehnung. Um eine Raumschicht zurückversetzt ist ein an der Bildachse orientierter, mit einem leuchtend weißen Tuch gedeckter Tisch platziert, dessen Stirnseite bildparallel streng orthogonal ausgerichtet ist, wogegen dessen Seitenkante schräg fluchtet. Rechts vom Tisch leicht abgerückt ist ein Apostel im Begriff, seine Beinkleidung abzustreifen. Mit seiner komplizierten Haltung entspricht er – allerdings in Seitenansicht modifiziert – jener des links außen postierten Apostels, dessen Rot, die lange Strecke des Fußbodens diagonal überbrückend, am auf dem Schemel abgelegten Mantel wiederkehrt. Ihm folgen, am Tisch sitzend und räumlich mittels Größengefälle abgestuft, vier weitere Jünger, die in girlandenartigem Schwung mit dem am Boden ausgestreckten Gefährten verknüpft sind, dem ein weiterer Apostel in ungewöhnlich angestrengter Haltung die Beinkleider geradezu gewalttätig zu entreißen sucht – laut Pochat „ein unverhältnismäßiger

Kraftaufwand für ein alltägliches Geschäft“. Diese triviale Szene könnte ins Komische abgleiten, stünde dem nicht der Evangelientext entgegen. Demzufolge scheint sich der anscheinend gewaltsam von der Sitzbank herabgezerrte Apostel – in allerdings viel drastischerer Weise als Petrus – Christi Aufforderung zur Fußwaschung zu widersetzen. Die Szene spielt in einem bühnenartigen Raum, den drei Doppelsäulenstellungen von der illusionistischen, das perspektivische Muster der Pavimentverfliesung konsequent fortsetzenden Architektur-Hintergrundskulisse trennen, wo ein von einem Obelisken begleiteter Triumphbogen sowie einen Kanal flankierende Tempel- und Palastanlagen die visionäre Vorstellung eines „antiken Idealvenedigs“ (Krischel) vermitteln. Vorbild für diese perspektivisch angeordneten antikischen Gebäude war ein Entwurf für eine „tragische Bühne“ aus Serlios zweitem Buch „Über die Architektur“, der auch in Paris Bordones Bathseba im Bade Eingang gefunden hat.90 Aufschlussreich sind Colettis den Kern der Komposition betreffende Beobachtungen bezüglich der Spannung auslösenden Ambivalenz zwischen Flächenprojektion und objektiver Räumlichkeit. Dazu der Autor: „Mit diesem Gemälde beginnt das, was ich die „tintorettische Diopsie“ nennen möchte. Es ist das Übereinander einer doppelten Vision, welches sich bald in dem einen, bald in dem anderen Element der künstlerischen Schöpfung ausdrückt, aber doch immer in der Absicht, jenen grundsätzlichen Seelenzustand der Spannung zwischen zwei entgegengesetzten Kräften darzustellen, der die Bewegung erzeugt. […] Die Baulichkeiten sind nach perspektivischen Gesetzen konstruiert, während die Figuren wie auf einem Fächer aufgereiht scheinen, der seinen Blickpunkt in dem zusammengerollten Hund in der Mitte hat.“91 Ergänzend sei darauf verwiesen, dass die in der Tischzone versammelten Apostel zwar durchaus auch über räumliche Qualitäten verfügen – beispielhaft dafür die schräg angeordnete Entkleidungsszene oder die am Tisch gestaffelten Jünger – , im Ganzen gesehen aber eine (parallel zu den Repoussoirfiguren im Vordergrund) die perspektivische Anlage überkreuzende gestaltliche Einheit bilden. Um diesen Effekt zu erzielen, greift Jacopo zum Mittel der Farbe, indem er Blau in fünffacher Akzentuierung annähernd gleichabständig über die Apostel-Girlande verstreut. Seitens der Wahrnehmung kommt hier das „Gestaltgesetz der Gruppenbildung nach Ähnlichkeit“ zum Tragen, wonach laut Arnheim „Ähnlichkeit nur dann als Strukturprinzip fungiert, wenn Trennung gegeben ist; sie ist dann eine Anziehungskraft für getrennt angeordnete Dinge. […] Wir stellen fest, dass Ähnlichkeit in Größe, Form oder Farbe Einzelstücke verbindet, die räumlich voneinander entfernt sind.“92 Ergebnis ist eine Dominanz der Flächenprojektion, die sehgesetzlich selbst dann noch wirksam ist, wenn der Gegenstand, wie dies im aktuellen Fall am blau gekleideten, zu Füßen des linken Säulenpostaments kauernden Apostel ersichtlich ist, auch noch so klein, mithin räumlich abgesetzt ist. Um sich in venezianischen Adelskreisen bekannt zu machen, beschäftigte sich Tintoretto schon sehr früh – vermutlich bereits vor seiner Erlangung der Meisterwürde – mit der Porträtmalerei, sei es in Form eigenständiger Werke oder innerhalb mehrfiguriger Kompositionen. Dahinter stand auch die Absicht, seinen sozialen sowie wirtschaftlichen Status zu verbessern. So ist es nicht verwunderlich,

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Die frühe Schaffensperiode

Abb. 1, S. 17

Abb. 2, S. 18

25 Tintoretto, Bildnis des Nicola Doria, Öl auf Leinwand, 190 x 110,49 cm, Privatbesitz

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dass Tintoretto laut Ridolfi sogar die Gelegenheit nutzte, die „Früchte seiner Mühen“ auf dem Marktplatz zur Schau zu stellen, darunter „zwei Bildnisse, eines von sich selbst mit einem Relief in der Hand und eines von seinem Bruder [Domenico], der Gitarre spielt; beide ganz dunkel und so unglaublich gemalt, dass jeder nur staunte […].“93 Anfangs waren es der privaten Andacht dienende Votivbilder (mit Sacra-Conversazione-Darstellungen), in die der kaum 20-jährige Maler Bildnisse der Stifter involvierte – z.B. im Gemälde Madonna mit Kind, dem Johannesknaben und den Hll. Magdalena und Katharina (um 1537) mit der in Trauerkleidung wiedergegebenen Stifterin oder in Madonna mit Kind, den Hll. Josef und Hieronymus und dem Prokurator Girolamo Marcello (um 1537/40). Zum „Procuratore de Ultra“ ernannt, ist Marcello im Profil gezeigt, auf das Evangelium den Amtseid leistend; deutlicher als zuvor die trauernde Stifterin ist er in die Komposition einbezogen. Weniger überzeugend erfolgte die Integration des Porträts von Zuan Pietro Ghisi in das mindestens um ein halbes Jahrzehnt später für San Felice (GhisiKapelle) in Venedig geschaffene Altarbild mit dem Hl. Demetrius (um 1545). Ghisi wurde im Februar 1509 zum Militärbefehlshaber von Cadore ernannt – eine wenig ruhmreiche Karriere, zumal er fast gleichzeitig die bedingungslose Übergabe der Festung von Cadore an die Truppen Kaiser Maximilians zu verantworten hatte. Wahrscheinlich wurde das Gemälde erst geraume Zeit nach dem Tod (1539) des erfolglosen Feldherren von dessen Söhnen in Auftrag gegeben, um ihn gleichsam zu rehabilitieren.94 Um 1544 trat Tintoretto erstmalig mit dem mächtigen Kunstkritiker und wie schon erwähnt als Briefliterat ebenso gefürchteten wie geachteten Pietro Aretino in Kontakt, der ihn umgehend mit der Produktion zweier mythologischer Deckenbilder beauftragte. Laut Francesco Marcolini bot sich ihm in diesem Zusammenhang die Gelegenheit, auch ein Bildnis Aretinos anzufertigen, womit sich sein Ruf als Porträtmaler vollends festigte. Geschickt wusste Jacopo Tizians damals häufige Abwesenheit von Venedig zu nutzen, mit der berechtigten Aussicht, allmählich als offiziell anerkannter Bildnismaler in dessen Fußstapfen zu treten. Vielleicht war es der mit fast allen Fürstenhäusern Italiens korrespondierende Aretiner, der ihm den ehrenvollen Auftrag vermittelte, ein mit 1545 datiertes Bildnis (Privatbesitz) des damals etwa 20-jährigen Nicola Doria, des späteren Dogen von Genua, zu malen, nachdem sich dessen Vater Giacomo Doria bereits fünf Jahre zuvor von Tizian hatte porträtieren lassen. Um Nicolas Bildnis auszuführen, musste Jacopo nicht in das ferne Genua reisen, zumal ein Zweig der Doria-Familie in Chioggia ansässig war, wo der künftige Doge gelegentlich zu Besuch weilte. Bei dem Gemälde handelte es sich um den im Bildnis-Œuvre Jacopos seltenen Fall eines ganzfigurigen Porträts, das den schwarz gekleideten Jüngling vor dem dunklen Hintergrund eines nur grob skizzierten, in seinen Begrenzungen kaum ausnehmbaren Raums in Dreiviertel-Ansicht zeigt; hinzu kommt als Würdeform ein theatralisch geraffter Vorhang. Rossi zufolge ist hier mehr als in anderen Gemälden Tintorettos in jener Zeit der Einfluss Tizians spürbar.95 Gleichzeitig entstand das ebenfalls mit 1545 datierte Porträt eines 25-jährigen Edelmanns (Hampton Court, Royal Collections), das, dem Betrachter näher ge-

26 Tintoretto, Bildnis eines 25-jährigen Edelmanns, Öl auf Leinwand, 104 x 136 cm, Hampton Court, Royal Collections

rückt, dem Typus des Kniestücks entspricht. Im Gegensatz zum Bildnis des Nicola Doria lässt Tintoretto jegliches Detail weg, das auf eine Umgebung oder räumliche Tiefe hinweisen könnte. Die Umrisse des schwarz gekleideten Edelmanns zeichnen sich vor einem gleichfalls dunklen Hintergrund kaum ab, aus dem, so Rossi, „fast unvermutet das Gesicht auftaucht, das ein von links einfallender Lichtstrahl erhellt. Dank diesem Kunstgriff konzentriert sich die Aufmerksamkeit des Betrachters unwillkürlich auf die Augen, die diesem direkt zugewandt sind und damit ein vermehrtes Gewicht bekommen. Gerade dieser unmittelbare Kontakt mit der dargestellten Person – der in der Folge noch intensiver werden sollte – verleiht der Porträtkunst Tintorettos von Anfang an ihre Originalität“.96 Diese Konzentration auf das psychologisch Wesentliche macht deutlich, wie sich Jacopo schon frühzeitig von Tizians spezifischem Porträtschaffen abzusondern beginnt. Dessen ungeachtet ist nicht ganz unverständlich, dass das Gemälde im Katalog der Königlichen

27 Tintoretto, Bildnis eines Mannes mit rötlichem Haar, Öl auf Leinwand, 29 x 22 cm, Florenz, Uffizien 28 Tintoretto, Selbstbildnis, Öl auf Holz, 45,7 x 36,8 cm, London, Victoria und Albert Museum

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Tintoretto, Selbstbildnis, Öl auf Leinwand, 45,7 x 38,1 cm, Philadelphia, Museum of Art

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Sammlungen von 1776 als Werk Tizians geführt wird, eine Zuschreibung, die erst Waagen zugunsten Tintorettos korrigiert hat.97 – Bald danach entstehen einige dem Typus des Brustbildes entsprechende Porträts, unter denen das Bildnis eines Mannes mit rötlichem Haar (1546–48; Florenz, Uffizien) aufgrund einer zarten Farbgebung sowie eines flüchtigen Pinselduktus besonders beeindruckt. In Dreiviertelansicht wiedergegeben besticht der Dargestellte – wie dies der lebhafte Blick und die ironisierend anmutende Mundpartie verraten – durch seine psychologisch eindringliche, fast schon intime Charakterisierung. Mit seinen beiden um 1546–1548 gemalten Selbstbildnissen lieferte Tintoretto den wohl überzeugendsten Nachweis für seine damalige Leistungsfähigkeit als Porträtmaler. Das zeitlich vorangehende Exemplar ist im Besitz des Victoria und Albert Museums in London und könnte sich, so Von Hadeln, im Nachlass des venezianischen Bildhauers Alessandro Vittoria befunden haben.98 Das zweite, vermutlich kurz danach entstandene (m.E. qualitativ höher stehende) Selbstporträt wird im Museum of Art in Philadelphia aufbewahrt und dürfte laut Rossi

mit jenem identisch sein, das einst zur Kunstsammlung des Peter Paul Rubens zählte.99 Dazu Rossis treffender Kommentar: „Besonders lebhaft wirkt das zweite (Bildnis) mit dem intensiven Blick und dem mit raschen Pinselstrichen skizzierten rebellischen Locken des dichten schwarzen Haars und des Backen- und Schnurrbartes. Der starke Wille, der sich darin widerspiegelt, lässt bereits die energiegeladene innere Spannung eines Künstlers erahnen“, dessen Kopf Vasari als „il più terribile cervello che abbia avuto mai la pittura“ (= den erstaunlichsten Kopf, den die Malerei je hervorbrachte) bezeichnen sollte.100 Die Hauptattraktion ist zweifelsfrei die dramatische, fast magisch anmutende Hell-Dunkel-Behandlung des Antlitzes, auf dessen rechte Stirn der Fokus des von links einfallenden Lichts zielt, wogegen die Augenpartie sowie die im Dreiviertelprofil zurückgenommene linke Gesichtshälfte in Dunkel gehüllt sind. Unwillkürlich fühlt man sich an Giorgiones Braunschweiger Selbstporträt erinnert. Die Suggestivkraft des Gesichtsausdrucks beruht nicht zuletzt darauf, dass Jacopo – im Moment einer jähen Kopfwendung – den Blick, gleichsam über die Schulter hinweg, herausfordernd auf den Betrachter richtet. Dieses Motiv des ‚Blicks über die Schulter‘ ist ein Erbe des Giorgionismus, dem man bereits im Frühwerk Tizians (z.B. sog. Bravo; Wien, Kunsthistorisches Museum) und bei Sebastiano del Piombo, aber auch bei Palma Vecchio begegnet.101 Lange Zeit herrschte Uneinigkeit darüber, ob es sich beim halbfigurigen Bildnis eines Mannes als Hl. Georg (Washington, National Gallery) um ein Werk Tintorettos handelt. Während Berenson in Dosso Dossi den Urheber des Gemäldes sah, plädierten – dem Vorschlag Gibbons’ folgend – Richardson und später Martini für Nicolò dell’ Abate, Zuschreibungen, die erst Rossi zugunsten Tintorettos endgültig aus dem Weg geräumt hat; auch die zeitliche Einordnung (1547/48) unter die Jugendwerke Jacopos steht heute außer Streit. Doch schon zuvor würdigte Longhi das Werk als „ein wunderschönes Jugendbildnis [Tintorettos] von ca. 1545“, und auch Pallucchini unterstrich die hohe Qualität des Gemäldes: „[eine] erstaunliche Halbfigur […], ein Thema, bei dem der Maler seiner Fantasie freien Lauf lässt, mit lebhaften Farben und lockerer Maltechnik […] vor 1548 ausgeführt.“102 Den Arm bildparallel auf einen Tisch gestützt, ist der vollbärtige Jüngling in Dreiviertel-Rückenansicht wiedergegeben. Das Haupt ins Profil gedreht fixiert er mit schelmischem Blick aus dem Augenwinkel den Betrachter. Mit dem Drachen im Rücken und der Fahnenstange in der Hand gibt er sich als Hl. Georg zu erkennen. Ungewöhnlich für Jacopos Porträtschaffen ist das brillante Kolorit und eine geradezu exzessive Liebe zum Detail, was Rossi folgendermaßen begründet: „Der allusive und allegorische Charakter des Bildes regen in diesem Fall den Maler an, mit den Farben großzügiger umzugehen und in Details zu schwelgen.“ Eine zusätzliche Ursache dafür registriert die Autorin in einer Annäherung an Bordones und Andrea Schiavones Malweise.103 Wichtiger ist indes der Hinweis, dass Jacopo hier wie in seinen beiden Selbstbildnissen unter dem Einfluss des Giorgionismus stand. Dies betrifft zum einen die verschattete Augenpartie, zum anderen das Motiv des Blicks über die Schulter, wie es in sehr ähnlicher Weise auch in Sebastiano del Piombos Bildnis eines Violinspielers in Erscheinung tritt. Rechnet man dem noch den auf ei-

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Abb. 30, S. 50

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30 Tintoretto, Bildnis eines Mannes als Hl. Georg, Öl auf Leinwand, 84 x 71 cm, Washington, National Gallery

Abb. 31, S. 51 Abb. 26, S. 47

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ner Brüstung ruhenden Arm und die von diesem überschnittene linke Hand hinzu, so ist anzunehmen, dass Jacopo von Sebastianos Bildnis Kenntnis hatte.104 Das auf den Hl. Georg anspielende Porträt bleibt ein Ausnahmefall. Die anderen nach 1545–1548 entstandenen Bildnisse weisen eine kohärente Entwicklungslinie auf, wobei Jacopo versucht, so Rossi, „die jeweils gesammelten Erfahrungen in das nächste Porträt einzubringen“.105 Dies manifestiert sich beispielhaft am Bildnis eines 26-jährigen Mannes (1547 dat.; Otterloo, Rijksmuseum Kröller-Müller), das konzeptuell deutlich auf das Bildnis eines 25-jährigen Edelmannes (1545 dat., Hampton Court) rekurriert.106 Wie dort steht der Patrizier als Kniestück – im Verzicht auf jegliches Beiwerk – vor einem undurchdringlich homogen gemalten Dunkelgrund, der dazu beiträgt, das hell beleuchtete Gesicht in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Hinzu kommt die delikat ausgeführte Pelzverbrämung, die zweibahnig parallel zum Antlitz emporführt und dieses – gleichsam als Wegweiser – noch zusätzlich akzentuiert. Der gravierendste Unterschied zum Porträt von Hampton Court beruht darauf, dass jenes mit seinem geheimnisumwitterten, scharfe Kopfkonturen vermeidenden Hell-Dunkel-Gesichtsausdruck noch ganz

31 Tintoretto, Bildnis eines 26-jährigen Edelmanns, Öl auf Leinwand, 130 x 97 cm, Otterlo, Rijksmuseum Kröller Müller

32 Tintoretto, Bildnis des Jacopo Sansovino, Öl auf Leinwand, 120 x 100 cm, Florenz, Uffizien

dem Giorgionismus verpflichtet ist, während die in gleichmäßiger Helligkeit wiedergegebene, scharf charakterisierte Physiognomie des Edelmannes im Otterlooer Gemälde realistische Züge zeigt. Ähnlich hat dies auch Rossi gesehen, wenn sie schreibt: „[…] Durch den lebhaften, auf den Betrachter gerichteten Blick wird jeder Hauch von Idealisierung vermieden, ja man gewinnt vielmehr den Eindruck, dass die energischen Gesichtszüge das eigentliche Wesen dieser Persönlichkeit verraten“.107 Das Bildnis des Jacopo Sansovino (1546–1548; Florenz, Uffizien) fällt bereits in die Endphase von Tintorettos früher Schaffensperiode. Den Wirren des Sacco di Roma entkommen übersiedelte der in Florenz geborene Baumeister und Bildhauer Sansovino 1527 nach Venedig, wo ihn schon zwei Jahre danach die Prokuratoren von San Marco, Venedigs oberste Baubehörde, zu ihrem leitenden Architekten (protomaestro) ernannten. Vermutlich war es Aretino, der Tintoretto eine Begegnung mit Sansovino vermittelt hat. Im Wissen von dessen einflussreicher Stellung,

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die dem Maler in der Folge zahlreiche Porträtaufträge seitens der Prokuratoren und anderer staatlicher Amtsträger einbrachte, war das obgenannte Porträt laut Krischel wohl als Werbegeschenk gedacht.108 Dieses dürfte den Protomaestro dermaßen beeindruckt haben, dass dem eine freundschaftliche Beziehung entsprang, die immerwährenden Bestand hatte. Als Beweis dafür dient eine dem Gemälde hinzugefügte Inschrift, die Sansovinos Namen und Berufsstand nennt, die Künstlersignatur trägt und mit dem ungewöhnlichen Vermerk EIUS AMICISSIMUS schließt.109 – Der aufgrund seiner das Stadtzentrum wesentlich modifizierenden Leistungen (Libreria, Zecca und Loggietta) hoch angesehene Protomaestro steht, in Dreiviertelansicht dargestellt und dem Typus des Kniestücks entsprechend, vor einer extrem dunklen Wand, von der sich seine schwarze Kleidung kaum abhebt. Lediglich die der Höhe nach abgestuften Hände sowie das Antlitz mit seinem lebendig frischen Inkarnat und dem prüfend in die Ferne schweifenden Blick werden von grellem Licht akzentuiert. Neu ist das in Jacopos künftigem Porträtschaffen häufig verwendete Motiv des scharf in die Wand eingeschnitten geöffneten Fensters mit Ausblick auf Himmel und Landschaft, dem sich hier ein aus Säulen, Arkaden und Gebälk bestehendes Architekturfragment hinzugesellt – Letzteres ein Hinweis auf Sansovinos antikisch geschulte Baukunst. In Anspielung auf seine Doppelbegabung als Baumeister und Bildhauer legt der Porträtierte seine Rechte auf die Schulter einer antiken Skulptur, die, so Krischels treffende Beobachtung, ihm ehrerbietig die Hand zu küssen scheint.110

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ls Tintoretto im Frühjahr 1548 sein bis dahin ebenso monumentalstes wie bedeutendstes Werk, die Errettung des Sklaven durch den hl. Markus (= sog. Sklavenwunder; Venedig, Accademia) im Kapitelsaal der Scuola Grande di San Marco der Öffentlichkeit präsentierte, erregte er in den künstlerisch interessierten Kreisen Venedigs größtes, geradezu sensationelles Aufsehen. Umgehend erkannte man den revolutionären, von der venezianischen Maltradition abweichenden Charakter des durch dynamische Spannungen, waghalsige Kontraposte, dramatische Gesten, heftige Lichter, kontrastreiche Farbklänge und durch die michelangeleskmanieristische terrebilità geprägten Gemäldes. Angesichts dieses tiefgreifenden

33 Tintoretto, Errettung des Sklaven durch den Hl. Markus (= sogen. Sklavenwunder), Öl auf Leinwand, 416 x 544 cm, Venedig, Accademia

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Traditionsbruchs ist es nicht verwunderlich, dass konservativ gestimmte Mitglieder der Bruderschaft gegen die ‚moderne Machart‘ des Sklavenwunders Einwände erhoben, und als es darüber hinaus noch zu Unstimmigkeiten bezüglich der Honorarfrage kam, ließ Tintoretto das kaum vollendete Werk kurzerhand in sein Atelier zurückschaffen. Vermutlich war es der Intervention Andrea Calmos (Freund Tintorettos und Vorstandsmitglied der Scuola) zuzuschreiben, dass das Gemälde dann doch termingerecht an seinen Bestimmungsort transferiert wurde. Nachdem man bereits Jahrzehnte zuvor für die Sala dell’ Albergo der Scuola di San Marco die Ausführung eines Gemäldezyklus (u.a. mit Beiträgen Gentile und Govanni Bellinis, Giovanni Mansuetis, Paris Bordones und Palma Vecchios) etappenweise realisiert hatte, fasste man erst im November 1542 den Beschluss, auch den Kapitelsaal mit Gemälden auszustatten. Diese Entscheidung fiel in die Amtszeit Stefano Bontempos, des damaligen Guardian Grande der Scuola, der – selbstherrlich und ohne Rücksprache mit den anderen Vorstandsmitgliedern – weniger auf künstlerische Qualität achtete, vielmehr an einer möglichst raschen Durchführung des Projekts interessiert war. Anstatt Tintoretto zu berücksichtigen wurde der Auftrag mediokren, heute fast unbekannten Malern erteilt, denen es in der Tat gelang, die malerische Ausstattung des Kapitelsaals binnen kurzem beinahe zu Ende zu bringen, erkauft freilich um den Preis mangelnder Qualität, die allseits heftige Kritik auslöste. Ausständig war lediglich die Produktion eines die Vorstandstribüne bekrönenden Gemäldes.111 Erst fünf Jahre später, als Marco Episcopi (Tintorettos künftiger Schwiegervater) 1547 zum Guardian da Matin ernannt wurde, wandte sich das Blatt zugunsten Jacopos, der nun den Auftrag erhielt, den (später beseitigten) Gemäldezyklus mit dem Sklavenwunder zu vollenden. Für eine rasche Verbreitung seines Ruhms sorgte vor allem Pietro Aretino, der ihm in einem Brief von April 1548, also sofort nach der Präsentation des Gemäldes, höchste Anerkennung zollte. Das Schreiben hatte öffentlichen Charakter, zumal es bald nach seiner Entstehung in den gedruckten Briefsammlungen des kunsterfahrenen Literaten erschien. Was hier dem aufstrebenden, in seinem 30. Lebensjahr stehenden Künstler mitgeteilt wurde, gleicht einer veritablen Lobeshymne, die wohl wesentlich dazu beitrug, dass Tintoretto, so Krischel, auf dem Sektor großformatiger Historienbilder künftig den stadtvenezianischen Markt dominieren sollte; Konkurrenz erwuchs ihm allenfalls noch in Paolo Veronese.112 Aus dem publizistisch höchst wirksamen Brief sei in Thodes Übersetzung wie folgt zitiert: „An Jacopo, den Färber [die Anrede stimmt mit Tintorettos Signatur JACOMO TENTOR F. überein.]. Da die Stimme öffentlichen Lobes über das große in die Scuola di San Marco gestiftete Werk mit meiner eigenen übereinstimmt, so freue ich mich nicht weniger über mein Urteilsvermögen, welches so viel voraussieht, als über Eure Kunst, welche sich selbst so übertrifft […], so gibt es keinen Menschen, sei er noch so wenig in der Kunst des Zeichnens unterrichtet, welcher nicht über die Plastik der Figur sich erstaune, die, ganz nackt auf der Erde liegend, grausamem Martyrium preisgegeben ist. Ihre Farbe ist Fleisch, ihre Zeichnung Plastik, ihr Körper Leben, und so schwöre ich Euch bei dem Guten, dass ich Euch wünsche: die Mienen, das Aussehen und die Erscheinung der die Gestalt umgebenden Figuren entsprechen so ihren Handlungen,

dass Schauspiel nicht Täuschung, sondern Wahrheit zu sein scheint.“ Indessen fühlt sich Aretino bemüßigt, in einem Nachsatz, die vorangehenden Elogen etwas dämpfend, den väterlich wohlmeinenden Pädagogen hervorzukehren, wenn er schreibt: „ist dies gleich so, so werdet doch nicht hochmütig, denn das hieße nicht noch in einem höheren Grade von Vollkommenheit aufsteigen wollen. Und selig Euer Name, wenn Ihr die Geschwindigkeit der Tat zur Geduld des Tuns einschränket. Obgleich nach und nach werden dafür die Jahre schon sorgen, denn sie, und nichts Anderes, sind im Stande, den Lauf der Nachlässigkeit, welche die willensungestüme und schnelle Jugend sich zu Nutzen macht, zu zügeln.“ Dieser gerade beim Sklavenwunder nicht nachvollziehbaren Ermahnung lag vielleicht ein Seitenblick des Literaten auf seinen Freund Tizian zugrunde, den er damit als erbitterten Gegner Tintorettos zu beschwichtigen suchte. Ähnlich argumentierte nur wenige Jahre später Anselmo Guisconi, der in seinem Dialog über die Sehenswürdigkeiten Venedigs ein gleichfalls ambivalentes Urteil fällt: „Tintoretto ist ganz Geist und ganz Energie, aber man wünschte mehr Fleiß von ihm, denn im Übrigen ist er ausgezeichnet.“ In dieselbe Kerbe schlug auch Vasari, der an Jacopo, neben aller Wertschätzung, einen „Mangel an Sorgfalt“ kritisierte, womit ein Topos geboren war, der etwa ein Jahrhundert lang am Maler haften blieb,113 ehe Boschini 1674 zu einer differenzierteren Anschauung gelangte: „Er [Tintoretto] war im Gebrauch von Mezzotinta nicht sparsam und auch von Schatten […]; er malte die Figuren immer mittels Pinselhieben, die bei kleinerer Entfernung einen ausgezeichnet fertigen Eindruck machten, weil er sie immer in brillanter Weise sehr lebendig in […] begeisterten Bewegungen […] darstellte und ihnen einen Zug von Pathos gab. Es ist sicher kein Zweifel, dass diejenigen, die solche Handlungen von der Nähe sehen und die in der Kunst nicht gebildet sind, dass die glauben, dass solche Hiebe nur die Arbeit leichter machen: aber sie täuschen sich sicher, weil diese alle von einer sehr überlegten, kunstvollen Art sind.“114 Der Darstellung des Sklavenwunders lag die „Legenda Aurea“ des Jacobus de Voragine als literarische Quelle zugrunde. Dort heißt es: „Ein edler Herr in der Provence hatte einen Sklaven, der hatte gelobt Sanct Marci Grab zu besuchen. Aber er möchte die Erlaubnis dazu von seinem Herrn nicht gewinnen […] und er machte sich auf die Fahrt [gegen den Willen] seines Herrn. Darob ergrimmte der Herr, und als der Sklave wiederkam, gebot er, ihm die Augen auszustechen. Die Knechte […] eilten, das Gebot alsbald zu vollbringen, warfen den Sklaven, der Sanct Marcum anrief, zu Boden nieder und setzten spitze Hölzer an, ihm die Augen auszustechen, aber sie mochten es nicht zu vollbringen, denn die Pfähle wurden morsch und brachen. Da befahl der Herr, sie sollten ihm seine Beine mit Äxten zerschlagen und ihm die Füße abhacken; aber das harte Eisen der Äxte ward weich wie Blei, da es ihn berührte. Da hieß der Herr mit eisernen Hämmern ihm Mund und Zähne einschlagen; aber das Eisen vergaß seine Kraft und ward mit Gottes Hilfe stumpf.“115 Lediglich die drei Phasen des fehlgeschlagenen Martyriums sind dem Text wörtlich entnommen. Indessen hat der Künstler, von der Legende abweichend, den Schauplatz des Geschehens aus der Provence nach Venedig verlegt, wofür die ausschnitthafte Darstellung von Sansovinos Säulen-

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architektur der gegenüber der Porta della Carta des Dogenpalastes errichteten Loggetta Zeugnis gibt. Damit wird zugleich auf die beiden unweit davon auf der Piazzetta postierten Freisäulen angespielt, jene makabre Stelle, wo die Todesurteile der Serenissima vollstreckt wurden. Ebenso textunabhängig erweist sich die Idee, den sensationslüsternen Zuschauern etliche Turbanträger hinzuzufügen. Diese sind wohl vorwiegend türkischer Herkunft, womit auf die permanent bestehenden Spannungen zwischen der Seerepublik und der Hohen Pforte im Besonderen und auf die Auseinandersetzungen zwischen Christentum und Islam im Allgemeinen alludiert wird.116 Der gravierendste Unterschied zur Legende besteht darin, dass der Hl. Markus nicht nur als unsichtbares Geistwesen präsent ist, sondern auch als körperlich greifbarer Retter unmittelbar in Erscheinung tritt, was nichts daran ändert, dass er von der schaulustigen Menge überhaupt nicht wahrgenommen wird. Die Komposition vermittelt den Eindruck eines bühnenartigen Aufbaus, der links vom Loggetta-Fragment und rechts vom abgestuften Richterpodest begrenzt wird. Wie am oberen Bildrand befestigt erstreckt sich bis zur Loggetta eine von Stangen gestützte Efeulaube, deren Zweige – einer Bühnenanlage gemäß – soffittenähnlich herabhängen. Als Hintergrundskulisse dient eine bildparallele Gartenmauer, die zusammen mit dem an einen Tempelportikus erinnernden Eingangsportal wie eine Vorwegnahme von Palladios Villenarchitektur der Terraferma anmutet. Dieser Affinität mit einem Bühnenbild begegnet man bereits in der knapp zuvor entstandenen Madrider Fußwaschung, die sich bezüglich einer ganz anderen Raumauffassung vom Sklavenwunder diametral unterscheidet. Determiniert durch die enorme Längenerstreckung des Querformats dominiert, wie schon erwähnt, im für San Marcuola bestimmten Gemälde – zwecks harmonischen Ausgleichs der Breiten- und Tiefendimension – das Thema der perspektivischen Erschließung des illusionistisch bis fast ins Unendliche weisenden Bildraums, zu dessen kontinuierlichen Entfaltung auch die locker verstreuten und dadurch gegenüber den Fluchtlinien durchlässigen Figuren ihren Beitrag leisten. Das Sklavenwunder bildet dazu die Antithese, insofern die in den Vordergrund gedrängte, lückenlos komprimierte Figurenmasse den Blick auf den Bühnenboden weitgehend verstellt und jegliche Tendenz zur Tiefenräumlichkeit gleichsam schon im Keim erstickt. Daran vermag auch die Gartenmauer als Hintergrundskulisse nichts ändern, zumal sich diese unmittelbar über der Silhouette des Figurenensembles erhebt und dadurch – im Verzicht auf eine zwischengeschaltete Raumzone – vollends in die Flächenkomposition integriert ist. Lediglich der Umstand, dass sie – kontrastierend mit der dunklen Figurensilhouette – grell beleuchtet ist, sorgt für eine gewisse Distanz zum davor sich ereignenden Szenarium. Der Evangelist stürzt – foliiert vom Blau des Himmels – in schräger Richtung aus dem imaginären Betrachterraum kopfüber, perspektivisch verkürzt, in den Bildraum. Das Karmin seines Kleides ist teils tief verschattet (Haupt und Antlitz des Heiligen inbegriffen), teils dem Licht ausgesetzt, wodurch der Farbwert den letzten Rest an Sättigung einbüßt und damit dem immateriell transzendenten Wesen des Evangelisten Rechnung getragen wird. Der scharf beleuchtete, turbulent aufflatternde goldgelbe Mantel verstärkt das der niedersausenden Gestalt imma-

nente Dynamikpotenzial. Während Markus’ Rechte die Bibel umklammert, weist dessen linker Arm in exakter Übereinstimmung mit der Symmetrieachse auf den am Boden liegenden Sklaven. Die Hand des Wundertäters, die ziemlich genau jenen Punkt markiert, wo sich die Vertikalachse und die Horizontale des Goldenen Schnitts überkreuzen, bildet – auf das Kreuz Christi anspielend – gleichsam das magische Zentrum des Ganzen. Gewiss hat die perspektivisch-illusionistische sotto in sù- Darstellung des fliegenden Markus Jacopo viel Mühe abverlangt. Hier sei nur daran erinnert, dass er sich bei analogen Problemstellungen – zwecks Überprüfung kompositioneller Funktionalität – laut Ridolfi – des Hilfsmittels guckkastenähnlicher Modellbühnen bedient hat. Dazu der Biograph: „Darüber hinaus hängte er mit Fäden einige modelli an den Balken auf, um die Effekte zu beobachten, die bei Untersicht entstanden, und so Verkürzungen zu schaffen, wie sie in Deckenbildern angebracht werden.“117 Krischel zufolge habe sich Tintoretto bei der Formulierung des Evangelisten Pordenones fliegenden Merkur aus dem verlorenen, indes durch eine Zeichnung überlieferten Fassadenfresko des Palazzo d’ Anna in Venedig zum Vorbild genommen. Der Vergleich ist jedoch insofern problematisch, als der Götterbote bildparallel dargestellt ist und anstatt in die Tiefe zu stürzen über der Szene zu schweben scheint.118 Zutreffender ist Dvořáks Verweis auf Michelangelos nur etwa ein halbes Jahrzehnt vor dem Sklavenwunder geschaffene Bekehrung des Paulus (1542–1545; Vatikan, Cappella Paolina), in der Christus wie Markus in ähnlich gewagter Verkürzung und mit nach unten weisendem Arm herabstürzt.119 Indessen unterscheidet sich der Evangelist in mehrfacher Hinsicht von Michelangelos Christusdarstellung. Während dieser den Erlöser vertikal ausrichtet, gibt Jacopo den Heiligen transformierend in Schrägansicht wieder. Zudem stößt Christus, das Antlitz dem Betrachter zugekehrt, aus dem Bildraum nach vorne, wogegen Markus, das Gesicht verborgen, in Gegenrichtung in die Bildtiefe vordringt. Dazu Dvořáks Resümee: „Der Unterschied Michelangelo gegenüber besteht darin, dass an Stelle des Protagonisten (des Sprechers) der Beschauer selbst getreten ist, der all dies Geschehen zu einem Eindruck des Phantastischen und Wunderbaren zusammenfasst. Die Befreiung des Sklaven ist die erste gewaltige Schöpfung des Manierismus in Venedig. Sie ist durch Michelangelos Spätstil angeregt, doch was bei Michelangelo der Abschluss war, bedeutet bei Tintoretto nur den Anfang.“120 Vom strahlenden Nimbus des Evangelisten ausgehend fällt „sakrales Leuchtlicht“ (Schöne) auf den Sklaven, das von rechts eindringende „natürliche Beleuchtungslicht“ verstärkend.121 Parallel zur perspektivisch fluchtenden Schrägstellung des Heiligen liegt der Verurteilte am Boden ausgestreckt, allerdings, in Gegenrichtung zu diesem, den Kopf dem Betrachter zugewandt. Vor ihm weist ein weißes, in das nur ansatzweise sichtbare Paviment eingefügtes Marmorstück (bei fiktiver Verlängerung) zur rettenden Hand des Evangelisten. Zwei Schergen sind im Begriff, das Todesurteil des Richters zu vollstrecken. Während der eine – türkisblau gekleidet und in Rückenansicht zu Häupten des Sklaven kniend wiedergegeben – mit bereits abgebrochenem Holzschaft die Blendung vorzunehmen sucht, bemüht sich der andere, vornüber gebeugt, dem Opfer die Beine zu zertrümmern. Dass die

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Exekution zum Scheitern verurteilt ist, beweisen allein schon die zerbrochenen, am unteren Bildrand verstreuten Marterwerkzeuge: Axt, Beil und zerrissene Stricke. Dem dritten Schergen – als stehende Rückenfigur und in perfekt ausponderierter Kontrapost-Haltung dargestellt – ist kompositionell insofern eine Schlüsselstellung zugedacht, als er mit torsierender Bewegung, gekurvtem Körperumriss und einem dynamisch zwischen dunklem und hellem Olivgrün changierenden Kleid, einem Scharnier gleich, zwischen den Bildhälften vermittelt. Basierend auf dem Gestaltgesetz der „guten Fortsetzung“ sorgt er ferner für eine stringente Verbindung zwischen dem Evangelisten und dem Sklaven. Dies wird dahingehend manifest, dass sein gemusterter Turban mit der Hand des Heiligen in Berührung kommt, während sein Fuß dem Arm des Geretteten angenähert ist. Wahrnehmungsspezifisch gesehen vollzieht sich das Ganze, ungeachtet der körperplastisch-raumgreifenden Qualitäten der drei Protagonisten, auf einer primär flächenprojektiven Ebene. Ähnlich verhält es sich mit der angehobenen, den zerbrochenen Hammerstiel dem Gutsherrn vorweisenden Armen des Henkersknechts, die die Richtung der schrägen Positionierung des Sklaven mitsamt jener der ihn flankierenden Schergen fortsetzen und bis zum vom Licht getroffenen Haupt des Richters weiterleiten. Daraus resultiert eine kompositionell dominierende Diagonale, deren Kontinuität durch den geborstenen Hammer unterbrochen wird. Dieser wird vom triumphalen Bogen des Gartenportals eingefasst, den Sieg der christlichen Religion über das Heidentum symbolisierend. Auf den Giebelschrägen lagern zwei Skulpturen, die an Michelangelos Statuen des Crepuscolo (Der Abend) und der Aurora (Die Morgendämmerung) in der Medici-Kapelle (Florenz, San Lorenzo) erinnern. Noch deutlicher wird die Nähe zu Micheangelo an jener Figur spürbar, die zu Füßen des richterlichen Throns – tief verschattet, nur von einem roten Turban hell akzentuiert – halb liegend, halb sitzend dargestellt ist und mit ihrer Arm- und Beinstellung dem Crepuscolo gleicht. Im Übrigen fand die Hommage an Michelangelo nur wenige Jahre später in einem von Zanetti durch einen Kupferstich tradierten Fresko am Palazzo Gussoni in Venedig insofern ihre Fortsetzung, als sich Tintoretto bei der Formulierung einer liegenden Aktfigur Michelangelos Aurora zum Vorbild nahm.122 Die in Rückenansicht abgebildete Frauengestalt (übrigens die einzige Frau im Bild) bildet den linken Eckpfeiler der Komposition und ist zugleich als wichtigste Repoussoirfigur anzusehen, zumal die Farbe ihres Kleides, von einer geringen Ockertrübung abgesehen, mit dem Kolorit am Umhang des Evangelisten korrespondiert, einem Ton, der auch am Wams des genau unter dem Heiligen am Fußende des Sklaven platzierten Schergen wiederkehrt. In den Armen hält sie ihr Kind, das allein unter allen Protagonisten den herabstürzenden Markus wahrzunehmen scheint. Über ihr hat Jacopo – offensichtlich durch Raffaels Borgo-Brand (Vatikan; Stanza dell’ Incendio) angeregt123 – zwei Figuren in die Höhe gestaffelt: zunächst einen bärtigen, schwarz gekleideten und mit porträthaften Zügen versehenen Edelmann, der vorwiegend mit Pietro Aretino identifiziert wird. Darüber ein Orientale mit Turban-Kopfbedeckung, der auf der Säulenbasis Halt sucht und mit komplizierter, typisch manieristischer Drehbewegung in einem riskanten Balance-

akt danach trachtet, über die Köpfe der Versammelten hinweg einen Blick auf den Sklaven zu erhaschen. Ebenso von der Frauengestalt ausgehend nehmen zahlreiche, dicht gedrängte und in zwei konzentrischen Bögen angeordnete Schaulustige staunend den Vorgang des missglückten Martyriums in Augenschein. Das Figurenensemble formiert sich zu einer kompakten Masse, die hauptsächlich durch ein getrübtes, teils tief verschattetes, teils vom Licht erfasstes sowie streumusterartig verteiltes Kolorit bestimmt ist. Lediglich das Rot eines Turbans, das mehrfach im Bild wiederkehrt, sowie das Blau eines Gewandes, das sowohl mit dem Firmament als auch mit dem Türkisblau des links knienden Schergen korrespondiert, treten als gesättigte Farben in Erscheinung. Schon Vasari verwies darauf, dass Tintoretto hier einige Porträts prominenter Zeitgenossen abgebildet hat. Außer Streit steht lediglich die bereits erwähnte Identifikation mit Aretino. Fraglich ist jedoch, ob es sich bei dem links unten vom Bildrand überschnittenen und im Profil wiedergegebenen Mann laut Rossi tatsächlich um Tommaso Rangone handelt, zumal dieser erst 1562 zum Guardian Grande der Scuola ernannt wurde.124 Überzeugender ist meines Erachtens Krischels Vorschlag, wonach hier Francesco Morelli dargestellt sei, der dieses Amt 1547 – also in der Entstehungszeit des Gemäldes – innehatte. Sollte die Rangone-These zutreffen, dann meines Erachtens nur unter der Voraussetzung, dass Jacopo seinen späteren Förderer erst nachträglich ins Bild gesetzt hat. Problematisch ist ferner die Annahme, der Künstler habe sich hier sogar selbst verewigt. Gemeint ist das Porträt jenes jungen Mannes, der in der hinteren Reihe der sensationslüsternen Menge unter dem Balkon mit den beiden Orientalen postiert ist. Zieht man Jacopos annähernd zeitgleich gemaltes Selbstporträt als Vergleich zu Rate, so lässt sich diese These kaum verifizieren.125 Bisweilen wird auch das Antlitz des Sklaven als Selbstbildnis Tintorettos betrachtet, ein Identifikationsversuch, der allein schon aufgrund des extrem verkürzten Gesichts wenig zielführend ist. Swoboda zufolge steht die Thronanlage mitsamt den sie umgebenden Leibgardisten des Sklavenhalters wie in Tizians Pala di Pesaro im Zeichen einer über Eck gedrehten Pyramidalkomposition. Ein explizites Tizian-Zitat (Die Dornenkrönung; Paris, Louvre) manifestiert sich – bezüglich Haltung und grauem Kettenhemd – im rechts unten dargestellten Soldaten, an dessen Mütze das Blau des linken Schergen wiederkehrt. Zu weit gegriffen hingegen ist meines Erachtens Krischels Hinweis auf den stehenden Folterknecht, der durch Tizians zentralen Apostel in der Assunta (Venedig, Frari-Kirche) angeregt sei. Obwohl beide Figuren in Rückenansicht und mit nach oben weisenden Armen wiedergegeben sind, ist doch zu beachten – und darin besteht der gravierende Unterschied – dass Tintoretto Tizians vergleichsweise statisch anmutenden Apostel in den manieristischen Typus einer dynamischen figura serpentinata transformiert hat.126 Der zu Füßen des Throns in Rückenansicht dargestellte und ganz in den Vordergrund gerückte Gardist trägt einen Muskelpanzer, dessen leuchtendes, hoch gesättigtes Rot den stärksten Buntfarbakzent im Bild setzt. Unterstützt vom Blau des rechts benachbarten Gefährten bildet er den rechten Abschluss der Komposition. In aufgehellt entmaterialisierter Weise beziehungsweise stark abgedunkelt tritt das Rot auch am Evangelisten

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und Gutsherrn in Erscheinung, woraus – zwecks harmonischen Ausgleichs mit der linken, von einem figuralen horror vacui bestimmten Bildhälfte – ein dreieckiges, durch das Gestaltgesetz farblicher Ähnlichkeit hergestelltes Beziehungsgefüge resultiert. Hetzer zufolge „beruht Tintorettos Kolorit, wie wir es bei einem Venezianer nicht anders erwarten, auf den Prinzipien der Farbwiederholung und Farbähnlichkeit. Aber die Wiederholung wird noch nicht zur durchgeführten Ordnung, und die Schönheit der einzelnen Farbe des dunkelglühenden Rot, des tiefen Goldgelb, des Blau, spricht zu stark als selbstständiger Wert“.127 Was die Koloritauffassung anlangt, befindet sich Tintoretto hier in einer Übergangsphase. Trotz mannigfacher Brechungen wahrt er bisweilen immer noch den Lokalcharakter und die Buntkraft der Farbe, gipfelnd in Kalt-Warm- (Türkisblau und Rot) und Hell-Dunkel-Kontrasten. Dieser Einschätzung widerspricht Colettis Stellungnahme, wonach „jetzt die Verschmelzung von Farbe und Form ihren Höhepunkt erreicht“.128 Dies wird erst zukünftig so sein. Vorläufig zeigen sich die Formen, frei von atmosphärischen Verschmelzungstendenzen, großteils in linear verhärteten Umrissen. Dazu ergänzend Emmrich: „In jedem Fall unzureichend ist der Vergleich des Markuswunders mit der Farbhaltung Tizians […]. In seiner harten aggressiven Farbigkeit erscheint das [Gemälde] eher wie eine Absage an die Palette Tizians, wie eine bewusste, genau kalkulierte Loslösung von der überragenden Gegenwart des um eine Generation älteren Meisters.“129 Nachdem Tintoretto mit der kurzfristigen Rücknahme des Sklavenwunders die Mehrheit der Scuolenbrüder, die er vermutlich mit seiner von der Tradition abweichenden Stilauffassung beziehungsweise Kompositionsweise nicht ganz zu überzeugen vermochte, verärgert hatte, blieb sein Ansinnen, Mitglied der Scuola zu werden, erfolglos. Daraufhin trat er mit der rivalisierenden Scuola di San Rocco in Kontakt, die ihn – motiviert durch seine Bildschöpfungen in San Marcuola – umgehend (1549) damit beauftragte, für die rechte Seitenwand des Chors der Kirche San Rocco ein Gemälde mit dem Thema Der Hl. Rochus heilt die Pestkranken zu malen.130 Indessen erfolgte die Verleihung der Mitgliedschaft seitens der Scuola di San Rocco reichlich verspätet, erst 1565, nachdem Jacopo mit der Gemäldeausstattung der Sala dell’ Albergo begonnen hatte. Als Vasari 1566 in Venedig weilte, hat er Die Heilung der Pestkranken ausführlich beschrieben und nicht mit Lob gespart: Das perspektivisch behandelte Ambiente erinnere ihn an einen Hospitalsaal, in dem sich zahlreiche, der Heilung durch den Hl. Rochus harrende und in verschiedenen Haltungen dargestellte Kranke befinden, darunter „einige hervorragend aufgefasste ignudi (männliche Akte) und eine wunderschöne, verkürzt dargestellte Leiche“.131 Gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Montpellier geboren, schenkte Rochus nach dem Tode seiner adeligen Eltern 20-jährig sein Erbe den Armen und begab sich auf Pilgerfahrt nach Rom. Schon unterwegs und auch in Rom pflegte und heilte er Pestkranke, blieb aber arm und ohne Ansehen.132 Mehr noch als alle anderen Hafenstädte Italiens war Venedig – bedingt durch den hier besonders florierenden Orienthandel – der Pestgefahr ausgesetzt. Um sich vor den von der Seuche

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Betroffenen zu schützen, wurde staatlicherseits verfügt, diese im Lazzaretto Nuovo auf einer entlegenen Laguneninsel unter Quarantäne zu stellen. Zur Betreuung der Erkrankten wurden erwerbslose Prostituierte erbarmungslos zwangsverpflichtet.133 Wie die beiden etwa ein Jahr zuvor entstandenen Bilder in San Marcuola – nur noch größer dimensioniert (307 x 673 cm) – ist die Komposition der Heilung der Pestkranken durch ein extrem gelängtes Querformat determiniert. Und abermals besticht das Gemälde, analog zur Madrider Fußwaschung (vormals in San Marcuola) durch seinen bühnenhaften, perspektivisch bestimmten Charakter. Mehr noch als in der Fußwaschung ist davon auszugehen, dass sich Jacopo hier des von Ridolfi erwähnten Guckkastenprinzips bedient hat. Dafür spricht zum einen die perspektivische Erschließung des Tiefenraums, zum anderen die ungewöhnlich heftig kontrastierende Lichtführung. Der Maler dürfte den Guckkasten so konstruiert beziehungsweise modifiziert haben, dass er ein schmales Stück der Decke offen ließ und von da aus künstliches Beleuchtungslicht vertikal auf den Bühnenboden fokussierte. Dem entsprechend ist der gesamte vordere Teil des Bühnenraums (vor allem dessen Paviment), modern ausgedrückt, in helles ‚Regie‘-Licht getaucht, wogegen der Hintergrund – das Figuren-Szenario scharf begrenzend – einer fast undurchdringlichen, an ein notturno erinnernden Dunkelfolie gleicht. Wie in der Fußwaschung hat Tintoretto der Raumkonzeption sein besonderes Augenmerk gewidmet. Ein perspektivischer Indikator dafür ist das Lineament der Bodenverfliesung, deren schräge Fugenlinien nach rechts weisen und im angehobenen Fuß des zur Rechten des Hl. Rochus liegenden Pestkranken ihren Fluchtpunkt finden. Spannung erzeugt indes der Umstand, dass das hell ausgeleuchtete Areal des Paviments der Form eines räumlich projizierten Dreiecks entspricht, dessen Spitze in die entgegengesetzte Richtung keilförmig nach links in den Raum vorstößt. Parallel zu den seitlichen Dreiecksschenkeln sind die Figuren in die Tiefe gestaffelt, wo sie mit der vorgebeugten, bereits dem Dunkel des Hintergrunds zugehörigen

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Gestalt zusammentreffen, die nur an wenigen Stellen von Streiflichtern akzentuiert wird, deutlich genug, um den Abschluss der Figurenkomposition zu bilden und sich – kongruent mit der Keilspitze – als Pendant zum weit entfernten Fluchtpunkt der rechten Bildhälfte Geltung zu verschaffen. In seiner schrägen Haltung mit den nach rechts zielenden Boden-Fluchtlinien übereinstimmend, ist der Hl. Rochus, in Schrittstellung das linke Bein auf das niedrige bildparallele Bettgestell gestützt, auf der Symmetrieachse postiert, mit seinem dunklen Mantel der Finsternis des Hintergrunds angeglichen. Lediglich sein grell strahlender Nimbus sorgt für einen heftigen Farbakzent. Im fliehenden Profil und in leichter Drehung dargestellt blickt er mit behutsamer Armgeste auf die halb aufgerichtet vor ihm liegende und senkrecht vom Licht erfasste männliche Aktfigur, die ihm die Pestbeulen ihres angehoben linken Beins vorweist. Im Übrigen entspricht die Haltung des Kranken jener des in der linken Bildhälfte der Madrider Fußwaschung kauernden, blau gekleideten Apostels, dessen Rückenansicht Jacopo allerdings in eine frontale Stellung transformiert hat. Die Figurenkomposition ist so angelegt, dass sie in Richtung Bildmitte unten zurückweicht und in der oberen Silhouette absinkt. Demgemäß sind die seitlichen Figurengruppen, beinahe die gesamte Bildhöhe umfassend, pyramidenartig hochgetürmt.134 Links außen, vom Bildrand überschnitten, betritt eine junge blonde Frau in vorgeneigter Haltung und mit einem großzügigen Dekolleté ausgestattet – gleichsam stellvertretend für den Betrachter – die Szene. Zu ihren Füßen lagert, an ein weiß bezogenes Bett gelehnt, ein Pestkranker, der mit flehendem Blick und demütiger Armgeste um Hilfe bittet. Auf dem piedestalähnlichen hohen Bett steht ein weiterer Kranker, der bezüglich exponierter Stellung und Körperhaltung deutlich an den zwischen den Säulen der Loggetta hervortretenden Sarazenen im Sklavenwunder erinnert. Am Bettrand sitzt sein fast schattenlos vom steil einfallenden Licht getroffener Gefährte, der, manieristisch anmutend, unmittelbar an den in räumlicher Schräglage am Boden Liegenden schließt und dessen Bewegung (im Sinne der „guten Fortsetzung“) in C-förmigem Schwung, vertikal in die Fläche übertragen, girlandenartig weiterleitet. Eine frontal wiedergegebene Frau von mächtiger Statur schickt sich an, ihm einen Verband anzulegen. Mit ihrem hochgesättigten Blau-Rot-Akkord, dem markantesten Buntfarbenakzent im Bild, steht sie in krassem Gegensatz zu ihrem pflegebedürftigen Schützling. An sie schließt der schon von Vasari ob seiner gelungenen Verkürzung gepriesene Leichnam, dessen in die Tiefe weisende Schrägstellung mit dem Fluchtlinienkonzept des Bodens konform geht. Dem folgen weitere, bereits der Düsternis des Hintergrunds zugehörige Gestalten, deren schattenhaftes Dasein lediglich durch einige von einer Fackel erzeugte Streiflichter sowie einen winzigen roten Fleck gemildert wird. Von dort nehmen die am rechten Dreiecksschenkel der Komposition entlanggereihten Protagonisten ihren Ausgang, in einer Figurenpyramide kulminierend. Als Spitze der Pyramide figuriert eine mit flüchtigen Pinselstrichen gemalte alte Frau, die im Begriff ist, mit beiden Armen eine liegende Pestkranke anzuheben, um ihr einen Blick auf den Hl. Rochus zu ermöglichen. In der Tat drängt sich hier laut Coletti ein Vergleich mit dem nur wenige Jahre zuvor von Jacopo ausgeführten und in Dres-

den aufbewahrten Gemälde Christus und die Ehebrecherin auf, zumal auch dort (rechts außen) eine in sehr ähnlicher Haltung dargestellte Frauengestalt bestrebt ist, einen Kranken zu stützen.135 Die im Rochus-Gemälde befindliche Frau ist mit entblößtem Busen abgebildet, auf dem ein lotrecht einfallender Lichtstrahl fokussiert ist. Auf ihren Beinen ist eine Decke ausgebreitet, deren Rot mit dem gleichfarbigen Kleid der links gegenüber platzierten Pflegerin korrespondiert. Besonders eindrucksvoll ist ein am Bettende kauernder Alter, der einen liegenden Todgeweihten umfangen hält und damit Assoziationen mit dem Typus einer Pietà wachruft. Den Abschluss bildet eine in majestätischer Größe auftretende Dienerin, die an die allegorische Figur der fides im Abendmahlsbild von San Marcuola erinnert. Die Komposition steht insofern ganz im Zeichen des Manierismus, als das geometrische Zentrum mit dem abgedunkelten Hl. Rochus in seiner visuellen Wirkung gegenüber den lateralen, stark dem Licht ausgesetzten Figurenpyramiden deutlich zurücktritt. Mit ihrem übersteigerten Anschauungsgewicht stellen diese das eigentliche Zentrum im Wortsinn in den Schatten, wobei die Rottöne der beiden Frauen, kompositionellen Brennpunkten gleich, die entscheidenden Akzente setzen. Dazu einige Schlussbemerkungen: Obwohl das Gemälde nur zur Hälfte (den Hintergrund betreffend) einem notturno entspricht, ist nicht auszuschließen, dass Tintoretto von Tizians Planung eines im Ganzen dem Typus eines Nachtstücks folgenden Werks Bescheid gewusst hat. Gemeint ist damit Tizians Martyrium des Hl. Laurentius (Venedig, Gesuiti-Kirche), mit dessen Ausführung der Künstler bereits um 1548 (die Fertigstellung erfolgte erst um 1559) begonnen hatte.136 Was die in komplizierten Stellungen wiedergegebenen Aktfiguren anlangt, hat Wilde auf Michelangelos Einfluss verwiesen und dabei die konkret unter Christus positionierten Hll. Laurentius und Bartholomäus in dessen Jüngstem Gericht (1536–1541; Rom, Sixtinische Kapelle) als Vergleich herangezogen. Dieser Hinweis ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn man die transformierende Leistungsfähigkeit Tintorettos im Umgang mit Vorbildern berücksichtigt.137 Ungefähr zeitgleich mit dem Rochus-Gemälde, um 1549, erhielt Tintoretto von der Familie Porto Godi den Auftrag, für deren Kapelle in der Kirche San Michele (1812 abgebrochen) in Vicenza ein Altarbild mit dem auf der „Legenda Aurea“ basierenden Thema Der Hl. Augustinus heilt Gelähmte (Vicenza, Musei Civici) zu malen. Das Gemälde wurde schon im 17. Jahrhundert von Ridolfi und Boschini als autographe Leistung Jacopos anerkannt; damit übereinstimmend auch der aktuelle Forschungsstand.138 – Da das vorliegende Bildthema bis dahin in der venezianischen Malerei meines Wissens noch nie behandelt wurde, sei die entsprechende Textstelle in der „Legenda Aurea“ wie folgt zitiert: „Um das Jahr des Herrn 812 begab es sich, dass etliche schwer kranke Menschen, mehr denn vierzig an der Zahl von Deutschland und Frankreich gen Rom zogen, die Stätte der Apostel zu besuchen; etliche von ihnen rutschten mit Schemeln gekrümmt auf der Erde, etliche gingen an Krücken, etliche waren blind und schleppten sich hinter den anderen drein, etliche hatten krumme Hände oder Füße. [… ] Drei Meilen vor Pavia erscheint ihnen Sankt Augustinus in bischöflichem Gewand […], grüßte sie und fragte sie, wohin sie wollten. Als sie ihm gesagt hatten, wohin ihr Weg wäre,

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35 Tintoretto, Der Hl. Augustinus heilt Gelähmte, Öl auf Leinwand, 255 x 175 cm, Vicenza, Musei Civici

sprach er: Gehet gen Pavia und fraget nach dem Kloster des heiligen Petrus, welches zu dem goldenen Himmel genannt ist [= San Pietro in Ciel d’ Oro]. Da wird euch Erbarmen werden. [Daraufhin] zogen sie gen Pavia. […] Als sie nun zu dem besagten Kloster kamen und hörten, dass Sankt Augustini Leichnam daselbst ruhe […], schrien sie einmütiglich: Heiliger Augustinus, hilf uns! […] Aber alsobald sie zu dem Grabe kamen, wurden sie allesamt gänzlich gesund, als wäre nie ein Fehl an ihren Leibern gewesen.“139 Augustinus schwebt vor einer dynamisch ausgreifenden, mit ihrer dunkelblaugrauen Färbung an ein aufziehendes Gewitter erinnernden Wolke. Überraschend für die relativ frühe Schaffenszeit ist das in skizzenhaft offener Malweise dargestellte Ornat des Kirchenvaters (weiß das Chorhemd und die Mitra, dunkelbraunrot das Pluviale) sowie das der Monochromie angenäherte Kolorit der Gesamtkomposition. So gesehen ist nicht ganz unverständlich, dass Von der Bercken – übrigens als einziger unter den Kunsthistorikern – in Unkenntnis der damals noch unerforschten Quellenlage (bezüglich des Datums der Auftragserteilung) das Gemälde verspätet in die Zeitspanne zwischen 1575 und 1585 eingeordnet hat.140 – Wie Villa in seinem Vicentiner Museumskatalog bemerkt, ist das Altarbild ein einzigartiger „trionfo di teatralità“, anders jedoch als die querformatige ‚Bühne‘ des Rochus-Gemäldes durch ein für theatralische Zwecke weniger geeignetes Hochformat präjudiziert.141 Zwei in Gegenrichtung steil ansteigende, räumlich versetzte und formgleiche Hügel, die, von den Bildrändern überschnitten, an seitlich eindringende Bühnenversatzstücke erinnern, bilden das Grundgerüst der Komposition. Die keilförmig vorstoßenden Hügel sind durch ein ausgetrocknetes Flussbett voneinander getrennt, das sich in mäandernder Bewegung in die Tiefe erstreckt, wo es mit der Kirchenfassade beinahe in Berührung kommt. Das in Draufsicht gezeigte Areal ist extrem abschüssig, wie aufgeklappt wiedergegeben. Dementsprechend sind die Figuren, wahrnehmungsspezifisch betrachtet, nicht hintereinander sondern übereinander dargestellt. Dabei ist zu beachten, dass Raumtiefe nicht durch lineare Perspektive, sondern einerseits durch die Größendifferenz und die Dunkel-Hell-Kontrastierung der beiden Hügel, andererseits vor allem aber mittels Farb- beziehungsweise Luftperspektive zustande kommt. Letztere manifestiert sich im linken Hügel und an der Kirchenfassade, die in hellen, schemenhaft verschwommenen Grautönen dargestellt sind und dadurch große Ferne suggerieren. Hinzu kommt die am Fuß des linken Hügels geradezu miniaturistisch klein abgebildete Pilgergruppe (diesem farblich akkomodiert), die gegenüber der davor platzierten, in monumentaler Größe aufgerichteten und vom Schatten der heranschwebenden Wolke extrem abgedunkelten Gestalt des Pilgerführers einen krassen Raumsprung vollzieht, womit evident wird, dass die Gruppe bereits der Hintergrundskulisse angehört. Für eine Überbrückung des Flussbetts sorgt allein der links unten kauernde Lahme, dessen Schräglage sich im ansteigenden Hügel nahtlos fortsetzt. Daraus resultiert eine kompositionsbestimmende Diagonale, die von zwei der Schräge des Abhangs angepassten Figuren noch unterstrichen wird. Vor der Dunkelfolie des rechten Hügels ist eine niedergebeugte Frau im Begriff, den vor ihr liegenden,

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frontal und mit abgewinkelten Beinen dargestellten Pilger anzuheben – ein Motiv, dem man schon in Tintorettos Dresdener Ehebrecherin und Rochus-Gemälde begegnet. Anscheinend ist die Helferin bestrebt, den Gelähmten – wie dessen stark verkürzt nach oben gerichtetes Antlitz anzeigt – mit Augustinus, der auf ihn niederblickt, in Kontakt zu bringen. Wie sein ihn mit vorgerecktem Haupt neugierig beobachtender Gefährte verrät, scheinen sich an ihm bereits erste Heilungserfolge abzuzeichnen. – Die in komplizierten Haltungen abgebildeten Gelähmten sind durchwegs manieristisch geprägt. Ein Beispiel dafür: der dunkel gekleidete Pilgerführer, dessen torsierender, übergroß proportionierter Körper mit dem auffallend kleinen Kopf kontrastiert. Im Übrigen sind alle Aktfiguren dem manieristischen Figurenideal Michelangelos verpflichtet, dem man in Überfülle in dessen Jüngstem Gericht (vollendet 1541; Rom, Sixtinische Kapelle) begegnet. Vermittelt durch Zeichnungen oder Stiche könnte Jacopo für den links unten zusammengekrümmt kauernden und mit vor der Brust überkreuzten Armen dargestellten Pilger fast wörtlich die in der zweiten unteren Etage des Jüngsten Gerichts situierte Figur zum Vorbild genommen haben. Wie schon erwähnt ist für die untere Bildhälfte entscheidend, dass die Figuren nicht hintereinander, sondern – analog zum Sklavenwunder oder Rochus-Gemälde – in die Höhe gestaffelt sind. Daraus resultiert eine Flächenkomposition, die mit der Raumtiefe suggerierenden Hintergrundkulisse kontrastiert. Zudem wird der Eindruck von Flächigkeit noch dadurch verstärkt, dass Blau – übrigens die einzige Buntfarbe im Bild – an den Kleidungsstücken mehrerer Pilger in Erscheinung tritt und damit – nach dem Gestaltgesetz farblicher Ähnlichkeit – zur kontextuellen Flächenprojektion wesentlich beiträgt. Wie erst in seinen späteren Schaffensperioden gebräuchlich hat der Künstler – einem extremen Raumsprung gemäß – die vor und auf dem Hügel positionierten Figuren winzig klein, monochrom und nur schemenhaft grob skizziert. Den Abschluss bildet die von atmosphärischem Dunst absorbierte Kirchenfassade mit den beiden flankierenden, säulenähnlichen Türmen, die das Wolkengebilde zu stützen scheinen. Der „Legenda Aurea“ folgend müsste man die Kirche mit San Pietro in Ciel d’ Oro identifizieren. Indes ist nicht auszuschließen, dass es sich hier – dem noch fernen Ziel der Pilgerschar entsprechend – um eine Vision der Peterskirche in Rom handelt. Ungeachtet des Widerspruchs zur historischen Zeit hat hier Tintoretto eine zeitaktuelle Renaissance-Fassade abgebildet und sich dabei, so Weddigen, an einem Stich aus Serlios vor 1547 in Paris ediertem „Libro V. delli templi“ orientiert.142 Mit Tizians berühmter, 1518 vollendeter Assunta (Venedig, Frari-Kirche) als Herausforderung vor Augen hat sich Tintoretto mit dem Thema der Himmelfahrt Mariens in mehreren Versionen auseinandergesetzt, wobei jene in der Chiesa dei Gesuiti in Venedig befindliche eine herausragende Stellung einnimmt. Dieser sind zwei stilistisch wie kompositionell davon stark abweichende Varianten vorangegangen, die im Folgenden nur in knappen Zügen zur Besprechung gelangen. Die ältere, von 1549 bis 1550 entstandene Version wird in der venezianischen Accademia aufbewahrt und kann als manieristische Antwort auf Tizians der Hochrenaissance angehörenden Assunta betrachtet werden.143 Das Altarbild befand sich

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ursprünglich in der venezianischen Kirche San Stin und steht in radikalem Gegensatz zu Tizians Himmelfahrt, die in drei bildparallele, scharf voneinander getrennte Etagen unterteilt ist. Die Madonna ist, nur mäßig bewegt, bildzentral und in fast statuarisch anmutender Haltung auf einer Wolkenbank positioniert. Tintorettos

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Gemälde hingegen steht im Zeichen einer keinerlei Schnittstellen aufweisenden gestaltlichen Ganzheit. Wie der hochgezogene Horizont anzeigt, sind die rotierend bewegten und kreisförmig angeordneten Apostel in extremer Draufsicht wiedergegeben, woraus eine kompromisslos flächenhafte Komposition resultiert. Der in einem manieristischen horror vacui verdichteten Apostelschar entspringt, wie aus einem sich drehenden Trichter emporsteigend, die Madonna, die in tor-

sierender Bewegung dargestellt ist, beinahe mit dem oberen Rahmensegment in Berührung kommt und dieses angesichts ihres hohen Dynamikpotenzials nahezu zu durchstoßen scheint.144 Etwa ein halbes Jahrzehnt später, um 1553–1556, befasste sich Tintoretto abermals mit dem Thema der Himmelfahrt (Bamberg, Obere Pfarrkirche), nunmehr aber gänzlich von der Accademia-Fassung abweichend und in mancherlei Hinsicht der knapp danach (um 1554) begonnenen Version in der Chiesa dei Gesuiti bereits nahestehend, ohne allerdings deren Qualität zu erreichen. Die Bamberger Himmelfahrt wurde von Wilde erstmals (1938) als eigenhändige Schöpfung des Künstlers anerkannt und von Von der Bercken – später von Pallucchini bestätigt – in die Mitte der 50er-Jahre datiert. In der Folge hat die Forschung das Werk weitgehend ignoriert, ehe Rearick (1981) es in einer ausführlichen Studie neuerlich zur Diskussion stellte. Lediglich seine Datierung (1562) erwies sich als korrekturbedürftig.145 Die Madonna ist nicht mehr wie zuvor an der Mittelachse orientiert, sondern in der rechten Bildhälfte platziert, wo sie im Gegensatz zur Erstfassung dem nunmehr sichtbaren Sarkophag nicht aus eigener Kraft entschwebt, vielmehr der Hilfe zweier Engel bedarf, die sie angestrengt emporstemmen. Deren Bemühungen unterstützend, sind weitere, die Lünette des halbkreisförmigen Rahmenabschlusses zur Gänze füllende und in waghalsigem Sturzflug dargestellte Engel bestrebt, die Gottesmutter hochzuziehen. Dass diese ausschließlich auf die Hilfestellung durch die Engel angewiesen ist, widerspricht der damals und fortan gebräuchlichen Himmelfahrt-Ikonographie und kann als eigenständige Idee des Künstlers angesehen werden. Während rechts unten zwei Apostel – der eine kniend als RepoussoirRückenfigur, der andere (an die Haltung des links unten im Vicentiner AugustinusGemälde befindlichen Pilgers erinnernd) in kauernder Stellung wiedergegeben – den Blick auf den Sarkophag partiell verstellen, ist in der linken Bildhälfte das Gros der Apostel, jeglicher Räumlichkeit enthoben, dicht zusammengedrängt, wobei Jacopo den links unten knienden Jünger dem in der Accademia-Erstfassung an derselben Stelle situierten Apostel angeglichen hat. Die dritte Fassung der Assunta, die Boschini (1674) geradezu hymnisch als „eine der schönsten Arbeiten der Welt“ bezeichnet, wurde von der venezianischen Bruderschaft der „crociferi“ als Hochaltarbild für die Chiesa dei Crociferi um 1554 in Auftrag gegeben und nach dem Neubau der Kirche (1714–1729; nunmehr Chiesa dei Gesuiti) vom ursprünglichen Chor in deren linkes Querhaus disloziert.146 Ridolfis Bericht über die Entstehungsgeschichte des Gemäldes hat einige namhafte Forscher auf eine zum Teil falsche Fährte geführt. Danach „hätten die Patres Crociferi Tintoretto nach Fertigstellung des Bildes vorgeworfen, sie hätten dieses doch bei Paolo Veronese bestellt, worauf Tintoretto erwidert habe, das Bild sei doch ganz im Stil Veroneses gemalt, so dass jeder geglaubt habe, dass es von Paolo stamme. Tintoretto habe die Figuren des Bildes in einer Mischung des Heftigen und Lieblichen – di fiero e di vago – gemalt. Er habe hier gezeigt, dass er seinen Stil in jede gewünschte Manier abwandeln könne“.147 Swoboda nimmt diese Mitteilung als bare Münze, indem er das Gemälde als ein „sehr bedeutendes Bild“ qualifiziert, „in dem Tintoretto sich dem Stil [sic!] Paolo Veroneses sehr

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nähert“.148 Pallucchini hingegen äußert sich bezüglich eines Einflusses Veroneses mit dem einschränkenden Hinweis auf ein im Vergleich mit Tintorettos sonstigen Werken der 50er-Jahre sichtlich aufgehelltes Kolorit der Gesuiti-Assunta schon deutlich differenzierter, wenn er schreibt: „[…] gusto d’ un colorismo più schiarito […], certo riflesso degli esempi veronesiani“.149 Wiewohl Pallucchinis Bemerkung „colorismo schiarito“ durchaus ihre Richtigkeit hat – wobei man ergänzend Jacopo auch ein wenngleich verhaltenes Interesse an Buntfarbigkeit attestieren kann – ist damit noch keineswegs ausgemacht, dass sich der Künstler hier dem Einfluss Veroneses unterworfen hat, erklärbar auch insofern, als Veronese damals erst seit 1553 in Venedig weilte und seine Reputation auf dem dortigen Kunstmarkt noch nicht ihre spätere Breitenwirkung erreicht hatte. Schon Von der Bercken, der prominenteste Repräsentant der älteren deutschsprachigen TintorettoForschung, hat eine Affinität mit Veroneses Farbauffassung in Abrede gestellt, wenn er wie folgt bemerkt: „Das Rauschende, Festliche der Farbe fehlt Tintoretto vollkommen […]. Jene weit ausgebreiteten karminrosa Farbflächen zum Beispiel, durch die Veronese so oft besonders schönfarbige Wirkungen erzielt, fehlen in Tintorettos Werk fast vollkommen.“150 So gesehen erscheint es berechtigt, wenn auch Weddigen Ridolfis Bericht als historisch nicht belegbare Anekdote dekuvriert.151 Wie in der Accademia-Version tangiert die Madonna in der Gesuiti-Assunta – im Gegensatz zur Bamberger Fassung – mit ihrem Haupt den Kulminationspunkt des bogenförmigen Rahmenabschlusses. Wiewohl von Engeln gestützt scheint sie – anders als in der Bamberger Fassung – aus eigener Kraft in den Himmel aufzufahren. Dabei leisten ihre schräg von der Symmetrieachse abdriftende Haltung, die ausgeprägte Schrittstellung sowie der dunkelblaue, in schraubender Bewegung drapierte Mantel einen wesentlichen Beitrag. Lettner verweist zutreffend auf eine von den beiden früheren Himmelfahrtsdarstellungen abweichende raumgreifende Formulierung der Madonna, die meines Erachtens auch generell in der bis dahin gebräuchlichen Assunta-Ikonographie als innovative Gestaltungsidee zu bewerten ist: „Insbesondere angesichts der leicht nach vorne angehobenen Arme und des in den Tiefenraum geführten linken Beins scheint die Figur der Madonna nicht bildparallel, sondern schräg nach vorne in den Betrachterraum hinein nach oben zu entschweben.“152 Die dynamische Struktur der oberen Bildhälfte wird durch die von links oben schräg fallende Kontur des Wolkensubstrats erheblich verstärkt. Dieses lebhaft ondulierende Wolkengebilde nimmt in einem großflächigen, extrem aufgehellten und von zahllosen Cherubsköpfchen durchsetzten Areal seinen Ausgang, überquert, ins Dunkel wechselnd, die Bildachse und mündet schließlich in eine die Figurenkomposition umfassende U-Form, deren nach rechts unten zielende Stoßrichtung durch die Schrägstellung der beiden zu Füßen der Madonna schwebenden Engel noch unterstrichen wird. An den Kleidern des Engelpaars zeichnet sich ein Rot-Blau-Akkord ab, dessen relativ starker Sättigungsgrad über ein hohes Anschauungsgewicht verfügt, das zum einen die vektorale Wirkung der Wolkenform intensiviert, zum anderen dazu beiträgt, jegliche Tendenz zur Symmetrie außer Kraft zu setzen.

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Schon an dieser Stelle sei auf Tulanowskis problematische Aussage zu Tintorettos Kompositionsweise verwiesen, die angeblich im Zeichen eines „state of confusion“ steht.153 Gerade das Gegenteil ist zutreffend. Die Komposition ist bis ins Detail kalkuliert, durchdrungen von vielfältigen Farb- und Formbeziehungen sowie rhythmisierten Hell-Dunkel-Kontrasten. Ob hier laut Lettner „die Raumkomposition zweifelsfrei überwiegt“, ist fraglich.154 Meines Erachtens ist dem Gemälde ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Raum- und Flächenkomposition zu attestieren, nachdem Tintoretto noch kurz zuvor in der Bamberger Assunta der Fläche eine eindeutige Vorrangstellung eingeräumt hatte. Wie dort ist jedoch auch in der Gesuiti-Assunta der Schrägstrukturierung eine dominierende Rolle zugedacht, wobei Orthogonaltendenzen fast gänzlich ausgeschaltet sind. Kurz gesagt: Einer von links unten ansteigenden Diagonalen antwortet im Himmelsbereich eine Gegendiagonale. Als Ausgangspunkt dafür nimmt der in der linken Bildecke postierte Apostel, dessen dunkelblaues Kleid mit dem gleichfarbigen Marienmantel korrespondiert, eine Schlüsselstellung ein. Zu Maria emporblickend, in Seitenansicht mit raumwirksam extrem verkürzt ausgebreiteten Armen dargestellt und in einen stark beleuchteten ockergelben Mantel gehüllt, erfüllt er – analog zu seinem sehr ähnlich formulierten und an derselben Bildstelle situierten Vorgänger in der Bamberger Version – alle Bedingungen für einen optimalen Bildeinstieg. Der Apostel markiert den spitzen Winkel eines trichterförmig nach oben ausfächernden Dreiecks. Links – eng an den Bildrand gedrängt – sind zwei weitere Apostel flächenprojektiv in die Höhe gestaffelt, wobei der oberste mit seinen ausgebreiteten Armen an jenen Jünger erinnert, den Jacopo bereits in der Bamberger Assunta an gleicher Stelle vorformuliert hat. Gewiss liegt hier, so Lettner, eine Anregung durch Tizians Frari-Assunta vor, deren Apostel-Rückenfigur Jacopo allerdings in Frontansicht transformiert hat.155 Am rechten Dreiecksschenkel positioniert kauert der heilige Petrus – farblich mit dem Eingangsapostel abgestimmt – auf den Stufen des Sarkophags. Ihm folgt, räumlich zurückgestuft, Christi Lieblingsjünger und Betreuer der Gottesmutter, der Apostel Johannes, der, auf der Mittelachse unter dem gleichfalls rot gekleideten Engel angeordnet, zwischen den Bildhälften vermittelt. Wie sein perspektivisch verkürztes Bein mit sichtbarer Fußsohle verrät, scheint er – höchst ungewöhnlich – auf dem Sarkophag zu sitzen. Eine merkwürdige, fast schon respektlose Maßnahme des Künstlers oder doch nur eine Augentäuschung des Betrachters? Wie weitgehend Tintoretto das Symmetriegesetz missachtet hat, beweist vor allem der in die rechte Bildhälfte verlagerte Sarkophag, darin von der traditionellen Assunta-Ikonographie abweichend, wobei nur nebenbei erwähnt sei, dass die linke Sarkophagkante präzis an der bildteilenden Achse orientiert ist. Im Übrigen hat der Maler schon in der Bamberger Version mit der asymmetrischen Dislozierung des Sargs eine ähnliche Lösung getroffen. Ein wesentlicher Unterschied zum Gesuiti-Gemälde besteht indes darin, dass die Sargkante dort – erhebliche Labilität bewirkend – extrem schräg dargestellt ist, womit Tintoretto einem typisch manieristischen, Spannung erzeugenden Gestaltungsprinzip entsprochen hat. Indessen versteht es der Künstler auch in seiner dritten Assunta-Fassung Span-

nung zu erzeugen, indem er den Betrachter prima vista im Unklaren belässt, ob hier die Längs- oder Schmalseite des Sarkophags dargestellt ist. In der Tat möchte man zunächst annehmen, dass es sich um dessen Schmalseite handelt, wofür zwei Anhaltspunkte zu sprechen scheinen: zum einen der Umstand, dass der rechts situierte Apostel den Sarkophag erheblich überschneidet und dadurch dem Blick des Betrachters nur eine stark verengte Wahrnehmung ermöglicht, zum anderen die Erkenntnis, dass der perspektivisch auf dem Sarkophag hingestreckte Apostel empirisch gesehen nur auf dessen Längsachse unterzubringen sei; daraus könnte man schließen, dass hier die Schmalseite abgebildet ist. Dieses „Verwirrspiel“ (Lettner) klärt sich erst, wenn man das wohl mittig am Sarkophag eingesetzte Emblem der Crociferi-Bruderschaft, die drei kleinen Kreuze vor blauem Grund, in Betracht zieht und daraus auf die reale Dimension der Sarkophagfront schließt, womit erst in verspäteter Wahrnehmung evident wird, dass es sich hier um dessen Längsseite handeln müsste.156 Wie dem auch sei: Mit diesem nur schwer eruierbaren Sachverhalt ist es dem Künstler immerhin gelungen, Spannung zu erzeugen. Der Hl. Johannes und der bereits erwähnte, rechts außen platzierte Apostel, dessen ebenso labile wie torsierende Haltung dem Figurenideal des Manierismus entspricht, straffen das weiße Grabtuch Mariens und sorgen damit für eine kompositionelle Überbrückung der rechten Bildseite, die angesichts der Präsenz von nur zwei Aposteln gegenüber der linken Bildhälfte über ein erheblich geringeres visuelles Gewicht verfügt. Diese Störung des Gleichgewichts wird durch das schräg nach links abfallende Stufenpodest veranschaulicht, das an einen einseitig belasteten Waagbalken erinnert. Das Grabtuch erfüllt nicht nur eine kompositionelle Funktion, es hat auch einen praktischen Zweck. Dass es von den beiden Aposteln mit etwas übertriebenem Energieaufwand ausgespannt wird, hängt damit zusammen, dass es dazu dienen soll, die aus der dunklen Wolke herabpurzelnden Cherubsköpfchen aufzufangen. Darin manifestiert sich – widersprüchlich zum feierlichen Ernst des Bildthemas – eine heitere Note, die ein bezeichnendes Licht auf den differenzierten Charakter des Künstlers wirft. Dies hat auch Hetzer so gesehen, wenn er in ihm einen Hang zum „Raffinement und zum Geistreichen, zum Witz und zur Ironie“ registriert.157 Vier in regelmäßiger Folge angeordnete Cherubsköpfchen bilden, induktiv wahrgenommen, eine kompositionell relevante Vertikalkomponente, die sich – deutlich von der bildteilenden Achse abgerückt – in der zu Füßen des Sarkophags aufragenden, in einem goldenen Kandelaber steckenden Kerze fortsetzt, womit sich Jacopo einmal mehr zu einer asymmetrischen Kompositionsweise bekennt. Neben der Kerze befinden sich, stilllebenartig komponiert, weitere, den zu Ehren der Madonna veranstalteten Exequien (= Totenmessfeier) dienliche liturgische Geräte: ein Apergil im Becken, ein Turibulum mit Kette, ein Messkännchen sowie ein geschlossenes Buch mit rotem Deckel, welches das Ende des irdischen Lebens der Gottesmutter symbolisiert und mit den aufgeschlagenen, Petrus zugehörigen Folianten kontrastiert, die Weddigen als Altes und Neues Testament deutet, während er im geschlossenen Band die „Offenbarung des Johannes“ vermutet.158 Annähernd gleichzeitig (um 1554/55) mit der Himmelfahrt Mariens und ebenfalls für die Chiesa dei Crociferi schuf Tintoretto die ursprünglich an der rechten

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Chorseitenwand angebrachte Darbringung Christi im Tempel, die nach dem Neubau der Kirche (nunmehr Chiesa dei Gesuiti) in deren Sakristei disloziert wurde, ehe sie 1907 in den Besitz der Accademia gelangte. Einige Autoren wie Krischel und Villa plädieren mit 1550–1555 für einen größeren Datierungsspielraum des im Auftrag der Scuola dei Botteri (= Fassmacherbruderschaft) geschaffenen Gemäldes. Ridolfi zufolge sei das Gemälde „in concorrenza dello Schiavone“ entstanden. Noch einen Schritt weiter geht Boschini, wenn er fälschlich von „ad imitazione della maniera dello Schiavone“ spricht. Fest steht indes, dass Tintoretto, wie der ihm erteilte Auftrag für das Hochaltarbild mit der Himmelfahrt beweist, den ‚Wettbewerb‘ mit Andrea Schiavone, der das einst an der nördlichen Chorseitenwand befindliche, heute verschollene Gemälde als Pendant zu Jacopos Darbringung ausführte, für sich entschieden hat.159 Schon in seiner frühesten Schaffensperiode hat sich Tintoretto mit dem Thema der Darbringung (um 1541/42; Venedig, Chiesa dei Carmini) auseinandergesetzt.160 Vasaris Zuschreibung des Gemäldes an Schiavone wurde im 17. Jahrhundert von Stringa, Ridolfi und Boschini zugunsten

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40 Tintoretto, Die Darbringung Christi im Tempel, Öl auf Leinwand, 350 x 195 cm, Venedig, Chiesa dei Carmini

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Tintorettos richtiggestellt. Dessen ungeachtet blieb die Attributionsproblematik – schwankend zwischen Schiavone, Polidoro da Lanciano und Tintoretto – lange Zeit ungelöst, ehe sich im Anschluss an Thode eine Mehrheit von Kunsthistorikern zu Recht für Tintoretto entschied.161 – Gleichsam als Vorgriff auf einen Vergleich mit der um mehr als ein Jahrzehnt später entstandenen Version der Darbringung nur einige grundsätzliche Bemerkungen zur hochformatigen, rundbogig schließenden Carmini-Darbringung: Ein steil einfallender Lichtstrahl ist auf das fast weiß aufleuchtende Tuch der mittig positionierten Mensa gerichtet und verstärkt die zentralisierende und weitgehend symmetrische Wirkung der Komposition. Ebenso im Fokus des Lichts steht der nackte Jesusknabe, den die Gottesmutter dem Hohepriester überreicht. Lediglich eine links unten auf den der Mensa vorgelagerten Stufen kauernde, ihr Kind im Schoß bergende Frauengestalt von „tizianischer Schönheit“ (Thode) durchbricht das sonst weitgehend beachtete Symmetriegesetz. Das Stufenpodest ist, wie von der Bildfläche abgleitend, in starker Draufsicht wiedergegeben und kontrastiert mit den bildparallel angeordneten Figuren, vor allem mit den Maria und den Hohepriester beträchtlich überragenden Gestalten, die, in isokephal gleichförmig additiver Reihung dargestellt, zum Teil vom undurchdringlichen Dunkel des Hintergrunds, das dem Gemälde fast schon den Charakter eines Nachtstücks verleiht, absorbiert werden. Zur stimmungsgeladenen Koloritsituation ein Satz von Thode: „Der malerische Eindruck des Bildes wird, wie bei Schiavone, durch den einheitlichen, gleichmäßigen, warmen, goldbraunen Ton bestimmt, dessen Schwere der junge Künstler durch die Wirkung des einfallenden Lichts zu überwinden trachtet – ein erster geistvoller, aber noch befangener Versuch einer Hell-Dunkel-Darstellung.“162 Mit dem Wechsel zum Querformat eröffnen sich Tintoretto in der Darbringung (Accademia) erheblich differenziertere Kompositionsmöglichkeiten. Indessen bleiben die Mensa und das Stufenpodest wie in der Carmini-Version strukturbestimmend, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass diese nach links verschoben sind und dadurch zur Suspendierung des vormaligen Symmetriegesetzes merklich beitragen. Darüber hinaus sind sie ein signifikanter Indikator für Jacopos Bestreben, die Bildstruktur nach klar berechneten Regeln zu konzipieren. Demgemäß stimmt die rechte Mensakante genau mit der vertikalen bildteilenden Mittelachse überein, auf der auch das der Scuola dei Botteri als Emblem dienende Fässchen platziert ist. Zudem entspricht die obere Kante der Mensa exakt der horizontal verlaufenden Goldenen Schnittlinie. Ein weiterer Unterschied zur CarminiDarbringung besteht darin, dass das aus drei Stufen bestehende Podest – und dem folgend die gesamte Figurenkomposition – in deutlicher Untersicht angelegt ist. Dabei sei erwähnt, dass die Idee, die Mensa und das Stufenpodest asymmetrisch und in Untersicht darzustellen, offensichtlich durch Tizians Votivbild der Familie Vendramin (1542–1547; London, National Gallery) angeregt ist.163 Ferner tritt an die Stelle des vormals raumblockierenden Dunkelgrunds das Ambiente eines runden Zentralbaus, mit dem Tintoretto laut Krischel auf den „Templum Salomonis“ anspielen wollte, womit er einer damals ebenso irrigen wie weit verbreiteten Auffassung folgte.164 Die Rundung der Tempelwand wird durch den Wandel vom

Schatten ins Licht verdeutlicht. Der mit Pilastern besetzte Wandaufriss ist durch den Wechsel geschlossener Travéen mit breiteren Figurennischen bestimmt. Diese „rhythmische Travée“ erinnert an das Pantheon in Rom; desgleichen das durchlaufende Gebälk mit dem vom Bildrand überschnittenen Obergeschoss. Die Wand ist „en grisaille“ gemalt, und auf „dieses Grisaillegrau sind [so Emmrich] alle anderen Farbtöne bezogen. Jeder trägt ihn schattenhaft in sich“.165 Diese Verallgemeinerung ist nicht ganz korrekt. Zumindest die Madonna entzieht sich mit dem annähernd gesättigten Scharlachrot ihres Kleides diesem Grauschleier. Trotzdem birgt die Aussage der Autorin einen wahren, für die vielfältigen koloristischen Ausdrucksmöglichkeiten des Künstlers charakteristischen Kern, zumal dieser in seiner fast gleichzeitig und für dieselbe Kirche geschaffenen Himmelfahrt Mariens eine ganz andere, farblich differenziertere Auffassung vertreten hat. Über die Mensa gebeugt und ihr stark verkürztes Kind in den Armen vermittelt die Gottesmutter mit ihrer in großem Bogen gekurvten Rückenlinie zwischen den Bildhälften. Zum Rot ihres Kleides gesellt sich das Dunkelblau eines Schultertuchs, einen Farbakkord anschlagend, der sich am Gewand des in Schatten getauchten Hl. Josef wiederholt. Ikonographisch ungewöhnlich ist dieser in die Zeremonie einbezogen, indem er das von Goldstickereien durchsetzte rötliche Pluviale des mit einer tiaraähnlichen Kopfbedeckung bekrönten Hohepriesters anhebt. Vis-à-vis von der Madonna, überschnitten vom Bildrand und zur Rechten des Hohepriesters positioniert, befindet sich eine weitere, von einem Lichtstrahl akzentuierte Assistenzfigur, an der der Rot-Blau-Akkord abermals anklingt. Daraus resultiert eine Farbklammer, welche die um die Mensa versammelte Figurengruppe in Form eines raumgreifenden Halbovals zusammenschließt. Auf der ersten Stufe des Podests kniet eine dicht an den Bildrand gedrängte, in Rückenansicht wiedergegebene Repoussoirfigur, eine lodernde Fackel haltend und mit einem Opferlamm unter dem Arm. Das extreme Dunkelgrün ihres Mantels bildet einen heftigen Hell-DunkelKontrast mit dem weißen Altartuch. Zudem steht der grüne Farbton zum Scharlachrot der Madonna in einem komplementären Verhältnis, dadurch die diagonale, auf das Bildzentrum fokussierte Sehrichtung des Betrachters unterstreichend. Der daneben in Licht getauchte kahlköpfige Alte kauert auf dem Stufenpodest, ist mit einem orangegelben Umhang bekleidet und hält einen geflochtenen Korb, aus dem eine Taube als Opfergabe hervorlugt. Im Übrigen manifestiert sich in seiner schieflastigen Haltung die einzige Schrägkomponente innerhalb der sonst von Orthogonalität bestimmten Bildstruktur. Der Alte beeindruckt nicht zuletzt durch seine realistische, bis ins Detail genaue Wiedergabe; man beachte nur seine nachlässig geschnürte Beinkleidung oder seine der Rolle eines erschöpften alten Mannes entsprechende Haltung. Diese Genrefigur kontrastiert stilistisch mit jener rechts außen postierten, ganz dem Manierismus verpflichteten Frauengestalt, die im Begriff ist, die Szene – nach erfolgter Beschneidung ihres sorgfältig in ein Tuch gehüllten Kindes – zu verlassen. Ihre manieristische Prägung manifestiert sich zum einen in einer höchst dynamischen Drehbewegung, zum anderen in der Labilität ihres Standmotivs, die darauf beruht, dass das linke Bein fast völlig vom Schatten absorbiert wird. Wie unter dem Druck des sie tangierenden Gebälks neigt sie

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das Haupt, während sich ihr Körper – analog zur Rückenkontur der Madonna – in großem Bogen nach rechts krümmt. Obwohl von Maria räumlich nur durch zwei Stufen getrennt, präsentiert sie sich als monumentale Erscheinung, die das Größenmaß der beiden links außen auf gleicher Ebene befindlichen Gestalten bei weitem übertrifft. Der körperbetonenden Plastizität und ornamental anmutenden Faltendrapierung ihres rotvioletten Kleides dürften Studien nach antiken Skulpturen zugrunde liegen. Zwischen der kolossalen Frauenfigur und der Gottesmutter öffnet sich eine schmale Raumgasse, die den Blick auf eine in dumpfen Farben gehaltene und knapp hinter dem Stufenportal situierte Figurengruppe lenkt, deren geringe, durch die Untersichtdarstellung verursachte Körpergröße eine Raumtiefe vortäuscht, die objektiv betrachtet nur sehr eingeschränkt vorhanden ist. Vollends verwirrend ist der Umstand, dass unter der Mensa – einem selbstständigen „Bild im Bild“ gleich – drei halbfigurige, in blühenden Farben und offenem Malduktus wiedergegebene Gestalten angeordnet sind, die – widersprüchlich klein dargestellt – an sich mit der Größe der erwähnten Figurengruppe übereinstimmen müssten. Einmal mehr kommt hier laut Hetzer Tintorettos Neigung zum „Raffinement und Geistreichen“ beziehungsweise zu einem für Irritation sorgenden Überraschungseffekt zum Tragen, darin einem der Wesenszüge des Manierismus entsprechend. Schon im April 1548 erhielt Tintoretto den Auftrag, für die Klosterkirche Madonna dell’ Orto, eine seiner wichtigsten Wirkungsstätten, die Seitenflügel der Orgel zu bemalen. Belastet durch andere Aufgaben, zum Beispiel das Sklavenwunder, ging der Künstler zunächst sehr zögerlich ans Werk, was auch damit zusammenhängen dürfte, dass er sich mit der Zuerkennung von einem Fass Wein, zwei Scheffel Mehl und fünf Golddukaten nur dürftig entlohnt fühlte – vielleicht mit ein Grund dafür, dass es 1551 neuerlich zu Verhandlungen mit der Geistlichkeit kam, die nunmehr ein Honorar von 30 Dukaten bewilligte. Völlig unrealistisch erwies sich indes die dem Maler erteilte Auflage, das Werk bis zum Ostersonntag 1552 zu vollenden. Da erst 1556 die letzte Zahlung erfolgte, ist mit einer mindestens fünfjährigen Schaffenszeit zu rechnen.166 Die Orgelflügel zeigen im geschlossenen Zustand den Tempelgang Mariens, dessen Zweiteilung man nach der Beseitigung der Orgel zu einem einheitlichen rahmenlosen Gemälde zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusammenfügte, während an ihren Innenseiten die Kreuzesvision des Hl. Petrus und das Martyrium des Hl. Paulus dargestellt sind. Bezüglich der Datierung der Flügel gibt es in der Forschung divergierende Meinungen. Nur um ein Beispiel zu nennen: Während Coletti, Pallucchini, De Vecchi, Gentili, Romanelli und Nichols den Tempelgang mit 1552/53 und die Innenseiten – stilistisch begründet – mit 1556 datieren, plädieren Krischel und Villa für eine umgekehrte Reihenfolge der Entstehungszeit (Tempelgang: 1553–1556; Innenseiten: Um 1552).167 Mit dem Tempelgang Mariens vollzieht Tintoretto einen radikalen, ebenso ikonographischen wie formalen Traditionsbruch, und dies wohl in bewusstem Gegensatz zu Tizians berühmter Darstellung dieses Themas, die in extremem Querformat, einem bildparallelen Figurenfries gleich, reliefmäßig in der Fläche ausgebreitet ist.168 Seine Antithese zu Tizian besteht vor allem darin, dass er die Szene – ne-

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ben einer gänzlich unterschiedlichen Farb- und Lichtauffassung – frontal und zugleich raumgreifend wiedergibt. Schon von Vasari als „bestausgeführtes“ Werk Jacopos in Madonna dell’ Orto gewürdigt, hat Ridolfi das Gemälde bis ins Detail beschrieben, und Thode bezeichnet es geradezu enthusiastisch als „eines der größten Meisterwerke der Welt“.169 Die monumentale, mehr als zwei Drittel der Bildhöhe umfassende pyramidale Treppe, die anfänglich bildparallel erst im oberen Abschnitt die runde Form eines Kegels annimmt, bildet das Substrat der Komposition. Sie besteht aus 15 goldornamentierten Stufen, an die 15 Gradualpsalmen erinnernd, die bei den jährlichen Tempelprozessionen gesungen wurden.170 Bedingt durch den Blickwinkel auf die steile Treppenanlage ist das Bild durch ein ausgeprägtes sotto in sù bestimmt. Besonders eindrucksvoll manifestiert sich die Untersicht an der riesigen, in Rückenansicht wiedergegebenen jungen Frau, die,

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auf dem Bildrand stehend und wie der Hohepriester knapp an der Bildachse positioniert, aus dem imaginären Betrachterraum in das Bild zu schreiten scheint. Letzteres originell veranschaulicht durch das angehobene linke Bein, von dem wie über den Bildrand ragend die Fußsohle zu sehen ist. Auch der Umstand, dass sich ihr stark abgedunkeltes Kleid scharf, geradezu scherenschnittartig vom hellen Grund der Stufen abhebt, akzentuiert ihre Rolle als Einstiegsfigur, dadurch – zumindest prima vista – die ganze Aufmerksamkeit des Beschauers in Anspruch nehmend. Behutsam geleitet sie ihre kleine, zögernd auftretende Tochter zur bevorstehenden Zeremonie im Tempel. Als diskussionswürdig erweist sich hier Krischels folgende Beobachtung: „Ein irritierendes Detail im Tempelgang ist das merkwürdig geraffte Kleid des zaudernden Mädchens im Vordergrund, das Jacopo zum „Vexierbild“ eines übergroßen weiblichen Geschlechts geformt hat.“ Nur ein „übermütiger Scherz“ des Künstlers oder doch ein verschlüsselter Hinweis auf dessen sinnenfrohen Charakter? Letzteres mag stimmen, wenn man der in dem von Johann Georg Keyssler 1751 ‚Fremdenführer‘ veröffentlichten Anekdote zur Madonna dell’ Orto Glauben schenken will. Dort heißt es: „Die Orgel ist vom Tintoretto angemalet, und zwar zur Strafe, weil er in eines Nobile Hause, bey welchem er sich aufgehalten, eine Magd zu Falle gebracht.“ Hier stellt sich die Frage, ob das verfängliche Motiv ikonologisch vielleicht doch einen höheren Stellenwert hat, als ein im Œuvre Tintorettos nicht selten involvierter „Bildwitz“. Immerhin ist denkbar, dass der Künstler die Gelegenheit wahrnahm, mit dem an prominenter Stelle abgebildeten aufnahmebereiten Geschlechtsorgan antithetisch die Jungfräulichkeit Mariens in drastischer Weise zu veranschaulichen.171 Mit dem stark verkürzten rechten Arm weist die kolossale Frauengestalt nach oben, ihr ängstliches Kind ermunternd, sich an der dreijährigen, unbegleitet die Stufen emporschreitenden Maria ein Beispiel zu nehmen. Kompositionell besonders relevant ist ihre schräg ausgerichtete Arm/ Schulterlinie, die einer Fluchtlinie gleich auf Maria zielt und dort mit der schräg abfallenden, vom Portalsturz des Tempels ausgehenden Fluchtlinie konvergiert. Allein schon die Tatsache, dass Maria den Fluchtpunkt birgt, sichert ihr eine exponierte Stellung. Die letzten Stufen der Rundtreppe erklimmend sieht sie ihrer Initiation als Tempeljungfrau entgegen, von der riesenhaften Figur des sie empfangenden Hohepriesters durch die Würdeform eines als sursum corda in den Himmel ragenden Obelisken getrennt. Dazu Emmrich: „Dass diese kleine Gestalt […] ihre Position gegenüber den expressiven Basisfiguren als geistiges Zentrum der Gesamtkomposition behauptet, beweist die gestalterische Kraft und die künstlerische Logik Tintorettos.“172 Neben der Fluchtpunkt-Position gibt es indes noch andere Faktoren, die zu Marias Funktion als idealer Mittelpunkt des Gemäldes beitragen: zum einen der Umstand, dass sich deren dunkle, vom Graulila des Kleides bestimmte Silhouette von der Helligkeit des von Grau zu Weiß übergehenden Firmaments scharf abhebt, zum anderen der um sie freigehaltene Raum, der einerseits ihre Einsamkeit betont, andererseits (dem Gestaltgesetz der Isolation entsprechend) ihr ein hohes Maß an Anschauungsgewicht verleiht. Die kleine Madonna steht im Wortsinn auf Seiten des Lichts der christlichen Heilslehre, somit in der rechten, lichtdurchfluteten Hälfte der Treppenanlage

platziert. In ihrem Rücken erhebt sich, in schräger Richtung um vier Stufen tiefer versetzt, die hohe, an den Bildrand gedrängte Gestalt einer Frau mit ihrem Säugling, die im Widerspruch zu ihrer räumlich zurückversetzten Position (das perspektivische Gesetz des Größengefälles missachtend) beinahe die Größe der Basis-Rückenfigur erreicht und damit einer typisch manieristischen Gepflogenheit entspricht. Mit dem relativ gesättigten Rot ihres Mantels, der einzigen Buntfarbe im Lichtbereich der Treppe, dient sie in erster Linie dem harmonischen Ausgleich zwischen den Bildhälften, mit ihrem auch quantitativ ausgeprägten Rot über die wenigen, im Dunkel der linken Bildseite aufblitzenden Buntwerte dominierend. Die statuarisch anmutende Figur ist auch als Zwischenstation jener Bildzeit-Brücke anzusehen, die vom Noch-Nicht der dynamisch ins Bild schreitenden Rückenfigur ihren Ausgang nimmt und zur aktuellen Gegenwart der als Kulminationspunkt der Komposition figurierenden Mariengestalt führt. Unter der Rotgekleideten kauert eine Frau, die ihr zwischen die Beine geklemmtes Kind beruhigt und mit ihrer zurückgelehnten Haltung, so Hetzer, jener des Philosophen Diogenes in Raffaels Schule von Athen gleicht.173 Angesichts ihrer Schräglage formiert sie sich mit der gleichfalls schrägen Armstellung der sie tangierenden Rückenfigur zum Dreieck, das der größeren Dreiecksstruktur der pyramidalen Treppe subordiniert ist. Da in dieser Formverdoppelung – den dreieckigen Obelisken inbegriffen – ein wesentliches Merkmal der Komposition manifest wird, erscheint es legitim, daran den Gedanken an eine Trinitätssymbolik zu knüpfen. Mit der marianischen Licht-„Theophanie“ scharf kontrastierend, ist die linke Bildhälfte in tiefes Dunkel gehüllt, sodass man die einzelnen Formen kaum zu unterscheiden vermag. Laut Dvořák entsteht der Eindruck, „als hätte der Künstler hier die Schattenseiten des Lebens, das Elend und das Dahinleben im Finstern charakterisieren wollen“.174 Mit dem Hinweis auf das „Elend“ sind die vier am Fuße der perspektivisch in die Tiefe stoßenden Tempelfassade angeordneten Lazzaroni (= Bettler) gemeint, die – auf den Stufen teils liegend, teils sitzend hingestreckt – eine dicht ineinander verzahnte Figurenkette bilden und – parallel zur schrägen Armhaltung der Rückenfigur – sowohl den linken Schenkel des Treppendreiecks markieren als auch die untere, nicht sichtbare Fluchtlinie der Tempelwand ersetzen. Im Allgemeinen werden die im Schattenbereich angesiedelten Figuren als in Unwissenheit verharrende Vertreter des Alten Testaments gedeutet. Im Gegensatz dazu steht die Tempelgang-Szene im Zeichen des Lichts, das – in Erfüllung der alttestamentarischen Prophetie – die Erkenntnis des wahren, christlichen Glaubens verdeutlicht, mithin das Neue Testament symbolisiert. Eine ergänzende Interpretation stammt von Wilde, der zufolge es sich bei den im Schatten gelagerten Figuren um die „Antenati, die Vorfahren Christi nach dem Stammbaum Mariens“ handelt.175 Nur der links unten mit erschrockener Geste und mit eiligem Schritt in den Betrachterraum vordringende Prophet (?) erkennt – wie seine jähe nach oben gerichtete Kopfwendung verrät –, dass „Maria dereinst das Licht der Welt in sich tragen wird“.176 Hier offenbart sich eine neue Zukunft der Menschheit, die der Prophet, der durch scharfe Lichter und Farbakzente (Weiß am Scheitel, Orange am rechten Arm) aus dem dunklen Hintergrund herausgehoben wird und mit seiner

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manieristischen Haltung laut Dvořák „an Michelangelos späte Gestalten erinnert“, zu ahnen scheint.177 Was seitens der weiblichen Rückenfigur an Energie nach oben beziehungsweise in den Bildraum strömt, wird letztlich im antithetischen Umkehrschluss durch die frontal voranschreitende Prophetengestalt höchst dynamisch in den fiktiven Betrachterraum zurückgeführt. Bezüglich der ausschnitthaften Tempelfassade ist nur so viel anzumerken, dass es sich hier um ein rein manieristisches Fantasieprodukt handelt, das den statischen Regeln der Architektur radikal widerspricht. Offen bleibt etwa die Frage, wie man vom Portal der abschüssigen Wand zur Freitreppe gelangen kann. Unklar ist ferner der funktionelle Zusammenhang der Fensteröffnungen mit den darunter befindlichen, relativ hohen Balustersäulen. Typisch manieristisch ist zudem die viel zu klein bemessene Tempelpforte, unter deren schwer lastendem Gebälksturz die beiden Pharisäer, die Thode nicht ganz unberechtigt für die Eltern Mariens (Anna und Joachim) hält, kaum Platz finden. Bemerkenswert ist, dass ihre Farben – das Rotviolett am Kleid Annas und das Zinnober an Joachims Bauchschärpe – , nicht zuletzt weil diese mit dem schwarzen Grund der Pforte kontrastieren, über ein hohes Maß an Leuchtkraft verfügen.178 Laut A. Hauser, einem der bedeutendsten Kenner des Manierismus, „bleibt Tintoretto den grundlegenden Prinzipien des Manierismus von Anfang bis zu Ende treu“ – eine Verallgemeinerung, die der Autor schon in einem seiner nächsten Sätze relativiert, insofern er den Tempelgang als ein Werk bezeichnet, „das vom Stil des Künstlers in dieser Phase abweicht“, was indes nur so gemeint sein kann, dass dieser erst hier den ersten Höhepunkt seiner manieristischen Kompositionsbestrebungen erreicht. In diesem Sinn erinnert Hauser an „die gigantischen Repoussoirfiguren im Vordergrund, die Verdrängung der winzigen Hauptfigur nach hinten, die dementsprechende mitreißende Raumflucht, die mit einer ebenso wirkungsvollen, jähen und heftigen Höhentendenz verbunden ist, die Mauer links mit den zur Seite gedrückten Zuschauern, so dass als Gesamteffekt eine trichterartige, saugende Leere entsteht“. Neben dieser knappen Kompositionscharakterisierung nennt Hauser in anderem Zusammenhang noch weitere manieristische Gestaltungsprinzipien, die auch hier ihre Gültigkeit haben: „Die Vorliebe für schlanke, emporschießende Figuren, die ungleiche Raumfüllung […], die teilweise Zusammenpressung und teilweise Zerstreuung der Gestalten, den starken Tiefenzug durch Verkürzungen […] oder Diagonalen [beziehungsweise Schrägen], die betonten Kontraste der Dimensionen, der Beleuchtung [abrupt aneinanderstoßende Licht-Schatten-Zonen], die Wiederholung, den Parallelismus und die Konsonanz der Motive, der Linienführung und der Körperformen, die Entfernung der Protagonisten aus dem Zentrum der Darstellung“ usw.179 Wie das stark gedämpfte Kolorit bezeugt, steht der Tempelgang Mariens im Zeichen eines luminaristischen Trends und kann laut Bercken als Vorläufer von Tintorettos um 1559 anhebenden Reifezeit betrachtet werden.180 In elementarem Gegensatz dazu stehen die vermutlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Apsis von Madonna dell’ Orto angebrachten Innenflügel der Orgel, in denen – vielleicht mitbedingt durch den sichtbaren Klangkörper – eine „malerische, reiche und lebhafte Farbigkeit“ vorherrscht.181 Die linke Seite zeigt die Kreuzesvision des Hl.

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42 Tintoretto, Die Kreuzesvision des Hl. Petrus, Öl auf Leinwand, 420 x 240 cm, Venedig, Madonna dell’ Orto

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43 Tintoretto, Der Hl. Ludwig und der Hl. Georg mit der Prinzessin, Öl auf Leinwand, 226 x 146 cm, Venedig, Accademia

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Petrus – für Jacopo eine ikonographisch günstige Gelegenheit, sich im sotto in sù und mit übersteigerter Dynamik auszudrücken. In den Himmel versetzt, wiewohl in die linke untere Bildecke verbannt, thront Petrus auf einer abschüssigen dunkelgrauen Wolkenbank. Erschrocken angesichts der gewaltigen, von vier riesigen Engeln gestützten und bedrohlich auf ihn zustürzenden Kreuzerscheinung nimmt der Heilige mit jäher Kopfwendung eine zurückgelehnte Haltung ein, die der Künstler in bis ins Detail übereinstimmender Form bereits an der Prinzessin im Gemälde Die Hll. Georg und Ludwig von Toulouse mit der Prinzessin (1552/53; Venedig, Accademia) erprobt hatte.182 Der Apostelfürst trägt ein golddurchwirktes Pluviale mit purpurfarbigem Futter und hält in seiner stark verkürzten Linken einen Folianten, dessen schwarzer Umschlag mit dem Weiß seiner Albe heftig kontrastiert. Zu seiner Rechten ist eine vom Bildrand überschnittene Tiara beiseite gelegt, die ihn als ersten Papst ausweist. Zwischen den Oberschenkeln baumelt, einem Phallus gleich, ein goldener Schlüssel, der so gesehen die Heiligkeit des ApostelPapstes in ironischer Allusion infrage stellt. Darüber hinaus bemerkt man einen zweiten, silbernen Schlüssel, von dem, zur Hälfte vom Buch verdeckt, nur der Bart zu sehen ist – vermutlich ein Hinweis darauf, dass damit der wahre, nur erschwert erkennbare „Himmelsschlüssel“ gemeint ist. Krischel zufolge „lassen zeitgenössische Komödien über die erotische Symbolik des Schlüssels keinen Zweifel. Sie ist auch Gegenstand der satirischen Schrift „La chiave“ (= Der Schlüssel) von Tintorettos Freund Anton Francesco Doni“.183 In der Tat könnte, so der Autor weiter, dieser gewagte „Bildwitz“ als Beleg für eine in Venedig vor allem seit der Reformation florierende papstkritische Haltung gewertet werden, und nicht nur im Hinblick auf theologische Differenzen, sondern – vielleicht sogar in erster Linie – auf den während der gesamten Renaissance gravierenden Sittenverfall des Papsttums. Dem entsprechend versuchen die gigantischen Engel – wahrscheinlich handelt es sich um die vier Erzengel – dem monumentalen, diagonal ausgerichteten Kreuzesstamm mit gewaltigem Kraftaufwand, teils in stützender, teils in bedrohender Absicht, dem Apostel in nahezu erdrückender Weise nahe zu bringen. Während der obere Engel, als Rückenfigur und bildparallel dargestellt, sich müht, die an den Bildrändern festgemachten Kreuzbalken im Gleichgewicht zu halten, sind die beiden unter ihm schwebenden Engel – räumlich und der Höhe nach abgestuft – bestrebt, den Längsbalken zu fixieren. Der Umstand, dass die Engel sukzessiv ihre Haltung verändern und stufenweise vom Licht in den Schatten zurücktreten, zudem ihre Kleidung von Hellrosa zu gesättigtem und getrübtem Rot wechselt, bewirkt einen stroboskopischen Effekt, dessen dynamische, von der Schräglage des Kreuzes unterstützte Tragweite kaum noch zu überbieten ist. Der vierte, rechts oben platzierte Engel nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als er, scherenschnittartig vom gelb leuchtenden Himmelsgrund abgehoben, in tiefes Dunkel gehüllt ist. Dabei handelt es sich um den Erzengel Uriel, der – auch als „Strafengel“ oder Engel der Buße bezeichnet – dazu berufen ist, das Tor zur Unterwelt zu öffnen und die Toten dem Weltenrichter vorzuführen.184 Konträr zum rosa gekleideten Engel stemmt er sich gegen den Querbalken, anscheinend bestrebt, das Kreuz zum Kippen zu bringen, um damit das durch Petrus personifizierte Papsttum

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44 Tintoretto, Die Enthauptung des Hl. Paulus, Öl auf Leinwand, 430 x 240 cm, Venedig, Madonna dell’ Orto

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zu gefährden. Einmal mehr bestätigt sich hier Ridolfis Bericht, wonach Tintoretto, ehe er an die Ausführung von in sotto in sù konzipierten Schwebefiguren schritt, vorbereitende Studien anhand von an Fäden herabhängenden Modellen betrieben hat. Auf der Innenseite des rechten Orgelflügels ist die Enthauptung des Hl. Paulus abgebildet. Legitimiert durch den Umstand, dass die Kirche Madonna dell’ Orto dem Hl. Christophorus gewidmet war, dachte man zunächst an ein Martyrium des Hl. Christophorus, ehe man aufgrund der am Boden liegenden Rüstung erkannte, dass es sich um jene „armadura alla romana“ handelt, die der nachmalige Völkerlehrer Paulus trug, als er vor seiner Bekehrung als Offizier im Dienst des römischen Heeres stand. Laut Krischel ist hier „jene Waffenrüstung Gottes gemeint, die Paulus selbst im Brief an die Epheser für den geistlichen Kampf empfiehlt: der Gürtel der Wahrheit, der Panzer der Gerechtigkeit, der Helm des Heils und vieles mehr“.185 Mit heftiger Drehbewegung holt der Scherge, dessen Gewalttätigkeit durch das Schwarz der dynamisch aufflatternden Schärpe und das gesättigte Scharlachrot seines Schurzes noch unterstrichen wird, zum Schwertstreich aus. Kniend in Rückenansicht und mit entblößtem Oberkörper wiedergegeben erwartet der Apostel sein Martyrium. Getroffen von den goldenen Strahlen einer Himmelsgloriole und die Hände zum Gebet gefaltet blickt er zum herabstürzenden Engel empor, der ihm, die dunkle Wolkenbarriere durchbrechend, mit triumphaler Geste den Lorbeerkranz und die Märtyrerpalme darreicht. Die Geburt Johannes des Täufers (1554–1555; St. Petersburg, Ermitage) besticht durch ihr blühendes, offensichtlich durch Paolo Veronese angeregtes Kolorit, steht somit den starkfarbigen Innenflügeln der Madonna dell’ Orto merklich näher als dem durch ein überwiegend gedämpftes Kolorit gekennzeichneten Tempelgang.186 So gesehen wird einmal mehr Jacopos Bereitschaft deutlich, sich anstatt in stilistisch-chronologischer Sukzession simultan in verschiedenen modi farblichen Gestaltens auszudrücken. Diese Anmerkung ist insofern erforderlich, als lange Zeit die Meinung vorherrschte, Tintorettos Kunst habe sich kontinuierlich von einer farbbetonten Auffassung zu einer farbresistenten Hell-Dunkel-Malerei entwickelt; Letzteres gilt erst für die ab etwa 1559/60 anhebende Schaffensperiode – und auch da gibt es mitunter Ausnahmen. Beispielhaft für die problematische Sukzessionstheorie ist A. Venturi, der die Geburt des Johannes Baptista – eben aufgrund ihres ausgeprägten Buntkolorits – sogar „vor 1548“ eingeordnet hat.187 Lange Zeit (und noch 1970 und 1978 bei De Vecchi) galt das Gemälde als eine Geburt Marias, ehe man die Szene aufgrund des rechts bildhoch in Erscheinung tretenden Mannes als Geburt des Johannes Baptista identifizierte. Dabei handelt es sich um den jüdischen Priester Zacharias, dem beim Rauchopfer im Tempel der Erzengel Gabriel die Geburt eines Sohnes (Johannes des Täufers) verkündet, worauf Zacharias, ungläubig auf sein hohes Alter und seine als unfruchtbar geltende Frau, Elisabeth, hinweisend, mit Stummheit geschlagen wird, bis er bei der Geburt des Kindes dessen Namen auf eine Tafel schreibt, seine Sprache wiedererlangt und zu einer Lobpreisung des Herrn anhebt.188 Ein weiteres und noch wichtigeres Indiz für die berechtigte Korrektur des Bildtitels ist die als einzige unter den Geburtshelferinnen

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mit einem gelbstrahlenden Nimbus versehene Frau, die man zu Recht als Gottesmutter Maria identifiziert hat. Der „Legenda Aurea“ zufolge blieb Maria drei Monate bei der schwangeren Elisabeth, der „sie diente, und als das Kind geboren war, hob sie es von der Erde auf mit ihren heiligen Händen, und tat also mit Fleiß einer Kindsmagd Dienst“.189 Im Übrigen fühlte sich der Künstler, so Middeldorf, auch durch Bonaventuras „Vita di Christo“ inspiriert.190 Die Szene spielt in einem weiträumigen Schlafgemach, in das eine Treppe vor einem schwarzbraunen Wandgrund herabführt. Das in Draufsicht wiedergegebene Paviment besteht aus runden und hexagonalen Fliesen, die – großteils von den Figuren verdeckt – sich angesichts ihrer unübersichtlichen Anordnung nirgends zu Fluchtlinien formieren, somit zu keiner nennenswerten Raumerschließung beitragen. Hinzu kommt die optisch aufgeklappte Bodenfläche, die der Dominanz der figuralen Flächenprojektion förderlich ist. Im Hintergrund befindet sich die von einem Vorhangbaldachin bekrönte Liegestatt der Wöchnerin, die sich, von einem dunkelblauen Betttuch bedeckt, ihrer das Essen reichenden Dienerin zuwendet. Die wie schwebend anmutende Position des perspektivisch fluchtenden Bettes ist nur schwer eruierbar. Dem Anschein nach müsste es die unsichtbare Raumecke schräg anschneiden, eine im Vergleich mit dem Bett in Jacopos etwas später entstandenen, gleichnamigen Gemälde (San Zaccharia) jedenfalls

45 Tintoretto, Die Geburt Johannes des Täufers, Öl auf Leinwand, 181 x 266 cm, Sankt Petersburg, Ermitage

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weniger überzeugende Lösung, die die Frage nach einer möglichen Werkstattbeteiligung aufwirft. Der markante, schräg verlaufende Schlagschatten des Zacharias gibt Auskunft über den Einfallswinkel des von rechts einströmenden Lichts, das die Farben der in der linken Bildhälfte angesiedelten Hauptszene in einem für Tintoretto ungewöhnlich hohen Maß zum Leuchten bringt. Während Maria den Johannesknaben stützt, reicht ihm die Amme die Brust; die dritte Geburtshelferin hält eine strahlend weiße Windel bereit. Die drei Frauen formieren sich zu einem gleichseitigen Dreieck, das ihre bildzentrale Stellung betont; besonders beeindruckend die in ihren vorgeneigten Häuptern vorzüglich gemeisterte Verkürzungstechnik. Im Anschluss an diese stringente Figurengruppe bilden drei weitere, asymmetrisch angeordnete Frauen ein unregelmäßiges Dreieck, das das gleichseitige Dreieck umschließt. Von links nähert sich mit raschem Schritt, schraubender Bewegung und mit vorgebeugter Haltung neugierig den Säugling betrachtend eine in Rosa und Blau gekleidete Frau, in deren manieristischer Prägung Pallucchini eine Analogie zu jener rechts außen in der Darbringung Christi (Venedig, Accademia) abgebildeten feststellt, was der Autor zugleich zum Anlass nimmt, die beiden Gemälde in dieselbe Zeit (1554/55) zu datieren.191 Was die beiden Werke indes trennt, ist eine in der Geburtsszene weitaus größere Helligkeit sowie eine deutlich vereinfachte Kompositionsweise, die sich wie erwähnt in der Konfiguration zweier Dreiecke niederschlägt, der sich noch eine vom Schlagschatten des Zacharias ausgehende, über die gekurvten Rückenpartien der beiden rechts situierten Frauen weitergeleitete und in der Treppe ausklingende Diagonale hinzugesellt. Hinzu kommt das leuchtende Weiß der ausgebreiteten Windel sowie der Blusen der vier Geburtshelferinnen, die sich aufgrund des Gestaltfaktors der Ähnlichkeit zu einem flächenprojektiven Kreis schließen. Neben dem Weiß spielt das in fünf Varianten auftretende Rot eine dominierende Rolle, beginnend mit Hellrot an den Kleidern Mariens und der stillenden Amme, gefolgt vom Orangerot ihrer Nachbarin und dem Karmin am Kleid des Zacharias und endend im dumpfen Rotbraun der Vorhangstreifen. Diese bildparallel angeordnete, mithin den Flächencharakter des Ganzen mitbestimmende Rot-Kette wird vom Blau der links eintretenden Figur sowie der Bettdecke Elisabeths eingefasst. Und rechnet man dem die auf dem Figurenensemble lagernde Farbhelligkeit hinzu, so scheint sich hier jene Forschungsmeinung zu bestätigen, wonach Tintoretto um die Mitte der 50er-Jahre bisweilen der Koloritauffassung Paolo Veroneses entsprochen hat. Als Beleg dafür sei bespielhaft auf dessen Bekehrung der Maria Magdalena (um 1548; London, National Gallery) verwiesen.192 Im Gegensatz zu seinem an symbolischem Beiwerk sonst eher begrenztem Interesse hat Jacopo der Szene zwei inkonografisch ungewöhnliche Motive hinzugefügt: Im Vordergrund symmetrisch an der Bildachse orientiert stehen ein Hahn und eine lauernde Katze einander gegenüber. Während der Hahn den Tag und die Verkündigung symbolisiert, versinnbildlicht die Katze – auf das Schicksal des Täufers vorausweisend – die bedrohliche Nacht. Rechts daneben befindet sich eine mit verkohlten Tierknochen gefüllte Messingschüssel, die auf zeitgenössisches Brauchtum anspielt. Krischel zufolge „beging man die Geburt des Johannes mit einer Art

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46 Tintoretto, Die Geburt Johannes des Täufers, Öl auf Leinwand, 270 x 204 cm, Venedig, San Zaccharia, Cappella di Sant’Atanasio

sommerlichen Weihnachtsfest am 24. Juni. An diesem Tag pflegte man Tierknochen zu verbrennen – ursprünglich zur Vertreibung von Dämonen, dann in Erinnerung an die Verbrennung der Johannesgebeine auf dem Scheiterhaufen […]“.193 In der älteren Literatur ist die Meinung vorherrschend, dass es sich hier um eine Werkstattarbeit handelt. Eine Ausnahme bildet lediglich A. Venturi, der das Gemälde als autographe Leistung Tintorettos anerkennt. Erst seit den Forschungen Pallucchinis setzte sich die Überzeugung durch, dass hier ein eigenhändiges Werk des Künstlers vorliegt. Noch Hadeln hatte es als Teilreplik nach Jacopos gleichnamigem, für San Zaccharia (Venedig, San Zaccharia, Cappella di Sant’ Atanasio) geschaffenen Gemälde bezeichnet.194 In Wahrheit verhält es sich umgekehrt: Die

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San Zaccharia-Fassung dürfte erst nach jener in St. Petersburg entstanden sein. Präjudiziert durch das Hochformat sah sich der Künstler gezwungen, die figurale wie räumliche Komposition in reduktionistischer Weise zu komprimieren. Dies hat zur Folge, dass die beiden rechts außen befindlichen Figuren – strukturell wenig befriedigend – vom Bildrand überschnitten werden. Beibehalten – allerdings seitenverkehrt wiedergegeben und in eine zentrale Lage versetzt – wurden lediglich die drei von einem Dreieck umschlossenen Frauen. Dem Anlass des Hochformats folgend hat Tintoretto der Szene zwei aus der lichtdurchfluteten Himmelsöffnung herabstürzende Engel hinzugefügt. Entscheidend für den Charakter des Gemäldes ist – darin mit der St. Petersburger Version übereinstimmend – dessen helle Buntfarbigkeit, die angesichts des dominierenden Blau-Rot-Akkords eine womöglich noch merklichere Affinität zum Kolorit Paolo Veroneses signalisiert. So gesehen ist nicht nachvollziehbar, weshalb Pallucchini das Gemälde – zeitlich weit abgerückt von der St. Petersburger Fassung und den späteren Wandel von Tintorettos Farbauffassung missachtend – erst „um 1563“ datiert. Diesbezüglich hatte schon Von der Bercken die Zeitspanne zwischen 1555 und 1560 (meines Erachtens überzeugend) als Datierung vorgeschlagen und damit zugleich die Reihenfolge der beiden Bildfassungen geklärt. Ferner bleibt Pallucchini jede Erklärung schuldig, weshalb er das Gemälde in San Zaccharia mit Natività della Vergine betitelt, zumal einst schon Sansovino (1581) und Borghini (1584) für die Geburt des Johannes Baptista plädiert hatten.195 Laut Coletti und Pallucchini öffnete sich Tintoretto wie in der gleichzeitig entstandenen Geburt des Johannes Baptista auch in der Kreuzigung Christi (1554/55; Venedig, Accademia) – wenngleich nur innerhalb einer kurzen Zeitspanne – dem Einfluss Paolo Veroneses.196 Analogien zu Paolos Malerei bestehen vor allem auf dem Sektor des Kolorits, das Ridolfi als „tenero e soave“ (= zart und lieblich) bezeichnet hat. Wie in der Geburtsszene basiert die farbliche Wirkung auch in der Kreuzigung hauptsächlich auf dem Dreiklang Rot, Blau und Weiß, dem sich in der zweiten, leicht zurücktretenden Bildzone ein graublauer beziehungsweise silbergrauer Farbschleier hinzugesellt.197 Das im Auftrag der Scuola del Santissimo geschaffene Gemälde befand sich ursprünglich in der Kirche San Severo in Venedig. Schon etwa ein Jahrzehnt zuvor (um 1542–1545) hatte sich Jacopo mit dem Thema der Kreuzigung befasst. Dabei handelt es sich um jenes Bild, das laut Moretti einst im Palazzo Pisani di Santo Stefano in Venedig aufbewahrt war, ehe es in den Besitz des Museo Civico in Padua gelangte. Im Inventar des Palazzo Pisani findet es sich unter „una imitazione della maniera di Andrea Schiavone“ verzeichnet, eine eher abfällige Einschätzung, die Pallucchini mit „modi schiavoneschi“ einigermaßen gemildert hat.198 Da die Paduaner Kreuzigung noch zum Frühwerk Tintorettos zählt, ist es nicht überraschend, dass sich hier gegenüber der reiferen Accademia-Version des Themas in mehrfacher Hinsicht beträchtliche Stildifferenzen ausmachen lassen. Zunächst fällt die traditionell streng symmetrische Positionierung der Kreuze ins Gewicht. Anders jedoch als in der Accademia-Fassung, deren figuraler horror vacui einem Rückgriff auf den alten, in Italien und Deutschland gebräuchlichen Typus der „Kreuzigung mit Gedräng“ entspricht, ist in der Padua-

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47 Tintoretto, Die Kreuzigung, Öl auf Leinwand, 282 x 445 cm, Venedig, Accademia 48 Tintoretto, Die Kreuzigung, Öl auf Leinwand, 202 x 265 cm, Padua, Museo Civico

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ner Kreuzigung eine traditionsgebunde, ebenso gelockerte wie raumdurchlässige Figurenverteilung zu registrieren, die aufgrund des hochgezogenen Horizonts zugleich einen Ausblick auf eine Landschaft sowie auf die Stadt Jerusalem mit dem Zentralbau der Grabeskirche im Hintergrund ermöglicht. Der gravierendste Unterschied besteht indes in einer dumpfen, fast erdhaft anmutenden Farbgebung, die sich vom helleren sowie buntfarbigen, eben veronesisch geprägten Kolorit der Accademia-Kreuzigung deutlich abhebt. Obwohl gleichabständig, also symmetrisch positioniert, sind die drei Kreuze in der Accademia-Fassung, von der Bildmittelachse abweichend, deutlich nach rechts verschoben. In dieser Lockerung der strengen Symmetrie-Tradition war Pordenone, wiewohl am herkömmlichen Typus der „Kreuzigung mit Gedräng“ festhaltend, mit seinem grandiosen, auch überregional Aufsehen erregenden Kreuzigungsfresko im Dom von Cremona bereits etwa ein Vierteljahrhundert zuvor um einen bemerkenswerten Schritt weitergegangen, indem er die eng zusammengerückten Kreuze Christi und des bösen Schächers – in großem Abstand zum guten Schächer – in die rechte Bildhälfte verlagert und auch das Kreuz des Erlösers schräg angeordnet hat. In Tintorettos Gemälde hingegen sind lediglich die Kreuze der Schächer schräg gestellt, wobei – angeregt durch Pordenone – der eine in Frontal-, der andere in Seitenansicht wiedergegeben ist.199 Das von links einfallende Licht ergießt sich über die Vordergrundsszene, starke Reflexe am Inkarnat Christi sowie an den zahlreichen Weiß- und Rotstellen hervorrufend. Daran schließt eine lückenlos verdichtete, in Schatten gehüllte Volksmenge, über der sich ein nachtblauer Himmel wölbt, mit dessen tiefem Dunkel der lichtdurchströmte Vordergrund kontrastiert und dadurch noch zusätzlich an Leuchtkraft gewinnt. Am Kreuz Christi lehnt eine Leiter, auf der ein Scherge emporklimmt, den Kopf nach rechts neigt und vermutlich den Tod des Erlösers verkündet. Das Rot seiner Strümpfe schlägt eine Brücke zu den gleichfarbigen Röcken der beiden um das Gewand Christi würfelnden Männer, deren gebückte Haltung der Künstler in einer schwarzen Kreidezeichnung (Florenz, Uffizien) vorskizziert hatte. Auf die Todesnachricht des Schergen reagierend, verlässt der römische Hauptmann – sein sich aufbäumendes Pferd anspornend – geradezu fluchtartig den Schauplatz der Hinrichtung. Die Darstellung des Schimmels sowie die Haltung des Reiters hatte Tintoretto in seitenverkehrter Wiedergabe etwa eineinhalb Jahrzehnte zuvor in der Bekehrung Sauls (um 1539) erprobt, offensichtlich angeregt durch Raffael und Pordenone (beide Künstler Meister der Pferdedarstellung), wobei vor allem Pordenones reitender Hl. Martin (1528/29) in der Chiesa di San Rocco Jacopo beeindruckt haben dürfte.200 Mit dem rot akzentuierten Schergen, dem leuchtenden Weiß des Schimmels und dem sich dynamisch der Kreuzigung widersetzenden bösen Schergen verlieh der Maler dem Gemälde einen kompositionell effektvollen, pyramidal hoch getürmten Abschluss. Zu Füßen des Heilands kümmern sich – an der Bildmittelachse orientiert – Maria Magdalena, Maria Salome, Maria Kleophas und eine weitere Frau um die ohnmächtige Gottesmutter. Die Betreuerinnen fügen sich angesichts ihrer extrem gekrümmten Haltungen in den Umriss eines hochgestellten Halbovals, der ihre bildzentrale Stellung hervorhebt. Die Madonna

trägt ein rotes Kleid und einen Mantel, dessen Dunkelblau mit dem nächtlichen Firmament korrespondiert. Das einem Mischverhältnis aus Rot und Blau entsprungene Violett im Kleid Maria Magdalenas symbolisiert Trauer. Das grell hervorstechende Weiß an den Schultertüchern zweier Frauen akzentuiert die zentrale Frauengruppe, kontrastiert mit dem Schwarz des die Leiter haltenden Schergen und schlägt eine Farbbrücke zum Weiß des davonstürmenden Pferds. Vor dem Kreuz des guten Schächers umfängt der Evangelist Johannes – in typisch manieristischer Haltung voranschreitend – ein schmales weißes, vermutlich auf das Grabtuch Christi hindeutendes Laken, das, der Frauengruppe entspringend, in großem Bogenschwung in das linke Bildviertel überleitet. Daran schließt eine auf einer Erdschwelle sitzende Frau, deren violettes Kleid jenem der Maria Magdalena gleicht. Mit ihrem hellen Rückendekolleté bildet sie den Auftakt zu jener Weiß-Kette, die sich wellenförmig über die gesamte Vordergrundszene erstreckt. Links außen erhebt sich die mächtige Gestalt eines schwarz gerüsteten Soldaten, von dessen zinnoberroter Beinkleidung die Reihe der übrigen Rotwerte ihren Ausgang nimmt. Der Krieger trägt ein gedämpft rotes Banner, dem sich weitere, in teils verschatteten, teils im Licht aufblitzenden Rottönen wiedergegebene Fahnen hinzugesellen. Das dynamisch flatternde Fahnenbündel reicht bis zum oberen Bildrand und kann als strukturelles Pendant der rechten Figurenpyramide betrachtet werden. Daraus resultiert eine kompositionelle Verfestigung der seitlichen Bildteile. Erwähnt sei, dass Tintoretto diese Kompositionsweise bereits am Sklavenwunder des Hl. Markus erprobt hatte. 1547 fasste die Scuola della Trinità den Beschluss, die Sala dell’Albergo ihres Vereinsgebäudes, das im 17. Jahrhundert dem Neubau der Kirche Santa Maria della Salute weichen musste, mit einem Gemäldezyklus nach Themen aus der „Genesis“ auszustatten. Den Auftrag erhielt zunächst Francesco Torbido, der bis zum Dezember des Jahres vier Bilder lieferte, mithin zu einem Zeitpunkt, als Tintoretto bereits im Dienst der Scuola Grande di San Marco stand und mit der Durchführung des Sklavenwunders begonnen hatte. Vom ein überregionales Echo hervorrufenden Erfolg des damals nach Tizian (der in jener Zeit übrigens nur selten in Venedig weilte) bedeutendsten Malers der Serenissima war wohl auch der Vorstand der Scuola della Trinità tief beeindruckt. Offensichtlich auch in der Absicht, mit der Scuola Grande zu konkurrieren, trennte man sich vom eher zweitrangigen Maler Torbido und betraute stattdessen Tintoretto mit der Fortsetzung des Genesis-Zyklus. Der Beschluss dazu erfolgte am 23. März 1550. Aus einem Dokument vom 25. November 1553 geht hervor, dass zur Vervollständigung des Zyklus nur noch die beiden Gemälde seitlich des Altars fehlten. Das Jahr 1553 ist somit als Terminus ante quem für den Abschluss der Arbeiten Tintorettos zu betrachten.201 Laut Borghini (1584) – später von Ridolfi bestätigt beziehungsweise ausführlich beschrieben – schuf Tintoretto insgesamt fünf Gemälde. Drei davon befinden sich heute im Besitz der Accademia in Venedig: Die Erschaffung der Tiere, Der Sündenfall sowie Kain und Abel. Ein weiteres mit Adam und Eva vor Gottvater wird im Depot der Uffizien in Florenz aufbewahrt; die fünfte Komposition (Die Erschaffung Evas) gilt als verschollen, ist indes durch eine Zeichnung von Paolo Farinati

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49 Tintoretto, Die Erschaffung der Tiere, Öl auf Leinwand, 151 x 258 cm, Venedig, Accademia

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(Sammlung Janos Scholz; New York) überliefert.202 – In der Erschaffung der Tiere dominiert die mit zeichnerischer Brillanz wiedergegebene Gestalt Gottvaters – eine der zahlreichen gelungenen Schwebefiguren des Künstlers. Hinterfangen von einer goldgelb strahlenden Aura und bekleidet mit einem schwungvoll drapierten, purpurfarbigen Mantel haucht der Schöpfer mit beschwörender Geste den Tieren der Luft und des Wassers Leben ein. Bestechend ist vor allem die realistische Darstellung der Fische (Stör, Lachs, Meerbarbe usw.), deren detaillierte Charakterisierung einem zoologischen Lehrbuch durchaus als Vorlage dienen könnte. Der Umstand indes, dass die Vögel wie die Fische – beinahe die gesamte linke Bildhälfte füllend – in geradezu ermüdender Weise zeilenförmig defilierend angeordnet sind, birgt den Nachteil einer sehr eintönigen Kompositionsweise. Da die Uferlandschaft vorwiegend in dunkelbraune Schatten gehüllt ist, bekommt man von den Landtieren nur wenig zu sehen – ausgenommen vom weißen Kopf des in der rechten oberen Bildecke platzierten, gemäß seines sagenhaften Wesens wie in den Lüften dahingaloppierenden Einhorns. Zu Recht bezeichnet Krischel den Sündenfall als das „gelungenste Bild der Serie“.203 Abgesehen von diesem Qualitätsaspekt markiert das Gemälde im Schaffen des Künstlers in mehrfacher Hinsicht einen bedeutsamen, zum Teil weit in die Zukunft weisenden Entwicklungsschritt. Dies manifestiert sich einerseits in einem gegenüber der Figurenkomposition erstmals gleichwertigen Rang der Landschaft, andererseits in einer Vorrangstellung des Lichts. Letzteres zeigt sich vor allem in der laut Hetzer bereits der Monochromie angenäherten Landschaft, deren Laubmassen, so Coletti, einen grünlich-bronzenen, von Goldreflexen übersäten Valeurismus aufweisen. Schon Thode hat den „Stimmungsausdruck“ der Landschaft gewürdigt: „[…] hierin ein Erbe Giorgiones und Tizians. Nur dass [Tintorettos] dramatischer Geist dieselbe Kraft, welche er dem Ausdruck der menschlichen Seelenvorgänge dienstbar machte: das Licht als bestimmenden Faktor der Naturerscheinung erkennt, in dem Lichte gleichsam der Weltseele selbst Ausdruck verleiht. Auch die Landschaft wird so, wie der menschliche Leib, zur Bewegung, deren plasti-

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50 Tintoretto, Der Sündenfall, Öl auf Leinwand, 150 x 220 cm, Venedig, Accademia

sche Verdeutlichung […] sich in den vom Wind bewegten Bäumen [offenbart]! Kein herrlicheres Zeugnis für diese Harmonie zwischen Mensch und Natur, als jene Paradiesdarstellung in der Akademie!“ Diesen Beobachtungen entspricht jener Begriff des „Sympathetischen“, den Pochat – in der venezianischen Malerei beginnend mit Giovanni Bellini – Landschaften dieser Art zugedacht hat. Beispielhaft dafür ist in Tintorettos Gemälde allein schon jene Düsternis der Landschaft, die das für das Schicksal der Menschheit entscheidende Ereignis der Erbsünde reflektiert.204 Ferner setzt sich Tintoretto hier erstmalig mit dem Thema des weiblichen Aktes auseinander, beweisend, dass er mittlerweile nicht nur über die vor allem durch Michelangelo angeregte Fähigkeit zur plastisch formvollendeten Durchgestaltung eines muskulösen, sehnigen Männerkörpers verfügt, sondern auch die Darstellung „weiblicher Weichheit und Zartheit perfekt beherrscht“ (Krischel). Dazu ein Kommentar Hetzers: „Obwohl Tintorettos Eva an keine der großen ignude Tizians [z.B. an dessen Venus von Urbino; 1538] erinnert, kann man doch sagen, dass sie ohne die große Offenbarung Tizians so nicht gemalt worden wäre. […] Trotzdem besteht zwischen den nackten Frauen Tizians und denen Tintorettos ein tiefgreifender Unterschied. […] Im Nackten sieht Tintoretto vor allem das Verführerische.“205 Mehr noch als Eva im Sündenfall bezeugen dies andere, etwa gleichzeitig oder bald danach entstandene Frauenakte, die eine weit über Tizian hinausgehende Erotik ausstrahlen. In chronologischer Reihenfolge: zunächst die Venus in Venus, Mars und Vulkan (um 1551/52 oder um 1555; München, Alte Pinakothek), dann die Leda in Leda und der Schwan (um 1551/55; Florenz, Palazzo Vecchio) sowie die Josef verführende Frau des Potiphar (um 1555; Madrid, Prado) und nicht zuletzt die Susanna in Susanna und die beiden Alten (1555/56; Wien, Kunsthistorisches Museum). Eva – halb sitzend, halb liegend – auf einem niedrigen gemauerten Sockel postiert, fesselt den Beschauer sowohl durch ihre bildzentrale Stellung als auch durch

51 Tintoretto, Josef und die Frau des Potiphar, Öl auf Leinwand, 54 x 117 cm, Madrid, Prado

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ihr wie von innen heraus leuchtendes, in einem Elfenbeinton gehaltenes und nur geringfügig schattiertes Inkarnat; hinzu kommt ihr in sanft schmeichelnden Wellen verlaufender Körperumriss. Gänzlich vom Licht erfasst, ist sie frontal wiedergegeben – nur der Oberkörper vollzieht eine leichte Drehung. Sie wird von dichtem Laubwerk hinterfangen, dessen innerer Bereich eine tief verschattete, an eine Aura erinnernde Nische bildet, vor deren dunkel kontrastierendem Grund ihr Inkarnat noch zusätzlich an Leuchtkraft gewinnt. Die schräge Haltung der Verführerin entspricht erst dann einer Diagonalen, wenn man dafür den Baum der Erkenntnis als Anhaltspunkt nimmt. Dieser unterteilt das Gemälde nach dem Proportionsgesetz des Goldenen Schnitts und trennt Adam vom größeren, Eva vorbehaltenen, etwa zwei Drittel der Bildfläche umfassenden Bereich, auf den die erwähnte Diagonale Bezug nimmt. Eva umfängt den Baumstamm mit ihrer Rechten, während sie mit der verkürzt vorgestreckten Linken Adam den Apfel reicht. Am oberen Bildrand erscheint die monströse Fratze der Schlange, die in ihrem Maul einen zweiten, der Verführerin zugedachten Apfel bereithält. Auf einem niedrigeren Steinpodest sitzend und gegenüber Eva um einen Schritt in den Vordergrund gerückt, ist Adam als Widerpart zu Eva in Rückenansicht wiedergegeben. Trotz seines aufgerichteten Oberkörpers und mehrfach geknickten Umrisses besteht zu seiner Gefährtin insofern eine Korrespondenz, als sich deren Diagonalstellung an ihm wiederholt. Tiefe Schatten lagern auf seinem rechten Oberarm und Oberschenkel, gleichsam seine schwankende Haltung gegenüber der Verführung symbolisierend. Vollends ist sein Haupt mit verlorenem Profil in das homogene Dunkel des Hintergrunds getaucht, mit dem das vom Licht getroffene Inkarnat seines muskulös durchgebildeten Oberkörpers heftig kontrastiert. Adams Gewissenskonflikt offenbart sich hauptsächlich in dessen abgewinkelter, auf sich selbst verweisender Armhaltung, einem Gestus, in dem Zögern und Unsicherheit zum Ausdruck gelangen. Wiewohl in abgeschwächter Weise macht sich auch bei Eva eine ähnliche Gefühlslage bemerkbar. Anstatt den Blick auf Adam zu richten, fasst sie den Apfel, gleichsam Unheil ahnend, geradezu meditativ ins Auge. – Im Übrigen wird bezüglich der Haltung Adams einmal mehr deutlich, dass Tintoretto – vermittelt durch Zeichnungen oder Stiche – nicht selten Studien nach antiken oder danach erstellten Kopien betrieben hat. Zutreffend verweist hier Joannides auf die Rückenansicht der Marmorskulptur des Sterbenden Galliers (Rom, Musei Capitolini), die in der Tat verblüffende Ähnlichkeiten mit jener Adams aufweist.206 Es ist verständlich, wenn Hetzer als einer der bedeutendsten Repräsentanten der Tizian-Forschung anlässlich seiner Analysen von Werken Tintorettos Tizian zum Maßstab nimmt. Dies gilt auch für den Sündenfall, dessen Komposition der Autor wie folgt erläutert: „Selten ist die betonte reine Diagonalkomposition. […] Anordnungen von so einfachem kräftigem Klang, wie sie Tizians geradliniger Natur entsprechen, liegen nicht in Tintorettos Art; Tintoretto gibt im Allgemeinen einer Kombination von Kurven und Geraden den Vorzug und meidet die reine Diagonale als zu pathetisch und stoßkräftig. Der Reiz seiner Schrägen besteht vielmehr darin, dass sie verunklärt sind und sich nicht der einfachen Planimetrie der Fläche glatt einfügen.“207 Demgemäß werden die flächenspezifischen Diagonalen Adams

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und Evas – an sich schon räumlich abgestuft und durch Licht-Schatten-Kontraste voneinander abgesondert – von einer Raumdiagonalen überkreuzt, die von Adams Arm- und Schulterlinie in gekurvtem Verlauf im linken Arm Evas ihre Fortsetzung findet und schließlich in den arkadischen Landschaftsausschnitt rechts oben mündet. Dort flüchten zwischen zwei Bodenwellen in miniaturistischer Wiedergabe Adam und Eva, bereits in die Zeitzone nach dem Sündenfall versetzt. Hinter ihnen der sie aus dem Paradies vertreibende Erzengel, der mit seiner flammengleichen Goldaura die Düsternis des Landschaftshintergrunds durchbricht. Der ambivalenten Diagonalstruktur im Sündenfall antwortet Tintoretto im Gemälde Kain und Abel – gemäß dem dramatischen Anlass der Szene – mit einer kompositionell radikalen Antithese. Emmrich zufolge „wandelt sich die ruhige Harmonie der Konfiguration Adams und Evas bei den Söhnen zu einer ornamentalen Verschlingung der Körper, zu energischen Kurvaturen und harten Parallelen“.208 Wie im Sündenfall spielt auch hier die Landschaft eine gravierende, Empathie evozierende Rolle – nunmehr allerdings fast völlig in Dunkel gehüllt, mit dem die Helligkeit des Ausblicks auf eine mit flüchtigem Pinselduktus gemalte Seelandschaft kontrastiert. Nach der Zurückweisung seines Opfers durch Jahwe bricht Kain, einem Geier mit ausgebreiteten Schwingen und spitzem Schnabel gleich, aus dem tiefen Schatten des ihn umschließenden Vegetationsdickichts hervor, um Abel zu töten. Allein die Schulter- und Armmuskulatur des Mörders werden – gleichsam als Quell der Gewalt – vom Licht erfasst; die Beine und der perspektivisch verkürzt hochschnellende Rumpf hingegen versinken fast vollständig im Dunkel. Kain umklammert mit seiner blutüberströmten linken Hand den Hals seines vom Opferaltarblock niederstürzenden Bruders, während er mit der Rechten – den „fruchtbaren Moment“ des Augenblicks markierend – zum tödlichen Dolchstoß ausholt. Mit

Tintoretto, Kain und Abel, Öl auf Leinwand, 149 x 196 cm, Venedig, Accademia

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53 Andrea Schiavone, Samson tötet einen Philister, Öl auf Leinwand, 216 x 188 cm, Florenz, Palazzo Pitti

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dem rechten abgewinkelten Arm auf einen Stein gestützt versucht Abel mit der durchgestreckten Linken vergeblich am Baumstamm Halt zu finden. Im Gegensatz zur extrem manieristisch geprägten, dynamisch torsierenden Haltung des Mörders ist Abel weitgehend in Rückenansicht wiedergegeben, wobei sein Inkarnat zur Gänze dem Licht ausgesetzt ist, vergleichbar mit jenem Evas im Sündenfall, nur in den fahlen Farbton leichenhafter Blässe transformiert. – Die vielfach parallel angeordneten Extremitäten der Protagonisten erinnern als zentrifugale Kräfte an die Speichen eines rotierenden Rades und schließen sich bei induktiver Wahrnehmung zur Umrissform eines Kreises mit dem Kopf Abels als Mittelpunkt. Der Umstand schließlich, dass lediglich Abels rechte Hand sichtbare Bodenhaftung erkennen lässt, verleiht der Komposition – das Gravitationsgesetz optisch außer Kraft setzend – den Eindruck eines Schwebezustands. Häufig findet sich in der Literatur – so auch bei Pallucchini und Krischel – der Hinweis, Tintoretto sei bezüglich des Kain und Abel-Bildes durch Tizians gleichnamiges, Ende der 40er-Jahre für Santo Spirito in Isola geschaffenes und später in die Sakristei von Santa Maria della Salute transferiertes Gemälde angeregt worden. Die Nähe zu Tizian beschränkt sich indes auf die Haltung Abels, die Jacopo weitgehend übernommen hat, allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass er Abels rechtes Bein nicht wie Tizian perspektivisch verkürzt in den Raum stoßen lässt, sondern bildparallel flächig hochklappt, um so der bereits erwähnten Kompositionsidee des rotierenden Rades Rechnung zu tragen. Von solchen Strukturgedanken ist Tizian, mit seinem sotto in sù auch dem Gesetz der Schwerkraft folgend, weit entfernt, wenn er sein Gemälde mit klaren Stoßrichtungen auf der Grundlage zweier einander überkreuzender Diagonalen (einer von Kain ausgehenden Flächendiagonalen und einer Abel zugedachten Raumdiagonalen) konzipiert.209 So gesehen ist evident, das Tintorettos Komposition weit stärker als jene Tizians den von der Naturwirklichkeit abgehobenen Vorstellungen (beispielsweise in Hinblick auf die Suspendierung der Gravitationsgesetzlichkeit) des Manierismus verpflichtet ist. Zu ergänzen wäre noch, dass Tizian hier nicht ganz aus dem eigenen Ingenium schöpfte, sein Kain und Abel-Deckenbild vielmehr in Andrea Schiavones um etwa ein halbes Jahrzehnt früher entstandenem Gemälde Samson tötet einen Philister (um 1543/45; Florenz, Palazzo Pitti) sowohl in innovativer als auch stilistischer Hinsicht seine genetische Wurzel hat. Froelich-Bum hat angenommen, dass Schiavone an Tizians Konzept sogar direkt beteiligt war. Stellt man Jacopos Kain und Abel-Version Schiavones Gemälde vergleichend gegenüber, so lässt sich hier eine deutlich größere Affinität zu Schiavone als zu Tizian ausmachen. Dies manifestiert sich auch in der Gestalt Kains, deren Haltung mit jener Samsons fast wörtlich übereinstimmt, nur mit der Einschränkung, dass Tintoretto Schiavones eher aufgerichtete Figur in eine gebückt kurvierte transformiert hat, eben darin dem Wunsch nach einer kreisenden Konfiguration entsprechend.210 Gemessen an seinem umfangreichen Sakralwerk hat sich Tintoretto mit mythologischen Themen eher selten auseinandergesetzt. Dabei spielt das Gemälde Vulkan überrascht Venus und Mars (München, Alte Pinakothek) eine herausragende Rolle, nicht zuletzt wegen seiner geradezu exzessiven Laszivität, mit der der Künst-

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ler gewiss spezifischen Auflagen eines an erotischen Abenteuern interessierten privaten Auftraggebers entsprochen hat. Mit den literarischen Quellen, in denen von Venus’ Ehebruch berichtet wird (in Homers achtem Gesang der „Odyssee“ oder in Ovids „Metamorphosen“, IV, 167–189), pflegt Jacopo einen freien Umgang. Er zeigt nicht etwa die berühmte Szene, in der der betrogene Vulkan das Liebespaar Venus und Mars im Netz fängt und festhält, sondern den Versuch Vulkans, das Paar zu überraschen: „Unerwartet ist Vulkan in das Gemach gedrungen, in dem sich das Paar unbelauscht wähnte. Mars konnte in letzter Minute unter einen Tisch kriechen, dessen herabhängende Decke ihn nur ungenügend verbirgt, während Venus sich eine peinliche Untersuchung durch den argwöhnischen Gatten gefallen lassen muss.“211 Hinsichtlich der Datierungsproblematik herrscht Uneinigkeit, besonders seitens der älteren Forschung, innerhalb derer eine Zeitdifferenz von mehr als drei Jahrzehnten besteht. Während Hadeln und Von der Bercken das Gemälde mit dem Datierungsvorschlag „1545–47“ als Frühwerk Tintorettos betrachten, plädieren Pittaluga und Barbantini aus unerfindlichen Gründen für ca. 1580, wobei Pittaluga (meines Wissens ein Einzelfall in der Literatur) eine Beteiligung von Schülern vermutet. In der neueren Forschung hat sich eine Mehrheit für Pallucchinis Datierung

54 Tintoretto, Vulkan überrascht Venus und Mars, Öl auf Leinwand, 135 x 198 cm, München, Alte Pinakothek

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(um 1551/52) eingesetzt, allerdings mit der Meinung Tietzes und jener der in der Alten Pinakothek tätigen Fachleute kollidierend, die mit um 1555 eine diskussionswürdige Gegenthese vertreten.212 Für diese bietet die Darstellung der Venus einen wichtigen Anhaltspunkt, zumal Jacopo hier einem schlanken Frauenideal huldigt (man beachte nur den Unterschied zur fülligeren, bald danach entstanden Susanna im Wiener Kunsthistorischen Museum), dem man unter anderem auch in seinen etwa zeitgleich gemalten, bereits im Zusammenhang mit der Eva im Sündenfall erwähnten Bildern Leda und der Schwan sowie Josef und die Frau des Potiphar begegnet. Möglicherweise hatte Tintoretto Kenntnis von Tizians Perseus und Andromeda (London, Wallace Collection), einer der für König Philipp II. von Spanien um 1554/56 geschaffenen poesie. In der Tat besteht zwischen der ebenso graziösen wie feingliedrigen Erscheinung der Andromeda und Jacopos Venus eine bemerkenswerte Affinität, vor allem bezüglich der übereinstimmenden Armhaltung, woraus man auf die Richtigkeit von Tietzes und Kultzens zeitlicher Einordnung des Münchner Gemäldes schließen könnte.213 Zur Gänze dem Licht ausgesetzt präsentiert sich Venus, bildparallel angeordnet, in einer teils liegenden, teils leicht aufgerichteten Haltung, die der flächenspezifischen Bilddiagonalen angenähert ist. Während sie sich mit ihrer abgewinkelten Rechten auf einen Polster stützt, zieht sie mit dem angehobenen linken Arm einen durchsichtigen Schleier zur Seite, in ihrer Nacktheit sich willfährig dem Blick Vulkans preisgebend. Die dunkelgraue, mit heftigen Lichtreflexen besetzte und zahllosen Knitterfalten zerwühlte Bettdecke sowie das strahlend weiße, in schwungvollem Bogen drapierte und zwischen die gespreizten Beine der göttlichen Verführerin geklemmte Leintuch gibt Zeugnis von der leidenschaftlichen Begegnung mit Mars, der sich unter einem Tisch versteckt hält, wiewohl er einen besorgten Blick auf den zu Füßen des Betts platzierten Hund riskiert, dessen wütendes Gebell ihn unweigerlich verraten wird. Alarmiert von den merkwürdigen Geräuschen im Schlafzimmer, hat der Gott des Feuers seine benachbarte Schmiede-Werkstatt verlassen und nähert sich im Laufschritt der Liegestatt seiner jugendlichen Gemahlin. In vorgeneigter Haltung das Knie auf dem Bettrand gestützt ist er im Begriff, die Liebesgöttin vollends entblößend, einen schmalen Tuchstreifen wegzuziehen, um, wie schon angedeutet, nach verdächtigen Spuren des Ehebruchs fahndend, mit geradezu gynäkologischem Interesse deren Scham in Augenschein zu nehmen, womit Tintoretto der frivolen Szene den Anstrich einer „deftigen Burleske“ (Posse) verleiht und einmal mehr seinen Hang zum „Witz und zur Ironie“ (Hetzer) bekundet. Letzteres manifestiert sich auch an der verräterischen Hündin, die ihr Hinterteil, anscheinend empfangsbereit, in die Höhe reckt.214 Wie von den Bemühungen seiner Liebesanbahnung erschöpft schlummert Amor, einen Pfeil im Arm, in einem Bettchen, dessen Schrägstellung parallel zur Seitenwand sowie zu Vulkans Stoßrichtung verläuft und gemeinsam mit den sonstigen Fluchtlinien – vor allem bezüglich des perspektivisch verfliesten Paviments – einen wichtigen Beitrag zur tiefenräumlichen Erschließung des ausschnitthaft wiedergegebenen Schlafgemachs leistet. Daraus resultiert kompositionell eine Raumdiagonale, die, Spannung erzeugend, hart an die Flächendiagonale der Venus stößt.

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55 Tintoretto, Venus und Vulkan, schwarze Kreide und Federzeichnung, 202 x 272 mm, Berlin, Staatliches Museum, Kupferstichkabinett

Aufmerksamkeit erregt ferner der Rundspiegel im Hintergrund, der die Rückenansicht Vulkans reflektiert. Da der Spiegel zum Teil vom Doppelfenster der Rückwand hinterfangen wird, entsteht der Eindruck, als würde sich dieser im Schwebezustand befinden. Offensichtlich hat hier Tintoretto unmittelbar auf Paolo Pinos „Dialogo di Pittura“ (1548) reagiert, in dem der Autor unter anderem den sogenannten „Paragone“-Streit diskutiert. Danach gebühre der Malerei gegenüber der Skulptur der Vorrang, zumal nur diese in der Lage sei, eine Gestalt in mindestens zwei gegensätzlichen Ansichten simultan zur Darstellung zu bringen.215 Erhalten geblieben ist eine Kompositionsstudie (schwarze Kreide, Federzeichnung, laviert und weiß gehöht; Berlin, Staatliche Museen, Kupferstichkabinett) – als ganzheitlicher Entwurf für ein Gemälde ein Einzelfall in Tintorettos Zeichnungsœuvre.216 Zunächst gibt der Künstler einen Einblick in seine graphische Arbeitsweise, in der – zwecks Klärung der Licht-Schatten-Verteilung – das Malerische über das Lineare dominiert. Zudem beschränkt er sich auf das strukturell Wesentliche, indem er Amor, den Kopf des Mars und den kläffenden Hund beiseite lässt. Ein besonderes Anliegen ist ihm die perspektivische Strukturierung des komplizierten, nur durch zwei Wände begrenzten Raums. Dazu dient ihm ein stringentes Fluchtliniensystem, das an der seitlichen Fenstersohlbank, am Mobiliar und am quadratisch verfliesten Paviment seinen Niederschlag findet und im rechts oben situierten Fluchtpunkt konvergiert. Auch Krischel ist nicht entgangen, dass Jacopo mit der Perspektive einen eher lockeren Umgang pflegte. Dies zeigt sich vor allem an den seltsam verzerrt schräg abfallenden Querfugen der Fliesen, die dem Boden einen „abschüssigen Charakter verleihen, der für die bedrohliche Szene sehr passend erscheint“.217 Anscheinend um dieses Problem zu entschärfen, hat der Künstler das ursprünglich breitere Format – wie die vertikale, wohl erst nachträglich eingetragene Hilfslinie verdeutlicht – an der rechten Begrenzung um einige Zentimeter reduziert und damit vorerst auf die im fertigen Gemälde wie-

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der aufgegriffene Türöffnung zur Werkstatt Vulkans verzichtet. Zudem wurden die schrägen Querfugen des Paviments im Gemälde horizontal korrigiert. Bald nach dem Münchner Gemälde (sofern dessen Datierung mit 1555 durch Kultzen und Eikemeier zutrifft) befasste sich Tintoretto in Susanna und die beiden Alten (1555–1556; Wien, Kunsthistorisches Museum) abermals mit dem Thema des Frauenakts, nunmehr aber, im Gegensatz zur schlanken Venus, einem üppigeren Schönheitsideal huldigend.218 Das Bild ist mit jenem identisch, das Ridolfi im Haus des Niccolò Renieri besichtigt und beschrieben hat. Da es häufig von flämischen Künstlern kopiert wurde, kommt für Krischel als Auftraggeber ein in Venedig ansässiger flämischer Kaufmann wie etwa Daniel d’Anna (= van Hanen) infrage, der sich „namentlich mit dem Ehrenretter [dem Propheten Daniel] Susannas identifizieren konnte“.219 Der ausgeprägte Kunstsinn der Kaufmannsfamilie manifestierte sich schon früher in Giovanni d’ Anna, in dessen Auftrag Tizian 1543 das monumentale Ecce homo-Gemälde (Wien, Kunsthistorisches Museum) schuf.220 Die Geschichte der Susanna – Gemahlin eines vornehmen Babyloniers namens Jojakim – ist in den Apokryphen des Alten Testaments (Daniel 13,1–64) überliefert: Susanna – wegen ihrer Schönheit und Gottesfürchtigkeit gerühmt – wird von

zwei jüdischen, das Richteramt bekleidenden Ältesten beim Baden belauscht. Als sie deren unsittliches Ansinnen zurückweist, wird sie von diesen des angeblichen Ehebruchs angeklagt und zum Tod verurteilt. Erst die Intervention des Propheten Daniel, der die beiden Ältesten der Verleumdung bezichtigt, erfolgreich überführt und nun seinerseits über diese die Todesstrafe verhängt, führt zu Susannas Rehabilitierung.221 Tintoretto hat sich mit dem Susanna-Thema auffallend häufig auseinandergesetzt. Ridolfi (1648) spricht von insgesamt 16 Bildern, von denen meines Wissens nur vier erhalten geblieben sind. Darunter jenes um 1550 entstandene und im Louvre aufbewahrte Gemälde,222 dem gegenüber der Wiener Version – trotz merklich bescheidenerer Qualität – eine gewisse Vorläuferrolle zuzubilligen ist. Wie dort ist Susanna im Vordergrund platziert, allerdings in strenger Profilansicht und steifer Pose wiedergegeben. Zwei Dienerinnen sind ihr bei der Toilette nach dem Bade behilflich. Wegweisend ist lediglich die dunkle, dicht gestaffelte Baumreihe, deren Tiefengefälle später in Form einer perspektivisch fluchtenden Rosenhecke wiederkehrt. Im Wiener Gemälde spielt die Szene in einer kultivierten Parklandschaft, einem Garten Eden gleich den Eindruck einer Idylle vermittelnd. Dem Betrachter zum Greifen nahe gerückt und die rechte Bildhälfte beherrschend, sitzt Susanna, von abendlichem Licht umschmeichelt, am Rand eines Bassins, den linken Unterschenkel ins dunkle, gleichwohl durchsichtige Gewässer getaucht. Das rechte Bein, das sie mit ihrem verschattet weißen Unterkleid trocknet, zieht sie abgewinkelt an ihren leicht vorgeneigten und vom linken Arm überkreuzten Körper. Der in großem Bogen und sanften Wellen verlaufende Rückenumriss hebt sich scharf vom tiefen Dunkel eines vegetabilen Grunds ab, aus dem zwei schräge Baumstämme emporragen. Offensichtlich stand hier Tintoretto unter dem Einfluss von Giorgiones Tempesta (ca. 1506/08; Venedig, Accademia), in der die Sitzhaltung der ihr Kind stillenden Frau weitgehend mit jener Susannas übereinstimmt. Eine bemerkenswerte Affinität besteht vor allem bezüglich der gespreizt abgewinkelten Beinstellung, die Jacopo fast wörtlich übernommen hat.223 Susannas blondes, kunstvoll geflochtenes Haar wird von goldschimmernden Lichtern umspielt. Coletti zufolge „verlieren die Bezeichnungen von Hell und Dunkel jede plastische Bedeutung, die Farbenskala durchtränkt in leichter Zartheit die Formen und scheint jedes Gewicht einer Materie aufzuheben. Weder Manet noch Renoir ist es gelungen, vollkommener einen Körper vom Lichte eines plain air zu umgeben, um ihn zu durchdringen und zu beleben“; ein „fantastisches Flimmern“ scheint Susannas rosig elfenbeinernem Inkarnat fast schon einen Anhauch von Transzendenz zu verleihen.224 Ihren Blick richtet Susanna, wie in Selbstbewunderung vertieft, auf den an die Rosenhecke gelehnten Spiegel. Davor lagert auf dunkelgrünem Wiesengrund ein veritables vanitas-Stillleben, bestehend aus einem Kamm, goldenen Ringen, einer Haarnadel und blinkenden Perlenkette sowie einem gläsernen Salbgefäß, alles in silbrigem Glanz funkelnde Utensilien, die, mit dem Dunkelgrund kontrastierend, vom Licht akzentuiert werden. Zudem trägt Susanna ihre goldenen, mit Rubinen und Perlen besetzten Armbänder ostentativ zur Schau. Gibt hier Tintoretto ein typisches Beispiel für die gefährdete Unschuld einer „Gottesfürchtigen“, oder hatte

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57 Tintoretto, Susanna und die beiden Alten, Öl auf Leinwand, 167 x 238 cm, Paris, Louvre

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er – willfährig dem Wunsch des Auftraggebers Rechnung tragend – eher an die Wiedergabe einer vom Luxus verwöhnten Kurtisane gedacht? Letzteres hält Krischel für möglich, zumal das Salbgefäß – gleichsam als Legitimation einer Doppeldeutung – an die neutestamentarische, ursprünglich das Gewerbe der Prostitution betreibende Maria Magdalena erinnert.225 Einem giftigen Reptil gleich kriecht der von der linken Bildecke angeschnittene Alte entlang der Hecke in den Vordergrund, um einen Blick auf das Objekt seiner Begierde zu erhaschen. Mit dem feurigen Rot seines Gewandes, dem einzigen gesättigten Buntfarbwert im Bild, sowie der in Draufsicht wiedergegebenen, von einem Lichtreflex akzentuierten Glatze erregt er ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Da er, hart an den vorderen Bildrand stoßend, als Einstiegs- beziehungsweise Identifikationsfigur fungiert, könnte es sich auch um eine Anspielung auf eine voyeuristische Neigung des Auftraggebers handeln. – Mit der bildflächenparallel konzipierten Susanna kontrastiert die perspektivisch extrem verkürzte, ebenso dunkle wie kompakte Heckenwand, an deren Ende der zweite Alte gleichsam um die Ecke späht. Die einem manieristischen Kunstgriff entsprechende, radikal fluchtende Hecke dient der Erschließung der Tiefenräumlichkeit, die sich in einer Reihe gestaffelter weißer Birkenstämme und einer bogenförmigen Pergola fortsetzt, die den Blick auf einen bläulich getönten Waldhintergrund freigibt. Darin manifestiert sich ein manieristisches Charakteristikum, das die materielle Geschlossenheit eines der Fläche verpflichteten Bildträgers zugunsten eines illusionistisch nahezu grenzenlosen Tiefenzugs außer Kraft zu setzen scheint. Wie in Susanna und die beiden Alten ist die Darstellung des weiblichen Akts auch in der Befreiung der Arsinoë (Dresden, Gemäldegalerie, Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen) das zentrale Thema, nunmehr in gleich doppelter Ausführung. Die später von Herzog präzisierte Deutung der Szene ist Wickhoff zu verdanken. Dieser hat nachgewiesen, dass dem Sujet eine bei den Italienern besonders beliebte, im Stil der mittelalterlichen Ritterromane verfasste französische Umarbeitung beziehungsweise freie Ergänzung einer Geschichte aus N. Annaeus Lukans „Pharsalia“ zugrunde liegt.226 Zur Arsinoë-Episode eine von Emmrich kurz gefasste Inhaltsangabe: „Die Szene basiert auf dem unvollendeten Epos über den Kampf zwischen Cäsar und Pompejus in der Nähe der Stadt Pharsalos in Thessalien. Arsinoë, die Schwester Kleopatras und des verstorbenen Ägypterkönigs Ptolemäus, wurde von Cäsar in einem Turm am Meer [auf der Insel Pharos] gefangen gehalten. Ritter Ganymedes befreite die Prinzessin, um später als deren Gemahl auf den Thron von Ägypten Anspruch erheben zu können.“227 Hinsichtlich der Datierung des Dresdner Gemäldes herrschte lange Zeit Uneinigkeit (schwankend zwischen 1550 und 1570), ehe sich Pallucchinis Vorschlag (1555/56) – im Rückgriff auf Wilde, der für Mitte des 16. Jahrhunderts eintrat – angesichts der Nähe zur Wiener Susanna durchsetzte.228 Tintoretto verlegt den Schauplatz aus Alexandria in die Lagune. Dem entsprechend handelt es sich beim Rettungsboot um eine venezianische Gondel, die der gebückte Steuermann mit langer Ruderstange in einem waghalsigen Manöver an den Turm heranführt. Die bedenklich schwankende Gondel erstreckt sich kompo-

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sitionsbestimmend über die gesamte Bilddiagonale. Während ihr Heck aus dem wild bewegten Meer emportaucht, droht der Bug unter der ungleich verteilten Last in den Fluten zu versinken. Damit ist auch das zentrale Strukturproblem der Bildkomposition angesprochen: die Gefährdung des Gleichgewichts, ein Thema, das im Manierismus generell eine entscheidende Rolle spielt. Zur Stabilisierung des auf und ab schaukelnden Boots leistet der ausschnitthaft dargestellte, aus dunkelbraunen Diamantbossen zusammengesetzte Turm, dessen rechte, annähernd mit der Bildachse übereinstimmende Begrenzung genau auf die Mitte der Gondel stößt, einen wichtigen Beitrag. Wie das tiefe Dunkel des Gemäuers mit der Helligkeit der grüntürkisen Lagune kontrastiert, trennt das Boot die aufgepeitschten Wogen in einen Licht- und Schattenbereich. Arsinoë ist im Begriff, sich von der Strickleiter zu lösen, um die rettende Barke in elastisch schwingender Bewegung zu betreten. Ganymedes – ihrer bogenförmigen Haltung stringent angepasst – empfängt sie in inniger Umarmung. Das kalte Metall seiner schwarzen, von nur wenigen Reflexlichtern gestreiften Rüstung kontrastiert mit ihrem hellen, warm durchbluteten Inkarnat. „Beiden Gestalten gemein sind aufeinander gestimmte Bewegungen von tänzerischer Grazie“, schreibt Emmrich. Hinzu kommt als erotisches Moment die schwere Eisenkette, die sich einer Schlange gleich, zu Arsinoës Scham emporwindet und deren linken Oberschenkel umschlungen hält. Wie eine Röntgenaufnahme zeigt, hätte das linke Bein des Ritters ursprünglich viel weiter rechts an der Stelle des Schwertgriffs verlaufen sollen, was der Gestalt eine merklich größere Standfestigkeit beschert hätte. Durch die vorgenommene Korrektur

58 Tintoretto, Die Befreiung der Arsinoë, Öl auf Leinwand, 153 x 251 cm, Dresden, Gemäldegalerie

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erscheint nun das Gleichgewicht des Gerüsteten labil, „die Unsicherheit des Stehens in dem schwankenden Kahn kommt stärker zum Ausdruck. Die Darstellung hat im Sinne manieristischer Gestaltungsprinzipien an Spannung gewonnen“.229 Besonderes Augenmerk gebührt Arsinoës Aktdarstellung, deren schlankes Schönheitsideal – im Gegensatz zur fülligeren Susanna im Wiener Gemälde – Tizians Andromeda deutlich nahesteht. Krischel zufolge handelt es sich hier um eine „wohlkalkulierte Antwort auf Tizians Perseus befreit Andromeda. Offenbar führte Tizian dieses Bild zumindest einem Kreis von Künstlern und Kennern vor, bevor er es 1556 an Philipp II. schickte.“230 – Die ebenfalls nackte Gefährtin der Prinzessin kauert – akzentuiert von der Turmbegrenzung – auf dem Bootsrand und schickt sich an, ihre Fußfessel zu lösen, wobei evident ist, dass ihre gebeugte Haltung (die Armstellung, das stark abgewinkelte Bein und die sanft gewellte Rückenkontur inbegriffen) jener der Wiener Susanna angeglichen ist, nur eben in Rückenansicht transformiert. Der rechte Umriss der Gefährtin bildet einen Gegenbogen zur Haltung Arsinoës und steht in Verbindung mit deren auf der Schulter Ganymedes’ ruhenden Arm. Daraus resultiert – die Kurve des linken Bootsabschnitts eingeschlossen – eine dem Oval angenäherte Strukturform, die dem linken Kompositionszentrum ein zusätzliches Anschauungsgewicht verleiht. Wie schon angedeutet spiegelt die Komposition den Kampf um das Gleichgewicht, ein Problem, dem Jacopo mit bildnerisch bestechender Logik in exemplarisch manieristischer Weise begegnet. Ursache für die labile Situation ist das den Bugbereich des Kahns überlastende Paar, dem sich verstärkend das visuelle Gewicht des Turms hinzugesellt. Zur Entschärfung des gestörten Gleichgewichts bringt Tintoretto dynamische Mittel zum Einsatz. Den Ausgangspunkt dafür bildet die nach rechts geneigte Prinzessin, deren bogenförmige Rückenkontur nahtlos in die Bugkurve der Gondel mündet und als „gute Fortsetzung“ in der beleuchteten Randlinie des diagonal ansteigenden Boots weitergeleitet wird. Daraus resultiert ein kraftvoll zielgerichteter Vektor, der in der rechten oberen Bildecke verankert ist. Ein weiteres Hochkippen des Kahns verhindert der knapp am oberen Bildrand verlaufende Horizont, der den gebückten Gondoliere tangiert und damit fixiert. Während die strukturell vom Oval umschlossene Rettungsszene bildzeitlich im Jetzt verharrt, weist die dynamische Stoßrichtung der diagonal gestellten Gondel in eine verheißungsvolle Zukunft. Wie schon in den Bildern der Scuola della Trinità spielt die Landschaft auch in Der Hl. Georg tötet den Drachen (London, National Gallery) eine mit dem Figuralen gleichwertige Rolle. Da das Gemälde vor allem durch seine delikate Farbgebung beziehungsweise einem „ungewöhnlich feinen und vollendeten Pinselstrich“ (Coletti) beeindruckt, erscheint es berechtigt, darin – wie beispielsweise in der Geburt Johannes des Täufers – ein „momento veronesiano“ zu registrieren.231 Angesichts seiner eher bescheidenen Maße (158x100cm) ist anzunehmen, dass das hochformatige, rundbogig schließende Bild für eine Privatkapelle gedacht war. Während Ridolfi „il signor Pietro Corraro Senatore“ als Besteller des Bildes nennt, handelt es sich laut Boschini um einen Auftrag der „casa Correr“. Ob hier ein Mitglied der Familie Cornaro oder eines aus dem Hause Correr gemeint ist, bleibt

59 Tintoretto, Der Hl. Georg tötet den Drachen, Öl auf Leinwand, 157,5 x 100,3 cm, London, National Gallery

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offen.232 Was die Qualität des Werks betrifft, spart Boschini nicht mit Lob: Danach sei der Künstler fähig, auch im Kleinen Vollkommenes zu schaffen, und zwar „un quadro che se puol dir una Miniadura del Tintoretto“.233 Goulds Spätdatierung („nicht vor 1560“) widerspricht allein schon das von Paolo Veronese zum Teil beeinflusste Kolorit. Von der Berckens mit „1548–1558“ viel zu lang bemessene Zeitspanne wurde von Pallucchini mit 1555–1558 zu Recht präzisiert.234 Die auf der „Legenda Aurea“ basierende Geschichte von Georgs Drachenkampf kurz erzählt: Ein Drache fordert von der libyschen Stadt Selene täglich ein auszulosendes Menschenopfer. Schließlich fällt das Los auf die Tochter des selenischen Königs. Wie durch ein Wunder erscheint der aus Kapadokien stammende Hl. Georg, um die Prinzessin vor dem gefräßigen Ungeheuer zu erretten. Bis dahin galt Vittore Carpaccios für die Scuola di San Giorgio degli Schiavoni gemalter Drachenkampf des Hl. Georg (ca. 1504/07) als bedeutendste Darstellung des Themas in der venezianischen Malerei.235 Gewiss sah Tintoretto darin eine besondere Herausforderung mit dem Ziel, Carpaccios streng bildflächenparallel angeordnete Szene zu verräumlichen beziehungsweise in eine stilistisch aktuelle Formensprache umzusetzen; hinzu kommt die Umwandlung von Carpaccios Querformat in ein für das Thema ungewöhnliches Hochformat. Pferd und Reiter betreffend, glaubt Krischel in Pietro da Salòs 1551/52 geschaffenem Fassadenrelief der Scuola degli Schiavoni die unmittelbare Vorlage für Jacopos Lösung entdeckt zu haben. Dagegen spricht, dass der Sansovino-Schüler hier kaum mehr als eine ziemlich genaue Kopie von Carpaccios reitendem Georg geliefert hat. Darüber hinaus weist er der Königstochter vorbildgemäß eine Nebenrolle zu.236 In Tintorettos Gemälde nimmt die Prinzessin, ganz in den Vordergrund gerückt, eine dominante Stellung ein, wogegen der auf einem Schimmel voranstürmende Hl. Georg erst im Mittelgrund platziert ist. Die Idee, die eigentliche Hauptfigur räumlich zurückzuversetzen, entspricht im Übrigen einem typisch manieristischen Wesenszug. Wie der unter einem hoch verlaufenden Horizont sich erstreckende Meeresspiegel und das in drei Bodenwellen unterteilte Ufergestade ist auch die wie aus dem Bild fliehende Prinzessin in Draufsicht wiedergegeben. Sie trägt ein dunkelblaues Kleid, an dem sich mit feinlinigem Pinselduktus aufgetragene Reflexlichter abzeichnen. Der hinter ihr ovalförmig aufflatternde Mantel, dessen zu Rosa aufgehelltes Karmin mit dem Dunkelgrün des Wiesengrundes im Vordergrund kontrastiert, verstärkt die Dynamik ihrer Fluchtbewegung. Trotz ihrer peripheren Position erhebt die Prinzessin – nicht zuletzt aufgrund ihres Blau-Rot-Akkords, der aus dem sonst eher monochromen Kolorit des Gemäldes hervorsticht – den Anspruch auf eine bildzentrale Stellung, die angesichts großer Distanz vom geometrischen Bildzentrum als manieristische Maßnahme anzusprechen ist. Auf einem abschüssigen grünoliven Wiesengrund lagert der nackte Leichnam eines jungen Mannes, dessen Haltung, sofern man sie sich im aufgerichteten Zustand vorstellt, an einen gekreuzigten Christus erinnern würde. Er ist einer jener Männer, die ihr Leben opferten, um die Stadt von der Tyrannei des Drachen zu befreien. Emmrich zufolge „bildet der Jüngling jenen Ruhepol, der wie der Achspunkt rotierender Flügel wirkt und [die in zwei gegensätzlichen Bewegungs-

abläufen gezeigten Figuren des Hl. Georg und der Prinzessin] zu einer Konfiguration verbindet“.237 Auf der steil abfallenden Bodenwelle und vor den silbrig weiß schäumenden Wogen der ins Land vordringenden Meeresbucht sprengt Georg heran, um in aggressiv vorgebeugter Haltung mit gefällter Lanze den Rachen des wild um sich schlagenden Untiers zu durchbohren. An seiner Kleidung wiederholt sich der Blau-Rot-Akkord der Königstochter, nunmehr aber – angesichts eines beträchtlichen, auch farbperspektivisch verdeutlichten Raumsprungs – in stark gedämpfter Weise abgewandelt. Was die Lanze anlangt, macht Krischel auf ein interessantes Detail aufmerksam: Anstatt die Waffe wie Carpaccio in voller Länge darzustellen, verbirgt sie Jacopo großteils auf der Rückseite des Schimmels. Erst vor der Stirn des gesenkten Pferdekopfs tritt die Lanze in Erscheinung, so dass der Eindruck entsteht, „nicht der Ritter, sondern sein Pferd stoße zu – und zwar als Einhorn“.238 Daraus resultieren mehrere Deutungsmöglichkeiten: Zum einen gilt das sagenhafte Tier als Christus-Symbol, zum anderen versinnbildlicht es Reinheit, Unschuld und Jungfräulichkeit, Charakteristika, die sich auf die Prinzessin beziehen lassen. Ferner symbolisiert es – auf den Vater der Prinzessin hindeutend – die königliche Rechtsprechung, da es die Schuldigen mit seinem Horn vernichtet.239 Die dunklen, im Vordergrund an der linken Bildkante aufschäumend an das Ufer schlagenden Wogen reflektieren die Farben des Festlands. Je weiter jedoch der Blick in die Tiefe des Bildraums dringt, desto mehr beruhigt sich das Meer, gewinnt an Helligkeit und wandelt sich unter dem Horizont in eine spiegelglatte, türkisfarbige Fläche. Auf einem hell bewölkten Firmament erstreckt sich eine bogenförmig durchhängende Wolkenaureole, innerhalb derer sich der in sanftem Gold leuchtende Himmel öffnet – im Mittelpunkt Gottvater, der mit Siegesgeste auf das Kampfgeschehen herabblickt. Den Abschluss der drei übereinander gestaffelten Bilder bildet die in die Tiefe fluchtende Stadt Selene, die, wie in einen grauen Nebelschleier gehüllt, mit dem Himmel sowie dem davor situierten, in verblassenden Grüntönen wiedergegebenen Waldstück in geradezu impressionistisch anmutender Weise zu verschmelzen scheint. Damit hat Tintoretto seine Fähigkeit bewiesen, Raumtiefe auch mit den Mitteln der Farb- und Luftperspektive zu erzielen. Nach dem sensationellen Erfolg des Sklavenwunders (1548) festigt sich auch Tintorettos Ruf als Bildnismaler. Mindestens drei Protagonisten des Gemäldes zeigen porträthafte Züge. Mit Sicherheit identifizierbar ist lediglich Tommaso Rangone, der, links zwischen den Säulen postiert, auf den Sklaven herabblickt. Nach und nach avanciert der Künstler zum offiziellen „Staatsmaler“ der Republik, zumal er bereits vor 1551 für die Amtssitze verschiedener Behörden und die Paläste der Prokuratoren Gemälde anfertigt, von denen jedoch viele verloren gegangen sind.240 Schon früher hatte er das Bildnis des Prokurators Nicolò Priuli (ca. 1548/49, Venedig, Galleria Franchetti) gemalt.241 Dieser entstammte einer bedeutenden Familie, aus der bald zwei aufeinanderfolgende Dogen hervorgehen sollten. Dokumentiert sind Aufträge für den Dogenpalast im Jahre 1553. Damals schuf Jacopo das Bildnis des Dogen Francesco Donato, und damit sein erstes Dogenporträt, das, ursprünglich in der Kunsthalle Bremen befindlich, während des zweiten Weltkriegs

1548–1558

60 Tintoretto, Bildnis des Prokurators Nicolò Priuli, Öl auf Leinwand, 125 x 105 cm, Venedig, Galleria Franchetti

1548–1558

61 Tintoretto, Bildnis des Dogen Francesco Donato (zerstört), einst Bremen, Kunsthalle

62 Tintoretto, Bildnis eines 28-jährigen Edelmanns, Öl auf Leinwand, 113 x 91 cm, Stuttgart, Staatsgalerie

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zerstört wurde.242 Lediglich ein Foto des Brustbilds gibt eine Vorstellung davon, welch großes Interesse Tintoretto dem Antlitz alter Männer – wie schon zuvor jenem Nicolò Priulis – entgegengebracht hat. Mit geradezu erbarmungslosem Realismus schildert er die zerfurchten Gesichtszüge des Dogen, der, so Rossi, „trotz der physischen Spuren des Alters noch eine ungebrochene Energie und Willensstärke an den Tag legt“.243 1554 malte Tizian das Bildnis des Dogen Francesco Venier (Madrid, Sammlung Thyssen-Bornemisza), womit er zugleich seinen letzten Beitrag als offizieller Maler der Serenissima leistete. In diesem Amt folgte ihm Tintoretto, der fortan auch als bevorzugter Porträtist der Dogen tätig war.244 Hinzu kommt, dass Tizian aufgrund seiner Kontakte mit zahlreichen Fürstenhöfen, somit eingeschränkter Präsenz in der Lagunenstadt die Porträtwünsche der venezianischen Gesellschaft nur bedingt zu erfüllen vermochte. Die daraus resultierende Marktlücke verstand Tintoretto, wie sein enormes Bildnis-Œuvre beweist, vorzüglich zu nutzen. Gewiss hatte er dem Porträtschaffen des „Malerfürsten“, besonders in seinen Anfängen, einiges zu verdanken. Indessen ließen seine stilemanzipa-

1548–1558

63 Tizian, Bildnis des Francesco Venier, Öl auf Leinwand, 113 x 91 cm, Madrid, Sammlung Thyssen-Bornemisza

torischen Bestrebungen nicht lange auf sich warten. Auf das Antlitz des jeweiligen Porträtierten konzentriert, zielt Jacopos Interesse in erster Linie auf dessen psychologische Durchdringung. Die Auffassungsunterschiede zwischen den beiden Künstlern sind erheblich. Während Tizian oft auch den Repräsentationswünschen seiner Auftraggeber Rechnung trug und nach „Objektivität im Sinne der Renaissance“ strebte, versuchte Tintoretto, so Rossi, „mit seinen Modellen eine Art Zwiegespräch zu führen und dabei den Betrachter miteinzubeziehen“.245 Das mit 1548 datierte, also etwa gleichzeitig mit dem Sklavenwunder entstandene Bildnis eines 28-jährigen Edelmanns (Stuttgart, Staatsgalerie) kann sich mit seinem hohen Qualitätsniveau durchaus mit jenem des für die Scuola di San Marco geschaffenen Gemäldes messen. Vom Schwarz des Mantels höchst wirksam abgehoben, besticht das vom Licht erfasste Antlitz des Adeligen durch seine blühende, vor Gesundheit strotzende Gesichtsfarbe. Das Haupt leicht gedreht richtet der Por­ trätierte seinen Blick – maßvollen Stolz ausstrahlend – auf den Betrachter. Auffallend ist der schüttere, mit flüchtigen, fast lasierenden Pinselstrichen aufgetragene Bartwuchs. Wie das Antlitz dem Licht ausgesetzt, indes nur grob ausgeführt, um-

Abb. 62, S. 110

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1548–1558

64 Tintoretto, Bildnis des Jacopo Soranzo, Öl auf Leinwand, 75 x 60 cm, Mailand, Castello Sforzesco, Pinacoteca

Abb. 63, S. 111

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fängt die linke Hand – dem Adelsstand gemäß – den Korb des Degens, während die Rechte auf der Kante des von einem orientalischen Teppich bedeckten Tisches ruht. Im Rücken des jungen Mannes hängt – dessen Würde unterstreichend – ein rotvioletter Vorhang, in dessen wild zerklüfteter, von grellen Lichtern akzentuierten und fast schon ornamental anmutenden Faltengebung sich eine skizzenhaft abstrahierende Malweise manifestiert. Der dem Porträttypus eines Kniestücks entsprechende Edelmann wird von einer grauvioletten, abgestuften Wand hinterfangen, die links ein Fenster begrenzt, das den Blick auf einen nahezu impressionistisch ausgeführten Himmels- und Landschaftsausblick freigibt. 246 – Tintoretto hat diesem Porträttypus 1578 in zwei weiteren Männerbildnissen (Washington, National Gallery und Besancon, Musée des Beaux Arts) entsprochen.247 Dass dieser Typus auch Tizian angeregt hat, beweist dessen bereits erwähntes Bildnis des Dogen Francesco Venier, das gleichfalls von einem expressiv drapierten Vorhang und einem ähnlich schmal proportionierten Fensterausschnitt begrenzt wird. Einen hochbetagten Re-

präsentanten mit dermaßen zerfurchten, beinahe die Knochenstruktur des Schädels freilegenden Gesichtszügen auszustatten, bleibt mit seinem realistischen Anspruch, den man bei Tintoretto in vielen Porträts alter Männer so häufig begegnet, in Tizians Bildnis-Œuvre eine Ausnahmeerscheinung. Pedrocco beschreibt den Dogen als „ausgezehrt und leidend, ein prunkvoller goldener Mantel auf seinen gebeugten Schultern lastend, aber deshalb nicht weniger stolz, aber mit scharfem, würdevollem Blick, im vollen Bewusstsein der Bedeutung seines Amtes“.248 Als Porträtmaler genoss Tintoretto die besondere Wertschätzung der „Procura­ toria de Supra“, die für die Besitzungen der Basilica di San Marco zuständig war. Laut von Hadeln soll er elf Prokuratoren porträtiert haben, wobei das Bildnis des Jacopo Soranzo (Mailand, Castello Sforzesco, Pinacoteca) einen besonders ausgeprägten Qualitätsanspruch erhebt.249 Soranzo wurde 1522 in das Amt eines Prokurators gewählt und starb 84-jährig am 12. November 1551. Sein Auftrag war komplexerer Natur als gewöhnlich und bildet im gesamten Porträtschaffen des Künstlers eine Ausnahme. Die Bestellung umfasste nämlich drei Gemälde: das Bildnis des hochbetagten Prokurators in der Mitte, flankiert von zwei extrem querformatigen Gruppenbildern mit jeweils sieben Mitgliedern der Familie Soranzo. Letzteren liegt, wie Rossi bemerkt, eine „eher steife, ‚höfische‘ Inszenierung“ zugrunde.250 Die Familienangehörigen sind sitzend, in gleichförmiger Haltung aneinandergereiht, ohne auch nur die geringste Spur kompositioneller Variabilität erkennen zu lassen. Offensichtlich hatte sich der Künstler hier speziellen Wünschen des Auftraggebers zu beugen. In Venedig gab es sonst nur einen Maler, Bernardino Licinio aus Bergamo, der (in den 20er- und 30er-Jahren des 16. Jahrhunderts) Gruppenbilder von Familien malte. Rossi zufolge „ist es daher durchaus möglich, dass Soranzo seine Gemälde kannte und so auf die Idee kam, Tintoretto den Auftrag zu einem Werk dieser Art zu erteilen“.251 Wie dem auch sei: für den Künstler eine insgesamt undankbare Aufgabe. Bedenkt man, welch großer Qualitätsunterschied zwischen dem zentralen, höchst ausdrucksvollen Porträt und den eintönigen Gruppenbildern besteht, so ist nicht auszuschließen, dass Letztere unter erheblicher Beteiligung von Werkstattgehilfen entstanden sind, eine Meinung, die auch Rossi teilt.

65 Tintoretto, Bildnis von sieben Mitgliedern der Familie Soranzo (linkes Bild), Öl auf Leinwand, 153 x 215 cm, Mailand, Castello Sforzesco 66 Tintoretto, Bildnis von sieben Mitgliedern der Familie Soranzo (rechtes Bild), Öl auf Leinwand, 153 x 215 cm, Mailand, Castello Sforzesco

Abb. 64, S. 112

Abb. 65, 66

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1548–1558 Abb. 67, S. 115

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Das Bildnis des Jacopo Soranzo galt lange Zeit als ein Werk Tizians, ehe Berenson aufgrund der Übereinstimmung des Mailänder Gemäldes mit dem gleichnamigen Porträt in der Accademia zu Venedig nachweisen konnte, dass beide Bilder von der Hand Tintorettos stammen. Da Soranzo jedes Mal so aussieht, als sei er mindestens 80 Jahre alt, nimmt der Autor an, dass die Ausführung beider Gemälde nicht lange vor dem Tod (12. November 1551) des Prokurators erfolgt sei.252 Pallucchini, Rossi und Pilo datieren das Mailänder Porträt mit 1550, nachdem frühere Autoren (Arslan, Barbantini und Tietze) 1551 vorgeschlagen hatten.253 Das dem Brustbild-Typus angehörende Mailänder Porträt zählt wohl zu den ergreifendsten Greisen-Darstellungen der venezianischen Malerei. Die Aufmerksamkeit des Betrachters ist gänzlich auf das von den Jahren tief gezeichnete Antlitz des 83-jährigen Prokurators fokussiert, wogegen das schwarze Barett und die extrem dunkelrotviolette Amtsrobe, deren Faltengebung nur von wenigen, abstrakt anmutenden Pinselhieben angedeutet wird, fast zur Gänze vom tiefen Dunkel des Hintergrunds absorbiert werden. Von diesem heben sich vor allem der silbrig weiße, in feinen Pinselstrichen gearbeitete Bart sowie das in gebündelter Form unter dem Barett hervorquellende Haar ab. Entscheidend für die zentrale Stellung des Hauptes ist die Idee, die schmale Hermelinbordüre in schrägem Verlauf bis zum gleichfarbigen Bartansatz emporzuführen, wobei sich die Schräge des Hermelinstreifens, ein kleines Intervall überspringend, einem zielbewussten Vektor gleich im stark profilierten Nasenrücken fortsetzt und schließlich in die markant gekerbte Stirnfalte mündet. Die tief in den Höhlen ruhenden, den Betrachter mit starrem Blick fixierenden Augen haben, so Berenson, „nicht mehr den Wunsch, zu sehen“. Nur wenig später (um 1550/51) schuf Tintoretto abermals ein Bildnis des Prokurators Jacopo Soranzo (Venedig, Accademia).254 Obwohl schon Boschini (1664) das Porträt als Arbeit Tintorettos identifiziert hatte, wurde es nach seiner Überführung in die Accademia (1812) von deren Konservator Pietro Edwards Tizian zugeschrieben.255 Fortan schieden sich die Geister: Während sich die eine Partei in Rückbesinnung auf Boschini für Tintoretto einsetzte, plädierte die andere für dessen berühmten Konkurrenten.256 Wie wenig die Argumente der Tizian-Verfechter überzeugen, beweist etwa die ebenso flüchtige wie frag-würdige Stellungnahme Von der Berckens: „DIe Übereinstimmung mit dem Bildnis des Castellmuseums [Mailand] ist nicht so groß, dass sie die Autorschaft desselben Künstlers [Tintorettos] beweisen würde.“ Das Gegenteil ist zutreffend: Die Gesichtszüge Soranzos sind von einer geradezu bestechenden Ähnlichkeit gekennzeichnet. Ebenso problematisch wiewohl differenzierter angelegt ist Colettis Kommentar: „[Das Porträt der Accademia] wurde ganz bestimmt von Tizian gemalt. […] Die Augen, welche im [Mailänder] Bild den Beschauer direkt anblicken, sehen hier abwesend vor sich hin. Besonders typisch für Tintoretto ist die fast aggressive Miene und der besondere Blick auf seinen Porträts: Er schaut seinen Menschen direkt in die Augen, […] während im Gegenteil die tizianischen Personen meist den Blick seitlich wenden, als wollten sie dem Beobachter entfliehen, oder sich zum mindesten von ihm entfernt halten.“257 Dieser Argumentation wäre durchaus etwas abzugewinnen, gäbe es dagegen nicht einen entscheidenden Einwand, nämlich die Tatsache,

67 Tintoretto, Bildnis des Jacopo Soranzo, Öl auf Leinwand, 106 x 90 cm, Venedig, Accademia

1548–1558

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dass es sich beim Mailänder Gemälde um ein privates Porträt, hingegen bei jenem in der Accademia um ein offizielles „Repräsentationsbildnis“ handelt. Dementsprechend ist in Letzterem der Blick des Prokurators seitlich vom Betrachter abgewandt. Zudem ist die Physiognomie im ersteren psychologisch ausgelotet, ebenso individueller wie prägnanter, somit erheblich ausdrucksstärker ausgebildet. Der im Accademia-Porträt dominierende Repräsentationsanspruch ist insofern unverkennbar, als der Künstler der stofflichen wie massigen, samtenen Amtsrobe – fast mehr noch als dem Antlitz – sein besonderes Augenmerk gewidmet hat. In der spröd zerklüfteten und in den belichteten Stellen beinahe ornamental anmutenden Faltengebung manifestiert sich eine extrem offene Malweise, wie man ihr damals bisweilen auch bei Tizian – wiewohl in gemilderter Form – begegnet; denken wir nur an den wuchtigen, mit kürzelhaft skizzierten Ärmelfalten versehenen Mantel in dessen Bildnis des Pietro Aretino (1545; Florenz, Palazzo Pitti).258 Im Übrigen hat Tintoretto laut Ridolfi nur wenige Jahre später (1551) ebenfalls Aretino porträtiert. Da dieses Bildnis verloren ging, wäre es umso wissenswerter, wie Aretino (auch als Kunstschriftsteller gefürchtet) auf Jacopos Alternative reagiert hat, zumal er bestimmt von Tizians problematischem Verhältnis zu Tintoretto Bescheid wusste. Nur zu Erinnerung: Neben hymnischem Lob spart Aretino auch nicht mit Kritik, als er Herzog Cosimo I. de Medici in einem Brief mitteilt: „Hätte ich ihm [Tizian] mehr Scudi dafür bezahlt, so wären die Stoffe gewiss leuchtend, weich und steif, je nach ihrer Machart als Atlasseide, Samt oder Brokat.“259 – Gemäß seiner Repräsentationsaufgabe platzierte Tintoretto Soranzo in einem dunklen, von einem Wandpfeiler flankierten Raum vor einer roten Throndraperie, an die ein Fensterspalt mit Blick auf einen Ausschnitt der Procuratie Vecchie, der Wirkungsstätte Soranzos, schließt. Das seit Wickhoff einhellig Tintoretto zugeschriebene Bildnis eines 35-jährigen Edelmanns (Lorenzo Soranzo) (Wien, Kunsthistorisches Museum) zählt zu den Höhepunkten in dessen Porträtschaffen der 50er-Jahre. Das Gemälde ist links unten mit DLIII datiert und verweist mit XXXV auf das Alter des Porträtierten. Hinzu kommt ein verschlungenes, aus den Buchstaben LS bestehendes Monogramm, das Suida mit dem Namen Lorenzo Soranzo identifiziert hat. Lorenzo, Enkel des Jacopo Soranzo, stand im öffentlichen Dienst Venedigs. 1551 wurde er zum Stadtkämmerer ernannt und 1555 übernahm er die Leitung des Rechnungshofes. Es folgte die Mitgliedschaft im Staatsrat und schließlich, als Höhepunkt seiner Karriere, die Wahl zum Senator.260 Dass Tintoretto schon mehr als ein Jahrzehnt zuvor in enger beruflicher Beziehung zur Patrizierfamilie stand, beweist der Auftrag zur Fassadenfreskierung des Palazzo Soranzo (1540–1545) in Venedig. Jacopo hat Lorenzo Soranzo anscheinend des Öfteren porträtiert. Dies bezeugt das Bildnis eines Mannes mit blondem Bart (um 1553; Nantes, Musée des Beaux-Arts), das Pallucchini als Bildnis Lorenzos identifiziert, wobei unter anderem die mit dem Wiener Porträt übereinstimmende, ungewöhnlich markant aufgeworfene Unterlippe des Dargestellten als untrügliches Indiz anzusehen ist. Meines Wissens hat dieser Hypothese nur Nepi-Sciré widersprochen, vor allem jenem Passus, wonach es sich beim Gemälde in Nantes „um eine Skizze nach der Natur als Vorstudie zum Wiener Bildnis handeln könnte“.261 Außer Streit steht Goulds, von Rossi als „überzeu-

69 Tintoretto, Bildnis eines Mannes mit blondem Bart, Öl auf Leinwand, 63,5 x 51 cm, Nantes, Musée des Beaux-Arts

68 Tintoretto, Bildnis eines 35-jährigen Edelmannes (Lorenzo Soranzo), Öl auf Leinwand, 114 x 95,5 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

gend“ bewertete Beobachtung, der zufolge Lorenzo auch im rechten Gruppenbild der Familie Soranzo (fünfte Figur von rechts) abgebildet ist.262 Das vollbärtige Antlitz Lorenzos im Wiener Gemälde ist besonders sorgfältig ausgeführt. Die streng linear gemalten Augenbrauen und -lider sowie der streng konturierte Nasenrücken kontrastieren mit einem sanft dahingleitenden, von Schatten fast unberührtem Licht, das auch die in Gegenrichtung zum leicht nach rechts gedrehten Haupt angeordneten Hände akzentuiert. Einem Repräsentationsbildnis angemessen ist der nachdenklich gesenkte Blick nicht wie sonst dem Betrachter zugewandt, darin dem Vorbild Tizians folgend. Die außerordentliche malerische Qualität des Werks bekundet sich in den sanft verlaufenden Hell-Dunkel-Übergängen zwischen den gedämpften Tönen des Hintergrunds, dem Gewand und der Pelzverbrämung.263 Zur eleganten Erscheinung und leicht angedeuteten Drehbewegung des als Kniestück dargestellten Porträtierten leistet – neben dem kontrapunktischen Verhältnis zwischen Händen und Antlitz – auch der Mantel einen wichtigen Beitrag. Dies zeigt sich zum einen im schwungvoll drapierten, V-förmig zugespitzten Pelzkragen, zum

Abb. 66, S. 111 Abb. 68

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70 Tintoretto, Bildnis einer Dame, Öl auf Leinwand, 98 x 75,5 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

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anderen in den spitzwinkelig aufgeschlitzten Ärmeln, alles dynamische Merkmale, die der Gefahr einer posierenden Steifheit des Patriziers wirksam begegnen. Das ganz auf Repräsentation abzielende Bildnis einer Dame (1553–1555; Wien, Kunsthistorisches Museum) zählt zu Tintorettos eindrucksvollsten Frauenporträts. Dem Beschauer aus dem dunklen Grund in betonter Direktheit frontal entgegentretend und doch auf Distanz Bedacht nehmend, besticht die junge Dame durch ihre monumentale plastische Fülle, wobei ihre breit ausladenden Arme die Bildgrenzen nahezu zu sprengen scheinen. Ihre würdevolle Erscheinung wird durch die streng ovale Form des Antlitzes, in die auch das straff frisierte strohblonde Haar mit dem den Scheitel stringent umfangenden geflochtenen Haarteil einbezogen ist, noch zusätzlich unterstrichen. Grelles Licht fällt auf das Gesicht und bringt das von Schatten fast gänzlich unberührte, an den Wangen rötlich gefärbte Inkarnat buchstäblich zum

Blühen. Zudem verstärkt die Dominanz des Lichts die flächige Erscheinungsform des Antlitzes, dessen Helligkeit sich im Weiß der Bluse noch steigert. Mit diesem kontrastiert das dunkelrote Samtkleid, unter dessen prächtig gearbeitetem Gürtel gekurvt ausstrahlende Röhrenfalten die breiten Hüften der kolossalen Figur nachdrücklich betonen. Die Dame ist mit kostbarem Schmuck ausgestattet, der allein dazu dient, ihren Wohlstand sichtlich zur Geltung zu bringen. Hervorstechend die schimmernde Perlenkette, die, weit herabhängend, exakt auf der Symmetrieachse verläuft und dadurch die steife Haltung der Porträtierten unterstreicht. Ihr linker Arm ruht abgewinkelt auf einem Tisch, dessen teppichartige Decke eine gestochen scharf ausgeführte, der sonstigen Malweise Tintorettos widersprechende Ornamentierung aufweist, die Klauner zu Recht auf den Beitrag eines Werkstattmitglieds schließen lässt; ob hier, so die Autorin, „die Hand des Sustris“ am Werk war, sei dahingestellt.264 Rossi vergleicht das Wiener Porträt mit den beiden blonden Frauenfiguren im rechten Teil des Gruppenbildes der Familie Soranzo. Dieser Hinweis ist nützlich, lässt sich aber präzisieren. Danach wäre zwecks Klärung der Identifikationsfrage die im Dreiviertelprofil gezeigte Dame (zweite Figur von rechts) zugunsten der en face dargestellten (zweite Figur von links) auszuschließen, zumal Letztere eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit jener im Wiener Gemälde aufweist. Da die pausbäckige Dame im Mailänder Gruppenbild zur Rechten Lorenzo Soranzos situiert ist, darf man vermuten, dass es sich um Lorenzos Gemahlin, Marina Cappello, handelt, womit man auch die Identifikationsproblematik des Wiener Porträts als gelöst betrachten könnte. Zutreffend ist Rossis These, wonach sich Tintoretto von Bordones aus den 40er-Jahren stammenden Frauenbildnissen, die allesamt in üppigen Formen, frontal und mit ausladenden Armen wiedergegeben sind, anregen ließ. In der Tat lässt sich zwischen Bordones im Palazzo Pitti in Florenz aufbewahrtem Damenbildnis und dem Wiener Porträt die engste Affinität ausmachen, wobei Jacopo nicht zuletzt die spezifische Armhaltung geradezu wörtlich übernommen hat.265 Das Bildnis einer unbekannten Dame in Trauer (Dresden, Gemäldegalerie) unterscheidet sich vom reinen Repräsentationsporträt der Marina Cappello in jeder Hinsicht: zunächst durch seine ungemein starke psychologische Durchdringung, die „das Antlitz zum Bild eines Charakters, geprägt von Gedanken und Gefühlen, Erfahrungen und Schicksalen“ (Emmrich) werden lässt, ferner durch eine viel offenere, durch weiche Pinselstriche gekennzeichnete Malweise, in der zarte Übergänge zwischen Hell und Dunkel sowie eine ausgewogene Dosierung und Modellierungsfähigkeit des Lichts eine besondere Rolle spielen. Hinzu kommt, dass der Blick – vergleichbar mit dem Porträt des Lorenzo Soranzo (dessen kontrapunktisch in Gegenrichtung zum Körper gedrehtes Haupt inbegriffen) nicht dem Betrachter zugewandt ist, sondern, so Rossi, „sich mit einem fast unmerklichen Lächeln in geheimnisvoller Ferne und tröstlichen Erinnerungen zu verlieren scheint“.266 – Zudem scheint sich hier die Überlieferung zu bestätigen, dass Schwarz die Lieblingsfarbe Tintorettos gewesen sei. Emmrich zufolge „malte Jacopo das venezianische Schwarz, das wir auch bei Tizian bewundern können [und das dereinst auch bei Rubens, Delacroix und Renoir großen Anklang finden sollte] mit einer Feinheit und Nuanciertheit ohnegleichen. Sein Schwarz ist farbig, lebendig weich, kein harter Kontrast zu dem

1548–1558

Abb. 66, S. 113

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71 Tintoretto, Bildnis einer Dame in Trauer, Öl auf Leinwand, 104 x 87 cm, Dresden, Gemäldegalerie

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jugendlichen Antlitz der Dame in Trauer, sondern mit demselben harmonierend“.267 Welch freien Umgang der Künstler mit dem Schwarz pflegte, zeigt sich beispielhaft am Schleier, der das gelockte Haar der Trauernden umschmeichelt, und an dem das Schwarz zum Teil sogar lasierend aufgetragen ist. Damit kontrastiert das sanft vom Licht umflorte und mit weichen, diffusen Farbflecken (darunter auch zarte RosaBeimengungen) modellierte Antlitz. Als Gegenpol zum Schwarz tritt das Weiß der Bluse in Erscheinung, das aufgrund seiner lasierenden Behandlung das großzügige Dekolleté kaum verschleiert, vielmehr das Inkarnat durchschimmern lässt. Hinsichtlich der Datierungsfrage bestehen in der Forschung merkliche Divergenzen. Rossi plädiert für Anfang der 50er-Jahre, indem sie auf eine „stilistische Ähnlichkeit zu den besten weiblichen Porträts aus dem um 1550 entstandenen Gruppenbildnis der Soranzo“ verweist, eine Beobachtung, die einer kritischen Prüfung nicht standhält, zumal sich die Darstellung der Trauernden allein schon durch eine offene Malweise und gelockerte Haltung von jener der steif posierenden Damen im Soranzo-Familienbild diametral unterscheidet.268 A. Venturi und Pallucchini bringen die Trauernde mit

dem Wiener Bildnis des Lorenzo Soranzo in Verbindung, das deren kontrapostische Haltung vorwegzunehmen scheint, weshalb die beiden Autoren für das Dresdener Frauenporträt implizit eine Datierung um 1553 in Betracht ziehen. Meines Erachtens ist gegenüber allen Datierungsvorschlägen jener De Vecchis (1555) vorzuziehen.269 Den durchwegs malerisch bestimmten Porträts folgt mit dem Bildnis eines 30-jährigen Kriegers in Rüstung (Wien, Kunsthistorisches Museum) ein Gemälde, in dem ein deutlicher Linearismus vorherrscht. An diesem Beispiel wird evident, wie problematisch der stilentwicklungsspezifische, mit starrer Folgerichtigkeit rechnende Methodenansatz sein kann, zumal Tintoretto jederzeit – sofern dies der jeweilige Auftraggeber forderte – bereit war, auch Stilrückgriffe ins Spiel zu bringen. So gesehen ist nicht verwunderlich, dass Oberhammer das Porträt – im Gegensatz zur heute allgemein anerkannten zeitlichen Einordnung Von der Berckens in die Jahre zwischen 1556 und 1560 – verfrüht mit „um 1550“ datiert hat.270 Der Porträtierte präsentiert sich als Kommandant der Marineinfanterie, dargestellt als Kniestück in Dreiviertelansicht. Rechnet man dem noch den Blickbezug zum Betrachter, die spezifische Armstellung und die Fensteröffnung hinzu, so lässt sich eine bemerkenswerte Affinität zum Bildnis eines 28-jährigen Edelmanns (Stuttgart) feststellen. – Determiniert durch die vorrangige Repräsentationsabsicht, steht die goldverzierte Rüstung, die bis in die kleinsten Details mit erstaunlicher Akribie in linear-plastischer Manier ausgearbeitet ist, im Mittelpunkt des Interesses. Mit dieser stilistischen Machart gerät Tintoretto in merklichen Widerspruch zu einem zentralen Wesenszug der zeitgenössischen venezianischen Malerei, der, anstatt sich in Details zu verlieren, viel mehr an der malerischen, vom Licht präjudizierten Wiedergabe von Objekten (Rüstungen inbegriffen) gelegen war. Dies offenbart sich schon bei Giorgione – denken wir nur an den gerüsteten Hl. Nikasius in dessen um 1504 geschaffenen Castelfranco-Madonna.271 In gesteigerter Weise tritt die Dominanz des vom Hell-Dunkel bestimmten Malerischen etwa drei Jahrzehnte später bei Tizians gerüsteten Personen in Erscheinung – beispielhaft dafür die Bildnisse des Markgrafen Alfonso d’ Avalo (The Getty Center, Los Angeles) und des Francesco Maria della Rovere, Herzog von Urbino (Florenz, Uffizien).272 Im Gegensatz zu Jacopos Bildnis eines 28-jährigen Edelmanns, das durch ein dunkles Ambiente gekennzeichnet ist, begünstigt im Bildnis des Marinekommandanten ein mit mittlerer Helligkeit gepaarter Linearismus die Wiedergabe eines unschwer nachvollziehbaren Raumvolumens. Dazu leisten die drei raumbegrenzend einander überschneidenden, perspektivisch angeordneten Säulen – ein Motiv, das sich Jacopo von Giorgiones Knabe mit Helm (Wien, Kunsthistorisches Museum) anscheinend entlehnt hat – einen wichtigen Beitrag. Hinzu kommt der schwarze, schräg gestellte Degen, der offensichtlich eine visuelle Doppelfunktion erfüllt, zumal man ihn auch als fluchtenden Bodenstreifen deuten könnte. Erwähnt sei noch die breite Fensteröffnung, die den Blick auf einen von schweren Gewitterwolken verhangenen Himmel lenkt, unter dem sich der dunkle Meeresspiegel weitet, auf dem eine rote Galeere und am hell aufblitzenden Horizont ein Boot mit weißem Segel dahingleiten. Ergebnis ist ein Bildausschnitt, der sich mit seiner malerisch hochwertigen Qualität vom sonst durch rigorosen Linearismus beherrschten Gemälde eindrucksvoll abhebt.

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Abb. 72, S. 122

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72 Tintoretto, Bildnis eines 30-jährigen Kriegers in Rüstung, Öl auf Leinwand, 115 x 99 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

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Übergang zur Reifezeit Die vorliegende Schaffensphase hat Von der Bercken mit dem Titel „Übergang zur Reifezeit. Überragende Bedeutung der Lichtwirkung. Beginnende Wandlung der Technik“ charakterisiert.273 Schon zu Beginn dieser Periode lieferte Tintoretto mit der Heilung des Lahmen (La piscina probatica) dafür ein signifikantes Beispiel. Girolamo Coccina, Guardian Grande der Scuola di San Rocco, erteilte Jacopo 1559 (die erste Zahlung erfolgte am 2. April des Jahres) den Auftrag, für die Kirche San Rocco die beiden Flügel eines monumentalen Schranks, in dem die silbernen liturgischen Geräte aufbewahrt wurden, mit einem zweiteiligen Gemälde zu dekorieren. Nach der Eliminierung des Silberschranks im Jahre 1674 wurden die beiden, das Thema der Krankenheilung illustrierenden Teile zusammengefügt und später an der rechten Seitenwand der Kirche angebracht.274 Schon drei Jahrzehnte zuvor (1528/29) sah sich auch Pordenone mit einer ähnlichen Auftragslage konfrontiert, als es darum ging, für San Rocco die Flügel eines anderen Silberschranks zu bemalen. Auch in diesem Fall wurde das Gemälde später vereinheitlicht und an der linken Kirchenwand appliziert.275 Als Tintoretto seine Arbeiten an der Schrank-Verkleidung in Angriff nahm, war er von Pordenones Bild mit den Hll. Martin und Christophorus gewiss tief beeindruckt. Laut Ridolfi stand er sogar „in concorrenza del Pordenone“, dessen von Mittelitalien importierte manieristische Formensprache er mit einer dem horror vacui-Prinzip geradezu hemmungslos huldigenden Kompositionsweise womöglich noch zu überbieten trachtete. Wie sein bereits 1539 verstorbener Konkurrent platzierte Jacopo die Szene in einer offenen, extrem niedrigen und aus drei Schiffen bestehenden Säulenhalle, wobei er – ebenso seinem Vorbild folgend – das Gemälde, dem Querschnitt der baulichen Anlage folgend, einem Triptychon gleich durch Säulen unterteilte. Zu Pordenone nur eine kurze Bemerkung: Nachdem man den als Bildträger dienenden Silberschrank 1674 gleichsam außer Dienst gestellt hatte, wurde lediglich der mittlere Teil des Gemäldes an die linke Seitenwand der Kirche disloziert. Weshalb man dabei auf die Übertragung der schmalen Seitenteile des Bildes verzichtet hatte und erst 1725 ein Maler namens Naibò für einen al fresco gearbeiteten Ersatz sorgte, ist unklar. Vermutlich wurden diese nach der Eliminierung des Silberschranks veräußert; jedenfalls darf man sie als verschollen betrachten. Dass sie ursprünglich Bestandteil der Schrankdekoration waren, bezeugt Vasari (1568), der neben einer Beschreibung der Hll. Martin und Christophorus auch auf viele, eben in den Flankenbildern untergebrachte Kranke und Arme verweist. Anzunehmen ist, dass Naibò auch Pordenones Darstellung

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73 Tintoretto, Die Heilung des Lahmen, Öl auf Leinwand, 560 x 238 cm, Venedig, San Rocco

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der Hilfsbedürftigen gekannt und auf seine von Säulen begrenzten Fresken übertragen hat. Tietze zählt Tintorettos Gemälde „sowohl was die dramatische Wucht als was die Lichtbehandlung anbelangt, zu dessen großartigsten Schöpfungen“.276 Die Szene basiert auf dem Evangelium des Johannes (5,1–9): „In Jerusalem gibt es einen Teich, zu dem fünf Säulenhallen gehören, dieser Teil heißt auf hebräisch Betesda.277 In diesen Hallen lagen viele Kranke, darunter Blinde, Lahme und Verkrüppelte. Dort lag auch ein Mann, der schon 38 Jahre krank war. Als Jesus ihn dort liegen sah […], fragt er ihn: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortet ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich, sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt […]. Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Bahre und geh! Sofort wurde der Mann gesund, nahm seine Bahre und ging.“ Obwohl merklich von der Symmetrieachse abgerückt, nimmt Christus – akzentuiert durch den Blau-Rot-Akkord seiner Kleidung – eine zentrale Stellung ein. In leichter Drehbewegung und von einer C-förmigen Rückenlinie konturiert, neigt er sich nach vorne, den Eindruck erweckend, als wollte er die von der Säulenstellung fixierte Bildfläche sprengen. Letzteres bezeugt auch das bildparallel von links einfallende Licht, welches das Rot seines Kleides zur Hälfte in einen hellrosa farbigen Ton verwandelt. Das extrem verkürzte Haupt gesenkt, ist der Heiland im Begriff, den halbnackt vor ihm liegenden Kranken, der sich mit abgewinkelten Beinen unmittelbar auf den Bildrand zu stützen scheint, mit ausfahrender Armbewegung zu segnen. Wie das in geradezu radikaler Untersicht dargestellte Antlitz des Kranken anzeigt, gelangt auch hier das Mittel perspektivischer Verkürzung zum Einsatz. Soeben hat Christus den Gichtbrüchigen geheilt, der mit der geschulterten Matratze seiner Bettstatt, die Säule anschneidend, wie im Laufschritt den Bildraum in Richtung Betrachterraum zu verlassen scheint. Der Geheilte ist deutlich grö-

ßer als Christus, Anzeichen dafür, dass er dem Betrachter beinahe zum Greifen nahe gerückt ist. Christi Segensgestus löst einen dynamischen Impuls aus, den der langgestreckte Arm des Kranken weiterleitet und der sich rechts in den beiden schräg nach oben gestaffelten Frauen fortsetzt. Während die eine – kniend dargestellt, vornehm gekleidet und vom Licht scharf akzentuiert – als Betreuerin des Kranken fungiert, sorgt die andere, von der Säule überschnitten, für eine Verbindung mit dem rechten Flankenbild. Ebenso vom Licht angestrahlt, richtet sie den Blick auf Christus, dessen ultramarinfarbiger Mantel mit dem etwas helleren Blau ihres Kleides kommuniziert, demnach über eine relativ große Distanz hinweg eine Farbbrücke bildet. Letztere dient auch als Klammer, die das durch das Figurenensemble konstituierte Kompositionsmuster eines schräg ansteigenden Ovals zusammenhält. Dem Blau begegnet man ferner an der verhärmten, flehentlich ihren Arm ausstreckenden Alten, die, in Bodennähe von der äußeren Säule überschnitten, im rechten Bildflügel platziert ist. Abermals korrespondiert das Blau mit dem weit entfernten Erlöser. Darüber hinaus ist am blauen Kleid der Alten der überraschend tief angesetzte und dadurch die Untersichtdarstellung der Säulenhalle verdeutlichende Fluchtpunkt angesiedelt. Daran knüpft die Frage nach der räumlichen Erschließung des Bildganzen. Eine Antwort darauf ist seitens des exzessiv verdichteten, in fünf Reliefschichten gegliederten und damit den Blick in den Hintergrund völlig verstellenden Figurenensembles nicht zu erwarten. Auch die schräg in die Tiefe führenden Säulenreihen erweisen sich diesbezüglich als wenig hilfreich, zumal diese – aufgrund des in der Halle herrschenden Dunkels und der sie großteils überlagernden Menschenmasse – kaum wahrnehmbar sind. Lediglich am in starker Untersicht wiedergegebenen Plafond der Halle lässt sich das Raumvolumen anhand der sich überkreuzenden Quer- und Längsarchitrave annähernd ermessen. Dies gilt vor allem für die in die Tiefe weisenden drei Längsbalken, die schräg nach rechts unten verlaufend im blauen Kleid der Alten zum Fluchtpunkt konvergieren. Auf den ersten Blick hin ist in Tintorettos Triptychon der Eindruck einer nahezu unentwirrbaren Figurenansammlung vorherrschend. Erst bei näherer Betrachtung wird klar, dass es sich dabei um einen korrekturbedürftigen Trugschluss handelt, zumal auch hier ein Leitgedanke der Gestalttheorie gilt, wonach auch (vermeintliches) Chaos nur durch ordnende Kräfte darstellbar ist. Mit anderen Worten bestätigt dies der Wahrnehmungspsychologe Rudolf Arnheim mit seinem axiomatischen Satz, demzufolge „sich auch Unausgewogenheit nur durch Ausgewogenheit ausdrücken lässt“, sofern man, so der Autor weiter, unter „Ausgewogenheit das Gleichgewicht der miteinander ringenden Kräfte“ versteht.278 Tintoretto trägt dem mit dem Mittel von Hell-Dunkel-Kontrasten und Kompositionsrichtungen betonenden Lichtakzentuierungen Rechnung. Ferner gelingt es ihm, durch den Einsatz von Diagonalkomponenten strukturstiftende Klarheit zu schaffen, vor allem aber die Seitenteile des Triptychons integrativ an das Bildzentrum zu binden. Die rechts unten anhebende Diagonale beginnt mit dem kauernden nackten Greis, dessen Glatze und Schulterpartie grell beleuchtet sind. Der Alte reckt sein Haupt nach vorne, um über die Säulengrenze hinweg einen Blick auf seinen lie-

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genden Leidensgenossen zu erhaschen, offensichtlich in der Absicht, zu prüfen, ob Christi Segensgestus heilende Wirkung zeigt. Ihm folgt die bereits erwähnte, ebenso vom Licht erfasste und mit Perlen geschmückte vornehme Dame, worauf die Diagonale im Haupt des halb entkleideten Kranken kulminiert, der wie sein in den Schatten zurücktretender Nachbar Christus Goldmünzen anbietet, sich dadurch einen sicheren Heilungserfolg versprechend. Die Gegendiagonale nimmt von der links unten vor den Säulen anscheinend auf dem Bildrand sitzenden Figur ihren Ausgang, wobei deren eindrucksvoll durchmodellierter Oberkörper zur Gänze dem Licht ausgesetzt ist. Das Rot seines Lendentuchs wiederholt sich am rechts oben im Seitenflügel dargestelleten Rückenakt, Anfang und Ende der Diagonalen markierend. Diese Diagonale verfügt über ein hohes Dynamikpotenzial, das mit dem im linken Flügel schräg ausgebreiteten, farblich den Säulen angeglichenen Leintuch anhebt und – bisweilen von Dunkelpartien unterbrochen – über den geneigten Erlöser, den halb entblößten, zahlungswillig Heilung Suchenden bis zur blau gekleideten Frau rechts oben weitergeführt wird. Charakteristisch für den Künstler, dass er die Diagonale keineswegs plakativ in Szene setzt, vielmehr bestrebt ist, die Kontinuität ihres Bewegungsstroms immer wieder zu hemmen. Ein signifikantes Beispiel dafür gibt der als einziger unter den Figuren aufrecht stehende, von Christus abgewandte Gichtbrüchige, der mit seinem Bett davoneilt, wie schon erwähnt die reale Bildebene zu durchbrechen scheint. Ähnlich hat dies auch Coletti gesehen, wenn er schreibt: „Hier liegt der tiefere Unterschied zwischen Tintoretto und Pordenone, Veronese und dem Manierismus toskanischrömischer Herkunft im Allgemeinen. Bei Tintoretto wird die Bewegung durch eine wunderbare Hemmung aufgehalten, doch dauert der Schwung auf ideale, unaufhaltsame Weise fort. In dem nicht vollendeten Akt sammelt sich die lebendige Kraft; das nur auf einen Augenblick festgehaltene Ungestüm wird gleich seinen Lauf wieder aufnehmen, nach dieser Sekunde erzwungener Ruhe wird die Lawine weiter stürzen. Bei Pordenone scheint uns die Gebärde meist bis zu ihrer größten Ausdrucksmöglichkeit ausgeschöpft, sie kann nicht weitergehen […]. Die Bewegung ist gesättigt, der Satz beendet.“279 Zwölf Jahre nach der Fertigstellung der Ultima Cena in San Marcuola befasste sich Tintoretto im Auftrag der Scuola del Santissimo Sacramento neuerlich mit dem Thema des Letzten Abendmahls. Das Gemälde war für die Kirche San Felice in Venedig bestimmt und wurde nach 1874 in die Kirche Saint-François-Xavier in Paris übertragen. Transportprobleme dürften zum relativ schlechten Erhaltungszustand des Werks beigetragen haben. In der rechten unteren Bildecke befindet sich eine Inschrift-Kartusche, die den Namen des Auftraggebers, des Gastaldo der Scuola, Girolamo Dileti, vermerkt und die Namen zweier weiterer führender Scuolenmitglieder nennt, endend mit der Jahreszahl 1559.280 Im Gegensatz zu Pallucchini und das inschriftlich gesicherte Entstehungsjahr ignorierend, datiert Swoboda das Pariser Gemälde mit 1550, demnach in zeitlicher Nähe zur Ultima Cena in San Marcuola, mit der es in abgeschwächter Weise die symmetrische Konzeption teilt. Vermutlich schien es dem Autor unglaubwürdig, dass das Gemälde – stilistisch beinahe übergangslos – bereits etwa zwei Jahre vor der radikal asymme-

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74 Tintoretto, Das Letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, 240 x 335 cm, Paris, SaintFrançois-Xavier

trischen und weit stärker dynamisierten Ultima Cena-Fassung in der Kirche San Simeone Profeta in Venedig entstanden sei.281 In der Tat besteht mit dem Bild in San Marcuola in zweifacher Hinsicht eine bemerkenswerte Affinität: zum einen bezüglich der zentralen Stellung Christi, zum anderen im Hinblick auf den fast schwarzen, völlig ungegliederten, mithin räumlich unauslotbaren Hintergrund und die bildrahmenparallele Anordnung des Tisches. Die gravierendste Abweichung von der Vorgängerfassung besteht darin, dass die Tischoberfläche – begünstigt durch das reduzierte Querformat – in extremer Draufsicht und mittels isometrischer Perspektive raumgreifend dargestellt ist. Daraus resultiert einerseits die in den Hintergrund versetzte Position Christi, dessen dominante Rolle hauptsächlich im goldgelben, kreuzförmig strahlenden Nimbus manifest wird, andererseits die durch das Größengefälle bewirkte räumliche Staffelung der Apostel. Hinzu kommt eine gegenüber der San Marcuola-Fassung emotional merklich differenziertere Wiedergabe der Tischgesellschaft, innerhalb derer Judas – als einziger unter den Aposteln vor der Mensa postiert – in bedenklicher Schieflage und expressiv verzerrt vor Christi Verratsankündigung zurückschreckt. Aus der Symmetrieachse nach links geneigt, gibt Judas den Blick auf die rechte, mit strahlendem Weiß das Lichtzentrum markierende Tischtuchhälfte frei, auf der Brote, Weinkaraffen sowie auf Tellern lagernde Fleisch- und Fischstücke ein veritables Stillleben bilden. Zur Linken des dunkelgrau (mit einem Stich ins Gelbliche) gekleideten Verräters ist ein Apostel platziert, der, am heftigsten vom Licht erfasst, als Einstieg für die Komposition fungiert. Mit seiner halb aufgerichteten Haltung, den gestikulierenden Händen und der manieristischen Körperdrehung signalisiert er ein Höchstmaß an ratloser Erregung, die sich in gemilderter Form auch an seinen miteinander kommunizierenden Gefährten bemerkbar macht und schließlich auf den orange gekleideten Hl. Petrus übergreift, der sich vergeblich bemüht, Christus den

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Namen des Verräters zu entlocken. Das aus dem dunklen Grund hervorstechende Orange des Apostelfürsten sowie das in mehreren Varianten auftretende Rot (das bräunliche Rot des links oben postierten Gastaldo der Scuola inbegriffen) können als warme, ausschließlich der linken Bildhälfte vorbehaltene Farben als koloristisches Äquivalent eines hochgradigen Erregungszustands angesehen werden. Dem linken Bildabschnitt liegt eine überraschend einfache Kompositionsidee zugrunde, die sich, links unten anhebend, als weit ausholender, die Köpfe der Apostel verbindender Segmentbogen niederschlägt. Dem entspricht ein dynamisch geprägtes Kontinuum, das im schlafend vorgebeugten Lieblingsjünger Johannes zum Stillstand gelangt. Mit dem Radius eines fiktiven Kreises vergleichbar dringt Judas’ schräg gestellter Körper in den Bereich des Segmentbogens, wo dessen dunkles Haupt mit dem schwarz gekleideten Apostel visuell zu verschmelzen scheint; daraus resultiert – gemeinsam mit dem linken Jünger – die kompositionell subordinierte Strukturform eines verfestigenden Dreiecks. Im Gegensatz zur psychisch aufgewühlten Apostelgruppe in der linken Bildhälfte ist bei den an der rechten Tischkante versammelten, die Verratsankündigung fassungslos zur Kenntnis nehmenden Aposteln eine gestaltliche Uniformität vorherrschend, die gleichwohl den Eindruck einer verinnerlichten Spannung erweckt. Unter den fünf Jüngern ist lediglich der Weißhaarige zur Mensa geneigt und in jäher Kopfwendung dem Betrachter zugekehrt. Die anderen, von Christi Botschaft völlig überraschten Apostel sind im Zustand lähmender Erstarrung wiedergegeben. Kennzeichnend dafür ihre schräg zurückgenommene Haltung, die streng parallel angeordneten Arme sowie ihre in monotoner Isokephalie aneinandergereihten Häupter. Hinzu kommt eine in den Bereich getrübter, gänzlich vom Hell-Dunkel absorbierter Werte verbannte Farbgebung.282 Den einzigen gewichtigen Akzent setzt das dem vorderen Apostel als Sitzunterlage dienende gelblich-weiße Tuch, das mit dem gegenüber situierten Rot kontrastiert. Dessen ungeachtet steht die rechte Reihe der Apostel – ganz im Gegensatz zur San Marcuola-Fassung – in einem merklich gestörten Ausgewogenheitsverhältnis, an dem auch das dem Gleichgewichtsstreben zweckdienliche Weiß der rechten Tischtuchhälfte nicht viel zu ändern vermag. Diesbezüglich Tintoretto einen strukturellen Mangel anzulasten, wäre wohl verfehlt. Stattdessen erscheint es angebracht, dem Künstler hier einen gestalterisch bewussten Willensakt zu attestieren, demzufolge dieser darauf abzielte, die diskrepante Reaktion der Apostelschar auf die Verratsankündigung mit den harmonieresistenten Mitteln des Manierismus zum Ausdruck zu bringen. Am 11. August 1560 erteilte der Consiglio dei Dieci der Scuola del Santissimo Sacramento die Genehmigung, sich in der Pfarrkirche San Simeone Profeta zu etablieren. Es ist anzunehmen, dass Tintoretto bereits im gleichen Jahr, spätestens aber laut Pallucchini 1561 den Auftrag erhielt, für das linke Seitenschiff der Kirche eine Ultima Cena zu malen.283 Fest steht indes, dass zwischen der Abendmahlsversion in San Simeone und dem Pariser Gemälde trotz überraschend knapper Zeitdifferenz tiefgreifende, stilistisch fast schon revolutionär anmutende Unterschiede bestehen. Dies manifestiert sich in mehrfacher Weise: zum einen in der Tatsache, dass Tinto-

retto erstmals in der langen Reihe seiner Abendmahlsdarstellungen die Symmetrie gänzlich zugunsten einer Verlagerung des Bildzentrums in die linke Bildhälfte suspendiert. Dies hat zur Folge, dass nunmehr den fünf dort um Christus versammelten Jüngern im rechten Bildbereich sieben gegenüberstehen. Neu ist ferner die Idee, die Mensa nicht mehr bildparallel, sondern in leichter Schräge und mit keilförmig auf den Betrachter weisender Ecke perspektivisch raumgreifend anzuordnen. Dieser Tiefenzug verstärkt sich noch, wenn man den sich rechts außen öffnenden, von fluchtenden Säulen flankierten und von einem Fackelträger nur geringfügig erhellten Korridor zusätzlich in Betracht zieht. Anders als zuvor tritt an die Stelle eines raumblockierend neutralen, die Tischgesellschaft foliierenden Grundes ein an einer Stange befestigter zugezogener schwarzer Vorhang, der das Geschehen von einem anschließenden, nur fiktiv vorstellbaren Raumkompartiment trennt. Von der Bercken zufolge „erscheint hier das Licht als ein Stimmungsfaktor von größter Gewalt […]. In fast allen Schöpfungen vom Anfang der 60er-Jahre können wir die große Bedeutung der Lichtwirkung beobachten, die in den 50er-Jahren in diesem Maße noch nicht vorhanden war“.284 Empirisch gesehen müsste man den 13-armigen Luster als primäre Lichtquelle ansehen – kaum berechtigt, wenn man dessen nur matt flammende, mithin eine äußerst geringe Leuchtkraft erzeugende

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Kerzen in Betracht zieht. In Wahrheit scheint das Licht – den weißen Tischtuchausschnitt grell überflutend und dadurch dessen bildzentrale Position betonend – von Christus auszugehen. Folgerichtig sind die in der linken Bildfläche befindlichen Apostel – drei davon an der Tischschmalseite einander überschneidend in Profilansicht wiedergegeben und in bogenförmiger Staffelung zu Christus hinführend – nachdrücklicher als jene im rechten Bildbereich dem sakralen Leuchtlicht des Erlösers ausgesetzt. Vom linken Bildrand angeschnitten betritt ein greiser Kleriker den bühnenartigen Raum. Mit seinem weißen, neben der Mensa am stärksten vom Licht erfassten Chorhemd erregt er trotz seiner Nebenrolle ein ungewöhnlich hohes Maß an Aufmerksamkeit. Anstatt ihn als Stifter beziehungsweise Gastaldo der Scuola zu benennen, erscheint es naheliegender, in ihm – angesichts seines liturgischen Gewandes – laut Worthen den Pfarrer von San Simeone Grande, Stefano de Fermi, zu vermuten.285 Unter allen Figuren verfügt der im Vordergrund platzierte, in Rückenansicht gezeigte und mit dem linken Fuß sich auf dem unteren Bildrand abstützende Apostel über das größte Dynamikpotenzial. Extrem schräg gestellt und in manieristischer Körpertorsion wiedergegeben, ist dieser im Begriff, ungestüm von seinem Schemel aufzuspringen, vermutlich um seinen unmittelbar anschließenden Nachbarn Judas als Verräter zu verdächtigen; Letzteres eine ikonographische Sonderlösung, der man weder in Tintorettos sonstigen Abendmahldarstellungen noch in der damaligen venezianischen Malerei im Allgemeinen begegnet. Die Symmetrieachse verläuft genau zwischen dem Apostelpaar und akzentuiert den hinter dem Tisch stehenden, seine beiden Gefährten deutlich überragenden Apostel, dessen gesättigtes Rot sich an Judas’ Mütze und am Wams des misstrauischen Jüngers wiederholt. Mitbestimmt durch den Gestaltfaktor farblicher Ähnlichkeit, der auch das rote Kleid Christi in Erinnerung ruft, resultiert daraus eine Dreiergruppe, die, einem Nebenzentrum gleich, die Strukturform einer räumlich leicht verschobenen Pyramide annimmt, wozu der „Faktor der Nähe“ laut Kobbert einen wichtigen Beitrag leistet. Dem folgt eine markante, durch den Goldenen Schnitt akzentuierte Zäsur, die Judas von der hoch aufgerichteten, schlanken Gestalt eines weiteren Apostels trennt, an dem das Rot abermals in Erscheinung tritt. Im Gegensatz zum sonst radikal gedämpften Kolorit des Bildes ist einzig das Rot als relativ ungetrübter Farbwert definierbar. Es dient – akzentuierenden Taktstrichen gleich – zum einen als Mittel der Rhythmisierung, zum anderen sorgt es – dem Sehgesetz der Gruppenbildung durch farbliche Ähnlichkeit entsprechend – für einen integrativen Zusammenhalt der Teile zugunsten einer gestaltlichen Ganzheit, gepaart mit einem partiellen Überhang an flächenprojektiver Kompositionsweise. Zum näheren Verständnis dieser Aussage ein von Kobbert wahrnehmungspsychologisch gestützter Leitsatz: „Der Faktor der Gleichartigkeit (und der Ähnlichkeit) spielt für das Erfassen kompositioneller Zusammenhänge eine erhebliche Rolle, wo oft über große räumliche Distanzen hinweg Beziehungen gestiftet werden.“286 Mit Christus als Zentrum und dem vor ihm hell beleuchteten Tischtuch ist die Komposition, so Coletti, „nach einer [der linken] Seite aus dem Gleichgewicht

gebracht“.287 Dies ist indes nur dem Anschein nach der Fall. Anstatt es darauf bewenden zu lassen, stellte sich Tintoretto vielmehr der Herausforderung, den Kampf um das Gleichgewicht mit geeigneten Mitteln auszufechten. Zunächst postiert er am rechten Bildrand die hoch aufragende, den Betrachter als Repoussoir am nächsten stehende Gestalt einer einmal mehr mit Rot akzentuierten Dienerin, zu deren Füßen ein Hund lagert. Weiters gibt dieser vor ihr den Blick auf das sich bis zu Judas ausdehnende Paviment frei, das als raumgreifende Ausdrucksqualität nahtlos auf den sich im Hintergrund öffnenden, perspektivisch in die Tiefe weisenden Korridor übergreift. Dieser Tiefenzug bildet ein Gegengewicht zu dem in der linken Bildhälfte konzentrierten Geschehen, zumal Ausblicke in Tiefenräume laut Arnheim über ein hohes visuelles Gewicht verfügen.288 Bald nach dem Gemälde in San Simeone Profeta schuf Tintoretto – laut Pallucchini um 1564/66 – auch für die Cappella del Sacramento der Chiesa di San Trovaso in Venedig eine Ultima Cena; den Auftrag dafür erhielt er, so Ridolfi, von der Compagnia di Nostro Signore.289 Die kompositionelle, koloristische sowie aussagespezifische Differenz gegenüber dem Bild in San Simeone und allen übrigen (auch späteren) Versionen des Themas ist erheblich und sichert dem Gemälde einen solitären Stellenwert. Im Gegensatz zur San Simeone-Fassung ist Christus wiederum – wie in den frühen für San Marcuola und San Felice gefertigten Abendmahlsdarstellungen – im Bildmittelpunkt platziert; zudem sind die Apostel wie zuvor zahlenmäßig symmetrisch um die Mensa verteilt. Zu beachten ist ferner eine den Großteil der Tischgesellschaft kennzeichnende, ebenso helle wie delikate Farbgebung, von der der Künstler in Anlehnung an Veronese schon in der Mitte des sechsten Jahrzehnts bisweilen Ge-

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brauch gemacht hatte. Dieser koloristische Rückgriff ist insofern bemerkenswert, als sich Tintoretto zum Zeitpunkt der Ausführung des San Trovaso-Gemäldes von dieser Spielart des Luminarismus zugunsten einer eher düsteren Malweise bereits losgesagt hatte. Ungewöhnlich ist weiters der ungefähr in der Raummitte positionierte Tisch, der, übereck gestellt, merklich vom Betrachter distanziert ist und dadurch in beiden Bildhälften viel vom Fußboden sehen lässt. Darüber hinaus ist der mit einem strahlend weißen Tuch bedeckte Tisch auffallend niedrig bemessen und steil aufgeklappt. Letzteres kommt auch der Überschaubarkeit der Protagonisten zugute, die – zum Teil der Draufsicht angenähert – im Oval die trapezoide Mensa umfangen, worin sich laut Tietze eine „ungleich energischere Bindung an die Fläche als zuvor“ manifestiert.290 Völlig neu ist die Idee, der Szene einen ausgesprochen volkstümlichen Anstrich zu verleihen, was letztlich auch zum narrativen Charakter des Gemäldes beiträgt. Stilllebenartig verstreute Gegenstände sowie eine höchst emotionale, in dieser Intensität nie mehr überbotene Gebärdensprache der Apostel verstärken diesen Eindruck. Dies hat mitunter auch Kritik ausgelöst, so in Jakob Burckhardts „Cicerone“, in dem etwa zu lesen ist, dass hier „die heilige Handlung zum gemeinsten Schmaus entwürdigt“ sei.291 Dazu Dvořák ergänzend: „Es ist tatsächlich keine festliche Halle, in der diese Cena abgehalten wird, sondern eine recht ärmliche italienische Behausung mit bescheidenem Mobiliar, und ebenso sehen wir mit Ausnahme Christi keine Idealgestalten, sondern einfache Leute in dürftiger Kleidung.“292 Dvořáks Lokalisierung des Geschehens lässt sich präzisieren: Anscheinend handelt es sich um ein von dunklen Wänden begrenztes Kellergewölbe, von dem man hinter Jesus über eine bildparallel verlaufende Stufenfolge in eine hoch gelagerte, sich zwischen den düsteren Wandkulissen ausschnitthaft öffnende und extrem hell beleuchtete Säulenhalle gelangt, die offenkundig einem Palazzo als Vestibül dient. Die nach links in die Tiefe fluchtenden Säulen führen zu einem triumphalen Bogen, der sich nobilitierend über dem Erlöser wölbt und den Blick auf ein hellblaues Firmament freigibt. Vom Tisch leicht abgerückt, ragt Christus in den lichtdurchfluteten, transzendent anmutenden Bereich der Säulenhalle, in der zwei transparent entmaterialisierte, völlig in Weiß aufgelöste Figuren einander begegnen. Vielleicht handelt es sich hier um die Begegnung von Anna und Joachim an der Goldenen Pforte, die dem inneren Auge des Erlösers – im Sinne der Geburt seiner Mutter Maria – gleichsam als Erinnerungsbild vorschwebt. Letzteres bestätigt auch dessen sanft verinnerlichtes Antlitz beziehungsweise dessen seherischer, in unendlich weite Ferne gerichteter Blick. Über dem Schoß den blauen Mantel drapiert trägt Christus ein blassrosa getöntes Kleid, dessen Helligkeit – den kreuzförmig strahlenden Nimbus inbegriffen – ihm die Funktion eines selbstständigen Lichtspenders zu verleihen scheint. Dies lässt nahezu vergessen, dass hier eigentlich der dramatische Moment der Verratsankündigung dargestellt ist, der die Jünger in heillose Aufregung versetzt. In der Literatur herrscht mitunter Uneinigkeit in der Frage, wer nun der Verräter sei – nicht ganz unverständlich, wenn man als Identifikationsmittel nach dem für ihn obligaten Geldbeutel Ausschau hält. Doch alsbald gelangt man zur Erkenntnis, dass es sich nur um den an der vorderen Tischecke platzierten Jün-

ger handeln kann, der im Übrigen als einziger unter seinen Gefährten den Heiligenschein vermissen lässt. Genau gegenüber Jesus postiert und wie dieser an der Symmetrieachse orientiert, gebärdet sich Judas als Gegenpol zum Heilsbringer, dessen Blau als verbindendes Element auch an seinem Kleid aufscheint. Dvořák beschreibt ihn folgendermaßen: „Er hat die den Verrat ankündigenden Worte vernommen, ist in höchster Bestürzung aufgesprungen, wobei er seinen Sessel umgeworfen hat, doch sogleich gewinnt er seine Fassung wieder und greift, um seine Erregung zu verbergen, nach dem noch halb vollen Weinglas und der Weinflasche.“293 Judas’ oppositionelle Einstellung zur rosafarbigen Lichtgestalt des Heilands zeigt sich unter anderem am ebenso dumpfen wie erdigen Rotbraun seines Rocks. Hinzu kommt eine ambivalente Körperhaltung des Verräters, die sich – hervorgerufen durch blankes Entsetzen und unschlüssige Verlegenheit – im Schwanken zwischen Seiten- und Draufsicht niederschlägt. Ergebnis ist ein ungemein komplizierter Bewegungsvorgang, dem die bis dahin meines Erachtens intensivste Auseinandersetzung Tintorettos mit den mannigfaltigen Gestaltungsmöglichkeiten des Manierismus zugrunde liegt. Gestützt auf sein rechtes Knie und abgewinkeltes Bein neigt Judas – unter dem Eindruck von Christi Verratsankündigung, wie vom Schlag getroffen, zurückweichend – den Oberkörper zum Betrachter, Gefahr laufend, regelrecht aus dem Bild zu kippen. Dies führt dazu, dass sowohl seine gesamte Schulterpartie als auch der durchgestreckt nach der vom unteren Bildrand angeschnittenen Korbflasche greifende Arm in Draufsicht wiedergegeben sind. Die simultan perspektivisch stark verkürzt wahrnehmbare Seitenansicht der Gestalt hat zur Folge, dass man von deren rechtem Arm lediglich die das Weinglas haltende Hand wahrnimmt. Mehr als jeder andere Protagonist im Bild erfüllt Judas mit seiner raumgreifenden Dynamik, Mehransichtigkeit sowie in steter Veränderung befindlichen Körperhaltung die Bedingungen einer idealen „Zeitgestalt“. Dazu einige Leitsätze aus Theissings Buch „Die Zeit im Bild“: „Die Zeit ist etwas an der Bewegung, das sich uns an einem Bewegten zeigt. […] Zeit ist ein wesenhaft Kinetisches. Die Zeit ist nicht sichtbar, aber sie wird sichtbar an den Erscheinungen im Bild durch Qualitätsveränderungen von etwas her zu etwas hin.“ Und zwar, fügen wir hinzu, innerhalb der Spanne zwischen Memoria und Exspectatio oder, anders ausgedrückt, zwischen dem Nicht-Mehr, Jetzt und Noch-Nicht.294 Auf Judas übertragen: Das in Rückansicht gezeigte Haupt zu Christus gedreht, hat dieser die Verratsankündigung vernommen, ist, den Stuhl umwerfend, erregt aufgesprungen und greift, gleichsam im Jetzt angelangt, in labiler Rückenlage und radikal „qualitätsverändernder Körpertorsion“ nach der Weinflasche, einem ungewissen Schicksal entgegensehend. Gentili zufolge ist Judas eine ikonographische Doppelbedeutung inhärent. Zum einen entspricht er der Funktion als Christus-Verräter, zum anderen scheint er auf das reformatorische Ketzertum anzuspielen – eine durchaus diskussionswürdige Hypothese, die der Autor wie folgt erläutert: „Judas ist als einziger ohne Aureole und mit Trinkglas dargestellt, das halbvoll ist und damit sogar auf die Forderung der Protestanten anspielt, die Kommunion nicht nur mit Brot, sondern auch mit

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Wein zu zelebrieren“.295 Diese Theorie lässt sich noch insofern ergänzen, als sich zur Rechten Judas’, genauer im Rücken des Verräters, ein die Hostie des katholischen Messopfers symbolisierendes und beinahe achtlos beiseitegelegtes Stück Brot befindet, dem nicht zufällig ein auf Christus weisendes Messer hinzugefügt ist. Motiviert durch Christi nach rechts geneigte Haltung und dessen schlafenden, ihm farblich angeglichenen Lieblingsjünger Johannes, ist es naheliegend, die Jüngerschar im Sinne des Uhrzeigers zu beschreiben. Den Auftakt bildet ein in ein heftiges Streitgespräch verwickeltes Apostelpaar, das von der keilförmig zugespitzten Tischecke visuell attackiert wird. Der weißbärtige Apostel erhebt vorwurfsvoll seine linke Hand, anscheinend um seinen Nachbarn als Verräter zu verdächtigen. Entsetzt in den Sessel zurücksinkend und das Haupt in jäher Wendung dem Kläger zugewandt, beteuert dieser mit der an die Brust geführten Rechten seine Unschuld, während er mit dem weit ausholenden Arm hilflos Halt zu suchen scheint. Analog zu Judas’ Stellung ist sein Oberkörper dem Betrachter zugeneigt, wobei sich abermals das Wechselspiel zwischen Seiten- und Draufsicht als spannungsfördernder Indikator erweist. Wie Judas ist auch er im Wortsinn als gesichtsloses Wesen dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit erweckt der Umstand, dass das Gewand des Beschuldigten im Arm- und Schulterbereich – darin sich von allen übrigen Protagonisten unterscheidend – unter der absorbierenden Kraft des Lichts seinen an sich schon schwer eruierbaren Farbwert zugunsten eines weißlichen Tons völlig eingebüßt hat. Nicht zuletzt mit diesem signalhaften Lichtakzent wird die fatale Lage des zu Unrecht Angeklagten noch zusätzlich veranschaulicht. Über dem konfliktbeladenen Paar erhebt sich ein weiterer, zu Christus gebeugter Apostel, der sich, dunkel gekleidet, vom hellen Grund der Säulenhalle einem Scherenschnitt gleich abhebt und mit dem Paar einen Hell-Dunkel-Kontrast bildet. Unter ihm – merklich von der Mensa abgerückt und am wenigsten unter den Aposteln am Geschehen Anteil nehmend – kauert ein Jünger mit einer Glasschüssel auf dem Schoß. Auch dieser wird gelegentlich des Verrats verdächtigt, zumal seine Schüssel im Matthäusevangelium im Zusammenhang mit der Verratsankündigung eine wichtige Rolle spielt. Dort heißt es: „Der mit mir die Hand in die Schüssel taucht, der wird mich überliefern.“ (M.T. 26, 23)296 Der Jünger ist partiell in die Dunkelfolie der Seitenwand eingebunden. Lediglich seine in Blau und Zinnoberrot gehaltene Beinkleidung sticht hervor. Angesichts dessen, dass es beim Zinnober um die einzige gesättigte Farbe im Bild handelt, ist ihm die Rolle eines die Figurenkomposition rechts verfestigenden Eckpfeilers zugedacht. Darüber hinaus erfüllt sein Blau eine strukturell integrative Funktion, zumal es auch an Christus und Judas begegnet. In der rechten Bildecke hat Tintoretto ein geradezu monumentales, aus Börsen, Büchern und abgelegten Mänteln bestehendes Stillleben aufgeschichtet, wohl in der Absicht, das ohnedies schon viel Platz beanspruchende Bodenareal nicht ausufern zu lassen. Dazu eine ergänzende Bemerkung: Ursprünglich war daran gedacht, den Boden mit rhythmisch versetzten Steinplatten zu belegen, ehe sich der Künstler zu einer Planänderung entschloss, indem er die sich noch in Resten matt abzeichnende Verfliesung mit bräunlicher Farbe übermalte. Dahinter stand vermutlich die Erkenntnis, dass ein repräsenta-

tiv inkrustiertes Paviment für einen schlichten, kellerartigen Raum sich weniger eigne, als ein roh belassener, gestampfter Erdboden. Der Verzicht auf das vorerst geplante Bodenkonzept ist indes auch durch eine veränderte Raumauffassung zu begründen. Denn hätte der Künstler eine Verfliesung mit entsprechend perspektivisch fluchtenden Fugenschnittlinen realisiert, wäre dies einer überpointierten Erschließung des Tiefenraums gleichgekommen. Dem stand jedoch die Intention entgegen, die raumzentrierte Wirkung des in Draufsicht projizierten Tisches, um den sich wie schon erwähnt die Figuren zum Oval schließen, durch keine linearperspektivischen Maßnahmen zu beeinträchtigen. Letzterem widersetzt sich schon allein die Tatsache, dass die schräg verlaufenden Tischkanten anstatt in Richtung eines in der Ferne liegenden Fluchtpunkts zu konvergieren, in V-Form divergieren, deren Spitze – einem auf den Betrachterraum zielenden, gleichsam ‚verkehrten’ Fluchtpunkt gleich – auf Judas weist. Fazit: Nicht das Streben nach Raumtiefe, sondern eine dem Querformat des Gemäldes adäquate Betonung der kompositionellen Breitendimension stand im Vordergrund des Interesses. Daran ändert auch die kulissenhaft konzipierte Säulenhalle, deren einseitig nach links fluchtende Säulen der symmetrisch angeordneten Apostelschar widersprechen, nur wenig. In der linken Bildhälfte hat die Ankündigung Christi einen Apostel buchstäblich vom Hocker gerissen. Schräg gestellt wie der umgestoßene Stuhl beugt sich der Jünger, dessen vom Licht erfasstes Kleid nur noch den blassen Schimmer eines Lilatons erkennen lässt, mit aggressiver Verve über den Tisch, den Heiland nahezu attackierend. Im Übrigen hat der Maler die spezifische Haltung des Jüngers bereits an jenem im Abendmahl von San Simeone im Vordergrund Christus gegenüberstehenden Apostel fast wörtlich vorweggenommen. – Sein Nachbar neigt sich, wie dem Druck der spitzwinkeligen Tischecke weichend, parallel zu Judas nach links. Wie der Verräter in torsierender Bewegung dargestellt, hebt er den Deckel einer Schüssel, an deren Inhalt eine Katze lebhaftes Interesse zeigt. Am Gewand des den linken Eckpunkt der Komposition akzentuierenden Apostels wiederholt sich jener Rosaton, der auch an Christi Kleid aufscheint. Darin manifestiert sich Tintorettos Bestreben, auch über weite Distanzen hinweg koloristische und/oder formale Konkordanzen herzustellen, die sich dazu eignen – in der Terminologie der Gestalttheorie formuliert – eine „gestalt“-bildende Ganzheit zu stiften. – Der anschließende Jünger, hinter dem eine schräg ansteigende Treppe vom Kellergewölbe zu den Gemächern des Palastes führt, ist als einziger aufrecht sitzend dargestellt. Zu keinerlei Kommunikation fähig und unter dem Eindruck der auf ihn einstürzenden Nachricht wie zur Salzsäule erstarrt, erhebt er in abwehrender Geste seine knapp an den Leib zurückgenommenen Hände, den nach oben weisenden Blick fassungslos ins Leere gerichtet. Am Fuß der Treppe betritt ein Page, eine Schale mit Früchten in Händen, die Szene. Unverkennbar trägt sein Antlitz porträthafte Züge. Zum einen markiert er den linken Abschluss der Figurenkomposition, zum anderen leistet er einen genrehaften Beitrag zum bereits narrativ angereicherten Geschehen. Das Figurenensemble abschließend, bilden drei Apostel eine geschlossene Gruppe. Mit demütig an die Brust geführter Hand beteuern sie ihre Unschuld. Nur Petrus hat sich von seinem Sitz erhoben. Christus am nächsten stehend und von dessen

Übergang zur Reifezeit

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Segenshand beinahe berührt, scheint er sich in lauschend geneigter Haltung zu vergewissern, ob er die Botschaft seines Herrn auch richtig verstanden habe. Bemerkenswert ist ferner, dass das Rotbraun am Kleid des Apostelfürsten auch am Rock des Judas – wiewohl in etwas gesättigterer Modifikation – in Erscheinung tritt. Verstärkt wird diese Affinität noch dadurch, dass die beiden Figuren schräg einander gegenübergestellt sind. Rechnet man dem die zwischen Christus und dem vom Schemel aufspringenden Apostel bestehende Gegenschräge hinzu, so resultiert daraus ein chiastisches Strukturmuster, das die Ovalkomposition der Tischgesellschaft durchkreuzt und als dynamische Ausdrucksqualität jene Spannung erzeugt, die die Aufruhr stiftende Verratsankündigung entfesselt. Der Tradition zufolge hat Tintoretto die für das Refektorium der Crociferi bestimmte Hochzeit in Kana signiert und mit der Jahreszahl 1561 versehen (beides heute unleserlich). Nach Auflösung der Kongregation wurde das Gemälde 1657 in die Sakristei der Kirche Santa Maria della Salute übertragen. Der Umstand, dass der Künstler seine Werke nur äußerst selten signiert und datiert hat, beweist, welch hohe Bedeutung er diesem Bild beigemessen hat. Dass das Gemälde darüber hinaus auch allgemein Wertschätzung genoss, bezeugt das Bestreben des Großherzogs der Toskana, es zu erwerben. Indessen scheiterten dessen Bemühungen am unrealistisch hoch angesetzten Verkaufspreis der venezianischen Verhandlungspartner.297 Die Hochzeit in Kana mit dem Weinwunder Jesu basiert auf dem Johannes-Evangelium (2,1–12): „Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen. Als der Wein ausging sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut! Es standen dort sechs steinerne Wasserkrüge […]. Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum Rand. Er sagte zu ihnen: Schöpft jetzt, und bringt es dem, der für das Festmahl verantwortlich ist. Sie brachten es ihm. Er kostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wusste nicht, woher der Wein kam; die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es.“ Wie in Leonardos Mailänder Ultima Cena spielt die Szene in einer monumentalen, mit einer Kassettendecke versehenen Halle. In Antithese zu Leonardo und laut Hetzer „entgegen dem repräsentativen Wesen der Hochrenaissance, entgegen aber auch den Gepflogenheiten Veroneses breitet Tintoretto die Hochzeitstafel nicht festlich in der Fläche aus, sondern bezieht sie [vertikal fluchtend] in die starke Raumbewegung ein“. Im Unterschied zu Leonardos zentralperspektivischem Konzept weisen sämtliche Fluchtlinien, wie die schräg verlaufenden Längsbalken der Decke und die Fensterreihe der Seitenwand in die linke Bildhälfte, wo sie knapp über Christus, der in typisch manieristischer Weise in weiter Ferne an der oberen Tischschmalseite platziert ist, im Fluchtpunkt konvergieren. Hetzer zufolge „wird das Perspektivische zum Instrument der Stimmung, des Weiteren zum Träger des Inhaltlichen, es vermittelt den Eindruck der Allgegenwart und Allmacht Christi, des Wunders, das er hier gewirkt hat“.298 Um das Fluchtliniensystem nicht allzu plakativ zur Schau zu stellen, verzichtet Jacopo auf eine lineare Wiedergabe der Tischlängskanten, die, von den Gästen überschnitten, verborgen bleiben. Gleichwohl wird dieses Manko durch das

Größengefälle der isokephal dargestellten Hochzeitsgäste wettgemacht. Die entlang zu beiden Seiten des Tisches angeordneten Köpfe erinnern Dvořák an die „Säulenreihen einer Basilika, die [in Christus kulminierend] das Auge in die Tiefe führen. Da liegt das geistige Zentrum: der Wundertäter, der ohne einzugreifen alles bewirkt und der nicht auffällig zur Schau gestellt wird, sondern zu dem sich der Beschauer in dem von Tiefenbewegung erfüllten Raum durchringen muss“.299 In Opposition zur Erschließung des Tiefenraums durchkreuzt das von den vier Fenstern der linken Seitenwand ausgehende Licht queraxial die Szenerie, zunächst, über die Köpfe der Männer hinweg, die rechte Tischhälfte sowie die Frauenseite der Hochzeitsgesellschaft beleuchtend, um schließlich auf das Paviment und die mit zwei Pforten versehene rechte Seitenwand zu treffen. Mit dieser kontrastiert die gegenüberliegende, im Gegenlicht befindliche, somit im Dunkel belassene Wand. Die drei sich im Hintergrund des Saals öffnenden Pfeilerarkaden kommen als Lichtquelle – wie die im rechten Vordergrund queraxial fallenden Schlagschatten verraten – nur sehr eingeschränkt zum Tragen. Die Arkaden geben zwar den Blick auf das helle Blau des Firmaments frei, fungieren aber letztlich nur als Lichtfolie, von der sich miniaturistisch abgebildete Figurengruppen, Proviant transportierende Diener und eine Gruppe orientalisch gekleideter Musikanten abheben.

77 Tintoretto, Die Hochzeit zu Kana, Öl auf Leinwand, 435 x 545 cm, Venedig, Santa Maria della Salute, Sakristei

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Zur Linken Christi sitzt Maria, die ihrem Sohn die Worte „Herr, sie haben keinen Wein mehr“ zuzuraunen scheint. Und im nahezu selben Moment vollzieht sich das Wunder im rechten Vordergrund, wo Diener auf Anordnung des an einer Anrichte stehenden Festveranstalters dunkelbraune Gefäße herbeischaffen und eine hoch aufgerichtete, mit Licht und Schatten plastisch durchgebildete Magd Wasser in großem Bogen von einem in den anderen Krug gießt, wobei die an der Tischecke sitzende Frau (ihre Nachbarin eingeschlossen) in vorgebeugter Haltung mit bestätigender Armgeste die wundersame Verwandlung von Wasser in Wein bereits wahrzunehmen scheint. Letztere markiert genau jene Stelle, wo die Raumbewegung der Tafel – noch zusätzlich durch den Goldenen Schnitt akzentuiert, der sich in der dahinter stehenden, mit weißem Kopftuch niederländischer Prägung versehenen Frau und in der rechten Säule der dreibogigen Arkatur fortsetzt – in die alle Figuren im Vordergrund umfassende Flächenprojektion umbricht. Die exakt auf der Bildachse situierte, rot gekleidete Frau versucht, nach links geneigt, mit gestreckter Armbewegung den ihr zugewandten, an der linken Tischecke postierten weißbärtigen Mann vom bereits erfolgreich vollzogenen Wunder zu überzeugen. Den Beweis dafür erbringt der von links herantretende, als Einstiegsfigur fungierende Diener, der den mit leuchtendem Orange besonders betonten Zweifler die Öffnung des vermutlich schon mit Wein gefüllten Krugs ostentativ entgegenhält. Die Tatsache, dass die Hochzeitstafel ausschließlich in der linken Bildhälfte situiert ist, hat Coletti zum Anlass geommen, der Komposition eine „absichtliche Gleichgewichtsstörung“ zu unterstellen.300 In Wahrheit jedoch war Tintoretto bestrebt, das Gemälde im Gleichgewicht zu halten beziehungsweise die Bildhälften – die drohende Einseitigkeit im Sinne eines erhöhten Spannungspotenzials nutzend – in einem ausgewogenen Verhältnis zu harmonisieren. Dafür sind mehrere Faktoren ausschlaggebend: zum einen der Umstand, dass der von links einfallende Lichtstrom die rechte Wand hell beleuchtet, wogegen die linke Wand in tiefes Dunkel gehüllt ist, zum anderen die drei dunkelbraunen, wie auf dem rechten unteren Bildrand abgestellten Krüge, von denen der mittlere aufgrund seiner isolierten, scherenschnittartig sich vom hellen Paviment abhebenden Stellung schon bei flüchtiger Betrachtung ins Auge sticht. Hinzu kommt, dass sich das Wunder – dem Goldenen Schnitt angenähert und durch den achtarmigen Luster vertikal akzentuiert – in der rechten Bildhälfte vollzieht, eben dort, wo sich das Wasser beim Umgießen in den bereitgestellten Krug in Wein verwandelt. Dem Gleichgewichtsstreben entsprechend verfügen schließlich auch die drei tief verschatteten, um den hellen Pavimentausschnitt zirkulierenden Diener über ein beträchtliches Anschauungsgewicht.

Die beiden großen Gemälde im Chor von Madonna dell’ Orto

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Schon vor 1562 erhielt Tintoretto den Auftrag, das Presbyterium der Kirche Madonna dell’ Orto, in deren Nähe sich sein Atelier befand, mit Malereien auszustatten. Die Arbeiten an diesem bislang größten Projekt des Künstlers erstreckten

sich vermutlich bis in das Jahr 1564. Abgesehen von der Darstellung der vier Kardinaltugenden und dem später beseitigten Deckenfresko sind die beiden über 14 Meter hohen, an den Chorseitenwänden angebrachten Gemälde Die Übergabe der Gesetzestafeln an Moses (mit dem Goldenen Kalb) und das Jüngste Gericht zweifellos als die Hauptattraktion des Ganzen anzusehen. Das eigenartige, mit spitzbogigem Abschluss versehene Format der Gemälde ist auf die gotische Architekturstruktur des Presbyteriums bezogen. Die beiden Bilder gleichen, so Emmrich, „überdimensionierten Fenstern vor einem düsteren Himmel“. Aufgrund ihres ungewöhnlich monumentalen Formats wurden die Gemälde im Kirchenraum ausgeführt. Die Leinwände sind aus Stücken verschiedener Abmessungen zusammengenäht und danach auf Rahmen gespannt worden.301 Um sich den Auftrag zu sichern, begnügte sich der Künstler mit der Zahlung einer Materialkostenpauschale von 100 Dukaten. Da der Chor der Kirche einem Zweig der Grimani-Familie auch als Grabkapelle gedient hat, wurde vermutet, dass der 1570 verstorbene Patrizier Girolamo Grimani Stifter der riesigen Chorgemälde gewesen sei. Angesichts dessen, dass Grimani das Amt eines Sonderbotschafters am päpstlichen Hof bekleidete, gelangt Krischel zur Hypothese, wonach dieser Tintoretto „zu seinem atemberaubenden Wettstreit“ mit Michelangelos 1541 fertiggestelltem Jüngsten Gericht in der Sixtinischen Kapelle animiert habe.302 Da Jacopo nie in Rom weilte, somit keine unmittelbare Kenntnis von Michelangelos Epoche machendem Wandgemälde hatte, ist ferner nicht auszuschließen, dass ihm der Patrizier die schon damals weit verbreiteten, nach Michelangelos Werk produzierten Stiche als Anschauungsmaterial bereitgestellt hat. Der gravierendste Unterschied zu Michelangelos Fresko besteht darin, dass Tintoretto sein „Jüngstes Gericht“ – präjudiziert durch den unüberbietbaren Vertikalismus des Formats – als ein kosmisch-apokalyptisches Ereignis darstellt, in dem die unendlich vielen, miniaturistisch wiedergegebenen Figuren – ihre Individualität einbüßend und vom Betrachter nur mit Mühe identifizierbar – in überwältigender, durch Hell-Dunkel-Kontraste geleiteter Dynamik zu einer gestaltlichen Ganzheit verschmelzen. Michelangelo hingegen sucht den Ausgleich zwischen Breiten- und Höhendimension, wobei er die zahlreichen Figuren in acht Gruppen flächenprojektiv aufteilt. Trotz enormer Verdichtung der Gestaltenmasse wahrt die Einzelfigur angesichts ihrer Körperplastizität ein hohes Maß an Selbstständigkeit. – Ganz allgemein ist für die Forschung charakteristisch, dass sie sich vorzugsweise mit Jacopos antithetischem Verhältnis zu Michelangelo auseinandersetzt und davor zurückschreckt, das in der Tat nahezu unüberschaubare Jüngste Gericht in Madonna dell’ Orto einer deskriptiv zureichend gestützten Analyse zu unterziehen. Beispielhaft dafür Thodes resignativer Satz: „Doch wozu beschreiben, was unbeschreibbar?“303 Die kürzeste, gleichwohl prägnanteste Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen von Michelangelo und Tintoretto verdanken wir meines Erachtens Coletti: „Der Vergleich mit dem Jüngsten Gericht Michelangelos zeigt, abgesehen von wenigen Berührungspunkten in ikonographischen Einzelheiten, einen grundlegenden Unterschied in der Raumauffassung. Michelangelos Bild besitzt eine geringe Raumtiefe, daher hat sein Stil so einen eigenen Eindruck von Verdich-

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78 Tintoretto, Das Jüngste Gericht, Öl auf Leinwand, 1450 x 590 cm, Venedig, Madonna dell’Orto

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tung und Kraft. In der tintorettischen Dynamik hingegen wird der Raum sozusagen elastisch. Dieser Eindruck wird hervorgerufen durch die sich vervielfältigenden Diagonalen, die in alle Richtungen streben […]. Die Figurengruppen, die sich bei Michelangelo zu geschlossenen Trauben verdichten, zerstreuen sich bei Tintoretto, als würden sie von einer zentrifugalen Kraft ergriffen, die von allen Seiten hereinbricht. Der wechselnde Rhythmus von Lichtströmen und Schattenabgründen […] erzeugt eine Lebenswelle, die sich bis in die Unendlichkeit verbreitet.“304 Instruktiv ist auch Dvořáks Vergleich: „Es ist hier [bei Tintoretto] keine Gerichtsszene dargestellt, keine Zusammenfassung der einzelnen Stadien der letzten Dinge in einen einzigen fruchtbaren Augenblick, sondern deutlich drei getrennte Situationen […]. Die drei Vorgänge sind nacheinander wie in einer Chronik abzulesen, sie entfalten sich nicht in der Bildebene neben- und übereinander [wie bei Michelangelo], sondern entwickeln sich aus der Tiefe des Raums.“305 Wie bei Coletti steht auch bei Dvořák die Raumproblematik im Zentrum des Interesses. Das Problem betrifft vor allem die oberen Bilddrittel, die kosmisch-transzendente Himmelsphäre. Hier Raumtiefe mit perspektivischen Mitteln zu erzeugen, verbietet allein schon das exorbitant vertikale Format, das den Künstler schon a priori zu einem Übereinanderstellen von Bildebenen zwingt. So gesehen kommt Raumtiefe vor allem durch Hell-Dunkel-Kontraste zustande, dergestalt, dass dunkelgrau-braune, nach oben zu kleiner werdende und mit zahlreichen Figuren besetzte Wolkenbänke, die beidseitig (indes asymmetrisch) keilförmig und schräg ausgerichtet in die Bildfläche vordringen, als gleichsam obere Schicht auf einem lichten Grund zu ‚schwimmen‘ scheinen. Dieser bahnt sich – schräg von der Symmetrieachse abweichend – kanalartig seinen Weg zwischen dem Wolkengeschiebe und lässt, eben den Eindruck von Raumtiefe vermittelnd, die unendliche Weite des Kosmos durchschimmern. Im Scheitel des Spitzbogens ist Christus, auf einem grauen Wolkenhügel thronend und vom Lilienszepter der Gnade und dem Schwert der Gerechtigkeit flankiert, als Hauptgestalt des Ganzen in typisch manieristischer Weise dermaßen klein dargestellt, dass er vom Betrachter nur erschwert wahrnehmbar ist; darin an Tizians Trinität in dessen Madrider Glorie erinnernd.306 Zu Füßen des Wolkenthrons schweben, den Schenkeln eines Dreiecks gleich schräg ausgerichtet, Maria und Johannes Evangelista, die sich mit dem Erlöser zur Deesis-Gruppe formieren. Ihnen am nächsten steht eine in Rückenansicht wiedergegebene Frau, die zwei Kinder in den Armen hält und als Caritas auf Christi Barmherzigkeit anspielt, womit schon viel über Tintorettos Vorstellung von Christi milder Richterfunktion ausgesagt ist. Und darin manifestiert sich wohl auch der Hauptunterschied zu Michelangelos Auffassung vom Jüngsten Tag, der im Freskogemälde der Sixtinischen Kapelle kompromisslos im Sinne des dies irae inszeniert wird. Der Weltenrichter, dargestellt in mächtig ausgreifendem Kontrapost, ist unbestritten die monumentalste Gestalt des Ganzen. Mit düsterer Miene die Rechte hoch angehoben, fällt er sein Urteil über die rechts unten zu Höllenqualen verdammten Seelen. Unter der zum Heiland schwebenden Caritas befinden sich, vom hellgrauen Firmament hinterfangen und bisweilen (mit dem Farbakkord der Gottesmutter korrespondierend) mit Rot und Blau akzentuiert, V-förmig gruppierte Propheten, Apo-

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stel und Märtyrer, die im Einzelnen zu identifizieren – und dies gilt für die meisten Figuren der Himmelszone – schwerfällt. Besonders auffällig ist die halbbekleidete, auf einer horizontalen, dreiteilig gegliederten Wolkenbank stehende Rückenfigur, die, ein Buch haltend, axial auf Christus ausgerichtet ist. Swobodas mit einem Fragezeichen versehenem Vorschlag, diese mit dem das Gericht voraussagenden Propheten Joel zu identifizieren, ist durchaus etwas abzugewinnen.307 Den rechts oben als stattlicher Halbakt dargestellten Kreuzträger, der in der Literatur mitunter mit dem Hl. Andreas identifiziert wird, hat schon Ridolfi als guten Schächer, dem Christus bekanntlich den Einlass ins Paradies verheißt, bezeichnet.308 Im Übrigen begegnet man dem Kreuzträger schon in Michelangelos Jüngstem Gericht, wo er rechts außen als gleichermaßen athletische Aktfigur in Erscheinung tritt. Zur nächstfolgenden Zone, wo bereits gerettete Seelen in dichter Verknotung in den Himmel auffahren, vermitteln vier paarweise symmetrisch angeordnete und durch Gelb und Rot akzentuierte großfigurige Engel, die in heftiger Bewegung und mit wie im Sturm wehendem Haar raumgreifend herabstürzen und mit Posaunenschall den Jüngsten Tag ankündigen. Darunter zwei schmale, schräg fallende und räumlich zurücktretende Wolkenbänke, auf denen weitere, nunmehr klein proportionierte und zum Teil stark verkürzte Figuren (darunter eine rot gekleidet) platziert sind. Hier ist anzumerken, dass das Rot in den beiden oberen Bilddritteln häufig, meist in kleinen Partikeln, auftritt und gleichsam einen koloristisch-kompositionellen Leitfaden bildet. Inmitten des die Wolkenformationen teilenden Lichtkanals schwebt ein Engel hernieder, dessen leuchtendes Orange große Aufmerksamkeit erregt. Anscheinend ist er bestrebt, den Erzengel Michael beim Hantieren mit der Seelenwaage zu unterstützen, wobei er versucht, den bedrohlich nach rechts geneigten Waagbalken im Gleichgewicht zu halten, wohl in der Absicht, der Gnade gegenüber dem Recht zum Sieg zu verhelfen. Testperson ist offensichtlich die darunter emporschwebende, von einem Engel gestützte junge Frau, die, barbusig dargestellt und in verführerischer Schönheit brillierend, ein feurig rotes Kleid trägt. Auf derselben Ebene rechts gegenüber ist ein großes dunkelbraunes, schräg abfallendes Wolkengebilde situiert, dessen keilförmig zugespitzter Form ein beträchtliches, den Lichtstrom verengendes Dynamikpotenzial inhärent ist. Auf der Wolkeninsel sind die Hll. Laurentius, Sebastian und Hieronymus postiert, wobei Letzterer durch ein hoch gesättigtes Rot besonders hervorgehoben ist. Über dem Kirchenvater zeichnet sich der Kopf eines älteren Herrn ab, der von einer zeitgenössisch gekleideten jungen Dame begleitet wird. Beide tragen unverkennbar porträthafte Züge. Höchstwahrscheinlich ist hier Girolamo Grimani als Stifter des Gemäldes abgebildet. Diese bereits angedeutete These lässt sich noch insofern erhärten, als der Patrizier in unmittelbarer Beziehung zu seinem Namenspatron Hieronymus steht. Das untere Bilddrittel steht im Zeichen des Irdischen, eingeleitet durch eine geradezu apokalyptische Überschwemmungskatastrophe, die man als typologische Anspielung auf das alttestamentarische Gericht der Sintflut interpretieren kann. Die Wassermassen ergießen sich über eine dammähnlich linear durchgezogene Bodenschwelle, ein tobender Katarakt, der die kopfüber stürzenden Verdammten

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79 Tintoretto, Das Jüngste Gericht (Detail), Venedig, Madonna dell’Orto

mit sich reißt. Rechts daneben ein fast vertikal vom Wasserfall fortgeschwemmtes, mit Menschen vollgestopftes Boot, das zwei Gondolieri mit langer Ruderstange vergeblich am Kentern zu hindern suchen. Dazu Emmrich ergänzend: „Inmitten der silbrigen Lichtspuren auf den graugrünen Fluten lösen sich unter den Wasserschleiern die Konturen der Leiber auf. Die Körper der Geängstigten verströmen ein irisierendes Licht. Sie werden Teil des rasenden Elements.“309 Die ausschnitthaft wiedergegebene Sintflut-Szene ist – in ihrer mittleren Helligkeit mit dem Dunkel des sie umgebenden Ambientes kontrastierend – von einer innerbildlichen, der Form eines Ovals entsprechenden Rahmung eingefasst, in die der von oben herabströmende Lichtkanal durch einen schmalen Spalt einsickert. Kommunizierenden

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Gefäßen gleich scheint das in grauer Vorzeit sich ereignende Sintflut-Geschehen mit dem Jüngsten Gericht in Verbindung zu stehen. Da die den Fluten zum Opfer fallenden Verdammten ebenso klein dargestellt sind wie die im Lichtkanal verblassenden Figuren, ist evident, dass sie – abgestuft gegenüber den viel größeren, außerhalb des Ovals auf den dunklen Wolkengebilden angesiedelten Gestalten – einer merklich in die Tiefe versetzten Raumschicht angehören. In der untersten Bildzone öffnen sich die Gräber, aus denen Schauder erregende Totenschädel hervorlugen und Skelette sich erheben, nach und nach sich in Fleisch verwandelnd. „Eine Lawine von Körpern […] hängt über unseren Köpfen, ist aber bereit, jeden Augenblick auf uns herabzustürzen und uns mitzureißen“, so die suggestiven Worte Colettis.310 Links unten sind zwei in Blau (der kanonischen Farbe Mariens) gekleidete Frauen mit hilfreichen Gesten sichtlich bemüht, einige Auferstehende bei der Befreiung aus dem Erdreich zu unterstützen. Im Rücken der linken Frau breitet ein glatzköpfiger Greis seine Arme aus, welche die zum Jüngsten Tag bereiten Figuren in zwei Stoßrichtungen zu lenken scheinen. Die eine nach rechts orientiert, die andere nach links oben weisend, wo sich eine halbnackte Frau entlang eines steilen, die Sintflut-Szene abgrenzenden dunklen Berghangs emporwindet, während ihr Begleiter kopfüber in die Tiefe stürzt. Spätestens an dieser Stelle wird klar, so Von der Bercken, dass „bei Tintoretto nicht wie in allen früheren Darstellungen [des Jüngsten Gerichts] eine scharfe Scheidung zwischen Auferstehenden links und Verdammten rechts besteht. Alles wogt und flutet durcheinander“.311 In der anderen Stoßrichtung sind die nackten Leiber, oszillierend zwischen Licht und Schatten, in zickzackartiger Anordnung und in einem girlandenähnlichen Kontinuum dermaßen eng ineinander verkeilt, dass der terrestrische Grund völlig verborgen bleibt. Den Schwerpunkt der nur schwer entwirrbaren Figurenkomposition setzt, vom Licht akzentuiert, ein in Rückenansicht in die rechte Bildecke herabschwebender Engel, der mit beidarmigem Zugriff einen Jüngling vor dem Abgrund der Hölle zu retten sucht – einmal mehr bestätigt sich hier Tintorettos Abkehr von der ikonographischen Tradition, die erlösten Seelen nur in der linken Bildhälfte darzustellen. Oberhalb des rettenden Engels verbreitet sich eine extrem dunkle Zone, die zu durchdringen äußerst schwerfällt. Nur mit Mühe erkennt man die im Anschluss an die Wogen der Sintflut hoch aufgerichtete Gestalt des vogelgesichtigen Charon, der – ikonographisch durch Michelangelos gleichnamige Gestalt in dessen Jüngstem Gericht angeregt – seine schräg nach unten kippende, mit Verurteilten hoffnungslos überfüllte Barke in den Hades beziehungsweise die Hölle steuert. An der linken Seitenwand des Presbyteriums von Madonna dell’ Orto befindet sich Die Übergabe der Gesetzestafeln an Moses, ein Gemälde, das zum Jüngsten Gericht in typologischer Beziehung steht, zumal es dem Alten Testament zufolge (2. Buch Moses, Exodus 21,1–23,33) neben den Zehn Geboten implizit auch die zahlreichen, von Jahwe Moses erteilten „Rechtsvorschriften“ birgt, die dereinst Christus bei seiner Rechtsprechung am Jüngsten Tag gleichsam als juridisches Substrat dienen werden. An der traditionellen Titelgebung des Bilds (Die Anbetung des Goldenen Kalbes) wird in der Literatur (meines Wissens ausgenommen in Kri-

80 Tintoretto, Die Übergabe der Gesetzestafeln an Moses, Öl auf Leinwand, 1450 x 590 cm, Venedig, Madonna dell’Orto

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schels Tintoretto-Monographie) bis heute hartnäckig festgehalten, wiewohl schon Rodgers (1976) diese Titulatur-Version als fälschlich dekuvriert hatte.312 Wie noch näher auszuführen sein wird, handelt es sich hier nicht um die Anbetung, sondern um die Konzeption, beziehungsweise, modern ausgedrückt, die Finanzierung des Goldenen Kalbs. Im „Bundesangebot Gottes“ (Exodus, 19,1–3) heißt es: „Im dritten Monat nach dem Auszug der Israeliten aus Ägypten […] kamen sie in der Wüste Sinai an […]. Sie schlugen in der Wüste das Lager auf. Dort lagerte Israel gegenüber dem Berg [Sinai]. Mose stieg zu Gott hinauf […]“. Im Exodus (31,18 und 32,1–8) weiter: „Nachdem der Herr zu Mose auf dem Berg Sinai alles gesagt hatte, übergab er ihm die beiden Tafeln der Bundesurkunde, steinerne Tafeln, auf die der Finger Gottes geschrieben hatte. Als das Volk sah, dass Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron und sagte zu ihm: Komm mach uns Götter, die vor uns herziehen. […] Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her. Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron. Er nahm sie von ihnen entgegen, zeichnete mit einem Griffel eine Skizze und goss danach ein Kalb […]. Da sprach der Herr zu Mose: Geh, steig hinunter, denn dein Volk, das du aus Ägypten heraufgeführt hast, läuft ins Verderben. Schnell sind sie vom Weg abgewichen, den ich ihnen vorgeschrieben habe. Sie haben sich ein Kalb aus Metall gegossen und warfen sich vor ihm zu Boden.“ Vom Scheitel des rahmenden Spitzbogens ausgehend stürzen Engel kopfüber in die Tiefe, zunächst bestrebt, einem dunklen, keilförmig vorstoßenden Wolkengebilde auszuweichen, um sich dann, mit Jahwe im Mittelpunkt, in waghalsigen Flugbewegungen und von zentrifugalen Kräften getrieben in einen ekstatischen Reigen zu vereinen. Erstaunlicherweise ist die Gottheit als körperliches Wesen dargestellt, das, der Schwerkraft ausgesetzt, der Hilfe von zwei ihr unter die Arme greifenden Engel bedarf. Jahwe bei der Präsentation der Gesetzestafeln tatkräftig unterstützend, fliegen diese, stark abgedunkelt, im Gegenlicht einer dreifach abgestuften Aureole und kontrastieren mit zwei weiteren, vom Glanz der Gloriole erfassten Engeln, die mit Moses beinahe in Berührung kommen. Wie Jahwe die Arme weit ausgebreitet kniet Moses auf dem Gipfelplateau des Bergs Sinai und scheint sich im Weiß der Lichtstrahlen nahezu aufzulösen. Die eher körperhaft anmutende als geistig durchdrungene Erscheinung Jahwes beschreibt Emmrich wie folgt: „Nicht der Figur Gottes, sondern Moses im Licht der himmlischen Glorie verlieh der Künstler jene Transparenz, wie eine sich ins Geistige wandelnde Körperlichkeit, die Durchdringung von Irdischem und Himmlischem formuliert.“313 Vor der dunklen Felswand des im oberen Abschnitt von breiten, weiß konturierten Wolkenstreifen umhüllten Berg Sinai, dessen linke Silhouette in großem Bogen steil abfällt und unten nur einen schmalen Durchlass in den Hintergrund offen hält, ereignet sich jene Szene, in der Aaron, nachdem er den Frauen befohlen hatte, ihren Goldschmuck zugunsten der Produktion des Goldenen Kalbs abzulegen, das im Modell bereits fertiggestellte Götzenidol in Augenschein nimmt. Als Repoussoirfigur in der rechten unteren Bildecke sitzend dargestellt und durch Ultramarin besonders akzentuiert, erinnert Aaron mit seiner jähen Kopfwendung,

Madonna dell’ Orto

81 Tintoretto, Die Übergabe der Gesetzestafeln an Moses (Detail), Venedig, Madonna dell’Orto

kontrapostischen Beinstellung und plastisch durchgebildeten Gewanddrapierung laut Swoboda in der Tat an Michelangelos Moses-Skulptur.314 Ihm zur Seite steht Bezalel, der – im Exodus (36,1) als einer der „Kunstsachverständigen“ Israels bezeichnet – mit dem Zirkel in der Hand und mit ausladender Gebärde sich bei seinem Auftraggeber zu vergewissern scheint, ob sein nur noch auf den Guss wartendendes, in Ton oder Wachs gefertigtes Idol-Modell wohl auch Anklang fände. Neben ihm beugt sich sein offensichtlich nicht nur in Kunstsachen, sondern auch in finanziellen Angelegenheiten sachkundiger Gefährte Oholiab nieder, um, als Halbakt vom Licht hervorgehoben, die zu einem Haufen geschichteten Goldpreziosen in bereitstehende Körbe abzufüllen. Wie auf einer Empore angesiedelt nimmt die Spendenfreudigkeit von vornehm gekleideten, auf dem vortretenden Sockel der Felswand thronenden und von einem Sonnensegel überdachten Damen ihren Fortgang; eine davon lässt sich noch rasch von ihrer Dienerin die Ohrgehänge abnehmen. Parallel zur schräg in die Tiefe weisenden Felsbank transportieren vier Männer das auf einer hochgehobenen, mit Goldgeschmeide bedeckten Platte zur Schau gestellte Kalbsmodell, um es Aaron zur Begutachtung vorzuführen. Den Abschluss der kleinen Prozession bildet eine die Männer in typisch manieristischer Weise weit überragende Frauengestalt, die im Auftrag von Aaron, mit dem sie angesichts ihres ultramarinblauen Kleides in Verbindung steht, zu weiteren Spenden aufruft. Zu ihren Füßen, in der linken Bildecke, neigt sich eine Frau zu ihrer Gefährtin, die ihr bei der Abnahme der Ohrringe behilflich ist. Letztere ist in kauernd torsierender Haltung wiedergegeben, wobei sich abermals (wie bei Aaron) – im Sinne einer freien Paraphrase – eine Affinität mit Michelangelo abzeichnet. Swoboda verweist auf dessen Libysche Sibylle an der Decke der Sixtinischen Kapelle, die Tintoretto aus Michelangelos seitlicher Darstellung in Rückenansicht transformiert hat.315 Links im Hintergrund lagert die Menge der Israeliten, die Tintoretto wie so oft bei vergleichbaren Anlässen in schemenhaft entmaterialisierendem Weiß

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wiedergibt. Davor – eingezwängt zwischen dem Bildrand und dem ausschwingenden Felsmassiv – eilen Frauen, zu einer dichten Masse verschmolzen und farblich ebenso neutralisiert, herbei, um mit emphatischen Gebärden ihren Goldschmuck in einem mit Preziosen bereits überquellenden Becken abzulegen.

Die späteren Bilder Tintorettos für die Scuola di San Marco

Nächste Seite: 82 Tintoretto, Die Bergung des Markusleichnams, Öl auf Leinwand, 398 x 315 cm, Venedig, Accademia

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Erst 14 Jahre nach der Vollendung des für die Scuola di San Marco bestimmten Sklavenwunders, das in der kunstsinnigen Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt, bei der Bruderschaft indes nur wenig Begeisterung ausgelöst hatte, bot sich Tintoretto die Gelegenheit, sein Projekt, die Produktion eines Markus-Bilderzyklus, fortzusetzen. Begünstigt war dieses Vorhaben dadurch, dass der wohlhabende Arzt und Universalgelehrte Tommaso Rangone, ein erklärter Bewunderer des Künstlers, 1562 an der Scuola das Amt des Guardian Grande innehatte. Am 21. Juni des Jahres erteilte der Rat der Bruderschaft Rangone die Genehmigung, auf eigene Kosten für den Kapitelsaal drei weitere Bilder mit Wundern des Hl. Markus in Auftrag zu geben: „[…] de poder far dipingier a tutte sue spese li tre quadri con i miracoli del nostro Santissimo protetor mess. S. Marco […].“316 Seinerzeit bisweilen geäußerte Bedenken gegenüber dem Sklavenwunder aus dem Jahr 1548 waren längst verstummt, zumal sich der Ruf Jacopos mittlerweile gefestigt hatte und dessen erster Staatsauftrag, die Deckenmalereien im Atrio quadrato des Dogenpalastes, sich bereits ankündigte. Da Jacopo die beiden riesigen Gemälde im Chor von Madonna dell’ Orto noch nicht ganz vollendet hatte, ist bezüglich der drei Markus-Bilder mit einer längeren Schaffenszeit zu rechnen. Gesichert ist lediglich, dass Vasari die drei Scuolengemälde anlässlich seines Venedig-Aufenthalts von 1566 besichtigt und ausführlich beschrieben hat, womit für deren Datierung ein Terminus ante quem gewonnen ist. Hatte der Vitenverfasser das Sklavenwunder dereinst in den höchsten Tönen gepriesen, gelangte er nunmehr zu einem relativierenden Urteil, indem er nur die invenzione der drei Markus-Bilder mit Lob bedachte, deren Ausführung jedoch als zu flüchtig tadelte. Diese Kritik dürfte auch bei der Bruderschaft Bedenken ausgelöst haben. Denn nur so ist verständlich, dass Rangone den Zyklus am 10. August 1573 in seinen Palast übertragen ließ und Tintoretto am 8. September des Jahres die Bilder von dort in sein Atelier transferierte, um diese „vollständig fertig zu malen“.317 Der Bergung des Markusleichnams (seit 1920 in der Accademia aufbewahrt) liegt der Bericht in der „Legenda Aurea“ zugrunde. Nach seiner Gefangennahme durch alexandrinische Heiden wurde der Heilige, an einem Strick gefesselt, durch die Straßen der Stadt geschleift, bis er „seinen Geist aufgab“, worauf es in der Legende weiter heißt: „Nun wollten die Heiden seinen Leichnam verbrennen. Aber siehe, da rauschte es in den Lüften, und fuhr Hagel hernieder und rollten die Donner und zuckten die Blitze, also dass jedermann zu entrinnen trachtete, und ließen den heiligen Leib unversehrt liegen – Da nahmen ihn die Christen und bestatteten ihn in der Kirche mit großer Würdigkeit.“318 Die Szene spielt somit im ersten früh-

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83 Tintoretto, Die Bergung des Markusleichnams, Öl auf Leinwand, 108,5 x 125 cm, Brüssel, Musées Royaux des BeauxArts

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christlichen Jahrhundert und nicht, wie in der älteren Literatur und selbst noch von Emmrich (1988) irrtümlich behauptet, erst um 828, als venezianische Kaufleute die Reliquien des Evangelisten von Alexandria nach Venedig entführten.319 Problematisch ist ferner Swobodas Annahme, wonach es sich bei der Rettung des Leichnams des Hl. Markus vom Scheiterhaufen (109 x 124 cm; Brüssel, Kgl. Galerie) um den „Modeletto“ zur Bergung in der Accademia handle.320 Dieser bereits von Coletti zu Recht abgelehnten These widerspricht allein schon der in der Brüsseler Version vom Accademia-Gemälde merklich abweichende ikonographische Sachverhalt.321 Denn dargestellt ist dort nicht der Transport des Evangelisten, sondern die vorhergehende Handlungsphase: die durch drei Christen vorgenommene Abnahme des Markusleichnams vom Scheiterhaufen. Die alexandrinischen Heiden flüchten vor dem vom Meer heraufziehenden Unwetter, in den den Schauplatz flankierenden Gebäuden Schutz suchend. Bemerkenswert der linke, ausschnitthaft gezeigte, doppelgeschossige Palazzo, der mit seiner von Säulen akzentuierten Pfeilerarkatur deutlich an Sansovinos Libreria erinnert, demnach auf die zur Lagune offene Piazzetta in Venedig anspielt.322 Wie Swoboda zählt auch Von der Bercken das Brüsseler Gemälde zu den autographen Leistungen Tintorettos, allerdings mit der Einschränkung, dass es als „Skizze zu einem nicht zur Ausführung gelangten Bild gehört“. Dieser Theorie hat Coletti umgehend – und in der Folge fast einhellig die Tintoretto-Forschung – widersprochen. Laut Coletti sei das Brüsseler Gemälde „auch gar nicht von Tintoretto, sondern nur ein späteres Werk seiner Werkstatt, vielleicht die Kopie oder Wiederholung einer anderen Idee des Meisters“.323 Wie in der Fachliteratur schon mehrfach erörtert, hat Tintoretto den Schauplatz der Bergung des Markusleichnams (Accademia) von Alexandria mit deutlicher Anspielung auf die Piazza di San Marco nach Venedig verlegt. In der Tat erinnert das linke Gebäude mit seiner Vielzahl an parataktisch gereihten Arkaden an die Procuratie vecchie. Ein weiteres Indiz für die Dislozierung bietet die von schmalen weißen Steinplatten unterteilte Backsteinpflasterung des Paviments, die in ähnlicher Weise schon Gentile Bellini in seiner berühmten Prozession auf dem Markusplatz 1496 zur Darstellung gebracht hatte. Jacopos Blickwinkel zielt nicht auf die Markuskirche, sondern auf die Schmalseite der Piazza, an der sich (bis zur Demolierung unter Napoleon) Sansovinos Kirche S. Geminiano befand. Indessen lag dem Maler nichts ferner, als sich von dieser eher bescheidenen Kirchenfassade anregen zu lassen. Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass das nach dem Modell eines dreifachen Triumphbogens konzipierte Erdgeschoss des die gesamte Breite der Piazza einnehmenden monumentalen Bauwerks, wenngleich in einen größeren Maßstab übertragen, an Sansovinos dem Campanile von San Marco vorgelagerte Loggietta erinnert. Auf dem Erdgeschoss erhebt sich ein riesiger, oktogonal abschließender Turmbau, den Weddigen mit der Torre dell’ Orologio der Piazza dei Signori in Padua in Verbindung bringt.324 Um 1815/16 wurden von der linken Bildseite 28 cm abgetrennt, wobei man die himmelwärts fliegende Markusseele tilgte, die Tintoretto als kristallin transparenten Akt links oben mit einem in Bleiweiß getunkten Pinsel auf die Leinwand ge-

zeichnet hatte. Anlässlich der Restaurierung von 1959 fand man das abgeschnittene Fragment (324 x 28 cm).325 Berücksichtigt man das ursprünglich merklich breitere Bildformat, so hat eine gültige Analyse von zwei Prämissen auszugehen: Zum einen befand sich links außen eine weitere Arkade, unter deren Bogen eine vor dem Gewitter fliehende Figur Schutz sucht. Damit klärt sich auch die heute nicht ganz verständliche Situation des in der linken Bildecke zu Boden Gestürzten, der nicht etwa nach einem Vorhang greift, sondern den vom Sturm gepeitschten Mantel eines Flüchtlings zu fassen bekommt. Zum anderen lag der himmelstürmende, vom Unwetter umtoste Turm ehemals exakt auf der Symmetrieachse – mehr denn je zuvor, und dies gilt auch für die Auffindung des Markusleichnams (Mailand, Pinacoteca di Brera) – steht Tintoretto hier im Bann seines Anliegens, den Tiefenraum unter massivem Einsatz der Linearperspektive und mit geradezu sogartig suggestiver Kraft zu erschließen. Den Einstieg bildet die sich über das gesamte Paviment der Piazza in die Tiefe erstreckende und sich sukzessiv verjüngende Marmorplattenfolge, die bis zum Säulenpaar des triumphalen Turmbaus herangeführt wird. Und genau an dieser Stelle liegt der Fluchtpunkt, konvergieren alle übrigen Fluchtlinien: die Gebälke und Sockelstufen des linken Palazzos sowie die Dachtraufe der rechten, nur durch Lisenen gegliederte Fassadenwand. Darüber hinaus gelangt als Tiefenraum erschließender Gradient das Mittel des Größenund Abstandsgefälles zum Einsatz, wie es sich an den quer verlaufenden, die Ziegelpflasterung unterteilenden Marmorstreifen und an den Arkaden und Doppelfenstern des linken Gebäudes manifestiert. Schwärzliche Wolken ziehen über den ockerfarbig durchschimmernden Himmel und entfesseln ein schweres Gewitter, vor dem die von Panik erfassten Heiden in die schützenden Arkaden flüchten. Zahlreiche Blitze entladen sich und sorgen für eine nur kurzfristig dauernde Beleuchtung der Gebäude, die unter der Flüchtigkeit des Augenblicks jegliche Substanz einzubüßen scheinen und sich in weißlich hellgraue, konturenschwache Kulissen verwandeln. Das Gleiche gilt für die lange Reihe der die Piazza leerfegenden Gestalten, die, der Monochromie der Architektur angeglichen, als durchsichtige, schimärische Wesen Schutz suchen. „Ihre Körperlichkeit scheint ausgelöscht, die Verwandlung ins Wesenlose hat begonnen“, schreibt Emmrich. Swoboda zufolge „kehren solche Lichtvisionen von Figuren bei Tintoretto erst in seiner Spätzeit wieder“.326 – Mit dem perspektivischen Tiefenzug geht die Raumleere der Piazza einher. Letzteres ein signifikantes Bekenntnis Tintorettos zum Manierismus. Hüttinger zufolge „regiert die Leere des Raums, die saugende Kraft der Tiefenflucht […] als bedrohliche Macht über die Menschen“. Creighton Gilbert hat eine derartige Raumstruktur (am Beispiel von Giorgiones Tempesta) als „aesthetic of emptiness“ umschrieben, und zwar im Sinne eines Leerraums, der den Betrachter als Beteiligtem die Möglichkeit der Projektion biete. Daran schließend Pochat: „So sieht sich der Betrachter selbst der Sogwirkung ausgesetzt und muss gegen diese unsichtbare Kraft, wie die Protagonisten im Bild, ankämpfen, um dem Tiefensturz im planimetrischen Gefüge entgegenzuwirken.“327 Im Sinne der strukturellen Überbrückung des Leerraums implizit das Gestaltgesetz der „guten Fortsetzung“ berührend, analysiert Hetzer wie folgt: „Verlängert man

84 Tintoretto, Die Bergung des Markusleichnams (Rekonstruktion mit links anschließendem, 28 cm breitem Fragment), Venedig, Accademia

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85 Tintoretto, Kreuzabnahme und Beweinung Christi, Öl auf Leinwand, 227 x 294 cm, Venedig, Accademia

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am linken Gebäude die Fluchtlinie des mittleren [stockwerktrennenden] Gesimses, so trifft diese in die rechte untere Bildecke und bezeichnet – wenn man sie linear und nicht räumlich deutet – die Bewegungsrichtung der Hauptgruppe.“328 Die in monumentaler Größe gewaltig übereinander getürmte Figurengruppe ist im vordersten Raumstreifen angeordnet und dermaßen verkürzt dargestellt, dass sie fast schon in den Betrachterraum vorzudringen scheint. Laut Wilde sah sich Tintoretto durch Raffaels Grablegung Christi (1507; Rom, Galleria Borghese) beeinflusst.329 In der Tat liegt hier eine gewisse Affinität vor, freilich mit der gravierenden Einschränkung, dass Tintoretto Raffaels streng bildparallele Komposition transformiert übereck in die Tiefe gedreht hat. Völlig neu in der Markus-Ikonographie ist die Idee, durch die formalen Anklänge an eine Grablegung dem venezianischen Stadtpatron einen beinahe christusähnlichen Rang zu verleihen. 330 Ebenso wichtig wie der Hinweis auf den mit Raffaels Christuskörper nahezu detailgetreu übereinstimmenden Markusleichnam ist der Umstand, dass Tintoretto bezüglich der schräg verkürzten Haltung des Evangelisten offensichtlich aus dem eigenen Fundus geschöpft hat. Dieser Regress bezieht sich auf seine Beweinung Christi (um 1559/1560, Venedig, Accademia), in der der perspektivisch formulierte Körper des Erlösers fast schon wie eine wörtliche Vorwegnahme der Darstellung des Markusleichnams anmutet.331 Dies erhärtet die Annahme, dass der Künstler auch im Rückblick auf sein eigenes Schaffen an eine christologische Kontextualisierung der „Bergung“ und damit an eine entsprechende Nobilitierung des venezianischen Nationalheiligen gedacht hat. Wie die langen, nach links weisenden Schlagschatten bezeugen, fällt von rechts oben bildparallel einströmendes Licht auf die Gruppe, ausschließlich auf den Evangelisten fokussiert, wogegen die drei den Leichnam schleppenden Protagonisten weitgehend in Schatten gehüllt sind, sodass das Kolorit ihrer Kleidung, jegliche Buntkraft einbüßend, ausnahmslos im tertiären Farbbereich (dunkles Olivgrün, Ocker und blass schimmerndes Rotviolett) angesiedelt ist. Hinterfangen vom dunkelgrauen Scheiterhaufen steht Tommaso Rangone – als Guardian Grande der Bruderschaft in seine hermelinbesetzte Amtsrobe gekleidet – zu Häupten des Schutzheiligen der Scuola, diesen mit festem Griff unter den Schultern stützend. Im Vordergrund ist eine kraftvolle, laut Swoboda an Skulpturen Michelangelos erinnernde Gestalt postiert,332 die, energisch im fußhoch hervorquellenden Lagunengewässer voranschreitend, die geknickten Beine des Leichnams umfängt. Von einem Höchstmaß an Dynamik erfüllt tangiert ihr Haupt (knapp darüber vermutlich das Selbstporträt des Künstlers) den Bildrand, den Eindruck erweckend, als wolle es diesen durchstoßen. In Gegenrichtung zu Markus sind auch der Oberkörper und die Arme der Figur schräg gestellt, in strukturell unverkennbarer Absicht, den Leichnam zu überkreuzen. Parallel dazu die Fluchtlinie der Dachtraufe des verschatteten Gebäudes sowie das ebenso schräg gespannte Halteseil des hoch aufragenden Dromedars, das der im Sturmwind niedergestürzte und als einzige unter allen Figuren den weißen Pavimentstreifen überquerende Kameltreiber zu bändigen sucht. Wie schon erwähnt brachte Vasari für das Gemälde (die beiden anderen von Rangone in Auftrag gegebenen eingeschlossen) nur wenig Verständnis auf. Für

ihn sind die Bilder „die sonderbarsten der Welt. Diese Werke […] wurden von Tintoretto in solcher Schnelligkeit gemalt, dass sie vollendet waren, wenn man sie kaum begonnen wähnte“.333 Dazu Rosand: „Tatsächlich scheint die Bergung des Leichnams des Hl. Markus eine solche Kritik geradezu herauszufordern. Unter der Farbe ist die Struktur der Leinwand noch deutlich zu erkennen. Sie scheint nur sehr sparsam mit einer braunen Grundierung [siehe deren Durchlässigkeit an den helleren Stellen des Firmaments] präpariert worden zu sein und dient als Untergrund für eine einfache Chiaroscuro-Komposition in Umbra und Weiß. Lediglich die Körper des Heiligen und seiner getreuen Träger treten daraus hervor, in stumpfen Tönen, die sich als materielle Substanz deuten lassen. Alles Übrige jedoch ist fast ausschließlich in Weiß wiedergegeben, wobei der Pinsel entweder voll Farbe war und die Striche wie bei der Impasto-Technik wirken, oder trocken, so dass die entsprechenden Partien wie mit einem Schleier überzogen erscheinen.“334 Die in der Mailänder Brera aufbewahrte Auffindung des Leichnams des Hl. Markus wird in der älteren Literatur und bisweilen noch heute, obwohl längst widerlegt, als Wiederauffindung bezeichnet. Gemeint ist jene Szene aus dem Jahr 1094, als man in der Markuskirche die in Vergessenheit geratenen Reliquien des Evangelisten wie durch ein Wunder wiederentdeckte. In Wahrheit handelt es sich um die Darstellung der schwierigen, von venezianischen Kaufleuten organisierten Suchaktion nach dem Leichnam des Heiligen, der einst in der Krypta der alexandrinischen Kirche Sant’ Eufemia beigesetzt und nach dem geglückten Raubzug von 828 nach Venedig überführt worden war.335 Krischel ersetzt den gebräuchlichen Bildtitel durch Markus wirkt viele Wunder, womit nicht viel gewonnen ist, zumal dadurch das Hauptereignis, eben die Auffindung, ins Hintertreffen gerät, und, davon abgesehen, es sich hier nicht um „viele“, sondern lediglich um drei Wunder handelt, die Markus – so die Berichte in der „Legenda Aurea“ und den „Acta Sanctorum“ – erst auf der Überfahrt von Alexandria nach Venedig (während der translatio seiner Reliquien) gewirkt hat.336 Frei von chronologischen Bindungen hat Tintoretto hier die Wundertaten vorweggenommen, demnach simultan mit der Schlüsselszene junktimiert. Indessen bedarf es auch bei der Suche nach den Reliquien des Evangelisten eines Wunders, bedingt durch die fast unlösbare Aufgabe, angesichts der vielen, hoch angebrachten Wandgräber der Krypta den richtigen Leichnam des Heiligen herauszufinden. Da tritt Markus leibhaftig in Erscheinung, um den ratlosen Venezianern zu Hilfe zu kommen. Wiewohl als Geistwesen gedacht, ist er mit greifbar realistischer Schärfe dargestellt. Daraus resultiert ein hohes Spannungspotenzial, in dem die Verbindung von Visionärem, Transzendentem und Realem manifest wird. Von einem bildparallel von rechts einfallenden Lichtstrahl erfasst eröffnet die hoch aufgerichtete Gestalt des Heiligen, einem Wandpfeiler gleich an den Bildrand gedrängt, die Komposition, hervorgehoben auch durch das helle Karmin des Kleides und das Dunkelblau des Mantels. An die befehlshaberische Geste einer adlocutio erinnernd, weist Markus mit seinem durchgestreckt angehobenen Arm auf den gegenüber befindlichen Sarkophag, von dem zwei in waghalsigen Stellungen wiedergegebene Helfer einen kopfüber stürzenden Leichnam herablassen, der von

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einem mit Turban versehenen Orientalen empfangen wird. Zwei Schritte dahinter steht einer der beiden venezianischen Händler (Buono da Malamocco oder Rustico da Torcello), mit einer Kerze in der Hand, die Suchaktion nur spärlich ausleuchtend. Hier stellt sich nicht nur den bergenden Protagonisten, sondern auch dem Betrachter die Frage, ob man bereits den richtigen Leichnam gefunden hat, eine ikonographische Problemstellung, die die Forschungsmeinungen gespalten hat. Speziell in der älteren Literatur wird der mit Markus identifizierte Reliquienfund als korrekt angesehen, wobei man – vermutlich als primären Anhaltspunkt – die weit gespreizte Hand des erscheinenden Evangelisten als Zeigegestus offensichtlich fehlinterpretiert hat.337 In Wirklichkeit handelt es sich, so auch Swoboda, um eine Einhalt gebietende Geste, die bezeugt, dass der zu Markus’ Füßen liegende Leichnam bereits der gesuchte ist.338 Dieser Beweisführung haben Von der Bercken und Mayer sowie Tietze – allfällige Einwände vorausahnend – widersprochen. Danach sei es „unmöglich, den am Boden Liegenden als den Leichnam des Hl. Markus zu deuten; es [sei] vielmehr der Körper des toten Claudius, der aus seinem Grab herausgenommen wurde, um als Ersatz in den Sarkophag des Hl. Markus gelegt zu werden.“339 Mittlerweile hat eine qualifizierte Mehrheit von Tintoretto-Forschern von derlei verfehlten Theorien zugunsten des bis dahin zu wenig beachteten Leichnams Abstand genommen, von der Erkenntnis ausgehend, dass dieser unmittelbar vor der Geisterscheinung des Heiligen auf der „Würdeform“ (Aby Warburg) eines prächtigen Teppichs aufgebahrt liegt. Besonders bemerkenswert ist die in extrem perspektivischer Verkürzung wiedergegebene, mit den Füßen zum Betrachter weisende Reliquie. Umgehend werden damit Erinnerungen an Mantegnas radikal verkürzten Cristo morto wachgerufen, ein Gemälde, das, durch Stiche vermittelt, Tintoretto zweifellos bekannt war. Relevant ist vor allem, dass der Künstler hier, wie schon in der Bergung des Markusleichnams einen deutlichen christologischen Bezug im Sinn hatte, womit – hilfreich auch für die Lösung der Identifikationsproblematik – auch eine zusätzliche Nobilitierung der sterblichen Hülle des Heiligen und Wundertäters einhergeht. – Wie schon in der Bergung spielt auch hier Tommaso Rangone – stellvertretend für einen der beiden die Suchaktion leitenden venezianischen Kaufmänner – eine wichtige Rolle. Unmittelbar neben dem Leichnam kniend ist er mit dem Goldtalar eines Cavalier aurato bekleidet; den Titel hatte ihm kurz zuvor der Doge Girolamo Priuli verliehen. Für die Figurenkomposition entscheidend verläuft der Goldene Schnitt entlang seiner Körperachse, damit implizit auch an seinen neuen Ehrentitel erinnernd. Mit seinen ausgebreiteten Armen, die sowohl Ergebenheit als auch die Absicht zur Präsentation des Wundergeschehens verraten, vermittelt er zwischen den Figurengruppen. Sein Blick ist verehrungsvoll auf den Leichnam gerichtet – auch ein Indiz für die letztlich geglückte Reliquienfahndung. Dass vor ihm ein breiter Lichtstreifen auf das sonst stark abgedunkelte Paviment der Krypta fällt, ist ein weiteres Zeichen seiner prononcierten Stellung. Hinter Rangone kauert eine bereits in den tiefen Schatten der Krypta getauchte Figur, die sich, mit der Hand auf ihre erblindeten Augen verweisend, vom Evangelisten Heilung erhofft. In der rechten unteren Bildecke, die von drei Figuren schräg angeschnitten wird, ereignen sich zwei weitere Wunder: zum einen (dem Bericht in den „Acta Sanc-

torum, Historia translationis“ folgend) die Heilung eines von Krebs befallenen, in grelles Licht getauchten Jünglings, der sich angestrengt aufzurichten sucht und mit verwirrtem Blick den Wundertäter wahrnimmt, zum anderen eine Dämonenaustreibung, von der Jacobus de Voragine – im Kontext mit der Überführung der Markus-Reliquie – in der „Legenda Aurea“ wie folgt berichtet: „Da war ein Schiffmann, der wollte noch nicht glauben. Da fuhr der Teufel in ihn und peinigte ihn so lange, bis er vor den Leichnam ward geführt; da bekannte der Mensch, dass er glaube, und war alsbald gesund.“340 Der schwarz gekleidete Gepeinigte, dem der

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Teufel in Form eines aufwirbelnden Rauchfähnchens entfährt, ist kniend in Rückenansicht dargestellt und überschneidet in stumpfem Winkel den Krebskranken, mit dessen aufleuchtendem Inkarnat er den heftigsten Hell-Dunkel-Kontrast im Bild setzt. Den Oberkörper schräg ausgerichtet umfängt er mit ekstatischer Gebärde die Beine der torsierenden Frauengestalt, die die Schräglage des Dämonisierten nahtlos fortsetzt, unter dem Druck der Attacke ins Schwanken gerät und am Bildrand Halt zu suchen scheint. Wie um ihren Sturz zu verhindern, hat der Künstler ihren Mantel so drapiert, dass dieser seitlich ausschwingt und, einer Stütze gleich, am Boden hart umbricht. Die Dreiergruppe – ihr weit ausholender, den Besessenen visuell verlängernder Schlagschatten, der pfeilförmig auf den richtigen Leichnam weist, inbegriffen – ist dermaßen ineinander verzahnt, dass sie eine unentwirrbare gestaltliche Ganzheit bildet. Dazu kommt ihre schier unüberbietbare Labilität, die deutlich macht, dass Tintoretto den Zenit seiner manieristischen Bestrebungen erreicht hat. Wie in der Bergung besticht Tintoretto auch hier durch sein exorbitantes Interesse an der das teils reale, teils irrationale Geschehen mitprägenden Raumproblematik sowie der mehrdeutigen Lichtführung. Letztere gründet zunächst auf zwei „natürlichen Leuchtlichtquellen“ (W. Schöne): Während sich die eine, dem langen, nach links weisenden Schlagschatten der Dreiergruppe zufolge, rechts außerhalb des Bildes befindet und wie durch einen schmalen Spalt (denkbar ist eine Seitenpforte der Krypta) die Szene im Vordergrund beleuchtet, ist die andere im Hintergrund der Krypta situiert, wo zwei winzig kleine Figuren den Deckel einer Gruft angehoben haben und, mit Fackeln versehen, deren Inhalt auf der Suche nach dem Leichnam überprüfen. Die Innenseite des bildparallel aufgeklappten Gruftdeckels entsendet ein Reflexlicht, das kaum ausreicht, die Düsternis der Krypta zu mildern. Vor allem deren schwarze Schmalseite im Hintergrund und das nur schwer erkennbare Fliesenmuster des Paviments zeigen keinerlei Reaktion auf diese indirekte Lichtquelle, die lediglich die strukturell wichtigsten Architekturelemente im Wechsel von Schwarz zu mittlerem und hellem Grau zum Vorschein bringt. Dazu Emmrich: „Die Joche des monumentalen Gewölbes, die Folge der Wandsarkophage phosphoreszieren in einem magischen Licht, das dem Stein gespenstisches Leben verleiht.“341 Ob die helle Erscheinung des Evangelisten als „sakrale Leuchtlicht“-Quelle (W. Schöne) laut Hauser hier ihren Anteil hat, ist nicht nachweisbar, zumal der Heilige ja selbst von dem von rechts einfallenden Licht bestrahlt wird.342 Nie zuvor wie danach hat die Architektur bezüglich ihrer engen Verknüpfung mit der Bildhandlung im Œuvre Tintorettos eine so durchschlagende Rolle gespielt wie in der Auffindung. Schon allein der noch dem Mittelalter verpflichtete Bautypus der Krypta erregt Aufmerksamkeit. Es handelt sich um eine einschiffige, von einem stark verkröpften Gebälk abgeschlossene Wandpfeilerhalle, deren Jochunterteilung sich in den Gurtbögen eines Tonnengewölbes fortsetzt. Mehr noch als in der Bergung fasziniert den Künstler das Problem der perspektivischen Tiefenraumdarstellung. Zum einen bringt er an der Sarkophag- und Gurtbogenfolge das raumkonstituierende Gestaltgesetz des Größen- und Abstandsgefälles zum

Einsatz, zum anderen nutzt er das Mittel der Linearperspektive, indem er die asymmetrisch angeordneten, schräg fallenden Gebälke sowie die in die Tiefe weisenden Fugenlinien des schachbrettartig verfliesten Paviments zum Fluchtpunkt konvergieren lässt. Dieser ist links außen, auf halber Höhe der schwarzen Rückwand der Krypta angesiedelt, also weit von der Symmetrieachse abgerückt. Damit hat Tintoretto ein Ausdrucksmittel zum Einsatz gebracht, dem laut Arnheim folgendes Wahrnehmungsgesetz zugrunde liegt: Je weiter der Fluchtpunkt von der zentralen Bildachse entfernt ist, desto dynamischer und bildzeitlich beschleunigter ist der Tiefenzug der jeweiligen Komposition und umso größer deren Spannungspotenzial.343 Ein Höchstmaß an Spannung erzeugt schließlich der Umstand, dass sich der empirisch gesehen dem Hintergrund zugehörige, indes dort nicht explizit markierte Fluchtpunkt mit der angehobenen Hand der Markuserscheinung deckt. Der Fluchtpunkt hat sich somit gleichsam verselbstständigt und scheint auf magische Weise aus dem Hintergrund in den Vordergrund zu dringen. Er wird zum alles beherrschenden Bildzentrum, zum Brennpunkt jener Stelle, wo der Evangelist alle Fäden der Handlung zusammenzuhalten scheint. Dazu hat sich Hetzer wie folgt geäußert: „Das räumlich Getrennte, weit Auseinanderliegende [etwa das ambivalente Verhalten des Fluchtpunkts] einigt sich in der ornamentalen Funktion der Fläche. Vielleicht ist diese Vereinigung des Unvereinbaren, dieses Aufheben der natürlichen Beziehungen eines der Mittel, durch die Tintoretto den Eindruck des Geheimnisvollen und Wunderbaren erzielt.344 Das dritte Bild des Zyklus Der Hl. Markus rettet einen Sarazenen aus Seenot (Venedig, Accademia) basiert auf der „Legenda Aurea“, wo es heißt: „Es geschah, dass etliche Kaufleute von Venedig auf einem Sarazenenschiff nach Alexandria fuhren. Da sie in große Gefahr kamen, stiegen sie in einen Kahn und schnitten das Seil durch, alsbald gingen die Fluten über das Schiff und es sank mit allen Sarazenen unter. Einer aber rief Sanct Marcum an, und gelobte ihm, wenn er ihn rette, so wollte er sich lassen taufen und zu seiner Kirche wallfahrten. Da erschien ihm ein lichter Mann [Markus], der riss ihn aus dem Meer und setzte ihn zu den Christen in den Kahn.“345 Dazu ergänzend Ridolfi, der das Gemälde ausführlich kommentiert hat: „Durch seinen Glauben wird der Sarazene aus der Seegefahr gerettet, weil der Glaube eine solche Macht hat, dass auch Barbaren durch ihn der himmlischen Liebe teilhaft werden. Kein anderer Maler hätte dem Wunder besser Ausdruck geben können. Unter den Bootsleuten malte Tintoretto den Tommaso da Ravenna [Rangone], den berühmten Philosophen, im Dogengewand.“346 Boschini preist ganz allgemein den Bilderzyklus, besonders jedoch den Seesturm mit der Errettung des Sarazenen: „Wer den nicht gesehen hat, weiß nicht, was ein Seesturm ist. Wahrhaft, weder Tintoretto noch alle anderen Maler [wie etwa Paris Bordone und Palma Vecchio im Seesturm der Accademia] haben Besseres leisten können, als was man in diesem Saale sieht.“347 Diese Loblieder des 17. Jahrhunderts steigern sich bei Dvořák zu einer geradezu hymnischen Aussage: „Ein Seesturm, wie er gewaltiger in der Kunst nie geschildert wurde.“348 Diese Begeisterung teilen andere Autoren (wie etwa Emmrich oder Coletti) nur bedingt, wenn sie das Gemälde, ohne Gründe zu nennen, als „konventionell“ bezeichnen.349 Möglicherweise hat

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man das ungünstig beurteilte Werk mit den beiden anderen Bildern des MarkusZyklus verglichen und dabei deren für venezianische Verhältnisse revolutionäre Erschließung der Tiefenräumlichkeit vermisst, folglich das in der Errettung des Sarazenen wiederaufkeimende Interesse Tintorettos an der typisch venezianischen Flächenhaftigkeit des „Ornamentalen“ (Hetzer) als entwicklungsgeschichtlichen Rückschritt empfunden. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich der Künstler auch im dritten Bild des Markus-Zyklus von den vielfältigen Facetten der Perspektive ungebrochen fasziniert zeigt, nunmehr aber unter dem für die damalige Malerei völlig ungewöhnlichen Aspekt der Draufsicht. Anhaltspunkt dafür ist der Blickwinkel des rechts oben platzierten Evangelisten, dem sich die Szenerie – suggestiv auch auf den Betrachter übertragen – gleichsam aus der Vogelperspektive erschließt. Ein untrügliches Indiz dafür bietet die Tatsache, dass der Sarazene – da der erhöhten Position des Heiligen am nächsten stehend – beinahe doppelt so groß ist wie die tief unten im Rettungsboot versammelten Figuren. Das Phänomen der Vogelperspektive hat schon Arnold Hauser angesprochen und daraus überzeugende Schlüsse gezogen: „So entsteht die großartige Himmelsleiter, von deren Spitze sich ein Aspekt eröffnet, der, an die ‚verkehrte Perspektive‘ des Mittelalters erinnernd, die dem Beschauer zunächst stehenden Figuren am kleinsten erscheinen lässt. Das heißt: es kommt eine Repoussoirwirkung gleichsam aus der Vogelperspektive zustande und bewirkt, infolge der Umkehrung ihrer ursprünglichen Funktion und der diesen entsprechenden Größenverhältnisse die vollkommene Dynamisierung des Raums [in Ambivalenz mit der gleichwohl dominierenden Fläche]. Als Effekt ergibt sich aber nicht nur die ungeheure Stoßkraft des die ganze Darstellung beherrschenden Höhendranges, sondern zugleich die Umspannung eines so enormen Abstandes, dass der Vorgang […] einen kosmischen Charakter gewinnt und das Werk als die erste jener ‚makrokosmischen Fantasien‘ erscheint, die von nun an in Tintorettos Schaffen einen so weiten Raum einnehmen.“350 Umflort von den Strahlen einer Gloriole stößt Markus in schräger Verkürzung aus der rechten oberen Bildecke hervor, greift dem schlanken, aufrecht schwebenden Sarazenen unter die Arme, um ihn behutsam in den rettenden, ohnedies schon überbelegten Kahn herabzulassen. Sein wie unter dem Sturm aufflatterndes Kleid ist im gedämpften Ton eines Karmin gehalten, das mit dem gleichfalls gebrochenen Rot am Gewand des vis-à-vis in der linken unteren Bildecke kraftvoll Rudernden korrespondiert. Damit sind Anfang und Ende der von links ansteigenden, die Komposition dominierenden Diagonalen betont, deren Kontinuität sich lediglich der vertikal die Diagonale überschneidende Sarazene entzieht; sonst ist jede stabilisierende Orthogonalität ausgeschaltet. Dem schwankenden Boot, dem tobenden Sturm und den gewaltig aufgetürmten Wogen des in düsterem Grünblau schäumenden Meeres entsprechend steht alles Übrige – in permanente Bewegung versetzt – im Zeichen von schrägen und gekurvten Strukturen. Besondere Beachtung gebührt dem gefährlich schwankenden Kahn, den zwei Ruderer mit letztem Kraftaufwand vor dem Kentern zu bewahren suchen. Der eine, in Grau mit unterschiedlichen Brechungen gekleidet, droht rücklinks ins tosende Wasser zu stürzen, während der andere in Gegenrichtung – indes gleichfalls

87 Tintoretto, Der Hl. Markus rettet einen Sarazenen aus Seenot, Öl auf Leinwand, 398 x 337 cm, Venedig, Accademia

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in schräger Rückenlage dargestellt – Mühe hat, den Kahn im Gleichgewicht zu halten. Zentrifugalen Kräften ausgesetzt driften die beiden Figuren auseinander und bilden eine trichterförmige Struktur, woraus ein wenn auch geringfügiger Freiraum resultiert, den der Schiffbrüchige im nächsten Moment betreten wird. Im Übrigen sind die beiden Ruderer bezüglich ihrer waghalsig labilen Stellung und torsierenden Bewegung im bisherigen Schaffen des Malers geradezu als Meilensteine manieristischer Figurendarstellung zu betrachten. Unter den Bootsinsassen erregt der über den Bootsrand gebeugte Weißhaarige besondere Aufmerksamkeit. Einmal mehr hat hier Tintoretto Tommaso Rangone im Talar eines Cavalier aurato dargestellt, der trotz seiner unbequemen Kleidung lebhaften Anteil an der Rettungsaktion nimmt. Formal gesehen ist Tintorettos Förderer insofern von Bedeutung, als seine ausgestreckten Arme zum einen parallel zur kompositionsbestimmenden Diagonalen angeordnet sind, zum anderen auch die Intention des Künstlers (das stark verkürzte Antlitz des Guardian Grande inbegriffen) zur VogelperspektiveProjektion geradezu exemplarisch zum Ausdruck bringen. Während Rangone mit seinem linken, in das Wasser getauchten Arm bemüht ist, einen Orientalen, von dem nur noch der Turban zu sehen ist, vor dem Ertrinken zu bewahren, verweist er mit der Linken auf das Wunder der Errettung des Sarazenen, vermutlich in der Absicht – sofern der Rettungsversuch glückt – den in den Fluten Versinkenden zur Taufe zu bewegen. Emmrich zufolge „wird die Gestalt Rangones, des Guardian Grande der Scuola di San Marco, so […] zum Träger der Glaubenspropaganda, zum Exponenten der streitbaren Kirche“.351 Letzteres sollte man relativieren, zumal sich die Venezianer in Glaubensangelegenheiten stets durch Toleranz auszeichneten, ihnen nichts ferner lag, als ihre florierenden Handelsbeziehungen – vor allem mit dem islamischen Herrschaftsbereich – womöglich durch Zwangsmissionierungen zu stören. Links außen tritt die Schiffskatastrophe bereits in ihre Endphase. Lediglich der den Untergang besiegelnde, in Schieflage geratene Mastkorb ragt noch aus den tosenden Wellen. Flüchtig skizzierte Gestalten suchen hier letzte Zuflucht. Eine davon beugt sich über das Geländer des Korbs und bemüht sich, mit ausgestrecktem Arm einen ertrinkenden Gefährten zu retten. Anstatt dem Meer Tiefenräumlichkeit zu verleihen gibt Tintoretto es – wie der hochgezogene Horizont beweist – in flächenhaft aufgeklappter Draufsicht wieder. Mit Worten Hetzers: „Tintoretto zeigt das Meer nicht aus der Distanz, er ist mitten darin. Drohend und erbarmungslos schwillt es empor.“352 Die schräg aufpeitschenden, die weißen Segel des versunkenen Schiffs verschlingenden Wogen strömen nach rechts, wo sie mit der riesigen, schwarzgrauen Gewitterwolke zu verschmelzen scheinen. Den schattierten Oberkörper des Sarazenen hinterfangend zielt diese pfeilförmig nach links, wie um zuletzt auch den Mastkorb des Schiffes zum Sinken zu bringen. Darüber schwebt ein bedrohlich schwarzes Wolkengebilde, dem Tintoretto – wie so häufig zu Bildrätseln aufgelegt – unverkennbar anthropomorphe Züge verliehen hat.

Die Gemälde in der Sala dell’ Albergo der Scuola di San Rocco 1485 gelangte die seit 1478 offiziell anerkannte Scuola di San Rocco in den Besitz von Rochus-Reliquien, wodurch der Wallfahrtskult um den Pestheiligen einen enormen Aufschwung erfuhr, der sich auch ökonomisch niederschlug. Der durch zahlreiche Stiftungen bewirkte Vermögenszuwachs brachte es mit sich, dass sich die Bruderschaft die Errichtung eines monumentalen, neben der Chiesa di San Rocco befindlichen Repräsentationsgebäudes (1517–1549) leisten konnte, wobei man sich bezüglich dessen räumlicher Organisation die Scuola di San Marco zum Vorbild nahm. Schon vor der Vollendung dieses Prachtbaus trug man sich 1546 mit dem Gedanken, die Wände der Sala dell’Albergo, des Versammlungsraums des Vorstands, „mit Gemälden oder Teppichen, mit Figuren nach Belieben“ auszuschmücken – ein Projekt, dessen Realisierung noch jahrelang auf sich warten ließ. Gründe für diese Verzögerung lassen sich aus den Quellen nicht erschließen.353 Die Ausstattungspläne der Bruderschaft blieben auch Tizian nicht verborgen, der sich – indes erst sieben Jahre nach dem provisorischen Beschluss der Scuola – 1553 bereit erklärte, ein großes Gemälde hinter den Stühlen der „Banca“, also an der Westwand der Sala dell’ Albergo zu malen. Indessen kam es nicht zur Verwirklichung dieses Angebots, was vermutlich mit den überhöhten Honorarvorstellungen des damals berühmtesten, auch überregional viel beschäftigten Malers der Serenissima zusammenhing. Daraufhin verstrichen weitere sieben Jahre, ehe die Scuola am 22. Mai 1564 die Auftragserteilung des zentralen Deckengemäldes im Albergo definitiv ins Auge fasste. Bezeichnenderweise bot im Laufe der Sitzung einer der Räte 15 Dukaten unter der Bedingung, dass die Arbeiten nicht Tintoretto anvertraut würden.354 Am 31. Mai 1564 fasste die Bruderschaft den Beschluss, eine Art Wettbewerb auszuschreiben, wobei laut Ridolfi an Andrea Schiavone, Federico Zuccari, Giuseppe Salviati und Paolo Veronese als favorisierte Zielgruppe gedacht war. Entgegen dem Bericht Vasaris kam es jedoch nie zu diesem Wettbewerb. Denn noch bevor man zu einer offiziellen Ausschreibung schritt, übergab Tintoretto am 22. Juni 1564 der Bruderschaft das fertige Bild für das ovale Mittelfeld des soffitto als Geschenk. Laut Vasaris Anekdote habe Jacopo das Gemälde im Geheimen an der Decke appliziert, es folglich in vollendetem Zustand der Scuola präsentiert. Dass dieser Handstreich sowohl seitens einiger Scuolenmitglieder als auch bei den Mitbewerbern heftigen Protest auslöste, ist verständlich, zumal man mit Recht daran erinnern durfte, dass wie bei Wettbewerben üblich lediglich die Einreichung von Skizzen oder Bozzetti vorgesehen gewesen wäre, jedenfalls die Lieferung eines bereits vollendeten Werks den gängigen Ausschreibungsregeln widersprochen hätte. Zu den Anhängern Tintorettos zählte auch Vasari, der post festum (1566) den Verzicht auf eine ausschreibungskonforme Skizze einem Anwalt gleich wie folgt begründete: „[…], dass dies seine Art zu zeichnen wäre und dass er es anders nicht könne, und dass die Skizzen und Entwürfe so und nicht anders auszusehen hätten, und damit niemand betrogen würde.“355 Die Auseinandersetzungen zwischen Tintoretto-Gegnern und -Befürwortern endeten am 29. Juni 1564. Mit 31 zu 20 Stimmen beschloss man, das ovale Mittelbild an seinem Platz

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zu belassen und Tintorettos Angebot, auch die übrige Decke unentgeltlich auszustatten, anzunehmen.356 Tintorettos pekuniär scheinbar völlig uneigennützige Haltung wusste die Bruderschaft sehr wohl zu honorieren, indem sie ihm die Mitgliedschaft der Scuola verlieh, die sich der Künstler schon 1548 und 1559 anlässlich seiner Tätigkeit in der Chiesa di San Rocco vergeblich erhofft hatte. Damit stand Jacopo der Weg offen, seine Kunst für mehr als zwei Jahrzehnte – 1575–1581 entstand der Gemäldezyklus für die Sala superiore, 1582–1587 jener der Sala terrena – in den Dienst der Scuola zu stellen. – Schon 1565 schuf Tintoretto sein alles überstrahlendes Meisterwerk, die Kreuzigung, die an jener Wand untergebracht wurde, für die Tizian schon 1553 ein Gemälde angeboten hatte. Den künstlerisch exorbitanten Stellenwert des monumentalen Bildes wusste auch die Bruderschaft zu schätzen, indem sie den Maler am 9. März 1566 mit dem erstaunlich hohen Betrag von 250 Dukaten entlohnte. Gleich danach, am 31. März 1566, beschlossen die Verantwortlichen der Scuola, den Wandschmuck der Sala dell’Albergo zu vervollständigen, und beauftragten den Künstler, drei weitere Gemälde mit Szenen aus der Passion Christi zu malen. Fortan – ab Tintorettos Tätigkeit in der Sala superiore – verhielt sich die Sodalität in finanziellen Fragen deutlich zurückhaltender. Zumeist arbeitete der Künstler auf Basis eines Spesenersatzes – etwaige Honorare überließ er dem Ermessen der Scuola. Letzteres hatte den Vorteil, dass Tintoretto – abgesehen von ikonologischen Programmfragen – in künstlerischer Hinsicht kaum mit Einsprüchen zu rechnen hatte, sich somit bezüglich Stil und Komposition völlig frei zu entfalten vermochte. Gleichwohl verstand er es, der Scuola wenigstens ein Mindestmaß an existenzieller Sicherstellung abzuringen. In seiner Erklärung vom 27. November 1577 heißt es: „Er verpflichte sich, zu jedem jährlichen Namensfest des Hl. Rochus drei große Gemälde fertigzustellen, unter der Bedingung jedoch, dass ihm, sollte er nach der Vollendung des oberen Saales arbeitsunfähig werden, jährlich eine Pension von 100 Dukaten ausgezahlt werden müsse.“ Dieser Vorschlag wurde am 2. Dezember 1577 vom Generalkapitel der Scuola angenommen.357 Mit dem geglückten fait accompli, das ovale Deckenbild mit der Glorie des Hl. Rochus im vollendeten Zustand einzureichen, war es Tintoretto gelungen, auch seinen bedeutendsten Konkurrenten, Paolo Veronese, der wie schon erwähnt ausschreibungskonform lediglich eine Entwurfsskizze lieferte, auszubooten. In der für Tintoretto ungewöhnlich strahlenden, im satten Akkord von Purpurrot-Ultramarinblau gipfelnden Farbgebung des Gemäldes meinte man „eine Orientierung am prachtvollen Kolorit der Decke von San Sebastiano zu erblicken, die gemeinhin als ein durch die Wettbewerbssituation abgenötigtes Zugeständnis an die publikumswirksamere Palette Veroneses gedeutet wird“.358 Hier sei nur daran erinnert, dass Tintoretto schon viel früher sich nicht gescheut hatte – etwa in seiner etwa ein Jahrzehnt zuvor geschaffenen Assunta (Chiesa dei Gesuiti) – , bisweilen koloristische Anleihen bei Veronese zu nehmen. Dieser These liegt der bereits oben zitierte Bericht Ridolfis zugrunde, wonach „die Patres Crociferi nach Fertigstellung des Bildes Tintoretto vorgeworfen hätten, sie hätten dieses doch bei Paolo Veronese bestellt, worauf Tintoretto erwidert habe, das Bild sei doch ganz im Stil

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88 Tintoretto, Die Apotheose des Hl. Rochus, Öl auf Leinwand, 240 x 360 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

Veroneses gemalt, so dass jeder geglaubt habe, dass es von Paolo stamme“.359 Dazu Colettis Kommentar: „Auffallend ist der abgemessene und glatte Stil [der Rochus-Apotheose] mit der offensichtlich klassizistischen Suche nach dem schönen Ideal in den Gesichtern der Engel. Ihre Atlasgewänder schillern bläulich im Schatten und rosig im Licht [analog zu Veroneses häufig changierender Malweise]. Diese beiden Momente sind ganz ungewöhnlich für Tintoretto. Wir wissen auch nicht, ob es mehr aus Berechnung, oder aus Ironie geschah, dass er die Manier der anderen Konkurrenten nachmacht, so als ob er Geschmack daran fände, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.“360 Nachdem er den Auftrag erhalten hatte, legte Jacopo diese Manier schnell ab, um unvermittelt – und dies schon in den vier Passionsbildern der Sala dell’Albergo – zu seiner koloristisch gedämpften LichtSchatten-Malerei zurückzukehren. Auch im Falle der illusionistischen Untersichtdarstellung der Glorie musste der Maler mit der Konkurrenz Veroneses rechnen, der sich schon etwa ein Jahrzehnt zuvor mit den Deckenmalereien in den drei Sälen des Consiglio dei Dieci im Dogenpalast (1553) sowie in der Sakristei (1555) und der Kirche San Sebastiano (1556 vollendet) durch eine perspektivisch perfekt beherrschte sotto in sù-Technik ausgezeichnet hatte. Der häufig geäußerten These, wonach sich Jacopo diese Arbeiten Veroneses unmittelbar zum Vorbild genommen habe, hat Zenkert zu Recht widersprochen: „Veronese jedoch deutet die mit ähnlichen Mitteln geschaffene Illusion einer Deckenöffnung bildlich völlig anders als Tintoretto.“361 Anders als Veronese verzichtet Tintoretto auf architektonische Versatzstücke und lenkt den Blick unvermittelt in den himmlischen Freiraum. – Der aus der Bildachse geringfügig nach rechts gerückte und in perspektivisch extremer Verkürzung wiedergegebene Hl. Rochus scheint in leichter Schrittstellung auf dem ovalen Bildrahmen zu stehen, dadurch dem Betrachter maximal angenähert. Der teils vom ultramarinblauen Firmament hinterfangene, teils von einer hellgelben Lichtgloriole umstrahlte Heilige hat nichts mehr von einem armen Pilger an sich, vielmehr ist er ein Heros, der

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mit angehobenem Haupt zu seinem Schöpfer emporblickt, um von ihm mit demutsvoll ausgebreiteten Armen die Gnade der Unsterblichkeit zu empfangen.362 Der in den Himmel Aufgenommene trägt einen purpurfarbigen Rock, an dem das steil von rechts einfallende Licht zahlreiche Reflexe auslöst, welche die Muskulatur des Oberkörpers in plastischer Intensität hervortreten lassen. Die schwarze, wie vom Wind aufgewirbelte und Flügeln gleich um seine Schulter drapierte Pelerine verleiht ihm, trotz seines stabilen Auftretens, ein Mindestmaß an transitorischer Ausdrucksqualität. Von links schwebt Gottvater herbei, von drei Engeln gestützt und wie Rochus die Arme weit ausgebreitet. Horizontal ausgerichtet trifft er im rechten Winkel auf den Heiligen, dessen Schwarzbraun-Rot-Akkord auch an seiner Kleidung aufscheint. Bemerkenswert ist vor allem, dass der großzügig ausschwingende Umhang des Schöpfers den Bildrand tangiert und mit seinem ovalen Umriss auf das Format des Gemäldes anspielt. Schulz sieht die Gestalt Gottvaters durch jene Jehovas in Michelangelos Fresko mit der Erschaffung Adams (Sixtinische Kapelle) beeinflusst. Eine Affinität lässt sich letztlich nur in Hinblick auf den oval ausgespannten, den Schöpfergott dunkel foliierenden Mantel ausmachen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass Jacopo auch Pordenones Gottvater-Darstellungen in den illusionistisch ausgemalten Kuppeln der Cappella Malchiostro (1520) im Dom von Treviso und der Cappella della Concezione (1529/30) in der Kirche von Cortemaggiore gekannt hat.363 Wie der Umhang Gottvaters ist auch die gebogene Körperachse des rechts auf derselben Bildebene situierten Engels der Krümmung des Rahmenovals angepasst. Zudem kommuniziert der den Pilgerstab haltende Engel in mehrfacher Hinsicht mit der Gestalt des Pestheiligen: Zum einen ist sein ins Profil gedrehtes Antlitz ebenso in den Schatten getaucht, zum anderen ist das Rot seines Kleides, das qualitativ nur geringfügig vom Rot des Hl. Rochus abweicht, gleichfalls der oszillierenden Wirkung des von rechts einströmenden Lichts ausgesetzt. Zwischen den beiden Figuren öffnet sich ein schmaler Spalt, der den Blick auf vier fragmentierte, räumlich um eine Stufe zurücktretende Engel freigibt, deren gekurvte Reihung wie der ganzfigurige Engel der Rundung des Ovals angeglichen ist. Auch die vier links angeordneten, sitzend in die Bildkurve eingebetteten Engel verhalten sich rahmenkonform. Als ferner Vorbote dieser Idee ist Correggio zu nennen, der schon mehr als vier Jahrzehnte zuvor (1520/21) in der Kuppel von San Giovanni Evangelista in Parma die auf schmalen Wolkenbänken gelagerten Heiligenfiguren dicht am Kuppelfuß positioniert hatte.364 Zur linken Engelgruppe nur noch eine kurze Zwischenbemerkung: Die voll vom Licht erfassten Engel tragen extrem helle Gewänder, deren Weiß zu blauem Rosa und einem Schimmer von Blau changiert, darin an Veroneses delikate Farbgebung erinnernd. Für die Komposition ist entscheidend, dass der seiner Apotheose entgegensehende Heilige als einziger unter allen Protagonisten streng vertikal ausgerichtet ist und im Bildrahmen über einen festen Standort verfügt. Damit entzieht er sich der sonst vorherrschenden, alle übrigen Figuren einbeziehenden Rotationsbewegung des Ovalkonzepts, zwischen Bild- und Betrachterraum vermittelnd. Dazu Zenkerts schlüssige Beobachtung: „[Der Hl. Rochus] erweckt den Eindruck, dass er soeben erst auf der Höhe der Engel angelangt ist und sich womöglich durch die Decken-

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öffnung zu ihnen emporgeschwungen hat. Zwischen Bild- und Betrachterwelt scheint also ein freier Austausch möglich. Es entsteht der Eindruck, dass der Hl. Rochus soeben durch die gleiche Öffnung von dem Boden, auf dem der Betrachter steht, zu der paradiesischen Sphäre oberhalb der Decke aufgestiegen ist.“365 Bald nach dem mit der Glorie des Hl. Rochus erfolgreich bestandenen Wettbewerb und den 16 kleinformatigen, ebenso in den reich geschnitzten und vergoldeten soffitto eingelassenen Bildern – mit Darstellungen der vier Jahreszeiten und Tugenden sowie Allegorien der vier anderen Scuole Grandi – bekam Tintoretto den Auftrag, über der Vorstandstribüne eine die gesamte Stirnwand der Sala dell’ Albergo umfassende Kreuzigung Christi zu malen. Damit schuf er sein bislang größtes, in diesem Ausmaß künftig nur noch durch sein Paradiso im Dogenpalast (56,50 m2) übertroffenes Gemälde.366 Schon ein paar Jahre zuvor hatte sich Jacopo im Chor von Madonna dell’Orto mit dem Problem der malerischen Ausgestaltung monumentaler Wandflächen auseinandergesetzt. Damals sah er sich mit dem geradezu ausufernden Vertikalismus des Hochformats (1450 x 590 cm) konfrontiert. Im Albergo der Scuola war es dann das exorbitant ausgeprägte Breitformat (1224 x 536 cm), das ihn vor große Herausforderungen stellte. Die geglückte Ausführung des panoramaartig gegliederten Riesengemäldes muss den Künstler mit großem Stolz erfüllt haben. Dies bezeugt nicht zuletzt die in der linken unteren Bildecke angebrachte, in ungewöhnlicher Größe hervorstechende Inschrifttafel, die die Signatur Tintorettos (TINTO – RECTUS = „Tintor rectus“ = „aufrechter Färber“), die Jahreszahl MDLXV und den Namen des damaligen Guardian Grande Girolamo Rota trägt. Wie zahlreiche Schriften und Stiche belegen, dürfte sich der höchstes Aufsehen erregende Erfolg des Gemäldes und die damit verknüpfte Reputation des Künstlers in Windeseile verbreitet haben, unter anderem auch nach Florenz, wo die Accademia del Disegno Jacopo 1566 – wohl schon in Kenntnis seines grandiosen Werks – die Mitgliedschaft (übrigens gemeinsam mit Tizian und Palladio) zuerkannte. Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser Nobilitierung mag Kardinal

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Ferdinando de Medici Agostino Carracci 1582 den Auftrag erteilt haben, einen Stich nach der Kreuzigung zu fertigen. Daneben studierten die großen Maler des Seicento das Werk sehr eingehend, vor allem Rubens und Van Dyck. Nach der eminenten Wertschätzung, die das Gemälde bei den prominenten Kunsthistoriographen des 16. (Vasari, F. Sansovino und Borghini) und 17. Jahrhunderts (Ridolfi, Scanelli und Boschini) genoss, war es im 19. Jahrhundert vor allem Ruskin, der dem Werk seine besondere Huldigung entgegenbrachte. Nach einer wortreichen Erörterung aller Bilder der Scuola verschlägt es dem großen Kenner der venezianischen Kunst angesichts der bei ihm aufwühlende Emotionen auslösenden Kreuzigung buchstäblich die Sprache, wenn er schreibt: „Ich muss dieses Bild allein auf den Beschauer wirken lassen; denn es ist jenseits aller Zergliederung und über allem Lob, was so viel heißt, dass es sich angesichts seiner formvollendet gestaltlichen Ganzheit schon a priori jeglichem Analyseversuch entzieht.“367 Laut Valcanover gehört die Kreuzigung zu Tintorettos „größten Meisterwerken“; meines Erachtens sollte man sogar so weit gehen, das Gemälde als das Hauptwerk des damals als 47-Jähriger am Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit stehenden Malers zu bezeichnen. Dies scheint auch Von der Bercken zu bestätigen, wenn er „die Kreuzigung von San Rocco auch inhaltlich zu den bedeutungsvollsten Darstellungen dieses Themas in der gesamten Malerei“ zählt.368 Daran knüpft die Frage nach den ikonographischen Vorstufen zu Tintorettos Kreuzigung. Außerhalb Venedigs und wurzelnd einerseits in der deutschen Kunst des Spätmittelalters, andererseits – bezüglich der monumentalen Bildfläche noch wichtiger – in den aus dem 14. Jahrhundert stammenden Paduaner Fresken von Altichiero und Giusto de’ Menabuoi. Gemeinsam ist diesen Kreuzigungen die Darstellung einer kompositorisch kaum überschaubaren, räumlich undurchlässigen Menschenmasse. Folgerichtig spricht man vom Typus der „Kreuzigung mit großem Gedräng“. Noch um 1520/21 hielt Pordenone in der riesenhaften, für den Dom von Cremona geschaffenen Kreuzigung (Fresko an der inneren Westwand des Doms) aufgrund der flächenhaft verdichteten Menschenmenge am altertümlichen Typus der „Kreuzigung mit Gedräng“ fest. Innovativ für die oberitalienische Malerei ist indes der Umstand, dass die drei Kreuze bei Pordenone schräg positioniert sind und das Kreuz Christi aus der Symmetrieachse in die rechte Bildhälfte – unmittelbar an das Kreuz des bösen Schächers herangerückt – versetzt ist. Die beiden wie in der mehr als vier Jahrzehnte später entstandenen Kreuzigung der Scuola die Komposition verfestigenden Pferde – das links außen frontal und das rechts in Rückenansicht wiedergegeben – dienen als untrügliches Indiz dafür, dass Tintoretto von der Kreuzigung Pordenones Kenntnis hatte.369 Weshalb Willmes Tintorettos Kreuzigung im Albergo dem „Gedränge“Typus zurechnet, bleibt unerfindlich, zumal der Autor unmittelbar danach zutreffend erläutert, worin sich Tintorettos Meisterwerk grundlegend von diesem Typus unterscheidet: „Dass sich die Darstellung trotz der Figurenfülle nicht als chaotisches Menschengewühl präsentiert, verdankt sie zweifellos vor allem Tintorettos Meisterschaft darin, erstens mehrere Figuren zu von der Umgebung sich abhebenden größeren Einheiten zusammenzufassen und zweitens einen sehr übersichtlichen, unkompliziert und perspektivisch korrekt konstruierten Schauplatz zu erfinden.“370

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90 Tintoretto, Die Kreuzigung, Öl auf Leinwand, 153,5 x 247 cm, München, Alte Pinakothek

Mit dem Thema der Kreuzigung hat sich Tintoretto mehrfach auseinandergesetzt, erstmalig, wie schon erwähnt, in der bereits in seiner frühen Schaffensperiode um 1542/45 entstandenen Fassung (Padua, Museo Civico), für die – weit entfernt vom spätmittelalterlichen „Gedränge“-Typus – eine gelockerte, bis in den Landschaftshintergrund durchlässige Figurengruppierung charakteristisch ist. – Etwa ein Jahrzehnt später folgt die für San Severo in Venedig gefertigte, ebenso schon besprochene Kreuzigung (Venedig, Accademia), deren dicht geschlossene, raumresistente Flächenkomposition Erinnerungen an den bereits längst überholten „Gedränge“-Typus wachruft und in einigen Details, wie der Gruppe der Klagenden unter dem Kreuz und der hinter dem Kreuzbalken lehnenden Leiter, Motive der Kreuzigung im Albergo vorwegzunehmen scheint.371 Pallucchini hält die in der Münchner Alten Pinakothek aufbewahrte und von ihm mit „um 1555“ datierte Kreuzigung für eine autographe Leistung Tintorettos. Im Gegensatz dazu jene mehrheitliche Forschungsmeinung, die dem Gemälde zu Recht eine erhebliche Werkstattbeteiligung attestiert. Während Von der Bercken für einen „Vorentwurf“ zur großen Kreuzigung im Albergo plädiert, vertritt Swoboda die weniger überzeugende Auffassung, dass es sich hier um einen unmittelbaren „Modelletto“ handle.372 Anders als in der Kreuzigung von San Severo ist die räumlich abgestufte Menschenmenge im Münchner „Vorentwurf“ nicht mehr dem „Gedränge“-Typus verpflichtet. Davon abgesehen mangelt es dem Gemälde an jener kompositionell ganzheitlichen, für die Kreuzigung im Albergo charakteristischen Stringenz, zumal die Figuren streumusterartig in isoliert voneinander distanzierte Einzelgruppen aufgegliedert sind. Trotz solch gravierender Unterschiede birgt der „Vorentwurf“ bereits jene für die Kreuzigung in der Scuola entscheidende, ikonographisch innovative Idee, die Kreuzigung der Schächer erst in der Vorbereitungsphase, also in bildzeitlicher Folge zur Darstellung zu bringen. Während links bereits das Kreuz des guten Schächers aufgerichtet wird, werden rechts erst Maßnahmen getroffen, den bösen Schächer am Kreuzesstamm zu fixieren.373 In Opposition zu Pordenones Kreuzigungsfresko und auch abweichend von der San Severo-Kreuzigung (Accademia) verleiht Tintoretto dem exakt auf der bildtei-

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lenden Achse situierten Gekreuzigten – die am Fuße des Kreuzesstamms postierte Gruppe der Trauernden inbegriffen – im Sinne einer laut Zenkert „bewusst archaisierenden Kompositionsweise“ eine pointiert zentralisierende Stellung.374 Da das Haupt Christi beinahe mit dem oberen Bildrand in Berührung kommt und obwohl nicht eindeutig ersichtlich ist, an welcher Stelle der Kreuzbalken in den Erdboden gerammt ist, ist davon auszugehen, dass der Erlöser der vordersten Bildebene angehört. Wie sein nach vorne geneigtes Haupt, die waagrecht durchgestreckten Arme und der leicht vorgebeugte Oberkörper verraten, scheint sich Christus beinahe vom Kreuz loszulösen. Daraus resultiert der Eindruck eines dynamischen Schwebezustands, der, so Zenkert, „auf der eigentümlichen optischen Energie der Gloriole [beruht], die wie das Nachbild einer von den Armen ausgeführten [einem Flügelschlag ähnlichen] Bewegung erscheint“.375 Hüttinger zufolge „ist Christus nicht so sehr der leidende und sterbende Mensch, als der leiblich schön gebildete […], die Menschheit in Liebe umfangende Gott. Vom Halbkreis einer Lichtgloriole umstrahlt, ist er so etwas wie der Heil spendende sol novus [beziehungsweise sol invictus] – die historische Kreuzigung gerät aus der Zone der geschichtlichen Einmaligkeit in die Zone kultischer Vergegenwärtigung“.376 Vom Leiden unberührt erstrahlt der von rechts beleuchtete Körper Christi – gekennzeichnet durch ein dumpf elfenbeinfarbiges Inkarnat und eine plastisch ausgearbeitete Muskulatur – in makelloser Schönheit. Einmal mehr macht sich auch hier eine merkliche Affinität zu Michelangelo bemerkbar. Zwei von diesem stammende, im British Museum in London aufbewahrte Kreidezeichnungen mit Darstellungen des Gekreuzigten scheinen dies zu belegen. Die zu Füßen des Kreuzes versammelten, dicht ineinander verzahnten Klagenden formieren sich zu einem stumpf-pyramidalen Gebilde, das sich bei flächenspezifischer Betrachtung auch als spitzwinkeliges, im Fußnagel Christi gipfelndes Dreieck lesbar ist, wobei sich die auf halber Strecke aussetzenden schrägen Linien der Seitenschenkel nach dem Wahrnehmungsgesetz des „Schließungsdrucks“ mittels Induktion ergänzen lassen. Die Basis des Dreiecks ruht direkt auf dem unteren Bildrand, wodurch die Trauergruppe den Eindruck erweckt, als stünde sie in unmittelbarer Nähe zum Betrachterraum. Damit gewinnt diese zusammen mit dem Gekreuzigten laut Zenkert „die nahezu selbstständige Qualität eines Andachtsbildes, das vom Getriebe der sie umgebenden dramatischen Bildhandlung eigentümlich isoliert wirkt“. Mit Hüttinger gesprochen wird sie (das Kruzifix inbegriffen) gleichsam zum „Bild im Bild“.377 Maßgeblich für die relativ autonom über die gesamte panoramaartig ausgebreitete Szenerie dominierende Darstellung des Kruzifixus mit der Gruppe der Klagenden war wohl die von Tintoretto schon wenige Jahre zuvor um 1562 (Pallucchini datiert um 1563/65) für die Kirche von Santa Maria del Rosario (= „Gesuati“) geschaffene Kreuzigung, die angesichts des Hochformats zwar lediglich dem Kruzifixus mit der ihn umgebenden Trauergruppe zeigt, gleichwohl das Zentrum der Großen Kreuzigung in der Scuola di San Rocco vorwegzunehmen scheint. Ein Indiz dafür ist vor allem der in beiden Fällen die obere Bildhälfte beherrschende, hoch über den Köpfen der Trauernden schwebende und von einer Gloriole umstrahlte Erlöser.378

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Die pyramidale Trauergruppe wird von der in Blau-Rot gekleideten, ohnmächtig niedergesunkenen Gottesmutter in zentralisierender Stellung diagonal durchkreuzt. Eine über sie gebeugte, von einem rötlichen Ton akzentuierte Frauengestalt (vielleicht Maria Kleophas) versucht ihr stützend beizustehen. Vor der Madonna lagert eine weitere Frauenfigur (vermutlich Maria Salome), die, ebenfalls in Ohnmacht gefallen, ihr Haupt an deren Brust schmiegt. Mit ihrem zwischen Weiß und Lila changierenden, vom Bildrand leicht angeschnittenen Mantel erregt sie große Aufmerksamkeit und scheint beinahe in den Betrachterraum abzugleiten. Dem fiktiven Verlauf des Kreuzesstamms angeglichen, sind die Köpfe der drei Marien – die Symmetrieachse nach unten fortsetzend – vertikal übereinander gestaffelt. Links kniet, mitleidsvoll die Hand der Madonna stützend und in von Reflexlichtern akzentuiertem Karminrot gekleidet, Joseph von Arimathia, dem Jacopo, so Emmrich, die Gesichtszüge des Tommaso Rangone verliehen hat.379 Ihm folgt Johannes Evangelista, der wie seine Begleiterin, die blond gelockte, nur in spärlichem Ausschnitt gezeigte Maria Magdalena, zu Christus emporblickt. Der Lieblingsjünger trägt ein Wams, dessen mit Spuren von Lachsrosa vermengtes Gelb ihn besonders nobilitiert, zumal dieser Farbton sonst nirgends im Bild vorkommt, zudem auch im übrigen Œuvre des Künstlers nur sehr selten in Erscheinung tritt. Über den Häuptern der drei Marien erhebt sich, als Halbfigur dargestellt, die allegorische Gestalt der Ecclesia, die als „Braut Christi“ – in Orantenhaltung die Hände angehoben – in verlorenem Profil zum Gekreuzigten aufschaut. Gemäß dem alten allegorischen Typus trägt sie einen über den Kopf geschlungenen Umhang, der, in einem bräunlich violetten, bronzeartig anmutenden Farbton gehalten, aufgrund eines sich plastisch auf ihm ausbreitenden Lichtstreifens einen metallischen Eindruck vermittelt.380 Gebannt vom optisch schwer auf ihr lastenden Umhangteil der Ecclesia wird die allegorische Figur der von ihrem silbrig weißen Kleid total verhüllten Synagoge in demütig gekrümmter Haltung buchstäblich in die Knie gezwungen.381 Zur Linken der Ecclesia ist ein Scherge im Begriff, den an einer langen, den linken Dreieckschenkel der Trauergruppe bis zum Fußnagel Christi verlängernden Stange befestigten Essigschwamm Stephaton zu reichen, der sich von einer an der Rückseite des Kreuzesstamms gelehnten Leiter herabbeugt, wobei zu beachten ist, dass die Holme fast parallel zum Kreuzesbalken ausgerichtet sind und dadurch den Höhendrang des Kruzifixus verstärken. Zudem scheinen sie, das Lendentuch Christi umklammernd, den Gekreuzigten – der Funktion von Stelzen gleich – zu stützen. Schon in der San Severo-Kreuzigung hatte Tintoretto das Motiv der Leiter zum Einsatz gebracht. Anders jedoch als im Gemälde der Scuola ist diese, am Kreuzquerbalken gelehnt, seitlich von Christus angeordnet. Zudem ist der die Leiter haltende Scherge ganzfigurig wiedergegeben und dadurch die Gruppe der Klagenden, die unmittelbare Verbindung mit dem Kreuzesstamm preisgebend, nach links abgedrängt. Angesichts dessen, dass der Körper Christi – anstatt wie in der Scuola-Kreuzigung hoch über den Köpfen der Trauernden zu schweben – in der San Severo-Fassung bis zum Scheitel des Figurenhalbkreises herabreicht, wird deutlich, dass Jacopo hier noch weit davon entfernt ist, dem Gekreuzigten jene transzendente Wirkung zu verleihen, wie sie dem Erlöser in der ein Jahrzehnt später geschaffenen Kreuzigung eignet.

Die andachtsbildähnlich isolierte Stellung der Trauergruppe schlägt sich laut Swoboda auch in einem „eigenen [Kolorit-]Stil“ nieder: „Es verbindet sich da die weiche malerische Art, wie sie für Tintoretto etwa 1550 bis 1553 charakteristisch ist, in der er Tizian nahekommen will, mit der dünnen, fast zeichnerisch durchsichtigen Art des Farbauftrages […]“. Hinzu kommt ein deutliches Bekenntnis zur primären Farbtrias (Rot, Blau und Gelb), die – gemessen an dem durch Licht/Schatten-Wirkungen gedämpften Kolorit der übrigen Szenerie – mit ihrer Sättigungstendenz und im Bunt-Unbunt-Kontrast gegenüber dem Grauweiß der Synagoge zur blockhaften Verfestigung der Klagenden wesentlich beiträgt.382 Hinter dem Gekreuzigten und den Klagenden erstreckt sich das um einiges höher situierte, lichtüberflutete, und in einem hellen Sandton gehaltene Felsplateau des Golgatha-Hügels. Der Künstler hat diesem die Form eines räumlich verkürzten, auf die Trinität anspielenden Dreiecks verliehen, dessen Schenkel – den Raumdiagonalen des Bildes angenähert – stumpfwinkelig hinter der Gestalt der Ecclesia im Sinne eines ‚verkehrten‘ Fluchtpunkts konvergieren. So gesehen steht das Lichtdreieck in einem ambivalenten Verhältnis zur flächenspezifischen Komposition der Trauergruppe, deren Vordergrundsposition durch die sie dynamisch bedrängende Spitze des Golgatha-Dreiecks noch zusätzlich betont wird.383 Mit der kontemplativ verinnerlichten und flächig geschlossenen Trauergruppe kontrastiert die links anschließende Kreuzaufrichtung des guten Schächers. Dabei handelt es sich um jene Szene, in der – einem Nebenzentrum gleich – dynamische und perspektivisch raumerschließende Faktoren, mehr als sonst im Bild, eine dominierende Rolle spielen und neben dem Kruzifixus wohl auch die größte Aufmerksamkeit erregen. Ikonographisch neu ist, dass die Darstellung der Kreuzaufrichtung bis dahin ausschließlich Christus vorbehalten war.384 Sechs Schergen bemühen sich stützend und schiebend, ziehend und haltend mit höchstem Kraftaufwand um die Aufrichtung des schräg gestellten Kreuzes, das, optisch in das Lichtdreieck hineinragend, die halbe Tiefe des riesigen, bühnenhaften Bildraums durchmisst. Der links unten in extremer Rückenlage dem Betrachter zugeneigte, mit dem rechten Arm beinahe den Boden berührende und von einem heftigen, seine rötliche Kleidung fast völlig ausbleichenden Lichtstrahl erfasste Scherge verfügt über das größte, gänzlich dem Manierismus verpflichtete Dynamikpotenzial. Mit einem weißen, straff gespannten Seil, dessen Zugkraft von seiner in Draufsicht gezeigten Arm- und Schulterlinie ihren Ausgang nimmt, sucht er das Kreuz anzuheben, wobei zwei unter dem Kreuzquerbalken platzierte Schergen ihm dabei behilflich sind. Während der eine den Balken mit der Schulter stützt, ist der andere bestrebt, diesen hochzustemmen. Auffällig bei Letzterem ist dessen merkwürdig tänzelnde Beinstellung, die den Eindruck erweckt, als wollte er – neben der Wahrung des Gleichgewichts – sorgsam darauf achten, den geheiligten Boden des Lichtdreiecks nicht zu betreten; seiner schwarzen Beinkleidung eignet eine entsprechende Signalwirkung. Drei weitere Knechte sind im Begriff, den Kreuzesstamm unter Zuhilfenahme eines zweiten Seils in den Boden zu rammen. Getrübte, in rhythmischem Wechsel auftretende Blau- und Rotwerte sorgen – erinnernd an den Farbakkord der Madonna – für einen integrativen Zusammenhalt der sechs

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Schergen. Der in verkürzter Stellung an das Kreuz gefesselte Schächer wendet sein Haupt zu Christus, vermutlich mit dem Zuruf: „Jesus, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ (Lucas 23,42). Seine linke, in einer Geste der Reue leicht angehobene Hand scheint diesen Appell zu bestätigen. Die Dreidimensionalität der Kreuzaufrichtungsszene basiert hauptsächlich auf der Schrägführung des Kreuzstamms und den diesen flankierenden Seilen, wozu die gleichfalls schräg gelagerte, indes perspektivisch noch radikaler verkürzte Leiter, die zwischen dem unteren Bildrand und der abschüssigen Begrenzung des Felsplateaus vermittelt, einen erheblichen Beitrag leisten. Aus all dem resultieren Fluchtlinien, die, dreifach gebündelt, im Haupt Christi konvergieren, wogegen jene der Leiter auf dessen Fußnagel abzielt. Unmittelbar über beziehungsweise empirisch gesehen hinter der Kreuzaufrichtung tritt ein sich vom dunkelgrauen Firmament scharf abhebender Reiter in Erscheinung, der in vorgebeugter Haltung die Schräglage des guten Schächers fortzusetzen scheint. Sein zu Boden geneigtes, wie Christus die Ehre erweisendes Maultier macht sich an jenen Palmzweigen gütlich, die man dem Erlöser nur wenige Tage vor seinem Einritt in Jerusalem zu Füßen gelegt hatte. Wie der ihm gegenüber tänzelnde Scherge nimmt auch der Reiter darauf Bedacht, den stringent abgezirkelten Bereich des Lichtdreiecks zu meiden. Swoboda hat den Reiter überzeugend mit dem die Anklage Christi vertretenden Hohepriester Kaiphas identifiziert, der, wie dessen jähe Kopfwendung verrät, am diffizilen Vorgang der Kreuzaufrichtung merkliches Interesse bezeugt.385 Während er in seiner Rechten den Zügel des Maultiers hält, der vortäuscht, als sei er um den Kreuzquerbalken gewickelt, zeigt er mit einem langen Stab auf Christus; ein hinter ihm ausschnitthaft wiedergegebener Schimmelreiter weist mit seiner Lanze in dieselbe Richtung. In der rechten Bildhälfte geht – unter dem Kommando eines rötlich akzentuierten, wie Kaiphas hoch in den Himmel ragenden Schimmelreiters – die Vorbereitung der Kreuzigung des bösen Schächers in Szene. Der am Boden liegende Kreuzesstamm dringt schräg ausgerichtet in den Bereich des Lichtdreiecks vor, parallel zu dessen Schenkel angeordnet. Im Gegensatz zur Kreuzaufrichtung dient der Balken nicht der perspektivischen Erschließung des Tiefenraums, sondern verläuft – gleichsam in Umkehr der Perspektive – von rechts hinten nach vorne in Richtung der Ecclesia, mit dem Nebeneffekt, dass dadurch die sonst in der Komposition vorherrschende Symmetrie deutlich gelockert wird. Der auf dem Kreuzesstamm liegende Schächer wird mit halb aufgerichtetem, tief verschattetem Oberkörper als perspektivisch stark verkürzter Rückenakt gezeigt. Zu seinen Füßen lagert als symmetrisches Gegenstück – in analoger Haltung, jedoch en face gezeigt – ein weißhaariger rotgekleideter Scherge, der dem Schächer die Beinkleider entreißt – Letzteres eine Modifikation des Motivs aus der Fußwaschung (Prado). Ihm gegenüber sein kniender Gefährte, der die Beine des Delinquenten fesselt. Dahinter eine stehende, stark verschattete Figur, die sich anschickt, mit einem ausgespannten Seil den Oberkörper des Gemarterten zu fixieren. Besonders augenfällig ist jener Scherge, der mit gewaltigem Kraftaufwand ein Loch in den linken Teil des Querbalkens bohrt und aufgrund seiner schraubenden, eine Überkreuzung der Arme

erfordernden Tätigkeit fast zwangsläufig die manieristische, aus dem Kontrapost entwickelte Statur einer figura serpentinata annimmt. Laut Swoboda liegt hier eine Inspiration durch verschiedene Krieger aus Michelangelos Schlacht von Cascina vor.386 Indessen irrt der Autor, wenn er den Schergen als „herkulische Aktfigur“ bezeichnet. In Wirklichkeit ist dieser bekleidet, trägt Rock und Hose, die so hauteng an den Leib gepresst und transparent gemalt sind, dass sich darunter sämtliche anatomischen Details des Dargestellten (wie etwa die Muskelpakete an dessen Rücken) plastisch abzeichnen. Hinzu kommt noch, dass dessen farbliche Erscheinung dem Inkarnat Christi angenähert ist. Willmes bringt dem Sehfehler Swobodas insofern ein gewisses Verständnis entgegen, als „der Betrachter beim ersten Hinsehen durchaus fälschlicherweise den Eindruck gewinnen kann, die Figur biete ihren athletischen Leib gänzlich entblößt dar“.387 Diesem Kunstgriff liegen vermutlich Anregungen seitens des mittelitalienischen Manierismus (etwa von Pontormo und Bronzino) zugrunde. Ob die rücklings zum Betrachter weisende Position des Schächers sowie die Schrägstellung des Kreuzes tatsächlich, wie bisweilen behauptet, durch Michelangelos Kreuzigung Petri (1546–1550; Vatikan, Cappella Paolina) angeregt ist, sei dahingestellt. Dagegen spricht unter anderem der Umstand, dass der bereits ans Kreuz genagelte Apostel in extremer Draufsicht dargestellt ist.388 Über der Kreuzanbindung des bösen Schächers erhebt sich am Horizont ein hellblauer, mit den über ihn hinwegziehenden dunklen, den Tod Christi ankündigenden Gewitterwolken kontrastierender Bergrücken, vor dem sich die in wenigen weißen Strichen schemenhaft skizzierte Stadt Jerusalem abzeichnet. Von dort ist die Bevölkerung zum Golgatha-Hügel aufgebrochen, um Zeuge der Hinrichtung zu werden. Neben dem kommandierenden Reiter tritt eine kleinfigurige Menschengruppe in Erscheinung, bogenförmig nach rechts in den Vordergrund voranschreitend, wo die Prozession zum Stillstand gelangt. Vor dem Hintergrund eines teils durchlichteten, teils verschatteten Waldstücks haben sich fünf Reiter, Jerusalems jüdische Repräsentanten, versammelt. Kreisförmig angeordnet und dicht zusammengedrängt bilden die Pferde eine Art Nebenzentrum, das der weit auseinanderdriftenden Gesamtkomposition einen stabilisierenden Halt sichert. Der wohlbeleibte, sein energisch aufstampfendes Pferd zügelnde Reiter (gewiss der Anführer der Gruppe), dem Jacopo die Züge Pietro Aretinos verliehen hat, wird in seinem Rücken vom strahlenden Weiß eines Schimmels sowie durch die beiden unmittelbar über ihm emporwachsenden Baumstämme akzentuiert. Während der eine Stamm streng lotrecht verläuft, neigt sich der andere zum Gekreuzigten. Darin scheint sich die psychisch ambivalente Stimmung des Reiters zu spiegeln, der einerseits, wie die Geste seiner abgewinkelt auf die Hüfte gestützten Linken verrät, eine herrische Haltung einnimmt, andererseits mit bedenklicher, fast schon verehrungsvoller Miene zu Christus aufschaut. Das braune Pferd des Aretiners senkt seinen Kopf, der mit dem graublau gekleideten, sich in vorgebeugter Stellung auf die Brüstungsmauer des Lichtplateaus gestützten Mann in Berührung kommt, was den Eindruck erweckt, als wollte es diesen zu einer ähnlich devoten Haltung animieren. Wie die schlanke Kopfform, der Vollbart und die fliehende

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Stirn des Dargestellten verraten, dürfte es sich hier – laut Valcanover, Emmrich und anderen Autoren – um ein Selbstporträt des Künstlers handeln, der als „Anteilnehmender, Beobachter und Chronist“ gebannt in stummer Betrachtung zur Gruppe der Trauernden hinblickt.389 Vor Tintoretto befindet sich ein quadratisch aus dem Felsboden herausgeschnittenes Loch, das sich anschließend zu einem höhlenartigen Gehäuse weitet, in dem drei kauernde Soldaten um das rot schimmernde Gewand Christi würfeln. Die dunkle Felsöffnung kann man als Anspielung auf das Grab Christi interpretieren. Für diese These spricht der dem Steingeschiebe entspringende Zweig, der aufgrund der unwirtlichen Bedingungen eigentlich gar nicht lebensfähig sein dürfte. Gleichwohl entwachsen ihm grüne Blätter, die als Zeichen der Hoffnung und als Symbol der Auferstehung zu deuten sind.390 Der vor der Höhle platzierte Knecht ist im Begriff, zwecks Aufrichtung des Schächerkreuzes ein Loch auszuheben. Der der Verkeilung des Kreuzesstamms dienliche zugespitzte Holzpflock ist schon bereitgelegt. Der Knecht trägt einen Rock, dessen Rot unter allen, meist getrübten Farben im Bild den höchsten Sättigungsgrad beziehungsweise Buntwert aufweist, deshalb besonders geeignet, die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das rechte Bildviertel zu lenken. Wie der mit der Schaufel hantierende Knecht ist auch die rechts unten auf dem Bildrand platzierte Figur in Rückenansicht gezeigt. Desgleichen der knapp vor ihm positionierte Reiter, der wie der unter ihm Kauernde die Rolle einer Repoussoirfigur innehat und dem Beschauer eine von mehreren Bildeinstiegsmöglichkeiten bietet. Die gleiche Funktion erfüllt sein vom Schatten angegrauter Schimmel, dessen markant verkürzte Schrägstellung einerseits die flächige Geschlossenheit der Reiterschar auflockert, andererseits eine diagonale Verbindung mit dem Kruzifixus herstellt. Als Gegenpol zum perspektivisch in die Raumtiefe weisenden Reiter betritt links außen der in schwarz schimmernder Rüstung gezeigte römische Hauptmann die Szene. Seine auf den Gekreuzigten deutende Armgeste nimmt seine spätere Einsicht vorweg, Christus sei wahrhaftig Gottes Sohn. Der frontal gedrehte, grell beleuchtete Schimmel des Kriegers scheint mit fast schon menschlich anmutendem Ausdruck auf den Betrachter zu blicken. Vor seinem angehobenen rechten Vorderbein ist, auf dem Bildrand lagernd, ein aus einem Köcher mit Pfeilen und einer Armbrust bestehendes Stillleben ausgebreitet, das Gefahr läuft, vom Huf des Pferdes zertrümmert zu werden; darin offenbart sich eine Geste, die man als christlichen Friedensappell interpretieren könnte. Vom Schimmel großteils verdeckt, mit diesem beinahe verschmolzen, gesellt sich ein Maultier hinzu, dessen glatzköpfiger Reiter, von dem nur das im Profil gezeigte Haupt sichtbar ist, mit gespannter Miene zum Erlöser aufschaut. Über dem Hauptmann ragt eine von einer Fahne flankierte, manieristisch gelängt proportionierte und serpentinierte Gestalt empor, die Swoboda als Sibylle deutet.391 Dem monumental dargestellten Hauptmann folgt im Mittelgrund eine durch einen Raumsprung jäh verkleinerte, in ihrer enormen Verdichtung nur erschwert überschaubare Menschenmenge, die sich in den schemenhaft skizzierten Figuren des Hintergrunds verliert. Ähnliches gilt für das rechte Bildviertel. Dazu Hüttinger: „Gegenüber den großen wirklichkeitsgetreu dargestellten Protagonisten wirken die skizzenhaft kleinen Hintergrundsfiguren

wie Phantasmagorien, „außerhalb jeder kontinuierlichen, rational perspektivischen Begründbarkeit“. „Erstmals“, so der Autor weiter, „bleibt in der abendländischen Malerei das Ursprüngliche und Spontane der Skizze stehen“.392 Die am Fuße eines scharf beleuchteten, von einem Kastell und einem Obelisken bekrönten Hügels befindlichen Figuren sind teils orientalisch, teils abendländisch gekleidet und geben zu verstehen, dass sie – wie auch das über dem Horizont wehende, mit den Buchstaben SPQR versehene Banner bezeugt – aus verschiedenen Gegenden des römischen Reiches angereist sind, um als zukünftige Christen (ex gentibus) der Kreuzigung Christi beizuwohnen.393 Abschließend eine Bemerkung zum Kolorit, das in minutiöser Weise in zahlreichen, wiewohl vom Licht gebrochenen Buntwerten streumusterartig über die Menschenmenge verteilt ist. Blau und das in verschiedenen Abstufungen aufscheinende Rot spielen dabei eine vorrangige Rolle, jener Farbakkord, der zwar auch in der Gesamtkomposition gelegentlich auftaucht, sich jedoch – angesichts des dort in unwirklichem Zwielicht vorherrschenden Schattendunkels – als integrationsfördernder Faktor nur eingeschränkt durchzusetzen vermag. Als Resümee dazu Berckens treffende Stellungnahme: „Das Licht ist fast das einzige vereinheitlichende Element. Wohl zum ersten Mal in der Geschichte der Malerei stellt hier das Licht einen wirklich ausschlaggebenden Faktor dar, in dem erst durch die Art der Lichtverteilung die Komposition, die sonst unübersehbar bliebe, geklärt wird“. Dazu ergänzend Swoboda: „In dem Kreuzigungsbild der Scuola beginnt bei Tintoretto (im Gegensatz zu den Bildern der Decke des Albergo) die Lichtmalerei die Farbenmalerei aufzusaugen.“394 Nach der Kreuzigung schuf Tintoretto von 1566–1567 die drei an der Eingangsseite des Albergo befindlichen Gemälde mit Szenen aus der Passion Christi. Tolnay zufolge begann der Künstler mit dem (von der Kreuzigung her gesehen) linken Bild, der Kreuztragung, bei der er vor der Herausforderung stand, eine figurenreiche Szene, für die von jeher ein Querformat bevorzugt wurde, in einem Hochformat unterzubringen.395 Das Problem löste er durch die Unterteilung der Prozession in zwei Etagen. Die untere Zone ist der Kreuztragung der beiden Schächer vorbehalten, die mit ihrer schweren Last den immens steilen Felspfad des Golgatha-Hügels in räumlich diagonaler Richtung erklimmen. Der Leidenszug nimmt von der linken Bildecke, angeschnitten von deren Rahmengrenzen und unterstützt beziehungsweise angetrieben von zwei Schergen, seinen Ausgang. Zwei weitere Schergen bilden die Vorhut. Während der eine, frontal dem Betrachter zugekehrt, mit zwei um die gewaltigen Schächerkreuze gewundenen Stricken für einen geordneten Verlauf des Zugs sorgt, nähert sich der andere, in Rückenansicht kräftig voranschreitend, bereits dem rechten Bildrand, wo der Weg – ungefähr in halber Bildhöhe und akzentuiert durch die zinnoberrote Mütze des Schergen – eine jähe Kehrtwendung vollzieht und schräg nach links ansteigt. Im Gegensatz zur unteren, räumlich in die Tiefe weisenden Wegstrecke, zeigt die obere die Tendenz, sich sukzessiv von rechts nach links dem Betrachter zu nähern. Die beiden gegenläufigen Prozessionsteile sind durch eine nach rechts keilförmig zugespitzte, senkrecht abfallende Felswand voneinander getrennt, vor deren tiefem Dunkel sich die Schächer-Kreuztragung scharf abzeichnet. Die geradezu magisch anmutende

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Dunkelfolie bewirkt ferner, dass die an sich schon gesättigten Buntfarben noch zusätzlich an Leuchtkraft gewinnen; es dominiert der Rot-Blau-Akkord, dem sich in kleineren Mengen Rot, Violett und Grün hinzugesellen. Im Vergleich mit dem Kreuz Christi sind die Schächer-Kreuze erstaunlich überlängt, zumal sie sich wie schon angedeutet in typisch manieristischer Weise über die unteren Bildgrenzen hinweg fortzusetzen scheinen. Mit der den Bilddiagonalen angeglichenen Schrägführung der Kreuzesbalken, die auf den rechts in der oberen Etage auftretenden Fahnenträger beziehungsweise den vor ihm bis zum Bildrand reichenden Baumstamm abzielen, kommt ein dynamisches Element ins Spiel, das indes aufgrund der vertikalen Dominanz der Komposition beziehungsweise der Übereinanderstellung zweier Bildzonen nur wenig am Vorrang der flächenprojektiven Gesamtkonzeption ändert. Trotzdem bleibt zumindest ein Rest an spannungsfördernder Ambivalenz von Fläche und Raum spürbar. Bezüglich der Unterscheidung der zum Tode Verurteilten steht außer Frage, dass es sich beim rechts Voranschreitenden insofern um den bösen Schächer handelt, als dieser, großteils verschattet und unter der Last des Kreuzes stark vorgebeugt, dem Betrachter den Rücken kehrt, wogegen sich sein Gefährte, der frontal, mit hellem Inkarnat und gottergebenem Gesichtsausdruck dargestellt ist, als guter Schächer zu erkennen gibt. Hinter der Wegkehre hat sich, räumlich etwas zurückversetzt, unter dem hellen Firmament eine kleinfigurige, in blassen Farben gehaltene Gruppe von Trauernden versammelt, von der die obere Zone der Prozession ihren Ausgang nimmt. Vor beziehungsweise über den Köpfen der Klagenden schwenkt ein Krieger eine mächtige, mit einem großen „S“ (dem ersten Zeichen der Buchstabendevise des Römischen Reichs) beschriftete Fahne, die Tolnay zum Anlass nimmt, den oberen Abschnitt der Prozession als „corteo trionfo“ (= Triumphzug) zu bezeichnen.396 Ein schlanker, in den Himmel ragender Baumstamm trennt den Soldaten von der zentralen Kreuztragungsgruppe. Dabei drängt sich der Gedanke auf, dass Tintoretto mit diesem Baummotiv – einem Solitär innerhalb des sonst völlig vegetationslosen Felsterrains – auf Christi Auferstehung angespielt hat, insofern überzeugend veranschaulicht, als die gebogene Wurzel des ewiges Leben verheißenden Baums direkt dem Kreuzbalken zu entwachsen scheint. – Dargestellt ist jener Moment, da Christus, der exakt auf der bildteilenden Vertikalachse platziert ist, unter der Last des in Gegenrichtung zu den Schächerkreuzen schräggestellten Kreuzes, dessen Quer- und Längsbalken sich über ihm zum Dreieck schließen, in die Knie gesunken ist. Ein oberhalb des Kreuzes am sich sukzessiv verdüsternden Firmament schwebendes ovales Wolkengebilde, das an ein quallenähnlich mit Tentakeln versehenes Fabelwesen erinnert, scheint den auf Christus lastenden Druck zu verstärken. Der Erlöser ist in Rot/Blau gekleidet, einem Farbakkord, der auch im Dunkel der unteren Bildhälfte aufleuchtet und sich in getrübter Weise an Simon von Kyrene wiederholt. Über diesem flattert ein rosafarbiges Banner mit der vollständig sichtbaren Buchstabendevise des Römischen Reichs. Um Christus die schwere Last zu erleichtern, greift Simon nach dem Längsbalken des Kreuzes, während ein graubärtiger Helfer den Querbalken umfangen hält. Hinter diesem taucht ein ausschnitthaft wiedergegebener Schimmelreiter auf, der zum links oben die Komposi-

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tion abschließenden Schergen vermittelt, der, auf Jesus zurückblickend, einen um dessen Hals geschlungenen Strick hält. Der Henkersknecht, der, stark verschattet, bis fast zum oberen Bildrand reicht, scheint dem tiefen Dunkel der Felswand zu entspringen. Er ist beinahe doppelt so groß wie der Fahnenträger, was auf ein beträchtliches Größengefälle hindeutet – ein Indikator dafür, dass die Bodenwelle der oberen Wegstrecke vom Mittelgrund gleichsam in den Vordergrund, dem Betrachterraum angenähert, zurückkehrt. Hetzer zufolge ist „das ganze Bild ein großes, in den Rahmen verspanntes Zickzackmotiv“397, wobei der Künstler auch die das Bild flankierenden realen Architekturmotive des Saals kompositionell zu nutzen weiß, indem er einerseits den rechten Schenkel des das Doppelfenster (an der nördlichen Seitenwand) bekrönenden Dreieckgiebels mit dem Ende der oberen, ebenfalls schräg fallenden Bodenwelle verbindet, andererseits die Wegkehre direkt in die Basis des Eingangsgiebels münden lässt. Der Kreuztragung folgt – als mittleres von drei Bildern – die über dem Eingang zum Albergo angebrachte Ecce-homo-Szene (= Christus vor Pilatus), wobei Tintoretto aufgrund der enormen Höhe des Portals lediglich ein niedriges, die Funktion einer Supraporte erfüllendes Querformat zur Verfügung stand. Als ebenso ungünstiges Präjudiz kommt noch hinzu, dass er bei der Konzeptplanung auch den geradezu gewaltsam in die Malfläche stechenden Dreieckgiebel des Portals zu berücksichtigen hatte. Letzteres zwang ihn dazu, mit der überlieferten Ikonographie zu brechen und Christus angesichts seiner zentralen, somit auf die Spitze des Giebeldreiecks ausgerichteten Stellung nicht stehend, sondern sitzend wiederzugeben; naturgemäß war auch die übliche Darstellung einer Volksmenge ausgeschlossen. Den traditionellen Bildtypus des Ecce homo zufolge ist meistens links ein Podest angeordnet, von dem aus Pilatus den rechts versammelten Juden Christus präsentiert; wie etwa in Tizians Version des Ecce-homo-Themas von 1543.398 Bezüglich der Rezeption und Typologie des Gemäldes ist Zenkerts Kommentar besonders aufschlussreich: „Tintoretto aber zeigt Christus und Pilatus nicht von der Seite, sondern von vorne, also aus der Perspektive der Volksmenge, die hier fehlt. Sie befindet sich also idealiter dort, wo wir als Betrachter stehen […]. Der Betrachter fühlt sich aufgerufen, die zur Vollständigkeit der Szene fehlende Volksmenge zu ersetzen und gerät dadurch unversehens in die Rolle eines am dargestellten Geschehen unmittelbar beteiligten Akteurs. Gleichzeitig aber ähnelt die Ecce-homo-Darstellung durch die hieratisch frontale Präsentation des geschundenen Christus, die Konzentration auf wenige Figuren […] einem Andachtsbild in der Tradition des Schmerzensmannes und des Erbärmdebildes.“399 Die hier angesprochene, in der nordischen Kunst wurzelnde Ikonographie-Komponente lässt darauf schließen, dass Jacopo von Dürers Holzschnittfolge der damals in Venedig hochgeschätzten „Kleinen Passion“ (1509–11) mit dem „Schmerzensmann“ als Titelblatt, das den Heiland – den frommen Betrachter zur compassio anregend – auf einem Steinblock sitzend und in Trauer versunken zeigt, zutiefst beeindruckt war.400 Mitunter wird das Gemälde fälschlich (z.B. von Valcanover) mit „Dornenkrönung“ betitelt. In Wahrheit hat die Dornenkrönung bereits stattgefunden, worauf man den Heiland ins Freie gezerrt und auf den dem Gerichtsgebäude vorgelagerten Stufen abgesetzt hat. Die vom oberen Bildrand angeschnittene Fassade ist durch

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vier paarweise angeordnete Säulen gegliedert und bildet die Grundlage einer triptychalen Komposition. Das breitere mittlere Interkolumnium ist Christus vorbehalten, hinter dem, rot gekleidet und stark verschattet, ein Scherge ein weißes blutbeflecktes Tuch ausbreitet, um den nackten geschundenen Körper des „Schmerzensmanns“ der im Betrachterraum vorstellbaren Volksmenge zu präsentieren. Christus ruht – halb sitzend, halb liegend – auf jenem Purpurmantel, den man ihm bei der Dornenkrönung, sein angemaßtes Königtum verspottend, umgehängt hatte. Wie um der Spitze des Giebeldreiecks auszuweichen, weisen die in Seitenansicht wiedergegeben Beine des Gemarterten nach rechts zu Pilatus, der als figura serpentinata, halb Christus, halb dem Volk zugewandt, den für einen Richter fatalen Eindruck des Zauderns und der Unentschlossenheit vermittelt. In der schräg hinter Pilatus einen grünblauen Vorhang wegziehenden Greisengestalt meint Von der Bercken einen „pharisäischen Berater“ zu erkennen, „der nun dem obersten Richter zuflüstert, [im Urteil] nicht schwankend zu werden und auf der einmal beschrittenen Bahn weiterzugehen“.401 Mit dem Zuruf: „Ecce homo“ unternimmt Pilatus einen letzten Versuch, die aufgehetzte Menschenmenge von der Unschuld Christi zu überzeugen, indirekt auch den Betrachter einbeziehend. Dem Statthalter antwortet – wie der riesige Scherge links oben in der Kreuztragung in kontrapostisch dynamisierter Haltung dargestellt – ein hochrangiger, in eine von Reflexlichtern übersäte und bis ins Detail ausgefeilte Rüstung gehüllter Offizier, der, das Haupt gesenkt, mit mitleidvoller Miene auf den Erlöser blickt. Wahrscheinlich handelt es sich um jenen römischen Hauptmann, der angesichts Christi Kreuzestod zu dessen Bekenner werden sollte. Seine Standfestigkeit wird, im Wortsinn, durch das satte Rot seiner Beinkleidung geradezu signalhaft betont. Im Übrigen tritt der Rotwert im Gemälde insgesamt viermal (jeweils in unterschiedlicher Brechung) in Erscheinung, ein integrativer Faktor, der – unterstützt durch die konvex klammernden Außenkonturen des Hauptmanns und des Statthalters – zur Stringenz der sich zum Halboval schließenden Komposition wesentlich beiträgt.

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Das rechts vom Albergo-Portal angebrachte Gemälde mit Christus vor Pilatus wurde laut Valcanover – wohl hauptsächlich aufgrund der erhabenen, transzendent verinnerlichten Christus-Gestalt – am meisten von allen Werken der Scuola bewundert.402 Kompositionell auf die Kreuztragung und das Ecce homo abgestimmt, bildet es zusammen mit diesen eine Art Triptychon. Jesus hat ein langes Verhör hinter sich, an dessen Ende Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht. Auf die Frage des Richters, ob er der König der Juden sei, antwortet der Angeklagte mit dem schicksalhaften, für das Gerichtsverfahren entscheidenden Satz: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh. 18,35), worauf Pilatus nachsetzt: „So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme! Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und da er das gesagt, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.“ (Joh. 18,37–38). Und bei Matthäus heißt es weiter: „Da aber Pilatus sah, dass er nichts schaffte, sondern dass ein viel größeres Getümmel ward, nahm er Wasser und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig am Blut dieses Gerechten, sehet ihr zu.“ (Matth. 27,24) Der Heiland steht auf der letzten Stufe einer zum Richterthron führenden Treppe, deren unterer Abschnitt tief verschattet ist; daraus resultiert der Eindruck, als stünde er auf einer fast schon schwebend anmutenden Plattform. Extrem schlank proportioniert und am Rücken von einer sanft gewellten Linie konturiert, trägt er einen weißen, wie von einem steil von oben einfallenden Lichtstrahl fokussierten Mantel, der, kontrastierend mit dem dämmrigen Ambiente, ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit evoziert. Seine zentralisierte Stellung wird noch dadurch akzentuiert, dass die von seinen gefesselten Händen streng lotrecht fallende Röhrenfalte des Mantels genau der Proportionslinie des Goldenen Schnitts entspricht.403 Christi isolierte Position und nahezu entmaterialisierte Lichterscheinung signalisiert zum einen irdische Einsamkeit, zum anderen transzendente Weltabgehobenheit. Der introspektiv gesenkte Blick des zum Kreuzestod Verurteilten zeugt, getragen von göttlichem Sendungsbewusstsein, von stummer Schicksalsergebenheit und stoischer Gelassenheit. Laut Valcanover stand Tintoretto bei der Konzeption der Jesus-Figur vermutlich auch Dürers mit 1509 datierter Holzschnitt Christus vor Herodes aus der Kleinen Passion vor Augen, die wie Dürers übrige Grafikzyklen bei allen venezianischen Künstlern großen Anklang fand. Auch im Holzschnitt steht Christus in erhaben isolierter Haltung vor seinem Ankläger, die ihn umkreisenden Protagonisten erheblich überragend.404 Pilatus hebt einen silbrigen Krug, aus dem sich ein schmales Rinnsal über seine linke Hand ergießt. Ein greller Lichtstreifen überkreuzt die ihn akzentuierende Säule und hinterlässt auf seiner Stirnglatze ein punktförmiges Reflexlicht. In Dreiviertelansicht gezeigt trägt er die aus einem roten Kleid und einem die Beine verhüllenden ockergoldenen Mantel bestehende Amtsrobe eines Richters. Das wie zwischen den Schultern einsinkende Haupt vom Angeklagten abgewandt blickt er mit verlegener Miene nach rechts unten, wo ein orientalisch gekleideter Zuschauer im Halbschatten beziehungsweise Gegenlicht des ihn hinterfangenden

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Interkolumniums an einem hohen Säulenpostament lehnt und in verlorenem Profil zum Erlöser emporblickt. Vor ihm hockt ein bejahrter Chronist wie Pilatus in gekrümmter Haltung an einem Schemel und hebt energisch, einem Evangelisten gleich, seine Feder, um jedes Wort des Gerichtsverfahrens sorgfältig zu notieren. Angesichts seiner silbrig weißen Kleidung steht er am meisten unter den Protagonisten in optisch engem Kontakt mit Christus. Wie der Orientale ist auch der links außen in Rückenansicht gezeigte Gefolgsmann des Prokurators auf dem unteren Bildrand postiert, erfüllt somit wie jener die Funktion einer Repoussoir- bzw. Bildeinstiegsfigur. Die Unsicherheit des Statthalters scheint sich auf ihn zu übertragen, zumal er nur auf einem Bein zu stehen scheint und dadurch erst recht der Stütze des seitlichen Bildrahmens bedarf. Ihm ist eine junge Frau zugewandt, deren roter Mantel einerseits mit dem Rot des Pilatus korrespondiert, andererseits mit dem Blau der Beinkleidung ihres Nachbarn einen starken Primärfarbakkord anschlägt. Der kompositionell wesentliche Beitrag der fünf besprochenen Figuren besteht darin, dass sie Christus kreisförmig umschreiben und dadurch dessen zentrale Stellung zusätzlich betonen. Die in Schrägperspektive im Winkel von etwa 60 Grad in die Tiefe stoßende Gerichtshalle, die an das Mittelschiff einer Kirche erinnert, erfüllt eine künstlerische Doppelfunktion: Zum einen dient sie der theatralisch angehobenen Treppe und Thronplattform als bühnenartige Kulisse, zum anderen sorgt sie mit ihrer Kolonnade und dem anschließenden Wandpfeilerjoch für eine Rhythmisierung beziehungsweise Akzentuierung der Figurenkomposition. Während der Orientale mit dem Turban von den beiden gemaserten, vom Licht gestreiften Säulen flankiert wird, bleibt das folgende, bereits im Halbschatten befindliche Interkolumnium der Bergung des Pilatus-Throns vorbehalten. Die beiden Wandpfeiler des dritten Jochs begrenzen die stelenartig schlanke Gestalt Christi, deren wie von der Gravitation unberührten Höhendrang unterstreichend. Zwischen den Pfeilern öffnet sich eine schmale Arkade, vor deren tiefem Dunkel das für Unschuld stehende Weiß der Toga des Angeklagten zusätzlich an Leuchtkraft gewinnt. Nach dem Arkadenjoch führt der Blick in den Freiraum, wo sich vor einer hell getönten offenen Säulenhalle die isokephale und dunkel verdichtete Volksmenge versammelt hat. Das perspektivisch schräg gestellte Gebälk des Gerichtssaals setzt sich an jenem der Säulenhalle fort und weist auf einen Fluchtpunkt, der außerhalb des Gemäldes im benachbarten Ecce-homo-Bild, genauer gesagt, im Bereich des kauernden Christus liegt. Von dort schweift der Blick, die Rahmengrenze überquerend, in diagonaler Richtung zur Kreuztragung der Schächer, deren schräg ansteigender Pfad in der in Gegenrichtung weisenden Raumdiagonalen der Szene mit Christus vor Pilatus sein Pendant findet. Damit gelang es Tintoretto, mit integrativen Strukturmitteln die drei Gemälde in die einheitliche „Gestalt“ einer triptychalen Ganzheit einzubinden. Wie bei der Kreuztragung nimmt auch das rechte Gemälde kompositionellen Bezug auf das unmittelbar anschließende Ädikula-Doppelfenster. In diesem Fall ist es das realarchitektonische Motiv der drei Fenstersäulen, das illusionistisch direkt in die dreifache Säulenstellung der Gerichtshalle überzuleiten scheint. Obwohl dieser wahrnehmungsspezifische Kontext auch bei frontaler Bildbetrachtung evident ist,

scheint sich hier der von Zenkert favorisierte schräge Blickwinkel zu bewähren. Danach empfiehlt die Autorin die schräg gegenüber liegende Saalecke als Betrachterstandort, von dem aus sich der perspektivische Effekt der von der Realarchitektur ausgehenden Säulenreihe in Schrägansicht in der Tat effizienter als bei frontaler Anschauung erschließt. Dazu ergänzend Zenkerts Erläuterung: „Dieser Effekt basiert im Wesentlichen darauf […], dass die Kolonnade hinter Pilatus in rechtem Winkel auf die Bildoberfläche zu treffen scheint, wenn man das Bild mit extrem schräger Blickachse betrachtet.405

Scuola di San Rocco, ALBERGO

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F

ast zeitgleich mit dem siegreich bestandenen Wettbewerb bezüglich des Deckengemäldes im Albergo erhielt Tintoretto 1564 seinen ersten Staatsauftrag – gegenüber Paolo Veronese reichlich verspätet, der schon seit 1553 im Dogenpalast tätig war. Der Auftrag, die Decke der Sala dell’Atrio quadrato im Dogenpalast mit Malereien auszustatten, fällt in die Regierungszeit des Dogen Girolamo Priuli (reg. 1559–1567), den Jacopo schon 1559 – anlässlich dessen Amtsantritts – porträtiert hatte. Sein neues Arbeitsfeld hatte Tintoretto wohl nicht zuletzt der Protektion Tommaso Rangones zu verdanken, der mit dem Dogen befreundet war und vielleicht auch dazu beigetragen hat, Girolamo Priuli darin zu bestärken, von einer möglichen Bevorzugung Paolo Veroneses, der, von Tizian geschätzt, sich mit Malereien für den Dogenpalast schon mehrfach ausgezeichnet hatte, zugunsten Jacopos Abstand zu nehmen. Im Zentrum der ganz im Zeichen des staatspolitischen Aspekts konzipierten Deckendekoration des Atrio quadrato steht das achteckige Gemälde Der Doge Girolamo Priuli mit dem Hl. Markus (oder Hieronymus?), das von vier längsrechteckigen Grisaillebildern umgeben ist.406 Diese erinnern, so Swoboda, an die Cassonebilder aus Tintorettos frühen Jahren und stellen die Königin von Saba vor Salomo, das Salomonische Urteil, Esther vor Ahasver und Samson, die Philister tötend, dar. Laut Tolnay geben sie Hinweise auf die Tugenden des Dogen: Weisheit, Gerechtigkeit, Kraft und Stärke.407 Überschnitten von zwei Seiten des Oktogons betritt Girolamo Priuli, in Seitenansicht wiedergegeben, den in den Himmel versetzten Schauplatz. Gehüllt in das prächtige Staatsornat, das mit dem strahlenden Weiß des Hermelins und dem dunklen Purpur des Talars den koloristischen Schwerpunkt des Gemäldes bildet, empfängt der Doge mit demutsvoll ausgebreiteten Armen von der allegorischen Frauenfigur der Justizia Schwert und Waage, die wichtigsten Insignien für Venedigs relativ demokratisch organisierte Staatsform. Die Justizia wird von der weiblichen Symbolfigur des Friedens begleitet, die, drei Seiten des Oktogons angepasst und mit einem Olivenzweig bekrönt, ihre Gefährtin um Haupteslänge überragt. Mitunter wird die Pax auch als allegorische Gestalt der Venezia gedeutet, nicht ganz verfehlt, zumal sich zu ihren Füßen ein sturzbachähnliches Gewässer ergießt.408 Über allem schwebt vor sattblauem Himmelsgrund der Hl. Markus, der, den geöffneten Evangelienband auf die Hüfte gestützt, mit den Zehenspitzen sein Attribut, den gewaltigen Löwenschädel, berührt. Mitunter wird der Heilige auch mit dem Kirchenvater Hieronymus, dem Namenspatron des Dogen, identifiziert. Pallucchinis Anschauung, wonach das achteckige Deckengemälde, analog zur Apotheose des Hl. Rochus in der Scuola di San Rocco auf der perspektivischen sotto in sù-Technik beruhe, ist nur sehr eingeschränkt zuzustimmen.409 Abgesehen

Abb. 95, S. 186

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95 Tintoretto, Der Doge Girolamo Priuli mit dem Hl. Markus vor Friede und Gerechtigkeit, Öl auf Leinwand, 230 x 230 cm, Venedig, Dogenpalast, Atrio quadrato

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von geringen Spuren an Untersichtigkeit dominiert – weitgehend dem quadro riportato-Schema folgend – eine bildparallel flächenspezifische Kompositionsweise, wie sie laut Hetzer dem mehrheitlich (mit Ausnahme von Paolo Veronese) in der venezianischen Malerei intendierten Struktur-Prinzip des „Ornamentalen“ entspricht. Tintoretto war sich dessen wohlweislich bewusst, dass einem auf perspektivische Untersichtdarstellung angelegten Deckenbild ein gehöriges Maß an Raumhöhe zur Verfügung stehen muss. Dies ist in der Sala dell’Albergo, wie das im Deckenoval illusionistisch verkürzte Figurenensemble bezeugt, tatsächlich der Fall – deutlich weniger im Atrio quadrato. Um nur ein Beispiel für die Nichtbeachtung dieser Prämisse zu nennen: Als Veronese im Jahre 1555 vor der Aufgabe stand, in der extrem niedrigen Sakristei von San Sebastiano ein Deckengemälde mit der Marienkrönung zu schaffen, war sein Unterfangen, die Dreier-Figurengruppe aus dem Blickwinkel des sotto in sù zu malen, beinahe zum Scheitern verurteilt. Dieses Risiko wusste Tintoretto zu vermeiden, indem er den Evangelisten nicht einmal ansatzweise in verkürzender Untersicht – was sich angesichts seiner exponierten Platzierung immerhin angeboten hätte – dargestellt hat, ihn vielmehr anstatt aufwärts in dynamischer Schrittstellung aus der Tiefe des Firmaments niederschweben lässt, wobei dessen Oberkörper nach vorne kippt. Daraus resultiert eine Tendenz zur Flächenbindung, die sich noch verstärkt, wenn man das vorgeneigte, eine Seite des Achteckrahmens tangierende Haupt des Heiligen in Rechnung stellt.

Das Bildzentrum ist dem von den Protagonisten umkreisten Schwert vorbehalten, das, vom Blick des Dogen fixiert, die Macht der Seerepublik repräsentiert. Auffallend ist die merkliche, durch Schrägstellung bewirkte Abkehr des Heiligen von der Symmetrieachse. Wie der Doge in der rechten Bildhälfte situiert sorgt der Evangelist für ein dynamisches Gleichgewicht gegenüber den in monumentaler Größe auftretenden allegorischen Frauenfiguren. Dazu eine Bemerkung Hetzers: „Tintoretto hebt die Symmetrie nicht auf, aber er stört sie, und er stört sie wiederum so wenig, dass alles in der Schwebe bleibt.“410 Problematisch ist indes Swobodas Stellungnahme zum Deckenoktogon, dem er eine „Annäherung“ an Paolo Veronese attestiert.411 Dies mag cum grano salis für das vergleichsweise blühende Kolorit der Apotheose des Hl. Rochus im Albergo der Scuola di San Rocco gelten. Nunmehr aber – befreit vom Konkurrenzdruck – dämpft Tintoretto die Buntfarbigkeit und bevorzugt eine Licht-Schatten-Malweise, wie sie beispielhaft an den plastisch ausgearbeiteten Frauenfiguren und am hell-dunkel kontrastierenden Inkarnat des Evangelisten (man beachte nur dessen tief verschatteten Oberkörper) in Erscheinung tritt. Das in der Münchner Alten Pinakothek aufbewahrte und von Tintoretto signierte Gemälde Christus bei Maria und Martha stammt aus der Dominikanerkirche in Augsburg und war wahrscheinlich eine Stiftung der Familie Welser. Bezüglich der zeitlichen Einordnung des Bildes herrscht bis heute Uneinigkeit. Im Anschluss an die Quellenforschung Von Holsts (1951) wird es in der Münchner Museumskatalog-Literatur – auf Basis der problematischen These einer stilistischen Nähe zu Tintorettos Schaffen in der Sala superiore der Scuola di San Rocco – mit „um 1580“ datiert. Auch die italienische Forschung (z.B. Pittaluga, 1925) dachte zunächst an eine in das achte Jahrzehnt fallende Entstehungszeit, ehe Arslan diese auf „1565–1570“ vorverlegte, ein Vorschlag, der später – angesichts der koloristischen Affinität des Gemäldes mit der Ultima Cena in San Trovaso – von Pallucchini und De Vecchi mit „um 1567“, meines Erachtens zutreffend, präzisiert wurde.412 Dem Bild liegt inhaltlich folgender Text aus dem Lukas-Evangelium zugrunde: „Sie zogen zusammen weiter, und er [Jesus] kam in ein Dorf. Eine Frau namens Martha nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Martha aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ (Lukas, 10, 38–42). Während Martha geschäftig ihren hausfraulichen Pflichten nachkommt und den Gast kaum wahrnimmt, vielmehr ihre Schwester mit Vorwürfen überhäuft, lauscht Maria gebannt den Worten Jesu, die Arme untätig in den Schoß gelegt. Dargestellt sind also zwei extrem unterschiedliche Frauencharaktere, welche die „vita activa“ und „vita contemplativa“ verkörpern. Wie der steil aufgeklappte Fußboden und die rautenförmige Tischoberfläche suggerieren, fühlt sich der Betrachter auf einen erhöhten Standpunkt versetzt, von

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Abb. 96, S. 188

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96 Tintoretto, Christus bei Maria und Martha, Öl auf Leinwand, 197 x 129 cm, München, Alte Pinakothek

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dem aus sich ihm die Szene in Draufsicht erschließt. An der Heiden zufolge erinnert das Ganze an einen „Blick aus der Theaterloge auf die Bühne, bei der die bildparallel laufende dunkle Zone am unteren Rand des Gemäldes den Bühnengraben assoziiert“.413 Den linken Bildrand tangierend hat sich Jesus, in vorgebeugter Haltung, angedeuteter Schrittstellung und im Profil wiedergegeben, niedergelassen. Er trägt ein rötliches, fast gänzlich vom Licht ausgebleichtes Kleid und einen blauen Mantel, dessen Saum S-förmig drapiert ist. Die der C-Form angeglichene Krümmung seines Rückens findet in den Schulter- und Armkonturen der Schwestern ihre Fortsetzung. Daraus resultiert ein kreisender, die Symmetrieachse überspielender Zusammenschluss der drei Figuren um eine leere Mitte; Letztere eine „manieristische Erfindung“, wie An der Heiden bemerkt.414 Wiewohl merklich vom geometrischen Bildmittelpunkt abgerückt scheint es berechtigt, Christi Hände, die sich eindrucksvoll vom hell beleuchteten Tischtuch abheben, als Bildzentrum anzusprechen. Wie Christus seine Argumente mit den Fingern aufzählt, dies entspricht einer von alters her gebräuchlichen rhetorischen Gestik. Die zentrale, für die universale Bildaussage signifikante Platzierung der Hände manifestiert sich auch darin, dass sie exakt an dieser Stelle von der fiktiven Linie des Goldenen Schnitts überkreuzt werden. Die diagonal ausgerichtete, am Tischtuch das Licht von der Finsternis scheidende Tischkante führt zu Martha und verweist als einzige Fluchtlinie im Bild auf den rechts im Hintergrund einem „Bild im Bild“ gleich sich öffnenden Küchenraum mit den zahlreichen, auf Regalen gereihten Tellern und der das offene Feuer des Kamins schürenden Magd. DIe Tischkante wird von Marthas rechtem Arm, der mit beschuldigender Geste auf Maria verweist, in diagonaler Gegenrichtung überschnitten. Martha ist prunkvoll in schwarzem Samt gekleidet, wobei auch das transparent gemalte Seidentuch, das über Haupt, Schultern und Dekolleté in ornamental-artifizieller Weise drapiert ist, Zeugnis von ihrer materiell veräußerlichten Lebenseinstellung gibt. Ihre vorgeneigte, vor allem Stirn und Scheitel des Hauptes betonende Haltung sowie das perspektivisch extrem verkürzte Antlitz verstärken den Eindruck der Draufsicht. Zu ihren Füßen kauert Maria, deren in Licht getauchtes Gesicht sich von Marthas schwarzem Kleid markant abhebt. Die Vorrangstellung der der „vita contemplativa“ hingegebenen Maria bekundet sich nicht zuletzt darin, dass deren in Blau und Orangerot wiedergegebene Kleidung einen die Aufmerksamkeit des Betrachters besonders erregenden Komplementärkontrast birgt. Am oberen Tischende, zwischen den Häuptern Christi und Marthas, sitzt ein blassblau gekleideter mit seltsam unscharfen Gesichtszügen versehener Mann, der zumeist mit Lazarus, dem Bruder der gegensätzlichen Schwestern, identifiziert wird. Links oben, in das Dunkel der Wand eingebettet befinden sich eine Magd und der Major Domus, der auf die vor dem Hauseingang wartende Apostelgruppe verweist. Die Apostelfiguren sind zwar in matten Farben wiedergegeben, wahren aber ihre materielle Konsistenz. Häufig dienen diese Figuren als Beleg für die verfehlte Spätdatierungsthese („um 1580“), wobei als Vergleich auf die in der Sala superiore befindliche Taufe Christi (um 1578/81) verwiesen wird. Indessen unterscheidet sich die am Ufer des Jordan der Taufe beiwohnende Menschen-

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schar erheblich von der Apostelgruppe im Münchner Gemälde. Einer späteren Entwicklungsstufe Tintorettos angehörend, sind die Figuren völlig entmaterialisiert dargestellt. Sie sind monochrom, schemenhaft transparent und mit weißen Pinselstrichen flüchtig skizziert wiedergegeben. Das Gleiche gilt für das Letzte Abendmahl in der Sala superiore, wo sich an der Rückwand gleichfalls eine Küche öffnet. Während der Raum im Münchner Bild relativ gleichmäßig ausgeleuchtet und die Ausstattung detailliert geschildert ist (man beachte nur die Tellerregale), ist jener im Abendmahl zum Teil tief verschattet, sodass sich die Tellerreihen nur sehr verschwommen an der Wand abzeichnen – alles Faktoren, die etwa Colletti anlässlich seiner unberechtigten Spätdatierung vernachlässigt.415 Fast zeitgleich mit der Endphase seiner Tätigkeit in der Sala dell’Albergo erhielt Tintoretto am 13. April 1567 vom Guardian Grande der Scuola di San Rocco den Auftrag, an der linken Chorwand der Rochuskirche – gleichsam als Gegenstück zur schon 1549 geschaffenen, vis-à-vis befindlichen Heilung der Pestkranken – ein Bild mit dem Thema Der Hl. Rochus im Kerker, von einem Engel getröstet, zu malen.416 Die beiden hinsichtlich ihres extremen Querformats übereinstimmenden Gemälde bieten dem Betrachter die Gelegenheit – angesichts einer fast zwei Jahrzehnte umfassenden Zeitdifferenz – den langen Weg zu ermessen, den die Entwicklung des Künstlers durchlaufen hat. Während in der Heilung der Pestkranken eine deutliche Trennung von Hell und Dunkel zu beachten ist (in der oberen Bildhälfte ist das Dunkel, in der unteren das Licht vorherrschend), die Erschließung des Raums – besonders mittels der fluchtenden Fliesenreihen des großteils leeren Paviments – vorzugsweise im Zeichen der Linearperspektive steht, die symmetrische Komposition aus drei voneinander getrennten Figurengruppen (siehe die lateralen Figurenpyramiden) besteht, der Hl. Rochus das klar bestimmbare Zentrum bildet, ein von rechts einfallender Lichtstrom für eine empirisch nachvollziehbare Beleuchtung der Szene sorgt, ferner sich am Umriss der Figuren ein scharfer Linearismus abzeichnet, gelten für die Kerkerszene ganz andere Stilkriterien. Dort dominiert – der Terminologie der Gegensatzpaare Wölfflins folgend – das Malerische über das Plastisch-Lineare, sowie das Atektonische über das Tektonische. Der Hauptunterschied zur Heilung der Pestkranken besteht darin, dass das Licht nicht von einer externen Quelle aus durch das Bild strömt, sondern allseitig vom „sakralen“ Leuchtlicht (Schöne) des Engels ausgeht und an den Gegenständen und Figuren zahlreiche, fast streumusterartig verteilte Reflexlichter aufblitzen lässt. Hinzu kommt, dass die weitgehende Suspendierung der Linearperspektive sowie die – im Gegensatz zur klar geschiedenen Gruppenbildung der Pestkranken – girlandenartige, mit den Lichtakzenten einhergehende Verbindung der Figurengruppen eine deutliche Verstärkung der Flächenprojektion beziehungsweise des Ornamentalen gegenüber der Raumkonzeption nach sich zieht. Da der die Figurenszene foliierende Dunkelgrund sich auch auf das ohnedies nur stellenweise sichtbare Paviment erstreckt, kann mit größerer Berechtigung als im älteren Gemälde von einem notturno (= Nachtstück) gesprochen werden. Krischel zufolge „ist das Gemälde ohne Zweifel eine der realistischsten und schonungslosesten Gefängnisdarstellungen der Kunstgeschichte. Umso wunder-

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barer wirkt die enorme körperliche Präsenz, mit der der himmlische Trostspender in jenen grauenvollen Kerker einbricht […]“.417 Dem Thema des Gemäldes liegt ein Abschnitt aus der von Francesco Diedo verfassten und 1478 in Venedig herausgegebenen „Vita Sancti Rochi“ zugrunde. Darin wird berichtet, wie der Hl. Rochus anlässlich seiner Rückkehr von der Pilgerfahrt nach Rom in Piacenza der Spionage bezichtigt, verurteilt und in das Gefängnis von Voghera überstellt wird, wo er fünf Jahre lang bis zu seinem Tod eingekerkert bleibt. – Ein Engel ist, ungeachtet der vergitterten Wand, in stürmischem Flug in das düstere Verlies eingedrungen, um dem Heiligen in seiner Todesstunde Trost zu spenden. Die Arme weit ausgebreitet, von einer Wolkenaureole eingefasst und mit einem gelb strahlenden Nimbus (der alleinigen Lichtquelle im Bild) versehen, ist der Engel in ein wie vom Sturmwind aufgewirbeltes Kleid gehüllt, dessen helles Blau die übrigen, durchgehend stark getrübten Buntwerte (vorzugweise Rot und Blau) bei Weitem an Leuchtkraft übertrifft. Krischel verweist auf eine vermeintliche Affinität mit dem Hl. Markus im Sklavenwunder.418 Der Vergleich ist insofern problematisch, als der Evangelist schräg vom Himmel, perspektivisch stark verkürzt, in den Bildraum stürzt, wogegen der Engel waagrecht, mithin streng bildparallel angeordnet ist. Da dieser alle übrigen Figuren an Größe deutlich überragt, ferner mit seiner Linken und dem Flügel den oberen Bildrand tangiert, scheint er der vordersten Bildebene anzugehören, demnach dem Betrachterraum stark angenähert. Durch die Symmetrieachse vom Engel getrennt und zu diesem aufblickend, ruht der Pestheilige halb aufgerichtet auf einer postamentartig hohen Bettstatt, deren weißer Leinenbezug die hellste Stelle im Bild markiert. Der Todgeweihte ist in Dunkelblau und mattem Rot gekleidet und wird von zwei alten Männern gestützt. Besondere Beachtung gebührt dem über ihn gebeugten, vollständig in Weiß gekleideten, glatzköpfig und weißbärtig dargestellten Helfer, den Emmrich – aufgrund seines charakteristischen Kopftypus – als eine Anspielung auf den Apostel

97 Tintoretto, Der Hl. Rochus im Kerker, Öl auf Leinwand, 300 x 670 mm, Venedig, San Rocco

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Petrus, der bekanntlich einst selbst eine Kerkerhaft erlitten hatte, interpretiert.419 Den geneigten Oberkörper in Licht getaucht blickt ein stehender, links das Bettgestell flankierender Häftling – die Arme demutsvoll über der Brust gekreuzt – wie Rochus zum Engel empor. Er trägt einen Lendenschurz, dessen Dunkelblau – vermittelt durch die gleichfarbige Beinkleidung des Heiligen – mit dem Hellblau des Trostspenders korrespondiert. Damit geht eine dynamisch aufwärts strebende, von der schräg verlaufenden Abdunkelung des Bettbezugs betonte, ondulierende Bewegung einher, die im Haupt des Engels kulminiert. Auf der Figurengruppe lastet ein mystisch anmutendes, visuell schwergewichtiges Konglomerat schwarzer, nur in den Konturen aufgehellter Wolkengebilde. Mit dem zu Füßen des Bettgestells kauernden Hund, dem ein Brotkorb beigegeben ist, bringt Tintoretto eine retrospektiv narrative Note ins Spiel. Dem Bericht Diedos zufolge war Rochus in Piacenza an der Pest erkrankt. Vom örtlichen Leprosenspital aufgrund seiner Armut nicht geduldet zieht sich der Heilige in eine einsam gelegene Waldhütte zurück, wo ein Engel für sein Überleben beziehungsweise seine Heilung sorgt. Neben der Hütte entspringt auf wundersame Weise eine Quelle, und auf Geheiß eines Edelmanns überbringt ein Hund dem Pestkranken Tag für Tag einen Wecken Brot. Geduckt unter dem fast schon gewaltsam in die irdische Welt einbrechenden Himmelsboten haben sich fünf Figuren, zwei vornehm gekleidete Damen, zwei halbnackte Gefangene und vermutlich der auf einer Bank zurückgelehnte Kerkermeister – um einen olivgrün gedeckten Tisch versammelt. Besondere Aufmerksamkeit erregt die stehende, unmittelbar von den Nimbusstrahlen des Engels erfasste Frauengestalt, die mit lebhafter Armgeste auf den erschrocken zurückweichenden Kustoden niederblickt. Emmrich meint in ihr eine Inkarnation der Hl. Maria Magdalena zu erkennen, gewiss eine interessante These, zumal die Heilige vor ihrer Begegnung mit dem Heiland als Edelprostituierte beinahe ebenso wie die Inhaftierten zu den „Geächteten“ der Gesellschaft zählte.420 Trotzdem sollte man meines Erachtens eher eine profane Deutung in Betracht ziehen, insofern die beiden Damen fast ident (vorwiegend in Weiß) gekleidet sind, folglich es sich um ein Schwesternpaar handeln könnte, das sich anlässlich eines genehmigten Gefängnisbesuchs beim Kerkermeister für die Freilassung von Angehörigen einzusetzen scheint. Einmal mehr ein Beleg für Tintorettos Neigung zur Einbeziehung narrativer Elemente. Mit den anschließenden vier Häftlingen kommt ein dynamisches Moment zum Tragen, dem der wahrnehmungsspezifische stroboskopische Effekt zugrunde liegt. Dies beginnt – dem Ablauf einer filmischen Sequenz gleich – rechts unten mit der total verschatteten, dem Betrachter zugewandten Liegefigur, setzt sich – an die Speichen eines Rades erinnernd – in den beiden stehenden, in divergierendem Winkel schräg gestellten Gestalten fort und schließt mit dem vor dem Tisch Kauernden, der, die Hände zum Gebet gefaltet, zum Hl. Rochus blickt. Damit geht – mit der Schrägstellung des Kerkermeisters als Verbindungsglied – eine girlandenartige, in steter Auf- und Abwärtsbewegung befindliche Figurenkette einher, die die gesamte Szene in planimetrischer Kompositionsweise durchströmt. Im Vordergrund der linken Bildhälfte folgt Jacopo abermals seiner erzählerischen Neigung, die Gelegenheit wahrnehmend, auch die Sensationslust des Be-

trachters zu befriedigen. Aus den Gitterstäben eines Kellerverlieses ragt der Kopf eines Diebes hervor, dem man zur Strafe die Hand abgehackt hat. Daneben ist ein am Boden liegender, in extrem verkürzter Stellung dargestellter Häftling im Begriff, Essen in das Verlies hinabzureichen. Den Nachteil eines äußerst eingeschränkt zur Verfügung stehenden Bodenareals weiß der Künstler zu nutzen, indem er an den Figuren seine Befähigung zu perfekt beherrschter Verkürzungstechnik nachweist. Dies zeigt sich in geradezu spektakulärer Weise an dem unter dem Hl. Rochus wie auf den Spuren von Mantegnas Christo morto mit den Füßen voran auf den Boden hingestreckten Häftling, der, die Arme ausgebreitet, zum Engel schaut. Schon mehrmals hatte sich Tintoretto mit diesem Motiv auseinandergesetzt: etwa in der Auffindung des Leichnams des Hl. Markus (Mailand, Brera) oder schon viel früher in der Heilung der Pestkranken mit dem streng perspektivisch in die Raumtiefe weisenden Leichnam. Gemäß einer ganz anders gelagerten Themenstellung manifestiert sich in Jacopos dritter Version des verkürzt am Boden liegenden Menschen mit dem Mittel der typisch manieristisch expressiven Verzerrung eine neue Ausdrucksqualität, die sich im wie aus dem Gelenk gerissenen Arm sowie den grässlich deformierten Beinen des Gefangenen niederschlägt und dessen erlittene Folterqualen erahnen lässt. Zu beachten sind ferner die riesigen, im Widerspruch zu einer korrekten Körperproportionalität weit vom Rumpf abgesetzten Hände, welche die Empfangsbereitschaft der durch den Engel vermittelten göttlichen Gnade besonders eindrucksvoll veranschaulichen. Links außen sitzt, eng an die Kerkerwand gekettet, ein tief verschatteter Delinquent, der als Repoussoirfigur die sich bogenförmig über die gesamte Bildfläche erstreckende Komposition einleitet. Hinter ihm steht ein Häftling, mit einem zerknitterten Lendenschurz bekleidet, dessen zwischen Licht und Schatten changierendes Rot sich am Rock des Hl. Rochus wiederholt. Durch eine runde Maueröffnung sucht jener offensichtlich den Kontakt mit der Gefängniswache, vielleicht in der Absicht, diese vom nahenden Tod des Pestheiligen zu verständigen. Ihm zur Seite öffnet sich ein schmaler Raumdurchlass, der sich indes rasch im Dunkeln verliert. Nur noch schemenhaft zeichnet sich im Hintergrund das vergitterte Kerkerportal ab, hinter dem eine von der Decke hängende Öllampe für eine ebenso unzulängliche wie gespenstisch anmutende Beleuchtung sorgt. Auch in den 60er-Jahren übernahm Tintoretto zahlreiche Porträt-Aufträge, teils von offiziellen Würdenträgern, teils von privater Seite. Den Anfang macht das Por­trät des Dogen Girolamo Priuli, eines erklärten Bewunderers der Kunst Jacopos, dem der Künstler seinen ersten Staatsauftrag, das bereits besprochene, um 1564/65 geschaffene achteckige Deckenbild im Atrio quadrato des Dogenpalastes sowie die Ernennung zum Cavalier aurato zu verdanken hatte. Das kleinformatige Porträt, dessen Aufbewahrungsort unbekannt ist und 1559, also im Jahr von Priulis Amtsantritt entstanden war, unterscheidet sich vom präzis wiedergegebenen Bildnis des Dogen im votivbildähnlichen Oktogon-Gemälde durch seine in fa prestoManier ausgeführte, extrem skizzenhafte Malweise. Für Letztere fand Krischel folgende Erklärung: „Es ist gut vorstellbar, dass Jacopo sich bald nach der Wahl Priulis zum Dogen (1. September 1559) – auf Einladung oder aus eigenem Antrieb – mit

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Abb. 98, S. 194

Abb. 95, S. 186

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98 Tintoretto, Bildnis des Dogen Girolamo Priuli, Öl auf Leinwand, 62,8 x 49 cm, unbekannter Aufbewahrungsort

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einer handlichen Leinwand in den Palast begab, um ein Bildnis von Priuli dal vivo anzufertigen. Da den neuen Dogen besonders zu Beginn der Amtszeit zahlreich ungewohnte, zeitraubende Aufgaben erwarteten, durfte ihn ein solcher Porträttermin nicht allzu lange von seinen Amtsgeschäften fernhalten“.421 Von den Problemen der Porträtmalerei wusste auch der Kunsttheoretiker Paolo Pino, ein Zeitgenosse Tintorettos, Bescheid, als er 1548 in seinem „Dialog über die Malerei“ schrieb: „In diesem Aufgabenbereich muss der Maler zügig arbeiten, um seinen Patienten nicht zu ermüden, denn wenn er anschließend entsprechend eingeschätzt wird und sich den Ruf übermäßiger Lahmheit einhandelt, wird jeder ihn verabscheuen, selbst jene Leute, die eigentlich gerne ein Porträt oder andere Werke in Auftrag geben würden.“422 Derlei Ratschläge wusste Tintoretto durchaus zu beherzigen. Einer Mitteilung seines Freundes Andrea Calmo zufolge konnte er das Gesicht eines Porträtkunden in „nicht mehr als einer halben Stunde“ auf die Leinwand bannen.423

Im Büstenporträt des 67-jährigen Dogen tritt die fa presto-Methode besonders ausgeprägt zutage. Zugleich schuf Jacopo zahlreiche Bildnisse, die sich – wohl mitbedingt durch die zur Verfügung stehenden Sitzungstermine – durch eine detailliertere, nicht selten an Tizian orientierte Malweise auszeichnen. Das Antlitz Girolamo Priulis ist vor dunklem Grund in Dreiviertelansicht wiedergegeben, den Blick versonnen auf den Betrachter gerichtet und der Mund von einem leisen, Güte wie Gelassenheit verratenden Lächeln umspielt. Trotz Priulis fortgeschrittenen Alters zeigt dessen Inkarnat eine erfrischende Rötung, die zusammen mit modellierenden Reflexlichtern die Plastizität des Lichts verstärkt. Dem Ganzen eignet eine zeichnerisch skizzierende Note, die sich etwa am parallel angeordneten Linienmuster der Bartsträhnen, einem schraffierenden Pinselduktus gleich, niederschlägt oder sich an den Augenbrauen in den im Zickzack geführten Pinselhieben bemerkbar macht. – Nur wenig später malte Jacopo den Dogen (Detroit, The Institute of Arts) als Halbfigur mit lässig gesenkter Hand – wiederum in Dreiviertelansicht, nunmehr jedoch – wie das reich ornamentierte Staatsornat verrät – merklich detaillierter ausgeführt. Dass hier ebenfalls eine autographe Leistung Jacopos vorliegt, darüber herrscht heute Einigkeit, nachdem Heil einst das Gemälde sogar Tizians Spätwerk zugeordnet hatte.424 Zu Beginn der 60er-Jahre schuf Tintoretto das Bildnis des Prokurators Antonio Cappello (Venedig, Accademia), der von 1515 bis zu seinem Tod (1565) in der Republik zahlreiche hohe Ämter bekleidete. 1523 erfolgte seine Wahl zum Prokurator, ein erster Höhepunkt seiner glänzenden Karriere. Zwei Jahre danach übernahm er als führendes Mitglied der „Procuratia de Supra“ die Verwaltung der Besitzungen der Basilica di San Marco. Später wurde er als außerordentlicher Botschafter an den kaiserlichen Hof und zum König von Frankreich entsandt.425 Der Porträtierte steht als Halbfigur vor einem olivfarbigen Grund, von dem sich sein mächtiger, beinahe die Bildgrenzen sprengender Körper scharf abzeichnet. Sein fast kahl geschorener Kopf und der knapp gestutzte Vollbart verleihen dem en face gezeigten, flächig anmutenden Antlitz ein gedrungenes Aussehen. Das Haupt leicht geneigt, scheint er ebenso hoheitsvoll wie unbestechlich auf einen im Betrachterraum vorstellbaren Klienten niederzublicken, in dem man einen in baulichen Angelegenheiten vorsprechenden Antragsteller vermuten darf. Die in aufzählend argumentierender Geste den unteren Bildrand tangierende rechte Hand und die raumgreifend vortretende Schulterwendung unterstreichen den Dialogcharakter. Besonders suggestiv wirkt der Umstand, dass die Hand, darin mit dem Haupt übereinstimmend, exakt auf der Symmetrieachse zu liegen kommt. Der Prokurator trägt einen dunkelroten Talar, dessen aufgeworfen zerknitterte Faltengebung dem rechten Arm ein hohes Maß an raumgreifender Plastizität verleiht, wogegen den am Körper schräg fallenden Röhrenfalten ein dynamisches Moment innewohnt. In der gleichen Schrägrichtung verläuft der vom weißen Bart ausgehende, bis zum unteren Bildrand reichende Hermelinsaum, der die leicht angedeutete Körperdrehung des Dargestellten verdeutlicht. Vergleicht man das Gesicht des Dogen Priulis mit jenem Cappellos, wird umgehend evident, wie weit sich Jacopo vom skizzenhaften fa presto zugunsten einer sorgfältig ausgewogenen Licht- und

99 Tintoretto, Bildnis des Dogen Girolamo Priuli, Öl auf Leinwand, 99,7 x 81,3 cm, Detroit, The Institute of Arts

Abb. 100, S. 196

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100 Tintoretto, Bildnis des Prokurators Antonio Cappello, Öl auf Leinwand, 114 x 80 cm, Venedig, Accademia

Farbbehandlung entfernt hat. Man beachte nur die nahezu in Feinmalerei ausgeführten Barthärchen des Prokurators oder den zarten, fast unmerklich mit der Inkarnatsfarbe changierenden Lichtschimmer. Dazu Krischels Befund: „Da der Farbauftrag recht dünn ist, spricht die Leinwandstruktur deutlich mit. Sie verleiht der Farboberfläche einen vibrierenden Charakter, der die dargestellte Person besonders lebendig erscheinen lässt.“426 Während das Gemälde, Boschini (1674) folgend, in den Accademia-Werkverzeichnissen des 19. Jahrhunderts Tizian zugeschrieben wurde, besteht seit Della Rovere (ca. 1888) ein einhelliger Konsens, dass es sich hier um ein autographes Werk Tintorettos handelt.427 Als Indiz für eine Anregung Tizians spielt der komparative Hinweis auf dessen Bildnis des Pietro Bembo (Washington, National Gallery, um 1539/40) eine wichtige Rolle. Dies bezieht sich vor allem auf die rechte Hand des Kardinals, deren im Sinne einer rhetorischen Geste gespreizte Fingerstellung Tintoretto fast wörtlich übernommen hat.428 Mit dem Cappello-Bildnis schuf Jacopo vermutlich sein erstes Amtsporträt, mit der Folgewirkung, dass sich die meisten de supra-Prokuratoren im siebten Jahrzehnt von ihm porträtieren ließen. Maßgeblich dafür war wohl die Protektion durch Jacopo Sansovino, den damals bedeutendsten Architekten und Koordinator des staatlichen Bauwesens der Republik.429 Als ebenso treue Klientel erwiesen sich vermögende Kunstsammler, die wahrscheinlich mit großzügigen Honorarangeboten Tintoretto zu überreden vermochten, trotz dessen permanenter Arbeitsüberlastung Porträtaufträge anzunehmen. Einen besonderen Stellenwert hat das Bildnis eines Kunstsammlers (Bellinzona, Sammlung Tazio Tatti), das einst von Pittaluga und A. Venturi dem Jugendwerk Jacopos zugerechnet wurde, ehe es Rossi – Von der Berckens Grobdatierung (1558– 1568) präzisierend – auf stilanalytischer Basis, vor allem mit dem vergleichenden Hinweis auf das Bildnis des Alvise Cornaro (1560–62; Florenz, Palazzo Pitti) überzeugend in die Zeit zwischen 1560 und 1565 eingeordnet hat.430 Der Porträtierte sitzt auf einem sorgfältig gedrechselten Lehnstuhl, den Körper in Dreiviertelansicht dargestellt und diagonal ausgerichtet. Das Haupt nur leicht gedreht fixiert er, seiner Reputation als prominenter Kunstsammler bewusst, mit prüfendem Blick den Betrachter. Mit dem realistisch gemalten Antlitz, das sich durch eine akzentuierende Lichtwirkung und eine homogen aufgetragene Pinselführung auszeichnet, kontrastiert der bis zur Bildmittelachse reichende Vorhang, dessen Dunkelrot nach links an Leuchtkraft gewinnt und die wild duchfurchte Faltengebung drastisch zutage treten lässt. Der Kunstsammler trägt einen schwarzen, pelzbesetzten Mantel, der vermuten lässt, dass es sich hier um einen hochgestellten Amtsträger der Serenissima handelt. Seine Hände ruhen in lässiger Haltung auf den Armlehnen des Stuhls, seine erhabene Würde womöglich noch unterstreichend. Die gleichen Merkmale (Stuhl und Hände) treten auch im Bildnis des Alvise Cornaro in Erscheinung, dessen vorgeschlagene Datierung (1560/62) Rossis zeitliche Einordnung des Kunstsammlers bestätigt. Dazu der Kommentar der Autorin: „Das Werk gehört zu jenen besonders ausgefeilten Porträts aus der reifen Schaffenszeit des Künstlers, die von seiner Fähigkeit zeugen, häufig wiederkehrende Kompositionsschemen und Posen mit frischer Kraft zu beleben […].“431

1568–1581

S. 198 101 Tintoretto, Bildnis eines Kunstsammlers, Öl auf Leinwand, 111 x 90 cm, Bellinzona, Sammlung Tazio Tatti

102 Tintoretto, Bildnis des Alvise Cornaro, Öl auf Leinwand, Florenz, Palazzo Pitti

1568–1581

1568–1581

103 Tintoretto, Bildnis des 32-jährigen Giovanni Paolo Cornaro, Öl auf Leinwand, 101 x 80 cm, Gent, Museum voor Schone Kunsten

Rechts an den Bildrand gedrängt ist eine silbrig-grau getönte Statue des David mit dem Haupt des Goliath platziert, offenbar das Prunkstück in der Sammlung des Porträtierten. Laut Rossi lässt die serpentinierte, typisch manieristische Figur an eine zeitgenössische Skulptur des berühmten venezianischen Bildhauers Alessandro Vittoria denken. Vor der Brüstung einer Terrasse befindet sich ein besonders wertvolles Sammlerstück: eine goldene Uhr mit einem silbrigen, von einer kleinen Statuette bekrönten Kuppelaufsatz, als Vanitas-Motiv das unerbittliche „memento mori“ symbolisierend. Diese luxuriöse Uhr erinnert in geradezu verblüffender Übereinstimmung an jene, die auch in Tizians Bildnis der Eleonora Gonzaga della Rovere (Florenz, Uffizien) aufscheint.432 Im Hintergrund erhebt sich unter graubraun verhangenem Himmel die mit flüchtigem Pinselduktus gemalte Engelsburg mit der zu ihr führenden Tiber-Brücke – eine Vedute, die Auskunft über die berufliche Karriere des Porträtierten geben könnte. Rossi zufolge „mag sie eine Anspielung auf die besondere Beziehung des Modells zum Vatikanstaat sein, und es ist

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1568–1581

Abb. 103, S. 199

Abb. 101, S. 198

S. 201 104 Tintoretto, Bildnis eines alten Mannes und eines Knaben, Öl auf Leinwand, 103 x 83 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

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nicht auszuschließen, dass es sich um einen der zahlreichen venezianischen Adeligen handelt, die im Dienst der Seerepublik als Botschafter beim Heiligen Stuhl wirkten“.433 Zu Tintorettos Bekannten- beziehungsweise Freundeskreis zählten neben Kunstsammlern auch etliche Humanisten und prominente Kenner antiker Kunst, die der Künstler in Porträts verewigt hat; zu beklagen ist indes, dass nur wenige der Dargestellten namentlich identifizierbar sind. Das Bildnis des zweiunddreißigjährigen Giovanni Paolo Cornaro (dat. mit MDLXI; Gent, Museum voor Schone Kunsten) kann mit jenem Porträt identifiziert werden, von dem Ridolfi (1648) berichtet, es sei von Tintoretto und stelle „Paolo Cornaro, genannt ‚AntiquitätenCornaro‘ dar, der eine Hand auf eine Statue stützt.“434 Schon der Schriftsteller Anton Francesco Doni rühmt Cornaro als „großartigen Mann, jung und äußerst tüchtig“.435 Und in einer alten venezianischen Chronik „Über die Familien der Stadt“ heißt es, Cornaro sei „sehr gelehrt in jeder Wissenschaft und ein berühmter Antiquar“.436 Der Unterschied zum Bildnis eines Kunstsammlers (Bellinzona) könnte nicht größer sein. Cornaro ist stehend in Dreiviertelansicht dargestellt, sein Blick wie aus den Augenwinkeln distanziert den Betrachter fixierend. Er trägt einen pelzverbrämten schwarzen Mantel, dessen linke Kontur mit dem geheimnisvollen Dunkel des von zwei ionischen Säulenfragmenten gekennzeichneten Raums zu verschmelzen scheint. Der Fokus liegt auf dem genau an der Bildachse orientierten Haupt des Antiquars, dessen Antlitz – im Gegensatz zum flächig breiten Gesicht des selbstbewussten Kunstsammlers – schmal ausgebildet ist und einen geistig verinnerlichten, fast schon asketischen Eindruck hinterlässt. Charakteristisch für das Antlitz ist eine im Vergleich mit dem Kunstsammler erheblich differenziertere Licht-Schatten-Behandlung, sowie eine sorgfältigere Detailausarbeitung – man beachte nur den wie in Feinmalerei ausgeführten schütteren Bart oder die sanfte Schattenmulde des merklich hervortretenden Wangenknochens. Aufmerksamkeit erregen auch die Hände des Porträtierten. Während die rechte Hand den Pelzbesatz des Mantels mit einer auch psychisch deutbaren Geste des Sich-Verschließens zusammenhält, ruht die linke Hand fast zärtlich auf einer antiken, ganz an den unteren Bildrand versetzten weiblichen Büstenskulptur. Anders als der weltmännisch extrovertierte Kunstsammler erweist sich Cornaro als in sich gekehrter, dezenter gentiluomo, weit davon entfernt, seine Schätze ostentativ zur Schau zu stellen. Das Bildnis eines alten Mannes und eines Knaben (um 1565; Wien, Kunsthistorisches Museum) wird seit Wickhoff (1893) als eigenhändiges Werk Tintorettos anerkannt.437 Eine Ausnahme bildet Tietze-Konrat, die die beiden letzten Zeichen der links vom Lehnstuhl angebrachten, wahrscheinlich fragmentarischen Inschrift (65M3) als MR las und darin die Initialen Marietta Robustis, der Tochter Tintorettos, zu erkennen glaubte. Diese These erweist sich als unverifizierbar, zumal es bis heute nicht gelungen ist, die künstlerische Persönlichkeit Mariettas (von der bekannt ist, dass sie auch als Porträtistin tätig war) ausreichend zu rekonstruieren.438 Barbantini hat die in der Aufschrift vermerkte Zahl 65 als Hinweis auf das Alter des Dargestellten gedeutet, eine insofern ebenso problematische Anschauung, als dieser wesentlich älter als 65 sein dürfte.439 Von der Berckens Datierungsvorschlag

1568–1581

201

105 Tintoretto, Bildnis eines weißbärtigen alten Mannes mit Pelz, Öl auf Leinwand, 92,4 x 59,5 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

106 Tintoretto, Bildnis des Vincenzo Zeno, Öl auf Leinwand, 120 x 113 cm, Florenz, Palazzo Pitti

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(„1558–1568“) betrachtet Rossi als zu weit gefasst, weshalb sie an ihrer bereits 1974 angenommenen Entstehungszeit von ca. 1565 zu Recht festhält. Wie der anonyme Kunstsammler sitzt der Alte, als Kniestück dargestellt und diagonal ausgerichtet, auf einem leicht schräg gestellten Lehnstuhl, die Arme auf dessen Seitenlehnen gestützt. Diese Affinität steigert sich noch, wenn man die Stellung und Ausformung seiner Hände, die mit jenen des Kunstsammlers übereinstimmen, zusätzlich in Betracht zieht. In all diesen Punkten besteht auch eine bemerkenswerte Analogie zum zeitgleich gemalten und im Wiener Kunsthistorischen Museum aufbewahrten Bildnis eines weißbärtigen alten Mannes mit Pelz.440 Die drei Porträtierten, als vierten kann man den alten Alvise Cornaro hinzurechnen, sitzen auf demselben verblüffend ähnlich angefertigten Lehnstuhl, der sonst meines Wissens in keinem der vielen Porträtdarstellungen des Künstlers wiederkehrt, folglich dessen eigenem Mobiliar zu entstammen scheint. Daraus resultiert eine geschlossene, innerhalb der ersten Hälfte der 60er-Jahre geschaffene Werkgruppe, die Jacopo gewiss in seinem Atelier geschaffen hat; auch ein ergänzender Beleg dafür, dass hier autographe Leistungen des Malers vorliegen. Das zwischen den Schultern einsinkende Haupt des Alten ist wie unter der Last der Jahre bis fast auf die Brust geneigt. Die tief in den Höhlen liegenden, introvertiert vor sich hin starrenden Augen lassen auf Gedanken an die Begrenztheit der menschlichen Existenz schließen. Der weich fließende und mit leichten, parallel skizzierten Pinselstrichen wiedergegebene Bart erinnert an jenen des Vincenzo Zeno (Bildnis des Vincenzo Zeno, um 1560–65; Florenz, Palazzo Pitti). Das Schwarz des Baretts und Mantels scheint wie im Porträt des Giovanni Cornaro im Dunkel des Hintergrunds zu versinken. Umso spürbarer die in beiden Fällen suggestive Wirkung des Antlitzes. Der Gebrechlichkeit des Alters gemäß hängt die rechte, nur flüchtig gemalte Hand über den Knauf des Lehnstuhls. Auch diesbezüglich ist eine Analogie zum Bildnis Zenos nicht zu übersehen. Mit der Kontrastierung von alt und jung – anzunehmen ist eine Darstellung von Großvater und Enkel – hat Jacopo dem Doppelporträt eine besondere Note verliehen. Wie der Großvater zeigt sich der Enkel in Dreiviertelansicht, allerdings seitenverkehrt wiedergegeben. In Brusthöhe vom Arm des Alten überschnitten und an den Bildrand gedrängt, blickt der modisch gekleidete Knabe, dessen Gesichtszüge (Augenschnitt, Nasenrücken und rot akzentuierter Mund) scharf konturiert ausgebildet sind, geradezu herausfordernd, seiner kindlichen Attraktivität bewusst, auf den Betrachter. Zu Recht zählt Rossi den Knaben zu Tintorettos „bestem Beispiel“ der Darstellung von Kindern oder Jugendlichen. – Problematisch indes ist der Vergleich mit dem Bildnis eines jungen Mannes (Mailand, Brera), das die Autorin, Morassi und Von der Bercken folgend, vorbehaltlos Tintoretto zuschreibt und nicht zuletzt aus kostümkundlichen Gründen mit ca. 1565 datiert.441 Dagegen stehen die Meinungen Arslans, Colettis und De Vecchis, die, im Rückgriff auf die von Ricci (1907) und Malaguzzi Valeri (1908) verfassten Brera-Kataloge, entweder für „Schule Tintorettos“ oder Werkstattbeteiligung plädieren. Osmaston hatte das Gemälde einst Tintorettos Tochter, Marietta, zugeschrieben – meines Erachtens nicht ganz abzulehnen, wiewohl deren künstlerisches Profil, wie schon erwähnt,

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107 Tintoretto, Bildnis eines jungen Mannes, Öl auf Leinwand, 115 x 85 cm, Mailand, Brera

bis heute nicht ausreichend geklärt ist.442 Meines Erachtens ist lediglich das Antlitz des jungen Mannes als eigenhändige Leistung Tintorettos anzusehen. Alles Übrige ist der Mitwirkung der Werkstatt zuzuschreiben. Dafür gibt es mehrere beweiskräftige Merkmale: zum einen den eklatant überlängten linken Unterarm, zum anderen den unorganisch dem Rumpf entspringenden, viel zu kurz dargestellten rechten Arm, ferner die deutlich zu tief abgestufte rechte Schulter, schließlich die völlig missglückte Verkürzung der rechten Hand. Nachdem Tintoretto bereits um 1546 von Jacopo Sansovino ein als Kniestück gemaltes und mit der Widmungsinschrift „EIUS AMICISSIMOS“ versehenes Bildnis angefertigt hatte, schuf er etwa drei Jahrzehnte später zwei weitere Porträts des nunmehr etwa 80-jährigen Architekten, dem er bis zu dessen Tod in Freundschaft

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108 Tintoretto, Bildnis des Jacopo Sansovino, Öl auf Leinwand, 70 x 65,5 cm, Florenz, Uffizien

109 Tintoretto, Bildnis des Jacopo Sansovino, Öl auf Leinwand, 50,8 x 38 cm, Weimar, Kunstsammlungen

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verbunden war. Das bedeutendere der beiden Bilder, das in den Uffizien zu Florenz aufbewahrt wird, befand sich ursprünglich, so Borghini (1584), im Besitz des „Großherzogs Francesco Medici, der es als etwas ganz Besonderes in Ehren halte“.443 Fioccos Vermutung zufolge habe es der Großherzog der Toskana beim Künstler bestellt. Dieser habe es dann seinem Auftraggeber aus Dankbarkeit für seine 1566 erfolgte Ernennung zum Mitglied der Florentiner Zeichenakademie geschenkt.444 – Krischel vertritt eine andere These, wonach Tintoretto das Gemälde erst ein Jahr nach Sansovinos Tod, also 1571 gemalt habe. Francesco, Sohn des Jacopo Sansovino, ersuchte die Florentiner Akademie brieflich darum, das Gedächtnis seines Vaters zu ehren, ein Antrag, dem nach Einsetzung einer Kommission im Januar 1571 stattgegeben wurde, woraus Krischel folgert, dass Francesco seinen Freund Tintoretto mit dem bei der Trauerfeier in Florenz ausgestellten „Totenporträt“ beauftragt hat.445 Unabhängig davon, ob das Florentiner Porträt 1566 oder zu einem kommemorativ-funebralen Anlass erst 1571 (also posthum) entstanden war, ist darauf

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hinzuweisen, dass Tintoretto Sansovino – Rossi zufolge in der ersten Hälfte der 60er-Jahre, laut Krischel um 1565 – schon zuvor porträtiert hatte.446 Das in den Kunstsammlungen zu Weimar befindliche Bildnis besticht durch seinen quasi privaten Charakter. Dass es dal vivo angefertigt wurde, dafür spricht zum einen das in relativ kleinem Format dem Büstentypus verpflichtete Porträt, zum anderen die flüchtig aufgetragene hauchdünne Farbschicht, ferner die schonungslos realistische Wiedergabe der Gesichtszüge eines Hochbetagten. Krischel zufolge hat das kleine „Erinnerungsbild“ dem mit dem vollständigen Namen Sansovinos beschrifteten „Totenporträt“ als Modell gedient. Dabei ist zu beachten, dass der Künstler – neben einer viel sorgfältigeren Ausführung des Gemäldes – die Gesichtszüge des Verstorbenen gegenüber dem Modell erheblich verjüngt, wie in schmeichelnder Absicht, umgewandelt hat. Kennzeichnend dafür das gleichsam aufgefrischte Inkarnat, ein lebhafterer Blick, eine Glättung der vormals von Falten stärker zerfurchten Haut sowie eine viel weichere Licht-Schatten-Modellierung. Hinzu kommt eine sockelartige Vergrößerung der Büste, die Jacopo Platz bietet, die vorzüglich gemalte Hand mit dem Zirkel, dem Attribut eines Architekten, zur Darstellung zu bringen und damit dem Porträt laut Krischel einen ausgesprochen „denkmalartigen“ Charakter zu verleihen.447 So gesehen gibt es gute Gründe, Rossis Frühdatierung (1566) zugunsten Krischels Anschauung zu revidieren, zumal nicht einzusehen ist, weshalb der Künstler den Porträtierten noch zu dessen Lebzeiten einer dermaßen radikalen ‚Verjüngungskur‘ unterzogen haben soll. Mit dem Votivbild Madonna mit Kind und Heiligen, verehrt von drei Schatzmeistern (sog. Schatzmeistermadonna mit 1566 dat., 1567 vollendet; Venedig, Accademia) setzte Tintoretto seine Tätigkeit als „Staatsmaler“ fort. Genau genommen handelt es sich um ein „Gruppenvotivbild“ – eine von Jacopo erweiterte Sonderform des singulären, mit Gentile und Giovanni Bellini aufkommenden DogenVotivbilds.448 Das Gemälde befand sich ursprünglich im Palazzo dei Camerlenghi (Palast der Kämmerer), dem Sitz der obersten Finanzbehörde der Republik. Seit

110 Tintoretto, „Schatzmeistermadonna“, Öl auf Leinwand, 221 x 521 cm, Venedig, Accademia Abb. 109, S. 204

Abb. 108, S. 204

Abb. 110

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Tizian immer seltener in Venedig weilte und seinen sich über ganz Europa erstreckenden Aufträgen widmete, war Jacopos Stellung als offizieller Staatsmaler unangefochten. Bezüglich der Kontaktmöglichkeiten mit den hochgestellten Funktionären im Palazzo dei Camerlenghi durfte sich der Künstler de facto als Nachfolger des 1553 verstorbenen Bonifacio de’ Pitati betrachten, der im Verlauf einer fast 20-Jährigen Tätigkeit – unterstützt von einem riesigen Werkstattbetrieb – insgesamt 57 Gemälde für die Ausstattung des Finanzpalastes produziert hatte.449 Im linken Drittel des extrem querformatigen Gemäldes ist die Madonna dargestellt, die zusammen mit den drei ihr assistierenden Heiligen dem ikonographischen Typus einer Sacra Conversazione entspricht. Die Gottesmutter thront auf einem vierstufigen Podest, der Seitenansicht angenähert und angesichts der niedrig lastenden Bildhöhe stark vorgeneigt. Das Rot des Kleids und das Weiß des von ihrer Schulter herabgleitenden Mantels bilden einen heftigen Hell-Dunkel- und Bunt-Unbunt-Kontrast. Der Mantel krümmt sich in Form einer Sichel und erinnert Krischel, gemäß der „geheimen Offenbarung“ des Johannes, an eine „Mondsichelmadonna“, die auf die „Unbefleckte Empfängnis“ Mariens verweist.450 Der Jesusknabe liegt, fast gänzlich in Schatten gehüllt, auf dem Schoß seiner Mutter, sie überkreuzend und in schräger Richtung zum hell kontrastierenden Antlitz des Hl. Markus vermittelnd. Mit heftig ausfahrenden Handbewegungen verweist der Evangelist auf die drei Kämmerer, um sie der Gnade des Erlösers zu empfehlen. Vor ihm sitzt auf einer Podeststufe der Hl. Theodor, Venedigs zweiter Stadtpatron, schwarz gerüstet und in stark vorgebeugter Haltung wiedergegeben. Die „Sacra Conversazione“-Gruppe entspricht der Form einer schräg in den Raum gedrehten figura piramidale, die, so Emmrich, „auf erregende Weise instabil wirkt“.451 Dieser Eindruck resultiert vor allem aus einem dynamischen Phänomen, das darauf beruht, dass die Köpfe der beiden Heiligen, von jenem der Madonna ausgehend, der Höhe nach gestaffelt sind und in regelmäßigem, sukzessiv fallendem Neigungswinkel einen stroboskopischen Effekt bewirken, der den drei Figuren eine abwärts zielende Bewegungssequenz verleiht. Der dadurch drohende Gleichgewichtsverlust wird indes durch die in Gegenrichtung schräg gesetzte, wie an den Bildrand gefesselte Aktfigur des Hl. Sebastian ausgeglichen. In der rechten Körperkontur des Pestheiligen (dessen rechten Oberarm eingeschlossen) manifestiert sich mit dem Mantel Mariens eine „Umrisskonkurrenz“, deren junktimierende Funktion die Aufwärtsbewegung des Heiligen zusätzlich unterstützt. Sebastian sitzt auf einem Marmorwürfel, auf dem die Inschrift UNANIMIS CONCORDIAE SIMBOLUS (= Symbol einmütiger Eintracht) und die Jahreszahl 1566 vermerkt sind; zudem sind darauf die Wappen der drei Kämmerer, Michele Pisani, Lorenzo Dolfin und Marino Malipiero, abgebildet. Das mittlere Bilddrittel ist den drei in dunkelroten, hermelingefütterten Roben gekleideten Schatzmeistern vorbehalten – zwei davon stehend in ehrfürchtig geneigter Haltung, der dritte kniend mit ausgebreiteten Armen dargestellt, wobei dessen pyramidal umrissene Robe bis zum unteren Bildrand zu Boden fließt und der Gruppe eine feste Basis bietet. Beim Knienden dürfte es sich um Marino Malipiero handeln; zwei seiner Vorfahren bekleideten sogar das Dogenamt. Laut Rossi

„wurde gewöhnlich am Ende des letzten Mandats, in diesem Fall das des Marino Malipiero am 12. Februar 1567, der Auftrag zu einem großen Votivbild erteilt“.452 Die drei Würdenträger sind in fast unmerklicher Tiefenstaffelung als eine stringent vereinheitlichte Gruppe zusammengefasst. Dieser Eindruck rührt vor allem daher, dass die gekurvten Rücken der Figuren beinahe kontinuierlich in großem Bogen – dem Wahrnehmungsgesetz der „Guten Fortsetzung“ folgend – einer vorwärts brandenden Welle gleich ineinander fließen. Dass hier auch eine Anspielung auf das Thema der Anbetung der Hll. Drei Könige vorliegt, ist nicht zu leugnen. Die beiden stehenden Kämmerer werden von zwei perspektivisch stark verkürzten Säulenreihen akzentuiert, die zugleich einen Himmelsausschnitt rahmen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich hier die Frage nach der Existenz eines Fluchtpunkts nicht stellt. Die Gelegenheit zur Erschließung von Raumtiefe eröffnet sich erst im Rücken des knienden Malipiero, wo ein großes Stück Bodenareal sichtbar wird, an das ein schmaler dunkelgrüner Waldstreifen schließt, über dessen niedrigem Horizont sich der die Abenddämmerung ankündigende Himmel weitet. Hier ist auffällig, dass Tintoretto die sich ihm bietenden perspektivischen Möglichkeiten kaum nutzt. Anstatt fluchtend in die Tiefe weisende Fliesenreihen zum Einsatz zu bringen, begnügt sich der Künstler mit horizontal verlaufenden, ausgesprochen antiperspektivisch anmutenden Linienzügen. Ergebnis ist eine eher wandähnlich schließende Zone, die den reliefhaft flächigen Charakter der Komposition nur noch verstärkt. – In ähnlich devoter Haltung wie ihre Vorgesetzten eilen von rechts die drei Sekretäre herbei. Der vordere schleppt einen voluminösen Sack, der vermutlich die Steuereinnahmen der Republik birgt. Neben ihm entdeckt man zwei kleine, wie achtlos beiseite gelegte Geldbeutel und am Boden verstreute Geldstücke. Vergleichbar mit Maria und den beiden vor ihr befindlichen Heiligen der Sacra Conversazione evozieren die in fallendenden Neigungswinkeln gezeigten Köpfe der Sekretäre, die von einem vom Landschaftsstreifen wie schwebend losgelösten Baum akzentuiert werden, einen dynamischen Stroboskopie-Effekt. Zugleich aber sorgt das homogen aufgetragene, Konturen tilgende Schwarz ihrer Kleidung für eine kompakte, flächenprojektive Gruppenbildung, den friesartigen Charakter der Gesamtkomposition unterstützend. Im Januar 1563 wurde der Scuola del Santissimo Sacramento die Genehmigung erteilt, ihren Sakramentsaltar in San Cassiano in den Chor der Kirche zu verlegen, nunmehr die Funktion eines Hochaltars erfüllend.453 Zwei Jahre später, 1565, ließ der Guardian der Scuola, Gianpiero Mazzoleni, von Tintoretto ein Altarbild mit der Auferstehung Christi anfertigen. 1568 nahm die Neuausstattung des Chors mit zwei weiteren Gemälden des Künstlers ihren Fortgang, wobei dieser auf kompositionelle Kommunikation – sowohl zwischen den beiden Bildern als auch in jeweiligem Bezug auf das Hochaltarbild – besonderen Wert legte, mithin eine Art ‚Gesamtkunstwerk‘ im Sinn hatte. Mit dem Hochaltarbild schuf Tintoretto vielleicht seinen monumentalsten, zwischen Klassik und Manierismus schwankenden auferstehenden Christus, der zudem durch eine ausgewogene, plastisch modellierende Licht-Schatten-Gebung beeindruckt.454 Umschlungen von einem wie vom Sturmwind aufgewirbelten Mantel und von einer glanzvollen Glorie hinterfangen, ent-

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Abb. 111, S. 208

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111 Tintoretto, Auferstehung Christi, Öl auf Leinwand, 450 x 225 cm, Venedig, San Cassiano

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schwebt der Erlöser in dynamischer Kontrapoststellung dem offenen Sarkophag, das Antlitz tief verschattet und die Rechte weit zum Segensgestus durchgestreckt. Er wird von vier Engeln flankiert – zwei davon sind im Begriff, die Hll. Cassianus und Cäcilie – schlanke, gekurvt dargestellte Figuren manieristischer Prägung – mit Blumenkränzen zu bekrönen. Schon seinerzeit diente die zum Campo weisende Seitenpforte von San Cassiano als Haupteingang, so dass der Blick des Besuchers gleich nach Betreten

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der Kirche unvermittelt auf die an der linken Seitenwand des Chors angebrachte Kreuzigung Christi fiel. Mit der Tradition des volkreichen Kreuzigungstypus brechend beschränkt sich Tintoretto auf die Darstellung von sieben Personen. Ebenso innovativ ist die Idee, die Gekreuzigten in das rechte Bilddrittel zu verlegen und sie – wie der extrem tief gesetzte Horizont zeigt – in deutlichem sotto in sù schräg zur Bildfläche anzuordnen. Bezüglich der radikalen Schrägstellung des ChristusKreuzes waren etwa Albrecht Dürer, Lucas Cranach und Albrecht Altdorfer, wenngleich nur in kleinformatigen Gemälden, vorangegangen. Eine der Ursachen dafür, die Kreuzigungsgruppe nach rechts zu versetzen, bestand wohl darin, diese mit der benachbarten Auferstehung Christi in eine nahabständige Beziehung zu bringen. Die perspektivisch fluchtenden Kreuze sind dermaßen eng gestellt, dass man vom links befindlichen, von Christus angeschnittenen Schächer nur noch ein Bein

112 Tintoretto, Die Kreuzigung Christi, Öl auf Leinwand, 341 x 371 cm, Venedig, San Cassiano

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113 Maerten van Heemskerck, Die Kreuzigung Christi, Radierung (Dirck Volkertz), 25 x 19,7 cm, Amsterdam, Rijksmuseum

Abb. 113

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und den stark vorgebeugten, verschatteten Oberkörper zu sehen bekommt. Was die Darstellung des von links angestrahlten Heilands betrifft, hat Krischel nachgewiesen, dass Tintoretto hier den gekreuzigten Christus aus einer von Dirck Volkertsz nach einem Entwurf von Marten van Heemskerck gefertigten Radierung zum Vorbild genommen hat. Dabei übernahm er nicht nur die diagonal verkürzte Stellung des Gekreuzigten, sondern auch dessen detailliert ausgefeilte Muskulatur sowie den zwischen den Beinen herabhängenden Zipfel des Lendentuchs – Beweis genug, dass es sich hier um eine fast wörtlich umgesetzte „Vorlage“ handelt. Im Übrigen hat auch Tizian – laut Finocchi-Ghersi um 1565, also nur knapp vor Tintorettos Kreuzigung – für San Salvatore in Venedig ein Altarbild mit der Kreuzigung Christi (nur als Fragment erhalten und in der Pinacoteca Nazionale in Bologna aufbewahrt) geschaffen. Auch in diesem Fall ist das Kreuz Christi schräg gestellt, wobei die Körpermodellierung des Erlösers – dessen Beleuchtung inbegriffen – fast wörtlich mit jener von Tintorettos Version übereinstimmt. So gesehen ist nicht

auszuschließen, dass auch Tizian die nach Heemskerck hergestellte Radierung als Vorlage gedient hat.455 Die Goldene-Schnitt-Linie deckt sich mit dem Kreuzesstamm des links platzierten Schächers und trennt mithin die Kreuzigungsgruppe vom übrigen Bildareal. Eine siebensprossige Leiter lehnt am mittleren Kreuzquerbalken, von Christi Haupt ausgehend zur links unten situierten Gottesmutter in diagonale Richtung vermittelnd. Damit ist mit Hinweis auf die „Himmelsleiter“ die Zahl Sieben als Symbol angesprochen, der wie erwähnt auch die Anzahl der Figuren entspricht. Dazu Krischel: „Die Seele des Betrachters wird eingeladen, gestützt durch die sieben Tugenden beziehungsweise die sieben Gaben des Hl. Geistes stufenweise zu einer mystischen Vereinigung mit Christus aufzusteigen.“456 In waghalsiger Haltung auf der Leiter balancierend, neigt sich ein Scherge zu Joseph von Arimathia, um von diesem den „Titulus“-cartellino mit der abgekürzten Inschrift: „I.N.R.J.“ (= Jesus Nazarenus Rex Judaeorum) in Empfang zu nehmen – eine Aktion beziehungsweise ein Motiv, das in der Kreuzigungsikonographie meines Wissens als Unikat anzusehen ist.457 Zu Füßen der Leiter kauert Maria, in mattem Blau gekleidet, den Blick zu ihrem Sohn emporgerichtet. Über sie gebeugt der Hl. Johannes, von einem Nimbus umstrahlt, der merkwürdigerweise bei Maria fehlt. Mit seiner waagrecht durchgestreckten Linken verweist Christi Lieblingsjünger nach rechts in Richtung Hochaltar zum Auferstandenen, vielleicht in Maria tröstender Absicht. Ebenso denkbar wäre, dass der Heilige die Gottesmutter auf die nackte Gestalt der Eva im gegenüber befindlichen Gemälde mit Christus in der Vorhölle aufmerksam macht, wie an ihre Rolle als „neue Eva“ erinnernd. Für die ergreifende Stimmung der Szene findet Von der Bercken die richtigen Worte: „Die eigentümliche Beleuchtung, das tief liegende Licht, die Beschattung großer Flächen des Bildes verleihen der Darstellung eine seltsam düstere und geheimnisvolle, geradezu atembeklemmend spannende Wirkung“,458 die nicht zuletzt von den dunklen, dramatisch über den Himmel jagenden, mitunter von irrlichternden Konturen eingefassten Gewitterwolken herrührt. Knapp über dem Horizont des nur etwa ein Fünftel der Bildfläche einnehmenden Golgatha-Hügels lichtet sich der Himmel in einem schmalen Streifen, von dem sich die in den Himmel stoßenden Lanzen der zahlreichen, in isokephaler Reihung angeordneten Soldaten, einem „Brustbilderfries“ (Swoboda) gleich, abheben. Über den Lanzen weht die exakt an der Bildmittelachse orientierte Fahne des Römischen Reiches, von deren inschriftlicher Buchstabenfolge lediglich das „Q“ und „R“ erkennbar sind. Das Banner zeigt einen zwischen Rosa und mattem Rotviolett schwankenden Farbton, dem man auch an dem zu Füßen des Kreuzes ausgebreiteten Mantel Jesu begegnet. Ruft man sich die nach Heemskerck gefertigte Radierung in Erinnerung, so finden sich dort genau an dieser Stelle die um Christi Kleidung würfelnden Schergen, worauf sich die Frage stellt, ob diese in Tintorettos Kreuzigung, den Schauplatz verlassend, den Mantel des Gekreuzigten achtlos beiseite gelassen haben oder ob diesem vielleicht doch eine spezielle Bedeutung innewohnt. Denkbar wäre immerhin, dass dieses wüst zerfurchte, ostentativ im Vordergrund platzierte Kleidungsstück als Zeichen des christlichen Leidensgedankens mit dem triumphal

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114 Tintoretto, Abstieg Christi in die Vorhölle, Öl auf Leinwand, 342 x 373 cm, Venedig, San Cassiano

Abb. 114

Abb. 111, S. 208

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hochragenden, indes in den Hintergrund gerückten Banner der römischen Staatsmacht kontrastiert. Gegenüber der Kreuzigung – an der rechten Chorseitenwand – ist das gleichformatige Gemälde mit dem Abstieg Christi in die Vorhölle angebracht, kompositionell ebenso auf das Hochaltarbild ausgerichtet. Für eine direkte Verbindung mit Letzterem sorgt Tintoretto insofern, als er, so Krischel, „die Christusgestalt der Auferstehung sozusagen in die Hölle hinüberfliegen lässt“.459 Von links herabstürzend ist der Erlöser in die Vorhölle eingedrungen, um die Seelen – allen voran jene des Stammelternpaares – aus dem Fegefeuer zu befreien. Die zersplitterten, über einen Großteil der Bildfläche verstreuten Balken und Sparren der vergitterten Höllenpforten werden von einem räumlich unauslotbaren Dunkelgrund fast völlig absorbiert, an die Grenzen der Wahrnehmbarkeit stoßend. Christus ist schwebend im Laufschritt und mit manieristisch torsierendem Oberkörper dargestellt. Sein stark verschattetes Haupt ist von einem kreisrund abgezirkelten Nimbus umschrieben, den kreuzförmig angeordnete Lichtstrahlen durchdringen. Wie in der Auferstehung trägt Christus einen roten, hier um die linke Schulter drapierten, wie vom Wind aufgewirbelten Mantel. Hinter ihm flattert, seine dynamische Erscheinung verstärkend, die riesige Osterfahne, deren vormaliges Weiß sich unter der Wirkung der gewaltigen Lichtemanation in luminöse, zwischen Gelb und Rosa changierende Farbtöne wandelt. Der durchgestreckt segnende Arm des Heilands weist in diagonaler Richtung auf die nackte, am stärksten im Bild vom Licht erfasste Eva, die mit sehnsüchtiger Miene dessen Blick erwidert. Daneben fristet Adam ein fast unbe-

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achtetes Schattendasein. Der weit von der Bildmittelachse abgedrängten Position der Eva entspricht annähernd jene der Gottesmutter (als „neue Eva“) in der Kreuzigung, und in beiden Fällen kommunizieren die Frauen über eine lange Diagonalstrecke hinweg mit dem Erlöser. Die formal gesehen wohl spektakulärste Figur ist jene des in der rechten oberen Ecke abgebildeten Erzengels Michael, der mit kräftigem Flügelschlag, in Rückenansicht und vehementer Verkürzung gezeigt, im Höhenflug – als einziger die dunkle Bildebene durchbrechend – in die Tiefe strebt. Wie schon zuvor im Sklavenwunder, in dem der Evangelist Markus – konträr zum Erzengel – im Sturzflug und von vorne wiedergegeben ist, stand Tintoretto auch hier vor der diffizilen Aufgabe, eine in den Lüften schwebende Figur überzeugend zur Darstellung zu bringen. Und auch in diesem Fall mag er sich – mit an Fäden hängenden Wachsmodellen experimentierend – des Hilfsmittels der Guckkastenbühne bedient haben. – Zwischen dem Erzengel Michael und dem gleichermaßen ins Licht gesetzten Luzifer vermittelnd verläuft die ansteigende Diagonale, die sich mit der fallenden, Christus und Eva verbindenden Gegendiagonale überkreuzt. Mit den Beinen wild strampelnd stürzt sich Luzifer in den Abgrund, um den im Höllenschlund versinkenden Seelen mit straff gespannter Eisenkette den Zugang zum rettenden Areal zu versperren. Hinter Eva in der rechten unteren Bildecke befinden sich drei mit porträthaften Zügen versehene Mitglieder der Scuola, über denen sich die Köpfe weißbärtiger Propheten sukzessiv im Dunkel verlieren. Unter Tintorettos neun Abendmahlsdarstellungen ist jene von der Scuola del Santissimo Sacramento für die Kirche San Polo in Venedig in Auftrag gegebene Version die wohl dramatischste. Mit seiner friesartigen Längenerstreckung erinnert das Gemälde an das extrem querformatige Abendmahlsbild in San Marcuola. Während bezüglich der Zuschreibung an Tintoretto seit Borghini (1584) Einigkeit herrscht, schwankt die Forschung in der Datierungsfrage zwischen 1565 und 1580; meines Erachtens sind die Datierungsvorschläge von De Vecchi (1568/69; jüngst erst von Villa bestätigt) und Pallucchini/Rossi (um 1570) zu präferieren.460

115 Tintoretto, Das Letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, 228 x 535 cm, Venedig, San Polo

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Nachdem in Jacopos bisherigen Abendmahlsbildern stets die Verratsankündigung eine ikonographisch zentrale Stellung eingenommen hatte, steht nunmehr der Eucharistiegedanke beziehungsweise die Einsetzung des Altarsakraments mit der Verteilung der Brote im Vordergrund des Interesses.461 Von der Bercken zufolge „hat Tintoretto als erster italienischer Maler im Abendmahl von San Polo die Heilige Kommunion dargestellt und ihr schon hier die größte Dringlichkeit verliehen […]. Wie Christus über den Tisch hinüber zwei Jüngern zugleich die Heilige Spende reicht, scheint er wirklich sich ihnen selbst zu eigen zu geben und in der Austeilung seines Leibes sie zu umfangen und zu schützen“.462 Vermutlich lag der „Apostelkommunion“ das 1551 am Konzil von Trient verfasste „Dekret über das allerheiligste Sakrament der Eucharistie“ zugrunde, in dessen erstem Kapitel die „wahrhaftige, reale und substanzielle Anwesenheit in Brot und Wein“ festgelegt wurde.463 In leidenschaftlicher Ekstase ist Christus aufgesprungen und reicht zwei Aposteln den Bissen. Dazu Dvořák: „Wie er mit weit ausgebreiteten Armen dasteht, ist er nicht mehr der Mensch, der seinen Tod vor Augen hat, sondern der Religionsstifter, der freudig bereit ist, sich für die Menschheit zu opfern und der vor seinem Tode, in plötzlicher Inspiration einen neuen geistigen Bund begründet.“464 Wie im Abendmahl in San Simeone Profeta ist die Mensa, von der nur ein kleiner Abschnitt sichtbar ist, schräg nach rechts ausgerichtet, und in beiden Fällen tritt die durch das strahlende Weiß des Tischtuchs akzentuierte Ecke der Mensa markant hervor, einerseits keilförmig auf den Betrachter zielend, andererseits dessen Blick auf Christus frei haltend. Übereinstimmend auch der schwarze, die Szene hinterfangende und sich über etwa zwei Drittel der Bildbreite erstreckende Wandhintergrund. Unterschiedlich ist indes die als Raumindikator wichtige Konzeption des Fußbodens. Während dieser in San Simeone keinerlei Markierungen aufweist, sich gleichsam im Rohzustand zeigt, ist jener in San Polo schachbrettartig verfliest. Daraus resultieren für die Ultima Cena in San Polo räumlich gesehen tiefgreifende Konsequenzen. Im Gegensatz zu den Abendmahlsbildern in San Marcuola und in der Scuola di San Rocco konzipiert Tintoretto das Linienmuster des Fliesenbodens nicht bildparallel, sondern trifft für die Fliesenreihen eine in Schrägen und Gegenschrägen fluchtende Anordnung. Während die eine Schräge parallel zur Mensa nach rechts verläuft, weist die andere, etwas stärker ausgeprägte, in die Bildtiefe und findet links oben ihren von Christus weit entfernten Fluchtpunkt, dem rechts außen ein zweiter, indes weniger relevanter gegenübersteht. Es besteht somit eine Art Ambivalenz zweier Fluchtpunkte, in der, so Hetzers Kommentar, das „Bedürfnis, den Raum in seiner ruhigen Existenz zu vernichten, um ihn ganz mit Christi Wirkung zu erfüllen“ manifest wird.465 Welch große Bedeutung Jacopo dem strukturell so wichtigen Bodenareal beigemessen hat, zeigt sich darin, dass er – um eine freie Sicht auf die Fliesenreihen zu gewährleisten – die Tischszene, abweichend von seinen früheren Abendmahlsdarstellungen, in deutlichem Abstand vom unteren Bildrand um mehrere Schritte in die Tiefe versetzt hat. Laut Swoboda ist das von links einfallende „malerische Licht der Hauptausdrucksträger dieses enorm ausdrucksstarken Bildes“.466 Demgegenüber haben die

primären und sekundären Buntfarben ihren „Eigenwert“ (Jantzen) eingebüßt, entweder als „Darstellungswert“ gebrochen (wie vor allem die Rottöne) oder völlig abgedunkelt in Erscheinung tretend.467 Der Hl. Petrus ist am stärksten dem Licht ausgesetzt. Das nur noch in Spuren erkennbare Rotviolett seines Kleides wird fast gänzlich vom Weiß absorbiert. Neben dem gelb strahlenden Nimbus Christi erregt der Apostel als Lichtgestalt die größte Aufmerksamkeit, bietet sich somit als Bildeinstieg an. In Dreiviertelrückenansicht und labiler Schräglage wiedergegeben, neigt sich Petrus – mangels Bodenhaftung fast schwebend anmutend – über den Tisch, um die Kommunion zu empfangen. Lediglich Christi rechter, ihm entgegengestreckter Arm dient dem Apostel als stabilisierender Faktor. Mit seiner schräg gestellten Körperachse, die sich nach dem Gestaltgesetz der „durchlaufenden Linie“ in den Armkonturen des Erlösers nahtlos fortsetzt, bildet er den Ausgangspunkt einer höchst dynamischen Komposition, die sich halbkreisförmig – nur geringfügig vom stehenden, ebenfalls die Hostie beziehungsweise den Leib Jesu empfangenden Apostel unterbrochen – über die Bildfläche erstreckt. Schräg gegenüber Christus, an der Frontseite der Tafel sitzt Judas, den Rücken dem Betrachter zugewandt und analog zu Petrus weitgehend farbresistent vom Licht erfasst. Der Armhaltung Christi angeglichen vollzieht Judas eine Drehbewegung, um einem hinter ihm am Boden liegenden, ebenfalls in Rückenansicht gezeigten, jedoch stark abgedunkelten Bettler ein Stück Brot zu reichen. Die drei räumlich abgestuften Figuren, Petrus, Judas und der Bettler, bilden – zusätzlich verdeutlicht durch Judas’ schräg verbindende Armstellung – eine zum links oben situierten Fluchtpunkt weisende Diagonale, welche die erwähnte flächenspezifische Halbkreisstruktur räumlich durchdringt. Dabei spielt die ambivalente Funktion des in michelangelesker Manier nach rechts perspektivisch verkürzten Bettlers insofern eine kompositionell wichtige Rolle, als dieser einerseits mit seinen rot akzentuierten, in die Tiefe weisenden Beinen den Halbkreis in den Vordergrund umleitet, andererseits mit seinem halb aufgerichteten Oberkörper in bogenförmigem Schwung den Anschluss zur Diagonalen herstellt. Besonderes Interesse gebührt der im Gegensatz zu allen übrigen Abendmahlsdarstellungen Tintorettos (und generell abweichend von den traditionellen Gepflogenheiten der Ultima Cena-Ikonographie) eindeutig positiv besetzten, sich radikal von der sonst üblichen Verräterfunktion unterscheidenden Rolle des Judas. Diese findet in zweifacher Hinsicht ihren Niederschlag: zum einen – entsprechend den karitativen Verpflichtungen der Scuola bezüglich der Brotspende an den Bettler, zum anderen im Hinblick auf die aktuelle Verbreitung des auf Basis des Dekrets von 1551 neu interpretierten Eucharistie-Gedankens. – In der Forschung besteht ein mehrheitlicher Konsens, die Christus gegenüber befindliche Rückenfigur als Judas zu bezeichnen, wiewohl es nicht leichtfällt, den für die Identifikation maßgeblichen Geldbeutel im Gewirr der im Gürtelbereich verknoteten Gewandteile des Apostels zu entdecken. So gesehen ist es nicht verwunderlich, wenn sich mitunter Stimmen regen, die (wie etwa jene Bühlers) im rechts außen sitzenden, rot gekleideten Apostel Judas zu erkennen glauben. In torsierender Bewegung zurückgeneigt, überreicht dieser Apostel einem kleinen, am Boden kauernden Mädchen ei-

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nen Apfel. Bühlers problematischer Judas-Identifikation zufolge handle es sich hier um eine Anspielung auf den Sündenfall. Weiter gedacht wäre der vermeintliche Judas gleichsam jener Repräsentant des Bösen, der das Mädchen, das demnach die Rolle einer kleinen Eva verkörpere, zur Erbsünde verführt.468 Das rechte Bilddrittel bietet einen Ausblick auf eine Landschaft mit untergehender Sonne, deren Strahlen zwei antikisierende Gebäude grell beleuchten. Davor erhebt sich eine im Gegenlicht stark abgedunkelte, fast bildhohe Männergestalt mit unverkennbar porträthaften Gesichtszügen. Laut Worthen könnte es sich um den Guardian der Scuola, Zuan Battista de Millian, handeln, der anerkennend auf Judas’ Brotspende an den Bettler herabblickt.469 Formal gesehen fungiert jener als monumentaler Eckpfeiler der Komposition, deren kontinuierlich nach rechts zielendem Energiestrom Einhalt gebietend. Eine ähnlich harmonisierende beziehungsweise stabilisierende Funktion erfüllt die links außen positionierte Rückenfigur des mit Mahlvorbereitungen beschäftigten Wirts, der sich in schräger Gegenrichtung zum Hl. Petrus über eine Anrichte neigt und als tief verschattete Gestalt mit dessen Weiß kontrastiert. Eine typisch manieristische Eigenheit manifestiert sich darin, dass der Wirt, sollte er sich aufrichten, den oberen Bildrand durchstoßen würde. In der Frage nach der Datierung des für die Kirche Madonna dell’ Orto (linkes Seitenschiff; Cappella Contarini) geschaffenen, urspünglich an der linken Seitenwand der Kapelle, heute im Kapellenscheitel angebrachten Altarbilds mit dem Wunder der Hl. Agnes klaffen die Forschungsmeinungen um etwa drei Jahrzehnte auseinander. Nachdem Hadeln für das Ende der 50er-Jahre plädiert hatte, dachte man in der Folge (Tietze und Berenson) an ein im Anschluss an das Sklavenwunder (1548) entstandenes Frühwerk Tintorettos, beides Hypothesen, die im aktuellen Wissenschaftsdiskurs keine Rolle mehr spielen. Pittalugas Hinweis, wonach Vasari das Bild 1566 gesehen habe, beruht auf einem Irrtum, dem laut Coletti eine Fehldeutung einer Anmerkung Milanesis (des Herausgebers der Werke Vasaris, darunter auch dessen „Vita“) zugrunde liegt; demnach ist 1566 als terminus ante auszuschließen. Beachtung zollte man den Datierungsvorschlägen Von der Berckens (1566–1570) und Valcanovers (Ende des siebten Jahrzehnts). Dessen ungeachtet scheint die von Arslan erstmalig vertretene These, das Gemälde zeitlich in die Nähe der Versuchung des Hl. Antonius (ca. 1577; San Trovaso) zu rücken, in der Fachliteratur (etwa bei Coletti, de Vecchi und Pallucchini) Anklang zu finden.470 In der neueren Literatur plädieren Krischel und Villa für 1563 als Entstehungsjahr des Gemäldes, wobei schon Thode erstmalig Tommaso Contarini als Auftraggeber vermutet hatte. Dieser war Prokurator von San Marco und Mitglied der regulierten Kanoniker von S. Giorgio in Alga, die 1462 in Madonna dell’ Orto die Humiliaten abgelöst hatten. Vermutlich schon 1557 erwarb er die bereits erwähnte Kapelle der Kirche, um sie als Familienkapelle beziehungsweise Grablege der Contarini einzurichten. 1563 veranlasste er die Überführung der sterblichen Überreste seines 1542 verstorbenen älteren Bruders, Kardinal Gasparo Contarini, wobei er laut Krischel Tintoretto mit der Produktion des Altarbilds beauftragt haben könnte. Krischels Annahme, wonach Jacopo sein Werk schon im selben Jahr

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vollendet habe, widerspricht Pallucchinis überzeugender Stilbefund, der eine viel spätere, etwa die Zeitspanne zwischen 1570 und 1577 umfassende Datierung nahelegt. Gestützt auf eine stilkritisch-koloristische Affinität mit Jacopos um 1577 entstandener Versuchung des Hl. Antonius (San Trovaso) sieht Pallucchini im Todesjahr Tommaso Contarinis (+1578) einen terminus ante quem.471 Als literarische Quelle diente Tintoretto die von Ambrosius verfasste Lebensgeschichte der Hl. Agnes, vor allem aber deren ausführlichere Schilderung in der „Legenda Aurea“, aus der wir auszugsweise einige Passagen zitieren: „Agnes ist soviel als agnus und ist gesprochen das Lamm; denn sie ist sanft und demütig gewesen wie ein Lämmlein […]. Einst als sie von der Schule nach Hause ging, sah sie

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der Sohn [Licinius] des [römischen] Präfekten und gewann sie von Herzen lieb. […] Sie aber sprach: Weiche von mir […] einen anderen Bräutigam habe ich mir erwählet. Ich liebe einen, der ist viel edler und würdiger denn du; seine Mutter ist eine Jungfrau, sein Vater hat nie ein Weib erkannt. […] Als der Jüngling das hörte, kam er fast von Sinnen. Aus seinen Seufzern ward den Ärzten kund, dass er von Liebe krank war; da ging der Vater des Jünglings selbst zu Agnes und legte ihr dies vor. Sie aber sprach: Wie mag ich meinem Bräutigam die Treue brechen? Nun hub der Richter an, zu forschen, wer der Bräutigam wäre […]. Sprach einer, dass es Christus wäre, den sie ihren Gemahl nenne. […] Da sprach der Richter [= der Präfekt]: Gehe mit unseren Jungfrauen hier in den Tempel und opfere der Göttin Vesta, so du deine Jungfräulichkeit willst bewahren. Also nahm er zum Vorwand wider sie, dass sie eine Christin sei. […] Da gebot der Richter, dass man sie sollte bloß ausziehen und also nackt in der gemeinen Frauen Haus führen. Aber der Herr ließ ihr Haar so dicht wachsen, dass ihr Leib davon besser gedeckt war denn mit Gewand. Und da sie in das Haus der Schande kam, stund dort ein Engel, der gab ihr ein lichtes Gewand. Nun kam der Sohn des Richters mit seinen Gesellen vor das Haus […] und ging zornig zu ihr hinein und wollte Agnes anrühren in dem Glanz; da erwürgte ihn der böse Geist, denn er hatte Gott nicht die Ehre gegeben. Als das der Richter vernahm, kam er mit großem Trauern zu Agnes und forschte, woran sein Sohn tot läge. Sie sprach: Der, des Willen er an mir vollbringen wollte […] hat ihn getötet […]. Da sprach der Richter: ‚Ist es, dass du mir erwerben‘ magst, dass mein Sohn wieder lebendig werde, so will ich glauben, dass du dies nicht mit Zauberei vollbracht hast. Da betete Agnes; und der Jüngling erwachte, und predigte alsbald Christum vor allem Volk.“472 Wie kein anderer Künstler vor ihm, so Von der Bercken, hat Tintoretto aus der Agnes-Geschichte jenen Moment zur Darstellung gebracht, da die Heilige den Sohn des Präfekten zu neuem Leben erweckt. Obwohl in der linken Bildhälfte situiert, nimmt sie eine zentrale Stellung ein. Dafür sorgt allein schon ihr helles, zwischen Silbergrau und Weiß changierendes, von rechts fokussierend angestrahltes Kleid, das ihr der Engel zuvor im Bordell überreicht hatte. Begleitet von ihrem Attribut, dem Lamm, das von alters her als Allusion auf Jesus als „Lamm Gottes“ angesehen wird, ist Agnes kniend, fast frontal wiedergegeben. Ihr leicht angehobenes, nach rechts gedrehtes Haupt, von dem das blonde, lasierend aufgetragene Haar der Legende gemäß bis zum Boden herabwallt, ist dem Präfekten zugewandt. Mit ihrer Rechten weist sie auf dessen Sohn Licinius, den sie soeben mit ihrem Gebet wiederbelebt hat. Von einem blassblau gekleideten Gefährten gestützt, liegt Licinius, in eine dunkelultramarinblaue Jacke gehüllt, am unteren Bildrand ausgestreckt, dem Betrachter zum Greifen nahe. Gleichwohl steht er mit Agnes in Verbindung, die in seinen gekurvten Körperumriss eingebettet ist. In neu errungenem Einverständnis mit der christlichen Lehre blickt er mit verzückter Miene zum Himmel empor, von dem die Heilig-Geist-Taube inmitten einer hellgelben, nach unten zugespitzten Aura herabschwebt. Neben Agnes gebührt der manieristisch anmutenden Gestalt des Präfekten besondere Beachtung. Überrascht von der wundersamen Errettung seines Sohnes neigt dieser sein Haupt und blickt gebannt

auf die Heilige, vor der er in konkav durchgebogener Haltung ebenso respektvoll wie erschrocken zurückweicht – eine Reaktion, die sich auch in der fluchtbereiten Geste seiner nach rechts ausscherenden Arme niederschlägt. Rechts im Vordergrund knien zwei extrem dunkel gekleidete, ehrfürchtig staunende Männer, die die Kopfneigung des Präfekten wiederholen und zusammen mit der über ihnen ähnlich vorgebeugten Frauenbüste einen stroboskopischen Effekt bilden, der dem Gemälde eine dynamische Begleitnote verleiht. Laut Krischel hat Tintoretto hier die Brüder Tommaso und Gasparo Contarini als Zeugen des Wunders porträtiert.473 Bezüglich der Struktur des Figurenensembles nimmt die hoch aufragende Gestalt des dunkelkarminrot gekleideten Präfekten eine gravierende Stellung ein. Dies manifestiert sich vor allem in seinem linken Mantelsaum, dessen weit ausholender Bogenschwung, die Bildachse überquerend, sich unterhalb der Heiligen fortzusetzen scheint und gemeinsam mit den am linken Bildrand aufgetürmten Figuren eine U-förmige, die Wundertäterin bergende Struktur hervorbringt. Räumlich nur geringfügig zurückversetzt folgen zahlreiche Zuschauer, die in frommer Ergriffenheit auf die Heilige niederblicken und mit ihren leicht segmentbogig aneinandergereihten Köpfen die U-Form in Gestalt einer die künftige Märtyrerin umschließenden Mandorla ergänzen. Daraus resultiert eine räumlich völlig undurchlässige Flächenhaftigkeit der Figurenkomposition, deren düstere, ausschließlich durch gebrochene Farbtöne gekennzeichnete und nur von Agnes’ Lichtgestalt gemilderte Stimmung durch die extrem abgedunkelte, ein Drittel der Bildfläche umfassende Wand noch verstärkt wird. Wenn Coletti dem Gemälde generell eine „außerordentlich reiche Farbenpracht“ attestiert, dann lässt sich dieser undifferenzierte Koloritbefund lediglich für die obere Bildhälfte aufrechterhalten.474 Dort dominiert eine ungewöhnlich helle, auf dem Dreiklang Gelb, Hellblau und Weiß basierende Farbgebung, die – abgesehen von der Lichtgestalt der Hl. Agnes – mit dem Dunkel in der unteren Bildhälfte in kaum noch überbietbarer Weise kontrastiert. Ohne jeglichen Anspruch auf Tiefenräumlichkeit erhebt sich unmittelbar über der Figurenszene eine breit gelagerte, kulissenhaft anmutende Säulen- und Blendarkadenreihe, deren Helligkeit zum Weiß der Heiligen Bezug nimmt. Darüber öffnet sich ein mit einem Wolkenschleier versehener Himmelsausblick, vor dem vier große, hellblau gekleidete Engel, durchdrungen von der hellgelben Aura der Heilig-Geist-Taube, niederschweben. Hinsichtlich der Wahl des Hellblau vermutet Krischel eine Anspielung auf die gleichfarbige Ordenstracht der Kanoniker von San Giorgio in Alga, denen auch Tommaso Contarini angehörte und die man im Volksmund als „Celestini“ (= die Himmelblauen) benannte.475 Die beiden spiegelsymmetrisch angeordneten Engel überbringen Agnes die Märtyrerkrone, damit deren Tod durch das Schwert vorgreifend. Der Legende zufolge war das Wunder, das die Heilige vollführte, nicht imstande, sie vor dem Martyrium zu bewahren. Die perspektivisch kopfüber ins Bild stürzenden Engel entsprechen auch hinsichtlich ihrer Arm- und Beinhaltung der vom Himmel herabfliegenden Figur des Evangelisten Markus im Sklavenwunder von 1548, für einige prominente Forscher (wie etwa Tietze und Berenson) Anlass genug, das Agnes-Wunder in die frühe Schaffensperiode Tintorettos zu datie-

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ren. Dabei wird übersehen, dass der Künstler nicht selten noch Jahrzehnte später auf früh entwickelte Figurenmodelle zurückgegriffen hat. Darüber hinaus gibt es noch andere Argumente, die einer Frühdatierung des Gemäldes widersprechen: zum einen den Hinweis Pallucchinis auf den links oben aufrecht schwebenden Engel, der eine Affinität mit dem Erzengel der Berliner Verkündigung (von De Vecchi um 1575, von Pallucchini um 1578 datiert; 1945 zerstört) aufweist, zum anderen Colettis Konstatierung einer (allerdings auf die obere Bildhälfte begrenzten) hellen, veronesisch-metallischen Klangfarbe.476 Zuletzt sei an das äußerst dunkle, buntfarbenresistente, ausschließlich gebrochene Kolorit in der unteren Bildhälfte erinnert, das häufig mit dem Umkreis der düsteren Versuchung des Hl. Antonius (1577; San Trovaso) assoziiert wird, auch ein Indiz für eine Datierung des Agnes-Wunders in die Zeit vor 1578, mit Spielraum bis etwa 1570. Innerhalb der hier besprochenen Schaffensperiode zählt die Versuchung des Hl. Antonius (San Trovaso, Venedig) zu Tintorettos dynamischsten, mithin ausdrucksstärksten Altarbildern. Zudem erfüllt der Künstler hier in geradezu exemplarischer Weise die für eine ganzheitliche Bild-Gestalt kontextuell erforderlichen Bedingungen. Laut Inschrift auf der Altar-Grabplatte bestellte Antonio Milledonne (einflussreicher Sekretär des „Consiglio dei Dieci“) 1577 das Gemälde als Altarbild für seine Grabkapelle in San Trovaso. „Weder Maler noch Auftraggeber mochten der Versuchung widerstehen, dem Hl. Antonius die Züge des Antonio Milledonne zu geben“, schreibt Krischel.477 Coletti und Von der Bercken haben die strukturellen Grundelemente des Gemäldes in knappen Notizen treffend auf den Punkt gebracht. Während ersterer „eine geschickte Zusammensetzung von gegensätzlichen Bewegungen der Frauenund Dämonenkörper, die sich verschlingen“ registriert, spricht Letzterer von einer „Zusammensetzung der Komposition aus Kurven, die sich gegenseitig nähern und fliehen, gelegentlich auch kreuzen.478 Ergänzend sei hinzugefügt, dass diesen dynamischen Merkmalen die aus zwei sich überkreuzenden Diagonalen bestehende Form des Andreas-Kreuzes als strukturelles Grundgerüst dient – ein höchst dynamisches Kompositionsschema, das sich zur Darstellung zentrifugaler Ausdruckskräfte besonders eignet. Trotz vorgerückten Alters ist der Hl. Antonius als herkulischer Halbakt dargestellt. Wie seine kräftig ausgreifende, an eine hektische Fluchtbewegung erinnernde Schrittstellung verrät, ist er keineswegs bereit, den Verführungsversuchen der vier chiastisch angeordneten, ihn hermetisch abriegelnden Dämonen zu erliegen. Im Bestreben diesen zu entkommen, blickt er emphatisch zu Christus empor, um mit seiner angehobenen Rechten dessen Hilfe zu erflehen. Analog zum Hl. Markus im ersten Sklavenwunder durchbricht der Erlöser das Gewölbe des Firmaments und stürzt in Gegenrichtung zum Evangelisten kopfüber in den Abgrund, das Haupt ähnlich verkürzt und tief verschattet. Von der Vehemenz seines Flugs zeugt sein schwarzblauer, segelartig aufgeblähter Mantel. Unter ihm öffnet sich der in dumpfes Goldgelb getauchte Himmel. Seinem Haupt entspringen Strahlen, die ihm eine Lichtaura verleihen. Der nach unten weisende Arm des Heilands kommt mit der Hand des Heiligen fast in Berührung und leitet einen Bewegungs-

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strom ein, der sich in der Arm- und Schulterkontur des Eremiten fortsetzt und als S-förmige Kurvatur bis in den rechten unteren Bildbereich absinkt. Unter den vier Dämonen sticht die linke, am stärksten vom Licht erfasste Verführerin besonders hervor. Im Gegenzug zum schräg ausgerichteten Heiligen neigt sie sich bogenförmig in Gestalt einer manieristischen figura serpentinata zum Bildrand und ist im Begriff, ihm die Kleidung vom Leib zu reißen, wobei der schräg geführte straff gespannte Saum des dunkelvioletten Gewandstücks als markantester Bestandteil des bereits erwähnten, kompositionell besonders relevanten Andreas-Kreuzes in Erscheinung tritt. Die sich in die weggezerrte Stoffbahn des Heiligen hüllende Verführerin gibt sich mit ihrer Perlschnur und Goldkette als allegorische Verkörperung der Habgier zu erkennen. Ihre sich eng an den Eremiten schmiegende Gefährtin ist barbusig und mit geheimnisvoll verschattetem Antlitz wiedergegeben und symbolisiert, wie auch das ihr beigegebene Flammenbündel bezeugt, die Wollust. Zu ihren Füßen liegt, in die Bildecke gedrängt, ein braunhäutiger, fast gänzlich vom Dunkel absorbierter Dämon, der mit seiner emporgereckten Rechten das partiell vom Licht akzentuierte Lendentuch des Heiligen Antonius zu lösen sucht, eine Entblößungsaktion, auf die die „Wollust“ erwartungsvoll mit gespannter Miene niederblickt. In der linken, auf den unteren Bildrand gestützten Hand hält der Dämon ein zerfleddertes Büchlein, anscheinend bestrebt, den Heiligen zum Studium ketzerischen Schrifttums zu verleiten. Analog zu den diagonal verspannten Frauenfiguren zeigt sich hinter beziehungsweise über der „Habgier“ ein zweiter Dämon, der völlig verschattet mit teuflisch gehörntem Haupt in Rückenansicht dargestellt ist und wie seine Gefährtin, mit der er einen heftigen HellDunkel-Kontrast bildet, dem bereits halbnackten Körper des Eremiten ein weiteres Gewandteil in schräger Richtung entreißt, womit Jacopo einmal mehr dem dominanten Strukturmuster des Andreas-Kreuzes Rechnung trägt. – Wie schon im Agnes-Wunder angedeutet herrscht über dem Ganzen eine beklemmende Düsternis, die lediglich durch das helle Inkarnat der „Habgier“ und das Goldgelb des Himmelsausschnitts gemildert wird. Dagegen kann sich selbst das nur schwach ausgeprägte Karminrot am Kleid Christi kaum behaupten. Im Übrigen dominiert eine fast schon monochrom anmutende, aus Abstufungen von Grau, Schwarz, Braun und Ocker kompilierte Farbgebung, in der sich bereits die Tendenz zu einer farbaufzehrenden Koloritauffassung ankündigt, wie sie in etlichen Gemälden der Sala superiore in der Scuola di San Rocco vollends zum Durchbruch gelangt. Trotz intensivster Tätigkeit befand sich Tintoretto auch in den 70er-Jahren in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Meist bescheidene Honorarforderungen und vor allem, so Emmrich, die „Generosität gegenüber der Scuola di San Rocco hatte ihren Preis“.479 Indessen durfte sich der Künstler von staatlichen Stellen größere Erträge erhoffen. Mittlerweile aber war bereits etwa ein Jahrzehnt verstrichen, seit er die Protektion des Dogen Girolamo Priuli genoss und dieser ihm den Auftrag erteilte, ein Deckengemälde-Ensemble für den Atrio quadrato im Dogenpalast zu schaffen. In der Folge drohten die Kontakte mit der Führungsetage der Republik zu erlahmen, worauf Jacopo abermals – wie schon zuvor in der Scuola di San Rocco – auf die probate Idee kam, für die Sala dello Scrutinio im Dogenpalast auf

unentgeltlicher Basis ein Gemälde zu liefern – ein günstiges Angebot, das der Senat bereitwillig zur Kenntnis nahm. Dabei handelt es sich um eine monumentale Darstellung der Schlacht von Lepanto, die Tintoretto dem Rat der Zehn am 27. September 1574 mit folgendem beigefügten Kommentar überreichte: „Als ich die glückselige Nachricht von unserem ruhmreichen Sieg erhielt […], entschloss ich mich doch, einen großen Teil dessen, was für lange Zeit meiner armen und Gott ergebenen Familie Lebensunterhalt […] vergönnt hatte, daran zu geben, um das Bild jener triumphalen Schlacht zu machen.“480 Tragischerweise fiel das Gemälde, an dem der Künstler zehn Monate arbeitete und dem nur wenige Jahre später in der Sala del Maggior Consiglio vier weitere Schlachtenbilder folgten, dem Brand von 1577 zum Opfer. Die Schenkung der Schlacht von Lepanto nahm Jacopo zum Anlass, in einem Schreiben an den Rat der Zehn abermals auf seine finanziell geschwächte Situation zu verweisen: „Dass Ihr dies mein geringes Geschenk annahmt, zeigt mir Eure Großmut und gab mir die Gewissheit, dass Eure erlauchten Herrlichkeiten nicht verfehlen werden, mir zu helfen, damit ich dank Eurer Huld fortfahren kann zu leben und Euch zu dienen.“481 Bestandteil des Schreibens war auch die Bitte um Genehmigung der ein sicheres Einkommen versprechenden Maklerstelle am Fondaco dei Tedeschi, ein Ansuchen, das der Zehnerrat, die mächtigste Institution der Republik, bewilligte. Tintorettos ehrenvolle Stellung am Fondaco sowie dessen sprichwörtliche Großzügigkeit in Honorarfragen beeindruckten sowohl den Senat als auch die Nachfolger des Dogen Priuli, die den Maler fortan mit wichtigen Aufgaben im Dogenpalast betrauten, an dessen weiterer Ausgestaltung er – häufig von Gehilfen unterstützt – gemeinsam mit Paolo Veronese den größten Anteil hatte. Gleich nach dem Brand von 1577 schuf Jacopo die Deckenmalerei der Sala delle Quattro Porte mit dem Gemälde Jupiter proklamiert Venezia zur Königin der Adria im Zentrum, eine eher mediokre, mit Werkstattbeteiligung ausgeführte Komposition.482 Den Höhepunkt der Arbeiten für den Dogenpalast bildet der in den Jahren 1577 und 1578 entstandene, aus vier Bildern bestehende Zyklus mythologischallegorischer Szenen für den Atrio quadrato, den Tintoretto, wie schon erwähnt, bereits mehr als ein Jahrzehnt zuvor im Auftrag des Dogen Priuli mit Deckenmalereien ausgestattet hatte. Seit 1716 befinden sich die vier Gemälde im Anticollegio, dem Vorraum zum Audienzsaal des Dogen.483 Der Atrio quadrato, in den die Scala d’ Oro mündet, diente als Vestibül und sollte – gemäß der offensichtlichen Erwartungshaltung des Senats – ausländische Besucher (vor allem Botschafter) nach dem beschwerlichen Treppenaufstieg schon vor dem Betreten der zahlreichen Prunksäle mit Spitzenwerken venezianischer Malerei beeindrucken. Den in Kunstangelegenheiten meist unerfahrenen auswärtigen Repräsentanten entsprechend, wusste diesem Umstand Tintoretto Rechnung zu tragen, indem er sich – auf manieristische Experimente weitgehend verzichtend – einer eher konservativen Malweise befleißigte. Wie schon des Öfteren erwähnt, fand sich der Künstler durchaus bereit, sich den stilistischen Sonderwünschen jeweiliger Auftraggeber bisweilen anzupassen. „Die Figuren sind im Vergleich zu den früheren manieristischen be-

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tont schön gestaltet“, schreibt Swoboda und prägt dafür den Begriff eines „neuen schönen Stils“.484 Im Gegensatz zur Düsternis der meisten Werke in den 70erJahren steht Jacopos Bilderzyklus im Zeichen einer ausgeprägten Helligkeit. Hinzu kommen eine „klassische“ Note (Swoboda) sowie eine ungewöhnliche Detailtreue, alles Elemente, die eine Nähe zu Paolo Veronese verraten, der schon zwei Jahre vor Tintorettos Engagement (kurz nach dem ersten Brand von 1574) mit der malerischen Deckenausgestaltung in der Sala del Collegio begonnen hatte. Vielleicht hat Jacopo schon von Beginn an mit Veroneses Berufung als Schätzmeister gerechnet. Das mit 26. Juli 1578 datierte Gutachten, an dem auch Palma il Giovane beteiligt war, fiel positiv aus, wobei die Honorarfrage mit der Auszahlung von insgesamt 200 Dukaten geregelt wurde, ein „verhältnismäßig fairer Preis“, wie Krischel konstatiert. Der im Vergleich mit Tintorettos sonstigen Werken des achten Jahrzehnts erstaunlich hohe Vollendungsgrad des Zyklus war auch dadurch präjudiziert, dass die Bilder hellem Tageslicht ausgesetzt waren und angesichts des klein dimensionierten Atrio quadrato von den auswärtigen Besuchern und Gesandten aus nächster Nähe betrachtet werden konnten.485 Zu Recht spricht Swoboda von „Kabinettbildern“, denen „die Ausbreitung der Figuren im vorderen Bildplan gemeinsam ist“. – Das Programm des Zyklus, das schon Ridolfi ausführlich beschrieben und hinsichtlich seiner reichen Symbolik gedeutet hatte, ist eine einzigartige Verherrlichung des Ruhms, der Macht und diplomatischen Staatsräson Venedigs, zudem, so Pochat, ein zeitgenössisches Dokument der „Einheit und der Eintracht der venezianischen Führungsschicht“. Laut Emmrich „übertrifft die Kraft der psychologischen Durchdringung alles, was die Kunst zu diesem Gegenstand bisher geleistet hatte.486 Letzteres betrifft meines Erachtens auch das sonstige Œuvre Tintorettos, in dem sich kein weiteres Werk ausfindig machen lässt, das sich mit der Vielschichtigkeit des ikonologischen Programms (zum Beispiel der Einbeziehung der Jahreszeiten und Elemente) beziehungsweise dessen Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten in den Bildern des Atrio quadrato messen könnte. Vorweg sei erwähnt, dass sich Tintoretto bezüglich des hermeneutischen Gehalts der mythologisch-allegorischen Figuren vornehmlich an Vincenzo Cataris Handbuch „Le imagini dei Dei de l’ antichi“ (in der illustrierten Fassung ab 1571 erschienen), das auch bei anderen Künstlern hoch im Kurs stand, orientiert hat. Wie die meisten Autoren beginnen wir mit dem Gemälde Die drei Grazien und Merkur, zumal sich darin unter anderem auch der Beginn des Jahreskreislaufs, der Frühling, als symbolische Anspielung manifestiert.487 Die drei Grazien stehen unter dem Schutz Merkurs, der als Gott des Handels auf Venedigs merkantilen Vormachtanspruch im östlichen Mittelmeerraum verweist und zugleich als flugtüchtiger Götterbote das Element der Luft symbolisiert. Dargestellt ist der Moment, in dem sich die Grazien aus ihrer labilen Ruhestellung sukzessiv aufrichten, um Merkurs Appell zum Aufbruch Folge zu leisten. Laut Cartari verkörpert Merkur als Begleiter der Grazien die Vernunft und die wohlüberlegte Rede; Letztere ein wichtiges Element venezianischer Diplomatie. Außerdem weist die Gegenwart Merkurs, so Krischel, darauf hin, „dass die venezianische Obrigkeit ihre Wohltaten („grazie“) und ihre Liebe [symbolisiert durch die Rose der mittleren Grazie] mit

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Vernunft verteilt – das heißt nach Verdienst und Würdigkeit“.488 Grundsätzlich verkörpern die Grazien charakteristische Wesenszüge der Serenissima (= der heiteren beziehungsweise durchlauchten Seerepublik). Emmrich identifiziert die linke Frauengestalt als Aglaia, die Grazie des „Glanzes“, die, so die Autorin, „der Fortuna, der Göttin des glücklichen Zufalls verwandt zu sein scheint, wie der ihr beigegebene Würfel des Glücksspiels andeutet“. In der mittleren Figur glaubt Emmrich Euphrosyne, die Grazie des „Frohsinns“ (mit der Rose in der Hand), zu erkennen. Die rechte ist demnach Thaleia, die mit ihrem weißen Schleier, der Lilie und dem Myrtenzweig sowie dem üppigen, zu ihren Füßen ausgebreiteten Pflanzenwuchs für das „blühende“ Staatswesen steht.489

118 Tintoretto, Die drei Grazien und Merkur, Öl auf Leinwand, 146 x 155 cm, Venedig, Dogenpalast

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Pochat zufolge „ist die Anordnung der drei Grazien, nach klassischem Vorbild, wie wir sie von Botticelli und Raffael her kennen, hier dynamisch umgestaltet worden“.490 Seinen Niederschlag findet dies in der parallelen Schrägstellung der drei Figuren, wobei die mittlere mit der von links oben fallenden Bilddiagonalen exakt übereinstimmt. Hinzu kommt, dass die Grazien mittels Gebärdensprache miteinander verknüpft sind und wie unter dem Dirigat Merkurs einen Rhythmus anklingen lassen, der beinahe an einen „Reigentanz“ (Emmrich) erinnert. Das Ganze ist eine einzigartige Hymne auf die weibliche Schönheit, die Jacopo mit geradezu musikalischer Verve dahingehend zum Ausdruck bringt, dass er die Frauengestalten in unterschiedlichen Ansichten zur Darstellung bringt, und damit zugleich auf den in der Renaissance grassierenden Paragone-Streit (= Rangstreit) anspielt, demzufolge die Malerei insofern über die Plastik dominiert, als sie allein imstande ist, ein Motiv (hier eben den weiblichen Akt) von allen Seiten simultan abzubilden. Obwohl die links unten in Rückenansicht wiedergegebene und gegenüber ihren Gefährtinnen etwa um einen Schritt räumlich vorgelagerte Grazie Aglaia sich in ihrer Repoussoirfunktion als Einstiegsfigur anbietet, ist auch die von Von der Bercken präferierte, von rechts oben nach links unten weisende Leserichtung – im Sinne eines ambivalenten Bildzugangs – in Erwägung zu ziehen, speziell dann, wenn man dem Dynamikpotenzial des Gemäldes gerecht werden will.491 Damit ist Thaleia angesprochen, die – am höchsten platziert sich in Dreiviertelansicht zeigt und sich nur mit dem Oberkörper den Schrägen ihrer Schwestern anpasst – als erste dem Wink Merkurs folgend, im Begriff ist, sich aufzurichten. Unter den Myrtenzweig geneigt empfängt sie Euphrosynes ausgestreckten linken Arm, den Blick als Grazie des „Blühens“ auf deren Rose gerichtet. Von Thaleia geht ein sanfter Bewegungsstrom aus, der sich – verursacht durch die Höhenabstufung der Gefährtinnen und die spitzwinkelige Kontaktnahme mit Euphrosynes Bein – als stroboskopischer Effekt niederschlägt, dessen Wirkung allerdings durch das seitengleiche, somit richtungslose quadratische Bildformat etwas reduziert ist. Zwischen den beiden Frauen öffnet sich eine nur vage angedeutete Landschaft, deren helles Blau sich am Firmament wiederholt. Die nach links kippende Stroboskopie droht das Gleichgewicht der Komposition zu stören. Um dem zu begegnen, hat Jacopo der Aglaia, die kniend fest im Erdreich verankert ist und mit der rechten Körperkontur, dem linken Arm und rechten Unterschenkel eine stabilisierende Dreiecksstruktur bildet, eine exakt in die Bildecke eingefügte, gleichgewichtssichernde Stützfunktion verliehen. Mit dem zwischen Aglaias Oberschenkel geklemmten Tuch, das mit seiner wild zerklüfteten Faltengebung beinahe ein Eigenleben entfaltet und sich eng an deren Gesäßkonturen schmiegt, bringt der Maler eine erotische Note ins Spiel. Das getrübte Karminrot des Tuchs wird, wie die zahlreichen weiß gehöhten Faltenstege bezeugen, weitgehend vom Licht absorbiert. Im Übrigen ist generell eine geradezu radikale Suspendierung gesättigter Buntfarbwerte zugunsten einer vorherrschenden Lichtmalerei charakteristisch. Aglaias Haltung – das allein sichtbare rechte Bein abgewinkelt schräg in den Raum weisend, der Oberkörper in die Fläche projiziert und das Haupt aus der Körperachse nach rechts gedreht – bezeugt eine Nähe zum Manierismus, wobei eine

gewisse Affinität zu manchen Ignudo-Darstellungen Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle unverkennbar ist. Im Gegensatz zu den beiden anderen Grazien ist Aglaia beinahe zur Gänze ins Licht gesetzt, nur sehr geringfügig von hellgrauen, transparent aufgetragenen Schattenpartien gestreift. Demgemäß bot sich hier Tintoretto in besonderer Weise die Gelegenheit, seine Meisterschaft im Umgang mit der Inkarnatsfarbe zu beweisen. Vorherrschend ist ein mit unabwägbaren Farbwerten changierender Rosaton, der der Haut einen kühlen, fast schon porzellanenen Schimmer verleiht und im Gewölk des Himmels wiederkehrt. Dazu generell Coletti: „Die Reinheit der Akte ist von der Reinheit rosigen Marmors, modelliert mit aschfarbigen Schatten, die die Oberfläche glätten.“492 Euphrosyne, die ihre Rechte auf Aglaias Schulter legt und dadurch – gemeinsam mit dem dunkelbraunen Mantel, der auch auf ihre Begleiterinnen übergreift – für einen kontinuierlichen, wellenartigen, somit ornamental anmutenden Zusammenschluss der drei Grazien, der drei Töchter des Zeus und der Eurynone, sorgt. Die frontal und in straff duchgestreckter Körperlänge dargestellte Grazie des „Frohsinns“ (Euphrosyne), die sich wie bereits erwähnt genau mit der diagonalen Bildachse deckt und im fragmentarisch wiedergegebenen, exakt in die linke Bildecke eingefügten Merkur ihre „gute“ Fortsetzung findet, beeindruckt neben ihrem untersichtigen, geradezu waghalsig verkürzten Antlitz nicht zuletzt durch ihr fleckenhaftes, hell-dunkel rhythmisiertes Inkarnat, das einen nahezu prä-impressionistischen Eindruck hervorruft. Als Ursache dafür ist die außerhalb des Bildes situierte, das von oben einfallende Licht filternde Baumkrone vorstellbar. Als Resümee: Obwohl sich Aglaia von ihren Schwestern räumlich deutlich in den Vordergrund absondert, spiegelt sich in der Gesamtanlage des Gemäldes der vorrangige Wille des Künstlers zur Dominanz einer „ornamentalen“ (Hetzer) Flächenkomposition. Dafür sprechen mehrere Komponenten: zum einen der Gestaltfaktor der Ähnlichkeit, der sich in der koloristischen Gleichartigkeit der Inkarnate und der diagonalen Ausrichtung der Figuren niederschlägt, zum anderen der Faktor der durchlaufenden Linie beziehungsweise guten Fortsetzung, wie er in der kontinuierlichen, einheitsstiftenden Verbindung der Arm- und Schulterkonturen der Grazien manifest wird, zudem in der symmetrischen Anordnung der fast die gesamte Malfläche füllenden Figuren und schließlich auch der beinahe völlige Verzicht auf die Einbeziehung eines raumgreifenden Hintergrunds. Das zweite, schon von Ridolfi am meisten geschätzte und eingehend beschriebene Gemälde zeigt Die Vermählung Ariadnes mit Bacchus durch Venus493 und symbolisiert, wie Bacchus’ Weinlaubkränze verraten, den Herbst und das Wasser, jenes Element, auf dem die Seefahrer-Republik Venedig ihre Macht begründet. Zur Vorgeschichte der Szene: Aus Liebe zu Theseus schenkt Ariadne dem Helden einen Wollknäuel, mit dessen Hilfe er den Rückweg aus den Irrgärten des Labyrinths findet, worauf er der kretischen Königstochter die Ehe verspricht. Auf der Rückfahrt nach Athen entführt Theseus Ariadne, lässt sie jedoch auf der Insel Naxos einsam zurück.494 Im Gemälde erscheint Bacchus der Verlassenen, wirbt um sie und überreicht ihr einen Ring. Anders als Tizian in seinem gleichnamigen Bild (London, National Gallery) stellt Tintoretto allerdings nicht des Bacchus stürmische „Liebe

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119 Tintoretto, Die Vermählung Ariadnes mit Bacchus durch Venus, Öl auf Leinwand, 146 x 167 cm, Venedig, Dogenpalast

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auf den ersten Blick“ dar, sondern eine zeremonielle Eheschließung, an der Venus wesentlichen Anteil hat, indem sie Ariadne mit dem Sternenkranz, der Corona borealis (= nördliche Krone) bekrönt, jenem von Bacchus als Brautgabe gedachten Sternbild, das der Königstochter die Aufnahme in den Götterhimmel verheißt.495 Wie schon bei den drei Grazien öffnet sich auch hier ein reiches Feld ikonologischer Konnotationen, mit dem sich insbesonders Tolnay befasst hat. So verweist der Autor auf den Ring als Zeichen der symbolträchtigen Vermählung Venedigs mit der Adria, jenen Ring des Hl. Markus, der, von einem Fischer gefunden, dem Dogen überreicht wurde und durch den Ariadne hier zum Sinnbild des aus dem Meer geborenen Venedigs wird.496 Ariadne thront in gelassener Haltung, leicht ins Bild gedreht, auf einem sich über dem Meeresufer wölbenden Erdhügel, das Haupt in verschattetem Profil dem sich nähernden Bacchus zugewandt. Das sie hinterfangende braunrote Ehrentuch

verweist auf ihre Doppelfunktion: einerseits als mythologische Figur, andererseits als allegorische Verkörperung der Venezia. Im Blau des wellenartig über ihren Schoß drapierten Mantels manifestiert sich ihre Verbundenheit mit dem adriatischen Meer, dessen blassblauer, flächig-homogen gemalter Spiegel unter hohem Horizont – eher kulissenhaft als räumlich wirksam – die Szene foliiert und nahezu unmerklich zum fast gleichfarbigen Firmament überleitet. Kaum noch erkennbar entschwindet Theseus’ Schiff am Horizont. Obgleich der Mantel den Schoß der Verlassenen verhüllt, signalisieren deren gespreizte Beine eine deutliche Bereitschaft, den Weingott zu empfangen. Über diesem schwebt Venus, die, mit ihrem Gesäß Bacchus’ Haupt berührend, in schwungvollem Bogen die Liebenden miteinander verbindet und strukturell halboval zusammenfasst. Die Arme flügelgleich weit ausgespannt, ist die Göttin als Rückenakt dargestellt, der, großteils mit einem transparent anmutenden Grauschleier schattiert, mit Ariadnes blühendem Inkarnat kontrastiert. Während sie mit der Rechten das Haupt der Verlassenen bekrönt, sucht sie mit der Linken deren Hand zu stützen, wie um sie zum Empfang des von Bacchus dargebotenen Verlöbnisrings zu animieren. Analog zu den Drei Grazien bilden die Arm- und Schulterlinien der beiden Frauen ein rhythmisch in Kurven und Schrägen verlaufendes Kontinuum, dessen flächenspezifisch „ornamentaler“ Charakter unverkennbar ist. Auch der sich wie unter der Last der Venus ehrerbietig verneigende jugendliche Bacchus ist mit seinen S-förmig schwingenden Armen an diesem „ornamentalen“ Kompositionsmuster beteiligt, das durch intermittierend eingesetzte, sich überkreuzende Diagonalen gestrafft beziehungsweise zentriert wird. Letztere zeigen sich etwa an Ariadnes durchgestrecktem Arm, dessen Richtung im abgewinkelten Unterarm des Weingotts seine Fortsetzung findet, weiters am linken Unterarm der Venus, dessen Schräge am rechten Unterschenkel Ariadnes erneut aufscheint. Tritt im symmetrisch angelegten Gemälde mit den drei Grazien das Bildzentrum in der Gestalt der Euphrosyne dominant zutage, so bleibt dieses – einem „Mikrothema“ (Arnheim) gleich – im Verlöbnisbild den drei genau den geometrischen Mittelpunkt der Bildfläche markierenden Händen der Protagonisten vorbehalten. Im Ganzen gesehen handelt es sich um ein in seiner Komplexität kaum noch überbietbares Kompositionsschema, dessen eigentümliche Dynamik sich in den Speichen eines zeitlos rotierenden Rades niederschlägt. Ähnlich – wiewohl mit einem problematisch peijorativen Beigeschmack – hat dies auch Von der Bercken gesehen, wenn er schreibt: „Kaum ein anderes Bild Tintorettos hat einen derartig artistisch-spielerischen Charakter, man kann fast von einer Vergewaltigung des Gegenständlichen zu einem kompositionellen Zweck sprechen. Das Bild ist mit einem Turbinenrad zu vergleichen, der Punkt, an dem die Hände sich nahekommen, wirkt als Angelpunkt.“497 Abgesehen davon, dass der Autor mit dem Wort „Vergewaltigung“ wohl etwas danebengreift und man die Bezeichnung „artistischspielerisch“ ohne Weiteres durch den Begriff „manieristisch“ ersetzen kann, ist seiner Stellungnahme durchaus beizupflichten. Zitiert sei schließlich ein Satz von Emmrich, der die emotionale Stimmungslage des Bildes wie folgt charakterisiert: „Was Tintoretto in diesem Gemälde durch Haltung und Gebärden, durch die kom-

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positorische Beziehung der Figuren darstellte, ist die Geschichte von Leid, aufkeimender Hoffnung, beginnendem Vertrauen, von Liebe und Hingabe.“498 Im dritten Gemälde des Zyklus ist die Vertreibung des Mars durch Minerva dargestellt, wobei sich zu Merkur und die Grazien insofern eine Analogie abzeichnet, als die drei Hauptfiguren ähnlich symmetrisch angeordnet und räumlich nur gering gestaffelt sind. Unterschiedlich ist indes der Umstand, dass sie nicht als parallele diagonale Geraden, sondern – wiewohl der gleichen Bewegungstendenz folgend – als Kurven ausgebildet sind. Wie die Grazie Euphrosyne beherrscht Minerva das Bildzentrum. Als Göttin der Weisheit beziehungsweise Verkörperung kluger venezianischer Diplomatie hält sie den Krieg von der Lagunenstadt fern, indem sie die rechte Hand schützend auf die Schulter ihrer halbnackten Begleiterin, der allegorischen Figur des Friedens, legt und mit ihrer Linken den Kriegsgott Mars aggressiv wegstößt. Die Gestalt der in dunklem Ultramarinblau gekleideten Minerva ist, einem gespannten Bogen gleich, in C-förmigem Umriss wiedergegeben und sorgt mit ihren ausgestreckten Armen für einen stringenten Zusammenhalt der Figuren. Während das rechte Bein der Göttin ins Dunkel zurücktritt beziehungsweise zum Teil von der Pax überlagert wird, bezeugt der grell bestrahlte Oberschenkel des linken Beins ihr ebenso elastisches wie energisches Auftreten. An der Schulter Minervas lehnt eine streng vertikal ausgerichtete rote Lanzenstange, die genau der Goldenen Schnitt-Linie entspricht und eine strikte Trennung von Krieg und Frieden signalisiert. Zwischen der auch für die Künste und das Handwerk zuständigen Weisheitsgöttin und Mars klafft ein schmaler Spalt, der einen Ausblick auf eine Stadt gewährt, deren Gebäude das Licht der aufgehenden Sonne reflektieren. Die vom Unheil verschonte Stadt im Rücken, flieht Mars in leicht schwankender Bewegung und auf den Angriff der Göttin nur sehr verhalten reagierend nach rechts, auf seine Kontrahentin fast schon ängstlich zurückblickend. Der Kriegsgott trägt eine glänzend schwarze Rüstung und stützt sich auf einen Lanzenschaft, der, schräg gestellt, seine Fluchtbewegung zusätzlich betont. Eng an Minerva geschmiegt und mit ihr durch übergreifende Konturen (= Gestaltfaktor der „guten“ Fortsetzung) nahezu verschmolzen, wiederholt Pax den konvex nach links drängenden Bogenschwung ihrer Schutzherrin. Sie ist als Halbakt frontal und in labil anmutender Sitzstellung dargestellt. Ihr nach links gedrehtes Haupt wird von einem Olivenzweig bekrönt, dessen zackenförmig abstehende Blätter mit den Strahlen der über ihr aufgehenden Sonne korrespondieren. Zu ihren Füßen lagern stilllebenartig verstreute, wie achtlos weggelegte Rüstungsgegenstände, die den Sieg des Friedens über den Krieg bestätigen. Die schön geformte, dem voyeuristischen Blick des Betrachters preisgegebene Schulter- und Brustpartie der Pax ist in gleißendes Licht getaucht. Mit ihrem abgewinkelten Arm umhüllt die Schutzbedürftige die rechte Brust mit einem weißen Tuch. Das Haupt geneigt naht von links eine sonst fast gänzlich vom Bildrand überschnittene Frau, die, das Antlitz völlig verschattet, die entblößte Schönheit ihrer Gefährtin zu bewundern scheint und dieser eine flache, vermutlich mit kostbarer Essenz gefüllte Glasschale darbietet. Wie das zu ihren Häupten platzierte Füllhorn mit einem Obst- und Ährenbouquet bezeugt, handelt es sich nicht, wie bisweilen fälschlich behauptet, um Concordia,

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die Göttin der Eintracht, sondern, dem Text Ridolfis zufolge, um Abbondanza, die Überfluss und Reichtum, zudem auch den Sommer symbolisiert. Kurz: Erst nach der Vertreibung des Kriegsgottes wird das Zusammenspiel von Pax und Abbondanza der Serenissima eine harmonische Eintracht garantieren.499 Dass die Seerepublik auch für den Kriegsfall bestens gerüstet ist, zeigt das letzte Bild der Serie (Vulkan mit den Zyklopen in der Schmiede), das sowohl das Element Feuer als auch – wie die verschneite Landschaft im Hintergrund verdeutlicht – den Winter symbolisiert.500 Anders als in den drei besprochenen Gemälden des Zyklus dominiert hier nicht die „ornamentale“ Flächenkomposition, vielmehr gilt Tintorettos Interesse nun vor allem der Erschließung des Bildraums. Ähnlich sieht dies Von der Bercken, wenn er dem Bild einen „wesentlich geringeren dekorativen Gehalt“ attestiert. Schon problematischer sein weiterführender Kom-

120 Tintoretto, Die Vertreibung des Mars durch Minerva, Öl auf Leinwand, 148 x 168 cm, Venedig, Dogenpalast

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121 Tintoretto, Vulkan mit den Zyklopen in der Schmiede, Öl auf Leinwand, 145 x 156 cm, Venedig, Dogenpalast

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mentar: „Die Rückenfigur erscheint zu dominierend plastisch gegenüber den übrigen Gestalten, die zu sehr als Hintergrundsfiguren wirken.“501 Was hier dem Künstler als Mangel angelastet wird, entspricht dessen Bereitschaft, sein Stilverhalten entweder der Erwartungshaltung jeweiliger Auftraggeber anzupassen oder eigenwillig zu variieren, in diesem Fall jenem manieristischen Gestaltungskonzept folgend, das oft genug ikonographische Hauptgestalten gegenüber Nebenfiguren, Spannung erzeugend, in den Hintergrund verbannt. Demgemäß hat Jacopo die wichtigste Gestalt, den Feuergott Vulkan, nach links hinten versetzt, dicht an den Bildrand gedrängt und aufgrund des beträchtlichen Raumintervalls beziehungsweise Abstandsgefälles beinahe um die Hälfte kleiner als den Zyklopen im Vorder-

grund abgebildet. Dieser ist als Rückenakt wiedergegeben und umfasst trotz seiner knienden Stellung fast die gesamte Bildhöhe. Ziemlich genau an der Symmetrieachse orientiert ist ihm unbestritten die Position eines über allem dominierenden Bildzentrums zugedacht. Die Szene spielt in einer Felsgrotte, von deren dunkelbraunem Grund sich der athletische Zyklop markant abhebt. Sein plastisch herausgearbeiteter, leicht gedrehter und zurückgebeugter Oberkörper, der im Gegenlicht der rechts flammenden Esse großteils in Schatten gehüllt ist, scheint sich, so Coletti, „aus dem Bild heraus zu lehnen“. Wie Tietze überzeugend nachgewiesen hat, lag der meisterlichen Aktdarstellung – insbesonders die gespreizt abgestuften, perspektivisch perfekt verkürzten Unterschenkel des Knienden betreffend – eine nach Luca Signorellis Fresko Die Krönung der Auserwählten („Cappella Nuova“, Dom zu Orvieto; ab 1499) hergestellte Stichreproduktion als Vorlage zugrunde.502 Der Vergleich bezieht sich auf eine im volkreichen Fresko rechts unten kniende Figur, mit der Tintorettos Zyklop – abgesehen von dessen den Hammer schwingenden Armen – in der Tat wörtlich (die Licht-Schatten-Verteilung inbegriffen) übereinstimmt. Bedingt durch den abschüssigen Felsboden ist der zweite, ebenso kniende, indes frontal dargestellte Zyklop – wiewohl nur um einen Schritt zurückversetzt – höher positioniert und erheblich kleiner wiedergegeben. Die Begegnung der beiden Zyklopen entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn dem einen, der mit hoch erhobenen Armen zum Hammerschlag ausholt, der andere wie in Abwehrstellung mit dem schräg gestellten Hammerstiel buchstäblich in die Quere zu kommen scheint, zudem diesem völlig die Sicht verstellt. So gesehen erinnert der Arbeitsvorgang eher an ein unfreiwilliges Duell als an ein gedeihliches Zusammenspiel der Kräfte. Der greise Schmied und sein jugendlicher Geselle sind am Rand der Felsengrotte angesiedelt und im Gegensatz zu den grobschlächtigen Riesen feingliedrig durchgebildet. Ins Licht getaucht und mit dem tiefen Dunkel der Höhle kontrastierend, werden sie vom hellen Blau des Himmels und der Schneelandschaft foliiert und sind – gerahmt vom sich fensterartig öffnenden Wandausschnitt der GrottenWerkstatt – in die tiefenräumliche Erschließung des Gemäldes einbezogen. Vulkan trägt ein Lendentuch, dessen Orangerot das Element Feuer versinnbildlicht und mit dem Blau des Firmaments und dem Hellgrau des von einem Turm bekrönten Hügels einen Kalt-Warm-Kontrast bildet. Anstatt wie die Zyklopen mit ihren Hämmern ungezügelt daraufloszudreschen, sind der Feuergott und sein Gefährte im Begriff, im Licht planender Vernunft mit konzentrierter Miene und sorgsamem Gebrauch von Hammer und Zange ihrer Arbeit nachzugehen. Als Ergebnis ihrer subtilen Tätigkeit sind unter ihnen zwei mit Glanzlichtern versehene Harnische am Boden ausgebreitet. Im Gegensatz dazu stehen die ins Dunkel verbannten Zyklopen im Zeichen irrationaler, im Wortsinn gesichtsloser Gewalt. Bezeichnenderweise sind ihnen nicht für den Abwehrkampf vorgesehene Waffen, sondern Martergeräte zugeordnet, die zum unerlässlichen Inventar des dem Dogenpalast benachbarten Gefängnisses (der sogenannten prigioni) zählen und die man auch als unterschwellige Kritik des Künstlers an einer Geständnisse erpressenden Justiz deuten könnte.

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Vorweg sei betont, dass zwischen der Entstehung der Milchstraße (London, National Gallery) und dem mythologischen Zyklus (Die Schmiede des Vulkan ausgenommen) im Anticollegio des Dogenpalastes bezüglich des vom Licht bestimmten Kolorits eine enge Affinität besteht.503 Ridolfi zufolge war das Londoner Gemälde ursprünglich Bestandteil eines aus vier Bildern bestehenden, von Jacopo hergestellten Zyklus. Da das gleiche Thema als Revers einer von Mandowsky entdeckten Medaille (1562) des Tommaso Rangone aufscheint, ist anzunehmen, dass die literarische Anregung von diesem Förderer Tintorettos stammt. Coletti geht um einen Schritt weiter, indem er in Rangone auch den Auftraggeber vermutet. Als Beweis dafür führt der Autor den Umstand an, dass im unteren, später in Höhe von 90cm abgetrennten Teil des Gemäldes – wie Kopien bezeugen – jene Lilien zu sehen waren, die, zusammen mit den oberhalb der Göttin Juno glitzernden Sternen, auch im Wappen Rangones in Erscheinung treten. Demnach könnte man bezüglich der Datierung des Gemäldes dessen Todesjahr 1577 als terminus ante quem interpretieren. Der ursprüngliche Zustand des Bildes, dessen Verstümmelung wahrscheinlich bald nach dem Ankauf durch den vom venezianischen Kunsthändler Ottavio Strada beratenen Kaiser Rudolf II. erfolgt sein dürfte, lässt sich anhand zweier Zeichnungen rekonstruieren, wobei jene in der Accademia aufbewahrte die Signatur Domenico Tintorettos trägt. Einst hatten dies Loeser und Fogolari zum Anlass genommen, auch das Ölbild dem Sohn Jacopos zuzuschreiben, eine These, die bereits Tietze zurückgewiesen hat, indem er in der Zeichnung lediglich eine Kopie nach dem Londoner Gemälde sah. Was das Bildsujet angeht, sind zwei Quellen in Erwägung zu ziehen: zum einen laut Mandowsky das byzantinische Lehrbuch über Botanik mit dem Titel „Geoponica“ (1533 in Venedig publiziert), zum anderen (so Garas) als wahrscheinlichere Alternative, der von Gregorio Girardi verfasste und 1557 in Modena veröffentlichte „Ercole“. Tietzes Datierungsvorschlag („nach 1562“), der sich auf Rangones Medaille beruft, entbehrt jeglicher stilistischen Grundlage. Die von Pittaluga zur Diskussion gestellte Datierung des Gemäldes („nach 1570“) wurde von Gould und Garas mit Ende des achten Jahrzehnts korrigiert und von Pallucchini und Villa mit 1578–1580 präzisiert.504 Um dem von Zeus mit einer Sterblichen, Alkmene, gezeugten Herakles die Unsterblichkeit zu ermöglichen, legte ihn der Göttervater seiner schlafenden Gemahlin Hera (der Göttin der Ehe und der Geburten) an die Brust, um ihn, gegen deren Willen, zum Adoptivsohn einer Göttin zu machen. Der junge Heros saugt aber so kräftig, dass Hera erwacht und das fremde Kind empört wegstößt. Dabei verspritzt die Göttermilch und ein milchiges Band verbreitet sich über den ganzen Himmel. Die Tropfen, die nicht zur Erde gelangten, bildeten die Sterne der Milchstraße, und dort wo sie auf die Erde fielen, erblühten Lilien, die ursprünglich im unteren, später abgetrennten Bildbereich zu sehen waren.505 Die Szene im fragmentarischen Gemälde gleicht einer Momentaufnahme, in der Zeus – gehüllt in ein karminrotes Kleid – den kleinen Herakles in diagonalem Sturzflug mit ausgebreiteten Armen Hera zuführt. Sein Attribut, der Adler mit dem Blitzbündel, und ein streng parallel zu ihm ausgerichteter, ebenso kopfüber flie-

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gender Erote, scheinen ihn zu stützen. Die Darstellung des Göttervaters ist als fast wörtliche Reprise des gleichfalls vom Himmel niederstürzenden Hl. Markus in der Accademia zu betrachten. Die unter dem heftigen Zugriff des ihr unterschobenen Säuglings eben erwachte und völlig nackt wiedergegebene Göttin ist auf der Gegendiagonalen angeordnet und im Begriff, sich in kurvender Bewegung von ihrem prunkvollen, am Kopfende mit einem goldenen Baldachinvorhang versehenen Lager zu erheben. Ihre dynamische Attitüde und makellose Schönheit wird durch das schmeichelnd modellierende Wechselspiel von Licht und Schatten – harmonisch abgestimmt mit dem hellen Blau des Firmaments und kontrastierend mit dem extrem abgedunkelten Inkarnat des Zeus – zusätzlich betont. Zwischen ihren gespreizten, in Schrittstellung gezeigten Beinen fließt, wie ihrem Schoß entspringend, das Betttuch zu Boden, dessen Weiß auf die Milchstraße anzuspielen scheint

122 Tintoretto, Die Entstehung der Milchstraße, Öl auf Leinwand, 148 x 165 cm, London, National Gallery

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und mit dem Rot des Bettüberwurfs kontrastiert. Am Ende des herabströmenden Bettzeugs ist ein fliegender, von zwei Pfauen (den Attributen der Hera) überhöhter Amor platziert, der mit Pfeil und Bogen auf Hera zielt, anscheinend in der Absicht, in ihr jene Mutterliebe zu wecken, die im Fall eines gewaltsam anvertrauten Säuglings selbst bei der Schutzherrin der Geburten nicht unbedingt zu erwarten ist. Unterstützt von zwei links umherflatternden amorini scheint Amors Bestreben Früchte zu tragen. Dies zeigt sich darin, dass Hera, wie ihr in die Höhe gereckter Arm beweist, bereitwillig ihre Brust freilegt, an der der kleine Herakles einem Vampir gleich gierig saugt. Die dabei verspritzenden Tropfen der Göttermilch sind bereits in Sterne verwandelt und bezeugen als himmlische Emanation die Unsterblichkeit des Helden. Am Ende der 70er-Jahre häufen sich die mythologischen, sinnenbetörend ins Licht getauchten weiblichen Aktdarstellungen. Damit kontrastierend und zeitlich übereinstimmend Tintorettos ausschließlich von religiöser Thematik bestimmte Tätigkeit in der Sala superiore der Scuola di San Rocco, deren zahlreiche, deutlich manieristischer anmutenden Gemälde durchwegs von einer düsteren, meditativ verinnerlichten Farbgebung geprägt sind. Einmal mehr zeigt sich hier die Bereitschaft des Künstlers, sich stilistisch den Erwartungen des jeweiligen Auftraggebers anzupassen oder wie im Fall der Scuola, der gegenüber er sich mit seinen bescheidenen Honorarauflagen ein hohes Maß an künstlerischer Freiheit sicherte, seine eigenen Stilvorstellungen zu realisieren. Besonders eindrucksvoll ist die verführerische, sich durch eine geradezu blühende Inkarnatswiedergabe auszeichnende Nacktheit der Danae (Lyon, Musée des Beaux-Arts), wiewohl deren Datierung und die Frage, ob hier eine eigenhändige Leistung Jacopos vorliegt, umstritten ist. In der Tat haben einige Fachleute, von Pittaluga ausgehend, für eine Autorschaft oder zumindest eine Teilnahme Domenico Tintorettos plädiert, ehe vor allem Pallucchini, darin unter anderem Barbantini, Tietze und Von der Bercken folgend, die Debatte zugunsten Jacopos entschieden hat.506 Auch hinsichtlich der Datierung herrscht Uneinigkeit. Die Bandbreite der Vorschläge erstreckt sich vom Beginn des sechsten Jahrzehnts bis 1585. Erst Pallucchini schafft hier definitiv Klarheit, indem er in der Danae eine merkliche Affinität zu den weiblichen Allegorien des Bilderzyklus des Anticollegio im Dogenpalast konstatiert. Und wenn man dem noch den Verweis auf eine analoge Lichtbehandlung und Farbgebung im Ursprung der Milchstraße hinzufügt, so scheint sich darin der Datierungsvorschlag des Autors mit „1577–1578“ ergänzend zu bestätigen.507 Schon Tizian hatte sich zwischen 1545 und 1555 mit dem Danae-Thema in drei sehr ähnlich komponierten Gemälden auseinandergesetzt – für Tintoretto eine Herausforderung beziehungsweise passende Gelegenheit, der Bildkonzeption des ihm einst wenig gewogenen Altmeisters mit einer eigenständigen Version des Sujets zu begegnen. Während Danae bei Tizian in Seitenansicht liegend dargestellt ist und – wie deren abgewinkelt gespreizte Beine verraten – ihrem olympischen Verehrer Zeus, der sich ihr in Gestalt eines Goldregens nähert, in empfangsbereiter Stellung entgegensieht, präsentiert sie sich in Tintorettos Gemälde in frontaler, am Bettrand sitzend, schräg gestellter Haltung, offenbar noch nicht erkennend,

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123 Tintoretto, Danae, Öl auf Leinwand, 142 x 182 cm, Lyon, Musée des Beaux-Arts

dass hier die Vereinigung mit dem göttlichen Verführer bevorsteht. Verwundert und erschrocken die Arme zur Seite gedreht blickt sie auf ihre Dienerin, die mit ausgebreiteter Schürze den herabrieselnden Goldregen in Empfang nimmt. Im Gegensatz zu Tizian, der Danaes Umriss eher weich fließen lässt, einen dunklen Hintergrund präferiert, gesättigte Buntfarben strikt vermeidet und den Blick rechts in den Freiraum lenkt, fokussiert Jacopo das Licht spotlightartig auf das Objekt göttlicher Begierde, dessen scharf gezogene Konturen die haptische Präsenz der Schönen betonen. Hinzu kommt ein Bekenntnis zu starker Buntfarbigkeit, die sich in den Rottönen der Vorhänge, des Bettbaldachins sowie des Kleids der Dienerin niederschlägt. Zudem spielt die Szene in einem geschlossenen Raum, an dessen Rückwand ein Doppelfenster eingelassen ist, das den Blick auf einen abendlich gestimmten Himmel freigibt.508 Der Umstand schließlich, dass zwischen den Aktdarstellungen der Danae und der Göttin Hera im Ursprung der Milchstraße eine merkliche Affinität besteht, ist – neben Pallucchinis Querverweis auf die beiden ersten Bilder des Zyklus im Anticollegio – ein weiterer Aspekt, der den Datierungsvorschlag (1577/78) des Autors bestätigt. Wie die ungeschickte Platzierung der Mandoline rechts oben sowie die wenig differenzierte Strukturierung des unmotiviert mit den Bildrändern kollidierenden Kleides der Dienerin vermuten lassen, ist eine in der Literatur des Öfteren behauptete Teilnahme Domenico Tintorettos nicht ganz auszuschließen. Als Tintoretto das Thema Tarquinius und Lucretia in zwei Gemälden (das eine gilt als autographes, im Art Institute in Chicago aufbewahrtes Werk, das andere als geringfügig gekürzte Replik) behandelte, nutzte er die Gelegenheit, einen weiblichen Akt mit einem Höchstmaß an erotischer Ausstrahlung zur Darstellung zu bringen. Schon zuvor hatte sich Tizian mit derselben Thematik befasst, und

Abb. 124, S. 238

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124 Tintoretto, Tarquinius und Lucretia, Öl auf Leinwand, 175 x 152 cm, Chicago, Art Institute

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zwar in drei ziemlich ähnlichen Bildfassungen, wobei anzunehmen ist, dass Jacopo zumindest eine davon gekannt hat. Auch Unglaub zufolge dürfte der Künstler das Werk seines Rivalen abermals als künstlerische Herausforderung empfunden haben, vom Ehrgeiz erfasst, diesem eine absolut konträre Version des Sujets gegenüberzustellen.509 Während Tarquinius bei Tizian mit gezücktem Dolch und bekleidet herbeieilt, um die sich verzweifelt wehrende Lucretia zu vergewaltigen, findet sich in Jacopos Gemälde, trotz überschäumender Dynamik, nicht die geringste Spur von Gewaltanwendung – ganz im Gegenteil ist das Paar in Liebe zueinander entbrannt. Im Unterschied zu Tizian, der die beiden ‚Kämpfenden‘ in Seitenansicht streng bildparallel in die Fläche bannt, platziert Jacopo das Liebespaar in diagonaler Richtung, ambivalent sowohl in räumlicher als auch in flächenspezifischer Hinsicht wirksam. Von hinten nähert sich Tarquinius, der im Gegensatz zu Tizians Gewalttäter – abgesehen von einem spärlichen Lendentuch – völlig nackt dargestellt ist und wie im Laufschritt seine Angebetete ebenso stürmisch wie liebevoll umfängt. Über Lucretia gebeugt ist der kraftstrotzende, von heftiger Leidenschaft Besessene in typisch manieristischer Torsion wiedergegeben. In der Hitze des ‚Gefechts‘ hat er die braune Skulptur vom Sockel gestoßen und den Vorhang aus seiner Halterung gerissen, in dessen wild zerklüftetem Faltengewirr verstrickt. Lucretia zeigt keinerlei Anzeichen von Gegenwehr, vielmehr ist sie, wie allein schon ihre zurückgelehnte Haltung verrät, ihrem frenetischen Liebhaber hingebungsvoll zugewandt. Letzteres bezeugen zudem ihr schmachtender Blick, der angehobene linke, ihn zärtlich berührende Arm sowie ihre empfangsbereit gespreizten Beine. Tarquinius’ zudringliches Verhalten hat nur insofern Spuren hinterlassen, als dabei Lucretias Perlenschnur gerissen ist und etliche Perlen bereits zu Boden rieseln. Ein typisch tintorettesker Einfall zeigt sich darin, dass sich eine davon symbolträchtig im Schamtuch der Schönen eingenistet hat. Der in grelles Licht getauchte und im Bauch- und Schambereich in einen weißen, transparent gemalten Seidenschleier gehüllte Körper Lucretias kontrastiert mit dem dunklen Hintergrund, der ihre laszive Nacktheit nur noch mehr betont. Zweifellos ist hier Tintoretto eine der schönsten Darstellungen des weiblichen Akts gelungen. Den Umstand, dass der Künstler Lucretias Haltung in jener der Venus (Venus, Vulkan und Mars, um 1551/52; München, Alte Pinakothek) bis ins Detail gehend vorweggenommen hat, dürften Tietze und De Vecchi zum Anlass genommen haben, das Gemälde Tarquinius und Lucretia – ungeachtet der sonst völlig unterschiedlichen Stillage der beiden Bilder – in das endende sechste Jahrzehnt zu datieren. Angesichts der engeren Affinität der Lucretia mit der Göttin Hera im Ursprung der Milchstraße (1578/80) ist jener These folglich die im rezenten Pariser Ausstellungskatalog vorgeschlagene Datierung „gegen 1580“ vorzuziehen. Pallucchinis mit „tardo periodo del maestro“ nur dürftig begründeter Datierungsvorschlag (1585–1590) könnte mit dem dunklen, fast monochromen und in der Tat Tintorettos Stilauffassung der zweiten Hälfte des neunten Jahrzehnts entsprechenden Umfeld (z.B. Bildhintergrund) des Paares – abgesehen von dessen extrem hellem Inkarnat – zusammenhängen.510

1568–1581

Abb. 122, S. 235

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Abb. 105, S. 202

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Tintoretto als führender Porträtmaler der Serenissima Nachdem Tizian mit dem Bildnis des Jacopo Strada (1567/68; Wien, Kunsthistorisches Museum) sein letztes (überliefertes) Porträt gemalt hatte, reüssierte Tintoretto seit dem Ende der 60er-Jahre zum führenden Vertreter der venezianischen Porträtmalerei, darin auch seinen Konkurrenten Paolo Veronese übertreffend. Schon seit Girolamo Priuli (1559–1567) werden ihm die offiziellen Bildnisse der Dogen anvertraut, und, diesem Beispiel folgend, auch jene zahlreicher prominenter, in der Regel hochbetagter Funktionäre (vor allem Senatoren und Prokuratoren) der Serenissima. Kurz: Tintoretto wird zum bevorzugten Porträtmaler einer politisch-administrativen Führungsschicht, die Finlay mit dem Begriff „Gerontokratie“ treffend umschrieben hat.511 Präjudiziert durch die fortgeschrittene Altersstruktur seiner Auftraggeber zeigte Jacopo ein geradezu leidenschaftliches Interesse an der Darstellung alter Männer, mit deren Physiognomien er sich schon früher – etwa in den Bildnissen Sansovinos und Alvise Cornaros – in ebenso psychologisch eindringlicher wie unbestechlicher Realistik auseinandergesetzt hatte. Der anonyme Porträtierte im Bildnis eines alten Mannes mit Pelz (Wien, Kunsthistorisches Museum) ist halbfigurig in Dreiviertelansicht wiedergegeben und besticht allein schon durch sein weißes Haupt- und Barthaar, das mit dem rötlich warmen Farbton des Gesichts kontrastiert. Den Blick auf den Betrachter gerichtet, scheint er mit diesem, so Rossi, „so etwas wie ein stummes Zwiegespräch“ zu führen.512 Der Alte trägt einen mit einem Pelzkragen versehenen Mantel, dessen Schwarz sich kaum vom fast gleich dunklen Hintergrund abhebt. Allein das Antlitz und die die Mantelsäume zusammenhaltende Hand werden vom Licht akzentuiert, die Wirkung des Gemäldes folglich vor allem aus dem Wechselspiel von Hell und Dunkel resultiert. Wie Krischel bemerkt, „macht gerade das Wechselspiel zwischen Erscheinung und Verschwinden den Zauber solcher Bildnisse aus“. – Von der Bercken hat das Porträt ins achte Jahrzehnt datiert, ein Vorschlag, den Tietze – und ihm folgend auch Rossi – mit „um 1570“ präzisiert.513 Krischel zufolge „könnte [das Bildnis] durchaus auch erheblich früher, nämlich etwa gleichzeitig mit dem ersten Sansovino-Porträt [um 1565] entstanden sein“. Als Beleg dafür begnügt sich der Verfasser mit dem Verweis auf den „markanten Schatten unterhalb der Nase“ des Dargestellten – angeblich ein „Charakteristikum von Jacopos Frühwerk“, in Wirklichkeit aber ein Merkmal, das auch im späteren Schaffen des Künstlers häufig wiederkehrt. Im Widerspruch zu seiner erstgenannten, nicht ganz von der Hand zu weisenden Datierung (um 1565) geht Krischel in der Bildunterschrift seiner Tintoretto-Monographie sogar so weit, das Porträt unbegründet in die Zeit „um 1545 (?)“ zu versetzen. Daraus folgernd vermutet der Verfasser, „hier sei ein Familienmitglied abgebildet – vielleicht sogar der Vater des Malers, Gianbattista Robusti“.514 Zwei Mal hat Tintoretto Sebastiano Venier, den eigentlichen, nur formell Don Juan d’ Austria unterstellten Sieger in der Seeschlacht von Lepanto (7. Oktober 1571) gegen die Türken, als Admiral im Porträt festgehalten. Das eine, zweifellos bedeutendere und um 1571/72 geschaffene Bildnis befindet sich in venezianischem Privatbesitz, das andere (vermutlich eine Werkstattreplik) wird im Wiener

Porträtmaler der Serenissima

125 Tintoretto, Bildnis des Sebastiano Venier mit einem Pagen, Öl auf Leinwand, 193 x 130 cm, Venedig, Privatsammlung

Kunsthistorischen Museum aufbewahrt. Die Seeschlacht fällt in das Dogat Alvise Mocenigos, dessen Nachfolge Sebastiano 1577 antrat. – Das erstgenannte Porträt, das sich ursprünglich im Familienpalast des Dogen befand515, zeigt den graubärtigen, bereits hochbetagten Admiral in lebensgroßer Statur (eher eine Seltenheit in Jacopos Bildnis-Œuvre) und schimmernder Rüstung. Um die Schultern schlingt sich das dunkelpurpurne Admiralspallium, wogegen die Beinkleidung in gesättigtem Orangerot aufleuchtet. Sebastianos stechender Blick ist auf den Betrachter gerichtet und verrät Strenge und Entschlossenheit. Wie nach vollbrachter Tat hat der

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1568–1581

126 Tintoretto (mit Werkstattbeteiligung), Bildnis des Sebastiano Venier, Öl auf Leinwand, 104,5 x 83,5, Wien, Kunsthistorisches Museum

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stolze Türkenbezwinger seinen goldverzierten Helm in der linken Bildecke beiseite gelegt, während er in der Rechten den Kommandostab hält und mit der linken Hand den Knauf seines Degens umfängt. Rechts ist ein höfisch gekleideter Page postiert, der ihm einen Brief überreicht und wie sein Adressat den Betrachter fixiert. Ob das Schreiben laut Rossi die Siegesnachricht oder bereits die Danksagung der Serenissima enthält, bleibt offen.516 Sebastiano wird von einem dunkelroten, fast schwarzen Vorhang hinterfangen, dessen Saum die Bildfläche halbiert und den Blick auf die in vollem Gang befindliche Seeschlacht öffnet. Ridolfi gibt eine genaue Bildbeschreibung und verweist unter anderem auf „Galeeren soweit das Auge reicht, hell aufleuchtend im Widerschein des Geschützfeuers“.517 Über den Strahlen der untergehenden, wohl auch das Ende der Schlacht ankündigenden Sonne, schwebt Christus, die Fahne der Heiligen Liga schwingend. Am Horizont, knapp über den zahlreichen Schiffsmasten, erscheint der Erzengel Michael, der mit anfeuernder Gebärde die christliche Flotte zum Sieg führt.518

Das im Besitz des Wiener Kunsthistorischen Museums befindliche Bildnis des Sebastiano Venier ist eine gekürzte, vermutlich um 1572 geschaffene Variante der ersten Porträtfassung und wird von Rossi als eigenhändige Arbeit Tintorettos betrachtet.519 Indessen gibt es etliche Gegenstimmen, die die zweite Version – meines Erachtens nicht ganz unberechtigt – entweder als Werkstattreplik (Von der Bercken) oder als Kopie (A. Venturi und Fiocco) bezeichnen. Dazu gehört auch De Vecchi, der das Gemälde nicht in die Liste der für Jacopo autograph gesicherten Werke einreiht, wiewohl er eine partielle Intervention des Meisters nicht ausschließt.520 Anstatt in Lebensgröße wie in der ersten Fassung ist der Admiral nunmehr als Halbfigur dargestellt und dadurch dem Betrachter erheblich näher gerückt. Demzufolge sind seine Gesichtszüge mitsamt dem feingestrichelten Barthaar erheblich detaillierter ausgeführt. Dies gilt auch für die Rüstung, in deren sorgfältiger, von zahlreichen Reflexlichtern akzentuierten Materialbehandlung – man beachte etwa die goldenen Nieten und die präzis wiedergegebenen Ornamentschnüre – sich meines Erachtens der minutiös beobachtende Fleiß eines Werkstattmitglieds verrät. Wie nicht zuletzt der stolz vorgewiesene Kommandostab bezeugt, handelt es sich hier weniger um eine „scena-memoria storica“ (= historische Erinnerungsszene),521 vielmehr um ein zum Privaten tendierendes Repräsentationsbildnis, woran auch die Reprise des Ausblicks auf das Meer mit der unter hohem Himmel tobenden Seeschlacht nichts ändert.522 Auch hier scheint eine Beteiligung der Werkstatt vorzuliegen. Anstatt der atmosphärisch verschwimmenden Wiedergabe des Gefechts in der Erstfassung ist nunmehr eine geradezu gläserne Klarheit der Szene vorherrschend. Zudem sind die Schiffe nicht wie zuvor perspektivisch in die Tiefe gestaffelt, sondern unter Verzicht auf ein Größengefälle eher flächenhaft übereinander angeordnet. Nur wenig später (um 1572/74) überreichte Tintoretto dem venezianischen Staat für die Sala dello Scrutinio im Dogenpalast ein monumentales Wandgemälde mit dem triumphalen Sieg über die türkische Flotte bei Lepanto. Anstelle eines Honorars ersuchte er um die Bewilligung eines Maklerpatents („sansaria“) am Fondaco dei Tedeschi. Der Brand von 1577 zerstörte das Schlachtengemälde – einer der größten Verluste in Tintorettos Œuvre. Den Dogen Alvise Mocenigo (1570–1577) hat Tintoretto mehrmals abgebildet. Genannt seien hier zwei offizielle Porträts, das eine in der venezianischen Accademia (laut Pallucchini, Rossi und Villa um beziehungsweise kurz nach 1570 zu datieren), das andere deutlich schwächere und als Replik anzusehende in den Staatlichen Museen zu Berlin befindlich (laut Rossi gegen 1577 datierbar). Darüber hinaus begegnet man dem Dogen auch in einem großen Votivgemälde im Kreise seiner Familie (kurz nach 1572; Washington, National Gallery).523 Das in der Accademia aufbewahrte Porträt wurde erstmals von Boschini 1664 erwähnt und als Werk Tintorettos bezeichnet. Den Standort des Gemäldes betreffend berichtet der Verfasser, es hänge über der Tür des letzten Zimmers im Palast der Prokuratoren von „Ultra“, jener Behörde, die für die Verwaltung der jenseits (ultra) des Canal Grande gelegenen Besitztümer der Basilica di San Marco Sorge trug.524 Dass das Porträt von Beginn an im Prokuratorenpalast situiert war, bezeugt der Beschluss

128 Tintoretto, Votivbild der Familie Mocenigo (Detail), Washington, National Gallery

Abb. 127, S. 244

Abb. 128

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1568–1581

127 Tintoretto, Bildnis des Dogen Alvise Mocenigo, Öl auf Leinwand, 116 x 97 cm, Venedig, Accademia

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der Prokuratur vom 26. April 1572, dem gemäß dem damaligen Prokurator und Kassier Federico Contarini folgender Auftrag erteilt wurde: „Da von den hochverehrten Prokuratoren […] die Porträts fehlen“, wäre dafür zu sorgen, „dass die Bildnisse der durchlauchten Fürsten, die einst Prokuratoren von Supra waren [1566 wurde Alvise Mocenigo zum Prokurator ernannt] hierher gebracht werden, damit auch im Prokuratorenpalast ihr Andenken in Ehren gehalten wird“.525 Das Datum dieses Dekrets könnte bezüglich der Entstehungszeit des Porträts als terminus ante dienen, was einerseits De Vecchis Datierungsvorschlag (1575/76) als obsolet erscheinen lässt, andererseits Pallucchinis und Rossis Überzeugung stützt, der zufolge das Gemälde bald nach Amtsantritt des Dogen (1570) entstanden sei.526 In der Tat war Alvise für das Dogat prädestiniert, zumal er schon zuvor eine glanzvolle Diplomatenkarriere durchlaufen hatte. Diese führte ihn zunächst als Botschafter an den kaiserlichen Hof, worauf er von Karl V. als Gesandter nach Rom zu Papst Pius IV. geschickt wurde. Die Amtszeit des Dogen fiel in eine für die Republik besonders schwierige Periode, beginnend mit der 1570 erfolgten Eroberung Zyperns durch die Türken, deren kontinuierlichen Vormarsch sogar deren

Niederlage bei Lepanto nur kurzfristig zu bremsen vermochte. Demgemäß scheint auch im Porträt eine getrübte Stimmung vorzuherrschen, die sich sowohl in der Düsternis des Bildgrunds als auch in der braunen, völlig buntfarbresistenten Robe des Dogen sowie in dessen cornu niederschlägt, das anstelle der üblichen Goldfärbung ein mattes Ocker aufweist. Im Ganzen dominiert ein erdiges, fast schon monochromes Kolorit, das sich von Jacopos differenzierter Farbgebung im Bildnis des Dogen Girolamo Priuli fundamental unterscheidet und das Nepi Sciré mit Tizians Spätwerk in Zusammenhang bringt, das im Zeichen eines auf wenige, durchwegs düstere Farbwerte reduzierten Kolorits steht.527 Ledigich das Gesicht und die Hände des Porträtierten sind beleuchtet, was den Eindruck erweckt, als würde dieser „plötzlich, wie von einem geheimnisvollen Licht angestrahlt, aus dem unergründlichen Dunkel“ hervortreten.528 Der Doge ruht, den Blick auf den Betrachter gerichtet, in Dreiviertelansicht auf einem Stuhl, die kraftlos baumelnden Hände auf dessen Armlehnen gestützt, somit in einer gelassen anmutenden Haltung, die Jacopo bereits im Bildnis eines Kunstsammlers (um 1560/65) erprobt hatte. Die Säume des geöffneten Mantels zielen kielbogig auf Alvises Antlitz, dessen psychologische Charakterisierung distanzierte Würde, zugleich aber auch väterliche Güte und, wie die hochgezogenen Augenbrauen anzeigen, ein besorgtes Verantwortungsgefühl verrät. Mit dem Bildnis des Marco Grimani (Wien, Kunsthistorisches Museum), von dem zwei weitere für Tintoretto gesicherte Varianten bekannt sind, schuf der Künstler sein vielleicht eindrucksvollstes „Altmännerbildnis“. Erst mit dem vergleichenden Hinweis auf ein Gemälde, das offensichtlich die gleiche Person darstellt und sich in der Accademia in Venedig befindet, gelang die Identifizierung des Porträtierten. Dieses Bildnis trägt die Inschrift „1576/ Marcs Grims“ sowie das Wappen Grimanis und entstand anlässlich der Ernennung zum Procuratore de „Citra“ (= des Stadtgebiets diesseits des Canal Grande). Laut Moschini Marconi handelt es sich um ein Werk Jacopos mit Atelierbeteiligung, während Rossi von „della scuola di Jacopo Tintoretto, forse Domenico [Tintoretto]“ spricht.529 Als Grimani 1576 zum Prokurator ernannt wurde, blickte er bereits auf eine illustre Laufbahn zurück. 1562 war er Hauptmann von Padua und ab 1570 trug er den Titel eines Herzogs von Candia, wo er sich im Kampf gegen die Türken auszeichnete. Seine Amtsgeschäfte als Prokurator führte er bis zu seinem Tod im Jahre 1583. Wie dem Nekrolog vom 24. Dezember 1583 zu entnehmen ist, stand er damals im 86. Lebensjahr.530 Marco Grimani ist als Halbfigur vor dunklem Grund dargestellt. Der weitgehend in Seitenansicht wiedergegebene Körper des Prokurators ist in den Bildraum gedreht, sodass dessen allein sichtbarer linker Arm, der, den Leib überkreuzend, in die linke Bildecke weist, dem Betrachter machtvoll entgegentritt. Die rote, hermelinbesetzte Robe ist durch eine eher schematisch-lineare Gewandsprache gekennzeichnet; helle Faltenstege stoßen abrupt an dunkle Faltentäler. Im Gegensatz dazu hatte Jacopo, mehr als ein Jahrzehnt zuvor, die Faltengebung der Robe des Prokurators Antonio Cappello, weicher modellierend und sanfter in den Übergängen, deutlich sorgfältiger behandelt. Angesichts der vergleichsweise flüchtigen Malweise im Gewandbereich und an der nur skizzenhaft angedeuteten Hand

Porträtmaler der Serenissima

Abb. 101, S. 198

Abb. 129, S. 246

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1568–1581

129 Tintoretto, Bildnis des Marco Grimani, Öl auf Leinwand, 96 x 60 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum

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erregt Grimanis fast en face dem Beschauer zugewandtes Antlitz umso größere Aufmerksamkeit. Trotz frischer Gesichtsfarbe, die das Rot der Robe zu reflektieren scheint, gibt die Physiognomie Zeugnis vom fortgeschrittenen Alter des Porträtierten, der aus tiefen Augenhöhlen den Betrachter fixiert. Erwähnt sei ferner der Erstaunen ausdrückende Blick. Hinzu kommt die vom Nasenflügel bogenförmig zum Mund vermittelnde Falte, die den eng geführten Lippen ein leises Lächeln entlockt, somit einen Anhauch von Ironie signalisiert. Dazu Rossi: „Die Wichtigkeit des Amtes ist hier, wie in manch anderen Porträts hoher Magistraten, nicht mehr Anlass zur Verherrlichung, sondern scheint eher die Last der Erfahrung und das tragische Bewusstsein des nahenden Endes anzudeuten.“531

Hinsichtlich der Datierung des Wiener Porträts begnügt sich Rossi mit dem Hinweis, dass dieses innerhalb der Amtszeit des Prokurators (1576–1583) entstanden sein muss. Dies lässt sich insofern präzisieren, als Grimani in der gegenüber dem Wiener Bildnis nur geringfügig reduzierten Fassung im Madrider Prado, die De Vecchi mit 1580 datiert, merklich älter dargestellt ist. Als Beleg dafür dient der Umstand, dass dort das Antlitz des Porträtierten blasser wiedergegeben, zudem dessen vormals ergrauter Bart bereits von weißen Strähnen durchwachsen ist. Das Gleiche gilt für die in Hampton Court (Royal Collections) aufbewahrte und mit Werkstattbeteiligung geschaffene Brustbild-Version. Dies lässt darauf schließen, dass das Wiener Porträt vor 1580 – vielleicht schon bald nach Grimanis Amtsantritt – entstanden sein dürfte.532 – Noch stärker manifestiert sich die Last der Jahre im Antlitz des Senators in Dublin (National Gallery of Ireland). Der glatzköpfige Alte ist nur leicht ins Bild gedreht, also fast frontal dargestellt, das Haupt gesenkt und den versonnenen Blick gleichsam ins Leere gerichtet. Einmal mehr bewährt sich auch hier Rossis auf dem Porträtsektor psychologisch erfahrene Beobachtungsgabe, wenn sie schreibt: „Sein leicht erstaunter Blick verrät fast grausam die traurige Kehrseite eines sich zum Ende neigenden Lebens, die auch die reiche Robe, Zeichen der erlangten hohen Würde, nicht verdecken kann.“533 Mit dem Bildnis des Giovanni Mocenigo (Berlin, Staatliche Museen) malte Tintoretto innerhalb der Bildnisreihe greiser Würdenträger der Republik sein wohl ausdrucksstärkstes Porträt.534 Erst Pallucchini gelang es, den Dargestellten zu identifizieren. Als Beleg dient ihm ein Verweis auf das Washingtoner Votivbild des Dogen Alvise Mocenigo, das der Autor um 1573 datiert. Unschwer ist zu erkennen, dass es sich bei der links vom knienden Dogen stehenden Person um dessen Bruder Giovanni Mocenigo handelt. 1508 geboren, war Giovanni Mitglied des Staatsrates und Ältestenrates, trägt hier folglich die Robe eines Senators. Wichtiger indes ist Pallucchinis Beobachtung, dass dieser im Votivbild wesentlich jünger als im Berliner Porträt anmutet. Dem entsprechend datiert der Verfasser Letzteres, und ihm folgend auch Rossi, in die Zeit kurz vor 1580, dem Todesjahr Giovannis.535 Im Berliner Bildnis kulminiert das Thema des Alters. Da Mocenigos schwarze Kleidung vom dunklen Grund völlig absorbiert wird, ist die Aufmerksamkeit des Betrachters ausschließlich auf das in Dreiviertelansicht wiedergegebene Antlitz fokussiert. Mittels seiner scharf modellierenden Licht-Schatten-Behandlung wird jedes physiognomische Detail schonungslos aufgedeckt. Das von rechts einfallende Licht ist auf die den Sitz des klaren Verstandes symbolisierende Stirn des Porträtierten konzentriert, während dessen rechte Gesichtspartie in den Schatten tritt. Angesichts der abrupten Hell-Dunkel-Kollision treten die Venen an der Schläfe und die Backenknochen plastisch in Erscheinung. Mocenigos Blick ist ebenso skeptisch wie herausfordernd auf den Beschauer gerichtet. Wie im Madrider Bildnis des Marco Grimani liegen die Augen in tiefen Höhlen, sind die Lippen des anscheinend zahnlosen Mundes zusammengekniffen und der graue Bart weiß durchwachsen. Rossi zufolge „verrät das Gesicht eine momentane Willensanspannung, um eine gewisse Melancholie zu überspielen […], während gleichzeitig eine Art von innerer Beleuchtung entsteht, die der Persönlichkeit Lebendigkeit verleiht“.536

130 Tintoretto, Bildnis eines alten Senators, Öl auf Leinwand, 84 x 60 cm, Dublin, National Gallery of Ireland Abb. 131, S. 248

Abb. 128, S. 243

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131 Tintoretto, Bildnis des Giovanni Mocenigo, Öl auf Leinwand, 58 x 44 cm, Berlin, Staatliche Museen

S. 249 132 Tintoretto, Bildnis eines venezianischen Senators (Francesco Duodo), Öl auf Leinwand, 138,7 x 101,3 cm, Washington, National Gallery

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Obwohl Tintoretto im achten Jahrzehnt für die packend realistische, wenig schmei­ chelhafte Darstellung hochbetagter Männer eine besondere Vorliebe hegte, bot sich ihm bisweilen auch die Gelegenheit, Würdenträger mittleren Alters zu porträtieren. Gemäß den Wünschen dieser auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn stehenden Klientel waren dabei ganz andere Schaffensprämissen ins Kalkül zu ziehen. Anstatt der hauptsächlich auf die psychologische Durchdringung der im Zeichen der Hinfälligkeit menschlicher Existenz abzielenden Wiedergabe der Physiognomie gilt das Interesse der Produktion eines ganzheitlichen, in idealisierender Weise und mit besonderer Sorgfalt ausgeführten Repräsentationsbildnisses. Ein charakteristisches Beispiel dafür bietet das Porträt eines venezianischen Senators (Washington, National Gallery).537 Valentiner hat den Dargestellten mit Francesco Duodo identifiziert. Als Beleg dafür dient ihm ein Vergleich mit dessen von Alessandro Vittoria gefertigter Büste (Venedig, Ca’ d’Oro), die gegenüber der Physiognomie des

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133 Tintoretto, Bildnis des Gabriele Emo, Öl auf Leinwand, 116,7 x 90,8 cm, Seattle, Art Museum

im Gemälde Porträtierten durchaus eine gewisse Ähnlichkeit aufweist, wiewohl Rossi diese als „piuttosto vaga“ einschätzt.538 Duodo durchlief eine glänzende Karriere. Er zählte zu den führenden Kommandanten der venezianischen Flotte in der Schlacht von Lepanto, um 1575 bekleidete er in Padua das Amt des „capitanio“. Im Gemälde ist er frontal als selbstbewusste, kraftstrotzende Persönlichkeit gezeigt, wobei die massige, bräunlich rote, mit einem ungewöhnlich sorgfältig behandelten Hermelinfutter versehene Senatorenrobe, die beinahe rahmensprengend etwa drei Viertel der Bildfläche füllt, ostentativ mehr Aufmerksamkeit erregt, als der in das obere Bildviertel versetzte, vergleichsweise klein geratene Kopf, an dessen rechter Kontur ein schmaler, an eine Aura erinnernder Lichtstreifen aufscheint, der dem Porträtierten eine nahezu glorifizierende Note verleiht. Im Bewusstsein seiner Würde auf Distanz bedacht, blickt Duodo herablassend mit geradezu erstarrter Miene auf den Betrachter. – Bezüglich der Datierung des Porträts herrscht Uneinigkeit. Während De Vecchi 1577 vorschlägt, plädiert Rusk-Shapley mit 1575–1585 für einen zeitlich größeren Spielraum. Zutreffender ist meines Erachtens Rossis These, die sich mit einem vergleichenden Querverweis auf das mit der Jahreszahl 1572 versehene Bildnis des Gabriele Emo (Seattle, Art Museum) für eine Datierung um 1572 einsetzt.539

Tintoretto am Höhepunkt seiner künstlerischen Tätigkeit Die Gemäldeausstattung der Sala superiore (= Kapitelsaal) in der Scuola di San Rocco

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Erst etwa sieben Jahre nach der malerischen Ausschmückung der Sala dell’ Albergo fasste die Bruderschaft der Scuola di San Rocco am 6. Mai 1574 den Beschluss, die Decke der Sala superiore (= Kapitelsaal) unter großem finanziellem Aufwand mit vergoldeten Schnitzereien zu dekorieren, wobei zugleich das komplexe Rahmensystem für 21 Gemälde konzipiert wurde. Tintoretto, der mittlerweile Mitglied der Confraternità geworden war, unterbreitete am 2. Juli 1575 dem Rat der Scuola das Angebot, das zentrale Deckengemälde kostenlos auszuführen und bis zum 16. August 1576, dem Festtag des Hl. Rochus, fertigzustellen, ein Offert, das die an chronischem Geldmangel leidende Sodalität bereitwillig akzeptierte. In Anspielung auf die 1576 kulminierende Pestkatastrophe, der indes schon im Juni 1575 (also knapp vor dem Offert) etliche Bewohner in Tintorettos Pfarrei San Marziale zum Opfer gefallen waren, wählte Jacopo die Errichtung der ehernen Schlange als Bildthema. Die zunehmend grassierende Epidemie bewirkte eine merkliche Intensivierung des Rochuskults, was dem Wohlstand der Bruderschaft zugute kam, folglich auch Überlegungen zur weiteren Gemäldeausstattung des Kapitelsaals zuließ. Einige Monate nach der Fertigstellung der Ehernen Schlange schlug der Künstler am 13. Januar 1577 vor, auch die beiden anderen großen Deckengemälde – die Mannalese und Moses schlägt Wasser aus dem Felsen – unentgeltlich (abgesehen vom Ersatz der Farben- und Materialkosten) auszuführen, ein Angebot, das umgehend bewilligt wurde. Dem folgte innerhalb einer erstaun-

lich kurzen Zeitspanne (ab März 1577) die Ausführung der zahlreichen, um die Hauptgemälde gruppierten kleinformatigen Deckenbilder. Nach deren weitgehenden Vollendung schreibt Tintoretto in einer Erklärung vom 27. November 1577: „Um nun die große Liebe zu beweisen, die ich dieser unserer verehrungswürdigen Scuola entgegenbringe, aus Devotion, die ich dem glorreichen Hl. Rochus schulde und wegen des Wunsches, diese Scuola vollendet und an allen notwendigen Stellen mit Bildern geschmückt zu sehen, bin ich es zufrieden und verpflichte mich, den Rest meines Lebens ihrem Dienst zu widmen Dabei verspreche ich, außer der vorgenannten Decke die zehn Bilder zu machen, die im Kapitelsaal zwischen die Fenster gehören […]. Und ich verspreche, jedes Jahr zum Festtag des Hl. Rochus drei große, fertig installierte Bilder zu schenken […]. Ich werde die Farbkosten für alle meine Bilder übernehmen und was die Bezahlung der Decke des Kapitelsaals angeht [die Festlegung eines Honorars hatte Tintoretto dem freien Ermessen der Scuola überlassen] bescheide ich mich mit den zweihundert Dukaten, die ich erhalten habe.“540 Gemäß dieser Erklärung, pro Jahr drei große Bilder zu liefern, vollendete Tintoretto im Sommer des Jahres 1581 die zehn, christologischen Themen gewidmeten Wandgemälde des Kapitelsaals. Von der Bercken beginnt seine Besprechung des monumentalen Gemäldezyklus mit einer veritablen Lobeshymne: „Kaum irgendwo sonst in nachantiker Zeit hat die geistige Haltung einer Epoche ein solch großartiges und einheitliches, von der Hand eines einzigen Künstlers ausgeführtes Denkmal hinterlassen wie die Kunst des Manierismus, der Gegenreformation, in den 66 Wand- und Deckenbildern, die Tintoretto, fortgerissen von seiner unbegreiflichen Genialität mit einem Furor ohne Beispiel, im Lauf weniger Jahre im großen oberen und unteren Saal der Scuola di San Rocco ganz mit eigener Hand, ohne jeden Gehilfen, ausgeführt hat. Tintorettos Ausschmückung der Scuola gehört zu den größten Leistungen der gesamten christlichen Kunst. Sie steht der Arenakapelle zu Padua und der Sixtinischen Kapelle zu Rom ebenbürtig zur Seite.“541 Gegenüber diesem primär auf die künstlerische Dimension des Bilderzyklus abzielenden Werturteil gebührt auch dem vielschichtigen ikonographischen Programm ein Höchstmaß an Anerkennung. Wegweisend für dessen Entschlüsselung waren die Forschungen Thodes von 1904, die erst etwa ein halbes Jahrhundert später von De Tolnay und Hüttinger vertieft beziehungsweise ergänzt wurden.542 Obwohl vermutlich von gelehrten Mitgliedern der Bruderschaft oder befreundeten Theologen beraten, war laut Hüttinger Tintorettos „Einfluss“ auf die Entwicklung des Bildprogramms „entscheidend“.543 Dies bezeugt allein schon Jacopos höchstwahrscheinlich selbstständig getroffene Wahl der Errichtung der ehernen Schlange, die sich als alttestamentarischer Ausgangspunkt, so Tolnay, gedanklich, einem roten Faden gleich, durch alle Gemälde der Decke und der Wände des oberen Saals zieht. Schon Thode hat nachgewiesen, dass sich im System der Bilder eine Concordia veteris et novi testamenti mit Allusionen auf die karitativen Pflichten der Confraternità di San Rocco verbindet. Die drei Hauptgemälde der Decke, Wasserwunder, Eherne Schlange und Mannalese, verweisen auf die

Tintoretto am Höhepunkt

S. 252 134 Schema der Bilder in der Sala superiore der Scuola di San Rocco

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Tränkung der Dürstenden, die Heilung der von der Pest Befallenen und Speisung der Hungernden, somit auf die Heilung der Menschheit vom Tod.544 – Hüttinger zufolge „entfaltet sich ein wahrer Kosmos von ikonographischen, heilsgeschichtlichen Sinnbezügen, wie er seinesgleichen in der gesamten abendländisch-christlichen Kunst kaum besitzt […]. Tintoretto verleiht den alttestamentlichen Szenen im Gesamt der Concordia viel stärkeres Gewicht, als man ihnen bisher zuerkannt hatte: bisher nämlich fiel den alttestamentlichen Szenen in der Regel bloß eine beiläufige Position zu. Sie kommentieren gewissermaßen als Randerscheinungen die durchaus zentrale Stellung einnehmenden Szenen des Neuen Testaments. […] Für Tintoretto sind in den Bildern der Scuola di San Rocco die alttestamentlichen Historien den neutestamentlichen gleichwertig; für ihn gibt es keinen Rangunterschied zwischen Altem und Neuem Bund. Damit steht er in nicht unerheblichem Gegensatz zu der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sich anbahnenden Entwicklung, die für die offizielle katholische Kunst des 17. Jahrhunderts überhaupt zur Regel werden sollte: nämlich eine relative Verminderung der Geltung der alttestamentlichen Szenen.“545 Die Anregung, die Decke des Kapitelsaals ausschließlich den Szenen des Alten Testaments vorzubehalten, stammt zweifellos von der Sixtinischen Decke, bei Michelangelo indes betreffen sie die Welt „ante legem“ (= vor der Gesetzesübergabe an Moses), bei Tintoretto hingegen die Welt „sub lege“ (= unter dem Gesetz Moses’). Erst während der Arbeit an der im Juli 1575 begonnenen Aufrichtung der ehernen Schlange muss dem Künstler laut Hüttinger die Idee gekommen sein, eine alttestamentliche, mit christologischen Themen kombinierte Bilderfolge zu malen, weshalb dieses Werk „so etwas wie das Schlüsselbild des ganzen Ensembles darstellt“.546 Dazu der Bericht im 4. Buch Mose (Numeri, 21, 6–9): „[Als Strafe für die im Glauben abtrünnigen Israeliten] schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk. Sie bissen die Menschen, und viele Israeliten starben. […] Da betete Mose für das Volk. Der Herr antwortete Mose: Mach dir eine Schlange, und hänge sie an einer Fahnenstange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht. Mose machte also eine Schlange aus Kupfer […]. Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben.“ Mit der dezentralisierenden Verlagerung des Hauptmotivs (Moses mit der ehernen Schlange) an den linken Bildrand sowie dessen geradezu miniaturistischen Verkleinerung entspricht Tintoretto signifikant den Stilprinzipien des Manierismus. Moses ist in starker Untersicht auf einem dunkel getönten Hügel postiert und in das Licht des ihn hinterfangenden Himmelsausschnitts getaucht.547 Mit schwungvoller Gebärde verweist er auf die drachenähnlich beflügelte Schlange, die sich entgegen der Tradition um ein lateinisches Kreuz windet. Der Umstand, dass der Kopf des Untiers fischförmig ausgebildet ist, wird zumeist als symbolisch-typologische Allusion auf Christus gedeutet.548 Im Anschluss an den steilen Hügelhang krümmt sich eine U-förmige Geländemulde, in der ein jugendliches Paar eingebettet ist, das Swoboda als Fides, die wie Moses auf die Schlange hinweist, mit einem Bekehrten (?) interpretiert.549 Obwohl klein dimensioniert nimmt das allegorische Paar eine zentrale, vom Licht akzentuierte Stellung ein; zudem überkreuzen sich in ihm die

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135 Tintoretto, Errichtung der ehernen Schlange, Öl auf Leinwand, 840 x 520 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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kompositionsbestimmenden Diagonalen. Von hier wälzen sich die von den Schlangen befallenen Israeliten in konvulsivischer Bewegung und dicht ineinander verschlungen kaskadenartig hangabwärts, nach unten sukzessiv an Größe gewinnend. Die vom Licht modellierten Figuren sind in unterschiedlichen Inkarnatstönen und mitunter völlig verrenkten Haltungen wiedergegeben. Manche sind schon dem Tode nahe, manche finden noch die Kraft, sich im verzweifelten Kampf mit den Schlangen aufzubäumen. Für die Wahrnehmung zählt die ganzheitliche Gestalt mehr als die Summe der Teile. Diesem Leitsatz der Gestalttheorie scheint Tintoretto hier insofern zu entsprechen, als er – anstatt einer individuellen Schilderung der Einzelfiguren – größeres Gewicht auf die Darstellung der Leidgeprüften als blockhafte Masse, eben im Sinne eines geschlossenen Ganzen legt; ähnliche Ziele der Massengestaltung hatte der Künstler bereits mehr als ein Jahrzehnt zuvor im Jüngsten Gericht (Madonna dell’ Orto) verfolgt. Dem entspringt in der Ehernen Schlange die höchst dynamische, himmelwärts strebende und dadurch Erlösung verheißende Form einer Pyramide, deren Schenkel zugleich die Richtung der kompositionsbeherrschenden Diagonalen vorgeben. Der steilen Pyramide der Leiber stellt Jacopo die breit gelagerte, umgekehrte figura piramidale der herabschwebenden, Gottvater begleitenden Cherubime entgegen. Die Spitzen der Pyramiden kommen einander nahe, wobei der zu Füßen der Fides Kauernde, der mit seinem durchgestreckten Arm nach oben weist und als eine der wenigen Figuren in der Hoffnung auf Rettung zur Schlange emporblickt, als Verbindungsglied dient. Die zahlreichen Figuren im Einzelnen zu untersuchen wäre lohnenswert, würde hier jedoch zu weit führen. Generell ist anzumerken, dass Tintoretto dem expressiven Figurenideal des Manierismus in erstaunlicher Variationsfreudigkeit gehuldigt hat. Swoboda zufolge „ist dies ein eigenartiger neuer Rückgriff auf Michelangelo“, dessen Ignudi, Sibyllen und Historien an der Decke der Sixtinischen Kapelle (man beachte unter anderem das Zwickelbild mit der Ehernen Schlange) Tintoretto offensichtlich beeinflusst haben. „Wie auch der späte Michelangelo kehrt er nun den Ausdruck des Leidens auf Kosten der „freien Schönfigurigkeit“ hervor, darin offenbar von dessen Jüngstem Gericht beeinflusst. Das war etwas Neues in der Malerei Tintorettos und in Venedig überhaupt.“550 Auch die Gestalt Gottvaters könnte – wie bisweilen mit Verweis auf dessen Pendant in der Erschaffung Adams (Sixtinische Decke) behauptet wird – mit Michelangelo in Zusammenhang stehen. In Wahrheit bedurfte es nicht dieser Anregung, zumal Tintoretto das Motiv des am Firmament mit ausgebreiteten Armen schwebenden Schöpfers bereits zweimal – zum einen in der fast zeitgleichen Entstehung der Versuchung des Hl. Antonius, zum anderen in der 1564 geschaffenen Apotheose des Hl. Rochus im Albergo der Scuola – erprobt hatte. – Ausgehend von der monumentalen Erscheinung Gottvaters, die zusammen mit dem sie umgebenden Engelreigen etwa ein Drittel des Gemäldes umfasst, die winzige Figur Moses’ weit in den Hintergrund treten lässt und selbst die etwas größer dimensionierten Gestalten im Vordergrund um beinahe das Doppelte überragt, stellt sich die Frage nach den räumlichen Gegebenheiten des Deckenbilds. Außer Streit steht, dass die an der Basis der Pyramide angeordneten Figuren auf der vordersten Bildebene situiert sind. Indes wird diese

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Lokalisierung durch die überdimensionierte Größe Gottvaters konterkariert. Demzufolge scheint dieser die reale Bildfläche zu sprengen, mit der illusionistischen Tendenz, in den Betrachterraum vorzudringen. Dieser irrationale Aspekt – Hauser spricht von „makrokosmischen Fantasien“551 – trägt wesentlich dazu bei, dass die perspektivisch-tiefenräumliche Erschließung des Gemäldes zugunsten eines himmelsstürmenden sursum corda, somit auch der Flächenprojektion, weitgehend suspendiert wird. Daran ändern auch das zwischen den am unteren Bildrand angesiedelten Figuren und Moses bestehende Größengefälle sowie der nach oben zu nur leicht zurücktretende Berghang nur wenig, zumal Tintoretto mit dem in der rechten unteren Bildecke fensterartig aus dem Hang herausgeschnittenen, hell ins Licht gesetzten Ausblick auf das Lager der Israeliten nichts unversucht lässt, die an sich schon verwirrende Raumlogik noch zusätzlich zu verunklären. Demgemäß hat schon Ruskin angesichts dieser eigenartigen Terrainbildung von der Existenz „zweier Bildhorizonte“ gesprochen.552 Hetzer zufolge handelt es sich im Ganzen gesehen um einen „Komplex vollkommen divergierender, nach den verschiedensten Seiten der Fläche dringender Bewegungen […]. Was im vorigen Jahrzehnt die Verbindung des Menschen mit der Perspektive leisten musste, wird jetzt überwältigender und mannigfaltiger durch die frei spielende Richtung getan. Tintoretto entzieht sich aller Gesetzlichkeit […]“.553 Abschließend noch einige Bemerkungen zur zentralen Stellung der Ehernen Schlange im alle Bilder des Kapitelsaals zusammenfassenden, nach den Gesichtspunkten der Concordia veteris et novi Testamenti erstellten ikonographischen Programm. Dazu ein Schlüsselsatz Tolnays: „Die Rettung und Heilung der leidenden Menschheit durch ein Wunder des Alten Testaments ist nichts Anderes als die Vorahnung jener Rettung, die der Menschheit durch Christi Opfer am Kreuz zuteil geworden ist.“ Seit jeher gilt die Eherne Schlange als alttestamentlicher Antitypus zur Kreuzigung Christi – gemäß Johannes 3, 14/15: „Und wie Moses in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Es ist nicht auszuschließen, dass Tintoretto schon Jahre zuvor, als er in der Sala dell’ Albergo die Große Kreuzigung und kurz danach drei Passionsbilder schuf, erste Überlegungen zu einem typologischen Bilderprogramm im Kapitelsaal angestellt hatte; jedenfalls war dafür mit der Kreuzigung im Albergo bereits ein präjudizierender Grundstein gelegt. In chronologischem Anschluss an den Passionszyklus schuf Jacopo an den Seitenwänden der Sala superiore in queraxialer Ausrichtung auf das zentrale Deckenbild die für eine neutestamentarisch-antithetische Bezugnahme zur Ehernen Schlange passenden Gemälde mit den Themen der Auferstehung und Himmelfahrt Christi. Zwei ovale, die Eherne Schlange queraxial flankierende Deckenbilder sorgen ebenso für eine typologische Verbindung mit den beiden Wandgemälden. Zum einen die Vision des Ezechiel von der leiblichen Auferstehung der Toten, die sowohl auf die Auferstehung Christi, als auch auf den Sieg über den Tod in der Errichtung der ehernen Schlange anspielt. Zum anderen Jakobs Traum von der Himmelsleiter, der gleichermaßen auf die Auferstehung wie die Himmelfahrt Christi verweist.

Bezüglich der Rolle des Lichts in der Ehernen Schlange gehen die Forschungsmeinungen nicht selten auseinander. Dazu nur ein Beispiel aus dem disjunktiven Wissenschaftsdiskurs: Coletti zufolge hat hier „das Licht seine Herrschaft bekräftigt: Es reduziert den Inhalt zu positiven und negativen Spiegeln seiner Kraft, statt selbst zum Modellieren des Inhalts zu dienen“. In ähnlicher Weise argumentiert Hauser: „Das Werk verdankt seinen kosmischen Charakter vor allem dem Umstand, dass das Licht zum ordnenden und organisierenden Prinzip geworden ist, und dass es nicht mehr bloß eines der Mittel darstellt, von denen das Gemälde seine formale Artikulation […] herleitet, sondern das eigentliche Element bildet, in dem sich sämtliche entscheidenden Faktoren des Werkes bewegen.“554 Zu Recht vertritt Swoboda eine entgegengesetzte Auffassung, implizit auf die modellierende, die Figuren plastisch herausbildende und deren Kolorit nicht restlos absorbierende Funktion des Lichts hinweisend: „Ein Durchbruch zu einem neuen Grad der Auflösung des Bildes in Licht und Farbe ist hier kaum wahrzunehmen […]. Es ist davon nicht einmal so viel vorhanden wie in den Bildern Tintorettos im Albergo der Scuola. Die Malerei ist härter und trockener.“ Erst etwa ein halbes Jahr nach Vollendung der Ehernen Schlange – in den beiden seit 20. Januar 1577 in Arbeit befindlichen, annähernd quadratischen Deckengemälden: dem Wasserwunder und der Mannalese – erfolgte, so der Autor weiter, „bei Tintoretto in seiner Selbstrealisierung der neue große Sprung nach vorne zugunsten einer freieren Lichtmalerei mit ‚Vernachlässigung‘ der schönen Form“.555 Im Gegensatz zur Ehernen Schlange reduziert der Künstler in beiden Bildern die Figurenmasse, wählt einen wesentlich größeren Figurenmaßstab und berücksichtigt von da an die Unteransicht in höherem Maß. Neu ist laut Swoboda, „dass die Figuren viel mehr als bisher im malerischen Ambiente [beziehungsweise im dynamischen Wechselspiel von Licht und Schatten] aufgehen […] und die Pinselhiebe kräftiger geworden sind“.556 Anstatt Moses wie in der Ehernen Schlange in typisch manieristischer Weise verkleinert an den Bildrand zu drängen, rückt Tintoretto ihn im Gemälde Moses schlägt Wasser aus dem Felsen in erhabener Größe „christusähnlich“ und zugleich imperatorenhaft in das Bildzentrum. Karminrot gekleidet, gleichwohl in den Faltentälern tief verschattet, hebt sich Moses in dunkler Silhouette gegen den hellen Mittelgrund ab, wo die Schlacht gegen die Amalekiter, einen Stamm im Land Kanaan, tobt; Letzteres eine prophetische Vorwegnahme des siegreichen, unter Josuas Führung stehenden Heers. Auf göttlichen Befehl schlägt Moses mit seinem Stab an einen Felsen, aus dem sich drei Wasserstrahlen in großen Bogenschwüngen auf das dürstende Volk der Israeliten ergießen. Dass Jacopo hier auf eine der karitativen Aufgaben der Bruderschaft anspielt – nämlich den Durst der Armen zu stillen – liegt auf der Hand. Tolnay zufolge symbolisiert das quellende Wasser das Blut Christi, das aus dessen Seitenwunde fließt, während Perocco darin eine Präfiguration der Gnade sieht.557 Die senkrechte Begrenzung der Felswand, die, in tiefes Dunkel gehüllt, mit der strahlenden Helligkeit des Mittelgrunds kontrastiert, deckt sich exakt mit der Proportionslinie des Goldenen Schnitts, womit der sonst von divergierenden Kräften

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136 Tintoretto, Moses schlägt Wasser aus dem Felsen, Öl auf Leinwand, 550 x 520 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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bestimmten Komposition eine stabilisierende Stütze verliehen wird. Auf dem Felsplateau erhebt sich ein mächtiger Feigenbaum, dessen Zweige weit nach rechts ausgreifen und den Eindruck erwecken, als wollten sie Moses überdachen. Dazu heißt es im Johannesevangelium (1, 35–51): „Derjenige, der unter einem Feigenbaum steht, unterwirft sich dem Gesetz Gottes, erkennt dessen Weisheit und wird von Christus berufen.“ Dieser Satz bezieht sich zwar auf die Berufung der

ersten Apostel, kann aber typologisch auch für Moses geltend gemacht werden. Gottvater, der wie schon in der Ehernen Schlange alle übrigen Figuren bei weitem überragt, beherrscht beinahe den gesamten rechten oberen Bildquadranten und scheint, eingebettet in ein Wolkengetümmel, in rasantem Tempo am Geschehen vorbeizufliegen. Die Gestalt der Gottheit ist in Untersicht so stark verkürzt, dass man von deren Haupt fast nichts mehr zu sehen bekommt. Ihr Unterkörper wird von einer überirdisch transparenten Kristallkugel umschrieben, deren linear gezogener Bogenschwung die Dynamik der heftig ausschreitenden Beine noch zusätzlich betont. Damit ist ein spezifisches Ausdrucksmittel gewonnen, das Dvořák wie folgt charakterisiert: „Es ist unzweifelhaft, dass die Bewegung losgelöst von allen naturalistischen Funktionen ein unabhängiger Ausdruck des geistigen Inhalts geworden ist.“558 Die in äußerst dynamischen Haltungen manieristischer Provenienz dargestellten Israeliten, die mit verschiedenartigen Gefäßen die rettenden Wasserfontänen aufzufangen suchen, lagern auf dunklem Terrain, das mit dem hell beleuchteten Bildausschnitt im Mittelpunkt kontrastiert. Indessen sorgt ein steil von links einfallender Lichtstrom im Wechsel von Hell-Dunkel für eine höchst plastische Wiedergabe der Dürstenden. Dabei ist die Intensität des auf die Figuren fokussierten Lichts so stark ausgeprägt, dass deren Kolorit jegliche Sättigung eingebüßt hat; stattdessen dominiert die getrübte Erdfarbenskala. Laut Valcanover verleiht der nervöse Rhythmus des Chiaroscuro allen malerischen und zeichnerischen Details den Eindruck einer rasenden Bewegung, der sich lediglich die in der rechten Bildecke kauernde, ihr auffallend groß geratenes Kind stillende Mutter entzieht. Dem Betrachter zugewandt scheint sie im Bewusstsein ihrer ebenfalls lebensspendenden Funktion zur Gottheit aufzublicken. Offensichtlich hat Tintoretto mit ihr auf die Kardinaltugend der Caritas angespielt und damit einmal mehr an die sozialen Verpflichtungen der Scuola erinnert. Hinter der Mutter erheben sich im Gegenlicht des Mittelgrunds zwei dunkle Figuren, die den Auftakt eines girlandenartig angeordneten Figurenreigens bilden, der in U-förmigem Verlauf die statuarische Gestalt Moses’ umklammert. Im links unten platzierten Paar erreicht die Dynamik des Ensembles ihren Höhepunkt. In der Tat erinnern die beiden in konvulsivisch tänzerischen Bewegungen gezeigten Figuren, die geradezu idealtypisch dem Haltungsmotiv der manieristischen figura serpentinata entsprechen, an einen emphatischen, in einem gegenläufigen Bewegungsmuster dargestellten Pas de deux. Den Abschluss des Reigens bildet eine schräg gestellte, weiß gekleidete Gestalt, die, foliiert vom extremen Dunkel der Felswand, als „begnadete“ Lichtgestalt mit Moses beinahe in Berührung kommt. Mit Moses’ Wasserwunder steht das ovale Bild mit dem Durchzug durch das Rote Meer in engem ikonologischen Zusammenhang. Das Gleiche gilt für das ebenfalls ovale, in der Längsachse anschließende Deckengemälde Jonas entsteigt dem Bauch des Wals, das zudem typologisch auf die Auferstehung Christi alludiert. Von größter Bedeutung ist die Korrespondenz zwischen dem Wasserwunder und dem ebenso queraxial an der Wand applizierten Gemälde mit der Taufe Christi, wo sich die alttestamentliche Prophetie erfüllt. Während in Moses’ Wasserspende die

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physische Errettung des Lebens im Mittelpunkt steht, manifestiert sich im Wasser des Taufsakraments die Überwindung der Erbsünde sowie die Verheißung des ewigen Lebens. Eine weitere Konkordanz offenbart sich im gegenüber befindlichen Wandgemälde, in dem die Krankenheilung Christi am Teich von Bethesda gezeigt wird. Im dritten großen Deckengemälde behandelt Tintoretto das Thema des MannaWunders, implizit mit dem Appell an die Bruderschaft, den Hunger der ihr anvertrauten Armen zu stillen. Dazu heißt es in Moses’ zweitem Buch („Exodus“): „[Bedroht vom Hungertod in der Wüste rebellierten die Israeliten gegen Moses und Aaron.] Da sprach der Herr zu Moses: Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen. Das Volk soll hinausgehen, um seinen täglichen Bedarf zu sammeln. Ich will es prüfen, ob es nach meiner Weisung lebt oder nicht […]. Am Morgen lag eine Schicht von Tau rings um das Lager […]. Als das die Israeliten sahen, sagten sie zueinander: Was ist das? Denn sie wussten nicht, was es war. Da sagt Moses zu ihnen: Das ist das Brot, das der Herr euch zu essen gibt. Das ordnet der Herr an: Sammelt davon so viel, wie jeder zum Essen braucht. Das Haus Israel nannte das Brot Manna.“559 Dargestellt ist jener Moment, da Moses, in Rückenansicht wiedergegeben, in schraubenartiger Drehung herbeieilt und sein vom Hungertod bedrohtes Volk zur Mannalese aufruft. Schon an dieser Stelle – und auch im Ganzen gesehen – wird evident, dass Jacopo sich dem in Deckengemälden gebräuchlichen Gebot des sotto in sù in konsequenterer Weise als in der Ehernen Schlange und im Wasserwunder verpflichtet fühlt. Dies wird nicht zuletzt dahingehend manifest, dass der Stifter der mosaischen Religion um ein Vielfaches größer ist als die am Boden kauernden, mittels Größengefälle rasch kleiner werdenden Israeliten. Hinzu kommt – die perspektivische Untersicht betonend – Moses’ radikal verkürzt in die Tiefe weisender Arm sowie dessen zwischen den Schultern merklich einsinkendes Haupt. Im Vergleich mit der eher flächenspezifisch organisierten Komposition des Wasserwunders resultiert daraus ein deutlich gesteigertes Bestreben, den Tiefenraum nachhaltig zu erschließen. Eine ähnliche Funktion wie Moses erfüllt die links außen postierte, als figura serpentinata extrem bewegte, dem Betrachter zugewandte und nach hinten gebeugte Aktfigur, die zusammen mit Moses laut Swoboda einen „wohlüberlegten Kontrapost entwickelt“.560 Der athletisch durchgebildete und nahezu tänzerisch torsierende Jüngling hält einen Korb empor, um das in Form weißer Hostien herabrieselnde Manna aufzufangen. Seine Armbewegung setzt sich in einem schräg nach oben ansteigenden Baumstamm fort, an den, wie ein großes Segel, ein Tuch geknüpft ist, das Jahwe den Blicken der Menschen entzieht und die himmlische Sphäre von der irdischen trennt. Anders als in der Ehernen Schlange und im Wasserwunder ist der Manna spendende Schöpfer nicht körperlich präsent dargestellt, sondern in eine orangegelbe Aureole gehüllt, nur noch schemenaft, fast völlig vom Licht absorbiert erkennbar. Das unter der Last des Mannaregens durchhängende Tuch hat, so Tolnay, auch einen symbolischen Sinn: Es erinnert an das Zelt des Tempels von Jerusalem und an das Tischtuch des Letzten Abendmahls.561 Die beiden monumentalen, die bildteilende Querachse durchstoßenden Figuren bilden die Eckpfeiler der Komposition und begünstigen

damit deren annähernd symmetrische Konzeption. Zudem dienen sie den entkräftet am Boden hingestreckten und zum Mannaregen aufblickenden Hungernden als innerbildliche Rahmung. Die Israeliten sind in mehreren horizontalen Raumschichten auf steilem Terrain gestaffelt und nach oben – im Sinne eines perspektivischen Größengradienten – sukzessiv verkleinert dargestellt. In der obersten, bereits deutlich hinter dem auf-

137 Tintoretto, Das Manna-Wunder, Öl auf Leinwand, 550 x 520 cm, Scuola di San Rocco

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gespannten Tuch situierten Raumschicht verblassen die winzigen Figuren im sakralen, von der glanzvollen Aura Gottvaters herabströmenden Licht, von dem sich die vorderen, im Gegenlicht befindlichen Figuren tief verschattet abheben. – Schon Swoboda ist nicht entgangen, dass Tintoretto hier gegenüber dem Wasserwunder einen merklichen Stilwandel vollzogen hat. Dies zeigt sich zum einen in einer konsequenteren, mit einer deutlichen Steigerung des sotto in sù gepaarten Öffnung des Tiefenraums, zum anderen in einer ausgeprägteren Vormachtstellung des Lichts, die auch die letzten Reste einer gesättigten Buntfarbigkeit zugunsten eines valeuristisch oszillierenden Kolorits außer Kraft setzt. Hinzu kommt ein flüchtigerer, bisweilen tupfenartig aufgetragener Pinselstrich, der, so Valcanover, bei einigen konservativen Mitgliedern der Scuola Missfallen erregt und mitunter sogar noch in der moderneren Kritik, etwa bei R. Longhi, Bedenken ausgelöst hat.562 Die Mannalese – mitsamt den sie flankierenden ovalen Deckenbildern mit Elias vom Engel gespeist, der Verteilung der Brote durch Elisäus und dem Passahfest – ist als Prophezeiung der christlichen Eucharistie zu deuten und steht demnach zu den begleitenden Wandgemälden, dem Letzten Abendmahl und der Brotvermehrung, in typologischer Beziehung. Wie bereits erwähnt verspricht Tintoretto in seinem Schreiben vom November 1577 dem Rat der Scuola, pro Jahr jeweils drei Gemälde zu liefern, was darauf schließen lässt, dass die zehn an den Längsseiten der Sala superiore angebrachten Bilder innerhalb einer Zeitspanne von 1578 bis 1581 entstanden sind. Swoboda hat versucht, den Bilderzyklus anhand stilistischer Kriterien in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen, ein meines Erachtens nur bedingt geglücktes Unterfangen, das bei Willmes sogar heftige Kritik ausgelöst hat. Bemängelt werden vor allem Swobodas „höchst fragwürdige“ Datierungsvorschläge sowie dessen „behauptete, aber nicht belegte Stildifferenzen“.563 Indessen unternimmt auch Willmes in einem ausführlichen Kapitel seiner Dissertation, das er mit der kryptischen Überschrift: „Die relative Chronologie der Wandbilder der Sala superiore“ versieht, ähnliche Datierungsversuche, wobei er schon einleitend zu sich selbst in Widerspruch gerät, wenn er betont: „Sowohl die weitgehende Gleichheit des Stils auf allen zehn Wandgemälden als auch das [generelle] Fehlen prinzipieller Stilveränderungen in der Zeit von 1578 bis 1581 […] erschweren eine sichere Datierung der Gemälde so erheblich, dass jede zeitliche Einordnung derselben lediglich als wahrscheinlich, aber nicht als unzweifelhaft richtig gelten kann.“ Schon knapp davor bekräftigt der Verfasser seine Stellungnahme mit dem Hinweis, Tintoretto sei „augenscheinlich mit Erfolg darum bemüht [gewesen], um des einheitlichen, überwältigenden Gesamteindrucks willen alle Gemälde in ungefähr dem gleichen pathetischen Stil auszuführen. Zur Charakterisierung dieses „einheitlichen“ Stils nennt er folgende Merkmale beziehungsweise Stilkriterien: „Die hochdramatischen Hell-Dunkel-Kontraste, die gewaltigen Vordergrundfiguren, die komplizierten […] bewegungshaltigen Stellungen sowie die dynamischen und affektgeladenen […] Gebärden der meisten Gestalten […], ferner die Beschränkung der Figurenmenge auf zwei bis höchstens zehn Hauptpersonen pro Gemälde.“ Weiters erwähnt er „die Beschränkung der Farbskala [abgesehen von wenigen, relativ gesättigten Buntfarben] auf

trübe, fahle, überwiegend dunkle Farben, und zwar hauptsächlich Dunkelbraun, außerdem Schwarz, Mittelbraun und Ocker.“564 Auch namhafte Forscher wie Pallucchini und Valcanover registrieren keine nennenswerten Stilbrüche, weshalb sie auf eine zeitliche Differenzierung beziehungsweise spezifische Gruppenbildung innerhalb des Gemäldezyklus verzichten und sich mit dem generellen Datierungsvermerk „1578–1581“ begnügen.565 Das Fehlen eines Stilpluralismus hat Tintoretto indes keineswegs daran gehindert, von Bild zu Bild – nicht zuletzt präjudiziert durch die jeweiligen ikonographischen Bedingungen – eine erstaunliche Vielfalt unterschiedlicher, weniger stilistisch, vielmehr mit dem Modus-Begriff umschreibbaren Ausdrucks- und Kompositionsgelegenheiten zu realisieren. Unbelastet vom Zwang einer fiktiven, entwicklungsgeschichtlich geprägten Chronologie, erscheint es folglich opportun, die an den Längswänden des Kapitelsaals applizierten Gemälde – ausgehend von der Anbetung der Hirten und endend in der Versuchung Christi – kontinuierlich im Uhrzeigersinn zu besprechen. Schon Ridolfi hat in seiner knappen Beschreibung der Anbetung der Hirten Tintorettos höchst originelle Idee, das Stallgebäude in zwei Stockwerke zu unterteilen, als „stravagante intentione“ gepriesen.566 Zu dieser Gliederung sah sich der Künstler nicht zuletzt durch das vorgegebene Bildhochformat präjudiziert. Sofern nicht Sonderwünsche der jeweiligen Auftraggeber zu berücksichtigen waren, hatte man bis dahin die Szene stets im querformatigen Rahmen dargestellt. Im Untergeschoss des Gebäudequerschnitts sind die Hirten im Stall abgebildet, dessen planimetrisch lineare Decke die Bildhöhe symmetrisch exakt halbiert. In der oberen Zone, einem dürftigen Heuboden, befindet sich die gleichsam dem Irdischen enthobene Heilige Familie. Sie ist unter einer niedrigen schadhaften Sparrendecke platziert und in manieristischer Weise aus dem ihr sonst zustehenden Zentrum an die Seite gerückt. Über dem ruinösen Dachstuhl – einem Motiv, das Tintoretto offensichtlich dem gleichnamigen Holzschnitt aus Dürers Kleiner Passion (1509) entlehnt hat567 – erglänzt das orangerote, von Cherubsköpfchen besetzte Firmament, von dem sich mattes Sakrallicht in den Stall ergießt und bei den Protagonisten in rhythmischem Wechsel von Hell und Dunkel Reflexlichter auslöst. Ergebnis ist eine mystisch anmutende Beleuchtung, mit der Jacopo laut Anna Pallucchini zu veranschaulichen scheint, wie stark die Glaubensrichtung der vor allem von Laienpredigern propagierten Mystik (etwa von Mattia Bellentami mit seiner „Pratica dell’ orazione mentale“ von 1573) im Venedig der zweiten Hälfte des Cinquecento verbreitet war.568 Die für den Bildeinstieg maßgebliche Schlüsselposition ist dem links außen stehenden Hirten vorbehalten, der, in Rückenansicht als Repoussoirfigur wiedergegeben, mit schräg hochgestrecktem Arm der Gottesmutter, mit der er in diagonaler Verbindung steht, in einem Teller Nahrung darbietet. Allein schon der Umstand, dass er – in gesättigtem Orangerot bekleidet – als einziger unter den Personen voll vom Licht, das offenkundig vom realen Betrachterraum ausgeht, erfasst wird, sorgt für ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man den neben ihm kauernden, tief verschatteten Gefährten mit in Betracht zieht. Auch dieser kümmert sich mit einer emporgehaltenen Schüssel und mit Griff in den beigestellten Eierkorb um

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S. 264 138 Tintoretto, Anbetung der Hirten, Öl auf Leinwand, 542 x 455 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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die Versorgung der Hl. Familie, mit der er, schräg ausgerichtet und nach rückwärts gebeugt, in diagonaler Richtung korrespondiert. Der symmetrischen Figurenkomposition entsprechend kniet rechts außen ein grauhaariger Hirte, der, die Hände zum Gebet gefaltet und als weitgehend abgedunkelte Rückenfigur dargestellt, zur Hl. Familie emporzublicken scheint. Lediglich an Schulter und Ärmel wird er vom Gegenlicht des Firmaments gestreift. Erst dadurch wird erkenntlich, dass sein rotes Gewand mit dem karminroten Kleid der Madonna im Einklang steht. Hinter ihm – obgleich wie die drei Hirten unmittelbar auf dem unteren Bildrand postiert – erhebt sich die stattliche Gestalt einer jungen Frau, die, en face wiedergegeben und nach links geneigt, einen Teller hält, während sie mit dem rechten stark verkürzten Arm in den Stall weist. Auch sie ist extrem dunkel gekleidet, abgesehen vom hell akzentuierten Schultertuch, dessen strahlendes Weiß – die Symmetrieachse der Stockwerkunterteilung überbrückend – mit den gleichfalls weißen Schultertüchern der Madonna und der links oben knienden Frauen korrespondiert. Daraus resultiert eine Geschossverbindung, an der auch die einander kreuzenden Diagonalen wesentlichen Anteil haben.569 Zwischen den beiden Paaren im Erdgeschoss führt eine in die Tiefe weisende Leiter zum leicht angehobenen Boden des Stalls, wo Ochs und Esel aufgrund ihrer perspektivisch verkürzten Darstellung zur Erschließung des Raumvolumens nicht unerheblich beitragen. Ungewöhnlich im Rahmen des Bilderzyklus ist die detaillierte Schilderung des Stallinventars (etwa des Wagenrads, der Mistgabel oder der Sense). Hinzu kommen die penibel geschichtete Ziegelrückwand und nicht zuletzt die drei Tiere: Pfau, Hahn und Ochs. Diese Detailfreudigkeit könnte auch als Indikator für eine Frühdatierung (1578/79) des Gemäldes dienen. Ein Vergleich mit dem unscharf wiedergegebenen Kücheninventar des zum Zyklus gehörenden Letzten Abendmahls mag dies verdeutlichen. Dass den Tieren ein hoher Symbolgehalt eignet, steht außer Streit. Während der Ochs auf das Evangelistensymbol des Lukas, des Autors der Weihnachtsgeschichte, anspielt, steht der der Göttin Juno zugekehrte Pfau für die Unsterblichkeit; der Hahn schließlich verweist auf die Verleugnung Christi durch Petrus.570 Die auf dem Heuboden lagernde Gottesmutter hebt das schleierartige Wickeltuch und gewährt den beiden Nahrung darbietenden Mägden einen Blick auf das hell leuchtende Köpfchen des Jesuskinds. Maria ist schräg angeordnet, überquert als einzige unter den Figuren mit ihren Beinen die Symmetrieachse und gerät dadurch – dem Gestaltgesetz der „guten Fortsetzung“ entsprechend – mit dem ihr vom linken Hirten dargebotenen Teller beinahe in Berührung, womit die ansteigende, kompositionell dominierende Diagonale betont wird. Aufschlussreich ist Emmrichs Interpretation der Gestalt Josefs. In der ikonographischen Tradition (bis zum beginnenden 16. Jahrhundert) spielte der Nährvater Jesu eine eher untergeordnete Rolle. Nunmehr aber verleiht Tintoretto, so die Autorin, „der Josefsfigur Monumentalität und die sinnende Haltung eines Evangelisten oder Kirchenvaters, sodass dem gebärdenreichen Bildausklang des unteren Teils die ruhige Bestimmtheit des oberen entgegengestellt ist […]. Die schlichte Gestalt des Zimmermanns wird zur Symbolfigur tätiger Liebe und treuer Pflichterfüllung“, womit der Künstler

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an die sozialen Zielsetzungen der Konfraternität zu erinnern scheint.571 – Jacopos Tendenz zur Untersichtdarstellung manifestiert sich vor allem am lichtdurchlässigen Sparrendach, dessen perspektivisch konvergierende Längsbalken den sich ansatzweise schon im Untergeschoss ankündigenden Trend zu räumlicher Vertiefung erheblich verstärken, wobei die flächenspezifische Figurenkomposition unangetastet bleibt, somit ein hohes Maß an Spannung erzeugt. Innerhalb des Gemäldezyklus nimmt die Taufe Christi eine stilistische Sonderstellung ein. Dies zeigt sich – um nur die wichtigsten Faktoren zu nennen – zum einen in der restlosen Tilgung der Symmetrie, zum anderen in der völligen Suspendierung der Flächenkomposition zugunsten des Tiefenraums und schließlich in der absoluten Hegemonie des Lichts, die nur verschwindend geringe Buntfarbakzente zulässt. In der Tat scheint es sich hier um eine stilistische Ausnahme zu handeln, was Willmes implizit zum Anlass nimmt, das Gemälde an das Ende des dreijährigen Schaffensprozesses zu rücken, demnach mit 1581 zu datieren.572 Obwohl die Taufe – abweichend von der ikonographischen Tradition – knapp am Bildrand vollzogen wird, ist deren Rolle als Bildzentrum unbestritten. Christus ist, im seichten Gewässer des Jordan kniend, in demütig gebeugter Haltung dargestellt. Über ihm öffnet sich der gelbliche, von bräunlich violettem Gewölk begrenzte Himmelsraum mit der Heilig-Geist-Taube, die einen Lichtstrahl entsendet, der, fast senkrecht ausgerichtet, den entblößten Rücken des Erlösers in grelles Licht taucht und dessen zentrale Stellung nachdrücklich akzentuiert. Dem ikonographischen Brauch widersprechend wird Christi Haupt in tiefes Dunkel gehüllt, ein Mysterium bergend, das, so Emmrichs überzeugende Deutung, der „einsamen Gestalt des Heilands etwas Schutzloses, Verletzliches verleiht. Der Taufakt wird so zu einem erschütternden Ereignis, das am Beginn des Weges Christi bereits die Annahme künftigen Todes in sich trägt“.573 Christi Einsamkeit wird einerseits durch das rings um ihn frei belassene Gewässer, andererseits durch Johannes, der – entgegen der herkömmlichen Ikonographie, die ihn stets neben dem Täufling (also auf derselben Ebene) zeigt – tief verschattet hinter dem Erlöser positioniert ist, betont. Besondere Aufmerksamkeit erregt auch die im Vordergrund vor einer bildhohen, fast senkrecht ansteigenden, extrem dunklen Felswand kauernde Mutter, die, frontal wiedergegeben, ihr schlummerndes Kind an die entblößte Brust drückt. Sie bildet den Auftakt einer Figurenkette, die mit der hinter ihr platzierten, völlig abgedunkelten, indes von einem weißen Tuch akzentuierten Figur anhebt und über Christus bis Johannes reicht; im Rücken des Täufers markiert ein greller, sich im Wasser spiegelnder Lichtreflex den Schlusspunkt der Kette. Die Figuren sind schräg hintereinander gestaffelt, parallel zur Bilddiagonalen ausgerichtet und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Öffnung der Raumtiefe. In den Vordergrund zurückkehrend bemerkt man in der linken Bildecke eine am Jordanufer sitzende, angesichts des hier herrschenden Dunkels indes nur schwer wahrnehmbare Gestalt, die in bogenförmigem Verlauf, die Diagonale überkreuzend, mit der bereits erwähnten, weiß akzentuierten Figur in Berührung kommt. Damit beginnt eine dynamische Kurvatur, die sich – im Sinne des Gestaltgesetzes der „durchlaufenden

139 Tintoretto, Die Taufe Christi, Öl auf Leinwand, 538 x 465 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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140 Tintoretto, Die Taufe Christi (Detail)

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Linie“ – am Felshang fortsetzt. Diesem entspringt eine Christi Rückenkrümmung wiederholende Figur, die in großem Bogen zur am Gestade des Jordan lagernden Volksmenge überleitet. Ergebnis ist eine raumgreifende, halbovale Struktur, die – von der Diagonalen angeschnitten – die zentrale Gestalt Christi umschließt. Der lange, am Felsufer versammelte, der Taufe entgegensehende und sich aufgrund eines raschen Größengefälles im Hintergrund verlierende Figurenzug wird mit einer Gruppe von fünf Frauen, die der in Ohnmacht gefallenen Gottesmutter beistehen, eingeleitet. Damit hat Tintoretto insofern einen ikonographisch Aufsehen erregenden Schritt vollzogen, als er die Beweinung Christi in dessen Taufe einbezieht, demnach schon hier prophetisch auf den die Menschheit erlösenden Kreuzestod des Heilands verweist. Künstlerisch in höchstem Maße revolutionär ist Jacopos Idee, die schimärisch anmutenden Figuren – „unwirklich in ihrer Transparenz an der Schwelle zur Wesenlosigkeit“ (Emmrich) – bis zur Formauflösung zu gestalten. Tendenziell ist dies bereits in einigen Bildausschnitten der drei großen Deckengemälde zu beobachten, allerdings mit dem Unterschied, dass die Figuren dort – trotz aufzehrender Wirkung des Lichts – noch ihre Konturen beibehalten. Wie eine Detailaufnahme der Beweinungsgruppe zeigt, verzichtet Jacopo nunmehr auf formbildende Umrisslinien. An deren Stelle tritt eine Binnenzeichnung, die mit ihrem weißen, dynamisch gekurvten Lichtliniennetz, unter dem sich nur ein Schimmer von Blau- und Rosatönen abzeichnet, die Figuren mit vibrierender Transparenz fast gänzlich entmaterialisiert. Damit hat der Künstler einen seiner Zeit weit vorauseilenden Entwicklungsschritt in Richtung Abstraktion vollzogen.574 Der Taufe folgt die Auferstehung Christi, ein Anzeichen dafür, dass sich Tintoretto nicht durch die chronologische Kontinuität der Evangelienerzählungen gebunden fühlte, sondern den thematischen Schlusspunkt des Bilderzyklus vorweggenommen hat. Wie schon erwähnt sah sich der Künstler hier durch die ikonographisch-typologische Bezugnahme zum mittleren Deckengemälde mit der

Ehernen Schlange sowie zur queraxial anschließenden, gleichfalls auf die Auferstehung anspielenden Vision des Ezechiel (De Tolnay) determiniert. In der Auferstehung erreicht Jacopo den Zenit seiner dynamischen, der Stilepoche des Barock vorgreifenden Bestrebungen – und dies nicht nur im Rahmen des Gemäldezyklus der Scuola, sondern vielleicht sogar hinsichtlich seines gesamten Œuvres. An die Stelle

141 Tintoretto, Auferstehung Christi, Öl auf Leinwand, 529 x 485 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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der düsteren Stimmungslage, der perspektivischen Raumtiefe und des dumpf valeuristischen Kolorits in der Taufe treten nunmehr der fulminante Sieg des Lichts über die Finsternis sowie eine mit der Flächenprojektion gepaarte, opak verstärkte Farbgebung in Erscheinung. An einen ausbrechenden Vulkan erinnernd, hat eine ungeheure Kraft das Felsmassiv gespalten und die Grabeshöhle aufgerissen. Einer glühenden Lavamasse gleich entfaltet sich eine den oberen Bildrand sprengende, zwischen Gelb und Orange changierende Gloriole, vor der Christus, einem Vorboten des Barock gleich, in vehementer Bewegung himmelwärts entschwebt. Hat Tintoretto den auferstandenen Erlöser – der Renaissance-Tradition folgend – im Hochaltarbild von San Cassiano (1565) noch streng vertikal dargestellt, so versetzt er ihn nunmehr, parallel zur Bilddiagonalen, in eine schräge, deutlich von der Symmetrieachse nach rechts abweichende Position. Das hellrosa gefärbte Grabtuch löst sich vom Körper des athletisch durchgebildeten Heilands, dessen rasanten Flug durch seinen spiralig aufgewirbelten Faltenschwung noch verstärkend. Ein peitschender Windstoß erfasst auch die gewaltige Siegesfahne, deren Stange der Auferstehende, weit vom Körper abgewandt, mit der Linken umfängt, während er mit der Rechten den Segen spendet. Boschini hat den Erlöser folgendermaßen beschrieben: „Unerschütterlich ist er hell und strahlend/ leuchtender als alles Gold umher“.575 Vier mit mächtigen Flügeln versehene Engel sind im Begriff, die schräg gestellte und bereits aufgeklappte Grabplatte abzuheben. Gegen das göttliche Licht scharf umrissen sind die beiden oberen Engel schwebend wiedergegeben, bemüht, mit eher spielerischem Zugriff den Höhlenverschluss im Gleichgewicht zu halten. Das untere Engelpaar ist kniend und karminrot gekleidet. Es trägt die Hauptlast der Aktion, indem es sich kraftvoll der sturzgefährdeten Marmorplatte entgegenstemmt. Zwei schlafende Grabwächter versinken im Dunkel des Vordergrunds. Während der eine in verrenkter, nur schwer nachvollziehbarer Haltung niedergestreckt ist, verschwindet der andere gänzlich unter der amorphen Stoffmasse seines Mantels, dessen von Reflexlichtern getroffenes Karminrot mit den gleichfarbigen Kleidern der knienden Engel korrespondiert. Links außen neben den beiden gesichtslosen Wächtern kauert eine in Rückenansicht gezeigte Frauenfigur, die zu Christus aufschaut und deren weiß akzentuierte Gewandteile mit dem Weiß des oberen Engels in Verbindung stehen. Zusammen mit dem zwischen den beiden Figuren vermittelnden Engel ergibt sich eine schräg verlaufende Figurenkette, die, im Haupt Christi kulminierend, dem linken Schenkel einer kompositionsbestimmenden figura piramidale entspricht. Die wie unter der Gewalt der Lichteruption nach links überhängende Felswand bildet zusammen mit dem ansteigenden Terrain einen halbovalen dunklen Rahmen für den Ausblick auf eine karge Landschaft, über der sich ein gelber Abendhimmel wölbt. Abgebildet sind zwei der drei Marien, die sich der Grabeshöhle nähern, diese aber, vom weißen Engel empfangen, als unmittelbare Zeuginnen der Auferstehung nur noch leer vorfinden werden. Wie schon des Öfteren hat Tintoretto auch hier zwei zeitlich aufeinander folgende Erzählphasen synchron behandelt.576 Auch für die Komposition leistet die vordere der beiden Frauen insofern einen nicht unerheblichen Beitrag, als sie mit dem Rot ihres Kleides – dem

Gestaltgesetz der Ähnlichkeit entsprechend – jene parallel zum oberen Rand zur Grabplatte schräg angeordnete Kette von Rotwerten, die vom rechten Wächter ihren Ausgang nimmt, in den Mittelgrund weiterführt und damit der an sich dominierenden Flächenprojektion eine tiefenräumliche Komponente gegenüberstellt. Im nächsten Gemälde, dem im Zeichen eines notturno stehenden Christus in Gethsemane, vollzieht Tintoretto seinen vielleicht radikalsten Traditionsbruch, der sich vor allem darin niederschlägt, dass er die Hauptszene – unter vollständiger Suspendierung der Symmetrie – zur Gänze in der rechten Bildhälfte ansiedelt, zudem, wie schon zuvor in der Anbetung der Hirten, in zwei Etagen unterteilt. Hinzu kommt die manieristisch anmutende Verlagerung des Zentrums in den rechten oberen Bildquadranten, wo Jesus – im Sinne einer ikonographisch neuen Idee – anstatt wachend und betend im Schlaf versunken dargestellt ist, und dies abweichend vom Evangelientext, in dem der Erlöser die Bitte äußert: „Mein Vater, ist es möglich, so gehe dieser Kelch von mir; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ (Matth., 26, 39). Gleichsam im Traum, als Vision, erscheint ihm der Engel – Von der Bercken zufolge „eine kosmische Erscheinung von höchster Gewalt“ – und hält ihm, als wollte er ihn wecken, mit ostentativer Armgeste den Leidenskelch entgegen.577 Der in höchster Dynamik herbeistürmende Himmelsbote wird von einer riesigen, orangefarbenen Aureole hinterfangen, deren regenbogige Umfassung Christi rotes Kleid tangiert. Der Heiland ist – exakt auf der Symmetrieachse angeordnet – im silbern schimmernden Laubwerk der Olivenbäume des GethsemaneGartens eingebettet. Auch über ihm erstreckt sich links oben ein dichtes Geflecht von Olivenzweigen, das ohne erkenntlichen Bezug zum völlig im Dunkel versinkenden Ölberg schwerelos zu schweben scheint. Dieses Dunkel dehnt sich auch nach rechts aus, wo es als breites horizontales Band die drei in der unteren Zone lagernden Jünger von Christus trennt. Diese bilden, vom Sakrallicht der Engelsaureole gestreift, eine nach rechts kippende Figurenpyramide. Besonders eindrucksvoll ist die heftig verkürzte Gestalt des Johannes, dessen zwischen düsterem Rotviolett und weißen Reflexlichtern changierendes Gewand ein dramatisches, von Schluchten und Graten durchzogenes Faltengebirge kennzeichnet. Über Christi Lieblingsjünger segmentbogig gebeugt markiert der Apostel Jakobus mit dem relativ hellen Blaugrau seiner Kleidung den koloristischen Kältepol und bildet mit dem farblichen Dreiklang (orange, rot und rotviolett) im darüber befindlichen Areal einen spannungsgeladenen Kalt-Warm-Kontrast. Im Gegensatz zu seinen Gefährten ist Petrus, abgesehen von seinem kahlen Haupt, auf das ein akzentuierender Lichtstrahl trifft, nicht schlafend, sondern eben erst erwacht dargestellt; auch dies laut Von der Bercken eine ikonographische Innovation. Den Kopf nach links gedreht entdeckt der Apostelfürst die nahenden, von Judas angeführten Häscher, die, mit irisierenden Lichtspuren versehen und grisailleartig gemalt, Gespenstern gleich wie aus dem Nichts beziehungsweise der Schwärze der Nacht auftauchen. Die in großem Bogen ausschwingende Prozession erweckt den Eindruck, als würde sie einem Tunnel des angesichts der Düsternis räumlich nicht lokalisierbaren Ölbergs entspringen. Abermals bemüht sich der Künstler, die Figuren skizzenhaft zu entmaterialisieren, nicht jedoch in dem Maße, wie dies in der Taufe Christi bei

Tintoretto am Höhepunkt

Abb. 142, S. 272

Abb. 168, S. 264

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142 Tintoretto, Christus in Gethsemane (= Ölberg), Öl auf Leinwand, 538 x 455 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

der Schar der am Jordan versammelten Täuflinge der Fall ist. Während die Figuren dort ihre Konsistenz gänzlich eingebüßt haben und im Sinne totaler „Formauflösung“ nur schemenhaft durch ein Gespinst von Lichtlinien erkennbar sind, wahren sie im Ölbergbild trotz extrem flüchtigem Pinselduktus ihre formsichernden Konturen, so dass sie mühelos als gerüstete Schergen wahrnehmbar sind. Den hier im Vergleich mit den Gestalten in der Taufe Christi noch nicht voll entwickelten Abstraktionsgrad hat W. Hofmann mit dem Begriff der „prämorphen Formvernachlässigung“ umschrieben.578 Obwohl ein figurales Größengefälle die Illusion von Tiefenräumlichkeit erzeugt, handelt es sich beim Schergenzug – nicht zuletzt aufgrund des undurchdringlichen Dunkels – um eine räumliche Randerscheinung. Demgegenüber bleibt die Vorrangstellung der Flächenkomposition mit ihrer Naturferne (etwa der Suspendierung der Schwerkraft, ihrem Transzendenzanspruch und der surrealen Lichtemanation) unangefochten. Dazu hat sich Coletti wie folgt geäußert: „In dieser schwärzlichen Einheit verliert der Raum die dritte Dimension und die Komposition ist auf ein Schema der Gleichzeitigkeit konstruiert, welches mit einem Schlage alle Errungenschaften der Renaissance abtut und zur byzantinischen Kunst zurückkehrt, oder auch zum Vorläufer El Grecos zu werden scheint.“579 Schon einige Jahre vor der Produktion der zehn Wandgemälde in der Sala superiore der Scuola di San Rocco hatte sich Tintoretto mit dem Thema Christus in Gethsemane befasst. Den Auftrag dafür erhielt er – zwei weitere Bilder (Ultima Cena und Fußwaschung) eingeschlossen – von der Scuola del Santissimo Sacramento der Chiesa di Santa Margherita, nach deren Auflösung die drei Gemälde in die Sakristei von Santo Stefano gelangten. Zunächst wurden die Bilder von Pallucchini sowie De Vecchi und anderen Autoren um 1580 datiert, ehe Worthen ihre Entstehungszeit auf Basis von Eintragungen in der „Mariegola“ der Scuola – mit 1576 richtigstellen konnte.580 Somit ist bewiesen, dass es sich beim Ölberg-Bild in Santo Stefano um einen Vorläufer der San Rocco-Fassung handelt. Die Analogie besteht darin, dass es sich jeweils um ein notturno handelt und Christus mit dem Engel, eingegrenzt durch die Ölbaum-Vegetation des Gethsemane-Gartens, im rechten oberen Bildquadranten angesiedelt ist. In beiden Fällen ist Christus schlafend dargestellt, in der früheren Version allerdings dem Engel zugewandt, der nicht wie später im Sturmschritt naht, sondern – vom Bildrand überschnitten und mit einer weniger dynamisch ausgebildeten Strahlenaureole versehen – den Heiland mit sanfter Handgeste zu wecken sucht. Anders als in der San Rocco-Fassung reicht das dichte Geflecht der Ölzweige bis fast zum Boden, lässt jedenfalls noch wenig vom späteren Schwebezustand des Gethsemane-Gartens erahnen. Noch gravierender ist der Umstand, dass Tintoretto das Gesetz der Symmetrie in der Erstfassung des Themas noch wahrt, indem er die Apostel Petrus und Jakobus – anstatt sie wie später asymmetrisch in der rechten Bildhälfte zusammenzudrängen – in großem Abstand voneinander an die seitlichen Bildgrenzen rückt und so das Gleichgewicht sichert. Aufgrund der die Sicht verstellenden Position Petri sah sich der Künstler vorerst genötigt, auf den späteren, perspektivisch behandelten Schergenzug zu verzichten und sich mit einer kleinen, vom Dunkel des Hintergrunds fast völlig absorbierten Schar von Häschern zu begnügen.581

Tintoretto am Höhepunkt

Abb. 143, S. 274

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143 Tintoretto, Christus in Gethsemane (=Ölberg), Öl auf Leinwand, 334 x 293 cm, Venedig, Santo Stefano Abb. 144, S. 275

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Mit der Ultima Cena in der Sala superiore schuf Tintoretto seine vorletzte der insgesamt neun Abendmahlsdarstellungen. Determiniert durch das Bildhochformat sah er sich nahezu gezwungen, für die Szene ein adäquates, kompositionell vollkommen neues Raumkonzept zu entwickeln, zumal er selbst – und darin einer schon seit jeher geltenden Regel folgend – stets das auch ikonographisch bedingte Querformat bevorzugt hatte. Eine riesige Halle bildet den Rahmen für die Abendmahlsgesellschaft, die – gemessen an Tintorettos übrigen Abendmahlsbildern, in denen die Figuren stets über das nur peripher angedeutete Raumgehäuse dominieren – relativ klein dimensioniert ist. Jacopo hat die „Entwicklung vom Querraum zum Tiefenraum konsequent vollzogen“.582 Dies schlägt sich nicht zuletzt in der asymmetrischen Konzeption des monumentalen Saals nieder, von dem nur die rechte Seitenwand sichtbar ist. Demgemäß ist der Fluchtpunkt aus der mittleren Zone an den linken Bildrand (auf dem Niveau des über eine Treppe erreichbaren, den linken Abschnitt der Küche flankierenden Raums) verlagert. Zu seiner Lokalisierung leisten die Fluchtlinien des Seitenwandgebälks sowie des schachbrettartig verfliesten Fußbodens einen kommensurablen Beitrag. Hinzu kommt die von den Aposteln fast gänzlich verdeckte Tafel, die mit ihrer perspektivischen Schrägstel-

lung den Saal diagonal durchmisst und das Fluchtliniennetz des Bodens in spitzem Winkel überkreuzt, somit über ihren eigenen, im Haupt Christi fixierten Fluchtpunkt verfügt. Wie der Raum ist auch die Licht- und Schattenverteilung asymmetrisch angelegt, insofern das von rechts flach einfallende Licht lediglich den keilförmig in die Tiefe stoßenden Fliesenboden beleuchtet, die Tischgesellschaft

144 Tintoretto, Das Letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, 538 x 487 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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1568–1581

Abb. 115, S. 213

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indes – mit Ausnahme des an der vorderen Schmalseite knienden Apostels – überwiegend im Schlagschatten der Seitenwand belässt. Letztere ist dermaßen in Dunkel gehüllt, dass ihre Pilaster-, Gebälk- und Paneelgliederung nur mit Mühe erkennbar ist. Gut wahrzunehmen ist lediglich der baldachinartig in den Raum überhängende Kaminabzug, der sich scherenschnittähnlich von einer zweiten Lichtquelle abhebt und „als retardierendes Moment dem übermächtigen Tiefenzug des Saals entgegenwirkt“.583 Rechts im Hintergrund öffnet sich ein querhausähnlicher Seitenarm, dem Licht entströmt, das auf dem Boden vor der gut ausgeleuchteten Küche einen grellen Reflex erzeugt, zugleich aber mehrere Apostel, die sich, im Gegenlicht befindlich, nur als tief abgedunkelte Silhouetten abzeichnen, unberührt beiseite lässt. Eine in der Abendmahlsikonographie völlig neue Idee manifestiert sich darin, dass nicht Christus, sondern einem Apostel eine zentrale Stellung zugewiesen wird. Dabei handelt es sich, wie schon erwähnt, um jenen an der vorderen Schmalseite der Tafel knienden Apostel, der, voll vom Licht erfasst und blasslila gekleidet, seine Gefährten bei weitem überragt, demnach schon prima vista die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich lenkt. Manieristischen Gepflogenheiten im Umgang mit ikonographischen Hauptgestalten folgend, ist Christus – gemäß der sich proportional zur Perspektive rasch verkleinernden Figuren – an das hintere Tischende verbannt, gemessen am riesigen Apostel im Vordergrund geradezu winzig klein wiedergegeben; lediglich der gelb strahlende Nimbus leistet einen Beitrag zu seiner Identifikation. Dargestellt ist die Einsetzung des Sakraments der Eucharistie, jener Moment, da Christus das Brot (beziehungsweise seinen mystischen Leib) Petrus, der ebenfalls tief verschattet ist, in Form einer Hostie überreicht, womit Tintoretto – der nachtridentinischen Ikonographie folgend – dem Ritus der katholischen Messfeier entsprochen hat. Erinnert sei hier daran, dass Christus in Jacopos etwa ein Jahrzehnt zuvor für San Polo geschaffener Ultima Cena den Aposteln anstatt Hostien lediglich Brotstücke darbietet. Wissenswert ist ferner, dass sich die Stiftung des Sakraments nach protestantischer Auffassung nicht während des Letzten Abendmahls, sondern erst durch die Kreuzigung vollzieht, demnach die Kommunion in zweierlei Gestalt, nämlich mit Brot und Wein (= Christi Blut) zelebriert wird.584 Der schlafende, auf den ersten Blick hin kaum wahrnehmbare Apostel Johannes ist mit der Gestalt Jesu farblich derart verschmolzen, „dass beide wie ein Leib“ (Emmrich) wirken. Zur Rechten Christi befindet sich Judas, der – als einziger unter den Aposteln weißlich gekleidet, somit vom Licht akzentuiert – sich halb aufgerichtet über den Tisch lehnt und mit einer jähen Kopfwendung die sakrale Handlung des Erlösers mit einiger Skepsis zu beobachten scheint. Meines Erachtens ist nicht auszuschließen, dass ihm der Künstler hier die Rolle eines ketzerischen Kryptoprotestanten zugedacht hat – eine These, die sich im Zusammenhang mit Jacopos letzter, noch bevorstehender Besprechung der in San Giorgio Maggiore befindlichen Ultima Cena verifizieren lässt. Gewiss ist der Einsetzung des Altarsakraments die Verratsankündigung unmittelbar vorangegangen. Die um die rechte Tischhälfte versammelten Apostel – drei davon völlig im Dunkel versinkend – sind noch immer in einen heftigen Diskurs

verwickelt, um den Verräter zu identifizieren. Wie seine demutsvoll kniende Haltung verrät, scheint lediglich der in Rückenansicht abgebildete Apostel das Eucharistie-Geschehen wahrzunehmen. Dies bezeugen seine ausgebreiteten Arme, eine Geste, mit der er auch seine erregten Gefährten zu beruhigen sucht. Seine begütigende Absicht scheint nicht ganz zu überzeugen, zumal der links von ihm auf einem umgestürzten Stuhl sitzende Apostel mit der an die Brust weisenden Hand immer noch seine Unschuld beteuert. Dieser neigt sich zu seinem mit ihm farblich übereinstimmenden Gesprächspartner. An Schulter und Stirn vom Licht akzentuiert ist er exakt auf der Mittelsenkrechten platziert, die von der Position des Hundes ausgeht und über den stehenden Apostel bis zum Türpfosten hinter dem vorkragenden Kaminabzug reicht; indessen wird mit dieser Zäsur die sonst im Bild dominierende Asymmetrie nur geringfügig gemildert. Als Bildeinstieg dienen zwei parallel zum unteren Bildrand geführte Stufen, die, einem Proszenium gleich, den bühnenartigen Eindruck des Ganzen verstärken. Streng symmetrisch angeordnet sind den Stufen zwei kauernde Figuren vorgelagert, ein Bettler und eine Frau, denen Brote und ein Krug mit Weinschale zugeteilt sind. Demzufolge ist naheliegend, die beiden als allegorische Verkörperungen der Eucharistie zu deuten. Zugleich aber wird die Scuola damit an ihre karitativen Pflichten erinnert. Der Hund, der angesichts seiner Platzierung auf der Symmetrieachse umgehend die Aufmerksamkeit des Betrachters erregt, verkörpert wohl mehr als ein genrehaftes Zitat. Anscheinend hat Tintoretto ihn auf einer anspruchsvolleren Bedeutungsebene angesiedelt. Das Tier reckt witternd sein Köpfchen und erweckt den Eindruck, dass selbst die Kreatur am Eucharistie-Ereignis teilnimmt oder zumindest instinktiv etwas davon zu ahnen scheint. – Im Gegensatz zur großteils verschatteten Hauptszene sind die beiden sich im Hintergrund öffnenden Küchenräume, in denen skizzenhaft wiedergegebene Diener vor einer mit zahlreichen Zinntellern bestückten Stellage das Mahl vorbereiten, ausreichend belichtet. Dazu Hüttinger: „So ist die heilige Handlung gerahmt, eingeschlossen von alltäglich realistischen Szenen. Gerade das aber, die Verbindung des Religiösen mit dem Alltäglichen […] gehört zum Wesen von Tintorettos Kunst.“585 Die herausragende Qualität des Gemäldes sowie Tintorettos Funktion als Wegbereiter des Barock blieb auch Velasquez nicht verborgen. Dies bezeugt der Umstand, dass er während seines Aufenthalts in Venedig 1649 eine Kopie der Ultima Cena anfertigte und Philipp IV. als Geschenk überreichte.586 Unabhängig von der zwingenden Bedingung des Hochformats hatte Tintoretto die Idee, die Abendmahlsmensa diagonal in den Raum zu stellen, bereits einige Jahre zuvor (1576) in seiner später in die Sakristei von Santo Stefano dislozierten, querformatigen Ultima Cena verwirklicht. Dabei ist anzumerken, dass die Forschung mehrheitlich hier eine Mitarbeit von Gehilfen, vielleicht auch eine Beteiligung von Tintorettos Sohn, Domenico, annimmt.587 Die Mensa ruht auf einem hohen Podest, dessen drei Stufen zunächst parallel zum unteren Bildrand und zur Schmalseite des Tischs angeordnet sind, dann, übereck gestellt, schräg in den Hintergrund führen. Mit der Fluchtlinie der Längstischkante konvergierend, lässt der Verlauf der Stufen auf einen links oben außerhalb der Bildfläche befindlichen Fluchtpunkt schließen,

Tintoretto am Höhepunkt

Abb. 145, S. 278

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145 Tintoretto, Das Letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, 349 x 530 cm, Venedig, Santo Stefano

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der mit seiner exponierten Lage zu einem höchst dynamischen Tiefenzug des Raums beiträgt, von dem nur die rechte, vom oberen Bildrand angeschnittene Wand zu sehen ist. Diese hinterfängt die Tischgesellschaft als dunkle Folie, deren ausschließlich vertikale Gliederung einerseits die Szene rhythmisiert, andererseits die Vehemenz des perspektivischen Tiefenzugs in Grenzen hält. Im Gegensatz zum Abendmahl in der Scuola di San Rocco ist Christus nicht an das Ende der Tafel verbannt, sondern im Vordergrund an deren Schmalseite platziert. Der von rechts eindringende Lichtstrahl akzentuiert den Rücken des Erlösers, so dass dessen Kleid einen zwischen Weiß und Rosa changierenden Farbton annimmt. Darüber hinaus sichert ihm seine isolierte Position eine unangefochten zentrale Stellung, zumal sein sonst stets mit ihm verbundener Lieblingsjünger Johannes merklich nach rechts an die Tischecke abgerückt ist; Letzteres eine in der Abendmahlsikonographie neue Idee. Im Profil gezeigt und über den Tisch gebeugt reicht Christus Petrus ein von einem Laib gebrochenes Brotstück, darin der traditionellen „Apostelkommunion“ (Swoboda) folgend. Nur wenig später wird Tintoretto im Kapitelsaal der Scuola – wie schon erwähnt im Sinne der nachtridentinischen Ikonographie – die Darstellung der Hostie bevorzugen. Anders als im San Rocco-Gemälde ist vor Christus ein kelchförmiges Weinglas platziert, das zwar auf dessen Blut anspielt, gleichwohl aber – zumal nur erschwert erkennbar – gemäß der liturgischen Regel des gegenreformatorischen Tridentinums nicht mehr als eine Nebenrolle spielt. Petrus ist genau an der Mittelsenkrechten orientiert, was an der asymmetrischen Konzeption indes nur wenig ändert. Ihm folgt ein mit dumpfem Rot akzentuierter Apostel, der zurückgebeugt nach einem gläsernen Kelch greift, der wie die beiden langstieligen, an Messkännchen erinnernden Glasfläschchen auf einem pateneähnlichen Silberteller steht – alles Gegenstände, die in der „Wandlung“ der Messfeier eine zentrale Rolle spielen.588 Hinter dem Apostel verbirgt sich eine vollständig abgedunkelte Gestalt, von der nur der Rücken zu sehen ist. Erst

nach einem längeren Ratespiel wird evident, dass es sich hier um Judas handelt, der sich aufgrund der Überschneidung durch das Haupt seines Nachbarn im Wortsinn als ‚kopfloses‘ Wesen erweist – Letzteres einmal mehr ein typisch tintorettesker ‚Einfall‘. Im Unterschied zum Gemälde in der Scuola steht hier die Einsetzung der Eucharistie ausschließlich im Mittelpunkt des Interesses. Bezüglich der knapp vorangegangenen Verratsankündigung sind seitens der Apostel jedenfalls keinerlei Reaktionen erkennbar. Während die Apostelschar in der Scuola di San Rocco durch ihre ebenso dynamischen wie variantenreichen Posen beeindruckt, sind in Santo Stefano die an der hinteren Längsseite der Mensa versammelten Jünger in geradezu ermüdender Regelmäßigkeit parataktisch gereiht und nahezu ausschließlich isokephal dargestellt. Lediglich hinsichtlich ihres rhythmischen Wechsels von Rotund Blauwerten stehen sie mit Christus in Beziehung. Eine Vorwegnahme sind auch die beiden symmetrisch in den Bildecken platzierten Figuren: rechts ein Bettler und links eine kniende Frau, deren rotes Kleid mit jenem Christi korrespondiert und die Worthen meines Erachtens zu Recht mit Maria Magdalena identifiziert hat.589 Ebenfalls vorweggenommen ist der sich auf den Stufen aufrichtende Hund, der, in Seitenansicht gezeigt, einerseits den perspektivischen Tiefenzug etwas mildert, andererseits für eine schräge Verbindung mit Petrus sorgt. Die gleiche kompositionelle Funktion erfüllt der nackte, parallel zum Hund angeordnete Knabe, der auf den Heiland weist. Dem an der Schmalseite des Kapitelsaals befindlichen Altar benachbart findet der Bilderzyklus mit der Speisung der Fünftausend an der südlichen Längswand seine Fortsetzung. Wie das Letzte Abendmahl ist auch dieses Gemälde eng mit dem Thema der Eucharistie verknüpft. Desgleichen steht es mit der Mannalese und anderen alttestamentarischen Deckengemälden (wie dem Passahmahl sowie mit Eliseus vermehrt das Brot und Elias wird vom Engel gespeist) in typologischer Verbindung. Dazu einige Passagen aus den Evangelientexten: „Danach ging Jesus an das andere Ufer des Sees von Galiläa, der auch See Tiberias heißt. Eine große Menschenmenge folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.“ (Joh, 6,1–2) „Ich habe Mitleid mit diesen Menschen; sie sind schon drei Tage bei mir und haben nichts zu essen.“ (Mk, 8,2) „Als es Abend wurde, kamen die Jünger zu Jesus und sagten: Der Ort ist abgelegen, und es ist schon spät geworden. Schick doch die Menschen weg, damit sie in die Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können. Jesus antwortete: Sie brauchen nicht wegzugehen. Gebt ihr ihnen zu essen! Sie sagten zu ihm: Wir haben nur fünf Brote und zwei Fische bei uns […]. Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische […], brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten, und alle aßen und wurden satt.“ (Mt, 14,15–20). Tintorettos Darstellung ist auf jene Stelle im Johannes-Evangelium fokussiert, in der es heißt: „Einer der Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagte zu Jesus: Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele! Jesus sagte: Lasst die Leute sich setzen! […] Da setzten sie sich; es waren etwa fünftausend Männer [laut Matthäus „dazu noch Frauen und Kinder“]. Da nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, soviel sie wollten“ (Joh, 6, 8–10).

Tintoretto am Höhepunkt

Abb. 146, S. 280

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1568–1581

146 Tintoretto, Die Speisung der Fünftausend, Öl auf Leinwand, 523 x 475 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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Valcanover zufolge „kehrt in diesem Gemälde die szenische Komposition wieder, die Tintoretto für seinen Gang auf den Kalvarienberg [= Kreuztragung] in der Sala dell’ Albergo 1566 verwendete: eine Ebene im Halbschatten, der sich eine zweite, voll beleuchtete Ebene diagonal entgegenstellt“.590 An dieser Beobachtung ist

zwar nichts auszusetzen, wichtiger aber ist der Umstand, dass die Komposition wie in der Anbetung der Hirten, der Ölberg-Szene und der Auferweckung des Lazarus in zwei Etagen unterteilt ist. Während unten die Hungernden, angesichts ihrer monumentalen Größe dem Betrachter ganz nahe gerückten Israeliten vor der Dunkelfolie des Hügels lagern, ist die asymmetrisch im linken oberen Bildquadranten angesiedelte Hauptszene – manieristischen Vorstellungen entsprechend – erheblich kleiner, somit entfernter dargestellt. Die von rechts steil ansteigende Schräge des Hügelumrisses reicht bis zur bildteilenden Vertikalachse, wo sie – stumpfwinkelig umbrechend – zum horizontalen Plateau überleitet, auf dem Christus und der Apostel Andreas – flankiert von schlanken Bäumen und durch eine hellgelbe Aura miteinander verbunden – positioniert sind und den knienden Knaben mit dem Korb auffordern, mit der wundersamen Verteilung der Brote und Fische zu beginnen. Auf den ersten Blick hin könnte man Andreas mit Christus verwechseln – insofern verständlich, als der Apostel den Erlöser um Haupteslänge überragt, mit befehlshaberischer Geste zur Brotverteilung aufruft und von einem auffallend strahlenden Nimbus akzentuiert wird. Erst bei näherer Betrachtung wird dem Beschauer klar, dass er einem typisch manieristischen Verwirrspiel erlegen ist. Stark abgedunkelt und weitgehend farbresistent stehen die drei Figuren – fast scherenschnittartig anmutend – im Gegenlicht des Abendhimmels, der sich nach oben zu sukzessiv verdüstert. Mit ihnen kontrastiert die von der Linie des Hügelrückens überschnittene und deutlich ins Licht gesetzte Volksmenge, von der zunächst nur Köpfe zu sehen sind, ehe rechts außen hinter der Hügelschräge zwei ihre Kinder stillende Mütter ganzfigurig in Erscheinung treten und angesichts ihres Größengefälles gegenüber den Riesenfiguren im Vordergrund den Eindruck partieller Raumtiefe vermitteln. Die Komposition wird hauptsächlich durch den halbtrapezoiden Umriss des Hügels bestimmt. Rechnet man dem noch die in der Dreiergruppe auf dem Plateau kulminierende Anordnung der Figuren hinzu, so resultiert daraus eine nach links gekippte figura piramidale. Unter den Riesenfiguren der unteren Etage dominieren die beiden in den Bildecken postierten, als Repoussoirfiguren dienenden Gestalten. Besondere Beachtung gebührt dem einem gespannten Bogen gleich den linken Bildrand tangierenden Jüngling, der – vielleicht einer der Jünger Christi – der vor ihm kauernden Frau ein Stück Brot reicht. Mit seiner exaltierten Körperkrümmung und seiner labilen Beinkrümmung manifestiert er sich als Musterbeispiel manieristischer Figurenbildung. In Ockergelb und Karminrot gekleidet fügt er sich mit dem dumpfen Blau der Kauernden zur Primärfarbtrias, die – von dem sonst im Gemälde vorherrschenden gebrochenen Kolorit abweichend – den Betrachter zum Bildeinstieg anregt. Rechts unten liegt eine in Rückenansicht gezeigte Frauengestalt, die sich – mit ihrem Oberkörper bogenförmig der Bildecke angepasst – über die gesamte Breite der rechten Bildhälfte erstreckt und den an sich schon großen Figurenmaßstab in manieristischer Unbekümmertheit bei weitem übertrifft. Über ihr sind drei Figuren flächenspezifisch in die Höhe gestaffelt. Eng ineinander verschlungen entsprechen sie gemeinsam mit den anderen Figuren dem typisch manieristischen Kompositionsprinzip des horror vacui.591

Tintoretto am Höhepunkt

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Die Frage, weshalb Die Auferweckung des Lazarus unmittelbar der Speisung der Fünftausend folgt, hat Thode mit einem Hinweis auf Prudentius beantwortet. Danach sei die Errettung des Lazarus letztlich darin begründet, dass dieser von dem Brot, das bei der Speisung der Fünftausend übrig geblieben war, gegessen habe.592 Daraus schließt der Autor auf eine eucharistische Sinndimension des Lazarus-Wunders, das demnach – typologisch durch die Mannalese vorweggenommen – mit der Ultima Cena sowie der Brotvermehrung zusammenhängt. Darüber hinaus steht das Gemälde auch mit der schräg gegenüber befindlichen Auferstehung Christi in Beziehung, zumal diese bereits im Johannes-Evangelium (11, 23–26) (im Rahmen der Lazarus-Geschichte) angekündigt wird. Dort heißt es: „Jesus sagte zu Martha: Dein Bruder [Lazarus] wird auferstehen. Martha sagte zu ihm: Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am letzten Tag. Jesus erwiderte ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt […].“ Analog zum Kompositionsschema der Anbetung der Hirten und vergleichbar mit Christus in Gethsemane sowie der Speisung der Fünftausend ist das Gemälde in zwei Etagen unterteilt. Rechts unten sitzt Jesus, karminrot und violett gekleidet, auf einer Felsstufe, zur Hälfte vom Dunkel der Bildecke absorbiert. Laut Von der Bercken „ist es kein Zufall, dass Christi Stirn so stark beleuchtet scheint, von seinem Gesicht geht der Lebensfunke aus, der das Wunder wirkt“.593 Soeben hat Jesus die Worte gesprochen: „Löst ihm [Lazarus] die Binden und lasst ihn weggehen.“ Links gegenüber kniet Lazarus’ Schwester Martha, die, als Rückenfigur und im fliehenden Profil dargestellt, ein dunkelolivgrünes Kleid trägt, lediglich im Nacken von einem Lichtstrahl erfasst. Ihre ausgebreiteten Arme drücken Dank und Ehrfurcht aus, man kann sie aber auch als Geste der Überraschung verstehen. Das Wunder vollzieht sich auf dem Plateau eines steilen, mehrfach abgetreppten und für die Zweiteilung des Gemäldes sorgenden Felshangs, dessen tiefes Dunkel sowie gähnende Leere viel zur spannungsgeladenen Magie des Geschehens beitragen. Eben erst hat man den Leichnam aus der Grabeshöhle gehoben und auf einen Felsblock gesetzt, um ihn von den „Binden“ zu befreien. Lazarus – noch kaum aus dem Todesschlaf erwacht – wendet sich mit ergebener Geste zu Christus, während ihn hilfreiche Hände stützen. Lediglich sein kraftvoll abgewinkeltes Bein ist markant beleuchtet und zeugt von neu erworbener Lebensenergie. Die linke, analog zu Martha in Rückenansicht gezeigte Figur hebt sich scharf vom tief verschatteten Höhleneingang ab und ist im Begriff, mit durchgestrecktem Arm das Leichentuch wegzuziehen. Das Zinnoberrot ihres Gewandes korrespondiert – die weite Strecke der Bilddiagonalen überbrückend – mit Christi Karminrot. Auch Marthas Schwester, Maria (von Bethanien), ist bemüht, ihren Bruder bei dessen Versuch sich aufzurichten, zu unterstützen. Ähnlich abgedunkelt scheint sie mit diesem zu „gestaltlicher Ganzheit“ zu verschmelzen. Über der Dreiergruppe, deren Schrägstellung jener Christi entspricht, wölben sich baldachinartig die Zweige eines Ölbaums. Dem gesellt sich ein schlanker, die Gruppe ebenfalls rahmender Feigenbaum hinzu, dessen Zweige und Blätter ein effektvolles Hintergrundsornament bilden, transparent genug, um den hellen, zwischen Blaugrau und Rosa

147 Tintoretto, Die Auferweckung des Lazarus, Öl auf Leinwand, 541 x 356 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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changierenden Abendhimmel durchschimmern zu lassen. Rechts im Hintergrund sind Köpfe weißbärtiger Männer angeordnet, denen eine junge Frau vorauseilt, die mit ihrem roten Kleid – trotz räumlicher Differenz – zu Christus eine flächenprojektive Verbindung herstellt. Unter strenger Vermeidung von Orthogonalen wird die Figurenkomposition ausschließlich durch Schrägen und Kurven bestimmt. Daraus resultiert die Struktur eines hochgestellten, in verhaltener Dynamik rotierenden Ovals, dessen geometrisches Zentrum, das leer belassene Felsareal, die Form eines Kreises annimmt. Von der Berckens knapp gefasste Beschreibung schließt mit dem treffenden, vom Johannes-Evangelium gestützten Satz: „Nicht eine wirkungsvolle Darstellung des Vorganges der Auferstehung Lazari ist der eigentliche Zweck dieses Bildes, sondern die Gewinnung zum Glauben, zur Überzeugung der Auferstehungskraft.“594 Die Himmelfahrt Christi korrespondiert mit der gegenüber befindlichen Auferstehung und steht auch mit dem ovalen Deckenbild der Vision des Jakob (= Jakobs Traum von der Himmelsleiter) in typologischer Beziehung. Nach Markus (16, 19) und Lukas (24, 50) wird Christus, unmittelbar nachdem er den Jüngern als Auferstandener erschienen ist, „aufgehoben gen Himmel“. Genauer ist die Schilderung in der von Lukas verfassten Apostelgeschichte (1,1, 12), wo es heißt: „Als er [Christus] das gesagt hatte, wurde er vor den Augen der Jünger emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, standen plötzlich zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihn ihr habt zum Himmel hingehen sehen.“595 Von der Bercken zufolge „gehört das Bild zu den gewaltigsten und visionärsten der Scuola, ist zugleich eines der merkwürdigsten des ganzen Zyklus“.596 Schon der Schauplatz erscheint eigentümlich, zumal Christus vom Ölberg aufstieg, hier aber sich die Szene in einem sumpfigen Tal, das in eine wüstenähnliche Ebene übergeht, abspielt. Wie schon des Öfteren ist die Komposition auch hier der Höhe nach halbiert, wobei ein Ausläufer der gewitterträchtigen Wolkenserie, den Landschaftshorizont überschneidend, für eine Verbindung der Himmelssphäre mit der terrestrischen Zone sorgt. Christus ist in majestätischer Größe aus der Mittelachse leicht nach rechts gerückt, die Arme in allumfassender Gebärde ausgebreitet. Seine schraubende Bewegung sowie sein den oberen Bildrand tangierendes Haupt unterstreichen das ihm innewohnende, beinahe die Bildgrenze sprengende Dynamikpotenzial. Als Zeichen seiner imperialen Würde trägt er ein zum Purpur tendierendes Kleid, das, von Reflexlichtern getroffen, mit dem Dunkel der kugelförmigen, schräg gravitierenden Wolkengebilde heftig kontrastiert. Erst bei näherer Betrachtung bemerkt man, dass der Heiland nicht stehend, sondern – ikonographisch ungewöhnlich – kniend dargestellt ist und von einem ebenfalls rot akzentuierten, unter ihm schwebenden Engel gestützt wird. Dieser schwingt einen riesigen Palmzweig, dessen Bogenform jener seines hell aufschimmernden Flügels entspricht. Zusammen gesehen erinnern die beiden Bögen an den geschwungenen Umriss

148 Tintoretto, Christi Himmelfahrt, Öl auf Leinwand, 538 x 325 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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Abb. 140, S. 268

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eines Kelchs, dem Christus, an dessen Manteldrapierung dieses dynamische Motiv sich in verengter Weise wiederholt, zu entwachsen scheint. Um den zentralen Christus-Träger sind vier weitere, eng an die Bildränder gedrängte und weitgehend ins Dunkel getauchte Engel angeordnet. Nur stellenweise blitzen Farblichter auf. Lediglich die peitschenden Flügelkonturen sind scharf ins Licht gesetzt. Den Schaufeln eines rasenden Mühlenrads gleich scheinen die Engel mit kraftvollen Flügelschlägen und zentrifugaler Dynamik um Christus kreisförmig zu rotieren, wobei sie ähnlich wie dieser die Arme ausbreiten. Laut Coletti „versuchte Tintoretto hier eine seiner größten Kühnheiten: Er lässt die Komposition nach vorne heraustreten. Dies gelang ihm, indem er mit größeren Proportionen und plastischer Definition uns die Figur des Heilands näher erscheinen lässt.597 Das Gleiche gilt für die links unten ebenfalls auf der vordersten Bildebene postierte Gestalt, die in der Literatur mitunter als Apostel Petrus identifiziert wird. Meines Erachtens dürfte es sich jedoch um Lukas, den Verfasser der Apostelgeschichte, handeln, der einen aufgeschlagenen Folianten hält und nachzusinnen scheint, was er über die von ihm als Vision erlebte Himmelfahrt Christi schreiben soll. Wie sein verschattetes, vom Erlöser abgewandtes Antlitz verrät, sieht er, so Dvořák, die Himmelfahrt „nicht als etwas Reales, nicht in sinnlicher Gegenwart, sondern als Bild der Fantasie […]. Es ist klar, weshalb in einer solchen Darstellung das farbenreiche Kolorit der älteren Werke verschwunden ist“. 598 Bei der Formulierung der in komplizierten, typisch manieristischen Drehungen wiedergegebenen Sitzfigur des Evangelisten dürfte sich Jacopo – vermittelt durch eine graphische Vorlage – an Michelangelos Deckenfresko (Sixtinische Kapelle) mit der Darstellung des Propheten Jonas orientiert haben. Lukas thront auf einer leicht erhöhten Bodenwelle, die von einem schmalen Rinnsal begrenzt wird. Daran schließen sechs Apostel, die sich um einen vom rechten Bildrand angeschnittenen Tisch versammelt haben. Angesichts ihres gegenüber Lukas beinahe halbierten Figurenmaßstabs ist evident, dass sie räumlich zurücktreten, offensichtlich knapp hinter der Bildebene des Himmelfahrtsgeschehens angesiedelt sind, woraus sich auch ihre grob skizzierte Wiedergabe erklären lässt. Kompositionell gesehen bildet die Gruppe das Schlussstück der sich von links oben senkenden Diagonalen, in die sich auch die Kette der zahlreichen Wolkenballen in richtungskonformem Verlauf eingliedert. Darunter erstreckt sich die karge, in hellen Graugrünwerten gehaltene Landschaft in die Tiefe. Einem weiteren Raumintervall gemäß besonders stark verkleinert erscheinen dort zwei weitgehend vom Licht absorbierte, lediglich mit einem Schimmer verblassend heller Rosa-, Blaugrau- und Gelbtöne versehene Gestalten, die gleichwohl das Zentrum der Figurenkomposition bilden und in der Literatur bisweilen mit Aposteln verwechselt werden. In Wahrheit handelt es sich um jene „zwei Männer in weißen Gewändern“, die Lukas in der Apostelgeschichte erwähnt – schemenhafte Geistwesen, deren Grad an entmaterialisierender Formauflösung an jenen der in der Taufe Christi abgebildeten Hintergrundsfiguren erinnert. Auch Arnold Hauser, einer der besten Kenner des Manierismus, hat sich, fokussiert auf die visionäre Sicht des Evangelisten, mit dem Gemälde wie folgt auseinan-

dergesetzt: „Eine einleuchtende Erklärung der widerspruchsvollen Behandlung der verschiedenen Teile der Szene dürfte die sein, dass der Künstler, bei der visionären Natur seines Gegenstandes, auf die immanente Folgerichtigkeit einer illusionistischen Schilderung von vornherein verzichtet hat […]. Woran man sich dabei vor allem zu erinnern hat, ist die Betonung der heterogenen, widerspruchsvoll zusammengesetzten Natur der Wirklichkeit durch den Manierismus im Allgemeinen. In der manieristischen Kunst erscheinen die Dinge bald in konkreter, bald in abstrakter Form, bald scheinen sie substanzieller, bald substanzloser zu sein. […] Um das Erlebnis, dass sein Schein und Sein unauflösbar miteinander verquickt sind […], geht es ihr im Wesentlichen, und nicht um die genaue Feststellung der Grenzen zwischen den verschiedenen Provinzen des Seins.“599 Christi Krankenheilung am Teich Bethesda, die inhaltlich mit der gegenüber an der Nordwestwand situierten Taufe Christi korrespondiert, ist wohl das am schlechtesten erhaltene Gemälde der Scuola. Nachdem ein Wassereinbruch schwere Schäden verursacht hatte, wurde Domenico Tintoretto 1602 mit der Restaurierung des Bildes beauftragt, wobei er einen erheblichen Teil der Vordergrundsfiguren übermalte. Ein zweiter, 1696 vom Maler Lelio Ponetti vorgenommener Restaurierversuch führte zu keiner Verbesserung des Erhaltungszustands, zumal dabei von Jacopos ursprünglicher Handschrift offensichtlich viel verloren ging. Bleibt nur noch zu erwähnen, dass Ponettis „Überarbeitungen aufgrund methodologischer Überlegungen bei den Restaurierarbeiten von 1974 nicht entfernt wurden“.600 – Zunächst fällt ins Gewicht, dass der Künstler vom Johannes-Evangelium (5,1–9) ikonographisch insofern merklich abweicht, als er das Geschehen vom Teich Bethesda, wo sich laut Johannes die Wunderheilungen ereignen, in einen von Architekturmotiven flankierten und von einer Weinlaub-Pergola überdachten Schauplatz verlegt. Von der Bercken zufolge „betont Tintoretto nicht, wie das vielfach nordische Maler getan haben, das, was den Beschauer abschreckt, er gibt nicht die Abscheu und Ekel erregenden äußeren Merkmale der Krankheit wieder, sondern schildert in einer leicht sinnlichen und zugleich ein wenig prachtliebenden Weise eine Szene antiken Badelebens“.601 Allein der tief verschattet vom unteren Bildrand überschnittene, nur mit Mühe erkennbare Gichtbrüchige, der – nachdem ihn Christus aufgefordert hat: „Steh auf, nimm deine Bahre und geh!“ – sein Bettzeug wegschleppt, gibt Auskunft über den im Johannes-Evangelium genannten Ort der Wunderheilung. Ungeachtet der zahlreichen Restaurierungseingriffe sind es zwei Phänomene, die den Charakter der Komposition vorrangig prägen: zum einen der enorme, kontinuierlich bis in den Landschaftshintergrund verlaufende Tiefenzug, zum anderen die in der linken Bildhälfte im Sinne eines manieristischen horror vacui nur schwer entwirrbare figurale Überfülle. Die in dichter Folge miteinander verschmelzenden Figuren bilden eine Girlande, die von rechts vorne ihren Ausgang nimmt, dann links außen in diagonaler Richtung umbricht und abrupt verkleinert bis in den Hintergrund zu einer über dem Haupt Christi positionierten Apostelgruppe führt. Von der Figurenkette merklich abgerückt dient Christus, vom Licht akzentuiert, als Bildeinstieg. Auffallend ähnlich wie in der etwa zwei Jahrzehnte

Tintoretto am Höhepunkt

Abb. 149, S. 288

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149 Tintoretto, Christi Krankenheilung am Teich von Bethesda, Öl auf Leinwand, 533 x 529 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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zuvor für die Chiesa di San Rocco geschaffenen, triptychalen Krankenheilung ist Christus – allerdings seitenverkehrt, stark vorgebeugt, in torsierender Bewegung und bogenförmiger Krümmung wiedergegeben. Den Blick auf die zu seinen Füßen kauernde und ihre erkrankte Tochter vorweisende Mutter gerichtet, scheint er diese mit betonter Armgeste dazu aufzufordern, ihm zwecks Heilung auf dem Weg zum Teich Bethesda zu folgen. Am Oberschenkel der auf dem Schoß ihrer Mutter ausgestreckten Kranken ist eine blutende Wunde bemerkbar, die, so Von

der Bercken, „wohl als eine Anspielung auf die Beinwunde des Hl. Rochus aufgefasst werden darf“.602 Zuletzt noch ein Blick auf die linke Bildhälfte, in der aus den Umkleide- und Ruhekabinen die nach hinten zu sukzessiv verkleinerte und in typisch manieristischen Bewegungshaltungen im Schatten der Pergola wiedergegebene Schar der ineinander verkeilten Kranken hervorquillt. Lediglich die links außen befindliche nackte Frau ist ins Licht gesetzt. Wie der sie überhöhende rote Baldachin verrät, gehört sie der oberen Gesellschaftsschicht an. Darüber hinaus zeigt sie keinerlei Anzeichen von Krankheit. Stattdessen war Tintoretto bestrebt, ihr mittels lasziv anmutender Beinstellung eine offensichtlich erotische Note zu verleihen. Einen ähnlichen Eindruck vermittelt die in der darunter in der Bildecke platzierte Frau, die, ebenso vom Licht getroffen, ihre entblößten Brüste und ihr wohlgeformtes Bein präsentiert. Die Kabinen leisten mit ihrem durchlaufenden Gebälk sowie Abstands- und Größengefälle einen wesentlichen Beitrag zur perspektivischen Erschließung des Tiefenraums, dessen Fluchtpunkt in halber Höhe der einem Freipfeiler vorgelagerten Halbsäule situiert ist. Diese akzentuiert das Haupt Christi, dessen Neigung mit der Schrägen des rechten Teils des dunkelroten, zeltförmig drapierten Vorhangs in Verbindung steht. Die Versuchung Jesu, die mit dem ovalen Deckenbild des Sündenfalls in typologischer Beziehung steht, basiert auf den Evangelien des Matthäus und Lukas. Dazu heißt es bei Matthäus: „Als Jesus 40 Tage und 40 Nächte gefastet hatte, bekam er Hunger. Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird. Er aber antwortete: In der Schrift heißt es: Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“ (Mt., 4, 2–5) – Präjudiziert durch das extreme Hochformat ist die Figurenkomposition in zwei Etagen unterteilt. Wie im Ölberg-Gemälde ist Christus im rechten oberen Bildfeld postiert. Auf einem mit üppiger Vegetation versehenen Hügel thronend und aus einer torsierenden Bewegung heraus sein verschattetes Haupt ins Profil gedreht, blickt Christus auf Luzifer herab, mit dem er diagonal durch den grünen Steilhang verbunden ist. Er trägt ein zinnoberrotes Kleid, das der faltenreiche Mantel großteils verdeckt. Dieser zeigt einen Lilaton, der im Gewölk des Himmels in gedämpfter Weise wiederkehrt. Dem Hügel entspringt ein bogenförmig in die Höhe schnellender Baumstamm, der, einer Schutzfunktion gleich, Christi Position begrenzt. Zudem stützt dieser ein schadhaftes Balkendach, das an jenes ebenso auf Untersicht angelegtes in der Anbetung der Hirten erinnert. Luzifer ist nicht wie sonst so oft als teuflischer Dämon, sondern – der Rolle eines unwiderstehlichen Verführers gemäß – als betörend schöner Jüngling dargestellt, der mit ausgestreckten Armen dem Erlöser zwei Steinbrocken darbietet. Es entspricht einem genialen Einfall Tintorettos, lediglich das Antlitz und den rechten Arm des Versuchers ins Licht zu setzen, wogegen dessen gesamter Leib in tiefes Dunkel getaucht ist. Kaum vermag man sich des Eindrucks erwehren, dass das rosige Gesicht des Jünglings sogar einen Hauch von Bewunderung spüren lässt. Zudem trägt dieser ein rötliches, dynamisch aufgebauschtes Lendentuch, das mit dem Zinnober Christi korrespondiert, zugleich aber – angesichts der peitschend

Tintoretto am Höhepunkt

Abb. 150, S. 290

Abb. 138, S. 263

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150 Tintoretto, Die Versuchung Christi, Öl auf Leinwand, 539 x 330 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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geführten Pinselstriche – an die Flammen der Hölle erinnert; mit Letzterer assoziiert man vielleicht auch die beinahe die halbe Bildfläche füllende Finsternis des unter Christus gähnenden Abgrunds. Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass Tintoretto neben seiner höchst anspruchsvollen Tätigkeit in der Sala superiore noch die Kraft hatte, sich gleichzeitig

auch anderen Aufgaben zu widmen. Ende 1578 erhielt er vom Herzog Guglielmo Gonzaga den Auftrag, für die Sala dei Marchesi e quella dei Duci des Palazzo Ducale in Mantua vier Gemälde mit Themen zur Geschichte der Gonzaga zu schaffen. Als Entlohnung waren 100 scudi pro Bild vorgesehen. Wie aus einem Schreiben des Grafen Theodoro Sangiorgio hervorgeht, erfolgte am 1. Oktober 1579 die Bestellung von vier weiteren, am 10. Mai 1580 vollendeten Gemälden, für die Jacopo mit 234 scudi honoriert wurde.603 Weshalb Tintoretto den Mut aufbrachte, trotz schwerster Arbeitsüberlastung in der Scuola di San Rocco diesen Auftrag anzunehmen, dafür gab es vermutlich zwei Ursachen: zum einen Prestigegründe, um nachzuweisen, dass seine Kunst – dem Beispiel des Malerfürsten Tizian folgend – auch außerhalb Venedigs gefragt war, und dies sogar an einem der prominentesten Fürstenhöfe Italiens, zum anderen die Absicht, sein im Argen liegendes Familienbudget aufzubessern. Welche Wertschätzung Jacopo beim Herzog genoss, beweist unter anderem der Umstand, dass dieser ihn laut dem Bericht Ridolfis mitsamt Gemahlin nach Mantua einlud, um die Platzierung der Gemälde persönlich zu überwachen; im Übrigen war diese Reise wahrscheinlich die einzige, die der Künstler je unternommen hat. Unter den acht, jetzt im Besitz der Alten Pinakothek in München befindlichen Gemälden sind fünf dem Thema siegreich bestandener Schlachten der Gonzaga gewidmet, womit sich Jacopos Reputation auch als Schlachtenmaler festigte. Dieser nunmehr auch überregional bestätigte Ruf mag dazu beigetragen haben, dass die Serenissima dem Künstler schon ein Jahr nach dem Beginn des Mantuaner Zyklus, 1579, den Auftrag erteilte, für die Sala del Maggior Consiglio fünf Deckenbilder zu malen. Um das zentrale Gemälde Der Triumph des Dogen Nicolò da Ponte gruppieren sich vier oktogonale Bilder mit Schlachten der Republik im 15. Jahrhundert zu Wasser und zu Lande. Die Ausführung dieser 1582 vollendeten Bilderfolge oblag wie beim Mantuazyklus Domenico Tintoretto und anderen Gehilfen der Werkstatt. Emmrich zufolge „bot diese Art Aufträge, die angemessen honoriert worden sind, die entscheidende Existenzgrundlage in den 70er- und 80er-Jahren. Nur auf diese Weise war es Tintoretto möglich, die Aufgabe seines Lebens, die Arbeiten für die Scuola Grande di San Rocco, fast unentgeltlich zu leisten.604

Tintoretto am Höhepunkt

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DA S S PÄT W E R K

Der Bilderzyklus der Sala terrena in der Scuola di San Rocco Schon bald nach der Vollendung der Gemälde in der Sala superiore nahm Tintoretto – neben der Realisierung anderer Aufträge, vor allem für den Dogenpalast – die Arbeit in der Scuola di San Rocco wieder auf und begann vermutlich bereits zu Beginn des Jahres 1582 mit der Ausführung der Gemälde für die Seitenwände der Sala terrena. Bezüglich der Chronologie der acht dem Marienleben gewidmeten Bilder gibt es nur einen lückenhaften Quellenstand. Lediglich zwei Dokumente dienen als verlässliche Anhaltspunkte: Das erste ist mit 16. Juli 1582 datiert und gibt Auskunft über den Aufwand für den Rahmen der Anbetung der Heiligen drei Könige, während das zweite Dokument vom 12. August 1587 eine Spesenrechnung enthält, aus der hervorgeht, dass die Beschneidung das letzte, in der Sala terrena angebrachte Gemälde war, womit auch die Gesamtdauer von Jacopos Tätigkeit im Erdgeschoss der Scuola umrissen ist. Erstaunlich ist, dass die meisten Autoren, wie etwa Tietze, Pallucchini, De Vecchi, Valcanover, Krischel und Villa, auf den Versuch einer entwicklungsgeschichtlich bedingten Datierung der Bilder verzichten und stattdessen es bei einer allgemeinen Datierung (1582–1587) bewenden lassen. Lediglich Willmes bildet eine Ausnahme, wenn er in seinem Kapitel „Die relative Chronologie der Bilder“ zu folgendem, meines Erachtens weitgehend akzeptablen Ergebnis gelangt: 1582 1583/84 1584 1587

Die Verkündigung Die Anbetung der Magier Der Bethlehemitische Kindermord Die Flucht nach Ägypten Die Hl. Maria Magdalena, Die ägyptische Maria Die Himmelfahrt Mariä Die Beschneidung605

Der Schauplatz der Verkündigung vermittelt den Eindruck eines bühnenhaften Prospekts, der einen querschnittartigen Einblick in ein hohes, mit einem kassettierten Marmorboden und prächtiger Soffittendecke ausgestattetes Gemach eines im Verfall befindlichen Palazzos gewährt. Ein bildhoher, mit vorgelagerter ruinöser Halbsäule versehener Pfeiler, der die Bildfläche nach dem Proportionsgesetz des Goldenen Schnitts unterteilt, trennt Mariens prunkvolles Schlafzimmer von Josefs nach hinten zu offener Werkstatt, über der sich der blassgelbe Himmelsausschnitt als primäre Lichtquelle wölbt; damit übereinstimmend das reale, von links durch

Abb. 151, S. 294

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151 Die Verkündigung, Öl auf Leinwand, 422 x 545 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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das Hauptportal der Scuola einströmende Licht. Bedingt durch diese von allen anderen Gemälden des Zyklus abweichende Lichtbündelung, fühlt sich der Betrachter durch den „Gegensatz von harter Realistik und dem Zauber malerischer Andeutungen besonders stark“ berührt.606 Eine wild bewegte Horde von Putten fliegt im Sog des Lichtstroms in großem Bogenschwung durch das Oberlicht der Pforte, den Erzengel Gabriel eskortierend, der durch das stark verkürzt wiedergegebene Portal mit mächtigem Flügelschlag Maria entgegenschwebt und sie mit den Worten: „Ave Maria, gratia plena“ begrüßt, worauf sie, so im Lukas-Evangelium (1,29) weiter, „über die Anrede erschrak und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe“. Vom tiefen Dunkel des Raumhintergrunds foliiert trägt der Erzengel ein weißes, wie vom Sturm aufgewirbeltes Kleid und verweist mit ausfahrender Armgebärde auf die Heilig-Geist-Taube, die sich in steilem Flug Maria nähert. Diese wird von Pallucchini und, ihm folgend, von Valcanover, der Hand Domenicos zugeschrieben. Dafür sprechen laut Emmrich einige Merkmale, wie deren „wenig spannungsreiche Farbigkeit“, das flach anmutende, gleichmäßig beleuchtete Antlitz, sowie „die scharfe Plastizität, die

der Vater zu dieser Zeit bereits überwunden hatte“. Ein unverkennbares Indiz für eine Beteiligung Domenicos ist vor allem der ebenso opake wie undifferenzierte Pinselduktus am roten Kleid der Madonna, dessen schematisch grobe Faltengebung inbegriffen. Hinweise in der Literatur auf weitere vermeintliche Mängel, wie etwa im Bereich der Engelschar oder am Kleid Gabriels, sind meines Erachtens nicht nachvollziehbar. Es sei denn man neigt dazu, die in der Tat etwas unbeholfen hochgezogene Perspektive der fluchtenden Bodenfliesen – angesichts derer die Szene nach unten abzugleiten droht – der Mitwirkung Domenicos oder eines anderen Werkstattmitglieds anzulasten.607 Aufgrund der Verheißung des Erzengels weicht Maria erschrocken zurück, erstarrt und doch – wie es ihre Körperdrehung und nach rechts weisenden Arme verraten – beinahe zur Flucht bereit. Hinter ihr erstreckt sich – die horizontale Flugrichtung des Erzengels fortsetzend – die monumentale Liegestatt mit akkurat geschichtetem Bettzeug. Darüber erhebt sich, keilförmig zugespitzt und bis zur Decke reichend, ein stattlicher Baldachin, dessen purpurähnlicher Farbton mit dem stumpfen Ziegelrot des Kleides der Gottesmutter korrespondiert. Im pyramidalen Baldachin manifestiert sich eine „Würdeform“ (A. Warburg), die man als Anspielung auf Mariens zukünftige, von der Trinität vollzogene Krönung zur Himmelskönigin deuten könnte. Nur noch das kleine, auf dem Beistelltisch platzierte Spinnrad sowie ein schadhafter strohgeflochtener Stuhl entsprechen dem Inventar einer ärmlichen Kemenate – nebensächliche Details, die an ihre irdische Existenz erinnern. Das linke Bilddrittel gibt einen Einblick in Josefs düstere Werkstätte, in der, dem Zimmermannsgewerbe gemäß, Gerätschaften, wie Werkzeuge, Bretter, Balken usw., in einem heillosen Durcheinander untergebracht sind – alles in einer sonst für Tintoretto ungewöhnlichen Detailfreudigkeit wiedergegeben, wie sie vor allem in Werken der transalpinen Kunst anzutreffen ist. Krischel verweist hier auf einen nach Marten van Heemskerck gefertigten Kupferstich (Ein Engel erscheint dem Hl. Philippus; 1575), der diese Eigenschaft exemplarisch bezeugt. Dies spricht dafür, dass neben Domenico vermutlich auch Niederländer wie Lodewijk Toeput und Gijsbert van Veen Jacopos Werkstattbetrieb angehörten. Krischel erinnert daran, dass die beiden Künstler 1589 zu Jacopos siebzigstem Geburtstag ein Kupferstichporträt des Meisters herausgaben und dadurch ihre tiefe Verbundenheit mit ihm bekundeten.608 Die im Juli 1582 vollendete Anbetung der Heiligen drei Könige ist wahrscheinlich das früheste Gemälde des Marienzyklus, das gemäß der vorgerückten Dämmerstunde einem notturno nahe kommt und hinsichtlich seiner magischen Licht- und Schattenkomposition alle übrigen Bilder der Sala terrena an Dramatik übertrifft. Die Szene spielt nicht wie in der Anbetung der Hirten (Sala superiore) in einem heimeligen, von warmem Licht durchdrungenen Holzstall, sondern in einer düsteren, weiträumigen Halle, die angesichts des ruinösen Dachstuhls an die Scheune eines verlassenen Gutshofs erinnert. Letzteres bestätigt die „Würdeform“ einer rechts außen am Bildrand situierten, unverputzten Backsteinsäule, die mit dem zweiten Säulenpaar der Sala terrena in queraxialem Bezug steht.609 Wiewohl den Anspruch auf das Bildzentrum erhebend sind Maria mit dem Kind und

Bilderzyklus der Sala terrena

Abb. 152, S. 296

Abb. 138, S. 264

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152 Tintoretto, Die Anbetung der Heiligen drei Könige, Öl auf Leinwand, 425 x 544 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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zwei der Könige (der dritte, der Mohrenkönig Kaspar, ist seitlich zu ebener Erde hinzugefügt) in die linke Bildhälfte verlagert. Foliiert vom extremen Dunkel des Wandhintergrunds sind diese auf einer hölzernen, etwa einem Drittel der Bildhöhe entsprechenden Plattform platziert, die von Ziegelpfeilern gestützt wird; Letztere scheinen auch den Eingang zu einem dunklen Kellergewölbe zu markieren – vielleicht eine Anspielung auf den Triumph von Christi Erlösungswerk über die Mächte der Finsternis. Der am oberen Bildrand angebrachte Stern von Bethlehem entsendet einen schwachen Lichtstrahl auf die Köpfe Mariens und des Jesuskinds. Indessen sind es deren goldgelb leuchtende Nimben, die als eigentliche Lichtquellen fungieren. Dazu eine treffende Bemerkung Emmrichs: „Das Licht, das die Figuren aus dem Dunkel des Stalles heraushebt, besitzt nicht mehr den Charakter einer von außen kommenden Beleuchtung. Es gehört zum Wesen der Gestalten, ein Leuchten von innen heraus.“610 Melchior, der kniend und in demütig geneigter Haltung das göttliche Kind anbetet, ist als einzige unter allen Figuren zur Gänze ins Licht gesetzt. Er trägt ein mit Hermelin verbrämtes Prunkgewand, das dem Staatsornat der

Dogen gleicht. Unwillkürlich fühlt man sich an jene drei in der Sala del Collegio im Dogenpalast befindlichen Votivbilder erinnert, die Jacopo 1581–1582 mit erheblicher Unterstützung durch Domenico gefertigt hat: Gemälde, die verschiedene Dogen – darunter auch den damals regierenden Nicolò da Ponte – in Anbetung der Madonna zeigen.611 Den Eindruck einer Sacra Conversazione verstärkend erhebt sich zwischen Maria und Melchior der stark verschattete Balthasar, der mit ihnen die Spitze einer figura piramidale bildet und sich, wie seine Turbankrone andeutet, als Repräsentant Asiens erweist. Rot gekleidet neigt er sich zum Jesusknaben und bringt ihm die kunstvoll geformte Myrrhendose dar. Dieser Geste der Zuwendung antwortet die Überraschung und leises Zögern verratende Haltung Marias sowie die Segensgebärde des Kindes. Links von der Madonna ist Josef nicht wie sonst üblich als alter Mann, sondern jugendlich wie schon in der Verkündigung dargestellt. Frontal am unteren Bildrand postiert, wendet der Nährvater sein Haupt in fliehendem Profil zur Gottesmutter. Und auch mit seiner Körpertorsion sowie dem über den Kopf gezogenen Mantel erinnert er an die Gestalt des im Tempelgang Mariens (Venedig, Madonna dell’ Orto) aus dem Bild eilenden Propheten. Das Rot an der Kleidung Balthasars und Mariens wiederholt sich an seinem Mantel. Daraus resultiert eine Farbsequenz, welche die fallende Bewegungstendenz der drei Figuren im Sinne eines stroboskopischen Effekts verstärkt. Dieser findet in der zu Füßen Josefs knienden Magd, die, an der Schulter vom Licht akzentuiert, zur Anbetungsszene emporblickt. Vor ihr befinden sich zwei weiße Tauben, die man als Anspielung auf die künftige Darbringung Christi im Tempel deuten könnte. Dazu heißt es bei Lukas (2, 24): „Auch wollten sie [Maria und Josef] ihr Opfer darbringen, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein paar Turteltauben oder zwei junge Tauben.“ Rechts neben der Plattform kniet, die Arme verehrend ausgebreitet, ein bärtiger Alter in liturgischem Ornat, bei dem es sich, so Emmrich, „möglicherweise um den Patriarchen von Venedig handeln könnte“.612 Kompositionell gesehen entspricht die beschriebene Figurenfolge der Strukturform eines Halbkreises. An den Patriarchen schließt ein halbnackter Sklave, der sich anschickt, die Verschnürungen eines Gepäckstücks zu lösen und mit weit ausholender Armbewegung den FigurenHalbkreis bogenförmig an die begrenzende Säule zu knüpfen. An der Rückwand der Scheune öffnet sich eine hochrechteckige Pforte, hinter der das Reitergefolge der Könige im Abendlicht vorbeizieht. Wie bei der am Ufer des Jordan versammelten Menschenmasse in der nur wenige Jahre zuvor entstandenen Taufe Christi treten auch hier die Gestalten in traumhafter Transparenz, ganz auf Schwerelosigkeit und Immaterialität abzielend, in Erscheinung. Blassblaue und rote Farbflecken „deuten das plastische Volumen der Figuren an, die in weiße, flüchtige Pinselzeichen wie einem Gewebe von Lichtstrahlen eingesponnen sind“.613 Hauser zufolge zählt die Reitergruppe zweifellos zu den meisterhaftesten und reizvollsten Improvisationen der [damaligen] Malerei“.614 Analog zum stark beschädigten Sparrendach in der Anbetung der Hirten ist der Dachstuhl des Gebäudes, der den Blick auf den dunkelgrauen Himmel freigibt, fast gänzlich in Verlust geraten. Von dort schweben sechs Engel in den Raum, unter denen der oberhalb vom Mohrenkönig Kaspar

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Abb. 41, S. 79

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153 Tintoretto, Die Anbetung der Heiligen drei Könige (Detail)

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befindliche, die Goldene Schnitt-Linie überquerende besonders beeindruckt, zumal Tintoretto an ihm einmal mehr seine perfekt beherrschte Verkürzungstechnik unter Beweis stellt. Die Flucht nach Ägypten betreffend gibt es in der Literatur einen allgemeinen Konsens, wonach hier die Landschaft die Hauptattraktion des Ganzen darstellt. Für Thode ist es „die herrlichste Landschaft, die je gemalt worden ist“, und Valcanover zufolge „gehört sie zu den Meisterwerken der venezianischen und europäischen Malerei überhaupt“.615 Während die Gruppe mit Josef, Maria und dem Esel in das linke Bilddrittel abgedrängt ist, sorgt die dunkelgrüne, die gesamte Vordergrundsbildebene beherrschende Vegetation für einen symmetrischen Aufbau des Gemäldes. Das Zentrum bildet ein riesiger, mit dichtem Pflanzenwuchs besetzter Felsblock, dem rechts ein mehrstämmiger Baum entspringt, der die Zweige seiner vom oberen Bildrand überschnittenen Krone beidseitig ausbreitet und dort mit den bogenförmig ausschwingenden, nadelspitzen Zweigen der rechts außen positio-

Bilderzyklus der Sala terrena

nierten Palme beinahe in Berührung kommt. Am linken Bildrand erhebt sich ein Laubbaum, dessen unterer Ast sich in weit ausladender Kurve mit der zentralen Felsvegetation verbindet. Daraus resultiert ein arco naturale, der sich triumphal über den Flüchtenden wölbt und, so Grabski, in etwa die Form der benachbarten Fensterarkade „nachzeichnet“.616 Das dynamisch ausgreifende Ast- und Laubwerk fügt sich zu einem Strukturnetz, das sich vom lichtdurchfluteten Firmament dunkel, fast scherenschnittartig, abhebt. Dem entspringen drei innerbildliche Kartuschenrahmungen, die den Blick auf die atmosphärisch verblassende Hintergrundslandschaft sowie auf die wechselhafte Stimmung des Firmaments freigeben. Letzteres manifestiert sich darin, dass der Himmel, im rechten Ausschnitt, die Abenddämmerung ankündigend, mit rosafarbigen Wolken bedeckt ist, im mittleren sich in Dunkelblau weitet und im linken sich in Grau verwandelt. Josef schreitet in stark vorgebeugter Haltung, das Haupt tief geneigt, mit ausgreifendem Schritt voran. Nur sein rechtes Bein ist sichtbar, der Fuß direkt auf dem Bildrand platziert, was den Eindruck erweckt, als würde er im nächsten Moment

154 Tintoretto, Die Flucht nach Ägypten, Öl auf Leinwand, 422 x 580 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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in den Betrachterraum vordringen. Lediglich der bereits abgelegte Tragestock mit Proviantsack und Essschüssel deutet darauf hin, dass die Raststelle schon erreicht ist und Josef sich anschickt – trotz überraschend großem Bewegungsaufwand – , den Esel, der mit zu Boden gesenktem Kopf bereits zu grasen beginnt, anzupflocken. Ein greller Lichtstrahl akzentuiert den kahlen Schädel des Nährvaters und bringt das Zinnober an dessen Mantel zum Leuchten. Dies verstärkt dessen Repoussoirfunktion, die indes den Betrachter nicht wie zumeist üblich ins Bild führt, sondern auf eine fiktive Begegnung Josefs mit dem Betrachter im Realraum der Sala terrena abzielt. Josef weit überragend thront Maria, in den Anblick des Jesuskinds vertieft, auf dem Eselsrücken, von dem sie – wie ihre leichte Schräghaltung verrät – im nächsten Augenblick herabgleiten wird. Ihr karminrotes Kleid korrespondiert mit Josefs zinnoberrotem Mantelteil, während das Weiß ihres Kopftuchs – induktiv durch die Wahrnehmung des Betrachters bedingt – mit dem gleichfalls weißen Tuch des Reisegepäck-Stilllebens in Verbindung steht; daraus resultiert eine nach rechts offene Dreieckstruktur, die im goldgelb strahlenden Nimbus Mariens ihren Scheitelpunkt findet. Kompositionell relevant ist ferner jene Schräge, die von Josef ihren Ausgang nimmt, auf die Gottesmutter übergreift und sich bis zur Krone des zentralen, dem vegetabil eingekleideten Felsbrocken entwachsenden Baums weiter verfolgen lässt. Zenkert stellt sich die Frage, auf welchem Weg die Flüchtlinge auf die leicht ansteigende Anhöhe im Vordergrund gelangt sind. Da sich im linken Landschaftsausschnitt angesichts des fehlenden Mittelgrunds kein Pfad ausmachen lässt, vertritt sie die Meinung, dass sie von hinten rechts, den Fluss überquerend, gekommen sind, um dann parallel zum unteren Bildrand nach links weiterzuschreiten. Auf die Frage, weshalb diese auf der Suche nach einem geeigneten Rastplatz eine plötzliche Kehrtwendung vollzogen haben, bleibt die Autorin die Antwort schuldig. Da Josef, Maria und der Esel frontal dargestellt sind, spricht meines Erachtens nichts dagegen, dass sie von links hinten kommend ihr im schützenden Schatten des Felsblocks liegendes Ziel verfolgt haben.617 Der im rechten Drittel des Gemäldes von Bäumen und Strauchwerk gerahmte Bildausschnitt erinnert entfernt an die Form eines in der Mitte verengten Stundenglases, in dessen unterem Teil ein in glitzerndem Lichtschimmer liegender Fluss den Mittelgrund bildet. Dass es sich um eine leicht durchschreitbare Furt handelt, beweist der im Wasser watende Fischer. Am jenseitigen Flussufer wandelt sich die Szene in eine ländliche Idylle. Während links in einer Waldlichtung eine Kuh weidet, befindet sich rechts eine schlichte Hütte mit einem vorgelagerten giardinetto, vermutlich eine Mühle, vor der der Müller einen weißen Sack schleppt. Die von den Zweigen der Palme überwölbte und perspektivisch fluchtende Hütte ist in Ockertönen gehalten und vermittelt in den Hintergrund, wo sich eine gleichfarbige, fleckenhaft skizzierte und nur in groben Zügen erkennbare Stadt an ein schneebedecktes Gebirge schmiegt. Darüber erhebt sich eine gewaltig aufgetürmte Wolkenmasse, unter deren überirdisch anmutendem Rosa, so Valcanover, „sich die Szene zu einem kosmischen Ereignis steigert, das sich wie unter einem inneren Druck aufbläht“.618

Bilderzyklus der Sala terrena

Der Bethlehemitische Kindermord zählt zu den bewegtesten und dramatischsten Gemälden Tintorettos. Der Gegensatz zur ruhigen Landschaft der angrenzenden Flucht nach Ägypten könnte nicht größer sein. Die erschütternde Szene beruht auf dem Matthäus-Evangelium (2, 16–17), wo es heißt: „Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig, und er ließ in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte. Damals erfüllte sich, was durch den Propheten Jeremia gesagt worden ist.“ Schauplatz des Geschehens ist ein leicht ansteigender, sich zunehmend verengernder Hof, der die Bildfläche in diagonaler Richtung perspektivisch durchquert und im Hintergrund den Blick auf einen Landschaftsausschnitt öffnet, innerhalb dessen sich eine monumentale, im Verfall begriffene Pfeilerhalle erhebt. Rechts wird der Hof von einer in tiefes Dunkel gehüllten Säulenreihe (vielleicht dem Portikus eines Tempels) begrenzt, die einen breiten, schräg fallenden Schlagschatten auf die im Mittelgrund lagernde Figurengruppe wirft. Von dort führt eine Freitreppe auf eine hohe, emporenähnliche Plattform. Die Menschen sind in vier merklich voneinander getrennten

155 Tintoretto, Der Bethlehemitische Kindermord, Öl auf Leinwand, 422 x 546 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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Gruppen um das zentrale, kreisförmig leer belassene Bodenareal zusammengefasst. Großteils queraxial ausgerichtet, leisten sie, abgesehen von ihrem Größengefälle, keinen wesentlichen Beitrag zum perspektivischen Tiefenzug der Hofanlage. Mit der ikonographischen Tradition brechend stellt Tintoretto nicht den Vorgang des Gemetzels, sondern die Reaktion der Mütter dar, die mit leidenschaftlichen Abwehrgesten die Leiber der Kinder zu schützen suchen. Mit Ausnahme der rechts außen befindlichen Gestalt – wahrscheinlich handelt es sich um den mit rotem Pallium versehenen Kommandanten der mörderischen Soldateska, der, die zu Boden gestürzten Frauen zertrampelnd, aus dem Bild zu stürzen scheint – sind weitere Schergen nur mit Mühe auszumachen. Im linken unteren Bildquadranten sind die Mütter in einem fast unentwirrbaren horror vacui eingeschmolzen, darin sogar die prinzipiell vergleichbaren Figurenkompressionen im Jüngsten Gericht von Madonna dell’ Orto oder in der Errichtung der Ehernen Schlange übertreffend. Coletti schildert das Wirken dynamisch rotierender Ausdrucksqualitäten folgendermaßen: „Die Linien verflechten und lösen sich wieder, überstürzen sich im plötzlichen Anhalten und schnellem Wiederaufnehmen, passen sich immer dem Verdichten und Erweitern der plastischen Gruppenbildung an, ebenso wie dem dichter und seltener werdenden Leuchten der verbindenden Atmosphäre.“ Und der Autor weiter: „Das Drama erfährt eine kosmisch universale Bedeutung, es ist nicht mehr das Individuum, sondern die ganze Menschheit, die Tintoretto interessiert“, eine Interpretation, die sich darüber hinaus auf das gesamte Figurenensemble des Gemäldes bezieht.619 Dem entspricht auch die Farbgebung, die im Zeichen einer radikalen Vermeidung gesättigter Buntfarben steht. Stattdessen vermengen sich bronzefarbene Töne mit stark gedämpftem Rot und blassem Blaugrau. Hinzu kommt der rhythmische Wechsel von Hell- und Dunkelwerten, wobei erstere dazu dienen, die heftige Gestik und das Inkarnat der Frauen zu betonen. Aufmerksamkeit erregt zunächst jene Mutter, die ihr Kind umarmt, um es vor dem Zugriff des daneben knienden Schergen zu schützen. Besonders auffällig ist ihre anschließende Gefährtin, die – in Rückenlage und mit entblößten Brüsten wiedergegeben – mit zurückgenommenem Arm ihr bereits getötetes Kind an sich zu ziehen sucht. Mit der Rechten umfasst sie die Klinge eines Schwerts, das sie einem der drei sie umzingelnden Schergen entrissen hat. Im Übrigen schöpfte Tintoretto aus dem eigenen Figurenfundus, indem er die hingebungsvolle Gestalt der Lucretia aus dem Gemälde Tarquinius und Lucretia (Chicago; The Art Institute) – trotz ikonographisch diametral unterschiedlicher Bedingungen – für die sich verzweifelt wehrende Mutter zum Vorbild genommen hat. In der Tat besteht zwischen den beiden Figuren – bezüglich der Körperhaltung, kontrapostischen Armstellung, des zurückgeneigten Hauptes und der nackten Brüste – eine geradezu bestechende Affinität. – Das gesamte, flächig angelegte Figurenkonglomerat scheint – bedingt auch durch das abschüssige Paviment – nach unten abzugleiten. Dies manifestiert sich vor allem in der mit der Schrägrichtung des weißen, ein Kreuzzeichen andeutenden Bodenstreifens übereinstimmenden Frau, die auf die ihr Kind schützende Mutter stürzt; deren vom Bildrand überschnittener Arm erweckt den Eindruck, als wollte sie über die Bildgrenze hinweg in den Betrachterraum entfliehen.

Auf der Emporenplattform nimmt das grauenhafte Geschehen seinen Fortgang. Während zwei Frauen über die Brüstung den Henkern zu entkommen suchen, ist die dritte, vom Licht akzentuiert, im Begriff, über die Brüstung gebeugt, ihr Kind mit durchgestrecktem Arm an der hohen Begrenzungsmauer der Plattform hinabzulassen. Zu diesem Motiv sah sich Tintoretto offensichtlich durch eine ähnliche, ebenso an einer Wand sich abspielende Rettungsszene angeregt, die Raffael in einem für die Stanza dell’ Incendio (Rom, Vatikan) gemalten Wandfresko mit dem Borgobrand zur Darstellung gebracht hatte. Von der Bercken verweist zusätzlich auf Michelangelos Entwurfskarton zur Schlacht von Cascina, in dem ein Soldat abgebildet ist, dessen Haltung mit jener der ihr Kind rettenden Mutter nahezu wörtlich übereinstimmt.620 Rechts anschließend, vor dem Treppenaufgang zur Rampe, sind weitere, im Schlagschatten der Tempelsäulen liegende Opfer situiert. Dabei fällt auf, dass das Kolorit von da an einen zunehmend tonigen, buntfarbresistenten Charakter aufweist und schließlich im Hintergrund in eine fast reine Monochromie mündet. Im Hintergrund, vor einer dunklen Wandfolie, sind gerüstete Schergen im Begriff, den Müttern ihre Kinder zu entreißen. Wie schon des Öfteren in Tintorettos Hintergrundsdarstellungen ist auch diese Szene mit extrem skizzenhaften Pinselstrichen in formauflösender Tendenz wiedergegeben – begreiflich, dass Pallucchini hier so weit gegangen ist, anhand dieser Episode in Tintoretto einen Vorläufer Delacroix’ zu sehen.621 Laut Krischel erfüllt hier Tintorettos ‚moderne‘ Stilauffassung zweierlei Funktionen: „Im Kontrast zu der breiteren, plastischeren Ausformulierung im Bildvordergrund verstärkt er die Illusion räumlicher Tiefe. Gleichzeitig wird der sichtbar rasche, temperamentvolle Farbauftrag zum malerischen Ausdruck für das hektische, gewalttätige Geschehen.“622 Letzteres lässt sich wahrnehmungspsychologisch mit Theodor Lipps’ Einfühlungstheorie gut erklären. Hans und Shulamith Kreitler zufolge richtet diese „ihr Augenmerk in erster Linie auf die Beteiligung von motorischen Elementen bei der Wahrnehmung. Dementsprechend ist die Dynamisierung der Tatsache zuzuschreiben, dass Betrachter die wesentlichen Umrisse oder Richtungsachsen der wahrgenommenen Formen [und Farben] motorisch [bzw.] kinästhetisch nachahmen“. Um nur ein Beispiel für kinästhetische Wirkung zu nennen: Mit der Evidenz seines Pinselduktus (richtungsspezifischer Farbauftrag, intermittierendes Ansetzen des Pinsels, Spachtel- beziehungsweise Macchiatechnik und anderes mehr) vermag der Maler motorische Reaktionen im Betrachter hervorzurufen, der sich dadurch, auch mimetisch bedingt, zu aktivem beziehungsweise emphatischem Nach- oder Mitvollzug der Pinselführung angeregt fühlen.623 Was sich bereits in der Ruhe auf der Flucht ankündigt, erfüllt sich in den beiden extrem hochformatigen Bildern mit der Hl. Maria Magdalena und der Maria Aegyptiaca: Der Autonomieanspruch der Landschaft beziehungsweise deren uneingeschränkte Hegemonie über das Figurale, ferner der Umstand, dass das beinahe monochrome Kolorit im Verein mit den zahllosen eingestreuten Lichtreflexen zum primären Ausdrucks- und Stimmungsträger geworden ist und schließlich die revolutionäre Malweise, die den Eindruck erweckt, als seien die Bilder „eher mit dem

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Abb. 156, S. 304 Abb. 157, S. 305

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156 Tintoretto, Die Hl. Maria Magdalena, Öl auf Leinwand, 425 x 209 cm, Venedig, Scuola di San Rocco S. 305 157 Tintoretto, Maria Aegyptiaca, Öl auf Leinwand, 425 x 211 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

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Pinsel gezeichnet als gemalt“. Zu Recht wurde in der Forschung mitunter darauf hingewiesen, dass hier mit Einflüssen seitens der „Donauschule“ (Albrecht Altdorfer, Wolf Huber u.a.) zu rechnen sei. Gut vorstellbar, dass sich Tintoretto – vermittelt durch den Fondaco dei Tedeschi, an dem auch der Kunsthandel florierte – anhand von Druckgrafik Kenntnisse des in besonderer Weise der Landschaftskunst verpflichteten „Donaustils“ angeeignet hat.624 Den Legenden zufolge verbindet die beiden verschwindend klein dargestellten Marien eine langjährige Prostituiertenkarriere, die für Maria Magdalena anlässlich ihrer Begegnung mit Christus endet, während sich Maria Aegyptiaca durch ein Marienbild ihrer Sündhaftigkeit bewusst wird, worauf sie sich als Büßerin für 47 Jahre in die Einöde zurückzieht. Erst seit etwa 1500 wird auch Maria Magdalena, der Legende der Aegyptiaca angeglichen, in der Ikonographie die Rolle einer reuigen Sünderin mit langen gelösten Haaren und unbekleidet zugedacht.625 Unabhängig vom damaligen Entwicklungsstand der Ikonographie hat Tintoretto auch Magdalena als Eremitin in die Wildnis verbannt. Meines Wissens ist Gentili der einzige Autor, der die in der Literatur allgemein anerkannte Identifikation der Frauen mit den beiden Marien infrage stellt, ja, mehr noch, für „absurd“ erklärt. Da diese völlig gleich gekleidet sind, vertritt er die Meinung, dass in beiden Fällen ein und dieselbe Person dargestellt sei. „Höchstwahrscheinlich“ handle es sich um ein „doppeltes Bild“ der Gottesmutter Maria – eine zwar interessante, aber wohl kaum verifizierbare These, die der Verfasser wie folgt begründet: „Sie ist nicht das Objekt, sondern das Subjekt des Heilsgeschehens […]. Von privilegierter Stelle aus kann sie gleichzeitig auf zwei komplementäre Wege blicken, die ihr in ähnlicher Distanz die Betrachtung vergangener Ereignisse und die Vorahnung künftiger Geschehnisse ermöglicht.“626 Maria Magdalena ist – in ein karminrotes Kleid und einen blasslilafarbigen Mantel gehüllt – in Frontalansicht wiedergegeben. Sie sitzt am Ufer eines Weihers, eingebettet in ein tief abgedunkeltes Terrain, das im unteren Bilddrittel den Eindruck eines Nachtstücks vermittelt. Auf ihrem Schoß hält sie ein geöffnetes Buch, in dessen Lektüre vertieft. Für Beleuchtung sorgt lediglich ihr goldgelb strahlender Nimbus, dessen sakrales Licht geringfügige Reflexe im Weiher aufblitzen lässt und mittels einer hellen Kontur die über ihr befindliche, sonst völlig im Dunkel liegende Klause erkennbar macht. Der Stamm und die sich gabelnden Äste des landschaftsbeherrschenden Feigenbaums, dessen freiliegende Wurzeln den Weiher umklammern, ist mit einer phosphoreszierenden Lichtschicht bedeckt, die ihren Ursprung im zwischen Gelb und Ocker changierenden Abendhimmel hat. Indessen ist die Kraft dieser Lichtquelle nicht ausreichend, um das Blätterdach der Baumkrone vom Dunkel des grundierenden Gewölks zu befreien. Das Gleiche gilt für den Gebirgszug im Hintergrund und die davor situierte Stadt Jerusalem, die – wiewohl mit in Weiß getauchten Pinseltupfen wiedergegeben – nur schemenhaft wahrnehmbar ist. Dazu Colettis Resümee: „Hier sieht man erst, was eine richtige Lichtführung bedeutet: die Leistungsfähigkeit des Helldunkels als atmosphärische Kundgebung […]. Doch diese Lichtgestaltung ist venezianisch, denn er [Tintoretto] verkennt nicht die Farbe, sondern schließt sie unlöslich an sich, indem er sie überwindet.“627

Anders ausgedrückt: Die magische Lichtgebung basiert auf einer knapp gehaltenen, fast monochromen Palette, während die Formen sich in einer visionären, labilen Erscheinung auflösen, „in einer phantastischen Interpretation des Realen innerhalb eines abgrundtiefen Raumes, der den Betrachter wie ein magischer Sog in sich hineinzieht“.628 Bei aller Ähnlichkeit bezüglich des monochromen Kolorits und der Bildstruktur unterscheidet sich das Maria Aegyptiaca-Gemälde insofern vom Magdalenenbild, als es dynamischer und raumgreifender konzipiert ist, zudem stärkere Helligkeitswerte aufweist. Ungewöhnlich für eine Alpenvorlandschaft erhebt sich eine bildhohe Palme, deren Stamm mit irisierenden Lichtreflexen übersät ist, während ihre weit ausladende Krone vom Dunkel des Wolkenhimmels absorbiert wird. Ihr folgt eine Reihe schlanker, perspektivisch angeordneter und sich sukzessiv verkleinernder Baumstämme, deren mit Pinseltupfen in gelblichem Weiß gemalte Zweige und Laubwerk wie im fahlen Schimmer eines Mondlichts, einem Feuerwerk von Lichtfunken gleich, aufleuchten. Im Hintergrund erstreckt sich ein dunkler Gebirgszug, vor dem wie im Magdalenenbild sich die mit spärlichen weißen Pinselstrichen angedeutete Stadt Jerusalem ausdehnt. Im Mittelgrund markieren völlig verschattete Gebäude die Raumintervalle, so etwa ein Bauerngehöft mit einer verfallenen Mühle. Ein Gebirgsbach bahnt sich, die Raumtiefe betonend, S-förmig mäandernd seinen Weg und stürzt über eine horizontale, dammähnlich hohe Gefällestufe, die als markanter Schattenstreifen den wechselnden Hell-Dunkel-Rhythmus des Bildes unterstreicht. Im Vordergrund angelangt erinnert der Bach an einen sprudelnden Wasserfall, dessen wildes Aufschäumen ein dichtes Geflecht von Lichtreflexen verdeutlicht; unverkennbar dabei die illusionistische Tendenz, ihn in den Betrachterraum fließen zu lassen. An seinem Ufer kauert Maria Aegyptiaca auf einer Felsnase, als Dreiviertel-Rückenfigur und in fliehendem Profil dargestellt. Anstatt wie Magdalena sich der Lektüre ihres Buchs zu widmen, vertieft sie sich in den Anblick der Landschaft und des Firmaments. Anhand ihrer visionären Fähigkeit gelangt die Eremitin zur Erkenntnis, dass der gläubige Mensch – ganz im Sinne einer universalen Aussage – mit der Natur und dem Kosmos in Einklang steht. Beim letzten, oberhalb eines Seitenportals der Sala terrena situierten Bild des Marienzyklus, der Himmelfahrt Mariens, sah sich Tintoretto aufgrund einer nur eingeschränkt zur Verfügung stehenden Wandfläche zur Wahl eines Querformats gezwungen und dadurch – angesichts des daraus resultierenden Verzichts auf eine bei Himmelfahrtsdarstellungen angemessene vertikale Kompositionsweise – mit einer ungünstig präjudizierten Ausgangslage konfrontiert. Die Lösung des Problems bestand für ihn darin, dass er lediglich die obere Hälfte des Sarkophags darstellte und diese dem realen Architekturmotiv des Türsturzes, nur geringfügig variiert, anglich. Damit wird das gesamte Portal in das Gemälde integriert und dadurch dessen vom ikonographischen Anlass her gesehen unzureichend ausgebildeter Vertikalismus verstärkt. Maria, umfangen von einer dunklen, mit zahllosen Cherubsköpfchen besetzten und im Halboval sich beinahe über die gesamte Bildbreite erstreckenden Wolkengloriole, entschwebt mit segnend ausgebreiteten Armen in schräger Richtung dem Sarkophag. Ihr wie von einem Windstoß

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158 Tintoretto, Mariae Himmelfahrt, Öl auf Leinwand, 425 x 587 cm, Venedig

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aufflatternder graublauer Mantel unterstreicht die Dynamik des Geschehens. Mit dem rechten Bein den Sarkophagrand überquerend stützt ein Puttenengel den Fuß Mariens, wobei offen bleibt, ob er deren Himmelfahrt nützlich oder aufgrund seiner labilen Rückenlage eher hinderlich ist. Unabhängig vom Sinngehalt und vom Standpunkt der Wahrnehmung betrachtet erweckt der Engel den Anschein, als wollte er den Höhenflug der Gottesmutter hemmen oder diese gar zu sich herabziehen. Mit humorvollem Unterton versehene Paradoxien dieser Art sind in Tintorettos Œuvre, wie schon des Öfteren erwähnt, nicht selten anzutreffen. Den symmetrischen Bildaufbau lockernd ist der Großteil der Apostel – dicht an den Sarkophag gedrängt – in der linken Bildhälfte angeordnet. Für Gleichgewicht sorgt der rechts als Repoussoirfigur in Rückenansicht wiedergegebene Jünger, der mit ausfahrender Armgeste in diagonaler Richtung auf Maria verweist und dessen mattes Rot auch an deren Kleid aufscheint. Oberhalb des Jüngers treten die Köpfe zweier älterer Männer in Erscheinung, deren ausdrucksstarke Gesichter einen flüchtigen Pinselduktus zeigen. Im Gegensatz zu den emphatischen Gebärden der Apostel blicken die beiden Zeugen des Geschehens in ruhiger Ergriffenheit zur Madonna empor. Wahrscheinlich handelt es sich um Porträts führender Mitglieder der Bruderschaft, die Tintoretto „zur Erinnerung an die jahrzehntelange Zusammenarbeit zwischen ihm […] und den Verantwortlichen der Scuola“ auf der Leinwand verewigt hat.629 Das Gemälde dürfte bald nach jenen mit den beiden Marien (laut Willmes 1584) entstanden sein, denen es aufgrund seines valeuristischen Kolorits nahesteht.630 Den Abschluss des Gemäldezyklus bildet die erst 1587 entstandene Beschneidung Christi. In der Forschung besteht ein fast einhelliger Konsens, dass Jacopo die Ausführung des Bildes größtenteils seinem Sohn Domenico und wohl auch anderen Mitgliedern seiner Werkstatt überlassen hat. Das Werk unterscheidet sich in fast allen Belangen von Jacopos damaliger Stilauffassung: vor allem bezüglich

Gemälde für den Dogenpalast

159 Domenico Tintoretto, Die Beschneidung, Öl auf Leinwand, 440 x 482 cm, Venedig, Scuola di San Rocco

seiner bunten, unatmosphärisch opak aufgetragenen Farbgebung, weiters seiner scharf verhärteten Konturen und schließlich hinsichtlich eines bei Jacopo undenkbaren Interesses an einer bisweilen sogar minutiösen Detailwiedergabe. Ob Valcanover mit seinem abschätzigen Urteil vielleicht doch etwas zu weit gegangen ist, sei dahingestellt: „Der geniale Entwurf Jacopo Tintorettos verliert sich daher in einer nachgerade prosaischen Banalität.“631

Gemälde für den Dogenpalast Wie schon erwähnt hatte Tintoretto schon 1564/65 mit dem im Auftrag des Dogen Gerolamo Priuli geschaffenen Deckengemälde im Atrio quadrato seinen ersten Beitrag zur Ausgestaltung des Dogenpalastes geleistet; hinzu kam 1574 die beim Brand von 1577 vernichtete Seeschlacht bei Lepanto, die er dem Senat als Geschenk überreicht hatte. Trotzdem hat sich Jacopo niemals derart intensiv um Staatsaufträge beworben, wie dies bei den Arbeiten für die Bruderschaft von San Rocco und andere Scuolen der Fall war. Die Ursache dafür lag wohl darin, dass ihn religiöse Sujets deutlich mehr als weltliche Themen interessiert hatten. Dies änderte sich erst nach den Bränden von 1574 und 1577, als der Senat an die künstlerische Neuausstattung verschiedener Säle des Dogenpalastes schritt. Trotz gleichzeitiger Arbeitsüberlastung in der Scuola di San Rocco folgte Jacopo als bereits Siebzigjähriger dem Ruf des Senats, sich – gemeinsam mit Paolo Veronese, Palma il Giovane und Francesco Bassano – an der Ausschmückung der Decke in

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der Sala del Maggior Consiglio zu beteiligen, wobei ihm die Ausgestaltung des zentralen Deckenabschnitts mit dem rechteckigen, von vier oktogonalen Schlachtenbildern umgebenen Triumph des Dogen Nicolò da Ponte (1579–1582) zugewiesen wurde – ein Indiz dafür, dass Tintoretto die besondere Wertschätzung der Serenissima genoss. Dass der Künstler die Ausführung der Gemälde – hinzu kamen 1581–1584 die vier großen Dogen-Votivbilder in der Sala del Collegio und 1582 die Zwei Dogen in Anbetung der Engelpietà sowie das Votivbild des Dogen Pietro Loredan, für die Sala del Senato – großteils seiner Werkstatt überlassen sollte, konnte man anfangs wohl noch nicht ahnen. Weshalb Tintoretto dieser Vielzahl von Aufträgen – neben seiner kräftezehrenden Tätigkeit in der Scuola di San Rocco – nachkam, hing wohl nicht zuletzt damit zusammen, dass er – im Gegensatz zu seinen unzureichend honorierten Leistungen für die Scuola – angesichts von Staatsaufträgen mit einem ebenso sicheren wie regelmäßigen Einkommen rechnen konnte. Ridolfi zufolge haben schon die Zeitgenossen das zentrale Deckengemälde anlässlich dessen Enthüllung als „fatte per prattica“, sozusagen als Massenproduktion kritisiert; angeblich, so der Autor weiter, seien die am Werk beteiligten Schüler Jacopos, Corona, Aliense und Francesco Crivelli, die sich im Saal versteckt hielten – diesem Tadel heftig entgegengetreten.632 Die Komposition des Gemäldes Der Triumph des Dogen Nicolò da Ponte basiert auf einer monumentalen dreizonigen, mehrfach die Richtung wechselnden Treppenanlage, auf deren Stufen zahlreiche, streumusterartig verteilte und in Untersicht dargestellte Personen lagern. Auf der oberen Plattform hat der Doge – der aufwärts gerichteten Perspektive gemäß sehr klein wiedergegeben – Aufstellung genommen. Hinter ihm sind Würdenträger der Republik (Senatoren usw.) unter einem hohen Baldachin abgebildet. Nicolò da Ponte blickt zur Personifikation der bekrönten Venezia empor, die sich ihm huldvoll zuneigt und den zu ihren Füßen kauernden Löwen des Hl. Markus dazu auffordert, dem Dogen einen Olivenzweig als Friedenszeichen zu überreichen. Venezia thront auf einer tief herabhängenden Wolkengloriole, umgeben von fliegenden Genien, darunter (rechts oben) auch die Göttermutter Rheia-Kybele, die Zepter und Schlüssel als Machtinsignien vorweist. Auf den zum Dogen emporführenden Stufen knien Repräsentanten der Städte der Terraferma, rechts außen von Standartenträgern begleitet. Dahinter zeichnen sich, schemenhaft wiedergegeben, zwei Lünettenbögen der Fassade von San Marco ab. In der unteren Bildhälfte folgen weitere Vertreter der von der Republik unterworfenen Städte und Gebiete, Privilegiendokumente, Wappen und zusammengerollte Banner präsentierend. Die Figuren sind ohne nennenswerten Kompositionsaufwand teils an die Bildränder gedrängt, teils keilförmig nach oben zu ausgerichtet. Wie schon erwähnt hat Tintoretto die Ausführung des Gemäldes zum größten Teil Werkstattmitgliedern übertragen, darunter vor allem seinem Sohn Domenico und Aliense. Eikemeier meint sogar die Handschrift von drei verschiedenen Künstlern zu erkennen, wobei er den unteren Bildabschnitt zur Gänze Aliense zuschreibt.633 Vermutlich mehr noch als mit dem zentralen Gemälde vermochte Tintoretto mit den vier oktogonalen Schlachtenbildern – trotz erheblicher Werkstattbeteiligung (in der Literatur wird auf Andrea Vicentino und Aliense verwiesen) – zu

Gemälde für den Dogenpalast

160 Tintoretto (mit Werkstattbeteiligung), Der Triumph des Dogen Nicolò da Ponte, Öl auf Leinwand, Venedig, Dogenpalast

überzeugen. An sich nicht verwunderlich, zumal sich Jacopo im Umgang mit diesem Themenkreis schon mehrfach bewährt hatte: zunächst mit der (verschollenen) Seeschlacht bei Lepanto, ferner mit den fünf Schlachtenbildern des aus acht Werken bestehenden, für den Hof von Mantua gefertigten Gemäldezyklus mit Szenen zur Geschichte der Gonzaga (1578/80; München, Alte Pinakothek). – Die vier um den Triumph des Dogen Nicolò da Ponte gruppierten Bilder,

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Das Spätwerk

161 Tintoretto (mit Werkstattbeteiligung), Die Verteidigung von Brescia, Öl auf Leinwand, 424 x 568 cm, Venedig, Dogenpalast

162 Tintoretto (mit Werkstattbeteiligung), Die Schlacht bei Riva del Garda, Öl auf Leinwand, Venedig, Dogenpalast

Abb. 161 Abb. 162

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die Darstellungen siegreich zu Wasser und zu Land ausgefochtene Schlachten des 15. Jahrhunderts zeigen und Venedigs damals kulminierende militärische Machtstellung markieren, beeindrucken durch ihre variantenreiche Kompositionsweise und perfekt beherrschte sotto in sù-Technik. Zwei Gefechtsszenen stechen besonders hervor, zum einen Die Verteidigung von Brescia, wo der vor der Stadtmauer zentral positionierte Kondottiere mit mächtig ausholendem Schwertstreich seine Söldner in eine höchst dynamische Rotation versetzt, zum anderen Die Schlacht bei Riva del Garda. In Letzterer erteilt der rechts unten platzierte Admiral seinen

Soldaten den Befehl, über eine diagonal angeordnete Bretterbrücke auf das feindliche Schiff überzusetzen.634 Mit dem für die Sala dello Scrutinio bestellten, über zehn Meter breiten Gemälde Die Eroberung von Zara schuf Tintoretto sein wohl bedeutendstes, schon von seinen Zeitgenossen (etwa von Bardi) aufs Höchste bewunderte Schlachtenbild. Obgleich er auch hier zum Teil auf die Hilfe seiner Werkstatt, vor allem seines Sohns Domenico (bisweilen wurde früher auch Aliense genannt) angewiesen war, ändert dies nichts daran, dass das Werk auch zu den bis dahin bemerkenswertesten Schlachtenbildern der europäischen Malerei zählt. Gezeigt wird der 1346 erfochtene Sieg über den ungarischen König Ludwig – eine einzigartige Hymne auf die militärische Machtstellung Venedigs im 14. Jahrhundert.635 Im Zentrum des in extremer Draufsicht dargestellten Geschehens befindet sich eine riesige, streng lotrecht ausgerichtete Fahne, die – dem Proportionsgesetz des Goldenen Schnitts folgend – für eine Zweiteilung der Komposition sorgt. Im schneidenden Kontrast von Licht und Schatten schimmert das Siegesbanner „wie ein zum Himmel gezücktes Schwert“.636 Dem voranstürmenden Bannerträger, vor dem rechts unten die Feinde in heillosem Durcheinander zu Boden stürzen, folgen in diagonaler Stoßrichtung zwei durch eine dunkle Raumgasse voneinander getrennte, indes durch zahlreiche Lichtreflexe akzentuierte Abteilungen von Bogenschützen, die – gemäß ihrer dynamisch vorgebeugten Haltung – „in einem riesigen Bogen den Himmel zu durchlöchern scheinen“, regelrecht mitgezogen werden. Links außen im Vordergrund treffen Soldaten Vorbereitungen, eine ins Dunkel gerückte Festungsmauer mit Hilfe von Sturmleitern zu bezwingen; zwei davon sind bereits umgestürzt, einige Krieger unter sich begrabend. Im Hintergrund, den oberen Bildrand tangierend, erheben sich auf hohem Bergrücken die

163 Tintoretto, Die Eroberung von Zara, Öl auf Leinwand, 640 x 1060 cm, Venedig, Dogenpalast Abb. 163

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Das Spätwerk

Abb. 164, S. 315

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mit Zinnen besetzten Mauern und Türme der Stadt Zara, von der das Gelände steil abfällt. Eine voranstürmende Reiterkavalkade hat den Hügel erklommen und wird bereits von Soldaten mit gefällten Lanzen erwartet; über ihnen weht ein Banner mit dem Wappen der belagerten Stadt. Hinter dem abschüssigen Hügelumriss erstreckt sich eine in perspektivisch verkleinertem Abstand wiedergegebene, bis an die Ufer der Adria reichende Ebene, innerhalb derer, neben einer Reiterattacke, die Waffengattung der Artillerie besonderes Interesse erregt. Dass sich diese in äußerster Bedrängnis befindet, bezeugen die umgestürzten Kanonen ebenso wie die getöteten Kanoniere – ein Indiz dafür, dass die Einnahme von Zara noch keineswegs gesichert erscheint, das Schlachtengeschehen immer noch unentschieden hin- und herwogt. Letzteres ein ikonographisch eigenwilliger Sachverhalt, zumal in allen übrigen Schlachtenbildern des Dogenpalasts der Sieg der venezianischen Truppen stets außer Streit steht. Schon bald nach der verheerenden Brandkatastrophe im Dogenpalast von 1577, der auch die Gemäldeausstattung der Sala del Maggior Consiglio zum Opfer gefallen war, fasste der Senat um 1579 den Beschluss, das schwer beschädigte Fresko (Die Marienkrönung, 1365–1367) des Guariento durch ein Leinwandgemälde mit dem Thema Das Paradies zu ersetzen. Zu diesem Zweck erfolgte die Ausschreibung eines Wettbewerbs, an dem sich neben Tintoretto auch Paolo Veronese, Francesco Bassano und Palma Giovane beteiligten. Als Sieger des concorso gingen laut Bardi Veronese und Bassano hervor, wobei wohl an eine Kooperation beider Künstler unter Federführung Veroneses gedacht war.637 Die Niederlage Tintorettos kam nicht überraschend, zumal Veronese nach Tizians Tod seitens der staatlichen Behörden als der führende Maler der Republik galt. Weshalb die Realisierung des Projekts noch Jahre auf sich warten ließ, könnte auch damit zusammenhängen, dass bezüglich der Arbeitsteilung zwischen Veronese und Bassano Unstimmigkeiten einhergingen. Der Tod Veroneses 1588 verhinderte das Zustandekommen des Werks, das der zweitrangige Bassano allein wohl nicht bewältigen konnte.638 Nun erst schlug die Stunde Tintorettos, dem der Auftrag – vielleicht unter der Auflage, einige gestalterische Ideen aus Veroneses Entwurf (Lille, Musée des Beaux-Arts) in sein zuvor abgewiesenes modello einfließen zu lassen – übertragen wurde und dessen Realisierung er unverzüglich in Angriff nahm; die Arbeiten erstreckten sich bis in das Jahr 1592. Für Pallucchini steht außer Streit, dass Jacopo seinen Paradies-Entwurf (1579/80; Paris, Louvre) zum unmittelbaren Anlass des Wettbewerbs angefertigt hat. Dem widerspricht Krischel, demzufolge der Künstler auf ein bereits bestehendes Modell zurückgegriffen habe. Dieses sei schon 1565 entstanden, als sich Tintoretto in Konkurrenz mit Federico Zuccari um den Auftrag, ein Paradies zu malen, beworben habe. Dies würde bedeuten, dass sich der Senat schon lange vor dem Brand mit dem Gedanken getragen habe, das Fresko Guarientos durch ein Ölbild zu ersetzen – eine Hypothese, die allerdings durch keinerlei Dokumente belegbar ist.639 – Wie in Guarientos Fresko ist im Entwurf – im Kulminationspunkt der Komposition – die von den Aposteln flankierte Marienkrönung dargestellt, über der ein orangefarbiges, nimbenartig anmutendes Oval kreist. Als Basis der winzig

klein wiedergegeben Gestalten Christi und Mariens dient ein halboval ausgebildeter Wolkenstreifen. Die Heiligen und himmlischen Heerscharen lagern – dunkel wiedergegeben, vom Gegenlicht des durchschimmernden Himmelsgrunds foliiert – auf konzentrisch angeordneten, halboval durchhängenden Wolkenbänken, die im Sinne eines perspektivisch klaren Organismus nach unten zu immer größer werden. Es scheint, so Coletti, als ob die Wolkenbänke auf uns zukommen und hinter uns den Kreis wieder schließen. Ergebnis ist eine Erweiterung des Raums (Tolnay spricht zu Recht von einem Bühnenraum) in die Tiefe, in die Unendlichkeit. „Es ist jener dehnbare Raum, der sich durch das erregte Lichtgeflimmer in alle Richtungen erstreckt“ und den Betrachter ins kosmische Geschehen einbezieht.640 Ganz anders als in der um etwa ein Jahrzehnt später geschaffenen Schlussfassung hat Tintoretto die untere Etage des Bozzetto gestaltet. Während in den Bildecken zwei mächtige allegorische Gestalten, dem Betrachter angenähert, als Repoussoirfiguren fungieren, öffnet sich in der Mitte über einem schmalen terrestrischen Streifen ein breiter Spalt, der den Blick auf das hellgelbe, die Unendlichkeit des Bildraums zusätzlich verdeutlichende Firmament weitet, Nähe und Ferne in ein ambivalentes Spannungsverhältnis versetzend. Veronese scheint in seinem von Rearick mit 1582 datierten Modello (Lille, Musée des Beaux Arts) – abgesehen vom monochromen Kolorit – auf Tintorettos Louvre-Skizze zu fußen und es weiter zu entwickeln.641 Obwohl nicht überliefert ist, wie Goethe beim Anblick der Endfassung des Paradieses im Großen Ratssaal reagiert hat, war sich der Dichter in seinem Urteil über das Louvre-Modell sicher, wenn er schreibt: „Ein Paradies von Tintoret oder vielmehr die Krönung Mariae zur Himmelskönigin in Gegenwart aller Erzväter, Propheten, Heiligen, Engel p.p., ein unsinniger Gedanke mit dem schönsten Genie ausgeführt. Eine Leichtigkeit von Pinsel, ein Geist, ein Reichtum im Ausdruck, den zu bewundern und dessen sich zu freuen man das Stück selbst besitzen müsste, denn die Arbeit geht, man darf wohl sagen ins Unendliche […].“642 Vom Louvre-Entwurf unterscheidet sich das Bild im Dogenpalast insofern erheblich, als es nicht mehr die Marienkrönung, sondern Christus als Weltenherrscher

164 Tintoretto, Das Paradies (Entwurf), Öl auf Leinwand, 143 x 362 cm, Paris, Louvre

Abb. 165, S. 316

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Das Spätwerk

165 Paolo Veronese, Das Paradies (Fotomontage), Lille, Musée des Beaux-Arts

166 Tintoretto, Das Paradies, Öl auf Leinwand, 2200 x 700 cm, Venedig, Dogenpalast

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und -richter zeigt. Maßgeblich blieb jedoch das aus drei Parabelbögen bestehende Kompositionsschema, das Tintoretto allerdings – abweichend von der perspektivischen Organisation im Entwurf – weitgehend in die Fläche projiziert, zudem wesentlich dunkler angelegt hat. Indessen hält er an der Idee fest, die oval verlaufenden, mit unendlich vielen Figuren besetzten Wolkenbänke durch die hellen Bahnen des Himmelshintergrunds voneinander zu trennen. Als Programmverfasser dienten Girolamo Bardi und Francesco Sansovino, die sich auf die Legenda aurea und Dantes Divina Commedia stützten. Während Jacopo de Voragine bezüglich des Schemas der Engelschöre auf Dionysius Areopagitas „De coelesti hierarchia“ zurückgreift, ist Dantes Beschreibung des Paradieses wegweisend für Jacopos Gemälde, in dem das Paradies ebenfalls als etwas Dauerndes vorgestellt wird, und dies übrigens auch mit der Legenda aurea

übereinstimmend: „[…] wird dieses Fest, das wir nur einmal im Jahr feiern, dort oben ohne Unterlass begangen.“643 – Umgeben von den Engelschören thronen Maria mit dem Sternennimbus und Christus im Strahlenkranz – der Höhe nach abgestuft – vor dem goldenen Himmelsgrund. Links von Maria befindet sich der Erzengel Gabriel, der mit der Lilie auf die Verkündigung anspielt, während rechts der Erzengel Michael mit der Waage und dem Schwert dem richtenden Erlöser assistiert. In der nächsten Etage schwebt – eingebettet in ein Kreissegment – ein bildaxial ausgerichteter Engel, den, symmetrisch angeordnet, die vier Evangelisten begleiten. Rechts folgen – dem Parabelbogen angepasst und in girlandenhaften Kurven ausschwingend – die Apostel und Kirchenväter, mit denen zahlreiche Heilige, Jungfrauen und Einsiedler einhergehen. Links im Anschluss an den Evangelisten Markus heben sich Noah, König David und Moses deutlich von den sie umgebenden Lichtkanälen des Himmelsgrunds ab. Ihnen folgen – schwer überschaubar in die Figurenmasse eingeschmolzen – Propheten und eine große Zahl von Heiligen, Bekennern und Märtyrern, die sich beidseitig bis an die Bildränder ausbreiten; auch darin manifestiert sich das Streben nach Unendlichkeit.644 Die entscheidenden Stilmerkmale sind: zum einen ein manieristischer, im Verdichtungsgrad kaum noch überbietbarer horror vacui, zum anderen eine Dynamik, die sowohl das kompositionelle Ganze mit seinen wechselnden Kurvaturen betrifft, als auch sich in den ungemein variantenreichen, stets bewegten Figurenbildungen niederschlägt. – Tolnay zufolge ist die politische Botschaft evident: Christus ist ein himmlischer Doge, die unterhalb des Bildes auf der Tribuna tagende Versammlung des Adels ist ein Ebenbild himmlischer Hierarchie, ihre Entscheidungen sind Ausdruck göttlichen Willens.645 Ridolfi berichtet, dass das Riesenbild (mit über 500 m2 das größte Ölgemälde der Welt) in der Scuola della Misericordia in Teilen ausgeführt wurde. Nach der Zusammenfügung der Teile an Ort und Stelle habe Jacopo noch letzte Hand angelegt. Bereits im 70. Lebensjahr stehend sei ihm das Auf- und Absteigen am Gerüst schwer gefallen, habe ihm sein Sohn Domenico Hilfe geleistet, der selbst viele Partien nach einem modelletto ausführte.646 Selbst wenn Tintoretto noch im Vollbesitz seiner Leistungsfähigkeit gewesen wäre, dürfte er wohl kaum imstande gewesen sein, das gewaltige Vorhaben zur Gänze eigenhändig zu realisieren. Nicht zuletzt auf Ridolfis Bericht basierend besteht in der Forschung ein weitgehender Konsens, dass der Künstler hier fast uneingeschränkt auf die Hilfe seiner Werkstatt angewiesen gewesen sei. Eine Ausnahme bildet Berenson, der von „in gran parte autografo“ spricht.647 Einen differenzierteren Standpunkt vertritt Swoboda: „Wenn es ihm [Tintoretto] auch das Alter sehr erschwerte, die Riesenleinwand zu bewältigen, so konnte die Hilfe seines Sohnes Domenico nur im Bereich des technischen Ausführens, nicht jedoch im selbstständigen Durchführen einzelner Teile (wie Figuren usw.) liegen. Tatsächlich finden wir die Hand Jacopos immer wieder, und wo dies nicht der Fall ist, tragen der schlechte Erhaltungszustand und die aus verschiedenen Zeiten stammenden Übermalungen daran Schuld.“648 Bedenkt man, dass sich Tintoretto in der Entstehungsphase des Gemäldes (in der Scuola della Misericordia) ein „Auf- und Absteigen am Gerüst“ sparen konnte, wird glaubhaft, dass er zumindest bezüglich der größer dimen-

Gemälde für den Dogenpalast

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Das Spätwerk

167 Tintoretto, Das Paradies (Detail)

sionierten Figuren oft genug persönlich am Werk war. Freilich bestätigt sich die Richtigkeit der Beobachtungen Berensons und Swobodas erst dann, wenn man sich entweder eines Fernglases bedient oder sich fotografische Detailansichten des schier unüberschaubaren, erst in der finalen Schaffensperiode zusammengestückten Paradieses vor Augen führt. Verwiesen sei hier nur auf jenen Bildausschnitt, in dem sich der Apostelfürst Petrus mit dem Riesenschlüssel und der Völkerlehrer Paulus mit dem Schwert an der Seite als offensichtlich autographe Leistungen Tintorettos zu erkennen geben. Das monumentale Werk hat bis heute manche Kritik, aber auch hymnisches Lob hervorgerufen. So vertrat etwa Charles Dickens die Auffassung, dass die „Versammlung der Seligen alles in allem das wundervollste und betörendste Bild ist, das je gemalt wurde“.649

Die letzten Werke (San Giorgio Maggiore)

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Zwischen 1592 und 1594 schuf Tintoretto für das Presbyterium der Benediktinerkirche San Giorgio Maggiore – honoriert mit 180 Dukaten – zwei monumentale Gemälde, wobei das Manna-Wunder zum Letzten Abendmahl, gemäß der Con-

cordia novi et veteris Testamenti, im Sinne des Eucharistie-Gedankens in typologischer Beziehung steht. Als Präfiguration Christi ist Moses im Manna-Wunder in der rechten Bildecke platziert. Wie der Erlöser im Letzten Abendmahl ist er, das Haupt in einen goldenen Strahlenkranz gehüllt, in Blau und Rot gekleidet; zudem stützt er sich mit der Linken auf eine seiner Gesetzestafeln. Mit sanfter Gebärde mahnt er seinen in manieristisch schraubender Bewegung dargestellten Bruder Aaron, der mit erregt ausfahrender Armgeste auf die links Versammelten verweist, zur Ruhe. Dessen Beschwerde gilt den Israeliten, die, in ihre Alltagsbeschäftigungen vertieft, von den bereits am Boden verstreuten Mannastückchen keinerlei Notiz nehmen. Auf diesen in der traditionellen Ikonographie ungewöhnlichen Sachverhalt, der den in der Fachliteratur gebräuchlichen Bildtitel Mannalese ausschließt, hat Ivanoff aufmerksam gemacht.650 Die Textquelle dafür stammt aus Moses’ Buch „Numeri, 21, 4–6“, wo es heißt: „Unterwegs aber verlor das Volk den Mut, es lehnte sich gegen Gott und gegen Mose auf und sagte: Warum habt ihr uns aus Ägypten heraufgeführt? Etwa damit, dass wir in der Wüste sterben? Es gibt weder Brot noch Wasser. Dieser elenden Nahrung sind wir überdrüssig. Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk.“ Daraus die hermeneutische Schlussfolgerung: Das der Heiligen Schrift entnommene, in der Ikonographie solitäre Motiv der Weigerung der Juden, Manna zu sammeln, diente dazu, gegen einige protestantische Glaubensgemeinschaften zu polemisieren, die zu Lebzeiten Tintorettos die Einrichtung

168 Tintoretto, Das Manna-Wunder, Öl auf Leinwand, 576 x 377 cm, Venedig, San Giorgio Maggiore

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Abb. 169, S. 321

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der Eucharistie ablehnten.651 Links außen im Vordergrund sitzt, tief dekolletiert vom Licht akzentuiert, eine Frau an einem weiß gedeckten Tisch und bildet – für Gleichgewicht sorgend – den Gegenpol zu Moses und Aaron. Angesichts der ihr beigegebenen Olivenzweige ist es naheliegend, sie entweder als allegorische Gestalt des Friedens oder als Spes (= Hoffnung) zu deuten. Frontal wiedergegeben, die Rechte auf die Brust gelegt, hat sie sich vom geschäftigen Treiben der Israeliten abgewandt und blickt, so Dvořák, „entgeistert aus dem Bild heraus, als würde sie das Gemälde betrachten, das auf der gegenüberliegenden Wand hängt“.652 Wie schon erwähnt sind die in der Oase Elim lagernden Israeliten in handwerkliche und hauswirtschaftliche Tätigkeiten vertieft: Man sieht einen Schuster bei der Arbeit, in der Mitte eine Näherin, am Wasser Frauen bei der Wäsche, weiter oben Spinnerinnen, eine Schmiede, einen Eseltreiber usw. Das in Terrassen gegliederte Gelände ist unter einem extrem hoch liegenden Horizont in Draufsicht wiedergegeben und verleiht dadurch dem Gemälde einen flächendominanten, fast schon teppichartigen Charakter. Anstatt einer perspektivischen Tiefenräumlichkeit ist eine sogar den Horizont durchstoßende Aufwärtsbewegung vorherrschend. Den nur auf den ersten Blick locker verstreuten Gestalten liegt ein stringentes Kompositionsschema zugrunde. Die Kette der kauernden Figuren nimmt von der allegorischen Figur des Friedens ihren Ausgang, verläuft zunächst in diagonaler Richtung bis zur blau gekleideten Wäscherin, biegt dann nach links um und verliert sich schließlich in S-förmig girlandenhafter Kurvatur im Halbschatten des von Bäumen bewachsenen Hügels. Zwecks Wahrung der gestaltlichen Ganzheit spielt die an entscheidenden Stellen der Komposition in Erscheinung tretende Farbe Blau – neben den mehrfach modifizierten Rottönen – , dem Gestaltgesetz der Ähnlichkeit folgend, eine fundamentale Rolle. Was sich zunächst in streumusterartig gelockerter Verteilung manifestiert, gewinnt dadurch, einem Leitfaden gleich, an kompositioneller Stringenz. Das daraus resultierende, uneingeschränkte Bekenntnis zur Flächenprojektion scheint Hetzers Begriff des „Ornamentalen“ als konstituierendes Charakteristikum der venezianischen Malerei in vollem Umfang zu bestätigen. Dvořák zufolge „scheint das Gemälde aus [Tintorettos] idealem Stil der Spätzeit überhaupt herauszufallen“.653 Dies betrifft zum einen die fast restlose Suspendierung der perspektivischen Erschließung des Bildraums, zum anderen die relativ gleichmäßige, von nur wenigen Schattenpartien berührte Helligkeit des Kolorits, ferner die vom Licht völlig unbeeinträchtigte, umrissbewusste Plastizität der Figuren – im Ganzen gesehen anscheinend ein Rückgriff des Künstlers auf längst verstrichene Schaffensperioden. Das Abendmahl in San Giorgio ist die letzte Version Tintorettos zu diesem Thema und birgt zahlreiche innovative Merkmale. Im Gegensatz zur Tageshelligkeit im Manna-Wunder handelt es sich hier um eine Nachtszene, „eine Welt der Schatten, dunkel, aber zum wahren Lichte führend“.654 Aus einer links oben von der Decke hängenden und von einer Engelsgloriole umkreisten Lampe züngeln zwei Strahlen entsendende Flammenbündel. Aus der Verdichtung von Rauch, Licht und Dunkel entschwebt eine transparent entmaterialisierte Engelsgestalt, die mit ihrem Flügelschlag die düstere Atmosphäre in Schwingungen zu versetzen scheint. Laut

Die letzten Werke

Coletti „scheinen die Farben zwischen diesen zwei Welten des Schattens und des Lichts in der Schwebe gehalten, während der Lichtkontrast hart und kräftig ist […]. Hier steht das Reale dem Irrealen gegenüber, das Physische dem Metaphysischen […], Phantome nehmen Gestalt an und Körper werden gegenstandslos, Aether wird fest und Materie verflüchtigt sich“.655 Atmosphärische Metamorphosen bewirken ein völlig neues Raumgefühl. Die scharfe Begrenzung des Raums, wie sie etwa in der in mancher Hinsicht kompositionell vergleichbaren Hochzeit zu Kana oder auch noch später in der Ultima Cena in der Scuola di San Rocco charakteristisch war, ist hier verschwunden. „Der Raum ist wie von Rauchwolken erfüllt, die jede Begrenzung aufheben“.656 Weitere innovative Merkmale finden sich zum einen in der Draufsicht-Darstellung, wie sie sich etwa im steil aufgeklappten Fußboden und an der gut überschaubaren Tischoberfläche, zum anderen in der schier unauslotbaren Erschließung des sich im Dunkel des Hintergrunds verlierenden Raums manifestiert. Für Letzteres garantiert vor allem die weit nachhaltiger als in der Ultima Cena der Scuola diagonal in die Tiefe stoßende Mensa. Die schräg fluchtende Position des Tisches muss im Zusammenhang mit der Hochaltarmensa der Kirche gesehen werden. „Der gedeckte Tisch ist ein Ort konzentrierter Symbolik […]. Das Verhältnis zwischen dem im Bild dargestellten Abendmahlstisch und der Altarmensa von San Giorgio Maggiore, wo die Transsubstantiation liturgisch vollzogen wird, ist hier wesentlich […]. Der enge Zusammenhang ergibt sich dar-

169 Tintoretto, Das Letzte Abendmahl, Öl auf Leinwand, 568 x 365 cm, Venedig, San Giorgio Maggiore

Abb. 144, S. 275

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Das Spätwerk

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aus, dass der Tisch im Gemälde die räumlich ideelle Verlängerung des Altars vorstellt“.657 Die in scharfer Linearität ausgebildete Vorderkante der Mensa ist zusammen mit den perspektivisch verlaufenden Bodenfliesen ein wichtiger Gradient für die Aufdeckung des Fluchtpunkts, der sich rechts oben im Dunkel knapp über dem Haupt des Küchendieners eruieren lässt. „Wieder ist Christus im Augenblick der Hostienausteilung gegeben, aber jetzt brechen Engelsscharen als flutende himmlische Erscheinungen in den diesseitigen Raum ein, um das Ereignis [der Transsubstantiation] als göttliches Wunder zu beglaubigen“.658 Im Gegensatz zur Ultima Cena in der Scuola di San Rocco, wo Christus – übereinstimmend mit dem Fluchtpunkt – am unteren Ende der Mensa angesiedelt ist, hat Tintoretto den Erlöser – weit entfernt vom Fluchtpunkt – exakt an der Symmetrieachse positioniert, mithin eine bildbeherrschend zentrale Stellung zugewiesen. Die Jünger sind – Judas ausgenommen – an der linken Tischseite angeordnet, womit Überschneidungen vermieden werden und dadurch die Sicht auf die weiße Tischplatte mit den stilllebenartig verteilten Tellern, Karaffen und Weingläsern frei gehalten wird. In den hinteren Abschnitt der Mensa abgerückt und deren Länge ungefähr nach dem Proportionsverhältnis des Goldenen Schnitts unterteilend, hat sich Christus – frontal wiedergegeben und nach vorne geneigt – erhoben und spendet einem sitzenden Apostel mit den Worten: „Nehmet hin und esset, dies ist mein Leib“ die Kommunion. Umgeben von einem mächtigen, goldgelb strahlenden Nimbus – der zweiten Lichtquelle im Bild – ist Christus in Rot/Blau gekleidet, dem einzigen relativ gesättigten Farbakkord im Bild. Hier kommt Judas ins Spiel, der vis-à-vis vom Erlöser an der vorderen Tischkante kauert und sich mit fünf Aposteln, die – gemäß dem perspektivischen Gesetz des Größengefälles stark verkleinert – vom Dunkel des Hintergrunds absorbiert werden, zum Kreis formiert. In getrübt ‚verschmutzten‘ Rottönen gekleidet verfolgt der Verräter mit angespannter Miene und verkrampfter Haltung die heilige Handlung des Erlösers. Bezüglich der Rolle des Judas hat Gentili einen bemerkenswerten Beitrag geleistet, wenn er schreibt: „Die ganze Darstellung ist ein wahrer Triumph der Eucharistie im Sinne der tridentinischen Definition, nämlich unter einer Gestalt, und also ein Triumph des Brotes und der leeren Karaffen. Indes beharrt Judas – […] einsam auf die ‚falsche‘ Seite des Tisches verbannt – darauf, als Häretiker […] erkannt zu werden, da er beide Gestalten der Eucharistie [Brot und Wein] fordert, und zwar explizit, indem er [mit Hinweis auf die Zahl zwei] Daumen und Zeigefinger öffnet.“659 Die im vorderen Abschnitt des Tischs platzierten, in zwei Dreier-Gruppen rhythmisierten Apostel befinden sich – großteils abgedunkelt und von nur spärlich aufscheinenden getrübten Farbflecken akzentuiert – im Gegenlicht der Deckenlampe und werfen Schlagschatten auf die weiße Tischplatte. Im Kontrast mit der in die Tiefe weisenden Stoßrichtung der Mensa scheinen die Jünger, präjudiziert durch Christi dem Vordergrund zugewandte Stellung, tendenziell nach unten abzugleiten. Aus diesem ambivalenten, ein dynamisch hohes Spannungspotenzial bergenden Wechselspiel von in entgegengesetzten Richtungen zielenden Kräften resultiert ein ausgesprochen labiles Gleichgewicht, sofern man der übermäßig gestreckten Mensa die Funktion eines Waagbalkens zubilligt. – In der oberen Dreier-

Gruppe fällt jener stehende Apostel, der, von zwei sitzenden Gefährten flankiert, die Haltung des Heilands wiederspiegelt, insofern besonders ins Gewicht, als er mit seinem halbnackten, skulptural anmutenden, grisailleartig gefärbten Oberkörper aus der Reihe seiner Mitbrüder hervorsticht. Dass es sich hier um den Apostelfürsten Petrus handelt, steht wohl außer Streit. Indes verlangt der ungewöhnliche Umstand, dass er mit teilweise nacktem Oberkörper dargestellt ist, nach einer Erklärung. Meines Erachtens ist nicht auszuschließen, dass Tintoretto hier auf den in seiner Büßerrolle stets halbnackt wiedergegebenen Kirchenvater Hieronymus anspielt, der begütigend die Hand auf den Arm seines Nachbarn legt, ihn anscheinend ermunternd, die Kommunionspende ohne Scheu vor der überirdisch strahlenden Erscheinung des Heilands in Empfang zu nehmen. Wird Petrus durch das Weiß seines von der Schulter geglittenen Umhangs nachdrücklich betont, so sind es beim nächsten stehenden Apostel die vom Licht hervorgehobenen rosafarbigen Ärmel und die zum Gebet gefalteten Hände, die Aufmerksamkeit erregen. Die Haltung Christi weitgehend wiederholend beugt sich der Apostel zu seinen beiden gespannt aufblickenden Gefährten, vermutlich in der Absicht, ihnen das Wunder der Transsubstantiation zu erläutern. Der zuvorderst an der Ecke der Mensa postierte Jünger scheint mit seinem schräg gestellten, vom Licht stark akzentuierten Bein den Betrachter auf Distanz zu halten. Überhöht von einer unter der Lampe aus dem Dunkel des Hintergrunds gespenstisch heraustretenden, in blassem Blaugrau gekleideten Magd und den Blick auf den Heiland gerichtet, versucht der Jünger einen eben die Szene betretenden Bettler, der in manieristischer Drehbewegung als Einstiegsfigur fungiert, mit abwehrender Handgeste zum Stillstand zu bewegen beziehungsweise ihn aufzufordern, das Ende der heiligen Zeremonie abzuwarten. Der helle, vom rosafarbigen Kleid umhüllte Unterschenkel des zuvorderst sitzenden Jüngers vermittelt zu den Protagonisten in der rechten Bildhälfte, den profanen Bereich vom sakralen trennend – eine kompositionelle Idee, die Tintoretto bereits drei Jahrzehnte zuvor in der Hochzeit zu Kana (Venedig, Santa Maria della Salute) vorweggenommen hatte. Als Bindeglied dient ein am unteren Ende der Mensa situierter Beistelltisch, auf dem ein goldener Prunkkelch und ein Wasserbecken – die wichtigsten liturgischen Geräte der Eucharistiefeier – stehen. Einmal mehr bildet das Licht die entscheidenden Leitlinien für den weiteren Verlauf der Komposition. Dies beginnt mit dem lachsrosa aufgehellten Rücken der Katze, die aufgerichtet in den Geschirrkorb späht, um nach Futter zu fahnden, und setzt sich fort in den stark beleuchteten, den Richtungen der Fliesen des Fußbodens angeglichenen Armen der frontal knienden, sonst tief verschatteten Dienerin, die mit der Rechten in den Korb greift, während sie mit der Linken dem Küchenmeister eine Schale mit weißen, oblatenförmigen Mannastückchen reicht, damit an die alttestamentarische Typologie erinnernd. Der Festarrangeur steht in nahezu tänzerischer Haltung und manieristischer Torsion (sein rechter Umriss beschreibt die Form eines verkehrten C) auf einem Podium, auf dem eine steil aufgeklappte, perspektivisch extrem verkürzte Anrichte platziert ist. In Rückenansicht gezeigt dient er als kolossale Repoussoirfigur, aus deren Blickwinkel sich die Szene am

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Abb. 77, S. 137

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effizientesten erschließt. Während er mit seiner Rechten das köstliche Früchteund Speisenarrangement zu ordnen scheint, vollzieht er mit seiner angehobenen Hand eine abwehrende Geste, verwundert mit Blick über die Schulter das dürftige Manna-Angebot der Magd in Augenschein nehmend. „Gerade in der Kontrastierung dieses Darreichens himmlischer und irdischer Speise, eines üppigen weltlichen [auf der Anrichte vorbereiteten] Mahles und des scheinbar bescheidenen, aber doch viel höher zu wertenden Himmlischen liegt tiefer Sinn“, schreibt Von der Bercken.660 – Der Küchenmeister trägt ein blaues Kleid, das mit dem gleichfarbigen Mantel Christi korrespondiert, er ist der irdische Antipode der transzendenten Lichtgestalt des Erlösers, darüber hinaus aber auch eine wichtige Schaltstelle der Komposition. Wie schon seine gekurvte Statur andeutet, schlägt er einen Bogen, der – ein Raumintervall flächenhaft bindend – auf die am Boden liegende, an die Fußwaschung erinnernde Schüssel mit einem darüber geworfenen Tuch und einen daneben befindlichen Schwamm übergreift, sich in Judas fortsetzt und schließlich im Heiland mündet. Dieser weit ausholende Bogen garantiert einerseits die Junktimierung der rechten mit der linken Bildhälfte, andererseits manifestiert sich in ihm ein ambivalentes Wechselverhältnis zwischen Flächen- und Raumkomposition. – Von rechts oben, vom Bildrand überschnitten, stürzen drei Engel diagonal in den Raum, offensichtlich der vordersten Bildebene angehörend. Aus Lichtlinien gestaltet und transparent gegenüber dem Dunkel des Hintergrunds, erweisen sie sich als entkörperlichte Geistwesen, „an der Grenze zwischen sichtbar und unsichtbar befindlich“.661 Bohlmann zufolge liegt Tintorettos Licht/Schatten-Malerei das 1585 veröffentlichte, auf die Lichtmetaphysik des Neuplatonismus Bezug nehmende Traktat des Giovanni Paolo Lomazzo zugrunde.662 Darüber hinaus verweisen Bohlmann und ihre Mitarbeiter bezüglich Tintorettos Lichtmetaphorik im Abendmahl von San Giorgio Maggiore auf die Lehre des im zweiten nachchristlichen Jahrhundert lebenden Kirchenvater Origines, der sich auch besonders um das Verständnis der Eucharistie verdient machte. Origines befasste sich mit der Lichthierarchie – danach „macht Gott als unwahrnehmbares Licht alles sichtbar, wird selbst aber nicht gesehen; die Menschen andererseits bewegen sich mit ihren soliden, undurchsichtigen Köpern im Bereich irdischer Sichtbarkeit, mit Christus als Mittler. Die Engel bezeichnete Origines als Gottes „Feuerflammen“; die Nähe des Menschen zu Gott werde durch die Intensität an göttlichem Feuer, an brennendem Licht gemessen“.663 Dvořák zufolge „hätte kein anderer Abschluss dieses langen Künstlerlebens erhabener sein können. Wenn man einmal lernen wird, die Entwicklung der Kunst nicht nur vom Standpunkt der Naturnachahmung und der formalen Probleme, sondern auch vom Standpunkt der rein geistigen Vertiefung zu betrachten, wird man dieses Gemälde zweifellos zu ihren allerhöchsten Gipfelpunkten zählen“.664 Mit der Grablegung Christi (San Giorgio Maggiore, Cappella dei Morti) schuf Tintoretto sein wohl ergreifendstes Altarbild zu diesem Thema, für das er 1594 (kurz vor seinem Tod) mit 70 Dukaten entlohnt wurde. Laut Pallucchini handelt es sich um ein großteils autographes Werk des Künstlers, an dessen Realisierung

170 Tintoretto, Grablegung Christi, Öl auf Leinwand, 288 x 166 cm, Venedig, San Giorgio Maggiore

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Domenico nur „marginal“ beteiligt war.665 Swoboda sieht im Gemälde „eine Art Vermächtnisstück, in welchem Tintoretto Züge des spätesten Stils mit früheren mischt“.666 Dass hier in der Tat eine Dichotomie vorliegt, beruht darauf, dass Jacopo – obwohl er die Szene, wie der sich im Hintergrund befindliche, nur von einem matten Lichtstreifen tangierte, indes von einem gänzlich abgedunkelten Firmament überwölbte Golgatha-Hügel bezeugt, als notturno darstellt – widersprüchlich zum dunklen Grund auf ein blühendes Kolorit einer längst vergangenen Schaffensperiode zurückgreift. – Nicht zuletzt bedingt durch die Wahl des Hochformats sah sich Tintoretto bezüglich der herkömmlichen Grablegungsikonographie zu revolutionär umwälzenden Neuerungen veranlasst. Dies beginnt schon damit, dass er die in Ohnmacht gesunkene Gottesmutter – weit entfernt von ihrem Sohn – in die obere Bildhälfte versetzt hat. Hier drängt sich ein Vergleich mit Tizian auf, der sich – abgesehen von einer Grabtragung (Paris, Louvre) – in mehreren Versionen mit dem Thema der Grablegung befasst hatte, wobei diesem stets das Querformat zugrunde lag und die Beisetzung des Leichnams immer im Verbund mit der Grabeshöhle in einem Sarkophag erfolgte.667 Anstatt einen Sarkophag zeigt Jacopo ein kleines Stück einer mit hellgrauem Marmor gesäumten, in den Boden versenkten Gruft, jenen Moment, in dem die männlichen Protagonisten sich anschicken, den Körper Christi behutsam dem Erdreich zu übergeben. Der Leichnam, der mit seinen ausgebreiteten Armen der Haltung des Gekreuzigten entspricht, ist, schräg gestellt, in voller Länge durchgestreckt, nur geringfügig nach rückwärts gekippt. Von einem hellblauen, um die Hüften geschlungenen Kleid bedeckt wird der entschlafene, von keinerlei Leidensspuren gezeichnete Erlöser von Joseph von Arimathia und Nikodemus in das weiße, über den Gruftrand rieselnde Grabtuch gehüllt. Die beiden weißbärtigen Greise sind zu Häupten und Füßen des Leichnams in ebenso diagonaler Richtung angeordnet, hervorgehoben durch ihre scharf beleuchteten Gesichter sowie das stark gesättigte Rubinrot ihrer Kleidung. Zusammen mit dem rechts unten gleichfalls pointiert ins Licht gesetzten jugendlichen Gehilfen, der, das Haupt gegen Christi Hüfte gestemmt, mit einem geschulterten Stock den Leichnam stützt, formieren sie sich zu einem die Komposition festigenden Dreieck. Der Gehilfe bildet den Auftakt zu einer Diagonalen, die sich in den beiden im Gebet versunkenen Frauen fortsetzt und Christi Diagonale überkreuzt. Während die eine (vermutlich Maria Magdalena) in perspektivisch stark verkürzter Haltung die Hand Christi küsst, handelt es sich bei der anderen wahrscheinlich um Maria Kleophas, die, von einem Nimbus bekrönt und grell ins Licht getaucht, mit gefalteten Händen auf Christus niederblickt, wobei dessen weißes Grabtuch im Weiß ihres transparent gemalten Seidenkleids wiederkehrt. Wie schon erwähnt ist die Madonna, mit den beiden sie stützenden Frauen zu einer blockhaft vereinheitlichten Masse verschmolzen, deutlich von der Grablegung-Szene abgesetzt. Hierbei fällt ins Gewicht, dass der Künstler die Distanziertheit der Mariengruppe im Sinne des Durchbruchs zum Tiefenraum nicht zu nutzen gewillt ist. Vielmehr zeigt er sich bestrebt, es bei einer flächenspezifischen Konnotation von Oben und Unten bewenden zu lassen. Angesichts ihrer Schräglage weist die Gottesmutter diagonal auf Christus, dessen kraftlos ausgebreitete Arm-

haltung sich an ihr wörtlich wiederholt. Maria trägt ein rubinrotes Kleid und einen von den Schultern geglittenen blauen Mantel. Damit wird in bindender Intention ein Farbakkord angeschlagen, der bereits an Christus und Joseph von Arimathia anklingt. Mariens Umriss erinnert an eine nach unten zugespitzte Mandorla-Form, die den Eindruck erweckt, als hätte sie Jacopo in dislozierender Absicht aus dem keilförmig unterbrochenen Umriss der Grablegung herausgelöst; Letzteres ebenso ein Indiz für Tintorettos uneingeschränktes Bekenntnis zu einer radikal flächenhaften Kompositionsauffassung. Zuletzt noch ein Hinweis auf die beiden über der Mariengruppe schwebenden Engel, deren körperlich plastische Präsenz im Widerspruch zu Jacopos später Kunstauffassung – man beachte nur die vergeistigten, vollständig entmaterialisierten Engel in der letzten Ultima Cena – an einen weit ausholenden Stilrückgriff denken lässt; es sei denn, dass man hier einen Beitrag Domenicos nicht ausschließt. Die vor allem um die Mariengruppe vorherrschende düstere Stimmung erklärt Tietze mit einem Hinweis auf den um 1590 erfolgten Tod Mariettas, Jacopos vielgeliebter Tochter.668 Mit der Grablegung Christi hat Tintoretto, den nahenden Tod vor Augen, gleichsam sein eigenes Requiem zelebriert. Die psychisch-seelische Verfassung seiner letzten Jahre bezeugt das um 1588/89 geschaffene Selbstporträt (Paris, Louvre). „Das Bewusstsein des Schicksals, vor dem es kein Entrinnen gibt, schimmert durch seinen traurigen Blick und macht das Porträt zu einem aufwühlenden Sinnbild des menschlichen Daseins“, schreibt Rossi.669 Das Selbstbildnis mag sinnbildlich auch für das Ende seiner Karriere als Porträtmaler stehen. Betont wird dieser emblematische Charakter durch die sonst selten gewählte Frontalansicht, die analytische Erforschung der Physiognomie und den Kontrast zwischen dem Weiß des Haupt- und Barthaars und dem dominierenden Schwarz der Kleidung und des Hintergrunds. „Ergreifend ist der Blick der tief liegenden, überschatteten Augen, dessen Intensität fast magnetisch wirkt und dem an und für sich konventionellen Porträt menschliche Wärme und psychologische Glaubwürdigkeit verleiht“.670 Erst wenige Stunden vor seinem Tod verfasste der Künstler sein Testament: „Ich will, dass alle Gegenstände, die sich auf meinen Beruf beziehen, meinem Sohn Domenico gehören […]. Ich will, dass mein Sohn Domenico meine Werke, die möglicherweise unfertig zurückbleiben, mit eigener Hand vollendet und dabei jenen Stil und jene Sorgfalt walten lässt, welche er immer auf so viele meiner Werke verwandt hat.“671 Am 31. Mai 1594 starb Tintoretto in seinem Haus am Rio della Sensa. Drei Tage später bewegte sich ein großer Leichenzug zur Madonna dell’ Orto, wo Tintoretto in der Familiengruft seines Schwiegervaters, Marco Episcopi, beigesetzt wurde. Unter Domenico verlor das Atelier seine Vorrangstellung am venezianischen Kunstmarkt. Nun war es Jacopo Palma il Giovane, der als Hauptvertreter des Manierismus und Frühbarock den Stil Tintorettos fortführte und in einer Massenproduktion sondergleichen zahlreiche Kirchen in Venedig mit Altarbildern ausstattete. Gleichwohl war für Jacopos Nachruhm gesorgt. Dafür garantierten so bedeutende Maler wie etwa El Greco, Rubens und Velasquez. Im 19. Jahrhundert war es der Romantiker Delacroix, der in den Sog der düsteren Bildfantasien Jaco-

Die letzten Werke

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Abb. 171, S. 328

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Das Spätwerk

171 Tintoretto, Selbstbildnis, Öl auf Leinwand, 62,5 x 52 cm, Paris, Louvre

pos geriet. Schließlich bezeugte auch Manet gegenüber dem Großmeister des venezianischen Manierismus seine Ehrerbietung, als er von dessen Selbstbildnis eine heute im Musée des Beaux Arts in Dijon aufbewahrte Kopie anfertigte.

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Anmerkungen

ANMERKUNGEN

1 Andrea Calmo, Le Lettere di Messer Andrea Calmo. Hg. von Vittorio Rossi, Turin 1888. Zit. von R. Krischel, Tintoretto, Hamburg 1994, S. 13 u. R. Krischel, Jocopo Robusti, genannt Tintoretto 1519–1594, Köln 2000, S. 6. – Krischels Monographie beruht hauptsächlich auf historischen, ikonographischen, soziologischen und kulturgeschichtlichen Aspekten. Eine Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand bzw. ein wissenschaftlicher Diskurs unterbleibt fast gänzlich. Problematisch ist vor allem der weitgehende Verzicht auf Werkanalysen, zumal sich nur auf Basis dieses methodologischen Ansatzes Erkenntnisse über den qualitativen Rang, die innovative Leistungsfähigkeit sowie den stilistischen Entwicklungsstand (z. B. bezüglich des Manierismus) des jeweiligen Künstlers gewinnen lassen. 2 Carlo Ridolfi, Le maraviglie dell’ arte. Hg. von Detlev Freiherr von Hadeln, Bd. 2, Berlin 1924, S. 13. – C. Ridolfi, The Life of Tintoretto and of his Children Domenico and Marietta. Translated and with an introduction by Catherine and Robert Enggass. University Park, London 1984. 3 R. Pallucchini und P. Rossi, Tintoretto. Le opere sacre e profane, 2 Bde., Mailand 19902, S. 289ff., Abb. 1–17, cat. 1/16. 4 G. Brucher, Geschichte der venezianischen Malerei. Tizian und sein Umkreis. Bd. 4, Wien, Köln, Weimar 2015. 5 P. Pino, Dialogo di Pittura [1548], in: Paola Barocchi (Hg.): Trattati d’ arte del Cinquecento I, Bari 1960, S. 93ff. 6 E. von der Bercken, Die Gemälde des Jacopo Tintoretto, München 1942, S. 33f. 7 Ebda., S. 33. 8 Ebda., S. 35. 9 G. Pochat, Theater und bildende Kunst im Mittelalter und in der Ranaissance in Italien, Graz 1990, S. 325. 10 H. Tietze, Tintoretto. Gemälde und Zeichnungen, London 1948, S. 33. 11 Zit. nach Von der Bercken (Anm. 6), S. 43. 12 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 14. 13 Zit. nach Krischel, 1994 (Anm. 1), S. 31. 14 Ebda., S. 32. 15 E. Camesasca (Hg.), Lettere sull’ arte di Pietro Aretino, 4 Bde., Mailand 1957–1960, Bd. 4, S. 366ff. – Zu Marcolinis Bedeutung für Tintoretto s. E. Weddigen, Jacopo Tintoretto und die Musik, in: artibus et historiae, 1984 (5), S. 118, Anm. 178. 16 Krischel, 1994 (Anm. 1), S. 40. – T Pignatti (Hg.), Le Scuole di Venezia, Mailand 1981. 17 J. Emmrich, Tintoretto. Die Welt seiner Bilder. Leipzig 1988, S. 108. 18 Zit. nach Krischel, 1994 (Anm. 1), S. 94. 19 Emmrich (Anm. 17), S. 141. 20 F. Valcanover, Jacopo Tintoretto und die Scuola Grande di San Rocco (Neuauflage), Venedig 2010, S. 41 u. 105. 21 L. Coletti, Tintoretto, Hamburg 1943, S. 35. 22 Zit. nach Krischel, 1994 (Anm. 1), S. 103. 23 Emmrich (Anm. 17), S. 178. 24 P. de Vecchi, L’ opera completa del Tintoretto (Classici del Arte), Mailand 19782, S. 133f. 25 Krischel, 1994 (Anm. 1), S. 121. 26 Zit. nach Emmrich (Anm. 17), S. 212. 27 Ebda., S. 214. 28 G.P. Zabeo, Elogio del Tintoretto, Venedig 1813, S. 54. 29 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 13. 30 G. Fagin, Bonifacio ai Camerlenghi, in: Arte Veneta, XVII, 1963, S. 79ff. – Zu Bonifacio de’ Pitati s. G. Brucher, Geschichte der venezianischen Malerei, 4. Bd.: Tizian und sein Umkreis, S. 337f. 31 R. Pallucchini, La Giovinezza del Tintoretto, Mailand 1950, S. 71ff. 32 Ebda., S. 73. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 14 u. 131 (cat. 1). 33 F.L. Richardson, Andrea Schiavone, Oxford 1980. – Zu Andrea Schiavone s. Brucher (Anm. 30), S. 365.

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Anmerkungen

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34 G. Fiocco, Ausstellung venezianischer Kunst in München, in: Zeitschrift für bildende Kunst, 1931, S. 157f. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 114 n. 881. – Pallucchini (Anm. 31), S. 72. – P. de Vecchi, L’ opera completa del Tintoretto (Classici dell’ Arte, Presentazione di C. Bernari), Mailand 1979, S. 85, Kat. Nr. 3. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 14 u. 131 (cat. 6). 35 Pallucchini (Anm. 31), S. 72f. 36 C. Furlan, Il Pordenone Mailand 1988. – Zu Pordenone s. Brucher (Anm. 30), S. 293ff. 37 G. Fiocco, Considerazioni su Jacopo Tintoretto, in: Pantheon, XIX, 1961, S. 23f. – R. Pallucchini, La Giovinezza del Tintoretto. La Giovinezza del Greco, Università di Padova. Istituto di Storia dell’ Arte, 1974–1975, S. 54. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 14 u. 131 (Kat.Nr. 3 u. 4). 38 D. F. von Hadeln, Jacopo Molino, in: The Burlington Magazine, LIII, 1928, S. 226 u. 231. – Pallucchini (Anm. 31), S. 74ff. – De Vecchi (Anm. 34), S. 86, Kat.Nr. 8. – P. Rossi, in: AK Da Tiziano a El Greco. Per la storia del Manierismo (Venedig, Palazzo Ducale), Mailand 1981, S. 148, Kat.Nr. 40. – Palucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 15f. u. 132f. (Kat.Nr. 11). 39 R. Arnheim, Die Macht der Mitte. Eine Kompositionslehre für die bildenden Künste, Köln 1983, S. 96. 40 J. Schulz, Venetian painted ceilings of the Renaissance, Berkeley – Los Angeles 1968, S. 14. – L. Steinberg, Michelangelo’s Madonna Medici and related works, in: The Burlington Magazine, CXIII, 1971, S. 145f. 41 Krischel, 1994 (Anm. 1), S. 13. 42 Ebda., S. 13. 43 Th. Hetzer, Venezianische Malerei […], Stuttgart 1985. 44 F. Arcangeli, La Disputa del Tintoretto a Milano, in: Paragone, VI, 1955, S. 21ff. – G. A. dell’ Acqua, L’ Adultera del Tintoretto a Milano, in: Paragone VIII, 1957, S. 64. – De Vecchi (Anm. 34), S. 87, Kat.Nr. 14. – R. Villa u. G.C.F. Villa, Tintoretto, Mailand 2012, S. 46f. 45 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 136, Kat.Nr. 41. – Rossi (Anm. 38), S. 150, Kat.Nr. 41. 46 E. Arslan, Le pitture del Duomo di Milano, Mailand 1960, S. 14ff. 47 Rossi (Anm. 38), S. 150., zu Schiavone: S. 130f. – F.L. Richardson, Andrea Schiavone, Oxford 1980, S. 176f., n. 296 u. S. 144f., n. 236. – Brucher (Anm. 4), S. 369, Abb. 235. 48 Ridolfi (Anm. 2), II, S. 52. – Der Deckenzyklus wurde erstmals von Thode Tintoretto zugeschrieben, eine These, die zunächst nicht ungeteilte Zustimmung fand. So plädierte Mayer für eine Zusammenarbeit Tintorettos mit Schiavone, wogegen von Hadeln an eine Kollaboration Schiavones mit einem unbekannten Gehilfen dachte. Vollends entschied sich Von der Bercken für eine ausschließliche Zuschreibung an Schiavone. Erst Pallucchini vermochte Thodes Meinung im Sinne Tintorettos zu präzisieren, worauf sich in der Forschung – m.W. mit Ausnahme von Arslan, der an der Schiavone-Theorie festhielt – ein diesbezüglich einhelliger Konsens einstellte. – H. Thode, Tintoretto, Bielefeld-Leipzig 1901, S. 47. – A.L. Mayer, Zwei unbekannte Werke Jacopo Tintorettos, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, 31, 1920, S. 207f. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 116. – R. Pallucchini, I dipinti della Galleria Estense di Modena, Rom 1945, S. 173ff. – Ders. (Anm. 31), S. 78ff. – Arslan (Anm. 46), S. 17f. – Palucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 16 u. 134f. – De Vecchi (Anm. 34), S. 87. – Krischel (Anm. 16), S. 14ff. – Villa (Anm. 44), S. 24ff. 49 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 14ff. 50 F. Hartt, Giulio Romano, 2 Bde., New Haven 1958, Bd. I. 51 K.W. Forster, Pontormo, München 1966, S. 141, Abb. V. 52 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 14, Abb. 8. 53 Von der Bercken (Anm. 6), S. 133. – Pallucchini (Anm. 31), S. 80ff. u. Anm. 30. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 135. – M.W. wurde die Zuschreibung an Tintoretto nur von Arslan abgelehnt, obwohl die an der Trompete der Fama vermerkten Buchstaben T und I einen glaubhaften Anhaltspunkt für eine Signatur des Künstlers bieten. Arslan (Anm. 46), S. 33, Anm. 44. – De Vecchi (Anm. 34), S. 87, Kat.Nr. 13. 54 W. Suida, Zwei unbekannte Werke Tintorettos, in: Pantheon, XXIII, 1939, S. 122. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 110. – Pallucchini (Anm. 31), S. 86f. u. Anm. 43. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 21f. u. 142f. – F. Rusk Shapley, Catalogue of the Italian Paintings, National Gallery of Art, Washington 1979, S. 468ff. 55 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 24 u. 143, Kat.Nr. 80, Abb 102. 56 Rossi (Anm. 38), S. 131, Kat.Nr. 29. – Brucher (Anm. 4), S. 368, Abb. 234. 57 A. Ballarin, Jacopo Bassano e lo studio di Raffaelo e dei Salviati, in: Arte Veneta XXI, 1967, S. 98ff. u. 101, Anm. 41. – P. Humfrey, Venezia 1540–1600, in: La Pittura nel Veneto. Il Cinquecento, Bd. 2, Mailand 1998, S. 465 u. 463 (Abb. 530 u. 531). 58 Pallucchini (Anm. 31), S. 87. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 10. 59 V. Oberhammer, Katalog der Gemäldegalerie, I. Teil, Kunsthistorisches Museum, Wien 1960, S. 122f. – L. Fröhlich-Bum, Andrea Meldolla, genannt Schiavone, in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Samm-

lungen, XXXI, 1913, S. 211. – D.F. von Hadeln, Tintoretto als Cassone-Maler, in: Zeitschrift für Bildende Kunst, n.S. XXXIII, 1922, S. 27ff. – A. Uvodic, Andrija Medulic, Nazvan Schiavone, Split 1934, S. 69. – Eine koloristische Affinität Tintorettos mit Schiavone wird von Coletti nachdrücklich bestritten. L. Coletti, Tintoretto, Hamburg 1943, S. 5. – L. von Baldass, Kleinfigurige Gemälde Tintorettos in der Wiener Galerie, Pantheon XVII, 1944, S. 74. – O. Benesch, Some unknown early works by Tintoretto, in: Arte Veneta, X, 1956, S. 100. – Pallucchini (Anm. 31), S. 85f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 20f. u. 138. – De Vecchi (Anm. 34), S. 88. – Villa (Anm. 44), Abb. S. 54–57. 60 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 25. 61 Emmrich (Anm. 17), S. 18. 62 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Bd. 1, S. 151; Bd. 2, Abb. 145. 63 Zit. nach Thode (Anm. 48, S. 25f. u. Coletti (Anm. 59), S. 4. 64 Arcangeli (Anm. 44), S. 30f. 65 Schulz (Anm. 40), S. 11, 25, 117, 142 u. 117 (Anm. 46). – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 143f., Kat. Nr. 80. – Villa (Anm. 44), S. 50f. 66 E. Waldmann, Tintoretto, Berlin 1921, S. 37. 67 Krischel, 1994 (Anm. 1), S. 35. 68 Ebda., S. 36, Abb. S. 38. 69 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 148f., Kat.Nr. 104 u. 105. – De Vecchi (Anm. 34), S. 90, Kat.Nr. 43 u. 44. 70 M. Pittaluga, Il Tintoretto, Bologna 1925, S. 284. – Ders., Opere del Tintoretto smarrite o di malsicura identificazione, in: L’Arte, XXIX, 1926, S. 89. – J. Maxon, The Master of the Corsini Adulteress, in: The Connoisseur, November 1961, S. 254ff. – E. Weddigen, L’ Adultera del Tintoretto della Galleria Nazionale di Roma, in: Arte Veneta, XXIV, S. 81ff. – Pallucchini (Anm. 31), S. 107f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 27 u. 149f., Kat.Nr. 109. 71 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 26. 72 Von der Bercken (Anm. 6), S. 108, Nr. 79. – A. Walther, Gallerie des tableaux de Dresde. Les maitres anciens, Dresden 1974, S. 107. – Pallucchini (Anm. 31), S. 103f. – De Vecchi (Anm. 34), S. 90f., Nr. 57. – Emmrich (Anm. 17), S. 28f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 154, Kat.Nr. 125. 73 G. Canova, Paris Bordone, Venedig 1964, S. 76f. – Brucher, Bd. 4, (Anm. 4), S. 331, Abb. 194. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 149, Kat.Nr. 108. 74 Th. Worthen, Tintoretto’s paintings for the Banco del Sacramento in S. Margherita, in: Art Bulletin, 88, 1996, S. 732. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 155, Kat.Nr. 127. – K. M. Swoboda, Frühe Bilder des Abendmahls von Jacopo Tintoretto, in: Festschrift für Otto Demus und Otto Pächt, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, 25, 1972, S. 205ff. – Krischel, 2000, (Anm. 1), S. 29. – C. Schneebauer, Versuch einer vergleichenden Analyse der Abendmahlsdarstellungen von Jacopo Tintoretto unter besonderer Berücksichtigung der Zeitstruktur, Diplomarbeit, Universität Salzburg 2009, S. 25ff. 75 R. Arnheim, Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges, Berlin/New York, 1978, S. 440. 76 Schneebauer (Anm. 74), S. 107. 77 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 29. – Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), Abb. 194. 78 H. Theissing, Die Zeit im Bild, Darmstadt 1987, S. 43. – D. Frey, Das Zeitproblem in der Bildkunst, in: Frey, Bausteine zu einer Philosophie der Kunst, Darmstadt 1976, S. 212ff. – G. Böhm, Bild und Zeit, in: H. Paflik (Hg.), Das Phänomen Zeit in Kunst und Wissenschaft, Weinheim 1987, S. 3. – G. Pochat, Bild-Zeit. Zeitgestalt und Erzählstruktur in der Bildenden Kunst…, 3 Bde., Wien/Köln/Weimar 1996, 2004, 2015. – Kap. „Zum Problem der Bildzeit“ s. G. Brucher, Stilllebenmalerei von Chardin bis Picasso. Tote Dinge werden lebendig, Wien/Köln/Weimar 2006, S. 41ff. – Ders., Sehen lernen – am Beispiel Kandinsky. Ein Beitrag zur kunsthistorischen Methodik, Universität Salzburg 2001, S. 17ff. 79 Theissing (Anm. 78), S. 41, 42, 150 u. 160. 80 Ebda., S. 112. 81 Ebda., S. 160. 82 E. Gombrich, Der fruchtbare Moment, Vom Zeitelement der Bildenden Kunst, in: Gombrich, Bild und Auge. Neue Studien zur Psychologie der bildlichen Darstellung, Stuttgart 1984, S. 40ff. 83 O. Jorghensen, Dramatikern i Venedigs Malerkunst, in: Tilskueren 1938, S. 25f. – Swoboda (Anm. 74), S. 205. – P. Rossi, Due aggiunte alle opere giovanili di Jacopo Tintoretto, in: Per Maria Cionini Visani Scritti di amici, Torino, 1977, S. 86f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 151, Kat.Nr. 113. – Schneebauer (Anm. 74), S. 22ff. u. 105. 84 F.L. Richardson, Andrea Schiavone, Oxford 1980, S. 118, Kat.Nr. 148. – H. Tietze u. E. Tietze-Conrat, The Drawings of the Venetian Painters in the 15th and 16th Centuries, New York 1944, S. 252, No. 1440.

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P. Humfrey, Venezia, 1540–1600, in: La pittura nel Veneto. Il Cinquecento, Bd. II, Mailand 1998, S. 459. M. Pittaluga, Il Tintoretto, Bologna 1925, S. 273. – De Vecchi (Anm. 34), S. 91, Kat.Nr. 59. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 156, Kat.Nr. 128. – J.M. Cruz Valdovinos, Die italienische Malerei, in: Die Sammlungen des Prado. Malerei vom 12. – 18. Jahrhundert, Köln 1994, S. 280. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 32. Pochat, Bild-Zeit, 3. Bd. (Anm. 78). Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 32. Krischel, 2000, (Anm. 1), S. 32f. – Pochat (Anm. 78), S. 299 – C. Gould, Sebastiano Serlio and Venetian Painting, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 1962, S. 61f. – E. Forssman, Über Architekturen in der venezianischen Malerei des Cinquecento, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch XXIX, 1967, S. 114f. Coletti (Anm. 59), S. 6f. Arnheim (Anm. 75), S. 80 u. 82. Zit. nach P. Rossi, Die Bildnisse Jacopo Tintorettos, in: AK Jacopo Tintoretto. Portraits, Wien, Kunsthistorisches Museum 1994, S. 13. P. Rossi, Jacopo Tintoretto. I Ritratti, Bd. I, Venedig 1974, S. 19f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 145f., Kat.Nr. 91. – E. Merkel, Kat.Beitr., in: AK (Anm. 92), S. 72ff., Kat.Nr. 1. Rossi (Anm. 93), S. 13f. – Rossi (Anm. 94), S. 110, Abb. 3. Rossi (Anm. 93), S. 14. G.F. Waagen, Treasures of Art in Great Britain, II, London 1854, S. 358. – Catalogue of the exhibition of the King’s pictures, London 1946–1947, S. 79. – Rossi (Anm. 94), S. 107. – De Vecchi (Anm. 34), S. 89, Kat.Nr. 38. D. von Hadeln, A Self-Portait by Tintoretto, in: The Burlington Magazine, XLIV, Nr. CCLI, 1924, S. 93. Rossi, Kat. Beitr. (Anm. 93), S. 80, Kat.Nr. 4. Rossi (Anm. 93), S. 14. – G. Vasari, Le vite più eccellenti pittori scultori ed architettori, Bd. 6, Florenz 1568 (Hg. G. Milanesi, Florenz 1881), S. 587. G. Brucher, Geschichte der venezianischen Malerei, Bd. 3: Von Giorgione zum frühen Tizian, Wien/ Köln/Weimar, 2013, Abb. zu Giorgione: 29 u. 52; zu Tizian: 100 u. 107. – G. Nepi-Sciré, in: AK Le siècle de Titien. L’âge d’or de la peinture a Venise, Paris 1993, S. 543. Die erstmalige Zuschreibung an Tintoretto erfolgte durch W. Suida, Die Sammlung Kress, New York, in: Pantheon, XXVI, 1940, S. 278. – B. Berenson, Pitture italiane del Rinascimento, Mailand 1936, S. 151. – R. Longhi, Viatico per cinque secoli di pittura veneziana, Florenz 1946, S. 67. – Pallucchini (Anm. 31), S. 107. – F.L. Richardson u. Felton Gibbons, Dosso and Battista Dossi […], Princeton 1968 (Rezension), in: The Art Quarterly, XXXIII, Nr. 3, 1970, S. 310. – Rusk Shapley glaubt hier Tintorettos Gesichtszüge zu erkennen, denkt also an ein Selbstporträt des Künstlers, eine m.E. nicht nachvollziehbare Hypothese. F. Rusk Shapley, Catalogue of the Italian Paintings, National Gallery, Washington 1979, S. 462ff. – Rossi (Anm. 94), S. 130f. – E. Martini, Alcuni ritratti e altri dipinti di Jacopo Tintoretto, in: Arte/Documento, 5, 1991, S. 107. – Rossi, Kat.Beitr. S. 82, Nr. 5 (Anm. 93), S. 82. Rossi (Anm. 93), S. 15 u. 82. Brucher (Anm. 101), S. 334f, Abb. 119. – Die in Sebastianos Violinspieler vermerkte Datierung MDXVIII wurde von Dussler (von Hirst bestätigt) als spätere Zutat dekouvriert, woraus zu ersehen ist, dass das Gemälde noch in Sebastianos venezianischer Zeit, also vor dessen Übersiedlung nach Rom (1511), entstanden ist, somit Tintoretto zugänglich war. Rossi (Anm. 93), S. 15. Rossi (Anm. 94), S. 118. Rossi (Anm. 93), S. 16. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 82. Rossi (Anm. 94), S. 95. – R. Pallucchini, Giunte alla giovinezza del Tintoretto, in: Arte Veneta, V, 1951, S. 113. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 82. R. Krischel, Jacopo Tintoretto. Das Sklavenwunder. Bildwelt und Weltbild, Frankfurt a.M. 1994, S. 17ff. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 30. H. Thode, Tintoretto, Bielefeld/Leipzig 1901, S. 32f. – A. Guisconi, Tutte le cose notabili e belle che sono in Venetia, Vendig 1556. M. Boschini, Le Ricche Minere della Pittura Veneziana, Venedig 1674, o.S. – Übers. ins Deutsche:

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K. M. Swoboda, Tintoretto, Ikonographische und stilistische Untersuchungen (hg. von W. Huber u. S. Pohl), Wien/München 1982, S. 109, Anm. 27. Jacobus de Voragine, Die Legenda Aurea; aus dem Lateinischen übers. v. Richard Benz, Heidelberg 1925, S. 312. Emmrich (Anm. 17), S. 45. C. Ridolfi, Le maraviglie dell’ arte … (hg. von Detlev Freiherr von Hadeln), Bd. II, Berlin 1924, S. 15. Krischel (Anm. 110), S. 50. N. Dvořák, Studien zur Kunstgeschichte (hg. von I. Emmrich), Leipzig 1989, S. 138. Ebda., S. 138. W. Schöne, Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954. Bercken (Anm. 6), S. 45. – Krischel, 1994 (Anm. 1), Abb. S. 64. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 34ff. u. 157. Swoboda (Anm. 114), S. 13. Rossi (Anm. 94), S. 30, Abb. 38. G. Scirè Nepi, Die Accademia in Venedig…, Venedig 1991, S. 166, Kat.Nr. 89. Swoboda (Anm. 114), S. 14. – Krischel (Anm. 110), S. 34. Th. Hetzer, Venezianische Malerei von ihren Anfängen bis zum Tode Tintorettos (Schriften Th. Hetzers. Hg. v. G. Berthold, Bd. 8), Stuttgart 1985, S. 589f. Coletti (Anm. 59), S. 8. Emmrich (Anm. 17), S. 48. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 40f. u. S. 158, Kat.Nr. 134. Zit. nach Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 158. H.L. Keller, Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst, Stuttgart 19917, S. 494. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 38. Coletti (Anm. 59), S. 26. Ebda., S. 26. R. Gallo, Per il San Lorenzo martire di Tiziano, in: Rivista di Venezia, 1935, S. 166ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 158. – H. Tietze, Tintorettos Gemälde und Zeichnungen, London 1948, S. 371. – Brucher (Anm. 4), Bd. 4, Abb. 118. J. Wilde, DIe Mostra del Tintoretto zu Venedig, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 7/1938, S. 143. U. Middeldorf, Reinterpretation of a Tintoretto, in: The Art Bulletin, XXVI, 1944, S. 195f. – M.W. ist es allein Arslan, der eine Mitwirkung von Gehilfen vermutet. W. Arslan, La Pinacoteca Civica di Vicenza, Rom 1934, S. 9 u. 17. – De Vecchi (Anm. 34), S. 93, Kat.Nr. 74. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 41 u. 158f. Kat.Nr. 136. – Villa (Anm. 44), S. 78ff. Jacobus de Voragine, Die Legenda aurea (Anm. 115), S. 653f. Von der Bercken (Anm. 6), S. 133. Palazzo Chiericati. Musei Civici di Vicenza (a cura di G.C.F. Villa), Mailand o.J., S. 52. E. Forssman, Über Architekturen in der venezianischen Malerei des Cinquecento, in: WallrafRichartz-Jahrbuch, XXIX, 1967, S. 118. – E. Weddigen, L’ Adultera del Tintoretto della Galleria Nazionale di Roma, in: Arte Veneta, XXIV, 1970, S. 90 u. 92, Anm. 22. AK De Triumf van het Manierisme de Europese Stilje van Michelangelo tot El Greco, Amsterdam 1955, S. 88 n. 118. – E.G. Tulanowski, The Iconography oft he Assumption of the Virgin in Italian Paintings: 1480–1580. Diss. Ohio State Universitiy 1986. Im Übrigen verweist Coletti auf Jacopos Altarbild Madonna in Gloria coi Santi (Modena, Galleria Estense), das kompositionell bemerkenswerte Analogien zur Himmelfahrt Mariens aufweist, woraus man auch auf eine übereinstimmende Datierung (um 1549–1550) der beiden Gemälde schließen kann. Coletti (Anm. 59), S. 14. – Pallucchini (Anm. 31), S. 128. – De Vecchi (Anm. 34), S. 93, Kat.Nr. 72 u. 73. – Pallucchini und Rossi (Anm. 3), S. 159, Kat.Nr. 138 u. 139. – Brucher (Anm. 4), Bd. 4, Abb. 1. Wilde (Anm. 137), S. 145. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 104, Nr. 18. – W.R. Rearick, Tintoretto’s Bamberg Assunta. Art the Ape of Nature, New York 1981, S. 367ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S: 167, Kat.Nr. 167. – E. Weddigen, Zur Ikonographie der Bamberger Assunta von Jacopo Tintoretto, in: M. Petzet (Hg.), Die Bamberger Himmelfahrt Mariae von Jacopo Tintoretto. Internationales Kolloquium in München 1986 (Arbeitshefte des bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, 42), München 1988, S. 61ff. M. Boschini, Le Ricche Minere della Pittura Veneziana (di Canareggio), Venedig, 1674, S. 11. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 168, Kat.Nr. 170. – A. Lettner, Die Zeitgestalt in Darstellungen der Himmelfahrt Marias, Mag. Arbeit, Universität Salzburg 2007, S. 111ff.

Anmerkungen

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Ridolfi (Anm. 2), II, S. 38; freie Übersetzung bei Swoboda (Anm. 114), S. 32. Ebda., S. 31. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 46. E. von der Bercken u. A. Mayer, Jacopo Tintoretto, Bd. 1, München 1923, S. 138. Weddigen (Anm. 145), S. 77 u. 92. – Lettner (Anm. 146), S. 111f. Lettner (Anm. 146), S. 115. Tulanowsky (Anm. 143), S. 298. Lettner (Anm. 146), S. 130. Ebda., S. 124. – Brucher (Anm. 4), Bd. 4, Abb. 1. Lettner (Anm. 146), S. 122. Hetzer (Anm. 127), S. 579. Weddigen (Anm. 145), S. 71. Ridolfi (Anm. 2), II, S. 38. – Boschini (Anm. 146), S. 11f. – Emmrich (Anm. 17), S. 68ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 167, Kat. Nr. 168. – Krischel, 2000, (Anm. 1), S. 59. – Villa (Anm. 44), S. 118, Abb. S. 120. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 136, Kat.Nr. 40. Namhafte Forscher, die für Tintoretto plädieren: Thode (Anm. 48), S. 18f. – H. Thode, Tintoretto. Kritische Studien über des Meisters Werke, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, XXIV, 1901, S. 433 u. 141. – Tietzte, Tintoretto. Gemälde und Zeichnungen, London 1948, S. 368. – Pallucchini (Anm. 31), S. 80f. – F.L. Richardson, Andrea Schiavone, Oxford 1980, S. 202. – Emmrich (Anm. 17), S. 65ff. Thode (Anm. 161), S. 19. Brucher (Anm. 4), Bd. 4, Abb. 85. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 59. Emmrich (Anm. 17), S. 66. De Vecchi (Anm. 34), S. 96, Kat.Nr. 94. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 164, Kat.Nr. 159–161. Coletti (Anm. 59), S. 18. – Pallucchini, Jacopo Tintoretto. Dispense ciclostilate, Istituto di Storia dell’ Arte, Università di Padova, 1962–1963, S. 71f. – De Vecchi (Anm. 34), S. 96, Kat.Nr. 94. – A. Gentili, Tintoretto, in: Malerei in Venedig, München 2003, S. 283. – G. Romanelli, La Chiesa della Madonna dell’ Orto. Il Trionfo di Tintoretto, Venedig 2012, S. 18 n. 24. – T. Nichols, Lexikon, Artikel: Tintoretto, in: Dictionary of Art, vol. 31, London, S. 8. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 52ff. – Villa (Anm. 44), S. 114f. Swoboda (Anm. 114), S. 18. Zit. bei Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 165. – Thode (Anm. 48), S. 92. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 52. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 52. Emmrich (Anm. 17), S. 64. Hetzer (Anm. 127), S. 594. M. Dvořák, Studien zur Kunstgeschichte, Leipzig 1989, S. 142. J. Wilde, Die Mostra del Tintoretto zu Venedig, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 7/1938, S. 144ff. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 52. Dvořák (Anm. 174), S. 142. Gemäß der Farbenlehre gewinnen gesättigte Farben vor dunklem Grund an Leuchtkraft; dazu zählt im Tempelgang auch das Orange am Ärmel des ebenfalls noch der Schattenzone angehörenden Propheten. Umgekehrt verhält es sich mit der rechten Bildhälfte, wo das vor dem hellen Grund der Treppe und des Himmels platzierte Rot der rechts außen befindlichen Figur im Vergleich mit dem Rot der Schärpe Joachims viel an Leuchtkraft einbüßt. A. Hauser, Der Manierismus. Die Krise der Renaissance und der Ursprung der modernen Kunst, München 1964, S. 218 u. 220. E. von der Bercken, Tintoretto, in: Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler…, Bd. 33, Leipzig 1939/40, S. 191. Coletti (Anm. 59), S. 17. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 165. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 165, Kat.Nr. 162. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 54. Lexikon der christlichen Ikonographie (hg.v. E. Kirschbaum), Bd. 4, Freiburg i.B. 1972, S. 407. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 55. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 167f., Kat.Nr. 169. A. Venturi, Storia dell’ arte italiana. La pittura del Cinquecento, Bd. IX, Teil IV, Mailand 1929, S. 459.

188 H.L. Keller, in: Reclams Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst, Stuttgart 19917, S. 585f. 189 Zit. nach Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 57. 190 U.A. Middeldorf, A note on two pictures by Tintoretto, in: Gazette des Beaux-Arts, Bd. XXVI, 1944, S. 248f. 191 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 168. 192 F. Salomon, Veronese (Ergänzungsband zur Ausstellung Veronese: Magnificence in Renaissande Venice), National Gallery Company, London 2014, S. 53, Abb. 34. 193 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 58. – Villa (Anm. 44), S. 119. 194 Zur Geburt des Johannes Baptista (San Zaccharia) s. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 185, Kat.Nr. 248. – Im Folgenden einige prominente Forscher, die die Geburt des Johannes Baptista (St. Petersburg) als Arbeit der Tintoretto-Schule ansehen: M. Pittaluga, Il Tintoretto, Bologna 1925, S. 259. – B. Berenson, Italian pictures of the Renaissance, Oxford 1932, S. 560. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 112 u. 151. – H. Tietze, Tintoretto, Gemälde und Zeichnungen, London 1948, S. 351. – De Vecchi (Anm. 34), S. 97, Kat.Nr. 106. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 57. – Villa (Anm. 44), S. 119. – Beide Autoren datieren das St. Petersburger Gemälde mit ca. 1554. 195 Bercken (Anm. 6), S. 125. – Villa (Anm. 44), S. 119. – Möglicherweise hat Palluchini hier insofern für den Bildtitel Die Geburt Mariens plädiert, als keine der drei Frauen, im Unterschied zum St. Petersburger Gemälde, mit einem Maria zustehenden Heiligenschein versehen ist. 196 Coletti (Anm. 59), S. 15. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 46f. u. 168, Kat.Nr. 171. 197 Bestätigt durch den Rot-Blau-Weiß-Akkord zählt Coletti auch Tintorettos Madonna in der Glorie mit Heiligen (1554/55; Venedig, Accademia) zu dessen kurzfristiger Veronese-Rezeptionsphase. Dazu der Autor: „Dass es Tintoretto gelegentlich gefiel, in der Manier seiner Zeitgenossen zu malen […], ist bekannt.“ Ridolfi schreibt darüber: „[…] er konnte auf alle Arten malen und sich in jede Manier versetzen“; Boschini bestätigt dies „[…] er konnte in jeder Manier imitieren […]“ des Öfteren in Bezug auf Tizian und Veronese. Coletti (Anm. 59), S. 14 u. 15. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 169, Kat.Nr. 172, Kat.Nr. 172. 198 L. Moretti, I Pisani di Santo Stefano e le opere d’ arte del loro palazzo, in: Il Conservatorio di Musica Benedetto Marcello di Venezia, Venedig 1977, S. 170. – G. Fiocco, Un capolavoro giovanile del Tintoretto nel Museo Civico di Padova, in: Bolletino del Museo Civico di Padova, XXXI-XLVII, 1942–1954, S. 45ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 145, Kat.Nr. 90. – Villa (Anm. 44), S. 52. 199 Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), Abb. 171. 200 Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), Abb. 176. 201 G. Ludwig, Archivalische Beiträge zur Geschichte der venezianischen Malerei, in: Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen, Supplement zu Bd. XXVI, 1905, S. 103. – D.F. von Hadeln, in: Italienische Forschungen. Archivalische Beiträge zur Geschichte der venezianischen Kunst aus dem Nachlass G. Ludwigs, Berlin 1911, S. 137ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 43 u. 161f. – G. Scirè Nepi, DIe Accademia in Venedig. Meisterwerke venezianischer Malerei, München 1991, S. 169, Kat.Nr. 91. 202 De Vecchi (Anm. 34), S. 95, Kat.Nr. 82ff., mit Abb. der Zeichnung von P. Farinati. 203 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 45. 204 Thode (Anm. 48), S. 44. – N. Pittaluga, Criteri paesistici del Tintoretto, in: L’ Arte, XXXIII, 1920, S. 163. – Hetzer (Anm. 127), S. 592. – Coletti (Anm. 59), S. 11. – G. Pochat, Figur und Landschaft: Eine historische Interpretation der Landschaftsmalerei von der Antike bis zur Renaissance, Berlin/ New York 1973, S. 345f. 205 Hetzer (Anm. 127), S. 592. 206 B. Joannides, Classicità e classicismo nella pittura veneta, in: La pittura nel Veneto. Il Cinquecento, Bd. 3, Mailand 1999, S. 1067, Abb. 1159. 207 Hetzer (Anm. 127), S. 592. 208 Emmrich (Anm. 17), S. 52. 209 Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 128, Abb. 65. 210 L. Froelich-Bum, Andrea Meldolla, genannt Schiavone, in: Wiener Jahrbuch, 1913–14, XXXI, S. 204. – F.L. Richardson, Andrea Schiavone, Oxford 1980, S. 158, Abb. 52. 211 P. Eikemeier, in: Alte Pinakothek München (hg. v. Wolf-Dieter Dube), Paris o.J., S. 173. 212 Bercken (Anm. 6), S. 117. – N. Barbantini (Hg.), in: Catalogo della Mostra del Tintoretto, Venedig 1937, S. 183ff., Nr. 66. – N. Pittaluga, Il Tintoretto, Bologna 1925, S. 280. – A. Pallucchini, Tintoretto, Florenz 1969, S. 30f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 163f., Kat.Nr. 155. – H. Tietze, Tintoretto. Gemälde und Zeichnungen, London 1948, S. 355. – De Vecchi (Anm. 34), S. 95, Kat. Nr. 89. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 94f. – Villa (Anm. 44), S. 95f. – R. Kultzen u. P. Eikemeier,

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Bayerische Staatsgemäldesammlungen Alte Pinakothek München. Venezianische Gemälde des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1971, S. 133ff. – R. Kultzen, Alte Pinakothek München. Katalog V., Italienische Malerei, München 1975, S. 110f. Brucher (Anm. 4), Bd. 4, Abb. 98. – P. Humfrey, Titian. The complete Paintings, London 2007, S. 281, Nr. 212. – Nur einige Jahre später (laut De Vecchi um 1559) hat dann Tintoretto die Haltung der Venus fast wörtlich auf jene der Lukretia (Tarquinius und Lukretia, Chicago, The Art Institute) übertragen. Pallucchinis extrem spät ansetzendem Datierungsvorschlag (um 1585/90) bezüglich des Lukretia-Gemäldes ist meines Erachtens nichts abzugewinnen. De Vecchi (Anm. 34), S. 101. Kat.Nr. 131a. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 229, Kat.Nr. 450; Bd. II, Abb. 575. E. Weddigen, Des Vulkans paralleles Wesen. Dialog über einen Ehebruch mit einem Glossar zu Tintorettos Vulkan überrascht Venus und Mars, München 1994. P. Pino, Dialogo di Pittura, Venezia 1548 (ed. critica a cura di R. e. A. Palucchini, Venezia 1946). – Villa (Anm. 44), S. 96. – L.O. Larsson, Von allen Seiten gleich schön. Studium zum Begriff der Vielansichtigkeit in der europäischen Plastik von der Renaissance bis zum Klassizismus. (Acta Universitatis Stockholmiensis, 26), Uppsala 1974, S. 54ff. H. Tietze u. E. Tietze-Conrat, The drawings of the venetian painters in the 15th and 16th centuries, New York 1944, Textband, S. 278, Nr. 1561. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 95. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 173f. – Einige Datierungen, die von jener Pallucchinis merklich abweichen: 1565–1570: Pittaluga (Anm. 212), S. 87f. u. 287f. – Zwischen 1550 und 1570: V. Oberhammer, La Pinacoteca di Vienna, Mailand 1960, S. 140. – Nach 1560: Barbantini (Anm. 212), S. 102ff. – 1560–1564: Bercken (Anm. 6), S. 133. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 46. Brucher (Anm. 4), Bd. 4, Abb. 62. Villa (Anm. 44), S. 102f. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 160f., Kat.Nr. 144. Brucher (Anm. 101), Bd. 3, Abb. 32. Coletti (Anm. 59), S. 11. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 46. F. Wickhoff, Venezianische Bilder (II), in: Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, XXIII, 1902, S. 221f. – E. Herzog, Tintoretto und „I Fatti di Cesare“, in: Festschrift für Harald Keller (hg. von H.M. v. Erffa), Darmstadt 1963, S. 269ff. – A. Walther, Die Rettung der Arsinoe, in: AK Venezianische Malerei 15. bis 18. Jahrhundert (Albertinum Dresden), Dresden 1968, S. 94ff. Emmrich (Anm. 17), S. 74. Pittaluga (Anm. 212), S. 265; dat. um 1570. – Walther (Anm. 226), S. 95; dat. nach 1560. – J. Wilde, Die Mostra del Tintoretto zu Venedig, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 1938, S. 152. – Palluchini u. Rossi (Anm. 3), S. 174, Kat.Nr. 203. Walther (Anm. 226), S. 95. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 48. Coletti (Anm. 59), S. 17. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 175, Kat.Nr. 206. – Der von Coletti vorgeschlagenen Version im Sinne „Corrers“ wurde von Gould zugunsten von „Cornaro“ widersprochen und später von Pallucchini als „wahrscheinlicher“ bestätigt. C. Gould, The sixteenth-century Venetian School, N.G. Catalogues, London 1959, S. 84ff. Zit. nach Coletti (Anm. 59), S. 17. – Villa (Anm. 44), S. 125. Bercken (Anm. 6), S. 112. – Pallucchinis Datierung wurde in der neueren Literatur (etwa Krischel und Villa) ohne Angabe von Gründen mit ca. 1553 widersprochen. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 97. – Villa (Anm. 44), S. 124. G. Brucher, Geschichte der Venezianischen Malerei. Von Giovanni Bellini zu Vittore Carpaccio, Bd. 2, Wien/Köln/Weimar 2010, S. 360f., Abb. 204. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 97f., Abb. 87. Emmrich (Anm. 17), S. 79. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 97. G. Heinz-Moor, Lexikon der Symbole. Bilder und Zeichen der christlichen Kunst, München 198810, S. 79f. Rossi (Anm. 93), S. 17. Ebda., S. 88, Kat.Nr. 7. Rossi (Anm. 94), S. 100, Abb. 44. Rossi (Anm. 93), S. 18.

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F. Pedrocco, Tizian, München 2000, S. 240, Kat.Nr. 197. Rossi (Anm. 93), S. 21. Ebda., S. 84, Kat.Nr. 6. Rossi (Anm. 94), S. 98 u. 130, Abb. 30 u. 31. Pedrocco (Anm. 244), S. 240. D.F. von Hadeln, Beiträge zur Tintoretto Forschung, in: Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen, XXXII, 1911. Rossi (Anm. 93), S. 19. Ebda., S. 18. B. Berenson, While Tintoretto, in: Festschrift für M. Friedländer, Leipzig 1927. Rossi (Anm. 93), S. 94, Kat.Nr. 8–10. – G.M. Pilo, Postilla a Jacopo Tintoretto, in: Arte/Documento, 5, 1991, S. 130f. – W. Arslan, Argomenti per la cronologia del Tintoretto, in: La Critica d’ Arte, II, Nr. 4, 1937, S. XXVII. – Barbantini (Anm. 212), S. 42f. – Tietze (Anm. 136), S. 355. Rossi (Anm. 93), Kat. Nr. 11, S. 96.- G. Sciré Nepi, I capolavori dell’ Arte Veneziana. Le Gallerie dell’ Accademia, Venedig 1991, Nr. 90, S. 172. Boschini (Anm 146), S. 96. Für Tintoretto: B. Berenson, The Venetian Painters of the Renaissance, New York/London 1894, S. 120. – H. Thode, Tintoretto. Kritische Studien über des Meisters Werke, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, XXIV, S. 13. – A. Venturi, Storia dell’ Arte Italiana. La Pittura del Cinquecento, Bd. IX, Teil IV, Mailand 1929, S. 593. – Für Tizian: P. Paoletti, Catalogo delle R.R. Gallerie di Venezia, Venedig 1903, S. 80. – M. Pittaluga, Il Tintoretto, Bologna 1925, S. 235. – Coletti (Anm. 59), S. 9. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 129. Coletti (Anm. 59), S. 9. Brucher (Anm. 4), Bd. 4, S. 145 u. Abb. 79. Ebda., S. 145. F. Wickhoff, Les écoles italiennes au Musée Imperial de Vienne, in: Gazette des Beaux-Arts, XXXV, 1893, S. 140. – W. Suida, Clarifications and Identifications of Works by Venetian Painters, in: The Art Quarterly, IX, S. 290. – Rossi (Anm. 93), S. 104, Kat.Nr. 15. R. Pallucchini, Giunte alla giovinezza del Tintoretto, in: Arte Veneta, V, 1951, S. 111f. – Rossi (Anm. 94), S. 116, Abb. 67. – G. Nepi Sciré, in: Le siècle de Titien. L’ age d’ or de la peinture a Venice, Paris 1993, S. 546. – De Vecchi (Anm. 34), S. 97, Kat.Nr. 101. C. Gould, AT. Portrait Identified, in: The Burlington Magazine, Bd. CXI, Nr. 557, August 1949, S. 227. Nähere Angaben zur Arbeitsweise Tintorettos siehe S. Ferino Pagden, Neues in alten Bildern, in: Neues Museum, Nr. 3–4, 1992, S. 19f. F. Klauner, Kat.Beitr. Nr. 699, in: Katalog der Gemäldegalerie [des Kunsthistorischen Museums in Wien], I. Teil, Wien 1960, S. 129. Rossi (Anm. 93), S. 20 u. 108. – G. Canova, Paris Bordon, Venedig 1963, S. 45 u. Abb. 76. Rossi (Anm. 93), S. 20. Emmrich (Anm. 17), S. 57. Rossi (Anm. 93), S. 98. A. Venturi (Anm. 256), S. 512, 612. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 56. – De Vecchi (Anm. 34), S. 98, Kat.Nr. 112. Von der Bercken (Anm. 6), S. 133, Nr. 563. – V. Oberhammer, La Pinacoteca di Vienna, Mailand 1960, S. 138. – Rossi (Anm. 93), S. 110, Kat.Nr. 17. Brucher (Anm. 101), Bd. 3, S. 71, Abb. 18. Brucher (Anm. 4), Bd. 4, Abb. 46 u. 47. Bercken (Anm. 181), S. 191. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 179f., Kat.Nr. 226. – P. Rossi, Kat.Beitr., in: Da Tiziano a El Greco. Per la storia del manierismo a Venezia. 1540–1590, Kat.Nr. 47, S. 159. C. Furlan, Il Pordenone, Mailand 1988, S. 161f. – Brucher (Anm. 4), Bd. 4, S. 310, Abb. 176. Tietze (Anm. 136), S. 371. Ergänzende Anmerkung zum Teich Bethesda, in: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift Die Bibel. Gesamtausgabe, Stuttgart 1980, S. 1188: „Ein Engel des Herrn aber stieg zu bestimmter Zeit in den Teich hinab und brachte das Wasser zum Aufwallen. Wer dann als erster hineinstieg wurde gesund“. Arnheim (Anm. 75), S. 25 u. 440. Coletti (Anm. 59), S. 19. J. Dupont, Tintoret et les paintres venitiens dans les eglises de Paris, in: Venezia e l’Europe, Atti del XVIII Congresso internazionale di Storia dell’ Arte, Venezia, 12–18. settembre 1955, Venedig 1956,

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S. 278. – Trésors d’ art des eglises de Paris, in: Arte Veneta, X, 156, S. 234. – Schneebauer (Anm. 74), S. 40ff. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 133, S. 101. – S. Béguin, A propos de la restauration de la Cène de Saint-Francois-Xavier á Paris, dans Colloque Tintoretto 1996, S. 281ff. K.M. Swoboda, Frühe Bilder des Abendmahls von Jacopo Tintoretto, in: Festschrift für Otto Demus und Otto Pächt, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, 25, 1972, S. 205ff. C. Bohlmann, Tintorettos Maltechnik. Zur Dialektik von Theorie und Praxis. In: Beiträge zur Kunstwissenschaft, 73 (Diss. 1996), 1998, S. 87f. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 232, S. 181. – Für 1560 plädieren etwa Pittaluga, Von der Bercken und Lorenzetti. Pittaluga (Anm. 212), S. 257. – Bercken (Anm. 6), S. 125. – G. Lorenzetti, Venezia e il suo estuario, Triest 1994, S. 478. – De Vecchi (Anm. 34), S. 103 datiert mit 1562/63. – Schneebauer (Anm. 74), S. 46ff. – T. Worthen, Tintoretto’s paintings for the Banco del Sacramento in Santa Margherita, in: Art Bulletin, 88, 1996, S. 720ff. Bercken (Anm. 6), S. 56f. Worthen (Anm. 74), S. 720. M.J. Kobbert, Kunstpsychologie. Kunstwerk, Künstler und Betrachter, Darmstadt 1986, S. 103. – Zum „Faktor der Nähe“ gleichfalls Kobbert: „Anschaulich schließt sich zusammen, was sich jeweils am nächsten steht. […] Dass das räumlich einander Nächstliegende nicht nur als Konnex, sondern als qualitative Einheit erfahren wird, ist eine elementare Grundbedingung jeder Komposition.“, S. 103. Coletti (Anm. 59), S. 27. Arnheim (Anm. 39), S. 176ff. – Schneebauer (Anm. 74), S. 53. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 259, S. 187. Tietze (Anm.212), S. 17. J. Burckhardt, Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens, Basel 1855, S. 985. M. Dvořák, Studien zur Kunstgeschichte. Mit einem Essay von J. Emmrich, Leipzig 1989, S. 139f. Ebda., S. 140. H. Theissing, Die Zeit im Bild, Darmstadt 1987, S. 41, 43 u. 58. Gentili (Anm. 167), S. 273. Schneebauer (Anm. 74), S. 60. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 230, S. 180f. – Pittaluga (Anm. 212), S. 246f. – M. Muraro, Studiosi, collezionisti e opere d’ arte veneta dalle lettere al Cardinale Leopoldo de’ Medici, in: Saggi e Memorie di Storia dell’ Arte, 4, 1965, S. 83. Hetzer (Anm. 126), S. 598. Dvořák (Anm. 292), S. 144. Coletti (Anm. 59), S. 20. Emmrich (Anm. 17), S. 85. – A. Pallucchini, Considerazioni sui grandi teleri del Tintoretto della Madonna dell’ Orto, in: Arte Veneta, XXIII, 1969, S. 54ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 236–241, S. 182f. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 70. Thode (Anm. 48), S. 91. Coletti (Anm. 59), S. 22f. Dvořák (Anm. 292), S. 150. Brucher, Geschichte der venezianischen Malerei, Bd. 4 (Anm. 4), Abb. 113, S. 207ff. Swoboda (Anm. 114), S. 22. Ridolfi, II (Anm. 2), S. 20. Emmrich (Anm. 17), S. 87. Coletti (Anm. 59), S. 23. Von der Bercken (Anm. 6), S. 50. D. Rodgers, Tintoretto’s Golden Calf, in: The Burlington Magazine, CXIX, S. 715. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 64ff. Emmrich (Anm. 17), S. 86. Swoboda (Anm. 114), S. 20. Ebda., S. 20. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 243–245, S. 183ff. – P. Paoletti, La Scuola Grande di San Marco, in: Rivista di Venezia, 1929, S. 173ff. Paoletti (Anm. 316), S. 174. – De Vecchi (Anm. 34), S. 104. Jacobus de Voragine, Die Legenda Aurea. Aus dem Lateinischen übers. v. R. Benz, Volksausgabe, Heidelberg 1925, S. 309.

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Emmrich (Anm. 17), S. 97. Swoboda (Anm. 114), S. 25. Coletti (Anm. 59), S. 21f. Der im Hintergrund am Rand der tobenden See platzierte, von Säulen umgürtete runde Zentralbau gleicht bis ins Detail Bramantes Tempietto (1502; S. Pietro in Montorio) in Rom. Coletti (Anm. 59), S. 22. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 54 u. 106. – In seinem 1950 erschienenen Buch zum Frühwerk Tintorettos hat Pallucchini die These vertreten, der zufolge Tintoretto das Brüsseler Gemälde der Scuola di San Marco schon vor 1548 (also etwa zeitgleich mit der Produktion des Sklavenwunders) als modello für die Ausführung der Bergung des Evangelisten vorgelegt habe, anscheinend in der freilich enttäuschten Hoffnung, im unmittelbaren Anschluss an die Finalisierung des Sklavenwunders den Auftrag für die Ausführung weiterer Gemälde im Sinne der Fortsetzung eines Markus-Bilderzyklus zu erhalten. In seiner späteren Forscherkarriere hat der Autor zu seiner früh entwickelten, meines Erachtens immerhin diskussionswürdigen Theorie keinen Bezug mehr genommen. Pallucchini (Anm. 31), S. 109. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 162A, S. 105. E. Weddigen, Thomas Philologus Ravenna. Gelehrter, Wohltäter und Mäzen, in: Saggi e Memorie di Storia dell’ Arte, 9, 1974, S. 56. – M. Tafuri, „Sapienza di Stato“ e „Atti mancati“: Architettura e tecnica urbana nella Venezia del’ 500, in: Architettura e utopia nella Venezia del Cinquecento, Mailand 1980, S. 23. – N. Frank, Architetture nelle opere di Jacopo Tintoretto nel quarto centenario della morte (a cura di Paola Rossi e Lionello Puppi), Padua 1996, S. 235ff. De Vecchi (Anm. 34), Abb. 162, S. 105. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 183. – Villa (Anm. 44), S. 170. Emmrich (Anm. 17), S. 99. – Swoboda (Anm. 114), S. 29. E. Hüttinger, Venezianische Malerei, Zürich 1959, S. 46. – C. Gilbert, On Subject and Not Subject in Italian Renaissance Pictures, in: Art Bulletin, 34, 1952, S. 202ff. – Pochat, 3. Bd. (Anm. 78), S. 302. Hetzer (Anm. 126), S. 601. J. Wilde, Die Mostra del Tintoretto zu Venedig, in: Zeitschrift für Kunstgeschchte, 7, 1938, S. 146. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 70. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 227, S. 180. Swoboda (Anm. 114), S. 28. Zit. nach D. Rosand, Die venezianische Malerei im 16. Jahrhundert, in: Venedig. Kunst und Architektur (Hg. Giandomenico Romanelli), Bd. I, S. 427. Ebda., S. 427. P. Humfrey, La Pittura veneta del Rinascimento a Brera, Florenz 1990, S. 176ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 244, S. 184. Acta Sanctorum, 3 (mit den Kapiteln „Historia, Translationis“ und „Apparitio e Miracula“, 1675, S. 353f. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 72. Für diese Theorie plädieren unter anderem: Thode (Anm. 48), S. 40f. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 55. – Tietze (Anm. 212), S. 355. – Hetzer (Anm. 127), S. 600. Swoboda (Anm. 114), S. 26. E. von der Bercken u. A.L. Mayer, Tintoretto I, München 1923, S. 238. – Tietze (Anm. 212), S. 355. Acta Sanctorum (Anm. 335), S. 353f. – Legenda Aurea (Anm. 318), S. 310. Emmrich (Anm. 17), S. 96. W. Schöne, Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954. – A. Hauser, Der Manierismus, München 1964, S. 223. Arnheim (Anm. 75), S. 288. Hetzer (Anm. 127), S. 600. Legenda Aurea (Anm. 318), S. 311. Ridolfi, II (Anm. 2), S. 23. Boschini (Anm. 146), S. 70. Dvořák (Anm. 292), S. 148. Coletti (Anm 59), S. 22. – Emmrich (Anm. 17), S. 100. Hauser (Anm. 179), S. 222. Emmrich (Anm. 17), S. 101. Hetzer (Anm. 127), S. 601. R. Berliner, Die Tätigkeit Tintorettos in der Scuola di San Rocco, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, 55, 1920, S. 468ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 261–288, S. 188ff. F. Valcanover, Jacopo Tintoretto und die Scuola Grande von San Rocco, Venedig 2010, S. 13.

Anmerkungen

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355 Zit. nach Valcanover (Anm. 354), S. 15. 356 A. Zenkert, Tintoretto in der Scuola di San Rocco. Ensemble und Wirkung (Tübinger Studien zur Archäologie und Kunstgeschichte, Bd. 19), Berlin 2003, S. 21. 357 Valcanover (Anm. 354), S. 41. – Berliner (Anm. 353), S. 470ff. 358 Zenkert (Anm. 356), S. 39. 359 S. Anm. 147. 360 Coletti (Anm. 59), S. 24. 361 Zenkert (Anm. 356), S. 40. – C. Gould, Observations on the Role of Decoration in the Formation of Veronese’s Art, in: Essays in the History of Art presented to Rudolph Wittkower, London 1967, S. 123ff. 362 E. Hüttinger, Die Bilderzyklen Tintorettos in der Scuola di San Rocco zu Venedig (Diss.), Zürich 1962, S. 15. – R. Pallucchini, Tintoretto a San Rocco, Venedig 1937, S. 29ff. 363 J. Schulz, Venetian painted ceilings of the Renaissance, Berckeley-Los Angeles, 1968, S. 30f. u. 86f. 364 A.C. Quintavalle, L’ opera completa del Correggio (Present. di A. Bevilacqua), Mailand 1970, Kat. Nr. 49, S. 97f., Taf. XXIII. 365 Zenkert (Anm. 356), S. 41. Zenkerts Dissertation befasst sich primär mit einer Gesamtdeutung des Ensemblecharakters der Bilder in der Scuola di San Rocco, einer in der Forschung weitgehend vernachlässigten Problematik, zumal Hüttingers Ausführungen zum Bilderzyklus der Scuola weniger auf die Erforschung künstlerisch-formaler, vielmehr ikonologischer Zusammenhänge abzielt (E. Hüttinger, Die Bilderzyklen Tintorettos in der Scuola di San Rocco zu Venedig, Zürich 1962.). Dazu einige Leitsätze der Autorin, die deren Forschungsansatz – unter dem Aspekt der „Durchdringung von Bild- und Betrachterraum“, der „Gestaltung der ästhetischen Grenze“ und des „Prinzips der Mehransichtigkeit“ – exemplifizieren: „Die vorliegende Arbeit stellt sich die Aufgabe, Tintorettos Ausstattung der Scuola als Ganzes, das heißt kontextualistisch und hinsichtlich ihrer Wirkung, d.h. rezeptionsästhetisch, zu interpretieren. Es soll also vor allem die Wirkung erörtert werden, die aus der Beziehung der Bilder untereinander und ihrem Wechselspiel mit den Charakteristika ihres Anbringungsorts entspringt“ (S. 15). „In einem großen räumlich arrangierten Bildensemble kommt diesem Wechselspiel von simultaner und sukzessiver Wahrnehmung noch größere Bedeutung zu als bei einem einzelnen Bild. Es vollzieht sich hier nicht als Bewegung der Augen, sondern auch als ein Auf- und Abgehen im Saal […]. Der Betrachter kann mehrere Bilder gleichzeitig ins Auge fassen und dabei durch die Veränderung des Blickwinkels immer neue Zusammenstellungen erschließen […].“ (S. 17) „In der Sala dell’Albergo beschränkt sich die Darstellung also nicht mehr auf die gerahmte Fläche, die ihr die Architektur zuweist, sondern sie dehnt sich über die Bildgrenzen hinweg aus, sodass sich die Szenen der Einzelbilder zu einer kontinuierlichen Sequenz zusammenschließen.“ (S. 37) Höchst problematisch der folgende Satz: „Denn in den Bildern der Sala dell’Albergo scheint die dargestellte Welt die Bildgrenze gewissermaßen zu ignorieren. Nur die Betrachter, nicht aber die im Bildgeschehen involvierten Figuren, wissen von der Begrenzung der Bildwelt durch den Rahmen.“ (S. 63) Ebenso bedenklich die folgenden Sätze, die der Willkür des im Saal „hin- und herwandernden“ Betrachters auf Kosten des allen Bildern zweifellos eigenen Autonomieanspruchs Tür und Tor zu öffnen scheinen: „Und in der Tat sind die Wandbilder der Sala dell’Albergo so gestaltet, dass sich ihre Vielschichtigkeit erst dann erschließt, wenn man sie von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet […]. Für das Zustandekommen dieser panoramatischen Gesamtwirkung ist die Mehransichtigkeit der Bilder eine fundamentale Voraussetzung […]. Eine Betrachtung mit schräger Bildachse ist dafür unabdingbar, was dazu beitragen kann, auf die Bedeutung von Blickwinkeln aufmerksam zu machen, die es erlauben, mehrere Bilder zugleich in den Blick zu nehmen und aufeinander zu beziehen.“ (S. 66) Anscheinend mit dem Widerstand jener Mehrheit von Kunstwissenschaftern rechnend, die grundsätzlich die Analyse einzelner Gemälde bevorzugt und dabei ausschließlich den frontalen Blickwinkel favorisiert, gelangt die Autorin zu folgendem Resümee: „Die Vertreter [dieser] Position gehen implizit davon aus, dass es einen eindeutig zu bestimmenden Betrachterstandort gibt. Frontalsicht und Lateralsicht werden so zu einander ausschließenden Alternativen stilisiert. Durch diese unnötige Entgegensetzung wurde die Möglichkeit übersehen, dass das Bild mehrere gleichwertige Ansichten aufweist und für die Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln konzipiert sein könnte.“ (S. 71) Dieser Standpunkt scheint bezüglich der Erforschung einer Ensemblewirkung schlüssig zu sein, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass dem eine aus der Frontalität geleistete Analyse des Einzelwerks vorangeht, worauf erst sich die Frage stellt, ob sich Tintorettos Bilder in den jeweiligen Sälen der Scuola in so zwingender Stringenz, wie die Autorin behauptet, strukturell nachweisbar im Sinne eines ineinanderfließenden Gesamtkunstwerks zusammenfügen, oder ob nicht doch der Autonomieanspruch des einzelnen Gemäldes eine klare Vorrangstellung einnimmt, was freilich nicht ausschließt, dass

unmittelbar benachbarte Bilder bisweilen kompositorisch zueinander in Bezug stehen. – Selbstverständlich bleibt es dem Betrachter unbenommen, beim „Durchschreiten“ von Sälen allfällige Ensemblewirkungen beziehungsweise zyklische Beziehungen unter den Gemälden aufzudecken. Meines Erachtens erfolgt dieser Rezeptionsprozess keinesfalls – wie Zenkert mit Ausschließlichkeitsanspruch postuliert – nur auf Basis der Schrägansicht, zumal dabei der Zufall, mitunter auch die Willkür des Betrachters eine das wissenschaftlich intendierte Ergebnis beeinträchtigende Rolle spielt. Um dieser Gefahr zu entgehen, ist es geradezu zwingend, der Fahndung nach zyklischen Ensemble-Wirkungen eingehende Analysen der jeweiligen Einzelbilder voranzustellen. Hier ist grundsätzlich anzumerken, dass Analysen von an der Wand applizierten Bildern – laut Erkenntnissen der Wahrnehmungspsychologie (Arnheim) – ausschließlich aus frontalem, bildaxial ausgerichtetem Blickwinkel zu erfolgen haben, vereinfacht ausgedrückt, der Betrachter sich – im visuellen Mit- und Nachvollzug des Werks – der naturgemäß frontalen Position des Künstlers anzugleichen hat. Jede Wahl anderer Blickrichtungen läuft Gefahr, die strukturelle sowie aussagemäßige Intention des Künstlers zu verkennen, schlimmstenfalls zu verfälschen. – Bezüglich der Gestalttheorie beziehungsweise Wahrnehmungspsychologie dazu einige ausgewählte Literaturhinweise: D. Katz, Gestaltpsychologie, Basel 1969. – W. Metzger, Gesetze des Sehens, Frankfurt a.M. 1976. – H. Kreitler u. S. Kreitler, Psychologie der Kunst, Stuttgart 1980, S. 106. – Arnheim (Anm. 39), S. 239. – G. Brucher, Stilllebenmalerei von Chardin bis Picasso. Tote Dinge werden lebendig. Wien-KölnWeimar 2006, S. 19ff. – G. Brucher, Sehen lernen – am Beispiel Kandinsky. Ein Beitrag zur kunsthistorischen Methodik. Univ. Salzburg 2001, S. 7ff. 366 Berliner (Anm. 353), S. 471. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 283, S. 189f. – Ch. de Tolnay, L’ interpretazione dei cicli pittorici del Tintoretto nella Scuola di San Rocco, in: Critica d’ Arte VII, 41, 1960, S. 364. – E. Hüttinger, Die Bilderzyklen Tintorettos in der Scuola di San Rocco zu Venedig, Zürich 1962, S. 11ff. – G. Romanelli, Tintoretto a San Rocco. Pittura, teologia, narrazione, in: ders. (Hrsg.) Tintoretto. La Scuola Grande di San Rocco, Mailad 1994. 367 J. Ruskin, Stones of Venice, Bd. 3, London 1853, S. 379. 368 Bercken (Anm. 6), S. 59. 369 Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 304, Abb. 171. 370 U. Willmes, Studien zur Scuola di San Rocco in Venedig, Beiträge zur Kunstwissenschaft, Bd. 4; (Diss.), München 1984, S. 175f. 371 K.M. Swoboda, Die große Kreuzigung Tintorettos im Albergo der Scuola di San Rocco, in: Arte Veneta XXV, 1971, S. 145ff. 372 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 175, S. 169f. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 118. – K. N. Swoboda, die Große Kreuzigung Tintorettos im Albergo der Scuola di San Rocco, in: Arte Veneta, XXV, 1971, S. 148. – De Vecchi (Anm. 34), S. 134 und R. Kultzen-P. Eikemeier, Bayrische Staatsgemäldesammlungen Alte Pinakothek München. Venezianische Gemälde des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1971, S. 131f. haben sich gegen die Aufnahme der Münchner Kreuzigung in das für Tintoretto gesicherte Werkverzeichnis ausgesprochen. 373 Swoboda (Anm. 371), S. 146. 374 Zenkert (Anm. 356), S. 31. 375 Ebda., S. 31. 376 Hüttinger (Anm. 362), S. 21. 377 Zenkert (Anm. 356), S. 86. – Hüttinger (Anm. 362), S. 65. 378 W. Arslan, Argomenti per la cronologia del Tintoretto, in: La critica d’ Arte, II, 1937, S. XXVIII. – Colletti (Anm. 59), S. 21. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 249, S. 186. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 152, S. 103. 379 Emmrich (Anm. 17), S. 114. 380 Swoboda (Anm. 372), S. 146. 381 Die von Willmes zutreffend als Synagoge identifizierte Gestalt wird in der Literatur (u.a. auch von Swoboda) häufig fälschlich als Nikodemus bezeichnet. Willmes (Anm. 370), S. 196f. 382 Swoboda (Anm. 371), S. 146. 383 Merkwürdigerweise entgeht Zenkert die Existenz des „Lichtdreiecks“. Stattdessen interpretiert die Autorin den „rückwärtigen Umriss des Plateaus“, also die Basis des Dreiecks, fälschlich als „konvexe“ Begrenzungslinie, die zusammen mit den lateralen, „sichelförmig“ ausschwingenden Figurengruppen eine „Halbkreisform“ bilde; anstatt von einem „Halbkreis“ wäre es korrekter, von einem extrem gestreckten Halboval zu sprechen. Vom „Schließungsdruck“ der Wahrnehmung ausgehend, wird dadurch, so die Autorin weiter, „dem Betrachter die Möglichkeit einer Vervollständigung dieser Sichelform zu einem den gesamten Saal [des quadratischen Albergos] umspannenden Kreis“. Auf Basis dieser problematischen Theorie sei „entscheidend, dass die Suggestion

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einer solchen […] Kreisbewegung gewissermaßen eine ‚Lese‘-Anweisung für den kompositionellen Gesamtzusammenhang der Wandbilder enthält.“ Die Aufdeckung solcher Zusammenhänge entspricht dem vorrangigen Forschungsziel der Autorin, was aber nur wenig am Autonomieanspruch der drei an der Eingangswand des Albergos angebrachten Gemälde gegenüber der Kreuzigung ändert. Zenkert (Anm. 356), S. 32f. Swoboda (Anm. 372), S. 146. Ebda, S. 150. K.M. Swoboda, Tintoretto. Ikonographische und stilistische Untersuchungen (hg. v. W. Huber u. S. Pohl), Wien 1982, S. 39. Willmes (Anm. 370), S. 208. Siehe dazu K. Dobai, Bemerkungen zum Michelangelismus bei Tintoretto und neue Aspekte, in: Studien zu Tintoretto und die florentinische Skulptur der Michelangelo-Nachfolge, Bern 1991, Kat.B III, S. 51ff. Emmrich (Anm. 17), S. 118. – Valcanover (Anm. 354), S. 33. Willmes (Anm. 370), S. 178. Swoboda (Anm. 386), S. 41. Hüttinger (Anm. 362), S. 64. Für die später zum Christentum bekehrten Juden gilt der Begriff ex circumcisione. Siehe auch Swoboda (Anm. 371), S. 150. Von der Bercken (Anm. 6), S. 58. – Swoboda (Anm. 372), S. 151. Ch. de Tolnay, L’ interpretazione di cicli pittorici del Tintoretto nella Scuola di San Rocco, in: Critica d’ Arte, VII, 1960. – D. Rosand, Painting in Cinquecento Venice: Titian, Veronese, Tintoretto, London 1982, S. 198. Ebda., S. 364. Hetzer (Anm. 127), S. 604. Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 121ff., Abb. 62. Zenkert (Anm. 356), S. 44 u. 85. Emmrich (Anm. 17), S. 126. Von der Bercken (Anm. 6), S. 60. Valcanover (Anm. 354), S. 23. Hetzer (Anm. 127), S. 605. Valcanover (Anm. 354), S. 23. Zenkert (Anm. 356), S. 71. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 250–258, S. 186f. C. de Tolnay, Tintoretto’s Salotto dorato cycle in the Doge Palace, in: Festschrift M. Salmi, 3. Teil, Rom 1963, S. 117ff. J. Schulz, Venetian painted ceilings of the Renaissance, Berkeley-Los Angeles 1968, S. 30 u. 101f. – S. Sinding-Larsen, Christ in the Council Hall. Studies in the religious iconography of the Venetian Republic. Mit einem Beitrag von A . Kuhn, Rom 1974, S. 13 u. 238ff. Palucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 186. Hetzer (Anm. 127), S. 599. Swoboda (Anm. 114), S. 33. N. von Holst, La Pittura Veneziana tra il Reno e la Neva, in: Arte Veneta, V, 1951, S. 131. – R. Kultzen-P. Eikemeier, Bayerische Staatsgemäldesammlungen Alte Pinakothek München. Venezianische Gemälde des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1971, S. 140ff. – R. Kultzen, Alte Pinakothe München. Katalog V. Italienische Malerei, München 1975, S. 113f. – R. an der Heiden, Die Alte Pinakothek. Sammlungsgeschichte, Bau und Bilder, München 1998, S. 394f. – A.J. Martin, Jacopo Tintoretto: Dipinti per committenti tedeschi, in: Jacopo Tintoretto nel quarto centenario della morte (Atti del Convegno Internazionale di Studi, 1994; a cura di P. Rossi e Puppi, Venedig 1996, S. 97ff. – N. Pittaluga, Il Tintoretto, Bologna 1925, S. 96f. u. 278f. – W. Arslan, Argomenti per la cronolgia del Tintoretto, in: La critica d’ Arte, II, 1937, S. XXVIII. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 298, S. 192. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 174, S. 110. An der Heiden (Anm. 411), S. 394. Ebda., S. 396. Colletti (Anm. 59), S. 33. Der Auftrag umfasste eigentlich drei Bilder. Zwei davon, Der Hl. Rochus heilt die Tiere und Der Hl. Rochus in der Wüste, sind hier zu vernachlässigen, zumal diese eine merkliche Beteiligung der Werkstatt erkennen lassen. De Vecchi (Anm. 349), Kat.Nr. 177B u. C, S. 111. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 300, S. 192f.

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Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 112. Ebda., S. 112. Emmrich (Anm. 17), S. 129. Ebda., S. 129. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 86. Zit. nach Krischel. Ebda., S. 85. Ebda., S. 86. Rossi (Anm. 94), S. 103. – W. Heil, A Portrait by Tizian, in: The Bulletin of the Detroit Institute of Arts, XI, n.8. F. Colasanti, Stichwort Cappello Antonio, in: Dizionario biografico degli Italiani, Bd. 18, Rom 1975, S. 748ff. – Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 20, S. 118. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 80. A. della Rovere, Guida alla Reale Galleria di Venezia, Venedig ca. 1888. Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), Abb. 77, S. 141f. De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 142, S. 102. Pittaluga (Anm. 212), S. 282. – A. Venturi, Storia dell’ Arte Italiana. La Pittura del Cinquecento, Bd. IX, Teil IV, Mailand 1929, S. 512f. – Rossi (Anm. 93), S. 26. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 118, Nr. 257. – Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 22, S. 122. Rossi (Anm. 93), S. 122. Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), Abb. 49, S. 99. Rossi (Anm. 93), S. 122. Ebda., S. 124. – Rossi (Anm. 94), S. 49 u. 107. F. Doni, I ciclamenti de la Zucca, Venedig 1551, S. 62. E.A. Cicogna, Delle iscrizioni veneziane, IV, Venedig 1834, S. 214. Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 26, S. 130. – Rossi (Anm. 94), S. 129. – F. Klauner, Kat.Beitr.Nr. 693, in: Katalog der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien, I. Teil, Wien 1960, S. 126. E. Tietze-Conrat, Marietta, fille du Tintoret peintre de portraits, in: Gazette des Beaux-Arts, LXXVI, Bd. XII, 1934, S. 261f. N. Barbantini (Hrsg.), La Mostra del Tintoretto. Catalogo delle opere, Venedig 1937, S. 34. Rossi (Anm. 94), S. 129. – In de Vecchis Tintoretto-Monographie blieb das Gemälde unberücksichtigt. Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 27, S. 132. – R. Levi Pissetzki, Storia del costume in Italia, III, Mailand 1966, S. 137. – A. Morassi, Zwei Bildnisse des Jacopo Tintoretto, in: Pantheon, XXI, 1938, S. 84ff. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 115. – R. Villa u. G.C.F.Villa bestätigen Rossis Zuschreibung des Mailänder Porträts an Tintoretto. Villa (Anm. 44), S. 149, Abb. S. 136. Arslan (Anm. 378), S. XX. – L. Coletti, Il Tintoretto, Bergamo 1940, S. 25. – De Vecchi (Anm. 34), S. 136, Abb. F 46. – F.P.B. Osmaston, The Art and Genius of Tintoret, II, S. 199. R. Borghini, Il Riposo, Florenz 1584, S. 558. G. Fiocco, Il Ritratto del Sansovino di Jacopo Tintoretto, in: Dedalo VIII, S. 485ff. – Rossi (Anm. 94), S. 55f. u. 105f. (mit Literatur). – Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 28, S. 134. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 82f. Rossi (Anm. 94), S. 129. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 83. G. Nepi Sciré, Kat.Beitr. in: AK Jacopo Tintoretto Portraits (Wien, Kunsthistorisches Museum, Mailand 1994, Kat.Nr. 30, S. 138. – Rossi (Anm. 94), S. 57f. u. 125. – J. Kleinschmidt, Gruppenvotivbilder venezianischer Beamter (1550–1630) im Palazzo Camerlenghi und im Dogenpalast, in: Arte Veneta, XXXI, S. 106ff. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 87. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 302, S. 193f. Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 337ff. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 86. Emmrich (Anm. 17), S. 132. Rossi (Anm. 93), S. 29. 453 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 291, S. 191. Swoboda (Anm. 386), S. 44. – De Vecchi ist meines Wissens der einzige unter den Kunsthistorikern, der in allen drei Gemälden eine Mitwirkung der Werkstatt annimmt. De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 165, 178; S. 107, 111. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 75. – L. Finocchi-Ghersi, Artisti e commitenti a San Salvador, in: Arte Veneta, LI, 1997, S. 21ff. – Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 254ff., Abb. 141. Ebda., S. 77.

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Villa (Anm. 44), S. 183. Von der Bercken (Anm. 6), S. 63. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 77. De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 179, S. 111f. – Villa (Anm. 44), S. 238. – Während Arslan das gesamte achte Jahrzehnt in Erwägung zieht, plädiert Von der Bercken für 1577–1580. Arslan (Anm. 378), S. XXIX. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 124. – Pittaluga, Barbantini und Coletti datieren mit 2. Hälfte des 7. Jahrzehnts. Pittaluga (Anm. 212), S. 248. – Barbantini (Anm. 439), S. 140ff, n. 49. – Coletti (Anm. 59), S. 27. 461 Dvořák (Anm. 292), S. 151. 462 Von der Bercken (Anm. 6), S. 85. – K.N. Swoboda, Frühe Bilder des Abendmahls von Jacopo Tintoretto, in: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik, Bd. 21 (Festschrift für Otto Demus), Wien 1972, S. 254. 463 C. Bohlmann, T. Fink, P. Weiß, Das Unsichtbare sichtbar machen. Die Lichtgeister des Jacopo Tintoretto, in: fundiert. Das Wissenschaftsmagazin der Freien Universität Berlin, o.S., http://www. elfenbeinturm.net/archiv/2003/06. Html. v. 24.2.06. – Schneebauer (Anm. 74), S. 62, Anm. 142. 464 Dvořák (Anm. 292), S. 151f. 465 Hetzer (Anm. 127), S. 613. 466 Swoboda (Anm. 114), S. 47. 467 H. Jantzen, Über Prinzipien der Farbgebung in der Malerei. Vortrag auf dem Kongress für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft in Berlin, in: Kongreßbericht, Stuttgart 1914, S. 322ff. Wieder abgedruckt in: Über den gotischen Kirchenraum und andere Aufsätze, Berlin 1951, S. 61ff. 468 C. Bühler, Ikonographie und Entwicklung der Abendmahlsdarstellungen im Œuvre Tintorettos, Bergisch Gladbach 1989, S. 55. 469 D. Worthen, Tintoretto’s paintings for the Banco del Sacramento in S. Margherita, in: Art Bulletin, Nr. 88, 1996, S. 723. 470 D.F. von Hadeln, Early Works by Tintoretto I u. II, in: The Burlington Magazine, XLI, S. 288. – Pittaluga (Anm. 212), S. 245f. – B. Berenson, Italian Pictures of the Renaissance, Venetian School, I, London 1957, S. 180. – Tietze (Anm. 212), S. 369f. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 124. – F. Valcanover, Ristoring the Tintorettos, in: Restoring Venice The Church of the Madonna dell’ Orto (a cura di A. Clarke e Ph. Rylands), London 1977, S. 81ff. – Arslan (Anm. 378), S. XXIX. – Coletti (Anm. 59), S. 33. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 230, S. 120f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 371, S. 208. – Moretti datiert zwischen 1570 und 1575. L. Moretti, Die Kirche Madonna dell’ Orto in Venedig, Venedig 1992, S. 39. 471 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 63. – Villa (Anm. 44), S. 166. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 208. 472 Legenda aurea (Anm. 318), S. 132ff. 473 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 63. 474 Coletti (Anm. 59), S. 33. 475 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 63. 476 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 208 u. Kat.Nr. 389, S. 212. – Coletti (Anm. 59), S. 33. 477 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 63. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 370, S. 208. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 224, S. 120. 478 Coletti (Anm. 59), S. 65. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 65. 479 Emmrich (Anm. 17), S. 169. 480 Zit. nach Von der Bercken u. L. Mayer, Jacopo Tintoretto, 2 Bde., München 1922, S. 29f. 481 Ebda., S. 26. 482 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 359–369, S. 207f. 483 Ebda., Kat.Nr. 373–376, S. 209f. 484 Swoboda (Anm. 386), S. 60. 485 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 126. 486 Ridolfi, Le Maraviglie … (Anm. 2), Bd. II, S. 43f. – Emmrich (Anm. 17), S. 172. – Pochat (Anm. 87), S. 308. 487 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 124. 488 Ebda., S. 124. 489 Emmrich (Anm. 17), S. 176f. – S. Sponza, Le allegorie del Tintoretto nella Sala dell’ Anticollegio, in: Quaderni della Soprintendenza ai beni artistici e storici di Venezia, 8, S. 73ff. – Villa (Anm. 44), S. 185ff. 490 Pochat (Anm. 87), S. 310. 491 Von der Bercken (Anm. 6), S. 66. 492 Coletti (Anm. 59), S. 33.

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Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 374, S. 209. H. Hunger, Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Wien 1959, S. 60. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 126. – Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 82, Abb. 41. Tolnay (Anm. 407), S. 124f. – Emmrich (Anm. 17), S. 179. – Pochat (Anm. 87), S. 311. Von der Bercken (Anm. 6), S. 66. Emmrich (Anm. 17), S. 172. Sponza (Anm. 489), S. 73ff. Tolnay (Anm. 496), S. 120. Von der Bercken (Anm. 6), S. 66. Tietze (Anm. 212), S. 363. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 390, S. 212f. G. Fogolari, I disegni delle R. Gallerie dell’ Accademia, Mailand 1913, S. 22 n. 61. – Pittaluga (Anm. 212), S. 88 u. 270f. – E. Mandowsky, The Origin of Milky Way in the National Gallery, in: The Burlington Magazine, LXXII, 1938. – Tietze (Anm. 212), S. 352. – C. Gould, The sixteenth-century Venetian School, National Gallery Catalogues, London 1959, S. 89ff. – Ders., An X-ray of Tintoretto’s „Milky Way“, in: Arte Veneta, XXXII, 1978, S. 211ff. –A. Niero, Chiesa di Santo Stefano in Venezia, Padova 1978, S. 62. Wie viele Autoren zuvor plädiert auch Niero für „Jacopo Tintoretto e Aiuti“. – C. Garas, Le Tableau du Tintoret du Musée de Budapest et le Cycle painte pour l’ impereur Rudolph II, in: Bulletin du Musée hongrois des Beaux-Arts, N. 30, 1967, S. 37ff. – Coletti (Anm. 59), S. 34. – De Vecchi (Anm. 59), Kat.Nr. 255 A, S. 125. – Villa (Anm. 44), S. 187ff. Laut Villa liegen die frühesten Quellen zum Milchstraßenmythos in der griechischen und römischen Antike: zum einen bei Erathostenes („Catasterismi“ 44), zum anderen bei Plinius („Naturalis historia XVIII“ 280–281). 505 Von der Bercken (Anm. 6), S. 67. – Hunger (Anm. 494), S. 256. 506 Für eine Zuschreibung beziehungsweise Beteiligung Domenico Tintorettos plädieren: Pittaluga (Anm. 212), S. 270. – R. Pedrazzi Tozzi, La Maturità di Domenico Tintoretto in alcune tele ritenute di Jacopo, in: Arte Antica e Moderna, 1960, S. 389. – F. Heinemann, Europäische Malerei des 16. Jahrhunderts, in: Kunstchronik, April 1966, S. 90. – De Vecchi (Anm. 34), S. 122f. – Für Jacopo Tintoretto: Barbantini (Anm. 439), S. 75ff. n. 25. – Tietze (Anm. 212), S. 253. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 114. – Coletti (Anm. 59), S. 34. – A. Ballarin, I Veneti all’ esposizione „Le seizième ciècle européen“ del Petit Palais, in: Arte Veneta, XIX, 1965, S. 239. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 378, S. 210. 507 Zwei Beispiele aus der Datierungsvielfalt der Danae seien hier genannt. Während Ballarin (Anm. 506) das Gemälde – angesichts einer analogen, von Buntwerten bestimmten Koloritsituation nicht ganz unverständlich – mit Jacopos Geburt des Johannes Baptista (1554/55; Sankt Petersburg, Eremitage) in Beziehung bringt, folglich eine Datierung der Danae mit Mitte des sechsten Jahrzehnts im Auge hat, bringt Von der Bercken (Anm. 506) einen Vergleich mit Jacopos Leda und der Schwan (Florenz, Uffizien), wobei er, mit Ballarins Meinung annähernd übereinstimmend, zu einer Datierung der Danae mit „1552–1556“ gelangt. Trotz berechtigen Vergleichs ist diese Schlussfolgerung insofern verfehlt, als das Gemälde in den Uffizien in der jüngeren Literatur allgemein in die Zeit „um 1578“ eingeordnet wird, womit sich Pallucchinis zutreffende Datierungsthese (1577–78) definitiv bestätigt. Für seine in der Fachliteratur solitäre Spätdatierung der Danae (1583/85) bleibt Villa jegliche Begründung schuldig. Villa (Anm. 44), S. 193. 508 Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 130ff., Abb. 67, 70 u. 93. 509 J. Unglaub, La femme en péril, in: AK Paris, Louvre, 2009/2010: Titian, Tintoret, Veronèse,… (Rivalités à Venice sous la direction de V. Delieurin et J. Habert), S. 322. – Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 277ff., Abb. 154, 155 u. 156. 510 Tietze (Anm. 212), S. 356f. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 131, S. 100. – AK Titian, Tintoret, Veronèse … (Anm. 509), S. 322. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 450, S. 229. – D.B. Fredericksen u. F. Zeri, Census of Pre-Nineteenth Century Italian Paintings in North American Public Collections, Cambridge (Mass.) 1972, S. 199. 511 R. Finlay, Politics in Renaissance Venice, New York 1980, S. 124ff. 512 Rossi (Anm. 93), S. 34 u. Kat.Nr. 31, S. 140. – Dies. (Anm. 94), S. 129f. 513 Von der Bercken (Anm. 6), S. 134. – Tietze (Anm. 212), S. 310. – Rossi (Anm. 93), S. 140. 514 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 87, Abb. 73. 515 G. Fiocco, Tintoretto’s Sebastiano Veniero, in: The Burlington Magazine, Bd. LXI, Nr. CCCLVI, 1932, S. 196ff. – F.M. Kelly, Tintoretto’s Sebastiano Veniero, in: The Burlington Magazine, Bd. LXII, Nr. CCCLVII, 1933, S. 36ff. 516 Rossi (Anm. 93), S. 30f. u. Kat.Nr. 32, S. 142. 517 Ridolfi (Anm. 2), II, S. 36.

Anmerkungen

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518 S. Mason Rinaldi, in: Venezia e la difesa del Levante. Da Lepanto a Candia 1570–1670, Venedig 1986, S. 27f. 519 Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 33, S. 144 u. 31. 520 A. Venturi, Storia dell’ Arte Italiana. La pittura del Cinquecento, Bd. IX, Teil IV, Mailand 1929, S. 418 u. 619. – Von der Bercken (Anm. 6), S. 133. – Fiocco (Anm. 515), S. 196. – De Vecchi (Anm. 34), S. 137. 521 Rossi (Anm. 93), S. 142. 522 Rossi zufolge „handelt es sich hier um einen Porträttyp, der für hochrangige Krieger öfters verwendet wurde und von dem Tizian bereits in den 30er-Jahren des 16. Jahrhunderts mit seinem Bildnis des Francesco Maria della Rovere (Florenz, Uffizien) ein eindrucksvolles Beispiel gab“. Rossi (Anm. 93), S. 31. – Brucher, Bd. 4 (Anm. 4), S. 93ff., Abb. 47. 523 Rossi (Anm. 94), S. 98 u. 125. – R. Pallucchini, Un capolavoro del Tintoretto: la Madonna del doge Alvise Mocenigo, in: Arte Veneta, VIII, 1954, S. 222. – G. Nepi Sciré, Kat.Beitr., in: AK Jacopo Tintoretto (Wien, Kunsthistorisches Museum), Mailand 1994, Kat.Nr. 34, S. 146. – Dies., I capolavori dell’ Arte Veneziana. Le Gallerie dell’ Accademia, Venedig 1991, Nr. 99, S. 182. – Villa (Anm. 44), Abb. S. 148. 524 M. Boschini, Le Minere della Pittura, Venedig 1664, S. 94. 525 D. von Hadeln, Beiträge zur Tintoretto-Forschung, in: Jahrbuch der K. Preussischen Kunstsammlungen, XXXII, 1911, Dok.Nr. 8. 526 De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 219, S. 115. De Vecchis Ausnahmestellung bestätigt sich weiters auch insofern, als er mit einer Teilnahme von Gehilfen rechnet. 527 Nepi Sciré (Anm. 523), S. 146. 528 Pallucchini (Anm. 523), S. 222. 529 S. Moschini Marconi, Gallerie dell’ Accademia di Venezia. Opere d’ arte del secolo XVI, Rom 1962, S. 246f. – P. Rossi, Osservazioni sui ritratti di Jacopo Tintoretto …, in: Arte Veneta, XXIII, S. 269f. – Dies. (Anm. 94), S. 152. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 220, S. 115f. 530 Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 37, S. 156. 531 Ebda., S. 34. 532 Ebda., S. 108 u. 112. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 239, S. 123. 533 Rossi (Anm. 93), S. 34. 534 Ebda., Kat.Nr. 39, S. 160. 535 Pallucchini (Anm. 523), S. 533. – Rossi (Anm. 94), S. 130. 536 Rossi (Anm. 93), S. 34 u. 160. 537 Rossi (Anm. 94), S. 131. 538 W. Valentiner, Chefs-d’œuvre inconnus des grands maîtres …, Paris/Brüssel 1930, S. 28. – Rossi (Anm. 93), S. 28. 539 De Vecchi (Anm. 94), Kat.Nr. 225, S. 120. – F. Rusk Shapley, Paintings from the Samuel H. Kress Collection. Italian Schools XVI-XVIII century, London 1973, S. 52. – Rossi (Anm. 94), S. 122, Abb. 151. 540 Übersetzung der Erklärung Tintorettos siehe: Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 123. – Daten zur Sala superiore s. F. Valcanover, Jacopo Tintoretto und die Scuola Grande von San Rocco, Venedig 2010, S. 41. 541 Von der Bercken (Anm. 6), S. 70. 542 H. Thode, Tintoretto, Kritische Studien über des Meisters Werke. Die Bilder in den Scuolen I, Die Scuola di San Rocco, in: Repertorium für Kunstwissenschaft, XVII, 1904, S. 24ff. – Ch. de Tolnay, L’ interpretazione dei Cicli pittorici del Tintoretto nella Scuola di San Rocco, in: Critica d’ Arte VII, n. 41, 1960, S. 341ff. – Hüttinger (Anm. 362), S. 22ff. – Eine vollständige neuere Bibliographie findet sich in: F. Posocco u. S. Settis, La Scuola Grande di San Rocco, Modena 2008. – Zenkert (Anm. 356), S. 97ff. 543 Hüttinger (Anm. 362), S. 25. 544 Zu den archivalischen Befunden siehe: R. Berliner, Die Tätigkeit Tintorettos in der Scuola di San Rocco, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, 55, 1920, S. 468ff. u. 492ff. – W. Molsdorf, Führer durch den symbolischen und typologischen Bilderkreis der christlichen Kunst des Mittelalters, Leipzig 19262. – J. von Derschau, Zum geistigen Gehalt der Gemälde Tintorettos in der Scuola di San Rocco, Heidelberg 1911. 545 Hüttinger (Anm. 362), S. 29 u. 31. 546 Ebda., S. 25. 547 Um der illusionistischen sotto in sù-Darstellungsweise gerecht zu werden, ist dem Betrachter zu empfehlen, einen unmittelbar unter dem Gemälde befindlichen Standort zu vermeiden (und dies

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gilt letztlich für alle Deckenbilder) und stattdessen sich dem Bild aus einem etwa 60 Grad zur Lotrechten situierten Blickwinkel zu nähern. Andernfalls birgt eine Beschränkung auf eine planimetrische Fotoreproduktion die Gefahr einer optischen Verfälschung des künstlerischen Sachverhalts, ist somit eine Autopsie vor Ort unerlässlich. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 202. Swoboda (Anm. 386), S. 54. Ebda., S. 53. Hauser (Anm. 340), S. 223. Der Hinweis auf Ruskin stammt von Von der Bercken (Anm. 6), S. 77. Hetzer (Anm. 127), S. 608. Coletti (Anm. 59), S. 30. – Hauser (Anm. 340), S. 224. Swoboda (Anm. 386), S. 53 u. 55. Ebda., S. 55. Tolnay (Anm. 542), S. 348f. – C. Perocco, La Scuola di San Rocco, Venedig 1979, S. 54. Dvořák (Anm. 292), S. 154. Mose, Exodus, 16,4 u. 13–15. – Manna bedeutet „Was ist das?“ Hetzer (Anm. 127), S. 609 Tolnay (Anm. 542), S. 348. Valcanover (Anm. 540), S. 47. – R. Longhi, Viatico per cinque secoli di pittura veneziana, Florenz 1946. In deutscher Übersetzung: R. Longhi, Venezianische Malerei, Berlin 1995, S. 192. U. Willmes, Studien zur Scuola di San Rocco in Venedig (Beiträge zur Kunstwissenschaft. Bd. 4), München 1985, S. 283f. – Swoboda (Anm. 386), S. 56ff. u. 63f. Willmes (Anm. 563), S. 281f. Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 204ff. Ridolfi (Anm. 2), S. 31. Swoboda (Anm. 386), S. 64. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 108f. A. Pallucchini, Tintoretto alla Scuola di San Rocco, Mailand 1965. – Valcanover (Anm. 540), S. 61. Auch zwischen dem linken Hirten und dem Hl. Josef besteht mit deren Rot eine farbliche Analogie, die auch zugunsten der von links ansteigenden Bilddiagonalen zum Tragen kommt. Emmrich (Anm. 17), S. 149. Ebda., S. 149f. Willmes (Anm. 563), S. 288. Emmrich (Anm. 17), S. 150. Bezüglich der sich rechts außen im diffusen Dunkel vor der Felswand entkleidenden Jünglingsgestalt vermutet Eikemeier – angesichts deren mangelhafter Zeichnung und übertriebener, dem Figurenmaßstab des Gemäldes widersprechender Monumentalisierung – zu Recht eine Werkstattbeteiligung. B. Eikemeier, Der Gonzaga-Zykus des Tintoretto in der Alten Pinakothek, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, 1969, S. 123. – Abzulehnen ist meines Erachtens Emmrichs Meinung, die im rechts außen vom Bildrand überschnittenen Kopf ein Selbstporträt Tintorettos zu erkennen glaubt; in Wirklichkeit handelt es sich hier wohl um das Bildnis eines Scuolenmitglieds. Emmrich (Anm. 17), S. 152. Boschini (Anm. 146), S. 115. Emmrich (Anm. 17), S. 153. Von der Bercken (Anm. 6), S. 82. W. Hofmann, Grundlagen der modernen Kunst. Eine Einführung in ihre symbolischen Formen, Stuttgart 1978, S. 113f. Coletti (Anm. 59), S. 31. De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 243C, S. 123. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 218f. – T. Worthen, Tintoretto’s Paintings for the Banco del Sacramento, in S. Margherita, in: Art Bulletin, 88, 1996, S. 707ff. In der Forschung wird bezüglich des in Santo Stefano aufbewahrten Gemäldes Christus in Gethsemane mehrheitlich die Meinung vertreten, dass es sich um ein Werk Tintorettos mit Werkstattbeteiligung handle. Pedrazzi Tozzi geht sogar so weit, das Gemälde zur Gänze Domenico Tintoretto zuzuschreiben, eine These, die meines Erachtens lediglich hinsichtlich der beiden Apostel überlegenswert erscheint. – R. Pedrazzi Tozzi, La maturità di Domenico Tintoretto in alcune tele ritenute di Jacopo, in: Arte Antica e Moderna, 1960, S. 388. – A Niero, Chiesa di Santo Stefano in Venezia, Padova 1978, S. 62. Wie viele Autoren plädiert auch Niero für „Tintoretto e aiuti“. Hüttinger (Anm. 366), S. 39. U. Willmes, Studien zur Scuola di San Rocco in Venedig, München 1985, S. 291.

Anmerkungen

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Anmerkungen

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584 H. Aurenhammer, Lexikon der christlichen Ikonographie, Wien 1959–67, Bd. 1, S. 222ff. – K.M. Swoboda, Die Apostelkommunion in den Bildern Tintorettos, in: Jahrbuch der österreichischen Byzantinistik, 21, 1972, S. 252. – Zenkert (Anm. 356), S. 112ff. 585 E. Hüttinger, Venezianische Malerei, Zürich 1959, S. 48. 586 Valcanover (Anm. 540), S. 73f. 587 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 410, S. 218f. 588 Worthen (Anm. 580), S. 712. 589 Ebda, S. 718. 590 Valcanover (Anm. 540), S. 77. 591 Pallucchini verweist kommentarlos auf Eikemeier, der in der Speisung der Fünftausend eine Mitwirkung Domenico Tintorettos vermutet, zudem die beiden Liegefiguren in der unteren Bildzone einer „anderen Hand“ zuweist – eine These, die in der rezenten Forschung keinen Anklang gefunden hat. Eikemeier (Anm. 573), S. 123. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 205. 592 H. Thode, Tintoretto. Kritische Studien über des Meisters Werke, in: Repertorium für Kunstwissenschaft XXVII, 1904, S. 40. Zu Prudentius s. J. Bergman (Ed.), CFEL 61, 1926. – Zenkert (Anm. 356), S. 121. 593 Von der Bercken (Anm. 6), S. 81. 594 Ebda., S. 81. 595 H.L. Keller, Reclams Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten…, Stuttgart 19917, S. 145. – E. Kirschbaum S.J. (Hg.) Lexikon der christlichen Ikonographie. 2. Bd. Allgemeine Ikonographie, Rom, Freiburg, Basel, Wien 1970, S. 268. 596 Von der Bercken (Anm. 6), S. 83. 597 Coletti (Anm. 59), S. 31. 598 Dvořák (Anm. 292), S. 154. 599 Hauser (Anm. 340), S. 225. 600 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 355, S. 206. – Valcanover (Anm. 45), S. 84. – P. Rossi, Attività di Domenico Tintoretto, Santo Piatti e Giuseppe Angeli per la Scuola di San Rocco, in: Arte Veneta, XXXI, S. 260f. 601 Von der Bercken (Anm. 6), S. 80f. 602 Ebda., S. 81. – Inwiefern die zwischen Mutter und Tochter bestehenden formalen Unklarheiten auf eine eigenwillig ‚restaurierende‘ Beteiligung Domenico Tintorettos beruhen, sei dahingestellt. So wird erst bei näherer Betrachtung evident, dass das nackte Bein nicht zur Mutter, sondern zur Tochter gehört. Und vollends offen bleibt, welcher der beiden Frauen das rote Kleid zugeordnet ist. Alles Fragen, die dann hinfällig werden, wenn man dieses im Manierismus nicht ungewöhnliche Verwirrspiel einer absichtlichen Entscheidung Jocopos zuschreibt. 603 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 392–399, S. 213ff. – P. Eikemeier, Der Gonzaga-Zyklus des Tintoretto in der Alten Pinakothek, in: Münchner Jahrbuch der Bildenden Kunst, 1969, S. 79ff., 126, 128f. – R. Kultzen-P. Eikemeier, Bayerische Staatsgemäldesammlungen Alte Pinakothek München. Venezianische Gemälde des 15. und 16. Jahrhunderts, München 1971, S. 142ff. 604 Emmrich (Anm. 17), S. 178. 605 Tietze (Anm. 212), S. 376f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 225ff. – De Vecchi (Anm. 34), S. 128f. – Valcanover (Anm. 540), S. 106ff. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 111, 119, 120, 122. – Villa (Anm. 44), S. 228ff. – Willmes (Anm. 583), S. 313. 606 Emmrich (Anm. 17), S. 180. 607 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 435, S. 225. – Emmrich (Anm. 17), S. 180. – Valcanover (Anm. 540), S. 106. 608 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 110. 609 608 J. Grabski, The Group of Paintings by Tintoretto in the Sala Terrena in the Scuola di San Rocco in Venice and their Relationship to the Architectural Structure, in: artibus et historiae 1, 1980, S. 120ff. 610 Emmrich (Anm. 17), S. 182. 611 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), S. 220f. 612 Emmrich (Anm. 17), S. 183. 613 Ebda., S. 184. 614 Hauser (Anm. 340), S. 226. 615 Thode (Anm. 48), S. 104. – Valcanover (Anm. 540), S. 112. 616 Grabski (Anm. 608), S. 125. 617 Zenkert (Anm. 356), Anm. 45, S. 232. 618 Valcanover (Anm. 540), S. 112.

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Coletti (Anm. 59), S. 38f. Von der Bercken (Anm. 6), S. 79. R. Pallucchini, Tintoretto a San Rocco, Venedig 1937, S. 99. Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 121. Th. Lipps, Grundlegung der Ästhetik, Bd. 1, Hamburg-Leipzig 1903. – H. Kreitler u. S. Kreitler, Psychologie der Kunst, Stuttgart u.a. 1980, S. 251f. – G. Brucher, Sehen lernen – am Beispiel Kandinsky. Ein Beitrag zur kunsthistorischen Methodik, Universität Salzburg 2001, S. 12. – Zur Wahrnehmungspsychologie beziehungsweise Gestalttheorie als methodologisches Hilfsmittel der Kunstwissenschaft siehe: G. Brucher, Stilllebenmalerei von Chardin bis Picasso. Tote Dinge werden lebendig, Wien-Köln-Weimar, 2006, S. 11–41. 624 Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 122f. 625 H.L. Keller, Reclams Lexikon der Heiligen und biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst, Stuttgart 19917, S. 410f. 626 Gentili (Anm. 167), S. 274. 627 Coletti (Anm. 59), S. 39. 628 Valcanover (Anm. 540), S. 121. 629 Ebda., S. 126. 630 Willmes (Anm. 370), S. 311. 631 Valcanover (Anm. 540), S. 124. – Ergänzend dazu Zenkerts ausführlichere Kritik: „So ist das Werk auf weiten Strecken durch einen harten, vergleichsweise uninspirierten Stil gekennzeichnet. Auch die räumlichen [perspektivischen] Unstimmigkeiten […] lassen auf extensive Werkstattbeteiligung schließen. Vor allem aber steht das Motiv des vor der Szene zurückgeschlagenen Vorhangs im Werk Tintorettos und im Ensemble der Scuola völlig vereinzelt da. […] Auch die aus schwerem Brokatstoff bestehende Gewandung fällt gänzlich aus der in den Bildern der Scuola sonst üblichen Gewandbehandlung heraus. Denn hier wird größtes Gewicht auf die Schilderung prachtvollen Materials gelegt, die in den übrigen Bildern der Scuola und insgesamt im Spätwerk des Vaters so nicht zu finden ist.“ Zenkert (Anm. 356), S. 225. 632 Ridolfi (Anm. 2), II, S. 47f. – Pallucchini und Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 401, S. 217. 633 P. Eikemeier, Der Gonzaga-Zyklus des Tintoretto in der Alten Pinakothek, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, S. 124. 634 Pallucchini und Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 402 u. 403, S. 217. 635 G. Bardi, Dichiaratione di tutte le Istorie […] nelle Sale dello Scrutinio, e del Gran Consiglio del Palazzo Ducale della Serenissima Republica di Vinegia, Venedig 1587, c.40v. – M. Pittaluga, Altre due opere del Tintoretto, ed un ritratto, in: L’ Arte, XXV, S. 91ff. – Coletti (Anm. 59), S. 36. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 270, S. 129f. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 444, S. 227. 636 Coletti (Anm. 59), S. 36. 637 Bardi (Anm. 635), c. 46r. 638 Emmrich (Anm. 17), S. 196. 639 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 400, S. 215f. – Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 126. 640 Coletti (Anm. 59), S. 40. – C. Tolnay, Il Paradiso del Tintoretto. Note sull’ interpretazione della tela in Palazzo Ducale, in: Arte Veneta, XXIV, 1970, S. 108. 641 W.R. Rearick, Paolo Veronese. Disegni e dipinti, Vicenza 1988, S. 103f. – Rearicks Datierung (1582) bestätigen: T. Pignatti u. F. Pedrocco, Veronese, Bd. 2, Mailand 1995, Kat.Nr. 277, S. 390. 642 Zit. nach Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 126. 643 Swoboda (Anm. 114), S. 76 u. 83. 644 Eine genauere Beschreibung der unendlich vielen Figuren verdanken wir Swoboda (Anm. 114), S. 77ff. 645 De Tolnay (Anm. 642), S. 103ff.; Frei zitiert von Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 127. 646 Ridolfi (Anm. 2), II, S. 61. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 465, S. 233. 647 B. Berenson, Italian Pictures of the Renaissance, Venetian School, London 1957, I, S. 180. 648 Swoboda (Anm. 114), S. 84. 649 Der Hinweis auf Ch. Dickens stammt von Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 127. 650 N. Ivanoff, Il ciclo eucaristico di San Giorgio Maggiore a Venezia, in: Notizie da Palazzo Albani, n.2, 1975, S. 50ff. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 466, S. 234. 651 R. Rugolo, Venedig auf den Spuren von Bellini, Carpaccio, Tizian, Tintoretto, Veronese, Florenz 2003, S. 84. –Gentili (Anm. 167), S. 274f. 652 Dvořák (Anm. 292), S. 159. 653 Ebda., S. 158. 654 Ebda., S. 159. – Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 467, S. 234. – Ivanoff (Anm. 650), S. 50ff.

Anmerkungen

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Anmerkungen

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655 Coletti (Anm. 59), S. 45. 656 Dvořák (Anm. 292), S. 159. 657 C. Bohlmann, T. Fink, P. Weiß, Die Grenzen des Sichtbaren. Gespräch mit V. Stoichita über Licht und Schatten in Tintorettos Abendmahl in San Giorgio Maggiore, in: Kritische Berichte 4, Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, 2002, S. 14ff. – Schneebauer (Anm. 74), S. 91f. 658 Hüttinger (Anm. 362), S. 40. 659 Gentili (Anm. 167), S. 275. 660 Von der Bercken (Anm. 6), S. 91. 661 Bohlmann (Anm. 657), S. 20. 662 G.P. Lomazzo, Trattato dell’ arte della pittura, scultura ed architettura, 1585. Siehe C. Bohlmann, T. Fink, P. Weiß, Das Unsichtbare sichtbar machen. Die Lichtgeister des Jacopo Tintoretto, in: Fundiert. Das Wissenschaftsmagazin der Freien Universität Berlin, o.S. http://elfenbeinturm.net/Archiv/2003/06. Html v. 24.02.06. 663 Ebda., o.S. 664 Dvořák (Anm. 292), S. 159. 665 Pallucchini u. Rossi (Anm. 3), Kat.Nr. 468, S. 234. – De Vecchi (Anm. 34), Kat.Nr. 292, S. 133; hält das Werk für völlig eigenhändig. 666 Swoboda (Anm. 114), S. 89. 667 H. Ost, Tizian-Studien, Köln/Weimar/Wien 1992, S 30ff., Abb. 34–44. 668 Tietze (Anm. 212), S. 367. 669 Rossi (Anm. 93), Kat.Nr. 41, S. 164. 670 Ebda., S. 35. 671 Zit. nach Krischel, 2000 (Anm. 1), S. 133.

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GÜNTER BRUCHER

GESCHICHTE DER VENEZIANISCHEN MALEREI

Das mehrbändige Werk bietet eine umfassende und reich bebilderte Gesamtdarstellung der venezianischen Malerei von den Anfängen bis ins 18./19. Jahrhundert. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Schaffen von Bellini, Carpaccio, Giorgione und Tizian, das in eingehenden Werkanalysen beleuchtet wird. Günter Bruchers Arbeit zeichnet sich durch neue Zugangsweisen und einen kritischen Blick auf den aktuellen Forschungsstand aus.

BAND 1 VON DEN MOSAIKEN IN SAN MARCO BIS ZUM 15. JAHRHUNDERT 2007. 375 S. 309 S/W- UND FARB. ABB. GB. MIT SU ISBN 978-3-205-77622-2 BAND 2 VON GIOVANNI BELLINI ZU VITTORE CARPACCIO 2010. 459 S. 249 S/W- UND FARB. ABB. GB. MIT SU ISBN 978-3-205-78569-9

BAND 3 VON GIORGIONE ZUM FRÜHEN TIZIAN 2013. 397 S. 126 S/W- UND FARB. ABB. GB. MIT SU ISBN 978-3-205-78889-8 BAND 4 TIZIAN UND SEIN UMKREIS 2015. 415 S. 235 S/W- UND FARB. ABB. GB. MIT SU ISBN 978-3-205-79630-5

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