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German Pages 807 [820] Year 1994
Theologische Realenzyklopädie Band XXIII
w DE
G
Theologische Realenzyklopädie In Gemeinschaft mit Horst Balz • James K. Cameron Wilfried Härle • Stuart G. Hall Brian L. Hebblethwaite • Richard Hentschke W o l f g a n g Janke • H a n s - J o a c h i m Klimkeit J o a c h i m Mehlhausen • Knut Schäferdiek Henning Schröer • Gottfried Seebaß Clemens Thoma herausgegeben v o n Gerhard Müller
Band XXIII Minucius Felix - Name/Namengebung
Walter de Gruyter • Berlin • New York
1994
R e d a k t i o n : Dr. Christian Uhlig | / D r . Petra Sevrugian Lieferung 1 / 2 Minucius Felix - M o r o n e
Dezember
L i e f e r u n g 3 / 4 M o r o n e - M y t h o s / M y t h o l o g i e III Lieferung 5
1993
Juni
1994
M y t h o s / M y t h o l o g i e III - N a m e / N a m e n g e b u n g
Juli 1 9 9 4
@ G e d r u c k t auf säurefreiem Papier, das die U S - A N S I - N o r m über H a l t b a r k e i t erfüllt.
Die Deutsche
Bibliothek
-
CIP-Einheitsaufnahme
T h e o l o g i s c h e Realenzyklopädie / Haupthrsg. G e r h a r d M ü l l e r . Berlin ; N e w York : de Gruyter. Teilw. hrsg. von G e r h a r d Krause und G e r h a r d M ü l l e r . - N e b e n t . : T R E ISBN 3-11-002218-4 N E : Krause, G e r h a r d [Hrsg.]; M ü l l e r , G e r h a r d [Hrsg.]; T R E Bd. 23. M i n u c i u s Felix : N a m e / N a m e n g e b u n g . - 1994 Abschlussaufnahme von Bd. 23 ISBN 3-11-013852-2
©
Copyright 1994 by Walter de G r u y t e r & C o . , D 10785 Berlin.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. J e d e Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. D a s gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in G e r m a n y Satz und Druck: Tutte Druckerei G m b H , Salzweg-Passau Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz äc Bauer, Berlin
Dr. Christian Uhlig * 27. September 1942 | 13. Januar 1994 M i t der TRE wird der N a m e des Verstorbenen verbunden bleiben. Am 1. Februar 1983 hatte er seine Arbeit in der Redaktion begonnen, die er nach dem Ausscheiden von Michael Wolter ab 1. April 1983 allein weiterführte. M e h r und mehr wurde die TRE sein Werk, sein Lebenswerk. Über Stichworte, eingegangene oder noch fehlende M a nuskripte war er stets informiert. Freundlich und verbindlich versuchte er die Lücken zu schließen. Seine Langmut hatte fast immer Erfolg. Verlag und Herausgeber hatten sich daran gewöhnt, d a ß regelmäßig pro J a h r ein Band und eine weitere Lieferung erschienen. M a n konnte hochrechnen, daß Christian Uhlig das Werk würde zu Ende führen können. Doch dann wurde im Februar 1992 eine schwere Erkrankung diagnostiziert. Eine Operation folgte. Die Hoffnungen waren groß. Aber die Krankheitskeime hatten sich schon über den Körper hin ausgebreitet. Dennoch nahm Christian Uhlig 1992 an der jährlichen Herausgeberkonferenz teil. Alles ging durch seine Hand. Er koordinierte, erinnerte, ergänzte. Die Last der Krankheit nahm zu, die Nebenwirkungen der M e d i k a m e n t e waren bedrückend. Aber noch 1993 rang er seinem Körper Arbeit für sein Werk ab. Eine weitere Operation brachte Erleichterung, aber keinen grundlegenden Wandel. Die Konferenz dieses Jahres vermochte er nicht mehr zu besuchen. Sein Schmerz darüber w a r groß, nicht nur Schmerzen des Körpers gab es. Die Arbeit geriet ins Stocken, obwohl sie bis zuletzt so e t w a s wie ein Lebenselixier für ihn gewesen ist. W ä h r e n d des Beerdigungsgottesdienstes wurde gesagt: „Wir haben erst dann richtig gesehen, welche enorme Arbeitsleistung für Herrn Uhlig mit jeder Lieferung, mit jedem Band der TRE verbunden w a r , als wir vor einigen Monaten notgedrungen ohne ihn versuchen mußten, die redaktionelle Arbeit fortzuführen." M i t den Bänden 12 bis 23 wird sein Name direkt verbunden bleiben. Aber wir wissen uns darüber hinaus verpflichtet, in seinem Sinne die Arbeit fortzuführen, die er so gerne vollendet hätte. Zusammen mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Eltern vermissen wir ihn, der uns so früh vorausgegangen ist. Berlin/Wolfenbüttel, l . M ä r z 1994 Verlag und Herausgeber
Vorwort Es war ein langer gemeinsamer Weg: Im O k t o b e r 1976 lag die erste Lieferung der T R E vor, im Juli 1977 der erste Band. Richard Hentschke und Clemens T h o m a sind diesen Weg bis heute mitgegangen. Sie haben ihre Fachgebiete, Altes Testament und Judaistik, gewissenhaft betreut. Leider müssen wir in Zukunft auf sie und auf ihre Mitarbeit im Herausgeberkreis verzichten. Nachdem in Kürze das 72. Lebensjahr vollendet sein wird bzw. weil die Arbeitsverpflichtungen auf anderen Gebieten zu sehr zunahmen, beenden sie ihre Tätigkeit als Herausgeber mit diesem Band. Verlag und Herausgeber haben Richard Hentschke und Clemens T h o m a herzlich zu danken, zumal ihre Mitarbeit gerade während der letzten J a h r e oft weit über das eigene Fachgebiet hinausgegangen war. Mit Band 24 übernimmt H e r m a n n Spieckermann das Fachgebiet Altes Testament und Günter Stemberger die Judaistik. Sie können auf Vorarbeiten ihrer Vorgänger zurückgreifen und das begonnene Werk fortsetzen. Verlag und Herausgeber begrüßen sie sehr herzlich und danken ihnen für die Bereitschaft zur Mitarbeit. Wolfenbüttel, 30. M ä r z 1994
Gerhard Müller
Minucius Felix
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Minucius Felix (Quellen/Literatur S. 2)
Der Pariser Codex 1661 überliefert im Anschluß an den Text der 7 Bücher Adversus Gentes des Arnobius ein weiteres, Uber Will. Dieses wurde von den Ersteditoren als achtes Buch der Schrift herausgegeben (Faustus Sabaeus, Rom 1543; Sigismund Gelenius, Basel 1546). Franciscus Balduinus endlich druckte als erster 1560 in Heidelberg die richtige Fassung: Es handelte sich nicht um das 8. Buch, Octavus, des Arnobius, sondern um den Dialog Octavius des Minucius Felix.
Dieser frühchristliche Apologet (-»Apologetik) war aus Zeugnissen bei -»Lactantius (Inst. 1,11,55 und 5 , 1 , 2 1 - 2 2 ) , -»Hieronymus (vir.ill.58; ep. 70,5; 60,10; 49,13) und -»Eucherius (epist. ad Val. PL 50,719) dem Namen nach bekannt; darüber hinaus war nur zu erfahren, Minucius Felix sei Rechtsanwalt in R o m gewesen. Allgemein wurde ihm stilistische Eleganz nachgerühmt. Sie läßt sich an dem erhaltenen Dialog aufs beste beobachten; ein weiteres Werk de fato bzw. contra mathematicos wird von Minucius Felix selbst in Aussicht gestellt (36,2) und von Hieronymus (vir.ill.58) als untergeschoben bezeichnet; es ist nicht erhalten. Die Abstammung des Minucius Felix wird gern aus —»Afrika angenommen, bleibt jedoch unbewiesen. Daß er Fronto zweimal namentlich erwähnt (9,6 und 31,2), vermag nur als terminus post quem zu dienen, während die o . a . Testimonien als termini ante quos wirken. Da der Octavius textlich in sehr enger Nähe zu —»Tertullians apologeticum steht, ist die Frage der Priorität viel und heftig erörtert worden. Obschon inzwischen nahezu allgemein die Priorität des Tertullian für sicher gehalten und das Werk des Minucius Felix als im frühen 3. J h . entstanden angesehen wird, sind die Zweifler nicht völlig verstummt (Nachweise in ed. Oct. 2 1992 praef. p. VII, adn. 1 - 3 ) . Demnach ist die Zuweisung des Dialogs an seinen wahren Verfasser zwar gelungen, die Einweisung der Schrift in ein Jahrhundert oder gar eine Generation dagegen nicht. Die kurze Schrift von etwa 40 Seiten ist in sich übersichtlich gegliedert. Zwei Streitreden sind die Hauptteile: die des Heiden Caecilius ( 4 - 1 3 ) voll der bittersten Vorwürfe aus der Heidenwelt gegen die Christen, danach die Verteidigung des Octavius ( 1 6 - 3 8 ) mit dem Erfolg der Bekehrung des Gegners zum Christentum. Zwei kurze Textpartien ( 1 - 3 und 39/40) geben den äußeren Rahmen, ein knappes Intermezzo (14/15) trennt die beiden Streitreden voneinander. Diese drei Abschnitte sind jedoch mehr als nur äußere Kulisse: Am Anfang betont Minucius Felix seine innige Freundschaft mit Octavius, erzählt von einem gemeinsamen Spaziergang zusammen mit Caecilius am Strand von Ostia und dem jenes Streitgespräch auslösenden Moment: Der Heide grüßt ein Standbild des Serapis mit einer Kußhand, der Christ kritisiert das, der Berichterstatter wird zum Schiedsrichter bestellt für den nun folgenden Agon über die Natur der christlichen und nichtchristlichen Religionen. Diese Rolle nimmt er im Mittelstück - nicht eigentlich unparteiisch - wahr, indem er vor den Fallstricken der Rhetorik warnt und nachdrücklich auf den Wahrheitsgehalt verweist; auch am Ende zeigt er sich erfreut über den Sieg des Christen. Doch schließt der Dialog in allseits heiterer Stimmung: Der Heide freut sich seines Sieges über seinen religiösen Irrtum, der Christ über seinen Bekehrungserfolg, der Schiedsrichter und Autor über den Glauben des einen und den missionarischen Erfolg des anderen. Die Tendenz der Schrift wird expressis verbis am Schluß von Seiten des Schiedsrichters formuliert (39): Der Christ sei sehr zu bewundern; habe er doch „Dinge, die leichter zu fühlen als zu formulieren sind, mit Beweisen, Beispielen und Zitaten aus der Literatur zu bekräftigen vermocht und so die Übelwollenden mit ihren eigenen Waffen, den Pfeilen der Philosophie, zurückgeschlagen. J a , er hatte die Wahrheit nicht nur leicht faßlich, sondern geradezu anziehend darzustellen gewußt." Deutlich ist damit der Tenor des Dialogs charakterisiert: Er wendet sich an die Gebildeten unter den Heiden und will ihnen die christliche Lehre als eine Art philosophische Schule (secta: 4,4) nahebringen. Diesem Ziel dienen der ciceronianischem Muster fol-
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Minucius Felix
gende glänzende Stil der Diktion, der Ciceros Dialog de natura deorum nachempfundene Aufbau, die häufige Verwendung von Verweisen auf heidnische Autoren, unter denen Piaton und Vergil herausragen (Index auctorum in ed. 2 1992, 41) sowie etwa der aus Cicero, de natura deorum (1,42) übernommene, jedoch in seiner Tendenz verfremdete Philosophenkatalog (19,3-20,1). Dieser war im Original als Zeugnisreihe zugunsten der epikureischen Lehre verwendet worden und wird nun hier ohne weitere Skrupel als christenfreundliches Lehrgut vorgeführt. Der verfremdenden Aneignung entsprechen aber auch zentrale Defizite in der Darstellung des Christentums. Weder das Alte noch das Neue Testament werden erwähnt, ja nicht einmal der Name des Stifters der Religion fällt, sein Leben und Leiden bleiben ebenso unerwähnt wie Auferstehung und Himmelfahrt. Zur Trinitätslehre fällt kein Wort, doch mögen immerhin einzelne Wendungen (18,7; 19,2) auf sie hindeuten; auch finden sich Glaube, Hoffnung und Liebe gemeinsam erwähnt (31,8; 38,4). Ferner wird die Lehre des Thaies (19,4) auf göttliche Offenbarung zurückgeführt, womit offenbar der Anfang der Genesis gemeint ist. Im übrigen aber werden eigentlich allein die Gedanken zur —• Auferstehung ausführlicher vorgetragen (34,6 — 12 und 38,4). Wichtiger sind die Hinweise zu Themen christlicher Lebensführung wie Ablehnung der Feuerbestattung (34,11) und des Theaterbesuchs (37,11 — 12), des Verzehrs von Opferresten und des Tragens von Kränzen (38,1-3). Ein kleines Kabinettstück besonderer Art ist die voraufgegangene A t t a c k e des Heiden. D a s knappe Pamphlet sammelt alle Anwürfe in ordentlicher rhetorischer Gliederung, doch mit betont giftiger D i k t i o n : D a nach skeptischer Tradition nichts Sicheres über die G ö t t e r auszusagen möglich ist, muß man dem traditionellen Glauben folgen, zumal er auch das R ö m e r r e i c h groß g e m a c h t hat. Die ungebildeten Christen sind da nicht imstande mitzureden (4—8). Um so schlimmer sind ihre moralischen Vergehen, die sich bis zu ödipodeischen Verbindungen und thyesteischen M a h l zeiten erstrecken. Dementsprechend sind auch ihre Riten teils lächerlich, teils unnatürlich (9—13), ihr ganzes Verhalten a b s t o ß e n d und absurd, bis hin zur Anbetung eines Eselskopfes oder auch der Genitalien ihres Oberpriesters.
Der Dialog ist durch denkerische Dichte oder theologische Tiefe nicht ausgezeichnet. Als durchsichtiges Dokument für die propagandistischen Usancen der Christengegner wie der Apologeten hat er einen Platz von Gewicht. Als literarisches Werk ist sein Ruhm berechtigt, für die Kirchengeschichte besitzt er einen gewissen Wert, als theologischer Traktat bleibt er unergiebig. Quellen T e x t M . M i n u c i Felicis Octavius, ed. Carl H a l m , 1867 ( C S E L III); ed. H e r m a n n Boenig, Leipzig 1903; ed. J o h a n n e s P. Waltzing, L ö w e n 1903; M i c h e l e Pellegrino, Turin 1947 (con traduzione e c o m mento); Turin 1955; J e a n Beaujeu, Paris 1964 (Les Beiles Lettres); ed. Bernhard Kytzler, Leipzig 1982 2 1 9 9 2 ) ; ders., M ü n c h e n 1965 (mit Übers.), Stuttgart 1977 2 1983 (mit Übers, u. A n m . ) . C o n c o r d a n t i a in M i n u c i Felicis O c t a v i u m Curantibus Bernhard Kytzler et D i e t m a r N a j o l l adiuvante Adam N o v o s a d , A l p h a - O m e g a Reihe A L X X I I , Hildesheim/Zürich/New York 1991.
Literatur B a r b a r a Aland, Christentum, Bildung u. röm. O b e r s c h i c h t . Z u m O c t a v i u s des M i n u c i u s Felix: Piatonismus u. Christentum. FS Heinrich D ö r r i e , hg. v. H o r s t - D i e t e r Blume/Friedhelm M a n n : J A C . E 1 0 (1983) 1 1 - 2 0 . - H a r o l d W. Attridge, T h e philosophical Critique o f Religion under the Early Empire: A N R W H/16,1, 1978, 4 5 - 7 8 . - Bertil Axelson, D a s Prioritätsproblem Tertullian - Minucius Felix, Lund 1941. - Barry Baldwin, A j o k e in M i n u c i u s Felix: Classical M o n t h l y 12 (1987) 23. - Carl Becker, D e r , O c t a v i u s ' des M i n u c i u s Felix. Heidnische Phil. u. frühchristl. Apologetik, 1967 ( A H K B A W 1967, 2). - Ernst Behr, Der Octavius des M i n u c i u s Felix in seinem Verhältnis zu Ciceros Büchern de natura deorum, Diss. J e n a 1870. - G . L . Carver, M i n u c i u s Felix X I V . l . A proposed E m e n d a t i o n : StPatr 15 (1984) 5 0 - 5 4 . - G r a e m e W. C l a r k e , F o u r Passages in Minucius Felix: Kyriakon. FS J o h a n n e s Q u a s t e n , h g . v . Patrik Granfield/Josef J u n g m a n n II 1970, 4 9 9 - 5 0 7 . - D e r s . , T h e Octavius o f M a r c u s M i n u c i u s Felix, N e w York 1974 (Einl., Übers, u. K o m m . ) . - Walter Fausch, Die Einleitungskapitel zum Octavius. Ein K o m m . , Zürich 1966. - H a r a l d H a gendahl, Latin Fathers and the Classics, G ö t e b o r g 1958. — Eberhard H e c k , M i n u c i u s Felix u. der
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Mischehe I
röm. Staat. Ein Hinweis zum 25. Kap. des Octavius: VigChr 38 (1984) 1 5 4 - 1 6 4 . - Severin Koster, Die Invektive in der griech. u. röm. Lit., 1980 (BKP 99). - Wilhelm Krause, Die Stellung der frühchristl. Autoren zur heidnischen Lit., Wien 1958. - Bernhard Kytzler, N o t a e Minucianae: Tr. 22 (1966) 4 1 9 - 4 3 5 . - G o d o Lieberg, Die röm. Religion bei Minucius Felix: R M P 106 (1963) 6 2 - 7 9 . - K. Müller, Rhythmische Bemerkungen zu Minucius Felix: M H 4 9 (1992) 5 7 - 7 3 . - Ilona Opelt, Die Polemik in der christl.-lat. Lit., Heidelberg 1980. - J o h a n n a Schmidt, Minucius Felix oder Tertullian?, Diss. München 1931. - Wolfgang Speyer, Z u den Vorwürfen der Heiden gegen die Christen: J A C 6 (1963) 1 2 9 - 1 3 5 . - Ders., Octavius, der Dialog des Minucius Felix. Fiktion oder hist. Wirklichkeit?: J A C 7 (1964) 4 5 - 5 1 . - Bernd Reiner Voss, Der Dialog in der frühchristl. Lit., Münster 1970. - Johannes W. Waltzing, Lexicon Minucianum, Liège 1909. - Robert L. Wilken, T h e Christians as the R o m a n s saw them, New H a v e n / L o n d o n 1984.
Bernhard Kytzler Mirjam/Mirjamlied —•Mose/Moselied/Mosesegen/Mose-Schriften, -»Pentateuch Mischehe I. Judentum II. Christentum I. Judentum 1. Biblische Traditionen über Mischehen 2. Ablehnung von Mischehen 3. Patrilineares und matrilineares Recht 4. Mischehen und Proselytenfrage 5. Auseinandersetzungen in neuer und neuester Zeit (Literatur S. 7)
Eine Mischehe ist eine Ehe zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen, Religionen, Volksgruppen oder Ständen, die nicht dem minhag (—»Gewohnheit II) oder der —»Halacha entspricht. Ein Teil des Volkes Israel galt in biblischer Zeit als „Mischvolk" ( c erev) (Neh 13,3), womit wahrscheinlich die Nachkommen von Mischehen bezeichnet wurden. Das rabbinische Recht unterscheidet zwischen außerehelichem Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden (derekh zenüt) und der Mischehe zwischen ihnen (derekh 'isüt) (vgl. bAZ 36 b; Mishne Torah 'Issure bi'ah 12,2). Daraus geht eine bedingte Tolerierung der Mischehe hervor, obwohl sie nicht dem rabbinischen Recht entspricht. 1. Biblische
Traditionen
über
Mischehen
Zu allen Zeiten waren Mischehen bekannt; sie wurden aber nicht immer verurteilt. Gen 34 beschreibt das Angebot der Sichemiten an die Israelsippe, sich miteinander durch Konnubium und Handel zu verbinden. Die Stämme Juda und Simeon, die dagegen waren, bewahrten in ihren Stammeslisten die Erinnerung an Mischehen mit den Kanaanäern, und die Josephstämme waren sich ihrer ägyptischen Abstammung bewußt (Ez 23,3). Selbst die harschen Bestimmungen über die Eroberung des verheißenen Landes implizierten noch freundschaftliche Traditionen gegenüber solchen Völkern, mit denen man damals im Frieden war. Edomitern und Ägyptern, die bereits einige Generationen innerhalb Israels gelebt hatten, wurde das Konnubium gewährt (Dtn 23,8). Trotz der grausamen Kriegsregeln und des Verbots der Annäherung an die Kanaanäer durfte der israelitische Krieger die Frauen des besiegten Feindes zur Ehe oder als Mägde nehmen (Num 31,18). Nachdem er eine Frau zur Ehe bestimmt hatte, durfte er sie später nicht als Magd behandeln (Dtn 21,14). Die Geschichte Israels berichtet über zahlreiche Mischehen. Schon Jdc 3,6 betont die Häufigkeit dieses Phänomens bald nach der Landnahme. Nach der Gründung des Reiches Davids gab es viele Veranlassungen zur Mischehe. David, der selbst von der Moabiterin Ruth abstammte, heiratete eine syrische Prinzessin (II Sam 3,3) und nahm einen hethitischen Krieger in seinen Dienst, der eine Israelitin heiratete (II Sam 11,3). Salomon ging diplomatische Mischehen ein und tolerierte die
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Mischehe I
kultischen Bräuche seiner Frauen (I Reg 3,1; 9,16; 1 1 , 1 - 1 0 ) . Dasselbe tat der israelitische König Achab (I Reg 16,31). Wahrscheinlich fand der Kult der Himmelskönigin in Israel durch Mischehen Eingang und wurde dann auch von den jüdischen Ehepartnern gepflegt (Jer 44,15). Nach dem babylonischen -»Exil kamen häufig Mischehen auf, weil es wohl weniger israelitische Frauen als Männer gab (Neh 13,27f). In hellenistischer Zeit war die Mischehe oft Ausdruck einer kosmopolitisch-universalistischen Ideologie (I M a k k 1,11 — 15), was zu scharfen Reaktionen der Gesetzestreuen führte (mMeg 4,9; tSuk 4,28). 2. Ablehnung
von
Mischehen
Die Ablehnung von Mischehen ist ebenso alt und verbreitet wie die Mischehe selbst. Die erste biblische Warnung gegen sie findet sich im Mythos von der Heirat der Göttersöhne mit den Menschentöchtern (Gen 6 , 1 - 4 ) . Sie galten als aufrührerische Vermischung der durch Gott bestimmten Sphären. Ähnlich war der Tierinzest, die Vermischung und Zerstörung der Ordnung nach unten, verboten (Lev 18,23; 20,15). Bereits der Stammvater Abraham schloß eine Mischehe seines Sohnes Isaak aus, da sie der Erwählung und der durch den Bund mit Gott geschaffenen Situation nicht entsprach (Gen 24,3). Aus demselben Grund reagierten auch Isaak und Rebekka negativ auf die Mischehe ihres Sohnes Esau (Gen 26,34; 27,46). Die Sippe J a k o b s (besonders Levi und Simeon) lehnte das Konnubium mit den Sichemiten mit der Begründung ab, die Ehe sei nur unter Mitgliedern des Bundes möglich, der durch die Beschneidung besiegelt werde (Gen 34,14). Im Rahmen der Erzählung in Gen 34 wird der Gegensatz zwischen Israel und den Sichemiten jedoch nicht als unüberbrückbar gewertet. Dagegen scheint die Ablehnung der Mischehe im Zusammenhang mit der Landnahme kategorisch zu sein (Ex 34,15 f; Dtn 7,3 f; J o s 23,7). Die Ablehnung wird scheinbar religiös begründet: Die Mischehe hätte den Abfall von Gott zur Folge, der dann zum Verlust des Landes führen müßte. Wenn sich die Kanaanäer dem wahren Gottesdienst und Israel unterwerfen würden, dann wäre ein Konnubium mit ihnen möglich. Die wahrscheinlich auf Esra zurückgehende Regelung betrachtet auch die Verbindung mit gottesfürchtigen Nichtjuden als Mischehe (so nach Rava: bYev 7 6 a ; Mishne Torah 'Issüre bi'ah 12,22). Den Ammonitern und Moabitern wurde das Konnubium aus national-historischen Gründen entzogen (Dtn 23,3—7; Falk, Ha-'assürim). Dieses Verbot erstreckte sich „auch auf das zehnte Glied," also auch auf religiös und kulturell assimilierte Nachkommen. Demgegenüber betont der Verfasser des Buches Ruth, daß David selbst aus einer solchen Mischehe stammte, ohne daß seine Legitimation darunter litt (vgl. ähnlich die liberale Tendenz des Buches Judith im Falle des konversionsbereiten Ammoniters Achior: Jdt 5,5-21; 14,6-10). Die Mischna verbietet die Ehe von Jüdinnen mit Ammonitern und Moabitern für alle Zeiten, gesteht aber die Ehe zwischen Juden mit ammonitischen und moabitischen Frauen zu (mYev 8,3). Diese Neuerung soll angeblich schon bei Lebzeiten Isais, des Vaters Davids, eingeführt worden sein, um die Ehe des Boaz mit Ruth rückwirkend zu legitimieren (yYev 8,3; 9 c ) . Um 100 n.Chr. erklärte Rabbi Yehoshua' ben Chananya auch ammonitische und moabitische Männer als konnubiumsfähig, da seit der assyrischen Deportation keine Abstammung mehr sicher sei (mYad 4,4; tQid 5,4). Im 3. J h . gestattete Rabbi Jochanan der Tochter ammonitischer Proselyten sogar die Ehe mit einem Priester (bYev 77 a). Der Priesterkodex verbot dem Hohenpriester die Mischehe (Lev 21,13 — 15), und Ez 44,22 dehnte dieses Verbot auf alle Priester aus. Wie Neh 13,23—29 zeigt, waren Mischehen in der Priesterschaft nicht selten. Als sich dann im 5./4. J h . v. Chr. die Möglichkeit herausbildete, formell zum Judentum überzutreten, wurde das Mischehe-Verbot für Priester auch auf Proselytinnen ausgedehnt und Ez 44,22 dementsprechend interpretiert (vgl. Abraham ben Davids Glosse zu Mishne Torah 'Issüre bi'ah 18,2).
Mischehe I
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Während die biblische Geschichtstradition im Zusammenhang mit den Mischehen die Gefahr des Abfalls betont (Jdc 3,6; I Reg 1 1 , 2 - 6 ; 16,31), findet sich seltsamerweise keine entsprechende Kritik in den Profetenbüchern. Nach Mal 2,11 liegt das Unrecht einer Verbindung mit der „Tochter eines fremden Gottes" hauptsächlich im Bruch der bestehenden Ehe begründet. Man kann jedoch jede Mischehe im Sinne von Maleachi als einen „Treuebruch gegen die jüdische Jugendgefährtin" ansehen, wenn man bedenkt, daß die Chancen der Töchter des eigenen Volkes dadurch verringert werden. Am schärfsten wird die Mischehe durch Esr/Neh verurteilt. Die Idee des „Priesterreiches und der heiligen Nation" (Ex 19,6), die immer eine gewisse Isolation Israels forderte, wurde nun zur Idee des „Samens der Heiligkeit" umgestaltet, dem es nicht gestattet sei, sich mit fremder Erbmasse zu vermischen (Esr 9,2). Die ursprünglich extreme Ablehnung der Mischehe mit Ammon und M o a b wurde zum Vorbild für eine entsprechende Ablehnung jeder Mischehe (Esr 9,12; Neh 1 3 , 1 - 3 ) . Das Leitwort Esras war bdl, das Sich-Absondern von Sünde, Unreinheit, fremdem Brauchtum und nichtjüdischer Frau. Selbst wenn eine Nichtjüdin zum Judentum konvertierte, lag nach Esras Ansicht in der Ehe mit ihr eine Verbindung mit dem Volk, aus dem sie stammte und mit dessen Sünde (Esr 9,2). Esras Akt war eine aus der Situation verständliche einengende Notverordnung. Die sich erst nach seiner Zeit herauskristallisierende Möglichkeit des formellen Übertritts zum Judentum bewirkte, daß später wieder auf die alten Traditionen und ihre Ausnahmen zurückgegriffen wurde. Dabei blieb aber beachtet, daß auch die Einschränkungen Esras sich auf alte Traditionen der Abwehr von Vermischungen im Interesse der Zukunft des Volkes gestützt hatten. Nach Lev 24,10 f stammten die Gotteslästerer und nach II Chr 24,26 die Mörder des Joasch aus Mischehen. Auch der gegen seinen Vater revoltierende Absalom war Sproß einer Mischehe (II Sam 3,3), ebenso Rehabeam, der zur Spaltung des Reiches und dadurch zu dessen Untergang beitrug (I Reg 12,24 L X X ) . Neh 13,4.28 deutet die fatalen Folgen der Mischehen an: Tobias und Sanballat, die Feinde des Nehemia, waren deshalb so unheilvoll einflußreich, weil sie mit dem Hohenpriester verschwägert waren. Im 2. Jh. n. Chr. sagte man, daß Kinder von Mischehen sich zu „Feinden Gottes" entwickeln würden (ySan 9,11; 27b). Diese Ängste erklären auch die Anwendung von Gewalt gegen die Mischehen. Nach einer alten Tradition hat sich Pinchas das Hohepriesteramt verdient, weil er gegen das Verhältnis eines Israeliten mit einer fremden Frau eiferte und das Paar eigenmächtig tötete (Num 2 5 , 1 - 9 ) . Diese Handlung war für die Hasmonäer vorbildhaft, die ebenfalls jüdische Männer, die sich mit syrischen Frauen eingelassen hatten, „im Eifer" töteten (I Makk 2 , 2 3 - 2 8 ; mSan 9,6). Die rabbinische Systematik unterschied zwischen den alten Kanaanäern, mit denen das Konnubium verboten war, und den andern Völkern, denen erst spätere Verordnungen das Konnubium aberkannte (bAZ 36b). Auf derselben Talmudseite wird das Verbot der ^Mischehe für die jüdische Frau als Gesetz der Tora aufgefaßt, während das Verbot für den jüdischen Mann einer späteren Zeit zugeschrieben wird. In beiden Fällen wird die spätere Verordnung wohl von Esra eingeführt worden sein. 3. Patrilineares
und matrilineares
Recht
Ursprünglich waren die Maßnahmen gegen die Mischehe nur auf die Eheleute selbst beschränkt und bezogen sich nicht auf ihre Kinder. Nach dem im alten Israel üblichen patrilinearen Prinzip erhielten diese den Stand des Vaters. Deshalb wurde der "Sohn eines ägyptischen Mannes und einer Israelitin" als "Sohn der Israelitin" und nicht als Israelit bezeichnet (Lev 24,10). Die Forderung Esras, die fremden Frauen zu vertreiben, hätte deshalb nicht die gleichzeitige Ausstoßung der Kinder bedeuten müssen. Tatsächlich erwähnt ein Teil der Quellen nur die erstgenannte Maßnahme (Esr 9,1 — 14; 10,2.10f.l7; Neh 10,31; 1 3 , 2 3 - 2 7 ) . Der Grund für die Verstoßung war wohl die Schwierigkeit ihrer Versorgung, die die Väter von der Verstoßung abgehalten hätte. Diese
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Mischehe I
Schwierigkeit ist in Esr 10,44 angedeutet, und sie ist es, die zur Einführung des matrilinearen Prinzips geführt hat. Dazu kam, daß die Kinder kulturell-religiös mehr von den Müttern als von den Vätern beeinflußt waren (Neh 13,23 f). Das rabbinische Recht wendet das matrilineare Prinzip in den Fällen an, in denen zwischen den Eltern keine jüdische Ehe geschlossen werden konnte (mQid 3,12). Nach Rabbi Schim'on ben Yochay (2. Jh. n. Chr.) ist diese Regel aus Dtn 7,4 abzuleiten, während Rabbi Chaggai (3. Jh.) die Neuerung Esra zuschreibt (yQid 3,14/64d; yYev 2,6/4a). 4. Mischehen
und
Proselytenfrage
Die rabbinische Tradition wandte das Verbot der Mischehe auch innerhalb des jüdischen Volkes an. Die nachexilische Gemeinde bestand nach der mischnischen Optik aus zehn kastenartigen Abstammungsgruppen: 1. Priester, 2. Leviten, 3. Israeliten, 4. entweihte Priester, 5. Proselyten, 6. Freigelassene Sklaven, 7. Bastarde, 8. Tempeldiener, 9. Kinder unbekannter Väter, 10. Findlinge. Konnubium bestand zwischen den Gruppen 1 - 3 , 2 - 6 , und 5 - 1 0 (mQid 4,1). Außer den erwähnten Bestimmungen für Priester gab es keine Heiratsbeschränkungen für Proselyten. Man stellte jedoch die Tatsache fest, daß nichtjüdische Völkerschaften von Juden (z. B. aufgrund von Deportationen) abstammen. Weil diese die Ehegebote nicht einhielten, betrachtete man sie als Bastarde. Menschen dieser Gruppen sollten deshalb nicht als Proselyten aufgenommen werden und blieben vom Konnubium ausgeschlossen. Zu dieser Kategorie zählte man u.a. die Einwohner der syrischen Stadt Palmyra. Während ein ganz fremder Mensch ohne weiteres Jude werden konnte, hatten paradoxerweise diejenigen Schwierigkeiten bei Übertritt und Eheschließung, die vielleicht von Juden abstammten (yQid 4,1/65 b; bYev 16 b). Aus ähnlichen Gründen wurde das Verbot der Mischehe auch jenen Gruppen gegenüber erwogen, die längere Zeit von der jüdischen Majorität abgeschnitten waren und die Ehegesetze nicht einhielten. Dies wurde im 16. Jh. bezüglich der —»Karäer vorgeschlagen (Schulchan c arukh, Even ha- c ezer 4,37). Im 19. Jh. wollte man das Verbot der Mischehe über die indischen Bene Israel und im 20. Jh. über die äthiopischen Bethä Israel verhängen. Glücklicherweise waren andere Gelehrte weitsichtig genug, um die Aufnahme ins Judentum bzw. die Einheirat in jüdische Familien zu gestatten. 5. Auseinandersetzungen
in neuer und neuester
Zeit
Als Gegenleistung für die Emanzipation forderte Napoleon von den Juden, daß sie auf ihre Nationalität verzichteten. Wenn nötig, sollte jeder 3. Jude/Jüdin gezwungen werden, eine Mischehe einzugehen. Das von ihm einberufene „Große Sanhedrin" (1807) beschränkte das Mischehe-Verbot auf die ehemalige heidnische Bevölkerung des Heiligen Landes und verzichtete auf die Verlängerung des -»Bannes gegen die Juden, die Mischehen eingingen. Diese Ehen sollten jedoch durch Zivilstandsbeamte geschlossen werden, so daß das Mischehe-Verbot für die jüdische Ehe weiter wirksam blieb. Samuel Holdheim (1806—1860), ein geistiger Führer des Reformjudentums, plädierte für die Abschaffung des Mischehe-Verbots und setzte einen entsprechenden Beschluß in der Braunschweiger Rabbinerkonferenz (1844) durch. Allerdings wurde die Bedingung gestellt, daß die Kinder aus Mischehen als Juden zu erziehen seien, was aber nach den damaligen Staatsgesetzen nicht möglich war. Der Beschluß, wie überhaupt die ganze Konferenz, wurde von der überwiegenden Mehrheit der Rabbiner abgelehnt. Die Konferenz der amerikanischen Reformrabbiner erklärte 1983 die Mischehe für bedauerlich, überließ aber ihren Mitgliedern die Entscheidung über ihre Duldung und Wertung. Auf dieser Konferenz wurde auch größeres Entgegenkommen für Proselyten gefordert. Die Kinder aus Mischehen wurden als Juden erklärt, auch wenn die Mutter Nichtjüdin sei und bleibe. Diese Beschlüsse riefen scharfe Ablehnungen seitens des orthodoxen und konservativen Judentums hervor. Jedoch ist auch das orthodoxe Judentum heute bereit, den
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Übertritt zwecks H e i r a t eines jüdischen Ehepartners zu gestatten, w ä h r e n d nach der H a l a c h a der Übertritt n u r aus reiner Liebe zum J u d e n t u m möglich w a r . Ebenfalls ist es auch unter o r t h o d o x e n J u d e n immer weniger üblich, die Beziehungen mit Verwandten, die Mischehen eingehen, abzubrechen und die Trauerriten zu beobachten, als seien die Betreffenden gestorben. Literatur L . A . B e h r m a n , Jews a n d I n t e r m a r r i a g e . A Study in Personality and C u l t u r e , N e w York 1968. - Z e e v W. Falk, H a - ' a s s ü r i m lavö b a q - q a h a l : B e t M 62 (1975) 3 4 1 - 3 5 1 . - Ders., Dine nissü'in, J e r u s a l e m 1983, 5 5 - 6 1 . - W . J . K a h n m a n , I n t e r m a r r i a g e a n d Jewish Life, N e w York 1963. - B. Litvin/S.B. H o e n i g (Hg.), Jewish Identity. M o d e r n Responses and O p i n i o n s on the Registration of Children of M i x e d M a r r i a g e s , N e w York 1965. - E. M a y e r / C . Sheingold, I n t e r m a r r i a g e a n d the Jewish F u t u r e , N e w York 1979.
Zeev W. Falk
II. Christentum 1. P h ä n o m e n o l o g i s c h e r Uberblick 2. Z u r Geschichte des christlichen M i s c h e h e n r e c h t s 3. G e g e n w ä r t i g e Rechtslage 4. M i s c h e h e n mit A u s l ä n d e r n 5. Mischehenseelsorge (Literatur S. 12)
1. Phänomenologischer
Überblick
3
R E 1 8 9 8 definierte M i s c h e h e n als „ E h e n zwischen Personen verschiedenen christlichen Bekenntnisstandes; v o r n e h m l i c h versteht m a n d a r u n t e r Ehen zwischen P r o t e s t a n t e n u n d Katholiken. W e i l . . . die Familie, die d a d u r c h b e g r ü n d e t w i r d , n o t w e n d i g unter der E i n w i r k u n g zweier einander bek ä m p f e n d e r Kirchen steht, u n d weil sich d a r a u s fast u n ü b e r w i n d l i c h e Schwierigkeiten hinsichtlich der religiösen Kindererziehung ergeben, so k a n n an ihnen keine Bekenntniskirche Wohlgefallen h a b e n , m u ß vielmehr jede derselben ihren Gliedern d a v o n wenigstens a b r a t e n " .
In dem M a ß e als sich im ökumenischen J a h r h u n d e r t das konfessionelle Gegeneinander in gesamtkirchliches M i t e i n a n d e r gewandelt hat und die Welt insgesamt überschaubarer w u r d e , g e w a n n e n Probleme anderer Mischehen an Gewicht. N a c h einem groben Raster lassen sich die M i s c h e h e n f o r m e n wie folgt unterscheiden, wenngleich sie insgesamt in vielfachem Beziehungsgeflecht z u s a m m e n g e h ö r e n . 1.1. Rassische Mischehen. W ä h r e n d südafrikanisches Apartheidsrecht Mischehen zwischen Schwarzen und Weißen nahezu unmöglich m a c h t , sind sie in den liberalen Staaten des Westens erlaubt, w e n n nicht selbstverständlich - v o r a b in den „ u n t e r e n " Schichten. In den mittleren und oberen h ä n g t ihnen jedoch meist noch das O d i u m des Unschicklichen an. Kinder aus solchen Ehen werden immer noch als „ h a l f - b r e e d s " , „half-castes", „ M i s c h l i n g e " und d a m i t als minderwertig disqualifiziert, o b w o h l Medizin und H u m a n w i s s e n s c h a f t e n derartige Vorurteile längst als wissenschaftlich u n h a l t b a r erwiesen h a b e n . Auch von einer gleichen Ideologie geprägte Staaten wie die der ehemaligen sozialistischen Internationale kennen keine Verbote im rechtlichen Sinne, wohl aber finden sich T a b u s zwischen Völkern und gesellschaftlichen Schichten, die ähnlich wie M i s c h e h e n v e r b o t e wirken. 1.2. Kulturelle oder soziokulturelle Mischehen. D e m Begriff eignet erhebliche R a n d unschärfe, zumal sich in ihn oft politische oder konfessionspolitische Feindschaften hineinmischen, oft auch n u r sprachliche, zivilisatorische und mentalitätsbestimmte Abgrenzungen. Beispiele: Nordirischer Protestant und südirische Katholikin, katholischer Baske und katholische Spanierin, Iraner und Irakerin (Schiit und Sunnitin): „ W o zwei G r u p p e n (Stämme oder Völker) h a u t n a h beieinander w o h n e n und keine Ehen über ihre Grenzen hinweg zustande k o m m e n , da entsteht Krieg" sagt Adrian Hastings (Hurley, Beyond tolerance 5) aus afrikanischer und irischer E r f a h r u n g . Die Ehe einer katholischen Dänin und eines katholischen Sizilianers gilt nicht als Mischehe, sie wird es allenfalls unter M a f i a t e r r o r oder fanatischem Milieudruck.
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1.3. Soziale Mischehen. Klassische Beispiele bieten Ehen zwischen Angehörigen verschiedener indischer Kasten. Trotz aller Reformen gelten sie als regelwidrig. Die Ehe zwischen einem Brahmanen und einer Sudra — oder gar Candälafrau ist samt deren Kindern Gegenstand tiefster Verachtung. Er darf die Frau einer anderen Kaste nur heiraten, wenn er bereits eine der eigenen hat. Auch im Abendland gilt gesellschaftliche „Mischehe" immer noch als suspekt, auch wenn sie nicht so genannt wird. Unterscheidungsmerkmale wären: Gewohnheiten des Essens, Schlafens, Redens, der Freude und der Trauer; Ansprüche an die Mitmenschen und das Sozialprestige, allgemeine Umgangsformen und Arbeitsmoral; Anschauungen über Religion, Verhaltensnormen und Kindererziehung; Gewohnheiten im Geldausgeben und -sparen, Geschmacksfragen in Wohnungseinrichtung, Gebrauchsgegenständen, in Feierabend-, Wochenend- und Urlaubsgestaltung und anderes mehr. Ähnlichkeiten im Verhalten der Gatten erleichtern eheliches Zusammenwachsen; unterdrückte Gegensätze führen fast immer zur Trennung, wenn sie sich religiös aufladen. Dann stößt sich jedes Plädoyer für soziale Exogamie an der hohen Scheidungsziffer im Bereich solcher Ehen. Familiäre Einflüsse spielen dabei immer noch eine erstaunliche Rolle. 1.4. Religiöse Mischehen. Sie bergen wohl die meisten Probleme. Dem Absolutheitsanspruch des Christentums steht der der anderen Hochreligionen: Islam, Judentum, Hinduismus, Buddhismus gegenüber. Alle sind vom Bewußtsein geprägt, die „absolute Wahrheit" zu besitzen oder den „sicheren Weg" zu wissen. Diese Religionen tolerieren die Ehe eines der ihren mit einer Christin - nicht aber die Ehe einer ihrer Frauen mit einem Christen. Die religiöse Mischehe verschärft die genannten kulturellen, sozialen und ethnischen Probleme vor allem dann, wenn sie in fremdem Lande gelebt werden muß. Konversionen pflegen keine Lösung zu bringen, da die Frau von der Großfamilie oder der Kaste umschlossen, all ihren daheim gewohnten Rechten und gesellschaftlichen Würden entsagen muß und kein ihrer Herkunft gemäßes Ehe- und Familienleben aufbauen kann. An der völligen Unterordnung unter eine fremde Lebenstradition scheitern nach dem Urteil der meisten Beobachter nahezu alle Frauen. Ihre Männer können ihnen in der Einheit von Glaube und Leben, Gesellschaft und Volk auf die Dauer keine individuelle Hilfe bieten. Ausnahmen bestätigen die Regel. Findet die Eheschließung in Deutschland statt und der Mann bleibt hier, sind die Nöte geringer, solange die Muslime nicht mehr als bisher eigene gesellschaftliche oder politisch geprägte Gemeinschaften bilden. 1.5. Die konfessionelle Mischehe, heute konfessionsverschiedene Ehe genannt, mutet nach 1 . - 4 . einerseits anachronistisch an, andererseits trägt sie manche Merkmale der religions- und kulturverschiedenen Mischehe, zumal nach den weltweiten Wanderbewegungen dieses Jahrhunderts. Wenn in aller Welt Ehen religiös oder ideologisch „kultisch" begründet, öffentlich geschlossen und von der umgreifenden Gemeinschaft geschützt (überwacht) werden (—•Ehe I), dann ist das Mischehenproblem weltweit. Selbst in der Internationalität „reiner" Säkular-Staaten und ihrer Bündnissysteme ist auch ohne kodifiziertes Mischehenrecht die endogame Ehe die Regel (Russe heiratet Russin, keine Tschechin). 2. Zur Geschichte
des christlichen
Mischehenrechts
Die von Anfang an übernationale Christenheit kennt dagegen wegen des Missionsauftrages an alle Völker kein Mischehenrecht. Eine erste Problemanzeige gibt I Kor 7 , 2 - 1 6 : Wenn der Ungläubige seinen gläubig gewordenen Gemahl nicht mehr ertragen kann, mag er sich von ihm trennen (->Ehe IV 5,6). Akut wird das Mischehenproblem erst, wo das erstarkende Christentum in Konkurrenz tritt zu anderen Religionen und wechselseitiger Einfluß geschieht. Das erste Verbot, Heiden, Häretiker und Juden zu heiraten, erläßt die Synode zu Elvira 306 (Can 16). Nach weitgehender Abschottung fremder Religionen verbieten die Synoden von Laodicäa 360 (Can 29ff), Karthago 397 (Can 12) und Agatha (Agde) 506 (Can 67) nur noch Ehen mit Angehörigen häretischer Kirchen.
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Das ändert sich im Osten mit dem Vordringen des Islam, der nun das Mischehenrecht gegenüber den Christen bestimmt und entsprechende Reaktionen hervorruft. Im Westen dagegen muß mit dem Überhandnehmen der -»Katharer und anderer -»Reformbewegungen das Dekret -»Gratians das Eheverbot mit Häretikern erneuern (c. 16 C.SSVIII, qu.l). Darüber hinaus löst die Kirche das Eherecht aus seinem vielfältigen volks- und familienrechtlichen Gefüge und verkirchlicht es: Der (nudus) consensus der Nupturienten begründet nun allein die gültige Ehe. Die Folge waren rasch um sich greifende klandestine Ehen, während Ehen mit Häretikern nicht abnahmen. Die Erhebung der Eheschließung zum Sakrament änderte an diesem desolaten Zustand nur wenig. Die Reformation entkirchlicht das Eherecht wieder, segnet öffentlich geschlossene Ehen (—»Trauung) und kennt kein eigenes Mischehenrecht, wird aber mit der Zunahme klandestiner Ehen auch nicht fertig. Das Konzil von Trient verschärft das Mischehenverbot gegenüber Gliedern der Reformationskirchen (Dekret Tametsi vom 11.11.1563) und bindet die Eheschließung an die Consensabgabe vor dem Pfarrer und zwei bis drei Zeugen. Wer sich dieser Form widersetzt, ist eheuntauglich, ein Ehevertrag unrechtmäßig, eine dennoch behauptete Ehe nichtig. Dieses Eherecht ließ sich freilich nicht überall durchsetzen: In Holland hat massiver Widerstand schon 1580 zur fakultativen Ziviltrauung geführt. Papst Benedikt XIV. hat daraufhin ungehorsame Diözesen - auch deutsche - von der Durchsetzung des tridentinischen Eherechts dispensiert (Declaratio Matrimonia, 4.11.1741). „Formlose" Ehen und Mischehen blieben zwar kanonisch verboten, wurden aber ebenso als gültig anerkannt, wie reine „Ketzerehen" (als Rechtsvoraussetzung dient die „Epikie"). Die Aufklärung erachtete die Mischehengesetze als obsolet. In Grenzgebieten evangelischer-katholischer Länder wurden Doppeltrauungen üblich, wie auch die Regel, Jungen im Glauben des Vaters, Mädchen in dem der Mutter zu taufen und zu erziehen. Das war insofern möglich, als inzwischen auch auf evangelischer Seite die Trauung durch den Pfarrer zum ordnungsgemäßen Bestandteil der Eheschließung geworden war; so verschwamm der konfessionelle Unterschied im Volksbewußtsein. Im 19. Jh. zieht die römisch-katholische Kirche die Grenzen erneut enger und setzt das tridentinische Recht wieder überall in Geltung (Provida Pius' X.). Die während des ->Kulturkampfes eingeführte obligatorische Zivilehe (1875) kann sie nur hinsichtlich ihrer bürgerlichen Wirkungen tolerieren, kanonisch gilt sie als ungültig und moralisch als Nichtehe (Konkubinat); Mischehen jedoch bleiben gültig, auch wenn sie wie Ehen zwischen Nichtkatholiken „formlos" geschlossen werden - hatte der Staat doch den Konsens zu lebenslanger Einehe in sein Recht übernommen. Diese immer noch einigermaßen liberale Handhabung von Tametsi findet ihr Ende mit dem CIC von 1917 (Can 1060-1064): Die Religions- wie Konfessionsverschiedenheit zählt zu den trennenden Ehehindernissen; Mischehen sind strengstens verboten. Bischöfliche Dispens wird nur bei „gerechten und schwerwiegenden Gründen" und der schriftlichen Zusicherung gewährt, daß „die Gefahr des Abfalls des katholischen Teils von seinem Glauben abgewehrt" ist, daß alle Kinder nur katholisch getauft und erzogen werden und daß „alle heiligen Handlungen" bei der Consensabgabe ausgeschlossen sind (Can 1102). Wer sich nicht an diese Kautelen hält, exkommuniziert sich selbst (Can 2319). Die evangelischen Kirchen reagierten nicht nur mit umfassenden Informationen über das katholische Eherecht und die evangelische Eheethik, sie banden die Trauung an ähnliche Kautelen; gleichwohl hielten sie die katholische Kirche mehr polemisch als irenisch und mehr literarisch als mündlich am Gespräch über die Christlichkeit der christlichen Ehe fest. 3. Gegenwärtige
Rechtslage
Die ökumenische Öffnung der römisch-katholischen Kirche im II. Vatikanum führte zum Motuproprio Papst Pauls VI. Matrimonia mixta, über die rechtliche Ordnung der
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Mischehen, vom 31.3.1970 und den interpretierenden Ausführungsbestimmungen der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vom 23.9.1970. Das neue Recht ist in den CIC 1983 eingegangen: Obwohl die Konfessionsverschiedenheit kein Ehehindernis mehr ist, bleibt die Mischehe „ohne ausdrückliche Erlaubnis der zuständigen Autorität verboten" (Can 1124). Der Bischof kann sie gewähren, „wenn ein gerechter und vernünftiger Grund vorliegt", der Katholik bereit ist „Gefahren des Glaubensabfalls zu beseitigen" aufrichtig zu versprechen, nach Kräften für katholische Taufe und Erziehung der Kinder zu sorgen, von diesem Versprechen seinen Partner rechtzeitig und eindeutig zu unterrichten und mit ihm zusammen die „Wesenseigenschaften" der Ehe anzuerkennen. Die deutschen Bischöfe (Ortsordinarien) haben diese Erlaubnis samt der Dispens von der Religionsverschiedenheit an die Pfarrer delegiert, die beides im Brautexamensprotokoll beurkunden. Gültig sind Mischehen jedoch nur, wenn die „Formpflicht" erfüllt wird (Can 1127 § 1). Von ihr kann nur der Bischof dispensieren, wenn katholische Trauung nicht zu erreichen ist (Can 1127 §2). Dann genügt für die Gültigkeit, daß die Ehe in öffentlicher Form (Standesamt) geschlossen wird und der Pfarrer „kirchenrechtlich" bestätigt, daß die Nupturienten ledig sind, den Konsens freiwillig abgeben und die Sakramentalität ihrer Ehe anerkennen bzw. nicht ausschließen. Eine folgende evangelische Trauung ist kirchenrechtlich ohne Bedeutung. Heiratet ein Mischehepaar ohne Dispens, exkommuniziert sich der Katholik zwar nicht mehr selbst, lebt aber in „ungültiger" Ehe und kann zu den Sakramenten erst dann wieder zugelassen werden, wenn er seine Ehe konvalidiert hat (Sanatio in radice oder Convalidatio simplex), was unter Umständen auch ohne Wissen seines evangelischen Partners geschehen kann. Läßt er seine Kinder nicht katholisch taufen und erziehen, muß er mit einer „Beugestrafe oder einer anderen gerechten Strafe" rechnen (Can 1366, der innerkatholischen Interpretationsstreit verursacht). Papst Johannes Paul II. bittet die Ortsbischöfe, „von den Vollmachten, die ihnen . . . gewährt wurden", großzügigen Gebrauch zu machen (Familiaris consortio vom 22.1.1981). Die evangelischen Kirchen haben alle aus der Reaktion auf den CIC 1917 entwickelten Mischehenordnungen abgebaut, in „Erwägungen zum evangelischen Eheverständnis" ihr Gesprächsangebot an die römisch-katholische Kirche unterstrichen und gemeinsame Seelsorge angeregt. Sie kennen weder eine rechtliche noch liturgische Sonderbehandlung von Mischehen. Daß in einigen Landeskirchen Pfarrer mit einer katholischen Ehefrau nicht im Gemeindepfarramt, sondern in übergemeindlichen Diensten eingesetzt werden, berührt nicht das Kirchen- oder Dienstrecht, sondern allein die Gemeindeordnung aus seelsorgerlichen Gründen. Im Gegensatz hierzu gilt in der katholischen Kirche eine konfessionsverschiedene Ehe „in der Regel" als Hindernis für die Einstellung in kirchliche Dienste und Hilfsdienste. Nichtkatholische Eheschließung macht „unfähig" dazu und führt zur Entlassung. 4. Mischehen
mit
Ausländern
Bei der sich schnell verändernden Weltlage lassen sich nur Grundsätze anzeigen. In den nordischen Ländern Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden ist bürgerliche oder kirchliche Eheschließung mit vorhergehendem Aufgebot die Regel. Für lutherisch-katholische Mischehen gelten die Canones des CIC mit unwesentlichen Unterschieden in den Ausführungsbestimmungen der Ortsordinarien. Mischehen mit ausländischen evangelischen Christen sind rechtlich problemlos. In Großbritannien ist Eheschließung bei Strafe an Aufgebot oder Lizenz für Minderjährige und Ausländer gebunden. Das Ehegesetz von 1949/1969 sieht fünf Möglichkeiten zur Heirat vor: für Anglikaner, Katholiken, Andersreligiöse, Quäker und Juden je nach deren Ordnung; für Dissenters nach der staatlichen. Alle Eheschließungen werden beim Oberregistrator standesamtlich registriert. Diese Vielfalt von Möglichkeiten vereinfacht das Mischehenproblem nicht (ca. 7 0 % katholisch geschlossener Ehen waren im Jahr 1974 Mischehen). Verschärfend wirkt, daß in Großbritannien, selbst in der
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Kirche von England, seit 1969 die Unauflöslichkeit der Ehe von Gruppen verschiedener Prägung diskutiert oder auch radikal in Frage gestellt wird. In Italien gilt seit dem Konkordat vom 1 8 . 2 . 1 9 8 4 die fakultative Zivilehe. Mischehenlizenz und Dispens von der Verpflichtung zur katholischen Eheschließung werden örtlich recht unterschiedlich gehandhabt, zumal die Mentalität des säkularen Staates immer noch „katholisch" geprägt ist und alle Evangelischen zusammen eine verschwindende Minderheit bilden. Spanien besitzt seit dem 3 1 . 1 0 . 1 9 7 8 ebenso die fakultative Zivilehe. Will jedoch eine spanische Katholikin einen deutschen Protestanten heiraten, muß sie nach abschlägigem Dispensgesuch entweder den Ausschluß von den Sakramenten auf sich nehmen - was meist mit familiärer Ächtung verbunden ist - oder die Ehe muß katholisch - nach einer Traubereitschaftserklärung in Deutschland geschlossen werden. Staatsrechtlich von Belang ist, daß deutsche Behörden und Gerichte die Ehe zwischen einem Ausländer, dessen Heimatstaat keine Ehescheidung erlaubt, und einer rechtskräftig geschiedenen Deutschen nicht verwehren dürfen (1 BvR 636/68 vom 4 . 5 . 1 9 7 1 ) . Die in der Verfassung garantierten Grundrechte gelten auch für die Eheschließung von Deutschen mit Ausländern. Die orthodoxen Kirchen haben zwar ein einheitliches Recht des Ehesakraments, seine konkrete Auslegung kennt jedoch landeskirchliche und örtliche Sonderregelungen. Die Ehe orthodoxer Christen mit Häretikern ist wegen des Ehehindernisses der Bekenntnisverschiedenheit verboten (Trullanische Synode von 692 Can 72). Da Katholiken keiner häretischen, sondern nur einer schismatischen Kirche angehören, sind Mischehen mit ihnen erlaubt, wenn sie von einem orthodoxen Bischof genehmigt und vor einem katholischen Priester geschlossen werden. Sie sind gültig, obwohl auf katholischer Seite der Priester „assistiert", auf orthodoxer „kopuliert" (vgl. CIC Can 1127 § 1 ) . Evangelische Christen können orthodoxe Partner in der Regel nur nach deren Ritus heiraten und haben orthodoxe Taufe und Kindererziehung zu geloben: So das Gesetz, das zu halten (Akribie), aber den Umständen nach haushälterisch auszulegen ist (Ökonomie), um beiden Eheleuten die Beheimatung in ihrer Kirche zu erhalten. Das gilt vor allem, wenn der evangelische Mann eine Gastarbeiterin in der Bundesrepublik Deutschland heiratet und beide dort bleiben. Zieht die Familie jedoch in eines der orthodoxen Ostländer, dann treten die oben genannten Komplikationen ein. Im Islam basiert religiöse Ehe rechtlich auf Koran und Sünna und wird interpretiert durch die vier Rechtsschulen. Das gilt auch für die Türkei, obwohl sie 1926 ihr Eherecht verwestlicht und an dem der Schweiz orientiert hat. In den einzelnen Ländern werden die Gesetze unterschiedlich gehandhabt. Das Recht besagt: Moslem darf Christin heiraten, Muslimin keinen Christen (wenige Ausnahmen zeigt die Türkei). Die christliche Frau eines Moslems muß nicht konvertieren, aber ihre Kinder werden, lebt die Familie im islamischen Land, in aller Regel in der Religion des Mannes erzogen und die Knaben beschnitten, wofür schon der Familiendruck sorgt; lebt sie im Westen, sollten sich die künftigen Eheleute vor der Eheschließung über die religiöse Kindererziehung geeinigt haben. Die Eheschließung im Islam ist ein privatrechtlicher Vertrag, in dem beide Familien dem Bräutigam unter Zeugen gegen Zahlung der Morgengabe die Rechte eines Ehemannes über seine Frau zugestehen. Der Vertrag wird vom Bräutigam und einem männlichen Vertreter der Braut (z. B. Onkel) vor der Behörde für Eheangelegenheiten unterschrieben. In Ländern des Westens werden islamische Eheverträge meist unter Aufsicht eines Notars und zweier Muslime als Zeugen geschlossen. In der Türkei ist auch eine in der Bundesrepublik standesamtlich geschlossene Ehe gültig, wenn sie beim zuständigen türkischen Einwohnermeldeamt registriert ist. Eine Scheidung ist in der Regel ein Gerichtsakt nach Verstoßung der Frau durch den Mann. Die Kinder bleiben beim M a n n , das heißt in der von der Großmutter bestimmten Familie.
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Mischehe II 5.
Mischehenseelsorge
D i e r ö m i s c h - k a t h o l i s c h e Pastoral beendet den obligatorischen B r a u t u n t e r r i c h t mit dem B r a u t e x a m e n , hat nach der H o c h z e i t die weitere E i n h a l t u n g der Kautelen zu überw a c h e n und in M ü t t e r k r e i s e n und Exerzitien die Christlichkeit der E h e zu fördern. Die Kautelen lauten in D e u t s c h l a n d und Österreich (in der Schweiz klingen sie etwas moderater): „Wollen Sie in Ihrer Ehe als katholischer Christ leben und den Glauben bezeugen? Als katholischer Christ haben Sie die Pflicht, Ihre Kinder in der katholischen Kirche taufen zu lassen und im katholischen Glauben zu erziehen. Versprechen Sie, sich nach Kräften darum zu bemühen, dieses sittliche Gebot zu erfüllen, soweit das in Ihrer Ehe möglich ist?" - Der evangelische Partner muß über die Verpflichtungen und Versprechen des katholischen Teils rechtzeitig unterrichtet werden. In der Erfüllung des Versprechens der katholischen Taufe und Erziehung der Kinder muß der katholische Christ auf das Gewissen seines nichtkatholischen Partners Rücksicht nehmen. Die evangelischen Kirchen kennen keine umfassende Ehelehre. D o c h alle b e t o n e n , d a ß jede Ehe unter Christen unter dem M a n d a t G o t t e s und d a m i t in der S p a n n u n g zwischen unverfügbarer Stiftung und personaler V e r a n t w o r t u n g steht. M i s c h e h e n s e e l sorge unterscheidet sich von der üblichen nur dadurch, d a ß sie über die jeweilige andere Konfessionskirche oder Religion gründlich informiert (Schule, J u g e n d k r e i s e , Brautgespräch) und in der Traupredigt G o t t e s G e b o t und G n a d e n a n g e b o t zur durchzuhaltenden Vergebungsbereitschaft als gemeinchristlich verkündet, wozu auch der H i n w e i s auf die G e f a h r gehört, d a ß die Eheleute ihren Alltagsärger religiös aufladen. E r f a h r u n g s g e m ä ß ist dann die Grenze der Vergebungsmöglichkeit erreicht. Weitergehende R a t s c h l ä g e hinsichtlich gemeinsamer Bibellektüre und G e b e t e gehen zumeist an der T a t s a c h e vorbei, d a ß g e m e i n s a m e r G o t t e s d i e n s t nur o h n e S a k r a m e n t erlaubt ist und d a ß T a u f e und Kindererziehung nur in einer Konfession stattfinden k ö n n e n . D e n n o c h mögen sie wie gem e i n s a m e B i b e l w o c h e n und Gebetsgottesdienste A n s t ö ß e für das G l a u b e n s g e s p r ä c h bieten. B e s o n d e r e Schwierigkeiten bereitet die Seelsorge an christlich-islamischen E h e n , weil hierzu umfassende Kenntnis des deutschen und des jeweiligen islamischen E h e - und Ausländerrechts u n a b d i n g b a r sind. Die Kirchen warnen vor einer religiös verschiedenen P a r t n e r s c h a f t - und k o m m e n d a m i t e r f a h r u n g s g e m ä ß meist zu spät. Ist dann ehebegleitende Seelsorge in der F r e m d e nahezu unmöglich, so m u ß sie auch hierzulande mit menschlichen und religiösen E m p findlichkeiten rechnen, die h o h e Vorsicht erheischen; denn die D i a s p o r a - auch die von G a s t a r b e i t e r n - k a n n religiös, kulturell und gesellschaftlich s t ä r k e r binden als die andersgeprägte M e h r h e i t s w e l t , mit der sie z u r e c h t k o m m e n m u ß , w a h r n e h m e n will. Literatur Beate Beyer/Jörg Beyer, Konfessionsverbindende Ehe. Impulse für Paare und Seelsorger, Mainz 1991 (Topos-Taschenbücher 205). — Franz Böckle u.a., Die konfessionsverschiedene Ehe, Regensburg 1988. - Hans Dombois, Kirche u. Eherecht, Stuttgart 1974. — Harry Ermert, Die Problematik der konfessionsverschiedenen Ehe in der BRD, Siegen 1977 (umfassende Lit.). — Erika Fingerlin/ Michael Mildenberger, Ehen mit Muslimen am Beispiel dt.-türkischer Ehen, Frankfurt a . M . 1983 (mit Muster islamischer Eheverträge). — Michael Hurley (Hg.), Beyond Tolerance. The challenge of mixed marriage, London u. a. 1975 (Int. Bestandaufnahme). - Interkonfessionelle Arbeitsgemeinschaft f. Mischehenseelsorge der deutschsprachigen Schweiz (Hg.), Rel. Kindererziehung in der Mischehe, Zürich/Köln/Braunschweig 2 1985. - Joachim Lell, Mischehen? Die Ehe im ev.-kath. Spannungsfeld, München 1967 (Problemstellung). — Ders./Harding Meyer (Hg.), Ehe u. Mischehe im ökum. Dialog, Frankfurt a . M . 1979 (kommentierte kirchl. Verlautbarungen). - Peter Lengsfeld, Das Problem Mischehe, Freiburg/Basel/Wien 1970. — Ders. u.a., Ökum. Praxis, Erfahrungen u. Probleme konfessionsverschiedener Ehepartner, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1984. - Peter Neuner, Geeint im Leben — getrennt im Bekenntnis? Die Konfessionsverschiedne Ehe; Lehre — Probleme - Chancen, Düsseldorf 1989. - Zumdanan J. Sandangan, Muslim - Christian marriage, o. J . - Walter Schöpsdau, Konfessionsverschiedene Ehe. Hb., Göttingen 2 1987 (darin alle wissenswerte Rechte,
Mischna
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Ordnungen und gemeinsame Texte). - Wolfgang Sucker/Joachim Lell/Kurt Nitzschke, Die Mischehe, Göttingen 1959 (Grundlagen). Fortlaufende Informationen im Materialdienst des Konfessionskundlichen Institutes des Ev. Bundes (1992, 43. J g . ; dort auch Kleinschrifttum f. Pfarrer u. Gemeinden).
Joachim Lell
Mischna 1. Begriffe, Einteilung 2. Aufbau, Inhalt 3. Wesen und Entstehung 4. Verhältnis zur Bibel 5. Sprache 6. Überlieferung (Ausgaben und Übersetzungen/Hilfsmittel/Literatur S. 17)
1. Begriffe,
Einteilung
Mischna, von hebr. schanah, aram. matnitä „wiederholen, lernen", griech. wohl ÖEÜTepcoaiQ (Justinian, Novella 146; vgl. dazu Heinz Schreckenberg, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld [ l . - l l . J h ] , Frankfurt a. Main/Bern 1982, 413 f) ist das älteste und formstrengste Werk der rabbinischen Literatur, dessen Anordnung die Gestalt der Tosefta und der beiden Talmude geprägt hat. Sie gliedert sich in sechs Ordnungen {Sedarim, sing. Seder), in denen thematisch verwandte Traktate (hebr. Massekhot, Massekhijjot, aramaisierend Massekhtot, sing. Massekhet, aram. Massekhta) zusammengefaßt werden. Die Traktate bestehen ihrerseits aus Kapiteln (Peraqim, sing. Pereq), diese wiederum aus Lehrsätzen (Mischnajot, sing. Mischna). Urheber der heute befolgten Einteilung ist letztlich Maimonides, der sie in der Einleitung zu seinem 1168 vollendeten Mischnakommentar Kitäb as-siräg vorträgt und begründet. Was die Reihenfolge der Sedarim, die Zuordnung der Traktate zu den Sedarim, die Zahl der Traktate und ihrer Kapitel und die Reihenfolge der Traktate angeht, so ergibt sich aus den Handschriften und frühen Drucken sowie aus den Nachrichten der talmudischen Zeit kein einheitliches Bild. Während es im Textus receptus 63 Traktate sind, kennen die Handschriften Kaufmann und Parma nur 60, da B Q , B M , B B einen Traktat, Neziqin, darstellen und San noch mit M a k zusammengehört. Verschiedene Zeugen (z.B. die Handschrift Kaufmann und der Erstdruck) vermehren Bik um ein Kapitel über den Zwitter.
Dieser Befund deutet darauf hin, daß die überlieferte Gliederung sekundär ist. Zu einem ähnlichen Schluß führt die Analyse des Mischnatextes. 2. Aufbau,
Inhalt
Grundbaustein ist in der Regel die gedankliche Einheit, deren sprachlicher Ausdruck einem nur eine Handvoll Möglichkeiten bietenden Repertoire von Aussageformen („formulary patterns") entnommen ist, wie J . Neusner herausgearbeitet hat. Sie ist anonym oder wird einer rabbinischen Autorität zugeschrieben. Das dazu benutzte Element 'omer „ s a g t " läßt Neusner, weil absolut sinnunabhängig, als einzige Form im eigentlichen Sinn gelten (A History of the Mishnaic Law of Purities, X X I I , 166). Schon in der durch Gegenüberstellung zweier konträrer Aussagen gebildeten Kontroverse („Dispute"), von denen wenigstens eine mit einem Namen verbunden ist, vermischten sich Form und Aussageform.
Durch die Aneinanderreihung inhaltlich aufeinander bezogener oder formal gleicher gedanklicher Einheiten entstehen größere Abschnitte, die zwar den Kapiteln entsprechen, sich mit diesen aber nicht selten überschneiden. Unter den vorfindlichen so aufgebauten Traktaten lassen sich sowohl inhaltlich als auch formal verschiedene Typen unterscheiden. 1. Der N a m e deckt den gesamten Inhalt des Traktats ab. Z . B . kreisen in Kil („verbotenes Zweierlei") alle Aussagen um das Problem, was als verbotene Mischung bei Pflanzen, Tieren und Kleidung zu gelten hat.
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Mischna
2. Der Name deckt nur einen Teil des Inhalts ab. So beziehen sich in Uq nur 1 , 1 - 2 , 7 auf das durch 'Uqsin „Stiele" angezeigte Problem des Verhältnisses der eßbaren Teile von Speisen zu den ungenießbaren hinsichtlich der Reinheit, während in 2 , 8 - 3 , 1 1 verschiedene Fragen der Speiseunreinheit gebündelt werden. 3,12 bildet einen erbaulichen Abschluß für die gesamte Mischna, den nicht alle Zeugen bieten. 3. Eine Sonderstellung nimmt Ed ein. Der Name bezieht sich auf die Form und deckt nur einen Teil des Traktats ab (he'id: „er bezeugte": 2, 1.3; 5, 6; 6, 1 - 2 ; 7, 1 - 9 ; 8, 1 - 5 ) . Auch die Unterabschnitte werden jeweils nur durch ein formales Band zusammengehalten. Inhaltlich handelt es sich bei Ed um eine Sammlung von gedanklichen Einheiten, die zumeist so oder ähnlich aus anderen Traktaten bekannt sind (z.B. Ed 1, 1 = Nid 1, 1; Ed 1, 2 = Hai 2, 6). Einige T r a k t a t e weichen von dem S c h e m a ganz oder teilweise ab. T r a k t a t e , die sich mit dem R i t u a l befassen, weisen eine Vorliebe für den beschreibenden Stil auf. Av sammelt rabbinische Aussprüche, die in der Tradition der Weisheit stehen, und ordnet sie chronologisch. Yom und Tam zeichnen den Tempelgottesdienst am Versöhnungstag bzw. beim täglichen Morgenopfer nach. Mid will eine exakte Beschreibung des Tempels sein. Beschreibende Elemente sind auch in Taan (2, 1 - 7 ) und Sot (1 und 2) eingedrungen. Die Bezeichnungen der sechs O r d n u n g e n geben ihren Inhalt an: 1. Zera'im („Saaten") mit den Traktaten Ber, Pea, Dem, Kil, Shevi, Ter, Maas, MSh, Hai, Orl, Bik handelt von den Verpflichtungen, die auf dem Land ruhen und die der jüdische Bauer zu erfüllen hat. 2. Mo'ed („bestimmte Zeit") mit den Traktaten Shab, Er, Pes, Sheq, Yom, Suk, Bes, RHSh, Taan, Meg, M Q , Hag bezieht sich auf die heiligen Zeiten, die Feiertage und Feste. 3. Naschim („Frauen") mit den Traktaten Yev, Ket, Ned, Naz, Sot, Git, Qid bestimmt das Verhältnis der Frau zum Mann. 4. Neziqin („Schädigungen") mit den Traktaten BQ, BM, BB, San, Mak, Shevu, Ed, AZ, Av, Hör bringt die Störungen des menschlichen Zusammenlebens und ihre Behebung. 5. Qodascbim („Heilige Dinge") mit den Traktaten Zev, Men, Hui, Bekh, Ar, Tem, Ker, Meil, Tam, Mid, Qin betrifft den Tempel und das Opferwesen. 6. Toharot („Reinheitsdinge") mit den Traktaten Kel, Oh', Neg, Par, Toh, Miq, Nid, Makh, Zav, TevY, Yad, Uq benennt die Quellen der (ursprünglich nur kultischen) Unreinheit, ihre Verbreitung und Aufhebung. D e r O r t der T r a k t a t e Ber ( „ B e n e d i k t i o n e n " ) , N a z ( „ G e w e i h t e r " g e m ä ß N u m 6 ) , Ed ( „ Z e u g n i s s e " ) , Av ( „ V ä t e r " ) überrascht zunächst. Setzt m a n j e d o c h in R e c h n u n g , d a ß Ber 6 Benediktionen über O b s t , Wein, B r o t und G e m ü s e , D i n g e , die das Land hervorbringt, zum G e g e n s t a n d h a t , so ist die A u f n a h m e in Z e r a ' i m durchaus verständlich, zumal die Einreihung an erster Stelle auf die religiöse D i m e n s i o n der M i s c h n a verweist. N a z 4 , 1 - 5 ; 9, 1 behandeln das N a s i r a t s g e l ü b d e der F r a u nebst seiner A u f h e b u n g durch ihren E h e m a n n , so d a ß m a n N a z als A n h a n g zu N e d b e t r a c h t e n k a n n , w o in den Kapiteln 10 und 11 G e l ü b d e einer F r a u bzw. T o c h t e r und ihre Annullierung durch den E h e m a n n bzw. Vater v o r k o m m e n . Ähnlich verhält es sich mit Ed. D e r T r a k t a t schließt sich an Shevu ( „ E i d e " ) a n , der in Kapitel 4 das beeidete Z e u g n i s (schevü'at ha-'edüt) bespricht. Alle Versuche, die Stellung von Av zu e r k l ä r e n , sind indes bislang gescheitert. 3. Wesen
und
Entstehung
Wenn J o s e p h u s die T o r a als die ideale Verfassung (nokneia) des jüdischen V o l k e s vorstellt (Ant 4 , 196. 2 0 0 - 3 0 1 ; vgl. A p 2 , 156. 1 6 5 - 2 1 9 ) , gruppiert er das M a t e r i a l n a c h sachlichen G e s i c h t s p u n k t e n : T e m p e l und Kult einschließlich der Wallfahrtsfeste, G e richtsverfassung, auf dem L a n d ruhende A b g a b e n , Verhältnis der G e s c h l e c h t e r , allgemeine R e c h t s b e z i e h u n g e n , Kriegsrecht. D a ß hier ä h n l i c h e Ordnungsprinzipien w a l t e n , wie sie der mischnischen Sedarim-Einteilung zugrunde liegen, ist nicht zu v e r k e n n e n . Teilweise erstreckt sich die V e r w a n d t s c h a f t bis in die Einzelheiten: S o w o h l der j o s e p h i nische Abschnitt über Gerichtsverfassung und P r o z e ß o r d n u n g (Ant 4 , 2 1 4 - 2 2 4 ) als a u c h die M i s c h n a t r a k t a t e S a n / M a k behandeln die Z e u g e n (San 3 , 3 - 6 ; 4 , 5 - 5 , 4; M a k 1, 1 - 9 ) , die Gerichtsinstanzen (San 11, 1 - 2 ) , das Verfahren bei einem T ö t u n g s d e l i k t mit u n b e k a n n t e m T ä t e r (San 1, 3) und die Stellung des Königs (San 2 , 3 - 5 ) . D o c h e b e n -
Mischna
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sowenig sind die Unterschiede zu übersehen: Die M i s c h n a faßt G e r i c h t s v e r f a s s u n g / P r o z e ß o r d n u n g und allgemeine R e c h t s b e z i e h u n g e n in dem einen Seder Neziqin zusammen. D e n Festen widmet sie einen eigenen Seder. W ä h r e n d ihr ein Abschnitt über das Kriegsrecht fehlt, weist sie einen Seder über die Unreinheit auf. D e r E i n d r u c k , d a ß auch die M i s c h n a eine ideale Verfassung sein will, läßt sich durch weitere B e o b a c h t u n g e n abstützen. N i c h t nur, d a ß die T h e m a t i k der sechs Sedarim das g e s a m t e L e b e n in einer T h e o k r a t i e , wie J o s e p h u s die jüdische Verfassung in Ap 2 , 165 bezeichnet, a b d e c k t , auch die Einteilung in sechs O r d n u n g e n und (ursprünglich) sechzig T r a k t a t e unterstreicht die intendierte V o l l k o m m e n h e i t . D i e M i s c h n a ist ein Produkt der R a b b i n e n , die für sich b e a n s p r u c h t e n , seit M o s e in u n u n t e r b r o c h e n e r Sukzession T r ä g e r der T o r a zu sein. Sie ist auch ein Z e u g n i s der E n t w i c k l u n g der R a b b i n e n , die aus einer aus Schriftgelehrten bestehenden H o n o r a t i o r e n k a s t e (vgl. Sir 3 8 , 24—34; 3 9 , 1—11; J o sephus Bell 1, 6 4 8 - 6 5 5 ; Ant 17, 1 4 9 - 1 6 3 ) hervorgegangen sind. N a c h J . N e u s n e r und Alan J . Avery-Peck (für den Seder Z e r a ' i m ) entfallen (ohne Berücksichtigung von Ber, Av, Ed) acht T r a k t a t e ( = 1 3 , 3 3 % ) auf die Z e i t vor 7 0 n . C h r . , 18 ( = 3 0 % ) auf die Z e i t von 7 0 bis 140 (die J a b n e - E p o c h e ) , 3 4 ( = 5 6 , 6 7 % ) auf die Z e i t von 140 bis 170 (die U s c h a - E p o c h e ) . Eine Auszählung der genannten A u t o r i t ä t e n auf der Basis von Duensings Verzeichnis bestätigt dieses Urteil: 15,89 % - 3 2 , 9 1 % - 5 1 , 2 0 % . M a n c h e der B e s t i m m u n gen, die nicht u n m i t t e l b a r der schriftlichen T o r a zu entnehmen sind, lassen sich auch a u ß e r h a l b der M i s c h n a n a c h w e i s e n . Z . B . : Verzehr der Baumfrüchte des vierten Jahres bei einem frohen Mahl in Jerusalem MSh 5 , 1 - 5 = Josephus Ant 4,227; Zeiten des täglichen Opfers Pes 5,1 = Josephus Ant 3,237; 14,65; 39 Hiebe der Geißelung Mak 3,10 = II Kor 11,24; Josephus Ant 4,238.248; Darbringung der Erstlingsgarbe am 16. Nisan Men 10,3 = Lev 23,11 L X X ; Philon SpecLeg 2,162; Josephus Ant 3,250; Handwaschung Yad = Mt 15,1 f; M k 7 , 1 - 4 . Das Fehlen eines Abschnitts zum Kriegsrecht erklärt sich durch die leidvollen Erfahrungen, die man anläßlich der verlorenen Kriege gegen die Römer von 6 6 - 7 0 / 7 3 und 1 3 2 - 1 3 5 hatte machen müssen. Andererseits kann man die Entstehung des Seders Toharot dem Sieg des pharisäischen Programms zuschreiben, die kultische Reinheit vom Geschehen im Tempel, das ja das Weltgeschehen abbildete, auf das Leben im Alltag auszuweiten. Enthalten die einen Traktate tatsächlich angewandtes Recht (vgl. z.B. Git und Ket mit den Urkunden Nr. 19 und 20 bei P. Benoit/J.T. Milik/R. de Vaux, Discoveries in the Judaean Desert, II. Les grottes de Murabba'ät, Oxford 1961), so sind andere nicht mehr aktuell (vor allem im Seder Qodaschim) gemeint. Recht häufig begegnet die bunte Aneinanderreihung von echten und hypothetischen Fällen zum Zwecke der Definition. Instruktiv ist die Definition des Wassergießens (netila) bei der Handwaschung, wo sogar der Fall gesetzt wird, daß ein Affe sie vornimmt (Yad 1,5). Sucht man nach naheliegenden Analogien, so zeigt sich, daß es auch dem römischen Recht nicht fremd war, veralteten Stoff weiter mitzuschleppen (Fritz Schulz, Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar 1961, 198), wie auch die klassischen römischen Juristen Begriffe anhand von Fällen definierten. Der Blick auf das römische Recht der klassischen (und nachklassischen) Zeit lehrt auch, daß es völlig verfehlt ist, die verschiedenen in der Forschung vertretenen Wesensbestimmungen der Mischna - Lehrbuch, Notizbuch, Quellensammlung, Codex - gegeneinander auszuspielen. Der Tendenz zur Kodifikation ist auch eine starke pädagogische Note immanent (Schulz, Geschichte 360). Daß es Rabbi Jehuda der Patriarch (Han-nasi') war, der um 200 oder kurz danach die Mischna redigierte und somit dem Judentum zu einem, freilich immer noch für Interpolationen offenen, Kanon seines Rechts verholfen hat, dürfte nicht zu bestreiten sein. Es war die Zeit der Severer (193 - 235), die die Kodifikation der Volksrechte begünstigten (Shimon Applebaum, Zion 23, 1958, 36 f). Ob er dabei auf vorausgehende Mischna-Ausgaben zurückgreifen konnte, wie die Tradition es will, läßt sich aus der Mischna nicht erweisen. Sicher wird er, wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit anderen, Quellen kompiliert und adaptiert haben, deren Rekonstruktion ein schier unmögliches Unterfangen darstellen dürfte. Es gibt Hinweise auf mündliche und schriftliche Quellen. 4. Verhältnis
zur
Bibel
M i t A u s n a h m e von Yad n e h m e n alle T r a k t a t e T h e m e n auf, die in der T o r a oder doch in anderen biblischen B ü c h e r n (so M e g : Est 9 , 1 6 - 3 2 ; M i d : Ez 4 3 , 1 1 ; Av: Prov) angeschlagen w e r d e n , allerdings in h ö c h s t unterschiedlichem M a ß .
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Mischna
Während Yom z.B. Lev 16 lediglich nacherzählt, zeigt sich Makh gegenüber Lev 11,34.38 recht eigenständig in der Frage, welche Flüssigkeiten unter welchen Bedingungen Speisen unrein machen. Ü b e r 5 0 0 m a l k o m m e n in d e r M i s c h n a Bibelzitate v o r . Sie leihen einer v o r g e t r a g e n e n M e i n u n g die A u t o r i t ä t d e r Schrift, i n d e m sie, nicht selten erst n a c h t r ä g l i c h , d a r a u f h i n ausgelegt w e r d e n . Ihr I n h a l t w i r d als K r i t e r i u m (so I S a m 12,17 in T a a n 1,7) o d e r als allgemeine Regel begriffen, zu d e r die M i s c h n a einen Spezialfall b e i b r i n g t (etwa Prov 22,28 in Pea 5,6). H i n u n d w i e d e r sind sie Bestandteil eines e r ö r t e r t e n R i t u a l s (z.B. D t n 26,3 in Bik 1,4f; D t n 2 6 , 1 3 - 1 5 in M S h 5 , 1 0 - 1 3 ) . D e r L ö w e n a n t e i l e n t f ä l l t auf D t n ( 2 4 , 0 1 % ) , gefolgt v o n Lev ( 2 0 , 4 7 % ) , Ex ( 1 1 , 0 2 % ) , N u m ( 9 , 8 4 % ) . Auf je ein Z i t a t b r i n g e n es H o s , J o n , H a g , R u t h , T h r , Est, Esr. N i c h t zitiert w e r d e n O b , N a h , H a b , Z e p h , D a n , N e h . Die meisten Z i t a t e weist die O r d n u n g N e z i q i n (38,77 % ) , die w e n i g s t e n Z e r a ' i m ( 3 , 7 4 % ) a u f . Die M e h r z a h l d e r mit Z i t a t e n a u s E x , Lev, N u m , D t n a u s g e s t a t teten M i s c h n a p e r i k o p e n w i r d a u c h in M e k h Y , Sifra, SifBem, SifDev überliefert. M e t h o d e n u n d F o r m e n der A u s l e g u n g s o w i e d a s S c h r i f t v e r s t ä n d n i s sind m i d r a s c h i s c h . 5.
Sprache
Die S p r a c h e d e r M i s c h n a ist d a s n o c h im 1. J h . in J u d ä a (neben a r a m ä i s c h u n d griechisch) g e s p r o c h e n e H e b r ä i s c h , d a s in G a l i l ä a als L i t e r a t u r s p r a c h e ü b e r l e b t e , n a c h d e m seine Sprecher a u s g e s t o r b e n w a r e n ( E d u a r d Yechezkel Kutscher, A H i s t o r y of t h e H e b r e w L a n g u a g e . Ed. by R a p h a e l K u t s c h e r , J e r u s a l e m / L e i d e n 1982, 1 1 5 - 1 4 7 ) . Die ä u ß e r s t seltenen a r a m ä i s c h e n Einsprengsel verteilen sich auf Sentenzen (Sot 9,15; Av 1,13 [4,5]; 2,6; 5,22.23), U r k u n d e n f o r m u l a r e (Ket 4 , 7 - 1 2 ; Git 9,3; B M 9,3; BB 10,2), Z i t a t e aus a r a m ä i s c h e r L i t e r a t u r (Taan 2,8; M e g 4,9), A u f s c h r i f t e n auf S p e n d e n b ü c h s e n im T e m p e l (Sheq 6,5). H a l a k h i s c h e r N a t u r ist n u r d a s „ Z e u g n i s " des J o s e ben J o e s e r ü b e r drei R e i n h e i t s p r o b l e m e (Ed 8,4). 6.
Überlieferung
Die Ü b e r l i e f e r u n g des T e x t e s ist in einen p a l ä s t i n i s c h e n u n d einen b a b y l o n i s c h e n Z w e i g gespalten. E r s t e r e m g e h ö r e n die drei die g a n z e M i s c h n a e n t h a l t e n d e n H a n d s c h r i f ten K a u f m a n n (Ungarische A k a d e m i e d e r W i s s e n s c h a f t e n , B u d a p e s t , M s . A 50; 1 0 . / I I . J h . ) , P a r m a (Bibliotheca P a l a t i n a , P a r m a , d e Rossi 138; u m 1100) u n d C a m b r i d g e (University L i b r a r y A d d . 470.1; 14./15. J h . ) , a n , v o n d e n e n vor allem die beiden erstgen a n n t e n viele B e s o n d e r h e i t e n d e r g e s p r o c h e n e n S p r a c h e b e w a h r t h a b e n . Letzteren rep r ä s e n t i e r e n v o r allem die M i s c h n a a b s c h n i t t e , die sich im B a b y l o n i s c h e n T a l m u d finden b z w . i h m v o r a n g e s e t z t w o r d e n sind. W e n n a u c h beide T e x t t y p e n sich i m m e r gegenseitig beeinflußt h a b e n , so h a t sich d a r ü b e r h i n a u s ein eigener M i s c h t y p a u s g e b i l d e t , d e n e t w a die H a n d s c h r i f t e n des m a i m o n i d i s c h e n M i s c h n a k o m m e n t a r s (Mss. S a s s o o n 72 u n d 73, J e r u s a l e m ; Bibliotheca B o d l e i a n a 393 u n d 404, O x f o r d ) u n d d e r als E d i t i o p r i n c e p s g e l t e n d e D r u c k N e a p e l 1492 mit M a i m o n i d e s ' K o m m e n t a r in h e b r ä i s c h e r Ü b e r s e t z u n g v e r k ö r p e r n . A n d e n ü b e r viele Bibliotheken v e r s t r e u t e n , z. T. n o c h a u s d e m 9. J h . s t a m m e n d e n F r a g m e n t e n a u s d e r G e n i z a v o n A l t k a i r o h a b e n alle R e z e n s i o n e n Anteil. Der T e x t u s receptus g e h t auf die v o n J o m t o v L i p m a n n H e l l e r v e r a n s t a l t e t e A u s g a b e (Prag 1 6 1 4 - 1 6 1 7 ; K r a k a u 1643 f) z u r ü c k . M i t d e r V e r b r e i t u n g des B u c h d r u c k s hinterließ a u c h die Z e n s u r , s o w o h l die kirchliche als a u c h die v o r a u s e i l e n d e jüdische, ihre S p u r e n im W o r t l a u t d e r M i s c h n a , obgleich nicht im selben A u s m a ß wie im T a l m u d . Ausgaben und Übersetzungen Chanoch Albeck, Schischa sidre mischna, 6 Bde., Jerusalem/Tel Aviv 1952-1958. - Philip Blackman, Mishnayoth, 7 Bde., New York 2 1964-1965. - Herbert Danby, The Mishnah, Transí, from the Hebrew with Introduction and Brief Explanatory Notes, Oxford 1933. - David Hoffmann u.a., Mischnajoth,6 Bde.,Berlin/Wiesbaden 1887—1933. — Karl Heinrich Rengstorf u. a., Die Mischna, Gießen/Berlin 1912 ff (bisher liegen vor: Ber, Pea, Dem, Kil, Shevi, Ter, Maas, MSh, Hai, Orl, Bik, Shab, Er, Pes, Yom, Suk, Bes, RHSh, Taan, Meg, M Q , Yev, Naz, Sot, Git, BQ, BM, BB, San, Mak, Av, Hör, Ar, Tam, Mid, Qin, Kel, Ohal, Par, Toh, Nid, Zav, TevY, Yad, Uq). - Mischnajot,
Mischna
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13 Bde., W i l n a 1 8 8 7 - 1 9 0 8 / 0 9 . - Nissan Sackes, T h e M i s h n a h with Variant Readings Collected f r o m M a n u s c r i p t s . . . Order Z e r a i m , 2 Bde., J e r u s a l e m 1 9 7 2 - 1 9 7 5 . - Gulielmus Surenhusius, M i s c h na . . . cum M a i m o n i d i s et B a r t e n o r a e c o m m e n t a r i i s integris . . . latinitate donavit ac notis illustravit G . S . , 1 - 6 , A m s t e r d a m 1 6 9 8 - 1 7 0 3 . - Carlos del Valle, L a misna, M a d r i d 1981 (Clásicos para una biblioteca c o n t e m p o r á n e a , ciencias del espíritu, 6). Hilfsmittel G u s t a f D a l m a n , A r a m ä i s c h - n e u h e b r . W b . zu T a r g u m , T a l m u d u. 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18
Mission I
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Günter Mayer Missale Romanum —»Agende Mission I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX.
Religionsgeschichte Judentum Neues Testament Alte Kirche Mittelalter Von der Reformationszeit bis zur Gegenwart Systematisch-theologisch Praktisch-theologisch Ärztliche Mission
20 23 31 36 40 59 68 73
I. Religionsgeschichte 1. Buddhismus
2. Islam
3. Hinduismus
(Literatur S. 20)
Mission (lat. missio, Sendung) ist ursprünglich ein seit dem 16. Jh. üblich gewordener christlicher Begriff, der die Bemühungen um den Gewinn Ungetaufter für das Christentum bezeichnet. In der Religionswissenschaft nennt man aber auch die organisierte Ausbreitung anderer Religionen Mission. Die Stammesreligionen und die Nationalreligionen (Volksreligionen) treiben keine Mission; sie ist Kennzeichen der Weltreligionen (Universalreligionen) und der neuen religiösen Bewegungen (—»Neue Religionen). 1.
Buddhismus
Die buddhistische Mission ( - > Buddhismus) ist zweifellos die älteste universalreligiöse Mission. Sie erhielt politische Unterstützung durch den Kaiser Asoka ( 2 6 8 - 2 2 1 v. Chr.), durch dessen Förderung der Buddhismus nicht nur eine Vorrangstellung im indischen Maurya-Reich erlangte, sondern auch außerhalb des Landes verbreitet wurde. Asoka war es, der Mahendra als Missionar nach Ceylon sandte. Schon zu seiner Zeit drang der Buddhismus auch in den nordwestlichen Teil Indiens und ins indo-baktrische Grenzgebiet vor. In den ersten Jahrhunderten n. Chr. entstand im nordwestindischen Gebiet von Gandhära eine auch iranisch und hellenistisch beeinflußte buddhistische Kultur. Gandhära wurde zum Ausgangspunkt einer bedeutenden Zentralasien-Mission, die von Anhängern des Kleinen und des Großen Fahrzeugs (HTnayäna und M a h ä y ä n a ) getragen wurde.
Mission I
19
Der Buddhismus in seiner älteren Theraväda (Hlnayäna)-Form hat sich von Indien und Ceylon aus nach Südostasien ausgebreitet. Er erreichte um 450 Burma, um 640 Siam (Thailand) und Kambodja (Kampuchea) und im 15. Jh. Laos. In seiner MahäyänaForm hat der Buddhismus Ostasien geprägt, das er sowohl über Zentralasien als auch auf dem Seeweg von Indien aus erreichte. Im 4. Jh. finden wir ihn bereits in China und Korea, im 6. Jh. wird er in Japan und im 7. Jh. in Tibet eingeführt. Heute ist der Buddhismus bemüht, in Indien, aus dem seine Reste im 12. Jh. durch den Islam vertrieben wurden, Mission zu treiben. Im Jahre 1891 wurde zu diesem Zweck von Anagärika Dharmapäla die Mahäbodhi-Gesellschaft in Ceylon gegründet. Aber auch im Westen wirbt sie um Anhänger. Nachdem eine von Burma ausgehende Mission seit 1908 in London arbeitete, wurde dort im gleichen Jahr auch ein englischer Zweig der Mahäbodhi-Gesellschaft gegründet. Der englische Buddhismus verfügt heute über diverse geistliche Zentren und gibt Zeitschriften wie The Middle Way heraus. Auf reformbuddhistische Initiative geht es zurück, daß 1929 in Paris die Gesellschaft Les amis du bouddhisme entstand. Zwischen den Weltkriegen ließ Paul Dahlke das erste europäische Buddhistenkloster in Berlin-Frohnau erbauen. In Deutschland, der Schweiz, Holland, Belgien, Italien und Skandinavien finden sich heute lebendige buddhistische Zentren, die sich teils am Theraväda Ceylons und Burmas orientieren, teils aber auch vom tibetischen Buddhismus inspiriert sind. Der Buddhismus in Amerika, wo es z. Zt. an die 100 Zentren gibt, geht einerseits auf die südasiatische buddhistische Mission zurück, ist andererseits aber auch geprägt durch die japanischen und chinesischen Einwanderer, die über geistliche Zentren auf Hawaii und in Kalifornien verfügen. Die Faszination, die vom ostasiatischen und vor allem tibetischen Buddhismus ausgeht, hat dazu geführt, daß auch Amerikaner europäischer Herkunft sich zu buddhistischen Gemeinden zusammengeschlossen haben. 2. Islam Die Mission des -»Islam hat sich vor allem auf politischem Wege ausgebreitet. Schon zu Lebzeiten hat Mohammed fast die ganze arabische Halbinsel unter seine Botmäßigkeit gebracht. Sein Nachfolger, der erste Kalif Abu Bekr (632—634), unternahm militärische Feldzüge, die zu einer riesigen Erweiterung des islamischen Gebietes führten. Unter ihm und seinem Nachfolger Omar (634-644) fielen in rascher Folge Syrien, Palästina, der Irak, Ägypten und Persien. Die omajjadischen Kalifen (661—750), die ihre Residenz in Damaskus hatten, setzten die Eroberungen fort. Ganz Nordafrika und große Teile von Spanien gerieten unter islamische Herrschaft. Europa selbst wurde vom Islam bedroht. Erst der Sieg Karl Martells bei Poitiers 732 bereitete dem Vormarsch der muslimischen Heere ein Ende. Nach den —• Kreuzzügen sind die Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems zwar teilweise zur Ruhe gekommen, dennoch setzte sich die Ausbreitung des Islam fort. Diese Expansion nach Zentralasien, Indien und schließlich Indonesien kann hier ebenso wenig skizziert werden wie die Expansion der osmanischen Türken, die Europa erneut bedrohten. Heute erweist sich der Islam in Afrika, vor allem südlich der Sahara, als besonders expansionskräftig. Auch wenn die Islamisierung mancher afrikanischer Gruppen zunächst eine oberflächliche zu sein scheint, stellt sie im schwarzen Kontinent eine ernste Konkurrenz für die christliche Mission dar. Zu erwähnen ist eine missionarisch besonders tätige Richtung des Islam, nämlich die Bewegung der Ahmadiya (TRE, l,740,10ff), die in den achtziger Jahren des 19. Jh. von MTrza Ghuläm Ahmad (gest. 1908; T R E 16,119,18 ff) in Nordwest-Indien gegründet wurde. Obwohl sich diese Gruppe 1914 in zwei Zweige gespalten hat, setzt sie ihre Missionsbemühungen in Afrika und Europa fort. Missionszentren gibt es in London und Berlin, Zeitschriften der Ahmadiya erscheinen auf Englisch und Deutsch. In Pakistan ist die reformbemühte Ahmadiya-Bewegung allerdings als außerislamisch abgestempelt worden.
20
Mission II 3.
Hinduismus
Die hinduistische Mission (—»Hinduismus) ist ein Novum, da der Hinduismus als Volksreligion von Haus aus keine Ausbreitung über Indien hinaus anstrebte. (Der brahmanische Einfluß auf Südostasien ist ein Fall für sich.) Dennoch hat der Hinduismus in der Neuzeit im Westen zu missionieren angefangen. Den Auftakt dazu gab Svämi Vivekänanda ( 1 8 6 3 - 1 9 0 3 ) , der 1893 als Vertreter des Hinduismus beim Weltparlament der Religionen in Chicago auftrat und anschließend in Amerika und Europa missionierte. Als Jünger des Mystikers Ramakrishna (Rämakrsna) ( 1 8 3 3 - 1 8 8 8 ) hat er die nach diesem benannte Ramakrishna-Mission begründet, die sich geistig einem Monismus (Advaita) verschreibt, in Indien auch karitative und bildungsmäßige Zwecke verfolgt und sich im Ausland missionarisch engagiert. Zwei Schüler Vivekanandas wirkten in Amerika, wo es einen hinduistischen Tempel in San Francisco gibt, ferner Zentren in New York, Boston, Chicago und Los Angeles. Auch in Buenos Aires befindet sich ein solches Zentrum. In Europa liegen Missionsstationen in London und in Gretz bei Paris. Mission geht auch von diversen neuhinduistischen Gemeinschaften aus, die von einzelnen geistlichen Führern ins Leben gerufen wurden, primär eine Erneuerung des Hinduismus anstrebten und sekundär auch im Westen Anhänger gewannen. Eine solche Organisation ist die Divine Life Society, die 1936 von Svämi Sivänanda (geb. 1886) gegründet wurde. Literatur André Bareau/Walther Schubring/Christoph von Fürer-Haimendorf, Die Religionen Indiens III. Buddhismus - Jinismus - Primitivvölker, Stuttgart 1964. - J a n Gonda, Die Religionen Indiens II. Der jüngere Hinduismus, Stuttgart 1963. - Alfred Guillaume, Islam, Edinburgh 1954 (Penguin Books). - Hb. Religiöse Gemeinschaften, hg. v. Horst Reiler, Gütersloh 2 1978, 591 - 7 4 3 . - Reinhart Hummel, Indische Mission u. neue Frömmigkeit im Westen, Stuttgart 1980. - Fritz Kern, Asoka — Kaiser u. Missionar, Bern 1956. — Henri de Lubac, La rencontre du bouddhisme et de l'Occident, Paris 1952. — Helmer Ringgren/Àke V. Ström, Die Religionen der Völker, Stuttgart 1959 (Kröners Taschenausgabe 291). — Lothar Schreiner/Michael Mildenberger (Hg.), Christus u. die Gurus. Asiatische rei. Gruppen im Westen, Stuttgart 1980. — W. M o n t g o m e r y Watt/Michael Marmura, Der Islam II. Politische Entwicklungen und theol. Konzepte, Stuttgart 1985.
Äke V. Ström
II. Judentum 1. Jüdisches Proprium 2. Biblische Zeit 3. Unter der Herrschaft der R ö m e r christlicher und muslimischer Herrschaft 5. Neuzeit und Moderne (Literatur S. 23)
1. Jüdisches
4. Unter
Proprium
Der Terminus „ M i s s i o n " Sendung ist im Judentum verpönt, weil mit ihm mittelalterliche Zwangstaufen, Zwangspredigten etc. assoziiert werden. Aber die Sache, Anwerbung und Betreuung von —»Proselyten (—»Konversion) war ein bedeutsames, stimulierendes Element in der Geschichte des Judentums. Hinweis dafür ist etwa, daß —»Abraham vom rabbinischen Judentum nicht nur als erster Jude gesehen wurde, sondern auch als erster Missionar. Laut BerR 39,14 sind mit den in Gen 12,5 erwähnten „Leuten von H a r a n " die Proselyten gemeint, die auf Werbung Abrahams hin zum Judentum konvertierten. Dies lehre, „daß jeder, der einen Götzendiener zu Gott hinführt, so daß dieser konvertiert, so anzusehen ist, als habe er diesen Menschen erschaffen. Abraham hat die Männer von Haran zur Konversion geführt und Sara die Frauen". In M e k h Y zu Ex 22,20 wird es als segensvolle Vorsehung Gottes gewertet, daß Abraham sich erst als 99jähriger beschneiden ließ. „Hätte er sich nämlich bereits im Alter von 20 oder 30 Jahren beschneiden lassen, dann hätte ein Proselyt nur unter dem Alter von 30 Jahren konvertieren können. Daher zögerte Gott den Bundesschluß mit ihm hinaus, bis er 99
Mission II
21
J a h r e alt w a r , um die Möglichkeiten der k o m m e n d e n Proselyten zu vermehren und um den Lohn der T ä t e r seines Willens zu e r h ö h e n " . 2. Biblische
Zeit
N a c h wissenschaftlicher Einschätzung betrat nur eine eher kleine G r u p p e von Israeliten nach E x o d u s und W ü s t e n w a n d e r u n g das gelobte Land. Sie taten sich daher mit Eingesessenen zu einer antiägyptischen Koalition z u s a m m e n (Tel El A m a r n a Briefe). Diese vorisraelitischen Bewohner, „die sieben V ö l k e r " , wurden durch die A n e r k e n n u n g Y H W H s als auch ihres Gottes ins israelitische Volk h i n e i n g e n o m m e n . Darauf weisen auch verschiedene im ganzen Pentateuch verstreut v o r k o m m e n d e Begriffe hin. N a c h Ex 12,38 zog „viel M i s c h v o l k " mit den Israeliten durch die Wüste. Immer wieder ist von „ F r e m d l i n g e n " (geritn) und Beisassen (gerim toschavim) die Rede. Laut II C h r 2,16 f gab es zur Zeit Salomos 153600 gerim im Lande Israel, die sich als H a n d w e r k e r beim Tempelbau betätigten. In den Propheten und Schriften finden sich viele Sätze und Abschnitte, die implizit eine A u f f o r d e r u n g zur Missionierung der Völker beinhalten oder wenigstens erlauben. Jes 2 , 2 - 4 ; 49,6; 5 6 , 1 - 8 ; 60,3.11 f; Joel 3,5; die Bücher R u t h und J o n a . In Est 8,17 ist von Leuten die Rede, die J u d e n werden ( h a m m i t y a c h a d i m ) ; vgl. T o b 13,13; D a n 3 , 1 7 - 2 0 ; 6 , 2 6 - 2 8 . N e b e n der Ö f f n u n g hin zu den Völkern gab es aber auch die A b s o n d e r u n g und den Ausschluß. Der Priester Esra verfügte z.B. die Auflösung von Mischehen und den Ausschluß der f r e m d e n Frauen ( 9 , 1 - 4 ; 1 0 , 3 - 5 ; -»• Mischehe).
3. Unter der Herrschaft
der
Römer
Deuterojesajas Ruf an das jüdische Volk, „Licht f ü r die V ö l k e r " zu sein (Jes 49,6) erzeugte besonders nach der Z e r s t ö r u n g des ersten jüdischen (Hasmonäer-) Staates (63 v. Chr.) eine erneute Verstärkung des missionarischen Impulses. Z u r Zeit des demographischen H ö h e p u n k t e s des römischen Imperiums (1. Jh. v . - 2 . / 3 . J h . n . C h r . ) machten die Juden nach optimistischen historischen Schätzungen ein Zehntel der Bevölkerung des Reiches aus (—»Diaspora). Auch die damalige judenfeindliche Literatur (Manetho, Apion, Cicero, Seneca, Tacitus, Juvenal, H o r a z etc: vgl. M e n a c h e m Stern) bezeugt eine starke Präsenz der J u d e n . Kaiser H a d r i a n ( 1 1 7 - 1 3 8 n . C h r . ) versuchte die Ausbreitung des J u d e n t u m s durch ein Beschneidungs- bzw. Konvertitenverbot e i n z u d ä m m e n (-> Antisemitismus). George Rosen, H a y i m H . Ben Sasson u . a . vermuten, d a ß die n o r d a f r i k a nischen Phönizier nach ihrer U n t e r w e r f u n g durch die R ö m e r in großer Z a h l zum Jud e n t u m konvertierten (Jerusalemer Zeitschr. M o l a d 7 [1976] 37f). Z u gleicher Zeit (ca. 140 v . C h r . ) konvertierten I d u m ä e r , Ituräer und M o a b i t e r zum J u d e n t u m . Im 1 . J h . n. Chr. w a n d t e n sich die H e r r s c h e r und das Volk von Adiabene (zwischen Syrien und Parthien) teils als H a l b - teils als Vollproselyten dem J u d e n t u m zu. Vieles in der rabbinischen Literatur weist darauf hin, d a ß hinter ihr eine missionierende jüdische Bewegung stand (so Bernard J. Bamberger, William G. Braude). H e r v o r r a g e n d e rabbinische Gelehrte: Schemaja, Avtalion, Hillel, Akiva und Meir waren N a c h f a h r e n von Konvertiten (Ben Ze'ev 24). Der Sinn der G a l u t w u r d e in der Möglichkeit der Proselytenwerbung gesehen. „ D e r Heilige, gelobt sei er, hat Israel nur deshalb unter die Völker zerstreut, d a m i t sich ihnen Proselyten anschließen" (bPes 87b). Die Proselyten galten als besonders schutzwürdig: „Wer einen Proselyten u n t e r d r ü c k t , ist wie jemand, der G o t t u n t e r d r ü c k t " (bHag 5a). N e b e n diesen positiven Aussagen über die Proselyten gibt es auch negative Äußerungen von R a b b i n e n gegen Proselyten (bQid 70b u.ä.). Den R a b b i n e n ging es in ihrem missionarischen Eifer vor allem d a r u m , die Idolatrie aus allen O r t e n Israels - und d a n n nach Möglichkeit auch aus O r t e n , w o keine Juden w o h n t e n - auszurotten und das H e r z der idolatrischen Gottesverehrer zu G o t t hin zu f ü h r e n , dies als Vorbereitung auf die E n d h e r r s c h a f t Gottes. Im 'alenu-Gebet (3. Jh. n. Chr.) sind diese Vorstellungen festgehalten:
22
M i s s i o n II
, , . . . Darum hoffen wir auf dich, unseren Gott, daß wir bald die Herrlichkeit deiner Kraft sehen werden, daß du die Götzen von der Erde verbannen wirst, und daß die Götter ausgerottet werden. Wir hoffen, daß du die Welt herstellst durch dein höchstes Reich, und daß alle Menschen dich mit deinem Namen anrufen werden. Wir hoffen, daß du alle Frevler dieser Welt zu dir bekehrst. Vor dir, unser ewiger Gott, werden alle Erdenbewohner knien und niederfallen. Der Herrlichkeit deines Namens werden sie Ehre und Würde verleihen. Alle werden das Joch deiner Herrschaft auf sich nehmen, und du wirst bald über sie herrschen auf immer und e w i g . . . " .
4. Unter christlicher
und muslimischer
Herrschaft
Im 3. J h . , als noch kein christlich-staatlicher D r u c k vorhanden w a r , war die jüdische P r o p a g a n d a unter Heiden, teilweise auch unter Christen, recht erfolgreich. Neuchristen, die nach ihrer Konversion zum Christentum in religiöse Frustrationen hineingerieten, ließen sich leicht für d a s J u d e n t u m anwerben. Die Polemik von Kirchenvätern gegen die J u d e n läßt sich teilweise damit erklären ( T h o m a 42). M i t dem T r i u m p h des Christentums im 4. und des Islams im 7. J h . wurden jüdisch-missionarische Aktivitäten weitgehend unmöglich gemacht. Sie unterblieben jedoch nicht ganz. M i t d e m Aufstieg des Islams e r g a b sich z . B . eine starke Z u n a h m e von Sklaven, unter denen für d a s J u d e n t u m geworben wurde. In den sechs Jahrhunderten nach der Konstantinischen Wende ist eine große A u s d e h n u n g der jüdischen Bevölkerung trotz aller R e p r e s s i o n durch christliche und islamische Herrscher bezeugt. Es g a b in dieser Zeit eine M a s s e n k o n v e r s i o n von Arabern zum J u d e n t u m unter Dhu N o w a s ; zu erwähnen ist auch die Konversion des Aksumitischen Königreichs von Äthiopien, deren N a c h f a h r e n die heutigen F a l a s c h a s sind. Z u besonderer Bedeutung gelangten die C h a s a r e n , ein S t a m m zwischen Krim und Kaspischem und Schwarzem M e e r . Unter seinem König J o s e p h (10. Jh.) widerstand d a s Chasarenvolk den expansiven Werbungen von Christentum und Islam und konvertierte zum J u d e n t u m . Es gibt eine K o r r e s p o n d e n z zwischen ihm und dem jüdischen Wesir des Königreiches C o r d o b a , H a s d a i ibn Schaprut. —»Jehuda Hallevi baute sein apologetisches Werk Kusari auf dem Konversionsereignis der C h a s a r e n auf. Im mittelalterlichen E u r o p a kamen Konvertiten zum J u d e n t u m hauptsächlich aus dem christlichen Kleriker- und Adelsstand. Erzbischof A g o b a r d von Lyon (9. Jh.) führte K l a g e d a r ü b e r , daß sich Christen von der jüdischen Predigt beeindrucken ließen (Liebeschütz 5 5 - 9 4 ) . Die Beschlüsse des vierten Laterankonzils (1215) gegen die J u d e n sind zum großen Teil als Bemühungen des christlichen E u r o p a zu verstehen, den Einfluß der jüdischen Religion und ihrer werbenden Vertreter zu verunmöglichen. M i t Blick besonders auf Spanien, Frankreich und Italien w u r d e ein Anwachsen der „ J u d a i s i e r e r " und auch d a s Eindringen jüdisch-liturgischer Elemente ins christliche Gebetsleben festgestellt. Diese Vermischung ( c o m m i x t i o ) sei des Christentums u n w ü r d i g ( S a l o m o n Grayzel 3 0 7 - 3 1 1 ; M o r i t z Stern N r . 176). Auch die Vertreibung der J u d e n aus Spanien (1492) hatte d a m i t zu tun, d a ß J u d e n ihren z u m Christentum zwangsbekehrten Volksgenossen Unterstützung z u k o m m e n ließen und bei ihnen um R ü c k k e h r zum J u d e n t u m w a r b e n ( - » M a r r a n e n ) . In der Kairoer Geniza wurden ca. 50 Fragmente gefunden, die die Konversion zum J u d e n t u m betreffen. N o r m a n G o l b (S. 34) schätzt, d a ß v o m 9 . - 1 1 . J h . 15000 Konversionen zum J u d e n t u m in E u r o p a und im N a h e n Osten v o r k a m e n . Eine sorgfältige Analyse der A u s s a g e n über J u d e n bei J a n H u s und bei dem frühen M a r t i n Luther zeigt, d a ß verschiedene J u d e n die Konversion von Christen zum J u d e n t u m als ein messianisches Zeichen werteten. Der prophetische K a b b a i i s t A b r a h a m A b u l a f i a ( 1 2 4 0 - 1 2 9 1 ) versuchte aus messianischen G r ü n d e n , den Papst zu bekehren. D a s s e l b e versuchte auch der jüdische M e s s i a s p r ä t e n d e n t S c h l o m o M o l c h o (um 1530; Ben S a s s o n 65). 5. Neuzeit
und
Moderne
Die mit der Französischen Revolution und der E m a n z i p a t i o n beginnende m o d e r n e Zeit zog viele A b w a n d e r u n g e n aus dem J u d e n t u m (u.a. durch Mischehen) nach sich. Im Gegenzug unternahm vor allem d a s liberale J u d e n t u m Anstrengungen, die Wegge-
Mission III
23
gangenen zurückzuholen und neue Mitglieder zu werben. S. W. Baron hat darauf hingewiesen, daß der jüdische Anteil an der Weltbevölkerung von 850000 im Jahre 1860 auf über 12 Millionen im Jahre 1940 und damit um das 15fache angewachsen ist, während die gesamte Weltbevölkerung im gleichen Zeitraum nur um das l,8fache anstieg. Dieser enorme jüdische Zuwachs ist teilweise auf Proselytenwerbung zurückzuführen. (Proselytes 1190-94). Die Einwanderung der Juden in die USA wurde - zum ersten Mal in der Geschichte — nicht durch eine dort bereits vorhandene religiös geprägte Kultur behindert. Daher konnte sich das Judentum dort ohne wesentliche Pressionen entfalten. Es übte großen Einfluß auf den Gebieten der Literatur, der Künste, der Medien etc. aus. Es gab auch jüdisch-missionarische Bemühungen, z.B. durch Israel Ben Ze'ev (in Israel) und durch Ben Maccabee in den USA. Rabbi Alexander Schindler, der Präsident der Union of Hebrew Congregations, forderte 1979 die Wiederbelebung jüdischer Bemühungen um Konversion zum Judentum. Die allzuvielen Mischehen und Abwanderungen machten diese Bemühungen notwendig, sonst könne das Judentum nicht überleben. Ferner ist auf viele Rückkehrer ins Judentum (chozre biteschuva, ba'ale teschuva), teilweise durch die Erschütterungen des Holocausts verursacht, hinzuweisen. Sie werden an mehreren Orten (z.B. orthodoxe Synagoge in Berkeley, Mt. Zion in Jerusalem) betreut. Auch das russische Judentum verdient Beachtung. Trotz Unterdrückung zur Zeit der Zaren und der Revolution konnte es nicht unterdrückt werden. Schließlich sind auch missionarische Aspekte im —»Zionismus des späten 19. Jh. festzustellen. Nie aber hat das Judentum einen Propagandaapparat zur Missionierung aufgezogen wie das Christentum. Seine Werbung geschah vielmehr im Stillen, wurde von Vorsichtsmaßnahmen gesteuert und war ein In-Empfang-Nehmen von Menschen, die bereits unterwegs zum Judentum waren. Literatur Bernhard J . Bamberger, Proselytism in the Talmudic Period, New York, 1939. - Salomo W. Baron, A Social and Religious History of the Jews, New York z 1952ff. - Hayyim H . Ben Sasson, Gesch. des jüd. Volkes, M ü n c h e n , II 1979. - Israel Ben Ze'ev, Gerim v'Giyur, Jerusalem 1961. William G. Braude, Jewish Proselyting in the First Centuries of the C o m m o n Era, Providence, R . I . 1940. - Jaques le Brun u . a . , Les Chrétiens devant le fait juif, J a l o n s Historiques, Paris 1979. Steven M . Cohen, American Assimilation or Jewish Revival, Bloomington 1988. - Leonard Fein, Where are We?, New York 1988. - Normann G o l b , Jewish Proselytism. A Phenomenon in the Religious History of Early Medieval Europe, Cincinnati 1987. — Salomon Grayzel, T h e Church and the Jews in the XINth Century, Philadelphia 1933. - Hans Liebeschütz, Synagoge u. Ecclesia, Religionsgesch. Stud, über die Auseinandersetzung der Kirche mit dem Judentum im H o c h M A , Heidelberg (Nachdr. v. 1938) 1983. - Art. Proselytes: E J 13 (1971) 1 1 8 2 - 1 1 9 3 . - Joseph Rosenbloom, Conversion to Judaism, Cincinnati 1978. - R o b e r t Seltzer, Joining the Jewish Faith: Pushing the Faith, hg. v. Frederick Greenspahn/Martin M a r t y , Crossroads 1988. - Charles Silverman, A Certain People, New York, 1988. - M e n a c h e m Stern (Hg.), Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, 3 Bde., Jerusalem 1 9 7 8 - 1 9 8 4 . - Clemens T h o m a , Die theol. Beziehungen zw. Christentum u. Judentum, Darmstadt 1982.
Hayim G. Perelmuter
III. Neues Testament 1. Begriff und Bedeutung 2. Die Begründung der christlichen Mission: Die alttestamentlichen Propheten und Jesus 3. Die Durchführung der Mission unter Juden und Heiden 4. Die Heidenmission des Paulus: Verlauf, Umfang und Eigenart 5. Die nachpaulinische Zeit (Literatur S. 30)
1. Begriff und
Bedeutung
Für den Begriff „Mission" (missio) als Auftrag und Ausführung einer Sendung, die der Ausbreitung eines religiösen -»Glaubens dient, gibt es im Griechischen und He-
24
M i s s i o n III
bräischen der neutestamentlichen Zeit kein exaktes Äquivalent. Am ehesten kommt dafür das Wort anoazoXr} (selihüt) in Betracht, das aber im Neuen Testament nicht die Mission allgemein, sondern speziell den Dienst des —» Apostels bezeichnet (Act 1,25; Rom 1,5; I Kor 9,2; Gal 2,8). Dagegen werden die Verben nsfineiv und änoare/J.eiv (säläh) relativ häufig und vielfach in religiösem Sinne gebraucht, und zwar sowohl für die Sendung des Sohnes durch den himmlischen Vater als auch für die der Jünger durch Jesus. Die im Neuen Testament bezeugte Mission und die durch sie in Gang gebrachte Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten stellt ein im Römischen Reich bis dahin unbekanntes Phänomen dar: Menschen vieler Völker kamen durch sie zum Glauben, Jesus Christus sei der Offenbarer des einen wahren Gottes und der Retter aus Sünde und Tod. 2. Die Begründung Jesus
der christlichen
Mission:
Die alttestamentlichen
Propheten
und
2.1. Die alttestamentliche Sendung der Propheten durch Gott stellt eine wichtige Vorstufe für die Mission im Neuen Testament dar. Jesus hat sie — wie seine Landsleute (Mk 8,28 par.) — als vorbildlich für seinen eigenen Auftrag an Israel angesehen (Lk 4,24—27; Mk 6,4; vgl. M t 23,34); in Act 3 , 2 2 f und 7,37 wird er als der verheißene Prophet wie —»Mose bezeugt (vgl. Dtn 18,15—22). Das Judentum sah sich aufgrund seines Selbstverständnisses - das ganze Volk ist erwählt, und Jude wird man durch Geburt — nicht zur missionarischen Ausbreitung seines Glaubens verpflichtet (trotz M t 23,15; s.o. Abschn.II). Aber vor allem in der —»Diaspora wirkte es anziehend durch sein Bekenntnis zum einen Gott, durch die Reinheit seiner Sitten und die Fürsorge für die Armen. Andererseits konnten die —» Beschneidung, die strikte Sabbatheiligung (—»Sabbat) und die Verpflichtung zur rituellen —»Reinheit auch distanzierend wirken. Während in den uns bekannten Qumranrollen (—»Qumran) das „Senden" im religiösen Sinne fehlt, wird es im aramäischen Fragment 4 Q Aharonique (ed. J . Starcky 1976) auf eine für uns bedeutsame Weise erwähnt. Von einem Unbekannten (dem Endzeitpropheten oder Messias?) wird dort verheißen: . . . „ E r wird zu den Söhnen . . . (seiner Zeit?) gesandt werden (jistallah); sein Wort wird wie das des Himmels (sc. Gottes) sein und seine Lehre wie der Wille Gottes. Seine ewige Sonne wird aufleuchten, und ein Feuer bis an alle Enden der Erde sichtbar sein" (Z. 2—3). Dieser Gesandte wird den erbitterten Widerstand von Seiten des Volkes erfahren, das in die Irre geht (Z. 6 - 7 ) , aber dennoch „alle Söhne seiner
Generation entsühnen" (j'kapper Z. 2).
2.2. Auf solche Weise hat Jesus wohl seinen Auftrag verstanden; sein Wirken war missionarisch. Er wußte sich von Gott dazu gesandt, die verlorenen Schafe Israels zu sammeln (Mt 15,24; vgl. Rom 15,8; Mk 12,6; Lk 4,18). Er tat dies, indem er als Wanderlehrer die frohe Botschaft vom nahen Gottesreich verkündigte (—»Herrschaft Gottes/ Reich Gottes), Israel zur -»Buße rief und Jünger in die -»Nachfolge berief (Mk 1,14-20). Er verstand sich als den mit Gottes Geist Gesalbten, der durch seine Heilandstätigkeit und seine Siege über die -»Dämonen die befreiende Macht der großen Wende auslöste und an einzelnen Punkten sichtbar machte (Mt 12,28f; vgl. 9,6); so erwies er seine Botschaft als „Evangelium" (Mt 4,23; 11,5 nach Jes 61,1), als Kunde von der sich verwirklichenden Gottesherrschaft (Mk 1,14f; vgl. Tg. Jes 52,7). Das Ziel der missionarischen Sammlung Israels wird auch durch die sicher historische Zwölfzahl der Jünger (Mk 3,14; Mt 19,28; vgl. I Kor 15,5) sowie durch das Berufungswort von den „Menschenfischern" (Mk 1,17 par.) angezeigt. Historisch ist auch deren Aussendung durch den irdischen Jesus (Mk 3,15 f; vgl. Mt 10,1-42; Lk 9 , 1 - 6 ; 10,1-20), denn in den Aussendungsberichten erscheinen Angaben, die sich nicht mit der nachösterlichen Mission der Gemeinde decken, so etwa der Auftrag, die Gottesherrschaft zu verkündigen und Dämonen auszutreiben, sowie die Beschränkung dieses Dienstes auf das Volk Israel (Mt 10,5-8). Andererseits werden schon hier die drei Grundsätze des semitischen Botenrechts sichtbar: Delegation, Bevollmächtigung und Repräsentation. Der Bote ist wie der Sendende (mBer 5,5). Die paarweise ausgesandten Jünger wirken wie der Meister, in seinem Auftrag und mit seiner Macht (Mt 10,40—42); in Lk 6,13; 22,14; 24,10; Mk 6,30; Mt 10,2 werden sie als ,Apostel' bezeichnet. An -» Ostern wurde ihre -»Berufung wiederholt, und zwar dadurch, daß der Auferstandene ihnen
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Mission III
sichtbar erschien (I Kor 1 5 , 5 - 8 ; Gal 1,15 f; I Kor 9,1 f; vgl. Jes 6,1.8; Mt 28,19f; Joh 20.21-23; 21,4-17). 2.3. Daß Jesu Sendung auf das Volk Israel begrenzt war (Mt 10,6; 15,24), bestätigt auch Paulus (Rom 15,8). Die Begegnung mit dem Centurio in Kapernaum (Mt 8 , 5 - 1 3 par.) und mit der syrophönizischen Frau (Mk 7 , 2 4 - 3 0 par.) bildet keine Ausnahme von dieser Regel, sondern bestätigt sie; denn diese beiden Nichtjuden stellten sich durch ihren vorbildlichen Glauben selbst in das Heilsvolk Israel hinein (Mt 8,10; 15,28), so wie der Samaritaner im Gleichnis durch seine barmherzige Tat einem Juden zum -»Nächsten wurde (Lk 10,36). Gottes universaler Heilswille wird jedoch im warnenden Wort Jesu, Heiden könnten zusammen mit oder anstelle von Israel am Tisch der Gottesherrschaft sitzen (Mt 8,11 f; vgl. Lk 13,28f; 1 1 , 3 0 - 3 2 ) , angedeutet, ebenfalls im Gleichnis vom Großen Gastmahl, nach dem der Knecht auch an die Wege und Zäune geschickt wird und dort heidnische Gäste einlädt (Lk 14,23). Nach Darstellung der Evangelien hoffte Jesus, das für die Gottesherrschaft gewonnene Volk Israel könne zum Salz der Erde, Licht der Welt und zur Stadt auf dem Berge werden (Mt 5,13 f): Wie der endzeitlich wunderbar erhöhte Berg Zion die Völker anziehen und zum Recht Gottes führen wird (Jes 2,2 f), so sollte Israel durch eine sammelnde Verkündigung und durch gute Werke die Menschen in aller Welt zum Gotteslob bewegen (Mt 5,16). Der -»Tempel in -»Jerusalem wird dann wirklich ein Bethaus für alle Völker sein (Mk 11,17 nach Jes 56,7). Vorbereitet wurde die Bildung des neuen Gottesvolkes aus Juden und Heiden durch den Dienst Jesu an den Außenseitern, ferner durch seine Nichtbeachtung der trennenden Speisevorschriften (Mk 7,15.18f; Lk 10,8). Das Grundrecht der Gottesherrschaft liegt vor der Tora Moses (—»Gesetz) und der rabbinischen Reinheitshalacha in der für alle gerechten Ordnung der sehr guten -»Schöpfung (Mk 10,6); es kulminiert im doppelten Liebesgebot (Mk 1 2 , 2 8 - 3 2 ) . Die Erwartungen hinsichtlich einer missionarischen Rolle Israels wurden so nicht erfüllt. Deshalb wird Jesus den Dienst des Gottesknechts von Jes 53 übernommen und durch sein Selbstopfer „für die Vielen" (inkludierend = alle Menschen) das Heil der Sündenvergebung und den neuen Bund ermöglicht haben (Mk 10,45; vgl. Joh 3,16; Mk 14.22—24; Lk 24,46f). Diesem für den Messias-Menschensohn ungewöhnlichen Dienst entsprach als Antwort eine umfassende und rasch durchzuführende Verkündigung (Mk 13,10; Lk 2 4 , 4 7 - 4 9 ) . Der universal geltende Missionsbefehl des Auferweckten (Mt 28,19f; vgl. Mk 16,15f; Lk 24,47) steht durchaus im Einklang mit dem Wollen des irdischen Jesus und mit dem durch die -»Auferweckung/Erhöhung von Gott heraufgeführten endzeitlichen Kairos (vgl. Jes 5 2 , 1 3 - 5 3 , 1 ; Lk 24,46f). 3. Die Durchführung
der Mission
unter Juden
und
Heiden
3.1. Das ,Missionsbuch' der Apostelgeschichte ist die wichtigste Quelle für die Anfänge der apostolischen Mission. Nach ihr sollte das Christuszeugnis Judäa, Samaria und das römische Reich bis zu den Enden der Erde (d. h. Spanien) erreichen. Jerusalem, nicht Galiläa, bildete den Ausgangspunkt; denn es war die Stadt, in welcher der -»Messias inthronisiert werden und residieren sollte, ferner der Ort, dem die Verheißung einer die Völker anziehenden und somit missionarisch wirkenden Existenz galt (Jes 2,2 f). Der in Jerusalem versammelte Kreis der neu berufenen und mit dem heiligen Geist begabten -»Apostel (Act 1,4.13 f; 2 , 1 - 4 7 ) wahrte die Kontinuität hinsichtlich der -»Lehre (2,42; vgl. Gal 2,2) und der Lebensgemeinschaft mit dem Meister (1,21 f; 2,42.46f). Er hielt sich ferner an die kultische und rituelle Tradition des Judentums (vgl. Act 10,14); mit Rücksicht auf die besondere —»Heiligkeit Jerusalems war dies durchaus verständlich (vgl. CD 1 1 , 1 8 - 2 0 ; 12,1 f; Act 2 1 , 2 0 - 2 6 : Paulus). Der fromme, den Tempel respektierende Lebenswandel der Gemeinde verschaffte ihr bei der jüdischen Bevölkerung ein besonderes Ansehen (Act 2,46f); von daher ist es verständlich, daß sie später nicht das Schicksal der aus Jerusalem vertriebenen Hellenisten teilte (vgl. 9,31). Andererseits provozierte das entschiedene Christuszeugnis der Jünger gelegentlich das Einschreiten der
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Mission III
jüdischen Obrigkeit und eine nachfolgende Bestrafung, in einzelnen Fällen sogar das -»Martyrium (Act 3 - 5 ; 12,1 f; Josephus, Ant 2 0 , 2 0 0 - 2 0 3 ) . Die Bindung der Zwölf an Jerusalem (Lk 24,49; Act 1,4) darf man sich aber nicht allzu starr vorstellen (Act 8,25; vgl. Gal 1,18f; I Thess 2,14). Wie Paulus waren sie durch die Ostervision zu Aposteln Jesu Christi berufen worden und als solche - im Unterschied zum zeitlich befristeten und rechtlichen Anordnungen geltenden Auftrag eines rabbinischen Boten (säli a h) - dazu erwählt, die Heilsbotschaft in der Kraft Gottes (Gal 2,8) auf Lebenszeit und im ökumenischen Maßstab auszurichten, bis zur Wiederkunft des Herrn (Mk 13,10; Act 1,8). Das von Schrift und Geist erhellte Christuszeugnis war als solches eine missionarische Botschaft (vgl. Lk 2 4 , 4 5 - 4 8 ; Rom 1 , 1 - 5 ) . Das -•Kreuz des Messias wurde ja von Jes 53 her als ein „für uns" geschehenes Heilsereignis und darum als Evangelium Gottes verkündigt (ÄKOY\ = besorta = evayyehov, vgl. Tg. Jes 53,1: Act 4 , 1 0 - 1 2 ; 1 0 , 3 9 - 4 3 ; I Kor 1 5 , 1 - 5 ; Rom 4,25; Lk 24,46f): Jesus war der „heilige Gottesknecht/sohn" (Act 4,30). Der missionarische Dienst der Apostel ließ sich als Fortsetzung und Erfüllung der Sendung der —»Propheten verstehen, durch die Gott das Evangelium von seinem Sohn hatte vorausverkündigen lassen (Act 10,43; 17,2f; vgl. Rom 1,2). Auch -»David galt als Prophet (Act 2,30), der aufgrund von II Sam 7 , 1 2 - 1 4 die Auferstehung und Inthronisation seines messianischen ,Sohnes' vorausschauen konnte (Ps 2; 16; 110, in Act 2,25—35; 13,33—37). 3.2. Auch die Missionierung der Heiden (—»Heidentum) ging von Jerusalem aus. Sie wurde vor allem von den aus der Stadt vertriebenen „Hellenisten", d. i. den -»Griechisch sprechenden, gläubig gewordenen Diasporajuden um Stephanus, begonnen und in steigendem Maße durchgeführt (Act 8,4; l l , 1 9 f ) ; dabei konnten vor allem die der Synagoge nahe stehenden „Gottesfürchtigen" das Evangelium verstehen und glauben (16,14; 17,17). Anders als die zunächst eher konservativen „Hebräer", d.i. die —»Aramäisch sprechenden Judenchristen, knüpften die Hellenisten an kritische Punkte in Lehre und Wirken Jesu an, z.B. an das radikal verstandene Liebesgebot und an die ohne Rücksicht auf rituelle Reinheit erfolgte Zuwendung zu den Außenseitern. Das beweist ihre Missionstätigkeit in —»Samaria (Act 8 , 5 - 2 4 ) , in Damaskus (vgl. 9,2), Galiläa (9,31), entlang der phönizischen Küste bis hinauf nach —»Antiochien (11,19-21), schließlich auf Cypern und in der Cyrenaika (11,20). Die Hellenisten verlangten von den gläubig gewordenen Heiden nicht die Beschneidung (vgl. Gal 2,3). Auch übten sie Kritik an der Hochschätzung des Tempels und am Opferkult, der durch das Selbstopfer des Messias überholt war (vgl. Act 6,13 f; 7,41—50). Gerade von ihnen wurde die soteriologische Bedeutung von -»Kreuz und —»Auferstehung mit Hilfe von Jes 53 verkündigt (Act 8 , 3 2 - 3 5 ) , dazu Christus als Retter vor dem —»Gericht (vgl. I Thess 1,9f); deshalb wurde das Heil an den -»Glauben gebunden (vgl. Jes 53,1) und nicht an die Erfüllung des Gesetzes. Der Sühnetod des messianischen Gottesknechts verpflichtete zur Verkündigung von Gottes rettender Macht und gerechtmachender Gerechtigkeit (Lk 24,46f; Jes 53,1.11). Die Botschaft vom Sühnetod des gekreuzigten Christus wurde jedoch - gerade auch von der Priesterschaft in der heiligen Stadt — als Angriff gegen die beiden Säulen der jüdischen Frömmigkeit verstanden, nämlich den Toragehorsam und den Tempelkult. Das führte - wie im Prozeß Jesu - zur Anklage wegen Blasphemie (Act 6,11.13), zur Steinigung des Stephanus ( 7 , 5 4 - 6 0 ) und zur Vertreibung der Hellenisten aus Jerusalem ( 8 , 1 - 3 ) . In Antiochien, wo die Hellenisten eine Gemeinde gründeten, wurden die Jünger Jesu erstmals als „Christen" (Xpiaxiavoi) bezeichnet (Act 11,26); sicherlich geschah dies auch in der Absicht, sie vom Judentum abzugrenzen und vom Synagogengottesdienst auszuschließen, an dem die an Christus glaubenden Juden weiterhin teilnehmen wollten. Auch vom apostolischen „Leitungsgremium" in Jerusalem wurde je länger je mehr die Mission unter den Heiden befürwortet (vgl. Gal 1,18—24; 2,9). Allerdings war dort der Status der gewonnenen Heiden und deren Verhältnis zu den Judenchristen umkämpft: Mußten sie nicht auch wie diese beschnitten sein, um die Väterverheißung durch Christus wirklich ererben zu können? Und war nicht das Einhalten der Speisevorschriften und
M i s s i o n III
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Reinheitsgebote die Voraussetzung dafür, daß man am -»Gottesdienst teilnehmen und Mahlgemeinschaft mit den Judenchristen haben könnte? Dies wurde von den judäischen Christen pharisäischer und wohl auch essenischer Herkunft energisch bejaht (Act 15,1.5; vgl. Gal 2,12), aber vom „Apostelkonzil" im Sinne des Paulus abschlägig beschieden (15,12.19). 3.3. Aufschlußreich für die Missionstheologie der Jerusalemer Apostel sind die von Lukas gestalteten Reden des -»Petrus und des -> Jakobus auf dem „Apostelkonzil" (Act 1 5 , 7 - 1 1 . 1 3 - 2 1 ) ; ihr Tenor steht im Einklang mit der in Gal 2 , 2 - 9 berichteten Übereinkunft zwischen Paulus und den Jerusalemer „Säulen". In diesen Reden wird festgestellt, daß Gott selbst die Heidenmission von Urzeit an beschlossen, sie nun eröffnet habe und in Händen halte (Act 15,14.16-19). Als Schlüssel für diese Erkenntnis wird die dem Petrus zuteil gewordene Vision von den „unreinen" Tieren und die Geistbegabung der Heiden im Haus des Cornelius (Act 1 0 , 1 0 - 1 6 . 2 8 . 4 4 - 4 6 ; 1 1 , 5 - 1 0 . 1 5 - 1 7 ) , ferner das Zeugnis der Schrift ins Feld geführt (15,8.15-17). Die Vision des Petrus beinhaltet, daß Gott in der messianischen Zeit den schon von Jesus geltend gemachten Maßstab des „Anfangs der Schöpfung" angewandt haben will: Die Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Geschöpfen ist nicht ursprünglich, weil damals „alles sehr gut war" (Act 10,15; 11,9; vgl. Gen 1,31). Deshalb macht Gott in der Endzeit keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden: Beide werden aufgrund des Glaubens durch den Geist gereinigt (Act 15,9). Die unerwartete Geistausgießung auf die Heiden bei Cornelius (10,44 - 4 6 ; 1 1 , 1 5 - 1 7 ) gilt als Beweis für diese Unvoreingenommenheit und gnädige Zuwendung Gottes, der die Herzen kennt (15,8) und durch eine endzeitliche Geisttaufe reinigt (15,9; vgl. 1 QS 4, 2 0 - 2 2 ) . Daß Gott von jeher beschlossen hat, die Völker zum Heil zu führen, wird auch von den Propheten bezeugt. In der Jakobusrede wird Am 9,11 zitiert (Act 15,16—18) und so verstanden: G o t t wendet sich seinem Volk wieder zu (V. 16) und vollzieht jetzt, was er von Ewigkeit her erkannt und vorhergesehen hat (V. 17 f): Er baut die zerfallene Hütte Davids wieder auf und festigt sie so, daß sie für immer steht (V. 16 Schluß). M i t dieser „Hütte D a v i d s " ist das lebendige Heiligtum der christlichen Gemeinde in Jerusalem gemeint (vgl. die Auslegung von Am 9,11 in 4 Q Florilegium 1,6f). Sie wird — wie ähnlich in Jes 2,2 f vom wunderbar erhöhten Zion verheißen ist — gleichsam Stadt auf dem Berge und Licht für die Welt sein. Denn auch die nichtjüdischen Völker, die zum Heil bestimmt sind, werden den „ H e r r n " , d . i . Christus, suchen (V. 17; vgl. Jes 11,10; 5 5 , 5 f ; Sach 2,15). Die jetzt von Jerusalem ausgehende Verkündigung des Evangeliums bis an das Ende der Erde (Act 1,8) schließt demnach eine zentripetale Bewegung der Völkerwallfahrt zum Zion nicht aus. Sie ist vielmehr deren Voraussetzung, weil Gott durch das Evangelium von Christus sein endzeitliches Heiligtum auf dem Zion erbaut. Diese von G o t t längst vorhergesehene Vereinigung von Juden und Heiden erfolgt aufgrund des Christusgeschehens: „Durch die Gnade des Herrn Jesus glauben wir, gerettet zu werden auf die gleiche Weise wie j e n e " (Act 15,11); heilsnotwendig ist deshalb " d a s Wort des Evangeliums" (15,7). Vom Menschen wird der Glaube erwartet (15,11), also nicht der Gesetzesgehorsam; durch die G a b e des Geistes werden wir geheiligt (15,8 f), also nicht durch das Halten ritueller Gebote. Diese müssen aufgehoben werden, wo sie als Scheidewand trennend wirken (vgl. Eph 2,14); sie sind ein J o c h , das auch der Jude nicht tragen kann (V. 10).
Die Beschneidungsforderung wurde auf dem „Apostelkonzil" nach Act 15 nicht diskutiert; sie war mit der Ablehnung des Gesetzesgehorsams erledigt. Paulus konnte deshalb in Gal 2,6 sagen, die führenden Männer Jerusalems hätten ihm keinerlei Auflagen gemacht. Dieser Versicherung scheint das nur in Act begegnende „Aposteldekret" zu widersprechen. Nach ihm haben die Heidenchristen sich vom Götzendienst, der Unzucht, von Ersticktem und von Blut fernzuhalten; mit „Ersticktem" ist Fleisch, das noch sein Blut in sich hat (vgl. Gen 9,4), gemeint, mit „Blut" das Vergießen von Menschenblut (vgl. Gen 9,6); diese Verbote werden in Act 15,20.29; 21,25 in jeweils verschiedener Abfolge angeführt. Das „Aposteldekret" entspricht sowohl den -» „Noachitischen Geboten" des Judentums, die von den „Gottesfürchtigen" beachtet werden sollen, als auch der von Jesus und Paulus aufgerichteten Schöpfungsordnung, die der zweiten Tafel des Dekalogs (Rom 13,9) und dem „Gesetz Christi" (Gal 6,2), d.i. dem Liebesgebot, gleich-
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Mission III
kommt. Die Nichtbeachtung dieser Gebote hat auch in der Gemeinde von Korinth zu Problemen geführt (vgl. I Kor 5 - 9 ) . 4. Die Heidenmission
des Apostels
Paulus: Verlauf,
Umfang und
Eigenart
4.1. Paulus, der „Apostel der Heiden" (Rom 11,13), hatte den Auftrag, das Evangelium bei den Heiden zu verkündigen, schon bei seiner —»Berufung erhalten (Gal 1,15 f; vgl. 2,8; Act 22,21; 26,17f); dennoch trat er bei seinen Reisen zunächst in den Synagogen auf, um den Juden als ersten das Evangelium anzubieten (vgl. Rom. 1,16). Erst nach dem „Apostelkonzil" hat er die Missionierung der Heiden selbständig und auf weiten Reisen durchgeführt. Aber schon während seines dreijährigen Aufenthalts in Arabien (Gal 1,17 f) und danach in Damaskus (Gal 1,17; vgl. II Kor 11,32 f) hat er wohl gepredigt (Act 9,22) und von —»Antiochien aus 14 Jahre zusammen mit Barnabas in —»Syrien und Kilikien gewirkt (Gal 1,21—23). In diese Zeit fällt wohl auch die in Act 13,2-14,28 geschilderte erste Missionsreise nach Cypern, Pisidien und Lykaonien. Nach dem „Apostelkonzil", zu dem Paulus und Barnabas von Antiochien delegiert wurden (Act 15,2; 47/48 n. Chr.), trennte sich Paulus von Barnabas (15,37-41) und wirkte von da an selbst mit ausgewählten Gehilfen. Eine zweite Reise zusammen mit Silas führte ihn in weitere Provinzen —» Kleinasiens, ferner nach Mazedonien und Achaja (Act 15,40-18,22); dabei hielt er sich in Thessalonich ( 1 7 , 1 - 9 ) und vor allem in Korinth (18,11) längere Zeit auf. Zentrum seiner dritten Reise (18,23-21,17) war Ephesus, wo er drei Jahre lang blieb (19,1—40). Während dieser ganzen Zeit (49—57 n. Chr.) verfolgte Paulus das Ziel, die Ökumene zu missionieren, d. h. das Evangelium über Illyrien hinaus (Rom 15,19) von - » R o m aus bis nach —»Spanien zu bringen (Rom 15,23f.28). 4.2. Diese universale Missionsarbeit war die Fortsetzung des Wirkens Jesu, welcher „der Beschneidung gedient hat" (Rom 15,8), und Ausführung der Weisung des Auferstandenen, für ihn Zeuge zu sein bis ans Ende der Erde (Act 1,8). Ihren theologischen Grund hatte diese Verkündigung im Evangelium selbst, das Paulus vor allem mit Hilfe von Jes 5 2 , 1 3 - 5 3 , 1 2 als „Wort vom Kreuz" (I Kor 1,18) und als „Wort von der Versöhnung" (II Kor 5,19) ausgestaltet hatte: So wie er durch die Christusvision vor Damaskus Jesus auf eine neue Weise erkannt hatte, nämlich als den um unseretwillen von Gott Verfluchten und zur Sünde Gemachten (II Kor 5,16.21; Gal 3,13 nach Dtn 21,22 f; Jes 53,4 f. 11 f), so lernte er nun auch jeden Menschen anders verstehen, nämlich als einen, für den Christus gestorben ist (II Kor 5,15f). Paulus hat seine Missionsstrategie an Jes 52,15 (LXX) orientiert (Rom 15,21), dazu an seinem Berufungserlebnis: Gerade weil sein Apostelamt reine Gnade war, verpflichtete es ihn dazu, allen Menschen das Evangelium zu verkündigen (Rom 1 , 5 . 1 4 - 1 7 ; vgl. 10,18 nach Ps 18,5 L X X ) . Auch das paulinische Verständnis von Christologie und Ekklesiologie impliziert eine Juden und Heiden geltende Mission. Der Apostel sah in Christus den endzeitlichen -»Adam und Vater einer neuen Menschheit, die von den Folgen des Sündenfalls erlöst ist (Rom 5 , 1 2 - 2 1 ; I Kor 15,21 f). Und die -»Kirche ist als „Leib Christi" aus diesem endzeitlichen Adam erbaut, so wie Gott Eva aus dem ersten Adam erbaut hatte (vgl. II Kor 11,2 f; Eph 5 , 2 5 - 3 3 ; Gen 2,22f). Es gibt deshalb „in Christus" keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden (Gal 3,28); der Verkündiger des Evangeliums ist das Werkzeug, das Gott für den Bau der Kirche und die Erlösung der Schöpfung gebraucht. Schließlich bestimmte die Ausschau auf die baldige Ankunft des Herrn (vgl. I Kor 4,5; 16,22) und auf die Aufrichtung seiner Herrschaft auf Erden (I Kor 15,25-27) den ökumenischen Umfang und die rasche Durchführung der Mission; sie mußte vor Gottes Gericht verantwortet werden (I Kor 3 , 1 2 - 1 5 ; 4 , 3 - 5 ) . Juden und Heiden sollten vereinigt werden zum Lobpreis Gottes (Rom 1 5 , 9 - 1 7 ) . 4.3. Gerade von der Durchführung der Heidenmission und dem Gewinn der von Gott bestimmten „Vollzahl" von Glaubenden war für Paulus die Kettung -»Israels abhängig, die dem Apostel besonders am Herzen lag (Rom 11,25f; vgl. 9 , 2 - 5 ) . Wegen
Mission III
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des Gnadenerweises Gottes in Christus und der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sah Paulus in der Behinderung der Verkündigung, wie sie von jüdischer Seite erfolgte, ein schwerwiegendes Vergehen (I Thess 2,14.16). Der Unglaube eines Großteils der Israeliten, die so lange auf das Kommen des -»Messias gewartet hatten, war für den Apostel eine große Anfechtung (Rom 9 , 1 - 5 ; 10,1 f. 16). Dennoch blieb er bei der festen Überzeugung, daß Gott sein Volk nicht verstoßen habe (Rom 11,1) und an -»Bund und —•Verheißung festhalten werde (vgl. 9,4—6); die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unwiderruflich (11,29). Diese G e w i ß h e i t w a r nicht n u r auf d a s Z e u g n i s der -»Schrift, sondern auch auf den eigenen Weg des Apostels gegründet; er selbst w a r als Angehöriger des Volkes Israel Beispiel und Beweis f ü r dessen endzeitliche R e t t u n g (Rom 1 1 , l f ) . D e n n wie G o t t den ehemaligen Eiferer u m das Gesetz u n d u m die eigene - » G e r e c h t i g k e i t b e k e h r t u n d z u m Apostel der H e i d e n berufen hat, so wird g a n z Israel z u m - » G l a u b e n an C h r i s t u s g e f ü h r t w e r d e n . Paulus erhoffte w o h l eine Erleuchtung Israels bei der E p i p h a n i e des w i e d e r k o m m e n d e n H e r r n u n d Retters aus Z i o n (Rom 11,25—27). Die Verstockung der J u d e n wird n u r eine Weile w ä h r e n (11,25; vgl. T g . Jes 6,10.13). Sie ist von G o t t beabsichtigt und b e w i r k t ( R o m 11,7f n a c h D t n 29,3; Jes 6,9f), g e h ö r t in seinen Plan und h a t einen tieferen, heilbringenden Sinn: D a s Evangelium, d a s zuerst den J u d e n verkündigt u n d von diesen abgewiesen w i r d , läuft zu den H e i d e n weiter und gereicht diesen z u m Heil (11,11 f). Wenn die von G o t t festgelegte Vollzahl g l a u b e n d e r H e i d e n erreicht sein w i r d , erfolgt die Parusie des Christus und die R e t t u n g Israels (11,26). Paulus bezeichnet diese als „Leben aus den T o t e n " (11,15); der dabei g e m a c h t e Analogieschluß vom gegenwärtigen „ p a s s i v e n " Dienst der verstockten J u d e n zur z u k ü n f t i g e n Rolle des geretteten Israel bedeutet, d a ß der Apostel eine E r n e u e r u n g der B e r u f u n g und die A u s h ä n d i g u n g der G n a d e n g a b e n (11,29) e r w a r t e t : Das bekehrte Israel wird den noch verbliebenen Rest der H e i d e n s o w o h l d u r c h eine vorbildliche Existenz im Sinne von Jes 2,2 f eifersüchtig m a c h e n als auch d u r c h M i s s i o n i e r u n g gewinnen (Jes 49,6; 56,6f), da sich G o t t aller M e n s c h e n e r b a r m e n will (11,32).
4.4. Was die Eigenart der Mission des Paulus betrifft, so fällt auf, daß er vor allem in den Hauptstädten der römischen Provinzen Gemeinden gegründet hat. Wie Jesus war er ein Wanderprediger, hat aber auch Standortmission getrieben, d. h. das Hinterland von Städten wie Korinth und Ephesus durch Mitarbeiter erschlossen. Aber er sah in der Gemeinde von Jerusalem stets die Mutterkirche (vgl. Gal 2,2); eine von den Heidenchristen erbetene Kollekte war als materieller Dienst und Dank für die von Jerusalem empfangenen geistlichen Gaben gedacht (Gal 2,10; Rom 15,25-27). Für diesen Dienst der Verkündigung stand ein T e a m von „ M i t a r b e i t e r n und Mitstreitern" (Phil 2,25) zur Verfügung. Paulus selbst w a r ja lange Z e i t der Begleiter des B a r n a b a s gewesen (Act 1 3 - 1 4 ) . Später n e n n t er Silas (15,40), T i m o t h e u s (I T h e s s 3,2; I Kor 16,10f; Phil 2,19) u n d T i t u s (II Kor 8,6; 12,18) als engere M i t a r b e i t e r ; auch Prisca und Aquila (Rom 16,3; Act 18,2) und Apollos (I Kor 3,6; 16,12) hatten ihm geholfen. Einen weiteren Kreis solcher M i t a r b e i t e r h a t t e der Apostel vor allem w ä h r e n d seiner Z e i t in Ephesus (z.B. E p a p h r o d i t u s , Phil 2 , 2 5 - 3 0 ) . Dabei galt auch hier der G r u n d s a t z der Delegation: Diese „ M i t a r b e i t e r G o t t e s " u n d Verkündiger des Evangeliums w a r e n wie Jesus und Paulus selbst „ D i e n e r " (vgl. I Kor 3,5,9; R o m 1,1; 15,8).
Zwischen Botschaft und Boten gab es eine existentielle Entsprechung. Paulus war sich dessen bewußt, daß das „Wort vom —»Kreuz" für die Juden ein Anstoß war (I Kor 1,23), zumal es auch vom Gesetz widerlegt schien (Dtn 21,23; Gal 3,13). Und für die Griechen mußte es eine Torheit sein, daß die Kraft und —»Weisheit Gottes durch den schimpflichen Kreuzestod eines Juden geschichtlich geoffenbart worden sein sollten (I Kor 1,22-25). Aber Paulus hat die paradoxe Wahrheit, das Wort vom Kreuz erweise sich für den Glaubenden als rettende Gotteskraft (I Kor 1,18.24; vgl. Rom 1,16 und Jes 53,1), am eigenen Leibe erfahren. Denn in der Schwachheit des Apostels kam die Kraft des Herrn zum Ziel (II Kor 12,9; vgl. Phil 4,13), d.h. in Krankheit (II Kor 12,7), in Verfolgung und Drangsal (12,10), darüber hinaus in der - menschlich geurteilt - eher armseligen Gemeinde von Korinth (I Kor 1 , 2 6 - 2 9 ; vgl. aber 1 , 4 - 7 ) . Paulus hat zwar mehr gearbeitet als seine Mitapostel, aber anders als diese wollte er auf eine Versorgung durch die Gemeinden verzichten (I Kor 9 , 4 - 1 8 ) . Dem Evangelium von der Gnade Gottes entspricht die umsonst gegebene Verkündigung (I Kor 9,18; Mt
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Mission III
10,8), desgleichen das Sich-Anpassen des Verkündigers an seine Hörer, seien es gesetzesgebundene Juden oder gesetzesfreie Heiden (I Kor 9,19—22). Paulus setzte sich im Dienst für das Evangelium großen Strapazen und auch harter Bestrafung aus (II Kor 4 , 8 - 1 8 ; 1 1 , 2 3 - 2 7 ) . Er suchte die Gemeinschaft mit Christi -»Leiden, wollte seinem Tode gleichgestaltet werden (Phil 3,10f). Denn der Bote der -»Versöhnung, des -»Friedens mit Gott, bittet an Christi Statt (II Kor 5,20). Der Apostel konnte die von ihm gegründeten Gemeinden einem „Brief Christi" vergleichen, der ihn den Menschen empfiehlt (II Kor 3 , 1 - 3 ) , und auch einem -»Opfer, das er als Diener Christi Gott darbringt (Rom 15,16). Auch hat er sich als Trankopfer bezeichnet, das beim —»Gottesdienst des Glaubens ausgegossen wird (Phil 2,17). Der missionarische Zeuge für Christus mußte mit dem —»Martyrium rechnen, da den Römern die Botschaft vom Kreuz des Christus als gemeingefährlicher Aberglaube galt (Sueton, Nero 16; Tacitus, ann. XV,44). 5. Die nachpaulinische
Zeit
In den nachpaulinischen Schriften wird die ökumenisch ausgerichtete Mission wie selbstverständlich vorausgesetzt; jedoch bleiben ihre Träger — wie etwa bei der Gründung der römischen Gemeinde - meist anonym. -»Apostel und auch -»Propheten erschienen in den Gemeinden; ihre Botschaft und Lauterkeit waren bisweilen fragwürdig (Did 1 1 , 1 - 1 3 , 1 ) . Offensichtlich galt die ganze Existenz der Christen als Zeugnis, wobei — von der Wortverkündigung abgesehen - das beispielhafte Leben der Gemeinde missionarisch wirkte (vgl. Eph 4,25; Phil 2,15 f; Did 10,5f; I Clem 6,1; Barn 3 , 3 f ; Diog 5 , 1 - 6 , 1 0 ) . Die universale Reichweite des Evangeliums lag darin begründet, daß Christus als Retter der Welt galt (Joh 4,42), und zwar als Mittler des zeitlichen Lebens für alle Menschen (Kol 1,16; Joh 1,3.9) und als Geber des ewigen Lebens für die Glaubenden (Kol 2 , 1 3 - 1 5 ; J o h 3,16; I Joh 4,14; Diog 7 , 2 - 4 ) . Das -»Heil, die Befreiung von der Herrschaft der Weltmächte (Kol 2,20) bzw. des -»Teufels (Joh 12,31 f; I Joh 2,14), wird durch den Glauben an das Wort der Zeugen gewonnen (Joh 1,7.12; 14,31; 17,23). Deshalb sind die Jünger des irdischen Jesus Apostel (Joh 13,16) und Zeugen (Joh 15,26f), die auch zu „ M ä r t y r e r n " (—»Martyrium) werden können (vgl. Apk 3 , 1 0 - 1 2 ; 6 , 9 - 1 1 ; I Clem 5; Diogn 7 , 7 - 9 ) . Jeder Mensch sollte ein Zeuge für den -»Logos als Licht der Welt sein, so wie -»Johannes der Täufer, der in der heilsgeschichtlichen Skizze des Johannesprologs an der Stelle —»Adams steht ( 1 , 6 - 8 ) . Der missionarische Dreischritt von Act 1,8 wird schon im Wirken des irdischen Jesus sichtbar, der sich nicht etwa nur in Galiläa, sondern auch in -»Jerusalem (Joh 2 , 1 2 - 2 2 ; 5,1; 7,3 f; 11,55), -»Samaria ( 4 , 4 - 4 2 ) und vor Hellenisten offenbart (12,20 ff; vgl. 4,36; 10,16). Die von der Mission erreichten Gebiete werden eher summarisch angegeben (Jak 1,1; I Petr 1,1; I Clem 5); eine maßgebende Rolle spielte je länger je mehr die Stadt - » R o m . Literatur Günther Baumbach, Die Mission im MtEv: T h L Z 92 (1967) 8 8 9 - 8 9 3 . - François Bovon, Pratiques missionaires et communication de l'Evangile dans le christianisme primitif: RThPh 114 (1982) 3 6 9 - 3 8 1 . - Ders., Israel, die Kirche u. die Völker im lk. Doppelwerk: T h L Z 108 (1983) 4 0 3 - 4 1 4 . - Norbert Brox, Zur christl. Mission in der Spätantike: K. Kertelge (Hg.), Mission, s.u., 190—237. — Christoph Burchard, Formen der Vermittlung christl. Glaubens im NT. Beobachtungen anhand v. Krjpuypa, papxopia u. verwandten Wörtern: EvTh 38 (1978) 3 1 3 - 3 5 7 . - Ders., Jesus f. die Welt. Über das Verhältnis v. Reich Gottes u. Mission: Fides pro mundi vita. Missionstheol. heute. FS H.-W. Gensichen, 1980 (MWF 14), 1 3 - 2 7 . - Gerhard Dautzenberg, Der Wandel der Reich-Gottes-Verkündigung in der urchristl. Mission: ders./H. Merklein/K. Müller (Hg.), Zur Gesch. des Urchristentums, 1979 (QD 87), 1 1 - 3 2 . - Edward Earle Ellis, Paul and his Co-Workers: NTS 17 (1970/71) 4 3 7 - 4 5 2 . - Ferdinand Hahn, Das Verständnis der Mission im NT, 1963 2 1965 (WMANT 13). — Ders., Der Sendungsauftrag des Auferstandenen. Mt 28,16—20: Fides pro mundi vita, s.o. Burchard, 2 8 - 4 3 . - Adolf v. Harnack, Die Mission u. Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jh., Leipzig 1915 *1924. — Ders., Die christl. Missionare. Apostel, Propheten u. Lehrer als Einheit: K. Kertelge (Hg.), Das kirchl. Amt im NT, 1977 (WdF 439), 3 0 - 4 4 . - Martin
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Mission IV
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IV. Alte Kirche 1. Vorkonstantinische Zeit 1.1. Allgemeine Gegebenheiten des J u d e n t u m s 1.3. Der Weg in die heidnische Gesellschaft religion 2.1. Die Christianisierung des öffentlichen Lebens kirchen Literatur (S. 35) 1. Vorkonstantinische 1.1.
Allgemeine
1.2. Die Ausbreitung auf Kosten 2. D a s Christentum als Staats2.2. Die Anfänge der National-
Zeit
Gegebenheiten.
D a s C h r i s t e n t u m ist a u s e i n e r p r o p h e t i s c h e n
Buß-
b e w e g u n g i m U m k r e i s - » J o h a n n e s d e s T ä u f e r s h e r v o r g e g a n g e n u n d h a t in d e n e r s t e n J a h r h u n d e r t e n die i n t e n s i v s t e A u s b r e i t u n g s e i n e r G e s c h i c h t e e r f a h r e n . Seit d e r W e n d e u n t e r K a i s e r - » K o n s t a n t i n ist es z u r I n s t i t u t i o n g e w o r d e n , die d a s g e s a m t e p o l i t i s c h e , g e i s t i g e u n d r e l i g i ö s e L e b e n d e r a n t i k e n W e l t b e s t i m m t e . W e i t v e r b r e i t e t ist d i e A n s i c h t A d o l f v o n - » H a r n a c k s , d a ß die A u f g a b e d e r - » B e s c h n e i d u n g a l s A u s d r u c k
nationaler
Bindung an das J u d e n t u m , d . h . der Schritt von der Juden- zur Heidenmission zur Zeit der Apostel gleichbedeutend mit d e m W e g zur Welt- bzw. Universalreligion w a r . Schauplatz der Mission und Ausbreitung w a r zunächst das römische Weltreich
(Imperium
R o m a n u m ) . D i e Einheit des R e c h t e s und der V e r w a l t u n g , der Kultur und der S p r a c h e s o w i e der rege H a n d e l und Verkehr begünstigten die rasche A u s b r e i t u n g des Christent u m s in d e r m e d i t e r r a n e n W e l t . U m g e k e h r t h a b e n d i e a l t e n A n s c h a u u n g e n , d a ß d a s r ö m i s c h e R e i c h d e n g a n z e n E r d k r e i s d a r s t e l l e u n d d a ß die f r e m d e n V ö l k e r , d i e m a n als B a r b a r e n bezeichnete, m i n d e r e n W e r t e s seien, n i c h t r ö m i s c h e s G e b i e t lange Z e i t nicht in d a s B l i c k f e l d d e r c h r i s t l i c h e n M i s s i o n t r e t e n l a s s e n ( f r ü h e A u s n a h m e n v o r d e r k o n s t a n t i n i s c h e n W e n d e a u f g r u n d b e s o n d e r e r G e g e b e n h e i t e n : —»Syrien, — » A r m e n i e n ; n e b e n Harnack, Mission
4
1 9 2 4 , B. Körting, R A C 2, 1 9 5 4 , 1 1 3 8 - 1 1 5 9 , mit neuerer Lit.: F . v . d .
M e e r - C h r . M o h r m a n n , Bildatlas der frühchristl. Welt, 1959). Die beiden
unterschied-
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liehen Formen des christlichen Ausbreitungsprozesses sind schon in der Apostelgeschichte des Lukas zutreffend beschrieben. Im Nahbereich entstanden durch Missionierung des näheren Umkreises regionale Ballungszentren (—»Palästina, -»Kleinasien, vgl. Andresen 17ff.l 16ff). Im Fernbereich erreichte die Botschaft, kaum beeinträchtigt durch die geographisch weiten Distanzen, rasch die Knotenpunkte des spätantiken Reiseverkehrs (zunächst —»Antiochien, -»Rom, die Zentren in Nordafrika [—»Afrika; —»Karthago] und -»Spanien). Für die Anfänge lassen sich drei missionsgeschichtlich kontrastreiche Phasen benennen: a) Zu den Merkmalen der Jesusbewegung, die sich zunächst in den ländlichen Gebieten Palästinas sammelte und dann in die Stadt zog, gehörte nicht nur der eschatologische Ruf zur Buße und Umkehr, sondern auch das Pathos der Familien-, Besitzund Heimatlosigkeit (Wanderradikalismus), b) Entscheidend für die weltweite Verbreitung der Jesusbotschaft war dann die programmatische Initiative der apostolischen Zeit im Blick auf die Heidenmission, allen voran das Werk des Apostels -»Paulus, der mit seinen Missionsreisen auch die mannigfaltigen Aktivitäten anderer Persönlichkeiten wie etwa Apollos, Barnabas, Timotheus und kleiner Reisegruppen repräsentiert. Seine Aufforderung, jeder bleibe in dem Stand, in den Lebenszügen, in denen ihn der Ruf des Herrn erreicht habe (I Kor 7,21 f), entsprach den Urbanen Gegebenheiten und ist für die Mission im Zeitalter der -»Apostel ebenso kennzeichnend wie die zahlreichen prophetischen Ankündigungen und selbstbewußten Feststellungen, daß das Evangelium an jedem Ort bis an die Grenzen des Erdkreises bekannt gemacht (I Thess 1,8), in der ganzen Welt gegenwärtig und aller Kreatur unter dem Himmel gepredigt worden sei (Kol. 1,6.23). c) Das Erlöschen des Apostolats, der Übergang von der zweiten zur dritten Generation, das Ende der Jerusalemer —»Urgemeinde und ihrer judenchristlichen Autorität markieren wiederum eine tiefgreifende Veränderung. Missionsgeschichtliches Merkmal der nachapostolischen Zeit ist die rückschauende Würdigung der weltweiten Initiativen der Apostel. Sie werden wie eine persönliche Vervielfältigung Christi aufgefaßt, in deren missionarischem Werk der Jesuskonflikt fortgeschrieben ist. Nicht der bleibende Auftrag wird paränetisch reflektiert, sondern der Erfolg der apostolischen Sendung in alle Welt gemäß dem Missionsbefehl (Mt 28,19f vgl. 24,14, Mk 13,10). Die Aufteilung der Ökumene in Missionsgebiete der einzelnen Apostel geht zunächst auf Sextus Julius Africanus (ca. 200) zurück. Später hat Origenes sie in seinem verlorenen Genesiskommentar referiert, und endlich hat Euseb (hist. eccl. III 1) gegen Ende des 3. Jh. für die Verbreitung und Überlieferung dieser Anschauung Sorge getragen (Ursula Maiburg, Und bis an die Grenzen der Erde... Die Ausbreitung des Christentums in den Länderlisten und deren Verwendung in Antike und Christentum: JAC 26 [1983] 3 8 - 5 3 ) . In dieser missionsgeschichtlichen Konzeption ist der weltweit umfassende Anspruch der Anfangszeit bewahrt. (Zur Klerikalisierung des Apostelbildes vgl. Andresen 136, auch zur diasporalen Zwölfstämmetheorie.) Doch die Praxis ist längst andere Wege gegangen. Weder die missionarischen Strategien noch das Instrumentarium der „äußeren" Mission im 19. und 20. Jh. lassen sich in der Anfangszeit wiederfinden. Für die vorkonstantinische Zeit wird —»Gregor dem Wundertäter zumindest von der hagiographischen Überlieferung eine Missionskampagne zugeschrieben. Im Westen begegnet eine solche Missionstätigkeit erst bei —»Martin von Tours. Bis ins 5. Jh. gab es keinen berufsmäßigen Missionar, keine Missionsschulen, keine planvollen Strategien (vgl. bes. die Arbeiten von Holl, v. Soden, Kretschmar, Molland etc., alle nachgedruckt in KGMG I), und doch erfuhr die Kirche eine ungemein rasche weltweite Ausbreitung. Adolf v. Harnack formulierte den Befund positiv: „Die Kirche wirkt durch ihr bloßes Dasein missionierend", durch ihre heiligen Besitztümer und Ordnungen (Mission 526). 1.2. Die Ausbreitung auf Kosten des Judentums. Mit der Überschreitung der Grenzen Palästinas reihte sich das Christentum ein in den Zug der orientalischen Religionen, die, wie das —»Judentum selbst, seit Generationen in den Westen der Mittelmeerwelt
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gedrungen waren, und trat mit ihnen in Wettbewerb. Gegenüber allen anderen konkurrierenden Religionen hatte das Christentum dabei den Vorteil, daß es die Wege der jüdischen Werbetätigkeit und Expansion überall nachgehen konnte (zu den sozialen Gegebenheiten der altkirchlichen Mission vgl. Gülzow K G M G I,189ff). Für das 1. und 2. Jh. läßt sich an allen Schwerpunkten christlicher Mission, im Osten wie im Westen, eine Synagoge nachweisen. In der Spannung zwischen Angleichung und Selbstbehauptung in einer fremden Kultur, in einer neuen Sprachwelt und Lebensform, war das Judentum der Diaspora dem Christentum den Weg vorausgegangen und hatte z.T. auf Grund der vom Mutterland unterschiedenen Glaubenserfahrungen bereits zu Neuerungen gefunden, von denen die christliche Mission noch stärker als das Judentum selbst profitierte. Die wichtigsten Faktoren sind: a) Die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische, die sog. Septuaginta (s. T R E 6,163ff), die als Schriftgrundlage diente und zum Bibeltext der Christen wurde, b) die —»Synagoge als gottesdienstlicher Versammlungsort und zugleich gesellschaftlich als Zentrum kultureller und religiöser Lebensgemeinschaft, als Ort auch der religiösen Unterweisung der Jugend und all derer, die die Beschneidung begehrten oder auch nur Anschluß an das Judentum suchten, c) der mit der Synagoge verbundene opferlose, reine Wortgottesdienst mit Gebet, Hymnengesang, Schriftlesung und Auslegung. Überall in den Städten stieß die christliche Mission auf bereits formierte religiöse Gemeinden, deren katechetische Anweisungen und liturgische Formulare ohne große Veränderungen angeeignet werden konnten, auf Gemeinden, die an regelmäßigen Gottesdienstbesuch ebenso gewöhnt waren wie an die Kontrolle ihres privaten Lebens durch die Gemeinschaft und ihre Repräsentanten (vgl. Harnack, Mission; Hengel, Hellenisierung 7ff; Gülzow 114). Das Christentum hat zunächst überall in den der Synagoge nahestehenden Kreisen Aufnahme gefunden. Insofern war sein Weg in die heidnische Gesellschaft gegenüber allen anderen Kulten begünstigt; die Erfolge der Mission, besonders im Umkreis der sog. Gottesfürchtigen, die dem jüdischen Gottesdienst zugetan waren, ohne Vollmitglieder der jüdischen Gemeinden zu werden, verschärften aber auch den Konflikt mit den Synagogen. Auf die Trennung von Kirche und Synagoge folgte im 2. Jh. die Trennung von Christentum und Judentum überhaupt. Das Hervortreten aus dem Judentum eröffnete nicht nur die Möglichkeit, den Weg der jüdischen Ausbreitung nachzugehen, sondern kennzeichnete auch die Gestalt und die Besonderheit des Christentums, seinen Ort im Gefüge der antiken Gesellschaft. Selbst geprägt durch das religiöse Erbe, die soziale Struktur der Familiengebundenheit, des Gemeindeverbandes, der Verfassung und der Organisation des Judentums, unterschied auch das Christentum sich grundsätzlich in allen sozialen Belangen zunächst von der religiösen Umwelt. 1.3. Der Weg in die heidnische Gesellschaft. Weder der Familienkult noch der Staatskult bestimmten in dem Zeitalter, in dem das Christentum seinen Weg in die antike Welt nahm, das religiöse Leben. Es waren vielmehr die individuellen Bedürfnissen weit mehr entsprechenden mannigfaltigen Kulte, in denen die Menschen außerhalb der herkömmlichen gesellschaftlich und politisch festgelegten Übungen ihren besonderen Anliegen nachgingen. Die eigentlichen Entscheidungen fielen im Privatleben der großstädtischen Gesellschaft. Dabei gingen die wichtigsten Impulse für die Verbreitung des Christentums von dem Entscheidungscharakter der Botschaft Jesu aus. Die Bereitschaft, im praktischen Leben für den christlichen Glauben einzutreten, durch die eigene Lebensführung und das Christusbekenntnis bis in den Tod Zeugnis abzulegen, blieb in den ersten Jahrhunderten nicht nur das wichtigste Kriterium der Rechtgläubigkeit, sondern war auch für die Mission von entscheidender Bedeutung. Die Stoßkraft der kirchlichen Mission lag in der Weitergabe der Botschaft von Mund zu Mund, in der Einheit von Wort und Tat, in dem das Leben auch in den alltäglichen Bezügen einfordernden, totalen Anspruch der Botschaft Jesu. Bis um die Mitte des 3. Jh. bringen die Christenprozesse
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a n s Licht d e r Ö f f e n t l i c h k e i t , w a s in alltäglichen Konflikten seinen A n f a n g g e n o m m e n h a t t e . Die B e d e u t u n g d e r M a r t y r i e n (—»Martyrium) f ü r die A u s b r e i t u n g d e r Kirche form u l i e r t e - > T e r t u l l i a n : „ N u r zahlreicher w e r d e n wir, so o f t w i r von euch n i e d e r g e m ä h t w e r d e n : ein S a m e ist d a s Blut d e r C h r i s t e n " (Tertullian, a p o l . 50,13). Allerdings k o n n t e A u ß e n s t e h e n d e n christliche M a r t y r i u m s b e r e i t s c h a f t a u c h als v e r b o h r t e r F a n a t i s m u s erscheinen. Jede geistige B e w e g u n g m u ß t e in der A n t i k e als P h i l o s o p h i e a u f t r e t e n , w e n n sie das B i l d u n g s b ü r g e r t u m a n s p r e c h e n wollte. Für die C h r i s t e n k o m m t den A p o l o g e t e n (—»Apologetik) d a s Verdienst zu, d a ß sie diese A u f g a b e w a h r g e n o m m e n h a b e n . D o c h d e n missionarischen I m p u l s ihrer literarischen B e m ü h u n g e n w i r d m a n nicht ü b e r s c h ä t z e n d ü r fen. A n d e r s als die schichtspezifisch a u s g e r i c h t e t e n a n t i k e n Religionen u m f a ß t e christliche M i s s i o n d a s g e s a m t e soziale S p e k t r u m . S a m m l u n g u n d A b g r e n z u n g g e g e n ü b e r d e r a n t i k e n G e s e l l s c h a f t sind d a s auffälligste M e r k m a l d e r a l t k i r c h l i c h e n M i s s i o n im nachapostolischen Zeitalter. Die Weite der christlichen M i s s i o n e r f a ß t d e r Versuch R a m s a y M a c M u l l e n s , zwei T y p e n der H i n w e n d u n g z u m C h r i s t e n t u m festzustellen. D a n a c h h ä t t e d a s C h r i s t e n t u m sich f ü r die G e b i l d e t e n als die w a h r e P h i l o s o p h i e a n g e b o t e n , die d e n G l a u b e n an d e n einen u n s i c h t b a r e n G o t t mit der Predigt von einem z o r n i g e n u n d s t r a f e n d e n G o t t verb u n d e n h a b e . F ü r die w e n i g e r G e b i l d e t e n h ä t t e die V o r b i l d f u n k t i o n der M ä r t y r e r , deren Sterben als K r i t e r i u m der W a h r h e i t christlicher Lehre diente, a u s s c h l a g g e b e n d e Bedeut u n g g e h a b t . So hilfreich diese s c h e m a t i s c h e Sicht a u c h sein m a g , so w e n i g v e r m a g sie die u n e r h ö r t e D y n a m i k christlicher M i s s i o n u n d A u s b r e i t u n g zu e r f a s s e n . Es wird a u c h angesichts der Q u c l l e n z c u g n i s s c s a c h g e m ä ß e r sein, von d e r alle Schichten u m f a s s e n d e n christlichen M i s s i o n zu s p r e c h e n . Sicher nicht zu u n t e r s c h ä t z e n ist d a b e i a u c h die Ans p r e c h b a r k e i t von F r a u e n u n d ihre Rolle als M u l t i p l i k a t o r e n . 2. Das Christentum
als
Staatsreligion
2.1. Die Christianisierung des öffentlichen Lebens. N a c h den - » C h r i s t e n v e r f o l g u n g e n erlangte die Kirche im 4. J h . z u n ä c h s t T o l e r a n z ( V e r e i n b a r u n g von M a i l a n d 313). Die H i n w e n d u n g des Kaisers —»Konstantin z u m C h r i s t e n t u m leitete einen u m f a s s e n d e n politischen P r o z e ß d e r C h r i s t i a n i s i e r u n g des g e s a m t e n ö f f e n t l i c h e n Lebens, d e r geistigen u n d politischen Kultur ein, in dessen Verlauf die bislang so d e u t l i c h e n G r e n z e n z w i s c h e n C h r i s t e n t u m u n d h e i d n i s c h e r G e s e l l s c h a f t , Kirche u n d Welt i m m e r m e h r v e r w i s c h t e n u n d schließlich g a n z a u f g e h o b e n w a r e n . Staatliche H o h e i t s a u f g a b e n w u r d e n d e r K i r c h e ü b e r t r a g e n u n d kirchliche Belange, wie die B e k ä m p f u n g d e r H ä r e s i e n u n d A u f g a b e n der M i s s i o n , w u r d e n a u c h v o m Staat w a h r g e n o m m e n . D a z u g e h ö r t e i n s b e s o n d e r e die Z u r ü c k d r ä n g u n g der alten Religion. K o n s t a n t i n selbst h a t t e sich im a l l g e m e i n e n n o c h a n sein T o l e r a n z v e r s p r e c h e n g e h a l t e n , d a s er beim A m t s a n t r i t t zur G e s a m t h e r r s c h a f t gegeben h a t t e . D o c h s c h o n u n t e r seinen S ö h n e n , b e s o n d e r s u n t e r d e r A l l e i n h e r r s c h a f t des K o n s t a n t i u s , w i r d ein s t a a t l i c h e r D r u c k z u g u n s t e n des C h r i s t e n t u m s i m m e r m e r k licher. In zahlreichen K a i s e r k o n s t i t u t i o n e n b e k ä m p f t d e r S t a a t die alte Religion. Es w e r d e n O p f e r v e r b o t e a u s g e s p r o c h e n u n d schließlich a u c h d a s Betreten d e r T e m p e l ü b e r h a u p t u n t e r Strafe gestellt. Die s t a a t l i c h e n M a ß n a h m e n gegen H e i d e n , H ä r e t i k e r u n d J u d e n h a t t e n zahlreiche u n v o l l k o m m e n e B e k e h r u n g e n zur Folge. M a n verblieb im —»Kat e c h u m e n a t , o h n e d a ß es z u m T a u f b e g e h r e n k a m . U n t e r —»Theodosius d. G r . w u r d e die A l l e i n b e r e c h t i g u n g des C h r i s t e n t u m s in letzter K o n s e q u e n z f e s t g e s c h r i e b e n . —»Augustin e r k a n n t e , d a ß in dieser S i t u a t i o n die i n n e r k i r c h l i c h e N a c h a r b e i t vor k a u m l ö s b a r e P r o b l e m e gestellt w u r d e . Er f o r d e r t e weiter eine eindringliche U n t e r w e i s u n g des T a u f b e w e r b e r s als V o r a u s s e t z u n g w i r k l i c h e n Ü b e r t r i t t s . D a s r ö m i s c h e Reich sei v o n G o t t z u m m o r a l i s c h e n Erzieher a n d e r e r V ö l k e r b e s t i m m t (Augustin, de civ. Dei 5, 13). Die A u f g a b e n in d e r H e i d e n m i s s i o n hielt er f ü r w e i t g e h e n d a b g e s c h l o s s e n , eine system a t i s c h e D a r s t e l l u n g h a t er ihnen nicht g e w i d m e t . Seine v e r s t r e u t e n s i t u a t i o n s b e d i n g t e n Aussagen blieben so m i ß v e r s t ä n d l i c h u n d w u r d e n in d e r Folgezeit a u s i h r e m K o n t e x t
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gelöst und zur Legitimation von Gewaltmaßnahmen mißbraucht. Die altkirchliche Einrichtung des Katechumenats verkümmerte, damit einher ging eine merkliche Reduktion des unbedingt vor der —»Taufe mitzuteilenden Lehrbestandes. Für die Zeit von Kaiser Konstantin bis zum Tod —»Justinians (565) lassen sich vier Formen missionarischer Initiativen unterscheiden (vgl. Frend K G M G I, Der Verlauf der Mission in der Alten Kirche bis zum 7. J h . 38ff mit Beispielen): a) Solche Missionen, die unmittelbar vom Kaiser veranlaßt werden und bei denen religiöse und politische Ziele eng verbunden sind, b) Missionen, die unter bischöflicher Kontrolle organisiert werden, teilweise mit dem Ziel, aufsässige Bewohner innerhalb oder an den Grenzen zu befrieden, c) Bekehrungen durch einzelne in der Folge zufälliger sozialer Beziehungen, wobei Berichte über Bekehrungen durch christliche Gefangene wohl eher legendärer Art sind, und d) die wirkungsvollste aller Missionen, die Bekehrung einzelner und ganzer Gemeinschaften durch Mönche und Asketen. Dem Mönchtum verdankt die Kirche die Verbreitung der christlichen Botschaft vor allem in den ländlichen Gebieten, aber auch die endgültige Überschreitung der Reichsgrenzen. 2.2. Die Anfänge der Nationalkirchen. Während mit dem Staatskirchentum die Welt in die Kirche hineinströmte, zogen sich einzelne von der Welt und der verweltlichten Kirche an den Rand der Zivilisation zurück und erreichten dabei bisher noch nicht angesprochene Teile der Bevölkerung, bes. auch auf dem Lande. Seit der konstantinischen Wende breitete sich die mönchische Bewegung ( - > M ö n c h t u m ) rasch in Ägypten, Syrien und später auch in Kleinasien aus. Ihr Merkmal ist die Rückbesinnung auf das radikale Pathos der Jesusbewegung, das besonders im syrisch-palästinensischen Raum von Charismatikern durchgehalten wurde und Kennzeichen der besonderen missionarischen Tradition dieser Region ist. Von hier aus ist es schon sehr früh zu grenzüberschreitenden Aktivitäten gekommen. So hat das Christentum in der ostsyrischcn Osrhoëne mit der Hauptstadt —»Edessa schon sehr frühzeitig Fuß gefaßt. Kennzeichnend für die Mission im Zeitalter der Reichskirche und insbesondere für die monastische Bewegung ist dann, daß sie durchweg aus dem Bereich der kulturellen Einheit herausführte. Dazu gehörten jetzt auch die Anstrengungen, überall die Grenzen der Landessprachen zu überwinden. Es entstanden nationale Kirchen, die durch staatlichen Druck aus dem Reichsverband herausgedrängt wurden (—»Armenien, —»Georgien, —»Jakobitische Kirchen, —»Koptische Kirche, —»Syrien, —»Äthiopien, -»Nubien). Ausgewirkt hat sich in dem ganzen Prozeß die konfessionelle Aufspaltung der Christenheit nach den Konzilien von —»Nicaea (325), -»Ephesus (431) und —»Chalcedon (451) sowie die Nationalisierung dieser Konfessionen. Literatur Carl Andresen, Die Kirchen der alten Christenheit, 1971 ( R M 29, 1.2). - Norbert B r o x , Die christl. Mission in der Spätantike: T h J b ( L ) 1987, 3 8 9 - 4 2 1 . - Hans v. Campenhausen, Die Idee des Martyriums in der alten Kirche, Göttingen 2 1964. - Robin Lane F o x , Pagans and Christians, Harmondsworth 1986. - Heinzgünter Frohnes (Hg.), KG als Missionsgeschichte, I Die Alte Kirche, München 1974 (mit einschlägigen Aufs. u. vorzüglicher Bibliogr.). - Henneke Gülzow, Soziale Gegebenheiten der Trennung v. Kirche u. Synagoge u. die Anfänge des christl. Antijudaismus: Herbert Frohnhofen (Hg.), Christlicher Antijudaismus und jüdischer Antipaganismus. Ihre Motive u. Hintergründe in den ersten drei Jahrhunderten, Hamburg 1990 (Hamburger T h e o l . Stud. 3) 9 5 - 1 2 0 . - Adolf v. Harnack, Die Mission u. Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 4 1924 (grundlegend). - Holger Hammerich, Die Mission der Alten Kirche. Versuch einer aktuellen Anwendung: Mission vor der Haustür der Volkskirche. Bischof D. Karlheinz Stoll zum 60. Geburtstag v. Klaus Blaschke, Kiel 1 9 8 7 , 3 1 - 3 7 . - Helmut Köster/James M . Robinson, Trajectories through Early Christianity, Philadelphia 1971; dt.: Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen 1971. - Kenneth Scott Latourette, A History of the Expansion of Christianity. I T h e first five Centuries, New York/Leiden 1937. - Ramsay M a c M u l l e n , T w o types of Conversion to early Christianity: V C 37 (1983) 174—177. — Ders., Christianizing the R o m a n Empire, New Häven/London 1984. — Rudolf Pesch, Voraussetzungen u. Anfänge der urchristl. Mission: T h J b ( L ) 1987, 3 3 2 - 3 7 3 . - Hervé Savon, La théorie de la mission dans le christianisme des premiers siècles: P H C h r 17 (1987) 3 3 - 5 0 . - Knut Schäferdiek, Zur Frage früher christl. Einwirkungen auf den westgerm. R a u m : Z K G 98 (1987) 149—166. — Ders., Art. Germanenmission:
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R A C 10 (1978) 5 4 2 - 5 4 6 . - Ders., Art. Arianische G e r m a n e n m i s s i o n : T R E 12 (1984) 5 0 6 - 5 1 0 . - Luise Schottroff/Wolfgang Stegemann, Jesus v. Nazareth - Hoffnung der A r m e n , Stuttgart 1978. - Gerd T h e i ß e n , Soziologie der Jesusbewegung, M ü n c h e n 1977. - Peter T h r a m s , Christianisierung des R ö m e r r e i c h s u. heidnischer W i d e r s t a n d , Heidelberg 1991. - J o s e p h Vogt, Kulturwelt u. B a r baren, 1967 ( A A W L M . G 1 9 6 7 / 1 ) . - Salo W i t t m a y e r B a r o n , A Social and Religious History o f the J e w s , I, 1.2., N e w Y o r k / L o n d o n / P h i l a d e l p h i a 2 1 9 5 2 .
Henneke Gülzow/Eckhard Reichert V. Mittelalter 1. Allgemeine Gegebenheiten 2. Die Mission der abendländischen Christenheit 3. Die byzantinische Mission 4. Die nestorianische Mission 5. Judenmission 6. Mission unter Muslimen (Literatur S. 39)
1. Allgemeine
Gegebenheiten
Im Mittelalter vollzogen sich Mission und Ausbreitung des Christentums unter gegenüber den antiken Gegebenheiten veränderten Rahmenbedingungen. Dies gilt in religiöser, geistiger, kultureller, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und geographischer Hinsicht. Weit griff das Christentum über die Grenzen der antiken Mittelmeerwelt hinaus. Am Ende des Mittelalters eröffnete der weltmissionarische Impuls der Bettelorden neue Horizonte. Mission im Mittelalter richtete sich vorrangig an g e n t e s , Heidenvölker, nicht an einzelne, doch baute die Missionstätigeit auf den Erfolgen, aber auch auf den Erfahrungen des Scheiterns auf, die in der alten Kirche gewonnen worden waren. Anders als in der alten Kirche kam es zu missionstheoretischen Ansätzen, zu reflektierter Anwendung von Missionsmethoden, zur Aufstellung von Missionsprogrammen, zur Ausbildung von Missionaren. Doch blieb das Zeugnis der Missionare in Leben und Wort Ausgangspunkt der Evangelisierung. Negative und positive Missionsarbeit, Entpaganisierung und Christianisierung ergänzten einander. Zunächst mochte es genügen, Menschen für die Taufe zu gewinnen, doch blieb es oft bei der nur äußeren Eingliederung in die Kirche, so daß sich noch über Generationen immer neu die Aufgabe stellte, die Erstverkündigung durch ständige Verkündigung und tiefere Aneignung des Evangeliums im Leben der Christen zu ergänzen, denn die geforderte Veränderung der Lebensgewohnheiten war erheblich. Wer sich an den neuen Werten orientieren wollte, brauchte Hilfe. Nächstenliebe und Seelsorge mußten glaubhaft werden; der christliche Glaube mußte nicht nur im Wort verkündigt, sondern in der Tat gelebt und gefestigt werden. Dies brachte Rückwirkungen auf die Kirche mit sich. Insbesondere die kulturabhängigen christologischen Modelle erfuhren manche Modifikation. Die Auseinandersetzung mit vorchristlicher Religion und Frömmigkeit, das Verhältnis von Universalreligion und Gentilreligion machte in noch schärferer Form als in der alten Kirche die Spannung zwischen einheimischen Traditionen, christlichen Glaubensvorstellungen und missionarischem Anpassungswillen deutlich und stellte scharf die Frage, wie weit Akkomodation gehen könne und dürfe. Zudem bedingten die jeweiligen politischen Verhältnisse unterschiedliche Möglichkeiten der Entpaganisierung und innerkirchlicher Sanktionen. Neben Wortund Tatmission sind auch Zwang, indirekte Nötigung und Heidenkrieg als Motive von Bekehrungen zu nennen. Mission, kirchliche Erfassung eines Gebietes und innerkirchliche Nacharbeit griffen ineinander, doch blieben auch Missionshemmnisse in den traditionellen Widerstandsgebieten bestehen. 2. Die Mission
der abendländischen
Christenheit
Im abendländischen Mittelalter traten keltische, germanische und slawische Kulturen das Erbe der vorchristlichen und christlichen Antike an und sagten unter neuen Verstehensbedingungen aus, wie Christus die Antwort auf ihre Frage nach ihrem Heil und dem Sinn ihres Daseins war. In der Mission scheint das Problem von objektiver Of-
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fenbarung, objektivem Heilsgeschehen und deren subjektiver Aneignung auf. Abendländisches Christentum im Mittelalter ist Kirche, nicht vorrangig individuelle Frömmigkeit. Mission, politische und kirchliche Erfassung eines Gebietes gehen zusammen. Träger der Mission im Mittelalter sind Einzelpersönlichkeiten, das M ö n c h t u m und der Laienapostolat. Ihre Adressaten sind Kelten, Germanen, Slawen, Awaren, Ungarn. Die Mission ist eng verknüpft mit dem Geltendmachen von Machtansprüchen christlicher Herrscher und Expansionsbestrebungen christlicher Herrschaft. Religiöse und machtpolitische Interessen auf dänischer, polnischer und sächsischer Seite führten im Hochmittelalter auch zu einer missionspolitischen Anwendung der Kreuzzugsidee (—• Kreuzzüge), so in dem allerdings fast erfolglosen Vorgehen sächsischer Fürsten gegen die elbslawischen Stämme der Obotriten und Liutizen im sog. Wendenkreuzzug (1147), vor allem aber in der baltischen Mission (—»Baltikum; —»Preußen). Vornehmlich —»Franziskaner und —»Dominikaner missionierten seit dem 13. Jh. im Vorderen und Hinteren Orient. Eine Zeit regen kulturellen Austausches und offener Handelswege während der Mongolenherrschaft begünstigte diese Bemühungen. Der eintretende Wechsel in den politischen Verhältnissen ließ jedoch die fernöstliche Franziskanermission, die ohnehin kaum mehr als die mongolische Herrschaftsschicht erreicht hatte, scheitern (s. T R E 7, 749 f). 3. Die byzantinische
Mission
Der byzantinische Kaiser vereinigte in sich religiöse und politische Ämter; die von der byzantinischen Kirche ausgehenden Missionsbemühungen sind nahezu sämtlich mit politischen Motiven eng verknüpft, was religiöse Überzeugung als treibende Kraft keineswegs ausschließt. Die Mission wandte sich an alle N a c h b a r n des byzantinischen Reiches, Heiden, Nestorianer, Juden, Muslime, aber auch an Nichtchristen innerhalb der Reichsgrenzen. Sie w u r d e als Teil der Auseinandersetzung des christlichen Hellenismus mit Heiden und Barbaren begriffen und setzte sich als vornehmstes Ziel, die angesprochenen Völker in die byzantinische Kulturwelt einzugliedern. Ein Sonderproblem ergab sich dort, wo es plötzlich eine größere Anzahl von Heiden innerhalb des Reiches gab, so bei der Slawisierung der Peloponnes. 4. Die nestorianische
Mission
Die Mission der —»nestorianischen Kirche richtete sich auf einen ausgedehnten und vielgestaltigen geographischen R a u m , insbesondere auf Indien sowie Zentral- und Ostasien. Nestorianische Missionare folgten den Handelswegen, doch stießen ihre Bemühungen auf bemerkenswerte Schwierigkeiten. Überall trafen sie auf die Missionskonkurrenz anderer Religionen, vornehmlich des Judentums und des -»Buddhismus, später des -»Islam. Christen blieben in diesem R a u m stets eine Minderheit. Staatliche Unterstützung konnten sie nie in dem M a ß e wie im Westen nutzen. Die Probleme, eine kirchliche Organisation aufzubauen, waren auch deshalb groß, weil sich die verschiedensten Menschen zum Christentum bekannten und in den unterschiedlichsten Gemeinschaftsformen lebten. Nomadisierende Stämme waren zum Christentum bekehrt worden, M ö n che lebten in der Abgeschiedenheit ihrer Klöster, in städtischen Zentren standen Christen in engerer Verbindung mit der Welt. Formen der Kirchenverfassung, des zwischengemeindlichen Verkehrs, des übergemeindlichen Austausches mußten den besonderen Gegebenheiten angepaßt werden. Die Entfernung zum Katholikos-Patriarchen in Bagdad erschwerte Mission und Gemeindeaufbau. Z w a r fanden Synoden statt, die als Mittel überregionaler Z u s a m m e n o r d n u n g die Struktur der Kirche sichern und ebenso das Verhältnis von Gesamtkirche und (Orts-)Gemeinden ordnen sollten und sich Fragen des Kirchenrechtes und des Gemeindelebens stellten. Doch ließen sich Beschlüsse schon angesichts der geographischen Weite des R a u m e s nur bedingt umsetzen. Dennoch errang die nestorianische Kirche bedeutende Missionserfolge und kann als die Missionskirche des Mittelalters bezeichnet werden.
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Mission V 5.
Judenmission
Seit der Spätantike bestimmte die Diasporasituation das Leben der Juden. Die theologische Deutung dieser Lage hatte für die christliche Judenmission wegweisende Bedeutung. Die Auffassung des frühen und hohen Mittelalters prägten Äußerungen Augustins, der aus apologetischem Interesse im Diasporaschicksal der Juden eine heilsgeschichtliche Notwendigkeit gesehen hatte. Schon im Alten Testament habe Gott den Juden ihre Zerstreuung angekündigt. Töten dürfe man die Juden wegen ihrer Schuld am Tode Jesu nicht, sie seien dafür durch ihre Zerstreuung gestraft. Ihr Dasein als gefährdete, ungeliebte Minderheit am Rande der Gesellschaft erschien gottgewollt. Die Zerstreuung des Judentums unter alle Völker erweise, daß das neue Gottesvolk erwählt sei. In merowingischer Zeit beschränkte sich der Missionseifer der Bischöfe darauf, ganz im Sinne Augustins Juden durch Überzeugungsarbeit zur Annahme des christlichen Glaubens zu bewegen. Die christliche religiöse Öffentlichkeit blieb zunächst ruhig, wurde aber bei einem auslcisenden Ereignis durchaus aktiv. Die dadurch aufgepeitschte Stimmung der christlichen Bevölkerung richtete sich gegen die Synagoge. Beschwichtigend suchte die Geistlichkeit auf die Menge einzuwirken, doch ergriff sie die Gelegenheit, den Juden vor Augen zu führen, daß ihre Lage unhaltbar sei, und verstärkte den moralischen Druck zur Taufe. Jetzt erst konnte man es wagen, die Juden vor die Alternative Taufe oder Ausweisung zu stellen. Direkter Zwang und indirekte Nötigung brachten einen äußerlichen Erfolg. Wo indes Judenschutz und Judenprivilegien vorlagen, gab es keine äußeren Gründe, das Christentum anzunehmen. Augustin hatte mit seiner Anschauung vom Status der Juden die Wahrheit des Christentums erweisen wollen; im hohen Mittelalter wurde seine Lehre unter veränderten Bedingungen pervertiert, die ursprünglich religiös gemeinte Dienerschaft in eine rechtliche Knechtschaft umgedeutet. Die völlige Fremdbestimmung jüdischer Existenz war die Folge. Lockangebote, indirekte Nötigung und Zwangstaufen kamen vor. Während zur Zeit der Kreuzzüge der Druck auf die Juden besonders groß war, blieb eine Bekehrung in ruhigeren Zeiten die Ausnahme. 6. Mission
unter
Muslimen
Die geistige Auseinandersetzung mit dem aufkommenden —»Islam hatten die morgenländischen Kirchen und die byzantinische Christenheit aufgenommen, zunächst mit dem Ziel, die Christen in den eroberten Gebieten in ihrem Glauben zu stärken und ihnen theologische Argumente gegen die Lehren des Islam zu liefern. Noch zur Zeit der —»Kreuzzüge entwickelte sich daraus eine Missionsbewegung, die es sich zur Aufgabe machte, die Muslime (und Juden) in Spanien und im Vorderen Orient zum Christentum zu bekehren. Petrus Venerabiiis (ca. 1 0 9 4 - 1 1 5 6 ) wandte sich gegen den Kreuzzugsgedanken und vertrat die Ansicht, man müsse dem Islam nicht mit den Waffen des Schwertes, sondern mit denen des Geistes und der Liebe begegnen. Sein Anliegen griffen die im 13. J h . entstandenen Bettelorden auf. Ihre Bemühungen blieben praktisch erfolglos, bedeuteten aber für die Kenntnis des Islam im Abendland einen wesentlichen Fortschritt. —»Franciscus von Assisi führte 1219 ein Religionsgespräch mit dem ägyptischen Sultan al-Malik al-Kamil ( 1 2 1 8 - 3 8 ) , Wilhelm von Rubroek (1215/20 - ca. 1270) 1254 eines mit dem zukünftigen Mongolenherrscher Kublai Khan ( 1 2 6 0 - 1 2 9 4 ) . Das Studium des Arabischen wurde intensiv betrieben. Raymund von Pennaforte (gest. 1275) wußte um die Bedeutung der Sprachen für die Mission; er errichtete in Valencia ein Studium Arabicum. Eine Fülle von Missionsschriften entstand. Die wohl wichtigsten missionstheoretischen Ansätze entfalteten —»Thomas von Aquin und Wilhelm von Tripolis. T h o m a s von Aquin stellte sich den Anfragen seiner missionierenden Brüder, worauf bei der Bekehrung von Muslimen besonders zu achten sei, in seiner Schrift De rationibus fidei contra Saracenos, Graecos et Armenos ad cantorem Antiochenum. Wilhelm, selbst als
39
Mission V
Missionar in Palästina tätig, versuchte 1273 in einer Schrift De statu Saracenorum et de Mahomete pseudopropheta eorum et eorum lege et fide weitgehende Übereinstimmungen zwischen Christentum und Islam zu betonen, auf Grund derer Muslime leichter zum Christentum gebracht werden könnten. Ricoldus de Monte Croce (gest. 1320) und —»Nikolaus von Kues suchten den Koran zu sichten und zu widerlegen. Die nachhaltige geistige Auseinandersetzung schloß militärische Bemühungen nicht aus; die Rückeroberung (Reconquista) des von den Mauren besetzten Spanien dauerte bis in das 15. J h . ¡Jteratur Zu
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Lulle D o c t e u r des M i s s i o n s ,
O d u l p h u s van der Vat, Die A n f ä n g e der F r a n z i s k a n e r m i s s i o n e n
w i c k l u n g im n a h e n O r i e n t w ä h r e n d des 13. J h . , Werl
II
EMM 1951
u. ihre W e i t e r e n t -
1934.
Henneke Gülzow/Eckhard Reichert
40
Mission VI VI. Von der Reformationszeit bis zur Gegenwart
1. Grundzüge der neuzeitlichen Missionsgeschichte 2. Die erste Phase der neuzeitlichen M i s sionsgeschichte 2.1. Territoriales Christentum 2 . 2 . Spanische Kolonialmission 2.3. M i s s i o n und portugiesische E x p a n s i o n 2.4. R o m und die Aufsicht über die überseeische Kirche 2 . 5 . Früher Protestantismus und Mission 3. Die zweite Phase der neuzeitlichen Missionsgeschichte 3 . 1 . Voraussetzungen und Anfänge 3.2. Christentum und „ Z i v i l i s a t i o n " 3 . 3 . Mission und Kirchen 3 . 4 . Internationalisierung der Mission und Ö k u m e n i s c h e Bewegung 3.5. Auswirkungen der Missionsbewegung (Quellen/Bibliographien/Literatur S. 5 5 ) .
1. Grundzüge der neuzeitlichen
Missionsgeschichte
In der neuzeitlichen Geschichte der westlichen Mission lassen sich zwei Phasen unterscheiden. Deren erste begann mit der überseeischen Expansion Spaniens und Portugals. Sie war von ihren Anfängen her katholisch, und ihre Dynamik verlor sich mit dem Bedeutungsverlust der iberischen M ä c h t e und lief ungeachtet einzelner von Frankreich ausgehender Anstöße im 18. J h . aus. Zu einer protestantischen Beteiligung kam es in dieser missionsgeschichtlichen Phase erst im 17. und 18. J h . , und sie erreichte nie die Stärke und Bedeutung des katholischen Ausgreifens. Ihre vornehmliche institutionelle Ausformung fand sie in den aus portugiesischer Hand übernommenen niederländischen Kolonien, und ihre bedeutendsten Unternehmungen wurden von einer Handvoll amerikanischer Puritaner, von der —»Brüderunität sowie einer kleinen Schar deutscher Pietisten in —»Indien (—»Dänisch-hallische Mission; B. —>Ziegenbalg) getragen. Die zweite Phase nahm im späten 18. J h . ihren Ausgang bei nachhaltig von der - > E r weckung bestimmten protestantischen Kreisen. Dabei fand die Mission jetzt ihre hauptsächliche Stütze in freiwilligen, nicht in die offiziellen kirchlichen Ordnungen eingebundenen Vereinigungen. Sie gerieten zwar zunächst unter den Verdacht möglicher Aushöhlung der staatlichen und kirchlichen Ordnung, fanden dann aber im protestantischen R a u m im allgemeinen Anerkennung und führten auch eine Wiederbelebung katholischer Missionstätigkeit herauf. Ungeachtet der Beteiligung aller west- und mitteleuropäischen Nationen stellte im 19. J h . doch Großbritannien unter den protestantischen und Frankreich unter den katholischen Mächten das größte Missionspotential. Im frühen 20. J h . ging dann auf protestantischer Seite die führende Stellung auf Nordamerika über. Der amerikanische Einfluß förderte zudem die Entwicklung von Organisations- und Kommunikationsformen zur Stärkung der internationalen und interkonfessionellen Beziehungen der Missionsbewegung und bestimmte die Gestaltung der neuzeitlichen ökumenischen Bewegung. Ihren Höhepunkt erreichte die westliche Missionsbewegung im Zeitalter des —»Imperialismus zwischen der Zeit um 1880 und dem Ersten Weltkrieg. D a n a c h führten der Krieg, die anschließende Wirtschaftskrise und eine um sich greifende Entchristlichung in Europa zu einem Rückgang der europäischen Missionstätigkeit, dem in Afrika eine Entfaltung einheimischer Missionsanstöße gegenübertrat. Die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Entkolonisierung zog einen beschleunigten Rückzug der westlichen Mission aus Schlüssel- und Führungsstellungen in den Kirchen Afrikas und Asiens nach sich. O b w o h l unabhängig gewordene Länder sich der westlichen Mission verschlossen oder ihre Tätigkeit einschränkten, hat das Ende der westlichen Kolonialherrschaft im allgemeinen die Ausbreitung des Christentums in der nichtwestlichen Welt nicht verhindert. Die westliche Beteiligung erfolgt jetzt jedoch zumeist in Gestalt einer Unterstützung der Tätigkeit nichtwestlicher Kirchen. In einigen Ländern wie etwa in China, vordem einem Hauptschauplatz westlicher Missionstätigkeit, hat sie ganz aufgehört. Zu den neuerdings sich abzeichnenden Entwicklungslinien gehört eine breitere, häufig von Nordamerika ausgehende, aber von internationalen Kräften getragene Missionswirksamkeit der ->Pfingstbewegung und eine wachsende Anzahl von asiatischen (und gelegentlich auch lateinamerikanischen und afrikanischen) Missionaren, die außerhalb ihrer Heimatländer tätig werden.
Mission VI
41
Z u r gleichen Zeit wie das westliche, jedoch in geringerem U m f a n g hatte auch das östliche Christentum eine Missionsbewegung aufzuweisen. Auch sie w a r von einem Bewußtsein sich weitender Grenzen infolge der russischen A u s d e h n u n g nach Osten seit der Zeit Peters des G r o ß e n (1682-1725) angeregt. Im 18. und 19. Jh. verlief sie eher e p i s o d e n h a f t als stetig. Z u Beginn des 19. Jh. überschnitt sie sich kurzzeitig mit der zweiten Phase der westlichen Bewegung, n a c h d e m Z a r Alexander I. (1801-1825) die Bibelgesellschaften förderte und die Tätigkeit protestantischer Missionsgesellschaften im Russischen Reich zuließ. Im 20. Jh. haben afrikanische Anstöße eine o r t h o d o x e Missionsarbeit in O s t a f r i k a ins Leben gerufen. 2. Die erste Phase der neuzeitlichen 2.1. Territoriales
Missionsgeschichte
Christentum
Das westliche C h r i s t e n t u m entfaltete sich innerhalb des festen politisch-geographischen R a h m e n s einer Reihe aneinander grenzender Staaten, deren Herrscher wie Untertanen sich in der W a h r u n g des rechten Glaubens, dem Schutz der wahren Kirche und der Abweisung von falschem Gottesdienst und Gotteslästerung dem Reich Christi zugeordnet sahen. Die Bedingungen, unter denen sich die Christianisierung Europas vollzog, ließen f ü r die Vorstellung eines religiösen Pluralismus keinen R a u m . Von den J u d e n abgesehen, deren Stellung Gegenstand eigener theologischer Erwägungen w a r und verschiedentlichen politischen Wandlungen unterlag, k o n n t e n sich die meisten europäischen Christen keine unmittelbare Kenntnis von Nichtchristen bilden. Das Gegenüber zum Islam im Süden und Osten bestärkte das Bewußtsein territorialer Geschlossenheit der Christenheit. N a c h d e m die T ü r k e n 1453 Konstantinopel erobert hatten und bis zu den T o r e n Wiens vorstoßen k o n n t e n , bestimmte „der T ü r k e " das europäische Bild der muslimischen Welt als einer potentiellen politisch-militärischen Bedrohung der Christenheit. In Schottland, weit ab von muslimischer Bedrohung, galt noch im 18. Jh. im volkstümlichen Sprachgebrauch „ M a h o u n d " (d.h. M o h a m m e d ) als Bezeichnung f ü r den Teufel. Angesichts dieses Verständnisses der Christenheit als einer w e s e n h a f t territorialen G r ö ß e erschien als nächstliegender Weg einer Ausbreitung des Christentums eine Ausweitung des christlichen Gebietes. Die —»Kreuzzüge entsprechen dieser Auffassung. Um 1500 w a r e n die Christenheit und E u r o p a nahezu gleichbedeutende Begriffe. Der Fall Konstantinopels kennzeichnete das Ende des Neuen R o m s im Osten. Alte christliche U n t e r n e h m u n g e n in Zentralasien und in —»Nubien verfielen. Von den Christen a u ß e r h a l b E u r o p a s und des türkischen Herrschaftsbereiches, in —»Äthiopien und —»Indien, war in der europäischen Christenheit wenig b e k a n n t , wie die seit dem 12. Jh. u m l a u f e n d e n v e r s c h w o m m e n e n Erzählungen von dem Presbyter J o h a n n e s zeigen. Auf der anderen Seite h a t t e die christliche A u s d e h n u n g im N o r d e n und im —»Baltikum die meisten der noch verbliebenen heidnischen Völker E u r o p a s der Christenheit eingegliedert, und, noch b e d e u t s a m e r , ein Kreuzzug h a t t e dem Islam auf der iberischen Halbinsel durch Bekehrung o d e r Vertreibung ein Ende gesetzt. Die geringe Z a h l der vor der überseeischen E x p a n s i o n der iberischen M ä c h t e u n t e r n o m m e n e n Versuche, das Christentum über die Grenzen E u r o p a s hinaus zu verbreiten, ist d a h e r nicht verwunderlich. Ebensowenig verw u n d e r t es, d a ß die früheste iberische Expansion unter dem Bild eines Kreuzzugs, des einzigen jüngeren westlichen M u s t e r s der Ausbreitung des Christentums, erschien (->Kolonialismus). 2.2. Spanische
Kolonialmission
Die spanische E r o b e r u n g des Aztekenreichs von - » M e x i k o und des Inkareichs von Peru (—•Lateinamerika) in Amerika, der -»Philippinen in Asien und der M a r i a n e n im Pazifik (-»Mikronesien) erschienen d u r c h w e g zunächst als erfolgreiche Beispiele einer Ausweitung des territorialen Geltungsbereichs des Christentums, wie m a n ihn im k a t h o lischen E u r o p a kannte. Es bildete sich eine Schicht spanischer Grundeigner, die f ü r das christliche Wohl auf ihren Ländereien verantwortlich w a r e n . Einheimische Kultgegen-
42
Mission VI
stände wurden vernichtet, und die jetzt getaufte einheimische B e v ö l k e r u n g schien im allgemeinen bereit zu sein, sich dem christlichen G o t t e s d i e n s t anzuschließen. Ein Netz von B i s t ü m e r n und Pfarreien wurde aufgebaut und ein Bildungswesen für die Unterweisung im katholischen G l a u b e n und spanischen S p r a c h u n t e r r i c h t eingerichtet. Die p a s t o r a l e Unzulänglichkeit dieses Systems trat bald zutage. Es stellte nicht sicher, d a ß die a n g e s t a m m t e B e v ö l k e r u n g imstande w a r , die Beichte ex animo abzulegen. Zugleich legten die Brutalität und G e w i n n s u c h t der spanischen Ansiedler als der Vertreter des C h r i s t e n t u m s den Einheimischen unerträgliche Lasten auf. Um ihr Seelenheil b e m ü h t e Priester und Ordensleute waren daher genötigt, sich Kenntnisse der Indianersprachen anzueignen und sich in der christlichen Unterweisung sprachlicher und gedanklicher A u s d r u c k s f o r m c n zu bedienen, die dafür noch nie eingesetzt worden waren. Solche K i r c h e n m ä n n e r waren zugleich am ehesten bereit, für die einheimische Bevölkerung gegen den üblen M a c h t m i ß b r a u c h ihrer B e d r ü c k e r einzutreten. M i t einem Einsatz der N a h u a t l - B i l d e r s c h r i f t für die christliche Unterweisung k a m es in M e x i k o früh zu einem stärkeren Abgehen von europäischen katechetischen G e pflogenheiten, und der franziskanische L a i e n b r u d e r Pedro de G a n t e ließ einen frühen B i l d e r k a t e c h i s m u s d r u c k e n . In Peru legte der D o m i n i k a n e r D o m i n g o de S a n t o T o m a s um 1560 erstmals eine G r a m m a t i k und ein W ö r t e r b u c h des Ketschua mit einigen gewagten Übersetzungen christlicher Begriffe vor. D a s erste in S ü d a m e r i k a veröffentlichte Buch w a r ein dreisprachiger Katechismus in Latein, Spanisch und Ketschua. D i e auch durch eine allmähliche R a s s e n m i s c h u n g nicht beseitigte, ungelöste S p a n n u n g innerhalb der christlichen Ziclvorstcllungen im spanischen A m e r i k a tritt auf dem dritten Konzil von L i m a von 1580 zutage. Eine Reihe seiner B e s t i m m u n g e n zeigt das Bestreben, die einheimische Bevölkerung spanischen L e b e n s g e w o h n h e i t e n anzugleichen. Sie enthalten Verordnungen über Betten, T i s c h e , W o h n u n g und Hygiene. Andere verfügen, d a ß kein Indianer die G e b e t e oder das G l a u b e n s b e k e n n t n i s auf lateinisch zu lernen b r a u c h e , und erklären einen einheimischen Z u g a n g zum G l a u b e n für w ü n s c h e n s w e r t . Der Weg dazu w a r j e d o c h mit Schwierigkeiten und R i s i k e n belastet, zumal auch angesichts der N o r mierung der agendarischen F o r m u l a r e im G e f o l g e des Konzils von T r i e n t (vgl. T R E 1 , 7 7 2 , 3 9 f f ) und wegen der B e f ü r c h t u n g , eine Ubersetzung k ö n n e Irrtümer festschreiben. Die von einigen als Mittel zur W a h r u n g der R e c h t g l ä u b i g k e i t geforderte Verwendung spanischer L e h n w ö r t e r bot keine Lösung. Sollten sie verstanden werden, m u ß t e n auch solche Neubildungen in einer von dem ü b e r k o m m e n e n Weltverständnis der A n d e n v ö l k e r b e s t i m m t e n Sprache erläutert werden. G e f ö r d e r t wurde diese E n t w i c k l u n g seit den neunziger J a h r e n des 16. J h . d a d u r c h , d a ß es jetzt kreolische Priester gab, die Ketschua sprachen. Es steht außer Z w e i f e l , d a ß im A n d e n r a u m ungeachtet des Konzils von T r i e n t in g r o ß e m U m f a n g volkssprachliche biblische T e x t e verwendet, wenn auch nicht veröffentlicht wurden. Im frühen 17. J h . k a m es in diesem G e b i e t unter jesuitischer Anleitung zu Bestrebungen zur „Vernichtung des G ö t z e n d i e n s t e s " , die ihr A u g e n m e r k a u f die G e b r ä u c h e der a n g e s t a m m t e n B e v ö l k e r u n g richteten. Sie gingen auf eine g r ö ß e r e G l e i c h f ö r m i g k e i t der R e l i g i o n s a u s ü b u n g aus und waren auf die Leiter indianischer G e m e i n d e n abgezielt. Die a m eingehendsten mit den Volkssprachen befaßten F r a n z i s k a n e r und D o m i n i k a n e r traten dem im allgemeinen entgegen und bestritten eine heidnische A u s r i c h t u n g der Gebräuche. Unter den G u a r a n i in Paraguay setzten die Jesuiten eine von ihnen bereits bei dem von kriegerischen Erschütterungen heimgesuchten Fischervolk der Parava in Südindien a n g e w a n d t e M e t h o d e ein. Um die M i s s i o n s a r b e i t mit dem Schutz der Indianer vor Sklavenräubern und der Ausbeutung durch Weiße zu verbinden, wurde ein Netz von R e d u k t i o n e n mit von Wällen und Z ä u n e n u m g e b e n e n , jeweils einem Priester unterstehenden D ö r f e r n und für den M a r k t produzierenden Pflanzungen eingerichtet. Die D ö r f e r unterlagen einer bis ins einzelne gehenden Leitung. Es wurde lediglich eine E l e m e n t a r bildung vermittelt, doch wurden einheimische M u s i k und einheimische gottesdienstliche
Mission VI
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A u s d r u c k s f o r m e n g e f ö r d e r t . Versuche, eine e i n h e i m i s c h e P r i e s t e r s c h a f t h e r a n z u b i l d e n , w u r d e n nicht u n t e r n o m m e n . Die D o r f b e w o h n e r d u r f t e n z u r Selbstverteidigung Waffen t r a g e n . A u s u n t e r s c h i e d l i c h e n G r ü n d e n w u r d e n die R e d u k t i o n e n v o n Weißen, v o n d e n a n d e r e n O r d e n u n d v o m E p i s k o p a t a n g e f o c h t e n , u n d 1768 f a n d e n sie ihr E n d e . (Ein ä h n l i c h e s V e r f a h r e n d e r Bildung v o n D ö r f e r n w u r d e von den Jesuiten w ä h r e n d des 19. J h . in Teilen N o r d a m e r i k a s eingesetzt.) D e r Versuch, gegen w e i ß e Sittenlosigkeit u n d G r a u s a m k e i t a b g e s c h i r m t e christliche i n d i a n i s c h e M u s t e r s i e d l u n g e n zu schaffen, gibt d a s Scheitern der u r s p r ü n g l i c h e n Zielv o r s t e l l u n g von d e r A u s b r e i t u n g des C h r i s t e n t u m s in A m e r i k a zu e r k e n n e n . D a s k o l o niale A m e r i k a w a r eine A u s w e i t u n g christlichen G e b i e t s , a b e r offensichtlich kein Abglanz des Reiches Christi. W o h l m e i n e n d e kirchliche W i l l e n s b e k u n d u n g e n u n d selbst V e r f ü g u n g e n d e r s p a n i s c h e n K r o n e scheiterten an d e n politischen G e g e b e n h e i t e n vor O r t u n d an d e n s y s t e m i n h ä r e n t e n U n t e r d r ü c k u n g s m e c h a n i s m e n d e r K o l o n i a l h e r r s c h a f t , an d e r a u c h die Kirche Anteil h a t t e . Auf der a n d e r e n Seite ö f f n e t e S p a n i s c h - A m e r i k a neue t h e o l o g i s c h e P r o b l e m f e l d e r . Die ü b e r k o m m e n e e u r o p ä i s c h e T h e o l o g i e b e s a ß kein I n s t r u m e n t a r i u m , sich mit in E u r o p a nicht b e k a n n t e n Weisen m e n s c h l i c h e n L e b e n s ause i n a n d e r z u s e t z e n . Die Verhältnisse in den Kolonien g a b e n A n l a ß zu t h e o l o g i s c h e n Erö r t e r u n g e n , in d e n e n die Bibel u n d die aristotelische P h i l o s o p h i e auf eine n e u e Weise zur G e l t u n g k a m e n (—»Las C a s a s ) . N o c h t i e f e r g r e i f e n d e Folgen e r g a b e n sich f ü r die christliche T h e o l o g i e aus der W e c h s e l w i r k u n g von christlicher U n t e r w e i s u n g u n d ang e s t a m m t e r Weltsicht, deren B e g e g n u n g eine eigene D y n a m i k in sich b a r g . Die t h e o l o gischen W e c h s e l b e z i e h u n g e n , a u s d e n e n e i g e n s t ä n d i g l a t e i n a m e r i k a n i s c h e A u s g e s t a l t u n gen u n d Verstehensweisen des C h r i s t e n t u m s e r w u c h s e n , w a r e n n u r f ü r die kleine Z a h l derer e r k e n n b a r , die i n d i a n i s c h e V o l k s s p r a c h e n b e h e r r s c h t e n . Erst im 20. J h . ist ihre B e d e u t u n g deutlich z u t a g e g e t r e t e n . 2.3. Mission
und portugiesische
Expansion
Die p o r t u g i e s i s c h e Sicht d e r A u s b r e i t u n g des C h r i s t e n t u m s u n t e r s c h i e d sich nicht g r u n d s ä t z l i c h von der s p a n i s c h e n . D o c h u n t e r s c h i e d e n sich die geschichtlichen E r f a h r u n g e n des p o r t u g i e s i s c h e n K o l o n i a l i s m u s von d e n e n des s p a n i s c h e n so sehr, d a ß sie auch einen gänzlich a n d e r e n E r f a h r u n g s b e r e i c h d e r a b e n d l ä n d i s c h e n M i s s i o n s b e w e g u n g e n t s t e h e n ließen. Die p o r t u g i e s i s c h e P r ä s e n z in Übersee erstreckte sich längs d e r Seewege dreier K o n t i n e n t e . Die E r o b e r u n g eines so a u s g e d e h n t e n Gebietes w a r u n m ö g l i c h , u n d o f t stellte sich die N o t w e n d i g k e i t einer A n p a s s u n g an m ä c h t i g e N a c h b a r n . Selbst in den p o r t u g i e s i s c h e n Besitzungen w a r es t r o t z gegebener Anreize z u m Ü b e r t r i t t u n d einer z u n e h m e n d e n g e m i s c h t r a s s i s c h e n k a t h o l i s c h e n B e v ö l k e r u n g nicht i m m e r m ö g l i c h , anderen religiösen B r a u c h a u s z u s c h a l t e n . Lediglich in Brasilien ( - > L a t e i n a m e r i k a ) e n t s p r a chen die Verhältnisse w e i t g e h e n d d e n e n in S p a n i s c h - A m e r i k a . In —»Afrika w a r e n bes t ä n d i g K o m p r o m i s s e mit d e n B e d ü r f n i s s e n d e r ü b e r k o m m e n e n G e s e l l s c h a f t s o r d n u n g e r f o r d e r l i c h . D e r —»Buddhismus, d e r - » H i n d u i s m u s u n d d e r - » I s l a m erwiesen sich als w i d e r s t a n d s f ä h i g e r o d e r w e n i g e r angleichsbereit als die —»amerikanischen R e l i g i o n e n . Sic b r a c h t e n die e u r o p ä i s c h e n C h r i s t e n z u d e m in B e r ü h r u n g mit einer bislang u n v o r stellbaren Vielfalt nichtchristlicher K u l t u r e n . U n t e r diesen Verhältnissen f a n d die M i s s i o n s b e w e g u n g zu einer n e u e n G e s t a l t . Wo Z w a n g nicht in B e t r a c h t k a m , w a r e n die C h r i s t e n zur Ü b e r z e u g u n g s a r b e i t u n d z u r Selbstd a r s t e l l u n g ihres G l a u b e n s g e n ö t i g t . D a s s c h l o ß eine g r u n d l e g e n d e A b k e h r v o n einer Sichtweise ein, die lediglich auf christliche G e b i e t s e r w e i t e r u n g a u s g e r i c h t e t w a r . In den p o r t u g i e s i s c h e n Besitzungen w u r d e w e i t h i n d a s Portugiesische v e r w e n d e t . A u ß e r h a l b ihrer m u ß t e n die M i s s i o n a r e sich nicht n u r die e i n h e i m i s c h e n Volks- u n d B i l d u n g s s p r a chen a n e i g n e n , s o n d e r n a u c h d e n A n s c h l u ß an bereits ausgebildete F o r m e n s p r a c h l i c h e r K o m m u n i k a t i o n s u c h e n . Sie h a t t e n sich mit einem H e r a u s t r e t e n aus der u n m i t t e l b a r e n N ä h e p o r t u g i e s i s c h e r M a c h t p r ä s e n z u n d a u s d e n in d e n O s t e n v e r p f l a n z t e n e u r o p ä i s c h e n L e b e n s g e w o h n h e i t e n a b z u f i n d e n . Die M i s s i o n w a r keineswegs von der p o r t u g i e s i s c h e n
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Mission VI
P r ä s e n z u n a b h ä n g i g ; sie w a r auf ihren R ü c k h a l t a n g e w i e s e n . O h n e ihre Enklaven in G o a u n d M a c a u h ä t t e n die M i s s i o n a r e nie den Hof der M o g u l n oder der chinesischen Kaiser erreichen k ö n n e n . Doch sie s t a n d e n unter B e d i n g u n g e n , die von denen vorgegeben w u r d e n , zu denen sie k a m e n . Das k o n n t e v e r h ä n g n i s v o l l sein, w i e die Folterung und T ö t u n g von M i s s i o n a r e n und z u m C h r i s t e n t u m Bekehrten unter der S h o g u n d y n a s t i e T o k u g a w a in - » J a p a n oder die H i n r i c h t u n g des J e s u i t e n J o ä o de Britto 1693 in - » I n d i e n zeigen. Die —»katholische R e f o r m und d a s Bildungsstreben des - » H u m a n i s m u s schufen die geistliche Einstellung und d a s geistige R ü s t z e u g , die für die A u s b i l d u n g der M i s s i o n a r e e r f o r d e r l i c h w a r e n , und die M i s s i o n s r e i s e n von Franz - » X a v i e r g a b e n ein a n f e u e r n d e s Beispiel. Der neue Orden der —»Jesuiten w a r für die sich stellende A u f g a b e in b e s o n d e r e m M a ß gerüstet (1542 w a r in C o i m b r a ein S e m i n a r i u m M i s s i o n i s Indicae eingerichtet w o r d e n ) . - » K a p u z i n e r und - » K a r m e l i t e r w a r e n von M i s s i o n s w i l l e n beseelt, und die Erneuer u n g der alten O r d e n führte - » F r a n z i s k a n e r und —»Dominikaner in die M i s s i o n s a r b e i t . A n d e r s als die Weltgeistlichkeit in den portugiesischen Besitzungen w a r e n diese O r d e n s leute in g r o ß e m U m f a n g nicht p o r t u g i e s i s c h e r H e r k u n f t . Einige der neuen M i s s i o n s v o r s t ö ß e richteten sich an politische H e r r s c h a f t s t r ä g e r . Der M o g u l - K a i s e r A k b a r ( 1 5 4 2 - 1 6 0 5 ) , ein e k l e k t i s c h e r M u s l i m , hat selbst J e s u i t e n an seinen Hof g e l a d e n , und er w i e a u c h eine R e i h e seiner N a c h f o l g e r unterhielten einen A u s s p r a c h e k r e i s , in d e m die M i s s i o n a r e ihre Vorstellungen zur S p r a c h e bringen und d i s k u t i e r e n k o n n t e n . Angesichts des k ü n s t l e r i s c h e n Interesses A k b a r s und seines Sohnes J e h a n g i r ( 1 6 0 5 - 1 6 2 7 ) m a c h t e n die M i s s i o n a r e reichlichen G e b r a u c h von christlicher B i l d k u n s t . In —»China g e w a n n der Jesuit M a t t e o Ricci ( 1 5 5 2 - 1 6 1 0 ) w ä h r e n d einer Zeits p a n n e von siebzehn J a h r e n l a n g s a m d a s Interesse von Gelehrten und b e d e u t e n d e n Pers ö n l i c h k e i t e n und w u r d e d a n n schließlich 1601 an den Kaiserhof gebeten. M i t d e m Kaiser ist er nie z u s a m m e n g e t r o f f e n , doch ein Prinz bekehrte sich, und die Beziehung z u m Hof hielt ein J a h r h u n d e r t lang an. Die G e w a n d t h e i t der Jesuiten auf den Gebieten der M a t h e m a t i k , A s t r o n o m i e und Technik versetzte sie in die Lage, d e m Kaiser in vielerlei Bereichen, von der U h r m a c h e r e i bis zur K a l e n d e r r e f o r m und z u m G e s c h ü t z w e s e n , w i e a u c h bei a u s w ä r t i g e n d i p l o m a t i s c h e n A u f g a b e n dienlich zu sein. Die k u r z e Blüte des C h r i s t e n t u m s in —»Japan z w i s c h e n d e m Tod X a v i e r s und d e m zweiten J a h r z e h n t des 17. J h . w a r d a d u r c h e r m ö g l i c h t , d a ß eine b e t r ä c h t l i c h e Z a h l von A n g e h ö r i g e n der S a m u r a i k a s t e sich christlichem Einfluß öffnete oder ü b e r t r a t . Die M i s s i o n s t ä t i g k e i t im U m f e l d der j e w e i l i g e n H o c h k u l t u r e n e r f o r d e r t e S p r a c h b e h e r r s c h u n g und geistige G e w a n d t h e i t . Sie schloß a u c h die A u f g a b e einer Ü b e r t r a g u n g in k u l t u r e l l v o r g e g e b e n e A u s d r u c k s m i t t e l in sich und v e r l a n g t e d a z u t h e o l o g i s c h e s Urt e i l s v e r m ö g e n . Ricci vertiefte sich in die chinesischen Klassiker und ü b e r n a h m k ü h n die klassischen Begriffe S h a n g T i und T ' i e n (—»Chinesische R e l i g i o n e n ) als Gottesbez e i c h n u n g e n . Einige M i s s i o n a r e , d a r u n t e r vor a l l e m der Jesuit G i u s e p p e Beschi ( 1 6 8 0 - 1 7 4 7 ) schrieben t a m i l i s c h e Dichtungen von h o h e m N i v e a u . A n d e r e b e s c h ä f t i g t e n sich mit d e m S a n s k r i t , v e r f a ß t e n christliche Schriften im Stil k l a s s i s c h e r H i n d u l i t e r a t u r o d e r metrische A b h a n d l u n g e n in M a r a t h i . Ricci und seine A m t s b r ü d e r g i n g e n von der K l e i d u n g und L e b e n s w e i s e b u d d h i s t i s c h e r M ö n c h e über zu der k o n f u z i a n i s c h e r Gelehrter. Der italienische J e s u i t R o b e r t o de Nobili ( 1 5 7 7 - 1 6 5 6 ) w i e s in M a d u r a i ( M a d r a s ) eine a u c h im Sinne von christlich v e r w e n d e t e Bezeichnung mit der B e d e u t u n g p o r t u giesisch z u r ü c k , bezeichnete sich selbst a l s r ö m i s c h e n R a d s c h a und lebte w i e ein indischer SannyäsT und G u r u . Wo d a s C h r i s t e n t u m auf die niederen Kasten b e s c h r ä n k t g e b l i e b e n w a r , m a c h t e er sich die L e b e n s w e i s e der B r a h m a n e n k a s t e zu eigen, hielt M a h l g e m e i n s c h a f t n u r mit B r a h m a n e n und e r m ö g l i c h t e so ü b e r t r e t e n d e n B r a h m a n e n die W a h r u n g ihrer Identität. Ricci und viele seiner A m t s b r ü d e r und N a c h f o l g e r w a r e n d e r M e i n u n g , d a ß d e r chinesische B r a u c h der A h n e n v e r e h r u n g keine Abgötterei a n sich h a b e u n d C h r i s t e n e r l a u b t sei. N i c h t alle M i s s i o n a r e schlössen sich d e m an oder billigten solche Vorstellungen. M a n c h e g i n g e n den mehr der T r a d i t i o n e n t s p r e c h e n d e n W e g , sich mit
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dem Leben der Armen zu identifizieren, aus denen die weit überwiegende M e h r z a h l der Christen in Asien bestand. Andere gingen nicht über eine N a c h b i l d u n g europäischer christlicher Lebensweise hinaus. D e n n o c h gab es nun lebendige Beispiele f ü r christlichen G l a u b e n in einheimischer Gestalt und in noch größerem U m f a n g f ü r christliches Leben, das nicht der europäischen E r f a h r u n g eines territorialen Christentums verhaftet w a r . Das C h r i s t e n t u m fand sich zerstreut innerhalb einer nichtchristlichen Gesellschaft vor. Z u m i n d e s t ein Ergebnis dieser Verhältnisse w a r ein bescheidener Fortschritt in der H e r a u s b i l d u n g einer einheimischen Geistlichkeit, eine Zielvorstellung, die in SpanischAmerika und den portugiesischen Niederlassungen auf erheblichen Widerstand stieß, und der A n f a n g eines einheimischen Episkopats. Bereits 1518 w u r d e ein Angehöriger der Herrscherfamilie des Kongoreichs zum Bischof geweiht (Dom Henrique). Ein Chinese, G r e g o r Lo Wentsao (Gregorio Lopez) w u r d e zunächst Apostolischer Vikar und d a n n 1690 Bischof von N a n k i n g . Es gab eine Reihe indischer Apostolischer Vikare; deren erster, M a t e o de C a s t r o M a h a l o , starb 1668 in R o m , o h n e vom portugiesischen Erzbischof von G o a a n e r k a n n t w o r d e n zu sein. Die Mission in -»Indien brachte das abendländische Christentum mit einer alten östlichen Kirche in Berührung. Die Kirche von Kerala e r h o b den Anspruch, durch den Apostel T h o m a s begründet w o r d e n zu sein und stand in a l t ü b e r k o m m e n e n Beziehungen zum Mittleren Osten. Die Folgen der Begegnung waren unterschiedlich. Z u n ä c h s t waren die Beziehungen freundlich, und m a n entdeckte zahlreiche Gemeinsamkeiten. Viele Missionare und zumal fast alle portugiesischen aber b e a r g w ö h n t e n die Rechtgläubigkeit des westasiatischen C h r i s t e n t u m s und wollten eine Angleichung an das Vorbild der lateinischen Kirche. Die Synode von D i a m p e r (Urdiamperür bei Cochin) von 1599 stellte die kirchliche Einheit her, die in lateinischer Sicht als R ü c k k e h r der T h o m a s c h r i s t e n unter die römische O b ö d i e n z erschien. Doch die Festnahme eines syrischen Patriarchen durch die Portugiesen und seine Überstellung an die —»Inquisition 1653 f ü h r t e zu einer Auflehnung und einer a n d a u e r n d e n Spaltung unter den T h o m a s c h r i s t e n . Der Verfall der portugiesischen M a c h t kennzeichnete das Ende dieses missionsgeschichtlichen Abschnitts. Die eurasischen katholischen Gemeinden in Südostasien und Sri Lanka k a m e n unter niederländische Kontrolle, und die christlichen Gemeinden in Südindien erlitten unter der kriegerischen H e r r s c h a f t der Sultane H a i d a r Ali (1761 - 1 7 8 2 ) und T i p u (1782-1799) von M y s o r e Einbußen. Es gab Jurisdiktionsstreitigkeiten zwischen R o m und dem portugiesischen P a d r o a d o sowie heftige Streitigkeiten zwischen verschiedenen O r d e n und zwischen Nationalitäten innerhalb der O r d e n . Sie erschwerten die länger als ein J a h r h u n d e r t sich fortsetzenden, von Ricci und de Nobili ausgelösten theologischen Auseinandersetzungen über die Umsetzung christlicher Inhalte in kulturell vorgegebene A u s d r u c k s f o r m e n und die von ihnen vollzogene A n e r k e n n u n g einer christlichen Beteiligung an bestimmten indischen und chinesischen G e b r ä u c h e n („Ritenstreit"). Die römischen Verlautbarungen dazu blieben unbestimmt, bis Clemens XI. (1700-1721) 1704 gegen die kulturelle Anpassung entschied. Das Auftreten des von ihm nach Indien und China entsandten Legaten Maillard de T o u r n o n löste im Missionsgebiet verheerende W i r k u n g e n aus und brachte den zuvor wohlgesonnenen Kaiser K'ang-hsi (1662-1722) auf. Die Vertreibung der Jesuiten aus Portugal 1759 und die A u f h e b u n g des Jesuitenordens 1773 setzte einer gewichtigen Tradition missionarischer N e u a n s ä t z e ein Ende. 2.4. Rom und die Aufsicht
über die überseeische
Kirche
Lange oblag die Kontrolle über die Mission und die Kirche a u ß e r h a l b Europas ausschließlich der spanischen und portugiesischen Krone als den P a t r o n a t s m ä c h t e n , von denen auch die Missionsarbeit a u f g e n o m m e n w o r d e n war. R o m besaß kein Instrumentarium f ü r ein unmittelbares Eingreifen. N a c h verschiedenen fehlgeschlagenen Versuchen bestand zwar von 1599 bis 1604 eine Kongregation für die Missionen; doch sie vermochte ihren hauptsächlichen V o r k ä m p f e r , den Kardinal A n t o n i o Santori, nicht zu ü b e r d a u e r n .
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Die Notwendigkeit einer starken Hand des Heiligen Stuhls in den Fragen der Mission wurde von dem 1613 erschienenen wichtigsten katholischen missionstheoretischen Werk der Zeit, De procuranda salute omnium gentium des Karmeliters T h o m a s a Jesu ( 1 5 6 4 - 1 6 2 7 ) , geltend gemacht. Gregor XV. ( 1 6 2 1 - 1 6 2 3 ) errichtete 1622 in aller Form die Congregatio de Propaganda Fide, die ursprünglich hauptsächlich aus Kardinälen mit einem ihr zugeordneten Sekretär bestand und monatlich zusammentrat. Ihre Zuständigkeit umfaßte die gesamte nichtkatholische Welt (bis 1908 unter Einschluß der meisten protestantischen und orthodoxen Länder) mit Aufsicht über die Orden und der Aufgabe, Vorsorge für eine kirchliche Verwaltung zu treffen. Zur Wahrnehmung der kirchlichen Leitung in Fällen, in denen die Errichtung eines —»Bistums verfrüht erschien, wurde das Amt des Apostolischen Vikars eingerichtet. Die Kongregation entsandte von sich aus verhältnismäßig wenige Missionare. Sie war vielmehr bemüht, die Tätigkeit der Orden und Gesellschaften zu koordinieren. Sehr früh war die Propagandakongregation auch mit dem Propagandakolleg (Collegium Urbanum) verbunden, das 1627 von Urban VIII. ( 1 6 2 3 - 1 6 4 4 ) gegründet wurde, um Geistliche aller Nationen für die Missionsarbeit zu schulen, und verfügte über eine der bestausgestattetsten Druckereien in Europa. Auf Initiative von François Pallu ( 1 6 2 6 - 1 6 8 4 ) erfolgte 1663 die Gründung der Société des Missions Etrangères in Paris, die auch über ein eigenes Missionsseminar verfügte. Ihr Ziel war die Einbeziehung von Weltgeistlichen in die Missionsarbeit und insbesondere die Heranbildung einer einheimischen Weltgeistlichkeit in Asien. Die französische Krone bediente sich ihrer, um sich eine Art inoffiziellen Patronats in Gebieten zu sichern, an denen sie interessiert war, so in —»Kanada und Indochina. Indochina war eines der wenigen Gebiete, in denen die älteren Missionsanstöße bis ins 19. J h . durchgehalten wurden. 2.5. Früher
Protestantismus
und
Mission
Die Reformation ließ den Grundsatz territorialer Geltung des Christentums unberührt. —»Luthers Vorstellung von der —»Kirche, die durch das ihr anvertraute Wort und Sakrament missionarisch wirksam wird, mag spätere lutherische Theologen bewegt haben; doch im 16. und 17. J h . erschien missionarische Verantwortlichkeit vornehmlich als Pflicht des Fürsten, innerhalb seines Landes die Reformation zu fördern. Nur bei den Lappen in —»Schweden bedeutete das zugleich eine Begegnung mit einem nicht zuvor schon christlichen Volk. Die Verwerfung des Tcrritorialprinzips durch die —»Täufer ermöglichte andere Auffassungen. Doch in den meisten der Reformation zugefallenen Ländern war eine Mission nach katholischem Vorbild vor einem eigenen aktiven Zugriff auf Gebiete außerhalb Europas nicht vorstellbar. Die katholische Kontroverstheologie wirkte solchen Vorstellungen sogar entgegen, insofern katholische Stimmen (z. B. R. —•Bellarmini) die erfolgreiche Missionstätigkeit als Wahrheitskriterium für ihre Kirche in Anspruch nahmen. Eine lutherische Sicht vertritt demgegenüber Philipp Nicolai (1556—1608) in De regno Christi (1598) mit der Auffassung, die Apostel hätten die Evangelisierung der Welt abgeschlossen (auch die Indianer Amerikas haben die Botschaft vernommen, sich aber von ihr abgewandt), und noch beredter Johann —»Gerhard: Eine Beziehung von M t 28,19 auf sich selbst heißt für ihn, sich selbst zum Apostel zu machen, und das ist ein römischer Kardinalfehler. Der ökumenisch eingestellte, asketische Laie Justinian von Welz (1621 — 1668 [?]), der auf seinen Adelstitel verzichtete, für eine Gesellschaft zur Verbreitung der evangelischen Religion eintrat und einen Missionsaufruf veröffentlichte, wurde von Z . -»Ursinus als Täufer verdächtigt; es gäbe kein Anzeichen dafür, daß die Bekehrung der Heiden Gottes Wille sei. Welz ging als missionarischer Einzelkämpfer nach Surinam (Niederländisch Guayana) und ist dort bald verstorben. Die Vorstellung von einer christlichen Verantwortung gegenüber der ganzen Welt konnte am ehesten dort lebendig werden, wo Seefahrtserfahrung das Bewußtsein mitbestimmte. Es ist daher nicht überraschend, daß ernsthafte Überlegungen über eine Welt-
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mission im protestantischen Bereich erstmals in den Niederlanden und in England angestellt wurden. Niederländische Theologen der Zweiten Reformation („Nadere Reformatie") arbeiteten die Grundlinien einer Missionstheologie aus und machten Vorschläge zur Missionsarbeit. G. —>Voetius stellte drei Missionsziele auf: die unverzügliche conversio gentilium (Bekehrung der Heiden), die anschließende plantatio ecclesiae (Kirchengründung) und die schließliche gloria et manifestatio gratiae divinae (Verherrlichung und Bekundung der göttlichen Gnade). Justus Heurnius ( 1 5 8 7 - 1 6 5 1 / 2 ) forderte 1648 eine Indienmission und hat selbst in Ostindien gewirkt. Theorie und Praxis der Mission blieben jedoch in den beengenden Rahmen der Handelsgesellschaften gespannt, die die niederländische Kolonialtätigkeit trugen, und diese wiederum waren gehemmt durch die überkommene Aufgabenstellung, die Bevölkerung der ehemaligen portugiesischen Besitzungen vom katholischen zum protestantischen Gottesdienst abzubringen. Das Pathos der Darstellung der englischen überseeischen Entdeckungsfahrten des 16. J h . , wie es sich etwa in den Voyages von Richard Hakluyt (ca. 1 5 5 2 - 1 6 1 6 ) niederschlägt, erklärt in ähnlicher Weise, wie es ein Jahrhundert zuvor in Spanien und Portugal geschehen war, daß das Ausgreifen des englischen Unternehmungsgeistes nach Westen auch die Verbreitung des Evangeliums in sich schließe. Doch ohne Missionsorden und ohne den Willen, andere Verbreitungsmittel zu finden, bestand wenig Aussicht, dergleichen in die Tat umzusetzen. Gewiß, die radikalen kirchlichen Gründungsväter der frühen Niederlassungen in Neuengland (—>Vereinigte Staaten von Amerika) sahen Gottes Vorsatz, der sie nach Amerika gebracht hatte, darin, daß in der Wildnis die Herrschaft Christi aufgerichtet werden sollte. Doch in der Anfangszeit hatte das Überleben Vorrang vor einer Evangelisierung der einheimischen amerikanischen Nachbarn. Zudem galt dem für die Ansiedler grundlegenden kongregationalistischen Kirchenverständnis (—>Kongregationalismus) als konstitutiv für das geistliche Amt die Beziehung des Amtsträgers zu der ihn berufenden Gemeinde. Die Verkündigung für außerhalb der Kirche stehende Indianer konnte daher nie die ausschließliche Aufgabe eines Geistlichen sein. Dennoch wurde diese Aufgabe 1642 von dem jüngeren Thomas Mayhew und im Folgejahr von dem Pfarrer von Roxbury (bei Boston), John Eliot ( 1 6 0 4 - 1 6 9 0 ) , aufgenommen. Eliot übersetzte die Bibel in das Algonkin von Massachusetts und predigte unerbittlich das Evangelium nach reformiertem Verständnis. Nach kongregationalistischen Grundsätzen zog er die „betenden Indianer" aus ihren halbnomadischen Verbänden in vierzehn Niederlassungen zusammen, in denen sie eine seßhafte Lebensweise entfalten konnten und unter eigenen Geistlichen und Ältesten im Lesen und Schreiben unterwiesene Gemeinden ähnlich denen der Kolonisten bildeten. Eliots Arbeit erregte in England, Schottland und den Niederlanden Aufsehen. Das theokratische Ideal gab der Vorstellung von einer Herrschaft Christi auf Erden Nachdruck, und die puritanische Eschatologie lieferte ihr den Orientierungsrahmen. (Das Directory for the Publique Worship der Westminstersynode [->Westminster] schreibt ein Gebet für die Verbreitung des Evangeliums und des Reiches Christi unter allen Völkern, die Bekehrung der Juden, die „Fülle der Heiden" [vgl. R o m 11,25], den Sturz des Antichrist und die Wiederkunft Christi vor.) Eliot war von Zügen in der Religion einheimischer Amerikaner (—>Amerikanische Religionen) beeindruckt, die für ihn nicht teuflischen Ursprungs sein konnten, und er fragte sich, ob sie nicht ein Teil der verlorenen Stämme Israels waren. Sollte das zutreffen, würde sich in seiner Arbeit die Wiederherstellung Israels ankündigen. Doch die theokratischen Vorstellungen der englischen Revolution verblaßten, die betenden Indianer wurden 1675/6 durch Krieg und Hunger dezimiert, und die Arbeit Eliots fand keinen Fortsetzer, bis die Große Erweckung (vgl. T R E 10,208,4ff) ein anderes Kapitel eröffnete. Auch der Anglikanismus (-»Kirche von England) der Nachrestaurationszeit war auf das geistliche Wohl der amerikanischen Kolonien bedacht, und zu seiner Förderung entstanden die Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK) und die Society for the Propagation of the Gospel (SPG). Ihre Gründung ist ein Zeichen dafür, daß weder
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die Bindung der Kirche an den Staat noch ihre bestehende O r d n u n g s g e s t a l t den sich stellenden Aufgaben gerecht wurde. Die SPG betrachtete die Besitzungen der britischen Krone als ihr Arbeitsgebiet; doch o b w o h l sie und ihre G r ü n d e r auch die einheimische amerikanische und afrikanische Bevölkerung dieser Länder als Teil ihres Aufgabenbereichs ansahen, galt ihre Arbeit bis weit ins 19. Jh. vorrangig der religiösen Betreuung der weißen Ansiedler. Es gab allerdings auch A u s n a h m e n wie die Reisen von T h o m a s T h o m p s o n (1708-1773) an die G o l d k ü s t e (das H e r k u n f t s g e b i e t der Sklaven, auf die er in Amerika traf) zwischen 1745 und 1756, und eine Reihe von f ü h r e n d e n K i r c h e n m ä n n e r n war um die Bekehrung der Sklaven in der britischen Karibik b e m ü h t . 3. Die zweite
Phase der neuzeitlichen
3.1. Voraussetzungen
und
Missionsgeschichte
Anfänge
Im 18. Jh. war die Ausgreifdynamik der katholischen Mission erlahmt, und die protestantische Welt w a r nur erst am R a n d e in die Missionsarbeit eingetreten. Eine scheinbar wenig ausgreifende Entwicklung unter den Protestanten am Ende des J a h r h u n d e r t s f ü h r te dann aber im 19. Jh. zu einem missionarischen Einsatz nahezu aller Zweige der westlichen Kirche und zur A u f n a h m e von M i s s i o n s u n t e r n e h m u n g e n in allen Teilen der Welt, in denen dem keine politischen Bedenken entgegenstanden. Das erst im 20. Jh. w a h r g e n o m m e n e Ergebnis w a r die A n n a h m e des Christentums in großen Teilen Afrikas und Ozeaniens und in bestimmten Kreisen Asiens. Da diese Entwicklung mit einem beträchtlichen Bedeutungsverlust des Christentums in Europa zusammenfiel, hatte sie eine deutliche Verlagerung seiner demographischen Verteilung nach Süden zur Folge. Ihren hauptsächlichen religiösen Anstoß erhielt die zweite Missionsphase durch die evangelische —»Erweckung, auch wenn ihr eine Mission in Übersee erst verhältnismäßig spät zum Anliegen und sie letztendlich zu einem kennzeichnenden M o m e n t anderer Bereiche des westlichen Christentums wurde. Aus ihrem evangelikalen Elan erhielt die Bewegung eine klare G r u n d a u s r i c h t u n g . (Ihr Aufruf zur Bekehrung richtete sich zwar zunächst an eine äußerlich christliche Gesellschaft; doch ihre Träger sahen keinen g r u n d legenden Unterschied zwischen den Gleichgültigen daheim und den Heiden draußen.) Sie stellte Kräfte f ü r die Missionsarbeit bereit. (Frühere Vorhaben w a r e n d a r a n gescheitert, d a ß sich offenbar niemand zu ihrer D u r c h f ü h r u n g fand.) A u ß e r d e m bot sie als Rückhalt und zum Austausch von I n f o r m a t i o n e n ein N e t z von Beziehungen. (Ihre führenden Leute aus den verschiedensten Gegenden, N a t i o n e n und Konfessionen standen untereinander in Verbindung.) Hilfreich war dabei die aus dem Kirchendenken der Erweckung entspringende Bildung freier Gesellschaften. Die in territorialkirchlichen Vorstellungen befangenen Kirchen verfügten in ihrem A u f b a u über kein O r g a n , das eine Missionsarbeit tragen oder die Missionsfrage ü b e r h a u p t bedenken k o n n t e . Und auch dort, wo die Missionsaufgabe grundsätzlich a n e r k a n n t w u r d e , w a r sie doch n u r f ü r eine Minderheit ein drängendes Anliegen. Die Bildung einer freien Gesellschaft entweder innerhalb der Grenzen einer Kirchengemeinschaft oder sie übergreifend versetzte diese Minderheit in die Lage, ihre Ziele zu verwirklichen, Laien mit in die Arbeit hineinzunehmen und durch Wecken von Einsatzfreude vor O r t und gelegentlich auch bei begüterten Persönlichkeiten Mittel aufzubringen. Die erste, von einer kleinen G r u p p e englischer Particular Baptists 1792 gegründete freie Missionsgesellschaft w a r nahezu sofort imstande, M i s s i o n a r e nach Indien zu entsenden, d a r u n t e r William —•Carey. Ein anderes Beispiel bot die Missionary Society, später London Missionary Society (LMS). Sie w a r interdenominationell mit der Begründung, die Entscheidung für die Art des Kirchenregiments solle den Bekehrten überlassen bleiben. Die interdenominationelle Leitung der LMS und schottischer Gesellschaften war mitursächlich für die A b l e h n u n g einer Verlautbarung zur U n t e r s t ü t z u n g der Mission in der G e n e r a l v e r s a m m l u n g der Kirche von Schottland 1796. Die erste amerikanische Gesellschaft, American Board of Commissioners for Foreign Missions (ABCFM), w a r
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gleichfalls interdenominationell. Als andere, denominationelle Gesellschaften entstanden, erhielt sie wie die L M S eine vornehmlich kongregationalistische Prägung. Die 1804 gegründete British and Foreign Bible Society erhielt breite Unterstützung auch außerhalb ihrer primären evangelikalen Trägerschaft. Allenthalben in Europa entstanden Gesellschaften zur Übersetzung, Herstellung und Verbreitung der Bibel. Die 1815 gegründete Basler Missionsgesellschaft umfaßte Lutheraner und Reformierte und zeigte eine pragmatische Haltung im Verhältnis zu anderen Konfessionen (so anerkannte sie etwa für Missionare die anglikanische Ordination). Die Société Evangélique des Missions de Paris (PEMS, 1822) umfaßte gleichfalls die verschiedenen Ausformungen des französischen Protestantismus; britische, amerikanische und Schweizer Teilnahme trugen zum Entstehen einer solchen Gesellschaft im Frankreich der Restaurationszeit bei. Großbritannien war die Ausgangsbasis für einen erheblichen Teil der Missionstätigkeit des 19. J h . nicht allein wegen seines personellen und organisatorischen missionarischen Kräftepotentials, sondern auch infolge des logistischen Rückhalts, den die britischen überseeischen Verbindungen boten. Die Neuausrichtung des britischen Überseeinteresses auf Indien nach dem Verlust der amerikanischen Kolonien ließ die nichtwestliche Welt stärker in das britische Bewußtsein rücken. Zahlreiche Missionare aus anderen europäischen Ländern taten in britischen Missionsunternehmen Dienst. Das frühe Wirken der anglikanischen Church Missionary Society (CMS) etwa wurde überwiegend von deutschen Lutheranern getragen. Ein wichtiges Moment in der Frühzeit der Bewegung war das Eintreten gegen die -»Sklaverei. Die Evangelikaien der sog. Clapham Sect, die die parlamentarische Opposition gegen den Sklavenhandel anführten, unterstützten gleichfalls das Experiment einer Kolonie schwarzer Christen von jenseits des Atlantiks in Sierra Leone, die 1792 mit der Absicht einer Verbreitung des Christentums und der Zivilisation in Afrika gegründet wurde. Sie förderten auch die Missionsgesellschaften und traten dafür ein, daß die britische Verwaltung in Indien im Umgang mit Geistlichen, Missionaren und Hindufesten christliche Grundsätze und Verhaltensweisen befolgten. Einen tiefen Widerwillen gegen die Mission hegten die Pflanzer in der Karibik. 1824 starb ein zum Tode verurteilter Missionar im Gefängnis. Ihre Einstellung gegen die Sklaverei ließ Missionare für die Rechte der Urbevölkerung eintreten, so John Philip (1757—1851) von der L M S in Südafrika. Die parlamentarischen Verfechter dieser Rechte stützten sich in hohem M a ß auf Missionsgesellschaften. Vielschichtiger war die Einstellung auf amerikanischer Seite. Die American Colonization Society (1816), die die Ansiedlung von Schwarzen in Liberia zum Zweck der Verbreitung des Christentums und der Zivilisation in Afrika förderte, wurde von vielen unterstützt, die lediglich eine Entfernung freier Schwarzer aus den Vereinigten Staaten wünschten. Im allgemeinen jedoch verlieh der Abscheu gegen die Sklaverei der frühen Missionsbewegung eine moralische und humanitäre Leidenschaftlichkeit, die durch das Gespür eines kollektiven Verschuldens des Westens und der Notwendigkeit einer Sühne noch verstärkt wurde. Die gleiche Einstellung konnte auch anderen Einrichtungen entgegengebracht werden, so dem Kannibalismus, der Witwenverbrennung, der Kindestötung oder dem Menschenopfer. Die humanitäre Seite der Mission ist nie abgestorben, wenn sie auch während der Zeit des —»Imperialismus nach 1880 häufig in der Überzeugung unterging, westliche und zumal britische Herrschaft sei an sich segensreich. Auf Seiten der Mission kam es zu ausdauerndem Eintreten gegen den arabischen Sklavenhandel (ein Kampf, in dem David Livingstone [ 1 8 1 3 - 1 8 7 3 ] eine Schlüsselrolle spielte), gegen den von Britannien im Interesse seiner indischen Besitzungen geförderten Opiumhandel nach China (gegen ihn trat insbesondere die China Inland Mission auf) und gegen eine Verschleppung von Melanesiern auf australische Pflanzungen. Andere Proteste deckten 1903 (eher zögerlich) die von der Verwaltung des Kongostaates begangenen Grausamkeiten auf und 1920 (durch den Internationalen Missionsrat) Zwangsarbeitsmethoden in Ostafrika. Seit den sechziger Jahren des 20. J h . hat das humanitäre Moment erneut an Bedeutung gewonnen
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durch die Ausbildung kirchlicher Hilfsorganisationen für die Arbeit in Übersee und das gezielte Bemühen der Mission, Fragen von Armut, Gerechtigkeit und Frieden in den westlichen Kirchen und der öffentlichen Meinung zur Geltung zu bringen. 3.2. Christentum
und
,,Zivilisation"
Die meisten frühen Missionare gingen von einem Zusammenfallen von Christentum und „Zivilisation" aus, wobei als Zivilisation eine Bündelung der besten Errungenschaften der westlichen Welt im Bereich von Bildung, Technik, sozialer Gestaltung und Lebensweise erschien. Ein gelegentlich gegen die Mission gerichtetes Argument war, daß die rationale Zustimmung zum Christentum einen bestimmten Stand an Zivilisation erfordere. Die meisten Evangelikaien wiesen es zurück, doch einzelne wie Samuel Marsden ( 1 7 6 4 - 1 8 3 8 ) , dessen Einfluß sowohl in der C M S als auch in der L M S wirksam wurde, vertraten die Auffassung, Zivilisation sei nötig, um die arbeitsbejahende Lebenshaltung zu schaffen, die für eine gesunde Kirche erforderlich sei. Daher sollten Polynesier und insbesondere Maori bei der Evangelisation einen Vorrang haben gegenüber den „entarteten" australischen Ureinwohnern. Üblicher war es, Gewerbefleiß und damit „Zivilisation" als Ergebnis der Bekehrung anzusehen. Einige frühe Erfolge - Sklaven und ehemalige Sklaven in der Karibik, aus den Sklavenschiffen befreite Ansiedler in Sierra Leone, Ansiedlungen in Südafrika - schienen das zu bestätigen. In den späten dreißiger Jahren des 19. J h . sprachen humanitäre Schriftsteller wie etwa T h o m a s Powell Buxton ( 1 7 8 6 - 1 8 4 5 ) von einer Verbindung des Handels mit Christentum und Zivilisation. Der Sklavenhandel könne durch einen legalen Handel zum Erliegen gebracht werden, der durch eine Entwicklung der afrikanischen Landwirtschaft angezogen werde und eine Ausbreitung des Evangeliums wie der Bildung und Technik ermögliche. Die Erkundungsreisen David Livingstones beruhten auf ähnlichen Vorstellungen. Die Basler Missionsgesellschaft brachte an der Goldküste sowohl Kakaoanpflanzungen als auch Christen aus Westindien ins Land. Gegen Ende des 19. Jh. geriet die Verbindung mit dem Handel durch den Alkoholhandel in Afrika und Handelsmißstände anderwärts in Verruf. Das Zeitalter des Imperialismus wies die Aufgabe der Zivilisierung stärker unmittelbar der westlichen Kolonialverwaltung als der Mission zu, die ihren eigenen Beitrag dazu im Bereich des Bildungswesens sah. Auch zeitgenössische evolutionistische Aussagen über „Kinderrassen" (d.h. Naturvölker) wirkten auf die Einstellung der Mission zurück. Sowohl die Festigung des Systems der Kolonialherrschaft als auch Entwicklungen innerhalb von Theologie und Frömmigkeit untergruben die Verknüpfung von Evangeliumsverkündigung und Bemühung um einen gesellschaftlichen Wandel, die der Zielvorstellung von „Christentum und Zivilisation" zugrunde lagen. Eine Form der Missionsarbeit war nun auf die persönliche Bekehrung abgestellt (wobei häufig die Schule als Ansprachemedium galt), eine andere ging auf eine christliche Durchdringung der Gesellschaft aus. Die Zeit der Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg führte unter einer allgemeinen Anerkennung der Forderung, alle Kirchen sollten zur Nationenbildung beitragen, zu einem teilweisen Ausgleich der Zielvorstellungen. 3.3. Mission
und
Kirchen
Die Mission hatte Auswirkungen auf die Verhältnisse der westlichen wie der nichtwestlichen Kirchen. Die freiwilligen Gesellschaften waren ursprünglich ein Mittel, untätige oder Hindernisse bereitende Kirchenleitungen zu umgehen. In den dreißiger Jahren hatte die Missionsbewegung unter den Protestanten trotz einer hohen Sterblichkeit und einer Reihe anfänglicher verhängnisvoller Fehler in der Missionsarbeit breite Anerkennung gefunden. Die meisten Missionare kamen immer noch aus dem evangelikalen Lager; doch unter dem Einfluß der Oxfordbewegung (->Anglokatholizismus) wurde auch eine Reihe neuer Gesellschaften gegründet, insbesondere 1859 die Universities' Mission für die Arbeit in Zentralafrika. Die Kirche von Schottland billigte 1824 den Plan einer eigenen Mission, und die älteren schottischen freien Gesellschaften gingen ein, als die großen
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Kirchen sich die Missionsarbeit zu eigen machten. In England wurde die Verbindung der denominationeilen Gesellschaften zu ihren Kirchen enger, im Fall der Methodisten sehr eng. In den Vereinigten Staaten waren bis zur Zeit des Bürgerkrieges die meisten Gesellschaften in die kirchliche Ordnung der jeweiligen Denomination aufgegangen. Die regional aufgebauten, aus dem —• Pietismus hervorgegangenen deutschen Gesellschaften fanden allmählich einen stärkeren landeskirchlichen Rückhalt. Einige nahmen dabei eine ausgesprochen konfessionelle Prägung an, so etwa die Leipziger Mission unter Karl Graul ( 1 8 1 4 - 1 8 6 4 ) . Im späten 19. J h . kam es jedoch beiderseits des Atlantiks zu einer Welle neuer nicht denominationeller, ausgesprochen evangelikaler Gründungen. Sie standen unter dem Einfluß neuer Strömungen in Theologie und Frömmigkeit und waren mit der Haltung der älteren Gesellschaften zu Kirche und Bildungswesen und mit ihrem Finanzgebahren unzufrieden. Das Vorbild für zahlreiche „Glaubensmission e n " war die 1865 von dem unabhängigen Missionar James Hudson Taylor ( 1 8 3 2 - 1 9 0 5 ) gegründete China Inland Mission. Andere Gesellschaften entstanden in der Absicht, älteren Missionsunternehmungen spezielle Hilfestellungen zu geben, so etwa die Mission to Lepers (1874). Im frühen 19. J h . gingen die wesentlichen Anstöße von protestantischer Seite aus. Um die Jahrhundertmitte zeigte eine Reihe neuer Missionsorden ein Wiedererwachen des katholischen Missionsinteresses an. Schon 1817 waren die von Anne-Marie Javouhey ( 1 7 7 9 - 1 8 5 1 ) begründeten Schwestern vom hl. Josef von Cluny in der Krankenhausarbeit in den französischen Kolonien tätig. 1822 gründete Marie-Pauline Jaricot (1799—1862) ihr Werk der Glaubensverbreitung. Das Pontifikat Gregors X V I . ( 1 8 3 1 - 1 8 4 6 ) ließ ein neues päpstliches Interesse an der Mission aufkommen. Gregor war zuvor Präfekt der Propagandakongregation gewesen. Es wurden Orden und Missionspriestergesellschaften zur Arbeit in bestimmten Gebieten, insbesondere in Afrika, gegründet: die Gesellschaft für die afrikanische Mission (1856) und die Gesellschaft der Weißen Väter des tatkräftigen und weitsichtigen Kardinals Charles Martial Allemand Lavigerie ( 1 8 2 5 - 1 8 9 2 ) . Ältere Orden lebten wieder auf: die verkümmernde Kongregation vom Hl. Geist (Spiritaner) erwachte nach ihrer Vereinigung mit der Missionskongregation vom Hl. Herzen Mariens von Fran^ois-Marie-Paul Libermann ( 1 8 0 2 - 1 8 5 2 ) zu neuem Leben. Für die katholische Kirche in der nichtwestlichen Welt waren die Mechanismen des spanischen und portugiesischen Missionspatronats inzwischen nicht mehr praktikabel und auch nicht wünschenswert. Das Verfahren des 19. J h . war immer wieder, bestimmte Orden oder Gesellschaften mit der Arbeit in bestimmten Gebieten zu betrauen. Ein Fortschritt zur Heranbildung einer einheimischen Priesterschaft vollzog sich bei diesem Verfahren nur langsam. Die Enzyklika Maximum illud —»Benedikts XV. von 1919 bestätigte, daß eine vollständige Kirchengründung mit der gesamten Hierarchie überall Ziel der Mission sei. 1926 war dieses Ziel erreicht. Der erste afrikanische Bischof wurde erst 1939 geweiht. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (-»Vatikanum II) jedoch war die breite nichtwestliche Beteiligung augenfällig und möglicherweise entscheidend. Die protestantische Missionstheorie sah das Entstehen einheimischer Kirchen vor, wenn es in der Wirklichkeit zuweilen auch unerwartet war wie in Tahiti in den zwanziger Jahren des 19. J h . , wo es zu einer solchen Übertrittsbewegung kam, daß die kongregationalistischen Missionare der L M S den „nationalen" Charakter der Kirche anerkannten. Die frühe Missionspraxis jedoch stützte sich zwar auf einheimische Lehrer, Evangelisten und Dolmetscher, traf aber kaum Vorkehrungen für eine einheimische Geistlichkeit. In der Mitte des 19. J h . drängten Henry Venn ( 1 7 9 6 - 1 8 7 3 ) von der C M S und Rufus Anderson (1796—1880) von der A B C F M auf eine einheimische Pfarrerschaft (und Venn auch auf einen einheimischen Episkopat) und auf den Grundsatz sich selbst leitender, sich selbst unterhaltender und sich selbst verbreitender Kirchen. Im Zeitalter des Imperialismus nach 1880 kehrte sich die Entwicklung zur Heranbildung einer einheimischen Geistlichkeit um. Das bekannteste Beispiel ist die Auflösung der von Bischof Samuel Adjai Crowther (ca. 1 8 1 0 - 1 8 9 1 ) geleiteten allafrikanischen Nigermission durch
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junge europäische Missionare und die Ablösung Crowthers durch einen Europäer. Der Grundsatz der drei Selbst wurde nie aufgegeben, doch die Selbstleitung wurde in die Zukunft verwiesen. In einigen Ländern (so in Malawi, Nigeria und Südafrika) kam es daher zu schismatischen oder unabhängigen kirchlichen Bewegungen. Es gab auch andere Auffassungen: Roland Allen ( 1 8 6 9 - 1 9 4 7 ) trat mit biblischen Argumenten für die zentrale Bedeutung einer einheimischen Geistlichkeit ein; obwohl er hochkirchlicher Anglikaner war, fand er den größten Widerhall bei den Evangelikaien der nicht denominationell gebundenen „Glaubensmission". Die deutsche Missionsarbeit, die über feinfühlige Missionstheoretiker verfügte, die zugleich gute Kulturanthropologen waren wie Bruno Gutmann ( 1 8 7 6 - 1 9 6 6 ) in Tansania und Christian Keyßer (1877—1961) in Papua Neuguinea, verfolgte gelegentlich ein volkskirchliches Modell, das alle Lebensbereiche der überkommenen Gesellschaftsordnung in die Kirche einbezog. Paradoxerweise hat die Missionsarbeit, die Gewicht auf das Selbstvertrauen der Kirche vor Ort legte, nicht immer für den Zugang zu der höheren Bildung gesorgt, der im kirchlichen wie im politischen Bereich Voraussetzung für die Wahrnehmung von Führungsaufgaben im nationalen Rahmen ist. Der durch den Ersten Weltkrieg herbeigeführte empfindliche zahlenmäßige Rückgang der in der Mission tätigen Kräfte, der für die deutsche Missionsarbeit infolge der Ausweisung oder Internierung von Missionaren besonders einschneidend war, lud einheimischen Kräften eine besondere Leitungsverantwortung auf und führte gelegentlich zur Errichtung sich selbst leitender Kirchenbildungen wie etwa 1926 der Presbyterianischen Kirche der Goldküste. Die gleiche Zeit schuf die Voraussetzungen für das Auftreten charismatisch-prophetischer Prediger, unter denen William Wade Harris (gest. 1929) in Westafrika, der dem christlichen Glauben Tausende von Afrikanern zuführte, der bekannteste ist. Der Zweite Weltkrieg führte in vielen Gebieten zu ähnlichen Verhältnissen, insbesondere in —»Indonesien, wo sich die Batak-Kirche in Sumatra nach dem Krieg schnell nicht nur zu einer sich selbst leitenden Kirche, sondern auch zu theologischer und liturgischer Selbstbestimmung entfaltete. Mittlerweile hat eine Reihe afrikanischer und asiatischer Inhaber kirchlicher Leitungsämter durch den Internationalen Missionsrat internationales Ansehen gewonnen. Die Entkolonialisierung und die Bildung neuer Staaten gab den größten Ansporn zu einer vollständigen Indigenisierung der kirchlichen Ordnung und Leitung. Das Verhältnis zwischen westlicher, katholischer wie protestantischer Mission und den alten Kirchen des Ostens war zwiespältig. Die östlichen Kirchen sahen sich teils von den Erscheinungsformen der westlichen Missionsarbeit angezogen, teils fühlten sie sich davon bedroht. Von den zwiespältigen Auswirkungen der Synode von Diamper war schon die Rede (s.o. 2.3.). Im Gefolge der römisch-katholischen Mission sind im Orient verschiedene mit R o m —»unierte Kirchen entstanden. Im frühen 19. J h . faßte die C M S den Entschluß, mit volkssprachlichen Schriften und Bildungsbemühungen auf eine Reform und Erneuerung der alten Kirchen hinzuarbeiten. Diese Linie wurde mit unterschiedlichen Ergebnissen in Ägypten (-»Koptische Kirche), -»Äthiopien, Südindien (—»Indien), dem Iran und dem Irak (-»Jakobitische Kirche; -»Nestorianische Kirche) verfolgt. 3.4. lnternationalisierung
der Mission
und Ökumenische
Bewegung
Der gemeinsame Einsatz in der Missionsbewegung führte häufig zu freundschaftlichen Beziehungen und zur Zusammenarbeit über nationale und denominationelle Grenzen hinweg. Frühe Periodika wie das Missionary Register brachten Nachrichten und Informationen aus nahezu allen protestantischen Missionen. Bisweilen verhinderte dies allerdings nicht Auseinandersetzungen vor Ort über Zuständigkeits- und Ordnungsfragen. Doch selbst sie gaben die Einsicht zu erkennen, daß die Missionen im Einsatz für eine gemeinsame Sache standen und ihre Tätigkeit gegenseitig respektieren sollten. Periodische interdenominationelle Konferenzen zur Erörterung gemeinsamer Probleme fan-
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den seit 1855 in Indien, seit 1872 in Japan und seit 1877 in China statt. Als erste internationale Konferenz läßt sich die 1854 in New York abgehaltene Union Missionary Convention bezeichnen, die den Rahmen eines Besuchs des herausragenden schottischen Missionars Alexander Duff ( 1 8 0 6 - 1 8 7 6 ) bildete. Bedeutsamer war eine 1860 in Liverpool gehaltene Konferenz über Fragen der Missionspraxis, die wegen der energischen Diskussionsbeiträge eines indischen Geistlichen, Lal Behari Singh, Beachtung verdient. 1878 und 1888 fanden Tagungen in London statt, und 1900 trat in New York eine große ökumenische Missionskonferenz zusammen. Bei diesen Konferenzen spielte die kontinentaleuropäische Mission eine verhältnismäßig geringe Rolle. Es gab jedoch seit 1866 eine gewichtige Reihe kontinentaleuropäischer Konferenzen unter deutscher Leitung, die von Persönlichkeiten wie Friedrich Fabri ( 1 8 2 4 - 1 8 9 1 ) , Franz Michael Zahn (1833 — 1900) und vor allem Gustav —> Warneck bestimmt waren. Eine neue Dimension der Tätigkeit und Zusammenarbeit wurde durch eine unter amerikanischen Studenten um sich greifende ungemein lebendige Missionsbewegung eröffnet, die nach Britannien und dann auch auf andere Länder übergriff. Zu ihren Wegmarken gehört eine 1886 in Mount Hermon (Massachusetts, USA) gehaltene Konferenz, auf der der Evangelist Dwight L. Moody ( 1 8 3 7 - 1 8 9 9 ) die Bildung des Student Volunteer Movement leitete, und in Britannien die 1892 begründete Student Volunteer Mission Union. Die Studentenbewegung war ursprünglich eine Vereinigung zur Förderung und Vorbereitung überseeischen Missionseinsatzes und entwickelte sich dann zu einem internationalen Netz missionswissenschaftlicher Arbeit und des Eintretens für den Missionsgedanken. Ein junger Amerikaner, John R. - > M o t t , wurde zu ihrem anerkannten Leiter. Beträchtliche Begeisterung galt dem Ziel einer „Evangelisation der Welt in dieser Generation", ein Schlagwort, das zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich gedeutet worden ist und durch die weitverbreitete Zeitschrift Missionary Review of the World des Amerikaners A.T. Pierson wachgehalten wurde. Warneck und andere deutsche Missionstheologen waren dieser Begeisterung und dem damit verbundenen amerikanischen Aktivismus gegenüber zurückhaltend. Gleichwohl bildete die Studentenbewegung seinerzeit wahrscheinlich die ökumenisch umfassendste und einheitlichste Gruppierung, die sich der Theorie und Praxis der Mission widmete. Sie verfügte auch über eine wirksame Organisation und hat zweifellos den Weg für die 1910 in Edinburgh zu einer Bestandsaufnahme der Weltmission abgehaltene Internationale Missionskonferenz geebnet. Sie bekundet die aus der Studentenbewegung erwachsene gründliche Vorbereitungsarbeit und organisierte internationale Zusammenarbeit. M o t t war Vorsitzender und der Schotte Joseph H. Oldham ( 1 8 7 4 - 1 9 6 9 ) Sekretär der Konferenz. Ihre Zusammensetzung entsprach dem jeweiligen überseeischen Missionseinsatz der einzelnen Länder und wurde von Kirchen und Missionsorganisationen getragen. Dabei ergab sich ein Spektrum nationaler Herkunft und theologischer Einstellungen von einer bislang ungekannten Breite. Eine kleine, aber bedeutende Gruppe führender asiatischer (jedoch nicht afrikanischer) Christen war vertreten. Die Konferenzarbeit vollzog sich in Ausschüssen, die sorgfältig ausgearbeitete Berichte über Fragen wie „das Christentum im Verhältnis zu anderen Religionen", „Kirchen und Regierungen" und die Bereitstellung und Ausbildung von Kräften für die Missionsarbeit vorlegten. Die Konferenz schuf ein Klima, in dem festere Formen internationaler Zusammenarbeit ausgebildet werden konnten. Ihr Internationaler Fortsetzungsausschuß hätte sehr wohl dem Ersten Weltkrieg zum Opfer fallen können. Doch er überdauerte und befaßte sich mit einer Reihe empfindlicher Missionsprobleme, die sich aus den Kriegsverhältnissen ergaben, so daß 1921 ein ständiger Internationaler Missionsrat (IMR) eingerichtet werden konnte. Ein unmittelbares Ergebnis der Konferenz war die Gründung der Zeitschrift International Review of Missions als eines Forschungsund Diskussionsorgans. Außerdem gab sie den Anstoß zu einer Reihe statistischer Erhebungen und zu Medien spezieller Forschung wie der Zeitschrift The Moslim World. 1913 bereiste M o t t Asien und richtete 21 Gebietskonferenzen über die Lage des Christentums in den jeweiligen Gebieten aus. Das führte zur Ausbildung von Organisationen,
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aus denen sich die Nationalen Christlichen Räte Indiens, Chinas und Japans mit starker und letztendlich ausschlaggebender einheimischer Beteiligung als Vorläufer einer großen Zahl solcher Räte in der ganzen Welt entwickelten. Neben der Förderung und Entfaltung internationaler und ökumenischer Unternehmungen unterstützte der I M R Untersuchungen zu Fragen christlichen Handelns und christlicher Verantwortung. In zunehmendem Maße beschäftigten sich diese ebensosehr mit sozialen und wirtschaftlichen Fragen oder Rassenproblemen wie mit solchen der Evangelisation oder des Bildungswesens, das zu dieser Zeit einen Schwerpunkt der Missionstätigkeit bildete. Es fanden zwei Vollversammlungen statt, 1928 in Jerusalem und 1938 in Tambaram (Madras), beide mit jeweils zunehmender aktiver Beteiligung aus den „Jungen Kirchen". Der I M R gab auch theologische Arbeiten in Auftrag, insbesonmissions der Layman's Comdere die 1930 veröffentlichte Untersuchung Re-thinking mission of Enquiry unter William Ernest Hocking (1873-1966) und den Vorbereitungsband für die Versammlung von Tambaram von Hendrik Kraemer (1888-1965), The Christian Message in a non-Christian world. Die von der Weltmissionskonferenz von 1910 eingeleitete und im I M R fortgesetzte Entwicklung war ein wesentlicher Teil des Weges, der zur Schaffung des Weltrates der Kirchen 1948 führte (—»Ökumene). Die Konsequenz der wachsenden Bedeutung der Kirchen Afrikas und Asiens und die Feststellung, daß die westliche Welt mittlerweile ebenso sehr Missionsgebiet war wie jeder andere Erdteil, führte dann zu der 1961 vollzogenen Vereinigung des IMR und des Weltrats der Kirchen. Die Terminologie und Vorstellung einer „Mission in Übersee" macht zunehmend der einer „Mission in sechs Kontinenten" Platz. Der Gegensatz zwischen Fundamentalisten und Modernisten hatte in Edinburgh nicht störend gewirkt. Doch in der Folgezeit versagte sich ein beträchtlicher Teil der nun aufblühenden evangelikalen Missionsbewegung in Nordamerika aus ideologischen Gründen einer Mitwirkung im IMR. 1917 wurde die Interdenominational Foreign Missions Association und 1945 die Evangelical Missions Association gegründet. Andere, für eine Mitarbeit im I M R offene evangelikale Organisationen mißbilligten die Vereinigung mit dem Weltrat der Kirchen. Eine Folge davon war eine weitere internationale Organisation, das Lausanner Komitee für Weltevangelisation, dessen Eröffnungsversammlung 1974 stattfand. Afrikanische, asiatische und lateinamerikanische Evangelikaie haben ihr Augenmerk in zunehmendem Maße Fragen der sozialen Gerechtigkeit zugewandt. 3.5. Auswirkungen
der
Missionsbewegung
Die Missionsbewegung war ein wesentliches Element der demographischen und kulturellen Umgestaltung des Christentums während eines Zeitraums von 500 Jahren. Sie hat seinen Übergang von einer fast ganz auf Europa begrenzten territorialen Größe zu einem weltweiten, über sechs Kontinente verbreiteten Bekenntnis mit gegenwärtigen Wachstums- und Entwicklungsschwerpunkten in den südlichen Kontinenten ermöglicht. Zahlenangaben sind zwangsläufig vage; doch eine Berechnung besagt, daß zu Beginn des 20. Jh. 83% der bekennenden Christen in Europa und Nordamerika lebten; am Ausgang des Jh. leben fast 60% in Afrika, Lateinamerika, Asien und Ozeanien. Die Bewegung hat auch eine entscheidende Mittlerrolle zwischen dem Westen und der nichtwestlichen Welt gespielt. Sie hat zum Beispiel einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung eines modernen Bildungswesens in nichtwestlichen Ländern geleistet. Dieser Beitrag hat viele Seiten: Er bildet ein entscheidendes Moment bei der Ausbildung eines Hochschulsystems in Indien und China und bestimmt den Bildungshintergrund zahlreicher führender Persönlichkeiten der afrikanischen Nationalbewegungen, die häufig Anstöße von darin vermittelten christlichen Motiven erhalten haben. Desgleichen war er in vielen Gesellschaften die hauptsächliche Ausgangsbasis einer modernen Medizin und Gesundheitsfürsorge, die teils an die Stelle überkommener Methoden, teils neben sie getreten
M i s s i o n VI
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ist. D i e M i s s i o n s b e w e g u n g h a t m a n c h e s d a z u b e i g e t r a g e n , d e n W e s t e n m i t d e r L i t e r a t u r , G e s c h i c h t e , K u l t u r u n d R e l i g i o n d e r n i c h t w e s t l i c h e n W e l t b e k a n n t zu m a c h e n .
Mag
das d a v o n gezeichnete Bild zuweilen a u c h verzerrt gewesen sein, so h a b e n doch Persönlichkeiten aus der Missionsarbeit wie der Sinologe J a m e s Legge ( 1 8 1 5 - 1 8 9 7 ) ,
der
Indologe J o h n Nicol F a r q u h a r ( 1 8 6 1 - 1 9 2 9 ) oder der Begründer der modernen sprachwissenschaftlichen Afrikanistik Sigismund Wilhelm Koelle ( 1 8 2 2 - 1 9 0 2 ) dem westlichen D e n k e n neue T ü r e n geöffnet und neue wissenschaftliche Bereiche erschlossen. Ähnliches h a b e n zahllose a n d e r e geleistet, die, oft gegen ihr erstes E m p f i n d e n , dazu k a m e n , sich e i n g e h e n d u n d e i n f ü h l s a m m i t d e m L e b e n d e r V ö l k e r zu b e f a s s e n , u n t e r d e n e n sie a r b e i t e t e n . H ä u f i g h a t die M i s s i o n s b e w e g u n g a u c h d a s w e s t l i c h e c h r i s t l i c h e G e w i s s e n f ü r das Leid und die A u s b e u t u n g nichtwestlicher V ö l k e r schärfen k ö n n e n . Eine Fülle von S p r a c h e n ist e r s t m a l s d u r c h M i s s i o n a r e v e r s c h r i f t l i c h t w o r d e n . D a s B e s t r e b e n d e r k a t h o l i s c h e n w i e p r o t e s t a n t i s c h e n M i s s i o n w a r es, die V o l k s s p r a c h e n d u r c h V e r w e n d u n g i m G o t t e s d i e n s t u n d Ü b e r s e t z u n g e n l e b e n d i g zu e r h a l t e n u n d z u g l e i c h w e i t e r e g e s e l l s c h a f t l i c h e u n d i n t e r n a t i o n a l e B e z i e h u n g e n zu e n t w i c k e l n . I n s o f e r n h a t s i c h die M i s s i o n e b e n s o als B e w a h r e r i n a n g e s t a m m t e r K u l t u r w i e als M i t t l e r i n z u r m o d e r n e n W e l t erwiesen. Quellen J o s é de Acosta, Historia natural y moral de las Indias [1590], hg. v. José Alcina Franch, Madrid 1987. — Pablo José de Arriaga, La extirpación de la idolatría del Pirú [1621]: Crónicas Peruanas de Interés Indígena, hg. v. Francisco Esteve Barba, Madrid 1968, 191—277; dt.: Eure Götter werden getötet. Ausrottung des Götzendienstes in Peru (1621), hg. v. Karl A. 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Andrew F. Walls
VII. Systematisch-theologisch 1. Systematisch-theologische Begründung 2. Ziele der Mission 3. Mission als Dialog 4. Die Mission und die anderen Religionen 5. Mission und Entwicklung (Literatur S . 6 7 )
1. Systematisch-theologische
Begründung
Mission als Lebensäußerung der Kirche gründet im Heilsereignis der Inkarnation des göttlichen - > L o g o s selbst. In der Menschwerdung des Sohnes vollzieht der ewige G o t t seine Zuwendung zu der von ihm erschaffenen und abgefallenen Menschheit. In der typologischen Bezeichnung Christi als „zweiter A d a m " (Rom 5,11 ff) erscheint der Mensch schlechthin als der von diesem Ereignis Betroffene. Die ihn von Natur aus bestimmenden Grenzen und Trennungen (familiär, völkisch, rassisch, kulturell u . a . m . ) sind durch die Teilhabe am „Neuen S e i n " (P. Tillich) in Christus aufgehoben. Mission hat es mit der Kundgabe und Vermittlung eben dieser der Menschheit schlechthin geltenden Zuwendung Gottes zu tun. Seinem universalen Heilswillen gemäß ist Mission ein Entsprechungshandeln im Nachvollzug des so Geschehenen. Seinen ersten geschichtlichen Ausdruck findet dies in den Worten und Taten Jesu als des „ U r m i s s i o n a r s " ( M . Hengel 36) selbst. Seine missionarische Verkündigung ist die Interpretation der Geschichte Gottes mit Israel und mit den Völkern im Lichte dieses sie erfüllenden Menschheitsereignisses. Im Rahmen einer bestimmten Geographie, Sprache und Kultur wird von ihm das für die Menschheit durch ihn in Geltung Gesetzte proklamiert. Missionarischem Handeln eignet darum von seinen in der Heilsgeschichte grundgelegten Anfängen her ein „repräsentativer C h a r a k t e r " (W. Grundmann). Bereits Paulus versteht sein Apostolat als Stellvertretung Christi (II Kor 5,20). Gleiches gilt für das Verhältnis der Kirche zur übrigen Menschheit. Sie ist Mitstreiterin Christi (Phil 1,27ff) gegen die M ä c h t e , die die Menschheit in Fesseln halten. Die Gemeinschaft der Christen als das neue Geschlecht (I Petr 2,9) wird damit zur Vermittlerin des Geschenkes Gottes im Sohn. Ihr Zeugnis umschließt Beispiel und Kundgabe in einem. In der M e t a pher des Sauerteigs (Mt 13,33 ff) ist sie durch ihr Sein selbst bereits weiterwirkende Kraft des in ihr gegenwärtigen Herrn. Ihre Bestimmung verweist sie an andere. Ihrem instrumentalen Charakter entsprechend hat sie „eine geschichtlich-beispielhafte und eine eschatologisch-befreiende und mithelfende F u n k t i o n " (W. Grundmann). Das Verständnis der „Mission im Blick auf das E n d e " (W. Freytag, II 186) weist ihr im Sinne paulinischer Dringlichkeit ( R o m 13,11 u.a.) ihren Ort zwischen den Zeiten des gekommenen und des wiederkommenden Christus an. Der Grund der Mission wird hier in ihrem antizipatorischen Charakter gesehen. Es ist die Bewegung aus der verheißenen Endgültigkeit in die geschichtlichen Bedingtheiten der Gegenwart. Dem Wesen des Glaubens entsprechend ist sie die Vorwegnahme des Neuen unter den Bedingungen des geschichtlich noch Vorläufigen. Insofern trägt sie Zeichencharakter. Was sie im Sinne ihres Auftragsverständnisses zu bewirken und zu erreichen vermag, weist notwendig immer wieder über sich hinaus. So bleibt das missionarische Prinzip Grund jenes dynamischen Elementes, das die Kirche entgegen Beharrungsvermögen und Lagermentalität aufbrechen läßt (Hebr 13,13 f), sie von einseitigen und vorschnellen Allianzen mit Zeittendenzen freihält und ihren Horizont den dominanten Eingrenzungen in das bloß Gegenwärtige entreißt.
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Die Bestimmung der Mission als antizipatorische Bewegung hängt auf das Engste mit dem Wesen der Kirche als „Geheimnis Gottes" (Eph 5,32) zusammen. Daß der Christen wahres Wesen verborgen ist in Christus (Kol 3,3), macht die sakramentale (-»Sakramente) Dimension (ßvoxfipiov, sacramentum) der Kirche aus und läßt die Mission als ein mehrdimensionales Geschehen erscheinen. Für die „Botschafter der Geheimnisse Christi" (I Kor 4,1) bleiben Wirkung, Erfolg oder Mißerfolg der Mission der Verrechenbarkeit im gesellschaftlichen und politischen Kontext entnommen. Missionarischer Dienst teilt die der Christologie und damit auch der Ekklesiologie eigene Unaufweisbarkeit des in ihr liegenden Verborgenen. Eingebettet in die Abläufe und in die Konditionen zeitgeschichtlicher Voraussetzungen bleibt sie der Ambivalenz ungläubiger Deutungen ihrer Motive ausgeliefert. Erfolge oder Fehlschläge, Schuldhaftes und Fremdbestimmungen müssen deshalb in den Grenzen geschichtlicher Wahrnehmungen und Mißdeutungen gesehen werden, die das in seiner eschatologischen Sinnerfüllung verborgene Wesen nicht zu erfassen vermögen. Die Kirche vollzieht ihre Mission angesichts des Selbstverständnisses und des universalen Anspruchs auch anderer Religionen und Heilsbotschaften. In der Begegnung und Auseinandersetzung mit ihren Heilsangeboten kann sich das missionarische Zeugnis nicht darauf beschränken, Grenzen und Defizite derselben aufzuzeigen. Seit der apostolischen Zeit werden die Religionen als Wege verstanden, auf denen die Menschen der geschöpflichen Erfahrung der Gotteswirklichkeit Ausdruck geben (Rom l,19f; Act 17,22f). Der von Natur aus auf Gott hin geschaffene Mensch (—»Augustinus) gibt dieser seiner geschöpflichen Bestimmung Ausdruck in Gestalt konkreten religiösen Verhaltens. Die Mission der Kirche wird dadurch diesen den Völkern eigenen religiösen Ausdrucksweisen gerecht, daß sie in ihnen „Saatkörner des Wortes" Gottes (Nostra Aetate 2) und „Reichtümer, die der freigebige Gott unter den Völkern verteilt hat" (Ad Gentes 11) erkennt. Sie nimmt in ihnen die Gaben des dreieinigen Gottes wahr, die der Heilige Geist in Vorbereitung des Kommens Christi unter den Menschen wirkt. Aufgabe der Mission ist es, durch ihren umfassenden Zeugendienst diesen Zusammenhang aufzuzeigen. Sie wird damit zum Hermeneuten der religiösen Antworten, die Menschen vor und außerhalb der christlichen Wahrheit - unter Umständen auch im Widerspruch zu ihr - auf die Grundfragen nicht allein ihres Lebens, sondern der Welt und des Kosmos gefunden haben. Der Begründungszusammenhang der christlichen Mission ist darum auch in diesem ,hermeneutischen Zirkel' zu sehen. In ihm geht es um die Wiederherstellung des von Anfang an (Gen 1,27) der Menschheit eigenen Gottesverhältnisses und um seinen Aufweis in den geschichtlich bedingten Niederschlägen in den Religionen und deren Unterstellung unter das Kriterium „Gott in Christus". In diesem Zusammenhang gewinnt der Dialog mit Menschen anderer Religionen und Kulturen (->3.) seine notwendige Funktion. 2. Ziele der
Mission
Bei der Bestimmung der Ziele der Mission sind im Verlaufe ihrer Geschichte jeweils unterschiedliche Akzente gesetzt worden. Sie hängen zum einen mit dem ihnen zugrundeliegenden Kirchenverständnis, zum anderen mit den in Bezug auf die neutestamentliche Grundlegung wirksam gewordenen Modellen zusammen. Auf evangelischer Seite spielte seit den bedeutenden missionstheologischen Arbeiten Gustav ->Warnecks (1834-1910) die gemeindegründende Funktion der Mission („Kirchenpflanzung") eine wesentliche Rolle. Als Modell für den Zuschnitt der neuen Gründungen galt weitgehend die auf völkischen Gegebenheiten beruhende „volkskirchliche" Struktur in Entsprechung zur heimatlichen Landeskirche. Ziel der Mission mußte es deshalb sein, die dem jeweiligen Volkscharakter eigenen Besonderheiten zu berücksichtigen und der Gestalt der neuen kirchlichen Gemeinschaft zugute kommen zu lassen. Die Forderung, daß mit der transplantatio ecclesiae zugleich eine implantatio hinsichtlich der in Religion und Kultur eines Volkes gewachsenen Traditionen verbunden
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sein muß, hat, von G. Warneck ausgehend, vor allem bei Missionstheologen wie Bruno Gutmann und Christian Keyßer nachgewirkt. Das Ziel war hier nicht nur, Brauchtum und vorchristliche religiöse Werte aufzunehmen und sie der Vermittlung christlicher Inhalte zugute kommen zu lassen. Gewollt war zugleich eine belebende und bereichernde Rückwirkung missionarischer Tätigkeit auf die heimatlichen Gemeinden. Die in der nachfolgenden ökumenischen Diskussion (—»Ökumene) entfaltete Auffassung von der Mission im Dienste der Erneuerung der Kirche erhielt hier ihre anfängliche, theologisch noch unentfaltete Zielbestimmung. Im Blick auf den einzelnen läßt sich das Missionsziel im Sinne der neutestamentlichen ¡jztàvoia (—»Bekehrung) als existentielle Wandlung zum Heil bestimmen. „Die Bekehrung führt aus dem Bereich derer, die ,im Verlorengehen begriffen sind', in den Kreis derer, die ,im Gerettetwerden begriffen sind' (I Kor 1,18; II Kor 2,15), und das heißt in die Existenzweise des Glaubens" (H.-W. Gensichen 113). In der missionswissenschaftlichen Diskussion um das Bekehrungsziel wird mit Recht darauf hingewiesen, daß der mit diesem Begriff bezeichnete Existenzwandel des einzelnen eingebettet ist in ein Bündel von Lebensbezügen sozialer, kultureller und religiöser Faktoren. Sie gilt es in der Verfolgung dieses Missionszieles zu berücksichtigen. Neben der „Psychologie der Bekehrung" (W. Freytag I 170) spielen Strukturen, Ordnungen und Bezüge eine Rolle, in denen der einzelne lebt. Gegenüber einer Überbetonung der Bekehrungsthematik mit der Folge der Individualisierung des Missionszieles wurde darum auf die notwendigen Gemeinschaftsbezüge verwiesen, die die Zuwendung zum einzelnen notwendig zu ergänzen haben. Das konnte in der Praxis der Mission bedeuten, daß in bestimmten Situationen dem Taufbegehren (-»Taufe) einzelner solange nicht stattgegeben wurde, bis eine sie aufnehmende und sie bergende Gemeinschaft diesen Schritt gemeinsam vollziehen konnte. In der evangelikalen Missionsbewegung (sog. ,Glaubensmissionen'), in der das Missionsziel der Bekehrung eine dominante Rolle spielt, sind in jüngster Zeit Studien zu Fragen des Gemeindewachstums ( C h u r c h Growth) von zunehmendem Interesse (D.A. McGavran, A.F. Glasse, C.P. Wagner u.a.). Im Blickpunkt stehen nicht nur alle ,Rahmenbedingungen', die den Gemeindeaufbau (—»Gemeinde) begleiten. Es geht um psychologisch, soziologisch und ethnologisch sowie religionswissenschaftlich abgestützte Untersuchungen, auf Grund derer unter Verwendung moderner Unternehmensplanungen das Bekehrungsmotiv begleitende Strategien' verfolgt werden. Die für die Bestimmung des Missionszieles maßgebenden Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils (Ad Gentes) gehen von dem Verständnis der Kirche als des „universalen Zeichen[s] des Heils" aus, „das für die ganze Welt und für alle Zeiten von Gott errichtet ist" (A. Grillmeier). Die Missionstätigkeit der Kirche als universale sacramentum salutis (Lumen Gentium 48,59; Ad Gentes 1,5) dient dem Ziel, das, was in der Sendung des Sohnes durch den Vater „einmal für alle zum Heil vollzogen worden ist, in allen im Ablauf der Zeiten seine Wirkung erlangen" (Ad Gentes 3) zu lassen. Die Mission steht im Dienste der „vollen Teilhabe am Christusgeheimnis". Sie soll „durch das Zeugnis des Lebens, die Verkündigung und die Sakramente und die übrigen Mitteilungsweisen der Gnade zum Glauben, zur Freiheit und zum Frieden Christi führen" (Ad Gentes 5). In der 1991 verkündeten Enzyklika Johannes Pauls II. Redemptoris Missio werden die vom Zweiten Vatikanischen Konzil benannten Missionsziele unter Berücksichtigung der nachkonziliaren Entwicklungen im Blick auf die gegenwärtige Situation fortgeschrieben. Angesichts einer „stark veränderten und schillernden religiösen Situat i o n " wird verdeutlicht, warum die Aussage, daß die ganze Kirche missionarisch zu sein hat, die besondere Mission ad gentes in neuer Weise erforderlich macht. Gegenüber Tendenzen, die Bedeutung des Christentums auf rein humanitäre Zwecke zu begrenzen, auf eine „Lehre des guten Lebens", in einer säkularisierten Welt (—»Säkularisierung) eine „Säkularisierung des Heils" Platz greifen zu lassen, ist es Aufgabe und Ziel der Mission, der Menschheit das „umfassende Heil zu bringen, das den ganzen Menschen
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und alle Menschen erfassen soll, um die wunderbaren Horizonte der göttlichen Kindschaft zu erschließen" (Redemptoris Missio 11). 3. Mission
als
Dialog
Das dialogische Element ist der missionarischen Verkündigung von Hause aus eigen. In der Verkündigung Jesu von der mit seinem Erscheinen angebrochenen Reich-GottesWirklichkeit (—>Herrschaft Gottes) ist der ,Dialog' mit den Verheißungen, die Israel gelten, von zentraler Bedeutung. Die Antithesen der —»Bergpredigt („Ich aber sage euch") sind ebenso Teil dieses Dialogs mit den Glaubenden Israels wie seine Streitgespräche mit Schriftgelehrten und —»-Pharisäern und wie die beziehungsvollen Aufnahmen mosaischer und prophetischer Verheißungs- und Gerichtstraditionen. Im corpus Paulinum tritt zum Glaubensdialog mit Israel (insbesondere in Rom und Gal) eine missionarische Verkündigung, die bis in die Terminologie hinein das griechische geistesgeschichtliche und religiöse Denken seiner Adressaten berücksichtigt (-»Gnosis, -»Stoa u.a.). Für die frühchristliche Tradition, insbesondere für Theologen wie -»Justin, —»Irenäus und -•Clemens von Alexandrien, finden sich in den Überlieferungen der Völker „ S a m e n " , die der göttliche Logos auch dort gesät hat. Durch ihre Geschichte hindurch hat die Mission ihre Aufgabe als eine Vermittlung verstanden, bei der die Menschen, an die sie sich richtet, beteiligt werden und in ihren unterschiedlichen Voraussetzungen zu Wort kommen. Mission hat es darum in besonderer Weise mit den Fragen zu tun, die die sog. ,Akzeptanzproblematik' auf Seiten derjenigen betreffen, an die sie sich richtet. Sie umschließt nicht allein die Fragen, die sich im Umkreis von —»Sprache, Denken, —»Sitte und religiöser Erfahrungswelt stellen. Der hier geforderte Dialog ist zugleich ein Dialog des gemeinsamen Lebens unter denen und mit denen, die mit ihren eigenen Voraussetzungen in die neue Gemeinschaft der Glaubenden einzubezichen sind. Solche Breite und Tiefe des christlich-missionarischen Dialogs hat seine letzte Begründung im inkarnatorischen Prinzip des Christentums selber. Der in der Menschwerdung sich erfüllenden Nähe Gottes entspricht die zu vermittelnde Teilhabe des Menschen an dieser Nähe Gottes in allen Dimensionen seines Seins. Der Dialog des Glaubens ist darum zugleich ein Dialog der liebenden Zuwendung zu den Menschen. Die Verkündigung umschließt das Zeugnis einer neuen Qualität von ,Mitmenschlichkeit', die ihre Transparenz behält im Blick auf ihren Gabecharakter und ihren Stiftungsgrund in der Christusgemeinschaft. Das die frühchristliche Mission begleitende Erstaunen im außerchristlichen missionarischen Umfeld („Seht, wie sie einander lieben!") bleibt für jede missionarische Verkündigung ein gültiger Hinweis auf einen integralen Bestandteil. In der konkreten Erfahrung der Gemeinschaft in Christus vollzieht sich zugleich der umfassende ,Dialog' mit den ihr vorgängigen anderen Gemeinschaftserfahrungen (Verwandtschaftssysteme, Kaste, Volk u . a . m . ) . Im Kontext der neuen uneingeschränkten Einheit von Menschen in der Christusteilhabe enthüllen diese Gemeinschaftserfahrungen ihren geschichtlich vorbereitenden Charakter. Der Dialog über die Nächstenschaft dort und über die neue Bruderschaft hier bleibt in der missionarischen Verkündigung darum nicht ein isolierter Akt einer bloß neue Einsichten vermittelnden religiösen Kundgabe. Er schließt die Partizipation an der neuen, alle natürlichen Gemeinschaftserfahrungen entgrenzenden Leibchristusgemeinschaft als Akzeptanzbedingung für die missionarische Verkündigung mit ein. „Das Moment der Solidarität müßte gewährleisten, daß die Kondeszendenz G o t t e s . . . auch in die missionarische Verkündigung eingeht" (H.-W. Gensichen, Glaube 227f). In der Diskussion um das Verhältnis von Dialog und —»Verkündigung ist ihre innere Einheit durch einseitige Akzentverschiebung gelegentlich übersehen worden. Auf die Gefahr, daß ein unverbindlicher ,Dialog' seinen Rückbezug auf die Wahrheitsfrage (-•Wahrheit) in den Glaubensbindungen der Dialogführenden verliert, ist in dieser Diskussion mit Recht hingewiesen worden. „Wir sprechen vom Normativ-Christlichen.
Mission VII
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Das heißt: Wir fragen nach dem, was christlicherseits in den Dialog mit den Religionen wie überhaupt in die Verkündigung als verpflichtender Anruf an die Welt eingebracht w i r d " (H. Waidenfels). 4. Die Mission
und die anderen
Religionen
Der missionarische Dialog hat seine entscheidende Dimension dort, wo er den Menschen in ihren vor- und außerchristlichen religiösen Bindungen gilt. Die Verkündigung richtet sich immer an Menschen, die durch die Geschichte ihrer Völker in ihren Religionen Antworten auf die sie bewegenden Grundfragen ihres Lebens und der Welt im ganzen gefunden haben. Insofern hat es die Mission in Bezug auf die Menschen in ihren Religionen nicht allein mit nach letzter Wahrheit Suchenden zu tun. Die Aufgabe der Mission im Dialog mit anderen Religionen ist darin schwieriger, daß die Antwort, die sie in ihrer Verkündigung auf die Grundfragen menschlicher Existenz gibt, auf die in den verschiedenen Religionen anderweitig bereits gegebenen Antworten trifft. Hinzukommt, daß diese Aufgabe „in einer offenkundig multireligiösen und interdependenten Weltgemeinschaft" (C. F. Hallencreutz) wahrzunehmen ist. Religionen wie der Hinduismus und der Buddhismus, aber auch die Welt der Stammesreligionen, sind durch die geschichtlich vorgängige Begegnung mit dem Christentum, durch abendländisches Gedankengut wie auch durch die nachbarschaftliche Nähe von Christen in ihren Ländern nicht unberührt geblieben. In den Reformbewegungen und durch die aktualisierenden Auslegungen ihrer Traditionen seitens moderner Denker stellen sie ihrerseits bereits Reaktionen auf diese Herausforderungen dar. Die missionarische Begegnung mit Menschen dieser Religionen stößt darum in der Gegenwart in neuer Weise auf eigene S p u renelemente', die dem Gesamtzusammenhang der christlichen Wahrheit entnommen und in den Kontext einer fremden Religion aufgenommen worden sind. Begriffe wie -»Freiheit, —»Friede, Nächstenliebe u. a. m. können im Dialog einen dem christlichen Verständnis verwechselbaren Klang annehmen, obwohl sie in einem anderen religiösen Begründungszusammenhang stehen. Damit steht der missionarische Dialog vor der Aufgabe, den Zusammenhang zwischen diesen fremdreligiös wirksam gewordenen Aspekten der christlichen Wahrheit und ihrem Gesamtzusammenhang mit der in Christus offenbarten Wahrheit erkennbar werden zu lassen. Daß sich im interreligiösen Gespräch immer wieder auch verwandte religiöse Strukturen und Ausdrucksformen entdecken lassen, kann dem Dialog förderlich sein. Aber diese Tatsache rechtfertigt nicht die Annahme, daß es sich dabei auch um die gleichen religiösen Inhalte handelt. So folgt aus der Tatsache, daß beispielsweise die —»Mystik ein Phänomen ist, das in verschiedenen Religionen begegnet, noch nicht, daß wir es hier mit einer Art gemeinsamer Religion in den Religionen (S. Radhakrishnan) zu tun haben. Gewinnt der Dialog seine der Wahrheit verpflichtete Tiefe, so läßt sich unschwer erkennen, daß die für das umgreifende Gemeinsame der Religionen in Anspruch genommene Erfahrungsebene (z.B. —»Meditation, —»Askese, —»Gebet u.a. m.) geprägt und bestimmt ist durch den Zusammenhang mit der jeweils spezifisch sich verstehenden, lebendigen Religion, der sie zugehört. Weitere Varianten, mit der sich die Theologie der Mission im Blick auf den gebotenen Dialog heute auseinanderzusetzen hat, lassen sich in der Forderung nach einer „universalen Theologie der Religionen" zusammenfassen (L. Swidler, W. C. Smith, J. Hick, P. Knitter u.a.). Begriffe wie „Übereinstimmung" (concord, harmony) sollen angesichts der zu bejahenden religiösen Vielfalt durch ein „kosmisches Urvertrauen" (R. Pannikar) Wege zur Einheit weisen. Andere wie P. Knitter und J . Hick gehen weiter und fordern dazu auf, im Dialog der Religionen den „theologischen R u b i k o n " zu überschreiten, was für sie soviel heißt, wie die Einmaligkeit und die Einzigartigkeit Jesu Christi hinter sich zu lassen. Was Paul Hacker als sachkundiger Indologe im Blick auf den —»Hinduismus als den für ihn kennzeichnenden „Inklusivismus" bezeichnete, wird in diesen Forderungen einer interreligiösen Theologie kritisch einer der christlichen -»Offenba-
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rung verpflichteten D e n k w e i s e entgegenhalten. Dabei w i r d v e r k a n n t , d a ß die christliche Wahrheit nicht ,inklusivistisch' verstanden werden k a n n , wie es in der mit- und nebeneinander bestehenden Vielfalt der indischen R e l i g i o n s w e l t der Fall ist. Zu Unrecht beziehen sich gelegentlich multireligiöse E n t w ü r f e einer ,Theologie der Religionen' dieser R i c h t u n g auf Karl R a h n e r s T h e s e von den „ a n o n y m e n C h r i s t e n " . Gemeint ist d a m i t jener bezugsvolle Dialog mit M e n s c h e n a n d e r e r Religionen, die in ihrer unterschiedlichen vor- und außerchristlichen Geschichte, ihnen selbst u n b e w u ß t , Elemente dieser Wahrheit a u f w e i s e n . Deswegen bleibt für K. R a h n e r der geforderte Dialog notwendig ein missionarischer, der tendenziell - immer unter Berücksichtigung der jeweiligen geschichtlichen M ö g l i c h k e i t e n - a u s der A n o n y m i t ä t in die M a n i f e s t a t i o n christlicher Existenz im Glauben und d a m i t zur Kirche führt. Wenn R ä h n e r in bezug auf die „ k o n z i l i a r e Ekklesiologie" des Zweiten Vatikanischen Konzils von einem „berechtigten Pluralismus der Kirche in der einen K i r c h e " spricht, liegt dem eine missionarische Voraussetzung zugrunde, die es möglich m a c h t , geschichtlich-kulturell und religiös unterschiedlich Geprägtes in „ k o m m u n i k a t i v e r Freiheit" a u f z u n e h m e n . Diese der „ A b s o l u t h e i t " christlicher Wahrheit und ihrer Vermittlung entsprechende K o m m u n i k a tion aber läßt sich nicht zu einer T h e o r i e eines - » P l u r a l i s m u s religiöser Wahrheiten verallgemeinern. Kritik an einem interreligiösen Pluralismusverständnis w u r d e d a r u m auch seitens evangelischer Missionstheologen geäußert. Im Gefolge einer „Verallgemeinerung der C h r i s t u s o f f e n b a r u n g " verdrängt „die Forderung nach wechselseitiger Toleranz der R e l i g i o n e n " d a s missionarische Verständnis zugunsten der „Behauptung der wesentlichen Einheit aller Religionen als verschiedene A u s f o r m u n g e n des g e m e i n s a m e n Wesens in Ursprung und Ziel, w o f ü r , solange es opportun ist, i m m e r noch der erweiterte Christus in Anspruch g e n o m m e n w i r d " (P. Beyerhaus). Für die missionarische Dimension des Dialogs mit den R e l i g i o n e n ist der Ertrag dieses Dialogs im Blick auf T h e o l o g i e und Kirche von Bedeutung. Angesichts der durch ihre Geschichte bestimmten Gestaltungen, A u s d r u c k s f o r m e n und Denkweisen liegt der Ertrag dieses Dialogs zugleich auch darin, d a ß rezessiv g e w o r d e n e , von dominanten Zeitinteressen an den R a n d gedrängte Inhalte christlicher Wahrheit neu aktualisiert werden können. In dieser Hinsicht leistet der missionarische Dialog mit Menschen anderer Religionen einen unentbehrlichen Beitrag zur Erneuerung von Kirche und Verkündigung. „Die anderen Religionen stellen der T h e o l o g i e ihre Fragen! Der H i n d u i s m u s fragt die christliche T h e o l o g i e nach der Wahrheit des - » M y t h o s , w i e z u m a l nach dem Verständnis der ->Gnade im Verhältnis zum —»Gesetz wie nach der B e g r ü n d u n g sittlichen H a n d e l n s . . . . Die Eigenart buddhistischer J ü n g e r s c h a f t läßt die christliche N a c h f o l g e neu bedenken. . . . Oder in der Behandlung der afrikanischen S t a m m e s r e l i g i o n e n m u ß sich der christliche Schöpfungsglaube ausweisen. . . . Hier stellt sich die theologische Behandlung der Zeit als religiöser Zeit, und der starke religiöse Gemeinschaftssinn der A f r i k a n e r läßt uns unser Dasein als Glieder a m Leibe Christi neu b e f r a g e n " (C.-H. R a t s c h o w ) . Auf den Weltkonferenzen des Ökumenischen R a t e s der Kirchen hat die A u f g a b e des Dialogs mit den Religionen ihren festen Platz erhalten. Die Weltkirchenkonferenz 1968 in Uppsala unterstrich dieses Interesse an einer Bereicherung des eigenen missionarischen Zeugnisses: Christus selber v e r m a g in solchem Dialog auch „ d a s begrenzte und verzerrte W i s s e n " derer zu korrigieren, die ihn kennen; denn „die G e g e n w a r t des lebendigen Herrn unter Menschen bestimmt sowohl in ihren M ö g l i c h k e i t e n als auch in ihren Grenzen die Art und Weise des Z e u g n i s s e s " . Das vom Weltrat der Kirchen eingerichtete S t u d i e n p r o g r a m m für den Dialog mit M e n s c h e n a n d e r e r R e l i g i o n e n und Ideologien hat dieses Anliegen in zahlreichen Veranstaltungen a u f g e n o m m e n und die Ergebnisse in Veröffentlichungen d o k u m e n t i e r t . Z u r Begründung des Dialogs w u r d e 1971 in einer G r u n d s a t z e r k l ä r u n g , die die Richtlinien für dieses P r o g r a m m festlegen sollte, e r k l ä r t : Der Dialog ist d a r u m dringlich, „ w e i l alle M e n s c h e n in der Suche nach Frieden, Gerechtigkeit und einer hoffnungsvollen Z u k u n f t unter d e m gleichen Druck stehen. Er ist voller M ö g l i c h k e i t e n , weil Christen heute auf neue Art und Weise neue Aspekte des
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Dienstes und der Herrschaft Christi und deren Konsequenzen für die Sendung der Kirche im Kontext der Bewegung zu einer gemeinsamen Menschheit entdecken können". Die Ambivalenz, die sich hinsichtlich des Missionsverständnisses im Blick auf die „pluralistischen Gesellschaften" in der heutigen Weltlage bei der Diskussion um das Ziel des Dialogs abzeichnete, brachte dieselbe Verlautbarung des Zentralausschusses des Weltrates der Kirchen in folgender Weise zum Ausdruck: „Es besteht jedoch . . . eine akute Meinungsverschiedenheit, ob die Betonung des Dialogs die Wirksamkeit dieser Mission abschwächen w i r d . . . o d e r ob die Gemeinschaft des Gespräches die Mission vorantreibt." An dieser Frage entzündete sich in der Folgezeit die anhaltende Kritik weiter Kreise der evangelischen Missionsbewegung, insbesondere der evangelikalen Missionsträger. In der Abzweckung des Dialogs auf allgemeine humanitäre Ziele der Menschheit (Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung) wird ein zunehmender Verlust des eigentlichen Missionsmotivs und die Preisgabe der Bereitschaft zur Erfüllung des missionarischen Verkündigungsauftrages gesehen. Die über Jahre sich erstreckende kritische Auseinandersetzung führte u. a. dazu, daß die Gemeinschaft der im Deutschen Evangelischen Missionsrat vereinigten Missionsgesellschaften und Vereinigungen auseinanderbrach. Die „Überlegungen und Orientierungen zum interreligiösen Dialog und zur Verkündigung des Evangeliums Jesu Christi" (1991), die vom Päpstlichen Rat für den interreligiösen Dialog zusammen mit der Kongregation für die Evangelisierung der Völker vorgelegt wurden, stellen eine Art Magna Charta im Blick auf die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil aufgebrochenen Fragen zum Verhältnis von Mission und Dialog dar. Unter Verweis auf die Konzilstexte Gaudium et Spes, Ad Gentes und Lumen Gentium sowie besonders Evangelium nuntiandi begründet das Dokument unter extensiver Bezugnahme auf die Heilige Schrift und auf die kirchliche Tradition den inneren Zusammenhang von Mission und Dialog. Sie sind „aufeinander bezogen, aber nicht austauschb a r " . „Interreligiöser Dialog und Verkündigung finden sich zwar nicht auf derselben Ebene, sind aber doch beide authentische Elemente des kirchlichen Evangelisierungsauftrags" (77). Es werden verschiedene Arten des Dialogs unterschieden: des Lebens, des Handelns, des technologischen Austausches und der religiösen Erfahrung. Unter ihnen hat auch der Dialog für eine „umfassende Entwicklung, soziale Gerechtigkeit und die Befreiung des Menschen" seinen Platz (44). Neben der dimensionalen Mehrschichtigkeit des Dialogs wird an die „Chronologie des Geistes" und an die „göttliche Pädagogik" erinnert, die im Prozeß der missionarischen Verkündigung Geduld und Sorgfalt, Demut und Achtung vor „der Gegenwart und der Wirkmächtigkeit des Geistes Gottes in den Herzen" der anderen erfordert („Spiritualität des Dialogs") (78). Indem Kirche zum Dialog einlädt, ermutigt sie zugleich, den Dialog auch zwischen den Angehörigen anderer Religionen zu führen. „Somit ist der interreligiöse Dialog wahrhaft Teil des von Gott ausgehenden Heilsdialogs". „Der eine Sendungsauftrag in Dialog und Verkündigung" schließt darum aus, daß „der Dialog den gesamten Sendungsauftrag der Kirche umfaßt" und daß er „einfach die Verkündigung ersetzen k a n n " . Er bleibt „immer auf die Verkündigung hin b e z o g e n . . . , insofern der Prozeß der Evangelisierung der Kirche in ihr seinen Höhepunkt und seine Fülle erreicht". 5. Mission
und
Entwicklung
Der Dienst der Mission war in ihrer Geschichte begleitet von Diensten, die den Menschen, denen sie galten, Hilfen zur —»Entwicklung ihres Menschseins gewährten. Missionsstationen waren und sind in bestimmten Gebieten bis heute erste Entwicklungsstationen. Das gilt vor allem für den schulischen Sektor (-»Schulwesen). Staatlichen Schul- und Ausbildungsprogrammen vorausgehend wurden Missionsschulen zu ersten Bildungseinrichtungen. Wesentliche Impulse gingen aber auch aus im Blick auf handwerkliche und landwirtschaftliche Entwicklungen einer Region. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang der missionsärztliche Dienst. Klinische Einrichtungen
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der Mission gehören bis heute in vielen Ländern zu den vorbildlichen und bevorzugt in Anspruch genommenen Diensten an kranken Menschen. M a n c h e der Aufgaben, denen sich die Mission in ihren verschiedenen Diensten widmete, sind in die Zuständigkeit der unabhängig gewordenen Staaten übergegangen oder durch international arbeitende Entwicklungsorganisationen übernommen worden. Hinzu k o m m t , daß die aus der missionarischen Arbeit hervorgegangenen Kirchen und Gemeinden nicht immer in der Lage sind, die verschiedenen Dienstleistungseinrichtungen der Mission personell und finanziell weiterzuführen. Angesichts dieser sich verändernden Situation bedarf es einer theologischen Bestimmung des Verhältnisses von Mission und den sie begleitenden verschiedenen Diensten. Dabei gilt es zwei Extreme auszuschließen, die die Zusammengehörigkeit von Zeugnis und Dienst infrage zu stellen drohen. Die eine Position bezieht sich darauf, daß die Mission in diesem Prozeß der Ablösung Entlastungen zugunsten ihres eigentlichen Verkündigungsauftrages erfährt und dieser Prozeß deshalb zu begrüßen ist. Die andere Position sieht die missionarischen Dienste nur noch als einen Teil der allgemeinen internationalen Entwicklungshilfeprogramme, in denen sie zusammen mit anderen D i e n sten in Übersee' aufzugehen hat. Beide Positionen verkennen, daß der missionarische Verkündigungsauftrag nicht ein bloßes Wortgeschehen ist, sondern die Menschen in allen Bereichen ihres persönlichen wie auch ihres gesellschaftlichen Daseins betrifft. Entsprechend den Zeichenhandlungen Jesu und der Apostel eignet den den Verkündigungsauftrag begleitenden missionarischen Diensten die Funktion der das Wort interpretierenden konkreten Veranschaulichung. Wie das heilende Handeln des Missionsarztes über den Akt medizinischer Hilfe hinausweist auf die Notwendigkeit des Heilwerdens des ganzen Menschen, so sind auch die humanitären, wirtschaftlichen und technischen Hilfen der Mission ein Zeugnis für die Erneuerung des Menschen, die dem in Jesus Christus erneuerten Gottesverhältnis entspringt und jenseits der ,machbaren' Fortschritte und Entwicklungsmöglichkeiten liegt. Damit wird eine Kritik an den den missionarischen Auftrag begleitenden Diensten widerlegt, die in ihnen lediglich eine fragwürdige Unterstützung oder gar ein überfälliges Begleitphänomen eines „Kolonialismus unter der K u t t e " (H. Loth) sieht. D a ß die missionarischen Dienste in den Programmierungen staatlicher Entwicklungspläne abseits ihres Verkündigungsauftrages ,verrechenbar' erscheinen, erlaubt es ihrem theologischen Verständnis noch nicht, diesem rein humanitären Verständnis zu folgen. Sie bleiben integraler Bestandteil des ganzen Dienstauftrages der Kirche. Vom Kernstück der christlichen Offenbarung aus und vom inkarnatorischen Prinzip des Glaubens her sind sie ein unentbehrlicher Teil seines Ausdrucks und seiner Mitteilbarkeit. „Anbruch der Gottesherrschaft heißt: Hier handelt es sich nicht nur um einen einzelnen Beistand in einer Notsituation, nicht um eine Hilfe, die vielleicht erkennen lassen soll, daß der Schöpfer dieser Welt die Seinen nicht einfach verlassen hat, s o n d e r n . . . e s geht um das endzeitliche, das endgültige Handeln Gottes zur Rettung des M e n s c h e n " (F. H a h n , Heil II). Die Probleme einer „verantwortlichen Gesellschaft" nehmen seit der 4. Vollversammlung des Weltrates der Kirchen in Uppsala (1966) einen zunehmend breiten R a u m in seinen Programmen und Verlautbarungen ein. „Der Kampf der Armen um ,Befreiung aus Unterdrückung'" ist seit der 2. Entwicklungskonferenz des W C C in M o n t r e u x 1974 „der neue N a m e für Entwicklung sowie integrativer Bestandteil ökumenischer T h e o logie" (W. Gern). Im Unterschied zu den Aufrufen des Weltrates der Kirchen („Spiritualität des K a m p f e s " , Nairobi 1975; „ K a m p f für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der S c h ö p f u n g " , Vancouver 1983) betonen die Verlautbarungen der römisch-katholischen Kirche den von Mission und Kirche spezifisch zu erwartenden Beitrag in Bezug auf die Voraussetzungen für eine „ganzheitliche Entwicklung und die Befreiung von jeder Unterdrückung" (Redemptoris Missio 58). Die Kirche und ihre Mission haben „keine technischen Lösungen für die Unterentwicklung als solche a n z u b i e t e n " (Sollicitudo rei socialis 520 f). Aber „mit der Botschaft des Evangeliums bietet die Kirche eine
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befreiende K r a f t und fördert die E n t w i c k l u n g , gerade weil sie zu einer Bekehrung von H e r z und Sinn führt. Sie hilft die W ü r d e jeder Person zu erkennen, befähigt zur Solid a r i t ä t , zum E n g a g e m e n t und zum Dienst an den B r ü d e r n " ( R e d e m p t o r i s M i s s i o 5 9 ) . Literatur J o s e f Amstutz, Kirche der Völker. Skizze einer T h e o l . der Mission, Freiburg/Basel/Wien 1972. - Paul-Gerhard Aring, Kirche als Ereignis. Ein Beitr. zur Neuorientierung der Missionstheol., Neukirchen 1971. - Rodger C. Bassham, Mission Theology 1 9 4 8 - 1 9 7 5 . Years of worldwide creative tensión, ecumenical, evangelical, and roman catholic, Pasadena 1979. - Peter Beyerhaus, Allen Völkern zum Zeugnis. Bibl. theol. Besinnung zum Wesen der Mission, Wuppertal 1972. — Ders., Jesus Christus u. die Weltreligionen, Bad Liebenzell 1973. - Werner Bieder, Das Mysterium Christi u. die Mission, Zürich 1964. - David J . Bosch, Witness to the World. 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Horst Bürkle
VIII. Praktisch-theologisch 1. Mission und Kirche 2. Missionsgesellschaften und M i s s i o n s w e r k e 3. D e r M i s s i o n a r 4. Partnerschaft 5. Dialog 6. Kontextuelle T h e o l o g i e 7 . M i s s i o n und Bildung 8. M a s s e n medien 9. Mission und Kultur ( N a c h s c h l a g w e r k e / B i b l i o g r a p h i e n / M o n o g r a p h i e n S. 72)
1. Mission
und
Kirche
Quelle und Norm der Kirche ist die Selbsterschließung Gottes, wie sie in der Heiligen Schrift bezeugt ist. Die Mission hat keine andere Quelle und Norm, aber man kann sie von anderen Tätigkeiten der Kirche unterscheiden. Ausnahmen sind Kirchen mit eingeengter Handlungsfreiheit, z.B. in muslimischen oder sozialistischen Staaten. In Bibel, Gebet und Gottesdienst lebt der Glaube an das Evangelium, auch im Zeugnis, das dem Druck der Umwelt standhält. Aber das Zeugnis findet dort keine Gestalt, ohne auf Konflikte zu stoßen. Sonst aber gehört Mission zur Kirche als die volle Entfaltung ihres Wesens, oder besser als voller Gehorsam gegen ihren Auftrag. Mission kann sich als Wachstum der Kirche vollziehen. In Ländern der dritten Welt spielt das Gemeindewachstum eine große Rolle, und eine bedeutende Richtung der Missionstheologie (School of church Growth, Pasadena) arbeitet an der Erforschung der Bedingungen dieses Wachstums. Äußerlich gehören kulturelle Homogenität und intakte menschliche Verbindungen zu den Nichtchristen dazu. Innere Faktoren bestehen in einer gesunden Spannung zwischen der Herausforderung des Evangeliums und dem Eingehen auf die Situation der Menschen (McGavran, Peters). Missionstätigkeit einer Kirche im eigenen Bereich kann sich auch in besonderen Einrichtungen wie z.B. der Inneren Mission vollziehen. Die Unterscheidbarkeit von Kirche und Mission ergibt sich aus der grenzüberschreitenden Intention der Mission. Diese Grenzüberschreitung ist fast nirgends von den normalen Organen der Kirche geleistet worden, es sind dazu andere Organisationen gebildet worden. 2. Missionsgesellschaften
und
Missionswerke
In Entsprechung zur Entstehung des Mönchtums enthält auch die Bildung freier Missionsgesellschaften ein kirchenkritisches Element. Zusammenschlüsse in freier Initiative zum Zweck der Missionstätigkeit fanden verschiedene Rechtsformen (Körperschaft, Stiftung, e.V., G m b H ) , oft mit führender Beteiligung von Laien. Es blieb nicht bei der Kirchenkritik, sondern es kam zu Akzeptanz oder Kooperation. Missionsgesellschaften sind von kirchlichen Missionswerken abgelöst worden, damit die Kirche selbst als Ganze die Verantwortung für die Mission trage. Dieser Schritt wurde vom Internationalen Missionsrat und ab 1961 (Neu Delhi) vom Ökumenischen Rat der Kirchen proklamiert.
Mission VIII
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In der Praxis aber braucht die Kirche eine Einrichtung, die die besonderen Funktionen grenzüberschreitender Mission kompetent und verantwortlich erfüllt, eine Abteilung oder ein Missionswerk ( E n c y c l o p e d i a of Modern Christian Missions, Jahrbuch Mission, Anschriftenteil). Missionen der Gemeinschaftsbewegung und interdenominationelle Missionen vom Typ der China Inland Mission (heute Überseeische Missionsgemeinschaft) haben an diesem Prozeß der Verkirchlichung nicht teilgenommen. Ihre Kirchenkritik richtet sich besonders gegen den Ökumenischen Rat. Auch entstehen neue Missionen, oder internationale Missionen bilden nationale Zweige. Demokratie bietet viel Freiraum für Initiativen, und er wird genutzt. So wirken beide Arten von Missionen, beide wenden sich an Gemeinden und Einzelne, beide mit dem Anspruch, den Auftrag Christi zu erfüllen. In der römisch-katholischen Kirche findet man diesen Gegensatz nicht. Die grenzüberschreitende Mission wird dort ganz überwiegend von den Kongregationen getragen; wichtige Orden sind zu diesem Zweck überhaupt gegründet worden. Seit 1622 besteht in der Congregatio de propaganda fidei eine zentrale Leitung, und finanzielle Hilfe ist seit dem 19. J h . durch päpstliche Werke zentral gefördert. Seit dem 2. Vatikanum (—>Vatikanum II) ist in den Missionsgebieten die reguläre Hierarchie errichtet, andererseits allen Ortskirchen selbst die Förderung des Missionswerks zur Pflicht gemacht worden. Die beiden Wege, einerseits kirchliche Orientierung, andererseits kirchenkritischevangelikale Orientierung, treten überwiegend antagonistisch auf und nötigen zur Stellungnahme und zur Entwicklung von Urteilsfähigkeit (Martyria 52.191; Johnston 15). 3. Der
Missionar
Der Missionar ist die sichtbarste Gestalt der Mission. Obwohl das Amt des Missionars dieselbe Grundlage hat wie das Pfarramt, so ist doch sein Berufsbild anders geprägt. Von der Weltmissionskonferenz M e x i c o City 1963 wurde folgende Definition angenommen: Ein Missionar ist Diener einer Kirche, der sein Land und seine Kultur verläßt, um das Evangelium zu verkünden, in Partnerschaft mit der Kirche, wo sie schon am Wirken ist, oder in der Absicht, die Kirche dort zu gründen, wo sie noch nicht gepflanzt ist (Lexikon missionstheologischer Grundbegriffe 278). In der Kirche, die ihn entsendet, ist sein Glaube und seine Dienstbereitschaft entstanden, dort ist er ausgewählt und ausgebildet, von dort wird er ausgesandt und unterhalten, und dorthin kehrt er zurück. Die Kirche, die ihn eingeladen hat, überträgt ihm seine Aufgabe, er arbeitet dort mit einheimischen Mitarbeitern zusammen unter der Leitung der einheimischen Kirche, und sie entscheidet auch, wie lange er gebraucht wird. In der evangelikalen Mission wird wie früher allgemein der besondere Ruf zur Mission stärker betont und damit die Freiheit zur Evangelisation. Aber auch hier sind Absprachen mit lokalen Kirchen möglich, besonders wo die Visaerteilung von der Einladung durch eine inländische Kirche abhängig ist. In den meisten Missionen wirken Laien neben Theologen, wie in der katholischen Mission auch Brüder und Nonnen neben Priestern. Frauen sind in der Mission stärker vertreten als nach ihren jeweiligen heimatlichen Verhältnissen zu erwarten wäre. Auch die nicht Ordinierten haben ihr Tun auf evangelistische Ziele und Gemeindeaufbau ausgerichtet. 1945 zählte man 3 5 0 0 0 Missionare, 1985 etwa 6 0 0 0 0 , davon etwa 16000 aus der dritten Welt. Die Zahl der katholischen Missionskräfte ist in den meisten Regionen etwas größer als die der protestantischen Missionare. Solche Statistiken zählen meist die Mitarbeiter von Missionsorganisationen, die eine Landesgrenze überschritten haben, und lassen die Mitarbeiter von Kirchen aus, die im selben Land eine Sprachgrenze, eine Kulturgrenze überschritten haben (ebd. 279). Für alle Missionare besteht die Notwendigkeit einer besonderen Vorbereitung, einer Orientierung im Arbeitsgebiet, und der Weiterbildung. Mit der Vorbereitung ist eine Auswahl der Bewerber verbunden, deren Fähigkeiten und Motivation geprüft werden müssen. Freiwilligkeit ist die Regel. Berufliche Qualifikationen werden in steigendem M a ß betont, auch für den Visumsantrag und die Perspektive nach der Rückkehr. An
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Mission VIII
manchen Stellen hilft die Kirche des Arbeitsgebiets beim Sprachenlernen und bei der Orientierung, aber nicht selten ist der Missionar darin auf sich selbst gestellt. Ohne Kenntnis der Lokalsprache kann man sich als Spezialist oder an einer Institution nützlich machen, aber für die Verkündigung und als Zeuge kann man wenig beitragen. Wichtigste Qualifikationen sind Kontaktfähigkeit und die Fähigkeit zur Kooperation und zur Improvisation. Viele Missionare spüren die Dringlichkeit der Weiterbildung. Sie haben Probleme erfahren, die sie vertieft bearbeiten möchten. Ihr Potential ist angeregt, aber noch nicht ausgeschöpft. Das Angebot zur Weiterbildung ist ein wesentlicher Teil praktischer Missionswissenschaft, und von hier stammt ein großer Anteil der Forschungsbeiträge. 4.
Partnerschaft
Die Verbindung einer Mission zu den Gemeinden im Arbeitsgebiet beschränkt sich nicht auf die entsandten Missionare. Es gibt viele Formen der Partnerschaft, von Kirche zu Kirche, von Gemeinde zu Gemeinde, und noch andere, in denen Gemeinschaft und Gegenseitigkeit eingeübt wird, teils auf Zeit, öfters langfristig. Besucher aus dem Westen treten in Gemeinden der dritten Welt ebenso wie Besucher von dort in den Gemeinden hier aktiv in Erscheinung und wirken im Gemeindeleben mit (Keine Einbahnstraßen 15.84). Das ist ebenso wichtig wie schwierig, weil der große Abstand im Lebensstandard die gesamten Beziehungen bestimmt und belastet. Der Missionar ist ein sehr reicher M a n n , wenn man ihn mit der Bevölkerung des Arbeitsgebiets vergleicht. Die Kirchen im Westen haben Anteil am Wohlstand, sie haben große Geberorganisationen vor allem für karitative und soziale Zwecke eingerichtet. Partnerschaft ist dann auch ein Versuch, über zentralistische und bürokratische Verbindungen mit einseitigem Gefälle hinauszukommen und die Gemeinschaft der Glaubenden personal-interkulturell zu leben. 5. Dialog Ziel missionarischer Verkündigung ist der Gehorsam des Glaubens. Bekehrung ist Herrschaftswechsel. Wer sich zu Christus bekennt, kann nicht zugleich Mohammed als das Siegel der Propheten bekennen. Das Verhältnis zu anderen Religionen ist ein Kernproblem der Mission. Sie war lange stark von der Sorge motiviert, daß Nichtchristen ohne das Evangelium verloren gehen. Aber dann ist sie auf praktische Probleme gestoßen. Was gehört alles zu der religiösen Loyalität, die mit dem Glauben an Christus unvereinbar ist? Religionen haben Kultur und Sitten geprägt und sind dann auch veräußerlicht und säkularisiert worden. Das wirkliche Verstehen der am Ort gelebten Religion ist durchaus nicht überall leicht aus der Literatur zu erheben oder leicht zu gewinnen. Der Versuch, die Träger religiöser Praxis, Priester, Mönche, Heiler, anzusprechen, ist oft lange nicht unternommen worden. Ein weiterer Anlaß zum Dialog entsteht in nationalen Notständen, die Abhilfe und Kooperation fordern. Nachdem lange Zeit Konfrontation und Distanz vorherrschten, suchen die römisch-katholische und die dem Ökumenischen Rat verbundene Mission bessere Beziehungen zu den Menschen anderen Glaubens, und dazu soll der Dialog beitragen. Evangelikaie Mission sieht im Dialog vor allem Gefahren des Relativismus und des Synkretismus. Praktisch kommt Mission ohne Dialoge nicht weit, auch schließt der gelebte Dialog das Zeugnis nicht aus, sondern fordert es. Mission hat zur Bildung getrennter Gruppen beigetragen, im Dialog kann der Andere wieder zum Nachbarn und Nächsten werden. 6. Kontextuelle
Theologie
Kontextualisierung als Zielbestimmung der Mission hat ältere Begriffe wie Akkommodation, Anknüpfung oder Einheimischmachung abgelöst. Der Ausdruck stammt aus der Arbeit des Fonds für theologische Ausbildung (Lienemann-Perrin 174), der den Ausbau theologischer Ausbildungsstätten bis zu akademischem Rang förderte. Es geht also
M i s s i o n VIII
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nicht um Transfer allgemeingültigen Wissens, sondern um die je eigene Antwort des Glaubens, oder mit Gal 4,19 darum, „daß Christus in Euch Gestalt gewinne". Dies Geschehen wird in Analogie zur Inkarnation verstanden. Strittig ist, wie der Kontext erfaßt werden soll. Der Ökumenische Rat betont die sozio-ökonomische Dimension des Kontextes, und dasselbe geschieht auch in der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung. Evangelikaie Missionen betonen die personale und ethische Dimension: Die Entscheidung für den Glauben ist Sache des Personenkerns, des Herzens und des Gewissens. Aber der einzelne lebt in einer Gemeinschaft, die sein Gewissen geprägt hat, und sein Denken und seine Vorstellungen sind von seiner Kultur geformt. Sein Glaubensgehorsam ist auf Gemeinschaft angelegt und angewiesen. Der Missionar hat als Gast, als Zeuge und als Dolmetscher eine wichtige Aufgabe bei der Suche nach dem rechten Weg. Das gilt auch dort, wo keine Form kontextueller Theologie literarisch vorliegt, sondern sie in der Eigenart der Verkündigung und des Gebets enthalten ist. Die literarisch vorliegenden Ansätze und Entwürfe sind ernst zu nehmen, weil und soweit sie Reflexion gelebten und biblisch gegründeten Glaubens sind. Schon die Versuche und Entwürfe machen deutlich, was Theologie in Europa ist: Theologie aus dem Kontext Europas, und nur so verständlich. Die Frage nach dem Maßstab für die eine Wahrheit wird dadurch nicht weniger dringlich. 7. Mission
und
Bildung
Die große Zeit des Missionsschulwesens ist mit der Kolonialzeit vorbei, aber Nachwirkungen sind zu finden, etwa in Gestalt nicht weniger Bildungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft. Doch auch abgesehen davon ist Mission mit Bildungsvorgängen eng verbunden. So ist der Unterricht von Taufbewerbern wie auch der Unterricht von Kindern christlicher Eltern eine genuine missionarische Aufgabe der Kirche. Dasselbe gilt von der Ausbildung von Mitarbeitern für den Dienst. Lag früher ein Schwerpunkt dominierender Mitwirkung für Missionare beim Taufunterricht, so wird heute öfters um Mithilfe in der Ausbildung der Mitarbeiter gebeten. Die Mehrheit der Missionare ist in irgendeiner Form in der Ausbildung und Fortbildung von Mitarbeitern tätig, ist doch der Bildungsvorsprung des Missionars eines der Talente, mit denen er zu dienen hat. Das führt auch zu Bildungsprozessen, die inhaltlich nicht rein missionarisch bestimmt sind. Sprachunterricht kann Kontakte schaffen, Hygieneunterricht ist Bestandteil ärztlichen Dienstes. Diakonische Motive stehen dabei an erster Stelle. 8.
Massenmedien
Protestantische Mission drängt von Anfang an auf Lesefähigkeit, und durch die Missionsschule sind weite Bevölkerungen alphabetisiert worden. Das gedruckte Wort wurde das erste Massenmedium der Mission, und noch immer sind Traktatverteilung und Bibelverbreitung klassische Missionsmethoden. Das eigentlich grenzüberschreitende Medium wurde aber der Kurzwellenrundfunk, und seine große Stunde kam mit den preiswerten Transistorempfängern nach dem Zweiten Weltkrieg. Schon vorher war das Medium von evangelistischen Kräften entdeckt und erprobt worden. Alle großen Ströme der Mission haben dieses Medium genutzt, aber am intensivsten geschieht das durch evangelikale Kreise aus Nordamerika. Ihnen gehört die Mehrzahl der Missionssender, und viele arbeiten auch mit Sendezeitkauf. Die evangelistische Absicht stößt auf einen bereits christlich motivierten Hörerstamm und zeigt sich in intensiven Bemühungen um Hörerkontakte. Zeugnisse von Bekehrungen sind vorhanden, zur Gründung von Gemeinden sind zwar noch andere Schritte erforderlich, aber auch das ist mehrfach bezeugt. Die Mehrzahl der Sender steht im Einflußbereich der USA, wo auch die Trägerkreise zu Hause sind. Kooperation hat weitgehend gefehlt, nimmt aber neuerdings zu (Schmidt 104; Biener 248). Das Fernsehen ist bisher als Medium der Mission ein Ausnahmefall. Sehr weit verbreitet aber sind Kassetten aller Art.
Mission VIII
72 9. Mission
und
Kultur
Für die Erfassung der lokalen Situation war neben dem Studium der Sprache die Völkerkunde eine wichtige Hilfswissenschaft der Mission. Aber erst als in der postkolonialen Kulturanthropologie auch der Wandel der Kultur thematisiert wurde, kam es zu einer breiteren Rezeption, und heute gehören Grundkenntnisse der Kulturanthropologie zur Grundausbildung von Missionaren (Luzbetak 341; Kraft 315ff). In der Zuordnung der eigenen Missionsarbeit zur Kultur finden sich alle fünf Typen nach Richard Niebuhr (Kraft 104), weiter kompliziert durch die Tatsache, daß Mission zu mindestens zwei Kulturen Stellung nimmt. Am fruchtbarsten ist wohl eine kritische Distanz zur heimatlichen Kultur, verbunden mit einer starken Empathie für die Kultur des Arbeitsgebietes. Mission wie Missionar leben interkulturell, sie sind zwar nur Gäste auf Zeit, stehen aber doch in konstruktiver Marginalität. Sie widersetzen sich um des einen Evangeliums willen einem Pluralismus, der alles relativieren möchte. Nachschlagewerke T h e Encyclopedia of Modern Christian Missions. T h e Agencies, ed. Burton L. Goddard, Lond o n / T o r o n t o 1967. - Lexikon zur Weltmission, hg. v. Stephen Neill/Niels Peter Moritzen/Ernst Schrupp, Wuppertal/Erlangen 1975. - World Christian Encyclopedia. A Comparative Study of Churches and Religions in the Modern World A D 1 9 0 0 - 2 0 0 0 , ed. David B. Barrett, O x f o r d University Press 1982. — Ökumene-Lexikon. Kirchen - Religionen — Bewegungen, hg. v. Hanfried Krüger/Werner Löser/Walter Müller Römheld, Frankfurt 1983. - Lexikon missionstheol. Grundbegriffe, hg. v. Karl M ü l l e r / T h e o Sundermeier, Berlin 1987. Bibliographien Bg M i s s . - I R M . — Literaturschau zu Fragen der Weltmission. Beih. der Z M i s s (jährlich). — Theol. im Kontext. Informationen über theol. Beitr. aus Afrika, Asien, Ozeanien u. Lateinamerika. Zs.schau, Zusammenfassungen, Buchanzeigen, Ber. über Konferenzen, hg. v. Georg Evers u.a., Missionswiss. Institut missio, Aachen (halbjährlich). Monographien Ärztlicher Dienst weltweit, hg. v. Wolfgang E r k / M a r t i n Scheel, Stuttgart 1974. - Ärztlicher Dienst im Umbruch der Zeit, hg. v. Martin Scheel u . a . , Stuttgart 1976. - Hansjörg Biener, Eine unter vielen Stimmen. Christi. Rundfunkarbeit im Klima der Konkurrenz, Erlangen 1991. — William Burrows, New Ministries. T h e Global Context. Maryknoll 1980. — M a r j o r i e Collins, A Manual for Todays Missionary, from Recruitment to Retirement, Pasadena 1986. - Orlando Costas, Christ outside the Gate. Mission beyond Christendom, Maryknoll 1982. — Faith in the Midst of Faiths, ed. Stanley Samartha, Genf 1977. — Elizabeth Goldsmith, Auf die Plätze, fertig, los! Der Missionsbefehl u. wir. Entscheidungshilfe für Unentschlossene, Gießen 1981. - Arthur Johnston, Umkämpfte Weltmission, Neuhausen/Stuttgart 1984. - Keine Einbahnstraßen. V. der Westmission zur Weltmission, hg. v. Lawrence Keyes, T h e Last Age of Mission. A Study of T h i r d World Missionary Societies, Pasadena 1982. - Charles Kraft, Christianity in Culture. A Study in Dynamic Biblical Theologizing in Cross-cultural Perspective, Maryknoll 1979. — Christine Lienemann-Perrin, Training for a Relevant Ministry. A Study of the Contribution of the Theological Education Fund, Madras/Genua 1981. - Louis Luzbetak. T h e Church and the Cultures. An Applied Anthropology for the Religious Worker, Techny 1963. - Martyria. FS Peter Beyerhaus, hg. v. J ö r g Kniffka, Wuppertal 1989. - Donald M c G a v r a n , Gemeindewachstum verstehen. Eine grundlegende Einführung in die Theol. des Gemeindewachstums, Lörrach 1990. — James McGilvray, Die verlorene Gesundheit - das verheißene Heil, Stuttgart 1982. - Michael Mildenberger, Denkpause im Dialog, Frankfurt 1978. - Ministry by the People, Theological Education by Extension, ed. Ross Kinsler, Genua/ Maryknoll 1983. — Missionar, ein unmöglicher Beruf?, hg. v. Gerd Proppach, Gießen 1982.— Karl Müller, Missionstheol. Eine Einf. mit Beitr. v. Hans Werner Gensichen u. Horst Rzepkowski, Berlin 1985. - George Peters, Gemeindewachstum. Ein theol. Grundriß, Bad Liebenzell 1982. - Ders., G o t t ruft Mitarbeiter - auch Dich?, Bad Liebenzell 1981. - Lyman Reed, Preparing Missionaries for Intercultural Communication. A Bicultural Approach, Pasadena 1985. - Edward R o m men, Die Notwendigkeit der Umkehr. Missionsstrategie u. Gemeindeaufbau in der Sicht evangelikaler Missionswissenschaftler Nordamerikas, Gießen 1987. - J o a c h i m Schmidt, Rundfunkmission. Ein Massenmedium wird Instrument, Erlangen 1980. — Unreached Peoples, ed. Peter Wagner/ Edward Dayton, Elgin 111. 1981.
Niels-Peter Moritzen
Mission IX
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IX. Ärztliche Mission 1. Begriff u n d B e d e u t u n g 2. Geschichte 2.1. U r s p r ü n g e der deutschen protestantischen Ärztlichen Mission v o m 17. bis ins f r ü h e 19. J h . 2.2. Der A u f s c h w u n g der Ärztlichen Mission in G r o ß b r i t a n n i e n u n d in den Vereinigten Staaten im 19. u n d f r ü h e n 20. J h . 2.2.1. Missionsärztliche Gesellschaften u n d Ausbildungsstätten in G r o ß b r i t a n n i e n u n d in den Vereinigten Staaten 2.2.2. Missionsärztliche Gesellschaften u n d Ausbildungsstätten auf den Missionsfeldern 2.2.3. Missionsärztliche Aktivitäten einzelner britischer u n d a m e r i k a n i s c h e r Missionsgesellschaften 2.3. A n f ä n g e m o d e r n e r missionsärztlicher Bestrebungen im Z w e i t e n Deutschen Kaiserreich 2.3.1. T h e o d o r Christlieb ( 1 8 3 3 - 1 8 8 9 ) 2.3.2. Die Deutschen Vereine f ü r Ärztliche Mission 2.3.3. Das Deutsche Institut f ü r ärztliche Mission in T ü b i n g e n 2.3.4. Die Ärzte der p r o t e s t a n tischen Missionsgesellschaften D e u t s c h l a n d s 2.4. Katholische missionsärztliche Fürsorge ( Q u e l l e n / L i t e r a t u r S. 79)
1. Begriff und
Bedeutung
Unter Arztlicher Mission verstehen wir die S u m m e ärztlicher H i l f s m a ß n a h m e n im R a h m e n der christlichen Missionstätigkeit. Sie ist äußeres Zeichen praktizierter christlicher Caritas und findet ihre Begründung im ganzheitlichen H e i l s a u f t r a g Christi. Wortverkündigung und die Sorge um die leibliche Gesundheit der Heilsempfänger bilden in der Missionstätigkeit eine Einheit. Die Ärztliche Mission ist in diesem Verständnis mehr als n u r Hilfsdienst der Mission oder Werkzeug der W o r t v e r k ü n d i g u n g im Sinne der G l a u b e n s p r o p a g a n d a , sondern ihr integraler Bestandteil; geht es doch bei der Umsetzung des Heilsauftrages Christi nicht nur um die Verkündigung des Evangeliums zum Z w e c k e der Bekehrung, sondern um eine u m f a s s e n d e christliche Heilung zum Zeichen des k o m m e n d e n Reiches Gottes. Selbstverständlich k a m in den Anfängen organisierter Ärztlicher Missionstätigkeit auch die Sorge um das leibliche Wohl der Missionare selbst, insbesondere auf den tropischen und weltabgeschlossenen Missionsfeldern, zum Tragen. Missionsgesellschaften und Missionsorden bemühten sich daher um Ärzte und Ärztinnen auch f ü r diesen Z w e c k . Indessen ist dieser Bedeutung immer nur die Rolle eines Teilaspektes zugefallen. Z u r M e t h o d e der Ärztlichen Mission gehört seit dem 19. Jh. neben der a m b u l a n t e n und poliklinischen Krankenversorgung die G r ü n d u n g eigenständiger M i s s i o n s k r a n k e n h ä u s e r f ü r die stationäre Versorgung sowie die Organisation der medizinischen Ausbildung einheimischer Pflegekräfte (Krankenschwestern, Pfleger). Eine Sonderrolle im R a h m e n der stationären Ärztlichen Mission fällt seit dem 19. Jh. der Aussätzigen-Mission (Lepra-Mission) zu. In ihr bilden Krankenpflege, Sozialfürsorge und Evangelisation eine enge Einheit. Auf den überseeischen Missionsfeldern, seit dem 18. Jh. häufig identisch mit den europäischen Kolonialterritorien, in der 2. H ä l f t e des 20. Jh. mit den Entwicklungsländern, hat die Ärztliche Mission maßgeblich zur Entwicklung medizinischer I n f r a s t r u k t u r e n beigetragen. Seit der Dekolonisation ist sie ein wichtiger Teil des G e s a m t k o m p l e x e s medizinischer Entwicklungshilfe. Gleichzeitig ist die traditionelle Auffassung von Ärztlicher Mission in der zweiten H ä l f t e des 20. Jh. im Schwinden begriffen. Politische Veränderungen, wie etwa in C h i n a , die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges, die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen der 50er und 60er J a h r e des 20. Jh., die politischen und ö k o n o m i s c h e n Krisen vieler Entwicklungsländer und das Entstehen „ J u n g e r K i r c h e n " haben entweder zum Fortfall traditioneller Felder oder auch zur U m b e w e r t u n g der Ärztlichen Mission beigetragen. Diesen Wandlungsprozeß h a t der Ö k u m e n i s c h e R a t der Kirchen bereits in den 50er J a h r e n e r k a n n t und 1957 die Christliche Medizinische Kommission beim Ö R K mit der Entwicklung neuer Konzepte Ärztlicher Mission b e a u f t r a g t . 2.
Geschichte
2.1. Ursprünge frühe 19. Jh.
der deutschen
protestantischen
Arztlichen
Mission
vom 17. bis ins
Die organisierte ärztliche Missionstätigkeit beginnt im 18. Jh. mit der —>Dänischhallischen Mission für T r a n k e b a r . Erfolgreich hatte sich Gotthilf August Francke
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Mission IX
(1696-1769), Sohn des Begründers der Franckeschen Stiftungen, 1728 beim Dänischen Missions-Collegium in Kopenhagen f ü r die Einrichtung eines „ s e m i n a r i u m missionarior u m " eingesetzt, dessen 8 - 1 2 Mitglieder neben ihrer theologischen Ausbildung auch Nebenstudien, „insonderheit das Studium Physicum et M e d i c u m " zu betreiben hätten, um so dem dringenden ärztlichen Versorgungsbedarf der Missionare im indischen Trankebar zu entsprechen. D a n e b e n w a r aber von A n f a n g an auch d a r a n gedacht, durch ärztliche Tätigkeit „einen mehreren Eingang bei den H e y d e n z u w e g e " zu bringen, die Medizin also als Instrument der Missionierung einzusetzen. Zwischen den Jahren 1729 und 1791 w u r d e n in lückenloser Folge fünf Missionsärzte in die Trankebar-Mission ausgesandt. Bereits in den 20er J a h r e n des 19. Jh. aber endet vor dem H i n t e r g r u n d des zeitgeistbestimmenden Rationalismus die pietistische Missionstätigkeit der Dänisch-hallischen Mission und mit ihr die erste systematische ärztliche Missionstätigkeit. Das Vorbild Halles hatte indessen bereits früh zur N a c h a h m u n g angeregt und w a r , vermittelt durch Nikolaus Ludwig von Z i n z e n d o r f , in die Herrnhuter Brüdergemeine gelangt. Auf Zinzendorfs Anregung w u r d e 1735 der Kopenhagener Stadtphysicus Wilhelm G r o t h a u s ins westindische St. Croix ausgesandt, w o er freilich bereits 6 Tage nach seiner A n k u n f t am „ F i e b e r " starb. Auch die Versuche Ärztlicher Mission in Ceylon und Persien schlugen 1737 und 1747 bereits in ihren Ansätzen fehl. Trotz dieser Mißerfolge hielt die Brüdergemeine an der Idee der Ärztlichen Mission fest und k a m in der Mitte der 70er Jahre des 18. Jh. auf ihrem Missionsfeld in Astrachan zu einem ersten d a u e r h a f t e n missionsärztlichen Erfolg. Glücklicher als der erste Versuch in Ceylon verlief auch die spätere Ostindienmission. Zwischen 1760 und 1801 waren d o r t von insgesamt 73 ausgesandten Missionaren neun ärztlich und chirurgisch tätig. Z u Beginn des 19. Jh. hat schließlich als dritte Missionsgesellschaft die Evangelische Missionsgesellschaft in Basel (Basler Mission) zwei Versuche ärztlicher Missionstätigkeit im Kaukasus ( 1 8 2 2 - 3 1 , Dr. H o h e n a k ker) und an der Goldküste (1832, Dr. Heinze) u n t e r n o m m e n . Von besonderem Erfolg können diese Versuche freilich nicht gekrönt gewesen sein. Von H o h e n a c k e r s Tätigkeit wissen wir nichts, von Heinze nur soviel, d a ß er bereits sechs Wochen nach der A n k u n f t in Westafrika dem „ K l i m a f i e b e r " erlegen ist. Mit Heinze endet die praktische Ärztliche Mission des deutschsprachigen Kulturraums f ü r nahezu 50 Jahre, sieht m a n von dem Versuch des T ü b i n g e r Arztes Dr. Georg Friedrich Müller ab, 1841 in T ü b i n g e n ein medizinisches Missionsinstitut zu g r ü n d e n . Trotz geringer Resonanz bei der Basler Mission hat dieses Institut zwischen 1841 und 1848 bestanden. Seinem Z w e c k , „christlich gesinnte Jünglinge zu M i s s i o n s ä r z t e n " heranzubilden „ u n d den M i s s i o n s s t a t i o n e n " beizugeben, „ u m im Einklang mit den theologischen Missionaren zur Ausbreitung des Reiches Gottes m i t z u w i r k e n " , k o n n t e das Institut freilich nicht entsprechen. Von drei Kandidaten k a m nur einer 1848 zur Aussendung nach Indien, hat sich aber d o r t unmittelbar in die Dienste eines lokalen Fürsten gestellt. 2.2. Der Aufschwung der Arztlichen Mission nigten Staaten im 19. und frühen 20. Jh.
in Großbritannien
und in den
Verei-
2.2.1. Missionsärztliche Gesellschaften und Ausbildungsstätten in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten. Im Jahre 1841 k a m es in Edinburgh zur G r ü n d u n g der ersten europäischen Ärztlichen Missionsgesellschaft, die seit 1843 den N a m e n Edinburgh Medical Missionary Society trug und 1853 d u r c h die E r ö f f n u n g einer Poliklinik auch zur Keimzelle der Home Medical Mission in G r o ß b r i t a n n i e n wurde. Die Verbindung zwischen äußerer und innerer Ärztlicher Mission sollte sich auch in den folgenden Jahrzehnten als britisches C h a r a k t e r i s t i k u m erweisen. G r o ß e s Gewicht w u r d e in Edinburgh auf die evangelistische Ausbildung junger Missionsärzte sowohl in der T h e o r i e als auch in der Praxis der Inneren Mission gelegt, w ä h r e n d die internistisch-chirurgische Ausbildung an der Universität und dem College of Surgeons s t a t t f a n d . Seit 1877 wurden praktische Medizinkurse auch an der Livingstone Memorial Medical Missionary Training Institution abgehalten. Als zweite große ärztliche Missionsgesellschaft entstand 1878
Mission IX
75
aus dem Zusammenschluß bereits bestehender christlicher Vereinigungen von Ärzten und Medizinstudenten die London Medical Missionary Association (L.M.M.A.), die sich zunächst lediglich der missionsärztlichen Propaganda, seit 1885 auch der Missionsvorbereitung junger Ärzte in einem eigenen Students Training Home widmete. Im gleichen J a h r erfolgte der Zusammenschluß mit der bereits 1875 von A. Butler in London gegründeten Childrens Medical Missionary Society (C.M.M.S.). Anders als ihre schottische Schwesterorganisation verfügte die Londoner Assoziation über keine auswärtigen Missionsfelder, wohl aber in den Londoner Stadtbezirken Islington und St. Pancras über Arbeitsschwerpunkte der inneren Ärztlichen Mission. Ähnlichen Aufgaben wie die L . M . M . A . ging auch das 1880 in London begründete Zenana Medical College nach, das seine Arbeit ausschließlich der Vorbereitung von Ärztinnen für den missionsärztlichen Dienst im Rahmen der Zenana Bible and Medical Mission besonders in Indien widmete. In den Vereinigten Staaten begann die Institutionalisierung der Ärztlichen Mission 1881 mit der G r ü n d u n g der International Medical Missionary Society durch den polnischen Emigranten Dr. George D. D o w k o n t t , der die Arbeit der H o m e Medical Mission vor seiner Übersiedlung in Edinburgh kennengelernt hatte. 1895 gelang Dowkontt zunächst in Illinois die G r ü n d u n g einer ersten ärztlichen Missionshochschule mit medizinischem Promotionsrecht, die sich auf seine Vermittlung mit der seit 1904 in Atlanta bestehenden „Südlichen Missionsärztlichen Erziehungsanstalt" und einer ähnlichen Institution in Chicago dort 1908 zum American Medical Missionary College vereinigte. Bis 1901 sind durch D o w k o n t t s Gesellschaft, die seit 1889 auch Ärztinnen offenstand, insgesamt 91 Missionsärzte und 37 Missionsärztinnen in alle Welt ausgesandt worden. 2.2.2. Missionsärztliche Gesellschaften und Ausbildungsstätten auf den Missionsfeldern. Neben den ärztlichen Missionsvereinen und missionsärztlichen Bildungsanstalten in Großbritannien und den Vereinigten Staaten bestanden solche auch in den Missionsgebieten selbst, vorwiegend in Indien und China. So müssen in Indien das 1881 als Filiale der E . M . M . C . gegründete Agra Medical Missionary Training Institute für indische Medizinstudenten sowie die 1894 in Ludhiana eröffnete unabhängige North India School of Medicine for Christian Women genannt werden. In sehr enger Verbindung zur Society for the Propagation of the Gospel (S.P.G.) arbeitete daneben die 1885 ins Leben gerufene Delhi Medical Mission to Women and Children. Es ist ebenso bemerkenswert wie verständlich, welch große Bedeutung der britischen Frauenmission durch Missionsärztinnen gerade in Indien zukam. War doch der nur Frauen gestattete ärztliche Umgang mit ihren Patientinnen gleichzeitig ein wichtiger Zugang für die Frauenevangelisation, der europäischen Missionaren in Indien meist verschlossen blieb. - In China beginnt die organisierte Ärztliche Mission bereits 1838 mit der in Kanton durch den Missionsarzt des American Board (Boston) Dr. Peter Parker vollzogenen G r ü n d u n g der Medical Missionary Society in China, der ältesten missionsärztlichen Gesellschaft überhaupt. Die Gesellschaft wirkte in und um Kanton in enger Z u s a m m e n a r b e i t mit den nördlichen amerikanischen Presbyterianern, die der Society dort ihr großes Hospital zur Verfügung stellten. N a c h der J a h r h u n d e r t w e n d e entstanden als missionsärztliche Ausbildungsstätten in China zunächst 1906 das Peking Union Medical College und dann 1911 das Shantung Union Medical College in Tsinan. Als Gemeinschaftsprojekt verschiedener amerikanischer, kanadischer und britischer Missionsgesellschaften wurde schließlich 1924 speziell für die chinesische Frauenmission das North China Union Medical College for Women ins Leben gerufen. 2.2.3. Missionsärztliche Aktivitäten einzelner britischer und amerikanischer Missionsgesellschaften. Insgesamt sind von britischen und nordamerikanischen Missionsgesellschaften vor 1914 an die 900 Missionsärzte und -ärztinnen in die Missionsfelder Afrikas, Südostasiens und zu einem geringeren Teil Südamerikas ausgesandt worden. Im Jahre 1908 konnten 433 amerikanische und 425 britische Missionsärztinnen und
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-ärzte gezählt werden. Der Anteil der Missionsärztinnen belief sich dabei in den USA auf 153 und in Großbritannien auf 152. Sie wurden insbesondere auf den islamischen und indischen Missionsgebieten im Rahmen der Frauenmission eingesetzt. So entfaltete sich ein eindrucksvolles Bild missionsärztlicher Aktivitäten des angelsächsischen Kulturraums vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges als Ausdruck einer spezifisch religiösen Philanthropie, die sich neben der Wortverkündigung auch dem leiblichen Wohl ihrer Missionszöglinge anzunehmen verpflichtet sah. Vor diesem Hintergrund nehmen sich die Anfänge der deutschen Ärztlichen Mission vor 1914 eher bescheiden aus. 2.3. Anfänge serreich
moderner
missionsärztlicher
Bestrebungen
im Zweiten
Deutschen
Kai-
2.3.1. Theodor Christlieb (1833-1889). In Deutschland erwachte erst gegen Ende des 19. J h . durch die Initiative des Bonner Theologen Theodor Christlieb ein neues Interesse an der Idee ärztlicher Missionstätigkeit. Der im württembergischen Pietismus erzogene Professor der Praktischen Theologie hatte zuerst auf der Generalkonferenz der Evangelischen Allianz am 5. September 1879 in Basel die Frage nach deutschen Missionsärzten und deutschen medizinischen Missionsgesellschaften aufgeworfen. Christlieb sah die Hauptursache für die mangelhafte Durchsetzung einer missionsärztlichen Idee in der achristlichen, dem ,,Aberglaube[n] einer naturalistischen Weltanschauung" verfallenen Haltung an den deutschen medizinischen Fakultäten. Christliebs M o tive sind noch „Motive idealer N a t u r " im rein theologischen Sinn. Ärztlicher Dienst im Rahmen der Heidenmission ist für ihn ausschließlich Nutzbringer der Evangelisation, Reichgottesarbeit, nicht Reichsarbeit. Gleichwohl hat es in Deutschland insbesondere unter dem Kolonialstaatssekrctariat des linksliberalen Bankiers Bernhard Dernburg (1907—1910) Versuche gegeben, die Missionen subsidiär in die Verbesserung der kolonialen Medizinalinfrastruktur einzubinden. Diese Versuche scheiterten letztlich jedoch an der mangelnden Finanzkraft der aussendenden Missionsgesellschaften. 2.3.2. Die Deutschen Vereine für Ärztliche Mission. Gegen Ende des 19. Jh. hat sich die Idee der von Christlieb propagierten Ärztlichen Mission in Deutschland und in der Schweiz so weit durchgesetzt, daß es im Zeitraum von 1898 bis 1912 zu einer Reihe missionsärztlicher Vereinsgründungen in zeitlich schneller Folge kommt. Vereinszahl und Gründungsabstand gestatten sogar, von einer Gründungsbewegung zu sprechen, die an ihrem Ende vor 1914 auf annähernd 8000 organisierte Mitglieder verweisen kann. Die erste Vereinsgründung erfolgte 1898 in Stuttgart. In Verbindung mit der Evangelischen Missionsgesellschaft zu Basel konstituierte sich dort der Verein für ärztliche Mission in Stuttgart. Seine Tätigkeit sollte sich satzungsgemäß auf vier zentrale Aufgabengebiete erstrecken: , , a ) die f a c h m ä n n i s c h e B e r a t u n g d e r M i s s i o n s ä r z t e , w e l c h e n in d e r für i h r e n B e r u f d i e n l i c h e n W e i s e die E n t d e c k u n g e n u n d E r f a h r u n g e n a u f d e m G e b i e t e d e r M e d i z i n , C h i r u r g i e und T r o p e n h y g i e n e z u g ä n g l i c h g e m a c h t w e r d e n ; s o d a n n n a c h M a ß g a b e der z u f l i e ß e n d e n M i t t e l : b) die pek u n i ä r e U n t e r s t ü t z u n g j u n g e r M e d i z i n e r , w e l c h e sich für den ä r z t l i c h e n M i s s i o n s d i e n s t v o r b e r e i t e n ; c) die A n s c h a f f u n g v o n B ü c h e r n , I n s t r u m e n t e n , A r z n e i m i t t e l n u n d V e r b a n d s s t o f f e n für d i e M i s s i o n s ä r z t e ; d) die E r h a l t u n g a l t e r u n d d i e G r ü n d u n g n e u e r ä r z t l i c h e r S t a t i o n e n und S p i t ä l e r in den M i s s i o n s g e b i e t e n . "
Damit war richtungweisend für alle noch folgenden Vereinsgründungen die allgemeine Zielsetzung und Aufgabenstellung festgelegt. Der Stuttgarter Verein für ärztliche Mission hat als einflußreichster und aktivster Zusammenschluß dieser Art unter den übrigen ärztlichen Hilfsvereinen bis zum Beginn des Weltkrieges immer eine führende Position innegehabt, nicht zuletzt aufgrund der von ihm ausgehenden und durch ihn wesentlich realisierten Gründung des Tübinger Deutschen Instituts für ärztliche Mission (s. 2.3.3.). Im Jahre 1904 wird als Zweigverein von Stuttgart der Berner Verein für ärztliche Mission gegründet. Er ist auch dem Evangelisch-Protestantischen Missions-Verein, der Mission Romande, der Pariser Mission und der Sudan-Pionier-Mission verbunden.
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Zwei weitere Vereine für ärztliche Mission sind im Jahre 1906 hinzugetreten: im Frühjahr der Goßnersche Hilfsverein für Krankenpflege auf den Missionsstationen und im August desselben Jahres der Rheinische Verein für ärztliche Mission. Beide Vereine waren einzig ihren Missionsgesellschaften angeschlossen und beschränkten sich auch auf deren Sammelgebiete, also auf Berlin, das Rheinland und Westfalen. Nach Mitgliederbestand und Spendenaufkommen mit Abstand größter missionsärztlicher Hilfsverein in Deutschland war der im Februar 1908 gegründete und der „Gesellschaft zur Beförderung der evangelischen Mission unter den Heiden" („Berliner Missionsgesellschaft") eng verbundene Berliner Verein für ärztliche Mission. Sein Sammelfeld umfaßte das gesamte östliche Reichsgebiet. Noch im Jahre 1908 entstehen der Leipziger Hauptverein, der Bayerische Verein und der Hallesche Verein für ärztliche Mission. Elf Jahre nach Gründung des ersten Vereins für Ärztliche Mission beschließen die nunmehr existierenden 10 Zusammenschlüsse, einen Dachverband zu gründen, der sich am 19. Oktober 1909 als Verband der deutschen Vereine für ärztliche Mission in Stuttgart konstituiert. Ein Jahr später hat die Welle der Vereinsgründungen auch den nordwestlichen Teil des Reichsgebietes erreicht. Von 1909 bis 1910 sind hier drei Zusammenschlüsse von Unterstützern des ärztlichen Missionsgedankens zu verzeichnen. Im Januar 1909 entstehen so der Hermannsburger-Hannoversche, wenig später der Bremer und schließlich im Februar 1910 der Ostfriesische Verein für ärztliche Mission. Interessant ist die in seinen Statuten festgelegte Aufgabenstellung des Bremer Vereins, die sich vornehmlich auf die „Weckung und Pflege des Verständnisses und der Liebe für die ärztliche Mission in den deutschen Kolonien, namentlich in T o g o " richten soll. Bremen ist damit der einzige Verein, der sich neben den allgemeinen Zielsetzungen aller Zusammenschlüsse dieser Art nachdrücklich auf ein besonderes Kolonialgebiet festlegt. In den Jahren 1911 bis 1912 sollten den bis dahin bereits bestehenden 11 Vereinen noch drei weitere Gründungen folgen, nämlich in Kassel, Marburg und Herrnhut. Der im März 1912 gegründete Missionsärztliche Verein der Brüdergemeine und ihrer Freunde endlich „bezweckt die Förderung und finanzielle Unterstützung der ärztlichen Arbeit der Mission der Brüdergemeine" ausschließlich. Mit seiner Konstituierung bricht sich die Vereinsgründungswelle. Das Bedürfnis, organisiert und im Gefolge der großen aussendenden Missionsgesellschaften für die Ideale einer Ärztlichen Mission einzutreten, scheint zu diesem Zeitpunkt nach einer geradezu euphorischen Aufbruchsstimmung zwischen 1908 und 1910, wohl hervorgerufen durch die Dernburgsche Neuorientierung der Kolonialpolitik und Neubewertung kolonialer Missionstätigkeit, saturiert. 2.3.3. Das Deutsche Institut für ärztliche Mission in Tübingen. Zu den wohl rührigsten Zusammenschlüssen für Ärztliche Mission gehörte der bereits erwähnte Stuttgarter Verein. Eng an die Basler Missionsgesellschaft angelehnt, übernahm er schon bald eine zentrale Stellung im Rahmen der deutschen ärztlichen Missionsbewegung. Fast alle überregionalen missionsärztlichen Aktivitäten nahmen regelmäßig ihren Ausgang von Stuttgart. Wesentliches Verdienst des Vereins war die durch Paul Lechler (1849-1925) angeregte und maßgeblich geförderte Planung und Realisierung des noch heute existierenden Deutschen Instituts für ärztliche Mission in Tübingen. Zu diesem Zweck wurde am 15. November 1906 in Frankfurt unter Beteiligung von etwa 60 Vertretern verschiedener evangelischer Missionsgesellschaften sowie „Missions- und Kolonialfreunden" zunächst ein Förderverein „Deutsches Institut für ärztliche M i s s i o n " gegründet. D a s Institut sollte, so legte die Satzung fest, seinen Sitz in T ü b i n g e n haben und unter Wahrung seines Charakters als „ M i s s i o n s a n s t a l t " folgenden Hauptzwecken dienen: 1. der Beherbergung geeigneter Studenten der Medizin für den späteren Missionsdienst, die dort „Missionsluft [ . . . ] u m w e h e n " sollte und 2. der Abhaltung zweisemestriger Samariterkurse für das nichtärztliche M i s sionspersonal, mit Unterweisungen in Chirurgie, Geburtshilfe, Innerer Medizin und Tropenheilkunde. Erster D i r e k t o r wurde M a x Fiebig ( 1 8 5 2 - 1 9 1 5 ) am 14. N o v e m b e r 1907. Fiebig entwickelte bald eine umfangreiche Vortragstätigkeit, die eine möglichst große Z a h l von Missionsfreunden mit den T ü b i n g e r Plänen vertraut machen sollte.
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Im April des Jahres 1909 nahm das Institut, dem wenig später auch ein Tropengenesungsheim für Missionsangehörige angegliedert wurde, mit neun Medizinern, acht Theologen, einem Juristen und einem Pharmazeuten seine Arbeit auf. Die Einweihung erfolgte am 20. Oktober 1909. In den Festreden wies man vor allem auf die koloniale Bedeutung der neugeschaffenen Einrichtung im Dienste der geistigen und sittlichen „Hebung der Eingeborenen Bevölkerung" hin und auf die mit ihr verknüpfte „Wertsteigerung" des „nationalen Besitzes". Aber nicht überall im Reich rief die Institutsgründung Begeisterungsstürme hevor. Eine bissige Notiz in der Germania vom 20. August 1910 mit der Überschrift „konfessionelle Absonderung der Aerzte" beklagte die „rein protestantische Gründung" in Tübingen. Katholischen „Konfessionsverwandten" sei der Eintritt ohne gänzliche Verpflichtung „auf die Grundsätze der protestantischen M i s s i o n " verwehrt. Gleichwohl sei es nicht empfehlenswert, auch auf katholischer Seite ein solches Institut zu schaffen. Vielmehr müsse der Staat darauf aufmerksam gemacht werden, daß er die Lücke auszufüllen habe, und dies obendrein schnell, „weil sonst die Katholiken zur Selbsthilfe" zu schreiten gezwungen seien. Zu Schritten in Richtung Selbsthilfe war es zu diesem Zeitpunkt de facto freilich bereits gekommen, z. B. durch tropenhygienische Lehrkurse für die Zielgruppe der katholischen Missionsorden an den medizinischen Fakultäten der Universitäten Würzburg und Münster und der Kölner Akademie für Medizin. 2.3.4. Die Ärzte der protestantischen Missionsgesellschaften Deutschlands. Trotz der hoffnungsvollen Anfänge, die die Entstehung missionsärztlicher Gesellschaften und vor allem die Gründung des Deutschen Instituts für ärztliche Mission in Tübingen signalisierte, blieb die Zahl deutscher Missionsärzte vor 1914 verglichen mit ihren angelsächsischen und amerikanischen Kolleginnen und Kollegen gering. Insgesamt sind vor dem Ersten Weltkrieg 51 Missionsärzte in ihren Einsatzgebieten tätig geworden. Der Erste Weltkrieg und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Nachkriegszeit bedeuteten auch für die deutsche protestantische Ärztliche Mission einen schmerzlichen Einschnitt. So gingen die Missionsfelder in den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten weitgehend verloren, und wirtschaftliche Schwierigkeiten behinderten die Aussendung von Missionsärzten in den 20er Jahren erheblich. Nach dem Krieg war die Zahl der aktiven Missionsärzte auf fünf zurückgegangen. Zu einer Wiederaufnahme der missionsärztlichen Tätigkeit ist es erst in der zweiten Hälfte der 20er Jahre gekommen. 1928 waren bereits wieder 17 Missionsmediziner im Deutschen Institut für ärztliche Mission und 30 Missionsärzte auf den einzelnen Stationen tätig. Außenpolitisch wurde der Ärztlichen Mission jener Zeit eine bedeutsame Rolle im Rahmen der auswärtigen Kulturpropaganda der Republik von Weimar zugewiesen (G. Schreiber, 1926). In den 30er Jahren stieg die Zahl deutscher Missionsärzte und nun auch deutscher Missionsärztinnen weiter an, bis der Zweite Weltkrieg 1939 die blühende Arbeit jäh unterbrach. Trotz großer Nachkriegsprobleme entwickelte sich aber dieser besondere Zweig der deutschen Missionen schon in den 50er Jahren wieder rasant. 1962 waren es bereits 275 Ärzte, Ärztinnen, Krankenschwestern und Pflegehelfer, die von Missionsgesellschaften der Bundesrepublik Deutschland in ihre Arbeitsgebiete in Übersee entsandt werden konnten. Viele ärztliche Missionsunternehmungen waren nun eng an Projekte der deutschen Entwicklungshilfe angebunden. 2.4. Katholische
missionsärztliche
Fürsorge
Bereits im letzten Drittel des 19. J h . war das dringende Bedürfnis nach ausgebildeten Laienärzten besonders unter den katholischen Afrikamissionaren durchaus lebendig, und erste Schritte zu seiner Verwirklichung wurden in den 80er Jahren des 19. J h . in die Wege geleitet. Prinzipiell hielt die katholische Kirche zunächst daran fest, daß sich Missionar und Arzt in ihrer Tätigkeit zwar ergänzen, der Missionar aber, von Ausnahmen in dringenden Fällen abgesehen, eine medizinische Tätigkeit nicht ausüben sollte,
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da zwangsläufig eines von beiden Tätigkeitsfeldern, meist die engere Missionsarbeit, darunter leiden müsse. Erste Versuche, im Rahmen eines missionsärztlichen Laienapostolates eingeborenes medizinisches Hilfspersonal für die spätere Tätigkeit auf den Missionsfeldern auszubilden, gehen bereits auf den französischen Missionsgründer (Missionare von Algier, gegr. 1868; später Weiße Väter), Kardinal Charles M . A . Lavigerie ( 1 8 2 5 - 1 8 9 2 ; ab 1882 Kardinal) zurück. Lavigerie gründete 1881 zu diesem Zweck auf der Insel Malta mit Genehmigung der englischen Regierung ein medizinisches Institut, das afrikanische Laienärzte für die Missionstätigkeit der Weißen Väter in ihren Arbeitsfeldern in Uganda, am Kongo, am Tanganjika, in Tabora, Nyassa und im Sudan vorbereiten sollte. Die ärztliche Ausbildung war dabei eng an die Medizinische Fakultät der Universität von La Valetta angebunden. Dieses Vorgehen war außerordentlich erfolgreich, und die Mission der Weißen Väter profitierte bis in die 20er Jahre von diesem besonderen Zweig ihrer Tätigkeit. Eine zweite Entwicklungsstufe wurde in Deutschland 1922 durch die Gründung des Würzburger Instituts für Missionsärztlicbe Fürsorge erreicht. Das von Msgr. Christopherus E. Becker S.D.S. gegründete Institut nahm sich der Aufgabe an, ärztliches Personal für den Krankendienst in den Missionen vorzubereiten und auszusenden. Die ersten Würzburger Missionsärzte reisten bereits 1924 aus. Bis 1945 sind insgesamt 41 Missionsärztinnen und Missionsärzte, die sich durch Eid bzw. religiöses Versprechen verpflichtet hatten, mindestens 10 Jahre in ihrer jeweiligen Mission zu wirken, ausgesandt worden. Die wichtigsten Einsatzgebiete Würzburger Missionsmediziner lagen in Afrika (Nigeria, Tansania, Südwestafrika, Südafrika, Rhodesien), wo bis 1945 allein 28 Ärztinnen und Ärzte arbeiteten. Neben der ärztlichen Ausbildung widmete sich das Institut auch der Vermittlung medizinischer Kenntnisse an Schwestern und Missionare der aussendenden Orden. Die medizinisch ausgebildeten Missionshelferinnen haben sich 1952 zur Gemeinschaft der Missionshelferinnen zusammengeschlossen. Im Jahre 1961 umfaßte das missionsärztliche Institut in Würzburg mehr als 200 Mitglieder. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich der missionsärztliche Zweig der katholischen Missionen außerordentlich erfolgreich. So wurden 1960 im Bereich der katholischen Missionstätigkeit an die 1.200 Krankenhäuser, 300 Leprosorien, 3.300 Armenapotheken, 1.800 Waisenhäuser und 350 Altersheime gegründet bzw. unterhalten. Dabei leistete die katholische Ärztliche Mission wie auch ihr protestantischer Schwesternzweig entscheidende Beiträge zur ärztlichen Versorgung vieler Entwicklungsländer in der sog. Dritten Welt. Die Bekämpfung wichtiger Volkskrankheiten, die Ausbildung von Laienschwestern, medizinische Hilfe bei Kriegen, Katastrophen und ihren Folgeerscheinungen, aber auch Pioniertätigkeit in der tropenmedizinischen Forschung kennzeichneten wesentliche Arbeitsgebiete. Quellen
(Missionsärztliche
Zeitschriften
in
Auswahl)
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80
Mission I X
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Wolfgang U. E c k a r t
Mission, Innere —> Innere Mission
Missionsgesellschaften/Missionswerke
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Missionsgesellschaften/Missionswerke 1. Begriff und W i r k l i c h k e i t 2. Geschichte 2.1. Katholische Mission 2.2. Protestantische 3 . 1 . Katholische M i s s i o n Mission 2.3. O r t h o d o x e Mission 3. Z u s t a n d und Z u k u n f t 3 . 2 . Protestantische Mission (Literatur S. 88)
1. Begriff
und
Wirklichkeit
Hinter den Thema-Stichworten verbergen sich unterschiedliche Trägerstrukturen, divergierende historische Entwicklungen und theologische Positionen, die weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft auf einen Nenner zu bringen sind. Bloße Aufzählung vorhandener Körperschaften wäre daher wenig sinnvoll. Aber auch Selektion aus der Fülle des Stoffs hat ihre Probleme. Eine Monographie über „die katholischen Missionsgesellschaften" (Stoffel) beschränkt sich z. B. auf 15 katholische Weltpriester-Missionsvereinigungen, die doch nur einen Typus von vielen darstellen und für die es im protestantischen Bereich vollends keine Analogie geben kann. Als methodischer Mittelweg bietet sich das von D . B . Barrett vorgeschlagene Verfahren an, nur auf „societies and agencies primarily and principally concerned with the sending abroad of foreign missionary personnel and resources", also auf tatsächlich sendende Körperschaften einzugehen, deren Gesamtzahl in allen christlichen Konfessionen für 1980 mit etwa 3100 angegeben wird (World Christian Encyclopedia, hg. v. David B. Barrett, Oxford 1982, 934). So läßt sich immerhin die schlechthin unüberschaubare Menge der nicht sendenden, sondern nur Hilfsdienste leistenden Organisationen ganz ausgliedern. Auch damit hat man freilich noch keinen festen Boden unter den Füßen. Die Krise der Westmission hat nicht nur das Missionsverständnis, sondern auch die herkömmlichen Trägerstrukturen insgesamt in Frage gestellt. Zwar bringt die Wendung von der Missionsgesellschaft zum „Missionswerk" (s.u.) partielle Neuansätze für eine Weltmission mit sich, die den Namen verdient. Aber sie werden nur dann zur Erfüllung kommen, wenn die Last der Vergangenheit erkannt und bewältigt wird, die bei den vorhandenen Missionsträgern nachwirkt. Schon vor Jahren hat der reformierte Dogmatiker Otto Weber die protestantische Mission an das Dilemma erinnert, das sie seit den Anfängen begleitet, und das nur durch Neuorientierung an der „charismatischen Kraft und der gegliederten Vielfalt" der missionierenden Gemeinden in neutestamentlicher Zeit überwunden werden kann, jenseits der Alternative von „Verkirchlichung" und „Vergesellschaftung" (Weber 135ff). So gesehen ist die Frage der Trägerstrukturen in der Mission eine genuin ökumenische. Sie betrifft heute zwar die nichtkatholischen Missionen in besonders akuter Weise, hat aber auch in der katholischen Mission ihre Spuren hinterlassen. Denkwürdiges Datum für die gesamte neuere Missionsgeschichte ist und bleibt die Gründung der Congregatio de propaganda fide 1622 (-»Kurie): kraftvolles Signal einer zentripetalen Strukturreform auf der einen Seite, dem in der eben erst beginnenden protestantischen Mission andererseits fast gleichzeitig - und nicht erst, wie meist angenommen, in der späteren —»Entwicklung — ein Modell der dezentralisierten Einzelmission, kulminierend in voluntary associations bzw. „freien Werken", gegenübergestellt wurde. 2.
Geschichte
2.1. Katholische
Mission
So gewiß zwischen dem Propaganda-Konzept und der fortbestehenden iberischen Patronatsmission wenig Raum für neue Strukturen blieb, so bemerkenswert ist doch ein Versuch, wenigstens in der Theorie einen neuen Akzent zu setzen: Der Dominikanertheologe Tommaso Campanella schlug, vielleicht durch T h o m a s a Jesu angeregt, in seiner bisher nur teilweise publizierten missionstheologischen Schrift Quod reminiscentur ( 1 6 1 5 - 1 6 1 8 ) vor, daß die Heidenmission als gesamtchristliche Aufgabe von einem ökumenischen „ S e n a t " in Angriff zu nehmen sei, der zuvor Frieden und Eintracht in
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der ganzen Christenheit hergestellt habe. Die Tatsache, d a ß der A u t o r neuplatonischer und anderer Irrlehren verdächtigt w u r d e und jahrelang eingekerkert war, ließ seinen Entwurf nicht zur W i r k u n g k o m m e n . Allerdings ist dieser später unter interessierten Protestanten bekannt g e w o r d e n , so bei S. M a r e s i u s (1668) und J . A . Fabricius (1731), vielleicht auch bei K. Mel und —•Leibniz (Merkel 25 f; 175), und vorher schon bei Justinian von Welz. Maßgeblich f ü r die weitere katholische Entwicklung waren die Bem ü h u n g e n der P r o p a g a n d a , die B e v o r m u n d u n g der Mission d u r c h die iberischen M ä c h t e a b z u b a u e n - ein langer Prozeß, in dem es an Rückschlägen nicht gefehlt hat, in dessen Verlauf sich aber der Primat der P r o p a g a n d a weitgehend durchsetzen k o n n t e . Strukturveränderungen blieben im R a h m e n des Prinzips: Z u den älteren O r d e n und Kongregationen als Trägern der Mission traten Weltpriester-Genossenschaften — w a s sogar als W i e d e r a u f n a h m e altkirchlicher Praxis interpretiert werden k a n n (Ohm 802) - allen voran die eng mit der P r o p a g a n d a v e r b u n d e n e Société des Missions Etrangères de Paris (1663). Weitere N e u g r ü n d u n g e n folgten, d a r u n t e r z u n e h m e n d jene Vereine, die nicht selbst aussenden, sondern Hilfsdienste w a h r n e h m e n sollten. Trotz Verbreiterung der Basis der Mission auf lokaler und regionaler Ebene blieb es in Deutschland freilich vorerst bei dem G r u n d s a t z , d a ß Mission als „freie A u f g a b e " nicht in Betracht k o m m e . Die unter französischem Einfluß eigens f ü r Deutschland gegründete „Gesellschaft vom göttlichen W o r t " m u ß t e sich infolge des K u l t u r k a m p f s 1875 im holländischen Steyl niederlassen. Erst um die Wende vom 19. zum 20. Jh., m i t b e s t i m m t sowohl von der Kolonialbewegung als auch von „liberalbürgerlicher Emanzipation und gesellschaftlicher M o d e r n i s i e r u n g " , setzte eine neue Epoche von Missionsgründungen auf deutschem Boden ein (Gründer 320 f). 2.2. Protestantische
Mission
2.2.1. O b mit oder o h n e Bezug auf die G r ü n d u n g der P r o p a g a n d a - d a ß auch im Z u s a m m e n h a n g mit der etwa gleichzeitig beginnenden protestantischen Mission über die Trägerstrukturen nachgedacht wurde, sollte nicht länger ignoriert werden. Eine erste Diskussionslinie verläuft, a n k n ü p f e n d an C a m p a n e l l a s „Senats"-Idee, über die Utopien des J. V. ->Andreae (in denen freilich der Missionsgedanke hinter dem Sozietätskonzept zur Unkenntlichkeit verblaßte) zu J . A . —»Comenius, Samuel H a r t l i b und J o h n Dury. Ein a n o n y m e r Plan einer societas universalis, der in Hartlibs N a c h l a ß g e f u n d e n w u r d e , nennt wiederum ausdrücklich den Senat oder ein collegium generale als Leitungsinstanz der Gesamtgesellschaft, nun aber auch weltweite Ausbreitung des christlichen G l a u b e n s als eines ihrer Ziele. In diesem Kreis, genauer: In dem „ B r u d e r b u n d " , den die drei Gesinnungsgenossen 1642 in L o n d o n schlössen, entwickelte sich eine zweite Diskussionsrichtung, in der die Idee der zentralen Leitung deutlich z u r ü c k t r a t zugunsten der Verbindung von christlicher Sozietät und Heidenmission. 1651 erwägt C o m e n i u s die G r ü n d u n g einer secta heroica, die auch noch in der späten Schrift Panergesia als Missionssozietät eine Rolle spielt. Von Auswirkungen dieser G e d a n k e n auf die zu A n f a n g des Jh. begonnene niederländische Kolonialmission ist allerdings weder in C o m e n i u s ' letzten Lebensjahren, die er in A m s t e r d a m verbrachte, noch vorher etwas zu b e m e r k e n . Zu stark war offenbar die Abhängigkeit der Mission von der Ostindischen C o m p a n i e , als d a ß die Mission als freies Werk eine C h a n c e gehabt hätte. In vieler Hinsicht ähnlich war die Situation in der zeitgenössischen englischen Indianermission in N o r d a m e r i k a (—Indianer) - auch sie p r i m ä r „ c h u r c h w o r c k " (Cotton M a t h e r ) , das seit 1649 überdies durch eine Gesellschaft kontrolliert w u r d e , die eher Behördencharakter trug ( N e w England C o m p a n y ) . Wenn ein „Vordenker und Pionier der Weltmission" (Laubach) in dieser Zeit sich hätte auf C o m e n i u s berufen k ö n n e n , wäre es der österreichische Freiherr J u s t i n i a n von Welz ( 1 6 2 1 - etwa 1668) gewesen. Als Exulant mit pansophischen A n w a n d l u n g e n hatte er freilich Anlaß, in seinen drei P r o g r a m m s c h r i f t e n aus dem einen J a h r 1664 keine Gewährsleute zu nennen, wenngleich er sicher Andreaes Schriften gelesen hat und gele-
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gentlich wörtliche Anklänge an Comenius erkennen läßt. Jedenfalls ist er es gewesen, der zunächst durch einen Aufruf zur mystisch-asketischen vita solitaria (1663) auf sich aufmerksam gemacht hatte, dann aber das am klarsten durchdachte und am praktischsten geplante Konzept einer „Jesusliebenden Gesellschaft" mit zwei Zweigen vorgelegt hat, deren einer der Reform der Kirche in Deutschland, der andere aber der „Bekehrung des H e i d e n t u m s " dienen sollte. Das Programm erweist — p a r a d o x genug - seine Glaubwürdigkeit eben darin, daß es an der Kirche scheitert: Der Lutheraner Welz will einer ganz überwiegend widerstrebenden Kirche die Mission als ihre eigene Sache bewußt machen, kann d a f ü r aber keinen anderen Weg einschlagen als den über die Sozietät, die von den orthodox-lutherischen Gegnern p r o m p t als Teufelswerk disqualifiziert wird. Auch dieser Umstand hebt das Projekt weit über die anderen zeitgenössischen Gesellschaften hinaus, die sich anderen Zwecken widmen und von denen Welz sich anfangs hatte anregen lassen. Am Ende steht die persönliche Tragödie dieses Einzelgängers, dem sowohl die Unterstützung durch die Kirche als auch die Sympathie der Reichsstände versagt blieb, und der doch auch bei der unsichtbaren Geistkirche der Spiritualisten keinen Anhalt fand, obwohl er noch mit J. G. —»Gichtel und F. —»Breckling in Verbindung trat. Seine biographische Spur verliert sich in freimissionarischem Dienst in Suriname. Freilich haben auch seine Gedanken bestenfalls unterschwellig weitergewirkt. Daß die englischen Religious Societies sie aufgenommen hätten (Laubach), ist k a u m zu beweisen, zumal deren Zweckbestimmung nicht primär missionarisch war. Die um die Jahrhundertwende entstandenen zwei englischen Gesellschaften, die mehr volksmissionarische Society for Promoting Christian Knowledge (1698) und die staatskirchlich verfaßte Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts (1701), entsprechen nicht dem barocken Sozietätsmodell, sondern eher einer in Gesellschaftsform organisierten Kirchenmission (—»England V), ebenso das 1709 in Edinburgh gegründete schottische Pendant (—»Schottland). Das 18. Jh. brachte mit der —>Dänisch-hallischen Mission (seit 1706) einen Sondertypus hervor, der sich weder der ecclesia noch der ecclesiola, wohl aber der Initiative eines lutherischen M o n a r c h e n , im Verein mit lutherisch-pietistischer Dynamik, verdankte und auch in seiner späteren Entwicklung stets unter behördlicher Aufsicht blieb. Vollends eigenständigen Charakter trug ->Zinzendorfs Brüdermission (1732), getragen weder von einem Verein noch einer Gesellschaft, kontrolliert weder von einer Behörde noch von einer Territorialkirche, sondern vom missionarischen Wollen der Brüderunität selbst. John —>Wesley schließlich konnte für sein Konzept einer Evangelisierung von Christen und Heiden in der „Welt als Parochie" weder in der verfaßten Kirche noch in den Religious Societies den rechten Boden finden, sondern schuf sich ein eigenes Werkzeug in seiner United Society (1739), die den spezifischen Rahmen einer Missionsgesellschaft etwa im Sinne von Welz sprengte. Die spätere methodistische Missionsgesellschaft, die auf T h o m a s Coke zurückgeht, gehört zeitlich und sachlich in eine andere Epoche. 2.2.2. Latent waren schon bei Welz die Weichen gestellt für eine itio in partes, deren volle Bedeutung in der Zeit der —• Erweckung nach 1800 zum Ausdruck kommen sollte. Am Anfang stand die London Missionary Society (1795), die mit ihren Hilfsvereinen auch die kontinentalen Missionskreise erfaßte und die G r ü n d u n g einer ganzen Reihe neuer Gesellschaften veranlaßte. Die N o t , die Welz noch umtrieb, wurde nun zur Tugend. Angesichts der Indolenz der meisten Kirchen ließen sich offenbar nur im Rahmen freier Werke die Kräfte mobilisieren, die eine weltweite Missionsbewegung in die Wege leiten konnten. Andere Motive kamen hinzu: Im „Verein" konnten auch die zum Zuge k o m m e n , für die es sonst in der ständisch-hierarchischen Gesellschaft nur Nebenrollen gab - auch die „ungelehrten Bekehrten", auch die „ F r a u e n z i m m e r " (Conze). Vier europäische Gesellschaften formulierten 1837 gemeinsam das Prinzip: Das „ W e r k " , das man vertrete, sei „christliche P r i v a t s a c h e , . . . heutige Aufgabe aller Freunde des Evangeliums",
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von der m a n „jeden anderen leitenden Einfluß" fernhalten werde (Aagaard 264f). Dies A r g u m e n t k o n n t e auch d o r t Eindruck m a c h e n , w o m a n sonst nicht willens war, der Mission den „ C h a r a k t e r christlicher P r i v a t w i r k s a m k e i t " beizulegen. Ein M a n n der Kirche wie Wilhelm - » L ö h e , der vom Verein und seiner „ d e m o k r a t i s c h e n Basis" wenig hielt, schätzte doch die Gesellschaft als T r ä g e r s t r u k t u r eben wegen der Möglichkeit, „keiner fremdartigen M e i n u n g R a u m und E i n w i r k u n g zu g e s t a t t e n " . Freilich dachte Löhe — um 1850 — bereits aus einer anderen Frontstellung heraus, bei der im G r u n d e nicht mehr der Verein der eigentliche Streitpunkt w a r , sondern die kirchlich-konfessionelle Bindung der Mission. Die A n n ä h e r u n g von Kirche und Mission, die sich schon vor 1800 etwa in der anglikanischen Kirche b e m e r k b a r machte, setzte sich nach 1800 im kontinentalen L u t h e r t u m in Gestalt einer A n n ä h e r u n g von Neupietismus und lutherischer O r t h o d o x i e durch, die auch der Mission klare bekenntnismäßige Konturen zu geben vermochte. D e m Beispiel der Evangelisch-lutherischen Missionsgesellschaft in Sachsen (1836 Dresden, später Leipzig) folgte eine Reihe ähnlicher G r ü n dungen. Das neu e r w o r b e n e und energisch verteidigte konfessionelle Bewußtsein schien den kirchlichen C h a r a k t e r der Mission ausreichend zu sichern, auch gegenüber dem Extrem einer unkirchlichen Privatisierung. Mission sollte Bekenntnissache sein; die Gesellschaftsstruktur b r a u c h t e aber deswegen nicht preisgegeben zu werden. Auch d a n n k o n n t e man allerdings dem einen kritischen Punkt nicht ausweichen, der die Gesellschaftsstruktur als solche belastete: Konnte und d u r f t e die Gesellschaft kirchliche Vollmacht beanspruchen und ausüben, wenn Gemeinden auf dem „ M i s s i o n s f e l d " sich als Kirche konstituieren wollten? Einig w a r man sich darin, d a ß eine Kirchenleitung nicht die Missionsleitung ü b e r n e h m e n könne. Offen blieb die Frage, o b das Umgekehrte möglich sei. Die protestantischen Freikirchen des 19. Jh. betrachteten in der Regel Mission als ihre eigene Sache, wenngleich freigesellschaftliche T r ä g e r s t r u k t u r e n nicht ausgeschlossen w a r e n . Eine Sonderstellung n a h m e n auch in dieser Hinsicht die später entstehenden Missionen der „radikalen E r w e c k u n g " ein, unter ihnen auch die „ G l a u b e n s m i s s i o n e n " , die auf geregelten Unterhalt ihrer M i t a r b e i t e r verzichteten. Einerseits standen sie als freie Vereinigungen in O p p o s i t i o n zur kirchlichen R e s t a u r a t i o n , andererseits bewirkte ihre strenge Orientierung am k o m m e n d e n Gottesreich eine L e h r b i n d u n g , die den Kirchenmissionen nicht fern stand. Im übrigen aber k o n n t e n sich die meisten Missionen in der Situationsbeschreibung wiederfinden, die G. —• Warneck um die J a h r h u n d e r t w e n d e in seiner „Evangelischen Missionslehre" lieferte: Die Gesellschaftsstruktur in Gestalt der „freien Association der G l ä u b i g e n " entspricht der ecclesiola in ecclesia, die Salz und Licht f ü r Kirche und Welt ist. Sie relativiert die konfessionelle Bindung, ohne sie zu negieren, und vermeidet sowohl die Scylla der Verkirchlichung als auch die Charybdis der Entkirchlichung der Mission. Die Kirchlichkeit der Mission ist auch o h n e strukturelle Verkirchlichung gewährleistet, denn sie besteht nicht in kirchenrechtlicher G e b u n d e n heit, sondern in dem kirchlichen Geist, der sie belebt. Es ist k a u m zu übersehen, d a ß in diesem M e h r h e i t s k o n s e n s u s eine Bezugsgröße n u r eine untergeordnete Rolle spielte: die w e r d e n d e Kirche der Missionsgebiete, die in der Missionsgesellschaft je länger je weniger den Partner zu finden vermochte, der ihren E r w a r t u n g e n entsprach. Die Weltkriege und ihre Folgen taten ein übriges, um eine N e u orientierung herbeizuführen, die auch die T r ä g e r s t r u k t u r e n der Mission einbeziehen mußte. Schon materiell waren die Gesellschaften ü b e r f o r d e r t , w e n n sie den überseeischen Partnerkirchen zu g l a u b w ü r d i g e m Zeugnis inmitten der steigenden E r w a r t u n g e n und Bedürfnisse ihrer Umwelt verhelfen wollten, nicht zu reden von den übergreifenden Aufgaben im Bereich theologischer Ausbildung, christlichen Schrifttums, heilenden und entwicklungsbezogenen H a n d e l n s , die mit den begrenzten Mitteln der Kooperation von freier Gesellschaft und überseeischer Kirche k a u m noch zu bewältigen w a r e n . Auch die geistlichen E r f a h r u n g e n , die Kirchen und Missionen in der Zeit des deutschen Kirchenk a m p f s und nach 1945 m a c h t e n , drängten auf Veränderung. Der Schulterschluß, zu
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dem man im Kampf der Bekennenden Kirche gefunden hatte, ermöglichte und forderte eine Gemeinschaft im Bereich ökumenisch-missionarischen Denkens und Handelns, die weder beim alten Einbahnverkehr zwischen Missionsgesellschaft und „Missionsfeld" noch bei der Trennung von „Außenmission" und „Heimatmission" stehen bleiben konnte. Die neue Zielsetzung einer „Mission in sechs Kontinenten" mußte auch die Kirchen zu Partnern unter einem Auftrag machen, der Gottes gesamtes Heilshandeln an und mit seinem Volk umfaßte und darum nicht mehr nur spezialisierten Missionsinstitutionen überlassen bleiben konnte. Weder in Deutschland noch anderswo ist bisher die Konsequenz gezogen worden, daß die Missionsgesellschaft abrupt der „Euthanasie" überantwortet worden wäre. Wohl aber entdeckte man schon in den Debatten um die Integration auf ökumenischer Ebene, d.h. den Zusammenschluß des Internationalen Missionsrats (IMC) mit dem Ökumenischen R a t der Kirchen ( W C C ) , die Misere, in der man sich selbst befand: das Nebeneinander von „kirchenloser M i s s i o n " und „missionsloser Kirche", das die Entstehung einer Kirche in Mission effektiv verhinderte. Mit Integration im Sinne einer Eingliederung der Mission in ein auf Versorgung und Betreuung angelegtes volkskirchliches Gefüge und dessen Administration wäre dabei nichts zu gewinnen gewesen. Integration auf regionaler Ebene konnte offenbar nur sinnvoll sein, „wenn dadurch die Gemeinden von missionarischem Geist durchdrungen" würden (Hoffmann 211). Ohne Übertreibung kann gesagt werden, daß das Jahr 1961 mit der ökumenischen „Integrationskonferenz" von New Delhi im Sinn jener Einsicht eine entscheidende Zäsur für die weitere Entwicklung geworden ist. Für die Folgezeit ist das Geschehen in Deutschland, Frankreich und England besonders instruktiv. Im Bereich der beiden deutschen Teilstaaten kam es auf längere Sicht zu separaten Entscheidungen. Auf der Basis des 1922 gegründeten Deutschen Evangelischen Missionsbundes war bereits 1933 der Deutsche Evangelische Missionstag ( D E M T ) entstanden, der Krieg und Nachkriegszeit überdauerte. Die Gründung der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Weltmission ( E A G W M , 1963) schuf eine organische Verbindung zwischen D E M T und den Kirchen. Dies war ein erster Schritt von der Missionsgesellschaft zum „Missionswerk", das eine geordnete Beteiligung der Kirchen an der Mission möglich machte. Damit war für die Bundesrepublik zugleich ein Prozeß regionaler Konzentration eingeleitet, der auf dem Wege über weitere Arbeitsgemeinschaften von Missionen und Kirchen, landeskirchliche Missionsräte oder -kammern seit 1970 zur Gründung regionaler Missionszentren bzw. -werke führte. Die Logik des Integrationskonzepts drängte darüber hinaus auf Zusammenschluß in einer neuen zentralen Organisationsform, dem Evangelischen Missionswerk im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und Berlin West e. V. ( E M W ) mit Sitz in Hamburg, das seit 1977 die Zweigleisigkeit von D E M T und E A G W M ablöste und die Evangelische Kirche in Deutschland, die Freikirchen und einige interessierte kirchliche Verbände sowie die regionalen Missionswerke zusammenführte. Daß der ganze Prozeß auch Opfer verlangte, zeigte sich im Verschwinden mancher früher bewährter Körperschaften, wie z.B. des Bundes deutscher Missionare oder des Studentenbunds für Mission, aber auch in der Ausgliederung einer Konferenz (später Arbeitsgemeinschaft) Evangelikaler Missionen (AEM, 1969), die sich bis heute zur Grundlage der Evangelischen Allianz in Deutschland bekennt und den Zusammenschluß im E M W nicht mitverantworten will. 1969 war außerdem das Entstehungsjahr der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionsgesellschaften in der D D R (AGEM), die sich als Nachfolgeorganisation des D E M T im Osten Deutschlands verstand, sich aber im Zuge der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten am 29. September 1991 mit dem E M W in einem neuen Evangelischen Missionswerk in Deutschland zusammenschloß. Weniger kompliziert war und ist der Integrationsprozeß dort, wo, wie in den -»Vereinigten Staaten oder den -»Niederlanden, größere Kirchen sich weitgehend mit den Trägerkreisen größerer Missionsorganisationen decken. Als besonders anspruchsvoll erwies sich jedoch die Zielsetzung der Communauté Évangélique d'Action Apostolique
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(CEVAA), die bereits seit 1971 die überseeischen Partnerkirchen der alten Pariser Mission sowie einige andere frankophone Dritte-Welt-Kirchen, die protestantischen Kirchen in Frankreich und der französischen Schweiz sowie die Waldenser-Kirche in grenzüberschreitender evangelistischer und entwicklungsbezogener Zusammenarbeit vereint 5 (1990: 46 Mitglieder). Eine ähnliche, wenngleich wohl weniger spannungsvolle Struktur hat 1977 in Gestalt eines Council for World Mission der Verbindung der London Missionary Society von 1795 mit den mit ihr kooperierenden Kirchen eine neue Qualität gegeben. Diese und andere Beispiele zeigen, daß die Ab- bzw. Auflösung von Missionsgesellschaften nicht zum Selbstzweck wird. Noch nach einem Menschenalter gilt, was 10 in New Delhi 1961 von Lesslie Newbigin als einem der Initiatoren der Integrationsbewegung erklärt wurde: Wenn die „Erweiterung des missionarischen Anliegens dazu führen würde, das unsichtbare, aber ungemein starke Element des persönlichen Einsatzes und Wissens zu schwächen, wodurch die Mission zu dem geworden ist, was sie ist, dann würde ihr der innere Antrieb verloren gehen" (Weltmission heute 21/22, Stuttgart is 1963, 15). Für Wiederbelebungsversuche an offenkundig überlebten Strukturen sollte dieser Satz freilich heute so wenig wie damals eine Handhabe bieten. 2.3. Orthodoxe
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Staatskirchlich gelenkte Mission beherrschte die Szene im Bereich Moskaus als des „Dritten Rom". Kolonisation und kirchliche Expansion griffen auch dann noch ineinander, als die kirchliche Reform Peters d.Gr. der Christianisierung heidnischer Völker von Rußland aus bis nach China neue Möglichkeiten eröffnete, die jedoch infolge Mangels an geeignetem Personal nur unzulänglich genutzt werden konnten. Erst 1863 entstand, als „vielleicht einzige wirkliche Missionsgesellschaft" in Rußland (Glazik), eine Missionsschwesternschaft, während die 1870 gegründete Orthodoxe Missionsgesellschaft lediglich als Hilfsverein tätig werden konnte. Die Toleranzerklärung von 1905 bedeutete einen Rückschlag, für den auch mit der Bildung eines Missonsrats durch den Hl. Synod (1908) kein Ausgleich geschaffen werden konnte. Je länger, je mehr setzte sich die Überzeugung durch, daß orthodoxe Mission nie etwas anderes als unmittelbare Ausbreitung der orthodoxen Kirche sein könne, daß also diese missio der Kirche selbst der missiones nicht bedürfe - eine Überzeugung, die auch in der griechischen Kirche dem Erwachen missionarischer Initiativen nicht förderlich war. Pläne für die Gründung einer panorthodoxen Missionsgesellschaft und eines Missionsseminars existierten schon in den 1930er Jahren. 1958 rief die internationale orthodoxe Jugendorganisation „Syndesmos" einen Exekutivausschuß für Äußere Mission ins Leben, der mit der bereits seit 1923 in Ostafrika bestehenden orthodoxen Missionskirche Verbindung aufnehmen konnte. Ihr Metropolit Anastasios Yannoulatos von Androussa (seit 1982) ist der bekannteste Vorkämpfer einer orthodoxen Beteiligung an der ökumenischen Missionsverantwortung. 3. Zustand und
Zukunft
3.1. Katholische
Mission
Die Orden sind auch heute als der missionarische Arm der Kirche unersetzlich - einzigartig sowohl in der Einheit der Berufung und der Pastoral als auch in der Vielfalt der Gliederungen und Dienste, die beide im Missionsdekret des Zweiten Vaticanum (—>Vatikanum II) erneut bestätigt worden sind. Erhalten geblieben ist dabei die Mög45 lichkeit, durch geregelte „Exemption" den religiösen Genossenschaften einen gewissen Freiraum zu gewähren. Um auch für Außenstehende die Übersicht zu erleichtern, werden unterschieden (Glazik: LThK 2 7, 454f): a) Regularkanoniker und Orden, die faktisch Missionsdienst tun, ohne durch ihre Regel dazu verpflichtet zu sein (Augustiner, Benediktiner, Zisterzienser), b) Orden und Kongregationen, die neben anderen Diensten auch 50 in der Mission tätig sind, darunter auch Priestergemeinschaften ohne Gelübde (Lazaristen, Pallottiner). c) Orden, Korporationen und Weltpriestergemeinschaften, die sich
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ganz oder überwiegend zum Missionsdienst verpflichtet haben (Missionsbenediktiner von St. Ottilien, Steyler Missionare), besonders solche, die der Propaganda-Kongregation (seit 1967: Sacra Congregatio pro Gentium Evangelizatione seu de Propaganda Fide) unterstehen, wie die Missionare von Verona, von Mariannhill u.a., und Priestergenossenschaften ohne Gelübde (zuerst die Pariser Missionsgesellschaft von 1663, ferner die Weißen Väter, Missionare von Mill Hill, von Maryknoll u.a.). d) Brüdergenossenschaften mit Schwerpunkt im Missionsdienst (zuerst Brüder der christlichen Schulen, 1680). Bei Frauenorden und -kongregationen gelten sinngemäß dieselben Unterscheidungen. Eine Kategorie für sich bilden die neuen Laiengemeinschaften, die im Hilfsdienst für die Mission stehen. Für die Z u k u n f t erwartet man in der katholischen Mission allerdings eine zunehmende Auflockerung der Ordensstrukturen, besonders im Z u s a m m e n h a n g mit dem Aufhören des „Einbahnverkehrs" zur Dritten Welt - so durch weiteres Ansteigen der bereits erheblichen Zahl einheimischer Missionare sowie intensivierte „ Q u e r m i s s i o n " zwischen Dritte-Welt-Gebieten, wie sie seitens der Propaganda durch Übergang vom ius commissionis (Gebietsübertragung) zum ius mandati (Auftrag zur Mitarbeit) ermöglicht worden ist. Wie im evangelischen Bereich, so entstehen auch für die katholischen Missionsträger neue Aufgaben durch das Konzept der „Mission in sechs Kontinenten", wobei besonders darauf geachtet wird, d a ß die „innereuropäische Pastoral" nicht die lebenswichtigen Wechselbeziehungen zwischen den Kontinenten beeinträchtigt. Versuche, im Gegenzug zum „hierarchologischen Ansatz" für die an kirchlichen Strukturen orientierte Mission mehr „weltliche S t r u k t u r e n " zu entwerfen und zu erproben (Rütti), haben bisher offenbar wenig Unterstützung gefunden. 3.2. Protestantische
Mission
Alle Zeichen deuten daraufhin, daß der Prozeß der Konzentration der Kräfte anhalten wird. Wirklich neue, zukunftsorientierte Entwicklungen im Bereich der Trägerstrukturen sind in Deutschland und darüber hinaus vor allem bei den regionalen Missionswerken zu erwarten. Die Dinge sind noch im Fluß; aber drei Beispiele verdienen Beachtung: a) „United in Mission" (Vereint in der Mission), eine Art Verbund von 33 Kirchen in Afrika, Asien und Deutschland, die bereits in Partnerschaft mit der Vereinigten Evangelischen Mission (früher Rheinische Mission) in Wuppertal stehen. Die konstituierende Versammlung ist für O k t o b e r 1993 vorgesehen. b) Der „ G w a t t - P r o z e ß " (benannt nach einer Tagungsstätte in der Schweiz) u m f a ß t die Basler Mission mit ihren Partnerkirchen, unter einem gemeinsamen Missionsrat. c) Die Leipziger Mission befindet sich in der Umgestaltung von einer Missionsgesellschaft zum Missionswerk, das von den lutherischen Landeskirchen Sachsens, T h ü ringens und Mecklenburgs mitgetragen wird. Z u r Euphorie besteht allerdings kein Anlaß. Parallel mit dem Fortschreiten des Integrationsprozesses bei den mit der Ö k u m e n e verbundenen Missionsträgern läuft deren teilweise drastisches quantitatives Schrumpfen, im Kontrast zu stetigem Wachstum bei den evangelikalen Organisationen. Dabei dürfte der Umstand mitspielen, d a ß der Einfluß der mit Weltmission und Evangelisation befaßten Untergliederungen der ökumenischen Körperschaften, vor allem O R K und Lutherischer Weltbund, schon seit der Integration des früheren Internationalen Missionsrats in den Ökumenischen Rat (New Delhi 1961) deutlich im Abnehmen begriffen ist. Z u bedenken ist ferner, d a ß im protestantischen Bereich die Diskussion über Verein bzw. Gesellschaft einerseits und Kirchenmission andererseits nicht beendet ist (vgl. Kubik, Winter). Die Redaktion des Basler Missionsmagazins hatte bereits vor 128 Jahren den Rat gegeben, man möge „das Urtheil der Geschichte abwarten, . . . was besser sei, — streng kirchliche oder freiere Vereinsthätigkeit" (NF 9,1865,14f). O b die Geschichte diesem Wunsch entsprochen hat, wird man unterschiedlich beurteilen. So bleibt der Versuch einer Situationsbeschreibung eher eine M o m e n t a u f n a h m e als eine abschließende Ana-
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lyse. Vollends wird man zurückhaltend sein gegenüber der im Zusammenhang mit dem Entstehen neuer Missionsträger in Dritte-Welt-Gebieten formulierten Prognose, daß sich damit bereits „the Last Age of M i s s i o n s " ankündige (Lawrence E. Keyes). Literatur 5
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Hans-Werner Gensichen Missionsorden und -kongregationen —»Orden, Neuere katholische so Missionswissenschaft 1. Begriff und Sache
2. Geschichte der Disziplin
3. Diskussionslage
(Literatur S. 96)
1. Begriff und Sache Missionswissenschaft als Disziplin ist entstanden aus der Praxis der christlichen -•Mission des 19. J h . und bedeutet zunächst den Versuch, eine Praxis der notwendigen 55 theologischen Kritik auszusetzen. Notwendig ist Kritik, weil Mission als menschliches
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Projekt nur eine, und zwar eine ungenügende und stets gefährdete Gestalt des Bekenntnisses zu Jesus Christus ist. T h e m a und Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühung ist daher über das historische Phänomen der Bewegung des Christentums hinaus die Frage nach Gottes umfassender Mission an der Menschheit (vgl. missio als Begriff der altkirchlichen Lehre von der -> Trinität). Das heißt, das Eigentliche geschieht durch Gott, weder durch Missionen noch durch Missionswissenschaft, und streng genommen ist Mission nur als Missio Dei aufzufassen. Missionsunternehmungen können nur auf Glauben hin eine Teilhabe an dieser Mission erhoffen, und sie sind wirklich beteiligt, sofern Gott dies will. Um lediglich einen Versuch der Kritik handelt es sich, weil auch Missionswissenschaft, insofern sie das biblische Kerygma rückerinnern bzw. neu entdecken will im Blick auf die Begegnung mit den Fremden und Anderen, der Unzulänglichkeit und dem Häresieverdacht selbstgesetzter Interpretation nicht entkommen kann. Missionswissenschaft kann sich deswegen nur als Dienerin des Kerygmas verstehen und den Versuch wagen, seine Um- oder Neuinterpretationen oder gar Mutationen kommentierend zu beobachten, was die Infragestellung der allerorten möglichen ekklesiologischen Häresie, der eigenbestimmten Seßhaftwerdung von Kirche, einschließt. An ihrem näheren Gegenstand, der Bewegung und Rezeption der christlichen Botschaft in den Kulturen der Menschheit, verfolgt die Disziplin damit eine allgemeintheologische Aufgabe - aber dies weder in Unabhängigkeit von, noch in subjektiver Willkür gegenüber der Kirche. Wie die Theologie generell so ist Missionswissenschaft speziell ein an Kirche gebundenes, aus Glauben antwortendes Handeln, das nicht die Wahrheit, wohl aber die Wahrheitssuche wissenschaftlichen Regeln unterwirft. Diese Aufeinanderbezogenheit von Wissen und Glauben läßt die Trennung der Missionswissenschaft in einen „empirischen" und einen „theologischen" Teil (A. Camps, J . A . B . Jongeneel) nur als Teilelemente eines Ganzen zu. Missionswissenschaft hat die Aufgabe, Fragen zum Verstehen von Mission aufzuwerfen und sich selbst ehrlich von Fragen bedrängen zu lassen (K. -»Barth 124). Es wäre ein Mißverständnis, ihr die Funktion der Legitimierung von Missionen zu geben. Missionswissenschaft ist vielmehr kritischer Begleiter. Sie erweist ihren Dienst und ihre Wissenschaftlichkeit daran, d a ß sie ihren Ausgangspunkt wie ihre Begrenzungen mitreflektiert und daß sie am innertheologischen und am allgemeinen wissenschaftlichen Diskurs teilnimmt. Das Besondere der Missionswissenschaft ist die Konzentration auf das historisch gewachsene, überaus komplexe Aufgabengebiet und Quellenmaterial - der Prozeß des Bekanntwerdens und Wiederbekanntwerdens der christlichen Botschaft unter den e8vij (Mt 28,19; was die Möglichkeit der Selbstverkündigung Jesu Christi im Heiligen Geist einschließt). Theologisch ist dies der Einbruch der Fremdheit, nämlich des alle Grenzen mißachtenden eschatologischen Christusgeschehens in den Alltag der Welt. Die ethnische Schranke ist längst gefallen, und vorbei sind die Zeiten, w o diese Grenzen nach statischen geographischen oder denominationellen Kriterien festgelegt wurden, sie finden sich überall, innerhalb Europas und auch innerhalb der Kirchen.
Weil der T h e o l o g i e generell eine missionswissenschaftliche A u f g a b e zuzusprechen ist, Missionswissenschaft andererseits a b h ä n g i g ist von den a n d e r e n theologischen Disziplinen, läßt sich keine stringente, s o n d e r n lediglich eine f u n k t i o n a l e A b g r e n z u n g d u r c h f ü h r e n . A m Verhältnis der Missionswissenschaft zu den theologischen N a c h b a r d i s z i p l i n e n , insbesondere der Kirchengeschichte u n d der p r a k t i s c h e n T h e o l o g i e , zeigt sich d a s P r o b l e m nach wie vor. M i t der Praktischen T h e o l o g i e ergaben u n d ergeben sich Ü b e r s c h n e i d u n g e n s o w o h l unter t h e m a t i s c h e m G e s i c h t s p u n k t (vom Gem e i n d e a u f b a u bis zur Predigtlehre z.B.) als auch u n t e r wissenschaftstheoretischem Aspekt: Beide theologischen Disziplinen erachten die Verarbeitung und Vermittlung außerkirchlich w a h r g e n o m mener Realität in den theologischen Diskurs als zentral. M i t d e m Trend hin zu säkularistischen und multireligiösen Situationen auch in traditionell christlichen Gesellschaften n i m m t das Überschneidungsfeld - und das heißt auch die Dringlichkeit missionswissenschaftlicher Bearbeitung - zu. N i c h t s spricht dagegen, „ n a c h l a s s e n d e T r a d i t i o n s l e n k u n g " in D e u t s c h l a n d missionswissenschaftlich zu erforschen u n d so die Expertise dieser Disziplin f ü r die Situation einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft in Dienst zu n e h m e n .
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Ein vergleichbarer Trend verbindet auch zusehends die Kirchengeschichte mit der Missionswissenschaft. Die historische Entwicklung oder auch der große Erfolg der westlichen Missionsbewegung hat aus ehemals missionswissenschaftlichen Fragestellungen unterdessen kirchengeschichtliche Etappen nichtwestlichen Christentums g e m a c h t . Die Missionswissenschaft lebt seit ihrer Begründung mit derartigen Überschneidungen und damit mit einer ungesicherten wissenschaftlichen Identität. Dies liegt im Wesen einer Disziplin, die vom Eschaton her denken will und die Transformation des Bestehenden zu begleiten hat, w o v o n sie selbst und die T h e o l o g i e insgesamt nicht ausgenommen sein können.
Wo immer Missionswissenschaft als bloße Anwendungswissenschaft mißverstanden wird, tritt das Problem ihres Verhältnisses zur Säkularität der Wissenschaften auf. Hierbei ist keineswegs die Integration beispielsweise historischer, philologischer, soziologischer, religionswissenschaftlicher, anthropologischer oder generell kulturwissenschaftlicher Methoden in die Missionswissenschaft problematisch - im Gegenteil: Dies erfolgt zunehmend, und die Disziplin hat dadurch an Hörbereitschaft und Realitätsbezug gewonnen. Fragwürdig ist vielmehr von theologischer Wissenschaft Beweise gegen andere Wahrheitsansprüche zu erwarten (bzw. „siegreiches Bewußtsein", eine für die Missionsbewegung des 19. und mancherorten dieses Jahrhunderts nicht untypische Formulierung des Basler Missionsinspektors W. Hoffmann von 1853), oder der Versuchung nachzugeben, in vermeintlichem Wissen um das „Eigentliche" („privilegierte Information") Missionswissenschaft unverwundbar zu machen gegen die Fragen, die theologisch in Auseinandersetzung mit Säkularität, pluralistischer Moderne und der Begegnung der Religionen zu stellen sind. Die Disziplin überhebt sich, wenn sie den Gedanken abwehrt, daß jede Missionspraxis und alles Wissen um Mission dort stehen, wo sich alle anderen auch befinden, nämlich zutiefst im Zwielicht. Zwielicht heißt aber auch, daß in der Säkularität wissenschaftlicher Wahrhcitssuche ein Charisma gehört werden will. Dies schließt den Respekt vor der Verschiedenheit und vor den verschiedenen Kompetenzen ein. Von Ernst Friedrich Langhans, bis heute Außenseiter in der deutschsprachigen Missionswissenschaft, ist bereits 1864 auf Hörbereitschaft insistiert worden (der „Jargon von Z i o n " verweigere sich der Realität). Insider und Pioniere der Missionswissenschaft wie Gustav —• Warneck und Franz Michael Zahn, beide zwar Meister polemischer Apologetik, bestanden aber darauf, daß in der Missionswissenschaft nicht frömmlerischer Enthusiasmus, sondern nüchterner Weltbezug gefordert sei. Missionswissenschaft hat eine kommunikative Funktion, ihr Material sind geschichtliche Prozesse christlicher Inkulturation und Transformation unter dem Blickwinkel der Botschaft der Versöhnung aller Menschen durch und in Christus, also der Perspektive der Liebe Gottes. Der dunkle Hintergrund dieser Botschaft, die Gerichtsdrohung, ist Teil des Wortes, nicht zu verschweigen, steht aber sowohl den Missionen wie der Missionswissenschaft in keiner denkbaren Weise zur Verfügung. Der an Kirchliche wie Unkirchliche, Christen wie Nichtchristen gleichermaßen gerichteten Versöhnungsbotschaft gilt ihr Dienst. Im Horizont liegt damit die Menschheit als eine. Mit dem Abschluß der Dekolonisation trat die Missionswissenschaft in ihr ökumenisches, nämlich kulturell plurales Stadium ein, was zur Krise, aber auch zur Erneuerung der Disziplin führte. Dieser Transformationsprozeß ist noch keineswegs beendet, aber in Umrissen ablesbar z. B. an den Missionskonferenzen des Ökumenischen Rates der Kirchen seit der BangkokVersammlung (1972/73), an den Aussagen der lateinamerikanischen Bischofskonferenzen von Medellin (1968) und Puebla (1974), am Entwicklungsgang der 1972 gegründeten International Association for Mission Studies oder am Verlauf der theologischen Diskussionen der 1976 gebildeten Ökumenischen Vereinigung von Dritte-Welt-Theologen. 2. Geschichte
der
Disziplin
Mit dem Beginn christlicher Missionstätigkeit setzt auch eine Reflexion der Missionspraxis ein, wie etwa die paulinischen Briefe und die Apostelgeschichte des Lukas oder die Missionsinstruktionen -»Gregors d. Gr. aus dem 7. J h . zeigen. Auf Raimundus ->Lul-
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lus geht die Anregung des Konzils zu ->Vienne (1311) zurück, zur Beförderung der Missionstätigkeit Lehrstühle für orientalische Sprachen einzurichten. Untersuchungen auf sprachlichem, ethnologischem und historischem Gebiet brachten in größerer Zahl vor allem die Kolonialmissionen hervor, die die europäische Überseexpansion seit der Wende vom 15. zum 16. Jh. begleiteten, darunter z. B. missionsgeschichtliche Gesamtdarstellungen wie A. Fernandez' Historia Ecclesiastica de Nuestros Tiempos (1611), die sich nicht allein auf Amerika und Asien erstreckt, sondern die Situation des Christentums in Europas miteinbezieht. Sporadische missionstheoretische wie religionskundlichapologetische Versuche lassen sich besonders seit dem 17. Jh. an einigen theologischen Fakultäten feststellen (vgl. dagegen das geradezu antimissionarische Gutachten der Wittenberger Theologischen Fakultät von 1652), aber erst mit der Gründung des kurzlebigen „Seminarium Indicum" (1622-1632, in Verbindung mit der Universität Leiden/Niederlande) und vor allem des bedeutenden „Collegium Urbanum de Propaganda Fide" (1622) in Rom fand die Missionstätigkeit ihre erste akademische, wenn auch stark praktisch orientierte Institutionalisierung. Hierdurch angeregt, entstanden weitere Missionsseminare später auch in England, Dänemark und Deutschland (hier besonders zu nennen das von A. H. ->Francke begründete Collegium Orientale Theologicum von 1702). Teilweise beachtliche wissenschaftliche Monographien (B. ->Ziegenbalg) liegen aus dem 18. Jh. vor. Die erste missionsgeschichtliche Gesamtdarstellung aus protestantischer Sicht („History of the Propagation of Christianity and Overthrow of Paganism") veröffentlichte der schottische Theologe R. Miliar 1723 in Edinburgh. Quantitativ wurden diese Leistungen noch weit übertroffen durch den missionarischen, geradezu lexikographischen Explorationseifer des 19. Jh.. Die Wissensexplosion gab allerorten Anlaß zu theologischer Verarbeitung, wenn noch nicht in einer separaten Disziplin, so doch durch Integration missionswissenschaftlicher Fragen in das jeweilige Fach und so die Frage nach der Missionswissenschaft im Ganzen der theologischen Wissenschaft aufwerfend. F. D. E. —>Schleiermacher und F. A. E. Ehrenfeuchter (1859) sind hier u. a. für die deutsche Entwicklung zu nennen. Schleiermacher diskutierte die Missionswissenschaft im K o n t e x t christlicher Ethik, wies der Missionswissenschaft innerhalb seiner „ p r a k t i s c h e n " T h e o l o g i e aber erstmals einen legitimen curricularen O r t zu. Ehrenfeuchter definierte Kirche bereits als Funktion von Mission und gab der Missionswissenschaft ( „ M i s s i o n s t h e o r i e " , anderswo, z . B . in den Niederlanden, tauchte der Begriff „ A p o s t o l i k " auf) damit eine zentrale theologische Funktion. Der von C . G . Blumhardt 1816 entworfene Lehrplan für das Basler Missionsseminar, eine der ersten und wichtigsten deutschsprachigen Missionsschulen im 19. J h . , k o n n t e so auf eine fast zweihundertjährige Lehrtradition und eine immerhin beginnende theoretische Diskussion zurückgreifen und sah Missionsgeschichte als eigenes Fach vor. Der nach der J a h r h u n d e r t m i t t e einsetzende imperialistische Zeitgeist verhalf aber weniger den missionstheoretischen (vor allem H . Venn, R . Anderson), historischen oder den einschlägigen Sprachstudien als vielmehr der neuen literarischen G a t t u n g der missionarischen Reiseund Entdeckungsliteratur (D. Livingstone) zu hohen Auflagen, sie bildet jedoch nur einen Bruchteil des in den Missionsarchiven lagernden Beobachtungsmaterials. Der Edinburgher Missionshistoriker A. Walls beschreibt die M e t a m o r p h o s e vom M i s s i o n a r zum Forscher als signifikanten Karrieretypus dieser Zeit. Was sich hier biographisch als gesellschaftlicher „ A u f s t i e g " bestimmen läßt, gilt jedoch weitgehend für die M i s s i o n s b e w e g u n g als solche: Unabhängig von ihren eigenen M o t i v e n und Zielvorstellungen waren es das allgemeine Interesse an den außereuropäischen Welten und die öffentliche E r w a r t u n g eines Beitrags zur jeweils nationalen Überseexpansion (funktional z. B. durch Sprachstudien und Missionsschulwesen, ideologisch z . B . durch die Legitimierung des europäischen Hegemonieanspruchs), die den M i s s i o n e n gesellschaftliche Anerkennung verschafften. Dies ist disziplingeschichtlich relevant, weil (abgesehen von außergewöhnlichen Lehrveranstaltungen wie der 1800 noch privatissime im R a h m e n der Kirchengeschichte gehaltenen missionsgeschichtlichen Vorlesung des T ü b i n g e r Professors J . F. Flatt) Missionswissenschaft erst in diesem Umfeld ihre Anerkennung als eigenständige akademisch-theologische Disziplin erhielt. Die Gründungsphase der Disziplin bringt deutlich die Problematik der Missionswissenschaft zutage und soll daher etwas eingehender dargestellt werden. In den 40er J a h r e n bereits hatte A. Duff ( 1 8 0 6 - 1 8 7 8 ) , Indienmissionar der Kirche von Schottland und M i t b e g r ü n d e r der Universität von C a l c u t t a , die Idee eines missionswissenschaftlichen Lehr-
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stuhls entwickelt, ein Plan, der 1867 mit Duffs Ernennung zum Professor für „Evangelistic Theology" am New College von Edinburgh ( - » T R E 9, 2 9 0 - 2 9 1 ) realisiert wurde (diese erste rein missionswissenschaftliche Professur überhaupt blieb bestehen bis 1905. Seit den 80er Jahren ist das Edinburgher New College Sitz des renommierten Centre for the Study of Christianity in the NonWestern World). Duff griff auf eine breite angloamerikanische Diskussion zurück, insbesondere nachdem Livingstone 1857/59 vielbeachtete Vorlesungen u.a. in Oxford und Cambridge gehalten hatte, und nicht zuletzt auf eine historische Vorlage: die ganz auf Praxis ausgerichtete (Goaheadism), freilich kurzlebige Professur für „Pastoral Theology and Missionary Instruction" am Princeton Theological Seminary, die Ch. Breckenridge 1 8 3 6 - 3 9 innehatte. Duffs theologischer Ansatz ist immer noch „aktuell": Kirche erfüllt nur als prinzipiell missionarische (sich Gottes Heilshandeln zur Verfügung stellende) Kirche ihre Aufgabe. Evangelistische Theologie hat die Funktion, der Kirche u. a. durch Erarbeitung der theologischen Grundlagen bei der Entdeckung dieser allerorts geltenden Aufgabe zu helfen („den missionarischen Geist einzuflößen") und ist gleichbedeutend mit Missionswissenschaft als Kerndisziplin der Theologie — „bezogen gleichermaßen auf Gott und Mensch, Zeit und Ewigkeit". Sie umgreift deshalb gleichermaßen äußere wie innere Missionen (in der ökumenischen Bewegung später als Gegensatz von Mission und Evangelisation diskutiert), wenn Duffs praktischer Schwerpunkt auch bei den „unevangelisierten Heiden" lag. Vergleichende Religionsgeschichte war daher Teil des Curriculums. Aber dies blieb eher Programm als Tat. Duff hat von seiner Antrittsvorlesung abgesehen keinen missionswissenschaftlichen Text veröffentlicht, und O. Myklebust (1, 1955, 214 f.) bewertet das ganze Experiment als Mißerfolg, nicht allein infolge Duffs pädagogischem Ungeschick, sondern seines Unvermögens, Fragestellungen kritischer Exegese zu akzeptieren bzw. Missionswissenschaft intellektuell diskussionsfähig zu halten. Im deutschen Sprachraum wurde die Frage einer universitären Etablierung der Missionswissenschaft als selbständiger theologischer Disziplin kontrovers geführt. K. Graul, langjähriger Direktor der Leipziger Mission, bejahte dies in seiner Erlanger Habilitationsrede von 1864 mit dem Argument des Geschichtlich-Faktischen und einerseits des Theoriebedarfs (Mission strebe „aus dem Helldunkel sentimentaler Gläubigkeit sichtlich heraus zur Mittagshelle gläubiger Wissenschaftlichkeit"), andererseits des Wissenszuwachses (Religionswissenschaft z.B.) infolge weltweiter Missionspraxis. „Evangelistik", so die Bezeichnung der neuen Disziplin, sollte Teil der praktischen Theologie sein. Ähnlich argumentierte C. H. C. Plath, der seit 1869 als Privatdozent und 1882-1901 als Honorarprofessor einen missionswissenschaftlichen Lehrauftrag an der Berliner Universität hatte, aber nie Fakultätsmitglied war. F. M . Zahn, Leiter der Norddeutschen Mission, lehnte den Gedanken einer separaten missionswissenschaftlichen Disziplin mir der Begründung ab, daß die missionswissenschaftliche die eigentliche Fragestellung der Theologie schlechthin, eine besondere Missionswissenschaft also eher „Notstandszeichen" (1893) einer pflichtvergessenen Theologie sei. Explizit der missionswissenschaftlichen Diskussion im Sinne einer Erinnerung an die theologische Pflicht diente die 1874ff. von G. Warneck herausgegebene und rasch international anerkannte Allgemeine Missions-Zeitschrift. Sein zuerst 1882 und dann in zahlreichen verbesserten Auflagen und Ubersetzungen erschienener „Abriß einer Geschichte der protestantischen Missionen" gilt als Standardwerk. Seine fünfteilige, theologisch durch die Versöhnungslehre M. -»Kählers beeinflußte Evangelische Missionslehre (1892-1903) blieb für Jahrzehnte über den Protestantismus hinaus tonangebend und verlor erst unter dem Einfluß der —»Dialektischen Theologie an Bedeutung, erfährt allerdings, obwohl nie ins Englische übersetzt, seit den 80er Jahren eine Renaissance in der USamerikanischen Church-Growth-Bewegung. Die angloamerikanische Diskussion zur Selbständigkeit der werdenden Kirchen in Asien und Afrika (R. Anderson, H. Venn, J . L. Nevius) fand in der „Missionslehre" Warnecks wenig Resonanz, wie auch später sich die deutsche Missionswissenschaft schwer tat, die fundamentale Kritik R. Allen's, Missionary Methods. St. Paul's our Oursf (1912), zu registrieren. Mit Duff und Warneck sind nicht nur die Pioniere der Disziplin benannt, es ist auch weitgehend das Bezugsfeld beschrieben, aus dem und auf dem der weitere missionswissenschaftliche Diskurs, jedenfalls solange er ein europäischer oder westlicher blieb, zu verstehen ist. Die evangelikale Missionswissenschaft, insbesondere die kalifornische, .strategisch' denkende KirchenwachstumsTheorie (A.F. Glasser, D. A. McGavran), aber auch die höchst umfangreiche, bisher von der Missionswissenschaft kaum beachtete Bewegung der „interdenominationellen Glaubensmissionen" (K. Fiedler) haben Warneck viel zu verdanken. Die katholische Missionswissenschaft ist vom Problem des religiösen Individualismus weniger betroffen und fand insbesondere seit den 30er Jahren in der Löwener Schule (Plantatio Ecclesiae- die einheimische, in ihrer sozialen und kulturellen Umwelt verwurzelte, inkulturierte Kirche; P. Charles, J. Masson) zu eigenem Profil, obwohl auch von hier über J. Schmidlin, den ersten Lehrstuhlinhaber für Missionswissenschaft im Bereich des Katholizismus und Herausgeber der Zeitschrift für Missionswissenschaft (beides Münster 1911, vgl. auch seine Katholische Missionslehre, 1919), Linien zu Warneck zurückführen. Auch der sogenannte ,deutsche Sonderweg' in der Missionswissenschaft der 30er und 40er Jahre (Chr. Keysser, B. Gut-
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mann; vgl. das deutsche Sondervotum auf der Weltmissionskonferenz von Tambaram 1938, —»Mission), wollte bisherige Engführungen im Missionsverständnis vermeiden (Individualismus, westliches Zivilisationsmodell). Sein schöpfungstheologisch begründeter Volkstumsgedanke identifizierte jedoch die Kirche mit einem idealisiert-vormodernen Volkskollektiv. Warneck (neben anderen) hatte diesem Mißverständnis theologisch vorgearbeitet. Zahn hatte schon 1895 argumentiert, daß der richtige Gegensatz zum religiösen Individualismus des Pietismus nicht die „christianisierte Volksgemeinschaft" sei, sondern die christliche Kirche. Es ist das Verdienst des holländischen Missionswissenschaftlers J. Chr. Hoekendijk, die theologische Entwicklung analysiert zu haben, die manchen der protestantischen deutschen Missionswissenschaftler gedanklich in das Umfeld der „nationalsozialistischen" Volkstumsideologie gebracht hat (Kerk en volk in de Duitse zendingswetenschap, 1948). Hoekendijks eigene, vor allem in den 50er Jahren entfaltete Position setzt theologisch nicht bei der Kirche, sondern bei Gottes Heilshandeln (Herbeiführung des Schalom) an und läßt sich eher mit Duff verbinden. Hoekendijk ordnete die landläufige Reihenfolge ,Gott-Kirche-Welt' um zu ,Gott-Welt-Kirche', wodurch die Ekklesiologie zu einem Untergebiet seiner Apostolatstheologie wurde. Hoekendijks Position, die partiell in der Befreiungstheologie Lateinamerikas erneut zu Wort kommt, war einflußreich sowohl für die Frage der Integration des „Internationalen Missionsrates" in den Ökumenischen Rat der Kirchen (Neu-Delhi 1961, wobei der Beitrag der -»Orthodoxen Kirche eine Rolle spielte), als auch für die Ökumenische Diskussion um -»Kirchenreform („Kirche für andere", 1967) und um Frieden und Ressourcenteilung (Uppsala 1968). Im größeren historischen Zusammenhang gehört seine Theologie in den Prozeß der Reinigung der Missionsmotive (J. Dürr), der die Missionswissenschaft im Zusammenbruch der triumphalistischen westlichen Identität infolge von Krieg, Faschismus und sich anbahnender Dekolonisation erfaßt hatte, wobei K. Barths theologische Hilfestellung überall zu bemerken ist (H. Krämer, K. Hartenstein, W. Freytag). Auf katholischer Seite hat L. Rütti (1972) Hoekendijks Linie in schroffer Wendung gegen Kirche radikalisiert zur These von der „Welt als Horizont der Sendung". In der schweizerischen Missionswissenschaft (K. Blaser, R. Friedli) ist das ganzheitliche, alle Lebensverhältnisse umwandelnde Verständnis des Schalom im Begriff der „existence missionnaire" bzw. der „Christuswirklichkeit" gewahrt. Nicht zuletzt unter dem Einfluß der —»Ökumene, von W. A. —»Visser't Hooft als Befreiung der Kirche aus westlicher Gefangenschaft verstanden, des theologischen Einspruchs aus der Dritten Welt und durch Aussagen des —• Vaticanum II über die Heilsmöglichkeit in anderen Religionen ergaben sich vier grundlegende, widersprüchliche Einsichten: 1. bedeutet „junge" und insofern nichtwestliche Kirche immer neue und andere Kirche — das Evangelium wirkt schöpferisch und führt zu einer Fortsetzung der Auslegungsgeschichte des christlichen Glaubens, hingegen waren 2. alle bisherigen Spielarten westlichen Missionsverständnisses (W. Holsten: „Westmission" statt „Weltmission") in den Sog der abendländischen Expansion geraten (Freytag) - und dennoch läßt sich im Blick auf die Existenz einer christlichen Ökumene geschichtlich von einem ,Erfolg' eben dieser Mission sprechen, 3. muß der Versuch, die Mehrheit der Menschheit religiös zu besiegen, historisch als gescheitert betrachtet werden, und 4. haben sich alle Bemühungen, die „Wahrheit" nichtchristlicher Traditionen christlicherseits zu „falsifizieren", als „würdelose Spiegelfechterei" erwiesen (H.J. Marguli). Trotz oder gerade wegen dieses Befundes nach etwa einem Jahrhundert Disziplingeschichte läßt sich von einer akademischen Etablierung, zugleich aber auch von einer Erneuerung der Missionswissenschaft sprechen. Nationale oder regionale Fachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Missionswissenschaft (1918ff), die erste ihrer Art und ökumenisch orientiert, und die Internationale Vereinigung für Missionswissenschaft (IAMS, 1972ff) sorgen durch Tagungen, Zeitschriften und Buchreihen für wissenschaftliche Kommunikation. Dazu kommen allein in Europa missionswissenschaftliche Fach- und Forschungsinstitute z.B. in Oslo, Uppsala, Helsinki, im bereits erwähnten Edinburgh, in Birmingham, Hamburg, Aachen (hier ist die auf die Dritte Welt spezialisierte Zeitschriftenbibliographie Theologie im Kontext hervorzuheben), St. Augustin/Bonn, Tübingen, München, Löwen, Freiburg/Schweiz, Lyon oder Rom samt den dazugehörigen Publikationen. Von katholischer Seite liegen mit der Quellenedition der inzwischen 30bändigen Bibliotheca Missionum (1916ff) und der seit 1933 in der Regel jahrgangsweise erscheinenden Bibliografia Missionaria vorzügliche Arbeitsinstrumente vor. Die International Review of Mission (1912ff, Genf) liefert seit ihrem Bestehen eine sorgfältige bibliographische Begleitung der Missionsfrage, ähnlich hilfreich sind internationale Journale wie z. B. Missionalia (Südafrika) oder International Bulletin of Missionary Research (USA). Sehr beachtlich ist der Beitrag der Niederlande, woher die beiden jüngsten Versuche stammen, Missiologie im Gesamtzusammenhang und interdenominationell darzustellen (Jongeneel 1986, A. Camps u.a. 1988). Weltweit gesehen ist der Status der M i s s i o n s w i s s e n s c h a f t als theologischer Disziplin allerdings i m m e r n o c h m a r g i n a l , wenn sie auch punktuell A n e r k e n n u n g gefunden hat, vor allem in den N i e d e r l a n d e n , Skandinavien und an den theologischen F a k u l t ä t e n und
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Kirchlichen Hochschulen Deutschlands. Das eigentliche Schwergewicht stellen jedoch die Vereinigten Staaten, wo 1 9 4 5 - 1 9 8 1 über 900 missionswissenschaftliche Doktorarbeiten geschrieben worden sind. Weltweit gesehen befinden sich in Nordamerika gut 4 2 % aller missionswissenschaftlichen Lehrstühle oder Institute. Mehrheitlich sind die dortigen Missionsseminare evangelikal und interdenominationell ausgerichtet und, im Gegensatz zur europäischen missionswissenschaftlichen Tradition, kein Bestandteil der staatlichen Universitäten. Auf (West-) Europa entfallen knapp 2 7 % (die Urbana in R o m hat eine eigene missionswissenschaftliche Fakultät mit 22 Professoren), auf Asien, wo das Christentum sich in einer signifikanten Minderheitensituation befindet, 21 % (insbesondere Indien und Südkorea), auf Afrika 6 % (hier fast ausschließlich Südafrika) und auf Lateinamerika 2 % (nach Myklebust 1989). Missionswissenschaft ist quantitativ also immer noch eine Domäne des Westens. Der Grund dafür wird nicht nur in der Ungleichheit der materiellen Wissenschaftsressourcen zu suchen sein, sondern auch in einem theologischen Vorbehalt, der die akademische „Inkulturation" der im Westen entwickelten Missionswissenschaft in den theologischen Diskurs von nichtwestlichen Kulturen erschwert - in diesen materiell arm gemachten, religiös in der Regel aber reichen Kulturen leben heute 60 % der Christenheit. Grundlage des Vorbehaltes ist eine andere Christuserfahrung („Tertiaterranität", Margull), die den Christus Jesus entschlossen auf Seiten der Leidenden und Unterdrückten, des einfachen Volkes und der Laien und deshalb auch in den Religionen entdeckt. A. Pieris drückt dies aus asiatischer Perspektive im Bild der Taufe aus: Im „ J o r d a n " der asiatischen Armut und der asiatischen Religionen erneuert sich christlicher Glaubensgehorsam. In schwarzafrikanischer Sicht wird afrikanische Vergangenheit für das Christusereignis reklamiert - die afrikanische Christusbeziehung ist unabhängig von westlichen Missionen. Im Rahmen dieser Weltund Glaubenserfahrung läßt sich theologisch nicht mit den exklusiven Kategorien von Ausschließlichkeit oder Absolutheit arbeiten, sondern mit den inklusiven der Solidarität und Spiritualität. Nichtwestliches Christentum ist „anders". 3.
Diskussionslage
Folgende Faktoren gehören zum Kontext des gegenwärtigen missionswissenschaftlichen Gesprächs: 1. eine veränderte Wahrnehmung der globalen Wirklichkeit, weil mittlerweile die Opfer des historischen Prozesses („Einbruch der Dritten Welt", E A T W O T Kongress in Neu-Delhi 1981) auf allen Ebenen, auch der theologischen, unüberhörbar mitdiskutieren. Ein Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen gerade dieser Stimmen bedeutet eine Reduzierung des zur Problemlösung nötigen theologischen Potentials (G. Collet, 1990). Missionswissenschaft läßt sich nur noch ökumenisch konzipieren. So rückt die Welt in das theologische Bewußtsein, „die Welt ganz massiv als die Zweidrittel der Menschheit verstanden, die bisher in der Theologie kaum vorkamen" (H.-W. Gensichen, 1971). Dabei handelt es sich um ein komplexes Gesamtsystem, das auch die Kirchen integriert („Mission als Strukturprinzip", 1965; Urban Industriell Mission). Unter dem Einfluß der Fragmentarisierung des Alltagsbewußtseins (J. Habermas) in den Industriegesellschaften und der kulturellen und religiösen Renaissance in nichtwestlichen Gesellschaften werden zentrale europäische Traditionen nicht nur als Minderheitentraditionen erkannt, sondern auch als fragwürdig kritisiert. Die Frage lautet aus drittweltlicher Perspektive: „Können wir voraussetzen, daß die Kultur, welche die Menschen versklavt, die gleiche sein wird, welche auch die Ressourcen für deren Befreiung bereitstellen wird?" (zit. bei Collet, 245). Im Blickpunkt liegen die Paradigmen der Subjekt-Objekt-Spaltung, der Aufklärung, der Säkularisierung, des induktiv-experimentellen Wissenschaftsverständnisses und schließlich des Fortschrittsmodells einschließlich seiner sozialistischen Spielart. Der vielzitierte „Paradigmenwechsel" setzt deshalb gegen den M o n o l o g und die Diktatur des Allgemeinen die Vielheit der Pluralbildungen und gegen begrifflichen Totalitarismus das Zursprachebringen des Ohnmächtigen und Lokalen (—»Armut; Weltmissionskonferenz Melbourne 1980).
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Missionshistoriographisch stellt sich die Frage, wessen Geschichte eigentlich und von wem zu schreiben ist, z. B . mit Blick auf mündliche Traditionen und die einheimischen Laien in den Kulturen als christliche Zeugen, die oft ganz außerhalb kirchlich-missionarischer Institutionen wirkten. M i s sionarische Bevormundung hat dann ökumenischer Gleichberechtigung zu weichen. Dies ist der Impuls der 1963 in M e x i c o City geprägten Formel „ M i s s i o n in sechs K o n t i n e n t e n " . Sie blieb im Blick auf den westlichen Säkularismus allerdings Leerformel, ein gleichsam internationales Versäumnis der Disziplin, denn bislang liegt noch keine überzeugende missionswissenschaftliche A n a lyse der westlichen Kultur vor (Ansätze aus pietistisch-kritischer Sicht finden sich bei L. Newbigin, 1 9 8 9 ) . Statt pseudo-aufgeklärtem Vorweg-Bescheid-Wissen wird interkultureller Austausch gesucht, statt D o m i n a n z des Kapitals unterschiedliche, aber menschenwürdige Lebens- und Wirtschaftsf o r m e n , statt christlichem Absolutheitsanspruch die „heilige M i ß g u n s t " (K. Stendahl) darüber, d a ß andere einen Schatz h a b e n , der nicht der eigene ist. G i b t es den einen und einzigen ,Weg' nicht (J. Knitter, S. S a m a r t h a , R . Pannikkar), dann existieren verschiedene Heilswege ( T h . Sundermeier). Dies ist noch keine Beschreibung von W i r k l i c h k e i t , sondern vielmehr ihrer Wahrnehmung. Es mag sein, daß diese W a h r n e h m u n g trügt und daß das „ a n t i - m i s s i o n a r i s c h e " R a u s c h e n des „ Z e i t g e i s t s " (Myklebust, Missiology) in die Irre führt, aber wenn der Verdacht einmal besteht, d a ß sich eine bestimmte Interpretation des Christlichen zum A b g o t t stilisiert (W. Cantwell Smith), dann ist dem nachzugehen. Hochschulen und Universitäten sind der gesellschaftliche O r t , w o neue Wahrnehmung vorurteilsfrei und in wissenschaftlicher M e t h o d i k zu untersuchen ist, auch d a n n , wenn es dadurch zu einem Gegensatz zu überlieferter bzw. fixierter W a h r n e h m u n g k o m m e n sollte (Gensichen). Dies gilt nun besonders für die Missionswissenschaft, weil die Beziehung auf welthafte R e a l i t ä t Kontext und zugleich Adressat ihrer Aufgabe ist. Missionswissenschaft ist jedoch mehr als nur eine h i n z u k o m m e n d e Dimension, weil sie sich auf ein einzigartiges Corpus von christentumsgeschichtlicher Erfahrung und Reflexion bezieht, das bei der Weitergabe des Evangeliums gewonnen wurde. Dieses Corpus betrifft die klassisch-theologischen Disziplinen, weil es horizonterweiternd wirkt, es steht ihnen aber auch k o n f r o n t a t i o n s t r ä c h t i g gegenüber und sperrt sich gegen Vereinnahmung.
Ein 2. Faktor entsteht aus dem Zusammentreffen des protestantischen Prinzips der ecclesia Semper reformanda, der Tradition der Integration von Kirche und Mission und des neuen Diskurses unter den Bedingungen des genannten Paradigmenwechsels. Missionswissenschaft ist nicht gleichzusetzen mit praktischer Ausbildung von Missionaren, die außerhalb des eigenen Kulturbereichs und ausgehend von einem scheinbar statischen ekklesiologischen Modell einzusetzen wären. Wie missionarische Existenz von Gemeinde und Kirche zu bestimmen ist, ist vielmehr Kernfrage der Disziplin. Diese Fraglichkeit ergibt sich nicht allein aus dem ökumenischen Gespräch, sondern auch daraus, daß die plurireligiöse Situation immer stärker zur Lebenswirklichkeit auch der Gemeinden in den traditionell christlichen Kulturen wird. Die EKD-Studie von 1986 „Christsein gestalten" belegt, daß die ekklesiologische Zukunft keineswegs definiert ist. Missionswissenschaft steht hier in der Verantwortung und muß darum ihre Beiträge einbringen, d.h. Denkmodelle testen, um Kirchen und Gemeinden erweiterte Lebensmöglichkeiten zu erschließen. Kirchen und Gemeinden sind freilich nicht verpflichtet, die aus der Missionswissenschaft kommenden Fragen und Anregungen in ihrer Wirklichkeit zu realisieren. Beide Größen stehen in gegenseitiger Bindung und Abhängigkeit, ein Verhältnis, das sich nur aufrecht erhalten läßt, wenn die Dignität des jeweils eigenen Profils respektiert ist. Das ist möglich auf der Basis der generellen Transformationsbedürftigkeit christlicher Existenz (IJoh 3,2). Die Missionswissenschaft hat ihre Fragestellungen und Stoffe im Blick auf die weltweit vor sich gehende Umwandlung des Christentums immer wieder zu revidieren. Christenheit bedeutet kulturell polyzentrische Christenheit, in der die europäische Ursprungsgeschichte immer weniger dominiert ( J . B . Metz). Die sachliche Schwierigkeit, diesen Transformationsprozeß noch in Kategorien der europäischen Tradition und Begriffskultur fassen zu können, ist unter dem Stichwort der „interkulturellen Theologie" (W.J. Hollenweger) verhandelt worden und hat im ökumenisch orientierten Lexikon missionstheologischer Grundbegriffe (1987, dem ersten seiner Art) wie im Begriff der „Konvivenz" (Th. Sundermeier) Ausdruck gefunden. Diese Schwierigkeiten und die in der Missionswissenschaft herrschende theologische Unruhe haben zumindest eine negative Produktivität, sie verdeutlichen Denk- und Glaubensformen,
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die sich aus verschiedenen Weltbildern a n g e s a m m e l t (Hellenismus, neuzeitliches A u t o n o m i e b e w u ß t s e i n oder hedonistische Bricolage) und zu einer Sedimentierung des Evangeliums geführt h a b e n . Einen 3. F a k t o r stellt die biblische H e r m e n e u t i k dar. Die ö k u m e n i s c h e Diskussion bezeichnet als Kontextualisierung die E r f a h r u n g , d a ß jedes Bibelverständnis eingebunden ist in eine b e s t i m m t e S p r a c h e , Gesellschaft, Religion und Kultur s a m t ihren Vorverständnissen, das Verständnis des T e x t e s also vom K o n t e x t her b e s t i m m t ist. D a m i t ist der Weg von einer vermeintlich verbindlichen Bibellektüre zu einer R e - L e k t ü r e geöffnet. Die Exegese erweitert diese M ö g l i c h k e i t n o c h , indem sie Unterschiedlichkeit und Z e u g n i s c h a r a k t e r des T e x t e s erschließt - ein gutes Beispiel für die Angewiesenheit der M i s sionswissenschaft auf die anderen theologischen Disziplinen. D a s K e r y g m a ist kein zeitloses Z i t a t , es dringt als „ M a c h t der A u f e r s t e h u n g " (E. K ä s e m a n n ) in den jeweiligen Alltag. Die neutestamentlichen Zeugnisse benutzen zur Füllung ihrer missionarischen Aussagen heterogene religionsgeschichtliche Alltagsmaterialien - schon das N e u e T e stament selbst weist deshalb einen christologischen Pluralismus auf, gehen aber d a r ü b e r hinaus, indem sie christliche Freiheit interpretieren und H o f f n u n g freisetzen. D a m i t erhält Interpretation ( K o n t e x t gleichsam) Anteil a m T e x t . D a s aber heißt, d a ß nicht nur die eigene, sondern auch die Interpretation anderer zur C h r i s t u s w i r k l i c h k e i t g e h ö r t . D a b e i ist nicht nur an verschiedenkulturelle kirchliche Selbstverständnisse und T h e o logien zu d e n k e n , sondern auch an „ S p r a c h e n " des G l a u b e n s , die in der M i s s i o n s w i s senschaft bisher zu wenig b e a c h t e t wurden wie z. B. die Kunst und andere nichtschriftliche F o r m e n . Letztlich ist auch über diese B e s c h r ä n k u n g hinauszugehen und nach dem Ausdruck zu fragen, den Christuswirklichkeit etwa im J u d e n t u m , im Islam, H i n d u i s m u s oder Buddhismus und auch im Agnostizismus erfahren hat, denn Christus ist gerade kein Eigentum der Christen (R. Friedli 1989). Ein ein für allemal fixiertes, deswegen im Blick auf den E m p f ä n g e r lediglich zu „ ü b e r s e t z e n d e s " (so E. Nida) G l a u b e n s g u t gibt es nicht, und daraus erklärt sich auch die Tatsache, d a ß es unterschiedliche Konzepte von Missionswissenschaft gibt. Vorschläge, die M i s s i o n s w i s s e n s c h a f t als „Vergleichende T h e o l o g i e " neu zu b e s t i m m e n (dazu T h . K r a m m ) , sind noch nicht ausreichend gewürdigt w o r d e n . Bewußt als Versuch „neuer Missiologie" versteht sich das genannte, 1988 von A. Camps und anderen herausgegebene Werk. In vielem nimmt es Hoekendijksche Gedanken auf, wenn das „ N e u e " in den Fragen gesehen wird, die sich aus dem „kontextuellen Verhältnis der Beziehung zwischen Gott, Gottes Welt und Gottes K i r c h e " ergeben. Aber die weltweite Kirche in ihren verschiedenen Sozialgestalten und Erfahrungen ist hier viel ernster genommen als bei Hoekendijk. Das gilt auch für die Frage einer Theologie der Religionen: Die missionswissenschaftliche Aufgabe bestimmen die Autoren pointiert als Entwicklung von „waarheidspercepties die gemeenschappelijk menselijk leven kunnen hinderen en versterken [Auffassungen von Wahrheit, die gemeinschaftliches menschliches Leben begründen und befördern k ö n n e n ] " (476). Unter dem Vorbehalt der noch ausstehenden Vollendung ist die spezifische Aufgabe der Missionswissenschaft die Untersuchung der „Beweglichkeit" des Christentums. In der „neuen Missiologie" werden Kirchen und Christen nicht als Privilegierte, als Besitzer einer Botschaft für andere gesehen, Sendung ist ein dialogischer Prozeß.
O f f e n b a r m u ß ein g e m e i n s a m verbindliches Christusbild, das die geschichtliche Aufbruchserfahrung des Ursprungs w a h r t , in einem ö k u m e n i s c h offenen, d . h . a u c h verwundenden P r o z e ß des interkulturellen D i a l o g s und der gegenseitigen Berichtigung erwandert werden. Vor dem Finden a b e r liegt für die M i s s i o n s w i s s e n s c h a f t die B e r e i t s c h a f t zur „ g e m e i n s a m e n Suche nach dem N a m e n des R e t t e r s " (Hollenweger). Diese Bereitschaft ist keine selbstgewählte, sie e n t s t a m m t der E r f a h r u n g , wie es im R ö m e r b r i e f heißt ( 8 , 2 6 f ) , nicht zu wissen, w a s zu beten ist, und der Z u s a g e , d a ß G o t t e s Geist übersetzt, was Sprachverlust und Nichtwissen nicht sagen k ö n n e n . Literatur Helmut Adamek, Über die Integration der Missionswiss. in die Forschungs- u. Lehrpraxis der ev.-theol. Fakultät: E M Z 26 (1969) 1 0 6 - 1 1 0 . - Roland Allen, Missionary M e t h o d s . St. Paul's or
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Werner Ustorf
Missouri-Synode -»Lutherische Kirchen Mitarbeiter, Kirchliche -> Kirchliche Berufe
Mitbestimmung
99
Mitbestimmung 1. Begriff 2. Geschichtlicher Überblick nahme (Literatur S. 104)
1.
3. Ethische Argumente
4 . T h e o l o g i s c h e Stellung-
Begriff
Allgemein gefaßt kann der Begriff Mitbestimmung die Beteiligung einer Gruppe an bestimmten Entscheidungsprozessen bezeichnen. Gemeinhin wird er jedoch im Blick auf die Einflußnahme von Beschäftigten in Unternehmen gebraucht. Allerdings gibt es dabei keine eindeutige Begriffsbestimmung. Es werden vielmehr wechselweise Ausdrücke wie Mitbestimmung, Mitwirkung, Mitberatung, Mitverwaltung und Wirtschaftsdemokratie verwendet. Eine genauere Fassung des Begriffs läßt sich durch Ausgehen von den beiden Begriffen -»-Macht und Einfluß gewinnen. Wer im Besitz von M a c h t ist, hat die notwendigen Mittel, seinen Willen durchzusetzen. A hat Macht über B, sofern und nur sofern A in der Lage ist, B dazu zu beeinflussen oder zu zwingen, X zu tun. Einfluß läßt sich beschreiben als eine Beziehung zwischen A und B, derzufolge A auf B einwirken kann, X zu tun, sofern und nur sofern A zu einem bestimmten Handeln Y in der Lage ist, das B zu der Entscheidung veranlaßt, X zu tun. Nach dieser Begriffsbestimmung ist Einfluß eine Teilmenge von Macht. Über Einfluß hinaus schließt Macht auch die Möglichkeit einer zwangsweisen Durchsetzung seiner Wünsche ein. Diese Begriffsbestimmungen sagen indessen noch nichts darüber aus, in welcher Weise Macht und Einfluß ausgeübt werden. Das kann in institutionalisierter wie in nicht institutionalisierter Form geschehen. Ein Beispiel nicht institutionalisierter Machtausübung ist es, wenn die Belegschaft eines Unternehmens dessen Leitung dazu zwingen kann, nach ihren Wünschen zu handeln. Das Eigentumsrecht (-»Eigentum) verleiht dem Eigentümer (Arbeitgeber) in seinem Unternehmen Macht. Eine Einflußnahme der Beschäftigten bedeutet unter dieser Voraussetzung eine Möglichkeit, dahingehend auf den Arbeitgeber einzuwirken, daß er sich bereitfindet, in Übereinstimmung mit ihren Wünschen zu handeln. Je öfter er sich dazu bereitfindet, desto größeren Einfluß haben die Beschäftigten. Der Grad ihrer Mitwirkung bemißt sich zugleich auch nach dem Gewicht der Entscheidungen, bei denen der Arbeitgeber sich zum Handeln in Übereinstimmung mit den Wünschen der Beschäftigten bereitfindet. Von M i t b e s t i m m u n g ist im allgemeinen im Blick auf institutionell geregelte Formen der Entscheidungsbildung die Rede. Sie k o m m t Arbeitnehmern zu, wenn sie im Leitungsorgan eines Unternehmens vertreten sind und dadurch die M ö g l i c h k e i t zur Einflußnahme finden. Sie kann aber auch in vertragsrechtlichem R a h m e n w a h r g e n o m m e n werden. Eine Beschlußfassung erfolgt dann in einem vertraglich geregelten Verfahren, und Entscheidungen fallen in Gestalt von Vereinbarungen. M i t b e r a t u n g heißt, daß die Arbeitnehmer über zur Entscheidung anstehende Fragen unterrichtet werden und die M ö g l i c h k e i t zur Stellungnahme dazu haben. Inwieweit sie zu einer Einflußnahme führt, hängt rein faktisch davon ab, ob der Arbeitgeber den W ü n s c h e n der Arbeitnehmer R e c h n u n g trägt oder nicht. Der Unterschied zwischen M i t b e s t i m m u n g und M i t b e r a t u n g läßt sich bestimmen als Unterschied in der Entscheidungsbefugnis des O r g a n s , in dem die Arbeitnehmer vertreten sind. K o m m t ihnen M i t b e s t i m m u n g zu, dann fallen die Entscheidungen in dem O r g a n , in dem sie vertreten sind, etwa dem Vorstand oder der Betriebsleitung. M i t b e r a t u n g heißt, daß das entsprechende O r g a n , etwa der Betriebsrat, eine beratende Funktion hat.
Die Begriffe Arbeitnehmerleitung, Arbeitermacht und Arbeiterkontrolle haben Unternehmensformen im Auge, in denen die Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, die Entschlußfassung entscheidend zu bestimmen. Unternehmen sind gemeinhin hierarchisch und sektoriell aufgebaut. Die Arbeitnehmer können ihren Einfluß auf verschiedenen Ebenen und innerhalb unterschiedlicher Teilbereiche eines Unternehmens ausüben. Die institutionalisierte Mitbestimmung wird gewöhnlich auf höheren Entscheidungsebenen — in der Hauptversammlung, dem Vorstand oder der Unternehmensleitung - wahrgenommen.
100
Mitbestimmung
2. Geschichtlicher
Überblick
Am frühesten begegnet der Gedanke einer Mitbestimmung der Beschäftigten und eine darauf bezügliche Gesetzgebung in Deutschland. Bereits in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 wurde der Vorschlag einer Wahl von Fabrikausschüssen eingebracht, er kam jedoch nie zur Ausführung. 1891 wurde eine gesetzliche Regelung über Arbeitsordnung getroffen, die eine Möglichkeit der Mitberatung mit der Unternehmensleitung in den Fragen von Arbeitszeit, - > L o h n , Entlassung und Disziplinarmaßnahmen gab. Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Demokratisierung der Arbeitswelt in Europa auf die politische Tagesordnung. In Deutschland wurden Gesetze über die Einrichtung von Betriebsräten (Betriebsrätegesetz 1920) und eine Mitwirkung von Arbeitnehmern auf der Ebene der Unternehmensleitung (Aufsichtsratsgesetz 1922) erlassen. Eine während des Ersten Weltkrieges in England sich herausbildende F o r m einer M i t w i r k u n g der Arbeiter war die Einrichtung der ,shop stewards'. Sie wurden von allen Arbeitern eines Unternehmens gewählt mit der Aufgabe, als Sprecher der Beschäftigten dem Unternehmen gegenüber tätig zu werden. In gewissem Umfang ist diese Einrichtung immer noch üblich. Eine treibende Kraft zur Demokratisierung der Arbeitswelt war der sog. Gildensozialismus. Dessen hauptsächlicher T h e o r e t i k e r George Douglas H o w a r d C o l e ( 1 8 8 9 - 1 9 5 9 ) unterbreitete Vorschläge zur Übern a h m e der Verwaltung der Produktionsmittel durch Z u s a m m e n s c h l ü s s e von Arbeiter- und Verbraucherräten, sog. Gilden. In Deutschland entwickelte zur gleichen Zeit Walter R a t h e n a u ( 1 8 6 7 - 1 9 2 2 ) ähnliche Vorstellungen.
Es dauerte drei Jahrzehnte, bis die Mitbestimmungsfrage erneut aktuelles Gewicht gewann. Zwischen 1950 und 1975 wurden in vielen Industrieländern gesetzliche Regelungen zur Mitwirkung der Arbeitnehmer getroffen. Dabei wurden zwei unterschiedliche Wege eingeschlagen. In manchen Ländern wurde die Mitwirkung ins einzelne gehend gesetzlich geregelt, in anderen eine Rahmengesetzgebung geschaffen, die die Einzelregelungen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen überläßt. Die Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Beispiel für den ersten Weg. 1952 wurde das Betriebsverfassungsgesetz erlassen. Das Gesetz baute auf den Grundsatz einer Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf. Es bestimmte, daß den Beschäftigten eine Mitwirkung in sozialen und wirtschaftlichen Fragen zu gewähren sei. Am stärksten war die Arbeitnehmervertretung im Bergbau, der sog. Montanindustrie. Das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 stärkte die Mitwirkung der Arbeitnehmer. In jedem Betrieb ist danach von den Beschäftigten ein Betriebsrat zu wählen. Er hat ein Mitbestimmungsrecht in sozialen Fragen, so daß der Arbeitgeber in diesem Bereich ohne Zustimmung des Betriebsrates keine Entscheidungen treffen kann. In Personalangelegenheiten und wirtschaftlichen Fragen ist der Arbeitgeber zur Unterrichtung des Betriebsrates und zur gemeinsamen Beratung vor einer Vornahme etwaiger Veränderungen verpflichtet. In England und Schweden gibt es keine gesetzliche Einzelregelung der M i t w i r k u n g . In England ist der Verhandlungsspielraum zwischen der Arbeitgeberseite und den Beschäftigten nach und nach auf soziale Fragen, Personalangelegenheiten und wirtschaftliche Fragen ausgeweitet w o r d e n . In Schweden wurde 1976 ein R a h m e n g e s e t z ( M e d b e s t ä m m a n d e l a g e n ) erlassen. Es besagt, d a ß grundsätzlich alle die Unternehmenstätigkeit betreffenden Fragen Gegenstand von Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sein können. D a b e i bleibt es den Organisationen der Sozialpartner überlassen, die M i t w i r k u n g der Beschäftigten in Kollektivverträgen zu regeln. In einer Reihe westeuropäischer Länder gibt es Bestimmungen über Arbeitnehmervertreter in den Leitungsorganen von Unternehmen. G r ö ß e und Art dieser Vertretung sind jedoch unterschiedlich.
3. Ethische
Argumente
Die Mitbestimmungsdiskussion ist weit ausgreifend und schwer überschaubar. Eine Einteilung läßt sich nach Argumentationsmustern vornehmen. Es gibt einmal eine in
Mitbestimmung
101
bestimmten Rechten und Pflichten gründende deontologische und zum anderen eine a u f erwünschte oder unerwünschte Folgen der M i t b e s t i m m u n g verweisende teleologische Argumentation. Ein deontologisches Argument gegen die M i t b e s t i m m u n g gründet sich auf d a s Recht a u f privates —»Eigentum. D a n a c h muß der Kapitaleigner d a s volle Verfügungsrecht über sein Kapital besitzen. Eine M i t b e s t i m m u n g der Beschäftigten bedeutet eine Einschränk u n g dieses Verfügungsrechtes des Eigentümers. Eine Begründung für d a s private Eigentumsrecht liegt darin, daß es individuelle —»Freiheit gewährleistet. Im Blick auf d a s Eigentum an Produktionsmitteln hat diese Begründung jedoch Kritik erfahren. Ein ausschließliches Verfügungsrecht des Eigentümers über sein Kapital steht einer Einflußmöglichkeit der Beschäftigten auf Entscheidungen im Weg, die ihre Arbeitsbedingungen bestimmen. Somit wird ihre Freiheit durch d a s Verfügungsrecht des Eigentümers eingeschränkt. R o b e r t N o z i c k hat indessen geltend g e m a c h t , m a n müsse, wenn m a n ein individuelles Recht auf persönliches Eigentum anerkennt, ebenso auch die Ausbildung einer Eigentumskonzentration durch E i g e n t u m s ü b e r t r a g u n g zwischen Individuen hinnehmen (Nozick 151). D a g e g e n ist jedoch angeführt worden, es sei aus Besorgnis um die Freiheit erforderlich, zu K a p i t a l a n h ä u f u n g e n führende Eigentumsübertragungen zu unterbinden, wenn eine solche A n h ä u f u n g der Freiheit entgegenwirke, aus der d a s Recht auf persönliches Eigentum begründet werde (Reiman 89ff). Ebenfalls ist behauptet worden, eine kollektive M i t b e s t i m m u n g der Beschäftigten bedeute eine Einschränkung der Vertragsfreiheit. Die M a c h t des Eigentümers beruht auf einem Vertrag mit dem Arbeitnehmer. D a s Argument gründet in der A n n a h m e , d a ß ein Individuum, d a s eine Stellung annimmt, d a m i t stillschweigend zugleich auch die in dem Unternehmen herrschenden Machtverhältnisse anerkennt. D a g e g e n ist aufgeführt worden, daß die L o h n e m p fänger in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem gar nicht die Möglichkeit haben, von einem Vertrag abzusehen, in dem d a s Entscheidungsrecht dem Eigentümer z u k o m m t . Sie sind gezwungen, auf einen solchen Vertrag einzugehen, um ihren Unterhalt bestreiten zu können. Eine Bedingung der Freiheit, der Z u g a n g zu alternativen Wahlmöglichkeiten, ist d a m i t nicht erfüllt. Ein für die M i t b e s t i m m u n g genannter Rechtfertigungsgrund besagt, daß die M a c h t in einem Unternehmen zwischen Arbeit und Kapital geteilt werden muß, da beide notwendige Voraussetzungen für den Produktionsprozeß bilden. D a g e g e n läßt sich einesteils einwenden, daß die Leistung der Beschäftigten durch L o h n entgolten wird, und anderenteils, daß die zum Produktionsprozeß erforderlichen Voraussetzungen sich in einem Unternehmen nicht auf Arbeit und Kapital beschränken. Andere Voraussetzungen sind d a s Gegebensein einer gesellschaftlichen Infrastruktur, von sozialen Einrichtungen, einer Betreuung der Kinder und ähnlichem mehr. Diejenigen, die ihren Beitrag mit der Bereitstellung dieser Voraussetzungen leisten, könnten somit ebenfalls Anspruch auf Mitb e s t i m m u n g in den jeweiligen Betrieben erheben. Ein anderer Rechtfertigungsgrund zugunsten der M i t b e s t i m m u n g beruht auf der Arbeitswertlehre. Es ist die Arbeit, die den Wert des Kapitals entstehen läßt, und daher müssen die mit ihr dazu Beitragenden auch ein Bestimmungsrecht über d a s Kapital haben. Vertreter der subjektiven Wertlehre können dem entgegenhalten, daß es nicht die Arbeit, sondern der den Produkten auf dem M a r k t beigemessene Nutzen ist, der den Wert erwachsen läßt. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund für die M i t b e s t i m m u n g geht von dem G r u n d s a t z aus, daß man ein Recht zur Einflußnahme auf Entscheidungen hat, von denen m a n selber betroffen ist. N a c h R o b e r t Dahl ist d a s ein klar auf der H a n d liegender G r u n d s a t z für die B e s t i m m u n g des Kreises, der aus demokratischen G r ü n d e n ein Recht auf Beteiligung an Entscheidungen hat (Dahl 66 f). Es ist offenkundig, daß die Beschäftigten von den Entscheidungen der Unternehmensleitung betroffen sind. Sie haben Einfluß auf ihren Z u g a n g zur Arbeit, ihre Arbeitsbedingungen und ihr Arbeitsklima. Daher sollten sie einleuchtenderweise auch ein Recht zur M i t w i r k u n g an solchen Entscheidungen haben.
102
Mitbestimmung
E i n g e l ä u f i g e r E i n w a n d g e g e n e i n e M i t b e s t i m m u n g in G e s t a l t e i n e r
Arbeitnehmer-
V e r t r e t u n g i m V o r s t a n d g e h t d a h i n , d a ß d i e V e r t r e t e r d e r B e s c h ä f t i g t e n d a b e i in e i n e n Loyalitätskonflikt versetzt würden. Eine Beteiligung an Vorstandsentscheidungen bringt eine Verpflichtung zur Loyalität g e g e n ü b e r gefallenen E n t s c h e i d u n g e n mit sich. Im Fall von Interessenkollisionen ergeben sich infolge der M i n d e r h e i t e n p o s i t i o n der
Beschäf-
t i g t e n E n t s c h e i d u n g e n , in d e n e n s i c h d i e I n t e r e s s e n l a g e d e r E i g e n t ü m e r a b z e i c h n e t . N a c h e i n e r B e t e i l i g u n g a n s o l c h e n E n t s c h e i d u n g e n ist es f ü r d i e V e r t r e t e r d e r
Beschäftigten
s c h w i e r i g , w e i t e r h i n d e r e n I n t e r e s s e n zu v e r f o l g e n . D i e L o y a l i t ä t s v e r p f l i c h t u n g
gegen-
ü b e r g e t r o f f e n e n E n t s c h e i d u n g e n g e r ä t in K o n f l i k t z u d e r P f l i c h t , d i e I n t e r e s s e n d e r B e s c h ä f t i g t e n zu v e r t r e t e n . S o w o h l für als auch gegen die M i t b e s t i m m u n g ist eine Reihe teleologischer Argumente angeführt w o r d e n . Seitens der Gewerkschaftsbewegung ist geltend gemacht w o r d e n , M i t b e s t i m m u n g k ö n n e zu e r h ö h t e r Befriedigung an der Arbeit beitragen. Das kann dadurch geschehen, daß die Beschäftigten durch sie die M ö g l i c h k e i t erhalten, auf Entscheidungen im Sinne einer stärkeren Berücksichtigung ihrer persönlichen Bedürfnisse im Arbeitsprozeß einzuwirken. So sollte die M i t b e s t i m mung beispielsweise ein Ansatzhebel sein, eine hochgradig arbeitsteilige Arbeitsorganisation durch eigenverantwortliche Gruppen, Arbeitsrotation und eine Ausweitung von Arbeitsschritten zu ersetzen (Zwerdling 1980, 2 f ) . Eine Befriedigung an der Arbeit k ö n n t e auch dadurch gefördert werden, daß die Beschäftigten unmittelbare Einflußmöglichkeiten auf den unteren Ebenen der Unternehmensorganisation erhalten. Zahlreiche Untersuchungen belegen, daß die M ö g l i c h k e i t , auf die eigene Arbeitssituation einwirken zu können und für Entscheidungen verantwortlich zu sein, zur Arbeitsfreude beiträgt (Blumberg 141). Für, wie gegen die M i t b e s t i m m u n g ist das Argument der Effektivität beigebracht worden. Seitens der Arbeitgeber ist behauptet worden, eine M i t b e s t i m m u n g k ö n n e abträgliche Auswirkungen auf die Produktivität eines Unternehmens haben. Sie kann zu einer E i n s c h r ä n k u n g der Handlungsfreiheit der Unternehmensleitung führen bis hin zur Verzögerung von Entscheidungsprozessen und zur Beteiligung von Belegschaftsvertretern an der Entscheidungsfindung, denen die erforderliche K o m p e t e n z abgeht. E b e n s o ist geltend gemacht worden, daß eine Vertretung der Beschäftigten im Leitungsorgan eines Unternehmens zu Zielkonflikten führen k ö n n e , die eine wirksame Beschlußfassung erschwere. Die Verfechter der Auffassung, M i t b e s t i m m u n g könne ein Beitrag zur Effektivität sein, verweisen unter anderem auf einen Z u w a c h s an M o t i v a t i o n und Arbeitsfreude, zu dem M i t bestimmung führen k ö n n e . M a n hat zudem behauptet, M i t b e s t i m m u n g k ö n n e zu einer besseren Entscheidungsfindung führen, da durch sie die Kenntnisse und Erfahrungen der Beschäftigungen nutzbar g e m a c h t werden. Auch andere teleologische Argumente sind für die M i t b e s t i m m u n g genannt worden. Sie ist angesehen worden als ein M i t t e l , autoritäre Organisationsstrukturen aufzubrechen, zu einer demokratischen Persönlichkeitsentwicklung heranzubilden und die Initiativkraft und Aktivität des einzelnen zu entbinden. M i t b e s t i m m u n g sollte somit ein Instrument zur Verwirklichung einer demokratischen Persönlichkeitsbildung sein (Bachrach 103). Eine empirische Absicherung läßt sich auch dafür beibringen, daß autoritäre Strukturen am Arbeitsplatz Einfluß auf die politische Haltung des einzelnen haben (Pateman 5 3 ) . Kritik haben M i t b e s t i m m u n g s r e f o r m e n aus strukturkritischer Sicht erfahren. Unter a n d e r e m ist g e s a g t w o r d e n , M i t b e s t i m m u n g sei e i n e I l l u s i o n , s o l a n g e d a s p r i v a t e E i g e n t u m s r e c h t n i c h t e i n g e s c h r ä n k t w e r d e . S o l a n g e d a s n i c h t d e r Fall ist, h a t d e r E i g e n t ü m e r d i e W a h l m ö g l i c h k e i t , e n t s c h e i d e n d e B e s c h l ü s s e in a n d e r e n O r g a n e n z u t r e f f e n a l s d e n e n , in d e n e n d i e B e s c h ä f t i g t e n M i t b e s t i m m u n g s r e c h t h a b e n . E b e n s o ist a u c h , u n t e r a n d e r e n v o n A n d r é G o r z , g e l t e n d g e m a c h t w o r d e n , d a ß es in d e n h e u t i g e n G r o ß k o n z e r n e n k e i n S u b j e k t als T r ä g e r von M a c h t m e h r gibt. Vorstandsmitglieder und U n t e r n e h m e n s l e i t e r sind H a n d l a n g e r , die unter d e m Z w a n g stehen, sich der F o r d e r u n g des M a r k t e s a n z u p a s s e n , m e h r , in g r ö ß e r e m U m f a n g u n d s c h n e l l e r zu p r o d u z i e r e n .
Unternehmensent-
scheidungen sind d a m i t vorgegeben und werden a u c h d a n n nicht anders ausfallen, w e n n d i e B e s c h ä f t i g t e n in d e n L e i t u n g s o r g a n e n v e r t r e t e n s i n d . 4.
Theologische
Stellungnahme
D i e m e n s c h l i c h e —»Arbeit ist e i n w e s e n t l i c h e r T h e m e n b e r e i c h d e r c h r i s t l i c h e n
-»So-
z i a l e t h i k . D i e F r a g e d e r M i t b e s t i m m u n g i m A r b e i t s l e b e n ist d e m e n t s p r e c h e n d a u c h v o n Theologen behandelt
worden.
Mitbestimmung
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Schaut man auf die protestantische Sozialethik, so zeigt sich, daß ihre Stellungnahmen unterschiedliche theologische Begründungen erfahren haben. Eine eschatologische Begründung begegnet bei Walter Rauschenbusch (1861-1918), dem ersten Vertreter der Bewegung des ->,Social Gospel'. Ihm zufolge ist die Beteiligung der Arbeiter an der Entscheidungsfindung eines Unternehmens ein Ausdruck der „Verchristlichung" der Gesellschaft. Eine autokratische M a c h t a u s ü b u n g im Wirtschaftsleben widerstreitet seiner Auffassung nach dem christlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Menschen. Mitbestimmung bedeutet somit eine Anwendung der humanistischen moralischen Grundsätze, die in Christi Leben und Lehre ihren vollkommensten Ausdruck finden. Die christliche Einstellung eines Arbeitgebers erweist sich für Rauschenbusch d a r a n , ob er zur M i t w i r k u n g an einer Entwicklung hin zur industriellen - » D e m o k r a t i e bereit ist. Arthur Rieh (1910-1992) gründet seine Sozialethik auf die -»Liebe des Glaubens. Von dem christlichen Liebesgedanken muß unter anderem die Bestrebung ausgehen, d a ß alle Menschen mündig und frei werden. Rieh behauptet, die Mitbestimmung könne eine Möglichkeit sein, die Objektlage des Menschen in der industriellen Arbeitssituation aufzuheben. Voraussetzung d a f ü r , d a ß Mitbestimmung zur Freiheit und Mitverantwortung des einzelnen Arbeiters beiträgt, ist, d a ß beide Partner im Unternehmen sie ernst nehmen. Helmut —»Thielicke nennt ähnliche Gründe. Die Mitbestimmung ist für ihn eine natürliche Folge der Forderung, daß der Mensch nicht zu einem Objekt in der Produktion gemacht werden darf und d a ß er mündig ist und daher Mitverantwortung haben muß. Um zu vermeiden, d a ß Mitbestimmung zu institutionellen Gruppenkonflikten und damit zu einer Entpersönlichung und Anonymisierung führt, muß sie von einer persönlichen und vertrauensvollen Z u s a m m e n a r b e i t der Partner ausgehen. Da die Beschäftigten ihre Zeit, ihre A r b e i t s k r a f t u n d ihre Kenntnisse in ein U n t e r n e h m e n einbringen, h a b e n sie auch ein Recht auf M i t b e s t i m m u n g , meint der norwegische T h e o l o g e T o r Aukrust. Ein a n d e r e r G r u n d liegt für ihn d a r i n , d a ß sie ihre M e n s c h e n w ü r d e in die Arbeit einbringen. A u k r u s t meint d a m i t , d a ß die Beschäftigten niemals als Mittel b e h a n d e l t w e r d e n d ü r f e n , s o n d e r n die Arbeitsorganisation so auszugestalten ist, d a ß die menschlichen Bedürfnisse und Rechte der Beschäftigten geachtet w e r d e n . M i t b e s t i m m u n g ist zugleich eine Bedingung d a f ü r , d a ß ein Untern e h m e n o h n e Konflikte f u n k t i o n i e r t . Z u m Recht auf M i t b e s t i m m u n g g e h ö r t aber auch die Pflicht, in k o m p e t e n t e r Weise m i t z u w i r k e n u n d V e r a n t w o r t u n g für Entscheidungen zu ü b e r n e h m e n . Da M e n s c h e n sich hinsichtlich ihrer V e r a n t w o r t u n g s f ä h i g k e i t und -bereitschaft unterscheiden, k a n n ein d u r c h Über- und U n t e r o r d n u n g gekennzeichnetes A u t o r i t ä t s g e f ü g e seinen G r u n d in der menschlichen N a t u r h a b e n .
Von einer in der Schöpfung begründeten Ordnungstheologie aus lehnt Emil —>Brunner eine Mitbestimmung ab. Z w a r steht eine Selbstherrlichkeit der Arbeitgeber im Widerstreit gegen eine Haushaltung, an der alle teilhaben, und damit auch gegen die Schöpfungsordnung. Eine M i t v e r a n t w o r t u n g der Arbeiter führt aber nicht zu einer Mitbestimmung. Z u r O r d n u n g gehört eine hierarchische Abstufung von Zuständigkeit und Verantwortung. M i t v e r a n t w o r t u n g und Beteiligung der Arbeiter k o m m t vielmehr dadurch zustande, daß der Arbeitgeber ihren Ansichten Gehör widmet, und das heißt, über eine Form von Mitberatung. Walter Künneth begründet seine Distanzierung von der Mitbestimmung aus der lutherischen Zwei-Regimenten-Lehre (—>Zweireichelehre). Die Unternehmensleitung ist ein —»Amt. Das hat eine persönliche Verantwortlichkeit zur Folge, die nicht an eine mitbestimmende Betriebsleitung delegiert werden kann. Künneth ist zudem der Auffassung, daß die Forderung nach Mitbestimmung ihren Grund in einem sozialen Gleichheitsgrundsatz habe, der unvereinbar mit einer Schöpfungsordnung ist, in der den Menschen unterschiedliche Aufgaben übertragen sind. Die Frage der Stellung der Beschäftigten in U n t e r n e h m e n ist im katholischen Bereich im Verlauf des zwanzigsten J a h r h u n d e r t s von einer Reihe päpstlicher Enzykliken b e h a n d e l t w o r d e n . -»Pius XI.
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hebt in Quadragesimo anno auf eine „Mitverwaltung" der Arbeiter als richtige Zielsetzung ab, während -»Pius XII. der Mitbestimmung gegenüber eine ablehnende Haltung einnimmt. -»Johannes XXIII. betont in Mater et Magistra, daß Arbeiter ein Recht auf aktive Beteiligung am Leben des Unternehmens haben. Die Formen einer solchen Beteiligung können jedoch in unterschiedlichen Unternehmen verschieden sein. Wenn Entscheidungen zu treffen sind, muß die Stimme der Arbeiter gehört werden und ihnen Mitverantwortung gewährt werden. Für eine solche Mitverantwortung gibt Johannes XXIII. eine naturrechtliche Begründung. Er betont aber auch, daß ein Unternehmen eine effektive Geschlossenheit der Leitung haben müsse. Es ist demnach eine Mitberatung und keine Mitbestimmung, die in Mater et Magistra Ausdruck findet. Die Pastoralkonstitution Gaudium et Spes des Zweiten Vatikanischen Konzils (—»Vatikanum II) geht weiter. Alle, die zur Tätigkeit eines Unternehmens beitragen, müssen auch an seinem Betrieb beteiligt werden. Betont wird, daß die Arbeiter an den wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen beteiligt werden müssen, von denen sie betroffen sind. In seiner Enzyklika Laborem Exercens (1981) tritt Johannes Paul II. für eine Beteiligung der Arbeiter an der Führung des Unternehmens ein. Sie kann auf unterschiedliche Weise erfolgen: durch gemeinsames Eigentum an den Produktionsmitteln, durch Teilnahme an der Unternehmensleitung oder durch Teilhaberschaft der Arbeiter. Eine Begründung für dieses Recht ist personalistisch: Um ein Empfinden für Mitverantwortung und Beteiligung zu haben, müssen die Arbeiter Einfluß nehmen können. Dieses Recht zur Beteiligung wird zugleich aber auch aus einer Arbeitswertlehre begründet: Kapital ist ein Ergebnis der Arbeit von Generationen und wird durch Arbeit neu geschaffen. 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Mithraskult —» Mysterien/Mysterienreligionen Mitleid 1. Mitleidstheorien
2. M ö g l i c h k e i t und Grenze einer Mitleidsethik
(Literatur S. 109)
1.
Mitleidstheorien Während Mitleid als Anteilnahme am -» Leiden anderer Menschen in der Geschichte der philosophischen -» Ethik eine ebenso bedeutende wie umstrittene Rolle spielt, wird es in modernen theologischen Ethiken in der Regel überhaupt nicht oder allenfalls am Rande behandelt. Diese Zurückhaltung ist darin begründet, daß das Wort ëÀeoç, das im altgriechischen Kulturraum den Affekt des Mitleids bezeichnet, im Neuen Testament entsprechend dem hebräischen häsäd auf die als tätiges Handeln sich äußernde —»Barmherzigkeit zielt. Barmherzigkeit wie Nächstenliebe (-»Liebe) erschöpfen sich nicht wie das Mitleid in der Gefühlsregung für das Leid anderer, vielmehr gelangen sie erst in der tätigen Hilfe zum Ziel. Zwar kann das lateinische Wort misericordia gleichermaßen Mitleid und/oder Barmherzigkeit bedeuten. Aber der theologische Gebrauch dieses Begriffs zeichnet sich gerade dadurch aus, das Mitleid analog zum Verständnis der Barmherzigkeit mit der tätigen Hilfe zu verbinden (Lactantius, CSEL 19, 514; Augustin, De Civ. Dei IX, 5), so daß -»Thomas von Aquin strikt zwischen dem Mitleidsaffekt und der Tugend der Barmherzigkeit unterscheidet (S. th. 11/2,30). -»Spinoza, Chr. -»Wolff u.a. heben denn auch den Mitleidsaffekt (commiseratio) terminologisch von der Gefühl und Vernunft verbindenden Barmherzigkeit (misericordia) ab (Spinoza III Def. 18,24; Wolff §696; vgl. Schleiermacher 86f). Demgegenüber bindet —»Aristoteles den Mitleidsaffekt (Nik. Ethik 1105 b 25) ausschließlich an das pathologische Gefühl, demzufolge sich das Mitleid auf im raumzeitlichen Nahbereich auftretende Leiden und Übel bezieht, von denen Menschen aus dem engeren oder weiteren Bekanntenkreis des Mitleidenden betroffen sind, so daß dieser fürchtet, ihm könne ein ähnliches Unglück widerfahren (Rhetorik 1385 b 13 ff). 1.1. Die ethische Beurteilung des Mitleids hat bisher zu keiner eindeutigen Klärung geführt, zumal die divergierenden affirmativen (1.1.1.), ambivalenten (1.1.2.) und negativen (1.1.3.) Standpunkte durch verschiedenartige psychologische (1.2.), ästhetische (1.3.) und alltagssprachliche (1.4.) Mitleidsauffassungen überlagert werden. 1.1.1. Kennzeichnend für die Versuche, das Mitleid zur Grundlage der Moral zu erklären, ist das Bemühen, es als ein natürlich-angeborenes Prinzip zu fassen, das aufgrund seines präreflexiven Charakters allen vernunftgeleiteten moralischen Regeln voraus- und zugrundeliege. So erblickt J.-J. -»Rousseau, der Begründer dieser Auffassung, im Mitleid (pitié) „die einzige natürliche Tugend", die aus dem „angeborenen Widerwillen" resultiere, „seinen Mitmenschen leiden zu sehen" (Rousseau, Ungleichheit 141). Das Mitleid, das er im Sinne eines Identifizierungsvorgangs sogar den Tieren zuspricht, sei nicht nur die Stütze der Vernunft, sondern bringe auch die sozialen Tugenden von der Milde bis zum Wohlwollen und zur Freundschaft hervor. Aber die behauptete Universalität des Mitleidsgefühls wird insofern fraglich, als Rousseau mit der Selbsterhaltung ein zweites präreflexives Prinzip dem -»Naturrecht zugrundelegt. Indem er den Konflikt zwischen Selbsterhaltungs- und Mitleidstrieb zugunsten des ersteren entscheidet, räumt er ungewollt ein, daß die natürliche Basis des Mitleids instabiler sei als die der Selbsterhaltung. Rousseaus Auffassung aufnehmend und zur Metaphysik steigernd, erhebt A. —»Schopenhauer das angeborene Mitleid nicht nur zur „Grundtriebfeder" der Moral, sondern erklärt es überdies zur „Basis aller freien Gerechtigkeit und aller echten Menschenliebe" (SW 3,770,740). Die empirisch-phänomenologische Grundlage des Mitleids, daß der Mitleidende die Schmerzen des Bemitleideten nicht selber empfinden könne (774), verläßt Schopenhauer freilich dann, wenn er behauptet, der Mit-
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Mitleid
leidende fühle das Leid des anderen als sein eigenes (762). Denn um der damit vorausgesetzten, gleichwohl für „mysteriös" erklärten Identifizierung des Mitleidenden mit dem Bemitleideten Plausibilität zu verleihen, muß er seine Ethik auf eine „metaphysische Basis" stellen. Die Behauptung, „daß das eine Individuum im andern unmittelbar sich selbst . . . wiedererkenne" (808), verdankt sich der Auflösung des principium individuationis, die er dem „tat tvam asi" („dies bist du") der vedischen Lehre entnimmt (SW 1,485,509; 3,809). Die Identität desselben Wesens stelle sich „in allem Lebenden" (3,808) dar, so daß der Mensch sein Selbst „in jedem Wesen, folglich auch in den Leidenden" (1,508) erkenne. Durch diese behauptete Wesensidentität alles - auch des tierischen - Lebenden überspringt Schopenhauer jedoch die für das Mitleid konstitutive Nichtidentität zwischen dem Mitleidenden und dem fremden Leiden. Ebensowenig überzeugt die unterstellte Identität von Liebe (ayaurj, Caritas) und Mitleid. Die Universalisierung des Mitleids gründet also in der hypostasierten Wesensidentität, die die fragwürdige Identifizierung alles dem Leiden unterworfenen Lebenden nach sich zieht. M. —>Scheler kritisiert Schopenhauers Metaphysik als „irrige (...) Identifizierungslehre des Mitgefühls" (Scheler 65), durch die das intentionale Mitgefühl mit einer ressentiment-geladenen bloßen Gefühlsansteckung verwechselt werde. Ist dieses Mitgefühl auf das fremde Leid anderer gerichtet, so stellen das Mitleid von A und das Leid von B „phänomenologisch zwei verschiedene Tatsachen" (24) dar. „Mitleiden . . . ist Leiden am Leiden des anderen als dieses anderen". (48) Wenn aber das Mitleid den wirklichen Schmerz des anderen nicht erreicht, ist es „als Mit-Leiden unzutreffend bezeichnet"; so verdeckt die Rede vom Mitleiden „die Einsicht, daß, wenn wir mit einem Menschen leiden, der Fall des Mitleids nicht mehr gegeben ist" (Hamburger 68 f). Diese Begrenztheit des Mitleids versucht W. Marx dadurch zu überschreiten, daß er das in der Erfahrung des eigenen Sterblichseins erschlossene „Maß des Mit-Leiden-Könnens" zur Kraft eines Ethos bestimmt, das sich in den Tugenden des Mitleids, der Anerkennung und der Nächstenliebe manifestiere (Marx 9). Das als selbstgegebene menschliche Seinsweise eingeführte Mit-Leiden-Können setzt jedoch voraus, daß das Sein des anderen, auf das sich das Mit-Leiden-Können richtet, immer schon „einen Selbstwert darstellt" (11). Der „Anspruch" auf Mitleid und die „Verantwortung" zum Mitleiden „mit allen anderen" (26) resultieren jedoch aus einer „gestimmten Gemeinsamkeit" (28), die in der Achtung erheischenden Würde des Menschseins gründet. Empfängt das Mit-Leiden-Können seine Kraft aus der gemeinsamen Würde der sterblichen Menschen, so erscheint die mit ihm verbundene Tugend des Mitleids als abgeleitetes Phänomen. Das Mitleid wird um den Preis affirmiert, seiner Affektivität beraubt zu sein. Die Reinigung des Mitleidsaffekts von seiner reaktiven Passivität wird unter anderen Voraussetzungen auch von H. Cohen gefordert: Das Mitleid müsse, um „Motor des reinen Willens" zu sein, „von der Dualität und Zweideutigkeit des Leiblichen befreit werden" (Cohen 164). Cohen hält am „Urgefühl" des Mitleids nur fest, insofern es in Negation seiner leiblich bedingten Affektivität in ein Antriebsmoment des dem Mitmenschen aufgeschlossenen sittlichen Willens überführt werden kann. Allein ein partielles Recht räumt auch A. -»Schweitzer dem Mitleid ein; da es wegen der ihm fehlenden Aktivität „zu eng" sei, könne es im Unterschied zur „Ehrfurcht vor dem Leben" nicht als „Inbegriff des Ethischen" gelten (Schweitzer 332). 1.1.2. Schon im Rahmen der das Mitleid affirmierenden Theorie wird seine Zweideutigkeit sichtbar, die vor allem in den Spannungen sowohl zwischen seiner passiven Affekt- und tätigen Willensbestimmtheit als auch zwischen seiner somatisch-persönlichen Nähe und unpersönlich-distanzierten Ferne zum Ausdruck kommt. Die in der christlichen Tradition betonte Diskrepanz zwischen dem passiven Mitleid und der aktiven Barmherzigkeit unterstreichen auch Spinoza und -»Kant. Das durch Unlust motivierte Mitleid (commiseratio) sei „schlecht und unnütz" (Spinoza IV, Prop. 50) bzw. „schwach und jederzeit blind" (Kant 2,835); allerdings könne es dann zur bedingten
Mitleid
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Pflicht werden, wenn es nicht der ansteckenden „Mitleidenschaft" anheimfalle, vielmehr als „Mittel zur Beförderung des tätigen und vernünftigen Wohlwollens" und der „Menschlichkeit" diene (Kant 7,593 f; vgl. Fichte 332). Mitleid als innerliches Gefühl ist also „immer zu wenig"; indem es nämlich „die Aufhebung des Unrechts der Nächstenliebe in ihrer Zufälligkeit vorbehält, nimmt es das Gesetz der universalen Entfremdung, die es mildern möchte, als unabänderlich h i n " (Horkheimer/Adorno 110). Die Grenze des Mitleids, den affektiven Impuls nicht in praktisch-vernünftiges Handeln zu übersetzen, schlägt sich in der ambivalenten Beurteilung seiner Reichweite nieder. Offensichtlich wird die in der Vitalsphäre angesiedelte physiologische Regulation des Mitleids nicht nur „durch Gefühle der Feindseligkeit und Aggression . . . gehemmt", sondern seine „ N a h o p t i k " läßt sich zudem nicht zu einer „Fern-Ethik" erweitern (Gehlen 56ff). Gleichwohl kann das Mitleid auch als eine von persönlichen Bedingungen entschränkte und universal gültige , , F e r n t u g e n d " angesehen werden (Schulz 7 5 0 f ) . Da jedoch zugleich betont wird, Mitleid setze „Nähe, nämlich das anschauliche Leiden eines Gegenüber" voraus (751), dürfte seine Erweiterung zur Ferntugend von der Zweideutigkeit nicht loskommen, wie z. B. die anschauliche, gleichwohl distanzierte Präsentation fremden Leidens in den elektronischen Medien bezeugt. O b also der direkt oder medial vermittelte „Impuls, die nackte physische Angst und das Gefühl der Solidarität mit dem . . . quälbaren Körper" (Adorno 279) ausreichen, um das Mitleidsgefühl in ein stabiles Verhalten zu überführen, dürfte fraglich sein. Diese zweideutige Beurteilung zieht die kontroverse Einschätzung der Folgen des Mitleids nach sich: Der Auffassung, geteiltes Leid sei halbes Leid (Scheler 144), wird entgegengehalten, Mitleid stecke an und trage so zur Vermehrung des Leidens bei (Kant 7,594). 1.1.3. Ihrer Ambivalenz zum Trotz sagt allein F. -»Nietzsche der Mitleidsethik entschlossen den Kampf an. Die metaphysische Favorisierung des starken zuungunsten des schwachen Lebens, die Frontstellung gegen Schopenhauer und die Bekämpfung des Christentums als nihilistisches décadence-Phánomen bilden die Basis dieser Kritik. Ebenso wie das der Schwächung und Verneinung des Lebens verpflichtete Christentum diene das Mitleid der „Praxis des Nihilismus": „Dieser depressive und contagióse Instinkt kreuzt jene Instinkte, welche auf Erhaltung und Werth-Erhöhung des Lebens aus sind: er ist ebenso als Multiplikator des Elends wie als Conservator alles Elenden ein Hauptwerkzeug zur Steigerung der décadence - Mitleiden überredet zum Nichts/" (Nietzsche 6,173). Obwohl Nietzsche das Mitleid in die biologische Sphäre projiziert, in der es ebensowenig zu finden ist wie die hypostasierte Gegenposition des starken Lebens, macht er doch auf eine Schwäche der affirmativen Mitleidsethik aufmerksam: Indem er nämlich ein „umgekehrtes Mitleid" (5,161) kennt, das im Dienste der aus Leiden gewonnenen „ Z u c h t " und Steigerung des Lebens steht, akzentuiert er zugleich die „Schwäche" des bloßen Mitleidsaffekts, die sich so veranschaulichen läßt: „Ihn schmerzt sein Zahn, Mich aber schmerzt sein Schmerz" (Stirner 178). Der Mitleidende nimmt an einem fremden Leiden teil, das er doch nicht wirklich zu teilen vermag. 1.2. Angesichts der ambivalenten ethischen Urteilsbildung ist zu fragen, ob psychologische Erklärungsversuche zur Näherbestimmung des Mitleids beitragen können. Die Beobachtung, das Mitleid sei dann am intensivsten, wenn es „durch Auge oder Ohr vermittelt" (Mandeville 289) werde, wird durch die Erfahrung relativiert, daß Mitleid durch Gewöhnung abgeschwächt werden kann. Neben der Nahoptik wird seit Aristoteles immer wieder die Furcht zum entscheidenden Mitleidsfaktor erklärt. Wird jedoch „die Vorstellung, daß das fremde Unglück einem selbst zustoßen k ö n n e " , Mitleid genannt (Hobbes 35), so wird ihm ein egoistisches Motiv zugrundegelegt. Dieses Motiv erscheint auch dann, wenn es mit der Neugierde (Schiller 141) oder gar dem Vermögen (Rousseau, Emile 270) in Verbindung gebracht wird. Schließlich kann das Mitleid auch direkt auf die egoistische Selbstliebe reduziert werden; es sei nämlich nur darum bemüht, „uns selbst von der unangenehmen Lage des Leidens zu befreien" (Cassina 14); der
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Mitleid
verletzte fremde Glückseligkeitstrieb schließe die Gefährdung des eigenen ein (Feuerbach 276). Diese egoistischen Erklärungsversuche indizieren die Grundschwierigkeit des Mitleidsaffekts: Wie ist es möglich, „fremdes Leid als fremdes nachzuvollziehen"? (Hamburger 67) Da die mitgelittenen fremden Leiden unübertragbar-individuell sind, helfen die Versuche nicht weiter, sich durch Einbildung und Imagination in das Leiden des anderen zu versetzen, zumal sie von dem fragwürdigen Identifizierungsvorgang nicht weit entfernt sind. Die „Crux der Mitleidspsychologie" (Hamburger 68) besteht somit darin, daß der Mitleidende am Leiden des anderen teilzunehmen vorgibt, ohne doch das fremde Leiden wirklich selber empfinden zu können (-»Altruismus). 1.3. Die Schwierigkeiten der ästhetischen, von Aristoteles und seinen Nachfolgern auf die Tragödie bezogenen Mitleidstheorie zeigen, daß Mitleid nicht fiktiven, sondern allein realen Personen zuteil werden kann. Aristoteles zufolge soll die tragische Handlung insofern Mitleid und Furcht erregen, als ein zunächst glücklicher Mensch unverdient ins Unglück stürzt (Poetik 13). In den Theorien des „tragischen Mitleids" (Hamburger 6 9 - 7 8 ) wird so meistens die Differenz zwischen der theatralischen Nachahmung des Geschicks fiktiver Personen und dem Leiden realer Menschen verwischt. Während das kunstvoll nachgeahmte Unglück der fiktiven Tragödienfigur zwar „nachgefühlt" werden kann, zielt das alltägliche Mitleid auf wirkliche Leiden gegenwärtiger Mitmenschen. 1.4. Daß die Adressaten von Mitleidsempfindungen jeweils reale Personen der eigenen Lebenssphäre sind, zeigt auch der alltägliche Sprachgebrauch (Hamburger 81—94), der noch einmal die Ambivalenz des Mitleidsaffektes offenbart. So wird die traditionelle Bedeutung des Mitleidsbegriffs zunehmend durch einen pejorativen Klang überlagert. Wer andere mitleidig belächelt oder für Mitmenschen gar nur noch ein an Verachtung grenzendes Mitleid empfindet, gibt zugleich die Bedeutungsverschiebung des Mitleidsbegriffs von der Sym- zur Antipathie zu erkennen. Mitleidsbekundungen können folglich auch zurückgewiesen werden, wenn sie der Bemitleidete als Verletzung oder Verachtung seines intakten Personseins aufnimmt. Am deutlichsten tritt die verfehlte Zuwendung von Mitleid im Zusammenhang erotisch motivierter Liebesverhältnisse zu Tage: Wenn Liebe erwartet, aber nur Mitleid offeriert wird, trägt dieses geradewegs zur Inszenierung oder Verstärkung eines Unglücks bei; aus Mitleid erwiderte erotische Liebe ist deren Dementi. 2. Möglichkeit
und Grenze einer
Mitleidsethik
Nicht nur die Inkompatibilität zwischen erotischer Liebe und Mitleid, sondern ebenso die seit alters betonte Unvereinbarkeit des Mitleidsaffekts mit intimen, verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen verdeutlichen, daß das Verhältnis zwischen dem Mitleidenden und dem Bemitleideten durch Distanz bestimmt ist, die freilich von Fall zu Fall graduell variiert. Das anteilnehmende Mitleid wie das wahrgenommene Leid sind zwar meistens somatisch-gefühlsmäßig bedingt. Gleichwohl läßt die Tatsache, daß Mitleidsbekundungen im intimen, verwandt- und freundschaftlichen Nahbereich als deplaziert empfunden werden, einen Rückschluß auf den Grad persönlichen Beteiligtseins zu. Zwischen dem Mitleidenden und dem Bemitleideten besteht ein eher distanziertes Verhältnis, das - wie beispielsweise die durch die elektronischen Medien transportierten Mitleidsappelle zeigen — sogar den Charakter des Unpersönlichen annehmen kann (Hamburger 9 5 - 1 2 6 ) . Diese soziale Bestimmtheit wird durch die sachliche Qualität des Mitleids bestätigt. Daß es nicht auf einem Vorgang der Identifizierung beruht, geht aus dem asymmetrischen Verhältnis zwischen Mitleidendem und Bemitleidetem hervor. Jener nimmt an einem Leid teil, das weder sein eigenes ist noch auf ihn übertragen werden kann. Die Mitleidsethik steht somit vor dem analogen Problem, das zur Auflösung der Vorstellung der exklusiven Stellvertretung Christi geführt hat: Da Schuld nur individuell zurechenbar ist, kann sie nicht auf andere Personen übertragen werden. Ebensowenig ist das Leid, das der Mitleidende wahrnimmt, auf diesen über-
Mitleid
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t r a g b a r . D a s gilt, n o t a bene, auch für die Vorstellung des beim T o d J e s u mitleidenden G o t t e s ; wenn G o t t nicht selber stirbt, ist die R e d e v o m M i t - L e i d e n G o t t e s durch die gleiche A s y m m e t r i e b e s t i m m t wie das menschliche M i t l e i d : D e r M i t l e i d e n d e kann die D i s t a n z zwischen dem nur individuell z u r e c h e n b a r e n , nicht ü b e r t r a g b a r e n fremden Leiden und seiner A n t e i l n a h m e nicht ü b e r b r ü c k e n . D a s sachlich a s y m m e t r i s c h e und sozial distanzierte bis unpersönliche Verhältnis zwischen dem M i t l e i d e n d e n und dem Bemitleideten berechtigt allerdings nicht, das Mitleid a u f „eine F o r m der Überzeugung, d a ß ein Anderer Schmerzen h a t , " (Wittgenstein § 287) zu reduzieren. D e n n durch diese Definition wird der Sachverhalt unterbelichtet, d a ß M i t l e i d als Affekt s o m a t i s c h - g e f ü h l s m ä ß i g ausgelöst wird. D e r vielfach ambivalente, zwischen Altruismus und E g o i s m u s , Freude und F u r c h t , N ä h e und Ferne changierende C h a r a k t e r des Mitleids zeigt j e d o c h , d a ß ihm nicht von N a t u r aus oder per se eine zu affirmierende ethische Q u a l i t ä t z u k o m m t ; das M i t l e i d als b l o ß e r Affekt ist vielmehr ethisch „ n e u t r a l " ( H a m b u r g e r 126) oder, K a n t zufolge, „ b l i n d " . Z w i s c h e n dem sinnlichgefühlsmäßig verankerten Mitleidsaffekt und seiner möglichen ethischen Bedeutung klafft ein z w e i f a c h e r H i a t u s . D e r eine betrifft das P r o b l e m der ethischen R e c h t f e r t i g u n g und der andere die F r a g e der Handlungsfolgen. Soll der Mitleidsaffekt in ein ethisch zu rechtfertigendes Mitleidsprinzip übersetzt werden, so ist das Mitleid auslösende Leiden anderer M e n s c h e n in einen vernünftig-allgemeinen Sachverhalt zu überführen, durch den zugleich das M o m e n t des D i s t a n z i e r t - U n p e r s ö n l i c h e n berücksichtigt wird. Diese Ü b e r f ü h r u n g dient der B e a n t w o r t u n g der Frage: W a s ist der G r u n d dafür, d a ß das Leiden anderer M e n s c h e n als negativer u n d / o d e r zu negierender Z u s t a n d w a h r g e n o m m e n wird? D a s Leiden wird offensichtlich als H e m m u n g und N e g a t i o n intakten M e n s c h s e i n s beurteilt. Wenn das so ist, setzt dieses Bewußtsein g e h e m m t e n M e n s c h s e i n s den ethischen G r u n d s a t z voraus, d a ß diese H e m m u n g nicht sein soll, weil der M e n s c h aufgrund seines M e n s c h s e i n s , d . h . seiner W ü r d e und Selbstzwecklichkeit, als freie selbstbestimmende Persönlichkeit geachtet werden soll. D e r Mitleidsaffekt verliert somit dann seine ethische Neutralität und Blindheit, wenn er durch den G r u n d s a t z erhellt und aufgeklärt wird, d a ß kein M e n s c h aufgrund seiner selbstzwecklichen W ü r d e in der Entfaltung seiner freien S e l b s t b e s t i m m u n g g e h e m m t werden soll. Die T a t s a c h e , d a ß leidende M e n s c h e n bei Mitleid empfindenden Personen Unlust oder gar F u r c h t hervorrufen, verliert also dann seine g e f ü h l s m ä ß i g - c h a m ä l e o n a r t i g e Z w e i d e u t i g k e i t , wenn das Mitleid im Z u g e seiner praktisch-vernünftigen E x p l i k a t i o n als A c h t u n g vor der g e h e m m t e n , aber nicht g e h e m m t werden sollenden menschlichen W ü r d e erscheint. Diese M i t t e l b a r k e i t des M i t leids wird auch dann b e t o n t , wenn es auf ein Verständnis der Sympathie zurückgeführt wird, die a u f das in ihrer Ähnlichkeit begründete Verstehen aller M e n s c h e n a b h e b t (Hume; Hamburger 110ff). A b e r auch das M i t l e i d , das seiner ambivalenten sinnlichen G e f ü h l s u n b e s t i m m t h e i t entkleidet und in das Bewußtsein der Unverletzlichkeit der menschlichen W ü r d e überführt wird, k o m m t von der A s y m m e t r i e zwischen b l o ß w a h r g e n o m m e n e n und wirklich erduldeten Leiden nicht los. Diese A s y m m e t r i e wird nur durch ein derartiges Mitleid auf D a u e r ü b e r w u n d e n werden k ö n n e n , das von der bloßen A n t e i l n a h m e zum helfenden Handeln übergeht; diese Art des Mitleids findet ihre Erfüllung erst in der Barmherzigkeit. W i e somit das M i t l e i d o h n e Leitung durch die praktische V e r n r n f t blind bliebe, so erschöpfte es sich o h n e barmherziges H a n d e l n in einer leeren, weil praktisch folgenlosen Anteilnahme. Literatur Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1966. - Aristoteles, Nikomachische Ethik, übers, v. Eugen Rolfes, hg. v. 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110
Mittelalter
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Falk Wagner Mitte der Schrift -» Bibel Wissenschaft, -»Biblische Theologie, -»Kanon Mittelalter
1. Begriff
2. Geltungsbereich, Grenzen und Einteilung
3. Ausformungen
(Literatur S. 120)
1. Begriff Francesco -»Petrarca sieht sich 1373 im Rückblick auf das klassische römische Altertum in eine Zeit darniederliegender Geisteskultur gestellt, hofft aber auf eine zukünftige Erneuerung: Vivo, sed indignans quod nos in tristia fatum / secuta dilatos peioribus intulit annis. / Aut prius aut multo deeuit post tempora nasci; / nam fuit et fortassis erit felicius evum; / in medium sordes, in nostrum turpia tempus / confluxisse vides-, . . . (Epistula metrica X X I (III 33): Francesco Petrarca, Poesie Latine, a cura di Guido Martellotti ed Enrico Bianchi, Mailand/Neapel 1951 = Turin 1976, 180, hier in V. 5 mit abweichender Interpunktion angeführt [Ich lebe, doch voll Entrüstung, auf welch traurige Zeiten verwiesen uns das Schicksal in recht schlimme Jahre geworfen hat. Früher oder viel später hätte man geboren werden müssen; denn es gab ein glücklicheres Zeitalter und es wird es vielleicht wieder geben. In der mittleren (oder: in der Mitte), in unserer Zeit siehst du Unrat und Häßliches zusammengeströmt ...]). Hier begegnet, zumindest als eine grammatische Möglichkeit, erstmals die Rede vom mittleren Zeitalter im Zusammenhang humanistischer Selbsteinschätzung des eigenen geschichtlichen Standorts (-»Humanismus; -»Renaissance). Daß es sich dabei um eine Aufnahme und kulturkritische Umprägung einer älteren joachimitischen (-»Joachim von Fiore), heilsgeschichtlich-apokalyptisch bestimmten Redeweise von einem mittleren Zeitalter han-
Mittelalter
111
delt, läßt sich n i c h t n a c h w e i s e n . W e n n 1395 d e r h u m a n i s t i s c h e F l o r e n t i n e r S t a a t s m a n n C o l u c c i o S a l u t a t i ( 1 3 3 1 - 1 4 0 6 ) A u t o r e n d e s 11. u n d 12. J h . a l s „ m i t t l e r e S c h r i f t s t e l l e r " (medii
dictatores:
V o s s 4 1 ; N e d d e r m e y e r 102) b e z e i c h n e t , t r i t t e i n e v o n d e r A n t i k e t r e n -
n e n d e Z w i s c h e n z e i t b e r e i t s als z u r ü c k l i e g e n d e G r ö ß e in d e n B l i c k . 1 4 6 9 r ü h m t d e r Bischof v o n Aleria auf K o r s i k a u n d p ä p s t l i c h e B i b l i o t h e k a r G i o v a n n i A n d r e a dei Bussi ( 1 4 1 4 - 1 4 7 5 ) in e i n e r L o b r e d e a u f — » N i k o l a u s v o n K u e s d i e s e n a l s K e n n e r „ n i c h t a l l e i n der antiken, sondern auch der alten wie neueren Geschichtswerke des mittleren Zeitnon
a l t e r s " ( V o s s 4 1 u . 4 2 0 ; N e d d e r m e y e r 103: historias
...
tempestatis
retinebat),
tum
veteres
tum
recentiores
...
memoria
priscas
modo,
sed
medie
u n d er reiht die M e n -
schen dieses Zeitalters zwischen die Alten u n d die Geistesgrößen der eigenen G e g e n w a r t e i n ( e b d . : . . . veteres,
...
medie
tempestatis
homines
...
nostre
etatis
maximi
...). Die
L o b r e d e A n d r e a s ist v o n d e m N ü r n b e r g e r S t a d t a r z t H a r t m a n n S c h e d e l ( 1 4 4 0 — 1 5 1 4 ) in s e i n e W e l t c h r o n i k ( L i b e r Chronicarum,
N ü r n b e r g 1 4 9 3 ) u n d v o n —»Faber S t a p u l e n s i s
i n s e i n e G e s a m t a u s g a b e d e r W e r k e d e s N i k o l a u s v o n K u e s ( P a r i s 1514) w o r d e n ( L e h m a n n 1914,6). D o c h a u c h u n a b h ä n g i g d a v o n setzt seit d e m 15. J h . ( A n g i o l o P o l i z i a n o [ 1 4 5 4 - 1 4 9 4 ] , Miscellaneorum
centuria
prima,
übernommen ausgehenden V e n e d i g 1489)
eine dichte Kette der V e r w e n d u n g von A u s d r ü c k e n mit der B e d e u t u n g „mittleres Zeita l t e r " ( m e d i a antiquitas, saeculum
medium)
medium
tempus,
media
témpora,
media
aetas,
medium
aevum,
e i n ( Z u s a m m e n s t e l l u n g b e i V o s s 3 9 1 - 4 3 4 , vgl. e b d . 4 3 ; N e d d e r m e y e r
245-265). Die deutsche Bearbeitung der Schedeischen Weltchronik (Augsburg 1497) übergeht die W e n d u n g medie tempestatis aus d e m C u s a n u s l o b A n d r e a s . Den ersten b e k a n n t e n , aber zunächst vereinzelt bleibenden Beleg für den deutschen Begriff Mittelalter bietet der G l a r n e r Geschichtsschreiber Gilg ( = Ägidius) T s c h u d i (1505 — 1572). Er bezeichnet in seinem Werk Die uralt warhafftig Alpisch Rhetia (Basel 1538) den karolingerzeitlichen Geschichtsschreiber Paulus D i a c o n u s (8. Jh.) als einen Zeitgenossen „mittel a l t e r s " (Schaeffer 2 9 f ) . Singular bleibt es a u c h , w e n n einige J a h r e später J o a c h i m - • V a d i a n in seiner Schrift Von dem mönchsstand (1545) von f r ä n k i s c h e n C h r o n i k e n „mitler j a r e " und von „mitteljärigen c h r o n i k s c h r e i b e r n " ( N e d d e r m e y e r 112) spricht. Weitere Prägungen begegnen erst viel später, u n d z w a r vor allem „ m i t t l e r e Z e i t " (1682 bei d e m Kieler Poetikprofessor Daniel G e o r g M o r h o f [ 1 6 3 9 - 1 6 9 1 ] u n d d a n n häufig) u n d „mittlere Z e i t e n " (1709 bei dem Haller H i s t o r i k e r J o h a n n Peter Ludewig [ 1 6 6 8 - 1 7 4 3 ] u n d d a n n häufig) (Belege bei N e d d e r m e y e r 251—265). Der z u n ä c h s t noch von der Bedeutung „mittleres L e b e n s a l t e r " belegte Begriff „ M i t t e l a l t e r " (Friedrich Kluge, Etymologisches W ö r t e r b u c h der deutschen Sprache, B e r l i n / N e w York " 1 9 7 5 ; in " 1 9 8 9 fehlt das Stichwort) setzt sich im Sinne des heutigen S p r a c h g e b r a u c h s erst seit d e m letzten Drittel des 18. J h . d u r c h . Er wird erstmals 1767 von d e m G ö t t i n g e r H i s t o r i k e r J o h a n n C h r i s t o p h G a t t e r e r (1727—1799) v e r w e n d e t ( N e d d e r m e y e r 200 sowie 333 A n m . 540 mit weiteren Belegen). Im französischen S p r a c h r a u m begegnet bereits in einer zwischen 1453 und 1461 e n t s t a n d e n e n historisch-politischen Streitschrift Le débat des hérauts d'armes de France et d'Angleterre eine Unterscheidung von temps passé, temps moien dit de memoire d'omme u n d temps present. Der Begriff der Mittelzeit wird hier mit de memoire d'omme n ä h e r b e s t i m m t , wobei diese W e n d u n g nicht „ i m G e d ä c h t n i s der noch L e b e n d e n " bedeutet, sondern „seit M e n s c h e n g e d e n k e n " , „in lebendiger Ü b e r l i e f e r u n g " in Bezug auf die französisch-englischen Beziehungen des Spätmittelalters (Huizinga 1954, 220—226). M i t der h u m a n i s t i s c h e n Vorstellung eines mittleren Zeitalters h a t diese A u s f ü l l u n g des Begriffs sachlich nichts gemein, u n d entgegen der vorsichtigen M e i n u n g H u i z i n g a s k a n n m a n ihn k a u m in die Vorgeschichte des historiographischen Mittelalterbegriffs e i n o r d n e n . Im Sinne der humanistischen Vorstellung begegnet moyen âge erstmals 1572 bei d e m gallikanischen Juristen Pierre Pithou ( 1 5 3 9 - 1 5 9 6 ) , der von les Empereurs Romains du moyen aage und von Charlemagne, et autres Roys et Empereurs du moyen aage spricht (Voss 45). D a n e b e n b e h a u p t e n sich in der Folgezeit auch noch a n d e r e A u s d r ü c k e , vor allem temps moyen. In England verwendet 1605 der Geschichtsschreiber William C a m d e n (1551-1623) erstmals den Begriff middle age wie auch d a s parallel dazu noch länger sich b e h a u p t e n d e middle time, und nicht viel später ( m i d d l e times 1614; middle ages 1618) findet sich bei d e m Juristen u n d Rechtshistoriker J o h n Seiden (1584-1654) auch die pluralische Fassung beider A u s d r ü c k e (Voss 393 f). Die humanistische R e d e von einem mittleren Zeitalter entspringt einem
literatur-
u n d sprachästhetischen Urteil, d a s aus einem Bewußtsein vollzogener E r n e u e r u n g ( - • R e naissance) die L i t e r a t u r u n d Latinität des so bezeichneten Z e i t a b s c h n i t t s an klassisch
112
Mittelalter
antiken N o r m e n mißt. Mittelalter ist daher zunächst ein kulturhistorischer, literaturund bildungsgeschichtlicher Begriff als Ausdruck einer aus dem eigenen Zeitgefühl heraus wertenden kulturgeschichtlichen Dreiperiodengliederung. E r findet eine kunstgeschichtliche Entsprechung in der erstmals schon 1 4 3 5 von dem humanistischen Schriftsteller und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti ( 1 4 0 4 - 1 4 7 2 ) und in paläographischer Hinsicht 1440 von Laurentius -> Valla verwendeten Stilbezeichnung gotisch. Die so bezeichnete Zeitspanne gilt als eine Zeit des Niedergangs, der Verfinsterung und Barbarei. Eine genauere zeitliche Ausgrenzung dieses mittleren Zeitalters wird im allgemeinen nicht v o r g e n o m m e n . Eine Wertung der Zeit zwischen der diokletianischen Reichsteilung (293), der italischen Ostgotenherrschaft (493—533) oder der Zeit —»Karls d. Gr. und dem 15. (türkische Eroberung Konstantinopels 1453) oder 16. (Regierungszeit —»Franz 1. von Frankreich) Jh. als Verfallszeit bei französischen Humanisten des 16. Jh. nimmt keinen Bezug auf den Mittelalterbegriff. Von Anfang an und sehr häufig ist der Begriff des Mittelalters historiographiegeschichtlich zur Kennzeichnung und Einordung von Geschichtsschreibern und -quellen verwendet worden. Z u einer allgemeingeschichtlichen Periodisierung diente er und das mit ihm verbundene Dreiperiodenschema jedoch zunächst nicht. Für sie blieben noch überkommene theologisch-heilsgeschichtliche Vorstellungen wirksam. Eine Zweigliederung der Menschheitsgeschichte mit Christus als Mitte der Zeit klingt noch heute und weit über den christlichen Bereich hinaus nach in der von -»Dionysius Exiguus begründeten Zählung der Jahre nach Christi Geburt. Die entsprechende, auf Christus hin ausgerichtete rückläufige Zählung für die vorchristliche Zeit begegnet allerdings erst in der Weltgeschichte Fasciculus temporum omnes antiquorum chronicas complectens (Köln 1474) des Kölner Kartäusers Werner Rolevinck (1425-1502) und wird erst im 18. Jh. anstelle der älteren Zählung nach einem fiktiven Datum der Weltschöpfung üblich. Tatsächlich wird die Zweiteilung eingebunden in andere Gliederungsmodelle. Die augustinische Lehre von sechs Weltzeitaltern zwischen Schöpfung und Vollendung, deren letztes mit der Erscheinung Christi beginnt, bestimmt in der Tradition mittelalterlicher Weltchroniken H. Schedels Liber chronicarum (Nürnberg 1493). Aufgrund der Überzeugung vom Fortdauern des antiken Römerreichs im Heiligen Römischen Reich ist in Deutschland die auf Dan 2 und 7 zurückgreifende Vorstellung von vier einander ablösenden Weltreichen, deren letztes nach christlicher, schon bei —•Hippolyt von Rom begegnender Deutung das Römische Reich ist, sehr beliebt. J. —»Sleidanus hat sie seinem erfolgreichen Lehrbuch der Weltgeschichte {De quattuor summis impertís, Straßburg 1556) zugrundegelegt. J.-B. —»Bossuet hat noch 1681 in seinem Discours sur l'histoire universelle beide Vorstellungen unter Anwendung der Weltreichelehre auf die französische Monarchie aufgenommen. In Deutschland findet die Weltreichelehre noch während des gesamten 18. Jh. Vertreter. Außerdem hat die Kirchengeschichtsschreibung der Reformation zwar nicht als Periodisierungsschema, sondern als Gliederungsmittel der Darstellung eine Einteilung nach Zenturien (Jahrhunderten) eingeführt (M. —»Flacius; —»Kirchengeschichtsschreibung 1.3.2), die lange und auch über die Konfessionsgrenze hinweg nachgewirkt hat. Der Übergang des Mittelalterbegriffs von einem literaturgeschichtlichen und quellenkundlichen Einordnungs- zu einem allgemeingeschichtlichen Periodisierungsbegriff vollzog sich im 17. Jh. D a ß er nahelag, deutet sich schon in dem 1601 erschienenen ersten Band der Quellensammlung Antiquae lectiones (Ingolstadt 1 6 0 1 - 1 6 0 4 ) des Ingolstädter Kanonisten und Historikers Heinrich Canisius (gest. 1610) an. Sein Inhalt, Quellentexte für die Zeit v o m dritten bis zum 16. J h . , wird umschrieben als antiqua monumenta ad historiam mediae aetatis illustrandam (alte Schriftstücke zur Erhellung der Geschichte des Mittelalters). Nicht in die Bahnen des späteren Sprachgebrauchs führt die periodologische Verwendung des Mittelalterbegriffs bei dem Löwener Philologen Justus Lipsius (1547—1606), der 1601 in einem universalhistorischen Gliederungsentwurf die römische Geschichte von Augustus bis Konstantin als historia Romana media bezeichnet (Epístola ad Nicolam Hacquevillium de historia, historíeos legendi ordine: Voss 55 u. 422, Nr. 41), und bei Gisbert -»Voetius, der 1639 beiläufig die Zeit vom 6. bis 10. Jh. als intermedia aetas anspricht (Disputation mit Rausin: Lehmann 1914, 10). In historiographiegeschichtlicher Hinsicht folgt Lipsius im übrigen dem üblichen Sprachgebrauch (Lehmann 1941, 54; Voss 422, Nr. 35).
Mittelalter
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In der zweiten Hälfte des 17. Jh. wird das Dreiperiodenschema Altertum-MittelalterNeuzeit in der historischen Geographie geläufig (Voss 56 f). In einem allgemeinen universalgeschichtlichen Rahmen erscheint der Begriff Mittelalter (medium aevum) erstmals in der Area Noae sive historia imperiorum et regnorum a condito orbe ad nostra tempora (Leiden 1666) des Leidener Historikers Georg Horn (1620-1670). Eine Dreigliederung verbindet sich damit allerdings nur in gebrochener Form. Horn unterscheidet historia vetus und recentior, alte und neuere Geschichte, deren Grenzlinie er in der Zeit um 300 sieht, und er gliedert die neuere Geschichte wiederum in ein mittleres, bis gegen 1500 reichendes und ein jüngeres Zeitalter. Ein Jahr später unterscheidet G. W. —»Leibniz in seiner rechtswissenschaftlichen Schrift Nova methodus discendae docendaeque iurisprudentiae (Frankfurt a. M. 1667) zwischen der römisch-byzantinischen (Historia Romana), der abendländischen mittelalterlichen (Historia rerum Germanicarum seu medii aevi-, tatsächlich ist der gesamteuropäische Raum ins Auge gefaßt) und der gegenwärtigen Geschichte (Historia Hodierna) des 16. und 17. Jh. (Sämtl. Sehr. VI 1, 315.318.321). Gegen Ende des Jahrhunderts schrieb dann der Philologe, Historiker und Geograph Christoph Cellarius (1638-1707, Schulrektor in Weimar, Zeitz und Merseburg, seit 1693 Professor für Beredsamkeit und Geschichte in Halle) ein erfolgreiches dreibändiges Lehrbuch der Weltgeschichte, Historia antiqua (Zeitz 1685 [Alte Geschichte]), Historia medii aevi a temporibus Constantini magni ad Constantinopolim a Turcis captam dedueta (Zeitz 1688 [Geschichte des Mittelalters von Konstantin dem Großen bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Türken]) und Historia nova, hoc est XV/. et XV//. saeculorum (Halle 1696 [Neue Geschichte, d.h. Geschichte des 16. und 17. Jh.]). In späteren Gesamtausgaben führt das Werk den Titel Historia universalis in antiquam et medii aevi ac novam divisa (u. a. Jena 1704-1708 [Weltgeschichte, gegliedert in die alte Geschichte, die des Mittelalters und die neue]). Damit beginnt die historiographische Durchsetzung des Dreiperiodenschemas und der Verwendung der humanistischen Begriffsprägung Mittelalter als geschichtlicher Periodenbezeichnung. Sie bekundet eine sich vollziehende Abkehr von einer theologischen, an metahistorischen Deutungsmustern ausgerichteten Geschichtsbetrachtung zu einer pragmatischen, nach innergeschichtlichen Kriterien ordnenden. In diesem Sinne hat sich der Periodisierungsbegriff Mittelalter ungeachtet verschiedentlicher Einsprüche behauptet. Dagegen wird das Dreiperiodenschema, das seinen dritten Zeitraum als noch andauernd betrachtet, mit dem weiteren Fortgang der Geschichte zwangsläufig fraglich (vgl. -»Neuzeit; -»Postmoderne), und damit wird das Bestimmungswort „mittel" in der Rede vom Mittelalter bedeutungsleer. Ursprünglich war dieses Bestimmungswort wertbesetzt eben als Kennzeichnung einer sich zwischen die glanzvolle Antike und ihre gegenwärtige Wiedererstehung eindrängenden, verfinsternden Zwischenzeit. Die -»Reformation hat zwar diesen humanistischen Begriff des mittleren Zeitalters nicht aufgenommen, teilt aber aus ihrer eigenen Sicht die Abwertung der ihr voraufgehenden Zeit. Sie erscheint als ein Zeitalter der Verdunkelung des nun endlich wieder neu ans Licht tretenden Evangeliums. Schon M. —»Luthers Schrift An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen von 1524 zeigt im übrigen die Begegnung von reformatorischer kirchlich-theologischer und humanistischer bildungsgeschichtlicher Kritik. Der reformierte Philologe Isaac Casaubon (1559-1614) sieht in seinen De rebus sacris et ecclesiasticis exercitationes (London 1614) eine seit dem 7. Jh. sich verdichtende Verfinsterung des kirchlichen Lebens dadurch ein Ende finden, daß sich innerhalb einer umfassenden Wiedergeburt der Geisteskultur auch die Theologie erneuert. Durch das Fortschrittsdenken der —» Aufklärung kommt die Vorstellung von der „Finsternis der mittleren Zeiten", wie die thematische Urteilsvorgabe bei dem gelehrten Baseler Ratschreiber Isaak Iselin (1718 — 1782) in seinem Werk Philosophische Mutmaßungen über die Geschichte der Menschheit (Frankfurt/Leipzig 1764, Zürich M768 als Über die Geschichte der Menschheit) lautet, zu voller Entfaltung und Breitenwirkung. Dabei wird über den kulturgeschichtlichen und religiös-kirchlichen Bereich hinaus nun auch die politisch-soziale Ordnung in das Negativbild einbezogen. Die Rede vom finsteren Mittelalter ist seitdem ein Gemeinplatz, der sich ungeachtet einer Verklärung des Mittelalters in der -»Romantik und zunehmender Versachlichung und Differenzierung des Bildes vom Mittelalter in der Geschichtswissenschaft bis heute
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b e h a u p t e t . Sachlich verbindet er sich allerdings zumeist mit nachmittelalterlichen Entwicklungsstufen einiger aus d e m Mittelalter ü b e r k o m m e n e r Erscheinungen wie der Spanischen Inquisition ( - • I n q u i s i t i o n 3), den H e x e n v e r f o l g u n g e n des 16. u n d 17. J h . ( - » H e x e n / H e x e n v e r f o l g u n g ) oder der Leibeigenschaft i n n e r h a l b der frühneuzeitlichen G u t s h e r r s c h a f t ( - » B a u e r n t u m I 7).
In die —• Kirchengeschichtsschreibung, die sich seit dem 17. Jh. ungeachtet einer noch lange a n d a u e r n d e n W i r k u n g der Zenturiengliederung um eine sachgemäße Periodisier u n g b e m ü h t , findet das Dreiperiodenschema erst im 19. Jh. Eingang. Der erste Beleg auf evangelischer Seite ist das erfolgreiche Lehrbuch der Kirchengeschichte (Leipzig 1834; 12 1900) des Jenaer Theologen Karl August (von) H a s e (1800-1890) und auf katholischer Seite die p o s t h u m erschienene Einleitung in die Kirchengeschichte von J. A. - » M ö h l e r (HPB1 4 [1839] 1 - 1 2 ; 6 5 - 7 7 ; 1 2 9 - 1 3 8 = GS II, Regensburg 1840, 2 6 0 - 2 9 0 ) , wobei M ö h l e r statt vom Mittelalter vom zweiten Zeitalter der Kirchengeschichte spricht, während seine von Pius Bonifatius G a m s (1816-1892) herausgebrachte Kirchengeschichte (Regensburg 1867/70) auch den Mittelalterbegriff verwendet. Beide sind einem positiven Mittelalterbild der - » R o m a n t i k verbunden. In der Folge setzt sich die Dreigliederung mit dem d a f ü r konstitutiven Mittelalterbegriff schnell durch. Sie erweist sich auch als zugänglich f ü r neue metahistorische theologische Deutungsversuche des kirchenhistorischen G e s a m t a b l a u f s durch F. Ch. -»Baur, Die Epochen der kirchlichen Geschichtsschreibung (Tübingen 1852), bei dem sie allerdings eine systemimmanent eher naheliegende Viergliederung überlagert, oder durch den Bonner Kirchenhistoriker Friedrich Rudolf Hasse (1808-1862), Kirchengeschichte (besorgt von August Köhler [1835-1897], Leipzig 1864). Der J e n a e r Kirchenhistoriker Karl Heussi (1877-1961) hat die V e r w e n d b a r k e i t des Begriffs M i t t e l a l t e r als kirchengeschichtliche P e r i o d e n b e z e i c h n u n g m e t h o d o l o g i s c h bestritten, zunächst (Heussi, Altertum...) mit der B e g r ü n d u n g , der Begriff b e a n s p r u c h e in dieser V e r w e n d u n g eine m e t h o d i s c h nicht a u s f ü h r b a r e integrative („universalkirchengeschichtliche") F u n k t i o n , w ä h r e n d es später heißt, seine Ausgrenzung vermenge in unzulässiger Weise kategorial unterschiedliche Kriterien, ein allgemein kulturgeschichtliches und ein kirchlich konfessionelles (Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, T ü b i n g e n 12 1960, 5). Im Sinne seiner Kritik an d e m integrativen A n s p r u c h des Periodenbegriffs Mittelalter löst Heussi den h e r k ö m m l i c h d a m i t ausgegrenzten Z e i t r a u m in drei lediglich als Q u e r s c h n i t t e v e r s t a n d e n e Perioden auf, die allerdings im wesentlichen der geläufigen U n t e r s c h e i d u n g von Früh-, H o c h - und Spätmittelalter entsprechen. H . —»Jedin hat eine theologisch b e g r ü n d e t e , auf das Selbstverständnis der - » R ö m i s c h - k a t h o l i s c h e n Kirche bezogene Periodisierung der Kirchengeschichte vorgeschlagen, die f ü r ein Mittelalter im Sinne der h e r k ö m m lichen G l i e d e r u n g keinen R a u m h a t (LThK 2 6, 2 1 4 - 2 1 7 ; H K G ( J ) 1, 6 - 1 0 ) . Tatsächlich aber h a t sich der Begriff des Mittelalters als sinnvoller, einem s p a n n u n g s r e i c h e n Ineinander von Kontinuität u n d D i s k o n t i n u i t ä t angemessen R e c h n u n g t r a g e n d e r Periodisierungsbegriff g e r a d e auch der Kirchengeschichte im allgemeinen b e h a u p t e n k ö n n e n . Selbst das von Jedin b e g r ü n d e t e H a n d b u c h der Kirchengeschichte erhält ihn entgegen d e m ursprünglichen Plan a u f r e c h t (vgl. Friedrich Kempf, H K G ( J ) III 1, V f ) .
2. Geltungsbereich,
Grenzen
und
Einteilung
Der Begriff des Mittelalters ist von der Geschichtsschreibung ursprünglich als weltgeschichtliche Periodenbezeichnung a u f g e n o m m e n w o r d e n , jedoch innerhalb eines zeitbedingt europazentrischen Geschichtsbildes. D e m e n t s p r e c h e n d k a n n er, g a n z u n a b h ä n gig von der Frage nach der Möglichkeit einer Universalgeschichte, Geltung n u r f ü r den geschichtlichen Schauplatz des abendländischen, Byzanz und den byzantinischen Ausstrahlungsbereich nicht mit umgreifenden E u r o p a s beanspruchen. Universalgeschichtliche Geltung b e h a u p t e t dagegen die marxistische Geschichtsschreibung f ü r den von ihr anstelle der Periodenbezeichnung Mittelalter verwendeten Begriff „ Z e i t a l t e r des Feud a l i s m u s " . Er greift ein historisch-politisches Schlagwort aus der Auseinandersetzung der französischen A u f k l ä r u n g mit den Verhältnissen des Ancien régime auf und ist an die Systemvorgaben marxistischer Geschichtsdeutung (—»Marx/Marxismus) g e b u n d e n . Als Phase der europäischen Geschichte ist das Mittelalter die Zeit der H e r a n b i l d u n g der geschichtlichen Eigengestalt E u r o p a s (->Abendland) in seiner kulturellen Einheit
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und nationalen Vielfalt. Entscheidende Voraussetzungen sind der Zerfall des Weströmischen Reiches und die dauerhafte Niederlassung und erfolgreiche Reichsgründung der —»Franken im Norden des vormals römischen Galliens sowie die Christianisierung des angelsächsischen —» Englands. Die eine breite Kontinuitätszone spätantiker provinzialrömischer Kultur einbeziehende fränkische Reichsbildung führt einen beschleunigten kulturellen Ausgleichs- und Umformungsprozeß herauf, in dessen Zusammenhang auch die fränkische Christianisierung steht und dessen Ergebnis die Ausbildung einer merowingisch-fränkischen Reichskultur im R a u m zwischen Loire und Rhein ist. Die teils von kontinentalen, teils von irischen Kräften getragene Christianisierung der angelsächsischen Königreiche wiederum zeitigt alsbald geschichtsgestaltende kirchliche R ü c k w i r kungen auf das Frankenreich. Die zunächst mit der fränkischen und deutschen Ostexpansion (vgl. -»Deutschland 1 1 . 5 - 6 ) beginnende, durch die Ausbreitung des lateinischen Christentums gekennzeichnete Ausweitung des mittelalterlichen europäischen Kulturraums hält bis zum Ausgang des Mittelalters an (offizielle Christianisierung Litauens [ - » B a l t i k u m ] Ende des 14., Abschluß der spanischen Reconquista [ - » S p a n i e n ] Ende des 15. Jh.). Gegenstand eingehender Diskussion sind die zeitlichen Grenzen des Mittelalters. Die Schwierigkeit ihrer Bestimmung ist in der Sache selbst begründet. Der Wandel der Lebensverhältnisse und -einstellungen, den eine Periodisierung verdeutlichen soll, vollzieht sich in länger andauernden Entwicklungen und läuft dabei zudem in verschiedenen sachlichen wie räumlichen Teilbereichen des geschichtlichen Lebens unterschiedlich ab. Die geläufige Auffächerung des Periodenschemas durch differenzierende Begriffe wie Spätantike und Frühmittelalter, Spätmittelalter und frühe Neuzeit trägt dem Rechnung. Als Grenzmarkierungen für Beginn und Ende des Mittelalters sind dementsprechend mit unterschiedlichen Begründungen und Akzentsetzungen weit auseinanderliegende Ansätze vorgeschlagen worden, vom 4. bis zum 8. und vom 14. bis zum 18. Jh. Einem relativ breiten, kaum nur als Lehrbuchschema abzutuenden Konsens gilt die Zeit um 600 und um 1500 als jeweilige Epochenschwelle. Die Frage nach dem Beginn des Mittelalters muß einer der Spätantike gegenüber sich verändernden räumlichen Ausrichtung Rechnung tragen. Der Ausgangsraum, in dem die mittelalterliche Welt sich zu formen beginnt, liegt nicht im westlichen Pol der mittelmeerischen Längsachse, sondern im europäischen Nordwesten. Hier weist bereits das seit dem 5. Jh. vom subrömischen Britannien aus christianisierte —»Irland ins Mittelalter. Seine in die aristokratische Volksverfassung eingegliederte Kirche entfaltet in dem nie in den provinzialrömischen Kulturraum einbezogenen Land unter Aufnahme spätantiker christlicher Tradition eine eigenständige kirchlich-monastische lateinische Schriftkultur. Auf dem Kontinent kommt im 7. Jh. die merowingisch-fränkische Reichskultur zu voller Ausformung und erfährt dabei eine spirituelle Vertiefung durch die irofränkische monastische Bewegung (—»Columban). Deren Ausbreitung erfolgt in enger Verbindung mit der herrschenden fränkischen Adelsschicht, die darin eine christlichreligiöse Selbstvergewisserung findet. Die Pflege der Schriftkultur wird endgültig zum Monopol der Geistlichkeit und der Klöster. Die fränkische Kirche beginnt mit der zumindest grobrastrigen Erfassung von Räumen außerhalb der spätantik-christlichen Kontinuitätszone. Als Folge der 596 von Rom, 635/6 vom irischen Nordwesten Schottlands aus aufgenommenen angelsächsischen Christianisierung entsteht in —»England eine lebenskräftige kirchlich-monastische lateinische Schriftkultur, deren Beziehung zur christlich vermittelten spätantiken Tradition ebenso wie die irische nicht gradliniger Kontinuität, sondern zurückgreifender Anknüpfung entspringt. Die Frage nach dem Ende des Mittelalters ist in erheblichem Umfang mit dem Problem der sachlichen Ausfüllung des Begriffs -»Neuzeit verknüpft. Vom Mittelalter her gesehen hebt die Betrachtung der Zeit um 1500 als Schwellenzeit ab auf eine wirkungsgeschichtliche Bündelung einer Reihe von Erscheinungen, die je für sich allerdings längerfristige Entwicklungen umgreifen und damit zum Teil schon weit ins Mittelalter zurückreichen,
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während andererseits daneben mittelalterliche Gegebenheiten teilweise auch noch länger andauern. Genannt werden die Veränderung des geistigen Klimas durch -»Humanismus und —»Renaissance, die Durchsetzung des ständisch strukturierten fürstlichen Territorialstaates als bestimmenden politischen Ordnungsmodells, das Einsetzen der überseeischen Expansion europäischer Mächte mit ihren missions- und kirchengeschichtlichen Begleit-und Folgewirkungen (vgl. -»Kolonialismus; -»Mission) und die -»Reformation, deren Umdeutung zu einer frühbürgerlichen Revolution hier nicht zu erörtern ist. Sie tritt mit einer tiefgreifenden theologischen Neuorientierung aus der Kontinuität kirchlichen Reformstrebens heraus, ist so gesamtkirchlich nicht durchsetzbar, findet aber in den zeitgeschichtlichen Bedingungen die Möglichkeit territorialer partikularkirchlicher Behauptung und beendet damit die mittelalterliche Kircheneinheit. Es ist üblich geworden, das Mittelalter selbst in die drei Teilperioden des Früh-, Hoch- und Spätmittelalters zu untergliedern. Damit wird zumindest angedeutet, daß es keine statisch in sich ruhende Größe ist, sondern von einer ihm eigenen Entwicklungsdynamik unter Spannung gehalten wird. Als Ubergangsphasen lassen sich dabei ansehen einmal das 11. J h . mit dem Reformpapsttum und seiner Verfechtung der Autonomie und Überlegenheit der geistlichen Leitungsvollmacht in der Christenheit (vgl. —»Papsttum; —»Investiturstreit) und mit den Anfängen der —»Scholastik sowie zum anderen die Spanne von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. J h . mit dem Scheitern und der Bestreitung einer politischen Geltung des päpstlichen Leitungsanspruchs (vgl. - » B o nifatius VIII.; —»Marsilius von Padua) und der Begründung des neuen —»Nominalismus der via moderna (vgl. -»Ockham/Ockhamismus), um jeweils nur zwei hervorstechende Merkmale zu nennen. 3.
Ausformungen
Die soziale und politische Ordnung des Mittelalters (vgl. —»Gesellschaft V) ist bestimmt von einer auf personalen Bindungen beruhenden, im Königtum gipfelnden Adelsherrschaft (-»Adel), die die breite Basis der Bevölkerung in verschiedene Formen herrschaftlicher Abhängigkeit („Unfreiheit", „Hörigkeit" [hörig = Gehorsam schuldig, der Begriff begegnet erst im Spätmittelalter]) verweist. Basiselement der Wirtschafts- und Sozialordnung ist die Grundherrschaft (vgl. —»Bauerntum I 3). Auch kirchliche Institutionen und Klöster beruhen wirtschaftlich auf der Ausübung grundherrschaftlicher Rechte, eine herrschaftliche Verflechtung, die gelegentlich auf monastische Kritik gestoßen ist (vgl. —»Zisterzienser; Bettelorden [—»Franziskaner]). Sie werden außerdem in bestimmtem Umfang auch in politische Herrschaftsfunktionen einbezogen (vgl. —»Investiturstreit; —»Fürstentümer, geistliche I). Eine verfassungsartige Ausformung findet die Adelsherrschaft im —»Lehnswesen. Die Adels- und die bäuerliche Unfreienschicht verfestigen sich im hohen Mittelalter zu Ständen, wobei ein breiter Kreis von Dienstmannen gehobener Funktion (Ministeriale) Eingang in den Adel findet (vgl. —»Rittertum). Zugleich bildet sich seit dem 11. J h . mit der Entwicklung der Stadt das städtische -»Bürgertum heraus, das als solches frei ist. Kirchlich-religiös begründet sind schließlich zwei für die Ordnung der mittelalterlichen Gesellschaft wesentliche, einander überschneidende Unterscheidungen, die zwischen Klerikern (—»Priester) und —»Laien und die zwischen Religiösen (—»Mönchtum) und Weltleuten. Die erste beruht auf der Überzeugung von einer durch die Priesterweihe vermittelten, unaufhebbaren sakramentalen Qualifikation und die zweite auf der Vorstellung eines Bestehens gestufter Stände christlicher Existenz in der Welt (vgl. -»Consilia evangelica). Die Religiösen finden ihre rechtliche und soziale Stellung durch die Zuordnung zu ihren jeweiligen Gemeinschaften. Der Klerus bildet unter Durchsetzung und Behauptung bestimmter Rechte (—»Privilegien, kirchliche), insbesondere der Freiheit von öffentlichen Lasten (—»Immunität) und der Unterstellung unter die Geistliche —»Gerichtsbarkeit, einen eigenen, in sich allerdings inhomogenen, die Schichtung der Gesamtgesellschaft und die Stufungen der Hierarchie widerspiegelnden sozialen Stand.
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Das schon vorchristlich sakral begründete -»Königtum erhält im Frühmittelalter eine christliche religiöse Legitimation, die im liturgischen Königsweiheritual mit sakramental verstandener —»Salbung anschaulich wird. Sie verleiht dem Königtum „theokratische" Züge und erscheint als Rechtfertigung einer geschichtlich gewachsenen, nicht mit der grundherrschaftlichen Eigenkirchenherrschaft (—>Eigenkirchenwesen) zu verwechselnden königlichen Kirchenherrschaft. Deren Ausübung gerät im 11. J h . in Konflikt mit einem ekklesiologisch begründeten kirchlichen Autonomiebewußtsein (->Investiturstreit). In der Folge dieser Auseinandersetzung beanspruchte das Königtum eine eigenständige gottunmittelbare Würde, doch im allgemeinen ohne Verzicht auf die kirchliche Herrscherweihe. Auf der Grundlage des christlich legitimierten Königtums kommt es zu einer mittelalterlichen Erneuerung des römischen Kaisertums (—»Karl d. Gr.; —»Otto d. Gr.). Es schließt in sich die Idee einer Universalherrschaft über die Christenheit, die jedoch nicht in politische Wirklichkeit umgesetzt wird. Die Kaiserwürde wird letztlich zu einer ideellen, mit dem Anspruch auf Schutzherrschaft über die römische Kirche verbundenen Überhöhung des deutschen Königtums und sieht sich dabei in Auseinandersetzungen mit zumindest mittelbar auch politischen Führungsansprüchen des Papsttums und der Behauptung einer Begründung der Kaiserwürde aus päpstlicher Verleihung verwickelt (—•Kaisertum und Papsttum). Unter dem Einfluß national-romantischer Vorstellungen von einem Volkstum (-•Volk) als konstanter Vorgabe geschichtlichen Lebens erscheint bereits bei K. A. von Hase und J. A. Möhler das kirchliche Mittelalter als eine germanisch bestimmte Periode. Diese Sicht hat sich bis weit ins 20. J h . durchgehalten, so z. B. bei dem Bonner Kirchenhistoriker Wilhelm Neuß (1880 — 1965) auf katholischer und bei dem Hamburger Kirchenhistoriker Kurt Dietrich Schmidt ( 1 8 9 6 - 1 9 6 4 ) auf evangelischer Seite. In der deutschen Kirchengeschichtsschreibung ist die Frage nach der dabei unterstellten Kontinuität zeitweilig auch unter dem Stichwort einer —»Germanisierung des Christentums erörtert worden. Methodisch kann jedoch nur nach einer anhaltenden Wirkung der vorchristlichen Kultur der neuen Trägerschaften auf das mittelalterliche Christentum gefragt werden. Dabei läßt sich begründet lediglich von einer funktionalen Kontinuität im Bereich religiöser Daseinssicherung und Weltbewältigung sprechen, insofern als die Kirche hier wie schon in der Antike mit ihrem Kult bereitwillig in Funktionen des vorchristlichen Sakralwesens eintritt, etwa mit der sakramentalen Legitimierung des Königtums oder im Bereich der gelebten Religion des Alltags mit ihren ->Benediktionen oder ihrer Heiligen- und Reliquienverehrung (-»Heilige/Heiligenverehrung V; ->Reliquien/Reliquienverehrung). Gegenüber der antiken Stadtkultur ist die mittelalterliche Gesellschaft agrarisch geprägt. Auch die fortbestehenden antiken Städte erleiden im Frühmittelalter einen Bedeutungsverlust. Die kirchliche Erfassung des Landes war zumal in den weiträumigen Bistümern der römischen Westprovinzen am Ende der Spätantike keineswegs abgeschlossen. Sie setzt sich im Frühmittelalter fort. Die zugleich einsetzende missionarische Erschließung neuer Räume erfolgt im wesentlichen als Begleitprozeß politischer Herrschaftsbildung, -ausweitung oder -Stabilisierung. Sie richtet sich auf ganze politische Verbände, gentes im Sinne von Heidenvölkern, mit dem Ziel einer möglichst raschen förmlichen Eingliederung aller Angehörigen der jeweiligen gens in die heilsanstaltliche Kirche. Deren im Zuge der Christianisierung aufgebautes Bistumsnetz ist und bleibt großräumig. Landeserschließung wie missionarisches Ausgreifen führen daher zur Fortbildung der spätantiken Ansätze eines jedoch ebenfalls lange noch grobmaschig bleibenden Niederkirchenwesens mit der Schaffung organisatorischer Infrastrukturen der Bistümer (-»Pfarrei) und im Frühmittelalter auch in Gestalt des zeitweise der Eingliederung in die Bistumsordnung sich entziehenden grundherrschaftlichen —>Eigenkirchenwesens. Nach einer regional unterschiedlichen Übergangsphase bildet sich so die das Mittelalter von der christlichen Antike unterscheidende, aber mit der frühen Neuzeit
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verbindende Situation einer insgesamt formell christianisierten Gesellschaft mit der Pfarrei als organisatorischem Grundbaustein heraus. Die vom karolingerzeitlichen Frankenreich ausgehende allgemeine Zehntpflicht (-»Abgaben, kirchliche 2) macht den Unterhalt des Kirchenwesens zumindest grundsätzlich zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe. Eine vielfach bedrohte Sonderstellung wird nur den Juden und in christlich zurückgewonnenen Gebieten (—»Sizilien; —»Spanien) zeitweilig auch Muslimen, nicht aber christlichen Abweichlern (vgl. -»Inquisition 2) zugestanden. Die Geschichte der Frömmigkeit und der religiösen Bewegungen des Mittelalters läßt sich unter diesen Voraussetzungen nicht zuletzt auch als ein kontinuierlicher Prozeß der Aneignung und Verinnerlichung und damit der Ausfüllung des durch die formale äußerliche Christianisierung gesetzten Ausgangsrahmens verstehen. Das gilt zumal dort, wo die Frömmigkeitsbewegung über die Grenzen einer geistlichen und klösterlichen Elitekultur hinausgreift und breitere gesellschaftliche Gruppen erfaßt wie etwa in der Breitenresonanz des Reformpapsttums (vgl. —»Pataria), der Kreuzzugsbewegung (vgl. —»Kreuzzüge), der hochmittelalterlichen Vita-evangelica- und Armutsbewegung (vgl. -»Katharer; —»Waldenser; —»Humiliaten; —»Tertiarier) oder der religiösen Frauenbewegung des Hoch- und Spätmittelalters (vgl. -»Beginen). Auf der anderen Seite begünstigt die Betonung des heilsanstaltlichen Charakters der durch die Hierarchie dargestellten Kirche deren durchgängige Ausgestaltung als Rechtsgebilde unter weitgehender Verrechtlichung der kirchlichen Lebensbezüge (vgl. —»Recht, kanonisches). Die Kultur des Mittelalters ist von religiöser Welterfahrung und religiösem Weltverhalten geprägt. Eine beherrschende Rolle spielt dabei die Frage nach dem jenseitigen Heil oder Unheil (—»Eschatologie VI). Bereits in der Missionsverkündigung sind Himmelslohn und Höllenstrafe leitende Motive. Diese Einstellung findet unter anderem Ausdruck in kennzeichnenden breitenwirksamen Zügen der abendländischen Kirche wie der Ausgestaltung der Lehre vom —»Fegfeuer und der Ausbildung des Ablaßwesens (—»Ablaß). Als Motiv für religiöse Stiftungen und Zuwendungen an kirchliche Einrichtungen, für das Spenden von Almosen mit seinen Wechselwirkungen auf Bettelwesen und -»Armenfürsorge oder für die Bildung von -»Bruderschaften wirkt die Sorge um das Seelenheil tief in die Gestaltung des sozialen Lebens hinein. Ihre Alleinwahrnehmung des öffentlichen Gottesdienstes und das ihre katechetische, homiletische und seelsorgerliche Tätigkeit leitende Bemühen um Durchsetzung eines bereits traditionell vorgegebenen Wert- und Normsystems sichern der lateinischen Kirche von vornherein eine kulturell integrative und vereinheitlichende Wirkung. Zudem ist sie zunächst auch noch ausschließliche Trägerin der Schriftkultur und des schriftkulturellen Bildungswesens (vgl. -»Bildung IV). Erst im Hochmittelalter findet eine höfischadelige Laienkultur (vgl. -»Rittertum) in räumlich unterschiedlicher Ausformung zu volkssprachlichem schriftkulturellem Ausdruck. Seit dem Hochmittelalter beginnt zudem auch aus dem städtischen Bürgertum eine neue Trägerschaft literater Laienbildung heranzuwachsen, und die Pflege bestimmter Teilbereiche schriftkultureller Bildung (weltliches Recht, Medizin; vgl. -»Universität) beginnt sich zu verselbständigen. Doch bis ins späte Mittelalter bleibt der Mönch und Geistliche der eigentliche Typus des Schriftkundigen, so daß clericus die zusätzliche Bedeutung von Schreiber erhalten kann (vgl. französisch clerc, englisch clerk). Das Lateinische ist ebenso verpflichtende Sprache des Gottesdienstes (-»Kirchensprache 3) wie verbindende Kultur- und Bildungssprache, die den Bedürfnissen des praktischen Gebrauchs und der geistigen Auseinandersetzung entsprechend fortgebildet wird. Es ermöglicht eine weiträumige, Sprachgrenzen überschreitende Kommunikation und ist zugleich das Medium einer breiten, nicht nur auf christlich-kirchliches Gut beschränkten, die mittelalterliche Geisteskultur wesentlich prägenden Kontinuität zur Antike (vgl. -»Antike und Christentum 3; -»Artes liberales, die nur einen Teil des Kontinuitätsstroms umfassen). Neben der Pflege einer spezifisch monastischen Theologie des Durchdenkens und der reflektierten Bewußtmachung meditativer Anbetung und geistlicher Erfahrung (vgl.
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- • M y s t i k ) und nicht ohne Bezug zu ihr entwickelt diese mittelalterliche kirchliche Kultur in der —> Scholastik einen kennzeichnenden eigenen Stil theologischer Arbeit. Als denkerische Selbstvergewisserung kirchlichen Glaubens ist auch sie in christlicher Frömmigkeit verwurzelt. Sie unternimmt eine methodische Durchdringung der überkommenen, in wesentlichem U m f a n g von -»Augustinus geprägten theologischen Tradition und entwickelt sie unter Rückgriff auf antike Philosophie (vgl. -» Aristoteles/Aristotelismus V 1) diskursiv in spekulativen Systementwürfen weiter. Dabei bahnt sie auf dem Hintergrund einer Reflexion erkenntnistheoretischer und ontologischer Grundsatzfragen (vgl. —»Universalienstreit) letztendlich auch der Entbindung einer a u t o n o m e n wissenschaftlichen Welterkenntnis den Weg (vgl. —»Ockham/Ockhamismus). Die geistige wie die materielle Kultur des Mittelalters wird in erheblichem M a ß vom —»Mönchtum geformt. Das von unterschiedlichen monastischen Überlieferungen bestimmte westliche M ö n c h t u m der Übergangszeit findet im Frühmittelalter eine gemeinsame Ausrichtung an der -»Benediktusregel. Eine bedeutende Rolle spielt zudem auch der auf -» Augustinus zurückgehende Zusammenschluß von Geistlichen zu monastischer Gemeinschaft (Chorherren, Kanoniker; vgl. —»Augustinusregel; —•Augustinerchorherren; —»Prämonstratenser). Die Geschichte des mittelalterlichen M ö n c h t u m s wird von einer Reihe von Reform- und Erneuerungsbewegungen begleitet. Sie bringen eine breite Ausdifferenzierung monastischer Lebens- und Gemeinschaftsformen mit sich und entwickeln in den -»Ritterorden und dem Bettelmönchtum (vgl. -»Franziskaner; -»Dominikaner; —> Augustinereremiten) auch neue Typen monastischer Gemeinschaften. Seit dem Hochmittelalter entsteht zudem eine Reihe von zwar nicht durch förmliche Gelübde gebundenen, aber monastischen Leitbildern verpflichteten geistlichen Laiengemeinschaften (vgl. —»Beginen; —»Humiliaten; —>Tertiarier). Kennzeichnend wird außerdem eine überörtliche Verbandsbildung (vgl. -»Cluny) zur Sicherung der Unabhängigkeit und Selbstregulation monastischen Lebens. In ihrer Folge organisiert sich das abendländische M ö n c h t u m seit dem Hochmittelalter (vgl. -»Zisterzienser) in einer seiner Differenziertheit entsprechenden Fülle von —»Orden außerhalb der diözesanen Ordnungsstruktur. Der Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter führt auch im kirchlichen Bereich zu einer Partikularisierung. Es bildet sich ein Nebeneinander geschlossener partikularkirchlicher Funktionseinheiten heraus, die je ihre eigenen liturgischen und kirchenrechtlichen Traditionen fortentwickeln. Mit einer wenig glücklichen Rückprojektion eines neuzeitlichen Begriffs sind sie gelegentlich auch als frühmittelalterliche Landeskirchen bezeichnet worden. Ihre Reichweite wird durch neue politische Herrschaftsbildungen (Reiche der Westgoten, Franken, Langobarden) bestimmt. Ihr Z u s a m m e n schluß innerhalb des römisch-reichskirchlichen Verbandes hat sich gelöst, zumal auch das kirchliche R o m seine in dessen R a h m e n aufgebaute spätantike Stellung allenfalls begrenzt aufrecht erhalten kann, oder sie haben als Neubildungen (—»Irland; angelsächsische Königreiche) diesem Verband nie angehört. Die Auseinandersetzung insular-keltischer und kontinental-römischer Traditionen im Zuge der Christianisierung —»Englands leitet jedoch eine neue Entwicklung ein. Sie führt zur Ausbildung des Modells einer romorientierten Partikularkirche, die auf eine Ausrichtung ihres liturgischen und kirchenrechtlichen Lebens an römischen Traditionsnormen bedacht ist. Von —»Bonifatius auf den Kontinent getragen, wird dieses Modell auch in der karolingischen Kirchenreform wirksam (vgl. -»Gottesdienst V3.2.1; —»Kirchenrechtsquellen 14). Mit dem Reformpapsttum (-»Papsttum) kann das päpstliche R o m schließlich als Vorkämpfer eigenständiger hierarchischer Selbstregulierung der kirchlichen O r d n u n g (libertas ecclesiae) auch eine aktive kirchliche Führungsrolle übernehmen, die seinen traditionellen Geltungsanspruch wirksam werden läßt (vgl. -»Gregor VII.; —»Investiturstreit; -»Innozenz III). Sie findet Ausdruck im Ausbau des päpstlichen -»Gesandtschaftswesens und der römischen —»Kurie und in den päpstlichen Synoden des Hochmittelalters (—»Lateransynoden I) und wird im klassischen Kirchenrecht (vgl. -»Kirchenrechtsquellen I 6—11) fixiert. Die von R o m schon früh beanspruchte, innerhalb des alten reichskirchlichen
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Mittelalter
R a h m e n s nicht durchgesetzte universalkirchliche Vorrangstellung k o m m t damit innerhalb der begrenzten Universalität der lateinisch-abendländischen Kirche zum Tragen. Als partikularkirchliche Institution mit universalkirchlichem Anspruch erwächst das Papsttum der kirchengeschichtlichen Entwicklungsdynamik des Mittelalters.
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Mizpa
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-»-Mexiko
Mizpa (Literatur S. 124) M i z p a ist ein alttestamentliches T o p o n y m , dessen Wurzel spj „ ( ü b e r ) w a c h e n , Ausschau halten, a u f l a u e r n " bedeutet und auf eine e r h ö h t e L a g e des O r t e s hinweist. Seine strategische Bedeutung zeigt die N a m e n s f o r m , die bis auf H o s 5,1 i m m e r mit d e m Artikel gebildet ist und die Varianten M i z p a / M i z p e als Appellative („der S p ä h o r t " ) kennzeichnet. G l e i c h n a m i g e O r t e lagen im west- und ostjordanischen Bergland. Es ist allerdings nicht gesichert, w o sie im einzelnen heute zu suchen sind. Unbekannt ist die Lage des nur einmal erwähnten Mizpe in Moab, wo —»David seine Eltern dem Schutz des moabitischen Königs unterstellte (I Sam 22,3f). Im Grenzgebiet zwischen Israel, Phönizien und Aram, am Fuß des Hermon, muß „das Land Mizpa" (Jos 11,3) bzw. „die Niederung von Mizpe" (Jos 11,8) sein. Für das Westjordanland liegt ein vereinzelter Hinweis auf ein Mizpe (Jos 15,38) vor, das in einer judäischen Ortsliste bezeugt ist und in der Schefela, vermutlich in der Nähe von -»Lachisch, zu suchen ist. Ohne überzeugende Argumente wird der in dem Prophetenspruch Hos 5 , 1 - 7 genannte Ort Mizpa entweder auf Gilead oder Benjamin bezogen. Da in V . l f im Anschluß an Mizpa der westjordanische Berg Tabor und das ostjordanische Schittim (evtl. Teil el-Hammäm am östlichen Rand des Jordangrabens auf der Höhe von -> Jericho) folgen, ist eine geographische Reihe oder Gliederung nicht feststellbar. Z w e i S c h w e r p u n k t e sind h e r v o r z u h e b e n , wenn O r t e mit d e m N a m e n M i z p a e r w ä h n t w e r d e n . Einer liegt in Gilead, der a n d e r e in Benjamin. 1. In der Überlieferung von J e p h t a (Jdc 1 0 , 6 - 1 2 , 6 ) , der ephraimitische Sippen in Gilead von Übergriffen der A m m o n i t e r befreit, wird wiederholt ein entsprechender O r t g e n a n n t , an d e m sich „ I s r a e l " z u m K a m p f gegen die A m m o n i t e r s a m m e l t ( J d c 1 0 , 1 7 ) und J e p h t a seine Anliegen „ v o r J a h w e " trägt (Jdc 1 1 , 1 1 ) . F ü r eine frühe Datierung k ö n n e n S t r u k t u r a n a l o g i e n der J e p h t a - G e s c h i c h t e mit der J a k o b - L a b a n - E r z ä h l u n g von Gen 31 sprechen ( O t t o s s o n 149ff), bei der in einer überlieferungsgeschichtlich g e w a c h senen Vertragsszene ( 3 1 , 4 5 - 5 4 ) zwischen A r a m ( L a b a n ) und Israel ( J a k o b ) in v o r s t a a t licher b z w . frühstaatlicher Zeit ein kultätiologischer Hinweis auf das Heiligtum von M i z p a (vgl. J d c 1 1 , 1 1 ) z u s a m m e n mit einer O r t s n a m e n e r k l ä r u n g A u f n a h m e fand (E. Blum, Die K o m p o s i t i o n der V ä t e r g e s c h i c h t e , 1 9 8 4 ,
132-140.194-200).
Es gibt zahlreiche Lokalisierungsversuche, die in der Regel von der unsicheren These ausgehen, das Gilead von Gen 31 sei auf die Ard el-'Arde südlich des Jabbok zu beschränken. Erwogen wurde eine Gleichung von Mizpa (und des in Jos 13,26 erwähnten Ortes Ramoth Mizpe) mit Hirbet Gel'ad (Abel 390, Aharoni 280) bzw. mit der nur 2 km davon entfernt auf einem Bergvorsprung gelegenen Ruinenstätte el-Misrefe (Noth 510) oder mit einer nordwestlich von Hirbet Gel'ad isoliert liegenden Kuppe, die den Namen Hirbet Resüni trägt (Noth 363 f), 25 km nordwestlich von Amman. Wenn sich aber das Gilead von Gen 31 auch in das Gebiet nördlich des Jabbok erstreckt, muß dieser Bereich für eine Lokalisierung ebenfalls berücksichtigt werden (so N. Glueck, AASOR 2 5 - 2 8 , 1951, lOOff: Teil Ramit, 16 km ostsüdöstlich von Irbid).
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Mizpa
2. Auf d a s W e s t j o r d a n l a n d f ü h r t eine R e i h e v o n T e x t e n , die M i z p a als b e n j a m i n i tische Stadt k e n n e n , a u s d r ü c k l i c h J o s 18,26 i n n e r h a l b einer s c h w e r d a t i e r b a r e n O r t s l i s t e des S t a m m e s B e n j a m i n (Jos 18,21—28; d a z u A h a r o n i 3 5 9 - 3 7 1 ) . P r ä g n a n t e historische Z u s a m m e n h ä n g e spiegelt I R e g 15,22 w i d e r : Als d e r N o r d r e i c h k ö n i g Baesa (906—886) seine T r u p p e n aus d e m G r e n z o r t R a m a ( e r - R ä m ) z u r ü c k ziehen m u ß t e , ü b e r n a h m d e r S ü d r e i c h k ö n i g Asa (911—871) die B a u m a t e r i a l i e n d e r n o c h nicht vollendeten F e s t u n g R a m a u n d e r r i c h t e t e d a m i t seinerseits zwei G r e n z f e s t u n g e n , G e b a (Geba') u n d M i z p a . D e r O r t w i r d s p ä t e r w i e d e r e r w ä h n t , als die Babylonier n a c h d e r Z e r s t ö r u n g J e r u salems d e n J u d ä e r G e d a l j a h u ben A c h i k a m m i t d e r V e r w a l t u n g des L a n d e s b e a u f t r a g t e n u n d er seinen Sitz in M i z p a n a h m (II R e g 2 5 , 2 2 - 2 6 ; Jer 4 0 , 7 - 4 3 , 7 ) . H i e r soll sich a u c h der P r o p h e t J e r e m i a a u f g e h a l t e n h a b e n (Jer 40,6), b e v o r er gegen seinen Willen n a c h Ägypten zog ( 4 3 , 1 - 7 ) . In d e n Einzelheiten u n k l a r , w i r d schließlich e r z ä h l t , wie ein gewisser Ismael ben N e t h a n j a mit seinem G e f o l g e d e n G e d a l j a h u in M i z p a erschlug u n d auf d e m Weg n a c h A m m o n 80 Pilger a u s d e m e h e m a l i g e n N o r d r e i c h u n t e r e i n e m V o r w a n d nach M i z p a f ü h r t e u n d d a n n e b e n f a l l s t ö t e t e (Jer 4 1 , 1 - 1 0 , vgl. II R e g 25,23-26). Die B e d e u t u n g M i z p a s in d e r Königszeit, v o r allem a b e r a m A n f a n g d e r Exilszeit, w i r d d e u t e r o n o m i s t i s c h e Kreise b e w o g e n h a b e n , jenen O r t s c h o n bei d e m „ R i c h t e r " Samuel eine h e r a u s g e h o b e n e Rolle spielen zu lassen (I Sam 7 , 2 - 1 7 , vgl. dagegen R a m a als W i r k u n g s o r t S a m u e l s I Sam 7,17; 8,4), in A n a l o g i e z u m o s t j o r d a n i s c h e n M i z p a als K u l t z e n t r u m u n d m i l i t ä r i s c h e m S a m m e l p l a t z . Samuel r u f t d a s Volk n a c h M i z p a u n d m a c h t d o r t d u r c h L o s e n t s c h e i d Saul z u m König (I S a m 1 0 , 1 7 - 2 7 , vgl. d a g e g e n I Sam 11,15; ->Gilgal). Ein altes a m p h i k t y o n i s c h e s H e i l i g t u m läßt sich jedenfalls mit d e r Textü b e r l i e f e r u n g nicht b e g r ü n d e n (anders H e r t z b e r g ) . Auch die literarkritisch k o m p l i z i e r t e n T e x t e in J d c 20; 21, n a c h d e n e n sich die „ G e m e i n d e " Israel vor J a h w e in M i z p a zu einer g e m e i n s a m e n A k t i o n w e g e n eines Verbrechens d e r M ä n n e r v o n G i b e a (Teil el-Fül) v e r s a m m e l t (Jdc 20,1.3; 21,1.5.8, vgl. d a g e g e n - • B e t h e l in J d c 20,18.26ff; 21,2), sind im Blick auf die M i z p a - V e r w e i s e erst d a s E r g e b n i s d e u t e r o n o m i s t i s c h e r R e d a k t i o n (Schunck 59f.81). O b allerdings die B e t o n u n g M i z p a s a u c h d a m i t zu e r k l ä r e n ist, d a ß d e u t e r o n o m i s t i s c h e A r b e i t d o r t ihren O r t h a t t e (vgl. S c h u n c k 60), sei als a n s p r e c h e n d e V e r m u t u n g dahingestellt. Eine Art B e z i r k s z e n t r u m w u r d e d e r O r t n a c h d e m Exil ( N e h 3,15.19, vgl. 3,7). Dies geht aus einer Liste d e r a m M a u e r b a u N e h e m i a s in J e r u s a l e m Beteiligten h e r v o r ( N e h 3 , 1 - 3 2 ) . D a s V e r s t ä n d n i s einer kultisch u n d militärisch b e d e u t s a m e n Stätte w i r d schließlich n o c h e i n m a l in I M a k k 3,46 a k t u a l i s i e r t : J u d a s M a k k a b ä u s v e r s a m m e l t v o r einer Schlacht gegen die Seleukiden die J u d e n in M i z p a als e i n e m alten G e b e t s o r t Israels zu einem Büß- u n d Bittgottesdienst. N a c h einer langen u n d breiten D i s k u s s i o n u m die I d e n t i f i k a t i o n s f r a g e w i r d h e u t e b e v o r z u g t eine G l e i c h s e t z u n g v o n M i z p a mit d e m Teil en-Nasbe vertreten, der etwa 13 k m n ö r d l i c h v o n J e r u s a l e m liegt. Der Teil en-Nasbe war nicht der erste und blieb nicht der einzige Kandidat (vgl. Muilenburg: Teil en-Nasbeh I, 36-43). Nach tastenden Versuchen votierten als erste Alt (PJ 6,46.62) und Baumann auf breiterer Grundlage für jenen Teil. Alt erwog daneben auch el-BTre (2 km nördlich von Teil en-Nasbe) und nahm diese Überlegung später wieder auf (PJ 22,40—43) bzw. modifizierte sie, indem er das Mizpa von Jos 18,26 in en-Nebt Samwtl ansetzte (PJ 22,25 f) und dort schließlich später auch das Mizpa/Mizpe des Richter- und ersten Samuelbuches suchte, auf dem Teil en-Nasbe dagegen den Ort von I Reg 15,22 (ZDPV 69,1-27). Als ursprünglichen Namen des wegen seiner Eigenschaft als Festungsstadt umbenannten Ortes vermutete Alt Ataroth(-Addar), den auch andere mit Teil en-Nasbe verknüpften (vgl. Muilenburg: Teil en-Nasbeh 1,38 f), während Alt selbst auch noch an Gibeon dachte (PJ 22,11-22, vgl. dagegen ZDPV 69,1-27). Beschriftete Funde vom Teil en-Nasbe sind entgegen früheren Vermutungen nicht beweiskräftig: Eine auf perserzeitlichen Henkeln mit Stempelabdrücken stehende Legende, die mit dem benjaminitischen Ort Moza (Jos 18,26) zusammenhängen wird, ist msh/mwsh zu lesen und nicht msp oder ms(p)h als Kurzform für Mizpa (Avigad, anders Diringer 339).
Mizpa
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Stadtplan von Teil el-Nashe ( = M i z p a ? ) . Aus: Helga Weippert, Palästina in vorhellenistischer Zeit. C . H . Beck'sche Verlagsbuchhandlung, M ü n c h e n 1988
Für den Teil en-Nasbe als das benjaminitische Mizpa sprechen vor allem: seine mit dem literarischen Befund übereinstimmende, verkehrsgeographisch wichtige Lage an der alten, durch das enge Wädi Gilyän verlaufenden Verbindungsstraße zwischen -»Sichern und —»Jerusalem; daneben der archäologische Nachweis einer in der Königszeit 5 stark befestigten Stadt, und vielleicht auch die arabische Ortsbezeichnung, deren Kompatibilität mit der hebräischen Namensform möglich ist (Muilenburg: Teil en-Nasbeh 1,43f; Aharoni 122.125f). Eine endgültige Bestätigung der Identifikation fehlt bisher.
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Die von W i l l i a m Frederic Bade geleiteten Ausgrabungen wurden mit Unterbrechungen zwischen 1926 und 1935 durchgeführt. Sie ergaben, daß mit einer lockeren Besiedlung vom C h a l k o l i t h i k u m bis zur mittleren Bronzezeit gerechnet werden k a n n . Baureste wurden erst aus der Eisenzeit gefunden, in der der O r t etwa vom 11. bis zum 4. J h . v . C h r . kontinuierlich bewohnt war. O b w o h l fast der gesamte Teil ausgegraben wurde, ist eine G e s c h i c h t e der Stadtarchitektur nur in Umrissen erkennbar, weil unsichere stratigraphische Ergebnisse mehr nicht ermöglichen. Nachträglich wer-
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Moab und Israel
den vier Phasen a n g e n o m m e n , von denen die stark befestigte Stadt des 9 . / 8 . J h . besondere Aufmerksamkeit beansprucht ( M c C l e l l a n , Fritz 8 2 - 8 4 ) .
Die 3 ha große, bei dem Bau der Häuser keine soziale Differenzierung aufweisende Stadt hatte aufgrund der Geländeformation einen ovalen Grundriß. Umgeben war sie zunächst von einer durchschnittlich 2 m breiten und später von einer nach außen versetzten, im Durchschnitt 4 m dicken Mauer mit rechteckigen Türmen. Wegen des nach Norden ausgerichteten Tores ist damit zu rechnen, daß die Stadt erst zum Nordreich gehörte, bevor Asa sie zum Südreich schlug (Alt: ZDPV 69,4 f). Auf die Verbindung der Stadt zum Süden deuten die zahlreichen Königs-Stempel hin (P. Welten, Die KönigsStempel, 1969, 5 7 - 5 9 ) , die bisher nur für Städte des Südreichs bezeugt sind. Als Wohnhäuser wurden die für die Eisenzeit typischen Dreiraum- und Vierraumhäuser nachgewiesen, von denen drei Vierraumhäuser, die besonders großzügig und sorgfältig errichtet wurden, wegen ihrer Lage an der Stadtmauer möglicherweise militärische Funktionen hatten (Branigan). Ein Tempel wurde nicht gefunden. Nicht erkennbar ist eine Zerstörung der Stadt durch die Babylonier. Vielleicht wurde deshalb der Amtssitz des Gedaljahu dorthin verlegt. Die Stadtmauer ist zwar einmal geschleift worden, aber es ist unklar, wann das geschah (McCown 202f). Kulturgeschichtlich bemerkenswert ist ein Siegel des Ministers Jaazanjahu (Ij'znjhw 'bd hmlk-, vgl. II Reg 25,23; Jer 40,8), auf dem ein schreitender Hahn abgebildet ist (ebd., Plate 57,4.5) und das als früher Beleg für eine Hühnerhaltung im alten Israel gelten kann. IJteratur Félix M a r i e Abel, Géographie de la Palestine, Paris, II 3 1 9 6 7 . — Yohanan Aharoni, D a s Land der Bibel. Eine hist. G e o g r a p h i e , Neukirchen-Vluyn 1984. — William Foxwell Albright, T h e Site of M i z p a h in B e n j a m i n : J P O S 3 (1923) 1 1 0 - 1 2 1 . - Albrecht Alt, M i z p a in B e n j a m i n : P J 6 (1910) 46—62. — Ders., Neue Erwägungen über die Lage v. M i z p a , Ataroth, Beeroth u. G i b e o n : Z D P V 69 (1953) 1 - 2 7 . - N a h m a n Avigad, New Light on the M S H Seal Impression: I E J 8 (1958) 1 1 3 - 1 1 9 . - Eberhardt B a u m a n n , Die Lage v. M i z p a in B e n j a m i n : Z D P V 34 (1911) 1 1 9 - 1 3 7 . - Keith Branigan, T h e F o u r - R o o m Buildings o f Tell e n - N a s b e h : IEJ 16 (1966) 2 0 6 - 2 0 8 . - M a g e n Broshi, Art. N a s b e h , Tell en-: Encyclopedia of Archaeological E x c a v a t i o n s in the Holy Land 3, O x f o r d / J e r u s a l e m 1977, 912—918. - David Diringer, M i z p a h : Archaeology and O T Study. J u b i l e e Vol. of the Soc. for O T Study 1 9 1 7 - 1 9 6 7 , O x f o r d 1967, 3 2 9 - 3 4 2 . - Volkmar Fritz, Die Stadt im alten Israel, M ü n c h e n 1 9 9 0 . - H a n s Wilhelm Hertzberg, M i z p a : Z A W 47, N F 6 (1929) 1 6 1 - 1 9 7 . - T h o m a s L. M c C l e l l a n , T o w n Planning at Tell e n - N a s b e h : Z D P V 100 (1984) 5 3 - 6 9 . - Chester Charlton M c C o w n , Tell en-Nasbeh. E x c a v a t e d under the Direction of the L a t e William Frederic Badè, I, Archaeological and Historical Results. W i t h C o n t r i b u t i o n s by J a m e s M u i l e n b u r g , J o s e p h C a r s o n Wampler, Dietrich v. B o t h m e r and M a r g a r e t Harrison, B e r k e l e y / N e w Haven 1947. - J a m e s M u i l e n b u r g , M i z p a h of B e n j a m i n : S t T h 8 (1954) 2 5 - 4 2 . - M a r t i n N o t h , Das Land Gilead als Siedlungsgebiet israelit. Sippen: P J 37 (1941) 5 0 - 1 0 1 = Aufs, zur bibl. Landes- u. Altertumskunde, Neukirchen-Vluyn, I 1971, 3 4 7 - 3 9 0 . - Ders., Gilead u. G a d : Z D P V 7 5 (1959) 1 4 - 7 3 = ebd. 4 8 9 - 5 4 3 . - M a g n u s O t t o s s o n , Gilead, 1969 ( C B . O T 3). - Klaus-Dietrich S c h u n c k , B e n j a m i n , 1963 ( B Z A W 86). - J o s e p h Carson Wampler, Tell e n - N a s b e h . E x c a v a t e d under the Direction o f the L a t e William Frederic Badè, II, T h e Pottery. With a C h a p t e r by Chester Charlton M c C o w n , B e r k e l e y / N e w Haven 1947. - Helga Weippert, Art. M i z p a : B R L E n - N a s b e h : BA 10 (1947) 6 9 - 7 7 .
2
1 9 7 7 ( H A T 1,1), 2 2 7 - 2 2 8 . - G e o r g e Ernest Wright, Tell
Rüdiger Liwak Mizrachi —»Zionismus Moab und Israel 1. N a m e und Siedlungsgebiet der M o a b i t e r 2. Ursprünge, Ansiedlung und Staatenbildung der M o a b i t e r 3. M o a b im 1. J t . v. Chr. 3.1. M o a b unter israelitischer Herrschaft 3.2. Zeiten der Selbständigkeit M o a b s 3 . 3 . Seit der Assyrerzeit: N e u e Abhängigkeiten und Niedergang 4. Z u r Religion der M o a b i t e r 5. Archäologische Untersuchungen (Literatur S. 128)
125
M o a b und Israel 1. Name
und Siedlungsgebiet
der
Moabiter
Die Moabiter waren neben den Ammonitern (—»Amnion und Israel) und Edomitern (—>Edom und Israel) eines der Nachbarvölker Israels im Ostjordanland. Ihr zentrales Siedlungsgebiet lag östlich des Toten Meeres (Moab bzw. die Moabitis; heute nach dem Hauptort el-Kerak genannt). Die Herkunft des Namens „ M o a b " ist unbekannt. G e n 1 9 , 3 2 . 3 7 erklärt „ M o a b " volksetymologisch aus me'äbi („vom eigenen Vater e m p f a n g e n " , vgl. den N a m e n bxn-'ammi = „ S o h n meines V e r w a n d t e n " für die A m m o n i t e r , V.38). Die humorvolle ätiologische Erklärung entstand in der Absicht, einerseits die entfernte Verwandtschaft der Israeliten mit den M o a b i t e r n und den A m m o n i t e r n ( „ S ö h n e L o t s " ) festzuhalten, andererseits eine Distanz zu diesen Völkern zu bewahren. Außerbiblisch bezeugen den N a m e n M o a b erstmals ägyptische T e x t e aus der Z e i t R a m s e s I I . (soweit m-i-b in Listen des Tempels von L u x o r mit M o a b gleichzusetzen ist, vgl. J . S i m o n s , H a n d b o o k for the Study o f Egyptian T o p o g r a p h i c a l Lists, 1937, X X I I d 10), später auch assyrische Quellen ( m ä ' a b a , maabi bzw. mü'aba) und die moabitischen Inschriften. D a s Siedlungsgebiet M o a b s lag zwischen dem Toten M e e r im Westen, dem Bach Zered (Wädf e l - H a s ä , Sei el Qerähi) im Süden und dem Arnon (Wädi~ e l - M ö g i b , Sei el M ö g i b ) im Norden. Z e i t w e i s e beherrschten die M o a b i t e r auch das nördlich anschließende Gebiet ( H o c h e b e n e M I s ö r , vgl. Dtn 3 , 1 0 ; 4,43 u . ö . ) ; nach J d c 3 , 1 3 - 3 0 hatten sie sogar eine Zeitlang das Gebiet um J e r i c h o unter ihre O b e r h o h e i t gebracht. Die östliche Grenze M o a b s bildet das allmählich in die W ü s t e M o a b (vgl. Dtn 2,8) übergehende Tafelland.
2. Ursprünge,
Ansiedlung
und Staatenbildung
der
Moabiter
Bei den Moabitern handelt es sich wie bei den israelitischen Stämmen ursprünglich um Nomadengruppen, die am Ende der Spätbronzezeit, von der arabisch-syrischen Wüste herkommend, sich des Kulturlandes zu bemächtigen suchten und schließlich seßhaft geworden sind. Nach der biblischen Darstellung war das Gebiet M o a b ursprünglich von den „ E m i t e r n " besiedelt (vgl. Gen 14,5; Dtn 2,10f). Bei den „ E m i t e r n " handelt es sich um ein sagenhaftes Volk, über das keine sonstigen historischen N a c h r i c h t e n vorliegen (vgl. A . A l t , K S I , 203—215, der in den Emitern eine vormoabitische Herrenschicht des 13. J h . s sah, worin ihm jedoch M . N o t h , Abhandlungen zur biblischen Landes- und Altertumskunde, 1,445 widersprach). Nach M . N o t h ( a . a . O . ) liegt eine „uns dunkle Bedeutung der volkstümlichen Vorstellungswelt und E r z ä h l u n g s k u n s t " vor.
Zwischen den Moabitern, die nicht lange nach 1200 v. Chr. zur Staatenbildung gelangt sind (vgl. die Rede vom „ K ö n i g " Eglon, Jdc 3,12—30), und den sich vermutlich gleichzeitig oder wenig später niederlassenden israelitischen Stämmen Gad und Rüben kam es bald zu Auseinandersetzungen um das Gebiet nördlich des Arnon, da M o a b s Grenzen nur nach Norden lohnende Expansionsmöglichkeiten eröffneten. Hier war die Hochebene MIsör besonders wegen ihrer Fruchtbarkeit begehrt: Noch zu Zeiten der Römer war sie eine orientalische Kornkammer des Imperiums. Die biblischen Berichte über die frühen Auseinandersetzungen zwischen M o a b und Israel geben jedoch kein klares Bild. Bereits die Stammessprüche Gen 4 9 , 1 9 und Dtn 3 3 , 2 0 f (über Gad) und Dtn 3 3 , 6 (über R ü b e n ) zeigen jedoch eine von Anfang an bestehende Situation der Bedrängnis und kriegerischer H a n d lungen, an denen die M o a b i t e r aller Wahrscheinlichkeit nach nicht unbeteiligt waren. N a c h J o s 1 3 , 8 - 2 3 hatte J o s u a das G e b i e t bis zum Arnon im Süden und bis zu einer Linie H e s b o n - M a d e b a - D i b o n - A r o e r im Osten den Stämmen R ü b e n und G a d zugeteilt. Hauptstadt der gaditischen S t ä m m e wurde D i b o n ( D i b ä n ) , der rubenitischen S t ä m m e H e s b o n (Hesbän). Es ist jedoch unklar, welchen historischen Stand die Liste in J o s 13 wiedergibt oder o b hier Idealvorstellungen festgeschrieben wurden. Auch die Erzählung von - > B i l e a m (Num 2 2 - 2 4 mit E r w ä h n u n g eines m o a b i tischen Königs Balak) hat eine ihrer Wurzeln in frühen Auseinandersetzungen zwischen Israeliten und M o a b i t e r n , wenngleich die Bileamsprüche N u m 24,3 b—9.15—19 erst aus den Verhältnissen unter David verständlich werden. Unklar in der Datierung sind schließlich auch die Kampfhandlungen, die der anekdotenhaften Ehud-Erzählung in J d c 3 , 1 2 - 3 0 zugrunde liegen. D e m n a c h war es den M o a b i t e r n gelungen, sich in der Gegend von J e r i c h o festzusetzen. Benjaminiten und ein Teil der Ephraimiten waren tributpflichtig geworden, bis dem Benjaminiten Ehud die E r m o r d u n g
126
Moab und Israel
des moabitischen „ K ö n i g s " (oder seines Beauftragten?) Eglon gelang. Historisch markiert auch diese Erzählung den für einige israelitische Stämme zeitweise höchst bedrohlichen Expansionsdrang Moabs.
3. Moab
im l.Jt.
v.Chr.
3.1. Moab unter israelitischer Herrschaft. Nach I Sam 14,47 kam es zu Zeiten Sauls zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit M o a b (zur Historizität der Angabe vgl. H. J . Stoebe: K A T 8 , 1 , 2 7 5 - 2 7 8 ) . David soll auf der Flucht vor Saul Gastfreundschaft beim König von M o a b erhalten haben (I Sam 22,3 f). Allerdings griff er nach Konsolidierung seiner Herrschaft über Juda und Israel auch die Moabiter an, annektierte das Gebiet bis zum Arnon (II Sam 24,5), ließ zwei Drittel des moabitischen Heeres abschlachten und machte M o a b zum tributpflichtigen Vasall seines Großreiches (II Sam 8,2). Das Königtum M o a b blieb jedoch im Gegensatz zu demjenigen Ammons erhalten. Mit der Annexion der Gebiete des Ostjordanlandes brachte David die große Handelsstraße („Königsstraße") zwischen dem Roten Meer und Mesopotamien unter seine Kontrolle. Umstritten ist die Deutung der nach dem Buch R u t h vorauszusetzenden Tradition von Davids teilweiser A b s t a m m u n g aus einer moabitischen Familie. Nach G . G e r l e m a n ( B K . A T 18,8 f) war der G r u n d für die Abfassung des Buches Ruth „kein anderer . . . als eine alte Tradition von Davids H e r k u n f t " , die „sehr bald als eine schwere Belastung empfunden w o r d e n " ist. D o c h wird andererseits in der neueren Forschung zumeist darauf hingewiesen, daß die Verknüpfung der R u t h Erzählung mit dem S t a m m b a u m der Davididen sekundär ist, wenngleich es auch nach W. Rudolph ( K A T 17,1,29) ausgeschlossen ist, daß man „dem größten und gefeiertsten König von Israel, dem Prototyp des Messias, eine moabitische Urgroßmutter angedichtet h ä t t e " .
3.2. Zeiten der Selbständigkeit Moabs. Nach dem Zerfall des davidisch-salomonischen Großreiches hat M o a b entweder seine Selbständigkeit wiedererlangt oder blieb unter der Herrschaft des Nordreiches Israel. Nach der Mesa-Inschrift (Z. 7f) hat spätestens Israels König Omri ( 8 8 6 / 8 5 - 8 7 5 / 7 4 ) das Gebiet nördlich des Arnon seinem Reich einverleibt. König Mesa von M o a b (der nach van Zyl 144 etwa 8 7 0 - 8 4 0 regierte) konnte jedoch nach einem vermutlich verunglückten Feldzug der Könige Joram von Israel, J o saphat von Juda und des Königs von Edom (II Reg 3 , 4 - 2 7 ; II Chr 2 0 , 1 - 3 0 ; MesaInschrift Z . 4—20) sein Land wieder in die Unabhängigkeit führen. In dieser Zeit scheint M o a b auch Uberfälle gegen die edomitischen Nachbarn im Süden unternommen zu haben (vgl. Am 2,1). Die moabitischen Angriffe haben verschiedene Unheilsdrohungen israelitischer Propheten veranlaßt, die einen tiefen Haß zwischen den Völkern zeigen (vgl. Jes 15f; 2 5 , 1 0 - 1 2 ; Jer 4 8 , 1 - 4 7 ; Ez 2 5 , 8 - 1 1 ; Am 2 , 1 - 3 ; Zeph 2 , 8 - 1 1 ) . Allerdings sind die Einzelheiten der Geschichte Moabs zu wenig bekannt, als daß insbesondere das Totenklagelied Jes 15 f und die Unheilsankündigung Jer 48 sicher eingeordnet werden könnten. 3.3. Seit der Assyrerzeit: Neue Abhängigkeiten und Niedergang. Im letzten Drittel des 8. J h . v. Chr. geriet M o a b wie die benachbarten Staaten in den Sog der assyrischen Expansion. 728 zahlt M o a b Tribut an Tiglatpileser III. (s. A O T 348, Text II R 6 7 Z. 10; vgl. den in Nimrud gefundenen Brief XVI, Text bei H. Donner: M I O F 5,159ff). Zur selben Zeit hatte M o a b mit Invasionen von Nomaden aus der angrenzenden Wüste zu kämpfen: „Leute des Landes G i d i r " hatten Stadt und Land M o a b überfallen (zur Diskussion um Brief X I V aus Nimrud vgl. H. Wildberger: BK 10,2,597). Zur Zeit des asdoditischen Aufstandes ( 7 1 3 - 7 1 1 ) findet sich auch M o a b im Bündnis gegen Assur, doch hat es sich schließlich zur Tributzahlung entschlossen (Sargons Prismainschrift A Z . 27 ff, A O T 351; vgl. auch Text K 1295, A N E T 301 aus der Zeit zwischen Sargon und Asarhaddon). Auch beim Feldzug Sanheribs (701) zeigt sich der moabitische König (namens „Kammusunabdi") dem assyrischen König gegenüber unterwürfig (Inschrift auf dem Taylor-Zylinder). In schwere Bedrängnis scheint M o a b zur Zeit Assurbanipals ( 6 6 9 - um 630) gekommen zu sein, der in seinen Annalen sowohl von einer Strafexpedition gegen M o a b (Ann.Col. VII, 1 0 7 - 1 1 6 ) als auch vom Einfall arabischer Stämme
Moab und Israel
127
in Moab berichtet (Ann.Cyl.B Col. VIII,37 - 4 4 ) . Unterschiedliches erfährt man von Moab zur Zeit der babylonischen Bedrohung: Nach dem Abfall Jojakims von Juda fielen im Auftrag Nebukadnezars auch moabitische Streifscharen über Juda her (II Reg 2 4 , 1 - 4 ) . Unter Zedekia (598/7-587/6) trafen nach Jer 27,3 auch Gesandte aus Moab in Jerusalem ein, um einen Aufstand gegen den babylonischen König vorzubereiten. Nach dem gescheiterten Aufstand konnten Judäer 586 nach Moab fliehen (Jer 40,11). Nach Josephus, Ant X , 181 f, soll Nebukadnezar 582 Moab zur Provinz gemacht haben. Seit der persischen Zeit fallen verstärkt arabische Stämme in Moab ein; das Gebiet gehört seither zunächst den Ammonitern. In seleukidischer Zeit (3./2. Jh. v. Chr.) dringen die Nabatäer nach Moab ein (vgl. I Makk 9,35ff), wenngleich sich offenbar auch noch in dieser Zeit moabitische Elemente in der Bevölkerung halten konnten. 4. Zur Religion
der
Moabiter
Uber die Religion der Moabiter sind nur wenige Einzelheiten bekannt, die jedoch manche Parallelen zum Alten Testament zeigen. Nationalgott Moabs war Kamosch (hebr. Ketnös, L X X Cbamos, assyr. Kam(m)us/su), der mehrfach im Alten Testament (Jdc 11,12-28; Ruth 1,16; I Reg 11,7; Jer 48,7 u.ö.) sowie in der Mesa-Inschrift (Text u.a. KAI 181) genannt wird. Die Theologumena der Mesa-Inschrift zeigen Geschichtsdeutungen, die auch im Alten Testament begegnen: Die Zeit der Unterdrückung Moabs ist Zeichen von Gottes Zorn (Z.5, vgl. Jdc 2,14; 3,8 u.ö.). Als der Zorn nachläßt, wendet sich die Lage zum Besseren (Z.6ff; vgl. Jdc 2,16; 3,9ff u.ö.). Die Kriegsbeute kann durch den „Bann" Gott übereignet werden (Z. 11 f. 16f; vgl. Dtn 7,2 u.ö.). Auch für die Verehrung des Kamosch werden Kulthöhen vorauszusetzen sein (Z. 3). Salomo soll auch für die moabitischen Frauen seines Harems eine Kulthöhe für Kamosch eingerichtet haben (I Reg 11,7; nach M. Noth [BK.AT 9,1,249]). Dies war vermutlich eine kultische Einrichtung für Moabiter, die sich zeitweise in Jerusalem aufhielten; erst vom Deuteronomisten sei dieses „Einzelelement amtlicher Salomo-Überlieferung" in einen Vorwurf gegen Salomo umgemünzt worden. Neben Kamosch ist die Göttin Aschtar bekannt: Möglicherweise meint die Darstellung der Stele von Bälü'a Kamosch und Aschtar, die den moabitischen König umringen und mit ägyptischer Kleidung und Symbolik dargestellt werden (nach anderen empfängt der Moabiterkönig das Zepter von einem ägyptischen Gott und wird von einer ägyptischen Göttin eingeführt; die historischen Probleme dieser Stele aus dem 1 3 . - 1 2 . Jh. v.Chr. sind großenteils noch ungelöst). 5. Archäologische
Untersuchungen
In der 2. Hälfte des 19. J h . wurden auch im Gebiet des antiken M o a b erste wissenschaftliche Expeditionen zur Erforschung der historischen G e o g r a p h i e des Landes durchgeführt, über die verschiedene Berichte publiziert wurden (zwischen 1860 und 1900 u . a . von Palmer, T r i s t r a m , Schick, Klein, C o n d e r , Gautier, Bliss, Vincent, W i l s o n ; nähere bibliographische Angaben zu deren Publikationen s. Lit. H o m e s - F r e d e r i c q / H e n n e s s y und Vogel/Holtzclaw). Bereits 1868 wurde mit der Entdeckung der sog. M e s a ' - S t e l e in D i b a n durch den elsässischen M i s s i o n a r F. A. Klein ein für die Geschichte Israels und M o a b s außerordentlich wichtiger Fund gemacht. Ein Großteil der Fragmente des von der lokalen Bevölkerung unmittelbar darauf zerstörten Steines k o n n t e gesichert und nach der R e k o n s t r u k t i o n im Louvre/Paris aufgestellt werden (zum T e x t der Stele s . u . a . K A J N r . 181). Um die J a h r h u n d e r t w e n d e wurden wichtige Expeditionen von Alois Musil im Gebiet M o a b s durchgeführt. Seine Berichte, Beschreibungen und F o t o s sind bis heute wichtiges Quellenmaterial. Grundlegend für die archäologischen Untersuchungen des 20. J h . sind die Oberflächenbefunde von Nelson Glueck geworden, die dieser in den dreißiger und vierziger J a h r e n veröffentlichte. N a c h Prüfung der Keramikfunde kam Glueck insbesondere zum Ergebnis, daß das Gebiet M o a b s zwischen dem 23. und 20. J h . v . C h r . seßhaft b e w o h n t war, dann aber für mehr als ein halbes Jahrtausend fast völlig verödet war und erst vom 13. J h . an von neuem und nun noch intensiver als zuvor besiedelt wurde. In den siebziger J a h r e n sind durch eine Expedition der E m o r y University (s. Lit. unter J . M . Miller) 33 O r t e im zentralen M o a b untersucht und dadurch die Ergebnisse Gluecks überprüft und korrigiert worden. Es zeigte sich, daß auch in der Mittelbronzezeit etliche Siedlungen bestanden, die seit der Spätbronzezeit stets mehr wurden. Intensivere Grabungen fanden an einigen, teilweise historisch herausragenden O r t e n statt: u . a . in c Ader (W. F. Albright 1933),
128
M o a b und Israel
Arô c er (E. Olâvarri 1 9 6 4 - 6 6 ) , Bälü'a (Crowfoot 1933, Worschech 1 9 8 6 - 8 7 ) , DIbän (Winne«, Tushingham, Reed, Morton 1 9 5 0 - 5 3 , 1 9 5 5 - 5 6 ) , Hesbän (Horn 1968, 1971, 1973, Geraty 1974, 1976, 1978), Hirbet Iskander (Parr 1955, Richard 1981, 1982). Die Grabungen erbrachten wichtige neue Erkenntnisse zur Siedlungsgeschichte Moabs; immer wieder fanden sich auch für die Erforschung der moabitischen Geschichte und Kultur wichtige Einzelstücke. Einen hervorragenden Überblick über die Funde und den derzeitigen Stand der archäologischen Forschungen gab die 1 9 8 7 - 8 9 in Köln, Schallaburg und München gezeigte Ausstellung „Der Königsweg. 9000 Jahre Kunst und Kultur in Jordanien und Palästina" (Katalog s. Lit.). c
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Joachim Hahn Modalismus —»Jesus Christus, —>Trinität Modernismus 1. Begriff 2. Wer waren die M o d e r n i s t e n ? 3 . W i e die Bewegung entstand 4. Eine neue Apologetik: Loisy 5. Von Hügel und Tyrrell 6. Modernistische Philosophie 7. M o d e r n i s m u s und liberaler Protestantismus 8. Anglikanischer M o d e r n i s m u s (Quellen/Literatur S. 137)
130
Modernismus Begriff
Der Begriff Modernismus wird gemeinhin für eine geistige Bewegung innerhalb der Römisch-katholischen Kirche des ausgehenden 19. Jh. verwendet, die darauf ausging, die überkommene katholische Lehre in engere Beziehung zum zeitgenössischen Denken, vornehmlich der Philosophie, Geschichtswissenschaft und Gesellschaftslehre, zu bringen. Er ist in diesem Sinne anscheinend erst um 1905 gebraucht worden und dabei zunächst nur von Gegnern dieser Bewegung; doch die damit bezeichneten Bestrebungen machen sich schon seit der Zeit um 1890 geltend. 1907 hat Papst ->Pius X. den Modernismus förmlich verurteilt, und drei Jahre später wurde er durch die Verpflichtung nicht nur der Lehrer an katholischen Seminaren und Hochschulen, sondern aller Anwärter auf die Priesterweihe zur Ablegung des Antimodernisteneides (Sacrorum antistitum, 1. September 1910: Denzinger/Hünermann 3537-3550; Verpflichtung 1967 aufgehoben) wirksam unterdrückt. Macht die zeitliche Einordnung der Bewegung wenig Schwierigkeiten, so würde doch ein Versuch, sie sachlich als eine nach Zielsetzungen und Anliegen einheitliche oder organisatorisch in sich geschlossene Erscheinung zu beschreiben, in die Irre führen. Der Modernismus zeigt kein einheitliches Gesicht und ließe sich angemessener als ein Bündel von Bewegungen kennzeichnen, deren jede in hohem M a ß durch die Persönlichkeiten und Zielvorstellungen ihrer Hauptvertreter und in gewissem Umfang auch durch ihre geographischen Ausgangsräume bestimmt war. Zumindest bot er ein zwiefältiges Erscheinungsbild, insofern sein Hauptanliegen zwar theologischer Art war, er aber zugleich auch eine soziale Ausrichtung zeigte. Doch ungeachtet aller Vielschichtigkeit kommt dem Modernismus eine geschichtliche Identität zu, in der er zu seiner Zeit wahrgenommen wurde und die sich auch in der geschichtlichen Rückschau abzeichnet. Die päpstliche Enzyklika Pascendi dominici gregis vom 8. September 1907 ( D e n z i n g e r / H ü n e r m a n n 3475—3500), in der die Bewegung verurteilt wird, b e m ü h t e sich darzulegen, d a ß sie entgegen d e m Anschein auf einem geschlossenen L e h r e n t w u r f b e r u h t e und d a h e r eine Billigung von einzelnen E l e m e n t e n zugleich die Billigung des G e s a m t e n t w u r f s bedeutete. Die päpstliche Verurteilung beh a u p t e t e , die G r u n d l a g e des M o d e r n i s m u s sei ein „ A g n o s t i z i s m u s " , der die Reichweite der menschlichen V e r n u n f t auf die Erscheinungswelt b e s c h r ä n k e , sowie eine „vitale I m m a n e n z " , der zufolge die E r k l ä r u n g f ü r die Religion in der menschlichen E r f a h r u n g zu finden sei. Die historisch-kritische Sichtweise der M o d e r n i s t e n sei die natürliche Folge dieser Voraussetzungen.
Diese Darstellung der modernistischen Anliegen traf sogleich auf den Einspruch derer, die sich dadurch angegriffen sahen. Der markanteste Vertreter der Bewegung, Alfred Firmin —»Loisy, der zugestand, wenig philosophische Kenntnisse und Interessen zu haben, da sein Arbeitsgebiet die biblische Exegese sei, wies die päpstlichen Einwendungen als „Phantasiegebilde theologischer Einbildungskraft" zurück. Der anglo-irische Jesuit George Tyrrell (1861-1909) verurteilte sie öffentlich (in der Londoner Times vom 30. September und 1. Oktober 1907) als ein Zerrbild der wirklichen Vorstellungen und Anliegen der Modernisten. Pascendi war indessen eine nach scholastischen Grundsätzen kunstvoll erarbeitete Zusammenstellung, die ebensosehr der Polemik wie der Lehrverurteilung diente und eine ins einzelne gehende Auflistung der vermeintlichen modernistischen Anliegen bot. Dazu war es erforderlich, einen systematischen Grundriß zu entwerfen, mit dem sich zwar das Denken der einzelnen Vertreter nicht völlig decken mochte, der aber eine aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen geschöpfte umfassende Zusammenschau von Vorstellungen bot, der sie auf die eine oder andere Weise alle zugeordnet werden konnten. Der päpstlichen Verurteilung war ein Dekret des Heiligen Offiziums, Lamentabili sane exitu (3. Juli 1907; Denzinger/Hünermann 3401-3466) vorausgegangen, das 65 zu beanstandende Sätze als kennzeichnend für das modernistische Denken aufführte. Tatsächlich verhält es sich aber so, daß eine Reihe von Modernisten hauptsächlich an bibelwissenschaftlichen Fragen interessiert war, andere sich um die -•Religionsphilosophie und eine auf neue Verständniszugänge zum kirchlichen Dogma
Modernismus
131
ausgehende Kritik an der h e r k ö m m l i c h e n scholastischen T h e o l o g i e b e m ü h t e n und wied e r u m andere sich kirchlichen R e f o r m e n und der E r a r b e i t u n g einer christlichen Soziallehre widmeten. Diese Vielfalt auf ein einheitliches G r u n d m u s t e r von Lehraussagen zur ü c k z u f ü h r e n , w a r k a u m o h n e nachhaltige Vereinfachungen m ö g l i c h . Gleichviel w a r die E n z y k l i k a als Versuch, den M o d e r n i s m u s insgesamt zu k e n n z e i c h n e n , keineswegs gänzlich verfehlt. Es g a b unter den M o d e r n i s t e n , wie Loisy selbst zug e s t a n d , eine breite g e m e i n s a m e G r u n d h a l t u n g . Sie alle zeigten U n b e h a g e n gegenüber d e m , was sich ihnen als traditionalistische D e n k w e i s e darstellte: gegenüber einem biblischen - » F u n d a m e n t a l i s m u s , einem krassen D o g m a t i s m u s , einer nicht m e h r zeitgem ä ß e n - » A p o l o g e t i k , autoritären kirchlichen G e l t u n g s a n s p r ü c h e n und politischer R e a k t i o n . J e d e r einzelne m o c h t e seine besonderen P r o b l e m s t e l l u n g e n h a b e n , doch alle w a r e n von der Überzeugung beseelt, d a ß die k a t h o l i s c h e K i r c h e einen lebendigen Z u s t r o m geistigen L e b e n s nötig h a b e und d a ß der das Pontifikat —»Pius I X . prägende unversöhnliche K o n s e r v a t i s m u s aufgegeben werden müsse, wenn es dem Katholizismus gelingen sollte, die gebildeten Z e i t g e n o s s e n anzusprechen. D a s v e r h ä l t n i s m ä ß i g liberale Pontifikat - » L e o s X I I I . hatte bei ihnen den E i n d r u c k e r w e c k t , im Vatikan h a b e sich ein Sinneswandel vollzogen und es biete sich d a h e r die Gelegenheit für die von ihnen ers t r e b t e weitreichende geistige Erneuerung. 2 . Wer waren
die
Modernisten?
In welchem A u s m a ß modernistische Auffassungen unter der Geistlichkeit o d e r in Laienkreisen B o d e n g e w a n n e n , läßt sich nicht a n n ä h e r n d a b s c h ä t z e n . Es sind d a f ü r übertriebene Z a h l e n genannt w o r d e n . D i e allgemein b e k a n n t e n Vertreter der B e w e g u n g w a r e n nicht zahlreich. Z u d e m h a b e n sich einzelne, wie M a u r i c e Blondel (1861 — 1 9 4 9 ) , dagegen v e r w a h r t , als M o d e r n i s t e n eingestuft zu werden, und nicht alle, die sich diese E i n o r d n u n g hätten zueigen m a c h e n k ö n n e n , sind auch f ö r m l i c h verurteilt w o r d e n . D i e zentrale Gestalt w a r unzweifelhaft —»Loisy, der Verfasser von L'Evangile et l'Eglise (Paris 1902) und ein Bibelwissenschaftler von i n t e r n a t i o n a l e m R a n g . D o c h k o m m t ihm Tyrrell an Bedeutung nahezu gleich. Angesichts der R e i c h w e i t e seiner Interessen ließe er sich gut als typische V e r k ö r p e r u n g des M o d e r n i s m u s ansehen. E r w a r weniger a k a demischer T h e o l o g e als vielmehr Prediger, geistlicher W e g f ü h r e r und kirchlicher J o u r nalist, von N a t u r aus impulsiv und zuweilen freimütig bis zur R ü c k s i c h t s l o s i g k e i t , wie sein heftiger Angriff auf den E r z b i s c h o f von M e c h e l n , K a r d i n a l M e r c i e r , 1908 zeigt. Ein anderer b e k a n n t e r A n h ä n g e r der modernistischen Zielvorstellungen und enger Freund der führenden M o d e r n i s t e n , insbesondere Tyrrells, w a r B a r o n Friedrich von - » H ü g e l , auch wenn er sich in späteren J a h r e n von seiner früheren Beziehung zu der B e w e g u n g zu distanzieren suchte. D i e Stellung Blondels w a r undeutlicher. Seine M e t a physik der T a t erschien vielen Zeitgenossen als ausgesprochene B e k u n d u n g und Verfechtung des Voluntarismus und I m m a n e n t i s m u s , die die B e w e g u n g philosophisch in weitem U m f a n g kennzeichnete. B e s t ä r k t w u r d e diese Auffassung durch die Schriften seines Schülers, des O r a t o r i a n e r s Lucien L a b e r t h o n n i e r e ( 1 8 6 0 — 1 9 3 2 ) , die anders als die Arbeiten Blondels, der nie öffentlich verurteilt w u r d e , auf den Index k a m e n . Als der modernistische Philosoph schlechthin w u r d e jedoch m a n c h e r s e i t s E d o u a r d L e R o y (1870—1954) angesehen, ein A n h ä n g e r von H e n r i B e r g s o n . A u f jeden Fall gibt sein religiöser P r a g m a t i s m u s , wie er in Dogme et Critique (Paris 1907) zutage tritt, den Vorwürfen eines „ S u b j e k t i v i s m u s " und „ P s y c h o l o g i s m u s " , in dem die G e g n e r des M o d e r nismus einen der H a u p t a n s t ö ß e sahen, A n s c h a u u n g . Nicht unähnlich stellte sich die Lage in Italien dar (s. T R E 16,414,14ff). Für eine Reihe zeitgenössischer Schriftsteller erscheint der Begriff Modernisten angebracht, für andere weniger. Man kann daher kaum behaupten, daß die Verfechter einer Reform eine besondere, radikalen Vorstellungen verpflichtete Schule gebildet hätten, geschweige denn eine heimliche Organisation. Der Bekannteste aus dem Kreis des Rinnovamento war Ernesto —»Buonaiuti, dessen Autobiographie Utt pellegrino di Roma in sehr persönlicher Weise die Motive aufklingen läßt, die der Bewegung
132
Modernismus
ihren Schwung gaben. Doch der Barnabit Giovanni Semeria (1867—1939), ein Freund Loisys und ebenfalls Bibelwissenschaftler, aber auch ein bekannter Prediger, könnte mit einigem Recht als der eigentliche Führer der Bewegung in Anspruch genommen werden. Ein weiterer Bibelwissenschaftler war der später laisierte Weltpriester Salvatore Minocchi (1869-1943), der von 1901 bis 1907 eine modernistische Zeitschrift, die Studi religiosi, herausgab, aber angemessener als progressiv denn als radikal eingestuft werden dürfte. Auf der anderen Seite war Romolo Murri (1870-1944), der Gründer der Lega democratica nazionale, ganz mit sozialen und politischen Fragen befaßt und in keiner Weise ein theologischer Liberaler. Schließlich besaß der italienische Modernismus in dem Senator Antonio Fogazzaro (1842-1911), einem Politiker, Dichter und Romanschriftsteller, einen hervorragenden Förderer. Er war ein Mann von tiefer religiöser Überzeugung und einer der Gründer des modernistischen Organs II Rinnovamento, sein Roman 11 Santo (1905) war letztlich ein Programm kirchlicher Reform.
Die Frage, in welchem Umfang der deutsche Katholizismus vom Modernismus erfaßt wurde, steht immer noch zur Diskussion. Loisy bestätigte, daß es einzelne isolierte Persönlichkeiten mit modernistischer Auffassung gab, bestritt aber, daß sie unter der Geistlichkeit insgesamt eine beachtenswerte Anhängerschaft hätten, während die deutschen Bischöfe einhellig der Meinung waren, daß Pascendi für die Lage in Deutschland keine Bedeutung hätte. Die Bewegung des Reformkatholizismus, die mit den Namen von Franz Xaver Kraus ( 1 8 4 0 - 1 9 0 1 ) , seit 1878 Professor für Kirchengeschichte in Freiburg im Breisgau, und Hermann Schell (1850 — 1906), Professor für Apologetik und christliche Kunstgeschichte in Würzburg, einem auf eine Annäherung von Kirche und zeitgenössischer Kultur bedachten fruchtbaren Schriftsteller, verbunden war, stand den Anliegen des —• Liberalen Katholizismus des frühen 19. Jh. näher als dem Modernismus. Die deutschen Priester, an die Loisy am ehesten gedacht haben dürfte, waren Karl Gebert ( 1 8 6 0 - 1 9 1 0 ) , Josef Schnitzer ( 1 8 5 9 - 1 9 3 9 ) und Thaddäus Engert ( 1 8 7 5 - 1 9 4 5 ) . Der letzte hat kurzzeitig die Zeitschrift Das zwanzigste Jahrhundert herausgebracht, die „fortschrittliche" Meinungen veröffentlichte. Schnitzer wurde wegen seiner Stellungnahme zu Pascendi interdiziert (—»Interdikt 2.4.), und Engert hat sich zuletzt überhaupt von der Kirche abgewandt. 3. Wie die Bewegung
entstand
Obwohl der Modernismus in mancher Hinsicht von den unterschiedlichen Formen des Liberalen Katholizismus in Frankreich, England oder Deutschland vorweggenommen worden war, hat er von ihnen wenig unmittelbaren Einfluß erfahren und ist sicher nicht aus ihnen erwachsen. So kann man etwa nicht sagen, daß er, wie zuweilen behauptet worden ist, Johann Adam —»Möhler und der katholischen Tübinger Schule ins Gewicht fallende Anstöße verdankt habe. Einsichtig machen läßt sich eine bewußte Weiterführung einer älteren Entwicklung durch das modernistische Denken im Bereich der Philosophie, in dem ein bis auf Marie François Pierre Maine de Biran (1766 — 1824) zurückverfolgbarer, dem scholastischen oder cartesianischen Rationalismus gegenübertretender Voluntarismus bereits in den Schriften von Louis Eugène Marie Bautin ( 1 7 9 6 - 1 8 6 7 ) und Auguste Joseph Alphonse Gratry ( 1 8 0 5 - 1 8 7 2 ) wie auch bei John Henry ->Newman Ausdruck gefunden hatte. Der geistige Hintergrund der modernistischen Bewegung ist daher eher in der allgemeinen kulturellen Entwicklung Westeuropas als in einer besonderen Ausrichtung im katholischen Denken des 19. J h . zu suchen. Gerade darin liegt die Bedeutung des Modernismus. Das kirchliche Lehramt hatte der katholischen Wissenschaft und katholischem theologischen Denken die in der protestantischen Welt herrschende Freiheit verwehrt. Vielen Katholiken erschien es daher an der Zeit, zumal dem durch moderne wissenschaftliche Methoden erzielten gewaltigen Zuwachs an historischer Einsicht Rechnung zu tragen. Es war unausweichlich, daß die in solcher Einsicht beschlossenen Folgen für ein angemessenes Verständnis der Geschichtlichkeit der Kirche und erst recht der Heiligen Schrift als ihrer verbindlichen Bezugsnorm früher oder später Fragen aufwerfen mußten, auf die nachdenklichere Geister eine überzeugende Antwort verlangten. Gerade das war die Aufgabe, der sich der Modernismus in erster Linie stellte. Es war dies
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zudem ein Problemfeld, durch das der alte katholisch-protestantische Gegensatz eine neue Dimension erhielt. Auch der Protestantismus hatte sich dem Bibelproblem stellen müssen, und zumindest in Deutschland, wo die kritische —»Bibelwissenschaft ihren Anfang genommen hatte, waren darauf mehr oder minder einschneidende Antworten gegeben worden, die katholischerseits nicht unbeachtet bleiben durften, wenn man auch weiter der protestantischen Herausforderung begegnen wollte. Der gesamte Fragenkreis um das Verhältnis von Schrift und Tradition erhielt so eine neue Gestalt und Dringlichkeit. Des weiteren nahm im Denken des 19. Jh. die Vorstellung der -»Entwicklung oder Evolution eine Schlüsselstellung ein. Sie wurde zunächst auf den Bereich der menschlichen —»Geschichte angewandt, dann aber hauptsächlich durch die Arbeiten von Jean Baptiste de Lamarck (1744-1829) und Charles -»Darwin auf dem Gebiet der Biologie ausgeführt. Doch auch auf katholischer Seite konnte man sich die Verwendung des Entwicklungsgedankens innerhalb der Theologie durch J. A. Möhler in seiner Symbolik (1832) wie durch Newman in seinem Essay on the Development of Christian Doctrine (1845) ins Bewußtsein rufen. Insbesondere die Darlegung Newmans erschien dabei als anregend. Man konnte in ihrem Sinn geltend machen, daß sich daraus, daß das katholische Christentum im Verlauf der Zeit nicht unverändert geblieben sei, keineswegs ergäbe, die Unverfälschtheit des ursprünglichen Glaubensgutes habe eine Beeinträchtigung erfahren müssen. „Ein lebendiger Gedanke", so hatte Newman gesagt, „wird zu vielen, bleibt aber einer." Loisy erschien er als „der aufgeschlossenste Theologe, den die Kirche seit Origenes besessen hat" (Mémoires I, 426). Daß der Modernismus zu seiner Zeit als die letzte Entwicklungsstufe der liberalen Bewegung im Katholizismus des 19. Jh. in Erscheinung trat, liegt in nicht geringem Maß an der Ermutigung durch die scheinbar liberalisierendcn Neigungen —»Leos XIII., der 1878 auf —»Pius IX. folgte, oder an dem, was man als solche empfand. Leo war jedoch weit weniger ein liberaler Intellektueller als vielmehr ein Taktiker, dem daran gelegen war, daß die Römische Kirche sich der modernen Welt aufgeklärter darstellte. Daß die Haltung des Vatikans im wesentlichen unverändert bleiben sollte, wurde 1903 beim Amtsantritt Pius X . offenkundig. Gleich zu Beginn seines Pontifikats warnte er die Geistlichkeit in der Enzyklika E supremi apostolatus vom 4. Oktober 1903 vor den „hinterhältigen Machenschaften einer gewissen neuen Wissenschaft, die sich mit der Maske der Wahrheit ziert". Zwei Monate später wurden fünf exegetische Arbeiten Loisys auf den Index (-»Zensur) gesetzt. Die Verurteilung des Modernismus im Herbst 1907 besiegelte das Schicksal der Bewegung. Loisy selbst wurde erst im März 1908 exkommuniziert, nachdem Tyrrell bereits im Oktober 1907 dem gleichen Urteil verfallen war. Faktisch alle Veröffentlichungen, die sich aus der Sicht des Lehramtes als „modernistisch" darstellten, waren jetzt den Gläubigen verboten. 4. Eine neue Apologetik:
Loisy
Der Modernismus war wesentlich von der apologetischen Zielsetzung getragen, die katholische Lehre modernem Verständnis eingängig zu machen. Das brachte unausweichlich die Notwendigkeit einer eingehenden Uberprüfung überkommener Anschauungen, nicht zuletzt auch im Bereich der —»Apologetik selbst, mit sich. Die Denkmuster der -»Scholastik und des biblischen —»Fundamentalismus mußten einer enger mit den Denkvoraussetzungen der zeitgenössischen Welt in Einklang stehenden Theologie weichen. Gerade darum aber verweigerte der Vatikan, wie Pascendi zeigt, der Bewegung seine Billigung. Er hatte in zunehmendem Maß die Linie verfolgt, nicht nur eine uneingeschränkte Aufrechterhaltung der traditionell anerkannten Lehraussagen über Bibel und Dogma zu fordern, sondern auch den scholastischen Rationalismus als allein zulässige Grundlage apologetischer Arbeit zu bestätigen. Das Eintreten der Modernisten für eine Anerkennung der Methoden und Ergebnisse der historischen Kritik und dafür, neuen Denkansätzen Raum zu geben, wurde daher als gefährliche Neuerung
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gewertet. Die Grundursache für die bedenklichen Irrtümer der Modernisten lag nach Einschätzung des Vatikans freilich, wie schon erwähnt, in einer falschen Denkrichtung, die auf den Grundsätzen des kantischen -»Agnostizismus und vitaler Immanenz beruhte. Man unterstellte, daß die modernistische Sicht der biblischen Geschichte und der Anfänge des Christentums wie der Entwicklung des Dogmas von selbst und unausweichlich aus diesen Voraussetzungen hervorgingen, ungeachtet des Beharrens der Modernisten darauf, daß ihre kritische Methode keineswegs von einer Philosophie aufgezwungen sei, daß es vielmehr gerade die Kritik sei, die sie zu ihrem Versuch einer neuen Weise religionsphilosophischen Bemühens nötigte, der im übrigen, wie sie betonten, das katholische Denken nie völlig fremd gegenübergestanden habe. Den Anfang mit der Erarbeitung einer neuen Apologetik aus der Sicht der historischen Kritik machte ->• Loisy auf der Grundlage seiner eigenen Forschungen als Bibelexeget, als der er seit seiner Ernennung zum Professor für Bibelwissenschaft am Pariser Institut Catholique 1890 Ansehen gewonnen hatte. 1897 entwarf er eine anspruchsvolle apologetische Abhandlung unter dem unaufdringlichen Titel Essais d'histoire et de philosophie religieuses. Sie ist in dieser ursprünglichen Gestalt nie im Druck erschienen, diente Loisy aber zur Ausarbeitung seiner Schrift L'Évangile et l'Église, seiner Antwort auf die Anschauung des liberalen Protestantismus, wie sie Adolf von -»Harnack in Berlin in seiner unter dem Titel Das Wesen des Christentums (1900) veröffentlichten Vorlesung für Hörer aller Fakultäten vorgetragen hatte. L'Evangile et l'Église (1902) und seine Fortsetzung Autour d'un petit livre (1903) sowie seine späteren Erläuterungen zu dem vatikanischen Dekret Lamentabili und der Enzyklika Pascendi bilden den Kernbestand seiner im eigentlichen Sinn modernistischen Schriften. Er war der Auffassung, daß das Evangelium nicht als eine von geschichtlichen Bedingtheiten losgelöste Glaubensvorgabe entstanden ist, sondern als „konkreter und vielschichtiger lebendiger Glaube", dessen Entfaltung zwar von seiner eigenen inneren Dynamik getragen, aber dabei zugleich auch von den wechselnden Bedingungen seiner gesellschaftlichen und kulturellen Umwelt bestimmt wurde. Die Weltsicht Jesu wie erst recht die seiner Jünger drückte sich in der dem zeitgenössischen Judentum geläufigen eschatologischen Begrifflichkeit aus. Im Mittelpunkt seiner Lehre stand der Gedanke des kommenden Gottesreiches, doch er täuschte sich in der Annahme, es werde unmittelbar hereinbrechen; es verwirklichte sich nicht in der erwarteten Gestalt. Dennoch stellt der Gedanke des Gottesreiches das Prinzip oder den „Keim" der nachfolgenden katholischen Kirche. Eine Entwicklung auf dem Gebiet der Lehre, des Gottesdienstes und der Verfassung war daher nicht nur unausweichlich, sondern auch angemessen, und mit Harnack der Kirche vorzuwerfen, daß sie eine Entwicklung aufzuweisen habe, heiße, ihr den Vorwurf zu machen, sie habe gelebt. Wenn das Wesen der christlichen Religion überhaupt zu finden sei, müsse es in dem im geschichtlichen Leben des Katholizismus zutage tretenden Vermögen, sich durch die Zeiten hindurch zu entfalten, gesucht werden. Loisys katholische Kritiker dagegen erhoben Einwände gegen seinen „Positivismus" und warfen ihm vor, ein rein naturalistisches Bild der Entstehung und Entwicklung des Christentums zu vermitteln, das den übernatürlichen Glauben in den Bereich der subjektiven Erfahrung verweise.
5. Von Hügel und
Tyrrell
Die Rolle Friedrich v. —»Hügels in der Bewegung des Modernismus ist unterschiedlich eingeschätzt worden, doch kann nach den vorliegenden Zeugnissen kaum Zweifel daran bestehen, daß er ihr nach Kräften Vorschub geleistet hat. Seine Aufgeschlossenheit der Bibelkritik gegenüber hat häufig seine engsten Freunde verwundert. In philosophischer Hinsicht war er indessen den in ihr wirksamen Strömungen weniger zugetan, und in seinen späteren Jahren erschien seine Abneigung gegen den Immanentismus geradezu besessen. Auf jeden Fall war seine Bindung an die Römische Kirche unerschütterlich, und er hat sich nie eine kirchliche Mißbilligung zugezogen. Sein Einfluß auf Tyrrell
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war jedoch tiefgreifend, wenn dieser sich auch die modernistischen Anschauungen nur allmählich zu eigen machte. Tyrrell war 1880 als Novize dem Jesuitenorden beigetreten und wurde 1891 bei seiner Priesterweihe mit einer Dozentur für Moraltheologie am Jesuitencollege von Stoneyhurst in Lancashire betraut. Fünf Jahre später wurde er an die Londoner Jesuitenniederlassung in Farm Street versetzt. Seine schließliche Entlassung aus dem Orden erfolgte 1906. Von einer Haltung fast übersteigerter Orthodoxie war er durch ein Stadium eines, wie er es nannte, vermittelnden Liberalismus hindurchgegangen, in dem er, wenn auch nicht ohne Einschränkungen, für die Freiheit wissenschaftlicher Kritik eintrat. Die erste seiner eigentlich modernistischen Schriften war The Church and the Future (1903), in der er unter dem Pseudonym Hilaire Bourdon die „romanistische" Sicht des Katholizismus anfocht und bestritt, daß die „nach dem Muster einer weltlichen Monarchie oder Reichsbildung vollzogene und gestaltete" Uberführung des frühen Christentums aus seiner „inspiratorischen" Entwicklungsstufe in eine Institution von Christus im Vorblick auf die Jahrhunderte nach dem Hinfälligwerden des Glaubens an seine unmittelbare Parusie vorgesehen und gefügt worden sei. Der Katholizismus müsse eher als Verkörperung des Geistes angesehen werden, „der sowohl das Christentum als auch die Kirche als unterschiedene und einander ergänzende Ausdrucksmittel seiner selbst geschaffen hat". Theologie ist dementsprechend nicht mehr als eine unzulängliche analytische Erfassung oder rationalisierende Darstellung der dem christlichen Leben zugrundeliegenden Geheimnisse.
Tyrrells endgültige Sicht der Verhältnisbestimmung von Offenbarung, Dogma und Theologie kommt in seiner Schrift Through Scylla and Charybdis (1907) zur Sprache. Offenbarung wird darin nicht wie bisher mit einem theologischen depositum fidei gleichgesetzt, sondern mit unmittelbarer Erfahrung oder geistlicher Einsicht, die von der Kirche in dokumentarischer Gestalt übermittelt wird, wenn diese als solche auch der Erfahrung selbst gegenüber sekundär ist. Die dabei verwendete sprachliche Ausformung ergibt sich zwangsläufig aus dem zeitgenössischen kulturellen Umfeld. Die übernatürliche Ordnung vergegenwärtigt sich daher im Glauben und in der Frömmigkeit der Gläubigen nur symbolisch, und das Dogma hat die Aufgabe eines Schutzmantels für diesen theologischen Symbolismus. In seinem letzten Buch Christianity at the Gross Roads (1909) führt Tyrrell aus, daß die Klarlegung des wirklichen Verhältnisses zwischen der Offenbarung und ihrer theologischen Ausformulierung ein entscheidendes Anliegen des Modernismus sei. Letztendlich aber blieb er davon überzeugt, daß der römische Katholizismus trotz aller seiner Auswüchse und Entstellungen die authentischste Gestaltfindung des Christentums sei. 6. Modernistische
Philosophie
Der Enzyklika Pascendi zufolge wurzelte die modernistische Lehre in einer immanentistischen Philosophie. Auch wenn diese Verallgemeinerung zu einfach ist, treten bei einer Reihe von Denkern, die der Bewegung verbunden sind, doch deutlich immanentistische Neigungen zutage. Maurice Blondel, dessen einflußreiches Buch L'Action 1893 erschien, hatte eine Form von Apologetik entwickelt, die er als la méthode d'immanence kennzeichnete. Er war jedoch darauf bedacht, „Methode" von „Lehre" zu unterscheiden, und er suchte sich selbst von modernistischen Auffassungen zu distanzieren, die immanentistische Neigungen an den Tag legten. Sein Schüler Laberthonnière aber, der zwischen 1903 und 1915 die Zeitschrift Annales de philosophie chrétienne, ein Forum liberaler Meinungsäußerung, herausgab, trat unumwundener für eine immanentistische Religionsphilosophie ein. So behauptete er in seinen Essais de philosophie religieuse (1903), daß die Vorstellung einer „extrinsischen" oder „heteronomen" Wahrheit einem modernen Verständnis nicht gemäß sei, und betonte, daß die Verbindlichkeit einer religiösen Lehre davon abhänge, in welchem Maße sie sich der Gläubige als sein eigenes Lebens- und Seinsgesetz innerlich zu eigen gemacht habe. Ein auf lebendige Erfahrung gegründeter „moralischer Dogmatismus" müsse an die Stelle eines „extrinsischen" Rationalismus treten. Von diesem Standpunkt aus waren es nur wenige Schritte zu einem pragmatischen Verständnis religiöser Lehre, wie es ausdrücklich bei Le Roy zum Zuge
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kam, der behauptete, daß die Bedeutsamkeit der Wahrheit vornehmlich darin zu suchen sei, wozu sie dienlich sei und welche Auswirkungen ihre Annahme in sich schließe. Das katholische Dogma beruht so, wie es sich herkömmlich darstellt, auf einem verfehlten Intellektualismus, insofern das, was religiöse Lehre eigentlich bewirkt, keineswegs eine Behauptung theoretischer oder spekulativer Wahrheiten oder eine Erweiterung positiven Wissens ist, sondern vielmehr die Bereitstellung „einer Leitlinie praktischen Verhaltens" (une règle de conduite practique). Die wirkliche Aufgabe des katholischen Dogmas ist es daher, eine verbindliche Anleitung für das sittliche und religiöse Leben in seiner Ganzheit zu geben. Der Vorwurf, der Modernismus sei einer immanentistischen Philosophie verpflichtet, verweist für gewöhnlich auf die Schriften einer Reihe italienischer Anhänger der Bewegung, zumal jüngerer Zeitgenossen, von denen es zuweilen heißt, sie verträten kaum mehr als einen verchristlichten Humanismus. Doch die anonyme Schrift 11 programma dei Modernisti (1907) ließ die Kennzeichnung als immanentistisch nur in dem Sinne gelten, daß Religion „die spontane Folge der spontanen Bedürfnisse des menschlichen Geistes" sei, der seine Befriedigung an „der inneren gefühlsmäßigen Erfahrung Gottes in uns" finde, und stellte die ontologische Wirklichkeit der übernatürlichen Ordnung nicht in Abrede. 7. Modernismus
und liberaler
Protestantismus
Den katholischen Modernisten ist von katholischer wie von nichtkatholischer Seite häufig ein begrenztes Blickfeld vorgehalten worden, und man muß zugestehen, daß sie außerhalb Italiens kein besonderes Interesse an den die Kirche und die zeitgenössische Gesellschaft berührenden weiterreichenden sozialen und sittlichen Fragen zeigten und sich darin von älteren liberalen katholischen Bestrebungen zumal in Frankreich unterschieden. Im Vergleich zu der Spannungsbreite der vom Zweiten Vatikanischen Konzil (—»Vatikanum II) abgedeckten Fragen waren ihre Zielsetzungen vorwiegend intellektueller, wenn auch nicht rein akademischer Art. Darüber hinaus war ihre Haltung ungeachtet ihrer Vorbehalte gegenüber dem Protestantismus weithin von der Kritik und der Religionsphilosophie des protestantischen —»Liberalismus (—»Liberale Theologie) der Zeit bestimmt, insbesondere von seiner bereitwilligen Aufnahme „fortschrittlicher" weltlicher Wertsetzungen, seiner positivistischen Geschichtsauffassung, seinem historistischen Verständnis der Bedeutung der Bibelkritik und seiner allgemeinen Neigung zu einem philosophischen -»Idealismus, sei es neuhegelianischer oder neukantianischer Prägung. Es kann indessen kein Zweifel an der Aufrichtigkeit der Selbsteinschätzung aller Modernisten bestehen, loyale Katholiken zu sein, die allein im höheren Interesse des Katholizismus selbst auf Veränderung bedacht waren. Zu dem individualistischen religiösen Ethos des Protestantismus hatten sie sehr wenig Beziehung. Was dem Protestantismus auch in seiner liberalen Erscheinungsform aus ihrer Sicht vor allem abging, war das Vermögen, den unterschiedlichen Bedürfnissen des menschlichen Geistes in einer Weise zu entsprechen, zu der sich der Katholizismus als fähig erwiesen hatte. 8. Anglikanischer
Modernismus
Der Begriff Modernismus ist auch von einer Schule anglikanischer theologischer Liberaler zur Kennzeichnung ihrer eigenen religiösen Haltung verwendet worden. Ihre geistliche Abkunft weist auf den —»Latitudinarismus des 17. und 18. Jh., die Oxforder „Noetiker" des frühen 19. Jh. und die „Broad Churchmen" der Folgegeneration (zu denen man hier wohl auch Matthew Arnold [ 1 8 2 2 - 1 8 8 8 ] zählen sollte). Ihre bekanntesten Vertreter waren der O x f o r d e r Professor für klassische A r c h ä o l o g i e Percy G a r d n e r ( 1 8 4 6 - 1 9 3 7 ) , der D e k a n von Carlisle Hastings - » R a s h d a l l , der von klassischer Bildung geprägte D e k a n der L o n d o n e r St. Paul's Cathedral W i l l i a m R a l p h Inge ( 1 8 6 0 - 1 9 5 4 ) , der C a m bridger T h e o l o g i e p r o f e s s o r J a m e s Franklin B e t h u n e - B a k e r ( 1 8 6 1 - 1 9 5 1 ) , der B i s c h o f von Birming-
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ham, Ernest William Barnes (1874-1953), der Bibelwissenschaftler und Patristiker Kirsopp Lake (1872-1946) und der Prinzipal von Ripon Hall in Oxford, Henry D.A. Major (1871-1961).
Ihre Auffassungen allerdings gingen recht weit auseinander und stellen sich nicht ohne weiteres als ein in sich geschlossenes Ganzes dar. Eigentlich waren sie Individualisten, die eher in ihren Frontstellungen als in ihren positiven Aussagen übereinkommen konnten. Einige von ihnen befürworteten eine immanentistische Gotteslehre, andere orientierten sich unter dem Einfluß des kontinentalen Protestantismus am historischen Jesus, den sie mehr oder weniger mit dem um seine wunderhaften Züge verkürzten Jesusbild der Evangelien gleichsetzten. Andere begnügten sich damit, die Notwendigkeit einer allgemeinen Lockerung jedweder dogmatischen Bindung zu betonen und moderne Säkularisierungstendenzen (—»Säkularisierung) zu begrüßen, obwohl es bemerkenswert ist, daß sie ihrer politischen und gesellschaftlichen Ausrichtung nach zumeist konservativ waren - für Inge und später auch M a j o r gilt das in ausgeprägtem M a ß . Ihr Individualismus hat sie im übrigen nicht davon abgehalten, sich innerhalb der —»Kirche von England in einer 1898 gegründeten kirchlichen Partei, T h e Churchmen's Union (seit 1928 unter dem Namen T h e Modern Churchmen's Union), zusammenzuschließen, deren Organ, The Modern Churchman (seit 1911), lange Jahre von dem ein wenig zur Polemik neigenden M a j o r herausgegeben wurde. Der anglikanische Modernismus, der dem römischen Katholizismus unter Einschluß des römisch-katholischen Modernismus gegenüber kritisch eingestellt war und die anglokatholische Bewegung innerhalb der Kirche von England (—* Anglokatholizismus) entschieden ablehnte, ist bis ins zweite und dritte Jahrzehnt des 20. J h . im englischen kirchlichen Leben nicht wirklich hervorgetreten. Sein entschiedenster Gegner war Bischof Charles —>Gore, der in ihm ein Bestreben zur Beseitigung oder Veränderung nicht allein zweitrangiger Lehraussagen, sondern auch der Gotteslehre und Anthropologie wirksam sah. Als richtungweisende geistige Kraft im religiösen Leben Englands hat der Modernismus während des letzten halben Jahrhunderts seine Bedeutung verloren, und mit dem Begriff verbindet sich heute kaum noch ein Gegenwartsbezug. Quellen Unter den Quellen zum katholischen Modernismus haben die im Voranstehenden genannten Veröffentlichungen modernistischer Autoren wie auch die auf die Bewegung bezüglichen päpstlichen Verlautbarungen vorrangige Bedeutung. Von den nicht veröffentlichten Quellen ist der Nachlaß von Loisy im Umfang von 33 Bänden in der Pariser Nationalbibliothek (Nouvelles acquisitions françaises 25634-25667) am bedeutendsten. Unentbehrliche veröffentlichte Quellen: Alfred Loisy, Choses passées, Paris 1913. - Ders., Mémoires pour servir à l'histoire religieuse de notre temps, 3 Bde., Paris 1930—1931. — Maude Dominica Mary Petre, Autobiography and Life of George Tyrrell, 2 Bde., London 1912. - Dies., George Tyrrell's Letters, London 1920. - Anne Louis-David (Hg.), Tyrrell's Letters to Henry Bremond, Paris 1971. - Bernard Henry Holland (Hg.), Selected Letters of Baron von Hügel, London 1927 (enthält eine Lebenserinnerung). - Ernesto Buonaiuti, Pellegrino di Roma. Le generazione dell' esodo, Bari 1945, NA v. M. Nicoli, Bari 1964. — René Marié, Au coeur de la crise moderniste. Dossier inédit d'une controverse, Paris 1960. - Zum Modernismus in Italien s. bes. Fonti e documenti, dedicato al gruppo radicale romano (a cura del Centro studi per la storia del modernismo, Istituto di Storia dell' Università di Urbino), Urbino 1972. Zum anglik. Modernismus: Ernest William Barnes, Should such a Faith Offend?, London 1927. - James Franklin Bethune-Baker, The Faith of the Apostles' Creed, London 1918. - Ders., The Way of Modernism, London 1927. - Percy Gardner, Modernism in the English Church, London 1926. - Henry Dewsbury Alves Major, English Modernism. Its Origin, Method and Aims, Cambridge, Mass. 1927. - M C M , insbesondere die Jahrgänge 1920-1930.
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Modrzewski
George Tyrrell and the Catholic Tradition, London 1982. - Alfred Leslie Lilley, Modernism. A Record and a Review, London 1908. - Thomas Michael Loome, Liberal Catholicism, Reform Catholicism, Modernism. A Contribution to a New Orientation on Modernist Research, Mainz 1979. - Émile Poulat, Histoire, dogme et critique dans la crise moderniste, Paris 1962, 2 1979. - Bernard M . G . Reardon, Roman Catholic Modernism, London 1970. - Jean Rivière, Le Modernisme dans l'Eglise, Paris 1927. - Paul Sabatier, Les modernistes, Paris 1912. - Pietro Scappola, Crisi modernista e rinnovamento cattolico in Italia, Bologna 1961. — Josef Schnitzer, Der kath. Modernismus, Berlin 1912. - Claude Tresmontant, Le Modernisme catholique, Paris 1976. - Alexander Roper Vidier, The Modernist Movement in the Roman Church, Cambridge 1934. - Ders., Varieties of Catholic Modernists, Cambridge 1970. Zum anglik. Modernismus: Arthur Michael Ramsey, From Gore to Tempie, London 1960. - Alan M.G. Stephenson, The Rise and Decline of English Modernism, London 1984.
Bernard M . G . Reardon Modrzewski, Andrzej 1. Leben
1.
2. Werk
Frycz
(1503-1572)
(Literatur S. 140)
Leben
Andrzej Frycz Modrzewski ( 1 5 0 3 - 1 5 7 2 ) wurde in Wolborz bei Piotrków geboren. Er entstammt einer armen Adelsfamilie aus Modrzew in Großpolen, woher sein Nachname abgeleitet ist. Er benutzte diesen Namen jedoch selten, meistens unterschrieb er mit „Fricz" oder „Fricius", was darauf hinweist, dai? sein Großvater oder Urgroßvater den Namen Fryderyk trug. Nach Abschluß der Pfarrschule in Krakau ( 1 5 1 4 - 1 5 1 7 ) studiert er an der philosophischen Fakultät der Krakauer Akademie (1517—1522). Nach dem Empfang der niederen Weihen beginnt Modrzewski das Studium der Theologie, welches er jedoch nicht beendet, abgeschreckt durch das veraltete scholastische Lehrprogramm. 1523 begibt er sich an den H o f des Kanzlers und Primas Jan —>ilaski. Zwei Jahre später wechselt er an den H o f des Posener Bischofs Jan Latalski, wo er das Amt eines Notars, d.h. eines Sachverständigen für Kirchenrecht, bekleidet. Ab 1529 arbeitet er mit J a n Laski zusammen, einem Neffen des Erzbischofs. Dieser ist Dekan in Gnesen und steht im Rufe eines gelehrten Humanisten, der die Reformation fördert. Ab 1531 unternimmt Modrzewski Reisen ins Ausland. Zunächst hält er sich längere Zeit in Deutschland auf, wo er sich an der -»Wittenberger Universität einschreibt. Dort lernt er Martin Luther kennen und schließt mit Melanchthon Freundschaft. Einem Edikt Sigmund I. zufolge, wonach Polen nicht an protestantischen Universitäten studieren dürfen, bricht er 1535 sein Studium in Wittenberg ab. 1536 begibt er sich nach Basel, um die von J a n Laski erworbene Bibliothek Erasmus' von Rotterdam zu übernehmen. Modrzewskis Reisen durch Süddeutschland, Frankreich und die Schweiz haben sein Leben stark geprägt, so daß er nach seiner Rückkehr nach Polen 1541 einen ungewöhnlich mutigen Kampf gegen die Mißstände der Feudalgesellschaft führt. Außerdem nähert er sich der Gruppe protestantischer Humanisten um Andrzej Trzecieski. 1547 wurde er zum Sekretär Königs Sigmund August ernannt. Sieben Jahre später verläßt er den H o f und übernimmt das Amt des Vogtes in seinem Geburtsort Wolborz. Verfolgt von der Kirche, die 1557 sein Hauptwerk De república emendartela auf den Index setzt, sucht er Schutz am Hofe des Hetmán Jan Tarnowski. Ein Schutzbrief Sigmund Augusts, der ihn von der päpstlichen Rechtsprechung ausschließt, erspart ihm weitere Repressalien. 2. Werk Seine schriftstellerische Tätigkeit beginnt Modrzewski mit der Schrift Lascius, sive de poetta homicidii (Krakau 1543). Hier greift er den ungerechten Beschluß des Sejms von Piotrków aus dem Jahre 1496 an, wonach ein Adliger für den Todschlag eines
Modrzewski
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Bürgers oder Bauern lediglich eine Geldstrafe zu zahlen hatte, wohingegen aber ein Bürger oder Bauer für den Todschlag eines Adligen mit dem Tode bestraft wurde. Modrzewski verfaßt noch drei weitere Traktate unter dem gleichen Titel zu diesem Thema. Außerdem erscheinen zwischen 1543 und 1549: 1) Oratio Philaletis Peripatetici...", ein Traktat gegen ein Gesetz, das Bürgern den Landbesitz verbietet, 2) Rede von der Entsendung der Abgeordneten zum christlichen Konzil — verfaßt nach Erhalt der Nachricht über die Einberufung des Konzils von Trient, 3) Dialog über den Empfang der Kommunion unter zwei Gestalten, 4) Traktat zu den Worten des Apostels: „Bonum est homini uxorem non tangere (Kor 7,1), das vom Zölibat handelt. Sein wichtiges Werk, an dem er von 1546-1551 arbeitete, ist das Traktat De republica emendanda. Dieses Werk besteht aus fünf Büchern: 1. Über die Sitten (de moribus), 2. Über die Rechte (de legibus), 3. Über den Krieg (de hello), 4. Über die Kirche (de Ecclesia), 5. Uber die Schule (de schola). Das Werk erscheint erstmals 1551, allerdings ohne die Bücher „Über die Kirche" und „Über die Schule", deren Veröffentlichung die Zensur verhindert. An Albrecht von Hohenzollern, dem er ein Exemplar seines Werkes zusendet, schreibt M: „Denn das Buch im Ganzen herauszugeben haben gewisse Krakauer Prälaten und Theologen nicht erlaubt." Die vollständige Ausgabe des Werks erscheint 1554 und 1559 in Basel bei J. Oporin. Die erste Übersetzung ins Polnische (C. Bazylik) stammt von 1557. (Eine spezielle Kommission, die sich aus Kennern der Renaissance zusammensetzte, übersetzte 1 9 5 1 - 5 9 seine gesamten Werke ins Polnische). Unter den Gelehrten im Ausland findet Modrzewskis Werk enthusiastische Aufnahme. Der bedeutende Humanist aus Padua J. Giustiniano schrieb leicht übertrieben, „daß seit tausend Jahren kein Werk das Licht der Welt erblickt hatte, welches im gleichen Maße sowohl nutzbringend für den Staat, als auch gleichzeitig mit großem Gewinn, ja sogar Genüsse sich lesen ließ". Ähnliche Meinungen äußerte der Pädagoge und Theologe J.Wolff und W. Wiessenburg. Modrzewskis Werk war ein Programm zur vollständigen Umbildung der Gesellschaftsordnung, gerichtet an die polnische Adelsrepublik. Modrzewski schöpft zwar aus antiken Quellen (Aristoteles, Cicero), sowie aus dem abendländischen Denken des 16. Jh. (Erasmus, Melanchthon), jedoch wurzelt seine Ideologie vor allem im heimischen Boden. Die Bauern nimmt er in Schutz vor Frondienst, das Bürgertum vor dem Adel (szlachta), die Benachteiligten und Armen vor den Privilegierten und Reichen. Er setzt sich ein für die rechtliche Gleichstellung aller, unabhängig vom sozialen Stand, Vermögen und Konfession. Er fordert die Zentralisierung der Macht, Stärkung der königlichen Macht gegenüber der Willkür der Magnaten und des Adels, ein gerechtes Gerichtswesen sowie eine straffe Verwaltung. Im Buch Über die Schule fordert er eine höhere Wertschätzung der Lehrer, Besteuerung reicher Klöster und Kirchengüter, um dadurch Mittel für Bildung und Schule zu gewinnen. Im Buch Über die Kirche übt er scharfe Kritik an der Kirche, stellt Forderungen, die klare reformatorische Züge haben: die Anerkennung der Heiligen Schrift als Grundlage des Glaubens, die Aufhebung des Zölibats, Liturgie in polnischer Sprache, Demokratisierung kirchlicher Strukturen. Seine Vorschläge vertritt er in dem Werk Über die Kirche, zweites Buch, das in der zweiten Ausgabe seines Werkes 1559 erscheint. Als das Konzil von Trient keine Änderungen im Geiste der Reformation durchführt, fordert Modrzewski den Bruch mit dem Papsttum und die Gründung einer selbständigen Nationalkirche, die alle Konfessionen vereinen und den religiösen Auseinandersetzungen ein Ende bereiten würde. Seit 1560 wendet er sich zunehmend dem polnischen Kalvinismus zu, 1 5 6 0 - 1 5 6 2 verfaßt er sogar zwei dogmatische Bücher: Über den Mittler (De Mediatore), um die Streitigkeiten in der kleinpolnischen Kalvinistengemeinde über die Mittlerrolle Christi zu schlichten. Als wegen des Dogmas der Dreifaltigkeit ein noch heftigerer Streit ausbricht, schreibt er auf Bitte des Königs Sigmund August die Silven, das letzte größere Werk seines arbeitsamen Lebens. Sie entstehen in den Jahren 1566 — 1568, kommen jedoch
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Möhler
erst 1590 in Raków heraus. In ihnen ruft er zur religiösen Toleranz auf und versucht in Anlehnung an die Heilige Schrift das Dogma der Dreifaltigkeit zu erklären, wobei er in seinen Ausführungen selbst zum Antitrinitarismus neigt. Sich dessen bewußt, daß er die dogmatischen Streitigkeiten nicht lösen kann, versucht er erneut, den König von der Notwendigkeit der Einberufung eines nationalen Konzils zu überzeugen. Der König könnte dann, wie einst Kaiser Konstantin der Große, kraft seiner Autorität alle religiösen Differenzen entscheiden, darunter auch das „verhältnismäßig geringe Problem der Dreifaltigkeit". Er wendet sich an den König mit folgenden Worten, die wohl seine Anliegen, die er bereits in den beiden Büchern „Über die Kirche" darlegte, am deutlichsten zum Ausdruck bringen: „Oh glücklich der Tag, an dem wir alle, die wir uns freuen in dir einen König zu haben, uns erfreuen werden an einer Religion, an einem Kult Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und an dem der ganze Chor des Himmels Anerkennung ausspricht für diese herrliche T a t " . Das Werk Modrzewskis beinhaltet die ausgereiftesten gesellschaftspolitischen Einsichten der polnischen Renaissance. Durchtränkt vom Humanismus, dem Glauben an den Menschen und menschlicher Vernunft, gewann es viele Anhänger im Lager der Reformation und unter dem fortschrittlichen polnischen Adel. Es lieferte dem Adel Argumente im Kampf mit der Gegenreformation. In Europa fanden seine rechtlich-politischen Konzeptionen sehr früh große Verbreitung und stellten ihn in die Reihe der Wegbereiter der neuzeitlichen Staats- und Rechtswissenschaften. Das Werk De república emendanda wurde bald nach der lateinischen Erstausgabe ins Deutsche, Französische, Spanische und Russische Übersetzt und erfreut sich großer Anerkennung sowohl unter den Humanisten und Reformatoren des 16. Jh., als auch unter den politischen Schriftstellern und abendländischen Juristen des 17. Jh. Literatur Andrzej Frycz Modrzewski, Dziela wszystkie, 5 Bde., Warschau 1953 — 1959. Einführung und Bearbeitung Lukasz Kurdybacha. — J . Chrzanowski, St. Kot, Humanizm i Reformacja w Polsce, Lwow 1927. — St. Kot, Andrzej Frycz Modrzewski, Krakau 1923. — Lukasz Kurdybacha, Ideología Frycza Modrzewskiego, Warschau 1953. — K. Lepszy, Andrzej Frycz Modrzewski, Warschau 1953. - M . Maliniak, Andreas Fricius Modrevius, Wien 1913. - W. Voisé, Andrzej Frycz Modrzewski, Warschau 1953. - Ders., Frycza Modrzewskiego nauka o pañstwie i prawie, Warschau 1956.
Eduard Balakier Möhler, Johann
Adam
1. Leben und Werk
1. Leben
und
(1796-1838) 2. Lehre
3. Nachwirkungen
(Quellen/Literatur S. 143)
Werk
Der am 6. Mai 1796 geborene Johann Adam Möhler war Sohn eines Gastwirts und Bäckers aus Igersheim bei Mergentheim. Ab 1815 studierte er katholische Theologie in Ellwangen, wo es seit 1812 neben einem unter den Vorzeichen des württembergischen Staatskirchentums errichteten Generalvikariat auch eine katholisch-theologische Fakultät gab („Friedrichs-Universität"). Nachdem König Wilhelm die Gründung seines Vaters Friedrich I. in Ellwangen fallengelassen und die katholische Fakultät nach -»Tübingen verlegt hatte, mußte Möhler, wie die anderen Theologiestudenten, seine Ausbildung in Tübingen fortsetzen ( 1 8 1 7 - 1 8 ) . Nach der üblichen Zeit im Priesterseminar des Bischofssitzes Rottenburg (1818 — 19) empfing Möhler dann die Priesterweihe. Danach hatte er einige Zeit als Vikar abzuleisten (Weil der Stadt, Riedlingen), bevor er wiederum nach Tübingen zurückgerufen wurde. Am dortigen Wilhelmsstift, wo er zuvor selbst gelebt und studiert hatte, wirkte Möhler seit 1821 als Präparand und Repetent. 1822 erfolgte die Designation zum Privatdozenten für Kirchengeschichte. Um für die Dozentur angemessen vorbereitet zu sein, unternahm M ö h l e r eine „literarische R e i s e " , die ihn über Würzburg und Bamberg nach Jena, Halle, Göttingen und Berlin führte. Diese
Möhler
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Reise, geprägt d u r c h d a s Erleben evangelischer T h e o l o g e n und die Begegnung mit ihnen (Gottlieb J a k o b Planck ( 1 7 5 1 - 1 8 3 3 ) , J . A . W . - » N e a n d e r , F.D. -»Schleiermacher u . a . ) , s c h ä r f t e seinen Blick f ü r d a s konfessionelle Problem u n d w a r eine entscheidende E t a p p e im Leben des späteren „Symbolikers".
1823-1826 lehrte Möhler in Tübingen Kirchenrecht, Kirchengeschichte und auch Apologetik (1823 — 1826 als Privatdozent, ab 1826 als außerordentlicher Professor, seit 1828 als Ordinarius). Rufe nach Freiburg (1826), Breslau und Münster (1828) lehnte der stets kränkliche Möhler ab. N a c h verschiedenen kleineren Aufsätzen und Rezensionen in der Tübinger Theologischen Quartalschrift fiel Möhler durch sein 1825 veröffentlichtes Werk über die Alte Kirche auf: Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus, darg. im Geiste der Kirchenväter der drei ersten Jahrhunderte. Möhler entwirft hier ein Bild von der Kirche, das normativen Charakter f ü r die Kirche ü b e r h a u p t hat und im Gegensatz steht zu dem aufklärerisch-liberalen Kirchenbild, dem Möhler anfangs wenigstens ansatzweise zugetan war. Die Einheit ist von romantischem Gedankengut geprägt und zeigt die Kirche als ein organisches Gefüge, in welchem ein geistgewirktes Leben herrscht, das seine im Sinne von Ganzheit zu begreifende Einheit eben vom Geist Christi empfängt. Ein an die G r ö ß e n o r d n u n g einer M o n o g r a p h i e h e r a n r e i c h e n d e r Aufsatz über Bischof Anselm von C a n t e r b u r y ( A n s e l m , Erzbischof von Canterbury. Ein Beitrag zur Kenntnis des religiös-sittlichen, öffentlich-kirchlichen und wissenschaftlichen Lebens im 11. u. 12. Jahrhundert), veröffentlicht in m e h r e r e n Teilen 1827/28, s o w i e ein Buch ü b e r den Kirchenvater A t h a n a s i u s aus d e m J a h r 1827 (.Athanasius der Große und die Kirche seiner Zeit, besonders im Kampf mit dem Arianismus) sind weitere wichtige Stationen in seinem G e s a m t w e r k . O b w o h l die Kontinuität mit der Einheit unü b e r s e h b a r ist, ist d o c h eine deutliche Wende von einem eher weiteren Kirchenverständnis hin zur verfaßten Kirche u n ü b e r s e h b a r .
Als H a u p t w e r k Möhlers wird freilich die Symbolik, oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten aus dem Jahr 1832 angesehen. Möhler hatte sich seit einer Reihe von Jahren mit dem konfessionellen Problem befaßt. Sein Werk ist auch eine unmittelbare Reaktion auf den evangelischen Theologen F. Chr. -»Baur und dessen Vorlesungen über „Symbolik". Im übrigen dürfte nicht zuletzt der seit den Reformationsjubiläen von 1817 und 1830 neuerwachte -»Konfessionalismus für Möhler motivierend gewesen sein. Das Buch, in dem der Tübinger Theologe eine „wissenschaftliche Darstellung der Gegensätze der verschiedenen, durch die kirchlichen Revolutionen des 16. Jh. nebeneinander gestellten, christlichen Religionsparteien aus ihren öffentlichen Bekenntnisschriften" (Symbolik, Einleitung) versucht, kann k a u m überschätzt werden. Es begründet Möhlers Ruf, der katholische Symboliker schlechthin und Wegbereiter der Ö k u m e n e im neuzeitlichen Katholizismus zu sein. Die Auseinandersetzungen (s. T R E 19,432,46 ff) und Querelen um dieses Werk in Tübingen, vor allem die direkte Kontroverse mit F. Chr. Baur, mögen Möhler 1835 veranlaßt haben, einen Ruf nach München anzunehmen. Dort konnte er aber infolge seiner Krankheit k a u m mehr aktiv sein. N o c h zum Domdechanten von W ü r z b u r g ernannt, starb er am 12. April 1838 in M ü n c h e n . N e b e n den g e n a n n t e n Werken gibt es n o c h eine Reihe von weiteren Schriften aus M ö h l e r s Feder, Aufsätze, A b h a n d l u n g e n u n d Rezensionen, die zumeist in der Tübinger Theologischen Quartalschrift erschienen sind. Eine Kirchengeschichte u n d eine Patrologie basieren auf Schülermitschriften. Authentizität, vor allem aber der Wert weiterer Schriften, die seit 1989 ediert w e r d e n (u.a. eine Apologetik von 1826), sind u m s t r i t t e n , sei es, weil es sich u m nicht h u n d e r t p r o z e n t i g gesicherte Schülermitschriften h a n d e l t , sei es, weil es sich u m Vorlagen f ü r den alltäglichen Lehrbetrieb handelt, die M ö h l e r u n t e r A n w e n d u n g verschiedener Materialien kompiliert h a t . Auch Schriften zur aktuellen Lage der Kirche seiner Z e i t sind von Interesse.
2.
Lehre
Möhler darf nicht aus seinem geistigen Umfeld herausgelöst werden. Einflüsse humanistischen Denkens, der —• Aufklärung, der - » R o m a n t i k sowie verschiedener Einzel-
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Möhler
gestalten aus Theologie und sonstigem Geistesleben sind deutlich. Unter den katholischen Theologen sind neben seinem Lehrer Johann Sebastian Drey (1777—1853) noch J . M . -»Sailer, A. Gügler, J . A . von Stark (Theoduls Gastmahl) und J . B . Kastner zu nennen, aus dem evangelischen Bereich Schleiermacher, dazu nahezu alle jene, die ihm auf seiner „literarischen Reise" wichtig geworden waren. Aus dem romantischen Umfeld müssen -»Novalis, Friedrich -»Schlegel und Friedrich Creuzer (1771-1858) erwähnt werden. Die Auseinandersetzung mit idealistischer Philosophie hat auch zu Aneignungen geführt (G.F.W. —»Hegel, F.W. -»Schelling). Insgesamt ist die denkerische Eigenart der frühen katholisch-theologischen Fakultät in Tübingen auch in Möhlers Werk nachweisbar. Die Theologie Möhlers ist aber mehr als Synthese, sie ist originell bereits im Ansatz. Die Durchdringung von historischer und systematischer Fragestellung ist in seiner theologischen Methode maßgeblich, weil das Christentum — ein „Leben", weniger eine „Lehre" — in der lebendigen Tradition fortlebt und sich dort artikuliert. Wer also den christlichen Glauben verstehen will, muß sich der Überlieferungsgestalt des Christentums, die im jeweiligen Heute präsent ist, zuwenden. Der Rückgriff auf den Anfang - die Alte Kirche, die Väter - ist noch einmal von besonderer Bedeutung, weil im „Anfang die Fülle" gegeben ist (humanistisches bzw. romantisches Motiv).
Mit dieser theologischen Methode wendet sich Möhler vor allem der Kirche zu. Die Kirche und ihre Einheit ist Zentrum seiner Theologie (s. T R E 11,777,37ff). Die Kirche ist das durch Offenbarung gesetzte „Leben" Christi in dieser Welt, ist „Ausdruck" — Symbol — des göttlichen Heilswillens. Das Ewige, das in die Geschichte eintritt, ist durch die Inkarnation erst hinreichend beschrieben, wenn diese mit der Kirche zusammen gesehen wird: „So ist denn die sichtbare Kirche . . . der unter den Menschen in menschlicher Form fortwährend erscheinende, stets sich verjüngende Sohn Gottes, die andauernde Fleischwerdung desselben..." (Symbolik, §36). Das „Leben" Christi, das die „Innenseite" der Kirche darstellt, geht in Sprache und Wort ein. In der Heiligen Schrift, den Gebeten, den Glaubensbekenntnissen ist es zugänglich. Die Kirche ist der Ort der im Heiligen Geist gegenwärtig gehaltenen Christusüberlieferungen (s. T R E 18,245,22ff). Pneumatologie und Christologie sind deshalb in dieser theologischen Vision untrennbar. Daß die Kirche faktisch nicht eine ist, hat Möhler lebensgeschichtlich bewegt. In seiner Theologie, besonders in der Symbolik, ringt er um eine „Theodizee der Glaubensspaltungen" (J.R. Geiselmann). Das Nebeneinander der Konfessionen ist nicht das Letzte, gleichwohl muß man mit dieser Realität jetzt leben. Diese Grundüberzeugung inspiriert Möhler einerseits, Lehr- und Lebensunterschiede der Konfessionen klar herauszustellen, andererseits aber auch, die Konfessionen in einer gewissen Relativität zu sichten und zu werten: Wie die konkret wahrnehmbare katholische Kirche Elemente der Unwahrheit und des Bösen an sich trägt, so gibt es im konkreten Protestantismus großartige Bezeugungen des Wahren und der Wahrheit.
Trotz eines relativ schmalen Werkes, angesichts des kurzen Lebens nicht verwunderlich, hat sich Möhler in seinen Hauptwerken auch anderen Fragen als denen aus der Ekklesiologie zugewandt. Hier ist an erster Stelle die Anthropologie zu nennen. Aber auch sie ist im Radius seines Grundinteresses angesiedelt. Dieses Interesse an theologischer Anthropologie führt u.a. zu beachtlichen Versuchen über das Verhältnis von „Natur" und „Übernatur", die der Theologie seiner Zeit weit voraus sind. 3.
Nachwirkungen
Die Einheit Möhlers ist ein Markstein der neueren katholischen Ekklesiologie. Die Symbolik, erschienen in 25 Auflagen und übersetzt in die wichtigsten Sprachen (s. Reinhardt), war von kaum vorstellbarer Breitenwirkung; die Wirkungsgeschichte ist im einzelnen noch nicht geschrieben. Dieses Buch darf als Werk klassischer Kontroverstheologie bzw. Ökumenik gelten. Im übrigen hat Möhler fast alle wichtigen Themen aktueller Theologie beeinflußt, inspiriert und gar geprägt. So hat er die Kirche als Communio entdeckt, ein Gedanke, der dem —»Vatikanum II eminent wichtig war. Er hat sie als
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Mönchtum I
Hüterin menschlicher Humanität und Freiheit gedeutet. Möhler hat der katholischen Theologie die Offenbarung als Grundthema zugewiesen und der Ökumenik einen zentralen Platz gegeben. Mit der Konzentration auf den Menschen hat er der „anthropologischen W e n d e " der Theologie Bahn gebrochen. Wenn auch ohne direkte Schülerschaft, so schätzte man sich doch seit Möhlers Tod dankbar und stolz, sein geistiger Schüler zu sein. Dies gilt von Franz Anton Staudenmaier ( 1 8 0 0 - 1 8 5 6 ) bis J . E . Kuhn und vielen anderen. D a s 1957 gegründete J o h a n n - A d a m - M ö h l e r - I n s t i t u t in P a d e r b o r n , maßgebliches katholisches Ö k u m e n e i n s t i t u t in Deutschland, trägt seinen N a m e n zu R e c h t .
Quellen Die beiden H a u p t w e r k e M ö h l e r s sind: Die Einheit in der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus, hg., eingel. u. k o m m . v. J o s e f Ruppert G e i s e l m a n n , Köln 1957. - Ders. (Hg.), Symbolik oder Darst. der d o g m a t . Gegensätze der Katholiken u. Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften, Köln 1 9 6 0 / 6 1 . - Die wichtigsten Aufsätze: J o h a n n J o s e p h Ignaz von Döllinger (Hg.), D r . J . A. M ö h l e r ' s G S u. Aufs., 2 Bde., Regensburg 1 8 3 9 / 4 0 . - J . A. M ö h l e r , Nachgel. Sehr. N a c h den Stenographien v. Stephan L ö s c h , hg. v. R u d o l f R e i n h a r d t , 2 B d e . , Paderborn 1 9 8 9 / 9 0 . Ferner: Vorlesung zum R ö m e r b r i e f , hg. v. R e i n h o l d Rieger, M ü n c h e n 1990. - Für M ö h l e r s Leben sind maßgeblich: Stephan L ö s c h , J o h a n n A d a m M ö h l e r , I (alles, was erschienen) Ges. Aktenstücke u. Briefe, M ü n c h e n 1928. - B a l t h a s a r W ö r n e r , J o h a n n Adam M ö h l e r . Ein Lebensbild. M i t Briefen u. kleineren Sehr. M ö h l e r s , hg. v. Pius Bonifacius G a m s , Regensburg 1866.
Literatur Karl Eschweiler, J o h a n n Adam M ö h l e r s Kirchenbegriff. D a s H a u p t s t ü c k der k a t h . Auseinandersetzung mit dem dt. Idealismus, Braunsberg 1930. — Heinrich Engel, G e m e i n s c h a f t in pädagogisch-anthropologischer u. theol.-anthropologischer Dimension aufgezeigt am Leben u. Werk J o hann Adam M ö h l e r s , Diss. Bonn 1983. - J o s e f R u p p e r t Geiselmann, J o h a n n Adam M ö h l e r . Die Einheit der Kirche u. die Wiedervereinigung der Konfessionen. Ein Beitr. zum Gespräch der Konfessionen, Wien 1940. - Ders., Lebendiger G l a u b e aus geheiligter Überlieferung. Der G r u n d g e d a n k e der T h e o l . J o h a n n Adam M ö h l e r s u. der k a t h . T ü b i n g e r Schule, F r e i b u r g / B a s e l / W i e n 1966 (Die Überlieferung in der neueren T h e o l . 1/2). — Ders., Die theol. Anthropologie J . A . Möhlers. Ihr gesch. Wandel, Freiburg/Br. 1955. - Ders., Die k a t h . T ü b i n g e r Schule. Ihre theol. Eigenart, Freiburg/Br. 1964. - H a n s Geisser, Glaubenseinheit u. Lehrentwicklung bei J o h a n n Adam M ö h l e r , Göttingen 1971 (Veröff. des Konfessionskundlichen Inst, des Ev. Bundes 18). - H a n s Friedrich Geisser, Die methodischen Prinzipien des Symbolikers J o h a n n Adam M ö h l e r . Ihre Brauchbarkeit im ö k u m e n . D i a l o g : T h Q 168 (1988) 8 3 - 9 7 . - R u d o l f R e i n h a r d t , B e k a n n t e u. unbekannte T e x t e aus dem N a c h l a ß J o h a n n Adam M ö h l e r s . Eine krit. Sichtung: C a t h ( M ) 3 6 (1982) 4 9 - 6 4 . - R e i n h o l d Rieger, U n b e k a n n t e T e x t e v. J o h a n n A d a m M ö h l e r . Ber. über eine Edition: T h Q 168 (1988) 1 5 3 - 1 5 8 . - Paul Werner Scheele, Einheit u. G l a u b e . J o h a n n Adam M ö h l e r s Lehre v. der Einheit der Kirche u. ihre Glaubensbegründung, M ü n c h e n / P a d e r b o r n / W i e n 1964. - Ders., J o h a n n A d a m M ö h l e r : Wegbereiter heutiger T h e o l . , hg. v. Heinrich F r i e s / J o h a n n Finsterhölzl, G r a z / W i e n / K ö l n 1969. - H e r m a n n T ü c h l e (Hg.), Die eine Kirche. Z u m Gedenken J . A . M ö h l e r s 1 8 3 8 - 1 9 3 8 , Paderborn 1939. - Fritz Vigener, Drei Gestalten aus dem modernen Katholizismus. M ö h l e r / D i e p e n b r o c k / D ö l l i n g e r , M ü n c h e n / B e r l i n 1926. - H a r a l d Wagner, Die eine Kirche u. die vielen Kirchen. Ekklesiologie u. S y m b o l i k beim jungen M ö h l e r , M ü n c h e n / P a d e r b o r n / W i e n 1977 (Beitr. zur ökumen. T h e o l . 16). - Ders., M ö h l e r auf dem Weg zur „ S y m b o l i k " : C a t h o l i c a 36 (1982) 1 5 - 3 0 .
Harald Wagner Mönchtum I. Religionsgeschichtlich II. Christlich
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I. Religionsgeschichtlich 1. Begriff ratur S. 149)
2. Jainismus
3. Buddhismus
4. T a o i s m u s
5. Manichäismus
6. Islam (Lite-
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Mönchtum I
1. Begriff Das Mönchtum (von griechisch fiov-axö?, substantivisch der Mönch, adjektivisch allein, von /iov-axov, nur an einem Ort) läßt sich als religionssoziologisches Phänomen durch eine Reihe von Merkmalen beschreiben, die in der Literatur unterschiedlich gewichtet werden. Eine Gruppe von Männern oder, seltener, Frauen versucht, sich aus ihrer Umgebung zu lösen, um ein Sonderleben der besonders strengen Einhaltung der Gebote und Verbote ihrer Religion oder gar nach einer zusätzlichen Sonderregel zu leben. Es wird eine strengere -» Askese eingehalten, als dies in nichtmonastischen soziologischen Gebilden möglich wäre oder üblich ist. So bildet das Mönchtum eine eigene gesellschaftliche Gruppe mit einem besonderen Status innerhalb seiner Religion, die als umfassendere religiöse Tradition vorauszusetzen ist. Die Sonderstellung bedingt einen Prestigegewinn, durch den das Mönchtum als das „Heilige", als erfüllt mit Kraft und religiösem Wissen, der Welt gegenübersteht. Der Zusammenschluß zu einer monastischen Gemeinschaft, die meist in einer klösterlichen Gemeinschaft (-»Kloster) lebt, kann den Eifer des Einzelnen fördern und die Macht und den Einfluß der Gemeinschaft stärken, vermag die Angriffe leichter abzuwehren und positive Fähigkeiten besser aufzuspeichern. Es spielt keine Rolle, ob das Mönchtum eine Randerscheinung seiner Religion ist (Christentum, vor allem Islam) oder in ihrem Zentrum (Jainismus, Buddhismus) steht. Ziel des Mönchtums ist es, höchstmögliche religiöse Vollkommenheit der eigenen Person, d.h. Heiligkeit, zu erreichen und ggf. in die Sphäre des Numinosen einzutauchen. Das Innenleben soll durch strenge Befolgung einer Regel ausgebildet werden mit dem Ziel der -»-Erleuchtung oder der Nähe zur Gottheit. Sekundär kann die Erlangung besonderer Kräfte oder Gnadengaben folgen. Mönchtum als Träger von Heiligkeit und Kraft wird von Weckman als höchst nebensächlich behandelt. Wieder anders sieht Guillaumont die mystische Suche (-»Mystik) nach Einheit als Basis, aus der sich alle anderen konstitutiven Elemente des Mönchtums erklären und herleiten ließen. Die Weltflucht, die durch die abgesonderte Lebensweise auch bei Stadtklöstern vorliegt, soll dazu verhelfen, sich voll auf das Erlangen der Kraft, Gnade, Gottesnähe oder Erleuchtung zu konzentrieren, oder sie soll verhindern, daß bereits erworbene Kraft wieder verlorengeht. Die Vorschriften der Regeln betreffen vor allem die Ernährung, die geschlechtliche Enthaltsamkeit ( - » Keuschheit) und die Einschränkung oder das Verbot von persönlichem —•Eigentum (—»-Armut), aber auch den —»Gehorsam als Demutsübung (-»Demut). Der Tagesablauf ist genau vorgeschrieben: Die —»Meditation und/oder das Gebetsleben (-•Gebet), die gelegentlich sogar als zentrales Merkmal des Mönchtums gesehen wurden (Lanczkowski), gehören in jedem Fall zu den wichtigsten Aktivitäten in einem Kloster. Nahrungsaufnahme (-»Fasten) und Schlaf sind reglementiert und reduziert. Der Verzicht auf Privateigentum bzw. dessen Minimierung kann einhergehen mit einem partiellen Kollektivbesitz, doch soll das Leben des einzelnen stets mit einem Komfortverzicht verbunden sein. Der Mönch oder die Nonne soll sich frei zu der monastischen Lebensform entscheiden, wobei eine „Berufung" dazu vorliegen kann, der jedoch in freier Entscheidung zugestimmt werden muß. Ein Mitglied einer Religion kann dem Mönchtum beitreten, muß es aber nicht. Untergliedert ist die Gemeinschaft in Vollmitglieder (Mönche, Nonnen) und Novizen, gelegentlich auch Laienhelfer. Vollmitglied wird man durch einen besonderen Initiationsritus (—»Initiation) wie Weihe oder Ordination und ggf. durch Ablegen eines -»Gelübdes. Ein solches Vollmitglied kann sich als Einsiedler aus seiner Gemeinschaft zurückziehen, wobei es je nach Verständnis der Initiation durchaus Mitglied des Mönchtums bleiben kann. Auch Vollmitglieder stehen oft in enger Beziehung zu einem charismatischen Führer (Starec, Meister, Guru), die in einer Schülerschaft oder in völligem Gehorsam bestehen kann. Auch als Leiter einer monastischen Gruppe fungiert möglichst ein solcher charismatischer Führer. Äußeres Merkmal des Mönches ist häufig eine besondere Kleidung, die normalerweise Einfachheit und Armut wider-
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spiegeln soll und ihn von den anderen Mitgliedern seiner Religion unterscheidet. Eine besondere Haar- oder Barttracht oder Attribute wie eine Bettelschale können ebenfalls zur Unterscheidung beitragen. Die Zugehörigkeit zum Mönchtum vermittelt, nicht zuletzt durch den Initiationsritus, eine neue oder zusätzliche Identität, die durch solche äußere Kennzeichen, durch die Annahme eines neuen Namens, aber auch durch ein spezifisches Verhalten oder eine besondere Art, Beziehungen zu Nichtmönchen zu regeln und zu gestalten, ausgedrückt wird. Die Initiation wird häufig als Tod und Wiedergeburt gesehen, so daß das Mönchtum selbst sich als gestorben für die Welt betrachten kann. Die Vielfalt des M ö n c h t u m s zeigt sich bei M e r k m a l e n , die nicht in allen Religionen vorkommen, die aber doch eng mit dem M ö n c h t u m verknüpft sind. Mönchtum kann als mehr zufälliger und lockerer Zusammenschluß von Einsiedlern organisiert sein, es kann in lebenslang oder zeitweise eng verbunden lebenden Gruppen bestehen, es kann den einzelnen lebenslang oder nur zeitweise zur Zugehörigkeit verpflichten, es kann ortsgebunden, z.B. in einem Kloster, leben oder als Wandermönchtum bestehen. Die Mitglieder einer monastischen Gruppe können sich selbst versorgen oder von Spenden leben, wofür sie Gegenleistungen in Gestalt von Predigt, Belehrung oder Gebet für die Welt und die Menschen leisten können. Sie gehen körperlicher Arbeit nach oder enthalten sich dieser. Mönchtum kann eine eher mystische oder eher praktische Ausrichtung haben, sehr kleine Gruppen umfassen oder Großklöster mit mehreren Tausend Insassen. M a h l zeiten können gemeinsam oder getrennt eingenommen werden. Neben den für alle M ö n che gültigen Regeln kann es Sonderformen der Askese geben (Styliten, die auf einer Säule leben; Inklusen oder Reklusen, die sich auf Lebenszeit einmauern lassen) oder auch einen zweiten, höheren Grad der Mönchsweihe, die ein im Vergleich zu gewöhnlichen Mönchen nochmals zurückgezogeneres Leben ermöglicht (Mönche mit dem „Großen Schema" im Orthodoxen Mönchtum). Häufig kommt dem Mönchtum die Pflege der religiösen Traditionen und der religiösen Literatur zu, wodurch es auch ein besonderes Wissen für sich beanspruchen kann. Dieses Wissen hat im Gefolge, daß das Mönchtum eine wichtige Rolle bei der inneren und äußeren Mission spielt und charismatische Führer hervorbringt. Möchtum kann sich der Bildung der Jugend annehmen oder sich um soziale Notstände kümmern. Durch ihre Suche nach Einsamkeit wurden Klostergründungen häufig Vorläufer für die Zivilisierung oder Missionierung einer noch unerschlossenen Region. An solch entlegenen Orten dienten sie oft auch als Herberge. Der Kontakt zur Außenwelt bleibt zumeist gering, da deren Erscheinungen negiert, nicht beachtet oder umgedeutet werden. Die diesseitige Welt beurteilt das Mönchtum pessimistisch als unzugänglich, vergänglich und damit unwichtig oder gar als heilswidrig. Häufig wird auch der Kontakt zur Familie reduziert oder ganz aufgegeben. Zur Verstärkung der Weltflucht kann das Schweigen dienen. Klöster oder einzelne Mitglieder des Mönchtums können Ziel von Wallfahrten werden, die vom Mönchtum gefördert werden können. In diesem Fall läßt man die interessierte Außenwelt zu sich kommen. Gehören die Predigt und die Mission zur Aufgabe des Mönchtums, sucht es auch selbst den Kontakt zur Außenwelt, aber möglichst nur zu dem Zweck der Verkündigung. Mönchtum steht der Organisation seiner Religion außerhalb des Mönchtums oft sehr kritisch gegenüber, ebenso dem Staat, mit dem es sich aber auch verbünden kann, z.B. zur Abwehr von gegen die eigene Religion gerichteten Strömungen. Gesetzmäßigkeiten für das Entstehen von Mönchtum sind nicht auszumachen. Die Ausgestaltung ist in den Religionen verschieden, w a s Abhängigkeiten in Einzelfällen nicht ausschließt (z.B. taoistisches Mönchtum vom buddhistischen, dieses wiederum vom jainistischen). Das Mönchtum unterscheidet sich von anderen religiösen Sondergruppen wie Priestern, —»Propheten oder Schamanen (—•Schamanismus) dadurch, daß es nicht primär den Dienst an den anderen Menschen zum Ziel hat, sondern die eigene Vervollkommnung, evtl. mit dem Endziel, dadurch auch anderen Menschen auf ihrem Weg zum Heil
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zu helfen. Priestertum und Mönchtum können sich in einer Person mischen, wie auch die zum Propheten gehörende Berufung bei Mönchen vorkommt. Der idealtypischen Abgrenzung von Mönch, Priester und Prophet bei Heiler (384 u. 395) kann nicht zugestimmt werden. Nicht zum Mönchtum gehören Phänomene wie Geheimbünde, Philosophenschulen oder -»Bruderschaften. Wenn Merkmale des Mönchtums auf die gesamte Religion zutreffen, spricht man nicht mehr von Mönchtum, sondern etwa von einer Sekte. 2. ->Jainismus Am Ende ihres Lebens als Brahmanenschüler und Hausväter, die ihre religiöse Pflicht zu vollziehen hatten, zogen sich Brahmanen als Waldeinsiedler zurück und reduzierten ihre kultischen Aufgaben, um schließlich als samnyäsin den Kult ganz aufzugeben zugunsten der Meditation. Daneben gab es junge Asketen, die als Bettler (bhiksu) umherzogen oder in der Einsamkeit lebten und auch Jünger um sich scharten. (Aus diesen Anfängen entwickelte sich in nachbuddhistischer Zeit ein bescheidenes hinduistisches Mönchtum.) Noch vor Buddha jedoch stiftete Pärsva (gest. um 720 v.Chr.) eine raonastische Organisation, die Männer und Frauen umfaßte. Der Mönchsstand wurde von einer sich um ihn scharenden Gemeinde unterstützt. Mit der Reformierung dieser Gruppe durch Vardhamäna MahävTra Nätaputta im 6. Jh. v. Chr. entstand in bewußter Abgrenzung zum Brahmanismus die Mönchsreligion des Jainismus. MahävTra legte großen Wert auf die Askese und die Organisation der Laiengemeinde. Gerade letzteres ermöglichte ein Überleben in Indien bis auf den heutigen Tag. Bei der Initiation empfängt der Novize einen Mönchsnamen und einige Gegenstände wie Kleidung oder Almosenschale. Die Regel fordert NichtVerletzung von Lebewesen (abimsä), Wahrhaftigkeit, geschlechtliche Enthaltsamkeit, sich nicht anzueignen, was einem nicht gegeben wurde, und nicht nach Besitz zu streben. Die Laien, „Hörer" (srävaka) genannt, müssen nur eine weniger strenge Form der Regeln einhalten. Zudem müssen sie die wirtschaftliche Existenz der Mönche und Nonnen sicherstellen, die sich außer in der Zeit des Monsun auf Wanderschaft befinden. Die Erlösung aus dem Geburtenkreislauf ist nur durch das Leben im Mönchtum möglich. Durch Fasten und Übungen zur Abtötung des Fleisches soll die Anhäufung von schlechtem karma vermieden werden. Geistliche Übungen ergänzen die Askese (tapas), die jedoch stets Priorität hat, wobei der Meditation über die Entwicklung des karma vorrangige Bedeutung zukommt. Durch ein Schisma um 80 n. Chr. entstanden zwei Gruppen, deren Mönche nackt gehen (im Mittelmeerraum als yv/ivoocxpiorai bekannt) bzw. weiß gekleidet sind. 3.
—•Buddhismus
Der Buddhismus hat seit seiner Gründung durch Buddha (ca. 4 5 0 - 3 7 0 v.Chr.) stets das Ideal des Mönchtums gepflegt. Aufgrund seiner Ausbreitung über den asiatischen Kontinent hat es sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Der Mönch konnte ein Einsiedler, ein Wandermönch oder ein Mönch in einem gemeinschaftlich organisierten Kloster sein. Die zentrale Stellung des Mönchtums im Buddhismus beweist die Tatsache, daß es zu den drei Kleinodien, zu denen der Buddhist Zuflucht nehmen soll, gehört. Diese sind Buddha, Dharma (Heilslehre) und Samgha (Ordensgemeinschaft). Der Buddha selbst hatte in seinen Lebensphasen (Suche und Askese, Erleuchtung und Verbreitung der Lehre) das Leben eines Wandermönches gewählt. Er hat außerdem den Orden für Mönche und, wenn auch ungerne, für Nonnen gegründet. Die Laienanhänger sorgten für den materiellen Bedarf. Erst nach Buddhas Tod entwickelte sich aus dem Wander- und Bettelmönchtum langsam ein ortsgebundenes Klostermönchtum. Während der drei Monate des Sommermonsuns durften schon zu Buddhas Zeiten die Mönche an einem Ort verbleiben, was den dauerhaften Zusammenschluß und die Ortsgebundenheit insgesamt gefördert haben wird. Für das 7. Jh. n. Chr. werden große Klosterzentren in Indien und in Zentral- und Ostasien bezeugt. In Japan erfuhr das Mönch-
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tum, vor allem des schon in China entstandenen Zen-Buddhismus, eine Blüte, doch wurden dort andererseits das Laientum, das Weltliche und die Arbeit sehr hoch geschätzt, so daß Shinran, der Gründer der „Sekte des Reinen Landes", lehrte, daß man das Heil auch bei einem Leben in Haus und Familie erlangen könne. In China war der Buddhismus von Anfang an klösterlich geprägt. Wandermönchtum spielte hier keine Rolle. Der ->Lamaismus Tibets wurde die klösterliche Ausprägung des Buddhismus par excellence, wobei die Gruppe der Rotmützen verheiratetes Mönchtum zuläßt. Nach dem Eintritt in das Noviziat ist mit 20 Jahren, heute oft auch früher, die Ordination zum Mönch möglich, die als Rechtsakt zu verstehen ist. Vor einer Gruppe von mindestens zehn Mönchen bittet der Kandidat dreimal um Aufnahme in den Orden. Wenn dem Antrag zugestimmt wird, gilt der Kandidat als aufgenommen. Der Kopf wird geschoren, zudem erhält man ein einfaches gelbes oder rotes Gewand, eine Almosenschale und einige andere Utensilien. Der Austritt aus dem Orden ist jederzeit möglich. Im Vinaya-Pitakä (Korb der Ordenszucht) sind die Regeln des Mönchslebens niedergeschrieben. In den Orden können Mitglieder aller Kasten eintreten. Verboten ist der Ackerbau, wie überhaupt zumeist Handarbeit. Armut ist im Buddhismus fester Bestandteil des Mönchtums, wenngleich die materielle Blüte der Klöster in der Praxis für manche Aufweichung gerade dieses Gebotes sorgte, was wiederum Reformen nach sich zog. Zehn Vorschriften sind vor allem zu beachten: Verbot des Tötens, Verbot des Stehlens, Verbot des Geschlechtsverkehrs, Gebot der Wahrhaftigkeit, Verbot des Genusses von alkoholischen Getränken, Verbot des Essens zur Unzeit, Meidung öffentlicher Vergnügungen, Meidung von Schmuck und Wohlgerüchen, Verbot einer bequemen Lagerstatt und Verbot, Geld und Silber entgegenzunehmen. Weitere, ca. 240 Gebote und Verbote, deren Zahl unterschiedlich überliefert ist, sind als Ausführungsbestimmungen und Bußkatalog zu verstehen. Nichtbeachten der Regel führt je nach Schwere des Verstoßes zu einer milden Strafe oder auch zum zeitweiligen oder endgültigen Ausschluß aus dem Orden. Nach der Vorstellung des Buddha sollte ein Leiter dem gesamten buddhistischen Mönchtum vorstehen, doch änderte sich die Organisation rasch. Die Klöster entwickelten sich zu selbstverwalteten Einheiten, wobei Klostervorsteher oder auch eine Synode von Mönchen die Leitung innehaben konnten. Das Leben kreist, sofern nicht für den Lebensunterhalt gebettelt werden muß, ganz um das Rezitieren von Sütras, um Meditation, das Studieren des Vinaya-Pitakä oder von Lehrtexten und die Diskussion darüber. Die Nachtruhe ist stark verkürzt. Im Unterschied zum Theraväda-Buddhismus stellt das Mahäyäna-Mönchtum über die Einhaltung der alten Gebote das Bodhisattva-Ideal. Der Mönch soll alle anderen Wesen zum Heil führen. Im frühen Buddhismus ist der Nonnenorden insofern dem der Mönche gleichwertig, als der Nonne wie dem Mönch im Gegensatz zum Laien das Erreichen der Erleuchtung und des Heils ohne weitere Wiedergeburten zugesprochen wurde. In den äußeren Fragen des irdischen Daseins waren die Nonnen jedoch den Mönchen untergeordnet. Nonnen durften nicht allein wandern, bedurften bei ihrer Ordination der Zustimmung des Nonnen- und des Mönchsordens, mußten unabhängig von ihrem Alter und der Zeit, die sie schon ordiniert waren, jeden jungen Mönch ehrfurchtsvoll grüßen, durften Mönchen gegenüber nicht predigen, waren im Vollzug der Beichte von den Mönchen abhängig u.a.m. Da die Ordinationskette jedoch abgerissen ist, sehen sich die heutigen Nonnen nicht mehr in der Nachfolge der früheren, haben nur noch den Status von Novizinnen und halten sich deshalb nicht mehr an die für Nonnen gültigen Regeln. Sie sind von den Mönchen unabhängig organisiert, und jedes Kloster untersteht einer Klostervorsteherin. Die Beteiligung des Mönchtums am öffentlichen Leben ist unterschiedlich. Bei einer Ethik, die ihr Ziel in vollkommenem Gleichmut und der Vermeidung der Aufnahme von Beziehungen mit der Welt und dem damit verbundenen Anhäufen von schlechtem Karma sieht, ist soziales und politisches Engagement kaum zu erwarten. In der Praxis je-
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doch zeigt sich ein anderes Bild. Im Mahäyäna liegen die Dinge aufgrund des BodhisattvaIdeals ohnehin anders. In Sri Lanka und Vietnam, vor allem aber in Burma und Thailand spielen die Mönche und Nonnen eine wichtige Rolle im politischen und sozialen Leben. In vielen Ländern blüht das Mönchtum nach wie vor. Es leistet vieles für die geistliche und allgemeine Bildung. Speziell die Nonnen halten den Kontakt zur Außenwelt durch seelsorgerische Arbeit unter den Frauen, durch Unterricht und karitative Tätigkeit. 4. Taoismus
(—*Chinesische
Religionen)
Das taoistische Mönchtum hat sich aus Einsiedeleien entwickelt, und zwar nach buddhistischem Vorbild ab der späten Han-Zeit (25 - 220 n.Chr.). Die Regeln für die Mönche und Nonnen entsprechen weitgehend den buddhistischen: Nichttöten und Nichtschädigen von Lebewesen, nicht stehlen, Wahrhaftigkeit, nicht Unzucht treiben, Enthaltsamkeit von Fleisch und Wein. Die meisten Kandidaten, die Mönch oder Nonne werden wollen, finden im Alter von 12 bis 20 Jahren Aufnahme in einem Kloster. Voraussetzung ist, daß der Kandidat einen Meister in einem Kloster gefunden hat. Als Novize lernt er, die praktischen Arbeiten im Kloster auszuführen, studiert die kanonischen Schriften und lernt die Morgen- und Abenddienste kennen. Ist er fortgeschritten genug, wird er auf die Ordination vorbereitet. Er ist dann frei, in dem Kloster, das ihn ordiniert hat, zu bleiben, bei seinem Meister zu leben oder auf Wanderschaft zu gehen. Mindestalter für die Ordination ist 16 Jahre. Bei einem der Ordination vorausgehenden Ritual erhält der taoistische Mönch (tao-shih) ein besonderes Gewand und eine Eßschale und andere Utensilien. Ein weiteres äußeres Kennzeichen ist das hochgebundene, lange Haar. Das Leben und der Tagesablauf im Kloster sind genau geregelt. Wer die Gebote bricht, wird nach einem genauen Katalog bestraft. Trotz der Abhängigkeit vom Buddhismus und mancher Ähnlichkeit mit seinem Mönchtum hat das taoistische Mönchtum eine eigenständige Ausprägung erfahren. 5. —>
Manichäismus
Im Manichäismus ist der Stand der Mönche, der Electi, d. h. der Auserwählten, durch den Stifter der Religion selbst, den Perser Mani ( 2 1 6 - 2 7 6 ) , vielleicht unter dem Eindruck syrisch-christlicher oder indischer Vorbilder, eingeführt worden. Mani hat dabei an ein Wandermönchtum gedacht. Um jedoch allen Aufgaben, der Predigt und dem Abschreiben, dem Illustrieren und dem Übersetzen der kanonischen Bücher, nachkommen zu können, mußten feste Unterkünfte eingerichtet werden, so daß es bald zu einem ausgedehnten Klosterwesen kam. Dieses entfaltete sich mehr in Zentralasien als im Mittelmeerraum, wo der Römische Staat die ungehinderte Ausbreitung nicht zuließ. Die ideale Lebensführung des Manichäers ergab sich aus der dualistischen Lehre, wonach das an die Materie des Leibes gefesselte Licht zu befreien war. Begierde schädige das Licht, ebenso Handarbeit, Ackerbau, Geschlechtsverkehr usw. Die Lebensbeziehungen mußten also nicht kultiviert und auf einen mittleren Weg reduziert, sondern minimiert werden. Die notwendige konsequente Befolgung aller Gebote war dem normal lebenden Menschen nicht möglich, weshalb Mani neben den Auditores, den Hörern (im Jainismus werden die Laien ebenso bezeichnet), die elitäre Gruppe der männlichen und weiblichen Electi bzw. Electae schuf. Aus ihren Reihen gingen die Führer der manichäischen Religionsgemeinschaft hervor. Da ihnen jegliche Handarbeit verboten war, wurden sie von den Auditores versorgt. Fleisch- und Weingenuß waren verboten. Die Ernährung durch lichthaltige Speisen, also Pflanzen, diente der Befreiung des in diesen enthaltenen Lichtes. Wie den Auditores war den Electi Lügen, Töten, Verleumdung, Unzucht (und bei den Electi Geschlechtsverkehr überhaupt), Götzendienst, Zweifel an der Religion, Diebstahl und Zauberei verboten. Regelmäßig wurde gefastet, vor allem in den 30 Tagen vor dem Bema-Fest zum Gedenken an den Tod Manis. Dieses lange Bema-Fasten ist dem muslimischen Ramadan ähnlich, da auch die Manichäer nach Sonnenuntergang das Fasten brechen durften. Normalerweise wurde von den Electi nur eine vegetarische
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Mahlzeit täglich eingenommen. Es gab ein geregeltes Gebetsleben mit Schriftlesungen, wobei für die Electi sieben Gebetszeiten täglich vorgesehen waren. Das Singen von Hymnen dürfte dabei vorherrschend gewesen sein. Beichtformulare, ähnlich den buddhistischen, sind auch bekannt. Über ein Noviziat und die Initiation sind wir nicht unterrichtet. Der Electus war zur Armut verpflichtet. Electi trugen weiße Kleidung, die sie von den Auditores abhob. 6.
->Islam
War noch M u h a m m a d dem zölibatären Mönchtum gegenüber kritisch eingestellt (Sure 57,27), so entwickelte sich bald auch im Islam eine Mystik (Sufismus) und in deren Gefolge ein Ordenswesen, das teilweise durchaus als Mönchtum angesprochen werden kann. Einflüsse aus dem syrisch-christlichen Mönchtum, aus dem Neuplatonismus, aus dem Iran, aus dem zentralasiatischen Buddhismus und aus der Gnosis werden angenommen. Im Islam hat sich das Mönchtum aus einem Asketentum entwickelt, das sich dem Gebet, dem Fasten und der Koranlektüre widmete. Das mystische Element veränderte diese asketische Bewegung, indem es im 8. Jh. die Gottesliebe einbrachte. Im 10. Jh. konsolidierte sich das Sufitum. Es erschienen Handbücher und im 11. Jh. eine einfache Mönchsregel. Durch die Existenz der Sufis (von süf, Wolle, als Hinweis auf das grobe Wollgewand der ersten Asketen) konnte der Islam auch mystisch interessierte Menschen ansprechen und gewinnen. In der Mystik traf sich der Sufismus mit der SchVa. Der Sufismus erlangte vielerorts mit seinen Derwisch-Orden und Bruderschaften so großen Einfluß, daß er teilweise, z. B. in der Türkei und in Ägypten, mit gesetzlichen Verboten oder Begrenzungen eingedämmt wurde. Die Klostergemeinschaft ist hierarchisch gegliedert. Ein Beitrittswilliger sucht sich einen Meister (sayh), der ihn auf den „ P f a d " führt, dessen wichtigste Stationen Reue, Gottvertrauen, Entsagung von der Welt, Zufriedenheit, Liebe und Erkenntnis sind. Dieser Meister prüft den Novizen oft hart, was ein enges Vertrauensverhältnis voraussetzt, weshalb man lange nach einem geeigneten Meister sucht. Nach drei Jahren kann der Adept den Flickenrock erhalten, die baraka, d.h. den Segen des Meisters, und einige andere Utensilien und tritt damit in eine Gruppe um den Meister ein. Dort wird sein geistiges Leben genau beobachtet. Zu den Pflichten des Sufis gehören neben denen des gewöhnlichen Muslims Fasten, Schlafreduzierung, freies Gebet, das z.B. in der mehrtausendfachen Wiederholung eines Koranverses bestehen kann, und das genaue Studium des Koran. Ähnlich dem Herzensgebet der Orthodoxen Kirche gibt es den dikr, das unablässige Gedenken an Gott, etwa in der Formel „ O Allah", das immer und überall gesprochen oder gedacht werden kann. Diese Praxis des mystischen Gebetes kann mit Atemkontrolle kombiniert werden und erfordert die Führung durch einen erfahrenen Meister. Auch Musik und Tanz konnten, wenn auch nicht ohne Widerstand, in die sufische Mystik Eingang finden. Der Liebesdienst am Mitmenschen wurde immer als Pflicht des Sufis betrachtet, wozu schließlich auch die Predigt gerechnet wurde. Die Architektur der Klöster war sehr unterschiedlich. Teilweise gab es nur einen Gemeinschaftsraum, in dem Leben und Arbeit stattfanden. Meist aber gehörten eine Moschee, Zellen für die Sufis, Wirtschaftsräume, Studierräume usw. zu einem Kloster. Wirtschaftlich wurden die Klöster stets von außen am Leben erhalten. Sufis durften verheiratet sein. Während einzelne Frauen beträchtliche Bedeutung auf die Entwicklung des Sufismus ausüben konnten, z.B. als Dichterinnen, blieben Frauenklöster eine eher seltene Randerscheinung. Literatur:
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II. C h r i s t l i c h 1. Einführung 2. Alte Kirche 2.1. D a s erste M ö n c h t u m 2.2. Ursprünge des christlichen Mönchtums 2.3. Das koinobitische M ö n c h t u m 2.4. Der Beitrag des Basilius von C a e s a r e a zur E n t w i c k l u n g des M ö n c h t u m s 2.5. Das frühe abendländische M ö n c h t u m 3. M i t t e l a l t e r 3.1. G e m e i n s a m e Entwicklungen in O s t und West 3.2. Das M ö n c h t u m im Osten 3.3. Das Mönchtum im Abendland 3 . 3 . 1 . Frühmittelalter ( 7 . - 9 . Jh.) 3.3.2. Hochmittelalter 4. R e f o r m a t i o n und G e g e n r e f o r m a t i o n bis zum Ende des ( 1 0 . - 1 2 . Jh.) 3.3.3. Spätmittelalter 17. J h . 4 . 1 . Die R e f o r m a t i o n und das M ö n c h t u m 4 . 2 . Die katholische A n t w o r t 4 . 3 . Der p r o testantische Pietismus 4 . 4 . Port R o y a l als Beispiel 5. Neuzeit 5 . 1 . Aufklärung, Absolutismus, Revolution 5.2. Restauration des M ö n c h t u m s und neue Entwicklungen (19. und beginnendes 20. J h . ) 5 . 2 . 1 . In der katholischen Kirche 5 . 2 . 2 In der protestantischen Welt 5.2.3. Orthodoxie 6. D a s 20. J h . bis zur G e g e n w a r t 6 . 1 . O r t h o d o x e und orientalische Kirchen, Kirchen im kommunistischen Machtbereich 6.2. D a s M ö n c h t u m in der „ e r s t e n " und „ d r i t t e n " Welt 6 . 2 . 1 . D a s katholische M ö n c h t u m heute 6.2.2. Evangelisches M ö n c h t u m heute (Literatur S. 186) 1.
Einführung
O h n e Z w e i f e l ist d a s M ö n c h t u m e i n e d e r w i c h t i g s t e n E r s c h e i n u n g e n in d e r G e s c h i c h t e d e r K i r c h e . W . N i g g h a t es a l s „ d i e B r u n n e n s t u b e d e r . . . K i r c h e " b e z e i c h n e t ( G e h e i m n i s 1 7 ) , u m d i e s d e u t l i c h zu m a c h e n . E s g i b t e i n M ö n c h t u m u n d i h m v e r w a n d t e
Erschei-
n u n g e n a u c h i n a n d e r e n R e l i g i o n e n ( s . o . I ) , d o c h ist d a s c h r i s t l i c h e M ö n c h t u m a l s e i n e h i s t o r i s c h e E r s c h e i n u n g s u i g e n e r i s zu w ü r d i g e n . „Monasticum
est - Semper
idem
est",
sagten die Vollzieher der a b s o l u t i s t i s c h - h e r r -
s c h e r l i c h e n - » S ä k u l a r i s a t i o n d e r A u f k l ä r u n g s z e i t , als sie die K l o s t e r b i b l i o t h e k e n t e t e n , u m die w e r t v o l l e n H a n d s c h r i f t e n u n d D r u c k e in die k a i s e r l i c h e n ,
sich-
königlichen
o d e r f ü r s t l i c h e n B i b l i o t h e k e n zu ü b e r f ü h r e n . D i e n a t u r g e m ä ß breit v e r t r e t e n e rein m o n a s t i s c h e L i t e r a t u r e r s c h i e n i h n e n a l s d a s e w i g G l e i c h e , v i e l zu h ä u f i g V o r h a n d e n e . U n d s o k i p p t e n s i e s i e g e l e g e n t l i c h s c h o n m a l e i n f a c h z u m B e f e s t i g e n in b e s o n d e r s s c h l a m m i g e L a n d s t r a ß e n ( s o j e d e n f a l l s i n B a y e r n 1 8 0 3 ff g e s c h e h e n ) . D o c h in d i e s e m S p r u c h ,
der
w a h r s c h e i n l i c h s c h o n von mittelalterlichen K l o s t e r b i b l i o t h e k a r e n formuliert w o r d e n ist, steckt e t w a s W a h r e s : W i r sehen d u r c h die g a n z e G e s c h i c h t e des M ö n c h t u m s
hinweg
i m m e r w i e d e r die g l e i c h e n P h ä n o m e n e a u f t r e t e n . W i r b e s c h r e i b e n sie m i t J . - C l .
Guy
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wie folgt: 1) Spontane Entstehung von monastischem Leben in der Kirche, ohne irgendeine Initiative der kirchlichen Amtshierarchie, an einem oder an mehreren oder gar vielen Orten zugleich; 2) Mönchische Existenz in vier wesentlichen Lebensformen (Guy nennt nur drei): a) im strengen Einsiedlertum, b) im Wandermönchtum, c) in der Eremitenkolonie, d) im Coenobium, dem streng geordneten gemeinsamen Leben (vgl. u. 2.3); 3) Entfaltung dieser Lebensformen vor Ort in ein bis drei Generationen und Auftauchen von Reformbedürftigkeit; 4) Rückkehr zu den Ursprüngen des Mönchtums. Durch die Geschichte des Mönchtums hindurch empfinden die Mönche selbst eine permanente Identität ihres gemeinten Daseins, und auch für das beobachtende Auge des Historikers k o m m t diese Identität in allen Wandlungen der Mönchsgeschichte immer wieder zum Vorschein, eine Identität, die als biblisch und evangeliumsgemäß von ihnen verstanden wurde und die m. E. auch ihre historischen Wurzeln in der Lebensform Jesu und seiner Jünger hat (s.u. 2.2.2.3.). So bedeutet jede Reform und Neugründung im Grunde eine Rückkehr zur ersten und eigentlichen Identität. Hieraus wird deutlich, warum von der Entstehung des Möchtums, besser: von seinem ersten Sichtbarwerden als christliches Mönchtum, besonders ausführlich gehandelt werden muß. So ist es denn auch kein Zufall, sondern ein zu unserer Gegenwart und ihren kirchlichen Krisen gehörendes Faktum, daß gerade die Entstehung und die erste, sozusagen „ k l a s s i s c h e " Form des Mönchtums heute im Mittelpunkt besonders reger Forschung und kirchlichen Interesses steht. Andererseits aber ist, trotz jener so stark empfundenen, fast zeitlosen Identität, das Mönchtum wie alle geschichtlichen Erscheinungen dem Wandel der Zeiten unterworfen. Dieser Wandel drückt sich nicht zuletzt darin aus, daß die Rolle des monastischen Lebens in Kommunitäten verschiedener Regulierung oder als eremitische Einzelexistenz in verschiedenen Epochen der Geschichte sehr verschieden sein kann. Zudem ist das Mönchtum wie alles menschliche Leben in dieser Weltzeit gefährdet und kann entarten oder einfach alt und welk werden. Wie alles christliche, kirchliche Leben hat es aber auch immer die Möglichkeit zur Umkehr, zur Erneuerung des Sinns, zu Wiedergeburt und neuem Leben erfahren. Diese Verflochtenheit mit den Perioden der Welt- und Kirchengeschichte macht es im Grunde genommen unmöglich, die Geschichte des Mönchtums, gleichsam isoliert in sich selbst ruhend, als „ L ä n g s s c h n i t t " zu behandeln. Der Blick in die jeweilige Umwelt, in der sich Mönchtum abspielt, ist unerläßlich. Gerade dieser Umstand entzieht aber eine „Geschichte des M ö n c h t u m s von den Anfängen bis zur G e g e n w a r t " , wie sie eigentlich geschrieben werden müßte, den Möglichkeiten und dem denkbaren Umfang eines Lexikonartikels; nur die Verweismöglichkeiten einer Enzyklopädie wie dieser können hier ein wenig wettmachen, zumindest, was die orientalische und europäische sowie die europäisch beeinflußte Welt betrifft. Sozusagen flächendeckende Vollständigkeit wird aber für die vielen verschiedenen historischen und geographischen Kontexte außerhalb - und selbst innerhalb - des oben bezeichneten R a u m s nicht möglich sein. M a n sollte sich klar darüber sein, daß die durch die eigene geographische und historische Befindlichkeit und den damit gesetzten Blickpunkt verursachten Einschränkungen in der Darstellung der diachronischen und synchronischen Existenz von Mönchtum in der Kirche dessen eigentlichem Wesen nicht adäquat sind, da es nach seinem eigenen Verständnis mit Jesus Christus „keine H e i m s t a t t " hat (vgl. M t 8,18-22 par.) und mit seinen Jüngern, seiner Kirche, bei genauem Hinsehen „ ü b e r a l l " zu finden war und ist. D a s griechische Wort ßOvaxÖQ, aus dem das deutsche Wort „ M ö n c h " wurde, war ursprünglich nicht geschlechtsspezifisch verstanden worden, so daß wir d a s Wort „ N o n n e " für jene erste „ k l a s sische" Zeit des M ö n c h t u m s der Alten Kirche nicht anwenden werden. (Sein heutiger Sinn ist geprägt von einer ganz anderen Zeit des abendländischen M ö n c h t u m s , nämlich von der des geregelten hochdifferenzierten Ordenslebens; es ist heute ein Synonym für d a s ebenfalls für das frühe M ö n c h t u m - und für d a s ostkirchliche bis auf heute! - unpassende Wort „ O r d e n s f r a u " , d a s wir ebenfalls nicht benutzen werden.) D a die mittelalterliche lateinische weibliche Form zu monachi, moniales (als „ M o n i a l e n " zuweilen heute eingedeutscht), dem allgemeinen Sprachgebrauch der
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deutschen Hochsprache zu fremd ist, werden wir von „monastisch lebenden Frauen" oder einfach von „monastischen Frauen" sprechen.
2. Alte
Kirche
2.1. Das erste
Mönchtum
2.1.1. Die Forschung ist sich heute weithin darüber einig, daß es sehr schwer ist, den Beginn des Mönchtums als Erscheinung von seinen Vorformen (Guillaumont: „premonachisme") zu unterscheiden. Andererseits wird dieser Beginn seit alters mit dem Phänomen der Anachorese gleichgesetzt.' Avax&prioiq bedeutet „das Weggehen aus dem Lande", „das Sich-Entfernen" (gemeint ist: aus dem gewohnten Lebenskreis), „das Abstandnehmen", den „Auszug aus dieser Welt", die für die Mönche ganz klar die bewohnte, kultivierte Welt mit ihren Städten und Dörfern war, in das unbewohnte Land, in die Einöde. Zur Zeit des Auftretens des Mönchtums als zahlenmäßig auffällige Erscheinung war dieses unbewohnte - und von den Menschen „dieser Welt" für unbewohnbar gehaltene - Land die Wüste. Sie bedeutete gleichzeitig „Stille, Ruhe" (rö Ept]fJ.ov, zä sprj/ia, r\ hpr\pr\) gegenüber dem lärmenden Getriebe, dem Durcheinander (oi Oöpußoi) „dieser Welt". (Und bei aller oben genannten konkreten Bedeutung dieses Ausdrucks ist gleichzeitig sein ganzer paulinischer und johanneischer Gehalt mitzuhören!) Vom griechischen Wort für diese stille Einöde ist das Wort „Eremit" abgeleitet, das zunächst ein Synonymon für „Mönch" war und einfach den Wüstenbewohner meint. Erst später wird es, besonders im lateinischen Westen, zum Synonym für „Einsiedler". Im altkirchlichen Milieu der zweiten Hälfte des 3.Jh., in dem das Phänomen der Anachorese von Asketen (-> Askese) zuerst für uns bemerkbar wird, wird das griechische Wort ßovaxöq für die Anachoreten gebraucht. Dies Wort, das dem klassischen Griechisch unbekannt ist, bezeichnet im frühen Christentum — schon vor dem Erscheinen des Mönchtums als Anachorese - den unverheirateten Menschen beiderlei Geschlechts. So heißt es in der griechischen Übersetzung des Symmachos (-»Bibelübersetzungen) von Gen 2,18, daß Adam vor der Erschaffung Evas ßovaxöq gewesen sei (hebräisch lebado), d.h. „ohne Frau", „unverheiratet". So übersetzt Symmachos auch Ps 68,7, daß „Gott die Einsamen (hebräisch y'hidim) nach Hause bringt", (er versteht das so, daß Gott den Einsamen ihr Haus, d. h. Familie, Kinder, gibt) mit fiovaxoig. Es gibt eine für die Geschichte des Mönchtums bedeutende Auslegung dieses Verses bei -»Eusebius von Caesarea in seinem Psalmenkommentar (PG 23,689B, vgl. H. Koch, Quellen 38), der die verschiedenen Übersetzungen dieses Verses in der Hexapla vergleicht und feststellt, daß die Septuaginta an dieser Stelle povötponoi sagt und nicht TioXvrponoi, d. h. „die sich nicht einmal auf die eine Weise benehmen, das andere mal auf die andere Weise, sondern immer auf die gleiche Weise, die auf den Gipfel der Tugend führt; die Quinta ( = 5. Spalte der Hexapla) nennt sie fiovöCcovvoi, weil sie Einsiedler sind und jeder für sich allein leben mit ,umgürteten Lenden' (vgl. Lk 12,35), das heißt, die ein einsames und keusches Leben führen." Euseb erwähnt auch, daß Aquila an der gleichen Stelle das Wort povoyEVEiq (dat.pl.!) einsetzt, d.h. die Einsamen als diejenigen bezeichnet, die „selten" sind, und „ . . . darum mit einer Bezeichnung ähnlich dem eingeborenen Sohn Gottes benannt werden". (Zur Auslegung dieser Bedeutung vgl. bes. A. Adam [ZKG 65], P. Nagel.) Es handelt sich, wie gezeigt, um die griechische Bezeichnung für hebräisch yahtd, aramäisch-syrisch Thtdäyä. Afrahat und -»Ephraem der Syrer brauchen dies Wort für die „Söhne und Töchter des Bundes", die „keusch und klar, heilig und rein geblieben sind, ohne Beschmutzung, wachend im Dienste Gottes in strahlender Reinheit" (vgl. The Doctrine of Addai the Apostle, London 1976, 50; eine andere Deutung von Ihldäyä bei P. Nagel). Schon im Thomas-Evangelium (2. Jh.) (ed. A. Guillaumont/H.Ch. Puech u. a., Paris 1959, 40 f) wird in koptischer Transkription das Wort povaxöq für das syrische ihidäyä gebraucht. Und noch Johannes -»Cassianus (5. Jh.) bezeugt die ursprüngliche Bedeutung des Wortes povaxöq (Conl. XVIII,5: SC 64,16): „Sie enthielten sich der Heirat
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und hielten sich entfernt von ihren Eltern und dem Leben dieser Weltzeit; man nannte sie monachi oder monazontes wegen der Strenge dieses einzelnen [singularis, d. h. ohne Familie] und einsamen [solitarius] Lebens." 2.1.2. Das bis in die Mitte des 4. Jh. verhältnismäßig selten auftretende Wort /lova/ög wird geläufig durch die Vita des Antonius aus der Feder des -»Athanasius von Alexandrien und die in der zweiten Hälfte des 4. Jh. reichlich fließenden Berichte über das Wüstenmönchtum. Allenthalben gelesen wurden auch die Historia Lausiaca des Palladius, die Geschichte der Mönche in Ägypten eines anonymen Verfassers, die in alle Sprachen der damaligen Christenheit übersetzt worden ist, und - als wohl bedeutendstes anonymes Sammelwerk - die berühmten Apophthegmata Patrum, die „Sprüche der Väter". Es handelt sich in diesen Apophthegmen um kurze Anekdoten über wegweisende Worte, manchmal auch über prophetische Zeichentaten oder Wunder, oder um ein oder zwei Sätze, die die Lebensweise der Mönche der Wüste charakterisieren, wobei die Apophthegmata aber vor allem Wert auf jene kurzen Aussprüche der „Väter" und „Mütter" (s. u.) legen, die diese den sich ihnen nahenden jüngeren Mönchen oder Menschen aus der Welt mitgaben. Es war immer dieselbe Frage, die diese Ratsuchenden stellten: eins fioi ptjfia, nüx; ocoOcö. „Sag mir ein Wort, wie ich gerettet werde," oder „wie ich mich rette" (ocoOfjvai ist hier gleichzeitig passivisch und medial zu verstehen, in sinngemäßer Auslegung von Phil 2,12f). Diese Apophthegmen wurden wohl von Anfang an nach zweierlei Gesichtspunkten von ihren Sammlern geordnet: entweder nach dem Namen des „Vaters" oder der „Mutter" oder aber nach den mönchischen Tugenden, die sie predigten, den Lastern, vor denen sie als spezifischer Versuchung des Mönches warnten (nach dem klassischen Werk von W. Bousset jetzt gründlich systematisiert von Guy, zum Studium der Apophthegmen unerläßlich!). Sie wurden in verschiedener Auswahl zu „Paterika" (Väterbüchern) oder „Gerontika" (Büchern über die Greise) zusammengefaßt und haben als solche in immer neuen Redaktionen, aber auch in getreuen Abschriften der ältesten Sammlungen das Mönchtum durch seine ganze Geschichte begleitet. Heute erleben sie wieder einmal eine Renaissance (s. u. 6. und Lit.). Neben den Apophthegmata und den obengenannten Mönchsgeschichten dienen dann als Quellen für das frühe Mönchtum die ersten Mönchsviten (die im Koptischen oft praktisch eine Sammlung von Apophthegmen über den betreffenden Mönchsvater sind), Briefe der frühen Mönche, Berichte der Pilger, die sie besuchten, Nachrichten der Kirchenväter über sie (hierzu vgl. Altaner/Stuiber, Patrologie, passim). Doch das Schlüsselbuch für das frühe Mönchtum sind die Apophthegmata patrum als mit dem treuen Gedächtnis einfacher Menschen festgehaltene Uberlieferung aus dem Munde der ersten „Väter" und „Mütter" selbst. Sie eröffnen uns den Sinn des ersten monastischen Lebens und der Anachorese in die Wüste. 2.1.3. A. Guillaumont hat nach I. Hausherr deutlich herausgearbeitet, daß außer, oder besser: zusammen mit dem Verzicht auf die Ehe und jede geschlechtliche Aktivität im ßOvaxÖQ-Sein die anXözrjq beschlossen liegt, die Einfachheit des Sinns, des menschlichen Geistes, in seiner ausschließlichen Gerichtetheit auf Gott: Es ist die schon zitierte Monotropie, „e'va OKÖKOV e'xeiv" [einen Zielpunkt haben] (Basilius, Große Regeln 20:PG31, 973 A; Serapion von Thmuis, Brief an die Mönche, PG40, 928 A), „monachi omnis intentio in unum Semper est defigenda" [die ganze Aufmerksamkeit des Mönchs ist immer auf ein einziges zu fixieren] (Johannes Cassianus, Conl. XXIV,6: SC 64, 1959, 176). Die Welt ist vielfältig (nonciXoQ), zu ihr gehört Gespaltenheit der Seele (öiif/uxia). Gott hingegen ist der Eine und fordert von dem, der ihm ganz zugehören will, ungeteilte (iOKspianaatOQ) Aufmerksamkeit, ganz im Sinne des „Eins aber ist not . . . " Jesu (Lk 10,42; vgl. Mt6,33). „Eingedenksein Gottes" {fivijfiti Oeoö) ist eine Grundbefindlichkeit des Mönchtums. Für sie braucht man Ruhe, Sammlung, Einsamkeit und Schweigen. All dies umfaßt das griechische Wort ijavxio- Darum ist der Anachoret zunächst einmal Einsiedler, auch „Hesychast" genannt {ijav/ä/rrtj!;, -»Hesychasmus). Die Apophthegmata und die übrige Mönchsliteratur unterstreichen dabei, daß zur Anachorese und
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monotropischen Ausrichtung auf Gott unbedingt die a.7iotayij oder änöra^ig gehört. Es ist das Ablegen von allem, was einen an dem , ,einen Ziel" hindert (vgl. Lk 10,42). Die ßova/oi verzichten auf alles, was sie ablenkt, verwirrt oder beschwert und sie an „diese Welt" bindet. Das ist natürlich vor allem jeglicher Besitz. Das Gleichnis vom reichen Jüngling (Mt 19,16-26 par) ist nicht nur für Antonius (Athanasius, Vita, PG 26, 841C), sondern für alle Mönche äußerst bestimmend. „ D i e körperlichen und irdischen Sorgen teilen \yzpi^ovxa.i\ den Geist und hindern das Eingedenksein G o t t e s " (Historia monach. in Aegytpo 1,26, Festugiere IV/1,16). Der Mönch soll dfjepißvog (ohne Sorgen) sein (vgl. Mt 6,25-34). Die äfiepißvia ist sozusagen die andere Seite der anoiayr] (Guy 42). Zum „Ablegen dieser Welt" gehört auch die Bußtrauer (nivdog) über die eigenen Sünden (vgl. Rom 3,23, zum monastischen Phänomen: Hausherr). Obgleich die Umwelt die „großen Greise" der Wüste sehr bald als „heilig", „ w ü r d i g " (oaioi, syrisch qadlSä) bezeichnete, waren sie selbst weit davon entfernt, sich als vor Gott Gerechte oder gar Würdige zu fühlen. Sie wußten nur eines über sich: daß sie sehr große Sünder vor Gott seien. Darüber trauerten und weinten sie, wobei diese Tränen als Gabe des Heiligen Geistes betrachtet wurden (Steidle: BenM20). Die Bußtrauer wird von der ßvrjfii] Bavazoo, dem Eingedenksein des Todes und damit des Jüngsten Gerichts, genährt. Die mönchische Lebensweise ist dagegen ein „Gerettet-Werden", „Sich-retten-Lassen", „Sich-Retten" (s.o. zu acodfjvai). Das Ablegen des alten Lebens bedeutet nicht Askese um der Askese willen (obgleich es dann bald unter den Einsiedlern eine Art Wettstreit um die rigoroseste Askese geben kann, den aber weise „ V ä t e r " verdammen), sondern ein Sich-Freimachen vom „alten Menschen" (vgl. Rom 6,6). Darum bedeutet für viele ernsthafte Christen des 3. und 4. Jh. Sich-taufen-Lassen und Mönchwerden dasselbe, so besonders im syrischen Osten (vgl. Vööbus, History Bd. 1), z.B. auch für —»Basilius von Caesarea und -»Gregor von Nazianz. (Später entwickelt das byzantinische Mönchtum eine Lehre von der Mönchsweihe als „zweiter Taufe".) Voll Bußernst wehrt man sich gegen die Zwänge, die Versuchungen „dieser Welt" und ihres „Fürsten" (Joh 12,31 u.ö.). 2.1.4. Die Anachoreten versuchen, die Lebensweise der neuen Welt, des -»Reiches Gottes, im Vorgriff auf das Eschaton schon auf Erden zu verwirklichen. So sind sie „Engel auf Erden", Boten des Himmelreiches. Da es dort nach Jesu Worten „freien und sich freien lassen" (vgl. Mt 22,30) nicht mehr gibt, tragen die ersten Anachoreten und Anachoretinnen das gleiche arme härene oder Fellgewand, die Melote, im Gegensatz zum alttestamentlichen Gebot der Unterscheidung der Kleidung der Geschlechter (Dtn 22,5). Das Ablegen sexuellen Auslebens macht das Leben dieser Männer und Frauen des „engelgleichen Lebens" gleichsam zu einem „dritten", neuen Geschlecht, das nicht mehr von der männlichen oder weiblichen Rolle in der Gesellschaft der „alten Welt" geprägt sein soll. Auch das „ M a p h o r i o n " , eine Art Überwurf als Kopf- und Schulterbedeckung, wurde von Männern und Frauen im ägyptischen und palästinischen Mönchtum gleicherweise getragen, obgleich es wohl vor allem ein weibliches Kleidungsstück war (vgl. PGL 834, doch vgl. Bacht, Vermächtnis II, Index s.v. mafors [Lit.]). Daneben wurde als Vorläuferin der Kapuze die Kukulle (lat. cucullus) getragen. Doch gab es im Anachoretentum eine Variationsbreite der Kleidung, erst in den Pachomiusklöstern (s. 2.3.) wird sie uniform. Mit der Verwirklichung des Ideals des „Engels auf Erden" und damit gleichsam der Geschlechtslosigkeit, bzw. der erreichten Freiheit von der sexuellen Begierde, hängt offenbar auch die Verehrung des Greisenalters der bedeutenden Väter und Mütter der Wüste zusammen. Dies ist zu beachten: Obgleich die Quellen sich gesellschaftsbedingt vor allem für die „ V ä t e r " interessieren und über sie berichten, tauchen daneben allenthalben zumindest deren Mütter, Schwestern und andere weibliche Verwandte auf, die ebenfalls das monastische Leben wählen. Im „ V ä terbuch" der Apophthegmata finden sich auch die Aussprüche einer großen Mutter, der heiligen Synkletike. Andere Vorkämpfer für das Mönchsleben, wie z.B. Hieronymus, hatten einen ganzen Kreis monastisch lebender Damen aus den höheren Kreisen R o m s um sich. Im syrischen Osten
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sind die weiblichen Mönchsviten besonders zahlreich; für das auch griechisch- oder mehrsprachige Milieu ist besonders die heilige Melanie und ihr Kreis (beiderlei Geschlechts) kennzeichnend. Hier und bei Hieronymus wie auch bei der westlichen monastisch lebenden Egeria/Etheria ist die sich sehr schnell einstellende Verbindung zwischen monastischer Cassians Collationes (XVIII, 4—6), Eusebs Kirchengeschichte (11,16.17) und Demonstratio evangelica 1,8 sowie der Matthäuskommentar des Origenes
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weisen nach seinem Verständnis darauf hin. Auch kann er sich die Überlieferung einer ganzen Reihe sehr früher christlicher Apokryphen ohne eine von den Essenern bis zu christlichen Asketen-„Klöstern" reichende ununterbrochene Tradition nicht vorstellen. Für ihn ist - wie nachgewiesenermaßen seinerzeit für Pachomius - die Jerusalemer Urgemeinde selbst eine klösterliche Gemeinschaft des gemeinsamen Lebens, das dann immer wieder Nachahmung gefunden habe (vgl. Act 2,4ff; 4 , 3 2 - 3 7 ) . Wir müssen nur angesichts der Spärlichkeit und der Ambivalenz der von O'Neill angeführten Zeugnisse fragen, ob man in bezug auf die dort erwähnten Jungfrauen- und Witwengruppen in und bei der Kirchengemeinde und in bezug auf die Wohngemeinschaften von Asketen wirklich schon von koinobitischem Leben im pachomianischen Sinne sprechen kann, oder ob man sie nicht besser in die Nähe der Eremitenkolonien rücken sollte. Koinobitisches Leben im neuen Sinne ist gekennzeichnet durch folgende Merkmale: a) gemeinsame Wohnung (zunächst KÉXha, von einer Mauer umgeben, so daß der Wohnbereich nur durch eine bewachte Klosterpforte betreten werden kann, und das nicht von jedermann; später „ Z e l l e n " unter einem Dach; b) gemeinsames Gebet, gemeinsamer Gottesdienst; c) gemeinsame Arbeit, und diese mit Arbeitsteilung in der Kommunität - Arbeit zum Nutzen der Klostergemeinschaft und aller Mitmenschen (auch „Weltleut e n " wird geholfen, z.B. mit Landarbeit); d) gemeinsames Essen, e) gemeinsamer zeitlicher Tagesablauf, besonders gemeinsame Zeiten für Schlafen und Wachen. M a n hat oft den unbedingten, sich selbst verleugnenden Gehorsam gegenüber dem Vorstand des Klosters als das entscheidend Neue im koinobitischen Leben gegenüber der Anachoretenkolonie definiert (Auseinandersetzungen mit dem Problem anhand der Quellen bei Ruppert). Tatsächlich ist der Abt jetzt der eine geistliche Vater, der Apa (s.o. 2.1.4.) des Koinobions. Doch auch den Einsiedlern galt der Gehorsam gegenüber dem „ G r e i s " , dem geisttragenden Vater, als wichtigstes Element der Überwindung des sündhaften Eigenwillens und Ungehorsams gegen Gott. Mit dem Gehorsam wurde das Jesuswort über seine Jünger auf den eigenen Seelenführer angewandt: „Wer euch hört, der hört m i c h . . . " (Lk 10,16). Ungehorsam gegen den geistlichen Vater war also gleichbedeutend mit Ungehorsam gegen Gott selbst. F. Rupperts Ausführungen lassen darauf schließen, daß der spätere spezifische Ordensgehorsam hier noch nicht begründet ist, ebenso wie es ja noch kein Mönchsgelübde gab. Das Neue gegenüber dem Anachoretenleben in seinen damals schon weit verbreiteten Formen liegt in der genauen Organisation der pachomianischen Mönchsgemeinschaft. Sie ist in Unterabteilungen gegliedert (Hieronymus übersetzt tribus, koptisch heißen sie phyle, griechisch ráy/ia - das Bild des Volkes Israel hat hier Pate gestanden!), welche der durchdachten Arbeitsteilung in allen Diensten inner- und außerhalb des Klosters dienen. Der Abt hat seine Stellvertreter und Delegierten für die Leitung der verschiedenen Dienste und Arbeiten, aber letztlich ist er allein vor Gott und den Menschen verantwortlich für mehrere tausend Mönche und Hunderte von Nonnen. (Hier können wir das lateinische Wort schon brauchen [s. o. 1.], da die Frauen sich hinter der Klostermauer praktisch in Klausur befinden, was für den mittelalterlichen Begriff der „ N o n n e " wichtig ist. In den pachomianischen Frauenklöstern fängt solche Klausur an.) Doch ist der Vater Abt, so sehr er auch volle Befehlsgewalt über die Klostergemeinschaft(en) hat, nicht uneingeschränkter „Monarch". Davor behüten ihn das Apellationsrecht auch des geringsten Anfängers im Mönchsleben an den Abt und gewisse „demokratische" Elemente der Klosterordnung, wie der Rat allseitig anerkannter erfahrener Brüder, die Streitfälle zwischen den Oberen der tribus und ihnen unterstellten Brüdern schlichten sollten. Über allen aber, auch über dem Abt selbst, stehen die — wie Hieronymus übersetzt — praecepta et instituía, praecepta et iudicia (in den griechischen Fragmenten: évxoXaí), die Gebote, Vorschriften und rechtlichen Anordnungen des Klostergründers Pachomius - die allerdings von seinen Nachfolgern vielfach überarbeitet und an neue Verhältnisse adaptiert worden sind. Nach der Legende haben Engel diese Regeln auf zwei ehernen Tafeln überreicht, was deren göttlichen Ursprung und Gesetzescharakter ausdrücken soll (vgl. Ex 24,12; 32,15; zur Parallelisierung des Pachomius mit Mose vgl. Bacht, Vermächtnis Bd. 2,
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38. 60, Anm. 182; dazu auch Draguet). Übrigens wird auch dem Antonius seine Gestaltung des Tagesablaufs von einem Engel gelehrt; aber bezeichnenderweise macht ihm der Engel einfach vor, wie man Handarbeit und Gebet verbindet, um gegen die geistliche Lustlosigkeit, Trägheit und Schwermut (alles zusammen: dKrjöia - das gefürchtete Mönchslaster) gefeit zu sein. Bei Antonius geht es um Beispiel, bei Pachomius — um Gesetz.
N o c h heißt es bei P a c h o m i u s „ R e g e l n " (im Plural). Sie sind Anweisungen zur D u r c h führung eines schon von den A n a c h o r e t e n her b e k a n n t e n , von den K o i n o b i t e n gleicherweise vorausgesetzten und b e j a h t e n M ö n c h s i d e a l s . A b e r die schriftliche Kodifizierung der Lebensweise k o i n o b i t i s c h e r Klöster hat das Licht der Welt erblickt und wird eine g r o ß e Folgegeschichte h a b e n . P a c h o m i u s war überzeugt, d a ß diese O r g a n i s a t i o n es für den gemeinen M a n n , die D u r c h s c h n i t t s f r a u leichter m a c h e , das m o n a s t i s c h e Ziel der V o l l k o m m e n h e i t (vgl. M t 5 , 4 8 ) zu erreichen, als das im Einsiedlerleben der Fall w a r , dessen „ w i l l k ü r l i c h e Plurif o r m i t ä t " (Bacht, V e r m ä c h t n i s II 36) sich schon zu Lebzeiten des P a c h o m i u s als vielen G e f a h r e n ausgesetzt erwiesen hatte. Viele A n a c h o r e t e n verfielen offensichtlich in Selbsttäuschung oder huldigten einem unordentlichen L e b e n s w a n d e l , den sie mit Scheinheiligkeit a b s c h i r m t e n . Viele der G r u n d l a s t e r erwiesen sich als de facto nicht ausgemerzt und erregten bei „der W e l t " A n s t o ß . Und d o r t , w o die A n a c h o r e t e n eindrucksvolle Leistungen harter Askese zur A b t ö t u n g aller niedrigen Leidenschaften e r b r a c h t e n , waren sie dann w o m ö g l i c h den besonders verderbenbringenden Sünden der Selbstgerechtigkeit und der R u h m s u c h t zur Beute geworden. D a g e g e n setzt P a c h o m i u s eine ihm maßvoll erscheinende Askese, die von jedermann ausgeübt werden k a n n , und die k r i t i s c h e Begleitung durch den O b e r e n . Besonders in den A n o r d n u n g e n des P a c h o m i u s zur Arbeitspflicht eines jeden M ö n c h e s wird deutlich, d a ß es ihm um das ständige Praktizieren der dem Christen g e b o t e n e n N ä c h s t e n l i e b e geht, zu deren Ausübung der Einsiedler nur gelegentlich k o m m t . „ D u r c h die Verpflichtung zu produktiver Arbeit - im Unterschied zur rein asketisch orientierten Beschäftigung, wie wir sie bei den A n a c h o r e t e n finden - und durch geschickte Arbeitsteilung wurde nicht nur die Existenz der g r o ß e n Klostergemeinden gesichert, sondern wurde auch die Voraussetzung für eine großzügige karitative T ä t i g k e i t geschaffen. Freilich schuf m a n d a m i t auch die G e f a h r einer u n a u f h a l t s a m e n Verweltlichung, zumal P a c h o m i u s - hier anders als Basilius - auch Arbeiten a u ß e r h a l b des Klosters akzeptierte, die mit der gesammelten R u h e eines beschaulichen Lebens schwerer zu vereinbaren w a r e n " (Bacht, a a O . ) . Und in der T a t : S c h o n zu Lebzeiten des P a c h o m i u s , noch mehr a b e r unter seinen unmittelbaren N a c h f o l g e r n , erscheint die P r o b l e m a t i k des wachsenden R e i c h t u m s der k o i n o b i t i s c h e n K l ö s t e r , die über eigenes L a n d , eigene T r a n s p o r t m i t t e l , h e r v o r r a g e n d e Arbeitsgeräte und - m e t h o d e n verfügten. D e r einzelne M ö n c h ist im K o i n o b i o n viel b u c h stäblicher „ b e s i t z l o s " , a r m , als der A n a c h o r e t , der sich seinen bescheidenen L e b e n s u n terhalt verdienen oder erbetteln m u ß ; das k o i n o b i t i s c h e Kloster aber ist schnell reich und wird immer reicher, hat damit gesellschaftlichen Einfluß und M a c h t , M e n s c h e n auch a u ß e r h a l b des Klosters werden von ihm a b h ä n g i g - all das ist weit e n t f e r n t von den ursprünglichen Vorstellungen der ersten M ö n c h e von der m o n a s t i s c h e n A r m u t in der N a c h f o l g e J e s u und der Apostel. D a m i t ist mit der Entstehung und E n t f a l t u n g der p a c h o m i a n i s c h e n Klöster ein Konflikt zwischen m ö g l i c h e n Interpretationen des m o n a stischen Lebens g e b o r e n , der sich durch die J a h r h u n d e r t e und J a h r t a u s e n d e fortsetzen und i m m e r wieder neu aufbrechen wird. Fazit: Schon nach k n a p p einem J a h r h u n d e r t der E x i s t e n z des M ö n c h t u m s erweist sich, d a ß weder Einsiedler noch K o i n o b i t e n (und übrigens auch die W a n d e r m ö n c h e nicht) „dieser W e l t " vollständig entfliehen k ö n n e n . Auch im M ö n c h s l e b e n erweisen sich die Befindlichkeiten des menschlichen Lebens „dieser W e l t " als äußerst m ä c h t i g .
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Mönchtum II 2.4. Der Beitrag
des Basilius
von Caesarea
zur Entwicklung
des
Mönchtums
Relativ kurz können wir auf die Rolle des -»Basilius von Caesarea in der Entfaltung des Mönchtums eingehen. Er, geprägt vom väterlichen Landgut, und sein Freund -»Gregor von Nazianz brachten in das Mönchtum das kultiviert-ästhetische Element des Genusses der ländlichen (nicht Wüsten-) Einsamkeit, mit m. W. der ersten christlich geprägten erbaulichen Darstellung der Landschaft in Abwandlung antiker Naturschilderungen (ep. 2, vgl. dazu v. Lorentz, bes. 1847 ff; die Beobachtung verdanke ich einer mündlichen Bemerkung R. Freudenbergers). Das Monasterium wird, wie die liturgischen Bemühungen des Basilius zeigen, zudem ganz akzentuiert neben einem Ort der Buße ein Ort des gemeinsamen Gotteslobes und auch Stätte gelehrter Betätigung. Hatten Antonius und Pachomius jeder auf seine Weise durchaus nahe Beziehungen zum Bischofstuhl von Alexandria gehabt, so war doch das Mönchtum von ihnen ohne Anstoß und Einwirkung der kirchlichen Hierarchie geprägt worden. Doch bei Basilius ist der Ortsbischof der Organisator und Former des Mönchtums. Hierbei betont Basilius ausdrücklich die Schriftgemäßheit des monastischen Lebenswandels, besonders in den sog. moralia. Doch gelten diese eigentlich für alle Christen. Die Mönche und monastischen Frauen sind nichts anderes als beispielhafte Christen. Schwäche und Lebensumstände hindern viele Menschen „in der Welt" daran, „vollkommen zu sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt 5,48). Der monastische Mensch lebt stellvertretend auch für sie und hilft der Kirche als Ganzes, „heranzuwachsen zu dem vollen Mannesalter Christi" (Eph 4,13). Dieses Verständnis des Mönchtums ist in den Ostkirchen bis heute erhalten (Spidlik). Für Basilius steht das Mönchtum mitten in der Kirche, nicht etwa im Abstand zur „Welt"-Kirche, wie es beim Wüstenmönchtum bisweilen aussieht. Als Bischof der Ortskirche ergreift er eindeutig Partei für das Koinobitentum (doch beachte Fedwick 156—165). Er baut seine Klöster in das Leben der Diözese ein. Die schon in den pachomianischen Klöstern geübte Caritas wird nun konsequent mit der Einrichtung einer Herberge für fremde Reisende und Pilger, einer Pflegestätte für Kranke, einer Speisestätte für Bedürftige in den Dienst der Diözese gestellt. Vielleicht hat Basilius dies von seinem zeitweiligen Lehrer und Freund -»Eustathius von Sebaste übernommen (vgl. Bernardi 395). Die Jünger und Jüngerinnen des Eustathius waren, obgleich sie mehr dem alten Typ des Wandermönchtums nahestanden, in der Nachfolge des frühchristlichen Asketenstandes recht eng mit dem Leben der Ortsgemeinden verbunden, ja sie versuchten lebhaft auf deren Gebräuche und Sitten Einfluß zu nehmen. Bei Basilius gibt es ein eigenes Monasterium, in dem der KOIVÖQ ßioq geübt wird; aber die Laien „gehen des nachts in das Gebetshaus und beichten Gott in Verzweiflung, Trübsal und unter ständigen Tränen; zuletzt erheben sie sich und beginnen Psalmen zu singen . . . " (ep. 207.2). Der Lehrer und Vorsteher der Mönche im „Gebetshause" ist der Lokalbischof. Ihm opfern die Eintretenden ihr Hab und Gut für die Armen (vgl. M t 1 9 , 1 6 - 2 6 par.), wie es auch die Laien tun sollten und können. Wie für Pachomius ist für Basilius der Gedanke der Koivcovia von A c t 2 bis 5 tragend. (Vgl. Fedwick 1 2 - 2 2 . 9 7 - 1 0 0 . 1 5 6 - 1 6 5 . ) Auch Basilius ist der Autor von Regeln (öpoi), die zu seinen Lebzeiten und posthum einer ständigen Entwicklung unterworfen waren. In Wirklichkeit gehören sie aber der pädagogisch-katechetischen Literaturgattung der Erotapokriseis (s. Beck, Index s.v.), der „Fragen und Antworten", an. Sie werden zusammen mit den moralia und einigen anderen asketischen Schriften, die mit Recht oder Unrecht unter dem Namen des Basilius als sein „Asketikon" laufen (zu seiner Redaktionsgeschichte vgl. Lit. unter —»Basilius), im ostkirchlichen Mönchtum zur geistlichen Erziehung und Erbauung bis auf den heutigen Tag allenthalben gelesen und gehören zusammen mit den Paterika (s.o. 2.1.2.), der „Leiter" des Johannes Climacus (gest. ca. 649), den Briefen des Johannes (gest. ca. 530) und Barsanuphius (gest. ca. 540) und den Reden des Abbas Dorotheus (gest. zw. 560/580) zu dessen Grundausstattung an spiritueller Lektüre.
164 2.5. Das frühe abendländische
Mönchtum II Mönchtum
2.5.1. Auch im Westen des christlichen orbis terrarum begann sich Mönchtum im eigentlichen Sinne aus der frühchristlichen Askese im Verband der Ortsgemeinde zu entwickeln. Das war vor allem von der Mitte des 4. Jh. an zu beobachten, also mit einer gewissen zeitlichen Phasenverschiebung gegenüber dem orientalischen Mönchtum. Darum ist es verständlich, daß in der Forschung lebhaft darüber gestritten wird, ob das Mönchtum im Abendland aus dem Orient sozusagen „importiert" worden sei oder nicht. Doch sehen wir auch im Abendlande die Charakteristika J.-Cl. Guys (s. o. 1.) zutreffen; vor allem haben wir auch hier das spontane Entstehen allenthalben im Lande. Allerdings hatte das orientalische M ö n c h t u m eine Vorbildwirkung, und zwar befördert einmal durch persönliche B e s u c h s k o n t a k t e , wie sie seit alters in der christlichen Welt gepflegt wurden und die sich nun mit monastischer £ e v i x e i a , peregrinatio verbanden. Diese wurde zum anderen durch die im 4. J h . mächtig aufblühenden Wallfahrten zu den heiligen Orten der Begräbnisse der Apostel und M ä r t y r e r und vor allem an den O r t des heiligen Leidens, Sterbens und Auferstehens des H e r r n , das neu erblühende - » J e r u s a l e m , bereichert. An ihr hatten auch die monastischen M ä n ner und Frauen reichlich Anteil. Viele Klöster und Einsiedeleien, gerade auch mit abendländischen Insassen, entstanden in der heiligen Stadt und in ihrer Umgebung. Aber man pilgerte nun auch an die berühmten O r t e , w o die „großen G r e i s e " und „ G r e i s i n n e n " in A n a c h o r e s e gelebt hatten und lebten: in die ägyptischen Wüsten, aber auch an den Sinai und nach Syrien (besonders seit Symeon der Stylit dort gewirkt hatte), in die Eremitensiedlungen (Lauren) und koinobitischen Klöster Palästinas.
2.5.2. Doch hebt K. S. Frank mit Recht hervor, daß dem abendländischen Mönchtum auch einige typische Züge eigen waren, die im Morgenland nicht so hervorgetreten sind. Im Gegensatz zum Osten, besonders -»Ägypten, wo man fast von einer monastischen Massenbewegung sprechen kann, spielten in dem von römischer Kultur geprägten Bereich aristokratische Familienkreise eine bedeutende Rolle. In christlichasketischer Gesinnung zog man sich auf sein Landgut zurück und lebte dort dem Gebet und dem Studium der „heiligen Schriften", vor allem der Bibel, aber auch der christlichen Literatur. Zu ihr gehörte nun auch die Vita Antonii des Athanasius in der lateinischen Übersetzung des Evagrius. Ihr Wirken bis hinauf ins nördliche Trier bezeugt uns —•Augustin (conf. VIII,6), der selbst von ihr stark beeinflußt wurde. Dazu kamen dann auch die Übersetzungen und Berichte des —»Hieronymus und —»Rufins von Aquileia über das Leben der Mönche in Ägypten und Palästina, besonders die von Hieronymus übersetzten „Regeln" des Pachomius (s.o. 2.3.) und die lateinische Übersetzung der Apophthegmata in systematisierender Anordnung durch Pelagius und Johannes. So ist im Abendland häufig dies die erste Form monastischen Lebens: eine Verbindung von antiker oberschichtlicher Flucht in die Landidylle einer vita rustica mit den christlichen Motiven der Anachorese. (Übrigens gehört die Geschichte der ersten Mönchsjahre des Basilius - vgl. 2.4. - auch eigentlich zu diesem Typ römisch-aristokratischer Familienaskese in der Zurückgezogenheit des eigenen Landguts; nicht umsonst gehörte er einer Familie senatorischer Prägung, wenn nicht gar Herkunft an.) Es sind gerade auch vornehme W i t w e n und J u n g f r a u e n , die sich zu einem gemeinsamen monastischen Leben auf die Landsitze zurückziehen. Ihre Dienerinnen — m a n c h m a l auch Diener — begleiten sie, werden freigelassen und lernen von ihren einstigen Herrinnen Schreiben und Lesen, um am täglichen -»Stundengeber und am Studium und der Betrachtung des Evangeliums voll Anteil nehmen zu k ö n n e n . Im Fall dieser Frauen wird der „ e m a n z i p a t o r i s c h e " C h a r a k t e r des M ö n c h t u m s besonders deutlich: Sie widmeten sich unmittelbar Christus, ihrem H e r r n , und folgten ihm allein nach, ohne durch Familienbindungen patriarchalischer Prägung oder durch ihren Sklavenstatus daran gehindert zu sein. Wieder gehören die Frauen aus der Familie des Basilius, obgleich sie in Kleinasien lebten, in diesen römischen K o n t e x t . Das Beispiel zeigt, wie bedingt in dieser Zeit letztlich die Unterscheidung von „ ö s t l i c h e m " und „ w e s t l i c h e m " M ö n c h t u m ist. D o c h bedeutete gerade im Abendlande auch für M ä n n e r aus niederem Stande, die ihren Herren in das M ö n c h t u m nachfolgten, der M ö n c h s s t a n d einen sozialen Aufstieg. Bald müssen sie darum e r m a h n t werden, nicht eitel und hochmütig zu werden, wenn jetzt diejenigen sie ehrerbietig grüßen, die sie früher gar nicht beachtet hätten (Frank, Geschichte 3 9 ) .
M ö n c h t u m II
165
2.5.3. Doch neben diesem Typ des aristokratischen monasterium auf der Landvilla finden wir auch im Abendland Eremiten und Eremitensiedlungen neben stärker koinobitisch geprägten Klöstern. Das große Vorbild frühen Mönchtums im Abendland, —»Martin von Tours, pflegte mit seinen Jüngern einen monastischen Lebensstil, der im Grunde eine eigentümliche Mischung aus Eremitensiedlung und missionarischem Wandermönchtum darstellt. Als Bischof von Tours entfaltete er dann, begleitet von mehreren Gefährten, den in der späteren Merowingerzeit wirksamen Typ des wandernden mönchischen Missionsbischofs. Allein in Deutschland finden wir Kilian (irisch Killena), der 689 in Würzburg den Märtyrertod stirbt, Erhard (7. Jh.) und Emmeram (Märtyrer Anfang des 8. Jh.) in Regensburg, Rupert von Worms, den „Apostel Bayerns" (gest. ca. 722), Korbinian von Freising (gest. 725). In -»Irland hatte das Mönchtum besonderen Anklang gefunden. Während es auf dem Festland eine weithin christianisierte Umwelt voraussetzt, das „Anpassungschristentum" des christlich gewordenen Römerreichs, gegen das es seine conversio zur ganzheitlichen Lebenshingabe an Christus stellt, ist Irland von Mönchen und Mönchsbischöfen missioniert worden. -»Schottland, ebenfalls keltischer, gälischer Sprache, ist von Irland aus monastisch missioniert worden. Seine Kirche trug dasselbe durch und durch mönchische Gepräge wie die irische Kirche. 2.5.4. Neben der aristokratischen monastischen Gemeinde auf dem Lande gibt es seit der „Erfindung" der Klostermauer und der Klosterpforte durch Pachomius (s.o. 2.3.) auch das aristokratische Stadthaus als Kloster. Dies Stadtkloster scheint zunächst eine abendländische Erscheinung zu sein. Daneben aber gibt es im Abendland das städtische Bischofskloster (Frank, Frühes Mönchtum 41 ff) — wenn auch aus der östlichen Reichshälfte Beispiele dafür, daß Bischöfe Mönche und Nonnen um sich sammeln, nicht ganz fehlen (Basilius ist wieder eher dem „römischen" Bischofstyp in dieser Hinsicht zuzurechnen, ebenso wohl die relativ früh entstehenden Stadtklöster von Konstantinopel, vgl. 3.). Schon —»Ambrosius von Mailand ermutigte zur Gründung mehrerer Frauenund Mönchsklöster um und in Mailand, die unter seiner geistlichen Leitung standen. Am folgenreichsten wurde die Inspiration zum Zusammenschluß klösterlicher Gemeinschaften, die von —•Augustin ausging. Seine Klostergründungen (22 Männerklöster, mindestens 10 Frauenklöster, Hümpfner 140) glichen den italisch-römischen und waren besonders den ambrosianischen ähnlich. 2 . 5 . 5 . Einen neuen Zug verlieh -*Augustin der m o n a s t i s c h e n B e w e g u n g d a d u r c h , d a ß er als B i s c h o f die K l e r i k e r , b e s o n d e r s die P r e s b y t e r , zu einer m o n a s t i s c h e n Vita communis um sich s a m m e l t e und so im a b e n d l ä n d i s c h e n M ö n c h t u m sehr früh eine V e r b i n d u n g z u m Ideal des P r i e s t e r t u m s herstellte, w i e sie im m o r g e n l ä n d i s c h e n M ö n c h t u m d a m a l s n i c h t üblich w a r . D o r t b e f a n d e n sich nur w e n i g e Priester u n t e r den M ö n c h e n , g e r a d e soviele, wie sie z u m Vollzug des e u c h a r i s t i s c h e n G o t t e s d i e n s t e s n ö t i g w a r e n , also meist nur einer. A u g u s t i n s m o n a s t i s c h e L e b e n s g e m e i n s c h a f t von Priestern, die im D i e n s t der K a t h e d r a l k i r c h e s t a n d e n und also dem g a n z e n K i r c h e n v o l k , den —»Laien, d i e n t e n , sollte s o w o h l für das m i t t e l a l t e r l i c h e M ö n c h t u m des A b e n d l a n d e s ( - » A u g u s t i n e r - C h o r h e r r e n , vgl. a u c h unten 3.) als a u c h für die k ü n f t i g e L e b e n s g e s t a l t u n g des W e l t p r i e s t e r s ( - » Z ö l i b a t , —»Stundengebet) g r o ß e B e d e u t u n g h a b e n .
2.5.6. Es ist in der Forschung umstritten, inwieweit Augustins Name mit Recht mit einer oder mehreren Mönchsregeln verbunden ist, die uns überliefert sind. Wohl sicher ist Ep. 211 aus seiner Hand; sie enthält geistliche Anweisungen für eine Frauengemeinschaft. Doch ist es fraglich, ob er sie selbst zu dem praeceptum für Mönche (sog. 2. Regel) umgeschrieben hat oder ob dieses Praeceptum etwas später auf Grund augustinischer mündlicher Tradition bei gleichzeitiger Wirksamkeit pachomianischer und basilianischer Einflüsse niedergeschrieben worden ist (Lorenz; Verheijen). Die sog. „Regel" Augustins, der Ordo monasterii, soll nach L. Verheijen von dessen Freund Alypius für das erste Kloster Augustins in dessen Heimatstadt Thagaste 395 aufgeschrieben worden sein. Jedenfalls bleibt der Name Augustins im Gedächtnis der abendländischen Kirche mit der Gestaltung monastischer Lebensform durch schriftliche Anweisungen und Ermahnungen, die man bald als regulae verstand, verbunden (vgl. u. 3.). Überhaupt sind das 5. und 6. Jh. des abendländischen Mönchtums als die Jahrhunderte der „eifrigen Regelproduktion" bezeichnet worden (Frank, Geschichte 43ff). Doch müssen diese Regeln, die man mehr als spirituelle und praktische monastische Wegweisung und Unterweisung denn als „Gesetze" des Mönchslebens verstehen sollte, im Zusammenhang mit der übrigen mönchischen Unterweisung gesehen werden. Die Mönchsvita war dabei ebenso wichtig, z.B. die Vita des -»Martin von Tours von Sulpicius Severus, die besonders viel gelesen wurde. Wichtig waren auch die Mahnschreiben und Briefe der Bischöfe an die monastischen Männer und Frauen in ihrem Bereich.
166
M ö n c h t u m II
2.5.7. Der wichtigste Impuls an Lebensvorbild und Lehre ist f ü r das f r ü h e abendländische M ö n c h t u m w o h l von J o h a n n e s ->Cassianus ausgegangen. Seine beiden Schriften De institutis coenobiorum und 24 collationes patrum geben eine genaue Beschreibung der täglichen G e w o h n h e i t e n und Bräuche der Koinobiten und Eremiten des Ostens, bei denen er lange gelebt hatte. Zugleich eröffnet er aber auch deren tiefe geistliche Einsichten und charismatische Lehrsprüche, die z.T. von —»Origenes und —»Evagrius Ponticus inspiriert sind. Diese beiden Schriften sind bleibende Lektüre des abendländischen M ö n c h t u m s g e w o r d e n . Sie zeigen besonders deutlich die allenthalben s p ü r b a r e Bindung zum M ö n c h t u m des M o r g e n l a n d e s . 2.5.8. Doch verfaßte m a n im Abendlande, wie schon b e m e r k t , besonders fleißig Mönchsregeln, zunächst je für die eigenen Klostergründungen; doch w u r d e n sie auch von anderen Klöstern ü b e r n o m m e n . Bezeichnend für sie alle ist, d a ß sie das mönchische Ideal als mehr oder minder b e k a n n t voraussetzen und den Weg zur Erreichung dieses Ziels in Einzelanweisungen abstecken. Besonders w i r k k r ä f t i g erwiesen sich hierbei die zwei Regeln des Erzbischofs ->Caesarius v. Arles f ü r seine Klöster, eine f ü r M ö n c h e , eine f ü r N o n n e n . Letztere ist beachtenswert, weil sie wohl zum ersten M a l e eine spezielle Regel für ein N o n n e n k l o s t e r ist, n a c h d e m die Frauen sich „bis dahin in Lebensform und monastischer H a l t u n g einfach an die f ü r M ö n c h e gegebenen Weisungen und O r d nungen zu halten h a t t e n " (Frank, Geschichte 14). M . W . steht eine genauere Bewertung derselben im Lichte m o d e r n e r F r a u e n f o r s c h u n g noch aus; es ist zu fragen, wie sich das Ideal des „Engels auf E r d e n " und somit der praktischen Befreiung von der geschlechtlichen Bestimmung und der durch sie bedingten familiären Bindung zu dem dort angew a n d t e n Frauenbild verhält. Eine weitere relativ weit verbreitete Regel w a r die —»Columbans. Sie fiel besonders durch ihre strenge monastische Bußpraxis auf, die bis ins kleinste geregelt wurde; doch traf dies nicht auf die O r d n u n g des mönchischen Tageslaufs und die Organisation des Klosters zu. D u r c h ihre A b s t a m m u n g vom irischen M ö n c h t u m waren die columbanischen Klöster häufig von den zuständigen Ortsbischöfen u n a b h ä n g i g und gingen f r ü h eine eigenartige Symbiose mit der fränkischen Adelskultur ein (—• Eigenkirchenwesen, weiteres s.u. 3.). Besonders in Italien entfaltete die Regel eines A n o n y m u s , die sog. Regula Magistri, im beginnenden 6. Jh. ihre W i r k u n g . Ihr Verhältnis zur Benediktusregel ist Gegenstand heftiger wissenschaftlicher Diskussion. Die Mehrheit der Forscher neigt heute zur Ann a h m e , d a ß die - sehr umfangreiche - Magisterregel die b e w u n d e r n s w e r t k n a p p e und klare Benediktinerregel beeinflußt habe. Doch gibt es zwischen allen Regeln auch Mischf o r m e n . Hinzu k a m e n direkte pachomianische, basilianische und besonders cassianische Einflüsse, dazu eine unmittelbare Einwirkung der Vätersprüche (s.o. 2.1.2.). M a n bezeichnet d a r u m die so regelfreudige Zeit des 5 . - 7 . Jh. auch als „ M i s c h r e g e l - E p o c h e " des abendländischen M ö n c h t u m s . 2.5.9. Unter all diesen Regeln w a r der ->Benediktusregel die g r ö ß t e N a c h w i r k u n g beschieden. Sie wird auf dem Weg in und durch das Mittelalter zur Ordensregel. Benedikt selbst hat sie als schlichte Lehrschrift konzipiert, als „bescheidene Elementarunterweisung ins klösterliche L e b e n " (Frank, Geschichte 50). Trotz aller Einflüsse von den bedeutenden Lehrmeistern des M ö n c h t u m s vor ihm h a t Benedikt seine Regel zu einem lateinischen Meisterwerk sui generis gestaltet, in dem die Stimme des M ö n c h s v a t e r s in eigentümlicher Weise vor allem mit der Stimme der Bibel Alten und N e u e n Testaments und durch sie hindurch mit der Stimme Christi selbst verschmilzt. Der bedeutendste Benediktforscher der G e g e n w a r t , A. de Vogué (TRE 5, 548 f), unterstreicht, d a ß die Regel und die eindrucksvolle Gestalt Benedikts, wie sie der N a c h w e l t d u r c h - » G r e g o r I. vor Augen gestellt w u r d e , z u s a m m e n ihre große Wirkungsmächtigkeit entfaltet haben. In ihm sind jenes Einssein von „Indikativ und I m p e r a t i v " , von Wort Christi und gelebter Lebensform, von der wir a m Ursprung des M ö n c h t u m s zu sprechen hatten (vgl. oben 2.2.2.3.), aufs neue eindrucksvoll realisiert.
M ö n c h t u m II
3.
167
Mittelalter
3.1. Gemeinsame
Entwicklungen
in Ost und West
B e i m Eintritt ins frühe M i t t e l a l t e r (wir setzen die Z e i t g r e n z e e t w a im 7 . J h . ) ist das M ö n c h t u m eine fest integrierte E i n r i c h t u n g innerhalb der Kirche. D e r E p i s k o p a t hat allenthalben die Aufsicht über Klöster und M ö n c h e g e w o n n e n , es ist eine akzeptierte Ä u ß e r u n g s f o r m des C h r i s t e n t u m s g e w o r d e n . Z w a r bestehen weiter Spannungen zwischen den m o n a s t i s c h e n F o r m e n des Einsiedlertums und des K o i n o b i t i s m u s ; a b e r im allgemeinen sind sie ausgeglichen, dadurch d a ß es üblich g e w o r d e n ist, zunächst in ein k o i n o b i t i s c h e s Kloster als Novize einzutreten und dort eine Probezeit zu durchlaufen, an deren Ende eine liturgisch inzwischen ausgebaute Mönchsweihe steht, die der A b t / d i e Äbtissin, oft auch der B i s c h o f , verleiht. (Einst hatte sie einfach in der Überreichung des monastischen G e w a n d e s b e s t a n d e n , nun wird sie liturgisch entfaltet, einerseits durch Anlehnung an die —»Ordination, andererseits durch s y m b o l i s c h e Anreicherung b e s o n ders in R i c h t u n g des Verständnisses als „zweiter T a u f e " ) . N a c h längeren im K l o s t e r verbrachten J a h r e n k a n n der gereifte M ö n c h den A b t um seinen Segen für ein E r e m i tenleben bitten und in die E i n s a m k e i t ziehen, in der er oft vom Kloster aus versorgt wird. D e n n o c h sehen wir im Bereich des O s t r ö m i s c h e n R e i c h s (—»Byzanz) und im Westen i m m e r wieder auch Konflikte und neue spirituelle E n t w i c k l u n g e n aus dieser S p a n n u n g zwischen k o i n o b i t i s c h e m und eremitischem L e b e n e r w a c h s e n . In Ost und West sind die koinobitischen Klöster ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Sie verfügen wegen der Spenden und Stiftungen, die sie erhalten, über beträchtlichen Reichtum an Land, Immobilien, Geld und Wertgegenständen. Sie erwerben weiteren Besitz zu ihrem Unterhalt aus ihren Manufakturen (so besonders in und bei den Großstädten des Ostens) und aus dem Landbau (besonders im Westen und Norden Europas), den sie unmittelbar selbst betreiben oder durch abhängige Bauern betreiben lassen. Gleichzeitig sind wichtige Koinobia zu Horten der Pflege der Wissenschaft und der kirchlichen Kunst geworden. So haben sie maßgebenden Einfluß im theologischen Denken und kirchenpolitischen Geschehen ihrer Zeit. Daneben leben die alten Formen des Eremitismus (auch als kleine Einsiedlergruppe, besonders auch als Reklusentum einzelner) und des Wandermönchtums fort. Sie haben in gewissem Sinne einen größeren Abstand zur „Welt" als die koinobitischen Großklöster, weswegen sich ihre Geschichte weit weniger in der Geschichtsschreibung spiegelt als die der berühmten Koinobia. Wieder liefert hier oft die Lokalgeschichte das meiste Material, da diese monastischen Einzelfiguren in die übergreifenden Geschichtsquellen nicht eingegangen sind. Trotzdem sollte man ihre spirituelle Wirksamkeit an den „grass roots" der Kirche und bei der Ausbreitung und Festigung des Christentums nicht unterschätzen. N e b e n dem seit dem Beginn der A n a c h o r e s e w i r k s a m e n A n s t o ß , M ö n c h zu werden, der fiSTävoia, conversio, der B e k e h r u n g zu einem mit ä u ß e r s t e m Ernst gelebten Christentum in B u ß e für die vergangenen Sünden und die frühere Leichtfertigkeit, werden M ö n c h e und N o n n e n jetzt i m m e r ö f t e r auch von anderen g e m a c h t . J e t z t b e s t i m m e n i m m e r öfter Eltern einen ihrer S ö h n e in z a r t e m Alter zum m o n a s t i s c h e n L e b e n , um sein Leben stellvertretend für die F a m i l i e G o t t darzubringen. (Von T ö c h t e r n gilt dies sowieso, doch ist in einer patriarchalischen Gesellschaft dieses O p f e r der Eltern nicht so groß.) Dies ist besonders im A b e n d l a n d verbreitet. Hingegen treffen wir es in - » B y z a n z und später in R u ß l a n d besonders häufig, d a ß man den einflußreichen politischen G e g n e r zwangsweise zum M ö n c h m a c h t , um ihn für eine politische Karriere untauglich zu m a chen. Andererseits nehmen M ö n c h e aus aristokratischen Familien des öfteren nicht dauerhaft Abschied von der Politik und der Kriegskunst; wir treffen sie als Feldherren, V ö g t e , M i n i s t e r . D e n n o c h bleibt das ursprüngliche M ö n c h s i d e a l weiter ungeheuer wirksam, so w i r k s a m , d a ß es im H o c h m i t t e l a l t e r um sich greift, d a ß Kaiser, Könige und andere hochgestellte Persönlichkeiten wenigstens noch in den letzten L e b e n s w o c h e n o d e r gar auf dem Sterbebett B u ß e tun und sich zum M ö n c h weihen lassen (vielleicht berühmteste Beispiele: Kaiser M a n u e l I. [ 1 1 4 3 - 1 1 8 0 ] von K o n s t a n t i n o p e l / O s t - R o m und Kaiser —»Friedrich II. des Heiligen R ö m i s c h e n R e i c h e s ) .
168 3.2. Das Mönchtum
Mönchtum II im
Osten
Strukturell hat sich das Mönchtum im sich immer stärker vom Abendland unterscheidenden Osten ( - » O r t h o d o x e Kirchen) im Grunde nicht weiter entwickelt. Bedeutende Großklöster, wie z. B. das berühmte Studios-Kloster in Konstantinopel, waren wie einst die pachomianischen Klöster mit ihren Tochterklöstern zeitweise verbunden; aber im ganzen bleibt jedes Kloster eine Einheit für sich. Sein Leben in Gottesdienst durch das Kirchenjahr und seine Organisation sowie der Tagesablauf werden durch ein Typikon geregelt. Gewiß kann dabei das Typikon eines bedeutenden Klosters anderen Klöstern als Vorbild dienen (so z. B. das Studios-Typikon für die ältesten russischen Klöster, das Typikon des Konstantinopeler Klosters trjq Eöepyeziöoq für das Koinobion des hl. Sava von Serbien auf dem Berge Athos). Die Großklöster in den Städten, besonders in der Hauptstadt Konstantinopel, entfalten die sozialen Aufgaben, die schon Basilius (s.o. 2.4.) dem Kloster zugedacht hatte: Speisungstätte für die Armen, Herberge für die landfremden Pilger und reisenden Kaufleute, Altersheim. Die Konstantinopler Klöster waren die ersten, die vollständig organisierte Hospitale hatten, mit eigens dafür angestellten Ärzten und Pflegern. Von ihnen fand das Hospitalwesen durch Vermittlung der Kreuzfahrer seinen Weg ins Abendland (Templer, Hospitalorden und -bruderschaften, -•Ritterorden). Doch waren diese Großklöster z.T. so reich, daß es Anstoß bereitete. So versuchte insbesondere Kaiser Nikephoros Phokas der Bewegung unter den Hochmögenden der Gesellschaft, den Stadtklöstern immer mehr zu stiften und weitere neue zu errichten, Einhalt zu gebieten. Er förderte im Gegensatz hierzu die Einödklöster, die in der Tradition der alten Eremitenkolonie und palästinischen Lauren standen, als dem ursprünglichen Geist mönchischer Besitzlosigkeit und des Abstandes von „der Welt" gemäßer. So förderte er auch die Gründung einer Laura durch Athanasius vom —»Athos (geb. 920, Gründung der Laura 961, gest. ca. 1000) auf diesem „Heiligen Berge", der zwar schon seit dem 5. J h . von Einsiedlern bewohnt gewesen war, aber eigentlich erst mit dieser Gründung ins Licht der Mönchsgeschichte trat. Allerdings gab Athanasius seinem Kloster bald eine koinobitische Verfassung und veränderte dadurch auf die Dauer den alten palästinischen Begriff der Laura. Von nun an wird in der orthodoxen Welt, besonders in Rußland, „ L a u r a " zum Namen eines koinobitischen Klosters in der Einöde von Berg, Höhlengelände oder Urwald (bis Peter d. Gr. auf den Einfall kam, eine Laura in seiner neuen Hauptstadt St. Petersburg anzusiedeln, um ihr auch kirchliche Bedeutung zu verleihen!). Der Athos entfaltet sich in der Folgezeit zu einem der wichtigsten Zentren orthodoxen Mönchtums mit zahlreichen Großklöstern. Doch gibt es dort auch weiter Einsiedler und Einsiedlergruppen. Der „Heilige B e r g " ist auch Ursprungsort und Vorkämpfer der spirituellen Bewegung des -»Hesychasmus als Bewegung für eine Renaissance des alten Mönchtums der Wüste mit ihren theologischen und allgemein kulturellen Folgen für die orthodoxe Kirche und byzantinische Gesellschaft. Zu dieser Bewegung gehört die Entstehung von kleinen Häusern, genannt aKtjrr/ (slavisch „ s k i t " - so genannt nach der ägyptischen Wüste der monastischen Klassik), von ca. 5 — 12 Mönchen unter einem ölKaiog (sie!) genannten Vorsteher, die sich als Nachfolger der alten Eremiten( = Hesychasten-)kolonien verstehen. Im 14. J h . taucht dann - wohl unter den Nöten ständiger Überfälle von türkischen Seeräubern - auf dem Athos eine weitere Klosterorganisationsform auf: die Idiorhytbmie. Hier wird es jedem M ö n c h selbst überlassen, sich zu versorgen. Er kann Besitz haben und innerhalb des Klosters seinen eigenen Hausstand führen. Gleichzeitig wird hier das d e m o k r a t i s c h e Element gegenüber der koinobitischen alleinigen Weisungsbefugnis des Abtes verstärkt. W i e in den pachomianischen Klöstern gibt es wieder einen Ältestenrat, die Epitropen, der die G e s c h i c k e und die Lebensordnung des Klosters leitet. Bis auf den heutigen Tag sind dies die Lebensformen des o r t h o d o x e n M ö n c h t u m s geblieben. Z w a r hat es sich mit der fortschreitenden Z e i t weitergewandelt; nur war dies ein Wandel mehr durch den Einfluß charismatischer Persönlichkeiten, den Einfluß der Z e i t - und O r t s u m s t ä n d e als in der Gestaltung und dem Lebensideal eines ganzen Standes. (Vgl. 3 . 3 . 3 . 4 . ; 4 . 2 . 1 . und Spidlik.)
Mönchtum II 3.3. Das Mönchtum 3.3.1. Frühmittelalter
im (7.-9.
169
Abendland Jh.)
Die reiche Entwicklung und Entfaltung des abendländischen Mönchtums verläuft dennoch im Grunde immer wieder nach den von J.-Cl. Guy definierten Momenten (s.o. 1.). In diesem Zeitraum wird Mönchsgeschichte immer mehr zur Ordensgeschichte. Hier kann nur ein Abriß der Abfolge der Phänomene gegeben und versucht werden, das mittelalterliche Mönchtum als Gesamterscheinung zu charakterisieren. 3.3.1.1. Vorherrschaft der Benediktusregel. Spätestens in karolingischr Zeit beobachten wir eine Ablösung der „Mischregel-Epoche" (s. o. 2.5.8.) durch eine allgemeine Bevorzugung der regula Benedicti. Besonders angelsächsische und fränkische Mönche tragen den Prozeß der Verpflichtung der Klöster auf die Benediktusregel. Seine Krönung fand dies im Werk des —»Benedikt von Aniane. Er schafft einen Codex und eine concordia regularum mit dem Ziel, daß una consuetudo monastica alle Traditionen des frühen Mönchtums als in der Benediktusregel zusammengefaßt verstehen und im Leben auslegen sollte. Von nun an werden ordo monasticus und familia S. Benedicti austauschbare Begriffe. Dieser Prozeß wird gefördert durch die germanischen Könige, Fürsten und Edlen, die wie ihre Bischöfe und Äbte eine hohe Bewunderung für Rom und sein Erbe an rechtlichem Ordnungsdenken hatten. So tragen karolingische Inspektionsordnungen und Reichssynoden ihren bedeutenden Anteil an der Durchsetzung der Benediktusregel als allein verbindlich. Daß nach der ersten Zerstörung Monte Cassinos sich dessen Mönche in Rom ansiedelten und Benedikt jetzt gerne als „der römische A b t " zitiert wurde und seine Regel als „römisch" galt, trug zu ihrer Autorität bei.
3.3.1.2. Entstehen der Chorherren- und Chorfrauen-Stifte. Parallel zu dieser Entwicklung läuft eine andere, die von der Erinnerung an die monastische Klerikergemeinschaft um Augustin und seine Freunde lebt (s.o. 2.5.5.). Angesichts vieler Verweltlichungserscheinungen im Klerus unterstreicht man, daß es darum gehe, „canonice vivere" [gemäß dem Kanon zu leben]. Dieser Kanon umfaßte Askese, Armut (aber nicht totale Besitzlosigkeit des einzelnen wie im monastischen, d.i. benediktinischen Coenobium) und gemeinsames Leben besonders im —>Stundengebet („Chorgebet") und in der Eucharistiefeier. Diese Gemeinschaften entstanden unter lebhafter Förderung der Bischöfe als —•Domkapitel an den Kathedralkirchen, aber auch als eigens errichtete —>Stifte. Zum ersten Mal unterschied der Aachener Reichstag 816 zwischen dem ordo monasticus und dem ordo canonicus. De facto hatten aber beide vieles gemeinsam, so daß wir noch während einer ganzen Zeit monastisch lebende Gemeinschaften von Männern und Frauen zwischen diesen beiden ordines hin und her wechseln sehen. 3.3.1.3. ,,Reichsklöster", Königs- und Adels-, Bischofsklöster. In dieser Zeit entstanden viele von Kaiser, König, Fürsten oder Adel, Bischöfen und mitunter auch schon Päpsten gegründete Großklöster, besonders in den erst zu missionierenden und christlich zu durchdringenden Gebieten des Frankenreichs, die zugleich auch der politischen und kulturellen Strukturierung des Imperiums dienten. Diese Reichs- oder Königsklöster verbanden in eigentümlicher Weise die Tradition der altmönchischen fuga mundi, den Auszug in das unbewohnte Land, mit der römisch-abendländischen monastischen Tradition des Studiums und der Lehre und betrieben dazu die Urbarmachung des Landes in ganz neuer Weise, gleichzeitig eingedenk des nie vergessenen missionarischen Aspekts des Mönchtums. Doch kam hier das Ideal der stabilitas loci, das Benedikt, in seiner entschiedenen Bevorzugung des koinobitischen Mönchtums gegenüber den gyrovagi, dem herumirrenden Wandermönchtum und dessen Gefahren der Selbsttäuschung über eine rechte Nachfolge Christi entgegengesetzt hatte (regula LVII,15;IV,78), besonders zum Tragen und verband sich in eigentümlicher Weise mit den feudalen (->Lehnswesen), landbaubestimmten und naturalwirtschaftlichen Lebensformen der Zeit. Dies galt besonders für die benediktinischen Frauenklöster und vielleicht noch mehr für die Chorfrauenstifte, deren Insassinnen vorwiegend, im Fall der Kanonissen fast ausschließlich, adligen
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Mönchtum II
Standes waren. Die Frauenstifte dienten dem Adel als Bildungsinstitut für seine Töchter und zur Versorgung der unverheirateten und verwitweten weiblichen Familienmitglieder. Von den Frauen aus gesehen, boten die Klöster ihnen ein in Unmittelbarkeit zu Gott erfülltes Leben, über das Amt der Äbtissin und die häufige Zuordnung ihrer Stifte zu männlichen (sog. Doppelklöster) vielfache Möglichkeiten zu kirchlicher und allgemein gesellschaftlich-politischer Einflußnahme und Wirksamkeit, die das Ideal der Weltflucht unterlief. Die Männerklöster waren schon seit längerer Zeit nur Freien zugänglich. Sie boten aber auch Männern nichtadligen Standes die Möglichkeit sozialen Aufstiegs. Die Chorherrenstifte beeinflußten das altbenediktinische Mönchtum immer mehr in Richtung auf dessen Klerikalisierung: Die Zahl der Mönche, die auch Priester waren, stieg ständig. Der Mönchspriester wurde allmählich zum Normalstatus des Mönchs.
3.3.2. Hochmittelalter (10.-12. Jh.) 3.3.2.1. Verweltlichung des Mönchtums. K.S. Frank (Geschichte 5 7 - 6 0 ) weist mit Recht darauf hin, daß das abendländische Mönchtum vom Ende der Karolingerzeit an aus mehreren Gründen „in eine Sinnkrise" und in Verfall geriet, vor allem: a) wegen seiner überstarken Bindung an die politischen Reichsziele und wegen der übermächtigen Einflußnahme der Aristokratie, die bis zur Verleihung der Abtswürde an Laien (Nicht-Mönche), Beteiligung der Prälaten, zu denen die Äbte zählten, an Feudalpflichten wie Kriegsdienst und Vogtei-Aufgaben und bis zur allgemeinen Verweltlichung des coenobitischen Klosterlebens gehen konnte; b) durch die allmähliche Übertragung der Aufgaben der -»Evangelisation, der Bildung, der -»Seelsorge an die in Metropolitanverbänden organisierte Hierarchie, so daß die missionarischen Großklöster auf dem flachen Lande ihrer ursprünglichen Aufgabe beraubt waren. 3.3.2.2. Ordo cluniacensis. Kein Wunder also, daß im 10. Jh. eine Reformbewegung einsetzte, die eine Besinnung auf den eigentlichen Zweck coenobitischen Lebens zum Inhalt hatte. Man besinnt sich auf das Opus Dei der regula S. Benedicti, die preisende Anbetung des dreieinigen Gottes in —»Eucharistie und —»Stundengebet. Entscheidend war, daß —»Cluny für sich und dadurch auch für die sich mit ihm verbindenden oder von ihm ableitenden Klöster Freiheit vom Eigenkirchenrecht (—»Eigenkirchenwesen) und damit libertas von fürstlicher, aber auch bischöflicher Aufsicht und Einmischung erreichte. Rechtsschutz und Rechtsaufsicht wurden dem Papst übertragen (-»Exemtion) — verständlich, daß die cluniacensischen Klöster Parteigänger der päpstlichen Kirchenreform waren. 3.3.2.3. Ordo eremiticus. In denselben Jahrhunderten, in denen die cluniacensische Reform ihren Siegeszug durch die abendländische Welt antritt (-»Gorze, -»Hirsau), kommt es zu einem neuen „Auszug in die Wüste". Trotz aller Bevorzugung des Coenobitentums in Kirche und Gesellschaft war das eremitische Leben nie erloschen. Besonders lebendig wurde es nun aufs neue im Süden und Südosten Italiens, auch unter dem Einfluß des dort vorhandenen griechisch-byzantinischen Mönchtums (vgl. o. 3.2.). Auch die Eremitensiedlung, im wesentlichen die alten palästinischen Lauren, kam neu zu Ehren. Wie die alten Anachoreten der Wüste hatten die neuen Eremiten des 1 0 . - 1 2 . Jh. ihr eigenes kleines Haus und trafen sich nur zum Gottesdienst in der Kirche, zu festlichen Anlässen und Ratsversammlungen in gemeinsamen Eß- und Tagungsräumen. Wie im Orient sollten diese Eremitorien in der Regel einem koinobitischen Kloster zugeordnet sein (s.o. 3.1.). Doch „war das Gemeinschaftsleben nur noch Mittel zum Zweck, . . . dem Eremiten ungestörten Freiraum für seinen asketisch-mystischen Weg zu ermöglichen" (vgl. Frank, Geschichte 69). Es ist das Zeitalter der großen Sucher nach der rechten abgeschiedenen eremus. Das mönchische Wandern lebt wieder auf. So bricht Romuald von Ravenna (950-1027) aus seinem cluniacensischen Kloster auf und gründet mehrere Einödkloster, reformiert andere Monasterien. Seine berühmteste Gründung ist Camaldoli-, die von dort verbreitete Lebensform ist die der Kamaldulenser. Aus Camaldoli zog eine Generation später Johannes Gualbertus (990—1073) aus und gründete das coenobitische Kloster Vallombrosa, wo man eine eremitische Interpretation der Benediktregel befolgte (Vallumbrosaner). Bruno von Köln verließ seine glanzvolle kirchenpolitische Karriere und gründete
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in der Bergeinöde Südostfrankreichs die berühmte Grande Chartreuse und weitere Eremitorien, später auch in Italien (-»Kartäuser). Angesichts der Klerikalisierung des Mönchtums (s.o. 3.3.1.2.) war es wichtig und folgenreich, daß die Eremitengemeinschaften es Laien wieder möglich machten, bei ihnen einzutreten. Allerdings bildeten diese infolge des mittelalterlichen Ordo-Denkens einen eigenen Stand neben den ordinierten Patres: die Konversen (lat. conversi) oder Laienbrüder. Neben der Tendenz zur mehr oder minder regulierten Eremiten-Gemeinschaft gab es aber auch in diesen Jahrhunderten verstärkt das strenge Einsiedlertum in der Einöde der Berge oder des Waldes. Auch Frauen wurden von dieser Bewegung ergriffen. Sie wählten häufig das Leben der Inklusen. Ihre „Klausen", in denen sie dem Schriftstudium und der Betrachtung lebten, befanden sich oft bei oder hinter der Apsis einer Kloster- oder Pfarrkirche. Die berühmteste Inklusin dieser Epoche war Juliane von Norwich (ca. 1342— nach 1413). Für Frankreich und die britischen Inseln liegen neuere Übersichtsstudien für die weibliche Inklusen-(Reklusen-)bewegung vor, für Deutschland und andere mitteleuropäische Länder sind sie noch zu leisten. Auch das orthodoxe weibliche Mönchtum blieb offenbar davon nicht unberührt: Evfrosinja von Polozk (gest. 1173) befolgte jahrelang diese Lebensform, mit Abschreiben von Büchern beschäftigt, bevor sie ihr Kloster gründete und sich dann nach Jerusalem aufmachte. Den Einfluß der altmonastischen Lebensformen des Heiligen Landes darf man im Zeitalter der Kreuzzüge sicher nicht zu gering ansetzen. Doch nicht nur das benediktinisch geprägte Mönchtum wurde von der Eremiten-Bewegung ergriffen, sondern auch der ordo canonicus, Chorherren und Chorfrauen. Der berühmteste unter ihnen war -•Norbert von Xanten, der in besonderer Weise Eremitentum und missionarisches Wandermönchtum ganz in altkirchlichem Stile verband (—»Prämonstratenser).
3.3.2.4. Ordo cisterciensis. Hatten die Cluniazenser den inneren Zusammenhalt durch ihren Klosterverband und ihre consuetudines gefunden, so bilden die -»Zisterzienser zum ersten Mal in der Mönchsgeschichte einen —»Orden, so wie er dann später immer verstanden worden ist: mit strenger Unterordnung der - sich stürmisch ausbreitenden — Neugründungen unter das Mutterkloster Citeaux, mit streng einheitlicher Lebensform, festgehalten in der carta caritatis, etwas später (unter -»Bernhard von Clairvaux) in einer ausführlichen Ordensgesetzgebung. Die straffe zentralistische Struktur der Zisterzienser diente als Vorbild für viele jetzt entstehende Orden im neuen Sinne, die mit dieser rechtlichen Form gleichzeitig besondere Gründungsabsichten und Zielrichtungen verbanden: -»Ritterorden, Spitalorden. 3.3.2.5. So stehen wir am Ende dieser Epoche vor einer Vielzahl der Orden, die Papst und Konzilien zu beschränken suchen (zum ersten Mal auf dem Laterankonzil von 1215). Es muß festgehalten werden, daß diese Entwicklung nur im Zusammenhang mit der Entfaltung des kanonischen Rechts und der päpstlich-konziliaren Jurisdiktion in der mittelalterlichen Kirche des Westens richtig zu verstehen ist. Wurde das Wort ordo zunächst mehr abstrakt im Sinne einer typisch mittelalterlichen Hierarchie von Ständen und Lebensweisen in Kirche und Gesellschaft verstanden (entwickelt auch aus Anstößen aus dem von —»Johannes Scotus Eriugena ins Lateinische übersetzten —»Dionysius Areopagita), so bringt die Verrechtlichung immer mehr ein Verständnis auf den einzelnen —»Orden, seine Regel, seine constitutiones und consuetudines hin. Zu dieser Verrechtlichung gehört auch, daß sich der Verständnisakzent von der Mönchsweihe hin zur , , P r o f e ß " entwickelt. Sie wird nun als Rechtsakt verstanden, in dem der Mönch, die Nonne auf ihre Familie (und damit auf ihren weltlichen Stand) und ihren Besitz verzichten und durch Ablegen der Mönchsgelübde in den neuen „Stand der Vollkommenheit", den ordo der religiosi, eintreten. Zur immer stärker werdenden gesamtkirchlichen juridischen Regulierung des Mönchtums gehören auch die immer strikteren Klausur-Bestimmungen für monastische Frauen und Kanonissen, mit denen den wirklichen oder vermeintlichen Gefahren gewehrt werden sollte, die aus der Tatsache erwuchsen, daß immer auch Frauen in großer Zahl den großen Reformbewegungen des Mönchtums anhingen (vgl. —»Frau V). 3.3.3.
Spätmittelalter
3.3.3.1. Neue Suche nach dem „apostolischen Leben". Blickt man auf die ganze Epoche monastischer Unruhe und Neugründungen im Hochmittelalter zurück, so findet man in fast allen Quellen die Leitidee der Rückkehr zur vita evangelica, zur vita apo-
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stolica des Wüstenmönchtums, ja zur Lebensführung Jesu selbst. Im Namen dieser Vita sollten die Entartungen des Mönchtums, seine Anpassung an die und seine Verflechtung mit der „Welt" geheilt werden. Das Ideal der vita evangelica und apostolica umfaßte natürlich auch massive Kritik an der ganzen „Welt"-Kirche und an der mittelalterlichen Gesellschaft überhaupt. Besonders sind Reichtum und Macht der kirchlichen Ämter und Institutionen der Angriffspunkt solcher Kritik. Hatten die Apostel und der Herr selbst nicht arm und machtlos gelebt? Selbst die rigiden Zisterzienser, die sich so energisch an Mt 1 9 , 2 7 - 3 0 und Act 4,32ff orientierten, hatten auf die Dauer nicht vermeiden können, daß ihre Klöster reich und mächtig wurden. So hielt die unruhige Suche nach der wahren Nachfolge Christi an. Neben die alten feudalen Landbauverhältnisse, in die die „alten" Klöster eingepaßt waren, ist nun die mittelalterliche Stadt getreten, die sich in stürmischem Aufschwung befindet. Neben den Adel und die Bauern treten nun der Kaufmann und der Handwerker, der Bürger. Der Aufschwung der Geldwirtschaft bringt aber auch in der Stadt selbst einen krassen Gegensatz zwischen reich und arm mit sich. Gerade in diesem Milieu regt sich mächtig das Streben nach einem neuen religiösen Aufbruch im Namen des Evangeliums. Jesus wird als „der Arme", der im Leiden „Nackte", entdeckt. In der Nachahmung seines Lebens ist man solidarisch mit ihm, aber in seiner Nachfolge auch mit den Armen. Es kommt zu einer breiten Laienbewegung, die einen „apostolischen" Lebenswandel in „apostolischer" Bruderschaft und Schwesternschaft fordert: vor allem echte Armut, Besitzlosigkeit, Studium und Predigt der Schrift in heimatlosem Wanderleben, Enthaltsamkeit und Keuschheit. Früher Schwerpunkt dieser gegenüber dem Reichtum und der weltlichen Macht der mittelalterlichen Kirche äußerst kritischen Bewegung ist zunächst Mittelitalien und Südfrankreich; sie strahlt aber bis in die Schweiz und nach Böhmen, bis in die Niederlande und weiter aus. Mit der Ablehnung vieler geprägter Formen der zeitgenössischen verfaßten Kirche, auch der reichen Landklöster, und ihrer evangeliumsfern erscheinenden Hierarchie war es für die Mitwelt nicht leicht zu erkennen, wo die kritische Rechtgläubigkeit aufhörte und die Häresie (—»Waldenser) begann. Bezeichnend für diese Bewegung war die Gemeinschaft, die das „evangelische Leben" führen wollte, wie es in der Bergpredigt und M t 19 beschrieben war, nicht aber die Mönchsgelübde feierlich ablegen, nicht Mitglied des Standes der religiosi werden wollte. Gerade auch Frauen waren in besonderem Maße von ihr erfaßt (—»Humiliaten, —»Armut, —»Beginen, —»Petrus Damiani). Aus dieser religiösen Aufbruchstimmung weg von weltlicher Ehre, Macht und Reichtum hin zur reinen Nachfolge Christi gehen die Bettelorden hervor.
3.3.3.2. -*Franciscus von Assisi und seine „minderen Brüder". Die Bedeutung des Franciscus für die Wiedergewinnung der ursprünglichen Intentionen des ersten Mönchtums ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. In der Rolle, die Mt 1 0 , 5 - 1 4 und Mt 19 für ihn persönlich und seine ersten Jünger spielen, findet sich genau jene altmonastische „Identifikation von Indikativ und Imperativ" (vgl. o. 2.2.2.3.), jene Wiederentdeckung des Einsseins von Lebensgestalt und Lehre, die das erste Mönchtum zur Abstandnahme von der „Welt" bewogen hatte. Nur geht die Anachorese des Franciscus nicht in die Wüste, sondern zu den Randexistenzen, den Ausgestoßenen, den Ärmsten der damaligen Gesellschaft. Hier ist jetzt gleichsam die „Wüste", das fast nicht Bewohnbare, dort, wo es mit den Elenden, ihre Lebensbedingungen teilend, auszuharren gilt. Gegenüber den voraufgehenden und zeitgenössischen religiösen Armutsbewegungen aber zeichnet sich die des Franciscus durch seine Entschlossenheit aus, daß sie innerhalb und zur Erneuerung und Erbauung der einen, einzigen, alle Welt umfassenden, d.i. der katholischen Kirche des Glaubensbekenntnisses vor sich gehe. Aus Kirchentreue (für ihn wie für viele damals schon gleich Papsttreue) kann Franciscus nicht anders, als seine fraternitas sowie die Frauengemeinschaft um seine geistliche Freundin Clara von Assisi mit eigenen Regeln in die damalige Ordenswelt einpassen zu lassen (-»Franziskaner). Er hat es nicht wirklich gerne getan, sich von der Notwendigkeit aber überzeugen lassen, ohne daß er und seine Mitbrüder ihren inneren Abstand zu der Entfremdung von der evangelischen Lebensweise in Kirche und Welt aufgegeben hätten.
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Vielleicht gehen außer von den Vätern der Wüste selbst von keinem einzelnen Mönchsheiligen des Mittelalters bis auf den gegenwärtigen Tag so lebhafte Impulse zur Rückkehr des Mönchtums zu seinen Quellen aus wie von Franciscus. Darin ist neben radikaler Umkehr und Buße und der „apostolischen" Lebensweise unter den Armen besonders die Mission unter den Völkern, die Christus nicht kennen, eingeschlossen und das Friedenstiften (bei Franciscus selbst zwischen verfeindeten Städten ebenso wie zwischen oberen und unteren Gesellschaftsschichten seiner Stadt). Das Bestehen des Franciscus auf dem Gedanken der Bruderschaft/der Schwesternschaft vom armen Leben, seine lebhafte Opposition gegen alle traditionellen Standesprivilegien der herkömmlichen Orden und Ordensoberen für seine Gemeinschaft, machten diese offen für die Annahme eines solchen „evangeliumsgemäßen" Lebens auch bei Menschen, die aus Verpflichtungen zu ihren Nächsten ihr altes Leben nicht verlassen konnten, was nach seinem Tode zur formalen Gründung des Dritten Ordens „von der Buße" führte (wohl in intensiver Wechselwirkung mit der parallelen Entwicklung bei den —•Dominikanern, s.u.). 3.3.3.3. Dominikaner und eremitische Bettelorden. W i e ungestüm die von dem Ideal der vita evangelica getragene religiöse Bewegung in breiten Volksschichten vieler europäischer L ä n d e r w a r , wird auch dadurch deutlich, d a ß zur selben Z e i t wie die M i n derbrüder des Franciscus auch die „predigenden K a n o n i k e r " , die — > D o m i n i k a n e r , entstanden. Sie w a r e n Kleriker, die das a r m e , predigende, besitzlose Wanderleben wählten - eine ganz andere soziale Struktur, ganz andere kirchenrechtliche Vorgegebenheiten (Augustinerregel, die neu interpretiert wird) als bei den F r a n z i s k a n e r n . Den D o m i n i k a n e r n wird es viel leichter, die Ordensgestalt für die neue L e b e n s f o r m im traditionellen Sinne zu finden. Ihre Wanderpredigt gilt vor allem der Überwindung der —>Katharer. D o m i n i c u s und seine G e f ä h r t e n fanden von Anfang an besonderes E c h o bei den dort und andernorts v o r h a n d e n e n F r a u e n g e m e i n s c h a f t e n , die „ a p o s t o l i s c h " leben wollten, a b e r wesentlich aus gesellschaftlichen G r ü n d e n in die G r a u z o n e zwischen Häresie und rechtgläubiger Kirchlichkeit gerieten ( - » F r a u V. 2). Die D o m i n i k a n e r waren auch besonders eifrig und erfolgreich in der G r ü n d u n g von D r i t t - O r d e n s - G e m e i n s c h a f t e n und später auch von anderen Laienvereinigungen, deren Glieder ganz in „der W e l t " lebten. Die Dominikaner treiben so unwillkürlich die Entwicklung im mittelalterlichen Mönchtum voran, daß jeweils verschiedene Orden je eigene Zweckbindungen haben, sich ganz speziellen Aufgaben stellen. Die ihre, das Predigen, Ermahnen, Erziehen, Seelenführen, erforderte dabei theologische und philosophische Bildung: die Dominikaner gehen den anderen Bettelorden voran in der Entwicklung ihrer Studienhäuser, dem Heimischwerden an den Universitäten, im Vorantreiben des theologischen Denkens (-«Albert der Große, -»Thomas von Aquino u.a.m.). Die betonte gesamtkirchliche Ausrichtung ihrer Tätigkeit gerade auch in der Ketzerbekehrung bringt als naheliegende Konsequenz den päpstlichen Auftrag zur Teilnahme an der sich entwickelnden —»Inquisition mit sich. Auch die i m m e r weiter präsente eigentlich eremitische Bewegung im M ö n c h t u m b r a c h t e nun, im 13. J h . , ebenfalls Bettelorden hervor: Die —•Karmeliter, Einsiedler, die im Heiligen L a n d e unter intensivem Einfluß o s t k i r c h l i c h e n , und d . h . i m m e r auch altkirchlichen, M ö n c h t u m s entstanden waren und am Berge Karmel das Leben des —»Elia in der W ü s t e fortgesetzt hatten, flohen vor dem kriegerischen Wiedervordringen des Islam ( - > K r e u z z ü g e ) nach E u r o p a und n a h m e n dort - wie selbstverständlich und als ihrer Vorstellung v o m Sinne des M ö n c h t u m s entsprechend - die Gestalt eines Bettelordens an, wie sie sich durch D o m i n i k a n e r und F r a n z i s k a n e r herausgebildet hatte. Schließlich folgte der v o m Papsttum b e w i r k t e Z u s a m m e n s c h l u ß verschiedener italienischer E r e m i t e n k o l o n i e n zum Bettelorden der Augustiner-Eremiten. 3.3.3.4. Spätmittelalterliches Mönchtum. F r a n z i s k a n e r , D o m i n i k a n e r und dann auch Karmeliten und Augustiner-Eremiten breiteten sich mit g r o ß e r G e s c h w i n d i g k e i t über ganz Europa aus, nach dem Vorbild der D o m i n i k a n e r in Provinzen gegliedert und von einem G e n e r a l o b e r e n geleitet. Sie sind in einer neuen Weise e x e m t und stehen direkt unter dem Papst; durch die relative Unselbständigkeit ihrer einzelnen K o n v e n t e wird ihre Z u o r d n u n g an die G e s a m t k i r c h e unterstrichen. Andererseits sind die genannten vier großen M e n d i k a n t e n o r d e n ein nicht m e h r wegzudenkendes E l e m e n t jeder mittelalterlichen Stadt: W i r werden dort n o r m a l e r w e i s e i m m e r ein D o m i n i k a n e r - , ein F r a n -
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ziskaner-, ein Karmeliter- und ein Augustinerkloster finden. Doch entstanden daneben auch kleinere Bettelorden wie z.B. die Serviten. Auch die sich weiter entwickelnden Hospitalorden orientieren sich in Lebensform und Regulierung an den Mendikanten. Die Frauen hatten an der Entwicklung der ersten beiden Bettelorden intensiven Anteil gehabt; dasselbe geschah dann bei Karmelitern und Augustinern. Mehr oder minder willig nahmen alle Orden immer neue Frauengemeinschaften mit der damals unabdinglichen Abwandlung der Ordensregel gemäß den Klausurvorschriften für Moniale, d.i. Nonnen, (Zweiter Orden) in ihre Gemeinschaft auf. Ein ganz neue, städtisch-geldwirtschaftlich „moderne" Art des Mönchtums war entstanden. Gerade die Beheimatung in der Stadt führte diese Orden entgegen dem Armutsanspruch doch wieder zu einem gewissen Maß von Besitz des Konvents oder gar des einzelnen Mönchs, und dadurch kam es zu großen Streitigkeiten innerhalb der Orden um die Treue zum radikalen Beginn. Gleichzeitig gab es aus Konkurrenzneid geborene Streitigkeiten zwischen den Orden, besonders zwischen Franziskanern und Dominikanern, aber auch mit den „Weltpriestern" in den Pfarreien wegen der Predigt- und Seelsorgekompetenz. Eine besondere Bedeutung hatte für die spätmittelalterliche Stadt die Entfaltung der Dritten Orden. Sie wurden zu den Vorläufern für „halb-monastische" neue Formen christlicher Gemeinschaften wie z.B. die Laienbruder- und -Schwesternschaften des späten Mittelalters und die zahlreichen Kongregationen und Säkular-Institute der Neuzeit bis hin zu den Basisgemeinden —»Lateinamerikas von heute. Allerdings mußten im Spätmittelalter die Gemeinschaften des Dritten Ordens selbst sich sehr schnell immer mehr dem Ordensrecht der Kirche einpassen.
Das Bild des spätmittelalterlichen Mönchtums ist daher zwiespältig: einerseits ein unerhöhter spiritueller Aufbruch, der zum erstenmal in der Geschichte der Kirche zu einem breiten volksmissionarischen Wirken (—»Innere Mission, -»Predigt), zu einem neuen Ausgreifen der Mission bei den Heiden, zu intensiver caritativer Tätigkeit und persönlicher —»Seelsorge an Laien aller Stände, aber auch zu Höhepunkten der monastischen -»Mystik führt (z.B. Franziskaner: Franz selbst, Bonaventura; Dominikaner: Meister —»Eckhart, Johann —»Tauler, Heinrich —»Seuse; -»Karmeliter: —»Teresa von Avila und -»Johannes vom Kreuz); andererseits doch letztendlich wieder Verfall an die Versuchungen der „ W e l t " , Besitz, Macht, und damit an die altbekannten Laster in ihrer zeitbedingten Form. Die Literatur des Spätmittelalters und der beginnenden —»Renaissance in Italien und dann etwas später auch anderswo enthält fast als Standardtyp den geilen, geldgierigen, verschlagenen Bettelmönch (z.B. im Decamerone des Bocaccio). Ganz nach der von J.-Cl. Guy gezeichneten quasi Gesetzmäßigkeit (s. o. 1.) kam es in den Bettel-, aber auch in den alten Orden zu wichtigen Reformbewegungen, die wesentlich mit dem allgemeinen Streben nach Reform der Kirche „an Haupt und Gliedern" zusammenhingen, aber auch mit den intensiven Laienfrömmigkeitsbewegungen des Spätmittelalters, besonders der —>Devotio moderna. Klöster und Klostergemeinschaften reformieren sich; es kommt zu ganzen Reformkongregationen. Noch in einer weiteren Hinsicht ist das Bild des spätmittelalterlichen Mönchtums anscheinend widersprüchlich: Auf der einen Seite steht dort eine äußerst große Vielfalt sehr verschiedener und untereinander zerstrittener Orden, z.T. mit den speziellsten Zielsetzungen wie Gefangenenfreikauf oder Brückenbau; andererseits wird das Mönchtum als eines gesehen, als ein besonderer Stand, ein ordo in der Hierarchie der Kirche.
3.3.3.5. Theologische Festschreibung des Mönchtums als höherwertiger Ordensstand durch —»Thomas von Aquino. Zur Sonderstellung des Mönchtums hatte nicht nur das von uns schon mehrfach angesprochene mittelalterliche kirchliche Ordensrecht beigetragen, sondern diese Sicht befestigte nun als bedeutendster Beitrag die Theologie des Dominikaners T h o m a s von Aquino. Beeinflußt von dem längst in der lateinischen Theologie beheimateten Denken des (Pseudo-) —»Dionysius Areopagita (—»Johann Scotus Eriugena), definierte er den ordo der vita religiosa in der Hierarchie der irdischen Kirche als höherstehend gegenüber dem Laienstand. Während dieser nur zur Einhaltung der Zehn Gebote verpflichtet sei, übernähme es der Mönch bei seiner Profeß durch Ablegung des Mönchsgelübdes ( v o t u m monasticum), die consilia evangelica zu befolgen, d. h. nach Thomas: Gehorsam, Enthaltsamkeit und Armut. Damit ist der status religionis ein an-
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derer, höherer Stand als der des Laien, er ist status perfectionis (mit ausdrücklichem Bezug auf Mt 5,48 und Mt 19,16 par.), wobei es sich nicht wirklich um die Vollkommenheit Gottes oder der vollendeten Heiligen im Himmel handelt, sondern um die gelobte Bereitschaft, die Hindernisse, die jedem Menschen auf dem Wege zur vollkommenen Hingabe an Gott, zur vollkommenen Gottesliebe, entgegenstehen, entschlossen beiseite zu räumen. Dabei ist die Ablegung der Gelübde, die verbindlich bekundete Bereitschaft ad serviendum Deo, ein Meritum vor Gott. So vorsichtig man diesen Begriff auch bei Thomas interpretieren muß: Es handelt sich doch um eine Höherqualifizierung in der von Gott geschaffenen und offenbarten Seinsordnung. Mit der überragenden Autorität des Aquinaten ist eine Rangordnung festgeklopft, die im Verständnis eines Paulus oder eines Euseb fehlte, wo die beiden Stände der Kirche nebeneinander als zwei gleichberechtigte Möglichkeiten des Christseins in der Kirche stehen. Dies ist wichtig festzuhalten, weil man die humanistische Kritik und die reformatorische Ablehnung des Mönchtums sonst nicht recht versteht. Es ist dieses Verständnis vom „Vollkommenheitsstand", das man kritisiert, sowohl von der Realität der sehr unvollkommenen Wirklichkeit des Klosterlebens her als auch - noch mehr, etwa bei Luther und Calvin — von der Theologie her. Auch dem orthodoxen Mönchtum ist es, im Grunde genommen, fremd (es gibt in der Neuzeit katholisierenden Einfluß'auf die Lehre); für die Orthodoxie ist das Leben des Mönchs das Paradigma für jedes ernsthafte Christenleben, sind die Seligpreisungen Gebote Christi, die jedermann erfüllen soll. Den Mönchen ist nur das Charisma gegeben, sich in Lebensumständen zu befinden, die die Erfüllung leichter machen. Sie tun es stellvertretend auch für die Laien, aber Gott kennt jedes Herz und wägt die verschiedenen Lebensumstände ab. Den Laien ist es dabei sehr wichtig, daß es Mönche und Nonnen in der Kirche gibt. 3.3.3.6. Grundsätzliche Kritik am Mönchtum am Ausgang des Mittelalters. Im Westen gab es wegen der oben geschilderten Gesamtschau des Ordensstandes als hierarchische Einheit nicht nur Kritik an Entartungserscheinungen im Mönchtum oder an einzelnen Mönchen oder Orden, sondern eben am Mönchtum als solchem, z.B. bei Laurentius —»Valla, De professione religiosorum (-»Humanismus). Schon vor ihm hatte John -»Wyclif aus schrifttheologischen Gründen das Mönchtum als menschliche Erfindung abgelehnt. Die Profeß gründe nicht auf der Schrift. Zudem sei kein Orden und kein Mönch so arm und demütig, wie es Christus gewesen sei - im Gegenteil, die Klöster seien reich. So seien die Mönche scheinheilige Pharisäer. Außerdem - und hier kommt Wyclif den Gedanken der Reformation nahe - fordere der humilis Christus die Nachfolge von jedem Christen. Die Heilige Schrift enthielte nichts vom Mönchtum. Sie ist die wahre Regel. „Im Gesamt der mittelalterlichen Mönchsgeschichte wird hier erstmals die Autorität der Schrift gegen das Mönchtum verwandt; es ist die gleiche Autorität, die sonst zur Begründung des monastischen Lebens herangezogen wird. Es ist also das Schriftverständnis, das je bestimmende Deuteprinzip, das zur monastischen oder antimonastischen Position hinführt", gibt K.S. Frank (Geschichte 123) zu bedenken. 4. Reformation
und Gegenreformation
bis zum Ende des 17. Jh.
4.1. Die Reformation und das Mönchtum 4.1.1. Luther und die Reformation über das Mönchtum. Es ist mit J. Lortz (I 306) zu unterstreichen, daß das Mönchtum schon im 15. Jh. zu der kirchlichen Einrichtung geworden ist, die am heftigsten angegriffen worden ist. Diese Kritik ging meist aus von den Erscheinungen des Verfalls, der praktischen Nicht-Entsprechung zum Ideal. Auch bei Wyclif war letztlich der Ausgangspunkt die Kritik an den reichen Klöstern und an der Geschäftstüchtigkeit der Mendikanten gewesen. (Er war hier ganz auf der Seite der Pfarrgeistlichkeit gegen die Orden.) Von einem Mönchsstand sei nichts in der Heiligen Schrift zu finden, wohl aber die Austreibung der Händler aus dem Tempel (Mk 1 1 , 1 5 - 1 8 par.), das Wehe über die Pharisäer (Mt23). Er hatte die Schrift zur regula prima erhoben, d.h. zur Lebensregel für jeden Christen, in Luthers theologischem Verständnis also zum Gesetz. Luther war bekanntlich selbst Augustiner-Eremit, der in und über seinem
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Mönchtum zu dem kam, was wir seine „reformatorische Erkenntnis" nennen. Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Entwicklung nachzuzeichnen. In unserem Zusammenhang ist festzuhalten, daß die Verwerfung der Mönchsgelübde durch Luther 1521 (De votis monasticis) in den großen Zusammenhang seiner reformatorischen Theologie gehört. Sie ist im Kontext seiner Verwerfung des kanonischen Rechts, insofern es göttliches bzw. kirchliches Recht aus päpstlicher Vollmacht sein will, wie aus der Ablehnung „des Aristoteles", d. h. der thomistischen Ontologie, zu sehen. Seine Gedanken über das Mönchtum, so wie er es in Realität und kirchlicher Lehre vorfand, sind nur im Kontext seiner Gedanken über die Freiheit eines Christenmenschen, über -»Gesetz und Evangelium („ewige" Gelübde werden zu Gesetz, von dem das Evangelium Christi uns befreit hat) zu verstehen. Daher ist die Rangordnung der ordines — hier Laien, für die die Zehn Gebote gelten, dort die „vollkommenen" religiosi, die zusätzlich die Evangelischen Räte befolgen (für Luther: Christi Verheißungen und Wille über die Früchte des Glaubens) - abzulehnen. Sie basiert auf dem sündigen Unterfangen, aus Werken gerecht zu werden; und die kirchliche Autorität ist pervertiert, die solches Unterfangen als Weg zum Heil ausgibt, die es als Recht setzt, dessen Nichtbeachtung Strafen von Seiten der weltlichen Obrigkeit ebenso wie von Seiten der kirchlichen Autoritäten nach sich zieht. Die Mönchsgelübde in der Form, wie sie seine Zeitgenossen leisten, seien in der Absicht abgelegt, sich dadurch selbst gerecht und selig zu machen. Obwohl sie das allein von der Barmherzigkeit Gottes erwarten sollten, schreiben sie es ihren eigenen Werken zu (Themata de votis, WA 8, 325). Diese Gelübde sind daher gottwidrig und ungültig. Für Luther gibt es nur die ordines: ecclesia, oeconomia und politia, die gottgesetzte Lebensordnungen sind, die aber (z.B. durch das Priestertum aller Gläubigen, durch das Herroder Untertansein eines jeden in Familie und Beruf „wirtschaftenden" Menschen) ineinander verflochten sind. Für das Mönchtum als Beruf, als Stand, findet er in dieser grundsätzlich theologischen Sicht keinen Platz, wohl aber bleibt die Möglichkeit für ihn erhalten, Mönch oder Nonne in einer klösterlichen Gemeinschaft zu sein und dort den Menschen zu dienen (vgl. WA 38,164). Aus seinen persönlichen Ratschlägen an evangelisch glaubende Äbte, Äbtissinnen und Mönche - zumal wenn sie fortgeschrittenen Lebensalters sind - geht hervor, daß er ein mönchisches Leben, das in der vom Evangelium geschenkten Freiheit geführt wird, für eine von Gott gegebene Möglichkeit ansieht, in sinnvoller Tätigkeit (Stundengebet, Schriftbetrachtung, Predigt und Seelsorge, caritativer Tätigkeit - Luther beruft sich auf die ursprünglichen Stiftungszwecke von Stadtklöstern und Stiften) seinen Unterhalt zu haben. Es wäre so ein Beruf wie andere Berufe auch, nicht mehr. Es ist nachdenkenswert, daß Wyclifs grundsätzliche Kritik am Mönchtum „alles andere als einen Klostersturm in England bewirkt" hat (vgl. Frank, Geschichte 123), Luthers Kritik aber durchschlagende Folgen hatte. Luther selbst hat den Grund dafür so gesehen: „Wiclef und Hus pugnaverunt solum contra vitam papae, drumb haben sie es nicht erheben kunnen, quia ipsi tarn fuerunt peccatores quam papistae. Ego vero doctrinam ipsorum invasi; da mit hab ich sie geschlagen, denn es ist nicht umbs leben, sed doctrinam zu t h u n . " ( W A . T R 1,439,23 ff). Dem, was geworden war, setzt sich Luther mit seinem Verständnis von Gesetz und Evangelium und der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden als rechter Lehre entgegen. So wendet sich auch das —>Augsburger Bekenntnis c. X X V I I gegen die „gottlosen Meinungen und Irrtümer" betreffend die Gültigkeit der Mönchsgelübde (vgl. auch Schmalkaldische Artikel). Die anderen Reformatoren sind Luther im wesentlichen theologisch gefolgt, wenn sie mitunter auch schneller waren im Ziehen der weitgehenden Folgerungen (z.B. -»Melanchthon und ->Karlstadt), so daß wir ihre Theologie des Mönchtums hier übergehen können, auch die des reformierten Zweiges der Reformation (klarste grundsätzliche Formulierung in - » C a l vins Institutio IV,XIII,20—21). Bei ihnen sind höchstens die Akzente zwischen lehrmäßiger Verwerfung der spätmittelalterlichen Rechtsgestalt und theologischen Begründung des Mönchsstandes und der beißenden Kritik an seiner Vorfindlichkeit im Sinne des
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—•Humanismus jeweils etwas verschoben. Wir würden von einer modernen historischen Fragestellung her den Unterschied zwischen den gesellschaftlichen Folgen von Wyclifs Lehre und derjenigen Luthers und der anderen Reformatoren anders zu beschreiben suchen: Die Zeit war nun reif. Zur Forderung nach einer Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern gehörte nun schon lange genug auch die Kritik am Mönchtum. Luthers Lehre gab nun eine völlig neue Sicht, in deren Namen man zur Tat schreiten konnte. 4.1.2. Die historischen Folgen. Luthers Stellungnahme gegen die Mönchsgelübde hatte sehr schnell einschneidende Folgen. Tumultartig (vgl. Stamm 135 u. ö.) verlassen Ordensleute beiderlei Geschlechts die Klöster. Luthers eigener Orden, die sächsische Reformkongregation der Augustiner-Eremiten, beschließt 1522 auf einem Kapitel, daß alle bisher in ihr abgelegten Gelübde unchristlich und ungültig gewesen seien und daß ihre Glieder nun nur noch als klösterliche Gemeinschaft ohne Gelübde zusammen leben wollen. Ernähren wollen sie sich nicht mehr durch das Erbitten von Spenden und durch Privatmessen, sondern durch Predigen oder irgendeine andere Arbeit, die sie aufnehmen können. Ein jeder könne sich frei fühlen, das Kloster zu verlassen. (Luther verläßt übrigens die Wittenberger Gemeinschaft als letzter! Im Laufe des Jahres 1524 hört er auf, die Kutte zu tragen; im Jahre 1525 heiratet er Katharina v. Bora, ziemlich überraschend für seine Freunde.) Doch das eigentliche Tempo bei der Klosterauflösung legten die protestantischen Stände, Fürsten und Freie Reichstädte, vor. Hierbei war besonders wirksam, daß schon seit den Reformkonzilien des 15. Jh. die Fürsten als wesentlich verantwortlich für die kirchlichen Zustände in ihrem Herrschaftsbereich gesehen wurden. Und so straften auch die Fürsten, die beim alten Glauben blieben, Priester, die heirateten, Mönche und Nonnen, die ihre Klöster verließen, schwer und hart, so daß diese oft die Flucht ergriffen und Schutz auf evangelischem Gebiet suchten. Die evangelischen Fürsten und Städte hingegen machten gerne der „gottlosen Werkerei" in den Klöstern ein Ende und zogen deren bewegliches und unbewegliches Gut für ihre - z.T. auch kirchlichen - Zwecke ein. Im Grunde entschieden sie jetzt mit ihrer weltlichen Macht den spätmittelalterlichen Streit zwischen städtischer „Welt-" und Klosterpfarrei zugunsten der ersteren. Während der Ausbreitung der Reformation durch Europa spielen die Fürsten bei der Aufhebung der Klöster noch eine überragendere Rolle als in Deutschland (—• Heinrich VIII. von England hob z. B., unterstützt von seinem Parlament, 1536-1540 alle Klöster in England und Wales auf). In Deutschland dauerte ihr völliges Verschwinden auf evangelischem Gebiet immerhin einige Jahrzehnte. Auf Grund der Ansicht Luthers, daß einem Klosterleben in evangelischer Freiheit, d . h . ohne „ewige Gelübde", bei Bedarf nichts im Wege stehe, blieben allerdings, besonders in Niedersachsen, Schaumburg und Westfalen einige Klöster und Stifte, die meist dem Landadel gehören und meist für Frauen bestimmt sind, bestehen. Sie hatten ja auch immer der Lösung eines sozialen Problems gedient: der standesgemäßen Versorgung der unverheirateten T ö c h t e r und der Witwen. Während dieser Frauenkreis aus der Bürgerschicht der Städte oder den unteren Ständen gerne wieder in die Großfamilie und damit in die Berufs- und Wirtschaftseinheit derselben aufgenommen wurde, w a r dies in Landadels- und Fürstenkreisen oft schwieriger. Diese Stifte, von denen einige noch heute bestehen, viele aber in der Aufklärungszeit aufgelöst wurden, behielten wesentliche Formen des koinobitischen Lebens lange bei. Die Möglichkeit und Wirklichkeit ihrer Existenz wurde bei dem Wiedererstehen eines evangelischen M ö n c h t u m s im 2 0 . Jh. erneut wichtig (s.u. 6.).
4.2. Die katholische
Antwort
4.2.1. Das Tridentinum. Die katholische Kirche aber hat den Sprachgebrauch des Thomas im —»Tridentinum rechtlich fixiert und präzisiert; sie benutzt ihn weitgehend bis heute, indem sie von den „Ordensleuten", dem „Ordensstand", als von den Männern und Frauen spricht, die mit ihrer Profeß das „vollkommene Leben" gewählt haben. Aber man sollte die stürmischen Auseinandersetzungen um die rechte Gestalt des Mönchtums in der sich nun gegen den Protestantismus konfessionell bestimmenden katholi-
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sehen Kirche nicht unterschätzen. Neben den bekannten eklatanten Mißbräuchen wurde dabei auch viel alteingebürgertes Recht in Frage gestellt: z.B. die bunte Vielzahl der Orden, die wirtschaftlichen Grundlagen der Klöster, besonders der Mendikantenklöster, die -»Exemtion der Klöster von der Aufsicht der Diözesanbischöfe, das Eingriffsrecht der weltlichen Obrigkeit, die Frage nach dem Eintrittsalter und der rechten Eignungsprüfung für die Postulanten und einer gründlichen Klostererziehung der Novizen. Katholische, z. T. recht radikal gesinnte Reformer und Konservative kämpften vor und auf dem Konzil hart miteinander. Heraus kam das Dekret über die religiosi (25. Session), das in vieler Hinsicht einen Kompromiß zwischen den streitenden Seiten schuf: So bekamen die Bischöfe jetzt größeres Mitspracherecht in den Klöstern, ohne daß die Exemtion und die direkte Unterordnung unter Papst und Kurie aufgehoben wurde. Allerdings in einem Punkt war das Konzil von Trient besonders unerbittlich: Die Klausur wurde für Frauenklöster ausdrücklich als unerläßlich erklärt, die Bedingungen ihrer Einhaltung eher noch verschärft. Diese Bestimmung des Konzils war den wichtigsten Intentionen weiblicher monastischer Bewegung in der Neuzeit äußerst hinderlich. Eins der positivsten Ergebnisse des Konzils war, daß entgegen allen Vereinheitlichungsbestrebungen die bunte Vielfalt der Orden erhalten blieb. Bei allen Spannungen, die zwischen ihnen herrschten und z.T. noch herrschen, sind sie doch ein lebendiges Beispiel d a f ü r , daß in einer Kirche große Verschiedenheit der Spiritualität und der in ihr gründenden Lebensweise Platz haben können und nicht notwendig zu Kirchenspaltungen oder Häresie führen müssen. D a s Z u s a m m e n l e b e n der verschiedenen Orden, zu denen in der Folgezeit noch viele hinzukommen sollten, unter dem einen D a c h der Großkirche, bietet ein Paradigma für die Möglichkeit „versöhnter Verschiedenheit" in der Ökumene. Allerdings ist diese Einheit über d a s Kirchenrecht bezüglich der „ r e l i g i o s i " erreicht, also eine gesetzliche, nicht von evangelischer Freiheit geprägte Versöhnung. D a s M ö n c h t u m geht aus dem Tridentinum anscheinend endgültig als Rechtsinstitut der römischen Kirche hervor.
4.2.2. Katholische Reform und Mönchtum. Die Überzeugung von einer dringend notwendig gewordenen Reform des „Ordenslebens" bringt Gemeinschaften von einem ganz neuen Typ hervor. Die Kritik am vorhandenen Mönchtum als Gemeinschaft von Parasiten an der Gesellschaft war so stark, daß die Neugründungen sich vor allem an einer sinnvollen Tätigkeit für Weltkirche und Gesellschaft orientierten. Im italienischen Milieu des Reformkatholizismus entstehen daher eine ganze Reihe von Zusammenschlüssen von Priestern, die ein monastisch geprägtes Leben mit aktiver Wirksamkeit in der Pfarrei, vornehmlich Predigt und volksmissionarischer Tätigkeit, verbinden wollten (Theatiner, Barnabiten u.a.). Da das monastisch geprägte Leben dazu verhelfen sollte, vorbildliche Priesterpersönlichkeiten für die Kirche bereitzustellen, haben diejenigen Zusammenschlüsse die größte Wirkung weit über Italien hinaus und auf lange Zeit gehabt, deren Gründer außerordentliche Persönlichkeiten mit großer Wirkung über Zeit und Raum hinweg waren (vgl. Filippo ->Neri, —>Oratorianer). In weit höherem Sinne noch kann man die Prägung der -»Jesuiten durch ihren Gründer -»•Ignatius von Loyola ansprechen. In unserem Zusammenhang ist zu unterstreichen, daß hier von den Charakteristika des alten Mönchtums fast nichts mehr übrig blieb: der Orden hatte eine ganz neue innere, stark hierarchische Struktur. Es gab außerdem kein Ordenskleid, keine Fasten- und Bußordnung, kein verbindliches Chorgebet. Dies alles im Interesse größtmöglicher Disponibilität und daher Mobilität für die Sache der Kirche, d.h. des Papstes, und der Effektivität, die durch konsequenten Zentralismus und die strikt monarchische Befehlsstruktur mit entsprechend strikter Gehorsamsforderung (diese begründet im bedingungslosen Gehorsam Christi gegenüber dem Vater) erreicht wird. Die „Gesellschaft J e s u " will zudem ganz bewußt eine Elite-Vereinigung sein. Studium des ganzen Spektrums der Wissenschaften (und zwar schon in einem von der Renaissance abgewandelten Verständnis) ist daher gefordert, Wirken an eigenen Hochschulen und Universitäten ist besonders wichtig, daneben aber Volks- und äußere Mission.
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Auch in den älteren Orden regten sich die schon früher aufgetretenen Reformbestrebungen mit verstärkter Kraft. So kehrte eine Gruppe des Franziskanerordens zu den wahren Quellen ihres Ordens zurück: zum Testament des Franciskus mit seinem radikalen Armutsideal. Es entstand der Orden der -»Kapuziner. Er wurde zu einem ausgesprochen populären, seelsorgerlich ausgerichteten Orden. Die Reform der —•Karmeliter ging von einer Frau aus: -»Teresa von Avila. Auch hier trifft die Beobachtung von J.-Cl. Guy (s.o. 1.) zu: Sie und ihr jüngerer Mitstreiter —» Johannes vom Kreuz kehrten ebenfalls zu den Quellen des Ordens, der eremitischen Bewegung des 12. - 1 3 . Jh., zurück. 4.2.3. Der Aufbruch der Frauen. Die monastisch gesonnenen Frauen hatten das ganze Mittelalter hindurch eine bedeutende Rolle gespielt. Doch wie K.S. Frank (Geschichte 174 ff) unterstreicht, waren sie im wesentlichen den spirituellen Strömungen im männlichen Mönchtum gefolgt, hatten in gewisser Weise die männlichen Orden weiblich doubliert. (Eine einzige Ausnahme war der relativ kleine Orden der -»Birgitta von Schweden gewesen.) Jetzt treten einige große Frauenpersönlichkeiten auf, die dem weiblichen M. neue Wege weisen. Allerdings verlaufen die Impulse durchaus parallel zu den männlichen Neuentwicklungen (s.o. 4.2.2.). Als erste ist Angela Merici (1474-1540) zu nennen, die im Namen der altkirchlichen Märtyrerin Ursula eine Gemeinschaft von Jungfrauen gründet, die zwar bestimmte monastische Lebensformen übernahmen, wie Stundengebet, gemeinsamen Gottesdienst, einheitliche Kleidung und eine gemeinsame Lebensordnung, die aber zu Hause wohnen blieben und die vor allem — wichtigstes Zeichen der neuen Zeit! - sich einer gemeinsamen, der Gesamtkirche dienenden Aufgabe widmeten, zunächst karitativer Tätigkeit, dann aber vor allem erzieherischen Aufgaben. Es ist eine Geschichte voll Dramatik, wie diese Gemeinschaft der Ursulinen in das Prokrustesbett des Ordensrechts, zu abgeschlossenem Leben in eigenem Konvent und zur Einhaltung strenger Klausur gezwungen wird. Noch schlechter erging es der hundert Jahre später in —»Belgien lebenden Engländerin Maria Ward, deren Gründung von Anfang an der Erziehung guter Katholikinnen gelten sollte, um im Untergrund an der Rekatholisierung —»Englands zu arbeiten. Die Mobilität und Disponibilität der -»Jesuiten war ihr dabei durchaus Vorbild, sowie deren eifriges volksmissionarisches Wirken im Dienste der Gegenreformation. So sollten ihre Frauen auch wie die Jesuiten kein Ordenskleid tragen, nicht an die Klausur gebunden sein. Damit aber geriet Maria Ward in ernsthaften Konflikt mit der Kurie und den Klausurbestimmungen des Tridentinums, was schließlich zu ihrer Verurteilung und dem Verbot ihrer Gründung führte. Allerdings kam die Hoheit der deutschen Landesherren in religiösen Dingen dem neuen Institut zugute. Der Kurfürst Maximilian I. von Bayern lud die Englischen Fräulein 1627 zur Gründung einer Schule in München ein; andere katholische Fürsten folgten. Allerdings mußten sich die Schwestern schließlich doch der tridentinischen Ordensgesetzgebung beugen und sich ebenfalls bereitfinden, in den klassischen Formen der weiblichen Klausur zu leben. Für den karitativen Impuls zum Finden einer neuen Lebensform seien noch die Vinzentinerinnen genannt, die von -»Vinzenz von Paul und Luise de Marillac (gest. 1660) als Verband örtlicher frommer Frauenvereine, die sich der Armen- und Krankenpflege widmeten, gegründet worden waren, aber auch die Tradition des klausurierten Ordenslebens übernehmen mußten. Doch sie konnten das Kloster für ihre karitative Tätigkeit tagsüber verlassen. Eine neue, sozial aktive monastische Lebensform war entwickelt worden. Sie sollte eine große Zukunft in der Neuzeit haben (-»Orden). 4.2.4. Eremus und Eremiten. Trotz der starken Ausrichtung des sich nun konfessionell katholisch verstehenden Mönchtums auf aktive Wirksamkeit in Kirche und Gesellschaft hinein geht das Ideal des Abstandnehmens in die Einsamkeit nie verloren, wie auch ein Eremitenleben trotz aller eifrigen koinobitischen oder zumindest kommunitären Ordensund Bruderschafts-/Schwesternschaftsgründungen in Spätmittelalter und Renaissance nie ganz aufgehört hatte. Auch im 17. Jh. gibt es sie, im ganzen recht ungern gesehen von der bischöflichen und noch mehr der päpstlichen Obrigkeit, da die offizielle Option
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ganz zugunsten der coenobitischen Orden gefallen ist, die in weit höherem Maße der Kontrolle unterliegen. Man schaue nur nach der oft sehr ironisch abgehandelten Gestalt des Einsiedlers, des „Klausners", in der europäischen Romanliteratur der Zeit, um das Mißtrauen der Hierarchie zu verstehen. So versucht man sie wenigstens auch auf Gehorsam zu einem Oberen und auf eine „Eremitenregel" zu verpflichten, von denen verschiedene in barocken Drucken besonders in Frankreich und Süddeutschland auftauchen. In Frankreich gibt es zu jener Zeit auch wieder Eremitensiedlungen, die aber ebenfalls von der Diözese reguliert werden und sich innerhalb von ein bis zwei Generationen praktisch in Coenobien verwandeln. In Bayern finden wir noch im 18. Jh. eine ganze Reihe von Eremiten, die in ländlich abgeschiedenen Gegenden ihr Leben damit fristen, daß sie Schule für die Dorfjugend halten. Auch die M ö n c h s o r d e n im eigentlichen Sinne gedenken neu der W ü s t e als des Ursprungs echten M ö n c h t u m s , besonders Karmeliten und Franziskaner in Italien, Spanien (inklusive Amerika) und Frankreich; sie schaffen „ E r e m i t a g e n " , „ S o l i t u d e n " , „ D e s e r t s " (franz.), die im Sinne der alten Eremitenkolonie der B u ß e , dem G e b e t und der Betrachtung leben sollen, wenn sie auch durchaus coenobitisch reguliert sind. M ö n c h e bzw. N o n n e n aus anderen Klöstern können und sollen sich dorthin zeitweise zurückziehen. Der Begriff der Retraite (ital. retiro; deutsch „ R e z e ß " ) wird geboren als Gegengewicht gegen alle eifrige „ a p o s t o l i s c h e " Aktivität. Auch Klöster anderer O r d e n bauen sich in oder bei ihrem Klosterbezirk eine b a r o c k e „ E r e m i t a g e " für den R ü c k z u g in stilles Gebet. Auch das Institut der Reklusen (s.o. 2 . 1 . 6 . ; 3.3.2.3.) finden wir hier und da bezeugt, besonders für Frauen. Für die Betrachtungen in der Einsamkeit entstand eine - » E r b a u u n g s l i t e r a t u r .
4.3. Der protestantische
—»Pietismus
Auch die evangelische Welt blieb nicht unbeeindruckt von dieser Wiederentdeckung der allein Gott zugewandten Einsamkeit der Wüste. E. Benz hat gezeigt, wie auch protestantische Eremitagen im 1 7 . - 1 8 . Jh. entstanden. Mönchtum als solches war nach den reformatorischen -»Bekenntnisschriften obsolet. Aber die Züge einer geordneten vita communis, gerade auch unter dem Einfluß des schon für Pachomius (s.o. 2.3.) so wichtigen Texts Act 4,32 ff, waren in den pietistischen ecclesiolae in ecclesia doch recht ausgeprägt. Die Homilien eines der berühmtesten Väter der Wüste, -»Makarius des Ägypters, dienten dabei als Wegweisung; sie erlebten damals Neuausgaben und Übersetzungen in mehrere europäische Sprachen. 4.4. Port Royal als
Beispiel
Besonders eindrucksvoll ist diese Renaissance des Geistes der ersten Anachoreten im Fall der „Einsiedler von Port Royal", die sich unter der geistlichen Leitung von Saint Cyran bei dem in eremitischem Sinne reformierten dortigen Zisterzienserinnenkloster sammelten. Wegen ihres strengen Augustinismus wurden sie von den Jesuiten als Häretiker bekämpft (—>Jansen/Jansenismus). Nicht nur wegen ihrer hervorragenden Mitglieder wie A. Arnauld, P. Nicole, J. Hamon u. a., vor allem wegen ihres berühmtesten, B. -»Pascal, sind sie erwähnenswert. Sie zeigen, daß die tiefsten neuen monastischen Impulse jener Zeit nicht strikt konfessionell einzuordnen, sondern übergreifend sind. Das gilt von so manch anderem frommen Kreis, von neuentstehenden Laiengemeinschaften, die weder in den nachtridentinischen katholischen Ordensbegriff paßten noch in die strikte Ablehnung des Mönchtums durch die reformatorische Orthodoxie jener Zeit, die aber ihre innersten Impulse für eine geistliche Lebensgestaltung aus dem frühen Mönchtum empfingen. 5.
Neuzeit
5.1. Aufklärung,
Absolutismus,
Revolution
Die Zeit der -»Aufklärung hat Wirkungen im Bereich des Verhältnisses von Staat und Kirche mit sich gebracht, die einschneidende Konsequenzen für das koinobitische Mönchtum, das sog.,Ordensleben', hatten, und zwar kommt es im Gefolge des Kampfes des „aufgeklärten" Absolutismus um das von den Fürsten angestrebte Staatskirchentum zur Bedrückung und Unterdrückung von erheblichen Teilen des Mönchtums nun auch
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im katholischen Europa, und dies weitgehend radikaler und brutaler, als die Klosterauflösungen durch protestantische Fürsten vor sich gegangen waren. Die ersten, die das zu spüren bekamen, waren die —» Jesuiten. Sie gerieten in Kollision mit den absolutistischen staatskirchlichen Auffassungen, gleicherweise aber wegen der, wie wir heute sagen würden, „Inkulturationsmethoden" bei ihrer besonders weitreichenden —»Mission (-•Lateinamerika, -»Indien, —»China) mit dem päpstlichen Stuhl. Zunächst verbot sie ein bourbonischer Staat nach dem anderen (-»Portugal 1759, -»Frankreich 1762/64, Spanien 1767, Neapel 1767, Parma 1768); das bedeutete immer Vertreibung (oft unter Mißhandlung) und Einzug ihrer Güter durch den Staat. 1773 wurde der Jesuitenorden durch Papst Clemens XIV. wegen seiner angeblich schädlichen, friedensfeindlichen Rolle in der Politik und des Säens von Zwietracht in der Kirche aufgehoben. Aber auch die anderen Orden und einzelnen Klöster standen als vermeintliche Bastionen des „Klerikalismus" im Zentrum der rationalistischen und gallikanisch-febronianistischen (-»Gallikanismus, —»Febronius/Febronianismus) Angriffe auf die Selbständigkeit der Kirche. Sorgfältig wird in den Staatskanzleien die —»Säkularisierung auch der Klöster vorbereitet. Kaiserin Maria Theresia (1740-1780) verbot die Gründung neuer Klöster, unterstellte ihren Besitz der staatlichen Finanzkontrolle und verbot, vor Erreichung des 24. Lebensjahres die Profeß abzulegen. Ihr Sohn Joseph II. (1780-1790) führte die Reform im Sinne des Staatskirchentums weiter und löste ein Drittel der vorhandenen Klöster auf, vor allem der kontemplativen Richtung und der Bettelorden (vgl. T R E 17,253 f). Existenzberechtigung hatten sie ebenso wie viele Dritt-Ordens-Bruder- und Schwesternschaften nur, wenn sie der Volksbildung und -erziehung, der Pfarrseelsorge und karitativen Zwecken dienten (-»Josephinismus). Josephs Bruder Leopold II. (Kaiser 1790—1792) hatte ähnliches als Großherzog von Parma durchzuführen versucht (Abschaffung aller Orden bis auf einen einzigen, der Port Royal ähnlich sein sollte). Die —»Französische Revolution verschärfte im Namen des betont deistischen und atheistischen Flügels der Aufklärung die Lage weiter. Am 13. Februar 1790 wurden von der Konstituierenden Versammlung alle Orden und Kongregationen außer denen, die der Erziehung oder der Krankenpflege dienten, aufgehoben, nachdem ihr Vermögen sowie alles Kirchengut schon ein Vierteljahr früher beschlagnahmt worden war. Im Laufe des jakobinischen Kampfes gegen die Kirche hatte die Mehrzahl der Ordensmänner und -frauen ebenso wie die meisten Priester Gefängnis, Deportation, ja Hinrichtung oder Ermordung zu erdulden. Schließlich wurde das Mönchtum ganz verboten, das Tragen des Ordenskleides untersagt. Viele Priester und Mönche fanden im übrigen Europa Zuflucht und Aufnahme, gerade auch in protestantischen Ländern und im orthodoxen -»Rußland. Ihre Zerstreuung diente da und dort als ein früher Same ökumenischen Empfindens und Strebens (-»Ökumene). Wo die Revolution bei ihren Kriegen hinkam, da suchte sie dieselben Verhältnisse einzuführen, wie sie in Frankreich herrschten. Nur wurden die schlimmsten Auswüchse der Kirchenverfolgung unter Napoleon abgeschafft, einige wenige karitative Orden wieder zugelassen. Doch nun kam es im Gefolge der Siege Napoleons über das Römische Reich Deutscher Nation, d. h. wesentlich über Österreich und Preußen, zum Reichsdeputationshauptschluß von 1803 und damit zur —»Säkularisation in Deutschland, die sich u.a. auch in der Schließung von Klöstern und der Konfiskation ihres Besitzes auswirkte (—»Napoleonische Epoche). Zwei Dinge sind hier noch hervorzuheben. Erstens: Der dem M ö n c h t u m feindliche Impuls eines bestimmten Stranges der Aufklärung hat wie die Aufklärung selbst die europäischen Gesellschaften nicht mehr verlassen und wirkt bis heute, wenn auch z. Z t . nicht mehr durch staatliche M a ß n a h m e n , so doch durch gesellschaftlichen Meinungsdruck. Seinen bisherigen Höhepunkt hat der staatliche Kampf gegen das M ö n c h t u m im N a m e n der marxistischen Variante atheistischer „ A u f k l ä r u n g " unter dem Bolschewismus in Rußland seit J a n u a r 1918 bis in die achziger Jahre hinein gefunden; die Länder des sog. „sozialistischen L a g e r s " - und - » C h i n a ! - folgten. Im Rußland der zwanziger-dreißiger J a h r e unseres Jh. haben viele M ö n c h e und Nonnen den Märtyrertod gefunden. Zweitens: Obgleich es in Rußland um das M ö n c h t u m der - » O r t h o d o x e n Kirche geht,
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gehört die Geschichte seines M ö n c h t u m s seit der Aufklärung in die gesamteuropäische Geschichte. Peter I. „der G r o ß e " w a r der erste der europäischen Herrscher, der aufklärerisches Staatskirchentum - dabei mit entscheidender Beschneidung des M ö n c h t u m s - verwirklichte (1721). Er wurde im Westen dafür unter Fürsten und Gebildeten sehr bewundert. Die kommunistische Herrschaft in Rußland fühlte sich in ihrer Einstellung zu Kirche und M ö n c h t u m ganz als konsequente Fortsetzerin des in der Französischen Revolution ihrer Ansicht nach unvollkommen Begonnenen ( - » R u ß l a n d ) . N o c h 1975 nannte der im Westen bekannt gewordene Geheimbericht des für Kirchenfragen zuständigen ZK-Mitglieds Furov das M ö n c h t u m als „gefährlichste" „die Religiosität" fördernde Institution der Kirche und schlug M a ß n a h m e n zu seiner intensiven Bekämpfung vor. Der Versuch Hitlers, den Einfluß des katholischen M ö n c h t u m s durch fingierte Unzuchts- und Korruptionsprozesse ( 1 9 3 6 - 1 9 3 8 ) zu begrenzen, gehört auch in den Umkreis der handfesten Folgen dieses zu einer „Pseudo-Aufklärung" verkommenen Ideenguts.
5.2. Restauration des Mönchtums und neue Entwicklungen
(19. und beginnendes 20. Jh.)
5.2.1. In der katholischen Kirche. Die französische Restauration ebenso wie die religiösen Ideen der Heiligen Allianz gegen Napoleon und die gesamteuropäische Strömung der -»Romantik brachten, schneller als von vielen Anhängern aufklärerischen, allein an der Volkserziehung interessierten Staatskirchentums geahnt, eine Wiederzulassung alter und neuer Orden und die Wiedereröffnung vieler (bei weitem nicht aller!) Klöster in Europa. Den Anfang machte die päpstliche Wiederherstellung des Jesuitenordens (1814). In diesem Jahrhundert griff auch das katholische Mönchtum in die - trotz Trennung von Kirche und Staat — vorwiegend protestantisch geprägten USA über, und es gab einen weitausgreifenden Ordensaufbruch auf die Missionsfelder. In diesem Zusammenhang entstehen auch neue Orden, z.B. Salesianer, Salvatorianer, Claretiner; besonders für die Mission: Väter vom Hl. Geist („Schwarze Väter"), Weiße Väter, die Gesellschaft des Göttlichen Worts u.v.a. Doch kommt im 19. und 20. Jh. vor allem jener Bereich der katholischen Kirche zum Tragen, der sich im Spätmittelalter als Dritte Orden (s.o. 3.3.3.4.) herausgebildet hatte und immer an den Rändern offengeblieben war zu Laienbruderschaften und -Schwesternschaften verschiedenster Zielsetzung hin. Es bilden sich viele neue Gemeinschaften, die durchaus Züge des coenobitischen Mönchtums tragen, aber wegen ihrer karitativen, erzieherischen oder missionarischen Zielsetzung nicht der römischen Ordensgesetzgebung entsprechen konnten. Das gilt besonders für neue Frauengemeinschaften, die sich, obgleich sie die Evangelischen Räte befolgten und ein gemeinsames Leben lebten, den scharfen Klausurbedingungen um ihrer Arbeit in Krankenhäusern, Schulen und Missionsstationen willen nicht unterwerfen konnten und wollten. Ihre Geschichte ist die eines zähen und beharrlichen Ringens um päpstliche Anerkennung, das ihrem Aufblühen und ihrer Vermehrung aber keinen Abbruch tut. Erst Pius XII. hat sie grundsätzlich als sogenannte „Säkular-Institute", auch oft als „vom apostolischen Leben" beschrieben, anerkannt. Besonders die weiblichen unter ihnen vermehren sich ständig (-»Orden). 5.2.2. In der protestantischen Welt. Auch im Protestantismus entstehen neue Kommunitäten, wenn auch zunächst angesichts der reformatorischen Aussagen zum Mönchtum von großem Mißtrauen, ja Widerstand von Landeskirchen und Theologen begleitet. Die Bestrebungen zum „Wiederaufleben"-lassen „der Diaconissinnen der altchristlichen Kirche" (F. Klönne 1820, verwirklicht von Th. -»Fliedner) als evangelische „Mutterhausdiakonie" (—»Diakonie 1.9.) tragen in den praktizierten Lebensformen einen Charakter, der den neueren katholischen karitativen Orden (z. B. Vinzentinerinnen, Borromäerinnen u.a.), die Anfang des 19.Jh. nach Deutschland kommen, und den neuen weiblichen Säkular-Instituten durchaus ähnelt. Für unseren Zusammenhang ist es wichtig, daß wir bei den Diakonissen wesentliche Merkmale coenobitischen Lebens finden: regelmäßiges gemeinsames Hören auf das Wort der Heiligen Schrift, persönliche Armut (das berühmte „Taschengeld" der Diakonisse), gemeinsame Arbeit, gemeinsames Dach und Mahlzeiten, geistliche Leitung der Schwestern, ganzheitliche Hingabe an Gott in dieser Lebensform. Zwar kann es nach reformatorischem Verständnis kein „ewiges Gelübde" geben; aber die Einsegnung setzte doch die Hingabe des ganzen zukünftigen
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Lebens voraus. Ausscheiden einer Diakonisse, meist wegen Heirat, wurde von der Gemeinschaft der Schwestern immer als etwas wie „Verrat" an der Lebensberufung erlebt und verurteilt; so auch noch im 20. Jh. Die -> Anglikanische Kirchengemeinschaft ist hier noch gesondert zu nennen, da in ihr im Zusammenhang mit dem —»Anglokatholizismus und dem Oxford Movement auch wieder Klöster im klassischen Sinn entstanden ( T R E 7, 205: 10 männliche und 50 weibliche anglikanische Orden). Eine besondere Rolle spielen bis heute die anglikanischen Benediktinerinnen beim Streben nach Rückkehr zu den Wurzeln des Mönchtums in der Alten Kirche. 5.2.3. Orthodoxie. Auch in den orthodoxen Kirchen gab es eine entsprechende, ebenfalls vorwiegend weibliche Bewegung. Für die Russische Orthodoxe Kirche gibt es erste amerikanische Untersuchungen, für die Serbische und Rumänische, wo die Lokalgeschichte vieler Frauenklöster auf ein paralleles Phänomen hinweist (z. B. Neugründungen, Verwandlungen von Männerklöstern, die wegen Nachwuchsmangel eingehen, in blühende Frauenklöster), fehlen m.W. noch Untersuchungen. Eine konfessionsübergreifende Geschichte der monastischen und, wenn man so sagen darf, halbmonastischen Frauenbewegung im 19. Jh. ist ein dringendes Desiderat. 6. Das 20. Jh. bis zur
Gegenwart
Alle für das 19. Jh. beschriebenen Erscheinungen und Tendenzen halten auch im 20. Jh. bis zur Gegenwart an. Es finden aber auch ganz dramatische innere und äußere Veränderungen und Neuaufbrüche statt. 6.1. Orthodoxe bereich
und altorientalische
Kirchen.
Kirchen
im kommunistischen
Macht-
In den kommunistisch regierten Ländern ehemalige UdSSR, Rumänien und Bulgarien unterlag das Mönchtum beiderlei Geschlechts, sowohl das orthodoxe wie auch das katholische, schwerer Bedrückung, zeitweise regelrechter Verfolgung und Vernichtung. In der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien galt dasselbe in etwas geringerem Grade. An den Neuentwicklungen im Mönchtum, wie sie in der westlichen, sog. „ersten Welt" nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzten, konnten alle Kirchen dort keinen Anteil haben, da das kommunistische Regime gerade noch eine gewisse Erhaltung des Althergebrachten tolerierte, aber keine Neugründungen, keine innere Erneuerung. Dennoch gab es monastisches Leben an den wenigen tolerierten Klöstern vorbei (in Rußland z. B. waren es 1980 ihrer 19 anstelle von über 1000 im Jahre 1914) im Untergrund, entweder getarnt als zivile Wohnpartnerschaft von 3 - 5 Personen oder versteckt in den menschenleeren Gebieten vor allem Sibiriens und des Altai-Gebirges. Heute, nach der Befreiung der Kirche, die im Zuge der „Perestroijka" etwa seit 1987/88 vor sich ging, werden in der Russischen Orthodoxen Kirche in jeder Eparchie ( = Diözese) Männer- und Frauenklöster neueröffnet bzw. wieder aufgemacht. Alle diese Klöster haben keine Nachwuchssorgen. Was fehlt, sind erfahrene Brüder oder Schwestern, die die vielen Postulanten seelsorgerisch beraten und betreuen könnten. Aus den Kirchen auf dem Balkan ist ein entsprechendes Phänomen bisher nicht bekannt, trotz Kirchenbefreiung dort. —> Polen und die ehemalige D D R (1949—1990) (—»Deutschland) bildeten aus spezifischen historischen Gründen einen Sonderfall. Die Kirchenverfolgung nahm nicht solche Ausmaße an wie in den anderen Ostblockstaaten. Aber auch hier versuchte man, die Klöster und Gemeinschaften aus Erziehung und Krankenpflege allmählich zu verdrängen. Es gibt noch einen ausgesprochen monastischen Neuaufbruch in der herkömmlich vom orthodoxen Christentum (-»Orthodoxe Kirchen) geprägten Welt: nämlich in -»Ägypten. In der Koptischen Kirche ist seit den Jahren des Nasser-Regimes und besonders nach dem verlorenen Wüstenkrieg gegen Israel (1973) eine geistige und geistliche Elite in die klassischen Wüstenklöster gegangen und hat sie erneuert. Der heutige Patriarch, Papst Shenouda, kommt ebenso wie viele wichtige Bischöfe aus dieser mona-
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s t i s c h e n B e w e g u n g . W i c h t i g s t e r geistlicher S c h r i f t s t e l l e r ist der h e u t e meist als s t r e n g e r E r e m i t l e b e n d e V a t e r M a t t ä a l - M i s k i n ( = M a t t h ä u s der A r m e ) . Seine S c h r i f t e n , die d a s M ö n c h t u m als e r n s t h a f t e , für alle C h r i s t e n b e i s p i e l h a f t e N a c h f o l g e C h r i s t i d a r s t e l l e n , h a b e n a u c h im „ W e s t e n " E i n f l u ß g e w o n n e n . 6 . 2 . Das
Mönchtum
in der
„ersten"
und
„dritten"
Welt
W ä h r e n d d e s s e n ging im „ W e s t e n " u n d , a u s s t r a h l e n d , in der n i c h t - k o m m u n i s t i s c h e n „ d r i t t e n W e l t " eine a u s g e s p r o c h e n e m o n a s t i s c h e E r n e u e r u n g s b e w e g u n g vor sich. Sie w u r d e wie so viele a n d e r e k i r c h l i c h e E r s c h e i n u n g e n a u s g e l ö s t v o n den k o n f e s s i o n s ü b e r g r e i f e n d e n g r o ß e n c h r i s t l i c h e n B e w e g u n g e n des 2 0 . J h . , vor allem der B i b e l b e w e g u n g , d e r R ü c k k e h r zu den p a t r i s t i s c h e n Q u e l l e n und der liturgischen E r n e u e r u n g s b e wegung. 6.2.1. Katholisches Mönchtum heute. In der katholischen Kirche b e s a n n m a n sich in den b e s t e h e n d e n O r d e n wieder a u f den U r s p r u n g des M ö n c h t u m s in der W ü s t e und v e r s u c h t e v o n d a h e r das O r d e n s l e b e n zu g e s t a l t e n . I m —>Vatikanum II h a b e n diese B e s t r e b u n g e n in den d a s M ö n c h t u m betreffenden A b s c h n i t t e n der K o n s t i t u t i o n Lumen gentium und im D e k r e t Perfectae caritatis ihren N i e d e r s c h l a g g e f u n d e n . Sie sind g e p r ä g t einerseits von der R ü c k k e h r zum A n f a n g , a n d e r e r s e i t s v o m „ a g g i o r n a m e n t o " an die L e b e n s b e d i n g u n g e n der W e l t des 2 0 . J h . D a s E r g e b n i s w i r d m a n zwiespältig b e w e r t e n m ü s s e n : Es wird d u r c h a u s v e r s u c h t , den E r n e u e r u n g s b e s t r e b u n g e n R e c h n u n g zu t r a g e n ; a b e r die seit d e m M i t t e l a l t e r und d e m T r i d e n t i n u m g e p r ä g t e k i r c h e n r e c h t l i c h e D i k t i o n schlägt a l l e n t h a l b e n d u r c h , läßt die T e x t e als m ü h s e l i g e n K o m p r o m i ß erscheinen und r a u b t ihnen U n m i t t e l b a r k e i t und F r i s c h e . Das katholische Mönchtum zeigt heute zwei ganz widersprüchliche Tendenzen: Einerseits stehen wir - etwa seit den sechziger Jahren - vor einer Austrittsbewegung aus den Klöstern von auffallendem Ausmaß, die zu analysieren hier nicht Raum ist, aber mit dem Fortwirken von Kerngedanken der Aufklärung und deren Behauptung von der Sinnlosigkeit des Mönchtums zu tun hat. Andererseits spielen gerade die „traditionellen" Klöster der alten monastischen Ordensfamilien vielfach eine neue Rolle für die Laien: Sie bieten „Einkehr", „Retraite", „Kloster auf Zeit" an, und es scheint der ungeheuren Anstrengung des Wirtschafts- und Arbeitslebens der heutigen „ersten Welt" zu entsprechen, daß die Klöster zu solchen Orten der Besinnung, des Zu-Gott- und Zu-sich-selbstKommens für „Menschen aus der Welt" geworden sind. Bei solchen gibt es die Einsicht, daß, damit Menschen solche zeitweilige Zuflucht in - auf Tage oder Wochen gelebte - monastische „Monotropie" (s.o. 2.1.1.) haben können, Gemeinschaften existieren müssen, die diese stellvertretend ständig üben (—»Askese), da sonst der zeitweilige Gast kein „Milieu", keine „Atmosphäre" fände, von der er sich dankbar tragen lassen kann. Die Kurse, die zur Einführung in die -»Meditation gegeben werden, erfreuen sich ständigen Zuspruchs und scheinen eine in der „ersten Welt" besonders wirkungsvolle Weise monastischen missionarischen Wirkens zu sein. Daneben ist die Gründung neuer „ O r d e n " und Gemeinschaften (Säkular-Institute) ständig weiter gegangen. Man kann sagen, daß der Zug zur „apostolischen" Aktivität dabei nicht mehr so ausschließlich vorherrscht wie im vergangenen Jh. Als charakteristisch hierfür mögen die sich ganz als aktive „Sendboten" verstehenden „Missionarinnen der Nächstenliebe" (Missionaries of Charity) der Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa (Agnes Gonxha Bejaxhiu, albanischer Nationalität, geb. 2 7 . 8 . 1 9 1 0 in Skopje, heute: Mazedonien) von Kalkutta sein, gegr. 1949 nach -»Indiens Gewinnung der Unabhängigkeit. Mutter Teresas Schwestern zeichnen sich aus durch eine rigorose, altmönchische Armut, die sie mit den Ärmsten auf eine Stufe stellt (jede Schwester besitzt zwei Saris, einen Wassereimer, ein Stück Seife und eine Strohmatte), aber auch durch ein regelmäßiges Leben in gemeinsamem Gottesdienst, Gebet und Meditation, neben dem unermüdlichen Dienst an den Armen und Sterbenden. 1963 gründete Mutter Teresa eine entsprechende Männergemeinschaft, die „Missionarischen Brüder der Nächstenliebe". 1976 kam sie zu der Einsicht, daß es gut wäre, wenn eine Kommunität, die sich vorwiegend der Anbetung und Fürbitte befleißigte, hinter den „Sendboten der Liebe" und ihrem Dienst unterstützend stünde; es entstanden die New Yorker „Schwestern des Wortes" als kontemplativer Zweig der Gemeinschaft, etwas später folgte in Rom eine entsprechende männliche Gruppe. Auch so etwas wie einen Dritt-Orden hat Mutter Teresa (Association of Co-Workers). In ihrem Werk wird das Fortdauern katholischer Traditionen, Rückkehr zu den Ursprüngen und Offenheit für die ganz und gar neuzeitlichen Probleme der „dritten Welt" besonders deutlich. Die Schwestern- und Bruderschaften Mutter Teresas sind heute über die ganze Welt verstreut.
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Andere äußerst wirksam gewordene neue Gemeinschaften (kirchenrechtlich sind sie alle bischöfliche oder päpstliche Säkular-Institute) haben die „Wüste" wieder entdeckt als Hilfe zum Abstandnehmen von der Welt. So z.B. die „Kleinen Schwestern von Bethlehem und der Aufnahme Marias in den Himmel" (gegr. 1951 in Chamvres/Frankreich, seit 1973 in Curriere-en-Chartreuse), die heute auch in Österreich, Belgien, Israel, Italien, Spanien und den USA Klöster haben. Sie verwirklichen in stark von St. Bruno und kartäusischer Tradition (—»Kartäuser) geprägter eremitischer Lebensform das altmönchische Ideal der zeichenhaften Vorwegnahme des eschatologischen „engelgleichen Lebens" in der anbetenden Betrachtung der Gegenwart des Dreieinigen Gottes in Schriftlesung und spirituell-theologischem Studium in Gebet und Schweigen. Sie verstehen sich gleichzeitig als dem Weg der —»Maria Folgende: Maria sei durch ihre Aufnahme in den Himmel zur Anschauung der Trinität gekommen, worauf auch sie sich in Hoffnung vorbereiten. Seit 1976 gibt es entsprechend „Kleine Brüder von Bethlehem" in Currieres-en-Chartreuse (Doppelkloster!) und Italien. Dieser „Anachorese" aus der heutigen „Welt" entspricht ein neues Aufkommen des Einsiedlertums, besondern in Amerika und Europa. Zur Anachorese gehört vor allem Absage an alle moderne Deklarativität, an alle „Publicity". Man zieht in Einsamkeit und Schweigen. Wieder andere Neugründungen erkennen die „Wüste" des 20. Jh. in der modernen Arbeitswelt und deren Extremsituationen und leben in kleinen Gemeinschaften solidarisch mit ihr und in ihr, ihren monastischen Gebets- und Gottesdienstpflichten in der knappen Freizeit hingegeben. Gleichzeitig verstehen sie ihr Mönchtum als einen -»Apostolat, der mehr durch liebende Identifikation mit den Leidenden und Benachteiligten als durch Belehrungen wirkt. So z.B. Die „Kleinen Brüder" und „Kleinen Schwestern Jesu", die sich von Gedanken des Tuareg-Missionars Charles de Foucauld postum inspirieren ließen. (Eine Gruppe der „Kleinen Schwestern Jesu" teilt so z.B. seit Jahren das Leben eines Circus und zieht mit ihm durch ganz West- und Mitteleuropa.) Schließlich sei noch erwähnt, daß das katholische Mönchtum von heute gerade da, wo es sich erneuern will, sich für das Mönchtum als religionsgeschichtliches, nicht nur christliches Phänomen interessiert und insbesondere Begegnung mit dem buddhistischen Mönchtum tibetisch-nordindischer und japanischer Prägung, aber auch mit den Hindu-Eremiten und Wandermönchen des indischen Subkontinents sucht. Führende Gestalten sind: der französische Benediktiner Dom Henri LeSaux ( = Swami Abhishiktananda), der indisch-spanische Professor in Varanasi (Benares), Rom und Harvard, Raimondo Panikkar, der anglikanische Priester Murray Rogers, der katholische Priester Shigeto Oshida aus Japan, der amerikanische Trappist Thomas Merton, der deutsche Jesuit Enomiya-Lasalle, - um nur die „Vätergeneration" zu nennen. Ausgehend von spirituellen Erfahrungen und Begegnungen in der Lebenswelt des asiatischen Mönchtums, das, rein phänomenologisch betrachtet, dem Mönchtum der Alten Kirche näher zu stehen scheint als das heutige abendländische Mönchtum, haben solche „Wanderer zwischen zwei Welten", oft unter Einsatz ihrer ganzen Existenz, nach der möglichen inneren Verwandtschaft allen Mönchtums dieser Erde und nach dessen Funktion und Identität in einer entstehenden Weltgesellschaft geforscht. Europäische und amerikanische Mönche machten kürzere oder längere Besuche bei buddhistischen Meditationsmeistern oder hinduistischen kontemplativen „Entsagern" und suchten zunächst für sich selbst und dann später auch für andere eine Zuordnung oder gegenseitige Ergänzung und Befruchtung, etwa zenbuddhistischer (-»Buddhismus) oder advaitischer (-»Hinduismus) Meditation und traditioneller christlicher monastisch-mystischer Kontemplation. 6 . 2 . 2 . Evangelisches Mönchtum heute. Wenngleich zumindest h a l b m o n a s t i s c h e Leb e n s f o r m e n der evangelischen Christenheit auch in den J a h r h u n d e r t e n nach der R e f o r m a t i o n nicht fremd w a r e n , so zeichnet sich das 20. J h . für sie dadurch aus, d a ß nun in ihr, und zwar vor allem in West- und M i t t e l e u r o p a , das M ö n c h t u m ganz explizit wiederersteht ( - » B r u d e r s c h a f t e n / S c h w e s t e r n s c h a f t e n / K o m m u n i t ä t e n ) . Hier m u ß n u r die eigentlich m o n a s t i s c h e Seite ihrer E x i s t e n z kurz e x e m p l a r i s c h beleuchtet werden. Die gegen das mittelalterliche M ö n c h t u m , seine G e l ü b d e und R e c h t s v e r f a s s u n g , gerichtete Entscheidung der R e f o r m a t o r e n und der r e f o r m a t o r i s c h e n —• Bekenntnisschriften h a b e n es diesen neuen m o n a s t i s c h e n G e m e i n s c h a f t e n nicht leicht g e m a c h t , von ihren Landeskirchen a n e r k a n n t zu werden. Die gesamtchristliche Besinnung auf den Ursprung des M ö n c h t u m s der Alten K i r c h e und dessen eigentlichen Sinn h a b e n es ihnen erleichtert, ihre Position als auch evangelisch-konfessionell vertretbar zu verteidigen. Z u d e m verd a n k e n einige der wichtigsten evangelischen m o n a s t i s c h e n K o m m u n i t ä t e n ihre Entstehung a u ß e r o r d e n t l i c h e n geistlichen Erlebnissen und Entscheidungen, denen letztlich schwer auf die D a u e r zu widersprechen w a r . So entstanden wichtige deutsche K o m -
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munitäten im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs, im Kontext des Leidens an der deutschen Schuld und des bekennenden kirchlichen Widerstandes gegen nationalsozialistische Gottes- und Menschenverachtung und deren Folgen in der Psyche vieler Zeitgenossen. „Anachorese" aus „dieser Welt" - um deutlich zu machen, was allein zu deren Rettung dienen kann - war wieder angesagt. Eine solche Entscheidung war nicht zuletzt durch die evangelische Jugendbewegung, der viele Kommunitätsgründer zunächst angehörten oder nahestanden, vorbereitet. Einige der bekanntesten deutschen evangelischen Kommunitäten (das Wort „Kloster" wird, offenbar aus einem Gefühl konfessioneller Identität, allgemein gemieden) wie die Kommunität Imbshausen, die Marienschwesternschaft in Darmstadt, die Kommunität Casteller Ring haben Entstehungsgeschichten solcher Art. Die berühmteste aller evangelischen Kommunitäten dieser neuen, betont monastischen Art ist die von -> Taizé. Sie hat in der evangelischen Kommunitätsbewegung und darüber hinaus im gesamten abendländischen Mönchtum von heute den Charakter eines Leitbildes in vielerlei Hinsicht gewonnen. Besonders muß hier das Leben in eschatologischer Dimension genannt werden. Die „disponibilité" für Gott ist ganz nach vorne gerichtet. Sie führt zum Dienst für die Leidenden und Minderbegünstigten in der Nähe (Flüchtlingskinder im Kriege, notleidende burgundische Bauern in den ersten Nachkriegsjahrzehnten) und in der Ferne (Außenstationen in der dritten Welt, um deren Leiden zeichenhaft zu teilen). Die eschatologische Ausrichtung ließ gerade diese Kommunität auch einen anderen Zug des ersten Mönchtums wiederentdecken: Wie damals in den monastischen Wüstensiedlungen Mönche verschiedener Sprache und Kultur und auch oft verschiedener Liturgie (die ja auch „Bekenntnis" enthielt) miteinander und nahe beieinander wohnten, so sollte es auch in Taizé sein. Gerade in solchem Geiste hat es seinen Dienst an der kirchenfremden, aber sinnsuchenden europäischen Jugend unternommen (Jugend-,,Konzile", d.h. Kontinente, Nationen, Konfessionen und prägende weltanschauliche Erziehung übergreifende Versammlungen; seit Jahren ein „Pilgerweg des Friedens" durch Europa, mit großen gottesdienstlich geprägten Jugendtreffen in den Hauptstädten Europas). Taizé selbst ist ein Ort geistlicher „ R e t r a i t e " , Zuflucht und Hilfe für Menschen verschiedensten Alters und Herkommens geworden. Auch die anderen neuen evangelischen Kommunitäten versuchen monastische Alleinzuwendung zu Gott mit neuen Wegen gelebter Nächstenliebe zu verbinden: monastisches Leben als Sich-Offenhalten für das Wirken des Heiligen Geistes, wie einst so jetzt. Insofern wird dann aber außer dem ersten Mönchtum der Wüste manche Erfahrung der Mönchtumsgeschichte und insbesondere der abendländischen Orden im Positiven wie Negativen für sie wichtig.
Literatur Die Literatur zur Entstehung und Geschichte des M ö n c h t u m s kann unmöglich vollständig aufgeführt werden, sie ist zu zahlreich. Z u d e m haben die bedeutendsten unter den großen charismatischen Gestalten, die das M ö n c h t u m in den verschiedenen Phasen seiner Geschichte geprägt haben, ebenso wie die wichtigen Orden und Gemeinschaften ihren eigenen Artikel in der T R E , w o man weitere Literatur findet. Z u den einzelnen Perioden und Phänomenen, die keinen eigenen Artikel bekamen, nennen wir Spezialbibliographien, anerkannte Standardwerke sowie jeweils die neueste Literatur, soweit sie neue Einsichten bringt. Der Zusatz (Lit.) m a c h t auf reichlich angeführte weitere Literatur aufmerksam. W i r ordnen unsere Angaben nach „Allgemeine L i t e r a t u r " und den von uns unterschiedenen Perioden 1 (Alte Kirche) - 5 (20. J h . ) . Es ist unmöglich, die Vielzahl der Quellen zur Geschichte des Mönchtums anzuführen. Sie sind aus der Sekundärliteratur leicht zu erschließen. Eine Ausnahme machen wir bei den Apophthegmata Patrum. Sie erhalten einen eigenen Unterabschnitt in B l , da sie in der Mönchtumsforschung, aber auch bei den Erneuerungsbestrebungen im M ö n c h t u m der Gegenwart eine hervorragende Rolle spielen. W i r führen hier die besten Quellenausgaben an, dazu wichtige kommentierte Übersetzungen. Einen weiteren Unterabschnitt widmen wir den Ausgaben der ältesten Mönchsregeln.
Mönchtum II A. Allgemeine
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Fairy v. Lilienfeld Mörlin, Joachim
(1514-1571)
1. Leben 2. M ö r l i n s Rechtfertigungslehre b e s c h r e i b u n g e n / L i t e r a t u r S.196)
3. Bedeutung
(Quellen S. 195; Ältere Lebens-
1. Leben Joachim Mörlin wurde 1514 in Wittenberg geboren, wo sein Vater als Magister und Professor der Metaphysik tätig war, es aber niemals zu Wohlstand brachte. Aufgrund der Armut des Vaters lernte Mörlin zunächst das Töpferhandwerk in Konstanz, um darauf die Schule in Coburg und später die Wittenberger Universität (->Wittenberg) zu besuchen. Nach seiner Promotion zum Magister der Theologie wurde er Luthers Kaplan. Er trat auch in näheren Kontakt zu ->Melanchthon. Luther setzte große Hoffnungen auf Mörlin. Es wird überliefert, er habe ihn seiner Standhaftigkeit in Glaubensfragen wegen besonders geschätzt. Nach seiner Doktorpromotion 1540 verließ Mörlin Wittenberg und ging als Superintendent nach Arnstadt. Seine Tätigkeit hier währte jedoch nicht lange, denn er verstand sein geistliches Amt auch als Strafamt, so daß er dem Grafen, dem Stadtrat und dem einzelnen, wenn immer es notwendig war, öffentlich ins Gewissen redete. Wegen seiner Unbequemlichkeit vom Grafen abgesetzt, folgte Mörlin 1544 einem Ruf nach Göttingen als Superintendent und Prediger an St. Johannis. Sein öffentliches Zuchtamt nahm er auch hier ohne Einschränkung wahr, denn der Glaube hatte für ihn mit Notwendigkeit Konsequenzen für die Lebensführung. Dennoch hatte er in Göttingen eine große Anhängerschaft. Das Interim 1548 zwang ihn schließlich, auch aus Göttingen zu weichen. Er fand Aufnahme bei Herzog Albrecht in Preußen. 1550 traf er mit seiner Familie in Königsberg ein, wo er die Predigerstelle am Dom erhielt. Damit beginnt die wichtigste Phase in seinem Leben: die Zeit der Auseinandersetzung mit Andreas ->Osiander und seiner Rechtfertigungslehre. Anfänglich war das
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Mörlin
Verhältnis zwischen den beiden T h e o l o g e n ungetrübt. M ö r l i n ging deshalb zunächst davon aus, d a ß es sich im bereits schwelenden Streit um die Lehre Osianders um ein auf Mißverständnis beruhendes reines Wortgefecht handele. Er galt bei den Osiandergegnern als Parteigänger Osianders. Sein Ziel w a r es, den Streit beizulegen. Der H e r z o g setzte Mörlin daher als Vermittler zwischen den Parteien ein. Erst seit dem F r ü h j a h r 1551 w u r d e n M ö r l i n die L e h r a b w e i c h u n g Osianders und deren G r ü n d e allmählich klar. Einem Briefwechsel zwischen ihm und Osiander über die Rechtfertigungslehre folgte der Bruch zwischen beiden Theologen. M ö r l i n trat n u n m e h r auf die Seite der Osiandergegner über, deren H a u p t er nach kurzer Zeit w u r d e . Er m a c h t e die Kanzel des Königsberger D o m s zum O r t heftiger Ausfälle gegen O s i a n d e r und seine Anhängerschaft. Auch der Herzog w u r d e von M ö r l i n nicht geschont. M ö r l i n warf ihm Amtspflichtverletzung vor, denn er schütze die preußische Kirche nicht vor dem Treiben des Satans und Antichristen in Gestalt Osianders, den er auch mit Hinweis auf seine H a a r f a r b e den schwarzen Teufel n a n n t e . Der Herzog suchte die Entscheidung durch die reformatorischen Kirchen des Reichs herbeizuführen, indem er das schriftliche Bekenntnis Osianders („Vom einigen M i t l e r " , 1551) allen evangelischen Landesherren und deren T h e o l o g e n vorlegte. O b w o h l n u n sämtliche G u t a c h t e n aus dem Reich bis auf das des J o h a n n n e s Brenz und der W ü r t temberger negativ ausfielen, entschied der H e r z o g zugunsten Osianders. M ö r l i n , der selbst die Widerlegungsschrift der Königsberger T h e o l o g e n gegen Osianders Bekenntnis verfaßt hatte („Von der Rechtfertigung des G l a u b e n s " , etc., 1552) lehnte das M a n d a t H e r z o g Albrechts zum einen grundsätzlich ab, weil er es für ein Übergreifen der Obrigkeit auf das Gebiet der G l a u b e n s f r a g e n hielt, zum anderen weil er e r k a n n t hatte, d a ß die W ü r t t e m b e r g e r den Osiandergegnern im G r u n d e mehr Recht gegeben hatten als O s i a n der selbst. Als M ö r l i n , trotz des herzoglichen M a n d a t s , das den Streit für entschieden erklärt und jegliche weitere Kanzelpolemik verboten hatte, die G e m e i n d e im D o m offen zum Ungehorsam gegenüber dem H e r z o g in der osiandrischen Frage aufrief, w u r d e er am 14. Februar 1553 entlassen und aus Preußen v e r b a n n t . In Danzig erreichte M ö r l i n der Ruf nach Braunschweig. D o r t veröffentlichte er im folgenden J a h r eine Geschichte des Osiandrischen Streits. Als Superintendent Braunschweigs erreichte er in den n u n k o m m e n d e n zwölf J a h r e n gemeinsam mit M a r t i n —»Chemnitz die Konsolidierung des dortigen reformatorischen Kirchenwesens. Er regierte in der Braunschweiger Kirche, insbesondere seit dem —• Augsburger Religionsfrieden von 1555, ähnlich durchgreifend wie zuvor schon in A r n s t a d t , Göttingen und im Königsberger Kneiphof. Der Calvinismus w u r d e entschieden bek ä m p f t . Alle T h e o l o g e n hatten die von M ö r l i n verfaßte Bekenntnisschrift der niedersächsischen Theologen von 1561 zu unterschreiben, um Lehrstreitigkeiten den Boden zu entziehen. In den innerprotestantischen Streitigkeiten dieser Zeit ergriff Mörlin i m m e r wieder entweder persönlich oder durch Streitschriften Partei. Er versuchte aber a u c h , Frieden zu stiften, w o immer es möglich war. So vermittelte er 1557 zwischen M e l a n chthon und -»Flacius, w e n n auch o h n e Erfolg. Es zeigte sich hier, d a ß Mörlin kein reiner Parteigänger der —»Gnesiolutheraner w a r , sondern M e l a n c h t h o n ebenso schätzte wie Luther selbst. Z w a r vertrat er auf dem Wormser Kolloquium vom September 1557 noch deutlich die Seite der Flacianer und der Weimarer T h e o l o g e n (Gnesiolutheraner), aber in seinen Lüneburger Artikeln von 1561 berief er sich auf M e l a n c h t h o n . 1566/67 stellte er sich sogar gegen Flacius, der so viel Streit angerichtet habe. Kurz vor seinem Tod entschloß sich H e r z o g Albrecht, M ö r l i n nach Preußen zurückzurufen. N a c h anfänglichem Zögern folgte M ö r l i n dem Ruf und k a m in Begleitung von M a r t i n C h e m n i t z im April 1567 in Königsberg an. Sofort machten sich beide an die Arbeit und reichten dem Herzog schon einen M o n a t später eine Schrift ein, die zur lehrmäßigen Basis f ü r die N e u o r d n u n g der preußischen Kirche w u r d e . Seit dem H e r b s t 1567 w a r M ö r l i n Bischof von Samland. Für H e r z o g Albrecht, der sich mit ihm wieder vollkommen ausgesöhnt hatte, aber schon wenige M o n a t e später
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starb, hielt Mörlin die Leichenpredigt. Die letzten Jahre widmete er der Aufgabe, in Preußen über die Einhaltung der schwer errungenen Lehreinheit zu wachen. Er starb am 29. Mai 1571. 2. Mörlins
Rechtfertigungslehre
Mörlin blieb zeitlebens ein getreuer Schüler Luthers, verteidigte aber, wo immer es ihm möglich war, auch Melanchthon. —»Rechtfertigung und —»Heiligung wollte er nicht in zwei Akte auseinandergenommen sehen, sondern er betonte im Sinne von Luthers „fröhlichem Wechsel" die Einheit von Rechtfertigung und Heiligung, die sich in einem Zuge vollzögen: Er hob hervor, insbesondere in seiner Auseinandersetzung mit Osiander, daß der Glaube allein auf dem Blut Christi beruhe. Damit ergab sich für ihn der Schluß, daß die menschliche Natur Christi entgegen der Meinung Osianders ganz in den Rechtfertigungsvorgang einbezogen sein müsse. Die Rechtfertigung hat, wie Mörlin betont, zwei Seiten: Sündenvergebung und Wiedergeburt. Die Einwohnung Christi in den Gläubigen vollzieht sich nicht, wie Osiander lehrt, nach der göttlichen Natur allein, sondern nach beiden Naturen. Die Einwohnung der selbstwesenden Natur Gottes würde den Menschen vernichten, da sie wie brennendes Feuer sei. In der Vereinigung mit der menschlichen Natur im Sakrament werde die göttliche Natur zu einer heilschaffenden Macht. Es war Mörlin ein zentrales Anliegen, die Lehre von der communicatio idiomatum gegenüber Osiander ungeschmälert zu behaupten. Wenn es heiße, nicht Gott sei für uns gestorben, sondern allein der Mensch (so Osiander), so werde die untrennbare Einheit der Naturen in Christus aufgehoben. Dies gelte, auch wenn es dem menschlichen Geist unfaßbar sei. Der Gerechtfertigte ist nach Mörlin aus Gnaden gerechtgesprochen. Er ist nunmehr nicht sündlos, wie Osiander sagt, sondern bleibt in der Tat und der Wahrheit ein Sünder. Seine Sünde aber wird aus Gnaden nicht angerechnet. 3.
Bedeutung
Die Rechtfertigungslehre Mörlins spiegelt bis in die Einzelheiten hinein die von Melanchthon geprägte Wittenberger Theologie. Mörlin bekennt sich deutlich zum forensischen Begriff der Gerechterklärung des Sünders. Allerdings sieht er den Akt der Einwohnung anders als Melanchthon nicht als etwas Nachfolgendes, sondern als etwas unmittelbar mit der Gerechterklärung Einhergehendes. D. h. daß Mörlin in der Frage der Einwohnung Luther treuer bewahrt hat als Melanchthon. Daher erschloß sich ihm die Abweichung der Theologie Osianders von Luther zunächst nicht unmittelbar, denn er interpretierte die Begriffe Osianders lutherisch. Osianders Front gegen Wittenberg aber machte ihn hellhörig. Mörlin arbeitete im Zusammenwirken mit Melanchthon darauf hin, daß sich nicht nur in Preußen, sondern im ganzen Reich die Opposition gegen die spekulative Lehre Osianders formierte. Er kann deshalb nicht, wie es früher üblich war, als Streittheologe abqualifiziert werden. Häufig war er in Auseinandersetzungen, so auch anfänglich im Osiandrischen Streit, um Frieden bemüht. Sein Ziel war die Erhaltung der reinen Lehre, die es für die evangelische Christenheit zu sichern galt. Daher arbeitete er mit Martin Chemnitz u. a. an der Formulierung einer evangelischen Lehrnorm als M a ß s t a b der Rechtgläubigkeit. Die Dringlichkeit der Verkündigung und unverfälschten Erhaltung des reinen Evangeliums ergab sich wie bei Luther u. a. so auch bei Mörlin aus einem apokalyptischen Horizont, der sich in zahlreichen seiner Schriften spiegelt. Dieser Bezug machte die Lehraussage für Mörlin zu einer unmittelbaren Gewissensfrage, die ein Hineinregieren der Obrigkeit nicht zuließ. Mörlins Unbeugsamkeit vor Fürstenthronen zeigt, daß der Obrigkeitsgehorsam zu unrecht als notwendige Frucht des Luthertums bezeichnet wird. Quellen a. Handschriftliche Quellen: Briefe liegen in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur Cod-Guelf. 33.18 Aug. 2°, sowie im Herzoglichen Briefarchiv des ehem. Königsberger Staats-
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archivs, heute Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin. S. auch Stadtarchiv Braunschweig unter der Signatur B IV 11: 237 und B IV 15 b: 77. b. Gedruckte Quellen: Zahlreiche Quellenstücke, die den Wortlaut der handschriftlichen Orig. exakt wiedergeben, finden sich in: Joachim Mörlin, Historia, welcher gestalt sich die osiandrische schwermerey im lande zu Preußen erhaben . . . , Braunschweig 1554. Weitere Quellen in: Albrecht, Herzog von Preußen, Von Gottes Gnaden unser Albrechten des eitern Markgrafen zu Brandenburg . . . Ausschreiben . . . , Königsberg 1553. - Epistolae quaedam Joachimi Morlini Doctoris theologiae ad D. Andream Osiandrum et responsiones, o. O. 1551. — s. auch Erleutertes Preußen 3 (1726) 306ff. - M . Joh. Funcken Sendschreiben an D. Joach. Morlinum: Acta Borussica 3 (1732) 3 8 5 - 3 9 7 . - Johann Funck, Wahrhaftiger u. grundlicher bericht . . . Königsberg 1553.-Franz Koch, Briefwechsel Joachim Mörlins mit Herzog Albrecht (u. a.): AltprMschr NF 39 (1902) 5 1 7 - 5 9 6 . - Ders., Briefe der Herzogin Elisabeth v. Braunschweig-Lüneburg u. ihres Sohnes, des Herzogs Erich des Jüngeren, aus den Jahren 1545-1554: Z G N K G 10 (1905) 2 3 1 - 2 6 6 u. 11 (1906) 8 9 - 1 4 6 . - Ingeborg Mengel, Elisabeth v. Braunschweig-Lüneburg u. Albrecht v. Preußen, Göttingen 1954 (Göttinger Bausteine zur Gesch. Wissenschaft 13/14). - D. Joachimi Morlini disputatio . . . (um 1548): FS ATS 1732, S. 8 5 9 - 8 6 8 . - Paul Tschackert, Hsl. Briefe Joachim Mörlins vom Jahre 1543 bis 1550: Z G N K G 10 (1905) 1 2 4 - 1 4 3 . Ältere
Lebensbeschreibungen
Leben des Preußischen Bischoffs Joachimi Morlini ex Mscto.: Acta Borussica ecclesiastica civilia literaria, hg. v. Michael Lilienthal. 2 (1731) 4 7 7 - 5 0 0 . - Special-Nachricht von dem sei. D. Joach. Morlino, ex autographo eiusdem: FS ATS 1734, 3 7 1 - 3 7 5 . - Christian Krollmann, Art. Mörlin: Altpreußische Beiographie hg. v. Christian Krollmann, fortgesetzt v. Kurt Forstreuter u. Fritz Gause Bd. 2, Marburg/Lahn 1967, 443. - Wagenmann, Art. Mörlin: ADB 22 (1885) 3 2 2 - 3 2 4 . Literatur Johannes Beste, Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche, Wolfenbüttel 1889. - Otto Clemen, Joachim Mörlins Bannordnung von 1543: Z V T h G 43 (1941) 1 3 3 - 1 4 2 . - Jörg Fligge, Herzog Albrecht v. Preußen u. der Osiandrismus 1522-1568. Diss. Phil. Bonn 1972. - Carl Alfred Hase, Herzog Albrecht v. Preußen u. sein Hofprediger. Leipzig 1879. - Franz Koch, Joachim Mörlin als samländischer Bischof. Diss. Phil. Königsberg 1907 (mit einer Bibliogr. der Sehr. Mörlins/unvollständig). - Johannes Meyer: Mörlins Entlassung aus Göttingen 1550: Z G N K G 34/35 (1929/30) 3 7 - 6 5 . - Erich Roth, Ein Braunschweiger Theologe des 16. Jh. Mörlin u. seine Rechtfertigungslehre: J G N K G 50 (1952) 5 9 - 8 1 . - Martin Stupperich, Osiander in Preußen 1549-1552. 1973 (AKG 44). M a r t i n Stupperich Moffatt, James 1. Leben 1.
(1870-1944) 2. Werk
3. Nachwirkung
(Werke/Literatur S. 198)
Leben
J a m e s M o f f a t t , B . D . , D . , Lit., L l . D . , M . A. ( H o n . ) , D . D . , w a r der S o h n von G e o r g e M o f f a t t , einem W i r t s c h a f t s p r ü f e r in G l a s g o w . E r erhielt seine Ausbildung zunächst an der A k a d e m i e und der Universität in G l a s g o w , w o er sich g r o ß e A n e r k e n n u n g auf dem G e b i e t der Altertumswissenschaften e r w a r b und mit d e m J o h n - C l a r k - F o r s c h u n g s s t i p e n dium für Altertumswissenschaften ausgezeichnet wurde, und später a m Free C h u r c h College, w o er das Stevenson- und das F r e e l a n d - S t i p e n d i u m sowie das J o s h u a - P a t e r s o n Forschungsstipendium für H e b r ä i s c h erhielt. 1 8 9 6 heiratete er M a r y , T o c h t e r von D r . Archibald R e i t h aus Aberdeen; aus dieser E h e gingen zwei S ö h n e und eine T o c h t e r hervor. Im gleichen J a h r wurde er zum Pfarrer der alten Free C h u r c h - G e m e i n d e von D u n d o n a l d ordiniert, einem ruhigen D o r f auf dem L a n d e , gut dreißig K i l o m e t e r südlich von G l a s g o w . Von 1 9 0 7 bis 1911 w a r er Pfarrer der United Free C h u r c h in B r o u g h t y Ferry, G r a f s c h a f t Angus, in S c h o t t l a n d , w o er an seiner gelehrten Introduction to the Literature of the New Testament arbeitete. E r k o n n t e dort seine wissenschaftlichen Studien fortsetzen. N a c h d e m er der E i n l a d u n g , die J o w e t t - V o r l e s u n g e n in L o n d o n zu halten, n a c h g e k o m m e n w a r , wurde er H i b b e r t - D o z e n t und Y a t e s - P r o f e s s o r für neutestamentliches G r i e c h i s c h a m M a n s f i e l d College in O x f o r d . 1 9 1 5 k e h r t e er nach G l a s g o w
Moffatt
197
zurück, und zwar auf den Lehrstuhl für Kirchengeschichte am United Free Church College. Schließlich führte sein nunmehr gesicherter internationaler Ruf zu einer Einladung an das Union Theological Seminary in New York. Wie andere schottische Gelehrte oder Geistliche vor und nach ihm entschloß er sich, den Atlantik zu überqueren, obwohl er damals schon 57 Jahre alt war. Mit der Annahme der Washburn-Professur für Kirchengeschichte am Union Seminary, die er von 1927 bis 1939 innehatte, demonstrierte er den Grundsatz, daß neutestamentliche Forschung mit der Periode der später kanonisierten Schriften weder enden muß noch soll, sondern sich zumindest bis in die Kirchengeschichte der ersten vier oder fünf Jahrhunderte erstrecken sollte. In Amerika war er als Gastdozent sehr gefragt; er hielt die Fondren-Vorlesungen an der Southern Methodist University in Dallas, die Shaffer-Vorlesungen in Yale und die Richard-Vorlesungen an der University of Virginia. Nach seiner Emeritierung im Jahre 1939 behielt er seinen Wohnsitz in New York bei. Moffatt fühlte sich in der amerikanischen Kultur zu Hause und leistete seinen eigenen beachtlichen Beitrag für sie. Seine Krankheit, an der er von 1942 bis zu seinem Tode am 27. Juni 1944 litt, hielt ihn nicht davon ab, seine intensiven Studien fortzusetzen. Seine Frau, deren Gesundheit ebenfalls angegriffen war, überlebte ihn nur um zwei Jahre. 2. Werk Am besten in Erinnerung geblieben ist Moffatt wahrscheinlich als Übersetzer. Seine erste Arbeit auf diesem Gebiet war die Herausgabe und Übersetzung von Adolf v. Harnacks Ausbreitung des Christentums-, die zweite Auflage von 1908 trug den Titel The Mission and Expansion of Christianity in the First Three Centuries. Im Vorwort zur letzten Ausgabe seiner Bibelübersetzung (1935) schrieb Moffatt: „ E s ist große Literatur und große religiöse Literatur, diese S a m m l u n g alter Schriften, die wir die Bibel nennen, und jeder Übersetzer hat ein tiefes Verantwortungsbewußtsein bei dem Versuch, sie modernen Lesern zu vermitteln. Er wünscht, daß seine Übersetzung dem Sinn des Originals treu bleibt, so weit er diesen Sinn erfassen kann, und daß sie außerdem dessen literarischen Q u a litäten einige Gerechtigkeit widerfahren läßt. Aber er ist sich wohl bewußt, daß sein Ziel o f t seine M ö g l i c h k e i t e n übersteigt. Übersetzen mag eine faszinierende Aufgabe sein, jedoch führt keine andere Disziplin zu mehr B e s c h e i d e n h e i t . "
Seine eigene Übersetzung wurde in der gesamten englischsprachigen Welt gut aufgenommen; sie wurde die Grundlage für den Moffatt-New-Testament-Commentary ( M N T C ) , dessen Hauptherausgeber er selbst war und zu dem er die Bände über den I Kor und die Katholischen Briefe (Jak, I/II Petr und Jud) beisteuerte. Mit seinem Kommentar zum Hebr im International Critical Commentary (ICC) (1924, zuletzt nachgedruckt 1986) steht er in einer Reihe mit anderen herausragenden schottischen Auslegern dieses Briefes wie A.B. Bruce, A.B. Davidson und M. Dods. Moffatts Arbeit war für lange Zeit ein Standardwerk und ist bis heute eine wertvolle Informationsquelle. Seine Annahme, daß „die Situation, die dieses bemerkenswerte Stück ursprünglichen christlichen Denkens hervorrief, nichts mit irgendeiner Bewegung des zeitgenössischen Judentums zu tun hatte", muß allerdings angesichts unseres erheblich gewachsenen Wissens über die reiche Vielfalt des frühen Judentums ernsthaft in Frage gestellt werden. Heute haben wir zum Beispiel den möglichen Berührungen des Hebr mit -»Qumran und den ->Melchisedek-Spekulationen Rechnung zu tragen, die von l l Q M e l c h bis hebrHen reichen. Moffatts gründliche Fachgelehrsamkeit wurde in keiner Weise vermindert durch eine Reihe von Andachts- und Predigthilfen, die er für den Gebrauch des Gemeindepfarrers veröffentlichte. Als Beispiele seien genannt: The Expositor's Dictionary of Poetical Quofor tations (1913), The Expositor's Yearbook ( 1 9 2 5 - 2 7 ) , A Book of Biblical Devotions Ministers of the Scottish Church (o.J.), Daily Readings from the Moffatt Translation of the Bible for the Morning and Evening of Every Day in the Year (1944). Seine sachkundige Beschäftigung mit der allgemeinen Literaturwissenschaft spiegelt sich wider in
198
Moffatt
Werken wie The Bible in Scots Literature (1924), The Golden Book of John Owen (1904) und Primer to the Novels of George Meredith (1909). 1929 schrieb Moffatt sogar einen Kriminalroman: A Tangled Web. Im Gegensatz dazu gibt sein letztes veröffentlichtes Werk, The Thrill of Tradition (New York 1944), ein Beispiel seiner umfassenden Kenntnis der lateinischen und griechischen Klassiker, der frühen Kirchenväter, der Scholastiker und ebenso von moderner Prosa und Lyrik. 3.
Nachwirkung
Moffatts wissenschaftliche Arbeiten mit ihrer peinlich genauen Beachtung der Details der Texte, der Philologie und der Historie haben ihre Bewährungsprobe bestanden und werden immer noch weithin zu Rate gezogen. Seine Beschäftigung mit den praktischen Fragen des geistlichen Amtes, dem geistlichen Leben des Pfarrers und seiner Predigtaufgabe, verbunden mit seiner außergewöhnlichen Begabung für Kommunikation, ermöglichte es ihm darüberhinaus, ein großes allgemeines Publikum außerhalb der akademischen Kreise zu erreichen. Sein Einfluß war in Europa, England und Amerika zu spüren, in seiner Heimat Schottland jedoch besonders ausgeprägt, wo über mehrere Jahrzehnte Pfarrer in öffentlichen Gottesdiensten aus seiner Bibelübersetzung lasen und ihre Predigten oft auf Einsichten gründeten, die aus seinen vielen geglückten Übertragungen abgeleitet waren. Die unzweifelhafte Qualität von Moffatts Bibelübersetzung (ein großes Unternehmen für eine einzelne Person) hinsichtlich ihres literarischen Stils und der Treue zum Original läßt die Frage nach den jeweiligen Stärken und Schwächen einer Übersetzung durch eine Gruppe oder durch einen einzelnen aufkommen. Als Hauptherausgeber der MNTC-Reihe hatte Moffatt versichert, daß das wichtigste Ziel die Erhellung des geistlichen Gehalts jeder einzelnen neutestamentlichen Schrift sei, so daß die Leser in die Lage versetzt würden, den Standort der ersten Christen nachzuempfinden und sowohl die Stoßkraft ihres christlichen Glaubens als auch den bleibenden Gehalt der Botschaft zu spüren. Im großen und ganzen gelang es der Reihe, ihre geistliche Absicht zu erfüllen, ohne die Grundsätze solider Forschungsarbeit preiszugeben. Als Vorkämpfer des historisch-kritischen Zugangs zur Schrift hatte James Moffatt gleichzeitig großes Verständnis für die hohen Anforderungen an das geistliche Amt und die Ausbildung der Pfarrer. Er schrieb in einer Sprache, die auch einfache Menschen verstehen konnten. Sowohl als hervorragender Kirchenmann als auch als ein Mann höchster Gelehrsamkeit verkörperte Moffatt in der besten Weise das traditionelle schottische Ideal des gelehrten Pfarrers. Die Verleihung der Würden eines Magister Artium und eines Doktors der Theologie ehrenhalber durch die Universität Oxford sowie eines Doktors der Theologie ehrenhalber durch die Universität St. Andrews war eine angemessene Anerkennung der Bedeutung seines Lebenswerks. Werke Monographien und Kommentare (vgl. die bereits genannten Werke): Paul and Paulinism, London 1910. - Revelation of St. John, London 1903 2 1910 (The Expositor's Greek Testament). - Reasons and Reasons, London 1911. - The Second Things of Life, London o.J. - An Intr. to the Literature of the NT, Edinburgh 1911 H918 3 1927. - The Theology of the Gospels, London 1912 z 1919. - The Approach to the NT, London 1921. - Jesus on Love to God, Jesus on Love to Man, Philadelphia 1922. - Everyman's Life of Jesus. A Narrative in the Words of the Four Gospels (Hg.), London 1924. - The Expositor's Year Book, London 1926. - Ders./Frank F. Woods, The Epistle to the Romans, London 1927 (The Study Bible). - Handbook to the Church Hymnary (Hg.), London 1927. - The First Epistle of Paul to the Corinthians, London 1928 (MNTC). - The General Epistles. James, Peter and Jude, London 1928 (MNTC). — The Presbyterian Churches, London 1928 (The Faiths. Varieties of Christian Expression). - Love in the NT, London 1929. - The Day Before Yesterday (The Fondren Lectures for 1929 at Southern Methodist University, Dallas/Tex.), Nashville 1930. - Grace in the NT, London 1931. - Translation of the Bible, London 1935. - The First Five Centuries of the Church, 1938 (LTL). - Jesus Christ the Same, London 1942. Aufsätze in The Expositor, Ser VIII, London (Auswahl): Literary Illustrations of the Song of Solomon: 13 (1917) 3 9 1 - 4 0 0 . 4 6 1 - 4 7 2 . -Expository Notes Upon Colossians: 14 (1917) 1 2 8 - 1 4 4 . -
Molina/Molinismus
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Literary Illustrations of the Book of Revelation: ebd. 2 3 1 - 2 4 0 . - Dead Works: 15 (1918) 1 - 1 8 . - Three Notes on Ephesians: ebd. 3 0 6 - 3 1 7 . - Expository Notes on Acts: 17 (1919) 2 2 9 - 2 4 0 . 2 7 1 - 2 7 4 . - Tertullian on the Lord's Prayer: 18 (1919) 2 4 - 4 1 . - Cyprian on the Lord's Prayer: ebd. 1 7 6 - 1 8 9 . - Augustine on the Lord's Prayer: ebd. 2 5 9 - 2 7 2 . - Paul and His First Critics: 22 (1921) 6 9 - 8 0 . - What was the Joy of Jesus?: ebd. 1 1 1 - 1 2 0 . - T h e Festival of Christianity: ebd. 321 - 3 4 0 . - The Story of the Farmer and His Man: 23 (1922) 1 - 1 6 . - St. Luke and Literary Criticism: 24 (1922) 1 - 1 8 . Aufsätze in den Expository Times, Edinburgh (Auswahl): The Righteousness of the Scribes and Pharisees: 13 (1901/2) 201 - 2 0 6 . - Literary Illustrations of the Sermon on the Mount: 15 (1903/4) 3 5 3 - 3 5 6 . - Jesus as Prisoner: 28 (1916/17) 5 7 - 6 2 . - T h e Christology of the Epistle to the Hebrews: ebd. 5 0 5 - 5 0 8 . 5 6 3 - 5 6 6 ; 29 (1917/18) 2 6 - 3 0 . - Thirty Years of N T Criticism: 31 (1919/20) 1 3 2 - 1 3 7 . - Jesus and the Four Men: 32 (1920/21) 4 8 6 - 4 9 0 . - Great Attacks on Christianity. Porphyry ,Against Christians': 43 (1931/32) 7 2 - 7 8 . - Letters to Women on the Christian Faith. Jerome to Marcella: 45 (1933/34) 1 1 7 - 1 2 3 ; Abailard and Heloise: ebd. 4 0 2 - 4 0 6 . - The Ninth Commandment: 48 (1936/37) 1 0 1 - 1 0 5 . Literatur George Wishart Anderson, James Moffatt. Bible Translator: T h e Bible in Scottish Life and Literature, hg. v. D.W. Wright, Edinburgh 1988, 4 1 - 5 2 . - William John Gant, Concordance of the Bible in The Moffatt Translation, London 1950. - Arthur John Gossip, James Moffatt. In Memoriam: E T 56 (1944/45) 1 4 - 1 7 . - Ernest Findlay Scott, James Moffatt: DNB 1 9 4 1 - 1 9 5 0 , Oxford 1959, 602 f. Hugh Anderson M o g i l a , Petrus - » P e t r u s M o g i l a Molina/Molinismus 1. Luis de Molina - Leben und Werk 1. Luis
de Molina
— Leben
und
2. Molinismus
(Quellen/Literatur S. 202)
Werk
Luis (Ludwig) de M o l i n a (SJ) w u r d e im S e p t e m b e r 1 5 3 5 in C u e n c a
(Neukastilien)
g e b o r e n ; er s t a r b a m 12. O k t o b e r 1 6 0 0 in M a d r i d . M o l i n a studierte J u r i s p r u d e n z in S a l a m a n c a ( 1 5 5 1 - 5 2 ) und P h i l o s o p h i e in A l c a l ä ( 1 5 5 2 - 5 3 ) , w o er a m 10. August 1 5 5 3 in den J e s u i t e n o r d e n (—»Jesuiten) e i n t r a t . N a c h s e i n e m N o v i z i a t in L i s s a b o n studierte er P h i l o s o p h i e
und T h e o l o g i e
(1554-58),
dann Theologie
in E v o r a und
Coimbra
( 1 5 5 8 - 6 2 ) . In den J a h r e n 1 5 6 3 bis 1 5 6 7 lehrte er P h i l o s o p h i e in C o i m b r a und von 1 5 6 8 bis 1 5 8 8 T h e o l o g i e in E v o r a . A b 1 5 8 3 b e r e i t e t e er seinen K o m m e n t a r zu —»Thomas v. A q u i n o s Summa donis
theologiae
... concordia
I für den D r u c k vor. Sein W e r k Liberi
veröffentlichte e r eine z w e i b ä n d i g e A u s g a b e der Commentaria partem
arbitrii
cum
gratiae
erschien 1 5 8 8 in L i s s a b o n . N a c h seiner R ü c k k e h r n a c h C u e n c a ( 1 5 9 0 )
( 1 5 9 2 ) . Seit 1 5 9 1 a r b e i t e t e M o l i n a an De iustitia
et iure,
in primam
divi
Thomae
von d e m die T e i l e I bis
I I I / l z w i s c h e n 1 5 9 3 und 1 6 0 0 v e r ö f f e n t l i c h t w u r d e n . I m J a h r e 1 6 0 0 w u r d e er als P r o f e s s o r für M o r a l t h e o l o g i e an d a s J e s u i t e n k o l l e g in M a d r i d b e r u f e n , w o er n o c h im gleichen J a h r e starb. Von De iustitia et iure wurden die Teile III/2 bis VI im Jahre 1609 postum in Cuenca veröffentlicht, dann in zweiter Auflage mit dem Gesamtwerk 1 6 1 3 - 1 4 . Das von F. Stegmüller erarbeitete chronologische Schriftenverzeichnis Molinas umfaßt 100 Titel; die wichtigsten Kommentare und Traktate sowie Briefe aus den Jahren 1582 bis 1599 sind 1935 von F. Stegmüller im ersten (einzigen) Band der „Geschichte des Molinismus" veröffentlicht worden. Eine kritische Ausgabe der Concordia besorgte J . Rabeneck (SJ) im Jahre 1953. 2. 2.1.
Molinismus Das
Problem.
M o l i n a ist v o r a l l e m w e g e n seines Versuchs b e k a n n t g e w o r d e n ,
den freien W i l l e n ( - » W i l l e / W i l l e n s f r e i h e i t ) , die - » G n a d e und die - » P r ä d e s t i n a t i o n mit-
200
Molina/Molinismus
einander in Einklang zu bringen. Molina wollte einen Weg finden, auf dem die Eigenständigkeit und moralische Verantwortung des Menschen mit der allumfassenden Leitung und zielgerichteten Lenkung aller Dinge durch Gott in Übereinstimmung gebracht werden konnten. Diese beiden auf den ersten Blick sich widersprechenden Vorstellungen begegnen bereits im Alten wie im Neuen Testament. M. -»Luther und J. -»Calvin gestanden dem Menschen nach dem Sündenfall zwar eine libertas coactionis zu, lehnten jedoch eine libertas necessitatis, also eine wirkliche innere Wahlfreiheit des Menschen im Blick auf die Gnade, strikt ab (vgl. hierzu ausführlich T R E 11,512-518). Sowohl Thomas v. Aquino als auch der in Salamanca lehrende Thomas-Kommentator Dominikus Banez (1528-1604) vertraten die Lehre, daß dem Menschen nicht nur die libertas coactionis, sondern auch die libertas necessitatis gegeben sei; aber die vor allem von Banez verwendete Terminologie (praemotio physica) konnte das intellektuelle Problem einer Zuordnung von menschlicher Freiheit und absolutem göttlichen Handeln schwerlich lösen. 2.2. Molinas Lösungsvorschlag. Nach Molina erkennt Gott in seinem eigenen Wissen (scientia naturalis simplicis intelligentiae) Wesensnotwendigkeiten und reine Möglichkeiten ohne Bezug zur realen Wirklichkeit. Gott weiß alles, was geschah, geschieht oder geschehen wird (scientia visionis = das Wissen des Möglichen und schlechthin Zukünftigen). Diese scientia visionis wird zur scientia libera, sobald die reale Existenz den schöpferischen Willen und die schöpferische Tat Gottes in sich aufnimmt. Zum Wesen Gottes gehören aber auch die futura contingentia: alles Geschehen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist bei Gott gegenwärtig im immerwährenden Jetzt seiner Ewigkeit, wobei sich die Ewigkeit zur Zeit wie das Unteilbare zum Kontinuum verhält. So gibt es bei Gott kein Vorhersehen. Er sieht einfach. So weit konnten alle katholischen Theologen mit Molina übereinstimmen. Molina postulierte nun aber noch eine scientia media — ein Wissen Gottes um zukünftige Möglichkeiten. „Durch diese scientia media weiß Gott voraus, wie sich die freien Zweitursachen unter beliebigen Bedingungen verhalten" (Specht 96). Gott weiß, was die vernunftbegabte Kreatur tun würde, wenn sie in eine bestimmte andere Bedingungskette eingebunden wäre, wobei die bestehende Welt- und Seinsordnung nur eine aus der unendlichen Zahl von Möglichkeiten darstellt, und jede dieser Möglichkeiten von Gott her ins Sein gerufen werden könnte. Aber diese „praescientia aut electio voluntatis divini nulli necessitatem imponit aut adimit libertatem" ([Gottes Vorauswissen/ Vorherwissen oder Gottes Willenswahl legt keinem Menschen einen Zwang auf oder nimmt ihm die Freiheit] Molina, Epitome de praedestinatione, hg. v. F. Stegmüller 336 f). Molina postulierte diese scientia media (ein zwischen dem Wissen des Möglichen und des schlechthin Zukünftigen in der Mitte stehendes Wissen Gottes), weil nach seinem Verständnis die von Gott ausgehende Wirkursache für die jeweilige gegenwärtige Existenz aller Dinge nicht ausreichte, das bedingt Zukünftige (die futuribilia) ebenso abzudecken wie das Künftige (die futura). Möglicherweise hat Molina die Lehre des Thomas von der göttlichen praescientia und kausalen Wirkweise (vgl. Smith 107) nicht verstanden, weil er dessen Auffassung von der wechselseitigen Bedingung von Wille und Vernunft im Wahlakt (s. S.th. la.2ae, q.9, a.l) verwarf und Freiheit lediglich für den Willen gelten ließ, während die Vernunft bloß der Wurzelgrund der Freiheit, die radix libertatis blieb. So konnte er der Vernunft die ihr zukommende Bedeutung als Ursache der Wahlfreiheit nicht einräumen (vgl. Smith 113). Gleichzeitig scheint Molinas Postulat, daß jede menschliche Entscheidung letztendlich von Gott vorher geplant sein kann, der den Menschen so vollkommen kennt wie er jede Seinsordnung kennt, in welcher ein Mensch seine Entscheidungen möglicherweise treffen könnte, dem Willen und der real gegebenen Wahlfreiheit zwischen Alternativen (libertas specificationis) zu wenig Freiraum zu lassen. Damit kommt Molina dem Determinismus sehr nahe.
Molina/Molinismus
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Im übrigen kannte Molina Thomas von Aquino hauptsächlich über Banez, dessen Lehre vom Einfluß der göttlichen Gnade auf die menschliche Wahlfreiheit er für übertrieben deterministisch, ja für nahezu calvinistisch hielt (vgl. Smith 116). Das Konzil von Trient (->Tridentinum) unterstrich jedoch in Übereinstimmung mit Thomas, daß der Mensch auch dann seine Zustimmung zur Gnadengabe verweigern könne, wenn er von Gottes Ruf erreicht werde (DS 1554, Can 4 De iustificatione). Wäre es anders, dann würde Gott für die Sünde verantwortlich gemacht, - zumindest für die Voraussetzung und Ursache einer sündhaften Handlung. Anders als bei Banez wirkt so die göttliche Kausalität auf die freie Entscheidung des Menschen nicht ausschließlich im Sinne einer Vorherbestimmung (Molina, Summa haeresium maior, hg. v. F. Stegmüller 431 f; vgl. Smith 127). Für Molina könnte ein Mensch, dessen freier Wille in einer bestimmten, historisch gegebenen Situation mit der Gnade zusammenwirkt, in dieser Mitwirkung erfolglos gewesen und verdammt worden sein, wenn Gott eine andere Seinsordnung heraufgeführt hätte, in der dieser gleiche Mensch hätte leben müssen. So wird der freie Wille des Menschen aufrechterhalten, weil sein Wille in jeder möglichen Seinsordnung - ob er nun mit der göttlichen Gnade zusammenwirkt oder nicht - vollkommen ungebunden wäre. Gleichzeitig wären Gnade und Erlösung das unverdiente Geschenk Gottes für jedes Individuum, weil Gott auch eine Seinsordnung geschaffen haben könnte, in der das gleiche Individuum mit seinem sündhaften Gebrauch des freien Willens verloren sein könnte. Die Unterscheidung zwischen der gratia sufficiens, bei der die Mitwirkung des Menschen ausgeschlossen ist, und der gratia efficax, die nach der freien Zustimmung des Menschen verlangt (zur Begrifflichkeit vgl. T R E 13,485—489), hängt nicht von einer Differenzierung innerhalb der Gnade, sondern von der jeweils unterschiedlichen Schöpfungsordnung ab, die den Ausschlag gibt, ob Gnade sufficiens oder efficax ist. Molinas Voraussetzungen für die Wahlfreiheit sind notwendig, aber keineswegs eindeutig bestimmend (Smith 19f). Die Voraussetzungen auf der Seite Gottes sind Gottes Wissen und Willen, die sich in der Gnade und in der natürlichen Mitwirkung als ausführende Instrumente erweisen. Die menschliche Voraussetzung beruht dagegen auf der freien Entscheidung für das Gute (Smith 37).
In der Frage nach den Handlungen der Kreatur folgte Molina sehr genau der traditionellen thomistischen Lehre: Gott und Natur wirken in der Kreatur auf verschiedene Weise (vgl. De potentia q.3, a.7). Gott ermöglicht Handlungen der Geschöpfe, indem er ihnen die Kraft zum Handeln (virtutem ad agendum) gibt. Die spezifische Determinierung einer Handlung geht auf das spezifische Wesen des von Gott bewegten Handelnden zurück, der wiederum die Tat durch sein Mitwirken (concursus) realisiert, so wie jede Kreatur nur aufgrund der göttlichen Bewahrung (conservatio) bestehen kann. Die Verwirklichung einer Tat kommt zwar von Gott, aber auch die Disposition des Geschöpfes zum Handeln ist real gegeben. Der Mensch kann keine übernatürliche Handlung ohne Gnade vollbringen, aber durch die freiwillige Zustimmung wird menschliches Tun verdienstvoll, weil übernatürliche Handlungen nun wirklich auch seine - des Menschen — Taten sind. Setzt aber Gott in eigenständig handelnde Lebewesen einen allgemeinen Willen zum Guten ein, dann ergeben sich Schwierigkeiten bei der Festlegung des Einflusses, unter dem der Wille vom feile bonum zum velle hoc bonum gelangt. Es stimmt, daß „Deus non ita agit in voluntatem ut eam de necessitate ad unum determinat sicut determinat naturam" ([Gott handelt nicht so in Bezug auf den Willen, daß er ihn mit Notwendigkeit auf Eins hin festlegt, wie er die Natur festlegt und bestimmt] De Potentia q.3, a.7 ad 13am; Smith 61). Molina verwarf aber jede Vorstellung, daß Gott, der zwar das velle bonum verursacht, auch das velle hoc bonum bestimme, weil die hinreichende Erklärung dafür in dem schon geschaffenen Wesen des Menschen liegt. Ein Feuer brennt von selbst und bedarf keines weiteren Schöpfungsaktes Gottes. 2.3. Zur kritischen Diskussion des Molinismus. An dieser Stelle wurde heftige Kritik gegen Molina erhoben, weil er nach der Meinung seiner Gegner Gott nur unzureichend als den Urheber aller Geschöpfe gelten lasse, aber auch wegen einer zu starken Ein-
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Molina/Molinismus
schränkung der menschlichen Freiheit. Für Molina hängt Gottes Wissen um das bedingt Zukünftige (die futuribilia) wesentlich mit seinem radikalen Verständnis der rationalen Zweitursache zusammen, demzufolge Gott genau die Entscheidungen des freien Willens jeder Kreatur kennt - nicht, weil dieser freie Wille von irgendeiner Ursache außerhalb seiner selbst, einschließlich Gott, festgelegt wäre, sondern weil dies im Wesen und den wesenhaften Veranlagungen dieses freien Willens begründet ist (vgl. Molina, De scientia Dei [1572], hg. v. F. Stegmüller 2 2 6 - 2 2 8 ; Smith 101 f). So wird durch das allumfassende Wissen Gottes jeder Gebrauch des freien menschlichen Willens vollkommen einsichtig. Futura und futuribilia sind so eng miteinander verbunden, daß die scientia media in die Nähe der scientia visionis rückt. Dieses göttliche Wissen macht jedoch nicht den freien Willen des Menschen zunichte. Wie kann Gott eine freie Wahlentscheidung des Menschen vorherwissen, schon bevor sie getroffen wird? Gott muß dies wissen, weil sein Wissen unendlich ist. Molina räumt jedoch ein, daß der Mensch nicht genau wissen kann, wie dies geschieht; er besteht aber gleichzeitig darauf, daß allein die scienctia media - das zwischen dem Wissen des Möglichen und des schlechthin Zukünftigen in der Mitte stehende Wissen — die freie Entscheidung mit der Wirksamkeit ihrer Bedingungen in Einklang bringen kann. Es läßt sich nicht erkennen, warum Gott diese besondere Welt- und Seinsordnung vor jeder anderen möglichen Ordnung gewählt hat. Prädestination kann einzig und allein auf den freien und gnädigen Willen Gottes bezogen werden (Molina, Summa haeresium maior, hg. v. F. Stegmüller 3 3 8 f ; Smith 207). Molinas Lösungsvorschlag in der Auseinandersetzung um das Verhältnis von menschlicher Freiheit und göttlichem Handeln hielt an der menschlichen Willensfreiheit fest; Molina sah aber im Willen die alleinige Ursache für dessen eigene Bestimmung, wobei dem Intellekt - sei er nun göttlich oder menschlich - zu wenig Bedeutung zugestanden wurde. Wenn Banez in Gott die Ursache für eine freie Willensentscheidung des Menschen sah, bevor Gott diese selbst überhaupt kannte, so kennt Gott nach Molina dagegen diese freie Entscheidung bereits, bevor er sie veranlaßt - und damit hört diese Entscheidung auf, von Gott überhaupt abhängig zu sein (vgl. Smith 225). R . —»Bellarmin hielt die Schlußfolgerungen Molinas für obskur und wirr, während ihn die jesuitischen Zensoren wegen seiner „crebrae et verbosae repetitiones" [zahlreichen und wortreichen Wiederholungen] anschuldigten (Smith 218). Immerhin fand die Concordia einen breiten Leserkreis (vgl. T R E 16,503,10ff). Das Werk erlebte sechs Auflagen innerhalb von fünf Jahren. Noch 1876 erschien in Paris eine siebte Auflage. Unbestreitbar ist, daß Molina zu dem anscheinend unlösbaren Problem, worin der Anteil des Menschen und der Anteil Gottes bei einer freien Handlungsentscheidung — vor allem bei einer sündhaften Tat - bestehe, mit seiner Idee von der scientia media und deren Entfaltung einen bemerkenswerten Beitrag lieferte. Doch schließlich scheint die Versöhnung des im Vollsinn freien menschlichen Willens mit der göttlichen Allwissenheit und Souveränität über alle geschöpflichen Akte, einschließlich derjenigen der freien, vernunftbegabten Wesen, ein Problem zu bleiben, dessen Lösung die Möglichkeiten des menschlichen Denkens übersteigt. Der Wahrheit kommen wir auch dann nicht näher, wenn wir eine der beiden Seiten leugnen oder schmälern, um die Frage innerhalb der Grenzen des menschlichen Geistes ihrer Lösung näherzubringen.
Quellen Friedrich Stegmüller (Hg.), Gesch. des Molinismus. I. Neue Molinaschriften, 1935 ( B G P h M A 32) [mit einer „Chronologie der Schriften" Molinas 1 0 ' t - 2 3 * und einem Verz. der Handschriften u. zeitgenössischen Drucke]. - Ludovici Molina, Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, Providentia, praedestinatione et reprobatione concordia, ed. criticam curavit Iohannes Rabeneck S . J . , Madrid 1953 [mit ausführlichen „ P r o l e g o m e n a " zur Textgesch. V'-90'r].
Molinos
203
Literatur Xavier Marie le Bachelet (SJ), Prédestination et grâce efficace, 2 Bde., Löwen 1931. - Louis Billot (SJ), De gratia Christi et libero hominis arbitrio, R o m 1908. - Johannes Rabeneck (SJ), De vita et scriptis Ludovici M o l i n a : Archivum historicum Societatis Jesu 19 (1950) 7 5 - 1 4 5 . - Gerard Smith (SJ), Freedom in M o l i n a , Chicago 1966. - Carlos Sommervogel (SJ), Bibliothèque de la Compagnie des Jésus 5 (1894) 1 1 6 7 - 1 1 7 9 . - Rainer Specht, Art. Molinismus: H W P 6 (1984) 95 f. - Friedrich Stegmüller, Molinas Leben u. Werk: ders., Gesch. des Molinismus (s.o.) 1,1^ — 80^. - Ders., Art. M o l i n a / M o l i n i s m u s : L T h K 2 7 (1962) 5 2 6 - 5 3 0 . - E. Vansteenberghe, Art. Molina: D T h C 10/2 (1929) 2 0 9 0 - 2 0 9 2 . - Ders., Art. Molinisme: D T h C 10/2 (1929) 2 0 9 4 - 2 1 8 7 .
Francis Edwards Molinos, Miguel de 1. Leben
(1628-1696)
2. Werk und Wirkung
( Werke/Literatur S. 205)
1. Leben Molinos hat seinen Platz in der Geschichte der ->Mystik als führende Gestalt des —»Quietismus. Er wurde am 29.6.1628 in Muniesa in der spanischen Provinz Teruel geboren. Er lebte als Kleriker in der Pfarrei San Andres in Valencia, wo er am Jesuitenkolleg San Pablo studierte und am 21. 12. 1652 zum Priester geweiht wurde. 1663 ging er nach Rom, um das Seligsprechungsverfahren für den Valencianer Francisco Simó (gest. 1622) zu betreiben und seinen Erzbischof bei der Visitatio ad limina zu vertreten. In Rom gehörte er der Scuola di Cristo an und erwarb sich beträchtlichen Ruf als Seelenführer. Als solcher gewann er die Wertschätzung Innozenz' XI. (1676-1689, vorher Benedetto Odescalchi), der Kardinäle Ricci, Azzolino und Petrucci, von Christina von Schweden und weiterer Kreise, darunter auch des Erzbischofs von Palermo und später von Sevilla, Palafox y Cardona. Seine Schrift Guia espiritual (Rom 1675) rief die Gegnerschaft der Jesuiten Bell'huomo und Segneri und anderer wach. Zur Verteidigung gegen deren Anfeindungen schrieb Molinos eine Reihe von Briefen an den Jesuitengeneral Oliva, die Schrift Scioglimento ad alcune obiettioni und seine Defensa de la contemplación. Dennoch wurde er wie auch zahlreiche seiner Anhänger am 18.7.1685 von der Inquisition festgenommen. In einem gut zweijährigen Verfahren wurde er zur öffentlichen Abschwörung und zu lebenslanger Haft verurteilt (3.9.1687). Die Bulle Caelestis Pastor (Denzinger/Hünermann 2201-2269) verurteilte ausdrücklich 68 Sätze, die seinen Briefen und seinen Verhandlungsaussagen entnommen waren, und seine Guía kam auf den Index. Er starb unter Zeichen der Reue am 28.12.1696 im Klostergefängnis. 2. Werk und
Wirkung
Das schriftstellerische Werk Molinos' beschränkt sich auf folgende Arbeiten: Breve tratado de la comunión cotidiana (Rom 1675), Guía espiritual (Rom 1675), Carta escrita a un caballero español-, jüngst herausgegeben worden sind sein Scioglimento ad alcune obiettioni und seine Defensa de la contemplación. Sein umfangreicher Briefwechsel ist verloren gegangen; nur seine Briefe an den Jesuitengeneral Oliva und an D. Sancho de Losada liegen vor. Auch die Akten seines Verfahrens sind vernichtet. Lediglich einige damit zusammenhängende Schriftstücke sind erhalten. Molinos' geschichtlich bedeutsamstes Werk ist seine Guía espiritual que desembaraza el alma y la conduce por el interior camino para alcanzar la perfecta contemplación y el rito tesoro de la interior paz (Geistliche Wegweisung, die die Seele freimacht und sie auf den inneren Weg zur Erlangung der vollkommenen Kontemplation und des reichen Schatzes des inneren Friedens geleitet). Die Schrift hatte vor ihrer Verurteilung großen Erfolg und erschien innerhalb weniger Jahre in zahlreichen Ausgaben in Rom (1675, 1677, 1681), Venedig (1677, 1678, 1685), Palermo (1685, mit Vorwort und Empfehlung des Erzbischofs Palafox y Cardona), Madrid (1676), Saragossa (1677) und Sevilla (1685,
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Molinos
auf Veranlassung des schon genannten Erzbischofs Palafox). Aufgrund ihrer Verurteilung (1687) fand sie ein breites Echo im protestantischen Europa mit Ubersetzungen ins Lateinische (Leipzig 1687), Französische (Amsterdam 1688), Niederländische (Rotterdam 1688), Englische (1688), Deutsche (1699) und im folgenden Jahrhundert auch ins Russische. Insbesondere fand sie in pietistischen Kreisen (-»Pietismus) Anklang. So hat A. H. ->Francke sie 1687 ins Lateinische übertragen, um dem von den Leipziger Acta eruditorum vermittelten Molinosbild entgegenzutreten, und später wurde sie von G. -•Arnold ins Deutsche übersetzt. Es gibt eine Reihe moderner Ausgaben auf Italienisch und Französisch. Von den spanischen Ausgaben geben allein die von A. Valente (Barcelona 1974) und die von J. I. Tellechea getreu den Text der Erstausgabe wieder, wobei Tellechea auch Varianten zweier Originalhandschriften bietet. Molinos wird zwar vielfach als origineller und eigenständiger Schriftsteller angesehen, doch ihm ging es nicht darum, Neuerungen zu schaffen, sondern darum, eine Lehre zu bewahren, die er für traditionell hielt und die er durch zahlreiche Autoritäten absicherte. Tatsächlich gab es für die in der Guia entfaltete Lehre eine Fülle von Präzedenzien in der spanischen franziskanischen, karmelitischen, mercedarischen (Falconi) und selbst jesuitischen (B. Alvarez) sowie in der französischen und italienischen Tradition (Canfeld, Chantal, Piny, Gagliardi, Mala-Gagliardi, Malavale u.a.). Die Schrift erschien mit der Billigung ausgewiesener Theologen, mehrerer Orden und des Magister Sacri Palatii. Während des Inquisitionsverfahrens fehlte es nicht an Theologen, die für die Orthodoxie ihrer Lehre eintraten. Der Übergang von der diskursiven —»Meditation zur Kontemplation war klassisches Thema der zeitgenössischen mystischen Literatur. Die von Molinos verwendete Begrifflichkeit (Dürre — Empfindsamkeit, eingegossene und erworbene Kontemplation, Muße, Entsagung, Stille, Zunichtewerdung, Dunkelheit, Nichts ...) ist auch bei früheren Schriftstellern geläufig. Die Guia ist bestimmt für Seelenführer und für Seelen, die, „nach Abtötung der Sinne und Leidenschaften im Gebet fortgeschritten, von Gott auf den inneren Weg berufen sind". Der Ruf Gottes und das sichere Urteilsvermögen des Seelenführers sind wesentlich. Die Guia ist keine umfassende Abhandlung über Askese und Mystik, nicht einmal eine Abhandlung über das Gebet. Sie fördert den Übergang von der diskursiven Meditation zu einer Form des Gebets aus „einfältigem und dunklem Glaubensverstand" oder der erworbenen Kontemplation. In der Meditation sieht sie eine Form des Anfängergebetes, und sie rät entschieden ab, zu ihr zurückzukehren. Sie beschreibt die Prüfungen der geistlichen Dürre, Dunkelheit, Stille und Nichtigwerdung und die Vorzüge des inneren Stillseins und Friedens und des völligen Sichverlierens in Gott in bedingungsloser Selbstentäußerung. Diese Radikalität und Molinos' zwanghafte Vorstellungen von teuflischen Nötigungen ebenso wie unangebrachte und ungute praktische Folgen konkreter Umsetzung mancher seiner Richtlinien waren die Stellen, die stärkeren Widerspruch wachriefen. „Praktischen Irrtum" hat der Oratorianer Marchese Molinos vorgeworfen, und von anderer Seite sind neuerlich die seiner Lehre innewohnenden praktischen Schwierigkeiten und die in ihr liegende Gefahr eines falschen Verständnisses und einer noch falscheren praktischen Umsetzung hervorgehoben worden (P. Dudon). Daher muß, auch wenn die in der Guia Ausdruck findende Lehre theoretisch als korrekt angesehen werden darf, doch ihre konkrete Anwendung bei Molinos selbst und seinen Anhängern, wie sie sich jedenfalls nach den verbliebenen Zeugnissen des Verfahrens gegen ihn darstellt, anders beurteilt werden. Tatsächliche Überspitzungen lassen sich ausmachen in der Abweisung traditioneller Frömmigkeitsformen, in sektenhafter Überhebung, in irregeleiteter Selbsteinschätzung der Kontemplativen und gelegentlich auch in einem den erwähnten teuflischen Nötigungen angelasteten moralischen Laxismus. Man muß die Situation der Verurteilung Molinos' auf diesem Hintergrund in einem Klima der Verunsicherung sehen, das durch gehäufte Vorkommnisse ausgelöst wurde,
Monenergetisch-monotheletischer Streit
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die sich in ganz Italien - in Genua, Piemont, Venedig, den Abruzzen, Neapel, R o m - zugetragen hatten und über die Kardinal Albizzi dem Heiligen Offizium ein gewichtiges, durch einen Bericht von Kardinal Caracciolo aus Neapel bestätigtes Gutachten vorgelegt hatte. Das Quietismusproblem zeitigte in Italien besorgniserregende Erscheinungen in Gestalt der Bildung sich abkapselnder Kreise von Laien oder religiösen Gemeinschaften. Aus diesem Grund war die Reaktion einigermaßen hart und umfassend. Werke: G u í a espiritual., krit. Ausg., bearb. v. J . Ignacio Tellechea Idigoras, M a d r i d 1977. - Defensa de la c o n t e m p l a c i ó n , krit. Ausg., bearb. v. E. P a c h o , M a d r i d 1988.
IJteratur M a r i o Bendiscioli, II quietismo a R o m a e in Italia: S t R o 11 (1961) 1 6 8 - 1 7 9 . - Paul D u d o n , Le quietiste espagnol M i c h e l M o l i n o s , Paris 1921. — Jesús Ellacuría, R e a c c i ó n española contra las ideas de Miguel M o l i n o s . Procesos de Inquisición y refutación de sus escritos, Bilbao 1965. - F a u s t o Nicolini, II quietismo a R o m a e in Italia, Neapel 1948. - Ders., Su Miguel M o l i n o s e taluni quiestisti italiani. Notizie, appunti, d o c u m e n t i , Neapel 1959. - J e a n O r c i b a l , D o c u m e n t s pour une histoire doctrinal du quietisme: AI S P 5 (1968) 4 0 9 - 4 3 6 . - Eulogio P a c h o , El quietismo frente al magisterio sanjuanista: E C a r m 13 (1962) 3 5 3 - 4 2 6 . - Ders., Art. M o l i n o s : D S p 10 (1980) 1 4 8 6 - 1 5 1 4 . - M a r i o Petrocchi, Il quietismo italiano del Seicento, R o m 1948. — R a m ó n R o b r e s Lluch, En t o r n o a Miguel M o l i n o s y los orígenes de su doctrina. Aspectos de la espiritualidad b a r r o c a en Valencia: AnAn 18 (1971) 3 5 3 - 4 6 5 . - F r a n c i s c o Sánchez C a s t a ñ e r , Miguel M o l i n o s en Valencia y R o m a , Valencia 1965. - J o s é Ignacio Tellechea Idígoras, Introducción a la Guía espiritual, M a d r i d 1977. - Ders., M o l i n o s i a n a . Investigaciones históricas sobre Miguel M o l i n o s , M a d r i d 1987 (14 zuvor in verschiedenen Zeitschriften erschienene Arbeiten).
J . Ignacio Tellechea Idigoras Monarchianismus —»Jesus Christus, -»Trinität Monarchomachen —• Widerstandsrecht Monenergetisch-monotheletischer Streit (Quellen/Literatur S. 208)
Die Formeln der einen Wirkung und des einen Willens Christi nach der Inkarnation bei Anerkennung der Trennung der zwei Naturen erwuchsen aus nachchalkedonischer Christologie (Neuchalkedonismus) und waren als Brückenschlag zu den —»Monophysiten gedacht. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Vielmehr kam es zu Auseinandersetzungen innerhalb der byzantinischen Kirche und dieser mit R o m . Der Streit bestimmte zunehmend die byzantinische Innenpolitik und konnte nur unter Hinterlassung tiefer Wunden behoben werden. Dal? die monenergetisch-theletischen Bemühungen aber auch noch nach der Anfangsphase in theologischer Hinsicht ein ernstzunehmender Faktor blieben, beweisen die umfangreichen Studien der Konstantinopler Patriarchen (Quellen 4 0 . 4 3 . 5 8 . 7 3 ) , die Haltung der M ö n c h e in Sizilien (Quellen 102), das Festhalten eines großen Teiles der Syrer und Palästinenser am Monotheletismus (Quellen 163.170.172.184) und die umfangreichen Widerlegungsversuche des M á x i m o s Homologetes (—>Maximus Confessor) (Quellen 6 0 . 8 4 - 9 7 . 1 0 2 . 1 0 5 ) . Die Forschung der letzten Z e i t hat sich namentlich auf die folgenden Problemkreise konzentriert und ist zu neuen Bewertungen gelangt: 1. P r o b l e m e der C h r o n o l o g i e , der Überlieferung und der Authentizität der Quellen; 2. der Beginn, die Initiatoren und deren M o t i v e ; 3. die Beurteilung des sog. Concilium Lateranense (649), der Aktionen der Päpste und der griechischen M ö n c h e unter Führung des M á x i m o s ; 4. die Aktivitäten der Dyotheleten und die Verbreitung des M o n o t h e l e t i s m u s nach syrischen Quellen; 5. das theologische System des M á x i m o s . Am zuverlässigsten sind die T e x t e , die in den Akten des 6. ökumenischen Konzils (680/81 [s. T R E 1 9 , 5 2 7 , 1 4 f f ] ) zitiert oder e r w ä h n t werden, doch überliefern sie nur wenig über die Frühperiode des Streits. Viele Informationen und T e x t e sind nur in Werken aus der Schule des M á x i m o s erhalten. Sie unterliegen dem Verdacht tendenziöser Auswahl und M a n i p u l a t i o n . Die Vorgeschichte aus der Sicht des Patriarchen Sergios bietet sein Brief an Papst H o n o r i u s (Quellen 4 3 ) .
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Monenergetisch-monotheletischer Streit
Am Anfang stand die theologische Bemühung (gegen Owsepian 14, Harnack 480, Van Dieten 24 Anm. 82). Patriarch Sergios von Konstantinopel berief sich gegenüber Kyros von Phasis (Quellen 20) und Papst -»Honorius I. (Quellen 43) auf uns nicht erhaltene Ausführungen des Patriarchen Menas (536—552) an Papst Vigilius über eine Energie und einen Willen Christi (Quellen 1). Auf dem 6. ökumenischen Konzil wurde der Brief für unecht erklärt, doch zu unrecht (vgl. Grumel Reg. 243). Die Probleme der Wirkung spielten auch bei anderen Theologen des 6. J h . eine Rolle (Quellen 2 - 7 ; Helmer 1 8 5 - 2 4 1 ) . Als umfassenderes Zeugnis sind uns 11 Fragmente aus Logoi des Theodor von Pharan erhalten (Quellen 8). Grundlage war für ihn die Einheit des Handelns und Leidens des biblischen Jesus. Träger der einen Wirkung sei der Logos. Sergios, vielleicht von syrischen Jakobiten (-»Jakobitische Kirche) abstammend (Anastasios Sinait., Log. 3, C C S G 12,57,45 f), war an einer Aussöhnung mit den M o nophysiten interessiert. Er griff deshalb die Formel der einen Wirkung auf und beeinflußte auch Kaiser Herakleios ( 6 1 0 - 6 4 1 ) . Beide versuchten (ab 616 Van Dieten, ab 618 Grumel), auf der Grundlage eines am biblischen Christus gewonnenen Monenergismus Verbündete zu finden (Quellen 9 - 2 6 mit den Problemen der Abfolge): zwei Naturen in Jesus unvermischt und ungetrennt, doch vereinigt in einer Wirkung. Aufsehen erregte der Gedanke vor allem in der Form, die ihm Kyros von Alexandreia im 7. Anathema der Unionsurkunde, die er mit den Theodosianern am 3 . 6 . 6 3 3 unterzeichnete (Quellen 27), gab: „daß der eine gleiche Christus und Sohn das Gottgemäße und das Menschliche durch eine gottmenschliche Wirkung vollbringt", mit Berufung auf die pía SeavöpiKt] évépyeia des Ps. ->Dionysios ( P G 3 , 1072B). Nach Bemühungen um eine Klärung unter den östlichen Bischöfen entschied sich schließlich Sophronios von Jerusalem in seiner Inthronistica (Ende 634; Quellen 45) gegen die eine Wirkung. Seine vorhergehende Haltung wird namentlich durch die syrischen Quellen belastet (Quellen 29—34; zur Identität vgl. Vailhé, Bardy). Schon im August 633 hatte sich Sergios etwas von Kyros distanziert (Quelle 36) und vorgeschlagen, die Debatte über die Wirkungen zu beenden. Schließlich erwirkte er einen Erlaß des Kaisers Herakleios, die sog. Ekthesis (638; Quellen 50): Die Diskussion über die Wirkungen wurde untersagt, dagegen die neue Formel des einen Willens vertreten. Sie ging auf einen Gedanken des Papstes Honorius zurück (Quellen 44). Im Jahr 638 trat auch insofern eine Wende ein, als die Initiatoren starben: wohl am 11.3. Sophronios (sein Nachfolger Sergios von Joppe war Monothelet), am 12.10. Honorius, am 9.12. Sergios. Zudem gehörten die monophysitischen Provinzen nun nicht mehr zum Reich (Araberinvasion). Von besonderer Bedeutung in der folgenden Etappe des Streits waren die Ablehnung der Ekthesis durch Papst Johannes IV. (Quellen 69) und die Disputation M á x i m o s ' mit dem ehemaligen Patriarchen Pyrrhos im J a h r 645 (Quellen 92). (Zur schwankenden Rolle des Pyrrhos vgl. Van Dieten 5 7 - 7 5 . 1 0 4 f , doch ist der Darstellung der dyotheletischen Quellen Vorsicht gegenüber angebracht.) Wenn wir den erhaltenen Schriften des M á x i m o s glauben dürfen, griff er erst um 633 in den Streit ein (Quellen 35.41.42). Laut der syrischen Vita (Quellen 172) dagegen war er längst anonym beteiligt und die treibende Kraft hinter Sophronios gewesen. Jedenfalls bot er die notwendige philosophische Klärung: Unterscheidung von physischem Willen, der zur Natur gehört, und gnomischem Willen, der die Grundlage der npoaipeaiq ist ( P G 9 1 , 153A.233C.185D.188B.192BC.81D.44CD.48D.269-273). Máximos argumentierte meist mit dem ersten, seine Gegner mit dem zweiten. Da wirkliche Bereitschaft zur Vermittlung auf beiden Seiten fehlte, wurde aneinander vorbeigeredet. Um den Frieden wiederherzustellen, erließ Kaiser Konstans II. ( 6 4 1 - 6 6 8 ) 648 auf Anraten des Patriarchen Paulos ein kaiserliches Reskript, den sog. Typos (Quellen 106): Der Streit über Energie und Willen wird bei hohen Strafen verboten. Ziel des Typos war die Wiederherstellung des Friedens, nicht der Erlaß eines Glaubensentscheids.
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In der folgenden E t a p p e dominierte auf beiden Seiten der politische M a c h t k a m p f . Die Reaktionen des römischen Stuhles und des M á x i m o s auf den T y p o s sind durch die Forschungen Riedingers in neues Licht geraten. N a c h der herkömmlichen M e i n u n g hatte Papst M a r t i n ( 6 4 9 - 6 5 3 ) im O k t o b e r 649 im L a t e r a n p a l a s t eine Synode gegen die M o notheleten veranstaltet. Riedingers T h e s e : Die Akten (Quellen 110) und wohl auch der Briefwechsel des Papstes (Quellen 9 8 - 1 0 1 . 1 0 8 . 1 0 9 . 1 1 1 . 1 1 2 . 1 1 4 - 1 2 4 ) seien von den M ö n c h e n um M á x i m o s s o w o h l in der griechischen als auch in der lateinischen F o r m verfaßt worden. Es handle sich um „publizistische S a m m l u n g e n in der anspruchsvollen F o r m eines A k t e n t e x t e s " ( A H C 9 , 258 f). Eine politische N o t e hatte der dyotheletische Protest zusätzlich dadurch erhalten, d a ß sich M á x i m o s und R o m dem U s u r p a t o r G r e g o r i o s , dem Exarchen von K a r t h a g o , anschlössen. Er fiel 647 im K a m p f gegen die Araber. Über die folgenden Ereignisse sind wir ausführlich, aber einseitig aus antibyzantinischer Sicht informiert (Quellen 1 3 2 . 1 3 7 - 1 4 2 . 1 4 5 . 1 5 0 - 1 5 2 . 1 5 4 ) . M a r t i n wurde im Juni 653 verhaftet, in Konstantinopel vor Gericht gestellt und wegen Hochverrats zum T o d e verurteilt (Inthronisation ohne kaiserliche Genehmigung). Auf Einspruch des Patriarchen Paulos zur Verbannung begnadigt, starb er a m 1 6 . 9 . 6 5 5 im Exil. M á x i m o s wurde mehrfach verhört. M a n versuchte, ihn u m z u s t i m m e n . Wegen Hochverrats verurteilt, exiliert, verstümmelt, starb er a m 13.8. in Lazike. Auch seine engsten Anhänger starben im Exil: A n a s t a s i o s M o n a c h o s a m 2 4 . 7 . 6 6 2 und A n a s t a s i o s A p o k r i s i a r i o s am 1 1 . 1 0 . 6 6 6 . Kaiser Konstantin IV. ( 6 6 8 - 6 8 5 ) suchte wieder eine politische Verständigung mit R o m , auf Kosten der Patriarchen von Konstantinopel. D o c h war er die ersten zehn J a h r e seiner Regierung durch Kriege mit den Arabern und Bulgaren in Anspruch gen o m m e n . Am 1 2 . 8 . 6 7 8 schrieb er an Papst D o n u s (Quellen 156). Er hob seine Neutralität hervor und sah im Bekenntnis zu den ersten fünf ökumenischen Synoden eine Lösungsmöglichkeit. Den sich widersetzenden Patriarchen T h e o d o r o s I. ersetzte er 679 durch den gefügigen G e o r g i o s I. Papst A g a t h o I. antwortete erst a m 2 7 . 3 . 6 8 0 (Quellen 157) unter Beharrung auf der Lehre der zwei Energien und zwei Willen. D o c h war der Weg für die Einberufung eines großen Konzils zur endgültigen Beilegung der Probleme nun frei (Quellen 159). Am 7 . 1 0 . 6 8 0 w u r d e d a s 6. ökumenische Konzil (s. T R E 19, 527, 14ff) im Kuppelsaal des kaiserlichen Palastes in Konstantinopel eröffnet (Quellen 161). Welche Bedeutung ihm der Kaiser beimaß, geht d a r a u s hervor, daß er selbst den Vorsitz der Sitzungen 1 - 1 1 und 18 (Abschlußsitzung) hatte. Ankläger waren die Vertreter R o m s und J e r u s a lems. Angeklagt wurden Konstantinopel und die melkitischen Patriarchate Alexandreia und Antiocheia. Allein M a k a r i o s von Antiocheia und Abt S t e p h a n o s aus Antiocheia blieben bei ihrem monotheletischen Bekenntnis (Quellen 163.127) und wurden in der 9. Sitzung (8.3.681) verurteilt. Schon in der ersten Sitzung erhob R o m Anklage gegen die Patriarchen Konstantinopels Sergios, Pyrrhos, Paulos, Petros, gegen Kyros von Alexandreia und gegen T h e o d o r von Pharan. Gegen den Willen der römischen Delegierten wurde aber auch Papst H o n o r i u s einbezogen. Alle wurden in der 13. Sitzung anathematisiert ( A C O II 2,2,576ff). An den Sitzungen, die die eigentlich theologischen Probleme behandelten, nahm der Kaiser nicht teil. Ihn interessierten nur die politischen Aspekte. In der Schlußsitzung (16.9.681) wurden als Ergebnis die Lehre von zwei Wirkungen und zwei Willen und die V e r d a m m u n g der in der 13. Sitzung genannten Personen beschlossen. D a s Lateranense wurde ignoriert. Der Kaiser bestätigte in einem Edikt (Quellen 165) die Beschlüsse bei S t r a f a n d r o h u n g für Nichtbefolgung. N u r unter Einschränkung erkannte R o m schließlich die Verurteilung des H o n o r i u s an (Quellen 168). Vor allem Konstantinopel hatte durch die Verurteilung seiner Patriarchen, von denen Sergios sicher zu den bedeutendsten überhaupt zählte, sehr an Ansehen gelitten. Dem Monotheletismus ergeben blieben große Teile der Palästinenser und Syrer (Quellen
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Monenergetisch-monotheletischer Streit
184.170.163). Doch auch in Byzanz blieb man ihm nicht ganz abgeneigt (z.B. Quellen 169). Zu einem kurzen Aufleben kam es unter Kaiser Philippikos ( 7 1 1 - 7 1 3 ; dem Armenier Bardanes). Nach Aussage des Diakons Agathon sei er ein Zögling des Abtes Stephanos gewesen, der 681 verurteilt wurde ( A C O II 2,2,899). Die Beschlüsse des Konzils wurden aufgehoben und Patriarch Kyros abgesetzt (Quellen 176 — 178). Eine der ersten Regierungshandlugen Kaiser Anastasios' II. ( 7 1 3 - 7 1 5 ) war die Wiederanerkennung der Beschlüsse des 6. ökumenischen Konzils (Quellen 179). Quellen A C O Ser. II, Vol. I: Concilium Lateranense a. 6 4 9 celebratum, ed. R u d o l f Riedinger, Berlin 1984; A C O Ser. II, Vol. II: Konzilsakten des 6. ökumenischen Konzils zu Konstantinopel, ed. R u d o l f Riedinger, Berlin 1992. - M a u r i t s Geerard, 1980 ( C P G 4), 1 6 7 - 1 7 2 : D o c u m e n t a ad haeresim M o nothelitarum pertinentia. - J o s e f S c h a c h t , Der Briefwechsel zw. Kaiser u. Papst v. 641/2 in arab. Überlieferung: O r . NS 5 (1936) 2 2 9 - 2 6 8 (Quellen 6 9 . 7 5 . 7 7 in dt. Übers.). - Polycarp S h e r w o o d , An annotated date-list o f the w o r k s of M a x i m u s the Confessor, 1952 (StAns 30). — Friedhelm W i n k e l m a n n , Die Quellen zur Erforschung des monenergetisch-monotheletischen Streits: Klio 69 (1987) 5 1 5 - 5 5 9 , oben als Quellen + N r . zitiert (dazu vgl. A C O II 2 , 2 , 9 6 1 f).
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Friedhelm Winkelmann Mongolische Religion (Literatur S.211)
Die ursprüngliche Religion der Mongolen (Manghol), zu der sie sich vor ihrer Bekehrung zum -•Lamaismus bekannten und die auch später in buddhistischer Zeit ihre Bedeutung nicht vollkommen verlor, war gekennzeichnet durch einen ausgeprägten Hochgottglauben, der in enger Verbindung zum Himmel stand. Diese Beziehung der höchsten numinosen Macht zum Himmel wird deutlich an der Benennung des Hochgottes mit Tengri, einem Wort, das einerseits den Himmel als Naturphänomen bezeichnet und andererseits den Hochgott, der auch als möngke Tengri [ewiger, unvergänglicher Himmel] und erketü Tengri [mächtiger Himmel] verehrt wird. Tengri ist Schöpfer und Erhalter der Welt, er lenkt die Geschicke der Menschen. Von ihm leitete Dschingis Khan (Cinggis Khan; 1206-1227) sein Herrschertum her; der ewige Himmel war es, der ihm das Reich gab, das er als Beauftragter seines Gottes eroberte und verwaltete. Edikte der Mongolenherrscher des 13. und 14. Jh. enthalten mit der festgeprägten Formel „durch die Kraft des ewigen Himmels" stets eine Berufung auf diesen Hochgott der Mongolen. Die Geheime Geschichte der Mongolen, das älteste historische Werk dieses Volkes, erwähnt im 13. Jh. Gebete an den ewigen Himmel. Man erfleht den Segen des „Himmelsvaters" (Tengri ecige), man bittet ihn um Schutz und Hilfe, um Vermögen und Glück, um gutes Wetter, vor allem um den für die Steppe notwendigen Regen. Auch Eide werden bei Tengri geschworen, der über ihre Wahrheit und Einhaltung wacht. Denn er besitzt eine visuelle Allwissenheit. Er sieht alles; daher weiß er Bescheid über das Verhalten der Menschen und bestraft ihre Vergehen. Dieser Gott steht an der Spitze des mongolischen Pantheons, dessen zahlenmäßige Größe sich teilweise aus Götterspaltungen ergibt. So werden neben dem „ewigen Himmel" 99 weitere „Himmlische" (tengri) verehrt. Sie sind nicht als bloße Kollektivnumina zu verstehen, denn sie werden oft durch Beinamen individualisiert und auf bestimmte Funktionen festgelegt. Zu den unter ihnen herausragenden Gestalten gehört Jayaghaci tengri, von dem es heißt, daß er nicht vom allmächtigen Himmel geschaffen, sondern aus sich selber entstanden sei. Er ist ein wohlwollender Glücksbringer, vornehmlich ein Beschützer des Viehs. Qormusta qan tengri, der „König der Tengri", gilt, ohne hierbei die überragende Macht des „ewigen Himmels" (möngke Tengri) in Frage zu stellen, als Oberhaupt der 99 Tengri. Den himmlischen Mächten korrespondieren diejenigen der Erde. Auch ihre sehr beträchtliche Anzahl ist teilweise durch Götterspaltung bedingt. So werden neben der „Erdmutter" (Etügen eke) oder „Erdmutter-Fürstin" (Etügen qayan) 77 weitere Erdmütter verehrt. Hinzu kommen sehr viele männliche Numina der Erde, die lokal unterschieden und jeweils als „Herren des Ortes" (yajarun ejen) verehrt werden. Ihre Kultstätten, die einzigen öffentlichen Heiligtümer vor der Lamaisierung der Mongolei, finden sich auf Höhen, an Pässen und Wegkreuzungen und sind durch einen Obo gekennzeich-
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net. Ein O b o ist ein unregelmäßiger Steinhaufen. „Er entsteht, indem Wanderer vorhandenen Steinen neue Steine, Tuchlappen, Schwanzhaare ihrer Reit- oder Lasttiere unter Segenswünschen hinzufügen, als Dank für glückliches Geleit und als Bitte um weiteren gnädigen Schutz" (Lessing 167). Der Glaube an eine numinose Belebung der natürlichen Umwelt bezog sich auch auf Flüsse, Seen, Höhlen und in besonders ausgeprägtem Masse auf Berge, die als Wohnsitz von Berggeistern galten. Im Zusammenhang hiermit steht die seit frühen Zeiten nachweisbare Bestattung von Toten auf halber Bergeshöhe. Für das Leben in der Steppe besitzt neben der freien Natur die Jurte als menschliche Behausung entscheidende Bedeutung. Ihr Eingang, der stets nach Süden ausgerichtet ist, wird von Hausgöttern flankiert, denen Libationsopfer dargebracht werden. Es sind dies Figuren, die aus Fellen, Filz, Seidenstreifen und Lappen gebildet werden. Die Jurte soll ohne Waffe betreten und ihre Schwelle nicht berührt werden. Im Inneren muß vermieden werden, die Füße dem Feuer zuzuwenden, um den Feuergott nicht zu beleidigen. Dieser Gott des Feuers ist seit alten Zeiten von den Mongolen verehrt worden. Jeweils am letzten Tag eines Jahres wird er mit einer Feuerzeremonie geehrt, bei der ihm Opfer dargebracht und zahlreiche Feuerhymnen vorgetragen werden. Der Gott trägt verschiedene Namen, vornehmlich wird er „jüngstgeborener Feuerkönig" (Odqan yalaqan) genannt, wobei sich die Bezeichnung mit „jüngstgeborener" davon herleitet, daß stets der jüngste Sohn eines Mongolen die väterliche Jurte und damit die in ihr befindliche Feuerstätte erbt. Eine weibliche Erscheinungsform der Feuergottheit ist die „Mutter, jüngste Feuerkönigin" (Odqan yalaqan eke). Für die Nomaden spielen verständlicherweise Gottheiten der Herden und Reitergötter eine bedeutende Rolle. Cayan ebügert, der „weiße Alte", ist eine spezielle Gottheit der Herden und ihrer Fruchtbarkeit. Vorgestellt wird er als weißhaariger, weißbärtiger und weißgekleideter Greis. Unter den Reitergöttern tritt Geser Khan als besonders kriegerische Gestalt hervor. Er gilt als Sohn des Himmels, und ihm wird Macht über alle Feinde wie auch über die Dämonen zugesprochen. Aber auch den Schutz der Pferde und die Verleihung des Jagdglücks erwartet man von ihm. An der Spitze der Ahnengottheiten steht Dschingis Khan. Die Legende hat diese größte Gestalt der mongolischen Geschichte ins Übermenschliche erhoben, und die Sänger seines Volkes halten in ihren Liedern die Erinnerung wach an wundersame Ereignisse seines Lebens. Danach soll Dschingis Khan nicht auf natürliche Weise geboren, sondern vom Himmel herabgefallen sein. Er hat die Welt erschaffen und ist ausgezogen, um sie von allen Ungeheuern zu befreien. Auch sein Tod, den er nach historischen Überlieferungen zu verheimlichen befohlen hatte, erfolgte nicht auf natürliche Weise. Vielmehr wollten die Mongolen gesehen haben, wie zur Stunde seines Abschieds von dieser irdischen Welt ein riesiger weißer Falke, das Wappentier der Dschingisiden, mit Sonne und Mond in seinen Fängen, zum Himmel aufflog und in höchsten Höhen plötzlich verschwand. Dschingis Khan gilt seitdem als „Verborgener Heilbringer" (Lanczkowski). Die Hoffnung auf seine einstige Rückkehr, die Vorstellung, daß er mit seinen Reitern wiederkommen und sein Reich aufs neue errichten werde, ist bis in die jüngste Zeit hinein im mongolischen Volk lebendig geblieben. Zwischen den profilierten Gestalten des mongolischen Pantheons und den Menschen steht die große Schar der Geister. Es sind Kollektivmächte, die entweder, wie dies im allgemeinen für die Ongg/?oi-Schutzgeister zutrifft, den Menschen wohlgesonnen sind oder aber böse und schadenbringend wirken. Zu den letzteren zählen die Kölcin, Gespenster von erschreckendem Aussehen, die Albin-Irrlichter und die Acfa-Dämonen, die in der Luft schwebend gedacht werden. Der Verkehr mit diesen Geistern obliegt, mit dem Ziel, böse zu bannen und gnädige zu Beistand und Hilfe herbeizurufen, einem ekstatischen Priestertum, dessen männliche Vertreter mit Böge (Umgangssprache ßo) und die weiblichen mit Iduyan bezeichnet
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werden. Beider Wissen und Wirken wird im Unterschied zur Gelben Kirche des Lamaismus mit „schwarzer Lehre" (gara nom) bezeichnet; hierfür hat sich bei uns, trotz der damit verbundenen Unschärfe, der Begriff des -> Schamanismus eingebürgert. Der Lamaismus hat die „schwarze Lehre" b e k ä m p f t , jedoch, vor allem im Bereich der M a n tik, nicht völlig ausrotten können. Die einheimische Religion der Mongolen ist von fremdreligiösen Einflüssen nicht unberührt geblieben. Die ->Nestorianische Kirche hatte seit dem 10. Jh. mit Erfolg Teile des mongolischen Volkes missioniert und um 1200 in Zentralasien eine bedeutende Stellung gewonnen. Sie erlitt dann allerdings durch den Mongolensturm in vielen ihrer Verbreitungsgebiete entscheidende Verluste. Auch der sunnitische -»Islam, der im 13. Jh. bei den Mongolen Einfluß erlangte, ist nur vorübergehend von Bedeutung. In derselben Zeit entstanden auch erste Übersetzungen buddhistischer Werke in die mongolische Sprache, nach uigurischem Vorbild. Die Reise, die der 3. Dalai Lama im Jahre 1576 in die Mongolei unternahm, bildete ein ausschlaggebendes D a t u m . Für J a h r h u n d e r t e hat dann die tibetische Sonderform des Buddhismus die religiöse Gestalt der Mongolei geprägt und mit ihren Klosterbauten das Gesicht ihrer Kultlandschaft bestimmt. Unbeschadet gewisser Synkretismen mit der angestammten Religion der Mongolen war der tibetische Einfluß entscheidend, und das Tibetische war die im Kult und weitgehend auch in der sakralen Literatur gebräuchliche Religionssprache. Seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jh. ist diese geistig beherrschende Stellung des Lamaismus sowohl in der China eingegliederten Inneren Mongolei als auch in der Äußeren Mongolei, die am 26.1.1924 zur Mongolischen Volksrepublik erklärt wurde, in einem rapiden Rückgang begriffen, so d a ß sich auch hier, wie für seine tibetischen Kernlande, die Frage stellt, ob der Lamaismus als eine heute im Untergang begriffene Religion anzusehen ist.
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Günter Lanczkowski
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Monismus/Monistenbund
Monismus/Monistenbund 1. M o n i s m u s 1.1. Begriff 1.2. Z u r Begriffsgeschichte 2. Die monistische Bewegung 3. D e r Deutsche M o n i s t e n b u n d ( D M B ) ( Q u e l l e n / M o n i s t i s c h e Z e i t s c h r i f t e n / L i t e r a t u r S. 217)
1.
Monismus
1.1. Begriff Monismus (vom griech. fj,övoQ= einzig, allein) ist die in der Regel sehr allgemeine Bezeichnung für eine Weltanschauung bzw. Weltdeutung, die im Unterschied zum - • D u a l i s m u s oder Pluralismus als G r u n d der Wirklichkeit nur ein einziges absolutes Prinzip annimmt und die Welt in allen ihren Erscheinungsformen als eine einheitliche Größe zu begreifen versucht. „Dies kann entweder so geschehen, d a ß der Vielfalt der Erscheinungen ein eigenes Prinzip der Einheitsstiftung vorgeordnet, also ein relatives Recht von Dualismus bzw. Pluralismus anerkannt wird. Oder eine dualistische bzw. pluralistische Weltsicht wird als Schein erwiesen, indem eines der Elemente des Dualismus bzw. Pluralismus selbst als weiter nicht rückführbares Prinzip letzter Einheit aufgezeigt w i r d " (Graf 833). — Im einzelnen können zumindest drei Bedeutungsebenen genannt werden, auf denen der Begriff beheimatet ist bzw. gebräuchlich war: 1.1.1. Von der religionsgeschichtlichen Forschung sind solche Religionen „ m o n i s t i s c h " g e n a n n t w o r d e n , die im Unterschied zu den O f f e n b a r u n g s r e l i g i o n e n alle Erscheinungen der Wirklichkeit aus einer — meist n a t u r h a f t vorgestellten — letzten Einheit zyklisch h e r v o r g e h e n lassen, in welche diese Erscheinungen auch wieder z u r ü c k k e h r e n w e r d e n . Die religionsgeschichtliche Betrachtungsweise des M o n i s m u s betont: „ D e r M o n i s m u s ist wesentlich primitiv-mystisch wie m o d e r n - w i s senschaftlich auf die A n s c h a u u n g der Natur gegründet; das zyklische N a t u r l e b e n ist in G r i e c h e n l a n d wie in Indien sein großes Vorbild, die Folie, auf welcher er sich entwickelt. D a h e r h a b e n die Religionen, die nicht vom Werden des G a n z e n , s o n d e r n von einer S c h ö p f u n g s t a t G o t t e s reden (Jud e n t u m , Islam u n d C h r i s t e n t u m ) nie e t w a s von ihm wissen w o l l e n " (v.d. Leeuw: R G G 2 4, 172; vgl. Ders., P h ä n o m e n o l o g i e 713—718 [ M o n i s m u s = „Religion der Unendlichkeit u n d der Askese"]). - In der neueren religionsgeschichtlichen F o r s c h u n g wird der Begriff zur Klassifizierung der Religionen k a u m m e h r verwendet (vgl. M c D e r m o t t 64).
1.1.2. In der Philosophiegeschichte wurde der Begriff M o n i s m u s unterschiedlichen metaphysischen Systementwürfen des 18. und 19. Jh. zugeordnet, die lediglich darin eine gewisse Übereinstimmung zeigen, daß sie die Vielheit des Seins als Manifestationen eines einheitlichen Prinzips zu erklären versuchen. Erwin Metzke nannte 1949 folgende, an dem jeweiligen „absoluten Prinzip" orientierte Beispiele: „Materie ( = materialistischer Monismus), oder Geist ( = spiritualistischer Monismus, Hegel), oder Wille ( = voluntaristischer Monismus, Schopenhauer), oder eine Ursubstanz, deren Erscheinungsweisen das Materielle und Geistige sind (Spinoza, auch Schellings Identitätsphilosophie), oder eine völlig neutrale einheitliche Wirklichkeit (neutraler M o n i s m u s ) " (Metzke 197). Eine enger umgrenzte Bestimmung erhielten die Worte M o n i s m u s / M o n i s t e n gegen Ende des 19. Jh., als sie zur programmatischen Bezeichnung der Ziele einer Popularphilosophie gewählt wurden, deren Vertreter die Emanzipation der Naturwissenschaften forderten und eine säkulare Weltanschauung mit weitgehend ersatzreligiösem Charakter unter der kultur- und kirchenkritischen Parole „ M o n i s m u s " öffentlich verbreiteten (s.u.2.). 1.1.3. Im allgemeineren Sprachgebrauch bezeichnet M o n i s m u s jegliche Z u r ü c k f ü h r u n g einer M a n n i g f a l t i g k e i t auf eine Einheit b z w . die Ableitung verschiedener P h ä n o m e n e a u s einem einzigen Prinzip. „ S o k a n n von einem biologischen, von einem psychologischen, ethischen, soziologischen M o n i s m u s gesprochen w e r d e n , auch von einem e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e n M o n i s m u s , welcher die Gegensätze von Sein u n d Bewußtsein, O b j e k t u n d Subjekt d u r c h Z u r ü c k f ü h r u n g alles Gegebenen auf das Bewußtsein o d e r auf die E r f a h r u n g o d e r auf Erlebnisse, Elemente, E m p f i n d u n g e n zu überbrücken s u c h t " (Eisler/Müller-Freienfels 407).
Monismus/Monistenbund 1.2. Zur
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Begriffsgeschichte
1.2.1. Als älteste Belege für die Bezeichnung „ M o n i s t " gelten Definitionen in den Werken von Christian -»Wolff (vgl. Hillermann: A B G 20, 2 1 4 - 2 3 5 ; zu Wolff vgl. T R E 22, 646, 4 - 2 4 ) . „Monistae dicuntur philosophi, qui unum tantummodo substantiae genus admittunt" [Monisten heißen Philosophen, die nur eine Art Substanz annehmen] (Psychologia Rationalis [1734] G W II, 6, 24). In der Vorrede der Schrift Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen (1721) bezeichnet Wolff mit dem Begriff jene Philosophen, die im Gegensatz zum cartesischen Dualismus von res cogitans und res extensa nur eine einzige Grundsubstanz annehmen. Dabei unterscheidet Wolff zwischen „zweyerley G a t t u n g " von Monisten: „Idealisten oder Materialisten. Jene geben blosse Geister oder auch solche Dinge zu, welche nicht aus Materie bestehen . . . Diese hingegen räumen keinem Dinge in der Welt-Weißheit als dem coerperlichen einen Platz ein und halten die Geister und Seelen bloß für eine coerperliche Kraft, nicht aber für ein besonderes bestehendes Wesen" (GW I, 2, XVIII; zur Wirkungsgeschichte der Wölfischen Definitionen vgl. T R E 22, 263, 2 - 4 2 ) . 1.2.2. Bis etwa 1830 blieb der Begriff M o n i s m u s ein selten gebrauchter Schulausdruck, der jedoch in lexikalischen und philosophiegeschichtlichen Werken stets aufgeführt wurde (Belege bei Hillermann/Hügli 135, A.4). Der von —»Hegel durch eine sehr positive Rezension ausgezeichnete Jurist und Religionsphilosoph Carl Friedrich Göschel (1784-1861; vgl. H a u b o l d u. T R E 14, 551, 50f) veröffentlichte nach Hegels Tod die Studie Der Monismus des Gedankens. Zur Apologie der gegenwärtigen Philosophie am Grabe ihres Stifters, in der er den M o n i s m u s den „Kernpunkt der gegenwärtigen Philosophie" nannte (Vorrede). Der Begriff sollte bei Göschel d e m N a c h w e i s dienen, d a ß die Hegeische Philosophie und die ihr folgende —»-Spekulative T h e o l o g i e mit d e m kirchlichen C h r i s t e n t u m w i d e r s p r u c h s l o s zu vereinbaren seien. Dabei stand Göschel i n s b e s o n d e r e in A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Christian H e r m a n n Weisse (1801 — 1866), der den D u a l i s m u s von „ I n h a l t " und „ F o r m " der religiösen „ A n s c h a u u n g e n " bzw. „ V o r s t e l l u n g e n " in Hegels Religionsphilosophie schon 1829 kritisch zur Diskussion gestellt hatte (vgl. R ö h l s 444 — 450). Weisse erklärte, es sei nicht möglich, von den bloß logischen Kategorien des Seins aus zu d e m in diesen F o r m e n existierenden Wirklichen zu gelangen, o h n e die E r f a h r u n g mit heranzuziehen. Göschel sah angesichts solcher R ü c k f r a g e n bereits zu diesem Z e i t p u n k t den d r o h e n d e n Z e r f a l l der Hegelschule v o r a u s ; d u r c h die B e t o n u n g der „ m o n i s t i s c h e n " S t r u k t u r des Hegeischen D e n k e n s sollte dieser E n t w i c k l u n g entgegengewirkt w e r d e n . Göscheis B e m ü h u n g e n f a n d e n bei H e r m a n n Friedrich Wilhelm H i n r i c h s ( 1 7 9 4 - 1 8 6 1 , vgl. J W K 6, 1832 N r . 9, 7 1 - 8 4 ) , Karl R o s e n k r a n z (1805 — 1879) und J o h a n n E d u a r d E r d m a n n (1805 — 1892) ein gewisses Echo. In den großen S c h u l a u s e i n a n d e r s e t z u n g e n nach 1835 (vgl. T R E 14,552, 1 0 f f ) h a t Göscheis M o n i s m u s T h e s e aber n u r eine beiläufige Rolle spielen k ö n n e n (vgl. Göschel, Beiträge 88—97).
1.2.3. Im letzten Drittel des 19. Jh. erhielt der Begriff M o n i s m u s im Z u s a m m e n h a n g mit der Rezeption der Evolutionslehre Ch. —»Darwins in Deutschland einen neuen und besonderen Bedeutungsinhalt, der zu einer enormen Popularisierung des Wortes führte. Der Indogermanist und Sprachwissenschaftler August Schleicher (1821 —1868) hatte 1863 ein Offenes Sendschreiben über Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft an Ernst Haeckel (s. u. 2.) gerichtet. In diesem Schreiben hieß es: „Die Richtung des Denkens der Neuzeit läuft unverkennbar auf Monismus hinaus. Der Dualismus, fasse man ihn nun als Gegensatz von Geist und N a t u r , Inhalt und Form, Wesen und Erscheinung, oder wie man ihn sonst bezeichnen mag, ist für die naturwissenschaftliche Anschauung unserer Tage ein vollkommen überwundener S t a n d p u n k t " (8). Haeckel übernahm die Monismus-These von Schleicher und erklärte, sie bezeichne „mit treffender Wahrheit den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Dualismus und Monismus, der unsere gesammte Naturwissenschaft, wie die ganze Denkthätigkeit unserer Zeit in zwei feindliche Heerlager t r e n n t . . . So werden wir uns dieses kurzen und bequemen Ausdrucks stets bedienen, w o es darauf a n k o m m t , an die von uns ausschliesslich befolgte M e t h o d e zu erinnern" (Morphologie 1,106f).
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Monismus/Monistenbund
1.2.4. Nach dem Ersten Weltkrieg hat der Begriff Monismus nur noch im Umfeld des Deutschen Monistenbundes (s.u. 3.) und bei einigen freireligiösen Gemeinschaften als popularphilosophische, religiös-weltanschauliche Formel Verwendung gefunden. Bemühungen in der marxistischen Literatur, dem Begriff neue definitorische Akzente zu verleihen, sind zwar bis in die jüngste Zeit hinein unternommen worden, kamen aber über schulinterne Diskussionsansätze nicht hinaus (Lit. bei Strüning 448 f). 2. Die monistische
Bewegung
2.1. Im Zusammenhang mit der stürmischen Entwicklung der positivistischen -»Naturwissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jh. entstand eine popular-wissenschaftliche Bewegung, in der die völlige Emanzipation der Naturwissenschaften und ihrer Ergebnisse von allen kirchlich-theologischen Lehraussagen gefordert wurde. Der aus Deutschland stammende Paul Carus (1852 — 1919) begründete in den USA im Jahre 1890 die Zeitschrift The Monist, in der es programmatisch heißt: der Monismus sei nicht nur das Zentrum aller Wissenschaften, sondern auch dazu bestimmt, „to penetrate the public mind . . . to direct all efforts at reform, and to regenerate our entire spiritual life in all its various fields" (The Monist 4, 545). Die Frage nach der exakten Definition dessen, was der Monismus sei, tritt schon bei Carus hinter der Aussage zurück, daß es sich hierbei um die entscheidende neue Bewegung des „wissenschaftlichen Zeitalters" handele (vgl. Haeckels Beitrag zur Definition von Monismus: The Monist 2, 4 8 1 - 4 8 6 ) . 2.2. In Deutschland hatte der an der Universität —»Jena lehrende Zoologe und Naturphilosoph Ernst Haeckel (1834-1919) schon in den 60er Jahren des 19. Jh. begonnen, die Evolutionstheorie Darwins zu popularisieren und sie durch eigene naturwissenschaftliche Untersuchungen zu stützen und weiterzuentwickeln („Biogenetisches Grundgesetz" = Parallelität zwischen Onto- und Phylogenese). In Haeckels populärwissenschaftlichen Schriften wird der Begriff Monismus zur Chiffre für eine freireligiöse Weltanschauung, in der die moderne Wissenschaft und die auf ihren Wesenskern reduzierte Religiosität des Menschen zu einer vorgegebenen Harmonie zurückgekehrt sein sollen. Nach zahlreichen Einzelveröffentlichungen, die bereits eine ungewöhnliche öffentliche Resonanz zu verzeichnen hatten, gab Haeckel 1899 „Gemeinverständliche Studien über Monistische Philosophie" unter dem Buchtitel Die Welträthsel heraus. In diesem sensationell erfolgreichen Buch (bis 1918 wurden 340000 Exemplare gedruckt, hinzu kamen Übersetzungen in 24 Sprachen) stellte Haeckel seine Naturphilosophie in vier Kapiteln (Anthropologie - Psychologie - Kosmologie - Theologie) für eine breite Leserschaft sehr anschaulich dar und verband sie mit der Forderung nach Freiheit der Wissenschaft von jeglicher Bevormundung durch einen anachronistischen Kirchenglauben (vgl. T R E 4, 362, 14ff; 397, 56ff). 2.2.1. Haeckel wollte die „denkenden, ehrlich die Wahrheit suchenden Gebildeten aller Stände" erreichen, ihnen die „ungeheuren Fortschritte der wirklichen Natur-Erkenntnis" vermitteln und sie auf den „offenkundigen Widerspruch" aufmerksam machen, der zwischen moderner Wissenschaft und der „gelehrten Tradition der ,Offenbarung'" entstanden sei (Vorwort zur 1. Aufl.). Unter Berufung auf -»Spinoza und -»Goethe proklamierte Haeckel eine „monistische Religion", die als „Religion der Vernunft" in Harmonie mit der Wissenschaft der Zeit stehen will und die „drei Kultus-Ideale des Wahren, Guten und Schönen" verkündet. Die moderne Naturwissenschaft zertrümmere „nicht bloß die Wahngebilde des Aberglaubens", sondern sie errichte auf „dem frei gewordenen Bauplatze . . . einen Palast der Vernunft, in welchem wir mittelst unserer neu gewonnenen monistischen Weltanschauung die wahre .Dreieinigkeit' des 19. Jahrhunderts andächtig verehren, die Trinität des Wahren, Guten und Schönen". Weil die christliche Religion „in ihrer ursprünglichen, reinen Form" einen „hohen sittlichen Werth" besitze und „eng mit den wichtigsten socialen und politischen Einrichtungen unseres Kulturlebens verwachsen" sei, bedürfe es keiner gewaltsamen Revolution, „sondern eine vernünftige Reformation unseres religiösen Geisteslebens" werde die Begründung der „monistischen Religion" in Anlehnung an die „bestehenden Institutionen" begründen helfen (Welträthsel [1903, Volks-Ausgabe] 135). Haeckel rief zur Bildung von „freien Gemeinden des Monimus" auf, denen als „Andachtshäuser" christliche Kirchengebäude zur Verfügung gestellt werden sollten (138).
Monismus/Monistenbund
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D u r c h die h o h e n Auflagen seiner Schriften und durch eine rastlose Vortragstätigkeit erreichten H a e c k e l s Lehren im In- und Ausland weite P o p u l a r i t ä t , nicht nur bei einem fortschrittsgläubigen B i l d u n g s b ü r g e r t u m , sondern auch - und insbesondere - bei Vertretern der u m Volksbildung b e m ü h t e n - » A r b e i t e r b e w e g u n g . D a s W o r t „ M o n i s m u s " wurde - obgleich schon die zeitgenössische Kritik seine Allgemeinheit und U n s c h ä r f e bemängelte (vgl. M a u t h n e r 345) - zur weit verbreiteten weltanschaulichen Parole. H a e k kel verkündete: D a s h ö c h s t e Ziel der menschlichen „ G e i s t e s t h ä t i g k e i t " sei die „Verschmelzung von Religion und W i s s e n s c h a f t im M o n i s m u s " ( M o n i s m u s als B a n d [ ' 1 8 9 3 ] 8; T R E 4 , 4 0 0 , 3 5 f f ) . Unter dieser keineswegs einheitlich interpretierten Zielsetzung s a m m e l t e n sich im letzten J a h r z e h n t des 19. J h . Philosophen, T h e o l o g e n , P ä d a g o g e n , Philologen, H i s t o r i k e r und N a t u r w i s s e n s c h a f t l e r unterschiedlicher H e r k u n f t : Eduard v. Hartmann (1842-1906), Christoph Schrempf (1860-1944), Wilhelm Bölsche ( 1 8 6 1 - 1 9 3 9 ) , A r t h u r D r e w s ( 1 8 6 5 - 1 9 3 5 ) , Friedrich Steudel ( 1 8 6 6 - 1 9 3 9 ) , M a x M a u renbrecher ( 1 8 7 5 - 1 9 3 0 ) . D . F . - > S t r a u ß ( G l a u b e 1 5 3 - 1 6 6 ) und R u d o l f Steiner (vgl. T R E 3, 8 - 2 0 ) waren von den G r u n d g e d a n k e n des M o n i s m u s zumindest zeitweilig beeindruckt. 2.2.2. Eine besondere Stellung kam im Kreis der Monisten dem Chemiker und Naturphilosophen Wilhelm Ostwald (1853-1932) zu, dessen Monistische Sonntagspredigten (1911 -1913 als „Beilage" der von ihm hg. Wochenschrift Das monistische Jahrhundert erschienen) auf allgemeine ethische Fragen und politische Zeitereignisse eingingen und diese „im monistischen Sinne" interpretierten. Die unter den Monisten schon vor 1914 viel verhandelte Frage nach „Patriotismus und Internationalismus" beantwortete Ostwald mit einem Plädoyer für eine ausgleichende Politik zwischen den Nationalstaaten: „Die stetige Arbeit jedes wahren Monisten soll . . . in aller politischen Betätigung dahin gerichtet sein, daß nicht nur die eigene Nation so glücklich frei und erfolgreich wie möglich leben kann, sondern daß ähnliche Möglichkeiten auch allen Nachbarvölkern . . . zuteil werden" (Predigt Nr. 82, 14.6.1913; zum gleichen Thema Predigt Nr. 93, 29.11.1913). Diese Haltung wurde während des Ersten Weltkrieges und in der Zeit danach von Carl v. Ossietzky (1889-1938) eindrucksvoll vertreten, der seinen Pazifismus mit einer „monistischen" Überwindung des „schädlichen Dualismus" der Politik und Weltanschauungen begründete (55f). 2.2.3. D i e monistische B e w e g u n g hatte folgenreichen Einfluß auf einzelne Vertreter der - » L i b e r a l e n T h e o l o g i e und spielte bei einigen Aufsehen erregenden L e h r b e a n s t a n dungsverfahren (—»Lehrverpflichtung) eine R o l l e . Christoph Schrempf löste 1891 durch seine Weigerung, bei Taufen das -»Apostolische Glaubensbekenntnis zu sprechen, ein Lehrzuchtverfahren gegen sich aus, das zu seiner Dienstentlassung führte (vgl. T R E 3, 561, 4ff). Schrempf hielt sich für „einen der entschlossensten Monisten", obgleich er annahm, daß er „nicht von jedem Monisten als Gesinnungsverwandter anerkannt werde" (185). Schrempf versuchte zu zeigen, daß das Christentum trotz dualistischer Elemente eine deutliche Affinität zum Monismus habe (193f). Für einen Christen bedeute Monismus die Herausforderung, den traditionellen personalen Gottesbegriff in Frage stellen und auf ein persönliches Gottesverhältnis verzichten zu müssen. Der „Gewinn dieser Erkenntnis" bestehe darin, daß „mit dem Gott Ernst" gemacht werde, „dessen Wesen darin besteht, daß aus ihm, in ihm und zu ihm alle Dinge sind" (203). Im Jahre 1909 trat Schrempf aus seiner Landeskirche aus und griff erst anläßlich des „Falles" —»Jatho wieder in die innerkirchlichen Auseinandersetzungen ein. Auch der früher im National-sozialen Verein tätige evangelische Pfarrer Max Maurenbrecher war aus der Kirche ausgetreten und aktives Mitglied des Monistenbundes (s.3.) geworden. Er setzte sich mit der monistischen und pantheistischen Frömmigkeit Jathos intensiv auseinander und deutete den Erlaß des preußischen „Irrlehregesetzes" vom 16. März 1910 sowie die Dienstentlassung von Jatho (vgl. T R E 16, 546, 32ff) als eine Verurteilung der gesamten monistischen Bewegung durch die evangelische Kirche. „Und darum bleibt uns nichts anderes übrig, als aus der Kirche auszutreten und neue Gemeinschaften derer zu bilden, die vom Boden unseres monistischen Weltbildes aus gemeinsam Weihe, Vertiefung und Bindung unseres persönlichen Lebens suchen" (Maurenbrecher, Jatho 28). 3. Der Deutsche
Monistenbund
(DMB)
3.1. A m 11. J a n u a r 1906 wurde in J e n a der Deutsche Monistenbund ( D M B ) gegründet. D i e G r ü n d u n g erfolgte unter dem entscheidenden Einfluß von H a e c k e l , der
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Monismus/ Monistenbund
bereits auf dem 10. Internationalen Freidenker-Kongreß (—»Freidenker) in Rom im September 1904 dreißig „Thesen zur Organisation des Monismus" vorgestellt hatte (Die 30 Thesen des Monismus, Frankfurt 1908). Neben Haeckel (Ehrenpräsident des Bundes bis zu seinem Austritt im Jahre 1919) stand bei der Gründung des DMB der Bremer Pfarrer Albert Kalthoff (1850-1906), der auch sein erster Vorsitzender wurde. Der Monistenbund trat mit folgendem Aufruf an die Öffentlichkeit: „Die ständig wachsende Gefahr, mit der Ultramontanismus und Orthodoxie unser gesamtes wissenschaftliches, kulturelles und politisches Leben bedrohen, kann nur abgewendet werden, wenn den Mächten der Vergangenheit eine überlegene geistige Macht in Gestalt einer einheitlichen, neuzeitlichen Weltanschauung entgegengestellt wird . . . Diese Weltanschauung der Zukunft kann nur eine monistische sein, eine solche, die einzig und allein die Herrschaft der reinen Vernunft anerkennt, dagegen den Glauben an die veralteten traditionellen Dogmen und Offenbarungen verwirft" (Fünf Jahre Deutscher Monistenbund, München-Gräfelfing 1911, 6).
Nach seiner Satzung wollte der Monistenbund für „eine in sich einheitliche, auf Naturerkenntnis gegründete Welt- und Lebensanschauung wirken, ihre Anhänger sammeln und in Verbindung setzen". Parteipolitik sollte ausgeschlossen sein; der Bund wollte seine Ziele - insbesondere in der Kulturpolitik - durch die Herausgabe von Flugschriften und Büchern sowie durch Vortragstätigkeit seiner Mitglieder erreichen. Auf jährlichen Hauptversammlungen („Monistentage") wurden an die Öffentlichkeit gerichtete Aufrufe zu aktuellen Fragen verabschiedet, z. B. für die Simultanschule mit einem konfessionslosen „Moralunterricht", für die Einführung einer neutralen Eidesformel, für die völlige Trennung von Kirche und Staat, für Gesundheitsatteste bei Eheschließungen, für die Feuerbestattung u. a. m. (vgl. den „Aufruf des Deutschen Monistenbundes": Monistischer Taschenkalender, Leipzig 5 [1915] 1 5 - 1 9 ) . 3.2. Schon auf der Hauptversammlung des Jahres 1909 in München versammelten sich etwa 8.000 Personen. Der Ausbau des Monistenbundes erfolgte über ca. 40 Ortsgruppen, in denen bis zu 600 Mitglieder zusammengeschlossen waren (Zentren in Berlin, München, Bremen, Hamburg). Als prominente Mitglieder galten in der Frühzeit des Bundes neben Haeckel, Ostwald und Bölsche der Philosoph Friedrich Jodl (1849-1914), der Dichter Karl Hauptmann (1858-1921) und der Theologe und Dichter Bruno Wille (1860-1928). Die Mitgliederzahl stieg von 500 (1907) bis auf über 6.000 im Jahre 1912 an; danach sank sie bis auf 3.200 im Jahre 1929. Hinter der Entwicklung der Mitgliederzahlen wird ein Konflikt sichtbar, der den DMB vor und während des Ersten Weltkrieges beinahe spaltete. Konfliktfrei war die Vereinigung der Monisten zu keiner Zeit, weil die sehr allgemeinen Ziele des Bundes höchst unterschiedliche tagespolitische und kulturpolitische Einzelentscheidungen zuließen. Schon im Jahre 1907 war als Gegengründung zum Monistenbund der (evangelische) „Keplerbund" ins Leben gerufen worden, der im Blick auf die Popularisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ähnliche Ziele wie der Monistenbund vertrat, diese aber mit einer „theistischen" Weltanschauung zu verbinden versuchte. Umstritten war auch der in den Jahren zwischen 1907 und 1911 erfolgende Zusammenschluß des DMB mit etlichen Freidenkerverbänden im sog. Weimarer Kartell (vgl. T R E 11, 491, 38 ff). Viel diskutiert wurde die Frage, ob der Monistenbund lediglich die Rolle einer Abwehrorganisation gegen fortschrittfeindliche Übergriffe von Kirche und Staat auf die Freiheit des Individuums übernehmen solle, oder ob es nicht geboten sei, von der monistischen Weltanschauung aus einen eigenen freireligiösen Kult zu entwickeln („Namengebung, Jugendweihe, Hochzeit, Begräbnis"; —»Freireligiöse Bewegungen). Umstritten war auch die Frage, ob man die von etlichen örtlichen Komitees betriebene „Propagierung des Kirchenaustritts" allgemein intensivieren solle (vgl. zu diesen Themen: Willy Blossfeldt [Hg.], Der Magdeburger Monistentag . . . vom 6 . - 9 . September 1912, München 1913, 25; 113 u.ö.). Es kam bereits im Jahre 1909 zu äußerst scharfen Gegenreaktionen des Erzbischofs von München-Freising (Fricke 192; zur „Abwehr des
Monismus/Monistenbund
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M o n i s m u s a l s W e l t a n s c h a u u n g " a u s k a t h o l i s c h e r S i c h t vgl. B a r o n 1 4 0 0 f u n d M i n g e s ) . A b e r nicht derartige k o n t r o v e r s e Diskussionen u n d von a u ß e n k o m m e n d e Kritik bracht e n d e n M o n i s t e n b u n d in i n n e r e S c h w i e r i g k e i t e n , s o n d e r n in d e r F r a g e n a c h d e r S t e l l u n g d e r M o n i s t e n z u m W e l t k r i e g u n d zu d e n Kriegszielen k a m ein k a u m zu ü b e r b r ü c k e n d e r Dissens z u m
Ausbruch.
Die auf u m f a s s e n d e H a r m o n i e ausgerichtete W e l t a n s c h a u u n g der M o n i s t e n ließ eine B e j a h u n g kriegerischer A u s e i n a n d e r s e t z u n g e n k a u m zu. Die „ E r k e n n t n i s " der Vertreter des M o n i s m u s tendierte vielmehr eindeutig zu einem v ö l k e r v e r b i n d e n d e n I n t e r n a t i o n a l i s m u s u n d z u m Pazifismus (seit 1911 g a b es d a s „ I n t e r n a t i o n a l e Komitee f ü r M o n i s m u s " mit Sitz in H a m b u r g ; f ü r 1914 w a r ein Internationaler M o n i s t e n - K o n g r e ß in M ü n c h e n geplant). Die E n t s c h e i d u n g z u m Kriegseintritt D e u t s c h l a n d s w u r d e d e s h a l b von vielen M o n i s t e n als leider u n u m g ä n g l i c h e politische N o t w e n digkeit u n d als u n v e r m e i d b a r e r Z w a n g a u f g e f a ß t . Bei Kriegsbeginn g a b allerdings O s t w a l d (Vorsitzender von 1 9 1 1 - 1 9 1 5 ) die Parole aus, sich mit „ P e r s o n u n d H a b e " f ü r d a s Vaterland einzusetzen, bis der D e u t s c h l a n d „ a u f g e z w u n g e n e Krieg siegreich zu E n d e g e f ü h r t " sei (Das monistische J h . 3.2 [1914] 497). H a e c k e l unterschrieb den k r i e g s b e j a h e n d e n Aufruf „ A n die K u l t u r w e l t " vom 2. O k t o b e r 1914 (vgl. H ä r l e ) . Die Mitteilungen des Deutschen Monistenbundes w ä h r e n d der Kriegsjahre spiegeln d a n n aber eine z u n e h m e n d e Kritik an einer vorbehaltlosen Z u s t i m m u n g zum Kriegsgeschehen und erst recht an annexionistischen Kriegszielen. O s t w a l d , der nach 1914 v o r b e h a l t l o s in d a s Lager der B e f ü r w o r t e r des Krieges übergegangen w a r , legte d e s h a l b 1915 sein A m t als Vorsitzender nieder. Insgesamt setzte sich w ä h r e n d der Kriegsjahre im M o n i s t e n b u n d ein g e m ä ß i g t e r Pazifismus d u r c h (Fricke 194). Gleich nach Kriegsende diskutierte der Vorstand erneut über das T h e m a „ M o n i s m u s u n d Pazifismus" u n d k a m zu d e m Ergebnis: „ D e r M o n i s t e n b u n d m u ß z u m Pazifismus w i s s e n s c h a f t l i c h Stellung n e h m e n . . . D e r M o n i s m u s will a u c h d a r i n M o n i s m u s sein, d a ß e r E r k e n n e n u n d H a n d e l n s o w e i t in H a r m o n i e b r i n g t , a l s d i e s p r a k t i s c h i r g e n d w i e d u r c h f ü h r b a r i s t " ( M i t t e i l u n g e n 3 [1. N o v e m b e r 1 9 1 8 ] 1 6 2 ) . D a s B e k e n n t n i s z u m „ w i s s e n s c h a f t l i c h e n P a z i f i s m u s " u n d die zu k e i n e m e i n d e u t i g e n E r g e b n i s g e f ü h r t e D i s k u s s i o n ü b e r die Stellung d e r M o n i s t e n z u r N o v e m b e r r e v o l u t i o n v o n 1918 s o w i e ü b e r die jetzt a n z u s t r e b e n d e n p o l i t i s c h e n Z i e l e f ü h r t e n d a z u , d a ß es in d e r F r ü h z e i t d e r W e i m a r e r R e p u b l i k zu v e r s c h i e d e n e n A b s p a l t u n g e n zu freigeistigen V e r b ä n d e n u n d z u m D e u t s c h e n F r e i d e n k e r b u n d (—»Freidenker) k a m . U n t e r d e m Vorsitz v o n C a r l Riess ( 1 9 2 3 - 1 9 2 9 ) v e r s u c h t e d e r B u n d in d e r Folgezeit, v o r allem e t h i s c h e u n d s o z i a l e t h i s c h e F r a g e n zu b e h a n d e l n (vgl. R i e s s , Z u k u n f t s a u f g a b e n ) . S e i n e f r ü h e r e ö f f e n t l i c h e B e d e u t u n g k o n n t e der D M B aber nicht wiedererlangen. Die Nationalsozialisten lösten den Deutschen M o n i s t e n b u n d i m F e b r u a r 1933 a u f . S o w o h l d e r I n t e r n a t i o n a l i s m u s d e s D M B als a u c h die v o n einigen f ü h r e n d e n M o n i s t e n g e f o r d e r t e Ä c h t u n g des —»Antisemitismus f ü h r t e n zu dieser E n t s c h e i d u n g der Nationalsozialisten; die n ä h e r e n U m s t ä n d e der A u f l ö s u n g des D M B sind allerdings n o c h nicht erforscht. Quellen Wilhelm Bölsche, Ernst H a e c k e l , ein Lebensbild, Dresden/Leipzig 1900. — A r t h u r D r e w s (Hg.), D e r M o n i s m u s , d a r g . in Beitr. seiner Vertreter. I. Syst., II. Hist., Jena 1908. - Ders., Die verschiedenen Arten des M o n i s m u s : ders. (Hg.), Der M o n i s m u s I, 1 - 4 6 . - Rudolf Eisler, Gesch. des M o nismus, Leipzig 1910. - Ders., Art. M o n i s m u s : W b . der phil. 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Monophysiten
219
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Begriff
D e r Begriff Monophysit (ßövoQ + (pvaic,) ist in der G e s c h i c h t e der Christologie zur Kennzeichnung derjenigen g e w o r d e n , die nach dem Konzil von - » C h a l k e d o n an der kyrillischen (—»Cyrillus von Alexandrien) F o r m e l festhielten, d a ß —»Jesus Christus eine N a t u r ( ß i a (pvaiQ) sei, und sich der konziliaren Sprachregelung widersetzten, nach der Christus in zwei N a t u r e n (¿v S6o (pvaeaiv) ist. D e r Begriff Dyophysit (ÖKpüonrjQ) findet sich schon früh im a n t i c h a l k e d o n e n s i s c h e n S c h r i f t t u m , doch das W o r t M o n o p h y s i t (fi0V0(puahr]q) begegnet erst um 6 8 6 / 9 bei Anastasius Sinaites. O b w o h l es einen festen Platz in der christologischen T e r m i n o l o g i e erhalten hat, ist es in m a n c h e r Hinsicht irreführend und wird heute von den Vertretern der altorientalischen o r t h o d o x e n Kirchen abgelehnt. Seine Bedeutung hängt davon a b , wie der Begriff (pvoiq verstanden wird. E r kann in k o n k r e t e m Sinn als gleichbedeutend mit vnöoxaaic, (Hypostase) und npöoconov (Person) aufgefaßt werden oder a b s t r a k t als Inbegriff dessen, was Individuen der gleichen Art gemein ist. 2. Realer
und verbaler
Monophysitismus
Westliche T h e o l o g e n neigen zu einem Verständnis des ^(Jcnij-Begriffs im letztgenannten Sinn und verwenden daher den Begriff M o n o p h y s i t e n vorzugsweise zur Kennzeichnung der T h e o l o g e n , nach deren Auffassung die Vereinigung der beiden N a t u r e n , der G o t t h e i t und der M e n s c h h e i t , in Christus auf ein tertium quid hinausführt, das weder G o t t n o c h menschlichen Wesen wesenseins ist. Dieserart M o n o p h y s i t i s m u s ist als realer M o n o p h y s i t i s m u s bezeichnet w o r d e n . E r wird - » E u t y c h e s zugeschrieben, von dessen Lehre j e d o c h kein gesichertes Bild zu gewinnen ist. T a t s ä c h l i c h ist er g l e i c h e r m a ß e n von c h a l k e d o n e n s i s c h e r wie von a n t i c h a l k e d o n e n s i s c h e r Seite verurteilt w o r d e n . Verbale M o n o p h y s i t e n sind d e m g e g e n ü b e r T h e o l o g e n , die zwar nicht abstreiten wollen, d a ß Christus vor der Vereinigung „ a u s zwei N a t u r e n " w a r , doch die hypostatische Union statt in der Z w e i - N a t u r e n - F o r m e l der Definition von C h a l k e d o n in Formulierungen wie (äa (pvaiq fassen m ö c h t e n , die die Einheit der beiden N a t u r e n b e t o n e n . D a s ergibt sich deutlich aus dem erhaltenen S c h r i f t t u m der bedeutendsten verbalen M o n o p h y s i t e n des 5. und 6. J h . , T i m o t h e u s Aelurus, —»Philoxenus von M a b b u g , - » S e v e r u s von A n t i o c h i e n , J u l i a n von H a l i k a r n a ß und —»Johannes P h i l o p o n u s . S c h o n seit der Z e i t des Konzils von C h a l k e d o n hat man von dyophysitischer Seite verzerrend E u t y c h i a n e r und verbale M o n o p h y s i t e n z u s a m m e n g e w o r f e n so, wie die letzteren ihrerseits wiederum häufig nicht bereit w a r e n , einen Unterschied zwischen Dyophysiten und N e s t o r i a n e r n ( - » N e s t o r i u s ) zu m a c h e n . J a h r h u n d e r t e l a n g sind die Vertreter der R e d e w e i s e von der flia (puoiq als reale M o n o p h y s i t e n angesehen w o r d e n , wenn auch seit der Z e i t von Giuseppe S i m o n e Assemani ( 1 6 8 7 - 1 7 6 8 ) i m m e r wieder versucht w o r d e n ist, zwischen E u t y c h i a n e r n und verbalen M o n o p h y s i t e n zu unterscheiden. H e u t e wird dagegen allgemein e i n g e r ä u m t , d a ß diese a n t i c h a l k e d o n e n s i s c h e n T h e o l o g e n den Begriff tpooiq im Z u s a m m e n h a n g chri-
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Monophysiten
stologischer Aussagen in seiner konkreten Bedeutung verstanden und mit der Behauptung einer Natur in Christus das gleiche lehrten wie die westlichen Theologen mit ihrer Redeweise von einer Person in Christus. Desgleichen wird zugestanden, daß sie den Aussagegehalt der chalkedonensischen Formel e'v óúo (póoeoiv (in zwei Naturen) in anderer Weise zum Ausdruck brachten. Daher wird ihre Christologie nicht als realer, sondern als lediglich verbaler Monophysitismus angesprochen. 3.
Forschungsstand
Bis ins 20. Jh. war keine eingehende Wertung der monophysitischen Christologie möglich, weil nur einseitig ausgerichtete Ausgaben von in orientalischen Übersetzungen überlieferten Texten und die Aussagen der erhaltenen griechischen Schriften von Gegnern der Antichalkedonenser zur Verfügung standen. 1909 hat dann Lebon eine eingehende Untersuchung der Christologie des (severianischen) Monophysitismus vorgelegt, die 1951 erneut in überarbeiteter Fassung erschienen ist. Sie hat den Weg für zahlreiche weitere Forschungen zur Geschichte und Theologie des Monophysitismus bereitet. Dogmatische, exegetische und homiletische Schriften von Timotheus Aelurus, Philoxenus, Severus, Julian, Johannes Philoponus und anderen wurden herausgegeben und aus orientalischen Sprachen, vornehmlich aus dem Syrischen, übersetzt, und es wurde eine wachsende Zahl monophysitischer Geschichtswerke, Chroniken, Aktenstücke und Erbauungsliteratur zugänglich (s. Grillmeier II/l, 2 2 - 1 0 3 , „Ad Fontes"). Die Veröffentlichung der Konzilsakten von —»Ephesus und Chalkedon war ein weiterer Markstein, und auch das 1951 erschienene Sammelwerk Das Konzil von Chalkedon. Geschichte und Gegenwart bietet eine unerläßliche Handreichung für die Beschäftigung mit dem Monophysitismus. In den letzten Jahrzehnten haben darüber hinaus Textausgaben, Übersetzungen und Untersuchungen neues Quellenmaterial über antichalkedonensische Gruppierungen der zweiten Hälfte des 6. Jh. erschlossen. Eine umfassende Aufarbeitung der Christologie der nachchalkedonensischen Kirche ist im Erscheinen begriffen (Grillmeier II/l; II/2; II/4). 4. Monophysitische 4.1. Vor der
Christologie
Menschwerdung
4.1.1. Begrifflichkeit. Während die Chalkedonenser einen Unterschied zwischen Natur ((pvaiQ) und Hypostase [vitóataaic,) behaupten, sind für die Antichalkedonenser im Zusammenhang christologischer Aussagen Natur, Hypostase und Person (npóaconov) gleichbedeutend (Severus, Ep.3 ad Sergium 126, 2 1 - 2 5 ; Philoponus, Diaitetes 56.60.63). Für sie ist (puaiQ in christologischem Sprachgebrauch keine Abstraktion, sondern bezieht sich auf das eine konkrete Individuum, das menschgewordene Wort. In diesem Merkmal ihrer Begrifflichkeit wirkt ein durch Kyrill von Alexandrien vermitteltes Erbe apollinaristischer Schriften (—>Apollinaris von Laodicea) weiter. 4.1.2. Sachliche Folgerungen. Vor der Menschwerdung gibt es zwei Elemente, aus denen Christus besteht (e]aig (wechselseitige Durchdringung) der beiden Naturen führt in der Vereinigung zu einem Übergewicht der göttlichen Natur, und die communicatio idiomatum erscheint einseitig. „Wie hat denn", so heißt es bei Timotheus Aelurus, „das Fleisch unseres Herrn angesichts dessen, daß es Leben gibt und Leben ist, teil am ewigen Leben, wenn sein Tun Schmerzen unterlag?" (Definition 149). In dieser Vereinigung unterliegt das menschgewordene Wort nur zeitweise der der menschlichen Natur eigenen Leidensfähigkeit, und immer wieder betonen die Monophysiten die Freiwilligkeit der Unterwerfung des Logos unter die Bedingungen menschlichen Daseins. Das führt zu Unklarheiten nicht nur in der Frage der Leidensfähigkeit, wie sie in der Auseinandersetzung zwischen Julian und Severus zutage tritt, sondern auch hinsichtlich der Wirkkraft (¿vepyeia), des Willens (deXrjpa/Oelrjai(;) und des Wissens (yvcöoiq) in Christus. Nach Philoponus wird in der Vereinigung die virtus naturalis von der Gottheit bewegt und gehorcht deren Befehlen, indem die Wirkkraft (evepyeia) ihren Anfang von der Gottheit als erster Ursache nimmt (Diaitetes 39). So bestehen die Monophysiten zwar in unterschiedlichem Maß auf dem Erhaltenbleiben der menschlichen Natur in Christus, doch es besteht eine Neigung, die Menschheit aus dem vorgegebenen Verständnis der evcoalQ heraus zu vergöttlichen. Dieser Mangel führt zum Beispiel zu den Versuchen Julians und zumal seiner Anhänger aufzuweisen, daß der neue Adam eine Sonderstellung hatte; auf der anderen Seite hat er die Agnoeten dazu gebracht, in dem Bemühen, der wahren Menschheit des Immanuel gerecht zu werden, an ein wirkliches menschliches Nichtwissen in Christus nach der Vereinigung zu denken. 5. Geschichtliche 5.1. Chalkedon
Entfaltung und die
Folgen
Das Bekenntnis von -»Chalkedon hat erklärt, daß Christus hinsichtlich seiner Gottheit eines Wesens mit dem Vater und hinsichtlich seiner Menschheit eines Wesens mit den Menschen sei, in zwei Naturen (£V ¿60 (püasoiv), unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, ungesondert (ACO II 1.2, 1 2 8 - 1 3 0 ) . Der sog. Kanon 28 der Synode hat dem Stuhl von —> Konstantinopel, dem Neuen Rom, Vorrechte zugebilligt, die lediglich denen
Monophysiten
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Roms nachstanden, und ihm damit einen Vorrang gegenüber Alexandrien eingeräumt. Insbesondere diese beiden Ergebnisse des Konzils haben während des folgenden Jahrhunderts für Unruhe und Verstimmung im Osten wie im Westen gesorgt und den Grund für eine bleibende Kirchenspaltung im Oströmischen Reich gelegt. Das Edikt vom 7.2.452 (ACO II.2.3), durch das die Kaiser Markian und Valentinian III. ihre Untertanen zur Befolgung der Konzilsentscheidung anhielten, wurde in —»Palästina, —»Ägypten und Antiochien unter Unruhen verkündet, die im Gefolge des Konzils aufgebrochen waren. Bischof Juvenal von Jerusalem, der sich dem Vernehmen nach vor dem Konzil nachdrücklich gegen den Tomus Leos d.Gr. ausgesprochen und auf dem Konzil selbst zur Ausarbeitung seiner Glaubensformel beigetragen hatte, verlor die Unterstützung der an seinem Bischofssitz einflußreichen Mönche und wurde nach seiner Rückkehr nach Jerusalem zur Flucht genötigt. Der Mönch Theodosius wurde zum Bischof geweiht. Weitere antichalkedonensische Bischofsweihen folgten, wobei es nicht immer ohne Gewaltsamkeiten abging. Die populären Darstellungen aus dieser Zeit - Johannes Rufus, Plerophoriai und Leben des Petrus des Iberers sowie Teile der Kirchengeschichte des Zacharias Rhetor auf antichalkedonensischer und Kyrill von Skythopolis, Leben der palästinischen Heiligen auf chalkedonensischer Seite - bezeugen die Heftigkeit der Auseinandersetzungen. Kaiser Markian ließ Juvenal gewaltsam wieder einsetzen, und darauf neigte Jerusalem der chalkedonensischen Seite zu. Der lautstarke Wortführer der Gegenseite, Petrus der Iberer, entkam nach Ägypten, ein Schicksal, das noch mancher Chalkedongegner teilen sollte. In Ägypten wurde der Patriarch Dioskor durch seinen vertrauten Presbyter Proterius ersetzt. Die Masse des Volkes und die Mönche blieben jedoch Dioskor ergeben und verweigerten seinem Nachfolger die Anerkennung. Der hielt sich mit militärischer Hilfe an der Macht. Beim Tod des Kaisers am 26.1.457 erreichte die Stimmung gegen Proterius ihren Höhepunkt. Sein Gegner, der Presbyter Timotheus Aelurus, wurde heimlich aus dem Exil zurückgeholt und von Petrus dem Iberer und anderen zum Patriarchen geweiht. Proterius wurde am 28.3.457 von der Volksmenge gelyncht. Unter der tatkräftigen Führung des Timotheus Aelurus wurden chalkedonensisch eingestellte Bischöfe unter Druck gesetzt oder amtsenthoben (Zacharias Rhetor, H.E. III 1 0 - I V 2; Evagrius, H.E.II 8). Die Lage in Alexandrien hat offensichtlich Markians Nachfolger Leon (457—474) und den ehrgeizigen Patriarchen von Konstantinopel, Anatolius, dazu veranlaßt, gegen Ende 457 einen Codex encyclius an Leo von Rom sowie an Metropoliten und bekannte Asketen im Osten ergehen zu lassen, um ihre Meinung über die Weihe des Timotheus Aelurus und den Status von Chalkedon einzuholen. Die überlieferten Antworten verwerfen Timotheus, und nur ein Bischof (Amphilochius von Side) scheint die Annahme des Konzils abgelehnt zu haben (ACO II 5). Auf diese positiven Antworten hin schrieb Leo d. Gr. seinen Brief 165 (den „Zweiten Tomus Leonis") mit einer eindringlichen Verteidigung von Chalkedon. Timotheus' Stellung war unhaltbar geworden, und er wurde aus Alexandrien verwiesen (Ende 459, Anfang 460). Im Exil schrieb er Werke, die Chalkedon verurteilten und großen Einfluß gewannen. An seine Stelle trat Timotheus Salophakiolus. Unterdessen wurde Antiochien zunehmend monophysitisch, insbesondere unter der Führung des kyrillisch eingestellten Presbyters Petrus des Walkers, der zuvor zu den -»Akoimeten gehört hatte und, anscheinend mit Unterstützung des isaurischen Generals Zeno, in Abwesenheit des chalkedonensischen Amtsinhabers Martyrius zum Patriarchen von Antiochien geweiht wurde. Petrus war insbesondere darum bemüht, den Zusatz ö crraupcoOeig öl' rffiäQ (der für uns gekreuzigt worden ist) in das Trishagion einzufügen, der als antichalkedonensische Losung diente und von den Chalkedonensern als theopaschitisch angesehen wurde. Infolge der durch ihn ausgelösten Unruhen wurde Petrus abgesetzt (471) (Theodoros Anagnostes, KG I 2 0 - 2 2 ) . Nach dem Tod Kaiser Leos 474 wurde Zeno Kaiser. Aufgrund einer Palastintrige war er jedoch genötigt, 475 Konstantinopel zu verlassen, und mußte zusehen, wie ein Schwager Leos, Basiliskus, an seine Stelle trat. Dieser setzte auf die Antichalkedonenser.
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Timotheus Aelurus und Petrus der Walker wurden wieder auf ihre Sitze berufen. Basiliskus erließ eine vornehmlich an Timotheus Aelurus gerichtete Enzyklika, in der der Tomus Leonis und die „Neuerung" von Chalkedon verurteilt und die Bekenntnisse und ökumenischen Synoden von ->Nicäa, -»Ephesus und -»• Konstantinopel I (!) aufrecht erhalten wurden (Zacharias Rhetor, H.E. V 1 - 2 ; Evagrius, H.E. II 4; Codex Vaticanus gr. 1431, ed. Schwartz 4 9 - 5 1 ) . Die Stühle von Ephesus, Antiochien und Jerusalem waren in antichalkedonensischer Hand. Indessen sah sich Basiliskus, im wesentlichen unter dem Einfluß des Konstantinopeler Patriarchen Acacius und einer chalkedonensischen Stimmung in der Kaiserstadt, gezwungen, seine Enzyklika zugunsten einer Gegenenzyklika zurückzunehmen, die Nestorius und Eutyches verurteilte und die Rechte des Konstantinopeler Patriarchats bekräftigte, und schließlich mußte er bei der Rückkehr Zenos 476 Konstantinopel verlassen. Petrus der Walker und der Antichalkedonenser Paulus von Ephesus wurden in die Verbannung geschickt. Timothus Aelurus starb (31.7.477), bevor er verbannt werden konnte. Es gab jedoch auch Hindernisse für die chalkedonensische Restauration. Zum Nachfolger von Timotheus Aelurus war mit Petrus Mongus erneut ein Antichalkedonenser geweiht worden; die Bevölkerung von Antiochien war antichalkedonensisch ungeachtet der Ernennung chalkedonensischer Bischöfe; in Jerusalem bestand ein unsicherer Modus vivendi zwischen den überwiegend antichalkedonensischen Mönchen und den Patriarchen. Gerade dieser Kompromiß hat offensichtlich Anlaß zu einem Edikt gegeben, mit dessen Verkündung Zeno 482 die kirchliche Einheit herzustellen versuchte. Es war an die Kirche in Ägypten gerichtet und erhielt erst später, als es durch Anastasius I. allgemein in Kraft gesetzt wurde, gesamtkirchliche Bedeutung. Dieses Henotikon, wie es in der Folge genannt wurde, enthielt keine Verurteilung des Tomus Leonis, Chalkedons oder der Formel „in zwei Naturen"; es erkannte die ökumenischen Synoden von Nicäa, Konstantinopel und Ephesus an und billigte die Zwölf Kapitel Kyrills (—»Cyrillus von Alexandrien); Nestorius und Eutyches wurden verurteilt; und es wurde die Notwendigkeit der Einheit im Glauben gemäß dem Bekenntnis von Nicäa betont (Zacharias Rhetor, H.E. V 8 ; Evagrius, H.E. III 14; Codex Vaticanus gr. 1431, ed. Schwartz 133). Das Henotikon war ein diplomatisches Meisterstück, zu dem der Patriarch Acacius wesentlich beigetragen hatte, und stellte die äußere Einheit wenigstens zwischen Konstantinopel und Alexandrien her. Auf die Dauer aber erwies es sich als erfolglos. Extreme Antichalkedonenser, insbesondere die ägyptischen Mönche, hätten nur mit einer klaren Verurteilung des Tomus Leonis und der Chalkedonenser zufriedengestellt werden können (sie wurden in der Folge Diakrinomenoi oder Zögerer genannt). In Alexandrien spalteten sich die Rigoristen später ab (Aposchistai oder Seperatisten, später Akephaloi oder Kopf[d. h. Führungs-]lose). Doch auch Chalkedonenser wie Kaiandion von Antiochien fanden das Edikt unannehmbar. Rom war bestürzt über die Anerkennung von Petrus Mongus und über Jurisdiktionsansprüche, die Acacius sich in anderen Angelegenheiten angemaßt hatte. Der Konstantinopeler Patriarch wurde in Rom exkommuniziert, und damit begann das sog. Akakianische Schisma zwischen Ost und West, das sich bis in die Regierungszeit Justins I. hinziehen sollte. 5.2. Der Monophysitismus
bis zum Tod Anastasius'
1. (518)
Zenos Nachfolger Anastasius I. (491-518) hegte monophysitische Sympathien. Das Henotikon stellte nach seinem Verständnis keineswegs eine Aufhebung von Chalkedon dar. In den Beziehungen zu Rom suchte er es als Verhandlungsgrundlage einzusetzen. Da es ihm in erster Linie auf den kirchlichen Frieden ankam, war er jedoch im allgemeinen bereit, Städte, in denen eine Richtung überwog, von Bischöfen leiten zu lassen, die der jeweiligen Seite zugetan waren. Evagrius (H.E. III 30) unterscheidet drei Gruppierungen: 1. rigorose Monophysiten, die nur durch eine Verurteilung des Chalkedonense und des Tomus Leonis zufriedenzustellen waren; 2. rigorose Verfechter des Chalkedonense ohne Kompromißbereitschaft; 3. Chalkedonenser und Antichalkedonenser, die
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sich an das Henotikon hielten. Die Absicht des Kaisers, das Henotikon als Verhandlungsgrundlage zu verwenden, zeigt sich deutlich bei der Absetzung und Verbannung des chalkedonensischen Konstantinopeler Patriarchen Euphemius (490-496), der das Henotikon nicht unterstützte. Auf der anderen Seite nützte einem Patriarchen das Festhalten am Henotikon nichts, wenn er wie Flavian von Antiochien (498-512) nicht in der Lage war, mit Unruhe in seinem Jurisdiktionsbereich fertig zu werden. Die Regierungszeit Anastasius' I. ist für die Geschichte des Widerstandes gegen Chalkedon insofern von entscheidender Bedeutung, als sie nicht nur die mangelnde Tragfähigkeit von Kompromißformeln wie dem Henotikon erwies, sondern auch zwei der bedeutendsten Theologen der um die Behauptung der einen Natur kreisenden Christologie hervorgebracht hat, Philoxenus von Mabbug und Severus von Antiochien. Unter dem Einfluß der Mönche trat Philoxenus in Antiochien dem Patriarchen Flavian entgegen. Auf sein Betreiben auch billigte die Synodos endemusa in Konstantinopel ein Glaubensbekenntnis (507?), in dem die antiochenische und Leoninische Tradition, wie sie im Chalkedonense zutage tritt, verurteilt wird. 509 erhielt das Henotikon auf einer antiochenischen Synode, auf der Philoxenus zugegen war, eine strengere Deutung im monophysitischen (insbesondere alexandrinischen) Sinn; doch wurde dabei der Dyophysitismus nicht ausdrücklich verworfen. Mittlerweile war der Mönch Severus mit einer großen Schar palästinischer Mönche in die Hauptstadt gezogen (509), um gegen die Verfolgung von Antichalkedonensern durch den Patriarchen Elias von Jerusalem zu protestieren. Severus hoffte ebenfalls, mit einer antichalkedonensischen Deutung des Henotikon die kirchliche Einheit im Osten herstellen zu können. Der sog. Typos des Kaisers Anastasius, in dem Chalkedon und der Tomus Leonis ausdrücklich verurteilt wurden (zwischen 512 und 518), war sein Werk und sollte die erhoffte Einheit herbeiführen (Grillmeier II/l, 2 7 3 - 2 7 9 ) . Auch der alexandrinische Patriarch Johannes von Nikiu (505-516) trat zum Unbehagen des Kaisers für eine Deutung des Henotikon im antichalkedonensischen Sinn ein. Die Synode von Sidon im Oktober 511, auf der alle östlichen Patriarchen zugegen waren, war für Philoxenus und Severus eine Enttäuschung insofern, als das Henotikon die Verhandlungsgrundlage blieb und nicht durch Verwerfungen des Chalkedonense oder des Tomus Leonis ergänzt wurde. Es gelang ihnen jedoch, ein Jahr später die Absetzung Flavians von Antiochien durchzusetzen und an seiner Stelle am 16.11.512 Severus weihen zu lassen (de Halleux, Philoxene 70 - 7 4 ) . In Konstantinopel kam es unterdessen zu Spannungen zwischen denen, die sich um die von den Mönchen des Severus verwendete „monophysitische" Losung 6 azavßüjOeiQ öl' rffiäg (der für uns gekreuzigt wurde) sammelten, und der chalkedonensischen Partei, den Akoimeten. Zweimal, 510/11 und 512, kam es zum Aufruhr im Zusammenhang mit der Verwendung der umstrittenen Formel. Im August 511 wurde Macedonius, der die kaiserliche Befriedungspolitik nicht durchführen konnte, abgesetzt (Theodoros Anagnostes, KG 139). Damit lag im Osten, von Palästina abgesehen, die Kirchenleitung in der Hand antichalkedonensischer Bischöfe, und der Monophysitismus war dank des Einsatzes von Philoxenus und Severus in der Übermacht. Das Henotikon hatte sich demgegenüber als erfolglos erwiesen. Severus verlor, sobald er Patriarch geworden war, keine Zeit, das Chalkedonense und den Tomus zu verurteilen. Eine Anzahl östlicher Kirchenmänner jedoch, insbesondere die Bischöfe des Illyricum unter Alcison von Nikopolis, hielten sich zu Chalkedon und zu Rom und sahen in dem thrakischen Comes Vitalian ihren politischen Vorkämpfer. 512 erhob sich Vitalian gegen Anastasius und forderte bei seinem Sieg 514 von ihm eine kirchenpolitische Wende. Anastasius erklärte sich bereit, den Zusatz , , . . . der für uns gekreuzigt wurde" zum Trishagion zu streichen und den Bruch mit Rom zu beenden. Er lud den römischen Bischof zu einer Synode, die in Heraklea abgehalten werden sollte. Seine Bemühungen, zu einem Einvernehmen mit Papst Hormisdas (514-523) zu kommen, blieben jedoch vergeblich, und als Anastasius 518 starb, war das Schisma mit Rom gänzlich aufgerissen. In Konstantinopel traten die skythischen Mönche im Windschatten des Erfolges Vitalians
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für die Verwendung einer potentiell theopaschitischen Formel (unus de Trinitate passus est [einer aus der Trinität hat gelitten]) in einem chalkedonensischen, aber antinestorianischen Sinn ein (Frend 231 f; s. weiter unten). Bis zum Ende der Regierungszeit Anastasius' war insbesondere dank des Wirkens von Severus von Antiochien, der der monophysitischen Theologie ihre Begrifflichkeit gab, die antichalkedonensische Position klar umrissen: alles hing an der Annahme oder Verwerfung des Chalkedonense und des Tomus Leonis. 5.3. Der Monophysitismus
bis zum Tode Justinians
I. (565)
Auf Anastasius folgte der Illyrer Justin (518-527). Die Bevölkerung Konstantinopels forderte von ihm, seine Haltung durch eine Erklärung für das Chalkedonense und die Verbannung des Severus offenzulegen. Die Geltung der vier ökumenischen Synoden - Nicäa, Konstantinopel, Ephesus und Chalkedon - wurde verkündet, Makedonius und Leo von Rom wurden wieder in die Diptychen von Konstantinopel aufgenommen und das Fest des Konzils von Chalkedon eingeführt (16.7.518). Mit Unterstützung seines Neffen -•Justinian und Vitalians unternahm Justin Schritte zur Beilegung des Schismas mit Rom. Die Unterzeichnung des von Hormisdas vorgelegten libellus (Januar 519) mutete allerdings dem Patriarchat von Konstantinopel nicht nur die Verurteilung der wichtigsten Gegner der Synoden von Ephesus und Chalkedon zu, sondern auch noch die Streichung aller Konstantinopeler Patriarchen seit Acacius sowie der Kaiser Zeno und Anastasius aus den Diptychen (Collectio Avellana 167). Doch die Einheit zwischen Ost und West war wiederhergestellt. Im Osten wurde dagegen die Polarisierung zwischen Chalkedonensern und Antichalkedonensern immer augenfälliger. Severus war wenige Monate nach Anastasius' Tod gezwungen, seinen Sitz zu verlassen, und suchte Zuflucht in Alexandrien. 519 wurde auch Philoxenus genötigt, in die Verbannung zu gehen. Außer in den Provinzen Cilicia I, Maritima Phoenicia und Arabia (Honigmann 25 ff) wurden die abgesetzten Bischöfe durch Chalkedonenser ersetzt, und mit antichalkedonensischen Mönchen wurde übel umgesprungen. Gegen sie war alsbald eine regelrechte Verfolgung im Gang. Doch auch in den eigenen Reihen sah sich die antichalkedonensische Bewegung vor Probleme gestellt, vornehmlich durch die in Ägypten geführte theologische Auseinandersetzung zwischen Severus und Julian von Halikarnaß, der eine abweichende Meinung darüber vertrat, in welcher Weise Christus menschliche näOt] (Leidenschaften oder Emotionen) zuzuschreiben seien. Für Julian war die Betonung der Einheit Christi von vorrangigem Gewicht und der Unterschied der Naturen zweitrangig. Daher behauptete er, eine Beschreibung des Leibes Christi als „verderblich", d.h. menschlichem Leiden unterworfen, stelle die Einheit des Leibes mit der Gottheit in Frage. Julians Standpunkt stieß nicht nur bei Chalkedonensern, sondern auch bei Antichalkedonensern, insbesondere bei Severus, auf Widerspruch. Doch sein „Aphthartodoketismus", wie seine Lehre von ihren Gegnern genannt wurde, hat, insbesondere in der alexandrinischen und der armenischen Kirche, beträchtlichen Einfluß ausgeübt. 520 wurde Vitalian auf Veranlassung Justinians ermordet. Justinian versuchte, Papst Hormisdas davon zu überzeugen, daß die skythische theopaschitische Formel einem orthodoxen Verständnis offenstehe und daher Chalkedonenser und Antichalkedonenser vereinen könne. 527 wurde er nach dem Tod Justins Alleinherrscher. Er war entschlossen, die Entzweiung, soweit es um kirchenpolitische Belange ging, zu beenden. Seine Gemahlin Theodora hatte monophysitische Sympathien und wurde zur Schutzherrin verbannter Monophysiten, denen sie ohne Kompromittierung des Kaisers Zuflucht in einem ihrer Paläste bot (Johannes von Ephesus, Lives 47 f). 530 begann Johannes von Telia im nördlichen Mesopotamien mit der Weihe monophysitischer Geistlicher, ein Schritt, der zur Abspaltung der monophysitischen Kirchen führen sollte. Um die gleiche Zeit ließ die Verfolgung der Monophysiten nach, und 532/3 veranstaltete Justinian in Kon-
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stantinopel Zusammenkünfte zwischen Vertretern der chalkedonensischen und der antichalkedonensischen Seite. Diese Politik mündete schließlich in kaiserliche Dekrete zur Herstellung der Reichseinheit aus. Sie erkannten die vier ökumenischen Synoden an, verurteilten Eutyches, Apollinaris und Nestorios, stellten die theopaschitische Formel der skythischen Mönche (...deum esse, qui carne passus est, atque unum de trinitate [der gelitten hat, ist Gott und einer aus der Trinität]) zur Erörterung, übergingen aber den Tomus Leonis (Codex Iustinianus 1.1.6; 1.1.7). Diese Dekrete wurden in Ost und West angenommen, und die Akoimeten wurden von Rom sogar als „Nestorianer" verurteilt. 534/5 wurde Severus eingeladen, nach Konstantinopel zu kommen. Doch das Klima sollte alsbald umschlagen. 535 sorgte Theodora dafür, daß Theodosius zum alexandrinischen Patriarchen geweiht wurde. Dieser fand jedoch Widerstand seitens der julianistisch eingestellten Gruppierung der nach ihrem Bischof Gainas so benannten Gaianiten in Alexandrien und in Konstantinopel, wo er kurz nach seiner Weihe mit Severus und dem Konstantinopeler Patriarchen Anthimus in Kirchengemeinschaft trat. Die östlichen Chalkedonenser gaben in Rom ihre Besorgnis darüber zu verstehen. Auf Verlangen des Papstes wurde Anthimus abgesetzt, und ein kaiserliches Edikt verurteilte Severus, Anthimus und deren Anhänger und verfügte, daß die Schriften des Severus verbrannt werden sollten (Novelle 42). Severus ging erneut nach Ägypten, wo er am 2.8.538 starb. In —»Syrien wurde die Verfolgung der Antichalkedonenser von Ephraim von Antiochien fortgesetzt. Theodosius übernahm unter dem Schutz Theodoras Severus' Rolle als Leiter der antichalkedonensischen Partei. Theodora versuchte nun (536—538) unter Ausnutzung ihres Einflusses auf den päpstlichen Apokrisiar in Konstantinopel, Vigilius, und durch Betreiben seiner Erhebung zum Papst (29.3.537), einen Widerruf der Verurteilung der führenden Monophysiten zu erreichen, doch dieses Manöver blieb erfolglos, und Vigilius wurde 540 von Justinian zur Unterzeichnung der Verurteilungen von 536 gezwungen. Während auf der anderen Seite Schriftsteller wie —>Leontius von Byzanz und Kyrill von Skythopolis eine gezielte Verteidigung strikt chalkedonensischer Interessen unternahmen, erwuchs aus einer gemäßigten chalkedonensischen Einstellung heraus eine Richtung, in der sich die Annahme des Chalkedonense und des Tomus Leonis mit einer Deutung im Sinne Kyrills von Alexandrien verband. Diese von der jüngeren Forschung als —»Neuchalkedonismus bezeichnete Richtung wurde von Justinian begünstigt. Während der dreißiger Jahre des 6. Jh. verbreitete der aus der antijulianistischen Partei in Alexandrien kommende Diakon Themistius in Konstantinopel seine Anschauungen: Wie Christi Leib dem Tod und der Vergänglichkeit unterworfen sei, so sei auch sein menschlicher Geist, wie man aus dem Neuen Testament ersehen könne (Mk 13,32; Mt 24,36; Joh 11,34 u.ä.), begrenzt und dem Nichtwissen unterworfen. Diese Lehre erregte in antichalkedonensischen Kreisen großes Aufsehen, und Themistius und seine Anhänger wurden bald als „Agnoeten" (Nichtwissende) abgestempelt. Vor 540 schrieb Theodosius von Alexandrien eine Widerlegung, auf die Themistius seinerseits antwortete. Darauf kam es zu einer weiteren Auseinandersetzung zwischen Themistius und dem alexandrinischen Mönch Theodor, die bis zu Theodosius' Tod (566) andauerte. Auch andere steuerten zur Widerlegung der Agnoeten bei, und anscheinend hat sich Justinian veranlaßt gesehen, ein Edikt gegen ihre Lehre zu verkünden. Dyophysiten wie Liberatus und später auch Eulogius von Alexandrien und —»Gregor d. Gr. sind ebenfalls gegen sie angetreten (s. Monophysite Documents, ed. Van Roey/Allen). Wie schon zuvor der Julianismus und später der Tritheismus zeigt diese Auseinandersetzung die Unzulänglichkeiten der monophysitischen Christologie auf, deren Heraustreten zu einer zunehmenden Aufspaltung führte. Unterdessen hatte Theodosius infolge eines an Theodora gerichteten Ersuchens des arabischen Herrschers Harit um monophysitische Bischöfe 542/3 Jakob Baradaeus zum Metropoliten von —>Edessa und Theodor von Arabien zum Metropoliten von Bostra geweiht. Das war ein entscheidender Schritt zur Ausbreitung des Monophysitismus und
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zur schließlichen Abspaltung der antichalkedonensischen Kirchen. Durch den missionarischen Einsatz Jakobs und anderer von Theodosius geweihter Bischöfe wurde die Präsenz des Antichalkedonismus in Kleinasien, Armenien, Syrien, Arabien, der Ägäis, Ägypten und -»Nubien gestärkt (s. Van Roey, KonChal II). Trotz der Bemühungen Justinians um eine Aussöhnung zwischen den Antichalkedonensern und ihren Gegnern, insbesondere durch die Durchsetzung einer Verurteilung der Drei Kapitel auf der ökumenischen Synode von ->Konstantinopel (II) 553, und ungeachtet der Wirksamkeit der neuchalkedonensischen Theologen setzte sich die Verselbständigung der monophysitischen Kirchen fort. Jakob Baradaeus weihte gegen 557 Sergius zum Patriarchen von Antiochien. Nach dessen Tod wurde auf Ersuchen von Theodosius an seiner Stelle Paulus von Bet Ükkäme erhoben. Das war ein unpopulärer Schritt, der alsbald zu einem Schisma zwischen Baradaeus und seinen Anhängern (Jakobiten) auf der einen und Pauliten auf der anderen Seite führte (vgl. Documenta ad origines monophysitarum). Justinian erwärmte sich gegen Ende seiner Herrschaft wie nicht wenige seiner Zeitgenossen für einige julianistische Lehraussagen und dachte kurz vor seinem Tod (565) schon an eine allgemeine gesetzliche Anerkennung dieser Lehre. 5.4. Der Monophysitismus
unter den Nachfolgern
Justinians
Justin II. ( 5 6 5 - 5 7 8 ) verfolgte zunächst eine Aussöhnungspolitik und gestattete Bischöfen in der Verbannung oder im Untergrund die Rückkehr auf ihre Stühle. Theodosius von Alexandrien starb allerdings, bevor er von dieser Amnestie Gebrauch machen konnte (22.6.566), erhielt aber ein offizielles Begräbnis in Konstantinopel, bei dem nach Michael dem Syrer (X 1; II 283) Theodoras Neffe, der Mönch Athanasius, öffentlich das Chalkedonense verurteilte. Justin veranlaßte die Verlesung des —>Nicänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnisses in der Liturgie und ließ damit die Frage der Geltung von Ephesus und Chalkedon offen. Er berief eine Synode von Archimandriten, bekannten Chalkedonensern und Antichalkedonensern, nach Konstantinopel, und als das in eine Sackgasse führte, ließ er auf einer Versammlung von Antichalkedonensern in Kallinikon am Euphrat (567) eine Glaubenserklärung vorlegen, die den antichalkedonensischen Forderungen weit entgegenkam (Michael der Syrer X 11; II 2 8 5 - 2 9 0 ) . Nicht zur Zusammenarbeit bereite Bischöfe wurden ins Gefängnis geworfen. Unterdessen hatten die Spaltungen in den Reihen der Monophysiten nicht aufgehört. Etwa 557 begann ein gewisser Johannes Askozanges zu lehren, daß es in der Gottheit wie drei vnoozäcreK; (Hypostasen) gleichfalls auch drei ovaiai (Substanzen) oder (pvaeiq (Naturen) gäbe. Zum befähigsten Vertreter dieser Lehre, die die monophysitische christologische und die trinitätstheologische Begrifflichkeit in Übereinstimmung zu bringen suchte und bei den Gegnern als Tritheismus galt, wurde sein Schüler —»Johannes Philoponus. Sie wurde 560 von Theodosius in einer Schrift zurückgewiesen, die von der Mehrheit der Monophysiten angenommen wurde; eine Gruppierung allerdings verweigerte ihre Anerkennung und distanzierte sich (s. Monophysite Documents, ed. Van Roey/Allen). Nach Theodosius' Tod kam es zu Rivalitäten zwischen dem Antitritheisten Paulus, den Theodosius 564 zum Patriarchen von Antiochien geweiht hatte, und Athanasius, der von Konon von Tarsos und Eugenius von Seleukia unterstützt wurde. 569 wurden Konon und Eugenius von einem monophysitischen Syndoktikon verurteilt, blieben aber weiterhin tätig (Van Roey, FS van der Ploeg; ders., OLoP 16). Ihre Unterstützung durch Athanasius versetzte sie in die Lage, in Konstantinopel Diskussionen mit anderen Monophysiten unter der Leitung des chalkedonensischen Patriarchen Johannes (569/70) durchzuführen. Deren Erfolglosigkeit war der unmittelbare Grund für den Erlaß eines kaiserlichen Ediktes 571 (des „zweiten Henotikons": Evagrius, H. E. V 5), das nachdrücklich auf die reale Einheit der Personen in der Trinität abhebt. 574 zerfielen die Tritheisten infolge der Veröffentlichung der Abhandlung von Johannes Philoponus über die Auferstehung in zwei Gruppierungen, die Kononiten, die diese Schrift ablehnten, und die Athanasianer, die sie annahmen.
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Das Edikt von 571 war darauf angelegt, sowohl Monophysiten und Chalkedonenser als auch Monophysiten unter sich zu einen. Es verkündete die kyrillische Formel ßia (pvaiq roß ©eoü Aöyou asaapxcofdvt] (eine fleischgewordene Natur des Gott-Logos) ebenso wie die Einheit in der Dreiheit und die Dreiheit in der Einheit. Unnötige Auseinandersetzungen über Personen (in der Trinität) und über die Begrifflichkeit sollten vermieden werden. Die Ausdrucksweise des Edikts war gemäßigt, seine sachliche Prägung neuchalkedonensisch. Eine Reihe monophysitischer Bischöfe, darunter Paulus von Antiochien und Johannes von Ephesus, ließen sich daher unter der Annahme, Chalkedon werde verworfen, zur Aufnahme der Kirchengemeinschaft mit den Dyophysiten verleiten. Als sie sich dann wieder davon distanzierten, wurden sie ins Gefängnis geworfen, und da Justins Geduld erschöpft war, setzte erneut die Verfolgung ein und hielt bis zum Tod des Kaisers 578 an. Justins Nachfolger Tiberius (578-582) setzte laut Johannes von Ephesus die Verfolgung fort, jedoch planlos. In zunehmendem Maß erforderten kriegerische Auseinandersetzungen auf der Balkanhalbinsel und gegen Persien die Aufmerksamkeit des byzantinischen Herrschers, und die Zersplitterung der Monophysiten ihrerseits ließ sie, zumal nach dem Tod von Jakob Baradaeus (30.7.578), wenig bedrohlich erscheinen. Der Araberfürst al Mundir, ein Förderer des Paulus von Antiochien, stellte sich die Aufgabe, die Einheit zwischen Pauliten, Jakobiten und Alexandrinern unter ihrem Patriarchen Damian (578—604) auf der einen Seite und dem Hauptstrom der Monophysiten auf der anderen Seite wiederherzustellen. Eine Zusammenkunft aus all diesen Parteien wurde nach Konstantinopel anberaumt (Johannes von Ephesus, H.E. IV 39 f). Deren Teilnehmer unterzeichneten zwar eine irenische Vereinbarung, widerriefen dann aber wieder, und die Wirren setzten erneut ein, insbesondere anläßlich der Weihe eines jakobitischen Anwärters, Petrus von Kallinikon, zum Patriarchen von Antiochien 581 (Johannes von Ephesus, H.E. IV 42). Tiberius' Nachfolger Mauricius (582—602) hat ebenfalls von förmlichen Verhandlungen mit den Monophysiten abgesehen. Es gibt einen Bericht über eine Verfolgung von Monophysiten während seiner Regierung in der Nähe von Melitene (Michael der Syrer X 25; II 381). Mauricius selbst war Chalkedonenser, doch die äußeren Kriege dürften seine Aufmerksamkeit bis 591 dauerhaft in Anspruch genommen haben. Bald nach dem Amtsantritt von Petrus von Kallinikon k a m es in monophysitischen Kreisen zu einer weiteren Auseinandersetzung. Sie wurde von P r o b a und J u h a n n a n B a r b u r ausgelöst, die die philosophische Begrifflichkeit Stephanus' des Sophisten auf Christus angewandt und die Überzeugung gewonnen hatten, daß eine öiatpopä ev %oiöxr}xi (pvomfj (ein Unterschied in der naturhaften Beschaffenheit) ohne eine Scheidung und eine M e h r h e i t der Naturen nicht möglich sei (Uthemann 3 9 8 f). N a c h d e m P r o b a und B a r b u r von einer monophysitischen Synode in G o u b b ä B a r r ä y ä 5 8 4 / 5 (?) verurteilt worden waren, gingen sie und ihre Anhänger in zahlreichen Klöstern auf die chalkedonensische Seite über und fanden A u f n a h m e durch den chalkedonensischen Patriarchen von Antiochien, Anastasius ( 5 5 9 - 5 7 0 ; 5 9 3 - 5 9 8 ) . Die Affäre zog eine Flut von noch unedierten Schriften nach sich (Van R o e y , Scrinium Lovaniense). Z u einem erneuten innermonophysitischen Schisma k a m es nach 5 8 5 , als D a m i a n von Alexandrien und Petrus von Kallinikon sich in der Frage der Bestreitung des Tritheismus entzweiten. Diese Spaltung hielt bis zum Beginn des siebten J a h r h u n derts an (s. Ebied/Van R o e y / W i c k h a m ) .
Die Unzufriedenheit der großen Masse der Monophysiten mit der (kaiserlichen) chalkedonensischen Kirche hatte sich unterdessen mit einem zunehmenden Nationalismus ihrer eigenen Kirchen verbunden. Mag allerdings auch der religiöse Zwist einer der vielen Faktoren gewesen sein, die das erfolgreiche Vordringen der Perser und Araber gegen das Byzantinische Reich im siebten Jahrhundert ermöglicht haben, so gibt es doch wenig Anhaltspunkte für die Annahme, die Antichalkedonenser hätten die Eindringlinge begrüßt oder ihnen Vorschub geleistet (Moorhead 1981). Zur Geschichte der Monophysiten nach dem 6. Jh. s. —»Monenergetisch-monotheletischer Streit und die Artikel zu den unterschiedlichen Nationalkirchen (—»Armenien; —»Äthiopien; -»Jakobitische Kirche; —»Koptische Kirche).
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6.
Monophysiten
Schlußbemerkung
Die Stärken und Schwächen des Monophysitismus haben ihren Grund in dem N a c h druck, den seine Christologie auf die Einheit der beiden Naturen legt. Die in der Formel [lia (pôaiç roß 0eov Aóyoo aeaapxœfiévrj beschlossene monophysitische Begrifflichkeit schließt Nestorianismus aus und sichert zumindest der T h e o r i e nach die Behauptung des Erhaltenbleibens der menschlichen Natur in der é'vcoaiç ab. Die monophysitische Behauptung der einen zusammengesetzten Natur in Christus tendiert jedoch, und zwar hauptsächlich infolge der fehlenden Unterscheidung zwischen (pùaiç und ÙTiôaraaiç, zu der Vorstellung einer überwiegend göttlichen Natur, die für die wirkliche Menschheit möglicherweise nur unzulänglich R a u m läßt. Die Zersplitterung der Monophysiten zumal während des 6. J h . über die Versuche, zu einer klaren und allgemein annehmbaren Ausformulierung ihres Glaubens zu k o m m e n , ist ein Zeichen dieser Schwäche. Es muß allerdings auch eingeräumt werden, daß die Zwei-Naturen-Formel von Chalkedon ebenfalls nicht mit durchgängigem Erfolg die Behauptung der menschlichen Natur Christi in ihrem wirklichen Stellenwert hat absichern können (Rahner 3 - 4 9 ) , und daß zumindest ein Teil der innermonophysitischen Auseinandersetzungen während des 6. J h . der Wendung von einer Christus-Ontologie zu einer Christus-Psychologie zugeschrieben werden muß (Ternus 9 8 - 1 1 7 ) . Die Wirkung der Christologie der einen Natur auf das geistliche Leben ihrer Anhänger ist schwer auszumachen, zumal volkstümliche Frömmigkeit überhaupt zu monophysitischen Vorstellungen neigt. Ihr Einfluß auf die Liturgie war anscheinen die dyophysitischen Liturgien sind nikänische Elemente (Engberding 6 9 7 - 7 3 3 ) . Des weiteren ist zu unterscheiden zwischen einer etwa bei Johannes Philoponus anzutreffenden reflektierten Spiritualität, die eine deutliche monophysitische Prägung zeigt (de Halleux, T h P h 3 5 2 - 3 6 6 ) , und einer zum Beispiel bei Johannes Rufus zur Sprache kommenden volkstümlichen, in der die geistliche Haltung sich häufig eher an kirchlichen Ordnungsfragen wie dem Empfang der Taufe und Eucharistie von der rechten Person ausrichtet, eine Erscheinung, die sich auch in der volkstümlichen chalkedonischen Literatur findet. Es trifft auch zu, daß für die monophysitische Spiritualität die Gottesgebärerin früh die Rolle einer Mittlerin annahm, wobei die Dyophysiten ihr darin nicht wesentlich nachstanden. Quellen und
Literatur
Ausführliche Bibliographie: KonChal. — Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche II/I, II/2, H/4, Freiburg i.Br. 1986, 1989, 1990.
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Monotheismus I
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Pauline Allen Monotheismus I. II. III. IV.
Religionsgeschichtlich Altes Testament . . . . Judentum Systematisch-theologisch
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I. Religionsgeschichtlich 1. Geschichte des Begriffs
1. Geschichte
des
2. Der religionsgeschichtliche Befund
(Literatur S. 237)
Begriffs
Der Glaube, daß es nur einen einzigen Gott gibt, heißt Monotheismus. Unter Henotheismus oder Monolatrie versteht man die Verehrung eines einzigen Gottes unter Anerkennung der Existenz anderer Götter.
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Monotheismus I
Die religionsgeschichtliche Forschung zu Beginn der Neuzeit vertrat die Ansicht, der Monotheismus sei die älteste Form der Religion. So meinte G . J . Voss (De theologia gentili et physiologia christiana, sive de origine ac progressu idololatriae, Amsterdam 1642), daß die ersten Menschen eine vollkommene Gotteserkenntnis hatten und daß die heidnischen Religionen eine Entartung oder Degeneration des ursprünglichen Monotheismus darstellten. Auch die Denker der Aufklärung erblickten in den verschiedenen Religionen mit Vorliebe die Degeneration einer Urstufe; diese Urstufe war eine reine Vernunftreligion mit dem Glauben an Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Etwa zur gleichen Zeit trat aber, zumindest von der Idee her, die animistische Religionstheorie auf den Plan: ein ursprünglicher Glaube an Seelen und Geister sei in die Verehrung von Göttern übergegangen, und aus der Vorstellung von mehreren Göttern habe sich schließlich der Glaube an einen einzigen Gott entwickelt. Diese Theorie entfaltete der Pariser Domherr Nicolas-Sylvestre Bergie (L'origine des dieux du paganisme, Paris 1767). Der eigentliche Begriff Animismus wurde von Edward Burnett Tylor geprägt (Primitive Culture, London 1871). Die animistische Religionstheorie gewann bald viele Anhänger, zumal Tylor sie mit einer evolutionistischen Grundkonzeption verband. Der Evolutionismus ging das Problem des Monotheismus aus einer anderen Richtung an. Hatten viele den Urmonotheismus als den Anfang gesehen, so erscheint in evolutionistischer Perspektive der Monotheismus als letzte Stufe der religionsgeschichtlichen Entwicklung, indem er im Laufe der Geschichte allmählich den Polytheismus abgelöst habe. Neben David -»Hume (1757) und Jean-Jacques —»Rousseau (1764) war es vor allem Charles de Brosse, der in seinem epochemachenden Werk Du culte des dieux fétiches (Paris 1760) im Rahmen eines Vergleichs der altägyptischen Religion mit der zeitgenössischen Religiosität im Sudan die evolutionistische Sichtweise entfaltete. Als weitere Vertreter sind hier Auguste Comte (1830) und natürlich E.B. Tylor (s.o.) sowie Herbert Spencer (1877) zu nennen. Gegen diese animistisch-evolutionistischen Theorien erhoben sich zu Anfang des 20. Jh. zahlreiche Stimmen, die nun wieder den Monotheismus als älteste Form der Religion deuteten und damit an Positionen anknüpften, wie sie beispielsweise schon von Joseph François Lafitau (1724) und -»Voltaire (1764) eingenommen worden waren. Der erste wissenschaftliche Kritiker der animistischen Religionsdoktrin war der Schotte Andrew Lang ( T h e Making of Religion, London u. a. 1898 und weitere Arbeiten). Sein Ausgangspunkt waren Materialien aus dem Bereich südostaustralischer Stammeskulte, die seinerzeit gerade bekanntgemacht wurden. Bei diesen Stämmen gibt es, so meinte Lang, keine Anbetung von Geistern oder Seelen, dagegen überall die Vorstellung von einem im Himmel lokalisierten höchsten Wesen, das über das moralische Handeln der Menschen wacht. Aufgrund der von ihm ausgewerteten Quellen bezeichnete Lang den Monotheismus als die ursprüngliche Religionsform der Menschheit. Eine ähnliche Auffassung, wenngleich mit andersgearteter Argumentation, vertrat P. Wilhelm Schmidt S. V. D.; nicht unbeeinflußt von theologischen Prämissen, will er in seinem großangelegten Werk Der Ursprung der Gottesidee (12 Bde., Münster 1 9 1 2 - 1 9 5 5 ) aufzeigen, daß der Glaube an ein höchstes Wesen gerade bei allen „primitivsten" Naturvölkern nachzuweisen und somit als die früheste Religionsform anzusehen sei. Der Schwede Nathan -»Söderblom, damals Professor in Leipzig, veröffentlichte 1914 sein Werk Gudstrons uppkomst (Das Werden des Gottesglaubens, '1916 2 1926). Söderblom wollte das Vorkommen eines solchen „höchsten Wesens" nicht leugnen, er suchte aber einen Mittelweg zwischen animistischer Religionstheorie und Urmonotheismus. So nahm er drei verschiedene Wurzeln des Gottesglaubens an: den Glauben an die Macht (oder mana), den Animismus und die Vorstellung von einem Urheber. In diesem Zusammenhang hob Söderblom besonders hervor, daß das höchste Wesen der Schöpfer der Welt und der Begründer der religiösen und sozialen Ordnungen sei.
Monotheismus I
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Zwischen Schmidt und Söderblom kam es zu einer Kontroverse in der Frage, ob man auch dann von Monotheismus sprechen könne, wenn man neben dem höchsten Wesen eine Reihe weiterer Wesen annimmt, die Gegenstand des Glaubens und der Verehrung sind. Während Söderblom diese Frage verneinte, beantwortete Schmidt sie positiv, falls diese anderen Wesen 1. vom höchsten Wesen geschaffen seien, sie 2. ihre Stellung und Funktion von ihm zugewiesen bekommen hätten und sie 3. in der Ausübung ihrer Funktionen von ihm beaufsichtigt würden. Auch die Theorie des Italieners Raffaele -»Pettazzoni hat man oft, allerdings zu Unrecht, als urmonotheistisch bezeichnet. In seinem Werk Dio. Formazione e sviluppo del monoteismo nella storia delle religioni (Rom 1922) will der italienische Gelehrte unter Verwendung umfangreichen Materials aus der ganzen Welt nachweisen, daß der Glaube an einen allsehenden und allwissenden Gott eine ursprüngliche Erscheinung darstellt und daß dieser einzige Gott eigentlich mit dem Himmelsgewölbe identisch ist. Pettazzoni verwirft den Ausdruck „Urmonotheismus", da in seinen Augen ein konsequenter Monotheismus immer erst das Ergebnis eines gegen einen schon vorhandenen Polytheismus gerichteten Protestes ist. Außerdem betont er, daß der Hochgott nicht im Himmel wohnt, sondern der Himmel ist (Dio 3 5 5 f mit Kritik an Söderblom). Die Theorien Pettazzonis hat der Schwede Geo Widengren weitergeführt ( H o c h g o t t glauben im alten Iran, 1938). Er betrachtet vor allem den Himmelsgott — oder den Hochgott, wie er ihn meistens nennt — als Lenker des Schicksals und Zuteiler von Gut und Böse und hebt eine Doppelheit in dessen Wesen hervor: als Schicksalsgott bringt er sowohl Leben als auch Tod, sowohl Glück als auch Unglück, sowohl Regen und Fruchtbarkeit als auch Dürre und Mißernten. Die Erhabenheit des Hochgottes über alle Gegensätze zeigt sich übrigens auch darin, daß er oft als androgyn geschildert wird. Nach Widengren bedeutet diese Vereinigung von Gegensätzen eine Spaltung in der Natur des Hochgottes. Sie bildet den Ausgangspunkt für gewisse Absplitterungsprozesse, durch die sich verschiedene Aspekte und Funktionen des Hochgottes von diesem absondern und zu selbständigen Gottheiten werden. Auf diese Weise könne man, so Widengren, die Entstehung von manchen Göttern des Polytheismus erklären. Gegen diese und andere Theorien von einem urtümlichen Himmelsgott ist eingewendet worden, daß die Himmelsgötter nur in bestimmten Kulturkreisen vorkommen und daß das höchste Wesen andernorts anders ausgestaltet ist. Auch Widengren hebt hervor, daß die Sonne, der Mond oder der Regenbogen gleichfalls als Hochgötter verehrt werden. Nach Pettazzoni ist die Ausarbeitung einer Typologie der verschiedenen Hochgötter eine der dringendsten Aufgaben der modernen Religionswissenschaft. Natürlich erheben weder die Theorie des Urmonotheismus noch die des ursprünglichen Hochgottes den Anspruch, eine endgültige Antwort auf die Frage nach dem Ursprung der Religion zu sein. Eine solche Antwort ist unmöglich. 2. Der religionsgescbichtlicbe
Befund
Alle bis jetzt behandelten Theorien beschäftigten sich mit den vermeintlich urtümlichsten Stammesreligionen und gelangten so zu Aussagen über Phänomene im Bereich der Vorgeschichte. Statt dessen geht man in der Religionswissenschaft heute von den de facto vorhandenen monotheistischen Religionen aus. Dieser Monotheismus ist, wie man annimmt, weder durch Subtraktion noch durch Abstraktion entstanden; vielmehr geht es hier um die Einzigkeit des Einen, um die „leidenschaftliche Affirmation seiner Gewaltigkeit" (van der Leeuw). Diese Suche nach einem gefürchteten und geliebten Gott unterscheidet den echten Monotheismus vom Henotheismus. In diesem Sinne ist auch I Kor 8,5 f zu verstehen: „Wiewohl solche sind, die Götter genannt w e r d e n . . . , wie es ja viele Götter und viele Herren gibt, so haben wir doch nur einen G o t t . " Neben dieser eifersüchtigen-Form des Glaubens an den einen Gott gibt es aber noch eine zweite, die ich die „ruhige" nennen möchte. Ihr wenden wir uns zunächst zu.
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Monotheismus I
Monotheismus im Sinne eines solchen Glaubens an einen höchsten (himmlischen) Gott finden wir in China (Shang-ti oder T'ien), besonders bei Mo Ti (470—390 v.Chr.), ferner bei verschiedenen (vielleicht sogar allen?) schriftlosen Völkern (z.B. Njame bei den Aschantis, Ngai bei den Massai, Tengri in Zentralasien u.s.w.). In Indien ist teils Visnu, teils Siva als Hochgott zu betrachten, in Iran Zervän, ja sogar unter den Germanen Wodan und Donar. Unter den Griechen ist eine Tendenz zum Monotheismus mit Zeus verbunden. Aischylos dichtet z.B.: „Leg' ich alles auf die Waage, nichts wiegt schwerer als Zeus." (Agamemnon 160f) Im Hellenismus finden wir ebenfalls monotheistische Tendenzen, sei es durch Anknüpfung an den solaren Monotheismus, sei es durch universalisierende Steigerung des Glaubens an Isis (Apuleius und die sog. Aretalogien), an das Schicksal, die eifiap/iivt] (Manilius, Astronomica), oder an die Vernunft, den vovg (die Stoa und die jüngere Orphik). Auch in Ägypten gehörten monotheistische Strömungen immer der philosophischen und theologischen Spekulation an; sie waren zugleich Widerhall staatlich-politischer Vorgänge. Unter den Semiten bezeichnet das Wort für „Gott" (akkad. ilu, hebr. und aram. 'e/, arab. alläh) oft den höchsten, vielleicht einzigen Gott. Eine starke Neigung zum Monotheismus ist unverkennbar, und es fällt auf, daß die drei großen monotheistischen Religionen auf semitischem Boden entstanden sind. Monotheistische Vorstellungen im Sinne der o.g. „eifersüchtigen" Form setzen in vorchristlicher Zeit mit Echnaton und Zarathustra ein. Der Pharao Amenophis IV. (ca. 1370-1352 v. Chr.), der sich später Echnaton nannte, führte im Kampf gegen die Amonpriester die Verehrung der Sonnenscheibe unter dem Namen Aton ein. Dieser galt in der Tat als einziger Gott. Die monotheistische Tendenz steigerte sich zur Exklusivität, so daß die Verehrer Amons und der lokalen Götter verfolgt wurden. Die neue Religion hat sich jedoch nicht durchgesetzt, und einige Jahre nach dem Tode Echnatons ergriffen die Amonspriester wieder die Macht. Im Mittelpunkt der Verkündigung Zarathustras steht Ahura Mazda; obwohl dieser zusammen mit seinem guten Geist Spanta Mainyu gegen seinen bösen Zwilling Angra Mainyu zu kämpfen hat, ist er doch der höchste und somit der einzige Gott, für den der Mensch sich entscheiden und dem er gehorchen soll. Ahura Mazda wurde alleiniger Gott in der Weise, daß die daevas, die früheren Götter, zu Dämonen wurden. Am Ende der Zeiten wird Ahura Mazda siegen und alle Macht erhalten. Wenn wir uns nun noch den beiden großen nichtchristlichen monotheistischen Religionen zuwenden, so ist an erster Stelle das Judentum zu nennen. Jahwe, dessen Name so heilig ist, daß man ihn nicht nennt, ist der einzige Gott Israels. Das erste und wichtigste Gebot lautet: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben" (Ex 20,3). Auch das oft zitierte Bekenntnis „Höre Israel, Jahwe unser Gott, Jahwe ist einzig" (Dtn. 6,4) bringt den Glauben an Jahwe als den einzigen Gott prägnant zum Ausdruck. Die Überwindung des Polytheismus war freilich ein längerer historischer Prozeß; recht eigentlich erst bei Deutero-Jesaja am Ende des Exils finden sich Aussagen im Sinne eines strengen Monotheismus. Den konsequentesten Monotheismus der religiösen Welt zeigt der Islam. Nicht nur das kurze Glaubensbekenntnis „Es gibt keinen Gott außer G o t t . . . " , auch viele Stellen im Koran legen davon beredtes Zeugnis ab. Die 112. Sure, neben der Eröffnungssure die am häufigsten zitierte Sure, formuliert knapp und unzweideutig: „Sprich: Er ist der eine Gott, Der ewige Gott; Er zeugt nicht und wird nicht gezeugt, Und keiner ist ihm gleich." (Übers. Max Henning)
Monotheismus II
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Mit seiner Verkündigung zielte Mohammed sicherlich zunächst gegen die einheimischen Götter der altarabischen Volksreligion; zugleich aber wird mit der gesteigerten Betonung der Einzigheit und Einheit Gottes auch die christliche Trinitätslehre verworfen. Es sei am Schluß dieser Betrachtung noch kurz angefügt, daß jüngere Forschungen zwischen Gottesbild und Gottesvorstellung unterscheiden. Gottesvorstellung ist ein kognitiver Begriff im Sinne einer mentalen Repräsentation. Sie kann motorisch in Riten, ikonographisch in Bildern und verbal in religiösen Texten konkrete Gestalt gewinnen. Eine auf diese Weise konkretisierte Gottesvorstellung heißt Gottesbild (Olsson 1985, 42). Die monotheistische Gottesvorstellung kann daher auf ganz unterschiedliche Weise in Erscheinung treten, teils in Bildern mit starken anthropomorphen Zügen, teils in enger Verbindung mit elementaren Mächten der Natur wie Himmel, Erde, Sonne, Blitz u. s. w. (Olsson 1983, 99). „Unterschiedliche Auffassungen herrschen in unterschiedlichen Sprechsituationen, und was die mündliche Literatur betrifft, so kommen bestimmte Konzeptionen speziell in ganz bestimmten Genres zum Ausdruck" (Olsson 1983, 104). Auf diesem Hintergrund ist der Unterschied beispielsweise zwischen den Überlegungen eines Wilhelm Schmidt und eines Raffaele Pettazzoni nicht so groß, wie es auf den ersten Blick schien. Literatur Frans Christiaan Bursch, Het probleem van het oermonotheisme in ethnologie en praehistorie: Mens en maatschappij 29 (1954) 321—331. — Carl Clemen, Der sog. Monotheismus der Primitiven: A R W 2 7 (1929) 2 9 0 - 3 3 3 . - Johannes J a c o b u s Fahrenfort, Het hoogste wezen der primitieven, Groningen/den Haag 1927. - Hermann Kees, Der Götterglaube im alten Ägypten, Leipzig 1941, Berlin 2 1956. - Günter Lanczkowski, Forschungen zum Gottesglauben in der Religionsgesch.: Saec. 8 (1957) 3 9 2 - 4 0 3 . - Gerardus van der Leeuw, Achnaton, Amsterdam 1927. - Ders., Die Struktur der Vorstellung des sog. höchsten Wesens: A R W 2 9 (1931) 7 9 - 1 0 7 . - Wilhelm Emil Mühlmann, Das Problem des Urmonotheismus: T h L Z 7 8 (1953) 7 0 5 - 7 1 8 . - T o r d Olsson, Gudsbild, talsituation och litterär genre Föreningen lärare i religionskunskap: Arsbok 16 (1983) 9 1 - 1 0 9 . - Ders., Gudsbildens gestaltning — litterära kategorier och religiös tro: Svensk Religionshistorisk Arsbok 1 (1985) 4 2 - 6 3 . — Raffaele Pettazzoni, L'onniscienza di Dio, Turin 1955; engl.: T h e All-knowing God, London 1956. — Ders., L'essere supremo nelle religioni primitive, Turin 1957; dt.: Der allwissende Gott, Frankfurt a . M . / H a m b u r g 1960. - Konrad T h e o d o r Preuss, Die höchste Gottheit bei den kulturarmen Völkern: Psychologische Forschung 2 (1922) 1 6 1 - 2 0 8 . - Ders., Glauben u. Mystik im Schatten des höchsten Wesens, Leipzig 1926. — Paul Radin, Monotheism among Primitive Peoples, Reissue, Basel 1954. - Torgny Segerstedt, Till frägan o m polyteismens uppkomst, Stockholm 1903. - Nathan Söderblom, Gudstrons uppkomst, Stockholm 1914 2 1941; dt.: Das Werden des Gottesglaubens, Leipzig 1916, z 1926. — G e o Widengren, Hochgottglauben im alten Iran, Uppsala/Leipzig 1938. - Ders., Evolutionism and the Problem of Origin in Religion: Ethnos 10 (1945) 5 7 - 9 6 . — Dominik J o s e f Wölfel, Die Religionen des vorindoeurop. Europa, Nachdr. Hallein 1980.
Äke V. Ström II. Altes Testament 1. Vorbemerkung: Zur Fragestellung und Forschungsgeschichte 2. Die Exilszeit: Deuterojesaja, die Priesterschrift, Deuteronomium und deuteronomistisches Geschichtswerk 3. Propheten des 7., 8. und 9. J h . und ihre Vorläufer 4. Rechtssätze und Gebote 5. Erzählende Texte und Traditionen 6. Die Spätzeit 7. Zusammenfassung (Anmerkung/Literatur S.243)
1. Vorbemerkung:
Zur Fragestellung
und
Forschungsgeschichte
Religionsgeschichtliche Fragestellung richtet sich einerseits auf die Eigenart eines Phänomens, seine Besonderheit im Rahmen des Vergleichbaren, andererseits auf seine Wurzeln, die schwer erforschbaren Ursprünge; beide Aspekte treffen bei einer Untersuchung des alttestamentlichen „Monotheismus" zusammen. Man kann definieren und damit unterscheiden: Monotheismus ist „der Glaube an einen einzigen Gott, der den Glauben an die Existenz anderer Götter grundsätzlich ausschließt". 1 - „Monolatrie (Verehrung eines Einzigen) bedeutet, daß nur einem Gott
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Monotheismus II
gedient wird, ohne daß damit die Existenz anderer Götter geleugnet würde." 2 In diesem Sinne spricht man z. B. von einem Stammes-, Volks-, National- oder Landesgott. Wieweit können solche Abgrenzungen die Phänomene jedoch angemessen umschreiben? Auch der G l a u b e hat seine Geschichte, kann sich ihr nicht entziehen. So hat die längst vertraute Frage nach „Alter und A u f k o m m e n des M o n o t h e i s m u s " 3 ihr R e c h t . Schon J . Wellhausen 4 urteilte: „ D e r M o n o t h e i s m u s war dem alten Israel u n b e k a n n t " ; J a h w e w a r „von H a u s aus der G o t t Israels und wurde dann viel später der universale G o t t " . Allerdings hat noch W.F. Albright 5 gefragt: „ W a r M o s e ein wahrer M o n o t h e i s t ? " und entschieden geantwortet: „ B e d e u t e t . . . der Ausdruck . M o n o t h e i s t ' : Einer, der die Existenz nur eines einzigen Gottes lehrt, welcher Schöpfer des Alls, Quelle der Gerechtigkeit ist, in Ägypten ebenso mächtig wie in der W ü s t e und in Palästina, der kein Geschlecht hat und keine M y t h o l o g i e , der von menschlicher Gestalt ist, aber von M e n s c h e n a u g e n nicht gesehen werden kann und sich in keiner Gestalt darstellen läßt - dann w a r der Begründer des J a h w i s m u s sicherlich M o n o t h e i s t . " J e n e Frage nach dem A u f k o m m e n des „ M o n o t h e i s m u s " wird mittlerweile neu und verschärft gestellt, veranlaßt nicht nur durch eine kritischere überlieferungsgeschichtliche Betrachtung des Alten Testaments, sondern auch durch archäologische Funde, die noch in der Königszeit auf polytheistische Z ü g e - zumindest im Volksglauben - schließen lassen. 6 Die Wirklichkeit w a r anscheinend k o m p l e x e r , als die biblischen T e x t e von sich aus zu erkennen geben. Diese sog. M o n o t h e i s m u s - D e b a t t e 7 weist mit R e c h t auf die Geschichte des G l a u b e n s hin - auf einen Werdegang, der sich mit dem G e d a n k e n der „ E n t - w i c k l u n g " oder „ E n t - f a l t u n g " nicht ausreichend erfassen läßt. Zugleich wird die Problemstellung jedoch nicht unerheblich verschoben, indem nach einem „ T h e i s m u s " gesucht und dieser als M a ß s t a b g e n o m m e n wird.
Eine Einschränkung erfährt die Bestimmung „Monotheismus" nicht selten durch die Gegenüberstellung „praktisch" - „theoretisch"; sie sucht das Selbstverständnis alttestamentlichen Glaubens zu umreißen: „ M a n kann zwar für eine lange Z e i t der israelitischen Religionsgeschichte nicht von einem , M o n o t h e i s m u s ' im strengen Sinne reden, weil die Existenz anderer G ö t t e r nicht bestritten wurde; wohl aber hat sich sehr bald ein praktischer M o n o t h e i s m u s in Israel herausgebildet, für den die Verehrung anderer G ö t t e r als illegitim gelten m u ß t e . " " „Einen theoretischen M o n o t h e i s m u s kennt Israel n i c h t " ; alttestamentlicher G l a u b e „ k ä m p f t nicht um ein gereinigtes Welt- und G ö t t e r b i l d , sondern läßt das P h ä n o m e n fremder G ö t t e r " zu, „ n i m m t diesen aber alle M a c h t " . '
Gewiß werden auf solche Weise bestehende Unterschiede in der Geschichte des Glaubens an einen Gott angedeutet, jedoch bleibt die begriffliche Gegenüberstellung von „theoretischem" und „praktischem Monotheismus" unglücklich. Wo fällt es schwerer, eine Grenze zwischen Theorie und Praxis zu ziehen, als bei der Gottesverehrung? Wie kann sie sich mit „Theorie" begnügen, und wo fängt „Praxis" an? 2. Die Exilszeit: Deuterojesaja, mistisches Geschichtswerk
die Priesterschrift,
Deuteronomium
und
deuterono-
Um die Zeit des babylonischen Exils finden sich in unterschiedlichen Literaturbereichen monotheistische oder monotheistisch klingende Aussagen, so bei dem Propheten Deuterojesaja, in der Priesterschrift und im deuteronomisch-deuteronomistischen Schrifttum. 2.1. Ungewöhnlich scharfe und eindeutige Aussagen, welche die Existenz anderer Götter ausschließen und Jahwe aus jeder möglichen Göttergenealogie ausnehmen, trifft Deuterojesaja im Rahmen seines tröstend-heilvollen Zuspruchs an die Verbannten: „Vor mir wurde kein Gott gebildet und nach mir wird keiner sein." (Jes 43, 10) „Ich bin der Erste und ich der Letzte, außer mir ist kein Gott." (Jes 44,6; vgl.41,4; 45,5f.l8.21 f; 46,9 u.a.). Falls die monotheistisch klingenden Aussagen im strengen Sinne monotheistisch gemeint sind, dann hält der Exilsprophet die (theoretische) Erkenntnis kaum bzw. nicht durch. Anscheinend können die Götter der Völker selbst aufgerufen werden, obwohl sie dann nicht zu Wort kommen: „Tut kund, was hernach kommen wird, damit wir erkennen, daß ihr Götter seid!" (Jes 41,22f; vgl.41,26; 4 4 , 6 - 8 ) .
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Ausdrücklich zieht Deuterojesaja die Folgerung (41,24.29): „Euer Tun ist nichts", bestreitet also zumindest mit dem Sein, der Existenz, zugleich die Wirksamkeit der Götter. Sie bedeuten, „nützen nichts". Es ist möglich, sie zu „wählen", aber: „ein Greuel, wer euch erwählt" (41,24; vgl. Jos 24,15). Wäre diese Argumentation nötig, wenn er als selbstverständlich voraussetzt, daß die Götter nicht existieren? Die Frage drängt sich auf, obwohl die Botschaft des Exilspropheten eindeutig auf den Nachweis zielt, der - gleichsam spiegelbildlich - jener Folgerung entspricht: „Außer mir ist kein Helfer" (Jes 43,11 nach Hos 13,4; vgl.Jes 43,13; 45,21). Er ist allein Gott - zumindest: der wahre Gott oder wahrhaft Gott.
In einem für das T h e m a ebenso bedeutsamen Wort (Jes 46,1) wird in prophetischer Vorwegnahme der Zukunft der Sturz von Bei und Nebo angesagt: „In die Knie geht Bei, es krümmt sich Nebo, ihre Bilder kommen auf das Vieh . . . " Werden sie als Götter(namen) von „ihren Bildern" unterschieden? 10 Gewiß zielt die Argumentation wiederum auf den Niedergang, die Kraftlosigkeit der Götter, die Bestreitung ihrer Macht. Sie werden „getragen" oder müssen getragen werden, Jahwe trägt selbst, gibt unermüdlich Kraft (40,28f). So ist die Intention zumindest nicht nur ein „theoretischer" Monotheismus. Das eigentliche Ziel von Deuterojesajas Botschaft und Argumentation ist soteriologisch, die Heilszusage: Der eine Gott ist „allein" Schöpfer (Jes 44,24) und Erlöser. 1 1 2.2. Der erste Satz der Bibel, der der priesterschriftlichen Schöpfungsgeschichte wie eine Überschrift oder deutende Themenangabe voransteht (Gen 1,1), klingt eindeutig monotheistisch und hat so seine Wirkung entfaltet; er ist nicht eigentlich ein Urteil, daß Gott existiert, sondern ein Bekenntnis zum Wirken des Schöpfers und damit zum Dasein Gottes: Der eine Gott schuf „am Anfang" „Himmel und E r d e " , d.h. das Weltganze. Entsprechend ist in der Darstellung selbst das Chaos keine persönliche, tätige Macht, und die Gestirne bilden keine mythisch deutbaren Größen. Zwar fehlt eine ausdrückliche Feststellung wie „außer ihm ist keiner", jedoch bleibt für andere göttliche Kräfte in der Schöpfungsgeschichte - wie etwa in der Sintfluterzählung - kein Wirkraum oder Betätigungsfeld; es treten nicht einmal (wie etwa Ps 103,20ff) Schöpfungsmittler auf. Höchstens klingt in der Ankündigung „Wir wollen Menschen machen" (Gen 1,26) die Anrede an einen Kreis Gott zugehöriger, ihm untergeordneter Wesen, etwa himmlischer Heerscharen, nach. 1 2 Allerdings kann innerhalb der folgenden Darstellung Gott selbst ankündigen (Ex 12,12): „An allen Göttern Ägyptens werde ich Strafgerichte vollstrecken." Diese Zukunftsansage erweist die M a c h t Jahwes im Ausland, erwähnt die Götter nur in der Gerichtsandrohung, bezeugt damit die Überlegenheit des einen (Schöpfer-) Gottes Jahwe und die Ohnmacht der anderen Götter (vgl. E x 8,14 f u. a.). Wird deren Existenz - selbst in der Priesterschrift — aber von vornherein bestritten? 2.3. Innerhalb des deuteronomistischen Geschichtswerks (oder in Nachträgen) begegnen mehrfach auf einen Monotheismus zielende Aussagen: „Alle Völker der Erde (sollen) erkennen, daß Jahwe Gott ist und keiner sonst. 1 3 Im Deuteronomium findet sich das Bekenntnis: „ J a h w e ist Gott, außer ihm keiner" (4,35), „ G o t t im Himmel oben wie auf der Erde unten und keiner sonst" 1 4 , neben der vielfachen Warnung, „anderen G ö t t e r n " zu dienen. 1 5 Diese beiden unterschiedlichen Äußerungen gehören vermutlich verschiedenen literarischen Schichten an. Jedoch stehen die monotheistisch wirkende und die den Polytheismus voraussetzende Aussage in einem Buch vereint nebeneinander. So läßt sich seine Gesamtintention kaum mit dem Begriff „Monotheismus", sondern eher mit dem - nach verschiedenen Richtungen hin auslegb a r e n - B e k e n n t n i s (Dtn 6,4) wiedergeben: „Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einer {einzig)." Zielt Dtn 6,4 auf einen „Mono-Jahwismus" im Gegensatz zu einem „Poly-Jahwismus", einer Vielfalt von Repräsentationen Jahwes an den verschiedenen Heiligtümern?" Richtet sich Dtn 6,4 gegen die Vielzahl fremder Götter und Kultstätten? Beide Zielsetzungen müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern können in der Abwehr fremder Einflüsse - eine Vielgestaltigkeit Jahwes folgt gleichsam dem Vorbild Baals - eine Stoßrichtung bilden. Im vorliegenden Kontext wird der
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Monotheismus II
von sich aus mehrdeutige Bekenntnissatz durch die wiederum vorangestellten, zitierten monotheistischen Aussagen (Dtn 4 , 3 5 . 3 9 ) ausgelegt und später auch in diesem Sinne verstanden: „ E r ist einer, und kein anderer ist außer i h m " ( M k 12,32). 1 7
3. Propheten
des 7., 8. und 9. Jh. und ihre
Vorläufer
Wie streng auch jene monotheistischen oder monotheistisch klingenden Aussagen gemeint sein mögen, die Ausschließlichkeit des Glaubens wird von den theologischen Entwürfen, die um die Exilszeit (im 6. Jh. v. Chr.) entstehen, als grundlegend vorausgesetzt. So heben sowohl die Priesterschrift als auch die deuteronomisch-deuteronomistische Literatur die ungeteilte „Ganzheit" des Menschen vor Gott hervor 18 . Wieweit läßt sich die Exklusivitätsforderung dann zurückverfolgen? 3.1. Der Prophet Jeremía, in dessen Botschaft die Auseinandersetzung mit den Fremdreligionen nicht fehlt 1 ', vergleicht (gegen Ende des 7. Jh. v. Chr.) in seinem eindrucksvollen Bild die Wirksamkeit des einen Gottes mit den Fähigkeiten der Götter (2,13): „Zweifaches Unrecht beging mein Volk: Mich verließen sie, den Quell lebendigen Wassers, um sich Zisternen zu hauen, rissige Zisternen, die das Wasser nicht halten." Strittig ist die Frage: Wer gibt Leben? Nicht eigentlich die Existenz, vielmehr die M a c h t , Bedeutung oder Verläßlichkeit fremder G ö t t e r wird geleugnet. 2 0 Die Absicht ist, zugespitzt geurteilt, nicht die Einsicht in einen , , M o n o - T h e i s m u s " zu lehren und zu verbreiten, sondern auf den w a h r e n , zuverlässigen und beständigen G r u n d des Vertrauens zu verweisen. D a m i t ist die Intention des Textes umschrieben; allerdings braucht, was mit „ n i c h t - s o n d e r n " unterschieden wurde, im Weiterdenken des Glaubens keinen Gegensatz zu bilden.
3.2. Bereits der Prophet Jesaja, der Gott „auf einem hohen und erhabenen Thron" sieht (6,1), kann (im 8. Jh. v.Chr.) die Ausschließlichkeit im Rahmen seiner Gerichtsansage (2,17) als Zukunftserwartung zur Geltung bringen: „Erhaben ist Jahwe allein an jenem Tag." 2 1 Hosea sucht Israels Schuld vorwiegend in der Übertretung des zweiten (8,4ff u.a.) und ersten Gebots, das er ausdrücklich zitiert: „Ich bin Jahwe, dein Gott, vom Land Ägypten her. Einen Gott neben mir kennst du nicht, einen Helfer außer mir gibt es nicht."" Dieser T e x t , „das älteste datierbare Zeugnis im Alten T e s t a m e n t für die Verbindung von Selbstvorstellung J a h w e s (Dekaloganfang) und erstem G e b o t " 2 3 , macht - wie der (jüngere?) D e k a l o g - deutlich, daß das erste G e b o t Folge und Entfaltung der Z u s a g e „dein G o t t " ist. D e r R ü c k b e z u g auf die Geschichte „von Ägypten h e r " (auch 12,10) bestimmt kaum nur den zeitlichen Beginn dieser Beziehung, sondern erinnert zugleich an die Erfahrung der R e t t u n g oder „ H i l f e " . 2 4 Z u d e m erscheint die Ausschließlichkeit nicht in F o r m einer Forderung, sondern als Feststellung: Es ist kein anderer Helfer - ein Bekenntnis, das J e r e m i a (2,13) in jenem Bildwort entfaltet und später Deuterojesaja (Jes 4 3 , 1 1 ; vgl. 4 5 , 2 1 ) wörtlich a u f n i m m t .
In den Worten des ältesten Schriftpropheten Amos macht kein Baal Jahwe „den Rang streitig . . . Die Einzigkeit der Gottheit Jahwes in Israel und der Völkerwelt ist kein Gegenstand seiner Botschaft, sondern deren selbstverständliche Voraussetzung"". Jahwe ist nicht nur Richter der Völker (Am 1,3ff), der auch Vergehen ahndet, von denen Israel nicht betroffen ist (2,1), sondern hat Macht über die Nachbarstaaten hinaus (9,7 u.a.) bis an die Grenzen des Kosmos: Weder im Himmel oder in der Unterwelt noch in der Tiefe des Meeres gibt es vor ihm eine Fluchtstätte (9,2f; vgl.Ps 139,7ff). Damit sprengt bereits in Amos' Worten Jahwe die Kategorie des „Nationalgottes", zumal sich dieser „Volksgott" gegen sein eigenes Volk wendet. So wird auch ein bewußt zurückhaltendes Urteil feststellen können: Offenkundig gehen die Propheten des 8. Jahrhunderts, Amos, Hosea und Jesaja, die ihrerseits verschiedene Traditionen, Themen und Motive aufgreifen, gemeinsam - wie selbstverständlich - von der Ausschließlichkeit des Jahweglaubens aus, geben ihr unterschiedlichen Ausdruck oder bezeugen sie auf wechselnde Weise und beziehen sie in je eigener Weise auf ihre Wirklichkeit.
Monotheismus II
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In der prophetischen Botschaft zeigt sich die Vormacht Jahwes auch darin, daß er fremde Großmächte, die ja andere Gottheiten verehren, in den Dienst nehmen kann, um das Strafgericht an seinem Volk zu vollstrecken. 26 3.3. D a die Datierung von Psalmen eher noch schwerer fällt als von Prophetenworten und k a u m allgemeine Anerkennung findet, können Psalmen weniger zur Begründung als nur zur Bestätigung herangezogen werden; auch n i m m t sich der hymnische Lobpreis in der Sprache mehr Freiheit als die Prosa-Erzählung, das P r o p h e t e n w o r t oder gar der Rechtssatz. Immerhin bezeugen Psalmen, die in der Regel als älter angesehen werden, eine doppelte Einsicht. Z u m einen sagen sie die Überlegenheit oder Vorherrschaft J a h w e s über andere G ö t t e r oder Gottwesen aus: „Bringt dar J a h w e , ihr G ö t t e r s ö h n e , bringt dar J a h w e Ehre und S t ä r k e ! " 2 7 Z u m andern wird das Bekenntnis: „ J a h w e gehört die Erde und was sie e r f ü l l t " alt sein, zumal die Prädikation J a h w e s als „ K ö n i g über die ganze E r d e " (Ps 4 7 , 3 . 8 ) durch den Preis der Seraphen in J e s a j a s Vision „ D i e Fülle der ganzen Erde ist seine H e r r l i c h k e i t " (6,3) in anderer Weise a u f g e n o m m e n oder bekräftigt wird. 2 8
3.4. Spielen bei der historischen Auswertung der Prophetentexte „Echtheits"-Erwägungen eine nicht unerhebliche Rolle, so sind erst recht Abgrenzung und Datierung der Texte oder Überlieferungen umstritten, die vor die sog. große Schriftprophetie zurückreichen; die Worte der sog. Vorschriftpropheten sind ja nur in - schwer allgemein überzeugend aufteilbaren und kaum eindeutig zeitlich bestimmbaren - Erzählzusammenhängen erhalten. Darum setzt jede Argumentation in diesem Bereich ein Verständnis vom Wachstum alttestamentlicher Literatur voraus - einschließlich des Pentateuch. Vor den sog. Schriftpropheten trat insbesondere Elija im 9. Jh. für die Ausschießlichkeit des Glaubens ein; zuständig ist nur ein Nothelfer: „Ist denn kein Gott in Israel, daß ihr geht, Baal Sebub, den Gott von Ekron, zu befragen?" (II Reg 1,3.6; vgl. I Reg 18 f; II Reg 9) Ist das Bekenntnis zu „Jahwe allein" erst einer Bewegung der Zeit Elijas, des 9. Jh. v. Chr., zu verdanken? 2 ' Allerdings klagen die Propheten, schon Elija, an, meinen also, daß ihre Zeitgenossen eigentlich um die Ausschließlichkeit des Glaubens wissen oder zumindest wissen können. Auch ist die Ausschließlichkeitsforderung in der Auseinandersetzung mit Baal (vgl. Jdc 6; I Reg 18f; II Reg 1; Hos 2 u.a.) kaum erst aufgekommen, sondern hat sich eher in ihr entfaltet (vgl. Hos 3,1). 30 4. Rechtssätze
und
Gebote
Die Annahme, daß das Bekenntnis „Jahwe allein" erst aus dem 9. Jh. v. Chr. stammt, ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß nicht nur das Bundesbuch als Rechtssammlung, das sicher vordeuteronomisch ist und nach üblicher Auffassung - im Kern bzw. in Teilen - in die frühkönigliche oder gar vorstaatliche Zeit 31 zurückreicht, sondern auch der einzelne Rechtssatz spät datiert wird. Eine anscheinend recht frühe Formulierung, die, um eindeutig zu bleiben, späterer (eingeklammerter) Ergänzungen bedurfte, verknüpft Tat und Folge (Ex 22,19): „Wer (anderen) Göttern opfert (es sei denn Jahwe allein), wird gebannt." Hier liegt vermutlich die älteste Fassung der Exklusivität des Glaubens in einem Rechtssatz bzw. mit Forderungscharakter vor. In E x 3 4 (V. 14; vgl. Ps 81,10) begegnet das Ausschließlichkeitsgebot als ein dem D e k a l o g formal vergleichbarer Prohibitiv, der - vor allem wegen der ungewöhnlichen, ja einmaligen singularischen Formulierung 'el 'aber „anderer G o t t " - ebenfalls für die „älteste Formulierung des Fremdgött e r v e r b o t s " 3 2 gehalten wird: „ D u sollst nicht niederfallen vor einem anderen E l / G o t t . " Allerdings ist das G e b o t nur in abhängiger Stellung, in einem untergeordneten Begründungssatz ( „ d e n n " ) , erhalten, ist also stärker in den K o n t e x t eingebunden, erfährt außerdem selbst nochmals eine Begründung; sie verweist auf J a h w e s über die Ausschließlichkeit wachenden „ E i f e r " - nicht gegenüber möglichen N e b e n b u h l e r n , anderen G ö t t e r n , sondern gegenüber der G r u p p e seiner Verehrer. 3 3 Untersagen jene beiden Formulierungen jeweils nur eine bestimmte - wohl öffentlich vollzogene, insofern leicht e r k e n n b a r e - Handlung, sei es das O p f e r am Altar oder die Proskynese, so scheint eine pluralische Wendung (Ex 23, 13) bereits eine weitere, allgemeinere Bedeutung zu haben: „ D e n N a m e n anderer G ö t t e r sollt ihr nicht aussprechen, und er soll aus deinem M u n d e nicht gehört w e r d e n . " Sie verbietet den (kultischen) A n r u f 3 4 der N a m e n anderer G ö t t e r und - in einer singularischen, vermutlich jüngeren und sachlich verschärfenden Erweiterung — das Aussprechen; die N a m e n fremder G ö t t e r sollen überhaupt nicht (also etwa auch nicht bei Fluch, Schwur oder anderen
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Gelegenheiten) in den Mund genommen werden. Demgegenüber ist das erste Dekaloggebot (Ex 20,3; Dtn 5,7), das - wie die vorhergehende Erinnerung an Gottes Rettungstat - durch das Ich der Gottesrede geprägt ist, eindeutig „von allen Fassungen die allgemeinste und am wenigsten spezifizierte" 35 ; denn es verbietet jegliches Verhalten zu fremden Göttern, schließt also Opfern, Verehren oder Anrufen ihrer Namen, nicht nur öffentliche, sondern auch private, anderen nicht ohne weiteres einsichtige Handlungen ein - versuchsweise wörtlich übersetzt: „Es soll(en) für dich nicht andere Götter sein vor mir" bzw. „mir gegenüber". Werden zunächst andere Götter „vor" Gottes „Angesicht", im Tempel, ausgeschlossen? Die Verbindung 'al-pene enthält verschiedene Bedeutungsnuancen, wie „vor dem Angesicht, in der Gegenwart von" (Ex 33,19; 34,6 u.a.), „zum Nachteil von" (Dtn 21,16), „vor das Gesicht, gegen" (Gen 16,12; vgl. Neh 2,2), „ins Antlitz, offen" (Hi 1,11; Jes 65,3), umfaßt also „Gegenwart und Konfrontation zugleich" 3 '. „Vielleicht ist die zwischen örtlichem ,vor meinem Antlitz' und ,in mein Angesicht' als feindselige Herausforderung schillernde Bedeutung gewollt."37 Auch die Formulierung „andere Götter" ist „sicher im weitesten Sinne des Wortes zu verstehen" 38 und meint - etwa über die kanaanäischen Baale hinaus - umfassend alle Götter. Ihre Existenz wird als selbstverständlich hingenommen, also vorausgesetzt. „Insofern gehört das erste Gebot noch auf die Seite der Monolatrie"; es „ist ein Teil der Vorgeschichte des Monotheismus" 3 9 . Nicht das Sein der Götter, vielmehr ihre Zuständigkeit für Israel - wie ihre Wirksamkeit — wird bestritten; auf diese Weise wird zugleich die Zuwendung des einen Gottes (Ex 20,2: „dein Gott") bekannt.
5. Erzählende
Texte
und
Traditionen
5.1. Bereits die jahwistische Erzählschicht, die im Grundbestand vor die sog. Reichsteilung 926 v. Chr. zurückgehen könnte 4 0 , zeigt eine erstaunliche Konzentration theologischer Aussagen: Jahwe, Schöpfer der Lebewesen (Gen 2 , 7 f f ) , gibt den Rhythmus von Saat und Ernte (8,22; vgl. 2,5), das Brot (Ex 16,4) sorgt für den Menschen, selbst noch den Ungehorsamen (Gen 3,21; 4,15; vgl. 7,16b), befreit aus der Not (Gen 16,7a.11 ff; 2 9 , 3 2 f ; Ex 3,8 u.a.), sendet Heil wie Unheil (Gen 6,7; 12,17; 18f; 29,31 u.a.). Dabei schließt Jahwes geschichtliches Wirken schon früh Bereiche der Natur 4 1 ein. 5.2. Geben schließlich die so verschiedenartigen Erzählungen des Exodusbuches von Moses Berufung (Ex 3), der Rettung am Meer (Ex 1 4 f ) oder der Theophanie am Sinai (Ex 19,16ff; 24,10f; vgl.Jdc 5) iri ihrem überlieferungsgeschichtlichen Grundbestand — anders als etwa die Tradition von Abrahams Begegnung mit dem Heiligen: „Drei Männer standen vor i h m " 4 2 - nicht bereits auf je ihre Weise die alleinige Zuwendung des Gottes Jahwe zu den Betroffenen wieder? 5.3. „Ein Jahwekultus ohne das erste Gebot ist wirklich nicht vorstellbar"; dieses Urteil G . von Rads 4 3 hat sein Recht, muß jedoch, was den Gebotscharakter betrifft, eingeschränkt werden. Allerdings bekennt sich nach der biblischen Überlieferung Israel oder die später „Israel" genannte Verehrergruppe in - mehr oder weniger offiziellen — gottesdienstlichen Handlungen doch wohl früh, wenn nicht seit je, zu der - alleinigen — Zuwendung Jahwes. Höchst verschiedenartige und alt wirkende Notizen und Traditionselemente sprechen für diese Folgerung. So wirkt die Überlieferung von einem gemeinsamen Kult mit den Midianitern überraschend, wenn nicht anstößig, weil sie späteren Vorstellungen und Gepflogenheiten keineswegs entspricht und sich schon aus den Gegebenheiten der Richterzeit 4 4 kaum mehr erklären läßt: „Moses Schwiegervater, Priester von M i d i a n " 4 5 , „ n a h m " Opfer „für Gott, und alle Ältesten Israels kamen herbei, um zusammen mit Moses Schwiegervater vor Gott ein Mahl zu halten" (Ex 18,12; vgl. 24,11). Zwar wird der Name Gottes hier, im Höhepunkt und Kern der Szene, nicht genannt, nach dem Kontext ist es aber nur eine Gottheit, und zwar Jahwe. 4 6 Selbst die Erzählung vom sog. Goldenen Kalb, die mit der doppeldeutigen Formulierung „Dies sind deine G ö t t e r " bzw. „Dies ist dein G o t t " (Ex 32,8; vgl. I Reg 12,28) Ausschließlichkeits- und Bilderverbot zu einer Frontstellung vereint, bezieht das Kultobjekt ausdrücklich allein auf den Gott (Jahwe), der Israel „aus Ägypten geführt h a t " . In so unterschiedlichen Geschichten mit wechselnden Haftpunkten — wie etwa in dem alten Gottesprädikat „Der vom Sinai" (Jdc 5,4 f) - ist nirgends von einer J a h w e bei-
Monotheismus II
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gesellten Gottheit die Rede. 4 7 Trotz Keruben, ehernem Meer, eherner Schlange und anderen, nach altorientalischen Vorbildern angefertigten Darstellungen, Symbolen oder Kultgeräten wurde nach I Reg 6 - 8 der von Salomo errichtete Tempel Jahwe (vgl. 8,12f) geweiht; auch dort ist von einer gleichrangig neben ihm stehenden Gottheit keine Rede. 4 8 Die These, daß Israel von seinem Ursprung her und noch während der gesamten Königszeit polytheistisch war, ist mit dem Alten Testament, das in sich eine Vielfalt von Überlieferungen bewahrt, kaum vereinbar. Das Problem, das die Differenz zwischen den Aussagen des Alten Testaments und jenen Inschriften aufgibt, läßt sich auch nicht unbesehen zuungunsten des Alten Testaments lösen; es entstehen dann ebenfalls unabweisbare, aber kaum zu beantwortende Fragen. 6. Die
Spätzeit
In verschiedenen Bereichen des Alten Testaments (wie im sog. elohistischen Psalter Ps 4 2 - 8 3 , bei Kohelet, z . T . in der Chronik, ähnlich im Hiobbuch) wird anstelle des Jahwenamens die Bezeichnung „ G o t t " verwendet. Soll damit die Universalität Gottes betont werden? 49 Die Spätzeit hebt - entsprechend dem Bekenntnis, daß Gott dem Weltganzen, der Schöpfer der Schöpfung gegenübersteht' 0 - zunehmend den Unterschied zwischen Gott und den Göttern hervor. Die Götterbilder, von Menschen „gemacht", können verspottet werden: „Wie kann sich ein Mensch Götter machen? Sie sind ja nicht G o t t ! " 5 1 „Sie haben einen Mund, reden aber nicht, sie haben Augen, sehen aber nicht, sie haben Ohren, hören aber nicht Sie haben keinen „ G e i s t " , damit keine Fähigkeit, etwas zu vollbringen, sind im Vergleich mit dem Schöpfer insofern „Nichtse". 5 3 So steht hinter der Polemik die Frage: Wer kann helfen, wo ist menschliches Vertrauen gerechtfertigt? 54 7.
Zusammenfassung
Nach diesem (kurzen) Gang durch die Glaubensgeschichte darf man wohl vier Phänomene, Aspekte oder gar Stadien unterscheiden: a) das Zeugnis von der alleinigen Zuwendung des Gottes J a h w e zu einer Gruppe, b) die Formulierung dieses Verhältnisses mit Gebotscharakter, sei es in einem Rechtssatz oder einer Forderung, schließlich zugespitzt in der allgemeinen Gestalt des Ersten Gebots, c) das Bekenntnis zur Einheit Gottes: „Jahwe ist einer" (Dtn 6,4), d) die monotheistische - oder monotheistisch klingende - Aussage. Diese Phänomene folgen allem Anschein nach aufeinander, bilden aber keine sich ablösenden „Entwicklungsstufen". Die letzte führt die vorhergehenden weiter, ruht aber auf ihnen; so sind sie in ihr nicht aufgehoben, sondern behalten ihren Sinn und ihr Recht. Wäre ein „ M o n o t h e i s m u s " ohne sie nicht auch zu mißverständlich? Insgesamt wird man mit G. v. Rad urteilen dürfen: Am Monotheismus als solchem hat sich Israel „nicht gemessen und geprüft, so wie es sich am ersten Gebot gemessen und geprüft h a t " 5 5 . Die Leugnung der Existenz anderer Götter ist - zumindest insgesamt — nicht eigentlich die Absicht des Alten Testaments; noch in der Spätzeit bekennt die Gemeinde für ihre Gegenwart einerseits: „Alle Völker wandeln jeweils im Namen ihres Gottes, wir aber wandeln im Namen Jahwes, unseres Gottes, auf immer und ewig." 5 6 Zugleich greift das Alte Testament unter Aufnahme des Prädikats „einer"" mit seiner Zukunftshoffnung weltweit aus: „Jahwe wird König sein über die ganze Erde; an jenem Tag wird Jahwe einerleimig sein und sein Name einzig."5'
Anmerkungen 1
Im Anschluß an Alfred Bertholet (Wörterbuch der Religionen, 2 1962, 369) Benedikt Hartmann, Monotheismus in Mesopotamien?: O. Keel (Hg.), Monotheismus 68; vgl. 76: „Monotheismus ist universaler Eingottglaube." Demgegenüber hält A. Schenker (193) nicht den Unterschied
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Sein-Nicht-Sein, sondern „eine absolute Differenz zwischen Gott einerseits und den anderen, irdischen wie überirdischen Wesen andererseits" für wesentlich. B.H. Hartmann 72 u. 78 f nach A. Bertholet; vgl. 76: „partikularistischer Eingottglaube" u. M . Rose 9 ff: Henotheismus meint die Einstellung auf den gerade verehrten Gott als den einzigen, d.h. die zeitlich (stimmungsmäßig kurzfristig oder auf eine besondere Situation) begrenzte Anbetung eines Gottes, dem die Anbetung anderer Götter vorausgeht oder folgt. Henolatrie beschreibt die zeitlich unbeschränkte Verehrung eines bestimmten (persönlichen Schutz-)Gottes bei insgesamt polytheistischer Auffassung. - Ist aber die Abgrenzung von der Monolatrie eindeutig? B. Baischeit. Israelitische und jüdische Geschichte, '1958, 29.32. Von der Steinzeit zum Christentum, 1949, 271; vgl. zuletzt ders., Yahweh and the Gods of Canaan, 1968. Wesentliche Texte sind zusammengestellt bei Klaas A.D. Smelik, Historische Dokumente aus dem alten Israel, 1987, 137ff (Lit.); dazu aus einer Vielzahl von Untersuchungen etwa John Day, Asherah in the Hebrew Bible and Northwest Semitic Literature: J B L 105 (1986) 3 8 5 - 4 0 8 , verschiedene Beiträge: Patrick D. Miller/Paul D. Hanson/S. Dean McBride (Hg.), Ancient Israelite Religion. FS Frank Moore Cross, 1987; Saul M. Olyan, Asherah and the Cult of Yahweh in Israel, 1988 (SBLMS 34). Vgl. außer einer Reihe von Aufsätzen vor allem die drei Sammelbände: O. Keel, Monotheismus; B. Lang (Hg.), Gott; E. Haag (Hg.), Gott (mit einem Forschungsüberblick von Norbert Lohfink, 9 ff). R. Rendtorff bes. 133. W. Zimmerli 34. Jes 46,2a bezieht sich wieder auf die Götter, während V. 2b den Unterschied aufhebt: sie selbst bzw. ihre Bilder gehen in Gefangenschaft. Falls der Prophet zwischen Götternamen und Bildern unterscheidet, kann er kaum urteilen: Es gibt keine Götter. Zum unsicheren Text und zur Deutung vgl. zuletzt Hans Jürgen Hermisson, Deuterojesaja, 1991 (BK 11/2) z. St. Vgl. H. Wildberger 2 4 9 - 2 7 3 ; H. Klein. Schon G. v.Rad (225) betont: Der Exilsprophet spricht den „auch der theologischen Reflexion bewußt gewordenen Monotheismus . . . nicht als eine religionsphilosophische Wahrheit aus". H. Wildberger (254) gesteht zu: Die monotheistischen Aussagen sind „dem soteriologisch-seelsorgerlichen Interesse untergeordnet", sind aber „ernst zu nehmen"; denn sie eröffnen „einen neuen Horizont". Vgl. Gen 3,22; 11,7J; Jes 6,8 u.a. Da die Priesterschrift diese Vorstellung sonst nicht bezeugt, liegt es näher, an einen sog. Plural deliberationis, genauer an ein Selbstgespräch zur Kundgabe des bevorstehenden Tuns, zu denken; vgl. den Überblick bei Werner H. Schmidt, Die Schöpfungsgeschichte der Priesterschrift, 2 1967. 3 1974 ( W M A N T 17) 129f; auch Claus Westermann, Genesis. Kap. 1 - 1 1 , 1974 (BK 1/1) 200f. Liegt, wenn die Existenz anderer Götter nicht - ausdrücklich - geleugnet wird, in Gen 1 gleichsam ein „impliziter" Monotheismus vor? 1 Reg 8,60; vgl. II Reg 19,19; 5,15; II Sam 7,11 u.a. Im übrigen dient der Ausschließlichkeitsanspruch des Jahweglaubens weithin als Maßstab der Geschichte (Jos 23,6ff; I Reg 11; II Reg 17,35f u.v.a.). Dtn 4,39; vgl. 32,39. Er hat den Völkern die Gestirne zur Verehrung „zugeteilt" (4,19; vgl. 32,8f). Dtn 5,7; 6,14; 7,4.16; 12,21; 13,1 ff u.a. So W. F. Bade bes. 89: Der Satz will „betonen, daß Jahwe eine Einheit, nicht eine Mehrheit, ist. Der . . . Monotheismus einer späteren Zeit erst hat den Satz zu einem Losungswort gegen den Polytheismus gemacht." In den Inschriften von Kuntillet 'Ajrud scheint der Gottesname „Jahwe von Samaria" bezeugt zu sein (vgl. K. A. D. Smelik [o. Anm. 6] 144; John A. Emerton, ZAW 94 (1982) 2 - 2 0 ; Peter Höffken, BZ 28 (1984) 88ff). Daß „der Monotheismus bereits im Deuteronomium geboren" wird (G. Braulik 288; vgl. 290f), bleibt angesichts ähnlicher Aussagen um die Exilszeit unsicher. Sie sind bei Deuterojesaja breiter bezeugt, in seiner Gesamtbotschaft stärker verankert und auch sicherer in die Exilszeit datierbar. Gehört der Abschnitt Dtn 4,27 ff, da die Zerstreuung „unter die Völker" (Plural) vorausgesetzt ist, nicht eher in nachexilische Zeit? Vgl. auch D. Knapp 104f. Vgl. Dtn. 18,13; Ps 15,2, auch I Reg 8,61; 9,4; 11,4; Dtn 10,12ff; Jos 24,14 u.a. Jer 2,13 u.a.; vgl. die Polemik gegen Baal, in der Jeremia die Verkündigung Hoseas aktualisiert und auf das Südreich abgewandelt überträgt: Jer 2,8 u.a., oder gegen die „Himmelkönigin": Jer 7,16 ff; 44,15 ff; auch - etwa gleichzeitig - Zeph 1,4 ff. Vgl. „nichts-nutzig" Jer 2,8.11; auch 11,12; Jon 2,9; Jes 44,9f.l7 u.a. Zur Eigenart der Zukunftsansage von Jes 2,17 vgl. den Versuch Werner H. Schmidt, „Denkt nicht mehr an das Frühere!" Eschatologische Erwartung - Aspekte des Alten Testaments: Glaube und Lernen 4 (1989) 1 7 - 3 2 . Hos 13,4; vgl. 12,10; auch Anklagen wie 1,2; 2,4ff; 3,1; 4,10ff u.a.
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Jörg Jeremias, Der Prophet Hosea, 1983 (ATD 24/1) 163. Da die sog. Selbstvorstellungsformel trotz der Ichrede und der Bezeugung bei dem Exilspropheten Deuterojesaja nicht typisch prophetisch ist (vgl. H. Ringgren 368ff), nimmt Hosea eher vorgegebenes Überlieferungsgut auf. „Das Wort von Jahwe von Ägypten her ist die fundamentale und nachhaltigste Formulierung der Bindung des Gottes Israels an die Geschichte von Menschen und seines Wirkens in dieser Geschichte; in der Ausschließlichkeitsforderung begegnet sein unterscheidender Anspruch als Konsequenz solcher Bindung" (Johannes Marböck, Anfänge der Rede von Gott: Charisterion J . B . Bauer, 1987, 1 - 2 3 , bes.3). Hans Walter Wolff, Joel/Amos, 2 1975 (BK 14/2) 122. Dies gilt, wie immer man das Fehlen einer Fremdgötterpolemik bei Arnos (5,26 ist wohl sekundär) erklären mag. In Arnos' Ankündigung „Ich führe euch über Damaskus hinaus" (Am 5,27; vgl. 4,3; 6,14) deutet sich die Botschaft der späteren Propheten an, daß Fremdvölker in Jahwes Auftrag handeln (Jes 5,26ff; 10,5f; Jer 4,5ff; 25,9; zum Heil: Jes 45,1 u.a.). Ps 29,1; vgl. Ps 82; auch 89,6ff; 93,4 u.a.; zur Unvergleichlichkeit(sformel) T R E 13, 612 mit Anm. 13. Ps 2 4 , l f ; vgl. 74,16; 89,12; 95,5; dazu Martin Metzger, Eigentumsdeklaration und Schöpfungsaussage: FS H . J . Kraus, 1983, 37—51; Hermann Spieckermann, „Die ganze Erde ist seiner Herrlichkeit voll": Z T h K 87 (1990) 4 1 5 - 4 3 6 . So Bernhard Lang (o. Anm. 7) 58ff; noch weiter geht Hermann Vorländer (ebd. 93ff); vgl. auch Fritz Stolz: O. Keel (Hg.), Monotheismus 154ff.l74ff; T R E 14, 20f. Demgegenüber hat Frank-Lothar Hossfeld (FS W. Breuning, 1985, 57ff) korrigierend eingewandt: In dieser Epoche vollzog sich (nur) der Übergang von der „integrierenden" zur „intoleranten" - bzw. mit Erich Zengers Ausdrucksweise (Haag [Hg.], Gott 50ff, bes. 53): von einer „unpolemischen" zu einer „polemischen" - Monolatne. Diese Ansicht hat zweifellos den erheblichen Vorzug, stärker zu differenzieren; allerdings bleibt nicht zu vergessen: „Integration" gibt es nicht ohne „Intoleranz". Steht nicht zumindest die Darstellung der Elija-Tradition im Gespräch mit der Mose-Überlieferung, nimmt sie abgewandelt auf (I Reg 19 u.a.)? Vgl. etwa Gunther Wanke: T R E 7, 4 1 2 - 4 1 5 ; zuletzt Eckart Otto, Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israels, 1988 (Studia Biblica 3); Ludger Schwienhorst-Schönberger, Das Bundesbuch (Ex 2 0 , 2 2 - 2 3 , 3 3 ) , 1990 ( B Z A W 188). Franz-Elmar Wilms, Das jahwistische Bundesbuch in Exodus 34, 1973 ( S t A N T 32) 157; vgl. Götz Schmitt, Du sollst keinen Frieden schließen mit den Bewohnern des Landes, 1970 ( B W A N T 91) 26; Eckart Otto, Das Mazzotfest in Gilgal, 1975 ( B W A N T 107) 210; bes. Jörn Halbe, Das Privilegrecht Jahwes. Ex 3 4 , 1 0 - 2 6 , 1975 ( F R L A N T 114) 119ff; Joseph Scharbert, Jahwe im frühisraelitischen Recht: Haag (Hg.) 1 6 0 - 1 8 3 ; L. Schwienhorst-Schönberger (o. Anm. 31) 316ff; auch die kritischen Bemerkungen bei Lothar Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, 1969 ( W M A N T 36) 220 Anm.3 u.a. Der Jahweglaube konnte bei der Identifikation Eis mit Jahwe oder, vorsichtiger geurteilt und vielleicht sachgemäßer ausgedrückt, bei der Benennung Jahwes als „ E l " wohl Namen oder Titel (wie „König" u.a.), keineswegs aber alle Prädikate, die der alte Orient mit dem Gott El verband, übernehmen und Jahwe beilegen, mußte vielmehr unter den Namen und Attributen auswählen. Kritische Vorbehalte hat das Alte Testament nicht nur gegenüber den mit Baal, sondern auch - obwohl verhaltener - gegenüber den mit El verbundenen Vorstellungen; denn es erzählt von El „ G o t t " keineswegs, was etwa die ugaritischen Mythen von dem Gott El berichten. Schon die frühen Texte Num 23,22; 24,8 formulieren vorsichtig: „wie Wildstierhörner". Ausgeprägt kommt die Eigenart alttestamentlichen Glaubens in der dem alten Orient so nicht vertrauten - der Exklusivitätsforderung entsprechenden - Prädikation des über die Ausschließlichkeit wachenden Gottes „eifernder E l / G o t t " (Ex 20,5; 34,14; Dtn 4,24; 6,15 u.a.) zur Geltung. Vgl. Georg Sauer: T H A T 2 (1976) 6 4 7 - 6 5 0 ; Ellen Reuter: T h W A T 7 (1991) 5 1 - 6 2 ; Christoph Dohmen, „Eifersüchtiger ist sein N a m e " (Ex 34,14): T h Z 46 (1990) 2 8 9 - 3 0 4 . Vgl. Jos 23,7; auch Jes 26,13; dazu Willy Schottroff, „Gedenken" im Alten Orient und im Alten Testament, 2 1967 ( W M A N T 15) 248f; Ders.: T H A T 1 (1971) 5 0 7 - 5 1 8 , bes. 513; etwas anders Hermann Eising: T h W A T 2 (1977) 5 7 1 - 5 9 3 : Es ist verboten, „den Namen anderer Götter zu preisen, d.h. sich zu ihnen zu bekennen" (584). G. v. Rad 217. „Man versucht, den Fall der Fremdgötterverehrung allgemein und umfassend zu formulieren" (Hartmut Gese, Vom Sinai zum Zion, 1974 [BEvTh 64] 67 Anm. 14). Vgl. Werner H. Schmidt, Überlieferungsgeschichtliche Erwägungen zur Komposition des Dekalogs: Congress Volume Uppsala 1971, V T . S 2 2 (1972) 204f. Auch nach L. Hossfeld (Dekalog 267) verzichtet Ex 20,3 „auf jede kultische Konkretion der Verehrung". Ist mit der Charakterisierung „Abstraktion zum inhaltsleersten . . . Ausdruck des Gottesverhältnisses, zur Haben-Relation" (ebenda) die Tendenz aber angemessen beschrieben? Eher handelt es sich um einen möglichst inhaltsweiten Ausdruck. Norbert Lohfink betont, daß dem Dekalog - im Vergleich mit einer
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Wendung wie „anderen Göttern nachgehen" - im Ersten Gebot „gerade nicht typisch dt/dtr Sprache und Theologie vorausliegt" (FS W. Kornfeld 108). 34 Horacio Simian-Yofre: T h W A T 6, 1988, 6 2 9 - 6 5 9 , bes. 656; vgl. Joseph Reindl, Das Angesicht Gottes im Sprachgebrauch des Alten Testaments, 1970 ( E T h S t 25) bes. 45f; Adam Simon van der Woude: T H A T 2 (1976) 4 3 2 - 4 6 0 , bes. 459. Eduard König (Hebräisches und aramäisches Wörterbuch zum Alten Testament, " 1 9 3 6 , 367) und Ludwig Köhler ( T h R 1 [1929] 174; K B L 767) übersetzen zuspitzend: „(mir) zum Trotz". Daß die Näherbestimmung „vor mir/mir gegenüber" eine „spätere, an sich überflüssige Erweiterung" (Georg Fohrer, BZAW 115, 131; vgl. 136 Anm. 44) sei, läßt sich nicht erweisen, zumal im Kontext der Bezug (in der ersten Person) entfiele. — Die Übersetzung von Ex 20,3 als indikativische Aussage „Du hast keine anderen Götter neben mir" (Henning Graf Reventlow, Gebot 26f) ist unwahrscheinlich; vgl. Dtn 25,13f; Ps 81,10; dazu Erhard Gerstenberger, Wesen und Herkunft des „apodiktischen Rechts", 1965 ( W M A N T 20) 66; bes. Erich Zenger, T h R v 64 (1968) 193; auch L. Perlitt (o. Anm. 32) 85 Anm. 2. 37 Adrian Schenker, O B O 103, 190. 38 G. v. Rad 221. „Andere Götter" meint gewiß nicht nur Gottesbilder vor der Lade (Rolf Knierim, Z A W 77, 1965, 20ff, bes. 25). - O b der Ausdruck „andere Götter" in Hos 3,1 einen Zusatz darstellt oder nicht, bleibt schwer eindeutig zu entscheiden. 3 ' Hans-Peter Müller: O. Keel (Hg.), Monotheismus 137. Schon Johann J a k o b Stamm hebt hervor, daß der Wortlaut des Gebots „die Existenz anderer Götter nicht negiert, sondern ihnen allein die Legitimation für Israel abspricht" (Der Dekalog 2 40). Adrian Schenker (OBO 103, 191) stellt „die Frage, ob ein solches konkret formuliertes Gebot nicht in konkreter Form den Monotheismus ausspricht. Allgemein gültige, umfassende (,abstrakte') Sachverhalte können ja durchaus in konkreter Form zum Ausdruck gebracht werden." Diese Frage läßt sich nur von monotheistischen Bekenntnissen (wie Dtn 4,35.39), gleichsam im Rückblick, beantworten: In der Wirkungsgeschichte mag das Erste Gebot wie Dtn 6,4 in diesem Sinne gelesen worden sein. 4 0 Die - stark umstrittene - Datierung des jahwistischen Werks (ohne die redaktionellen Zusätze, die ebenfalls den Jahwenamen gebrauchen) in die frühe Königszeit bleibt doch wohl die wahrscheinlichere Lösung; vgl. Werner H. Schmidt, Ein Theologe in salomonischer Zeit? Plädoyer für den Jahwisten: B Z 25 (1981) 8 2 - 1 0 2 ; Horst Seebaß, Jahwist: T R E 1 6 , 4 4 1 - 4 4 5 ; Kare Berge, Die Zeit des Jahwisten, 1990 (BZAW 186); auch Aaron Schart, Mose und Israel im Konflikt, 1990 ( O B O 98) 240f. 41 Vgl. Ex 1 5 - 1 7 ; Num 11; 20 u.a. 4 2 Gen 18,2; vgl. 19,1; 28,12; 32,2f u.a. So scheinen sich in der Genesis einerseits Vorformen der Zuwendung eines Gottes zu einer Gruppe (Gen 31,53; vgl.4,15 u.a.), andererseits noch polytheistische Vorstellungselemente zu bewahren; sie werden nachträglich - grob geurteilt: auf Grund der im Exodusbuch enthaltenen Anstöße des Jahweglaubens - im Sinne der Ausschließlichkeit (wie Gen 18,1) gedeutet. Gen 35,2—4 berichtet von Abgrenzung durch Vergraben von „fremden Göttern" und Schmuck. Auch die in der Genesis vorkommenden Gottesnamen, wie El Olam (Gen 21,33), können erhalten bleiben, weil sie sich im Nachhinein als Beinamen des einen Gottes Jahwe verstehen lassen: „Ewiger G o t t " (s. auch Gen 16,13; 14,22). Vgl. T R E 13, 609f. 4 3 G. v. Rad 39. „Vielleicht setzt . . . das erste Gebot die geschichtliche Erfahrung voraus, daß der Jahweglaube fremdem Kult ausgesetzt ist . . . Sollte sich der Jahweglaube tatsächlich erst in der Begegnung mit dem kanaanäischen Pantheon vom Polytheismus abgegrenzt haben und damit der Differenz Einheit - Vielheit bewußt geworden sein, so ist jedenfalls die Zuwendung Gottes zum Menschen bzw. zu einer bestimmten Gruppe seit je einzig." (Werner H. Schmidt, Gebot 13) Nach Gerardus van der Leeuw (Phänomenologie der Religion, 2 1956, 199) bezieht sich das Bekenntnis zunächst auf die Macht des erfahrenen Gottes: „Die Einzigkeit Gottes ist nicht eine Negation seiner Vielheit, sondern eine leidenschaftliche Affirmation seiner Gewaltigkeit." 4 4 Vgl. Jdc 6f; auch Num 25,6ff u.a. 45 Ex 18,1; vgl. 2,16; 3,1. 4 6 Vgl. explizit das vorhergehende — wohl jüngere — Bekenntnis Ex 18,11; zur Verbindung Jahwes mit Midian auch die alte Überlieferung Ex 4,24f. 4 7 Durch eine wachsende Zahl von Inschriftenbelegen wird Jahwe zwar mit einer Göttin oder einem weiblichen Symbol verbunden, aber in den Inschriften selbst kommt der Vorrang oder die Überordnung Jahwes zur Geltung: Jahwe hat „durch seine Aschera" (?) gerettet (Chirbet el-Kom). Ein Segensspruch (Kuntillet 'Ajrud) wird nach der Erwähnung von Jahwe und „seiner Aschera" nicht im Plural, sondern im Singular fortgesetzt: „Er möge segnen . . . " Ist Aschera, ob nun Eigenname, Erscheinungsform oder Kultsymbol, nur eine Art Mittlerin oder gar Mittel Jahwes? Ist die Rolle vergleichbar, die in weit späterer Zeit die Weisheit spielt (z. B. Prov 3,19 „durch Weisheit") ? 4 8 Sind das „Eifersuchtsbild" und andere Darstellungen, die der Prophet Ezechiel (8,5 ff) kurz vor dem Exil — als Anlaß für die Gerichtsdrohung — schaut, nicht eher Einführungen späterer, etwa assyrischer Zeit (vgl. II Reg 21,5 ff, bes. V. 7)?
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„Vielleicht darf man für diese Spätzeit bereits voraussetzen, daß der Jahwename zurücktreten konnte, weil die Unterscheidung zwischen Eigenname und Gattungsbegriff durch das Bekenntnis zu Israels Gott als dem einzigen wahren Weltherrn hinfällig wurde. Zu dieser Betonung der Transzendenz und damit der Differenz von Gott und Mensch . . . mag die aufkommende Scheu vor der Aussprache des Jahwenamens hinzugekommen sein." (Art. ""lohîm, T H A T 1 [1971] 1 5 3 - 1 6 7 , bes. 166f) 50 Vgl. Gen 1,1; Ps 103,19ff; II Reg 19,15; Jes 60,19; 65,17; Jer 10,7; den in der Spätzeit üblichen Titel „Gott des Himmels" (Jon 1,9; Esr 1,2; 7,12 u.a.); die Aussagen über die Überlegenheit Gottes Dan 2,21.47; 3,28; 4,31; 6,26f (vgl. T R E 8, 341) u.a. 51 Jer 16,20; vgl. Hos 8,6; 13,2; Jes 2,8.18ff; 10,10f; 40,19f; 41,6f; 44,9ff; Jer 10; Mi 5,13; auch Dan 3 u. a. 52 Ps 1 1 5 , 5 - 7 ; vgl. 135,15ff; Dtn 4,28; Dan 5,23. Nach Ps 82 scheint Jahwe - im Rahmen einer Götterversammlung (V. 1) - Gericht zu halten und den Göttern den Tod anzukündigen (V. 6f). 53 Jer 2,5.11; 5,7; 10,8.14; 16,20; 51,17; Hab 2,18; Ps 31,7; 96,5; 97,7; 135,17; Dtn 32,21 u.a. 54 Vgl. Jes 46,7; Jer 14,22 u.a.; dazu o. Anm.20. 55 G. v. Rad 224. " Mi 4,5; vgl. noch I Kor 8,5 f. 57 Dtn 6,4; vgl. Mal 2,10: „Haben wir nicht alle einen Vater?"; auch Hi 31,15; Jes 63,15 f. Das Alte Testament kann das Gottesprädikat „ e i n e r " auch auf den erwarteten Zukunftsherrscher übertragen: „ein Hirt" (Ez 34,23; 37,24; vgl. Hos 2,2). Ähnlich dringt die im Rechtssatz (Ex 22,19) begegnende Partikel „allein" in die Aussagen von und vor Gott ein: „Du allein bist G o t t " (Ps 86,10; II Reg 19,15), „Ich will kundtun deine Gerechtigkeit allein" (Ps 71,16) bis hin zum Schuldbekenntnis: „An dir allein habe ich gesündigt" (Ps 51,6 gegenüber II Sam 12,13; vgl. auch Dtn 32,12; Jes 2,11.17; 44,24; Ps 72,18; 83,19; 136,4; 148,13; Hi 9,8; Neh 9,6 u.a.). 58 Sach 14,9; vgl. Jes 24,23; 60,19f; auch Zeph 2,11; Ps 22,28ff; Jes 2,2ff; 11,10; 19,21 ff; 45,6.14.23f; Sach 8,20ff; I Reg 8,60; II Reg 19,19 u.a. 49
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Monotheismus II
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Aufsatzbde. 8) 3 6 3 - 3 7 8 . - Ders., Das A T u. sein M o notheismus: Karl Rahner (Hg.), Der eine Gott u. der dreieine Gott: Schriftenreihe der Kath. Akademie der Erzdiözese Freiburg, München/Zürich 1983, 2 8 - 4 7 . - Rudolf Mayer, Monotheismus in Israel u. in der Religion Zarathustras: B Z (NF) 1 (1957) 2 3 - 5 8 . - Patrick D. Miller u.a. (Hg.), Ancient Israelite Religion. Essays in Honor of Frank Moore Cross, Philadelphia 1987. - Johanne C. De M o o r , The Rise of Jahwism. T h e Roots of Israelite Monotheism, 1990 (BEThL 91). - Theodor Mooren, Monothéisme et polythéisme dans le proche-orient ancien: AEPHE.R 84 (1976/77) 471 - 4 7 3 . - Karl Müller, Die seit Renan über einen israelit. Urmonotheismus geäußerten Anschauungen, Diss. Breslau 1911. — Eberhard Nestle, Die Entwicklung des Monotheismus in Israel: ders., Die israelit. Eigennamen nach ihrer religionsgesch. Bedeutung, Haarlem 1876 Walluf 1973, 133 ff. - Herbert Niehr, Der höchste Gott. Atl. 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Monotheismus III
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III. Judentum 1. Basisstellen des jüdischen M o n o t h e i s m u s 2. D a s hellenistische J u d e n t u m 3. R a b b i n i s c h e Traditionen 4 . Antitrinitarische Polemik 5. Die mittelalterliche jüdische Philosophie und Kabbala 6. Jüdisch-monotheistisches D e n k e n im 1 9 . / 2 0 . J h . (Quellen/Literatur S . 2 5 5 )
1. Basisstellen
des jüdischen
Monotheismus
Der Dekalog und das „Höre Israel" (sema' Yisra'el) bilden die Basis des jüdischen Monotheismus. Die affirmative Aussage: „Ich bin der Herr, dein Gott" des ersten Dekalog-Gebots wird ergänzt durch das Verbot „Du sollst keine andern Götter neben mir haben" (Ex 20,2 f; Dtn 5,6 f). Der babylonische Talmud (bMak 24 a) hebt Gebot und Verbot des Dekalogs als zusammengehörend und korrespondierend hervor, und zwar mit dem Satz: „Wir haben beides aus dem Munde des Allmächtigen gehört". Es handelt sich um eine positive und eine negative Aussage des Glaubens an die göttliche Einheit. Gott ist einer, und er hat keine anderen Götter neben sich. In der jüdischen Tradition ist das sema' Yisra'el die höchste gelebte Bejahung des Monotheismus: „Höre Israel, der Herr unser Gott, der Herr ist einer" (Dtn 6,4). Mindestens drei Variationen der Übersetzung dieses biblischen Grundverses sind zu beachten. Sie hängen von der Bedeutung des Ausdrucks 'cehäd ab. Übersetzt man 'cehäd mit „einer", dann werden damit alle Formen des Polytheismus ausgeschlossen. Es gibt nur einen Gott und keinen weiteren. Dazu gehört die Vorstellung, daß der Herr (YHWH) nicht geteilt werden kann. Der Gott Baal konnte sich in mehrere Lokalgottheiten (Baalim, vgl. Ri 2,11; 3,7 u.ö.) aufteilen. Der Gott Israels ist demgegenüber unteilbar. Er geht auch keine Verbindung mit anderen Göttern ein. - Die zweite Bedeutung von 'cehäd ist „einzig, einzigartig, unvergleichlich" (von den Rabbinen und im Mittelalter oft mit meyühad oder yahid wiedergegeben). Der Gott Israels steht demnach über allen menschlichen Aussageweisen und Vergleichen. Er ist der ganz andere (vgl. Jes 40,25). Die Bedeutung „einer" ist bei Gott identisch mit „einzigartig". Der Monotheismus ist keine mathematische Reduktion von Göttern, bis nur noch einer übrig bleibt. Er besagt nicht, daß in Wahrheit nur ein Gott existiert, obwohl theoretisch mehrere Götter möglich wären. Mit dem richtigen Verständnis des Wortes Gott ist vielmehr gegeben, daß nur ein Gott existiert. - Die dritte Bedeutung des Wortes 'cehäd ist „allein". Dtn 6,4 ist daher auch so zu übersetzen: . . . „der Herr, unser Gott ist der Herr allein." Im ganzen Dtn, auch in 6,4-9, wird gefordert, daß Israel seinem Gott ungeteilt dienen und ihn allein lieben soll: „aus ganzem Herzen und mit ganzer Seele, mit ganzer Kraft". Der israelitische Monotheismus hat somit monolatrischen Charakter. Gott verlangt die ausschließliche, allein ihm zukommende, sich allein an ihn richtende Verehrung (Wyschogrod bes. 37). - Seit mehr als 2000 Jahren rezitieren die Juden das „Höre Israel" täglich zweimal. Mit dem Beginn der Sprechfähigkeit lernt das jüdische Kind dieses Grundbekenntnis jüdischen Glaubens. Am Lebensende wird es auf dem Totenbett gebetet. Die Märtyrer haben es während ihrer Vorbereitung auf die Hingabe ihres Lebens le-qiddüs has-sem [zur Heiligung des Namens] rezitiert. Es ist nicht mehr genau auszumachen, ab wann das sema' Einzug in die jüdische Liturgie gefunden hat. Nach mTam 5,1 gehörte es zum Morgenbekenntnis (berakha) der Tempe\-kohanim, und zwar bereits in seiner Dreiteiligkeit: Dtn 6,4—9; Dtn 11,13—20; Num 15,37-41. Um der im sektiererischen Milieu herrschenden Auffassung, der Dekalog bilde eine vollgültige Zusammenfassung aller Gebote der Tora, entgegenzuwirken, wurde die Rezitierung der Zehn Gebote nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in den Hintergrund gedrängt, und das sema' verblieb allein in der synagogalen Liturgie: yBer 1,8; bBer 12a. Die Mischna schreibt vor, daß es beim Morgengrauen zu rezitieren ist (mBer 1,2; vgl. yBer 2,1; bBer 9b). Aus Jes 45,7 und Ps 72,5 wird ferner die Pflicht zur Rezitation am Abend abgeleitet. Bereits Josephus Flavius hält das Lesen des sema' „zweimal am Tag, beim Morgengrauen und wenn die Stunde des Ausruhens anbricht", für eine auf Mose zurückgehende Vorschrift der Tora (Ant 4,212 f). In bBer 21a findet sich
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Monotheismus III
eine Diskussion der amoräischen Lehrer darüber, ob das sema' von der Tora her geboten sei, oder ob die Verpflichtung erst seit rabbinischer Zeit bestehe. Laut SifDev wa-'ethannan zu Dtn 6,4 (Par. 31) wandte sich der Patriarch Jakob auf seinem Sterbebett an alle seine 12 Söhne mit folgenden ermahnenden Worten: „Gibt es etwa in eurem Herzen einen Zwiespalt (mahaloqet) über den, der sprach, und es ward die Welt?" Sie antworteten: „Höre Israel, unser Vater: So wie in deinem Herzen kein Zwiespalt ist, so gibt es auch in unserm Herzen keinen Zwiespalt über den, der sprach, und es ward die Welt! Vielmehr bekennen wir: ,Der Herr, unser Gott, der Herr ist einer' [Dtn 6,4]". Daraufhin habe Jakob Gott dafür gepriesen, daß keine Untauglichkeit (pesolet) von ihm ausgegangen sei, und er habe das Tempelresponsorium gesagt: „Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches für immer und ewig!" (BerR 98,3; bPes 56a; dazu Cohon, Unity 425 - 4 7 9 ) . Dieser rabbinische Abschnitt bezeugt die tiefe Verwurzelung des sema' im jüdischen Bewußtsein. Raschi (R. Salomon ben Isaak, 1040-1105) gibt dem Vers Dtn 6,4 (zusammen mit Sach 14,9) einen geschichtlichen und einen eschatologischen Sinn: „Der Ewige ist jetzt unser Gott und nicht der Gott der Völker. Er wird aber in der Endzeit der Einzige aller Völker s e i n . . . " Der jüdische Monotheismus ist also ein Theismus. Gott wird transzendent und immanent aufgefaßt. Er ist im Universum, wobei er sich aus freier Liebe in alle Geschehnisse hinein verwickelt. Er ist aber auch über dem Universum. Er würde auch ohne dieses existieren. Aber ohne ihn gäbe es kein Universum. Mit dem Theismus ist die Zurückweisung des Deismus, des Pantheismus, des Polytheismus und des Dualismus gegeben (Jacobs, Jewish Theology 15). Der traditionelle Theismus bejaht, daß Gott existiert, daß er 'cehäd (einer, einzig, allein) ist, daß er transzendent und immanent ist, allmächtig, allwissend, ewig, unendlich und gut; er ist der Schöpfer des Universums. In der Bibel und in der rabbinischen Literatur ist der Monotheismus noch nicht spekulativ. Es ist wenig darüber zu erfahren, was unter der Einheit Gottes zu verstehen ist. Erst die jüdische Philosophie des Mittelalters hat sich systematisch mit diesen Fragen auseinandergesetzt. 2. Das hellenistische
Judentum
Die ablehnende Haltung der Juden den ägyptischen und den griechisch-römischen Kulten gegenüber hat zu judenfeindlichen Ressentiments geführt. In Ägypten gab es seit dem 3. Jh. v. (Manetho) eine judenfeindliche Tradition, die auch das jüdische Gottesverständnis betraf. Der in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. lebende alexandrinische Schriftsteller Apion schilderte - die antijüdische ägyptische Tradition zusammenfassend - die Juden in kraß verleumderischer Art als Verehrer eines Esels, der sie durch die Wüste geführt habe; der Kopf des Esels sei im Jerusalemer Tempel ein Objekt des Kultes gewesen (Josephus Ap II 7 9 - 8 8 ) . Der den Juden sonst nicht wohlgesinnte römische Geschichtsschreiber Tacitus gesteht ihnen immerhin in Hist 5,3 einen exzeptionellen Monotheismus von höchster Geistigkeit zu: „Die Juden fassen die Gottheit rein geistig als nur eine auf. Sie betrachten jene als gottlos, die Gott aus vergänglichem Material nach menschlicher Weise in Bildern darstellen. Für sie ist jenes höchste Wesen ewig, nicht darstellbar und ohne Ende" (Text bei Stern II 19). Ihr bildloser Kult und ihre kompromißlose Ablehnung der Götter ihrer Nachbarn brachte den Juden den Vorwurf der Gottlosigkeit ein. In der Tat betrachteten die Juden die Götter der Heiden aufgrund biblischer Forderungen als 'Elilim (Idole, Götzen, Wichte: Lev 19,4; 26,1; Jes 2,8; Ez 30,13; Hab 2,18; Ps 96,5) und als to'ebä (Greuel, Unrat, Verwerflichkeit: Dtn 7,25f; 18,9; Jes 1,13 u.ö.). Apollonius Molon (1. Jh. v.) bezeichnete die Juden deshalb als „atheistisch und menschenfeindlich" (Ap II, 148). In diesem Klima des Unverständnisses und antijüdischer Attacken kündigten die Apokalyptiker das bevorstehende Gericht Gottes über die Nationen und die Errichtung seines Reiches an (Dan 2,44; 7,13 f). Ein jüdischer Anonymos bediente sich (ca. 140 v.) der Autorität einer mysteriösen römischen Prophetin, der Sibylle, um die Heiden aufzufordern, den einzigen Gott anzubeten und seine Gesetze einzuhalten. Im Namen des sou-
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veränen und unzerstörbaren Schöpfers, der als Ewiger in den Höhen wohnt, die Guten belohnt und die Bösen bestraft, wettert die Sibylle gegen den Unsinn der Idolatrie und das Laster der Unmoral (bes. 3 Sib 3 6 - 9 1 ) . Ungefähr gleichzeitig nahm der jüdisch-hellenistische Verfasser des Aristeiasbriefes den Religions-Euhemerismus in Dienst, um die Weisheit der griechischen Mythologen zu deklassieren. Es sei eine Torheit, Menschen und Gegenstände zu vergöttlichen. Noch törichter seien die Ägypter und ihresgleichen, „die ihr Vertrauen auf tote Tiere gesetzt haben...und diese anbeten" (Arist 132-138). Nach Weish 13; 14,12-31; 15 (um 50 v.) ist ebenfalls die menschliche Torheit die Wurzel der Idolatrie. Obwohl die Heiden die Möglichkeit zur Beurteilung der Welt haben, „erkannten sie beim Anblick der Werke den Meister n i c h t . . . Sie hätten erkennen sollen, wieviel besser ihr Urheber ist" (Weish 13,1.3). Nach Philo v. Alexandrien (gest. ca. 45 n.) erhielt Mose beim brennenden Dornbusch von Gott folgenden Befehl: „Sage ihnen zuerst, daß ich der Seiende bin, damit sie unterscheiden können zwischen dem, der ist, und denen, die nicht sind, und damit sie lernen, daß ich durch keine Benennung erreicht werden kann, ich, dem allein das Existieren zukommt" (VitMos I 75). Diese Sätze sind eine gegen Polytheismus und Idolatrie gerichtete Auslegung von Ex 3,14. Philo beschließt seinen Traktat über die Erschaffung der Welt, indem er folgende fünf Glaubensartikel aufstellt: 1. Die Gottheit existiert und herrscht. 2. Gott ist einer. 3. Die Welt ist erschaffen worden. 4. Die Welt ist einheitlich, da ihr Schöpfer einer ist, der sein Werk seiner Einzigkeit ähnlich machte. 5. Gott übt in der Welt seine Vorsehung aus (Op 170 f). In einer Auslegung der beiden ersten Gebote des Dekalogs weist Philo auf Gott als den „erhabensten Ursprung alles Seienden" hin. Trotzdem ist „der größere Teil der Menschheit" dem Polytheismus verfallen. Eine Gruppe von ihnen hat „die vier Grundelemente der Welt: Erde, Wasser, Luft und Feuer, vergöttlicht; andere taten dies mit Sonne, Mond, Planeten und den übrigen Sternen, wieder andere vergöttlichten den Himmel und den ganzen Kosmos. Aber den Erhabensten und Ehrwürdigsten aller Wesen, den Schöpfer, den Herrscher über die große Welt-Stadt, den obersten Herrn der unbesiegbaren Heerscharen, den Lenker, der allen Dingen die Sicherheit verleiht, - den haben sie aus den Augen verloren, indem sie Kultobjekte in einer ihnen nicht zukommenden Weise verehrten" (Decal 52 f). Für die Juden ergebe sich daraus die höchste Pflicht, „Gott als den Einen und Höchsten zu ehren; die Vorstellung, daß es Götter gebe, soll dagegen niemals das Ohr des Mannes erreichen, dessen Lebensregel es ist, die Wahrheit rein und ohne Arglist zu suchen" (Decal 65). Die göttliche Einheit bildet auch das Zentrum der Theologie des Josephus Flavius. Sie ist das Thema des ersten Gebots des Dekalogs. Mose habe Gott den Israeliten vorgestellt „als den Einen, Unerschaffenen, seit Ewigkeit Unveränderlichen, alle sterbliche Vorstellung an Schönheit Überragenden, der sich durch seine Macht uns zu erkennen gibt, obwohl er in seinem Wesen unerkennbar bleibt" (Ap II 167). Auch für Josephus existieren alle Dinge und Wesen nur von Gott her. Er ist als Ursprung von allem auch der Vater des Kosmos und der Menschheit. Dies kommt auch in den heiligen Institutionen des Judentums zum Ausdruck: „Wir haben nur einen Tempel des einen Gottes . . . Der Tempel ist allen gemeinsam, so wie Gott allen gemeinsam ist" (Ap II 193). Josephus enthält sich aber mit Hinweis auf Ex 22,27 der Kritik an fremden Kulten, „denn es ist unser traditioneller Brauch, unsere eigenen Gesetze zu beobachten und uns von der Kritik der Bräuche anderer zurückzuhalten. Unser Gesetzgeber hat uns ausdrücklich verboten, die von andern verehrten Götter zu verlachen oder zu lästern" (Ap II 237). 3. Rabbinische
Traditionen
In bMeg 13a wird der Jude am Beispiel Mordechais definiert als jemand, der dem Götzendienst entsagt hat. Laut EstR 6,2 zu Est 2,5 gilt das Bezeugen der Einheit und Einzigkeit Gottes als jüdisches Distinktivum: „Weshalb wird Mordechai (in Est 2,5) Jude genannt? Er war doch ein Benjaminit!? Weil er den Namen des Heiligen, gelobt sei er, vor allen Menschen einte [yehüdi = yechidt]". Nach Auffassung dieses Midraschs
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Monotheismus III
bekannte und verkündete Mordechai in der Welt, daß Gott einer und einzigartig ist, und daß es neben ihm keinen andern Gott gibt. Die Rabbinen waren besonders energisch darauf bedacht, alle Formen des Dualismus, der seit biblischer Zeit immer wieder von Persien her einströmte (vgl. Jes 45,6), abzuweisen. Es ist möglich, daß die Lehre vom Satan persischer Herkunft ist, aber die Rabbinen achteten darauf, daß er stets ganz Gott unterworfen blieb, so daß im Judentum kein metaphysischer Dualismus aufkommen konnte. Der rabbinische Term für den Dualismus ist „zwei Mächte (im Himmel)", sete resuyiöt (bas-samayim). In SifDev, Par. 329 heißt es: ,,,Seht nun: Ich bin es, nur ich!' [Dtn 32,38]... Wer sagt: Es gibt zwei Mächte im Himmel, dem antwortet man so: Es steht ja bereits geschrieben: ,Keinen Gott gibt es außer mir' [Jes 44,6]". Nach einer Vorschrift der Mischna (mBer 5,3) wird demjenigen Beter zu schweigen geboten, der zweimal hintereinander „wir danken" (;modtm) sagt. Vermutlich stand hinter diesem Schweigegebot die Furcht der Rabbinen, der betreffende Beter könnte aus dualistischer Haltung heraus zweimal dasselbe Gebetswort an zwei verschiedene himmlische Mächte gesagt haben (so nach yMeg 4,9; bMeg 25 a; bBer 33 b). Nach bHag 15 a wurde der rabbinische Ketzer Elischa ben Abuja aufgrund eines visionären Erlebnisses zum Glauben an „zwei Mächte im Himmel" verleitet. Er sah, wie Metatron im Himmel scheinbar geehrt wurde, und fragte sich bestürzt, ob es vielleicht zwei Himmelsmächte gebe. Nach dem Jerusalemer Talmud (yHag 2,1) führte ihn das Problem des Bösen zur Apostasie. George F. Moore (Judaism I 366 f) beurteilt die Lage richtig, wenn er schreibt: „Die Schwierigkeit, die Übel der Welt mit der Güte Gottes zusammenbringen, wurde in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung im Osten und im Westen so stark empfunden, und eine dualistische Lösung in der einen oder andern Form wurde in Philosophie und Religion so weitgehend akzeptiert, daß es sinnlos ist, unbedingt jüdische Kreise als Vertreter dieser Lösung aufzuspüren. Uns genügt das Wissen, daß es dualistisch denkende Kreise gab, und daß diese von den Rabbinen zurückgewiesen worden sind". Mit der Vertiefung des jüdisch-monotheistischen Denkens wurde die volle Unterordnung der bösen Gewalten der Unterwelt und der himmlischen Mächte unter Gott zur Selbstverständlichkeit. Im rabbinischen Denken sind die Engel die Agenten der göttlichen Offenbarung, der Vorsehung und der Belohnung (S. Cohon, Unity 467 f). 4. Antitrinitarische
Polemik
In der rabbinischen Epoche (vor 600 n.) gab es vermutlich nur vereinzelte antitrinitarische Polemiken gegen das Christentum. Wahrscheinlich wurde das Christentum als eine Art dualistische Bewegung betrachtet. Das oft zitierte Diktum von Rabbi Abahu von Caesarea (yTaan 2,1) im Anschluß an Num 23,19 kann antignostisch oder antichristlich verstanden werden. Gewisse abwehrende Deutungen im Zusammenhang mit Dtn 6,4; Jos 22,22 und Jes 6,3 können indirekt als Abwehr christlich-trinitarischer Deutungen verstanden werden. So sagte Rabbi Simlai laut yBer 9 (12d-13a), daß die drei Ausdrücke El, Elohim und YHWH in Jos 22,22 die eine und selbe göttliche Person meinen. Es sei, wie wenn man sage: „König, Imperator, Augustus" oder: „Meister, Erbauer, Architekt". Im Mittelalter jedoch widerlegten die jüdischen Lehrer die Lehre von der Trinität immer wieder. Meistens ging es um die Frage, ob bestimmte Abschnitte des Alten Testaments die Trinität bezeugen oder nicht. Besonders Gen 18; Dtn 6,4 und Jes 6,3 wurden von christlichen Theologen in den Dienst der Trinität genommen (-> Gott III, Gottesbeweise I). Saadja Gaon (882-942) und andere jüdische Religionsphilosophen wiesen die Trinität mit philosophischer Argumentation zurück: „Ich will den Gelehrten antworten, die vorgeben, ihren Glauben an die Trinität aus einer Vernunft-Spekulation und aus einem subtilen Verständnis abzuleiten" (Emunot weDe'ot 2,5). Die christlichen Exegeten, die das sema', dieses feierliche Bekenntnis der göttlichen Einheit, aufgrund der in Dtn 6,4 vorkommenden dreifachen Referenz auf die Gottheit
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Monotheismus III
in einen Beweis für die Trinität umwandelten, provozierten scharfe geistige Gegenreaktionen seitens jüdischer Kommentatoren (vgl. Bachja ben Asher, 2. Hälfte des 13. Jh., zu Dtn 6,4). Mose ben Maimon (1135-1204) schrieb in seinem „Brief über die Auferstehung der Toten" im Zusammenhang mit genau beobachteten christlich-trinitarischen Deutungen des sema': „[Mose] erläutert [im Namen Gottes] den fundamentalen Glaubenssatz: ,Höre Israel, der Herr, unser Gott, der Herr ist einer' [Dtn 6,4]. Aber die Christen haben diesen Vers als Beweis dafür benützt, daß Gott dreifach sei. Und sie behaupten folgendes: Der Vers sagt ,der Herr', und dann sagt er: ,unser Gott', und dann sagt er ,der Herr'; es gibt drei Namen; und dann heißt es „einer", dies sei der Beweis, daß es drei sind, und daß diese drei einer sind". Das Dogma der Trinität wurde meistens indirekt zurückgewiesen, indem dauernd die Einheit und Einzigkeit Gottes unterstrichen wurde. Die jüdische Polemik hatte also auch eine apologetische Funktion (Katz 18). 5. Die mittelalterliche
jüdische
Philosophie
und die
Kabbala
Bei den mittelalterlichen Denkern des Judentums ist die Einheit Gottes ein konstantes Thema. Für viele unter ihnen schließt die Einheit Gottes auch jegliche Vielheit in seinem Wesen aus. Sie reden von der „absoluten Einfachheit" oder von „der äußersten Einfachheit (paschetüt betakhlit hap-peschitüt)". Die wichtigsten Philosophen der Einheit Gottes sind der schon erwähnte Saadja Gaon, ferner ->Bachja ben Josef ibn Paquda, —>Jehuda Hallevi, —>Mose ben Maimon (Mischne Tora, More nevukhtm), Levi ben Gerson (Gersonides, ca. 1 2 8 0 - c a . 1345: Milhamot has-sem), —»Chasdai Crescas (Or Has-sem), ->Joseph Albo. Der zweite Glaubensartikel (yesod) des Maimonides hebt nicht nur die Einheit Gottes hervor, sondern wehrt auch Irrtümer über die Natur dieser Einheit ab: „Der zweite Grundsatz betrifft die Einzigkeit [yihüdö] des Ewigen. Wir glauben, daß der Schöpfer die Ursache von allem ist, daß er einer ['cehäd] ist, und daß keine Einheit mit seiner Einheit zu vergleichen ist ('en 'ahdüt ke-'ahdüto) . . . " . Die Einheit Gottes ist demnach nicht aus Personen oder Mächten zusammengesetzt; sie bildet kein teilbares Ganzes, und Gott ist in keiner Weise für eine Destruktion oder Aufteilung anfällig. Im Zusammenhang damit gibt es ein denkerisches Problem mit den positiven göttlichen Attributen (gut, weise etc.). Die Attribute tendieren dazu, eine Vielheit in Gott zu suggerieren. Viele jüdische Denker des Mittelalters — an ihrer Spitze wiederum Maimonides - sind deshalb zu Verfechtern einer theologia negativa geworden, wonach nur gesagt werden kann, was Gott nicht ist, nicht aber, was er ist. Die Diskussion über die Einheit Gottes wird daher in mittelalterlichen Werken mit der Frage nach Gottes Unkörperlichkeit verbunden. Im Sefer Ham-madda' 1,7 des Maimonides (Ed. Hyamson 34b) heißt es: „Gott ist einer. Er ist nicht zwei und nicht mehr als zwei... Seine Einzigkeit ist mit keiner Einheit in der Welt zu vergleichen . . . Gott ist nicht einer... wie ein Körper, der aus Teilen und Dimensionen besteht . . . Weil Gott kein Körper ist, kann er auch durch kein körperliches Akzidens bestimmt werden, durch das er von einem andern Wesen unterschieden werden könnte. Es ist also unmöglich, daß er anders, denn als „einer" existiert. Damit diese Wahrheit erkannt wird, heißt es: ,Der Herr, unser Gott, ist der eine Herr' [Dtn 6,4]". Das Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes ist in den Augen vieler mittelalterlicher Denker der vollkommenste Ausdruck jeglicher Gottesauffassung. Der spanisch-jüdische Neuplatoniker ->Salomo ibn Gabirol drückt den yihüd-Gtdznkcn in seiner „Königskrone" so aus: „Du bist einzig, das Prinzip jeglicher Zahl, die Grundfeste jedes Baues. Du bist einzig, und über das Geheimnis deiner Einzigkeit staunen die, die weisen Herzens sind, denn sie vermögen es nicht zu ergründen. Du bist einzig, und deine Einzigkeit wird weder vermindert noch vermehrt, es fehlt nichts an ihr, und an ihr ist nichts zu viel. Du bist einzig, aber nicht wie die Zahl eins, die gewonnen und gezählt wird, denn dich erreicht weder Vervielfältigung noch Veränderung, weder Beschreibung noch Bezeichnung. Du bist einzig, dich zu erklären und zu bestimmen vermag meine Denkkraft nicht
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Monotheismus III
. . . Du bist einzig, hoch und erhaben über Schwäche und Hinfälligkeit, der sonst der Alleinstehende ausgesetzt ist" (Text und Übers, nach dem mahzör für den Abend des Versöhnungstages, hg. v. Heidenheim/Bamberger 99). Bei Bachja ibn Paquda (besonders in seinen „Herzenspflichten") wird das Bekenntnis zum absoluten Monotheismus verbunden mit spirituellen Meditationen über das semä' und vor allem über die Liebe zu Gott. Es ist nicht verwunderlich, daß der glühende Monotheismus von ibn Gabirol und von Bachja ibn Paquda mächtig auf die Kabbala einwirkte. Die Kabbalisten waren von der Vorstellung der Einzigkeit Gottes tief beeindruckt, suchten aber gleichzeitig nach einem weniger abstrakten Zugang zur Gottheit. Das Resultat davon ist die kabbalistische Lehre vom En Söf (das Endlose, Unbegrenzte, Unendliche) und den Sefirot (Grundzahlen, Grunddaten, Emanationen, Manifestationen der Gottheit; —• Kabbala I). Die Gottheit ist in ihrem innersten Wesen (En Söf) ganz und gar unerkannt und unerkennbar. Aber in seinen Manifestationen tritt Gott in Form von zehn Emanationen aus dem Dunkel des Mysteriums heraus. Der unerkennbare Gott entschließt sich nach kabbalistischer Vorstellung, zum zehnfach dynamisch wirkenden Gott zu werden. Gegen die Kabbala wurde wegen der Lehre von den zehn Sefirot der Vorwurf des Dekatheismus (Zehnfaltigkeit) erhoben, der mit der christlichen Trinitätslehre verwandt sei. Demgegenüber betonten die Kabbalisten immer aufs Neue, daß die Sefirot im En Söf geeint sind. Auch wenn sich das Gebet eines Kabbalisten formal an eine Sefira richte, werde es an das En Söf gerichtet. Nur wenn einzelne Sefirot von der Einheit des En Söf gelöst würden, wäre dies häretisch. 6. jüdisch-monotheistisches
Denken
im
19./20.Jh.
Das jüdische Denken im 19./20.Jh. knüpft an die biblische Botschaft, die rabbinische Tradition, das mittelalterlich-philosophische Denken und die Kabbala an und stellt all das erneut zur Debatte. Hermann Cohen (1842 — 1918) fundiert sein Denken ganz im Monotheismus. Er denkt vor allem oppositionell gegen die Idolatrie, den Polytheismus und gegen animistische Vorstellungen. Unter den monotheistischen Religionen nimmt das Judentum einen privilegierten Rang ein: „Ich behaupte nicht, daß einzig und allein das Judentum die Religion der Vernunft wäre: ich suche zu begreifen, wie auch andere monotheistische Religionen an der Religion der Vernunft ihren fruchtbaren Anteil haben, wenngleich dieser an Ursprünglichkeit sich nicht mit dem Judentum messen k a n n " (Religion 2 1959, 39). Nach Cohen steht der Monotheismus am Anfang allen Denkens und Tuns. Alles muß beim wahren, einen und einzigen Gott begonnen werden. Von der Einzigkeit Gottes ist auch die Einheit der Moral und ihre universale Geltung abhängig. Die mit der Einzigkeit Gottes verbundene Beständigkeit und Unveränderlichkeit Gottes führt ins Zentrum der Ethik des Monotheismus. In einer Welt, in der die Menschen dem Wechsel unterworfen sind und in der die moralischen Werte dauernd bedroht sind, ist Gott, dessen Wesen die Moralität ist, ein Fels, eine Stütze für unser moralisch-hörsames Verhalten. Cohen zeigt, daß der Begriff der Geschichte und jener der Humanität eine Entdeckung des jüdischen Monotheismus ist, der stets die Zukunft und die Realisierung der moralischen Verpflichtung im Blickfeld hat. Nach —»Martin Buber muß der jüdische Monotheismus aus einer dialogischen Situation heraus verstanden werden. Die Erfahrung des Du steht in einer direkten Beziehung zur singulären Erfahrung Gottes durch den dialogischen Menschen (besonders in Ich und Du). Die fundamentale Haltung des Juden wird nach Buber durch den Begriff des yihüd, den er als eine zur Einheit führende Handlung charakterisiert, zum Aufscheinen gebracht. In seinem Vortrag „Der Glaube des Judentums" (Kampf 31 f) betont er, daß wir mitten in unseren gegensätzlichen Erfahrungen des Guten und des Bösen die göttliche Einheit anerkennen und so ein Leben des Glaubens im Geiste der Liebe und der Versöhnung führen sollen.
Monotheismus III
255
Nach -»Franz Rosenzweig wird das Volk Israel durch sein Bekenntnis des sema' ins ewige Leben eingeschrieben; so wird es zum „Volk des Einen". Der Aufruf zum Hören lädt den Menschen ein zur „ewigen Einigung Gottes mit seinem Volk und seines Volkes mit der Menschheit". Diese Einigung geschieht in dem Maße, in dem der einzelne Israelit „das Joch des Himmelreichs auf sich nimmt", d.h. in dem Maße, in dem der Mensch die Souveränität Gottes anerkennt und seine Gebote akzeptiert (Stern der Erlösung III 66 f). Diese Rosenzweigsche Auffassung von der „action unificatrice" des Menschen ist von der Kabbala her beeinflußt (Safran 255 f). Das Denken von Emmanuel Lévinas (geb. 1905) kreist um die Bedeutung der andern Person im Zusammenhang mit der Natur und mit philosophischer Forschung. Die Welt ist nicht mit Göttern bevölkert. Das Judentum bekämpft „le sacre fìltrant à travers le monde". Deshalb hat das Judentum die Idole nicht sublimiert, sondern ihre Vernichtung gefordert; es hat „das Universum demystifiziert" und „die Natur entzaubert". Es hat aber auch „den Menschen in der Nacktheit seines Antlitzes entdeckt" (Lévinas 3 0 0 - 3 0 3 ) . - Yeshayahu Leibowitz (geb. 1903) hält den Glauben an Gott in seiner absoluten Transzendenz für das Fundament aller Fundamente des Judentums. Nach ihm besteht „das ganze Wesen der jüdischen Theologie in den vergangenen 1800 Jahren in der Verneinung der Attribute Gottes". Wer Attribute für Gott annehme - wie dies das von Leibowitz verachtete Christentum tue - , vertrete eine pagane Religion. Wenn die Bibel von der Liebe zu Gott rede, dann meine sie damit nur die Erfüllung von Tora und Geboten. „Judentum ist eine theozentrische Religion, Christentum ist anthropozentrisch. Der Gott der Christen ist um der Menschen willen da; der jüdische Mensch ist um Gottes willen da" (in der Einführung zu Mose ben Maimon, Acht Kapitel; vgl. auch Leibowitz, Gespräche bes. 6 7 - 8 8 ) . Leibowitz sieht sehr scharf die Gefahren der Pervertierung der Religion. Wenn sich der Mensch selbst verherrlicht, macht er sich zum Ersatzgott. - Abraham Joshua Heschel (1907-1972) war anfangs ähnlich wie Leibowitz stark von maimonidischen Gedankengängen geprägt. Später nahm er aber eine Distanz zum philosophischen Monotheismus ein, insofern dieser die Apathie der göttlichen Natur voraussetze. Demgegenüber bezeichnet Heschel die Predigt der Propheten als „Theologie des göttlichen Pathos". In seinem Pathos bzw. in seiner Sym-Pathie geht der Allmächtige aus sich selbst heraus und wird zum Partner seines Volkes. In der Kommunikation mit dem göttlichen Pathos eröffnet sich auch für den Menschen die Fülle des Lebens: Er nimmt teil an der göttlichen Liebe, er brennt mit seinem Zorn, er leidet und freut sich mit ihm (Prophets 221 f.308 f). Alle monotheistischen Religionen sehen sich heute mit einem wachsenden Neo-Paganismus konfrontiert. Daniel Sibony sieht Juden, Christen und Muslime zwischen ihren Quellen und ihren Bestimmungen auf der Suche nach ihren Ursprüngen mitten in den Anfechtungen, von denen sie geschlagen werden. Diese Suche nach dem Ursprünglichen erfolgt nach Sibony durch den Dialog mit dem andern. Die drei monotheistischen Strömungen gehen auf denselben Gott zurück und sind Geschwister, aber sie müssen sich auch anerkennen als „Kinder desselben ursprünglichen Mangels" (Monothéismes 10). Sie leiden unter einem inneren Bruch, der durch jeden Menschen geht. Juden, Christen und Muslime können sich in der Idee finden, diesen Mangel gemeinsam zu tragen („de partager ce manque"). Wenn sie sich begegnen, tun sie dies im Bewußtsein gemeinsamer Unzulänglichkeiten. Die Anerkennung des andern ergibt sich dann daraus, daß wir den Mangel, den wir den andern zuschieben, für uns selbst akzeptieren. Diese Haltung erlaubt es uns, mit andern Kulturen Kontakt zu finden und ihnen zu begegnen, indem wir dann entdecken, daß auch sie ihre Form der Annäherung an den Einen und an das Sein haben (321 f). Quellen J o s e p h Albo, Sefer h a - I k k a r i m , 5 Bde., hebr. u. engl. ed. I. H u s i k , Philadelphia 1930. - Bachya ben Joseph ibn Paquda, Sefer torat c h ó v ó t hal-levavòt, 2 Bde., hebr. u. engl., ed. M o s e s H y a m s o n ,
256
Monotheismus IV
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Esther Starobinski-Safran IV. Systematisch-theologisch 1. Begriff 2. Die Einzigkeit Gottes fahrung (Literatur S. 261)
3. Die Einheit Gottes und die christliche Glaubenser-
M o n o t h e i s m u s IV 1.
257
Begriff
„ M o n o t h e i s m u s " bezeichnet im allgemeinen eine Interpretation des G ö t t l i c h e n , die dieses als wesentlich eine, einzige und einheitliche, in genauer zu b e s t i m m e n d e m Sinn personhafte (—»Person) W i r k l i c h k e i t darstellt, die a u f das w e l t h a f t e Seiende als deren G r u n d und Ziel bezogen ist. D e r Begriff gehört zu der F a m i l i e v e r w a n d t e r Neubildungen der Frühneuzeit, wie „ - » A t h e i s m u s " , „ - » T h e i s m u s " , „ - » P o l y t h e i s m u s " und „ - » P a n t h e i s m u s " , die zuerst oft im polemischen oder p r o g r a m m a t i s c h e n Sinn verwendet, dann in die k o n s t r u k t i v e R e f l e x i o n der philosophischen T h e o l o g i e (—»Theologie, philosophische) ü b e r n o m m e n und später vornehmlich als Klassifikationsbegriffe der E n t w i c k l u n g und Systematik von R e l i g i o n s f o r m e n und Weltanschauungen g e b r a u c h t werden. Der erste Beleg findet sich wahrscheinlich in dem Werk „An Explanation of the Grand Mystery of Godliness" (1660) von Henry More (1614-1687), einem der Platoniker von -» Cambridge, wo der Begriff polemisch zur Unterscheidung des christlichen Gottesglaubens vom Heidentum dient. Henry St. John Viscount Bolingbroke (1678-1751) verwendet den Begriff, wie der Titel eines Essays „On the Rise and Progress of Monotheisme, That first and great Principle of natural Theology, or The First Philosophy" anzeigt, im Zusammenhang seines deistischen Systems (-»Deismus) zur Bezeichnung des rationalen Gottesglaubens an „one supreme self-existent Being" als „the first intelligent cause of all Things". Möglicherweise durch die Vermittlung von David —»Hume, der in seiner „Natural History of Religion" (1755) die persische Religion vor der Wiedereinführung der babylonischen Religion durch Alexander d. Gr. als Monotheismus charakterisiert, ist der Begriff durch -»I. Kant im deutschen Sprachbereich als Bezeichnung der höchsten Ursache des Welterklärungsprojekts der spekulativen Vernunft populär gemacht worden (vgl. Hülsewiesche). F . D . E . —»Schleiermacher hat den Begriff „ M o n o t h e i s m u s " an zentraler Stelle in die D o g m a t i k eingeführt, indem er ihn in der Einleitung der zweiten Auflage der „ G l a u b e n s l e h r e " ( 1 8 3 0 / 3 1 ) zur Profilierung und zum Vergleich der Verschiedenheiten f r o m m e r G e m e i n s c h a f t e n in den Lehnsätzen aus der R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e verwendet (§ 8) und mit Hilfe dieses Begriffs die Darstellung des Wesens des C h r i s t e n t u m s in den Lehnsätzen aus der Apologetik vollzieht ( § 1 1 ) . Schleiermacher beschreibt den Fetischismus als „den eigentlichen Götzendienst" (51). Polytheismus wird als eine „Mittelstufe" (54) auf dem Wege zum Monotheismus gesehen, worunter er „(d)iejenigen Gestaltungen der Frömmigkeit" zusammenfaßt, „in welchen alle frommen Gemütszustände die Abhängigkeit alles Endlichen von einem Höchsten und Unendlichen aussprechen" (51). Als Differenzierungsmoment kann nicht allein die Behauptung der Einzigkeit Gottes fungieren („Der Götzendiener kann sehr füglich nur ein Idol haben, ohne daß diese Monolatrie irgendeine Ähnlichkeit hätte mit dem Monotheismus" [ebd.]), sondern nur „eine Verschiedenheit in dem unmittelbaren Selbstbewußtsein". Der Fetischismus bringt eine „Verworrenheit des Selbstbewußtseins" zum Ausdruck, in der das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit auf ein einzelnes sinnliches Objekt bezogen sein kann, während es im Polytheismus noch nicht in seiner Einheit und seiner Unterschiedenheit und Bezogenheit auf die Inhalte des sinnlichen Selbstbewußtseins erfaßt wird. Nur im Monotheismus ist das höhere Selbstbewußtsein vom sinnlichen so unterschieden, daß die schlechthinnige Abhängigkeit als Bestimmung des unmittelbaren Selbstbewußtseins auf alles Endliche ausgedehnt wird; und indem wir „die ganze Welt mit in die Einheit unseres Selbstbewußtseins" aufnehmen, können wir unser Selbstbewußtsein „zum allgemeinen Endlichkeitsbewußtsein erweitern" (53). Nur in dieser Einheit des Selbstbewußtseins kann sich das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl auf ein höchstes Wesen beziehen (vgl. 54). Das Christentum teilt die Stufe des Monotheismus nach Schleiermacher mit dem -»Judentum und dem -»Islam und gilt als „eine der teleologischen Richtung der Frömmigkeit angehörige monotheistische Glaubensweise" (§§ 11, 74), d.h. als eine solche, in der „die vorherrschende Beziehung auf die sittliche Aufgabe den Grundtypus der frommen Gemütszustände bildet" (61). Schleiermachers Integration des M o n o t h e i s m u s b e g r i f f s in die D o g m a t i k folgend ist die neuzeitliche T h e o l o g i e in ihren d o m i n a n t e n S t r ö m u n g e n b e m ü h t , den Begriff eines christlichen M o n o t h e i s m u s zu profilieren, und b e s t i m m t den Begriff d a r u m mittels der Reflexion auf Einzigkeit, Einheit und E i n f a c h h e i t G o t t e s im Z u s a m m e n h a n g mit dem trinitarischen B e k e n n t n i s des christlichen G l a u b e n s (—»Trinität). D a b e i steht s o w o h l die B e s t i m m u n g der Eigenart des christlichen M o n o t h e i s m u s im M i t t e l p u n k t des N a c h d e n -
258
Monotheismus IV
kens als auch die Frage seiner theologischen Begründung aus dem Heilsgeschehen und/oder aus der Reflexion auf Einheit und Ordnung der Wirklichkeit. In diesem Zusammenhang ist, vor allem in neueren römisch-katholischen Dogmatikern, eine Unterscheidung zwischen „abstraktem" und „konkretem Monotheismus" üblich geworden (W.Kasper, K. -»Rahner), die auch von protestantischen Dogmatikern aufgenommen worden ist (z. B. W. Pannenberg). „Konkreter Monotheismus" steht für den trinitarischen Monotheismus christlichen Glaubens, „abstrakter" Monotheismus für die philosophische Behauptung eines einzigen metaphysischen Grundprinzips. Während in diesen Verwendungen des Begriffs das Verhältnis zwischen dem Begriff des „Monotheismus" und seinen Beziehungsbegriffen (Polytheismus, Pantheismus etc.) auf das Wirklichkeitsverständnis insgesamt eine eher untergeordnete Rolle spielt, hat Paul -»Tillich in seiner Systematischen Theologie (I, 2 6 2 - 2 7 3 ) eine umfassende Typologie der Formen der Gottesidee und ihrer philosophischen Umformungen gegeben. Tillich stellt Typen des Polytheismus und Typen des M o n o t h e i s m u s einander gegenüber und beschreibt dann deren philosophische U m f o r m u n g . Seine Typologie ist aus der Analyse der jeweils vorliegenden Beziehungen zwischen dem Prinzip der Unbedingtheit und dem Prinzip der Konkretheit gewonnen. M a n wird dem von Tillich daraus entwickelten Netzwerk von Zuordnungen einen gewissen Schematismus nicht absprechen k ö n n e n . Allerdings gelingt es ihm, in diesem R e l a t i o nengefüge darzustellen, wie in den verschiedenen Formen des M o n o t h e i s m u s Gottesverständnis und Wirklichkeitsdeutung (einschließlich ihrer philosophisch transformierten Korrelate) aufeinander bezogen sind.
In ihren Hauptströmungen ist die neuzeitliche Theologie bemüht, den zu Beginn der Neuzeit geprägten Begriff des Monotheismus so zu differenzieren, daß er zur Darstellung und Präzisierung des christlichen Gottesverständnisses verwendet werden kann. Diese Tendenz findet ihren Höhepunkt in der These Karl —»Barths: „Mit der Trinitätslehre betreten wir den Boden des christlichen Monotheismus" (KD I, 1, 374). Dieser Tendenz ist in jüngster Zeit von Jürgen M o l t m a n n widersprochen worden, der die Trinitätslehre polemisch gegen den M o n o t h e i s m u s wendet und das trinitarische Gottesverständnis als Kritik des christlichen, philosophischen, k o s m o l o g i s c h e n , politischen und ekklesiologischen M o n o t h e i s m u s auslegt. Dabei werden M o n o t h e i s m u s und M o n a r c h i a n i s m u s als „zwei Seiten derselben S a c h e " interpretiert (Trinität und Reich G o t t e s 145), so daß nicht nur - » A r i a n i s m u s und Sabellianismus als monotheistische Häresien erscheinen, sondern auch die politische Geschichte des Abendlandes als entscheidend durch „die Umsetzung des religiösen M o n o t h e i s m u s in politischen M o n o t h e i s m u s und die Umsetzung des politischen M o n o t h e i s m u s in A b s o l u t i s m u s " (214) interpretiert wird. Eine gewisse Parallele zu dieser theologischen M o n o t h e i s m u s k r i t i k bietet in der Philosophie nach der Kritik —»Goethes am M o n o t h e i s m u s als S y m p t o m poetischer Verarmung, —»Schopenhauers Anklage der Intoleranz des M o n o t h e i s m u s und - » N i e t z s c h e s polemischem Wort vom „ M o n o t o n o - T h e i s m u s " die Ablehnung des M o n o t h e i s m u s und seiner säkularen Derivate ( z . B . der Fortschrittsidee) als „ M o n o m y t h i e " , der gegenüber die Pluralität identitätsbeschreibender Geschichten im „ L o b des P o l y t h e i s m u s " gefeiert wird (O. M a r q u a r d ) .
2. Die Einzigkeit
Gottes
Das Bekenntnis zum Gott Israels als dem einzigen Gott (vgl. Jes 44,6) ist den frühesten christlichen Gemeinden, die als Modifikation der jüdischen Kultgemeinde existieren, vorgegeben und wird in den verschiedenen Traditionen des Neuen Testaments vorausgesetzt und nachdrücklich bestätigt. Die Frage nach dem höchsten Gut wird von Jesus mit dem Hinweis auf das Shema Israel (Dt 6,4.5) beantwortet (Mk 12,29). Gott wird im Neuen Testament als „der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter" (Act 3,13) und „der Gott Israels" identifiziert (Mt 15,31; Lk 1,68; Act 13,17). Dieser Gott ist der eine Gott gegenüber vielen Göttern und Herren, die von denen, die sie verehren, Götter genannt werden (I Kor 8,4f.). Dieser eine Gott ist der Gott der Juden und der Heiden, der Juden und Heiden gerecht macht (Rom 3,29 f.). Die Einzigkeit Gottes schließt die Einheit Gottes ein, die Abstufungen des göttlichen Wesens ausschließt
M o n o t h e i s m u s IV
259
(Gal 3 , 2 0 ) . Dieses Verständnis der Einzigkeit und Einheit G o t t e s wird von G o t t als die Einzigartigkeit seines Wesens erschlossen (I T i m 6 , 1 5 und 1,17). D u r c h diesen einen G o t t werden alle behaupteten G ö t t e r , M ä c h t e und G e w a l t e n als m a c h t l o s erwiesen (Gal 4 , 8 , Kol 2 , 1 5 ) . Auch w o das B e k e n n t n i s zu dem Auferstandenen als „ m e i n H e r r " und „ m e i n G o t t " erscheint ( J o h 2 0 , 2 8 ) , ist dies offenbar keine Infragestellung der Einzigkeit und Einheit G o t t e s . D i e Darstellung des Verhältnisses J e s u zu G o t t als Verhältnis des Sohnes zum Vater k a n n d a r u m widerspruchslos, wenn auch nicht spannungslos, neben das B e k e n n t n i s des allein w a h r e n G o t t e s treten ( J o h 17,3). Die grundsätzliche Frage, die sich dem Selbstverständnis christlichen G l a u b e n s stellt, ist die, wie die E r f a h r u n g des —>Heils von dem G o t t Israels her in Jesu Person, T a t e n und G e s c h i c k , die von den G l a u b e n d e n im Geist als gegenwärtige B e s t i m m u n g zu einer heilvollen Z u k u n f t angeeignet wird, sich mit dem „ m o n o t h e i s t i s c h e n P r i n z i p " der als Traditionsgut angeeigneten Überlieferung Israels vereinbaren läßt. Die neuere F o r s c h u n g sieht eines der H a u p t m o tive, das zur L ö s u n g dieser F r a g e trieb, in der religiösen Praxis der frühen Christen, und hier vor allem der J u d e n c h r i s t e n , „in which the risen Christ c a m e to share in some o f the devotional and cultic attention normally reserved for G o d : the early Christian mutation in J e w i s h m o n o t h e i s m w a s a religious devotion with a certain binitarian s h a p e " ( H u r t a d o 124). 3. Die Einheit
Gottes
und die christliche
Glaubenserfahrung
Die Frage, wie die G r u n d e r f a h r u n g des christlichen G l a u b e n s mit dem v o m J u d e n t u m ü b e r k o m m e n e n m o n o t h e i s t i s c h e n Prinzip vereinbart werden k a n n , ist einer der wesentlichen F a k t o r e n der christlichen Lehrgeschichte bis zur Ausbildung des trinitarischen D o g m a s im Ubergang vom 4. zum 5. J h . M i t der in der reflektierten Aneignung des neutestamentlichen Zeugnisses vollzogenen Z u o r d n u n g der Person J e s u Christi zur Person G o t t e s des Vaters stellte sich „die theologische G r u n d f r a g e der alten D o g m e n g e schichte überhaupt: das P r o b l e m einer personalen göttlichen Z w e i h e i t (später Dreiheit) unter dem u n a b d i n g b a r e n Vorzeichen des G l a u b e n s an die m o n o t h e i s t i s c h e göttliche E i n z i g k e i t " (Beyschlag 7 0 ) . In der Auseinandersetzung der Lehrauffassungen und F r ö m migkeitsformen innerhalb der christlichen G e m e i n s c h a f t e n mit den religiösen und philosophischen S t r ö m u n g e n a u ß e r h a l b des C h r i s t e n t u m s und mit den a m R a n d e der christlichen G e m e i n s c h a f t e n vertretenen M e i n u n g e n und F o r m e n religiöser Praxis fungierte das m o n o t h e i s t i s c h e Prinzip als kritisches und konstruktives Prinzip der Lehrformulierung. Die Apostolischen Väter bedienten sich in der Bearbeitung dieser Grundfrage der Theologie des hellenistischen Judentums, in der durch die „Kosmologisierung Jahwes" (Beyschlag) der Ausschließlichkeitsanspruch des Gottes Israels im Sinne des Verständnisses Gottes als des einzigen Grundes des Seins und der Ordnung der Welt im Rahmen einer umfassenden religiösen Metaphysik gedeutet wurde. So konnte das Verständnis Jesu Christi als der Offenbarung Gottes, als Weg zum Heil (II Clem 20,5) und als endzeitlicher Richter, über den wie über Gott gedacht werden sollte (II Clem 1,1), in die Juden und Christen gemeinsame monotheistische Grundüberzeugung eingefügt werden, ohne daß damit die Einheit Gottes in Frage gestellt zu sein schien. Paradigmatisch ist diese Integration bei —»Ignatius von Antiochien formuliert: „Denn Gott ist einer, der sich selbst geoffenbart hat durch seinen Sohn Jesus Christus, sein Wort, das aus dem Schweigen hervorging, der in allen Dingen das Wohlgefallen dessen hatte, der ihn gesandt hatte" (Magn 8,2). Im 2. Jh. entwickelten die —• Apologeten in der Rezeption der Impulse des ursprünglichen —»Platonismus, von -»Aristoteles und aus der -»Stoa aufnehmenden „mittleren Piatonismus", aber auch in polemischer Auseinandersetzung mit den griechischen Philosophen, eine theologische Deutung der Einheit Gottes als der differenzlosen (cf. Justin, Dial. 1,5.6), transzendenten, geistigen (Dial. 4,2) und letztlich unnennbaren Ursprungsmacht (Apol. I,61,10f). Mit dieser Betonung der Transzendenz Gottes wird Christus als präexistenter —»Logos der Mittler zur geschaffenen Welt, der von Gott wie ein Strahl von der Sonne ausgeht (Dial. 128,2f), aber dennoch als „zweiter Gott" (Dial. 56,4) angesprochen werden kann. In diesem Zusammenhang gibt es deutliche Tendenzen zur Expansion des vorgegebenen Begriffs der Einheit Gottes. Die relative Ungeklärtheit des Begriffs der Einheit Gottes zeigt sich an der Stellung der Apologeten zur platonischen These von der Ewigkeit
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Monotheismus IV
der Materie. Während —»Justin darin keine Gefährdung der Einzigkeit und Einheit Gottes sah (Apol. I, 56), wird die Lehre von -»Tatian (or. 5,7) und -»Theophilus von Antiochien bekämpft: Eine anfangslose Materie wäre Gott gleich, und Gott könnte nicht als der einzige und eine -»Schöpfer von allem außer seiner selbst gesehen werden (ad Autol. 11,4). Gegenüber der Trennung von Schöpfergott und Erlöser in der -»Gnosis und der in ihrem Gefolge postulierten Mehrzahl überirdischer Mächte stellt -»Irenaus von Lyon die Einheit Gottes durch die Einheit der Heilsgeschichte dar. Das eine göttliche Wesen realisiert sich in der Heilsgeschichte durch den Sohn und den Geist als den beiden „Händen" Gottes, so daß die Wesensidentität Gottes von der differenzierten Einheit seines Wirkens her verstanden werden kann. Insofern das trinitarisch differenzierte Wirken Gottes die Erschließung des Wesens Gottes ist, kann Irenaus von der permanenten Koexistenz des Sohnes mit dem Vater sprechen (Adv haer. II, 30,9f) und so von der Gottheit des Sohnes (11,28,2), der in der Inkarnation den unsichtbaren Vater sichtbar macht (III, 16,6; III, 13,2 u. IV, 2,2). Die in Christus bestehende communio et commixtio Dei (IV, 20,4) ist die Rekapitulation der Geschichte Adams und so die Verwirklichung des in der Schöpfung intendierten -»Bildes Gottes im Menschen (IV, 3,7), in der die vom Geist getragene Menschheit (V, 16,2 f) an der Unvergänglichkeit Gottes teilhat. Als Reaktion auf die tendenziell pluralistische Expansion des Verständnisses der Einheit Gottes in der Logostheologie der Apologeten und speziell bei —»Origenes, der einerseits vom Sohn und Geist als eigenen Hypostasen spricht und das ewige Gezeugtsein des Logos/Sohnes behauptet (Comm. in Joh. XX, 18; Princ. IV, 1,4), aber andererseits den Sohn (und mehr noch den Geist) unter den Vater subordiniert, stellt der -»Monarchianismus eine „monotheistische Engführung" (Beyschlag) dar. In seiner adoptianistischen Richtung wird Christus als von der Kraft des göttlichen Geistes ermächtigter und von Gott adoptierter Mensch dargestellt (Theodoret d. Gerber). Im modalistischen Monarchianismus (Noetus von Smyrna, Praxeas [?], Sabellius) offenbart sich die eine göttliche Wesenheit sukzessive und damit vorübergehend als Vater (in der Schöpfung), als Sohn (im Christusgeschehen) und im Geist (in der Kirche). D e r Arianiscbe Streit n ö t i g t e die christliche K i r c h e in d e r d u r c h die Alternative zwischen der im M o n a r c h i a n i s m u s b e h a u p t e t e n differenzlosen E i n f a c h h e i t des göttlichen Wesens u n d d e m in d e r L o g o s t h e o l o g i e u n d in d e r origenistischen T r a d i t i o n p o s t u l i e r t e n H y p o s t a s e n p l u r a l i s m u s g e k e n n z e i c h n e t e n P r o b l e m s i t u a t i o n , d u r c h o n t o l o g i s c h e Präzisierung zu einer k o h ä r e n t e n begrifflichen E r f a s s u n g d e r Einheit G o t t e s zu k o m m e n . In diesem Z u s a m m e n h a n g w u r d e die H o m o u s i e des S o h n e s mit d e m Vater ( - » N i c ä a 325) u n d die H o m o u s i e des Geistes (—»Ökumenische S y n o d e von K o n s t a n t i n o p e l 381) als D o g m a fixiert. Der alexandrinische Presbyter -»Arius vertrat ein Gottesverständnis im Sinne eines strengen philosophischen Monotheismus, in dem der einzige eine Gott als ungeworden und damit anfangslos, unteilbar und unveränderlich dargestellt wird, und in dem es keine hypostatische Differenzierung gibt. Der Logos ist ein präexistentes himmlisches Wesen, das aus dem Nichts geschaffen, geworden und daher Gott seinsmäßig unähnlich (dvo/zo/oj) und veränderlich ist. Der Logos kann im Sinne eines Würdetitels, aber nicht im Sinne einer ontologischen Bestimmung „ G o t t " genannt werden. Demgegenüber stellt das Konzil von Nicäa neben den Glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, das Bekenntnis „an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt wird, d.h. aus dem Wesen des Vaters (EK rfjq ouaiag zoij JiaxpÓQ),... wahrhaftiger Gott aus wahrhaftigem Gott, geboren, nicht geschaffen (ysvvrjOevza ov noirjdévTa), eines Wesens mit dem Vater (ópooùoiov z
Tod selbst ist inevitable (I, 20; = „unvermeidlich"), er erscheint als das Ende des Lebens. Montaigne zufolge ist alle Weisheit dieser Welt sich darin einig, daß man eine Einstellung zum Tod gewinnen sollte, die diesen nicht fürchtet. Montaignes eigene Sicht ist zunächst stark von stoischem Gedankengut geprägt. Er plädiert für eine Einstellung und H a l t u n g zu Schmerz, Krankheit und Tod, die diese als zur Wirklichkeit des Lebens gehörig und nicht als Übel ansieht, sich ihnen aber auch nicht ausliefert.
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Zunächst ist zu beachten, daß das, was wir als Gut oder Übel empfinden, großenteils von der Meinung abhängt, die wir davon haben (1,14). Sodann können z. B. mit Schmerzen spezifisch eigene Erfahrungen verbunden sein (vgl. II, 37). Und die berühmte Formulierung „Que philosopher c'est apprendre ä mourir" (I, 20; = „Daß Philosophieren sterben lernen heißt") darf nicht als ein Sein-zum-Tode aufgefaßt werden. Es geht nicht um den Tod als eine Instanz der Lebensführung. Der Tod ist gerade nicht in der Lage, die Kunst der Lebensführung zu befördern oder gar zu leiten. Es geht vielmehr um die Kunst, sein Leben zu meistern, und zum „s^avoir vivre" ( = „zu leben wissen") gehört auch das „Sfavoir m o u r i r " (III, 12; = „ z u sterben w i s s e n " ) .
Montaignes frühe Überlegungen zu Tod und Sterben (vor allem in I, 20) sind stoizistisch geprägt. Später (vor allem in III, 12) weicht diese Einstellung einer weit gelasseneren Haltung, welche zugleich und unmißverständlich den Akzent aufs Leben, nicht auf den Tod setzt. Es komme darauf an, sich von der wechselseitigen Blockade von Leben und Tod freizumachen. Dazu sei wichtig, das Leben nicht einfach mehr als eine Vorbereitung auf den Tod anzusehen. Der Tod ist „bien le bout, non pourtant le but de la vie" (III, 12; = „wohl das Ende, nicht aber das Ziel des Lebens"). Sein Leben recht und still zu führen, darauf komme es im und für das Leben selbst an. Von hier aus erst kann sich eine ruhig gelassene Haltung auch zu Tod und Sterben einstellen. Betont wird, daß der Tod eines jeden Individuums ein Teil der Ordnung des Alls ist. Mithin hat das eigene Dasein teil am Tod wie am Leben (I, 20). Der Tod erscheint als eine der Bedingungen auch des eigenen Lebens. Wer vor ihm zurückschreckt, flieht vor sich selbst. Es geht darum, ob ein jeder die eigene Endlichkeit und selbst noch den eigenen Tod bejahend übernehmen kann. Dies zu können, wäre alles andere als eine heroische Attitüde. Solche bejahende Übernahme des eigenen Selbst ist von befreiender Kraft. Im Sterbenkönnen zeigt sich der Befreiungseffekt am stärksten: „Le s9avoir mourir nous afranchit de toute subjection et contrainte" (I, 20; = „Sterben zu wissen, befreit uns von aller Untertänigkeit und aller Einschränkung"). Den Tod zu bedenken bedeutet bereits eine Weise, die Freiheit zu bedenken.
2.4. Pluralität und Relativität der Sitten, (a) Betont wird die Pluralität und die irreduzible Verschiedenheit der —»Sitten (III, 9). Dieser Umstand erfreut Montaigne. Er macht sich lustig über seine Landsleute, die stets nur die eigene Sichtweise und Art des Benehmens zum Maßstab auch fremden Sitten gegenüber machen, (b) Durch Montaignes Texte geht die Einsicht, daß die fremden Kulturen und Sitten, das Fremde, nicht unter die eigenen (regionalen, nationalen, ethnozentrischen, kulturellen) Horizonte zu zwingen sind. Dies mündet in die Haltung, sie als andere, als fremde Sitten stehenzulassen. Beispiele dafür liefern Montaignes Schilderungen der Begegnungen mit brasilianischen Eingeborenen und mit Reisenden in Rouen (vgl. I, 319). (c) Montaigne teilt nicht die Auffassung, es gäbe Gesetze, die „perpetuelles et immuables" (II, 12; = „ewig und unveränderlich") sind und deshalb Gesetze genannt werden könnten. Dies ist nicht nur eine empirische Feststellung. Vielmehr wird darin auch der Anspruch der Rechtsgesetze auf universale Gültigkeit relativiert. Die Sitten, Bräuche und Gesetze bleiben „fortuit", zufällig (II, 12). Freilich heißt dies gerade nicht, daß man den Gesetzen des Landes, in dem man lebt, nicht zu gehorchen braucht. Die Relativität der Sitten darf nicht als ein Relativismus der Beliebigkeit mißverstanden werden, (d) Das Interesse Montaignes an fremden Völkern und Kulturen führt auch einen kritischen Blick auf die Dinge im eigenen Lande mit sich (vgl. I, 31). (e) Montaigne hat offenbar den Doppelcharakter eines jeden Verstehens fremder Kulturen bemerkt. Zum einen sind Ethnozentrismus und Provinzialität als Vorurteile zu kritisieren. Zum anderen aber können wir gar nicht umhin, die Dinge aus unserer Ecke zu sehen (I, 1). Andere Personen, Völker und Kulturen führen anschaulich vor Augen und ins Denken, daß es andere Perspektiven, andere und irreduzibel viele Ordnungen der Dinge gibt.
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2.5. Mäßigung und Toleranz. In dieser Einstellung liegt eine der Wurzeln des Toleranzgedankens. Weder Selbsterkenntnis noch Fremd- und Welterkenntnis reichen weit - wenn sie denn überhaupt möglich sind. Die Endlichkeit schneidet die Menschen systematisch von einem universalen, definitiven und letztinstanzlichen Standpunkt ab. Dies ist nicht zu beklagen, sondern vielmehr zu begrüßen. Denn eben dadurch ist man von der Möglichkeit abgeschnitten, Fanatismen als begründet ausgeben und rechtfertigen zu können. Dem fundamentalistischen Eifer, der einzig sich selbst wähnt, folgen oftmals Schandtaten auf dem Fuße. Den endlichen Geistern ist es aber weder durch ihre Natur noch durch ihren Verstand möglich, Gott und die Unsterblichkeit der Seele zu erkennen oder gar einen Beweis von deren Dasein zu geben (II, 12). Hier könnten einzig die Offenbarung und die Gnade Gottes weiterhelfen. Mithin ist kein endliches Individuum in der privilegierten Lage, einen Gottesgesichtspunkt einzunehmen und von diesem her zu dekretieren, was unter den Sterblichen unbedingt durchgesetzt werden müßte. Von allen Auffassungen über die Religion scheint Montaigne diejenige angemessen, in der Gott als eine unbegreifliche Macht und als der Ursprung aller Dinge angesehen wird, der die Ehrerbietungen von Seiten der Sterblichen wohlwollend annimmt, „sous quelque visage, sous quelque nom et en quelque maniere que ce f u t " (II, 12; = „in welcher Aufmachung, unter welchem Namen und auf welche Weise auch immer"). Dies legt Mäßigung und Toleranz nahe, und zwar als eine aus dem Gottesverständnis selbst resultierende Einstellung und Haltung. 2.6. Freiheit und Unabhängigkeit. Zweifel in bezug auf die Gewißheit und die Einlösbarkeit der Wissensansprüche des menschlichen Verstandes sind grundsätzlich aus zwei Gründen angebracht. Zunächst sind Wissen und Erkennen an die empirische Sinnlichkeit gebunden, die täuschen kann. Sodann kann man sich weder auf Sitten, Bräuche und Gewohnheiten noch auf so etwas wie «Den Einen universalen Verstand) als definitive Instanzen stützen. Die Sitten und Gewohnheiten sind untereinander irreduzibel verschieden, und sie sind empirisch, d.h. nicht notwendig. Und auch der Verstand hat viele Gestalten. Freilich darf der Skeptizismus Montaignes nicht als ein terminaler —•Skeptizismus mißverstanden werden. D a s wäre seinerseits erneut eine F o r m von Dogmatismus. Montaignes Skeptizismus ist vielmehr kritischer, gemäßigter und vor allem sich selbst einschließender Skeptizismus pyrrhonischer Prägung. Sein Wahlspruch „Que sais-je?" ist radikaler als ein behauptetes Nichtwissen. In dem Satz, d a ß wir nicht in der Lage seien, die Wahrheit zu erreichen, spreche noch eine „vanite trop hardie" (II, 12; „allzu vermessene Eitelkeit") mit. Der Zweifel hilft, den Fallstricken des Dogmatismus und Fanatismus zu entgehen. Darin ist er vernünftig und hat Freiheit und Unabhängigkeit in seinem Gefolge. Freiheit ist in Montaignes Sicht kardinal für ein jedes individuelles Leben. Dies gilt nach innen (als Freiheit der Seele) und nach außen (im Sinne der Möglichkeit, sich ungezwungen von einem Ort zu einem anderen bewegen zu können) (III, 13). Freiheit und Unabhängigkeit sind aber nicht einfach gegeben. Sie müssen herbeigeführt und aufrechterhalten werden. Dies gilt in bezug auf die äußere politische O r d n u n g ebenso wie in bezug auf den Zustand des eigenen Selbst, der Seele und des Leibes (vgl. III, 10). Die Kunst des Lebens besteht darin, sich weder oppressiv gegen die eigenen Neigungen und Begierden zu stellen noch sie überhandnehmen zu lassen, sondern sie in ein Zusammenspiel untereinander sowie mit unseren Grundsätzen und Maximen zu bringen. D a d u r c h erst stellt sich Freiheit der Seele ein. Der Idee der inneren Seelenfreiheit korreliert nach außen die einer Ordnung, in der sich ein Leben entfalten kann ohne religions- und bürgerkriegerische Fanatismen, Tumulte und Gewalttätigkeiten. Nach innen müsse man trachten, seine Seele von den äußeren Tumulten zu distanzieren, um auf diese Weise die Freiheit des Urteils zu bewahren. Nach außen, d. h. in bezug auf die äußere politische, institutionelle, gesellschaftliche und geschichtliche Welt, hat dem Montaigne zufolge zu korrelieren, d a ß der Weise die überlieferten Gesetze befolgt (I, 23). Die Idee der
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Freiheit und der Unabhängigkeit hat Auswirkungen auch auf Fragen der Erziehung und der Bildung. Zentral ist, daß diese ins Denken einführen und die individuelle Urteilskraft stärken, nicht Wissen bloß anhäufen sollen (I, 26). Montaigne spricht sich gegen Straf- und Zwangsmaßnahmen in den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen aus. 2.7. Daseinsbejahung und Weisheit. In den Essais handelt es sich um den individuellen Ausdruck dessen, was es heißt, sein Leben in seiner Welt und Zeit zu führen. Lebensf ü h r u n g ist eine Kunst, eine individuelle Fähigkeit. M a n kann sie nicht lehren, sondern nur indirekt mitteilen und üben. Das Ideal, das durch die „Essais" geht, ist das einer heiter gelassenen Weisheit des Lebens. Darin geht es nicht nur um Lebensklugheit im Sinne eines Wissens um die Mittel und Strategien, mit denen man seine Bedürfnisse und Interessen befriedigen oder Unlust und Unannehmlichkeiten vermeiden kann. Es geht um Lebens Weisheit im Sinne einer Einstellung und Haltung, die auch diese Geschicklichkeiten und Klugheiten noch einmal reflektiert und die zu dem individuellen eigenen Leben, das in seiner Zeit und Welt so ist, wie es nun einmal ist, eine bejahende und gelassene Grundstellung einzunehmen vermag. Freilich kann auch die Weisheit, welchen Grad der Serenität und Gelassenheit sie auch erreichen mag, stets nur Weisheit nach Menschenmaß, nicht Gottesweisheit sein. Unter einem weisen Individuum ist nicht ein perfektes oder nach Perfektibilität strebendes Individuum zu verstehen. Es geht vielmehr um das sich in seiner Endlichkeit, Unvollkommenheit und Gebrechlichkeit selbst übernehmende, selbst bejahende Individuum. Ziel ist, zu sich selbst zu kommen und darin individuell zu werden. Das eigene Leben soll gerade nicht überboten werden. Weisheit beginnt mit Mäßigung und Selbstbescheidung. Z u ihr gehört auch, die alltäglichen Dinge schätzen zu lernen (III, 13). Vor allem im Gewöhnlichen zeigt sich, wie man zum Leben, wie man zum Dasein steht. Nicht die Suche nach ,letzten' Wahrheiten, sondern vielmehr die Suche nach dem Gewöhnlichen der eigenen Lebens-Praxis und nach einer ruhig gelassenen Haltung ist Zeichen von Weisheit. Ein solcherart weises Individuum wäre durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet: es wäre selbstbescheiden, weltoffen, obschon innerlich distanziert, wäre liebenswürdig, höflich, gesittet, tolerant, ohne Eitelkeit, ungekünstelt, ohne Extravaganz, voller Mäßigung und M a ß in seinem Sprechen, Denken und Handeln, wäre ohne Ressentiment, ohne Vergeltungs- und Rachegefühle gegenüber sich selbst und anderen Personen sowie Situationen, Ereignissen und Zuständen, hätte in der eigenen Lebensführung und in bezug auf andere Personen und die Öffentlichkeit keine dogmatischen, keine unbedingten Glaubenssätze mehr nötig, und sein „grand et glorieux chef-d'œuvre" ist: „vivre à prop o s " (III, 13; = „großes und ruhmvolles Meisterwerk ist, richtig zu leben"). Die Bejahung des je individuellen eigenen Daseins bildet den Ausgangspunkt und die Bestimmung menschlicher Weisheit. „Ii n'est rien si beau et legitime que de faire bien l ' h o m m e et deuement, ny science si ardue que de bien et naturellement sçavoir vivre cette vie; et de nos maladies la plus sauvage c'est mespriser nostre estre" (III; 13; = „Nichts ist so schön und ehrenhaft, als aufrichtig und wie es sich gehört ein Mensch zu sein, und keine Kunst ist so schwer wie die, dieses Leben recht und natürlich zu leben; und unter unseren Krankheiten ist die schlimmste, unser eigenes Dasein zu verachten"). 3.
Nachwirkung
Der Einfluß M o n t a i g n e s in E u r o p a ist vielfältig (s. Lit.-Verz., N a c h w i r k u n g ) . In der ersten H ä l f t e des 17. J h . k a m es zu einer Reihe von N e u e d i t i o n e n der Essais und auch zu Übersetzungen ins Englische 1603 (mit mehreren N e u a u f l a g e n ) , ins Italienische 1633 und ins N i e d e r l ä n d i s c h e 1674 (vgl. d t . Ess.-Ausg. Lüthy, 48). Unter den Zeitgenossen f a n d M o n t a i g n e s Werk g r o ß e n A n k l a n g und positive A u f n a h m e . Der H a u p t v e r t r e t e r des N e u s t o i z i s m u s , J u s t u s Lipsius, r ü h m t e M o n t a i g n e (vgl. Lipsius-Briefe, in Ess.-Ausg. Villey, hg. von Saulnier, 1202). Auch die Vertreter des katholischen christlichen H u m a n i s m u s , z.B. Jean Pierre C a m u s , schätzen M o n t a i g n e (vgl. Boase). Wichtig f ü r die N a c h w i r k u n g e n der Essais ist Pierre C h a r r o n s Werk De la sagesse (1601), das, seinerseits ein weitverbreitetes Werk, viele G e d a n k e n M o n t a i g n e s aufgreift und systematisch darstellt. Einen in-
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teressierten Leserkreis fanden die Essais unter den Libertinern des 17. Jh. (vgl. Boase), die Montaigne freilich für ihre eigenen Zwecke uminterpretierten. Deutlich vorgearbeitet haben die Auffassungen Montaignes dem Ideal des honnête homme und dem Klassizismus des 17. Jh. Beeinflußt haben die Essais auch Descartes, etwa dessen Traité des Passions de l'âme (1649) (vgl. Brunschvicg; Paulson). Eine starke Wirkungsgeschichte hat Montaigne in England (vgl. Dédéyan). Dort wird der Titel Essais zur Bezeichnung der literarischen Form kürzerer Abhandlungen, der Essays. Shakespeare, Bacon und Locke gehören zu dem aufgeschlossenen Leserkreis. Einfluß nehmen die Essais auch auf den -»Deismus im England des 17. und 18. Jh. In Frankreich sehen der Jansenismus ( - » J a n sen/Jansenismus) und die gegenreformatorische katholische Philosophie in den Essais ein Werk, das nicht mit dem Christentum übereinstimme und einen Skeptizismus in bezug auf die Religion vertrete. Bossuet greift Montaignes Auffassung des Todes an (Sermon pour la fête de tous les saints, 1669, in: Ess.-Ausg. Villey/Saulnier, 1214). Die Logique de Port-Royal (1662) von Arnauld und Nicole kritisierte (III, X X ) die Essais mit dem Vorwurf, sie seien anti-christlich, epikureisch, und Montaignes Reuelosigkeit widerspreche dem religiösen Gefühl. Malebranche hält ( R e c h e r c h e de la vérité, Buch II, III, 5) die Lektüre Montaignes deshalb für gefährlich, weil das unmerkliche Vergnügen, das der Leser empfinde, einer Lüsternheit entstamme. -»Pascal sieht (Pensées I, 18; II, 62 und 63) in Montaigne nur den Skeptiker und verurteilt ihn wegen seines Mangels an Furcht, Reue und Sorge ums Seelenheil. Zu beachten ist freilich, daß vieles von dem, was Pascal selbst zur Situation und Psychologie des Menschen schreibt, manchmal beinahe wörtlich von Montaigne stammt. Pascal verdankt Montaigne sehr viel, auch dann noch, wenn er sich gegen ihn wendet. Diese Angriffe auf Montaigne haben wohl mit bewirkt, daß es zwischen 1669 und 1724 zu keiner Neuedition der Essais kam. 1676 wurden die Essais auf den Index librorum prohibitorum gesetzt. 1724 kam es zu der von Pierre Coste besorgten Neuausgabe, die bis 1801 dreizehn Auflagen erlebte (vgl. dt. Ausg. Lüthy, 49). 1753/54 erschien eine deutsche Übersetzung von Johann Daniel Tietz in Leipzig, 1793—97 die Übersetzung von J . J . C h . Bode in Berlin. Im 18. Jh. wird Montaigne bei den Autoren der Aufklärung positiv rezipiert. Montaignes ablehnende Haltung gegenüber jedem Dogmatismus, die Kritik am Aberglauben, die Relativierung von Sitten und Rechtsverhältnissen, dies sind Auffassungen der Aufklärer von Bayle bis —»Voltaire, und sie finden sich bei Montaigne formuliert. In Wende gegen Pascal, Nicole und Malebranche schätzt Voltaire Montaigne sehr und hebt hervor, daß dieser ein „philosophe parmi des fanatiques" ( = „Philosoph unter Fanatikern") gewesen sei und daß er in seinen Selbstbeschreibungen die menschliche Natur geschildert habe (Remarques O k k a s i o n a l i s m u s ) , s c h w a n k t e er zwischen einer materialistischen, deterministischen und „utilitaristischen" H a l t u n g und einem Glauben an den freien Willen und absolute sittliche Werte. 1728 w u r d e er in die A k a d e m i e française gewählt und durchreiste Österreich, Ungarn, Deutschland und H o l land, hauptsächlich aber Italien (1728-1729) und England (1729-1731); dabei h a t t e er Begegnungen mit Kreisen der päpstlichen Kurie sowie der höfischen, intellektuellen und politischen Gesellschaft und w u r d e Fellow of the Royal Society und Freimaurer. N a c h seiner R ü c k k e h r schrieb er sein erstes größeres Werk (Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence, 1734) und widmete sich 1734—48 ernsthafter gelehrter Forschungsarbeit zur Abfassung seines H a u p t w e r k s De l'esprit des lois. Er starb am 10.2.1755 in Paris. 2. Werk N a c h einer Reihe unveröffentlichter kleinerer Arbeiten, akademischen Reden und einem literarischen N o t i z b u c h (Spicilège, 1715 ff) waren seine Lettres persanes (1721) sein erstes veröffentlichtes Werk und in m a n c h e r Hinsicht der erste größere M a r k s t e i n
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der französischen -»• Aufklärung. Er kehrte darin die Form der brieflichen Reisebeschreibung um, indem er drei persische Adlige dem Frankreich der Jahre 1 7 1 1 - 1 7 2 0 begegnen und dabei einen Kulturschock erfahren ließ. Frankreich trat an die Stelle Lilliputs. Die persische Gesellschaft wurde mit gelehrter Genauigkeit gezeichnet. Die satirische Darstellung der französischen Sitten war der Deckmantel für eine vernichtende Kritik der politischen, religiösen und sozialen Verhältnisse Frankreichs. Die Schilderung des Harems w a r eine fortlaufende Allegorie auf den französischen Despotismus, korruptes Beamtentum und die Knechtschaft des französischen Volkes. Diese mit beschwingtem Spott versüßte kaleidoskopartige Satire auf Kirche, Gesellschaft und Politik war geleitet von einem wachsenden Empfinden für Gerechtigkeit, menschliche Bildung, republikanische Tugend und aufgeklärte Skepsis. Die R o m a n f o r m sicherte dem Werk, dem man voraussagte, es werde sich verkaufen wie Brot, seine Verbreitung. Montesquieu hat eine Reihe weiterer Arbeiten veröffentlicht oder geplant, vornehmlich die erotische Satire Le Temple de Gnide (1724/5), einen nicht mehr erhaltenen ehrgeizigen, aber unvollendeten Traité générale des devoirs (1725) und seine wegweisende Arbeit Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence (erschienen 1734). Seine bedeutendste Leistung war jedoch De l'esprit des lois (1748), eine umfassende Aufarbeitung der Rechts- und Verfassungstheorie, mit der er von 1734 bis 1748 beschäftigt war. Darin schuf er eine neue Auffassung des Rechtes als eines Niederschlags „der Verfaßtheit einer jeden Regierungsform, der Sitten, des Klimas, der Religion, des Gewerbes u s w . " oder „der notwendigen Beziehungen, die sich aus der N a t u r der Dinge ergeben". Der Zugang war soziologisch deskriptiv, relativistisch und freidenkerisch, nicht philosophisch oder theologisch normativ. Montesquieu wurde als Spinozist angegriffen, doch zu Unrecht, insofern als er sich sowohl gegen -»Spinoza als auch gegen —»Hobbes stellte. Er hob nicht auf die gesellschaftliche Verankerung (Krone, Adel, Volk) einer Regierung, sondern auf ihre Ausübung ab. War Locke Individualist und trat für eine Theorie der begrenzten Souveränität mit einer Regierung unter Z u s t i m m u n g der Regierten ein, so dachte Montesquieu körperschaftlich. Eine Regierung sollte in Einklang mit den grundlegenden Gesetzen der Gesellschaft stehen und durch Zwischengewalten eingeschränkt sein. Die Ausübung hoheitlicher Gewalt soll in einem gesetzlichen Rahmen erfolgen, und zur Sicherung vor Mißbrauch soll die Hoheitsausübung auf eine gesetzgebende, eine ausführende und eine richterliche Gewalt aufgeteilt werden. Irrig sah M o n tesquieu diesen Grundsatz in der englischen Verfassungspraxis verkörpert. Seine Vorschläge zur Vermeidung von Machtkonzentration haben sichtlich die Väter der amerikanischen Verfassung beeinflußt. Das Wesen der (demokratischen oder aristokratischen) republikanischen Verfassung, der Monarchie und des Despotismus liege darin, d a ß jeweils die öffentliche Tugend, ein Würdevorrang oder die Furcht herrscht. Da republikanische Tugend eine Utopie und Despotismus untragbar sei, müsse einer Monarchie der Vorzug gegeben werden, die durch grundlegende Verfassungsgesetze und zwischengeschaltete Organe (Parlamente, die Kirche usw.) reguliert werde. Montesquieu hat somit eine soziologische und historische Grundlage für das Recht erarbeitet, eine bedeutsame neue Klassifizierung von Regierungssystemen vorgenommen und kulturelle und klimatische Bedingtheiten rechtlicher O r d n u n g erkannt. Sein Verfassungsentwurf war der einzige, der in seiner Zeit Behauptungschancen hatte; denn der Entwurf —»Rousseaus war erst zu einer späteren Zeit umsetzbar. Die Religion war f ü r Montesquieu einer der Faktoren, die den esprit général, die allgemeine kulturelle Prägung eines Volkes ausmachen. Er w a r in der H a u p t s a c h e Cartesianer in der Linie von Malebranche und Deist (-»Deismus), wenn auch mit gelegentlichen Neigungen zum Materialismus. Er hat die Religion nicht wie -»Voltaire systematisch in Frage gestellt oder von der Sittlichkeit geschieden und mit Betrug gleichgesetzt. Religion konnte von Bedeutung für das soziale Verhalten von Regierten und Regierenden sein. Er war in religiösen Fragen Utilitarist und Deist wie Alexander Pope.
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Er v e r k ü n d e t e wie Voltaire T o l e r a n z u n d G e w i s s e n s f r e i h e i t . Er g l a u b t e an die E x i s t e n z G o t t e s , w i d e r s e t z t e sich d e m A t h e i s m u s u n d blieb ä u ß e r l i c h , w e n n a u c h o h n e tiefere christliche Ü b e r z e u g u n g , r ö m i s c h e r K a t h o l i k . 3.
Nachwirkung
W i e Voltaire h a t M o n t e s q u i e u g r o ß e B e d e u t u n g f ü r die Sensibilisierung d e r ö f f e n t lichen M e i n u n g in F r a n k r e i c h g e g e n ü b e r D e s p o t i s m u s in K i r c h e u n d S t a a t g e h a b t . Geistig e r i n n e r t er an M o n t a i g n e . Seine Lettres persanes u n d De l'esprit des lois h a b e n zahlreiche A u f l a g e n u n d Ü b e r s e t z u n g e n e r f a h r e n u n d eine b e d e u t e n d e W i r k u n g a u s g e ü b t auf s c h o t tische A u f k l ä r u n g s p h i l o s o p h e n u n d auf die D e n k e r d e r a m e r i k a n i s c h e n (—» Vereinigte S t a a t e n von A m e r i k a ) u n d - » F r a n z ö s i s c h e n R e v o l u t i o n , d e n e n er ihre Verfassungsm o d e l l e lieferte. D a b e i liegt eine gewisse Ironie d a r i n , d a ß seine S y m p a t h i e eher d e r thèse nobiliaire als d e r thèse royale galt u n d er 1789 im B e m ü h e n u m Z w i s c h e n g e w a l t e n i n n e r h a l b d e r M o n a r c h i e w o h l die A d e l s p a r t e i u n t e r s t ü t z t h a b e n w ü r d e . M o n t e s q u i e u s Platz im a m e r i k a n i s c h e n u n d britischen politischen D e n k e n des 18. u n d 19. J h . ist e b e n s o u n v e r k e n n b a r wie sein E i n f l u ß auf die P a m p h l e t i s t e n v o n 1789 u n d die Vertreter d e r F r a n z ö s i s c h e n R e v o l u t i o n . C o m t e u n d D u r c k h e i m h a b e n in ihm d e n B e g r ü n d e r d e r politischen Soziologie gesehen, o b w o h l sich nie eine deutlich u m r i s s e n e M o n t e s quieu-Schule bildete. Die offizielle Kirche b r a n d m a r k t e u n d v e r b o t seine W e r k e als deistisch. Die G a t t u n g seiner Persischen Briefe sollte ihre N a c h a h m e r in Citizen of the world von O l i v e r G o l d s m i t h u n d d e n Marokkanischen Briefen v o n José C a d a l s o finden. Seine Considérations t r a t e n s p ä t e r in d e n Schatten d e r Geschichte des Niedergangs und Verfalls des Römischen Reichs v o n E d w a r d G i b b o n , der a n e r k a n n t e , w a s er M o n t e s q u i e u schuldete. Quellen (Endgültiges Verzeichnis s. Robert Shackleton, Montesquieu. A critical biography, O x f o r d 1961, 4 0 0 - 4 1 8 ) . - Lettres persanes, 2 Bde., Köln (Amsterdam) 1721; dt.: Perserbriefe. Aus dem Franz. v. Jürgen v. Stackelberg, F r a n k f u r t / M . 1988; Persische Briefe. Ubers, u. hg. v. Peter Schunck, Stuttgart 1991. — Le Temple de Gnide, Paris 1725. — Considérations sur les causes de la grandeur des R o m a i n s et de leur décadence, Amsterdam 1734; dt.: Betrachtungen über die Ursachen der G r ö ß e u. des Verfalles der R ö m e r . M i t den R a n d b e m e r k u n g e n Friedrichs d . G r . Übers, u. hg. v. Lothar Schuckert, Bremen 1957; Überarb. u. erg. NA F r a n k f u r t / M . 1980. - De l'esprit des lois, 2 Bde., Genf 1748; dt.: Vom Geist der Gesetze, hg. v. Ernst Forsthoff, 2 Bde., Tübingen 1951. — Défense de l'Esprit des lois, Paris 1750. — Essai sur le goût: Enc. 7 (1757) 762—767. — Lettres familières, Florenz 1767; dt.: Briefe des H e r r n v. Montesquieu an verschiedene Freunde in Italien, nebst den A n m . des franz. Hg., Leipzig 1768. - Œuvres, 5 Bde., Paris an IV-1796. - Œuvres, hg. v. E d o u a r d Laboulaye, Paris 1 8 7 5 - 7 9 ; dt.: SW, 8 Bde., Wien 1899. - C o r r e s p o n d a n c e , hg. v. François Gebelin/André Morize, 2 Bde., Paris 1914. - Œuvres, 2 Bde., Paris 1817. - Mélanges inédits, hg. v. Gaston de Montesquieu (u. R. Céleste), Bordeaux u . a . 1892. - Pensées et fragments, hg. v. Gaston de Montesquieu (u. Henri Barckhausen), 2 Bde., Bordeaux 1899-1901. - Spicilège, hg. v. André M a s s o n , Paris 1944. - Œ u v r e s complètes, hg. v. Roger Caillois, Paris (Pléiade), I 1949, II 1951. - Catalogue de la bibliothèque de Montesquieu, hg. v. Louis Desgraves, Genf u . a . 1954.
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282
Montpellier
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Samuel S. B. Taylor Montpellier 1. Die Stadt und ihre Universität S. 284)
1. Die Stadt und ihre
2. Der Protestantismus
3. Der Katholizismus
(Literatur
Universität
Die älteste bekannte Erwähnung Montpelliers stammt aus dem Jahre 985. M o n t pellier gehörte zuerst zur Seigneurie der Wilhelme ( 9 8 5 - 1 2 0 4 ) und danach zu den Königreichen Aragon und Mallorca (1204—1349), bevor es in die französische Krondomäne einbezogen wurde. Die Stadt war von den religiösen Unruhen des 16. J h . betroffen. Seit dem 17. Jh., aus dem zahlreiche schöne Bürgerhäuser der Innenstadt stammen, ist sie Hauptstadt der Region. Ihr Leben kreiste stets um die drei Pole des Handels, der Verwaltung und der Universität. Sie ist Standort für Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen und neuerdings auch der Elektronikindustrie sowie agrarwissenschaftlicher Forschungszentren (mittelmeerischer und tropischer Landbau und Weinbau). Die Stadt erlebt gegenwärtig eine bedeutende Ausdehnung (mit beachtlichen städtebaulichen Lösungen wie Antigone) und weist ein reges künstlerisches und geistiges Leben auf (Tanz- und Musikfestspiele, Kolloquien, Kongresse usw.). Die im 13. Jh. gegründete, 1289 durch eine Bulle Papst Nikolaus' IV. bestätigte Universität verdankt ihren Ruf vor allem der medizinischen Fakultät, aus der sie hervorgegangen ist und zieht auch Studierende aus anderen Regionen an. Aus der Zahl derer, die hier studiert haben, seien Rabelais und —»Petrarca genannt. Im 18. J h . hat die Société Royale des Sciences zahlreiche Mitarbeiter der Encyclopédie (s. T R E 9 , 7 2 0 , 4 0 ff) gestellt. Angeregt durch den Chemiker Jean Antoine Chaptal ( 1 7 5 6 - 1 8 3 2 ) hat sie sich intensiv mit Fragen der angewandten Naturwissenschaft beschäftigt. Im 19. J h . vertrat die medizinische Fakultät den Vitalismus (der im Menschen neben Leib und Seele ein eigenes „Prinzip des Lebens" voraussetzte und für eine ganzheitliche Therapie der Persönlichkeit eintrat). Gegenwärtig stellen drei Universitäten den Lehrbedarf in den meisten der großen Fächer für etwa 30.000 Studierende sicher (der Ballungsraum Montpellier zählt nahezu 350.000 Einwohner). 2. Der
Protestantismus
Ungeachtet des Widerstandes der Obrigkeiten trat der Protestantismus während der dreißiger Jahre des 16. J h . in Kreisen der Universität (so etwa bei dem Professor der Medizin G. Rondelet [ 1 5 0 7 - 1 5 6 6 ] ) , der Geistlichkeit und der Handwerkerschaft in Erscheinung. Er griff rasch um sich. 1560 bildete sich eine Kirchengemeinde mit Pastor, Ältesten und Diakonen. Im Juli 1561 übernahmen die Protestanten die Stadt. Die Behauptung ihrer Stellung erforderte allerdings beträchtliche Anstrengungen; denn der Katholizismus blieb eine starke Kraft. So kam es zu einer Reihe von Zusammenstößen in Form von theologischen Auseinandersetzungen, Kämpfen um das Stadtregiment und Versuchen, den jeweils anderen Gottesdienst zu verbieten.
Montpellier
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1598 gehörte Montpellier zu den Sicherheitsplätzen, die den Protestanten durch das Edikt von Nantes eingeräumt wurden (vgl. T R E 15,621,23ff). Dabei blieb es bis 1622, als die Stadt sich nach einer fünfzigtägigen Belagerung durch Ludwig XIII. (1610-1643) ergab. Darauf wurde die verfallene Kathedrale wieder hergerichtet, während die Protestanten über zwei Kirchen verfügten, deren eine ein bedeutendes Bauwerk war und als eine der schönsten reformierten Kirchen in Europa galt. Zug um Zug wurden die Protestanten aus dem Stadtregiment und dem Lehrkörper der Universität ausgeschlossen. In der zweiten Hälfte des 17. Jh. wurden die antiprotestantischen Maßnahmen drückender. Eine der beiden Kirchen wurde 1670, die andere 1684 niedergerissen. 1685 wurde mit der Aufhebung des Edikts von Nantes der Protestantismus in Frankreich verboten. Unter Druck und Einschüchterung schworen die Protestanten von Montpellier in Massen ab. Viele flohen trotz königlichen Verbots ins Ausland. Der zu Ehren Ludwigs XIV. errichtete Triumphbogen von Peyrou feiert in einem seiner Medaillons das Widerrufsedikt. Sehr rasch entfaltete der Protestantismus im Gebiet von Montpellier eine verborgene Wirksamkeit. Seine Unterdrückung wurde von Montpellier als dem Sitz der Intendantur unter Leitung von Lamoignon de Bâville organisiert. Die festgenommenen Prediger wurden hierher überstellt, vor Gericht gebracht, verurteilt und hingerichtet (so 1689 Claude Brousson, ein Advokat, der Pastor geworden war). Die Untergrundexistenz und die Unterdrückung zeitigten oder begünstigten abweichlerische Gruppierungen wie die der Multipliants (1723), die mit dem Protestantismus allenfalls noch entfernt zu tun hatten. Nach und nach flaute die Unterdrückung ab. 1778 wurde die reformierte Gemeinde von Montpellier mit dem Pastor Rabaut-Pommier, einem Sohn des Pastors Paul Rabaut von Nîmes und Bruder des Präsidenten der Nationalversammlung von 1790, Rabaut St. Etienne, neu organisiert. Im 19. Jh. hatte der französische Protestantismus die Möglichkeit legaler Existenz wiedergewonnen. Kirchen wurden erbaut. Ein protestantisches Bürgertum aus Intellektuellen und Kaufleuten nahm in der Stadt eine gewichtige Stellung ein (mit dem Bürgermeister Pagézy, dem Maler Frédéric Bazille, den Familien Leenhardt, Chaber, Castelnau u.a.). Die Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Orthodoxen führten zwischen 1870 und 1880 zur Bildung zweier Gemeinden, die sich erst 1938 wieder vereinten. Wie überall in Frankreich bilden die Protestanten in Montpellier eine kleine Minderheit, doch liegt ihr Anteil an der Bevölkerung hier prozentual leicht über dem gesamtfranzösischen Durchschnitt. 1920 wurde die Faculté de Théologie Protestante von Montauban — die dritte der protestantischen Fakultäten in Frankreich neben -»Paris und —»Straßburg - nach Montpellier verlegt und fand Unterkunft in einem Haus, das dem Volkswirt Charles Gide, einem Onkel von André Gide, gehört hatte. Seit 1973 bildet sie mit der Pariser Fakultät das Institut Protestant de Théologie, die akademisch-theologische Ausbildungsstätte der reformierten und lutherischen Kirche in Frankreich (vgl. T R E 11,382,11 ff). Für sie ist kennzeichnend ein Bemühen um den Dialog mit der Naturwissenschaft (L. Perrier, H. Leenhardt, G. Crespy, J. Ansaldi), die Entschlossenheit, kirchliches Leben und theologisches Denken miteinander zu verbinden (G. Delteil, P. Keller), und eine gleichermaßen in der reformierten Tradition verwurzelte wie der Moderne geöffnete theologische Arbeit (H. Bois, A. Gounelle). Sie bietet vielen ausländischen Studierenden Studienmöglichkeiten und hat zahlreiche afrikanische und madegassische Theologieprofessoren und Pastoren ausgebildet. Seit 1926 bringt sie mit den Études théologiques et religieuses eine Vierteljahresschrift heraus, die weite Verbreitung findet. 3. Der
Katholizismus
Im 12. und 13. Jh. war Montpellier ein Zentrum der Bekämpfung der -»Katharer. 1162, 1195 und 1215 traten hier Konzilien zusammen. 1536 wurde das Bistum Maguelonne nach Montpellier verlegt. Die im 16. Jh. heftig erschütterte, in der Folgezeit über
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Moral Sense
den Jansenismus (-> Jansen/Jansenismus), die Annahme der Zivilkonstitution des Klerus (vgl. T R E ll,405,29ff), den -»Ultramontanismus und die Republik (-»Frankreich) entzweite katholische Kirche hat seit dem 17. Jh. drei große Aufgabestellungen: an erster Stelle die Bestimmung ihres Verhältnisses zum Protestantismus, das bis in die jüngste Zeit konfliktgeladen war, heute aber brüderlich und ökumenisch und stets theologisch anregend ist; zum anderen ihre Präsenz im Universitätsbereich, die in der akademischen Lehre von Historikern und Philosophen (Fliehe, Guitton, Forest) glänzend sichergestellt wird; und schließlich eine um Bildung, katechetische Unterweisung und geistige Vertiefung bemühte Pastoral. Das konfessionelle Schulwesen und ein Dominikanerkloster (mit dem „roten Dominikaner" Cardonnel) arbeiten in der gleichen Richtung. Von 1874 bis 1921 hatte mit Kardinal de Cabrières, einem der royalistischen action française von Maurras nahestehenden Provenzalen, eine gleichermaßen aristokratische wie volkstümlich starke Persönlichkeit den Bischofssitz von Montpellier inne. Er geriet in Konflikt mit der Dritten Republik (und ging dabei bis zu einer Exkommunikationsandrohung gegen den Präfekten des Departements Hérault); erst im Ersten Weltkrieg söhnte er sich mit ihr aus. Seine Nachfolger im Bischofsamt lösten sich von der politischen Rechten und richteten ihre Anstrengungen auf den Ausbau der Pastoral und deren Ausrichtung auf die Gegebenheiten des modernen Lebens. Literatur Henri Bosc, Les grandes heures du protestantisme à Montpellier, Montpellier 1957. — Gérard Cholvy (Hg.), Le diocèse de Montpellier, 1976 (HDF 4). — Ders., Histoire de Montpellier, Toulouse 1984. — Louise Guiraud, Études sur la Réforme à Montpellier: Mémoires de la société archéologique de Montpellier, 1 9 1 8 - 1 9 1 9 , 5 4 - 8 6 .
André Gounelle Moral ->Sitte Moral Sense 1. Begriff 2. Die Diskussion über die Grundlagen der Moral sense 4. Kritik (Quellen/Literatur S. 291)
3. Die Theoretiker des
moral
1. Begriff Obwohl der mehrdeutige Begriff moral sense bereits im 15. Jh. fester Bestandteil der englischen Sprache war, kann man erst mit Ende des 17. Jh. von seiner Verwendung zur Bezeichnung einer mehr oder weniger genau definierten philosophischen Position sprechen. Die Position, um die es geht, ist die, die man in erster Linie mit dem dritten Earl of -»Shaftesbury, Francis Hutcheson und David -»Hume in Verbindung bringt. Zu den weniger bekannten Anhängern dieser Position gehören George Turnbull und Henry Home, Lord Kames. Joseph -»Butler wurde zwar offensichtlich von den Ansichten Shaftesburys beeinflußt, kann dieser Schule aber nicht zugerechnet werden. Adam Smith gilt, obwohl er A Theory of Moral Sentiments geschrieben hat, normalerweise nicht als Mitglied dieser Schule, obgleich seine Darstellung der Moraltheorien von Hutcheson und Hume bei weitem die beste seiner Zeit ist und vielleicht sogar die beste, die je geschrieben wurde. 2. Die Diskussion
über die Grundlagen
der
Moral
Es erscheint hilfreich, die Theorien des moral sense, wie vieles aus der britischen Moralphilosophie des 17. und 18. Jh., als eine bedeutende Reaktion auf die Diskussion über die Grundlagen der Moral zu betrachten, die die Moralphilosophie im 17. und frühen 18. Jh. charakterisierte. Die Gründe für diese Grundlagenkrise widersetzen sich einer einfachen Analyse, aber sie enthalten sicher all jene komplexen Entwicklungen, die in Verbindung zu sehen sind mit der allgemeinen kulturellen und intellektuellen
Moral Sense
285
Umwälzung, die Europa während der lange andauernden Epoche, die heute als Renaissance bezeichnet wird, durchlebte: das Wiederaufleben des Interesses an der klassischen Bildung, die Reisen in den Fernen Osten und zur westlichen Hemisphäre, die protestantische -»Reformation mit den damit verbundenen Kriegen und Streitigkeiten und die Entstehung der experimentellen Methoden und der neuen —»Naturwissenschaften, um nur einige wichtige Daten zu nennen. Ebenso wie diese Ereignisse die Entstehung des philosophischen Skeptizismus (-»Skepsis/Skeptizimus) zu erklären scheinen, so scheinen sie in der Tat ebenfalls die Entstehung der langwierigen Debatte über die Grundlage der moralischen Unterscheidungen, die wir zu machen beanspruchen, zu begründen. Tatsächlich scheint es unwahrscheinlich, daß es zwei völlig verschiedene Entwicklungen gibt, die wir zu erklären haben — wir wollen sie erkenntnistheoretischen und moralischen Skeptizismus nennen. Gewiß hat -»Montaigne, der als Musterbeispiel eines Skeptikers des 16. Jh. gilt, bereits deutlich die Aufmerksamkeit auf das Problem der Grundlage der Moral gelenkt. Doch wird das Problem deutlicher dargestellt von Hugo —»Grotius, der sein Werk De jure belli et pacis mit dem Hinweis beginnt, daß gegenwärtig und in der Vergangenheit einige die Gerechtigkeit behandelten, als sei sie nur ein leerer Begriff. Aber es wäre zwecklos, so fährt er fort, eine Abhandlung über das Recht auszuarbeiten, wenn es in Wahrheit kein Recht gäbe. Folglich ist es als erste Aufgabe nötig, diesen weitverbreiteten und gefährlichen Irrtum dadurch zu bekämpfen, daß man der Existenz des Rechts (jus) eine solide Grundlage gibt. Um die Aufmerksamkeit auf seine Argumentation zu lenken, wählt Grotius Carneades als Repräsentanten der skeptischen Opposition und zitiert seine Behauptung, daß Gesetze letztlich auf dem Eigeninteresse des Individuums gründen und darum gar nicht übereinstimmen, während das sogenannte Naturrecht und die natürliche Gerechtigkeit bloße irreführende Fiktionen seien. Grotius widerspricht dem und schlägt zumindest drei verschiedene Grundlagen der Gerechtigkeit vor (die dem Menschen angeborene Geselligkeit, die Vernunft und den von Gott verliehenen freien Willen). Wichtig ist in diesem Zusammenhang das Problem, das er darlegt, nicht seine Lösung. Es war Thomas —»Hobbes, der dieses Problem verschärfte. Und in der Tat, viele von Hobbes' Zeitgenossen nahmen an, daß er selbst die Hauptursache für die Grundlagenkrise war, die die Moralphilosophie eingeholt hatte. Aber vieles von dem, was in der Moraltheorie so charakteristisch für Hobbes zu sein scheint, kann als eine Folge von Hobbes' uneingeschränktem Glauben an die neuen Naturwissenschaften und die damit verbundene Geringschätzung der Natur verstanden werden. So eröffnet Hobbes den Leviathan mit dem Vorschlag, daß alle Phänomene, moralischer oder physikalischer Art, damit erklärt werden sollen, daß man sich auf dieselben mechanischen Prinzipien beziehe. Es gebe keinen wesentlichen Unterschied, so argumentiert er, zwischen einer Uhr, anerkanntermaßen ein Automat, und einem menschlichen Wesen oder einer Gesellschaft. Das menschliche Herz ist nur eine andere Art von Feder, die Nerven stellen viele Fäden dar, die Gelenke sind Räder usw. Daraufhin zeigt er, daß dieser Vorschlag für ihn mehr bedeutet als rein rhetorische Schnörkel. Nachdem er die sinnliche Wahrnehmung mit rein mechanischen Begriffen beschrieben und in der Zwischenzeit die vermenschlichende Eigenschaft der Natur verworfen hatte, fährt Hobbes fort, menschliche Wesen nur als eine weitere Art von sich bewegenden physikalischen Körpern zu behandeln. So gesehen hätten frühere Philosophen nicht nur mit der Annahme unrecht gehabt, daß Körper ein Verlangen haben, aufgrund von objektiven Gesichtspunkten bevorzugte Zustände und natürliche Orte anzustreben. Sie hätten auch darin unrecht, anzunehmen, daß Menschen ein Verlangen haben bestimmte, nach objektiven Gesichtspunkten bevorzugte und substantiell unterscheidbare Zustände oder Ziele zu suchen. Natürlich ging Hobbes nicht so weit, zu behaupten, daß Menschen überhaupt kein Verlangen haben; nein, er behauptete sogar, daß keine lebende Person ohne Verlangen sein kann, da „das Leben selbst nichts als Bewegung ist". Vielmehr reduzierte er unsere Wünsche und Bedürfnisse auf rein mechanische Reaktionen und bestritt ganz entschieden, daß es irgendwelches nennenswerte Gute oder Böse gibt. Die Begriffe gut und böse haben nur eine relative und idiosynkratische Bedeutung. Es gibt nichts, das absolut und an sich gut wäre. Es gibt auch kein Fundament des Guten in der Natur. Kurz gesagt, Hobbes behauptete, daß seine Vorgänger unrecht mit der Behauptung gehabt hätten, daß Glück darin bestehe, die menschliche Entsprechung der Bewegungslosigkeit zu erzielen, nämlich ständigen Seelenfrieden. Dies sei ein
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Moral Sense
Fehler, d e n n , wie H o b b e s sagt, liege das Glück in dieser Welt nicht in einer geistigen R u h e , d e n n d e n finis ultimus o d e r d a s summum bonum gebe es nicht. Glück sei ein ständiges Fortschreiten des Verlangens von einem Ziel z u m a n d e r e n .
3. Die Theoretiker
des moral
sense
3.1. Anthony Ashley Cooper, der dritte Earl of —»Shaftesbury, war nur einer von vielen Philosophen, die auf H o b b e s moralischen Skeptizismus antworteten. O b w o h l John Locke sein Lehrer war, verdankt Shaftesburys Moraltheorie den alten Stoikern (—•Stoa/Stoizismus) und den Cambridger Platonisten (—»Cambridge, Platoniker von) weit mehr als Locke. Tatsächlich schätzte Shaftesbury Locke als Moralisten geringer als Hobbes. Letzterer hatte in Wirklichkeit, wie Shaftesbury behauptete, verneint, d a ß es irgendwelche ernsthaften moralischen Unterscheidungen gibt: nach Hobbes D a f ü r halten sind alle Handlungen moralisch gleichwertig, da sie alle durch Eigenliebe motiviert sind. Locke gehe, so Shaftesbury, obwohl er politisch aufgeklärter w a r als Hobbes, sogar noch weiter: „Es war Herr Locke, der an allen Grundlagen rührte, alle O r d n u n g und Tugend aus dieser Welt verbannte." Locke habe argumentiert, daß „ M o r a l , Gerechtigkeit und Fairneß nur von Gesetz und Willen a b h ä n g e n " und d a ß „weder richtig oder falsch, Tugend oder Laster irgendwelche Werte an sich darstellen". Einen derartigen moralischen Skeptizismus betrachtete Shaftesbury als Gefahr für die Struktur der Gesellschaft an sich. Wenn Tugend nicht existiere, wenn es keine objektiven moralischen Unterschiede gebe, dann brauche sich niemand von uns Gedanken zu machen über die moralische Qualität seines Handelns, und das Streben nach tugendhaftem Verhalten wäre nichts als f r o m m e Dummheit. Im Gegensatz sah Shaftesbury seine Aufgabe in der Darstellung, d a ß Tugend „wirklich ein Wert an sich ist und in der N a t u r der Dinge enthalten ist", d a ß sie also keine willkürliche Konstruktion sei, die vom Brauch, einer Laune oder dem Willen abhänge. Seine wichtigste Argumentation versucht, die Philosophen von rationalistischer Spekulation zu genauer Beobachtung der menschlichen N a t u r zurückzubringen. Solch eine „einfache, hausbackene Philosophie des In-uns-selbst-Hineinschauens" enthüllte ihm, d a ß die Menschen durchaus einen natürlichen moralischen Charakter besitzen, und d a ß wir von unserer eigenen N a t u r mit der Eigenschaft ausgestattet sind, objektiv begründete moralische Unterschiede zu erkennen. Anders ausgedrückt hat Shaftesbury, wie H u t cheson nach ihm, die Zweideutigkeit der Idee des moral sense ausgenutzt. Einerseits glaubte er, d a ß er in der Lage wäre zu zeigen, daß Menschen eine moralische Veranlagung haben, unter der er eine Neigung oder Vorliebe verstand, die darauf ausgerichtet ist, sich um andere Menschen Sorgen zu machen: eine instinktive Veranlagung zur Güte. Konsequenterweise sind manche unserer Handlungen, entgegen H o b b e s Standpunkt, wahrscheinlich von einer aufrichtigen Sorge um andere veranlaßt. Als Beweis für diese wichtige Behauptung führt Shaftesbury die Gesellschaft selbst an und das unausweichliche Bedürfnis des Menschen nach einer derartigen sozialen Organisation. Wenn die Gesellschaft für den Menschen etwas Natürliches ist, dann müssen auch diese moralischen Fragen, die für das Zusammenleben in der Gesellschaft wesentlich sind, natürlich sein. Wenn die Menschen dazu veranlagt sind, in einer Gesellschaft leben zu wollen, und es ist ja klar, d a ß sie dazu veranlagt sind, dann müssen sie auch die „Vorstellung und Prinzipien von fair, gerecht und ehrlich", die die gesellschaftsmäßige Organisation erst möglich machen, besitzen. In diesem Sinne ist Shaftesburys moral sense deutlich abgeleitet von der stoischen Idee des sensus communis. Andererseits ließ Shaftesburys Untersuchung ihn den Schluß ziehen, daß wir ein moralisches Sinnesvermögen (sense) haben, eine Fähigkeit analog zu denen, die uns in die Lage versetzen, „gewöhnliche Körper oder allgemeine Gegenstände der sinnlichen Wahrn e h m u n g " zu erfassen oder zu kennen. Dieser moral sense ermöglicht uns, die „ewiggültigen M a ß s t ä b e und die unveränderlich freie N a t u r oder den Wert der T u g e n d " zu entdecken. N u r wie dieser zusätzliche Sinn funktioniert, ist nicht völlig klar; aber er
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ist offensichtlich eine Fähigkeit des Wiedererkennens oder des Urteilens und weit mehr dem Sinn für Schönheit oder dem ästhetischem Urteil als einem der fünf gewöhnlichen Sinne verwandt. So wie die Formen, Bewegungen und Farben physischer Objekte durch das Auge wahrgenommen werden, deren Schönheit „entsprechend der unterschiedlichen Maße, Anordnung und Anlage der einzelnen Teile" gesehen wird, so wird auch, wenn Verhalten und Taten wahrgenommen werden, deren moralischer Wert (der letztendlich immer auf der Veranlagung, den Motiven und den Absichten der Handelnden beruht) von dem moral sense wahrgenommen, indem es „das Angenehme und Unangenehme in den Gefühlen spürt und Häßliches und Schönes findet". Hinzu kommt, daß der moral sense auch als Gewissen wirkt, indem er uns in die Lage versetzt, das Böse unserer eigenen Taten zu begreifen. 3.2. Die umfassendste Abhandlung einer Theorie des moral sense, die von Francis Hutcheson (1694—1746), wurde teilweise inspiriert von Bernard Mandevilles Kritik an Shaftesbury. Mandeville schenkte den erkenntnistheoretischen Aspekten von Shaftesburys Theorie praktisch keine Beachtung, scharf griff er den übertriebenen Optimismus einer Theorie an, die die Menschheit als im Grunde selbstlos darstellte. Tatsache sei, so behauptete Mandeville, daß die Menschen völlig von egoistischen Interessen angetrieben werden und daß dies zudem die Grundlage und den Segen der Gesellschaft bilde. „Moralische Tugenden", so lautet die berüchtigte Schlußfolgerung der Fable of the Bees, „sind der politische Sprößling, den die Schmeichelei mit dem Stolz gezeugt hat." Viele Autoren strebten danach, dieses neue Credo des moralischen Skeptizismus zu widerlegen. Hutcheson alleine verband seine Widerlegung mit einer ausdrücklichen Verteidigung von Shaftesbury und, bevor er sich mit diesem beschäftigte, mit der Entwicklung einer groß angelegten Darstellung der Theorie des moral sense. Diese Abhandlung findet sich vor allem in An Inquiry into the Original of our Ideas of Beauty and Virtue (1725) und in Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections. With Illustrations on the Moral Sense (1728). Im Werk Inquiry betont Hutcheson die Bedeutung des Studiums der menschlichen Natur. Jüngste Philosophen hatten dieses Studium angefangen, diese Angelegenheit aber in keiner Weise zu einem befriedigenden Ergebnis gebracht. Wir brauchen mehr als spekulative Kenntnisse von uns selbst; was wir brauchen ist die Kenntnis unserer Kräfte und Veranlagungen und besonders die Kenntnis von den dem wahren Glück zugrundeliegenden Faktoren. Hutchesons Methode in der Ethik ist eine beobachtende und (in einem vorkantischen Sinn) transzendental. Die moraltheoretischen Skeptiker seien dadurch zu ihrer gefährlichen Schlußfolgerung gelangt, daß sie sich zu sehr auf die Vernunft gestützt hätten. Im Gegensatz dazu sollten wir die menschliche Natur in ihrer gewöhnlichen Umgebung beobachten. Wenn wir das tun, so stellen wir fest, daß unsere Wahrnehmung von dem, was naturgemäß gut ist, völlig verschieden ist von dem, was im moralischen Sinne gut ist. Das heißt, ein lebloses Objekt berührt uns auf ganz andere Art und Weise als die freie Handlung eines rational denkenden Wesens. Ein ertragreiches Feld mag uns zum Vorteil gereichen und zugleich schön anzusehen sein, deshalb mögen wir es hochschätzen oder auch achten. Aber es ist klar, daß diese Wertschätzung gefühlsmäßig zu unterscheiden ist von dem, was wir aus Anlaß einer generösen Handlung eines Mitmenschen fühlen. Ähnlich verhält es sich, wenn zwei Menschen genau dieselbe Handlung begehen, die für uns in genau denselben Vorteil mündet. Wenn wir aber feststellen, daß der eine sich dazu gezwungen sah oder aus egoistischen Motiven handelte, während den anderen die Sorge um uns bewegte, erkennen wir, daß unsere Reaktionen ganz unterschiedlich sind. Diese Beispiele zeigen, daß unsere Reaktionen, unsere Zuneigungen oder Gefühle nicht völlig von Eigenliebe bestimmt sind. Außerdem sind diese Gefühle unabhängig vom Willen. Jemand mag durch Bestechungsgeld veranlaßt werden, zu tun oder zu sagen, was ein anderer wünscht, aber das Bestechungsgeld wird ihn - oder uns - nicht dazu bringen, Böses als Gutes anzusehen. Man kann ebenso versuchen, jemanden dahingehend zu bestechen, daß er schwarz als weiß ansieht. Andere Beispiele zeigen, daß Menschen manchmal selbstlos handeln und daß dies tatsächlich eine normale und natürliche Verhaltensweise ist.
Nachdem er Fakten dieser Art eingeführt hat, fährt Hutcheson fort und fragt, welche Gefühle, Instinkte oder Affekte notwendigerweise als Gründe für unsere moralischen Urteile und Wahrnehmungen vorausgesetzt werden müssen. Die Epikureer, zu denen
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Hobbes zu zählen ist, und die christlichen Moralisten, zu denen Samuel ->Pufendorf gehört, vermuten, daß die ganze moralische Vielfalt durch Eigeninteresse erklärt werden kann. Hutcheson ist da anderer Meinung. Freigebigkeit und Gemeinschaftssinn zum Beispiel sind in ihrer Existenz schon nachgewiesen worden; sie sind nicht nur in unserem moralischen Leben tatsächlich vorhanden, weder sind sie durch die Theorien von Eigennutz zu erklären. Wenn wir aber die gegenteilige Meinung annehmen - nämlich daß wir nicht nur von Eigennutz bestimmt werden, sondern auch einen moral sense haben, der uns zu nützlichen und gutgemeinten Handlungen veranlaßt und auch Handlungen dieser Art gutheißt —, werden wir in der Lage sein, solche Tatsachen zu erklären. Mit einer weiteren Reihe von Argumenten zeigt Hutcheson, daß die rationalistische Moraltheorie, die mit Samuel —>Clarke und seinen Nachfolgern verbunden wird, ebenfalls nicht in der Lage ist, unsere moralischen Erfahrungen zu erklären. Nur durch das Postulat des moral sense können wir diese Erfahrungen verstehen. Hutchesons Konzeption des moral sense erfährt seine spezifische Form durch ein Argument, das von der beobachteten moralischen Erfahrung bis zur Fähigkeit, die nötig ist, diese Erfahrung zu erklären, reicht. Diese Fähigkeit ist am besten als eine unverkennbare Veranlagung mit sowohl motivierenden als auch kognitiven Funktionen zu verstehen. Ganz allgemein gesehen macht uns diese Veranlagung sensibel gegenüber der moralischen Komponente der Erfahrung, dient aber auch den motivierenden wie im engeren Sinn kognitiven Funktionen. Es ist der moral sense, welcher uns in die Lage versetzt, zwischen dem, was naturgemäß gut, und dem, was moralisch gut ist, zu unterscheiden, der gleiche moral sense veranlaßt uns ebenso, generöse oder für das Allgemeinwohl vorteilhafte Handlungen zu begehen (indem er bewirkt, daß uns solche Handlungen wohlgefällig sind), und der uns ermöglicht, zwischen moralischen Einzelheiten und zwischen - das ist höchst bedeutend - Tugend und Laster zu unterscheiden. Shaftesbury hatte behauptet, daß der moral sense bestimmte Ähnlichkeiten mit den äußeren Sinnen aufweist. Hutcheson erweitert diesen Vergleich. Obwohl es kein besonderes Organ gibt, das mit dem moral sense in Verbindung zu bringen ist, behandelt er ihn als eine ausgeprägte Fähigkeit, die insofern wie die gewöhnlichen fünf Sinne anzusehen ist, als jeder der Sinne Freude und Schmerz hervorruft, jeder unabhängig vom Willen funktioniert, jeder ein Teil der allgemeinen menschlichen Konstitution ist, jeder vom Verstand verkannt oder korrigiert werden kann und jeder unmittelbar arbeitet, ohne Schlußfolgerungen, obwohl jeder durchaus bestimmte „begleitende Ideen" hervorruft, und einige von diesen Ideen (z.B. jene von Dauer und Zahl) nicht von den Sinnen selbst herzurühren scheinen. Kurz gesagt, der moral sense nimmt - wie die äußeren Sinne - Aspekte der objektiv und allgemein zugänglichen Wirklichkeit durch Wahrnehmungen auf, die direkt zum Bewußtsein gelangen. Das erfolgt durch einen komplexen Wahrnehmungsprozeß, der mit Freude und Schmerz beginnt, welche entsprechend den Objekten, die sie verursachen, ganz verschieden sind, und die dann die begleitenden Ideen von Tugend und Laster verursachen und uns so in die Lage versetzen, so Hutcheson, zwischen natürlichen und moralischen Wesen und zwischen tugendhaft und lasterhaft Handelnden und ebensolchen Handlungen zu unterscheiden. Mit der kniffligen Frage der Verläßlichkeit des moral sense konfrontiert, neigte Hutcheson immer dazu, den Schöpfer ins Feld zu führen, dessen Werk wir angeblich sind, mit dem Argument, daß ein solches allseits wohltätiges Wesen uns nicht mit einem fehlerhaften oder trügerischen Sinn ausstatten würde. 3.3. Im dritten Band seines Werkes Treatise of Human Nature (1740) ging David —>Hume am ausführlichsten auf die Idee eines moral sense ein. Aber selbst in diesem frühen Werk ist Humes Theorie des moral sense, im Vergleich zu Hutcheson, entschieden spartanisch. Bei Hume ist der moral sense ein einzigartiges und natürliches Gefühl, von einer klar erkennbaren Fähigkeit, dem moral sense, wird nicht gesprochen; es finden sich auch kaum deutliche Vergleiche mit den gewöhnlichen Sinnen und Hutchesons mysteriöse „begleitende Ideen" werden nicht reflektiert.
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Hume, der sich der Kontroverse um die Grundlagen der moralischen Wertungen, die, wie er es formuliert, „in den letzten Jahren so sehr die Neugierde der Öffentlichkeit erregt hat", sehr wohl bewußt ist, geht davon aus, daß derartige Wertungen gemacht werden und daß zumindest einige von ihnen auf „natürlichen und ursprünglichen Prinzipien" der menschlichen Natur beruhen. Er ist jedoch davon überzeugt, daß moralische Wertungen nicht von der Vernunft oder dem Verstände abhängen. Obwohl Hume zugesteht, daß der Gebrauch der Vernunft von ganz entscheidender Bedeutung für die Festlegung der Mittel ist, die irgendeinem vorgegebenen Ziel angemessen sind, und daß er ebenfalls eine wertvolle Hilfe bei der Auswahl der Ziele darstellt, behauptet er vor allem, daß „Vernunft alleine nie Motiv für irgendeine vom Willen bestimmte Handlung sein kann", noch es möglich ist, direkt oder in ihrer Auswirkung „sich der Leidenschaft im Modus des Willens entgegenstellen". Das Wissen selbst, ob von Beziehungen oder von Gegenständen, von Ursachen und Auswirkungen, läßt uns völlig gleichgültig; wenn ein Objekt keine Leidenschaft erregt, wird kein kognitiver Einblick uns bewegen, diesen Gegenstand anzustreben oder zu meiden. Was die Zusammenhänge zwischen Moral und menschlichen Handlungen, und sogar grundlegender, zwischen Moral und den Motiven, aus denen solche Handlungen entstehen, anbelangt, ist die Vernunft nur von untergeordneter Bedeutung. Ferner ist die Vernunft weder in der Lage, moralische Wertungen abzugeben, noch sie zu erschließen. Auch wenn man eine moralische Handlung noch so genau untersucht, so enthüllt sich einem doch niemals „irgendeine Tatsache, die durch den Verstand (allein) entdeckt werden kann". Auch kann unsere moralische Praxis durch untergeordnete Relationen von Ideen nicht erklärt werden — beispielsweise durch die ewigen und unveränderlichen Maßstäbe von richtig oder falsch, von denen die Rationalisten sprechen. Natürlich gibt es bestimmbare Beziehungen zwischen Handelnden und Handlungen. So haben wir ein klares, formales Verständnis von Parrizid und Inzest — dem Mord an den Eltern und den sexuellen Beziehungen zwischen Blutsverwandten —, aber man kann nicht behaupten, daß unsere moralischen Beurteilungen Normen entsprechen, die durch solche Verhältnisse gesetzt werden. Junge Bäume überragen und töten ihre Baumeltern, und ganze Tierarten schenken der Blutsverwandtschaft keinerlei Beachtung, doch werden als Antwort auf dieses Verhalten keine moralischen Urteile gefällt. Wir haben zudem auch noch nie von höheren Wesen erfahren, welche Arten auch immer existieren mögen, und deshalb auch keine Vorstellung von den Verhältnissen oder ewigen Gegebenheiten, die sie angeblich bestimmen. Die Vernunft liefert auch keine Basis für die feineren moralischen Wertungen, die wir vornehmen: nur der Vernunft entsprechend wäre der Diebstahl eines Apfels ebenso verwerflich wie der Raub eines Königreiches. Man hat allgemein angenommen, daß Humes Behauptung, moralische Wertungen begründeten sich nicht auf Vernunft, gefolgt von der Behauptung, sie seien von einem moral sense oder Gefühl abgeleitet, ihn selbst als eine Art moralischen Skeptiker offenbart, höchstwahrscheinlich als moralischen Subjektivist oder vielleicht als Protoemotivist. Jüngst aber haben sorgfältige Studien ergeben, daß diese Annahme unangemessen ist. Natürlich scheint Hume eine subjektivistische Interpretation herauszufordern, wenn er schreibt, daß uns Tugend oder Laster völlig verlorengehen, solange wir das moralische Objekt, eine Handlung, betrachten, und sie (Tugend oder Laster) nur gefunden werden können, wenn wir unsere Betrachtungen nach innen lenken und dort Gefühle von Zustimmung und Ablehnung finden. Aber er sagt sogleich von Tugend und Laster, daß „es mittels eines von ihnen hervorgerufenen Eindrucks oder Gefühls erfolgen muß, daß wir fähig sind, den Unterschied zwischen ihnen zu bemerken", und besteht darauf, daß wir „einen Charakter nicht als tugendhaft bezeichnen, weil er gefällt; sondern weil wir fühlen, daß er auf eine besondere Art und Weise gefällt, fühlen wir schließlich, daß er tugendhaft ist". Die erste dieser Bemerkungen deutet an, daß die Gefühle, die durch die Tugend verursacht werden, sich von denen unterscheiden, die das Laster hervorruft, während
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die zweite erkennen läßt, daß es erkennbar verschiedene Arten von positiven Gefühlen gibt und daß ein solches Gefühl dergestalt mit der Tugend verbunden ist, daß die Erregung dieses besonderen Gefühls als ein Indiz dafür verstanden werden darf, daß Tugend erfahren worden ist. Genauer gesagt, unsere moralischen Gefühle sind, nach Hume, Eindrücke, die auf Reflexionen beruhen, eine Form der Wahrnehmung, deren kausaler Ursprung über Gefühlseindrücke hinaus zurückverfolgt werden kann, zuerst zu den Taten, dann zu den moralischen Qualitäten dessen, der diese Taten vollbringt. Die moralische Qualität einer bestimmten Handlung wird, so Hume, entdeckt „mittels eines Gefühls, welches das Nachdenken über solch eine Handlung auf ganz natürliche Art und Weise hervorruft." Solch einzigartige moralische Gefühle werden nie durch unbelebte Objekte oder durch belebte nicht-menschliche Wesen hervorgerufen. Sie werden nur verursacht, wenn wir Handlungen beobachten, von denen wir wissen oder annehmen, daß sie von dauerhaften geistigen Prinzipien herrühren, wie Intentionen, Motiven oder Charaktereigenschaften. Moralische Gefühle als solche sind in der Tat affektiv oder sind gefühlte Reaktionen, aber sie dienen nichtsdestoweniger dazu, uns, als Beobachter, über moralische Charakteristika zu informieren, die unabhängig von unseren Beobachtungen sind. Kurz gesagt, Hume behauptet, es gebe einzigartige moralische Gefühle und unsere Erfahrung von diesen sei der direkte Beweis dafür, daß die menschlichen Wesen der Ort von wirklich unterscheidbaren moralischen Merkmalen sind. Wie Shaftesbury und Hutcheson zuvor, gibt Hume eine bejahende Antwort auf die Frage: Hat die Unterscheidung, die wir zwischen Tugend und Laster machen, irgendeine objektive Grundlage? Es ist jedoch wichtig zu erkennen, daß Humes Darstellung der Existenz moralischer Wertungen dem Piatonismus und dem Supranaturalismus, die den frühen Philosophen des moral sense zumindest rudimentär bekannt waren, nichts schuldet, und auch nicht irgendeiner anderen spekulativen und a-priori-Form des moralischen Realismus. 4. Kritik Die Theorien zum moral sense riefen weitverbreitete Kritik hervor. Joseph —»Butler war der Meinung, daß Shaftesbury es versäumt habe, dem moral sense jene Art von Autorität zu verleihen, die die moralische Urteilsfähigkeit eindeutig besitze. Weniger extravagante Egoisten als Mandeville argumentierten, Hutcheson habe die Moral zu einem bloßen Instinkt reduziert, und der Instinkt, um den es geht, die Güte, sei insgesamt viel zu schwach, um all die Aufgaben zu erfüllen, die ihm übertragen werden. Hume und Adam Smith stimmten in diesem Punkte zu und argumentierten auch, daß es wichtige Aspekte der Moral gebe (was Hume zum Beispiel die künstlichen Tugenden nannte, die Gerechtigkeit, Treue und Keuschheit umfassen), die nicht von der Güte herrühren, sondern vom Eigeninteresse und vom Mitgefühl, wobei letzteres ein Element der zwischenmenschlichen Beziehungen sei, welches uns ermögliche, die Gefühle anderer zu teilen, auch die völlig fremder Personen. Rationalisten, zuerst repräsentiert durch Gilbert Burnet dem Jüngeren und John Baiguy, beschuldigten Hutcheson, Tugend und Laster von einem willkürlichen Gefühl, das sich jederzeit verändern oder sogar ins Gegenteil verkehren kann, abhängig gemacht zu haben. (In diesem Zusammenhang antwortete Hutcheson, indem er auf Gottes unveränderliche Wohltätigkeit verwies und damit in Wirklichkeit den voluntaristischen Calvinismus seiner Vorfahren aufgab.) Hume kam demselben Einwand zuvor, indem er auf den unveränderlichen Charakter der menschlichen Natur verwies: so sind wir, solche moralischen Wertungen nehmen wir vor und werden wir auch weiterhin vornehmen. Richard Price, ein scharfsinniger Kopf, der aber der buchstabengetreuen Lektüre von Plato und Ralph Cudworth zu sehr verschrieben war, war von diesen Schachzügen nicht überzeugt und konnte es nicht akzeptieren, daß die Sentimentalisten (wie sie jetzt manchmal genannt werden) sich angeblich auf Grundlagen stützten, die als noch fundierter als Hobbes oder Mandeville galten. Auf dem Kontinent wandte Immanuel -»Kant ein, daß Gefühle nur private Gültigkeit haben kön-
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nen, deshalb werde eine Moraltheorie, die auf diese begründet ist, keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben können, während ein moral sense, der sich - wie bei Hutcheson - von der kreativen Kraft Gottes ableite, nicht in der Lage sein werde, die unbedingte Natur des Guten zu erklären. Aus unserer eigenen Sicht beanspruchen die Philosophen des moral sense, wie so viele ihrer Zeitgenossen, eine Allgemeingültigkeit der Werte und Gefühle, die naiv und ungerechtfertigt erscheint. Sie scheinen auch unsere Fähigkeit, unter unseren Gefühlen jene mit einer moralischen Grundlage zu identifizieren, überzubewerten. Jene, die der kantischen Auffassung von Moral zuneigen, werden der Meinung sein, daß die von den Sentimentalisten gebrauchte Darstellung der -»Pflicht die angeblich selbst auferlegte Autorität vermissen läßt, die von ihr gefordert wird. Doch wenn man Schwächen und angebliche Mängel beiseite läßt, verdient der Versuch der Philosophen des moral sense, auf der Grundlage der menschlichen Natur selbst eine Art des moralischen Realismus zu begründen, sorgfältige und fortgesetzte Aufmerksamkeit. Quellen J o h n Baiguy, T h e Foundations of Moral Goodness, London, I 1728 II 1729. - Joseph Butler, Fifteen Sermons Preached at the Rolls Chapel, London 1726. - Henry Home, Lord Kames, Essays on Morality and Natural Religion, Edinburgh 1751. — David Hume, A Treatise of Human Nature, London, III 1740. — Ders., An Enquiry Concerning the Principles of Morals, London 1751. — Francis Hutcheson, An Inquiry into the Original of our Ideas of Beauty and Virtue. In T w o Treatises. I. Concerning Beauty, Order, Harmony, Design. II. Concerning M o r a l G o o d and Evil, London 1725. - Ders., An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections. With illustrations on the moral sense, London 1728. - Richard Price, A Review of the Principal Questions in M o r a l s , London 1758. — Shaftesbury, Third Earl of (Anthony Ashley Cooper), An Inquiry Concerning Virtue or Merit, London 1699. - Ders., Characteristics of M e n , Manners, Opinions, T i m e s , 3 Bde., London 1711. - George Turnbull, T h e Principles of M o r a l Philosophy, 2 Bde., London 1740.
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David Fate Norton Moralische Aufrüstung 1. Von den Anfängen bis 1938 S. 294)
1. Von den Anfängen
2. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart
(Literatur
bis 1938
Der Begriff Moralische Aufrüstung (MRA) bezeichnet eine internationale Bewegung, die im Jahre 1938 aus dem Lehrwirken von Frank N[athan]. D[aniel] Buchman (4.6.1878-7.8.1961) erwuchs, einem aus Pennsylvania (USA) gebürtigen lutherischen Pfarrer. Im Jahre 1901 nahm Buchman an der von John R. —>Mott geleiteten Northfield Student Conference teil, die sein Leben „völlig veränderte" und ihn zu der Entscheidung gelangen ließ, sich ganz der Aufgabe zu widmen, andere für Christus zu gewinnen. Dieses religiöse Erlebnis wurde während der Keswick Holiness Convention (einem jähr-
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liehen Treffen evangelikaler Christen) in England 1908 vertieft, die ihn veranlaßte, brieflich diejenigen um Vergebung zu bitten, gegen die er Groll im Herzen trug. Buchmans Rückkehr in die Vereinigten Staaten, an das Pennsylvania State College, leitete einen dramatischen Mitgliederzuwachs der dortigen Young Mens Christian Association (YMCA) um 75 Prozent ein (-»Vereinswesen). Er selbst hielt jedoch einen Großteil der Begeisterung für oberflächlich. Ein Gespräch mit dem britischen Baptisten und KeswickVortragenden F. B. Meyer veranlaßte ihn, seine Methoden zu überdenken. Meyer drängte ihn, seinen Dienst eher auf einzelne Personen als auf Massen auszurichten und sich täglich Zeit zu nehmen, um für göttliche Eingebungen und Weisungen offen zu sein. Aus solcher Besinnung gingen die Idee einer täglichen „Stillen Zeit" und der Gedanke göttlicher „Führung" hervor. „Wenn der Mensch hört, redet Gott. Wenn der Mensch gehorcht, handelt Gott", - so lautet ein bekanntes Wort Buchmans aus dieser Zeit. In den Jahren 1916 bis 1919 verfeinerte Buchman seine Verkündigung und sein methodisches Vorgehen, als er sich bei Missionaren in China, dem damaligen Schwerpunkt der amerikanischen Missionsarbeit, aufhielt. In dieser Zeit übernahm er zahlreiche Redewendungen, die von dem schottischen Prediger Henry Drummond (1786 -1860; -»Katholisch-apostolische Gemeinde) geprägt waren. Vermittelt wurden ihm Drummonds Gedanken und Verkündigungsweise durch das Büchlein Soul Surgery, das 1919 in China erschienen war und von den dort arbeitenden Missionaren gerne benutzt wurde. In ihm werden Erfahrungen beschrieben, die das Leben verändern können. Aus Buchmans Sicht gehört dazu die vorbehaltlose Ehrlichkeit. Indem er seinen Hörern eigene Verfehlungen ebenso mitteilte, wie die erlebte Überwindung derselben, meinte er, die Wirksamkeit der Botschaft des Evangeliums besonders eindrücklich bezeugen zu können.
Nach der Machtübernahme der Kommunisten in Rußland und des — wie es ihm schien — moralischen Niedergangs im Westen nach dem Ersten Weltkrieg, sah Buchman die Notwendigkeit zu einer Erneuerung des Glaubens noch dringlicher werden. Er teilte Motts Überzeugung, daß die Studentenschaft an den Universitäten von strategischer Bedeutung für die zukünftige Führung der Welt sei. 1920 unternahm Buchman eine Reise an europäische Universitäten, einschließlich Oxford und Cambridge. Hier entwickelte er die house-party, bei der junge Leute der Mittel- und Oberschicht mehrere Tage in einer von Ruhe und Gelassenheit bestimmten Atmosphäre gemeinsam verbrachten, einander beim Vornamen anredeten und sich darum bemühten, in wechselseitigem Vertrauen persönliche Lebensfragen offen anzusprechen. Diese Form der Begegnung wurde zu einem charakteristischen Element seiner Arbeit. In den 20er Jahren führten Mitarbeiterstäbe Kampagnen in über 60 Ländern durch und forderten in ihren Ansprachen und Predigten „absolute Reinheit, absolute Ehrlichkeit, absolute Liebe und absolute Selbstlosigkeit" (diese für Buchmans Erneuerungsbewegung fundamentalen Maßstäbe wurden aus I Tim 1,5 u. 4,12 abgeleitet). 1929 unternahm Buchman mit einem Stab von Evangelisten eine aufsehenerregende Reise nach Südafrika; dort kam - durch Presseberichte - zum ersten Mal die Bezeichnung Oxfordbewegung auf. Die Verwendung dieser Bezeichnung wurde in Oxford vielfach kritisiert. Als besonders heftiger Kritiker erwies sich der Bischof von Durham, Herbert Hensley Henson (1863-1947), ein ehemaliger fellow von All Souls. Unterstützung jedoch kam von dem bedeutenden Neutestamentier Burnet Hillman -»Streeter, der sich der Bewegung 1934 anschloß. In Oxford, das nun zum Zentrum der Arbeit Buchmans wurde, fanden in den Jahren 1930 bis 1937 jährlich während der Semesterferien große house-parties statt, an denen auf dem Höhepunkt der Entwicklung mehrere tausend Menschen teilnahmen, unter ihnen auch hohe Kirchenvertreter und einflußreiche Persönlichkeiten aus der ganzen Welt. Nach einem Fehlschlag 1939 wurde The Oxford Group ein eingetragener Verein nach dem Companies Act von 1928.
Der junge Gießener Privatdozent für Kirchengeschichte, Justus Ferdinand Laun (1899-1963), der Buchman in Oxford getroffen hatte, widmete sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland von 1928 bis 1939 dem Aufbau der Gruppenbewegung. 1932 kam Buchman mit 20 jungen Leuten nach Deutschland und trat in Kontakt mit der Nationalsozialistischen Partei; sein Anliegen, auch Hitler zu treffen, wurde allerdings abgewiesen. Im Herbst 1933 erreichte Buchman eine Bitte des Mecklenburgischen Bischofs Heinrich Rendtorff (1888-1960), der im Juli zu Gast bei der Oxforder house-party ge-
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wesen war, und des Tübinger Professors für Praktische Theologie Karl Fezer (18911960). Rendtorff hatte bei seiner Heimkehr auf die dringlichen Bitten seiner englischen Gesprächspartner hin gegen die Verdrängung von Christen jüdischer A b s t a m m u n g aus der Kirche gepredigt. Fezer und drei weitere deutsche Kirchenführer besuchten im O k t o b e r 1933 einen von der Gruppenbewegung veranstalteten Gottesdienst in der St. Paul's Cathedral, in dem Bischof A. F. Winnington-Ingram der Londoner Kampagne Buchmans den Segen aussprach. Fezer war derartig beeindruckt, daß er den Reichsleiter der Deutschen Christen, Joachim Hossenfelder (1899-1976), überredete, Buchman zu besuchen und sich in O x f o r d und London einführen zu lassen (kritische Darstellung der Vorgänge bei Schjorring 70-77). Nach Klaus Scholders Urteil geschah dies mit dem Ziel, das Ansehen der -»• Deutschen Christen zu bessern (Die Kirchen u. das Dritte Reich 1,676). Diesem Besuch folgten Einladungen nach Deutschland und schließlich ein Aufenthalt Buchmans bei Reichsbischof Ludwig Müller (1883-1945) in der H o f f n u n g , d a ß durch diesen ein verändernder Einfluß auf Hitler genommen werden könnte, ein Ansinnen, über das D. —>Bonhoeffer spottete. Ein weiterer Kritiker dieses Versuchs schmeichelnder Einflußnahme auf Hitler war der Zürcher Theologe Emil —>Brunner, der allerdings anerkannte, d a ß er Buchman viel verdankte. Brunner war es auch, der 1937 die Aufmerksamkeit der Delegierten der O x f o r d e r Weltkonferenz von Life and Work auf die Bedeutung der Bewegung lenken wollte, doch die taktlose Kritik, die ein Mitarbeiter in seiner Rede an französischen Frauen übte, befremdete die Delegierten. 2. Vom Zweiten
Weltkrieg
bis zur
Gegenwart
1938 änderte Buchman den N a m e n und die G r ö ß e n o r d n u n g seiner Aktivitäten. Die Moralische Aufrüstung (Morale Re-Armament, MRA) war eine Kampagne, die nun nicht mehr auf Einzelpersonen, sondern auf Nationen ausgerichtet wurde, besonders auf deren Führungselite. Diese Neuorientierung fiel zusammen mit der militärischen Hochrüstung in Europa in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Moralische Aufrüstung wollte als christliche Alternative zum militärischen Wettrüsten der Nationen verstanden werden. Das Ziel war eine Stärkung der nationalen Moral, die Schaffung eines verbesserten Geistes in der Industrie und die Begründung einer umfassenden O p p o sition gegen den Kommunismus. In D e u t s c h l a n d erstellte die G e h e i m e Staatspolizei im J a h r e 1939 einen G e h e i m b e r i c h t über „die O x f o r d g r u p p e n b e w e g u n g " , in d e m m a n zu d e m Ergebnis k a m , bei der B u c h m a n - B e w e g u n g handele es sich u m eine S p i o n a g e o r g a n i s a t i o n , die verboten w e r d e n müsse (Einzelheiten bei Schjerring). 1942 w u r d e den Angehörigen der W e h r m a c h t d u r c h einen Führerbefehl jegliche Beteiligung an Aktivitäten dieser G r u p p e nachdrücklich verboten.
Von 1946 an wurden in Caux-sur-Montreux Weltkongresse der Moralischen Aufrüstung veranstaltet, die sich zum internationalen Mittelpunkt der Bewegung entwickelten. In den ersten Jahren diskutierte man T h e m e n wie den Mangel an Nahrungsmitteln, die Kohleförderung, Armut und Hoffnungslosigkeit in Deutschland. Im Londoner Westend wurde ein Theater erworben, in dem Stücke mit einer moralischen Botschaft zur Aufführung kamen. Die Bemühungen der Moralischen Aufrüstung um Versöhnung zwischen den Nationen begannen mit Frankreich und Deutschland und fanden ihren öffentlich sichtbaren Ausdruck in einem Treffen zwischen dem französischen Premier Robert Schuman und Kanzler Konrad Adenauer, die beide Caux besuchten. Der A u f b a u eines Netzes von engen Freundschaften als Voraussetzung für politische Problemlösungen wurde nun ein vorrangiges Ziel der Bewegung. B u c h m a n s überkonfessioneller Ansatz d e h n t e sich in den N a c h k r i e g s j a h r e n schließlich auch über die Schranken der Religionen aus, indem er versuchte, Angehörige unterschiedlicher G l a u bensgemeinschaften einer Versöhnung z u z u f ü h r e n . M e n s c h e n aus Indien, J a p a n , Z y p e r n , Kenia, d e m Kongo, d e m L i b a n o n , aus El Salvador und vielen a n d e r e n Krisenregionen der Welt, die ein Ende alter Feinschaften suchten, k a m e n nach C a u x . Die a n f a n g s auf die christliche Ü b e r z e u g u n g einzelner M e n s c h e n ausgerichtete Bewegung w a r nun zu einer weltweiten ideologischen G r ö ß e
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Moralische Aufrüstung
geworden. Als solche erfuhr sie 1955 Kritik von dem anglikanischen Gelehrten Dennis Nineham, der ihr eine unzureichende Christologie vorwarf. Heinrich Rendtorff betonte dagegen, daß im Mittelpunkt der Moralischen Aufrüstung das Kreuz stehe. Nach Buchmans Tod im Jahre 1961 wurde der britische Journalist Peter Howard für kurze Zeit zum Leiter der Bewegung. Als ausgewiesener Schriftsteller zeichnete er verantwortlich für zahlreiche Theaterstücke und Bücher, einschließlich des eindrücklichen Titels America Needs an Ideology von 1957. Er verteidigte die Bewegung gegen die Kritik des Labour-Abgeordneten Tom Driberg und des anglikanischen Bischofs von Southwalk. Howard starb 1965. In Deutschland fand die Arbeit der Oxfordgruppenbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg eine Fortsetzung im Marburger Kreis e. V., der als überkonfessioneller missionarischer Arbeitskreis der Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste (AMD) der Evangelischen Kirche in Deutschland angeschlossen ist (Vorsitz des Marburger Kreises 1993: Bernhard Otto, Würzburg). Der Marburger Kreis veranstaltet Tagungen in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Der Z u s a m m e n b r u c h des Kommunismus 1 9 8 9 könnte innerhalb der M R A eine U m gewichtung in Richung des urprünglichen Schwerpunkts der Bewegung zur Folge haben. 1990 entschied man sich zum Verkauf des L o n d o n e r T h e a t e r s . Dem Sekretär der M o ralischen Aufrüstung, Dr. J o h n Lester, zufolge bedürfen die 90er J a h r e der erneuten Inangriffnahme einer weitgefächerten personorientierten Arbeit und der neuerlichen Erkenntnis des Z u s a m m e n h a n g s zwischen persönlicher Erneuerung und öffentlicher Vorgehensweise. Literatur Karl Adam, Die „ M R A " u. das abendländ. Christentum: T h Q 132 (1952) 1-21. - David Bebbington, The Oxford Group Movement between the war: Voluntary Religion, hg. v. W. J. Sheils/ Diana Wood, 1986 (SCH[L] 23). - Harold Begbie, Liefe Changers. Narratives of a Recent Movement in the Spirit of Personal Religion, London 1932. - Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe, Christ, Zeitgenosse, München 5 1983. — Klaus Bockmühl, Frank Buchmans Botschaft u. ihre Bedeutung für die prot. Kirchen, Bern 1963. - Marc Boegner, The Long Road to Unity. Memories and Anticipations, London 1968. - Emil Brunner, Meine Begegnung mit der Oxforder Gruppenbewegung, Basel 1933. — Ders., Die Kirchen, die Gruppenbewegung u. die Kirche Jesu Christi, Berlin 1936. — Frank N.D. Buchman, Remaking the World, London 1941; dt.: Für eine neue Welt (1949), Caux 1961. — Walter Houston Clark, The Oxford Group. Its History and Significance, New York 1951. - Tom Driberg, The Mystery of Moral Re-Armament. A Study of Frank Buchman and his Movement, London 1964. - Allan W. Eister, Drawing-Room Conversion. A sociological account of the Oxford Group Movement, North Carolina 1950. — Freeing the Forces of Change. Moral-Re-Armament 1990-1991, London 1991. - Hans Hartwig v. Goessei, Die MRA im Blickfeld des NT, Berlin 1956 (Stud. z. Evangelisation u. Volksmission 2). - Herbert Hensley Henson, The Oxford Group Movement, Oxford 1932. — Peter Howard, Ideen haben Beine, Bern 1948. — Ders., Welt im Aufbau. Die Gesch. v. Frank Buchman u. den Männern u. Frauen der Moral. Aufrüstung, Bern 1951. - Ders./Paul Campbell, Die Kunst, Menschen zu ändern, Bern 1954. - Dies., America Needs an Ideology, London 1957. - Justus Ferdinand Laun, Unter Gottes Führung. Zeugnisse religöser Erneuerung moderner Menschen, Gotha 1931. — Garth Lean, Frank Buchman. A Life, London 1985; dt.: Der vergessene Faktor. Vom Leben u. Wirken F. Buchmans, Moers 1991. - Dennis Nineham, The Theology of M.R.A., Moral Re-Armament. A study of the movement prepared by the Social and Industrial Council of the Church Assembly, London 1955. - Oxford and the Groups, hg. v. Richard Howard Stafford Crossman, Oxford 1934. - Heinrich Rendtorff, Das persönl. Leben des ev. Botschafters, Berlin 1958 (Stud. z. Evangelisation u. Volksmission 3). - Report on Moral Re-Armament, hg. v. Robert Case Mowat, London 1955. — Arthur James Russel, For Sinners Only, London 1932; dt.: Nur für Sünder, Karlsruhe 1949 - Jens Holger Schjerring, Moralische Aufrüstung u. westeuropäische Politik bis 1954: ZKG 87 (1976) 6 5 - 1 0 0 . - Klaus Scholder, Die Kirchen u. das Dritte Reich, I: Vorgesch. u. Zeit der Illusionen, Frankfurt/M./Berlin 1977. — Theophil Spoerri, Dynamik aus der Stille — Die Aktualität Frank Buchmans, Luzern 1971, Caux 3 1988. Burnett Hillman Streeter, The God Who Speaks, London 1936. - Julian P. Thornton-Duesbery, The Open Secret of M R A , London 1964. - Henry P. Van Düsen, Apostle of the Twentieth Century. Frank N.D. Buchman: Atlantic Monthly 154 (Juli 1934). - Ders., The Oxford Group Movement: Ebd. (August 1934). - Howard Arnold Walter, Soul Surgery. Some Thoughts on Incisive Personal Work, Oxford 4 1932. — Anne Wolrige Gordon, Peter Howard. Life and Letters, London 1969. Stuart M e w s
Moraltheologie
2 95
Moralpredigt - » H o m i l e t i k Moraltheologie 1.2. A u f k l ä r u n g 1.3 T h e o l o g i s c h e E r n e u e r u n g und N e u 1. Geschichte 1.1. M a n u a l i s t i k 2. Systematik 2.1. A u f g a b e und scholastik 1.4. Vorgeschichte des II. Vatikanischen Konzils 2.3. E r k e n n t n i s t h e o l o g i s c h e P r o b l e m e 2.4. N a t ü r l i c h e s Ort 2.2. Eigenart der Fragestellung 2.6. H a n d l u n g s w i s s e n s c h a f t 2.7. Interdisziplinäres GeSittengesetz 2.5. N o r m w i s s e n s c h a f t sprach (Literatur S. 302)
1. 1.1.
Geschichte Manualistik
Die Geschichte der M o r a l t h e o l o g i e ist ein empfindlicher Seismograph wechselnder D e n k f o r m e n , Wissenschaftsideale und praktischer N o t w e n d i g k e i t e n . Die Ausgestaltung zu einer eigenständigen Disziplin ist in einen Prozeß eingelassen, der mit den Impulsen des Trienter Konzils einsetzte ( - » T r i d e n t i n u m ) . Die patristische Tradition mit ihrer Einschmelzung stoischer und neuplatonischer Elemente in eine Naturrechtstheologie ( - • N a turrecht), die von einem christlichen M e n s c h e n - und Geschichtsbild ausging, hatte über die Vermittlung der Frühscholastik zur Synthese des —»Thomas von Aquino geführt. Die M o r a l t h e o l o g i e war h a r m o n i s c h in das Ganze der Theologie eingebettet; sie trug die Struktur einer Tugendlehre ( - » T u g e n d ) , ihr Finalitätsbezug lag im letzten Ziel, verstanden als beatitudo (S. th. I —II q. 1—5). Konkrete geistesgeschichtliche H e r a u s f o r d e rungen diktierten eine Umgestaltung. So z w a n g die w a c h s e n d e Bedeutung der Einzelbeichte zu seelsorglich praktikabler Konkretisierung; hier k o n n t e m a n auf die Tradition der Pönitentialsummen (R. von Penafort) zurückgreifen. Unter dem Einfluß von Anton PossevinSJ (1533/34-1611) setzte die S t u d i e n o r d n u n g der Gesellschaft Jesu (-»Jesuiten) Akzente einer Aussonderung der M o r a l t h e o l o g i e aus der Spekulativen Theologie. Beispielhaft w u r d e das Lehrbuch des J u a n Azor SJ (1536 — 1603) Institutionum moralium. Von g r o ß e m Einfluß waren ebenfalls die Jesuitentheologen Paul L a y m a n n (1574-1635) und H e r m a n n Busenbaum (1600-1668). Z w a r hatte es mit Kardinal T h o m a s de Vio (—»Cajetan) und den Salmantizensern eine T h o m a s - R e n a i s s a n c e gegeben, doch verlagerte sich n u n das Schwergewicht auf den lex-Traktat. Der Dekalog als Einteilungsschema der Speziellen M o r a l t h e o l o g i e setzt sich d u r c h , wohingegen die Allgemeine M o raltheologie nur den notwendigsten Kontakt mit der D o g m a t i k w a h r t : Sie reduziert sich auf die T r a k t a t e über Gewissen, Gesetz, sittliche H a n d l u n g , Sünde. Bezeichnend sind ein Verständnis von Gewissen als subjektiver Applikationsinstanz objektiver Gebote, eine kasuistisch orientierte Ausgestaltung des lex-Traktats, ein zunehmendes Interesse f ü r die Behinderungen der Freiheit, ein A u s w u c h e r n der Sündenlehre. Die thomanische T u g e n d m o r a l wandelt sich in eine Gebots-, Akt- und S ü n d e n m o r a l . G e b o t und R a t werden fortan unterschieden; die Kirchengebote erlangen Bedeutung. Die theologische Spekulation sowie die Schriftgemäßheit treten zurück: Theologische Verarmung ist der Preis für g e w o n n e n e n o r m a t i v e Präzision und seelsorgerliche Praktikabilität. Das gewandelte Wissenschaftsideal trägt nicht nur den N a c h h a l l des —> N o m i n a l i s m u s in sich, es zeigt auch Z ü g e einer essentialistischen Metaphysizierung (G. Vasquez SJ) wie Verrechtlichung (F. -»Suarez SJ) der t h o m a n i s c h e n Naturrechtslehre. Das objektive Gesetz wird vornehmlich als Eingrenzung der subjektiven Freiheit verstanden, wobei letztere zunehmend die Bedeutung von neutraler Wahlfreiheit (libertas arbitrii) und nicht von zuhandener Mächtigkeit zur Selbstbestimmung a n n i m m t . Angesichts dessen fordert die Beschäftigung mit dem zweifelnden Gewissen gesteigertes Interesse heraus. Das f ü h r t zur Ausgestaltung der sogenannten Moralsysteme, unter denen der —»Probabilismus und der Tutiorismus zu klassischen A n t i p o d e n werden. Für ersteren genügte eine solide p r o b a b l e M e i n u n g zur Entpflichtung, auch wenn die gegenteilige M e i n u n g probabler sein sollte (B. von M e d i n a 1577); für letzteren ist in jedem Fall der sicherere Weg bindend.
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Moraltheologie
Der später von Alfons von -»Liguori eingeführte Äquiprobabilismus verlangte Ausgeglichenheit der Gründe für und gegen das Gesetz. 1.2.
Aufklärung
Das Zeitalter der -»Aufklärung setzte neue Akzente. Bemerkenswert ist die Aufwertung der Naturwissenschaften und der Mathematik. Gefordert wird die Ableitbarkeit ethischer Sätze aus obersten, allgemein einsichtigen und unwandelbaren Axiomen more geometrico (Baruch de —»Spinoza). Das aufgeklärte Naturrecht als Vernunftrecht wird primär in seiner Rechtsqualität, als Quelle wie Kriterium objektiver und subjektiver Rechtsansprüche angesehen. Die Formel „etsi Deus non daretur" [„Auch wenn es Gott nicht gäbe", Hugo -»Grotius], wiewohl ihrer unmittelbaren Intention nach im Kontext des interkonfessionellen Toleranzgedankens anzusiedeln, signalisiert eine tendentielle Säkularisierung. Das neuzeitliche Autonomieverständnis (—»Autonomie) hält seinen Einzug in die Moraltheologie, und dies unbeschadet der gleichzeitigen Forderung nach Rückkehr zu den Quellen: der Heiligen Schrift und den Vätern. Ein eklektizistischer Gebrauch der Quellen ist dennoch unverkennbar, so wie der Eklektizismus als Grundhaltung den Geist der Epoche kennzeichnet und als wissenschaftliches Ideal angesehen wird. Das wissenschaftliche Bestreben zielt auf plausible Verknüpfung von theoretischer Grundlegung und praktischer Anwendung. Die spekulativen Exzesse der Barockscholastik in ihrer Irrelevanz für sittliches Handeln gelten als überwunden. Die Moraltheologie erscheint als kohärentes System unwandelbarer Normsätze, es überwiegt die Deduktion. Die ökumenischen Kontakte gestalten sich rege. Im Gespräch mit den Humanwissenschaften stößt die Psychologie des sittlichen Aktes auf Interesse. Glücken des Lebens und Ausformung der sittlichen Persönlichkeit steigen zu leitenden Kategorien auf. Die Sakramente werden zu Mitteln der Selbstheiligung. Die Kantrezeption (—»Kant) durch die Moraltheologie signalisierte eine verhaltene Kritik; der hohe Ernst kantischer Pflichtethik erschien als überfällige Korrektur aufklärerischer Glückseligkeitsethik. Maßgeblicher Einfluß kam zumal von S. Mutschelle (1749-1800), J . Geishüttner (1763-1805), G.F. Wanker (1758-1824). Ethik wird vor das Forum der kritischen Vernunft gebracht; das Christliche ist das vollendet Humane und Vernunftgemäße. Die geistesgeschichtliche Entwicklung des kantischen Autonomiegedankens auf J . G . —»Fichte hin führt zu einem skeptischen Abrücken von Kant. Schon 1788 hatte B. Stattler seinen „Anti-Kant" herausgegeben. Autonomie ist theonom, am theologischen Verständnis der praktischen Vernunft entscheidet sich das Selbstverständnis der Moraltheologie. 1.3. Theologische
Erneuerung
und
Neuscholastik
Die volle Wiederentdeckung des theologischen Themas der Moraltheologie bindet sich vornehmlich an J . M. —»Sailer, J . B. -»Hirscher und F. X . Linsenmann (1835 — 1898). Historisch-genetisches und systematisches Denken werden unter dem Einfluß der Romantik organisch verschmolzen. Die Sittlichkeitslehre erscheint als systematische Entfaltung der Königsherrschaft Gottes; der Reich-Gottes-Gedanke der evangelischen Theologie (-»Herrschaft Gottes/Reich Gottes) ist wirkungsgeschichtlich spürbar. Die ekklesiale Dimension des Sittlichen erlebt eine Blüte, die Forderung nach biblischer Grundlegung und pastoraler Inspiration wird eingelöst. Denkerische Einflüsse kommen von J . E . Kuhn und F. von -»Baader. Das systematische Reflexionsniveau der Scholastik wird allerdings nicht erreicht, es überwiegt ein kerygmatischer Grundton. Das geistesgeschichtlich komplexe Phänomen der zweiten Thomas-Renaissance, auch Neuscholastik genannt, setzt um die Mitte des 19. Jh. ein. Ein deutscher und ein romanischer Typ bilden sich heraus. In der Enzyklika —»Leos XIII. Aeterni Patris (1879) erfolgt die kirchenamtliche Auflage. Naturrechtliche Systematik verbindet sich mit praktischer Kasuistik. Als Modell gelten die Institutiones Theologiae Moralis des GregorianaProfessors G. Bucceroni SJ (1841-1918); weiteste Verbreitung fand die Summa Theo-
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logiae Moralis von H . Noldin SJ (1838-1922). Beherrschende Anliegen sind die in der unveränderlichen Wesensnatur des Menschen gründende Sicherheit der objektiven O r d nung sowie die Kontrollierbarkeit aller Begriffe; ein deduzierender und subsumierender Grundzug des Denkens überwiegt. Die Metaphysizierung der N o r m ( - » N o r m e n ) w u r d e durch eine flexible Gewissens- und Handlungslehre kompensiert. Schriftvergessenheit und ein bisweilen anti-protestantischer Z u g (A. Vermeersch) lassen sich nicht verleugnen, wiewohl verständlich vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Kulturprotestantismus. In der Speziellen Moraltheologie ging man nach dem Schema des Dekalog oder der Pflichtenkreise vor, aber auch das thomanische Tugendschema findet N a c h a h m e r (B.H. Merkelbach OP). Bisweilen werden eigenständige Casus Conscientiae erstellt. Gegen ihre Absicht führte die Neuscholastik in das geistige und kulturelle Ghetto. Das ist um so bedenkenswerter, als sie die inhaltliche Identität von natürlichem Sittengesetz und Gesetz Christi voraussetzte. 1.4. Vorgeschichte
des II. Vatikanischen
Konzils
Die moraltheologische Grundlagenreflexion zu Beginn des Jahrhunderts führte mit zeitlicher Verzögerung zu einem N e u a u f b r u c h . Schon vorher hatte die „Katholische M o raltheologie" von J. —»Mausbach augustinisches und thomanisches Gedankengut mit den Erfordernissen eines modernen, übersichtlichen Lehrbuchs verbunden. F. —•Tillm a n n , Th. Steinbüchel, T h . Müncker und W. Schöllgen besorgten den Anschluß an den exegetischen, philosophischen, psychologischen und soziologischen Forschungsstand der Zeit. Der a u f k o m m e n d e Personalismus und —»Existentialismus schlugen sich in der Situationsethik nieder, die 1952 durch -»Pius XII. und 1956 durch das Hl. Offizium verurteilt wurde. Im französischen Sprachraum bewirkte die Thomas-Renaissance ein Aufblühen der theologie-geschichtlichen Forschung (O. Lottin; T h . Deman); J. - » M a ritain verband scholastisches Naturrechtsdenken mit den Anliegen eines Humanisme intégral und den -»Menschenrechten: Die Offenbarung erzeugt einen Intentionalitätszusammenhang, innerhalb dessen die a u t o n o m e sittliche Vernunft operiert. Schließlich eröffnet die —»Nouvelle Théologie Perspektiven einer heilsgeschichtlichen M o r a l t h e o logie. Das ökumenische Gespräch bezieht zunehmend die Moraltheologie ein. Die christologische Rechtsbegründung K. —»Barths, die Lehre von den Ordnungen bei E. -»Brunner, die konsequente Einbettung des ethischen T h e m a s in die lutherische Zwei-Reiche-Lehre bei H. —»Thielicke, die situationsethischen Ansätze bei J. A. T. Robinson und J. Fletcher, die Kontext-Ethik und die koinonia-Ethik bei H . R . - » N i e b u h r und P. L. Lehmann, die anglikanische Naturrechtstradition bei K.E. -»Kirk fordern den katholischen Partner heraus. M a n wird auf die Bedeutung der Denkform (H.U. von Balthasar) a u f m e r k s a m und berücksichtigt zusehends, wie sehr Wahl und Bedeutung philosophischer Begrifflichkeit von originär theologischen Optionen vorentschieden sind. Das hindert nicht die sachliche Übereinstimmung in vielen Einzelfragen. Das —»Vatikanum II bestätigt die innerkatholischen Reformbestrebungen und eröffnet zugleich eine neue Epoche für die Moraltheologie. 2.
Systematik
2.1. Aufgabe
und
Ort
Die Moraltheologie k n ü p f t , unbeschadet ihrer theologischen Fragestellung, an das universale Faktum der sittlichen Vernunft an: Sie entschlüsselt, auf der Ebene des Glaubensverständnisses und vermittels des plausiblen theologischen Arguments, die Wirkungsgeschichte des Glaubens auf die jedermann zuhandene Erfahrung des Sittlichen. Gottes Heilshandeln ist ermöglichender Grund des sittlichen Handelns. Die sittliche Wahrheit steht im konstituierenden Kontext der Verheißung, die Jesus Christus selber ist: Er ist d a r u m das Proprium christlicher Sittlichkeit. Der Moraltheologie fällt die
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Moraltheologie
Aufgabe zu, den sittlichen Anspruch theoretisch zu begründen und in die universale ethische Kommunikation einzubringen. Auf diese denkerische Verantwortung hin gestaltet sie ihre methodische Autonomie, wiewohl sie organisch in das Ganze der Theologie eingebettet bleibt. In enger Zusammenarbeit mit der Fundamentaltheologie hat die Moraltheologie eine offenbarungstheologische Begründung zu leisten, die in einem heilsgeschichtlichen Entdeckungszusammenhang steht. Offenbarung ist für sie ein Reflexionsbegriff. Das II. Vatikanische Konzil liefert dem katholischen Moraltheologen Wegmarken: Gottes Selbstmitteilung erwirkt ein Selbstverständnis des Glaubenden, das den Bezugspunkt sittlicher Einsicht bildet (Dei Verbum 1; 21). Der Glaube gibt zu denken. Somit zeichnet sich bereits die Nähe zur Dogmatik ab: Die Moraltheologie ist umgewandte Dogmatik. Sie nimmt unmittelbar Maß an der anthropologischen Relevanz des Glaubens. Ein Koordinatensystem anthropologischer Implikationen als offener Sinngehalte wird erstellt, innerhalb dessen die sittliche Vernunft in relationaler Autonomie operiert. Über seine Vermittlung werden analoge Entsprechungen zwischen Glaube ( f i d e s quae) und sittlicher Vernunft eingesehen: Die sittliche Vernunft des Glaubenden ist die im Glauben kritische Vernunft. Die jeweilige Autonomie von Glaubenswahrheit und sittlicher Wahrheit läßt einen Deduktionsprozeß zwischen beiden nicht zu. Wiederum ist das II. Vatikanische Konzil wegweisend. Im Dekret über die Priesterausbildung Optatam totius (16) wird die Heilsberufung in Jesus Christus als Quellgrund christlicher Sittlichkeit bezeichnet. Und die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes (22) nennt Jesus Christus den vollkommenen Menschen: Christologie und Anthropologie erscheinen ineinander vermittelt. Die Moraltheologie bedenkt diese Vermittlung unter dem Aspekt ihrer Handlungsrelevanz. 2.2. Eigenart
der
Fragestellung
So fällt bereits Licht auf die Eigenart moraltheologischer Reflexion. Insofern die Verheißung zur Form christlicher Sittlichkeit wird, sucht die Moraltheologie, durch Glaubens- und Lebenserfahrung in Bewegung gehalten, jene Zumutungen an die Freiheit zu erheben und rationaler Kontrolle zu unterwerfen, die über das Selbstverständnis des Glaubenden zu unmittelbarer Lebenswirklichkeit aufsteigen. Sie ist darum ursprünglich Handlungstheorie, die ein zugesagtes Können ergründet. Neuheit wird ihr zur Schlüsselkategorie. Und Weisheit, die aus Bewährung stammt, liefert das Anschauungsmaterial. Die denkerischen Herausforderungen kommen ursprünglich aus jenen konfliktgeschichtlichen Zwängen, die Einsicht und Freiheit nach Art eines negativen Existentials niederzuhalten suchen. Die Moraltheologie ist, wie jede wissenschaftliche Disziplin, einem offenen System vergleichbar. In der Diskussion um ihr Aufbauprinzip, das die immanente Kohärenz aller Einzelaussagen garantieren soll, wurde das Ideal einer Ableitung aus einem Prinzip (—•Kant) zugunsten einer Leitidee aufgegeben. Als solche wurden vorgeschlagen: Letztes Ziel (Thomas v. Aquin); Caritas (O. Schilling); Königsherrschaft Gottes (J. Stelzenberger); Nachfolge Christi (B. Häring; R. Hofmann). Als offenes System ist die Moraltheologie um die universale Konsensfähigkeit ihrer Aussagen bemüht. Der inkarnatorische Grundzug christologischer Begründung postuliert Kommunikabilität, ohne den Überschuß des evangelischen Radikalismus zu nivellieren. Das kirchliche Lehramt in re morali ist hier Vorbild: Insofern es sich an alle Menschen guten Willens wendet, setzt es die prinzipielle Einsichtigkeit christlicher Sittlichkeit voraus. Das bedeutet Zwang zur Plausibilität, wiewohl es immer eine Phasenverschiebung zwischen Einsicht und argumentativer Absicherung geben wird. Die Selbstzugelastetheit der sittlichen Vernunft wird durch den Glauben weder außer Kraft gesetzt noch eingeschränkt, sie wird definitiv bestätigt. Der Glaube erwirkt der Vernunft ein Potential, das sich stimulierend, kritisierend und integrierend umsetzt. Dazu bedarf es eines Vorverständnisses, das sich über die konfliktgeschichtlich konditionierte Verfaßt-
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heit auslegt. Darüber ist allerdings die maieutische Funktion der Vernunft angesichts des Glaubens nicht zu vergessen: Sie schützt vor dem unkritischen Umgang mit Theologumena. 2.3. Erkenntnistheologische
Probleme
Die theologische Erkenntnislehre erzeugt schwerwiegende Probleme. Wie es für den Moraltheologen keinen unmittelbaren Rekurs auf den Glauben gibt, so auch nicht auf eine geschichtsenthobene rationale Struktur des Wirklichen, die es von der ablesenden Vernunft nur aufzunehmen gelte. Sittliche Wahrheit läßt sich nicht auf das Modell einer Objektwahrheit bringen. Als unter dem Aspekt ihrer Praxisrelevanz aufgeschlüsselte Sinnwahrheit wird sie von der praktischen Vernunft entworfen. Die Bezeichnung Projektwahrheit erscheint darum treffender. Objektivität ist auf transzendentale Subjektivität zurückgenommen. An der gelebten Wurzel steht die Kompetenz der Freiheit zu schöpferischer Selbstsetzung. Angesichts dessen arbeitet die Moraltheologie zunächst jenen sittlichen Einsichtsprozeß auf, der sich innerhalb der Kirche — verstanden als Erinnerungs- und Interpretationsgemeinschaft — immer schon vollzogen und in der Form einer mit je unterschiedlichem Gewicht auftretenden kirchlichen Tradition niedergeschlagen hat. Für den katholischen Moraltheologen ist diese Tradition in die unterschiedlich gestufte Kompetenz des authentischen kirchlichen Lehramts in Fragen der Moral eingebunden, insofern dieses Lehramt, sei es des Papstes, sei es der Bischöfe, den sittlichen Konsens der Gläubigen einfängt und autoritativ bestätigt. Der einzelne Gläubige erscheint in diesem Prozeß als aktiver und selbstverantwortlicher Partner (-»Paul VI.); gleiches gilt für die Moraltheologie als Wissenschaft. Das geschieht in Verantwortung für jene gemeinsamen Schätze der Wahrheit, welche die Kirche mit dem Menschengeschlecht verbinden (Gaudium et Spes 16). Gesichtspunkte des Nicht-Glaubenden sind in kritischer Lernoffenheit einzubringen. Zugleich bleibt der Auftrag, im Geiste des Dialogs bessere Handlungsalternativen aus dem Glauben zu entwickeln und zeugnishaft durchzusetzen. Sittliche Wahrheit als Heilswahrheit stellt sich so unter Beweis. 2.4. Natürliches
Sittengesetz
In diesem Kontext steht die Lehre vom natürlichen Sittengesetz. Sie ist unbeschadet ihrer argumentativen Uberforderung durch traditionelle Naturrechtstheorien unverzichtbar. Denn die Heilige Schrift zeichnet sich auf der Ebene normativer Ethik durch ein inhaltliches wie methodologisches Ungenügen aus. Sie ist kein Handbuch der Moraltheologie, sie erarbeitet auch kein ethisches System, noch stellt sie einen Steinbruch für moraltheologische Argumentation dar. Ihre Aussagen sind, zumal im Blick auf die Gestaltung innerweltlicher Lebensbereiche, oftmals kontextgebunden und bedürfen darum einer differenzierten -»Hermeneutik. Und ebensowenig demonstriert sie komplexe Argumentationsgänge vor, ihre Literaturgattung ist über weite Strecken paränetischer Natur (-»Paränese); Argumentationen verbleiben unter der Oberfläche. Allerdings haftet dem Rekurs auf das natürliche Sittengesetz eine Problematik an. Gewiß ist der Mensch logisch vorgängig zur Offenbarungsannahme immer schon sittlich Erkennender (Rom 1,21; Phil 4, 8). Aber das erlaubt keinesfalls ein unmittelbares Sich-Berufen auf eine essentialistisch verstandene und jedermann gleich zugängliche normative Natur, welche alle Kriterien sittlich richtigen Handelns klar und sicher freisetzen würde. Ein komplexer und geschichtlich riskierter Verstehensvorgang läuft vielmehr ab. Wenn es in Gaudium et Spes (13; 15) heißt, bindend sei die Natur der gottebenbildlichen, geistbegabten Person, dann über die konstituierende Funktion der praktischen Vernunft, welche sich selbst wiederum in ein anthropologisches Projekt einbindet. Und wenn Dignitatis humanae ( 2 - 3 ) die Erkennbarkeit der Prinzipien der sittlichen Ordnung in der menschlichen Wesensnatur behauptet, dann doch immer in Bindung an Zielvorstellungen umfassend gelungenen guten Lebens, die entgegen einer naiven Glückseligkeitsethik auch mit der Möglichkeit innergeschichtlichen Scheiterns rechnen. Gewiß bedarf es einer exakten
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Moraltheologie
Analyse menschlicher Wirklichkeit. Aber der Glaube liefert mehr als Motivationen, die auf der Ebene subjektiver Gutheit verbleiben und die objektive Richtigkeit unberührt lassen. Er schafft vielmehr über seine anthropologischen Implikationen Grundeinstellungen, die als Verstehens- und Deutungsschlüssel objektive Richtigkeit erstellen. Das geschieht im Verlauf eines riskierten Entdeckungsprozesses, der von Phasenverschiebungen und Rückfällen nicht verschont bleibt. Und nicht nur Situationen ändern sich, der Mensch wandelt sich in seinem Erkennen. Gleichformulierte Prinzipien können darum unterschiedliche Bedeutung annehmen; letztere aber konstituiert Geltung. Für diesen Vorgang, der auch kulturspezifische Ausprägungen annimmt, trägt die Moraltheologie die denkerische Verantwortung. 2.5.
Normwissenschaft
Vor diesem Hintergrund kann legitimerweise auch von Normwissenschaft die Rede sein. Unter -»Normen versteht man Handlungsanweisungen mit übersituativer Regelungskompetenz, die eine Mittlerstellung zwischen obersten universalen Prinzipien und konkreten Imperativen einnehmen. Über Normen wurde innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft ein Konsens erzielt. Der Moraltheologie fällt die Aufgabe zu, diesen Konsens rationaler, vorurteilsloser Kontrolle zu unterziehen und ihn auf seine Voraussetzungen wie auf seine Stimmigkeit hin zu prüfen. Das kann auch kontrafaktisch geschehen. Die Moraltheologie sucht die in Normen versammelten Güter- und Zumutungsabwägungen immer exakter zu erfassen. Für gewöhnlich unterscheidet sie zwischen zwei Normbegründungstheorien, die einander kontradiktorisch ausschließen: der teleologischen und der deontologischen. Erstere bestimmt die Richtigkeit normativer Weisungskompetenz ausschließlich von den Folgen des Handelns her; letztere schränkt diesen Anspruch ein. Für erstere mögen Normen als strategische Regeln der Folgenabschätzung erscheinen, sofern man außer acht läßt, daß auch Folgen dem Bewertungsmaßstab eines angenommenen Menschenbildes und seines Finalitätsbezuges unterliegen. Zudem bleibt die Frage, ob hier nicht eine argumentative Überforderung vorliegt. Wieweit lassen sich Folgen überhaupt abschätzen und einkalkulieren? Und letztlich darf auch das Eigengewicht der sittlichen Handlung nicht funktionalistisch verkürzt werden. Aus diesem Grunde mag es geraten erscheinen, die teleologische Normbegründungstheorie in ein umfassenderes Verständnis des sittlichen Objekts einzuordnen: Objekt und Folgen, soweit erfaßbar, konstituieren gemeinsam das objectum complete spectatum. 2.6.
Handlungswissenschaft
Die Moraltheologie ist sich bewußt, daß der normative Diskurs, wiewohl unverzichtbar, die Vielschichtigkeit und Tiefenstruktur sittlichen Handelns nur umrißhaft erfaßt. Er liefert einen Raster, den es durch unvertretbare situative Einsicht in der ihr eigentümlichen Evidenz aufzufüllen gilt. Er kann auch nicht jenen Reichtum an sittlicher Erfahrung ausmessen, der den Entstehungskontext von Normen charakterisiert. Zudem läßt er übersehen, daß hinter Normen Lebensgeschichten stehen, die sich nur mit Hilfe von Modell und Vorbild angemessen auf den Begriff bringen lassen. Und letztlich regeln Normen nur den Einzelakt. Sie klammern jene Grundhaltungen, traditionell Tugenden genannt, aus, die an der Wurzel von Handlungen stehen. Normethik verlangt darum nach Tugendethik (—»Tugend), denn Handlungen sind mehr als Normerfüllungen. Und Normen sind vom Zerrbild legalistischer Freiheitsbeschränkung zu befreien, sie schlüsseln vielmehr die Kompetenz der Freiheit kommunikabel auf. Angesichts dessen betreibt die Moraltheologie Tiefenhermeneutik: Sie versteht Einzelhandlungen als partikuläre Ausfaltungen der Grundentscheidung, welche sich über die theologalen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, die Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigkeit und die sittlichen Tugenden vermittelt. Dabei vollendet die Klugheit die praktische Vernunft. Und die wirkungsgeschichtliche Verschränkung von theologalen und sittlichen Tugenden wehrt jeden Verdacht einer Selbstrechtfertigung ab.
Moraltheologie
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Die Moraltheologie betreibt überdies Einzelaktanalyse. Das tut sie zum einen in der Form lebensgeschichtlicher Hermeneutik. Sie tut es zum anderen im Kontext einer Metaphysik der sittlichen Handlung. Im Bewußtsein von der Autonomie sittlicher Wahrheit, die sich nicht aus metaphysischer Wahrheit herleiten läßt, sucht sie das sinnvolle Zuordnungsverhältnis von Ziel und Mittel, von Intention und Ausführung zu bestimmen. Handlungsstrukturen werden unter diesem Blickwinkel deutend gestaltet. Dabei ist der Unterschied von Wirk- und Ausdruckshandlung zu berücksichtigen. Im angemessenen Grund (ratio proportionata) verdichtet sich die Praxisrelevanz aller eingebrachten Voraussetzungen in situationsgerechter Objektivität. Er bestimmt darum in letzter Instanz über Notwendigkeit wie Weise des Vorgehens. In den hier anstehenden Abwägungsvorgang ist die klassische Lehre vom intrinsece malum einzubringen. Aber auch das Gesetz der Gradualität sowie das Theorem vom ethisch verantwortbaren Kompromiß sind in diesem Kontext zu bedenken. Die Moraltheologie hat der Epikie hohe Bedeutung beigemessen. Ursprünglich für das positive menschliche Gesetz gedacht (Thomas v. Aquino, S.th. I I - I I q. 120), zielt Epikie auf die Gesetzesverbesserung. Übertragen auf die sittliche Norm sucht Epikie über die satzhafte Formulierung hinaus den wirklichkeitsgemäßen Anspruch zu bestimmen. Der Vorwurf des Subjektivismus oder Relativismus trifft darum auf sie nicht zu. Als Hilfe dient ihr die Kasuistik: Die unvermeidliche Abstraktheit von Normen wird modellhaft typisierend auf geschehene oder konstruierte Fälle zugeschnitten. Kasuslösungen ersetzen nicht die unvertretbare Entscheidungsfindung, sie kürzen aber den Weg zu ihr ab, indem sie geronnenes Einsichts- und Erfahrungspotential abrufbar speichern. Zudem demonstrieren sie, wie man Prinzipien und Normen lege artis anwendet. Hilfreiches Anschauungsmaterial wird aber auch von Vorbildern geliefert; sie laden zum Nachdenken und originellen Nachahmen ein. Die Komplexität der moraltheologischen Fragestellung erreicht ihren Höhepunkt, wenn so enigmatische Phänomene wie —»Gewissen und Schuld dem Zugriff systematischer Reflexion ausgesetzt werden. Als theologische Disziplin bleibt die Moraltheologie herausgefordert, kommunikable Aussagen über ein bestandenes oder verfehltes Gottesverhältnis zu wagen, so asymptotisch dies auch nur gelingen mag. In dieser Fähigkeit liegt ihre Legitimationsinstanz, will sie nicht in philosophische Ethik abgleiten. Der Traktat über das Gewissen ist der Ernstfall der theologischen Erkenntnislehre. Die Moraltheologie schenkt dem suchenden, zweifelnden und irrenden Gewissen hohe Aufmerksamkeit, indem sie intellektuell wie lebensgeschichtlich verantwortbare Prozedurregeln erarbeitet. Das gilt auch für den Umgang mit Schuld. Die Urgestalt von Schuld liegt im Absterben der glaubenden Gottesbeziehung; die Tatschuld erscheint als dessen konstatierbare Ratifizierung, die sich nur vor diesem Hintergrund verstehen und bewerten läßt. 2.7. Interdisziplinäres
Gespräch
Für die Moraltheologie ist das interdisziplinäre Gespräch eine Lebensnotwendigkeit. So bleibt das philosophische Instrumentarium auf seine Eignung zu prüfen: Wird es der zugrundeliegenden theologischen Problematik gerecht, und bringt es zudem genügend kritische Gesichtspunkte ein, damit das Gesamtspektrum der Lebenswirklichkeit abgedeckt werde und die theologische Reflexion nicht an ihrem fehlenden Wirklichkeitsbezug zugrundegehe? Von der allgemeinen -»Wissenschaftstheorie hat die Moraltheologie zu lernen, daß es eine Dauerspannung zwischen fundierten Theorien und Hypothesen gibt. Was bedeutet dies für Normen, insofern sie ethischen Theorien gleichzusetzen sind? Gleich dringlich ist die Zusammenarbeit mit den empirischen Humanwissenschaften. Der Moraltheologe ist zuerst in die Rolle des Lernenden verwiesen. Er muß von der Schöpfung richtig denken können, ehe er von Gott und seinem Anspruch über das natürliche Sittengesetz richtig denken will. Dabei ist er sich bewußt, daß Tatsachen als solche niemals normativ sind; sie geben aber bedenkenswerte Hinweise. Viel-
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leicht sind im G e f o l g e dieses Lernprozesses vertraute D e n k v o r a u s s e t z u n g e n und L ö sungsmodelle (Paradigmen), aber auch ein naives Verständnis von G o t t e s guter S c h ö p fung zu revidieren. D a s ist keine A n f r a g e an den G l a u b e n , wohl aber an theologische T h e o r i e n . D e r M o r a l t h e o l o g e begleitet die empirischen H u m a n w i s s e n s c h a f t e n zugleich in kritischer Solidarität. M e t h o d o l o g i s c h e und a n t h r o p o l o g i s c h e Engführungen, a b e r auch Ü b e r i n t e r p r e t a t i o n e n von F a k t e n , die wissenschaftlich schon nicht m e h r legitimierbaren ideologischen Vorentscheidungen e n t s t a m m e n , sind aus V e r a n t w o r t u n g für das G a n z e der W i r k l i c h k e i t aufzudecken. Literatur Wissenschaftliche Reihen: MThSt, Hist. Abt., Düsseldorf 1973 ff. - SGKMT. Zu 1.: Joseph Diebolt, La Théologie Morale Catholique en Allemagne au temps du Philosophisme et de la Restauration 1750-1850, Straßburg 1926. - Bernhard Häring, Das Gesetz Christi. Darg. f. Priester u. Laien, 3 Bde., Freiburg i.Br. 1954 München/Freiburg "1967. - Walter Fürst, Wahrheit im Interesse der Freiheit. Eine Unters, zur Theol. J . B . Hirschers (1788-1865), 1979 (TTS 15). - Ernst Hirschbrich, Die Entwicklung der Moraltheol. im dt. Sprachgebiet seit der Jh.wende, Klosterneuburg 1959. - Karl-H. Kleber, Einf. in die Gesch. der Moraltheol., Passau 1985. - Hans J. Münk, Der Freiburger Moraltheologe F.G. Wanker (1758-1824) u. I. Kant. Hist.-vergleichende Stud. unter Berücksichtigung weiteren phil.-theol. Gedankenguts der Spätaufklärung, 1985 (MThSt.S 10). - Wolfgang Nethöfel, Moraltheol. nach dem Konzil. Personen, Programme, Positionen, Göttingen 1987. — Serváis Th. Pinckaers OP, Les sources de la morale chrétienne. Sa méthode, son contenu, son histoire, Freiburg (Schweiz)/Paris 1985. — Johann Theiner, Die Entwicklung der Moraltheol. zur eigenständigen Disziplin, 1970 (SGKMT 17). — Fritz Tillmann, Die Idee der Nachfolge Christi, Düsseldorf 1934. - Alois Wolkinger, Moraltheol. u. josephinische Aufklärung. Anton Luby (1749-1802) u. sein Verhältnis zum Naturrecht, zur mathematischen Methode u. zum ethischen Rigorismus (Jansenismus), Graz 1985. - Joseph G. Ziegler, Gesch. der Moraltheol.: LThK 2 7 (1962) 6 1 8 - 6 2 3 . Zu 2.: Franz Böckle/Ernst W. Böckenförde (Hg.), Naturrecht in der Kritik, Mainz 1973. - Charles Curran/Richard McCormick (Hg.), Readings in Moral Theology, New York 1971 ff. — Klaus Demmer, Deuten u. Handeln. Grundlagen u. Grundfragen der Fundamentalmoral, Freiburg i.Br. 1985. - Ders., Moraltheol. Methodenlehre, Freiburg Schweiz 1989. - Wilhelm Ernst (Hg.), Grundlagen u. Probleme der heutigen Moraltheol., Würzburg 1989. - Josef Fuchs, Moral u. Moraltheol. nach dem Konzil, Freiburg i.Br. 1967. - Franz Furger, Was Ethik begründet. Deontologie oder Teleologie, Hintergrund u. Tragweite einer moraltheol. Auseinandersetzung, Zürich/Einsiedeln/ Köln 1984. - Ders., Einf. in die Moraltheol., Darmstadt 1988. - Tullo Goffi (Hg.), Problemi e prospettive di Teoiogia Morale, Brescia 1976. — Josef F. Groner, Das Aufbauprinzip der Moraltheol., Heidelberg 1972.-Anselm Hertz u.a. (Hg.), Hb. der Christi. Ethik, 3 Bde., Freiburg i.Br./Gütersloh 1 9 7 8 - 1 9 8 2 . - R u d o l f Hofmann, Moraltheol. Erkenntnis- u. Methodenlehre, 1963 ( H M T 7 ) . - W a l ter Kerber (Hg.), Sittliche Normen. Zum Problem ihrer allgemeinen u. unwandelbaren Geltung, Düsseldorf 1982. - Karl Kertelge (Hg.), Ethik im NT, 1984 (QD 102). - Richard McCormick, Notes on Moral Theology 1965-1980, University of America Press Lanham 1981. - Bruno Schüller, Die Begründung sittlicher Urteile. Typen ethischer Argumentation in der Moraltheol., Düsseldorf 2 1980. - Josef Schuster, Ethos u. kirchl. Lehramt. Zur Kompetenz des Lehramtes in Fragen der natürlichen Sittlichkeit, 1984 (FTS 34). - Gerhard Stanke, Die Lehre v. den „Quellen der Moralität". Darst. u. Diskussion der neuscholastischen Aussagen u. neuerer Ansätze, 1984 (SGKMT 26). - Günter Virt, Epikie — verantwortlicher Umgang mit Normen. Eine hist.-syst. Unters, zu Aristoteles, Thomas v. Aquin u. Franz Suarez, 1983 (TTS 21). - Wissenschaftliche Reihen und Periodika: MThSt.S. - ThBer. - Stud. zur Theol. Ethik, Freiburg Schweiz 1977 ff. - Volker Eid/Antonellus Elsässer/Gerfried W. Hunold (Hg.), Moraltheol. Jb. 1989ff (zweijährlich). Klaus D e m m e r
Moritz von Sachsen (1521-1553) 1. Leben träts S. 308)
2. Politisches Handeln
3. Nachwirkung
(Bibliographien/Quellen/Literatur/Por-
1. Leben M o r i t z w u r d e a m 2 1 . 5 . 1 5 2 1 als erster Sohn H e r z o g H e i n r i c h s (1473 — 1541) g e b o r e n , der seit 1505 in Freiberg residierte.
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D i e seit 1 5 2 4 e r k e n n b a r e Entscheidung seiner M u t t e r , Katharina von M e c k l e n b u r g (1487—1561), für - » L u t h e r , die seit der Leipziger Teilung 1485 latenten innerwettinischen Spannungen und die zunehmende G e w i ß h e i t Herzog - » G e o r g s , seines O n k e l s , aus der eigenen Familie keinen N a c h f o l g e r zu h a b e n , bestimmten seit 1533 den Lebensweg des jungen Fürsten. An den H ö f e n zu Halle ( 1 5 3 3 / 34), Dresden ( 1 5 3 4 / 3 7 ) und Torgau ( 1 5 3 7 / 3 9 ) lernte er die unterschiedlichsten Formen der R e i c h s und Religionspolitik kennen. W ä h r e n d in Dresden der einflußreiche und langjährige R a t G e o r g von Karlowitz (um 1 4 8 0 - 1 5 5 0 ) den G r u n d für das spätere gegenseitige Vertrauensverhältnis legte und Herzogin Elisabeth ( 1 5 0 2 - 1 5 7 7 ) , die seit 1515 mit Herzog J o h a n n d. J . ( 1 4 9 8 - 1 5 3 7 ) kinderlos verheiratete Schwester -»Philipps von Hessen, sich für eine evangelische Erziehung des Prinzen einsetzte, entwickelten sich in T o r g a u keine weiterwirkenden Verbindungen. Die gegen den Willen der Eltern A n f a n g 1541 erfolgte Heirat mit Agnes von Hessen ( 1 5 2 7 - 1 5 5 5 ) stärkte das Verhältnis zu L a n d g r a f Philipp, der anfangs einen starken Einfluß auf M o r i t z ausübte und dessen politisches Denken mitprägte.
Nach der Regierungsübernahme 1541 arbeitete er zielstrebig am Ausbau der politischen Macht des albertinischen Sachsens. Der Erwerb der Kurwürde 1547 ermöglichte ihm den Aufstieg zu einem der bedeutendsten Reichsfürsten. Der Tod am 11.7.1553 nach der blutigen Schlacht bei Sievershausen beendete unerwartet den erfolgreichen Weg. Die Beisetzung erfolgte am 23.7.1553 im Freiberger Dom an der Seite seines einzigen Sohnes Albrecht ( 2 8 . 1 1 . 1 5 4 5 - 1 2 . 4 . 1 5 4 6 ) . Sein Bruder August (1526-1586) ließ ihm 1563 im Chor ein prächtiges Renaissancekenotaph errichten. Die 1544 geborene Tochter Anna starb 1577 nach ihrer gescheiterten Ehe mit Wilhelm von Oranien (1533 — 1584) krank und vereinsamt in Dresden. 2. Politisches
Handeln
Als Moritz im August 1541 die Regierung antrat, begegnete er großen Hoffnungen. Sein Vater hatte konsequent die Reformation eingeführt und damit innenpolitisch wichtige Entscheidungen getroffen, außenpolitisch sich jedoch vom Schmalkaldischen Bund abgewandt. Die Fäden zu König Ferdinand wurden wieder geknüpft. Dieser Position zwischen den Parteien war Heinrich jedoch nicht gewachsen. Von Moritz erwarteten Adel und Vertreter städtischer Oberschichten eine Weiterführung der habsburgfreundlichen Politik, die Wittenberger Theologen den zügigen Aufbau der evangelischen Landeskirche, Kurfürst —»Johann Friedrich die Rückkehr zu einer gemeinsamen Politik. Größere Bedeutung - wenn auch ungewollt - erlangte die Aufnahme des jungen Herzogs in den Geheimvertrag, den Philipp von Hessen am 13.6.1541 wegen seiner Doppelehe mit Kaiser und König abschloß. Der Landgraf bereitete so selbst den Boden für eine Politik, die zum habsburgisch-albertinischen Vertrag 1546 und zu seiner eigenen politischen Katastrophe 1547 führte. Tatsächlich begann 1541 für das herzogliche Sachsen eine Zeit wichtiger Entscheidungen. Von der Reformation geprägte gesellschaftliche Veränderungen legten die Grundlagen für den Aufschwung Sachsens. Die widerstrebenden Einflüsse, denen sich Moritz in der Erziehung ausgesetzt sah, die wechselnden Lebens- und Glaubensformen, die kritische und illusionslose Beobachtung des politischen Kräftespiels, der auf die Reformation zurückgehende Umbruch ließen Moritz im Spannungsfeld zwischen Kaiser und Schmalkaldischem Bund zu einem Politiker werden, der bei klarem Abschätzen der realen Möglichkeiten erfolgreich die eigene Machtstellung festigte. Aus dem Regenten eines mittleren Reichsterritoriums wurde der Partner Karls V. und schließlich ab 1548/49 sein entschlossener und erfolgreicher Gegner. Zielbewußt entwickelte Moritz sein Herrschaftsgebiet zu einem evangelischen Territorium, wenn auch Regelungen zunächst nur auf Teilgebieten erfolgten. Die organisatorische Gestalt des Kirchenwesens blieb unvollkommen. Verschiedene Konferenzen zu Leipzig und Kloster Zella 1544/1546, an denen herzogliche Räte, Fürst Georg von Anhalt (1507-1553) sowie Verteter der Superintendenten und der Theologischen Fakultät Leipzig teilnahmen, führten zu keinen Ergebnissen. Zu sehr standen von Wittenberg geprägte Überzeugungen den Ansichten Georgs von Anhalt und den obrigkeitlich
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ausgerichteten Vorstellungen der Hofräte gegenüber. Mit den während des Ungarnaufenthaltes des Herzogs 1542 tätigen „Räten in Religionssachen" und dem „Leipziger Konsistorialausschuß" 1543/44 entstanden Vorformen der späteren Konsistorien, die auf dem Hintergrund der innerwettinischen Auseinandersetzungen als Zeichen einer eigenständigen Kirchenpolitik zu werten sind. Die Leipziger Lätarekonferenz 1544 schlug dem Herzog vor, neben Superintendent und Konsistorium einen senatus ecclesiasticus zu bilden, der als Zwischeninstanz zwischen Pfarrer und Konsistorium und als Aufsichtsorgan gegenüber Gemeinde und Pfarrer gedacht war. Die städtische Obrigkeit sollte über die Ältesten ein Mitspracherecht bei allen „Gebrechen und Irrungen" in der Lehre und im Leben der Gemeinde erhalten. Dieser außergewöhnliche, auf hessische und süddeutsche Vorbilder zurückgehende Vorschlag scheiterte schließlich am Widerspruch Georgs von Anhalt, Melanchthons und der herzoglichen Räte. Am 21.5.1543 erging die „Neue Landesordnung". Die beiden Ausschreiben betrafen vor allem den Kirchenbann, die Gründung der drei Landesschulen, Zuschüsse für die Universität, die wirtschaftliche Versorgung der Kirchen- und Schuldiener, den Umgang mit dem Kirchengut und Fragen der Ehegesetzgebung. D a b e i war der Bann nicht als eigenständiges Z u c h t i n s t r u m e n t der Gemeinde, sondern als weltliche Strafe angelegt, die Superintendenten und Pfarrer mit Z u s t i m m u n g der O r t s o b r i g k e i t verhängten. Diese Praxis wurde aber nicht verwirklicht. M i t den Landesschulen ü b e r n a h m der Landesherr erstmals eigene Verantwortung im Bildungswesen. Er stellte die Erziehung der T h e o l o g e n , J u r i s t e n , Lehrer und Mediziner auf eine neue, der R e f o r m a t i o n verpflichtete Grundlage. W ä h r e n d M e i ß e n , St. Afra und Pforta noch 1543 mit ihrer Arbeit begannen, entstand die ursprünglich in M e r s e b u r g vorgesehene Schule erst 1550 im G r i m m a e r Augustinerkloster. Die Bildungsstätten standen Jungen zwischen 11 und 15 J a h r e n aus allen Ständen offen, die bereits lesen und schreiben k o n n t e n . So besaß der Adel das R e c h t , 1/3 der insgesamt 2 3 0 Freistellen zu besetzen, die Städte erhielten 100, für die restlichen nominierte der Herzog die Schüler. Die G r ü n d u n g dieser fürstlichen Schulen ergänzte die gleichzeitig zum Abschluß g e k o m m e n e R e f o r m der Universität —»Leipzig als Verwirklichung eines landesherrlichen Schul- und Universitätsregiments.
Kirchenpolitisches Neuland betrat Moritz im Frühjahr 1544 bei der Besetzung des Merseburger Bischofsstuhles. Wie Johann Friedrich bei Naumburg-Zeitz strebte er danach, das Stift Merseburg in größere Abhängigkeit zum Herzogtum zu bringen, um über die Einführung der Reformation seinen Einfluß zu verstärken. Zukunftsweisend erschien die Übernahme der weltlichen Gewalt als Administrator durch seinen Bruder August, während Georg von Anhalt als „Coadiutor in Geistlichen Sachen zu Merseburg" mit einer intensiven kirchenordnenden und seelsorgerlichen Tätigkeit begann. Diese beendete der Ausgang des Schmalkaldischen Krieges. Michael Heiding (1506-1561) verwaltete als letzter romtreuer Bischof von 1550 bis 1558 das Bistum. August erhielt eine standesgemäße Versorgung. Seine Heirat 1548 ermöglichte dem Kaiser, die albertinische Einflußnahme auf das Bistum zunächst zurückzudrängen und einen der Väter des Augsburger Interims als religionspolitischen Vorposten nach Sachsen zu schicken. Georgs Arbeit in Merseburg stärkte insgesamt die evangelischen Kräfte im albertinischen Sachsen. Ein möglicher Sonderweg in der Kirchenorganisation zeichnete sich ab, die starke Betonung der bischöflichen Struktur. Die Gründung der Konsistorien in Merseburg und Meißen 1545 unterstützte Überlegungen, die neue Landeskirche in ihrem äußeren Aufbau an die beiden bestehenden Bistümer anzulehnen. Während das Merseburger - seit 1550 in Leipzig - Georg von Anhalt unterstellt wurde, arbeitete das Meißner Konsistorium als landesherrliche Behörde. Widersprüche kennzeichneten die albertinische Politik seit 1541. Der Einführung reformatorischer Kirchenstrukturen, dem Zurückdrängen altgläubiger Einflüsse und einer evangelischen Grundlinie in politischen Entscheidungen stand nach außen ein vorsichtiges Taktieren gegenüber, ein Schwanken zwischen den Religionsparteien. Der sich verstärkende Gegensatz zwischen Ernestinern und Albertinern — deutlich spürbar in der Wurzener Fehde 1542 - führte Moritz schließlich in das habsburgische Lager. Im Ringen
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um Einfluß im Erzbistum Magdeburg kam Johann Friedrich seinem Vetter zuvor. Beteiligungen am Kampf des Reiches gegen die Türken in Ungarn 1542 und gegen Frankreich 1543/44 stärkten die Hinwendung zu Ferdinand und Karl V. Hatte der Herzog im ersten Braunschweiger Krieg die Protestanten gegen Herzog Heinrich d . J . (1489—1568) nur mit Geld unterstützt, so eilte er 1545 seinem Schwiegervater zur Hilfe, um — wie er glaubte — eine Bedrohung Hessens und Kursachsens abzuwenden. Da der Landgraf einen von Moritz angebahnten Ausgleich, den Heinrich akzeptiert hatte, nicht annahm, geriet der Albertiner erstmals ins Zwielicht, was sich 1546/47 und 1550/52 wiederholen sollte. Das Verhältnis zu Philipp wurde getrübt, was den prohabsburgischen Kräften am Dresdner H o f weiter Auftrieb gab. Diese habsburgfreundlichen Räte bemühten sich 1546 verstärkt um eine Verständigung mit Kaiser und König, da sie bei dem sich abzeichnenden Entscheidungskampf zwischen Karl V. und dem Schmalkaldischen Bund mit einem Sieg des Kaisers rechneten. D e r Regensburger Vertrag vom 1 9 . 6 . 1 5 4 6 trennte M o r i t z endgültig von den Schmalkaldenern. Er verpflichtete sich zur Neutralität. Ausschlaggebend waren vor allem mündliche Z u s a g e n : Die erfolgten Säkularisationen wurden a n e r k a n n t . Auf eine ausdrückliche Unterwerfung unter das Trienter Konzil, das allerdings beschickt werden sollte, wurde verzichtet, eine Behandlung der Abendmahlsfrage, Priesterehe und Rechtfertigungslehre nach der Schrift zugesagt. Karl V. ernannte M o r i t z zum Konservator und E x e k u t o r der Stifter M a g d e b u r g und H a l b e r s t a d t , der 1547 die Schutzherrschaft folgte. Die Kurwürde spielte erst im O k t o b e r 1546 eine R o l l e . Dieses A b k o m m e n war ein klarer Erfolg der Habsburger. O h n e greifbare Zugeständnisse erhalten zu h a b e n , g a b M o r i t z die Position zwischen den Konfliktparteien auf. Die öffentliche M e i n u n g im H e r z o g t u m lehnte jede Unterstützung des Kaisers ab. Die Landstände traten für die Erhaltung der evangelischen Lehre ein. Innerhalb weniger J a h r e hatte sich das Stimmungsbild zugunsten der R e f o r m a t i o n verändert, was nicht nur die evangelische Innenpolitik seit 1539 bestätigte, sondern auch den Erfolg der reformatorischen Umgestaltung anzeigte. M o r i t z m u ß t e sich in den nächsten M o n a t e n sowohl mit den Ernestinern als auch mit den eigenen Untertanen auseinandersetzen, die sich zu einem spürbaren F a k t o r bei späteren politischen Entscheidungen entwickelten. Der „ J u d a s von M e i ß e n " habe seinen Herrn verraten, wobei Flugschriften ohne Schwierigkeiten J o h a n n Friedrich mit Jesus gleichsetzten.
Die eigentliche Entscheidung für den albertinischen Eintritt in den Schmalkaldischen Krieg fiel erst Mitte Oktober in Prag. Bei den Gesprächen mit Ferdinand über eine gemeinsame Kriegsführung und über die Behandlung der besetzten Gebiete der Ernestiner wurde vorsichtig, aber doch recht klar die Kurwürde zugesagt. Mit der Rückkehr Johann Friedrichs zum Jahresende aus Süddeutschland verlagerten sich die Kämpfe nach Sachsen. Moritz geriet in große Bedrängnis. Leipzig widerstand der Belagerung. Erst die von Karl V. herangeführten Truppen zwangen die Ernestiner zum Rückzug. Am 24. April 1547 wurde Johann Friedrich in einem Gefecht bei Mühlberg auf der Lochauer Heide gefangengenommen. Die Wittenberger Kapitulation vom 19.5. besiegelte die Niederlage. Moritz wurde Kurfürst, er erhielt den ernestinischen Anteil an der Markgrafschaft Meißen, während er die Weiterexistenz eines ernestinischen Reststaates in T h ü ringen hinnehmen mußte. So konnte die Leipziger Teilung von 1485 nur zum Teil rückgängig gemacht werden. Der politische Aufstieg des albertinischen Kursachsen und seines ersten Kurfürsten begann. Erfüllte die Wittenberger Kapitulation nicht alle Hoffnungen von M o r i t z , so ließ ihn der Kaiser mit der G e f a n g e n n a h m e Philipps von Hessen ebenfalls die Grenzen der M a c h t e n t f a l t u n g spüren. Unklare Absprachen bei den Gesprächen über eine Aussöhnung des Landgrafen mit dem Kaiser führten zu einer weiteren diplomatischen Niederlage des neuen Kurfürsten. Verstärkt widmete sich M o r i t z dem inneren Ausbau des vergrößerten Herrschaftsgebietes. Eine neue Kanzleiordnung veränderte die Arbeit des H o f r a t e s . Das G e s a m t t e r r i t o r i u m wurde in fünf Verwaltungsgebiete eingeteilt. Die eigentliche Verwaltungsreform kam jedoch erst unter August zum Abschluß. Im O k t o b e r 1547 nahm die Universität W i t t e n b e r g ihre Arbeit wieder auf. T r o t z ernestinischen Werbens blieb M e l a n c h t h o n im neuen Kursachsen und entwickelte sich zum wichtigsten Berater des Landesherrn in Religionsfragen.
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Den albertinischen Landständen und Theologen versicherte M o r i t z mehrfach, d e m r e i n e n W o r t G o t t e s e n t s p r e c h e n d d e r Confessio
Augustana
treu zu b l e i b e n u n d sich auf
die p a p i s t i s c h e n M i ß b r ä u c h e nicht w i e d e r einzulassen. Die I n t e r i m s f r a g e b e d e u t e t e f ü r die v o n M o r i t z verfolgte K i r c h e n - u n d B i l d u n g s p o l i t i k eine h a r t e
Bewährungsprobe.
Der Erfolg gegen den Schmalkaldischen Bund v e r a n l a ß t e Karl V. zu einem letzten Versuch, die Religionsfrage im Reich o h n e Papst und Konzil zu lösen. N a c h mehreren Vorstufen w u r d e n am 1 5 . / 1 6 . 5 . 1 5 4 8 den Reichsständen 26 Artikel vorgelegt, die am 30.6. d u r c h A u f n a h m e in den Reichstagsabschied Reichsgesetz w u r d e n und als Augsburger - » I n t e r i m f ü r g r o ß e U n r u h e sorgten. Unter dem Einfluß von G u t a c h t e n der Wittenberger T h e o l o g e n u m M e l a n c h t h o n leistete M o r i t z hinhaltenden W i d e r s t a n d und lehnte eine sofortige A n n a h m e d u r c h seine U n t e r t a n e n ab. Bis 1549 zog sich d a s Tauziehen u m die E i n f ü h r u n g des Interims hin. T r o t z kaiserlichen D r u c k s verfolgte M o r i t z eine eigenständige Interimspolitik. N a c h d e m der Versuch, mit den Bischöfen Julius Pflug zu N a u m burg-Zeitz (1499-1564) u n d J o h a n n VIII. von M a l t i t z zu M e i ß e n (gest. 1549) zur Einigung über die R e c h t f e r t i g u n g zu gelangen, scheiterte, versuchten die H o f r ä t e mit b r a n d e n b u r g i s c h e r Unterstützung, die W i t t e n b e r g e r T h e o l o g e n zu einer v e r ä n d e r t e n F o r m des Interims zu bewegen, um der kaiserlichen F o r d e r u n g nach E i n f ü h r u n g einen eigenen Text entgegenzusetzen. Dieser w u r d e d e m Leipziger L a n d t a g Ende 1548 vorgelegt. Er f a n d nicht die Z u s t i m m u n g der L a n d s t ä n d e , da die T h e o l o g e n n u r unter g r o ß e n Vorbehalten diese k u r f ü r s t l i c h e n Artikel als V e r h a n d l u n g s g r u n d l a g e akzeptierten und die Bischöfe sie schließlich a b l e h n t e n . T r o t z d e m veröffentlichte -»Flacius die Artikel als „Leipziger I n t e r i m " und benutzte sie massiv publizistisch gegen M o r i t z und M e l a n c h t h o n . Die A n f a n g 1549 erarbeitete „ G e o r g s a g e n d e " sollte über eine K i r c h e n o r d n u n g die n o t w e n d i g e Konsolidierung des Kirchenwesens bringen, w e n n auch mit d e m Interim u n d den Leipziger Artikeln z u n ä c h s t keine V e r b i n d u n g b e s t a n d . Sie trug die H a n d s c h r i f t G e o r g s von A n h a l t . Die Agende scheiterte am W i d e r s p r u c h T o r g a u e r T h e o l o g e n um Gabriel D i d y m u s (um 1487—1558) u n d der altgläubigen Bischöfe Pflug und Maltitz sowie an den Vorbehalten der L a n d s t ä n d e . Episode blieb der auf A n f a n g Juli datierte „ A u s z u g " aus den Leipziger Artikeln, der die E i n f ü h r u n g von Mitteldingen ( Z e r e m o n i e n , Feiertage, C h o r r o c k ) vorsah. Das M a n d a t k a m ebenfalls k a u m zur Durchf ü h r u n g . Wie die Leipziger Artikel galt der Auszug m e h r der Beruhigung von Kaiser und König als d e m e r n s t h a f t e n Versuch, die albertinische Landeskirche dem Interim zu u n t e r w e r f e n . D a s unter a u ß e n p o l i t i s c h e n G e s i c h t s p u n k t e n erfolgte T a k t i e r e n beim Interim verd e c k t e d i e a u f g e w o r f e n e n t h e o l o g i s c h e n G r u n d f r a g e n . Es ü b e r s a h d i e t a t s ä c h l i c h e G e f ä h r d u n g d e r R e f o r m a t i o n u n d die k l a r e E n t s c h e i d u n g s s i t u a t i o n . V i e l e n m u ß t e d i e alb e r t i n i s c h e Politik als w e i t e r e F o r m d e s V e r r a t s a n d e r e v a n g e l i s c h e n S a c h e d u r c h M o r i t z erscheinen. A b H e r b s t 1 5 4 9 s p i e l t e d a s I n t e r i m in d e r a l b e r t i n i s c h e n P o l i t i k k e i n e R o l l e m e h r . M o r i t z b e m ü h t e sich u m eine a u ß e n p o l i t i s c h e N e u o r i e n t i e r u n g . Über Hessen w u r d e n G e s p r ä c h e mit Frankreich a n g e b a h n t . Trotz sichtbarer Loyalität gegenüber Karl V. b e m ü h t e sich M o r i t z schon 1548 u m eine u n a b h ä n g i g e Reichspolitik. In der Interimsfrage widersetzten sich d e m Kaiser mit M a r k g r a f J o h a n n von Küstrin ( 1 5 1 3 - 1 5 7 1 ) und M o r i t z zwei Verbündete von 1546/47. Bereits wenige Wochen nach dem „ g e h a r n i s c h t e n " Reichstag verhandelten sie ü b e r G e g e n m a ß n a h m e n , falls das Interim mit G e w a l t durchgesetzt werden sollte. Bis zum H e r b s t 1551, als J o h a n n die L o c h a u e r G e s p r ä c h e verließ, riß der G e s p r ä c h s f a d e n zwischen beiden Fürsten nicht ab, w e n n auch der B r a n d e n b u r g e r mit g r o ß e m M i ß t r a u e n das politische H a n d e l n von M o r i t z b e o b a c h t e t e . So vereinbarte er mit Preußen und M e c k l e n b u r g A n f a n g 1550 den Königsberger Bund, o h n e Kursachsen einzubeziehen. J e d e antikaiserliche V e r b i n d u n g k o n n t e die Verlierer des Schmalkaldischen Krieges begünstigen und vor allem mit der angestrebten französischen Hilfe zur Restit u t i o n der Ernestiner f ü h r e n . Im S p ä t s o m m e r 1550 ä n d e r t e sich das militärische K r ä f t e v e r h ä l t n i s in N o r d d e u t s c h l a n d entscheidend. H e r z o g H e i n r i c h , der enge politische Bindungen zu M o r i t z suchte, m u ß t e die Belagerung der Stadt Braunschweig a b b r e c h e n . Die entlassenen T r u p p e n w a n d t e n sich gegen die Alte Stadt M a g d e b u r g , die sich seit 1547 in der Reichsacht b e f a n d , und bereiteten dieser eine empfindliche Niederlage. F ü r M o r i t z b e g a n n eine politische G r a t w a n d e r u n g . Ein U n r u h e h e r d im U m k r e i s albertinischer Interessen s c h r ä n k t e die Bewegungsfreiheit kurfürstlich-sächsischer Politik e r h e b l i c h ein. Er m u ß t e d i e Z w e i d e u t i g k e i t d e s O b e r b e f e h l s bei d e r B e l a g e r u n g
Mag-
d e b u r g s u n d d a m i t e i n e n w e i t e r e n V e r l u s t a n G l a u b w ü r d i g k e i t in K a u f n e h m e n ,
um
d a s E n t s t e h e n eines M a c h t z e n t r u m s u m M a g d e b u r g zu v e r h i n d e r n , d a s sich a u c h gegen ihn selbst richten k o n n t e . Als der K ö n i g s b e r g e r B u n d Söldner a n w a r b , u m d a s belagerte
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Magdeburg zu entsetzen, gelang es Moritz Anfang 1551 bei Verden, diese Truppen zu zerstreuen oder in eigenen Dienst zu nehmen. Er trat an die Spitze der Opposition gegen Karl V. Mit Johann von Küstrin verständigte er sich im Februar 1551, den wahren christlichen Glauben nach der Confessio Augustana zu erhalten und alles für die Freiheit im Reich zu tun, was die Freilassung Philipps und Johann Friedrichs einschloß. Die Verhandlungen mit Frankreich wurden fortgesetzt. Zu Torgau entstand im Mai 1551 ein neues Bündnis. Der Königsberger Bund wurde durch Moritz und Landgraf Wilhelm von Hessen (1532-1592) erweitert. Die Söhne Johann Friedrichs schlössen sich nicht an, versprachen aber Neutralität. Bei den entscheidenden Gesprächen der Verbündeten mit Frankreich Ende September/Anfang Oktober in Lochau verließ Johann die Verhandlungen, weil er ein Offensivbündnis nicht mittragen wollte und sich vermutlich mit der klaren Führungsrolle von Moritz nicht abfinden konnte. Trotzdem kam die Vereinbarung mit Frankreich zustande, die König Heinrich II. (1519-1559) am 15.1.1552 zu Chambord unterzeichnete. Den umfangreichen französischen Hilfsgeldern, ohne die ein Kampf gegen den Kaiser nicht möglich gewesen wäre, stand die Zusage der beteiligten Fürsten gegenüber, Heinrich II. als Reichsvikar Cambrai, Metz, Toul und Verdun einzuräumen. Tatsächlich verfügten Moritz und seine Verbündeten damit über Reichsterritorium, was ihnen rechtlich nicht zustand. Moritz gelang es bis zuletzt, Karl V. in Sicherheit zu wiegen. Der Protest auf dem Augsburger Reichstag 1550/51 gegen eine gewaltsame Einführung des Interims blieb unbeachtet, ebenso die deutliche Forderung Kursachsens nach einem allgemeinen, freien und christlichen Konzil. Auf Melanchthons Rat entschloß sich Moritz, das Trienter Konzil zu beschicken, um dort die evangelische Lehre zu vertreten. Dafür entstand die Confessio Saxonica, die Anfang Juli 1551 die albertinischen Theologen in Wittenberg unterzeichneten. Mecklenburg, Pommern, Brandenburg-Küstrin und Ansbach schlössen sich an. Die neue Bekenntnisschrift fußte auf der Confessio Augustana. Sie sollte einen Schlußstrich unter die quälenden Auseinandersetzungen um das Interim in Sachsen ziehen und gehörte für die nächsten Jahrzehnte zu den Grundlagen albertinischer Kirchenpolitik. Am 9.11.1551 kapitulierte Magdeburg. Moritz nahm die Stadt sofort für den Kaiser in Besitz. In einem Geheimvertrag hatte er ihr die wahre christliche Religion garantiert. Unklarheiten um den Text des freien Geleits für die evangelischen Theologen nach Trient nahm der Kurfürst zum Anlaß, die Abreise Melanchthons hinauszuzögern. Anfang März 1552 rief er ihn aus Augsburg zurück. Zielstrebig bereitete Moritz im März 1552 den Feldzug vor. Dabei riß der Gesprächsfaden mit König Ferdinand nie ab. Verhandlungen des albertinischen Landtags und Gesandtschaften zum Kaiser sollten die Unausweichlichkeit der Kriegshandlungen vor Augen führen. Karl V. vermochte dem schnellen und erfolgreichen Vordringen der Kriegsfürsten nach Süden nichts entgegenzusetzen. Nach langwierigen Verhandlungen, die zeitweise wegen der kaiserlichen Unnachgiebigkeit zu scheitern drohten, einigten sich in Passau Moritz, König Ferdinand und die anwesenden vermittelnden Fürsten auf einen Vertragsentwurf, den der Kaiser noch abänderte, der aber schließlich allgemeine Billigung fand. Kernstück des Passauer Vertrages bildete der angestrebte Vergleich der Religionsparteien durch gegenseitige Anerkennung und Verzicht auf gewaltsame Verwirklichung der eigenen Glaubensvorstellungen. Wenn der angestrebte, immerwährende Religionsfrieden durch den Widerspruch Karls V. erst auf dem nächsten Reichstag verabschiedet werden sollte, so war doch eine gemeinsame Linie, auch der geistlichen Fürsten und Ferdinands, deutlich. Sie verzichteten auf eine weitergehende Wiederherstellung der altgläubigen Kirche, aber auch auf die Verpflichtung des Reiches, gegen Ketzer vorzugehen. Das Interim war erledigt. Vom Konzil erwartete man nicht mehr die Klärung der Religionsfrage. Philipp erhielt die Freiheit, während der Kaiser von sich aus Johann Friedrich entließ, um ihn möglicherweise gegen Moritz zu benutzen, wozu der Ernestiner sofort seine Bereitschaft zeigte. Der Albertiner hatte erfolgreich den Fürstenkrieg beendet. Ihm gelang es, den Vorwurf des Verrats am reformatorischen Glauben wirkungs-
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v o l l z u e n t k r ä f t e n . V i e l e n e r s c h i e n e r a l s R e t t e r d e s P r o t e s t a n t i s m u s u n d als V e r t e i d i g e r s t ä n d i s c h e r L i b e r t ä t g e g e n d i e u n i v e r s a l i s t i s c h e n A n s p r ü c h e K a r l s V. Strikt lehnte M a r k g r a f Albrecht Alkibiades ( 1 5 2 2 - 1 5 5 7 ) die Passauer Vereinbarung a b und setzte r a u b e n d und plündernd im „ M a r k g r ä f l e r k r i e g "
den K a m p f gegen
die
B i s t ü m e r fort. F e r d i n a n d und M o r i t z e r k a n n t e n die ernste G e f ä h r d u n g des L a n d f r i e d e n s u n d d e s in P a s s a u E r r e i c h t e n . S i e v e r s t ä n d i g t e n s i c h i m M a i 1 5 5 3 in E g e r o h n e K a r l V. u n d s c h u f e n s o die G r u n d l a g e n f ü r ein p o l i t i s c h e s Z u s a m m e n g e h e n
Kursachsens
mit
den d e u t s c h e n H a b s b u r g e r n . D e r v o n M o r i t z mit seinem T o d b e z a h l t e Sieg von Siev e r s h a u s e n b e s i e g e l t e d i e in P a s s a u m ü h s a m v e r e i n b a r t e g r u n d l e g e n d e Ä n d e r u n g
der
R e i c h s p o l i t i k . W e n n a u c h d e r a n g e s t r e b t e A u s g l e i c h e r s t 1 5 5 5 in A u g s b u r g e r f o l g t e , s o k o n n t e e r d o c h n i c h t m e h r a u f g e h a l t e n w e r d e n . K a r l V. e r h o l t e s i c h n i c h t m e h r
von
d e r i m F ü r s t e n k r i e g e r l i t t e n e n N i e d e r l a g e . D i e I n i t i a t i v e i m R e i c h fiel z u n ä c h s t e i n d e u t i g an K ö n i g F e r d i n a n d und an das a b 1553 von August regierte 3.
Kursachsen.
Nachwirkung
N u r 12 J a h r e hatte M o r i t z das albertinische Sachsen regiert. O h n e R ü c k s i c h t auf seine Untertanen setzte er alles daran, die persönliche M a c h t und den Einfluß des Hauses Sachsen zu erweitern. Seine Politik stürzte den deutschen Protestantismus 1548/49 in eine der größten Krisen seit Luthers T o d , indem er in der Interimsfrage religiöse Probleme klar den politischen unterordnete. Er ließ es tatsächlich an G l a u b e n s m u t gegenüber Karl V. fehlen, so daß die antimauricianische Propaganda der Ernestiner mit dem Vorwurf des Verrats einen Nerv im Verhalten des Albertiners traf. 1547 veränderte sich die L a n d k a r t e in Mitteldeutschland. W ä h r e n d das albertinische Kurfürstentum sich zur dominierenden Kraft im deutschen Protestantismus entwickelte, entstand der ernestinische R e s t s t a a t , der später in Form der thüringischen Kleinstaaten bis 1918 existierte. M o r i t z ersparte seinen T h e o l o g e n nicht die Angriffe wegen des Interims, zugleich ermöglichte er mit seinem Sieg über Karl V. den evangelischen Reichsständen, Formen für den Widerstand gegen die heraufziehende G e g e n r e f o r m a t i o n zu entwickeln. Kurfürst August setzte die offensive Reichspolitik nicht fort. Ihm fehlten die natürlichen Quellen, die M o r i t z über G e b ü h r benutzt hatte, um die kostspieligen Kriegszüge zu finanzieren. Er brachte Kursachsen an den R a n d des wirtschaftlichen Z u s a m m e n bruchs. O b der Albertiner über das Kurfürstenamt hinaus Einfluß im Reich angestrebt hatte, muß offen bleiben. In seiner Gestalt vollzog sich die Entwicklung vom skrupellosen M a c h t p o l i t i k e r zum verantwortungsbewußten Gestalter eines Reiches, dessen Schwergewicht bei den Ständen lag und das mühsam einen gemeinsamen Weg trotz konfessioneller Gegensätze suchte. Bibliographien B D G Nr. 3 3 2 4 3 a - 3 3 3 6 1 b . 5 1 4 2 3 f . 6 1 8 3 9 - 6 1 8 4 1 a . - Bibliogr. der sächsischen Gesch., hg. v. R u d o l f B e m m a n n , Leipzig, 1/1 1918, 1 8 9 - 2 0 3 . Quellen Gottfried August Arndt, Nonnulla de ingenio et moribus M a u r i t i i , Principis Electoris S a x o n i a e , Lipsiae 1806. - Briefe u. Acten zur Gesch. des 16. J h . mit bes. R ü c k s i c h t auf Bayerns Fürstenhaus, b e a r b . v. August v. Druffel, M ü n c h e n , I 1873, III 1882. - Carl Adolph Cornelius, Churfürst M o r i t z gegenüber der Fürstenverschwörung in den J a h r e n 1 5 5 0 - 5 1 : A H K B A W 10 (1867) 6 3 5 - 6 9 7 . - T h e o dor Distel, Schreiben der kurfürstlichen R ä t e an die verwitwete Kurfürstin Agnes: Z s . für M u s e ologie u. Antiquitätenkunde 3 (1885) 19 = M i t t . des Freiberger Altertumsvereins 22 [1885] (1886) 9 2 f . - Ders., Das Testament des Kurfürsten M o r i t z : A S ä G N F 6 (1880) 1 0 8 - 1 4 2 . - Ders., Zwei Urkunden zur Gesch. des Kurfürsten M o r i t z v. Sachsen aus dem M o n a t Juli 1553: N A S G 9 (1888) 1 4 1 - 1 4 4 . - E K O 1/1. - Gründlicher u. warhafftiger Bericht aller R a t h s c h l a g . . . , Wittenberg 1559. - O . Günther, Ein hist. Lied gegen Herzog M o r i t z v. Sachsen: N A S G 23 (1902) 214 - 2 1 9 . - O s w a l d Artur Hecker, Kurfürst M o r i t z v. Sachsen nach den Briefen an seine Frau: N J K A 25 (1910) 3 4 3 - 3 6 0 . - Friedrich Hortleder, D e r R ö m i s c h e n Keyser- . . . Handlungen u. Ausschreiben . . . , G o t h a 2 1 6 4 5 . - Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des G r o ß m ü t i g e n v. Hessen, hg. v. Friedrich Küch/Walter Heinmeyer, 1 1 9 0 4 , II 1910 (PPSA 7 8 . 8 5 ) , III 1954, IV 1959 ( V H K H W 2 4 ) . - K. J a n i c k e , Schreiben Kurfürst M o r i t z v. Sachsen an Herzog Ehrich II. v. Braunschweig-Lüneburg: G B S L M 11 (1876) 8 2 - 8 4 . - M e l a n c h t h o n s Briefwechsel Krit u. Kommentierte G A , hg. v. Heinz Scheible, S t u t t g a r t - B a d C a n n s t a t t , I f f 1977 f. - Politische Korrespondenz des Herzogs u. Kurfürsten M o r i t z v. Sachsen, 2 Bde., hg. v. Erich Brandenburg, Leipzig 1900/04, N a c h d r . Berlin 1982/83; I I I - I V , b e a r b . v. J o h a n n e s Herrmann/Günther Wartenberg, Berlin 1978/92. - J . V . Pollet (Hg.), Julius Pflug, Correspondance, III—V, Leiden 1977/82. - G ü n t h e r Wartenberg, Tradition editorischer Arbeit
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Hessen 1547: N A S G 11 (1890) 1 7 7 - 2 4 4 ; Die Gefangenschaft Philipps v. Hessen 1 5 4 7 - 1 5 5 2 : N A S G 14 (1893) 2 1 1 - 2 6 6 ; Das Interim in Sachsen 1 5 4 8 - 1 5 5 2 : N A S G 15 (1894) 1 9 3 - 2 3 6 ; M a g d e b u r g u. M o r i t z v. Sachsen bis zur Belagerung der Stadt (September 1550): N A S G 4 (1883) 2 7 3 - 3 1 5 ; II: M a g d e b u r g s Belagerung durch M o r i t z v. Sachsen: N A S G 5 (1884) 1 7 7 - 2 2 6 . 2 7 3 - 3 0 8 ; M o r i t z v. Sachsen gegen Karl V. bis zum Kriegszuge 1552: N A S G 6 (1885) 2 1 0 - 2 5 0 ; M o r i t z v. Sachsen gegen Karl V. 1552: N A S G 7 (1886) 1 - 5 9 ; Von Passau bis Sievershausen 1 5 5 2 - 1 5 5 3 : N A S G 8 (1887) 4 1 - 1 0 3 ; H a n s v. Küstrin u. M o r i t z v. Sachsen: N A S G 23 (1902) 1 - 6 3 ; M o r i t z v. Sachsen u. die Ernestiner 1 5 4 7 - 1 5 5 3 : N A S G 2 4 (1903) 2 4 8 - 3 0 6 ; M o r i t z v. Sachsen als ev. 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Moritz von Sachsen
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Mormonen
M o r i t z v. Sachsen v. H a n s Krell: M i t t . des Freiberger Altertumsvereins 28 (1892) 51 f. — Ders., Über einige Bilder des Kurfürsten M o r i t z : K W 21 (1898) 4 6 2 f. - Cornelius Gurlitt, Das Dresdner M o r i t z d e n k m a l : A S ä G N F (1878 ( 3 6 3 - 3 6 7 ) .
Günther Wartenberg Mormonen 1. Geschichte
1.
2. Lehre und Leben
3. Abspaltungen
(Literatur S. 318)
Geschichte
1.1. Der Gründer. Der Gründer des Mormonismus, Joseph Smith Jr., Sohn eines armen amerikanischen Arbeiters, wurde in Sharon, Vermont, am 23.12.1805 geboren. Seine Kindheit verbrachte er an verschiedenen Orten, am längsten in Palmyra, jetzt Rochester, im Staat New York. Er besuchte die Schule höchstens ein Jahr, vermochte auch später nicht, „lange Worte" zu lesen und konnte auch während seines öffentlichen Auftretens nicht schreiben. Er war aber ein begabtes, interessiertes und willensstarkes Kind mit rezeptivem Gedächtnis und mit Anlagen für Visionen - wie sein Vater, seine Mutter, sein Großvater und eine Tante. Smith heiratete 1823 Emma Haie, kandidierte für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika 1841, wurde während eines Konfliktes in das Staatsgefängnis in Cartage, Illinois, interniert und dort bei einem Fluchtversuch am 27.6.1844 erschossen. 1.2. Die Bewegung. Nach einigen visionären Erlebnissen im Alter von 15 Jahren erhielt Smith regelmäßige Offenbarungen, von 1823 an, als er vom Engel Moroni den Befehl erhielt, in einem Hügel bei Cumorah, New York, zu graben. Dort meinte er goldene Platten zu finden, von dem vorzeitlichen Helden Moroni auf reformed Egyptian geschrieben. Er las den Text mit Hilfe einer wunderbaren Brille, die er Urim und Tummim (vgl. Ex 28,30) nannte. Das Buch diktierte er dem Lehrer Oliver Cowdery und gab das Resultat als The Book of Mormon heraus, 1830 in Palmyra gedruckt (Kapitel- und Verseinteilung erst 1879 eingeführt). Am 6. April desselben Jahres gründete Smith in Fayette, New York, eine Kirche, die er The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints [Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage] nannte. (Seit 1915 billigen die Mitglieder auch den Namen „Mormonen".) Schon im vorhergehenden Jahre hatten Smith und Cowdery einander getauft und waren von Johannes dem Täufer in das „aaronitische Priestertum" eingeweiht worden. Während der Drucklegung des Buches erhielten Smith und einige andere von Petrus, Jakobus und Johannes das (höhere) „melchisedeksche Priesteramt". Das Zentrum der Kirche wurde 1831 nach Kirtland, Ohio, verlegt, 1838 nach Far West, Missouri, und 1841 in eine von den Mormonen von Grund auf neugebauten Stadt, Nauvoo, Illinois, die 20.000 Einwohner bekam (während Chicago nur 5.000 hatte!). Smith behauptete, Nauvoo sei hebräisch und bedeute „schöne Lage", doch handelt es sich eher um eine Verkürzung von Nahrwahro, einem Namen der Delaware-Indianer (s.u.). Im Jahre 1839 sandte Smith einige „Apostel", Brigham Young, Heber Kimball und einige andere, auf eine Missionsreise von 18 Monaten nach England. Schon 1841 gab es einige tausend Mormonen in Großbritannien, von denen 400 nach Nauvoo kamen. In wenigen Jahren wuchs die Kirche bis auf 35.000 Mitglieder. 1.3. Entwicklung nach Smith. Am 2.2.1846, kaum zwei Jahre nach dem Tod Smiths, führte Brigham Young einen Treck mehrere tausend englische Meilen westwärts, den man als die am besten organisierte Umsiedlung in der Geschichte Amerikas ansieht. Das Ziel war lange ungewiß, aber am 24.7.1847 erhob sich Young beim Einfahren in das Salzseetal in seinem Wagen und rief: „Dies ist der Platz, wo unsre Füße stehen bleiben und das Volk Gottes sich aufhalten soll". Binnen dreier Monate wurde das Salzseetal ein wohlgeordneter Wohnort für beinahe zweitausend Menschen.
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Mormonen
Das Salzseetal ging 1848 von M e x i c o an die USA über als der Staat Deseret [Wüste] und wurde 1850 Territorium mit dem Namen Utah. Dort wurde Brigham Young im selben Jahre Gouverneur und also sowohl geistlicher als auch weltlicher Führer. Er proklamierte die Vielweiberei als Pflicht 1852, was 1857 zu einem bewaffneten Konflikt mit der Regierung führte. Ohne Youngs Wissen veranstalteten eine Gruppe von M o r monen aus Süd-Utah und viele Indianer ein Gemetzel an Regierungstruppen und Zivilisten, wobei 120 Menschen getötet wurden. Der M o r m o n e , der das Gemetzel angestiftet hatte, wurde hingerichtet, und Young mußte das Gouverneursamt verlassen. Der Konflikt wurde immer schärfer. Die Erweiterung der Union Pacific Eisenbahn durch Utah 1869 öffnete Einblicke in die Verhältnisse der Mormonen, und der Kongreß schuf Gesetze gegen die Vielweiberei. Brigham Young starb 1877. Die Mormonenkirche wurde aufgelöst und ihr Eigentum 1887 vom Staat eingezogen. Daraufhin verfaßte Weltpräsident Wilford Woodruff 1890 sein berühmtes Manifest gegen die Vielweiberei 1890 (s.u. 2.7.). Das kirchliche Eigentum wurde zurückerstattet zwischen 1894 und 1896, und Utah wurde 1896 eigener Staat. Das Ausmaß der Vielweiberei unter den Mormonen darf jedoch nicht übertrieben werden. M a n rechnet damit, daß nur ein Fünftel der männlichen Mitglieder der Kirche mit mehreren Frauen lebte, während diese Ordnung in Kraft war. Im Jahre 1894 wurde die genealogische Arbeit organisiert, die heute mit Mikrofilm und Datentechnik betrieben wird. Vor kurzem ist ein unterirdisches Archiv in Little Cottonwood Canyon gebaut worden, ca. 30 km südöstlich von Salt Lake City. Das Archiv, im Granitfelsen eingesprengt, faßt Microfilme mit 5 Milliarden Namen. Das Mormonentum hat sich immer der Bildung und Kultur gewidmet. Die Brigham Young Universität in Provo, südlich von Salt Lake City, wurde 1909 der Kirche eigen. Zu Anfang dieses Jahres brach ein Streit über die Entwicklungslehre in Salt Lake City und Provo aus, aber kein Universitätslehrer wurde abgesetzt. Der Weltpräsident Joseph F. Smith schrieb vorsichtig, daß sich die Kirche nicht darüber ausspricht, „inwieweit die Evolution wahr ist und wieweit falsch". Auf musikalischem Gebiet ist der Tabernakelchor weltberühmt (er sang u.a. bei der Einweihungsfeier Präsident Nixons), und eine ebenbürtige Stellung nimmt der Chor mit dem Namen „The Mormon Youth Symphony and Chorus" ein. Das führende Theater ist The Promised Valley Playhouse, das jährlich Festvorstellungen in Palmyra, Oakland und anderswo gibt. Die berühmtesten Mormonenmissionare der Welt sind die Pop-Gruppe Osmonds mit den Mitgliedern Marie, Jimmy, Donny, Jay, Merill, Wayne und Allan, die alle in Utah aufgewachsen sind. Ihre sieben Goldenen Schallplatten sind eine enorme Reklame für die Mormonenkirche gewesen. Ähnliche Bedeutung hatten die Brüder Herrey, die das Eurovisionsfestival 1984 gewannen. Die Zeitung der Kirche sind die Deseret News von 1850. In Liverpool erschien der Latter-day Saints Millennial Star 1840-1970, zur Kirche gehören außerdem die Buchverlage Deseret Books und Deseret Press und 13 Rundfunk- und Fernsehstationen in allen Teilen der USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Krankenhäuser und Wohlfahrt sehr wichtig. Eine Sehenswürdigkeit ist Bishop's Warehouse außerhalb von Salt Lake City, ein Lager für alle für die Bedürftigen gesammelten Gaben. Unter dem kraftvollen und international ausgerichteten Präsidenten David O. McKay (1951 — 1970) wuchs das Missionswerk sprunghaft. Während der 70er Jahre wurde das Mormonentum besonders in Spanien, Italien, Japan, Korea und Taiwan mit einer Verdreifachung der Mitgliederzahlen verbreitet. Während der 80er Jahre standen Süd- und Mittelamerika auf dem Plan, mit einer Vervierfachung der Zahlen als Resultat. Am 3 1 . 1 2 . 1 9 9 0 lag die Zahl der Mormonen weltweit bei 7.300.000. Im Jahre 1985 trat ein Ereignis ein, das die Mormonenkirche tief erschütterte. In seiner Autobiographie von 1838 schildert Smith selbst, wie er sich bei himmlischen Gesandten nach den Tafeln erkundigte. Jetzt fand man im Archiv der Kirche einen Brief, von dem Zeugen der Platten Martin Harris schon 1830 geschrieben, der für echt erklärt wurde. Dieser beschreibt Smith als äußerst abergläubisch; bei der Auffindung der Platten habe ihn ein Geist in der Gestalt eines weißen Salamanders geleitet. Der
Mormonen
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Brief verursachte große Aufregung, und viele Mitglieder verließen die Kirche mit der Begründung, da Smith acht J a h r e nach dem Ereignis einen Salamander in einen Engel verwandle, k ö n n e m a n dem Buch M o r m o n in keiner Weise trauen. Die Krise w u r d e ü b e r w u n d e n , indem der Weltpräsident Joseph Fielding Smith erklärte, d a ß der Brief H a r r i s , o b w o h l echt, keine Auswirkungen auf den Glauben der Kirche haben k ö n n e . 2. Lehre und
Leben
2.1. Heilige Schriften. Die M o r m o n e n erkennen vier Schriftsammlungen als G r u n d f ü r G l a u b e n , Leben und K i r c h e n o r d n u n g an: Sie ist, g e m ä ß Art. 8 des Glaubensbea. Die Bibel in der King-]ames-\Jbersetzung. kenntnisses, „ W o r t Gottes insoweit sie richtig übersetzt ist". Smith verfaßte eine eigene „vollständige Übersetzung", die lediglich eine Revision der englischen Kirchenbibel ist. Als Beispiele von Stellen, an denen Smith den Text änderte, k ö n n e n genannt w e r d e n : Gen 6,6, N u m 23,9, R o m 8,26 und H e b r 6,1. Diese Version ist in der H a u p t k i r c h e (Utah M o r m o n e n ) verboten, wird aber von der Reorganisierten Kirche (s. u. 3.) verwendet. b. Das Buch Mormon besteht, wie das N e u e Testament, aus einzelnen, voneinander unabhängigen Schriften (15 Schriften), wie I—IV N e p h i , M o s i a h , Alma, M o r o n i . (Im folgenden wird es als M B oder durch A b k ü r z u n g einzelner Schriften zitiert.) c. Die Lehre und Bündnisse (The Doctrine and Covenants, als L u. B zitiert), in Kirtland 1855 herausgegeben. In 156 Kapiteln enthält das Buch O f f e n b a r u n g e n an J o s e p h Smith vor und nach 1830, u . a . das b e r ü h m t e Wort der Weisheit (Kap. 89, 1833), eine Erzählung von seinem M ä r t y r e r t o d (Kap. 135) und eine O f f e n b a r u n g durch Brigham Young (Kap. 136, 1847). d. Die köstliche Perle (The Pearl of Great Price, KP zitiert), die aus verschiedenen Schriften besteht, u . a . einem Z u s a t z zu Gen 5 über H a n o k (Henoch), der als Vorbild f ü r Smith betrachtet wird. Weiter enthält KP einige Auszüge aus Smiths Geschichte u n d die dreizehn Glaubensartikel. 2.2. Das Material. Vieles in der mormonitischen Literatur scheint fast wörtlich der Bibel e n t n o m m e n . Smith, der nicht lesen k o n n t e , hat unzählige christliche Predigten gehört, den Stoff in sein Gedächtnis a u f g e n o m m e n und mehr oder weniger u n b e w u ß t in seinen Auditionen wiedergegeben. N e b e n KP existiert z.B.: I N e p h 2 0 - 2 1 = Jes 4 8 - 5 0 ; II N e p h 7 - 8 = Jes 5 0 - 5 1 ; II N e p h 1 2 - 2 4 = Jes 2 - 1 4 ; III N e p h 1 2 - 1 4 = M t 5 - 7 ; III N e p h 22 = Jes 54; III N e p h 24f = M a l 3 f ; M o s i a h 14 = Jes 53. Woher aber k o m m t das außerbiblische Material? (vgl. T R E 7,271,26ff). Eine T h e o r i e verweist auf eine Schilderung des Geistlichen Solomon Spaulding über den Ursprung der Indianer, die Smith habe hören k ö n n e n . F a w n M . Brodie h a t aber bewiesen, d a ß dies aus zeitlichen G r ü n d e n unmöglich ist. Meine eigene T h e o r i e in Red Indian Elements in early M o r m o n i s m , Temenos 5 (1969) w u r d e u. a. von G ü n t e r Lanczkowski (Geschichte der Religionen, 1972) gutgeheißen und von der indianischen Amerikanistin Inez T a l a m a n t e z gebilligt: Der außerbiblische Stoff in M B zeigt große Übereinstimmungen mit der Religion des A l g o n k i n s t a m m e s Leni Lenape, der im 18. Jh. in der schwedischen Kolonie D e l a w a r e w o h n t e und d a n n , eben zur Zeit Smiths, im östlichen Pennsylvania, südöstlichen N e w York und dem g r ö ß ten Teil N e w Jerseys. Wir finden zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen den M y t h e n von Leni Lenape und den Erzählungen Joseph Smiths. Die H a u p t e r z ä h l u n g e n in M B sind folgende. G e m ä ß Ether 1 - 6 k a m ein gewisser J a r e d aus der babylonischen S p r a c h v e r w i r r u n g im J a h r e 2250 v . C h r . über Ostasien u n d den Stillen O z e a n zur Westküste Z e n t r a l a m e r i k a s , von w o seine N a c h k o m m e n sich über den K o n t i n e n t ausbreiteten. D u r c h einen Bürgerkrieg w u r d e n alle ausger o t t e t außer Ether, der die Geschichte auf 24 Tafeln niederschrieb, die er in einem Hügel bei C u m o r a h verbarg (Eth 1 3 - 1 5 ) . D o r t w u r d e n sie 122 v . C h r . von Limhi aus der nächsten Invasionswelle g e f u n d e n (Mosiah 8 , 9 - 1 1 ; 21,27).
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U m 6 0 0 v . C h r . k a m nämlich ein M a n n namens Lehi mit seinem hellen Sohn Nephi und dem dunklen J a r e d aus „ J e r u s a l e m s L a n d " in einem B o o t , von einer Messingkugel gelenkt (1 Neph 1 - 1 8 ) . Über das R o t e M e e r , den Indischen Ozean und den Stillen Ozean langten sie 5 9 0 v . C h r . an der Westküste Chiles an. Nephi schrieb auch diese spätere G e s c h i c h t e auf Platten nieder, die ebenfalls im Hügel bei C u m o r a h niedergelegt wurden (1 Neph 19, 1 - 5 ) . Seine N a c h k o m m e n bilden die weiße Bevölkerung Amerikas vor C o l u m b u s , während L a m a n der S t a m m v a t e r der Indianer ist (2 Neph 5 , 2 1 - 2 4 ) . Dies ist die Haupterzählung, in M B mit unbegreiflichen Buchstaben niedergezeichnet, die nur Smith deuten konnte. So wurden die Vorfahren der M o r m o n e n entdeckt. Tatsächlich haben die Leni Lenape Indianer eine S t a m m e s c h r o n i k , genannt W a l ä m O l ü m , in hölzernen Scheiben eingeritzt mit geheimen Z e i c h e n , die nur die Weisen des S t a m m e s durch mündliche Tradition deuten k ö n n e n . Sie wurde von C . S . Rafinisque in Lexington im J a h r e 1830 interpretiert und 1836 gedruckt. In Waläm O l ü m wird von einem hellen und einem dunklen Zwilling als Stammvätern der Bevölkerung erzählt, und es wird beschrieben, wie der S t a m m von Westen über die großen M e e r e k a m . Die C h r o n i k endet mit der Ankunft der Weißen in zwei Invasionswellen 1497 und 1625. Der Schwede Per L u n d s t r ö m , der während der schwedischen Z e i t in Delaware w o h n t e , erzählt, daß die Leni Lenape von einem „ G r o ß e n M a n n " sprachen, der vom Himmel herunter k a m , im S t a m m lebte, dann zum H i m m e l fuhr mit dem Versprechen wiederzukommen - niemals aber zurückkehrte. Desgleichen erzählt 3 Neph 11—28, daß Jesus Christus unter den Nephiten niederstieg und viel von seiner Geschichte wiederholte: J ü n g e r berief, eine Bergpredigt hielt, Kinder segnete usw., und endlich gen H i m m e l fuhr. Im J a h r e 4 2 1 n . C h r . wurden die Nephiten von den Lamaniten ausgerottet. Der Letzte war M o r o n i , der seine eigene Tafel nebst Nephis und Ethers im Hügel bei C u m o r a h verbarg, w o Smith sie 1827 fand und dechiffrierte. Hinter einem Vorhang sitzend diktierte er den T e x t Oliver C o w d e r y , und M B wurde 1830 gedruckt.
2.3. Gottesvorstellungen. MB spricht oft von Gott als einem, z.B. Mor 8,18: „Gott ist nicht ein parteiischer Gott oder ein veränderlicher, sondern ein unveränderlicher". Aber gegen Ende seines Lebens machte Smith geltend, daß Gott der Vater und Jesus Christus zwei unterschiedene Götter mit „Körpern aus Fleisch und Knochen" sind, während der Heilige Geist eine „geistige Person" ist (L u. B 130,22). Entsprechend finden wir bei Leni Lenape, daß Gishelemukaong der Schöpfer ist, der mit einem Gesicht in jeder Richtung am Mittelpfahl der großen Hütte dargestellt wird, während Kitchi manitu ein unabbildbarer Geist ist. 2.4. Das Böse und die Erlösung. In biblischen Zitaten wird oft von einer bösen Macht gesprochen und von der Verdammnis böser Geister und Menschen. Smith aber tut alles, um eine Apokatastasis panton zu verkünden: „Zuletzt werden alle Menschen ewiges Leben haben" (Alma 1,4). Die Hölle ist ganz einfach die Geisterwelt. — Die DelawarePropheten meinten, daß Teufel und Hölle nur für Weiße da sind, und sahen sich nicht in der Lage, eine scharfe Grenze zwischen Gut und Böse zu ziehen. In MB wird im Anschluß an das Neue Testament von Erlösung und Versöhnung gesprochen. Sonst herrscht aber eine ganz pelagianische Heilslehre, z.B. im Glaubensbekenntnis, Art. 3: „Die ganze Menschheit kann erlöst werden durch Gehorsam gegen die Gesetze und Verordnungen des Evangeliums". Den Versen Rom 9,16 und Gal 3,11 f, die besagen, daß die Erlösung nicht durch das Gesetz kommt, wird ausdrücklich von Alma 42,25 und L u. B 76,52 widersprochen. Die gewöhnliche indianische Erlösergestalt fehlt sonderbarerweise bei den Leni Lenape und den Arapaho. 2.5. Zwei Arten von Kultus. Im Gegensatz zu allen christlichen Kirchen, die überall in den Kirchen dieselbe Arten von Gottesdiensten halten können, haben die Mormonen zwei verschiedene Arten von Gotteshäusern: a. Das Tabernakel in Salt Lake City von 1870 mit 9.000 Sitzplätzen und Kapellen in anderen Städten für Gebet, Gesang, Zeugnisse, offen für alle Leute. b. Den Tempel in Salt Lake City von 1850-1893, zwei weitere in Utah, einen in Bern, London, Berlin, Västerhaninge (Schweden) und 14 verschiedenen Orten der Welt für folgende Riten: Segnung für die himmlische Ehe, höhere Priesterweihen und Taufe für die Toten.
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Ebenso kennen auch Lenape und Chippewa zwei Arten von Gotteshäusern: a. Die große Hütte, in die alle Zutritt haben. b. Die Medizinhütte, nur für mide offen, d.h. Männer und Frauen großen Ansehens. Bei den Delawaren, wie auch bei den Mormonen, haben alle Priester noch einen zweiten Beruf. 2.6. Verbindung mit den Toten. Im Jahre 1840 erklärte Smith, daß ein Mitglied gemäß I Kor 15,29 einen verstorbenen Verwandten zum Mormonen machen kann, indem es sich selbst um seinet- oder ihretwillen aufs neue taufen läßt. Zur Kenntnis verstorbener Verwandter gibt es jetzt eine „Genealogische Gesellschaft" in Salt Lake City, die 400.000 Mikrofilme gesammelt hat, die 2 Millionen Geburtsbüchern und Volksregistern aus der ganzen Welt entsprechen. Nachkommen können auch für verstorbene Gatten „Ehe für die Ewigkeit" erwerben durch eine stellvertretende Weihehandlung (s.u. 2.11.). Die Delawaren wiederum wissen genau von ihren Vorfahren und können oft lange genealogische Listen auswendig. Wenn ein Sohn bei den Algonkin gefallen ist, kann man einen anderen jungen Mann adoptieren, der seinen Platz ausfüllt. 2.7. Vielweiberei. Vielweiberei wird in der ältesten mormonischen Literatur vielfach verurteilt (Jak 1,15; 2,24ff, L u. B 42,22f; 49,16). Smith nahm aber 1843 eine zweite Frau und erhielt im selben Jahr eine Offenbarung über plural marriage, die erst von Brigham Young 1852 veröffentlicht wurde (L. u. B 132). Der Zweck ist ausdrücklich der, viele Kinder zu bekommen (L u. B 42,17; 132,30). Forschungen von Fawn M. Brodie haben gezeigt, daß Smith bei seinem Tode 49 Frauen hatte, Young 20 Frauen und 49 Kinder und dessen Patriarch (s.u. 2.10.), Heber C. Kimball, 45 Frauen und 65 Kinder. Auf Druck des amerikanischen Staates hin veröffentlichte der dritte Weltpräsident, Wilford Woodruff, 1890 ein Manifest gegen die Polygamie (L u. B Zusatz). Der Mormonentheologe John J. Stuart erklärte aber noch 1961: Die Offenbarung der Vielweiberei „ist und wird immer ein fester Bestandteil der Schriften der Heiligen der Letzten Tage sein". Und moderne Mormonen bekämpfen die Kinderbegrenzung mit Schlagworten wie: „Laßt die wartenden Scharen kommen! Laßt Kinder geboren werden auf Erden!" Auch die Delaware-Propheten hatten im 18. Jh. mehrere Frauen, und bei den Lenape — wie bei den anderen Indianerstämmen — lebt der Glaube an das vorherige Dasein der Menschen auch in der Vorstellung eines „Kinderlandes", wo die Kindergeister darauf warten, einen Leib zu bekommen. Waläm Olüm spricht ausdrücklich von der Erschaffung der Kindergeister durch den Großen Geist (I, 10). 2.8. Ethik und Sitte. Die Moral der Indianer wird von einem starken Zusammenhalt in Familie und Stamm gekennzeichnet und durch die Betonung von sozialem Fleiß und Einsatz. Untersuchungen zufolge legen die Mormonen größeres Gewicht auf Familie und Verwandtschaft als die übrigen Amerikaner. In der Wirksamkeit der Kirche macht man keinen Unterschied zwischen verschiedenen Altersgruppen wie in den christlichen Kirchen (Sonntagsschule, Junioren, Senioren u.s.w.), sondern man sammelt sich familienweise. Daraus erwächst das Problem, daß junge Mormonen, z. B. an der Universität, Kuratoren und Psychotherapeuten oft Mühe bereiten auf Grund ihrer Unfähigkeit, auf eigenen Beinen zu stehen. Den sog. Worten der Weisheit gemäß (L u. B 89) darf ein Mormone nicht Wein oder „strong drinks" trinken, was heutzutage Kaffee, Tee (oder Tabak) bedeuten soll. Eine Ausnahme ist, daß selbstgemachter Wein im Sakrament benutzt werden darf (V. 5 f, s. u. -2.11.). Fleisch soll nur in Maßen gegessen werden. Tanz ist erlaubt, ja wird sorgsam gepflegt, wie bei den Indianern. Die übrigen Sitten sind ungefähr dieselben wie im Christentum. Ein Mormone soll jedoch keine Sozialhilfe in Anspruch nehmen und nicht an Demonstrationen teilnehmen oder streiken. Ein dunkler Punkt in der Geschichte des Mormonismus ist die sog. Blutversöhnung. Smith richtete 1836 eine geheime Schutzmannschaft ein, die Daniten (nach Gen 49,16 f),
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bzw. nach 1843 die „schädigenden Engel" (nach Apk 7,2). Besonders Young brach allen Widerstand mit Hilfe der Daniten und strafte alle schwereren Sünder mit Blutvergießen unter Berufung auf Hebr 9,22: „Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung". Ein anderer dunkler Punkt ist die Einstellung der Mormonen zu den Schwarzen. Im Anschluß an Gal 3,28 hält II Neph 26,33 fest, daß, ob schwarz oder weiß, alle gleich sind vor Gott. Später erklärte aber Smith, daß schwarze Hautfarbe das „Kainsmal" war, denn „Kains Samen war schwarz" (KP 7; 22). Vor einigen Jahren ist jedoch eine unerwartete Wendung eingetreten. Man hat immer gemeint, Gott könne dem Propheten, Seher und Schauer neue Dinge offenbaren, und der Weltpräsident hatte darum in den Jahren 1890 und 1918 Zusätze zu L u. B gemacht. Jetzt kam am 8.6.1978 ein solcher Zusatz, der in die Ausgabe von 1982 aufgenommen worden ist. Weltpräsident Spencer W. Kimball schreibt: „Also dürfen alle würdigen männlichen Mitglieder der Kirche zum Priesteramt geweiht werden ohne Rücksicht auf Rasse oder Hautfarbe". 2.9. Mormonen und Delawareindianer. Wir haben eine Reihe von Ähnlichkeiten zwischen dem Leben und den Sitten der Delawareindianer und den Anfängen der Mormonen gesehen. Auch ein direkter geschichtlicher Zusammenhang kann nachgewiesen werden. Smith wuchs in den Gegenden heran, wo die Lenapeindianer einst verbreitet waren, und während der Periode 1760-1813, also noch während seiner ersten acht Lebensjahre, erfolgte eine religiöse Erweckung mit starken prophetischen Einschlägen unter diesen Indianern. Wir wissen, daß einer von Smiths ersten Nachfolgern, Orson Pratt, Waläm Olüm kannte. Kann dies auch für Joseph Smith zutreffen? Fünf Monate nach der Drucklegung von MB und der Gründung der Kirche sandte der Prophet Missionare - zu den Leni Lenape in die Staaten New York, Ohio und Missouri! Es scheint plausibel, daß Smith in seiner Kindheit Delawarepropheten gehört hat und in seiner Jugend solche getroffen hat. Warum sollte er sonst so oft von ihnen in M B gesprochen haben? 2.20. Organisation. Die Organisation der Mormonenkirche ist recht kompliziert. Zuoberst steht „die erste Präsidentschaft", die aus dem Weltpräsidenten und zwei anderen besteht. Der Präsident führt den Titel „Prophet, Seher und Offenbarer". Danach folgen die vier Grade des melchisedekschen (mehr geistlichen) Priestertums, nämlich die 12 Apostel, die Hohepriester, die 70 (vgl. Lk 10,1, jetzt 72) und die Ältesten. Die Apostel und die 70 reisen viel im Dienst der Mission und des Zusammenhalts der Kirche. Zum melchisedekschen Priestertum gehört auch der Patriarch, Träger eines Amtes, der auf Reisen verschiedene Segen spendet. Das aaronitische (mehr weltliche) Priestertum hat ebenfalls vier Grade: Bischof, Priester, Lehrer und Diakon. Der Bischof hat vor allem die Aufsicht über die Angelegenheiten der Kirche, während die Priester zu predigen haben, Hausbesuche machen und bei der Austeilung der Sakramente behilflich sind. Sehr wenige von diesen Ämtern sind Vollzeitdienste, die meisten Inhaber haben darüber hinaus einen profanen Beruf. Das gilt besonders für die aaronitischen Dienste, weil drei Viertel von allen Mormonen einen solchen Dienst haben. Man wird mit 12 Jahren zum Diakon, zum Lehrer mit 14 und zum Priester mit 16 Jahren ordiniert. Die beiden Priestertümer gehören im großen und ganzen mit den beiden Gemeinschaftsformen der Mormonenkirche zusammen: stake und ward. Ein stake ist eine Kirchenabteilung mit 1.500-10.000 Mitgliedern, von drei Hohepriestern geleitet. Ein ward ist kleiner und hat einen Bischof mit zwei Ratgebern an der Spitze. 2.11. Gottesdienst und Sakrament. Die Mormonen haben zwei verschiedene Gottesdiensthäuser. Im Tabernakel in Salt Lake City und in Kapellen in der ganzen Welt werden Gottesdienste gehalten, vor allem sonntags, nebst Taufe, Abendmahl und Trauung. Die Gottesdienste bestehen aus Lesung aus dem MB, Zeugnissen, Gebet, Chor- und Gemeindegesang. Die Taufe wird im Alter von 8 Jahren durch Untertauchen vollzogen. Sie meint eine Übereinkunft, den Forderungen des Evangeliums zu gehorchen, reinigt von den Folgen der Sünden und führt in die Kirche hinein. Nach Abtrünnigkeit und
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Wiedereintritt wie nach schwereren Sünden wird wiedergetauft. Abendmahl wird jede Woche gefeiert als Gedächtnismahl. In L u. B 89,5 wird Wein verboten außer „beim Genießen des Sakraments" (vgl. L u. B 2 7 , 2 - 4 ) , doch seit 1896 bestehen „die Embleme" ( = die Abendmahlselemente) aus Brot und Wasser. In den bislang 20 fungierenden Tempeln, zu denen Nichtmormonen unter keinen Umständen Zutritt haben, vollziehen sich folgende heilige Handlungen: Taufe für Tote, Priesterweihen für das melchisedeksche Priestertum (nicht für das aaronitische!) und Trauungen für die Ewigkeit. Die Taufe für Tote geht so vor, daß ein Nachfahre eines Nichtmormonen sich in dem großen Taufbecken des Tempels für jenen taufen läßt (nur für einen zugleich!). Gewöhnliche Trauungen durch einen Bischof oder die bürgerliche Obrigkeit gelten „bis der Tod sie trennt". Wenn aber ein Mann von einem Ältesten zum melchisedekschen Priestertum geweiht worden ist, können er und seine Frau „die Segnungen der ewigen Ehe empfangen", so daß die Gemeinschaft zwischen ihnen (und zwischen ihnen und den Kindern!) auch jenseits des Todes andauert. Diese Gabe kann auch Dahingeschiedenen gewidmet werden, die sich dessen verdient gemacht haben. 2.12. Die letzten Dinge. Gleich wie Smith ein vorgeburtliches Dasein der Menschen in der geistigen Welt gelehrt hat, so hat er auch eine Lehre von einem Dasein nach dem Ende der Zeit vor dem letzten Ende. Es heißt im Glaubensbekenntnis, Punkt 10: „ W i r glauben, daß Sion auf dem amerikanischen Festland gegründet werden wird, daß Christus persönlich auf Erden regieren wird, daß die Erde erneuert werden und ihre paradiesische Herrlichkeit b e k o m m e n w i r d . "
Wenigstens während dieser Zeit kann und soll der Mensch gemäß „dem Gesetz des Fortschritts" weiterentwickelt werden und Gott ähnlich sein. Der fünfte Präsident, Lorenzo Snow, formuliert: „Was der Mensch ist, ist Gott einmal gewesen, und was Gott ist, kann der Mensch einmal werden". Durch Fehlinterpretation von I Kor 15,41 wird in L u. B 7 6 , 5 0 - 1 1 9 eine Lehre von drei Herrlichkeiten entwickelt. Sie unterscheidet: telestiale Herrlichkeit (von xiXoQ, Ende), derjenigen der Sterne zu vergleichen, sie wird denjenigen gegeben, die das Evangelium Jesu nicht empfangen haben, aber durch Vermittlung der Engel vom Teufel erlöst werden; terrestiale Herrlichkeit (von lat. terra, Erde), derjenigen des Mondes vergleichbar, wird auf der neuen Erde genossen, sie kommt z. B. denen zugute, denen Jesus im Gefängnis predigte (I Petr 3,19), die nicht den Mut hatten, Jesus zu bezeugen (L u. B 7 6 , 7 1 - 8 0 ) ; celestiale Herrlichkeit (von lat. coelum, Himmel), derjenigen der Sonne vergleichbar, an ihr haben die „Erhöhten" Anteil, die empfangen, gehorcht und geglaubt haben, sie sind Götter, nämlich Gottes Söhne (L u. B 76,58). Dem stehen „die Söhne der Verdammnis" gegenüber, die dazu verurteilt sind, „Gottes Zorn zusammen mit dem Teufel und seinen Engeln in Ewigkeit zu erleiden" (L u. B 76,33). Daß die Mormonen die Lehre von ewigen Strafen nicht kennen, wie man bisweilen hört, trifft also nicht zu. 3.
Abspaltungen
Es gibt viele Sezessionen aus der Mormonenkirche, die größtenteils bald nach dem Tode Smiths dort entstanden, wo man Brigham Young nicht als Präsidenten anerkennen wollte. Die bedeutendste ist The Keorganized Church of Jesus Christ of Latter Day Saints. Sie sammelte sich 1852 um die Familie Joseph Smiths (mit seiner „ersten Witwe" Emma). Im Jahre 1860 wurde der Sohn Joseph III. Präsident. Er hielt sich an Smiths complete version, in der die Vielweiberei nicht vorkommt, und erkannte die KP nicht an. Das Hauptquartier liegt in Independence, Zeitung ist der Saint's Herald, die Mitgliederzahl liegt bei über 22.000. Das Verhältnis zwischen dieser Kirche und den Utah-Mormonen wird als „höflich, aber kühl" beschrieben. Eine andere frühe Gruppe ist The Church of Jesus Christ, die sich um Smiths Helfer Sidney Rigdon sammelte, der 1845 zum Präsidenten gewählt wurde, Smith aber für
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einen „ f a l s c h e n P r o p h e t e n " e r k l ä r t e . D i e s e G r u p p e zählt viele M i t g l i e d e r in E u r o p a und h a t M B ins I t a l i e n i s c h e ü b e r s e t z t . Ein Z e n t r u m liegt in R o t t w e i l in W ü r t t e m b e r g . E i n e d r i t t e G r u p p e w i r d Church
of
Christ
Temple
Lot
( T e m p e l h o f ) g e n a n n t , weil
sie den H o f b e s i t z t , den S m i t h 1 8 3 1 als „ e w i g e n T e m p e l " a n s a h . Sie v e r w i r f t die Vielw e i b e r e i , die T a u f e für T o t e und die L e h r e v o n der E r h ö h u n g des M e n s c h e n zu G o t t nach dem Tode. D i e Fundamentalisten,
mit Z e n t r u m in C o l o r a d o C i t y , A r i z o n a , h a l t e n so v e h e m e n t
an der V i e l w e i b e r e i fest, d a ß v o n d o r t M i s s i o n a r e n a c h U t a h g e s a n d t w e r d e n , w o m a n „ d e n G l a u b e n h i n t e r g a n g e n " h a b e . M a n s c h ä t z t , d a ß diese M i s s i o n so effektiv w a r , d a ß es allein im F e l s e n g e b i r g e 2 0 . 0 0 0 M ä n n e r und F r a u e n g i b t , die in V i e l w e i b e r e i l e b e n . Literatur Mormoniscb: The Book of Mormon. An Account written by the Hand of Mormon upon Plates. Taken from the Plates of Nephi. Transl. by Joseph Smith, Jun. (1830), Salt Lake City 1980. - The Doctrine and Covenants of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints (1835). The Pearl of Great Price (1851), Salt Lake City 1982. - Teachings of the Prophet Joseph Smith. Selected and arranged by Joseph F. Smith, Salt Lake City 16th printing 1967. — James E. Talmage, A Study of the Articles of Faith. Being a Consideration of Principle Doctrines of the Church of Jesus Christ of Latter-day Saints (1899), Salt Lake City 45 1963. - Ders., Jesus the Christ (1915), Salt Lake City 1950. - Robert Mullen, The Mormons, London 1967. - Spencer W. Kimball, The Miracle of Forgiveness, Salt Lake City 1975. — Hugh Nibley, An Approach to the Book of Mormon, Salt Lake City 1972 1 1979. — Aus der Reorganisierten Kirche: The Book of Mormon transl. by Joseph Smith Jr, Compared with the original manuscript and the Kirtland edition of 1837, Lamoni Iowa 1968. - The Holy Scriptures, transl. and corrected by the Spirit of Revelation by Joseph Smith, Jun., the Seer, Lamoni Iowa 2 o 1920. Nichtmormonisch: Thomas G. Alexander, Mormonism in Transition. A history of the Latterday Saints 1 8 9 0 - 1 9 3 0 , Urbana 111. 1986. - Fawn M., Brodie, No Man Knows my History. The Life of Joseph Smith, the Mormon Prophet, New York 1946, London 1963. — Alain Gillette, Les Mormons theocrats du desert, Paris 1985. — Friedrich-W. Haack, Mormonen, München 5 1981. - Günter Lanczkowski, Geschichte der Religionen, Frankfurt/M. 1972. - Thomas F. O'Dea, The Mormons (1957), Chicago 1964. - Harry L. P.opp, The Mormon Papers. Are the Mormon Scriptures Reliable? Downers Grove 111. 1977. - Äke V. Ström, Red Indian Elements in Early Mormonism: Tem. 5 (1969) 1 2 0 - 1 6 8 . - Hans-Jürgen Twisselmann, Die Mormonen im Schatten ihrer Geschichte, Witten s 1977. Ä k e V. S t r ö m M o r o n e , Giovanni
(25.1.1509-1.12.1580)
1. Bischof und Diplomat 2. Die Jahre der Haft und des Verfahrens 3. Die Legation während der dritten Sitzungsperiode des Tridentinums 4. Nach Trient (Literatur S. 323) G i o v a n n i M o r o n e w u r d e a m 2 5 . J a n u a r 1 5 0 9 in M a i l a n d als S o h n von G i r o l a m o M o r o n e und A m a b i l i a F i s i r a g a g e b o r e n . Er war mit betroffen von den politischen Widrigkeiten, in die sich sein Vater verwickelt sah, als das Haus Sforza, dem er verbunden war, aus Mailand vertrieben wurde. Während die Familie in Trient und Modena Zuflucht fand, setzte sich der Vater Girolamo weiterhin für eine Rückführung der Sforza an die Macht ein. Der Wandel der politischen Gegebenheiten erlaubte ihm 1521 die Rückkehr nach Mailand, wo er zum Großkanzler des Herzogtums ernannt wurde. Die wiedergewonnene Gunst der Verhältnisse hielt jedoch nur kurze Zeit an. In die antikaiserliche Verschwörung von 1525 verwickelt, wurde Girolamo Morone in der Festung von Pavia inhaftiert. Für seine Freilassung wurde ein Lösegeld von 20.000 Dukaten bezahlt. Der Sohn Giovanni hatte sich 1526 vergebens um päpstliche Hilfe bei der Aufbringung dieser Summe bemüht. Girolamo starb 1529 und hinterließ seine Familie in großer wirtschaftlicher Bedrängnis. G i o v a n n i , d e r ein R e c h t s s t u d i u m in P a d u a a b g e s c h l o s s e n h a t t e , erhielt 1 5 2 8 die E r n e n n u n g z u m B i s c h o f v o n T o r t o n a , u m d a n n n a c h sehr k u r z e r A m t s z e i t 1 5 2 9 im A u f t r a g v o n —»Clemens V I I . seine erste d i p l o m a t i s c h e M i s s i o n bei - > F r a n z I. von F r a n k r e i c h wahrzunehmen.
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N a c h seiner vorübergehenden A m t s a u s ü b u n g in T o r t o n a wurde M o r o n e zur Übern a h m e der B i s c h o f s w ü r d e in den Bistümern M o d e n a und N o v a r a berufen. In seiner Eigenschaft als K a r d i n a l b i s c h o f bekleidete er zudem den R a n g eines T i t u l a r b i s c h o f s der suburbikarischen Bistümer A l b a n o ( 1 5 6 0 - 6 1 ) , S a b i n a ( 1 5 6 1 - 6 2 ) , Preneste ( 1 5 6 2 - 6 4 ) , T u s c o l o - F r a s c a t i ( 1 5 6 4 - 6 5 ) , P o r t o ( 1 5 6 5 - 7 0 ) und O s t i a ( 1 5 7 0 - 8 0 ) . Seine Amtszeit in Modena zerfällt in zwei Perioden, von 1529 bis 1550 und von 1564 bis 1571. Nach seiner Bestellung zum Bischof konnte er infolge des Widerstandes von Alfonso d'Este erst am 28. Januar 1533 in Modena einziehen. Der Beginn seiner Tätigkeit in diesem Amt stand im Zeichen eines ausgeprägten Reformbewußtseins. Erste Aufgabe war die Wiederherstellung der geschwächten bischöflichen Autorität. Im März 1533 versammelte er alle Priester Modenas, um sie zur Reform aufzurufen, und erließ ein Edictum generale per visitationem, dem im Oktober 1533 die anberaumte Visitation folgte. Von 1533 bis 1536, als er Modena zu seiner ersten Nuntiatur verließ, rief er eine Reformbemühung ins Leben, für die ihm die Erfahrungen des Bischofs G. M. -•Giberti von Verona als Vorbild dienten. Während seiner häufigen Abwesenheit hielt sein Vikar Gian Domenico Sigibaldi an diesem Erneuerungskurs fest. Es ging dem Bischof um sittliche Hebung der Geistlichkeit, Residenzpflicht, Würde des Gottesdienstes, Beschränkung der Autonomie des Domkapitels und die Förderung der katechetischen Unterweisung; in ihrem Interesse begünstigte er 1539 eine Niederlassung der —»Kapuziner und 1542 den Druck eines Interrogatorio del maestro al discepolo per istruire Ii fanciulli e quelli che non sanno nella via di Dio [Befragung des Schülers durch den Lehrer zur Unterweisung der Kinder und Unwissenden im Weg Gottes]. Seinem reformerischen W i r k e n wurden j e d o c h vor allem durch seine kurialen und diplomatischen Aufgaben Grenzen gesetzt. Seine häufige A b w e s e n h e i t w a r sicherlich die g r ö ß t e S c h w ä c h e seiner nahezu dreißigjährigen Leitung des Bistums. M o r o n e wurde bald von gewichtigen d i p l o m a t i s c h e n Aufgaben in Anspruch g e n o m m e n , die ihn zu einer Schlüsselfigur in der G e s c h i c h t e des 16. J h . m a c h t e n . Nach einer ersten kurzen Tätigkeit 1529 am Hof Franz' I. erhielt er 1536 von -»Paul III. den Auftrag, Pietro Paolo —»Vergerio als Nuntius am Hof des römischen Königs —»Ferdinand I. abzulösen. Vom Dezember 1536 bis zum September 1538 hat er Ferdinand auf allen Reisen von Wien nach Prag, Passau, Graz, Görlitz und Dresden begleitet mit dem besonderen Auftrag, das nach Mantua ausgeschriebene Konzil voranzubringen. Dabei hatte er Gelegenheit, die eingehende Kenntnis von den religiösen und politischen Verhältnissen in Deutschland zu erwerben, die ihn in Italien zum ausgewiesensten Kenner auf diesem Feld werden ließ. N a c h einer U n t e r b r e c h u n g von S e p t e m b e r 1538 bis J u l i 1 5 3 9 zur K l ä r u n g familiärer P r o b l e m e in Italien n a h m er die N u n t i a t u r bei Ferdinand wieder auf. Er nahm an den -»Religionsgesprächen, zunächst 1540 in Hagenau und Worms und dann 1541 in Regensburg teil. Dabei stellte er seine große diplomatische Umsicht unter Beweis. Er sprach sich für eine baldige Eröffnung des Konzils aus, das er schon im Dezember 1536 für unerläßlich gehalten hatte, um einen Zusammenbruch der katholischen Stellung in Deutschland zu vermeiden. Morones Teilnahme am Reichstag und am Religionsgespräch in Regensburg hat grundlegende Bedeutung für die Vertiefung seines religiösen Bewußtseins gehabt. Sie bot ihm Gelegenheit, eine enge Beziehung zu Kardinal Gasparo -»Contarini anzuknüpfen, dem er nach dem Scheitern der Einigungsformel über die Rechtfertigungslehre entschlossen zur Seite stand. Im Gedankenaustausch mit Contarini gewann er Leitvorstellungen einer ausgeprägten Irenik und eine Sensibilität für die Dringlichkeit einer Kirchenreform. N a c h dem A b s c h l u ß des R e g e n s b u r g e r R e i c h s t a g s n a h m M o r o n e 1 5 4 2 a m R e i c h s t a g in Speyer teil und k o n n t e Trient als O r t des zukünftigen Konzils durchsetzen. Am 2. J u n i 1542 e r h o b ihn Paul III. in A n e r k e n n u n g seiner d i p l o m a t i s c h e n Fähigkeit zum Kardinal. Während seines Aufenthaltes in Deutschland mußte Morone mit Besorgnis ein Umsichgreifen lutherischen Gedankengutes in seinem eigenen Bistum Modena verfolgen. Er entwickelte eine Gegenstrategie, indem er die religiöse Opposition, die ihren Schwerpunkt im Umkreis der sogenannten Akademie hatte, aufzufangen und ohne Bruch wieder in die Kirche zurückzuführen suchte. Am 7. Mai 1542 nach Modena zurückgekehrt, ging er das Problem in enger Zusammenarbeit mit Contarini an, der damals Kardinallegat in Bologna war. Er forderte Zustimmung zu einer von Contarini verfaßten Glaubenserklärung, den Articuli orthodoxae professionis, die sich hauptsächlich mit
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den Sakramenten, der Heiligenverehrung, der Messe und dem Fegfeuer befaßte, ohne auf die Frage der Rechtfertigung durch den Glauben einzugehen. Morones irenische Haltung gegenüber heterodoxen Kreisen ließ ihn auch den Franziskaner Bartolomeo della Pergola zur Predigt nach Modena berufen, der später in ein Häresieverfahren verwickelt wurde. Seine 1544 im Dom von Modena vollzogene Abschwörung erscheint wie ein Schachzug Morones, um den Verdacht der Verbindung zu häretischen Auffassungen von sich abzuweisen. 1543 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Morone und dem Jesuiten Alfonso Salmeron, dem Morone die Fortsetzung seiner Predigttätigkeit in Modena untersagte, da er den Wert der auf Werke gegründeten Verdienste zu sehr betonte. Der Vorfall, der später, zur Zeit des Verfahrens gegen Morone, noch Folgen haben sollte, beeinträchtigte die insgesamt positiven Beziehungen Morones zu den Jesuiten nicht. Er unterbreitete 1549 Paul III. den Vorschlag zur Einrichtung des Collegium Germanicum, das dann 1552 gegründet und dem Jesuitenorden anvertraut wurde. Er war auch ein Förderer des Collegium Romanum. Auch daran wird deutlich, wie schwierig es ist, ein klares Bild Morones zu zeichnen. Er war fest von dem Nutzen der Societas Jesu für die Kirche überzeugt und unterstützte sie, solange er nicht die Auswirkungen ihrer Tätigkeit in seiner Diözese erfuhr. Im O k t o b e r 1542 wurde er z u s a m m e n mit den Kardinälen R e g i n a l d —»Pole und Pier P a o l o Parisio zum Legaten für das nach T r i e n t e n t b o t e n e , dann a b e r doch nicht zustande k o m m e n d e Konzil ( - > T r i d e n t i n u m ) e r n a n n t . Am 2 2 . N o v e m b e r 1 5 4 2 war er in T r i e n t . Die Zeit seines dortigen Aufenthaltes erwies sich als zweite wichtige Phase seiner geistlichen Bildung. Zu Contarinis Einfluß trat der von Kardinal Pole. Pole machte Morone im Herbst und Winter 1542/43 über die Vermittlung von Marcantonio Flaminio und Alvise Priuli zum Ziel einer subtilen religiösen Beeinflussung, in der offensichtlich ein Hintergrund von Theorien von Juan de Valdes aufscheint und die ihn gegenüber der irenisch-contarinischen Haltung zu einer weit radikaleren Einstellung kommen ließ. Wahrscheinlich damals machte er Bekanntschaft mit dem Schlüsseltext des geistlichen Lebens im Italien des sechzehnten Jahrhunderts, der kleinen Schrift Beneficio di Cristo, die er in der Folge in seinem Bistum Modena verbreitete. Während der Monate in Trient las er auch Werke von Juan de Valdes und Kardinal Federico Fregoso. Es läßt sich so seit dem Frühjahr 1543 ein entscheidender Wandel der religiösen Ausrichtung Morones beobachten, in dessen Verlauf die Vorstellungen von Reginald Pole, die durch die Gedanken von Juan de Valdes neue Anstöße empfangen hatten und einen radikalen Umschwung in den für die Kirchenreform besonders empfänglichen Kreisen bezeichneten, für ihn zentrale Bedeutung erhielten. Morone wurde zu einem Vorkämpfer der Kreise der spirituali, der Nachfolger der Ecclesia Viterbiensis, die sich um Pole gesammelt hatte. Im Juli 1543 verließ Morone nach dem Scheitern der Konzilsberufung endgültig Trient, doch seine Beziehung zu Pole war in den folgenden Jahren keineswegs weniger eng. 1553 war er der römische Referent der Legation Poles nach England. D e r in Trient vollzogene B e w u ß t s e i n s w a n d e l schlug sich auch in M o r o n e s p a s t o r a l e m W i r k e n und in seiner H a l t u n g als Kardinallegat für B o l o g n a in der Z e i t von M a i 1 5 4 4 bis Juli 1548 nieder. 1550 entsagte er dem A m t des B i s c h o f s von M o d e n a zugunsten von Egidio F o s c a r a r i , mit dem er w ä h r e n d der dritten Sitzungsperiode des —>Tridentinums n o c h eng zus a m m e n a r b e i t e n sollte. Im S e p t e m b e r 1 5 5 2 wurde er zum B i s c h o f von N o v a r a e r n a n n t . Sein dortiger V i k a r w a r der Corner Geistliche G i o v a n n i G i o r g i o P a r r a v i c i n o . Im D e z e m b e r 1 5 5 2 n a h m er von seinem neuen B i s t u m und dem d a m i t verbundenen Lehen a m O r t a s e e Besitz. D o c h wie in M o d e n a m a c h t e n auch hier seine kurialen A u f g a b e n eine stete Residenz u n m ö g lich. Seine Abwesenheit hinderte ihn an der Entfaltung einer wirksamen Reformtätigkeit, wie er sie auch hier nach dem Vorbild des Bischofs Giberti von Verona durchführen wollte. Eine Spur seines Reformbestrebens ist in den am 25. Januar 1553 in Novara gedruckten Aedicta sive constitutiones erhalten, die Anweisungen an die Weltgeistlichkeit zur Seelsorgearbeit enthalten. 1554 brachte er in Novara die Pastoralanweisung Ea quae praedicatores docere et omnino et nullo modo praeterire debebunt [Was die Prediger lehren und um keinen Preis übergehen sollen] heraus, die einen von Marcello Cervino in seinem Bistum Gubbio verwendeten Text aufnimmt. Die unmittelbare Absicht war, heterodoxen Verirrungen in der Predigt entgegenzutreten; doch läßt sich nicht ausschließen, daß Morone mit einem mehr nach Rom als nach Novara gerichteten Blick auch seine Festigkeit
Morone
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in der O r t h o d o x i e b e k u n d e n u n d Unterstellungen e n t g e g e n w i r k e n wollte. In die Zeit in N o v a r a gehört auch ein unliebsamer Vorfall im Gefolge seiner an L o r e n z o D a v i d i c o gerichteten A u f f o r d e r u n g zur Predigt u n d Unterweisung. Der von M o r o n e z u m L a n d d e k a n e r n a n n t e Davidico h a t t e sich nämlich der U n t e r s c h l a g u n g u n d Übervorteilung schuldig g e m a c h t , u n d der Vorfall h a t t e auch für M o r o n e unerfreuliche N a c h w i r k u n g e n . M o r o n e s T ä t i g k e i t als Bischof von N o v a r a endete 1560.
Während des Pontifikats von —»Julius III., der am 27. Februar 1550 Morone auch zum Mitglied der Inquisition ernannt hatte, erhielt Morone die gewichtige Aufgabe, für den Augsburger Reichstag von 1555 das Amt des Legaten beim Kaiser wahrzunehmen. Er brach am 18. Februar 1555 aus Rom auf und traf am 24. März in Augsburg ein. Als theologische Berater hatte er die Jesuiten Jeronimo Nadal und Diego —>Lainez bei sich. Doch schon am 29. März erhielt er die Nachricht vom Tod des Papstes. Er verließ daher in Begleitung von Kardinal Otto Truchseß von Waldburg in großer Eile Augsburg, um zum Konklave nach Rom zurückzukehren. Auf diesem Konklave wurde Marcello Cervini (Marcellus II.) und nach dessen plötzlichem Tod in einem erneuten Konklave Giampiero Carafa (—»Paul IV.) zum Papst gewählt. Beide Konklaven besiegelten eine Niederlage der kaiserlichen Partei — und damit auch Morones —, die auf ihnen wohl letztmals als geschlossene Gruppierung in Erscheinung trat. Der Rückzug —•Karls V. von der politischen Bühne und das Scheitern seiner politischen Pläne veränderten auf den folgenden Konklaven tiefgreifend das Gewicht der Stellungnahmen aus dem Kreis der dem Haus Habsburg nahestehenden Kardinäle. 2. Die Jahre der Haft und des
Verfahrens
Am 26. Juni 1555, etwa einen Monat nach seiner Wahl, leitete Paul IV. ein umfassendes Ermittlungsverfahren gegen Giovanni Morone wegen Häresie ein. Am 31. M a i 1557 w u r d e M o r o n e f e s t g e n o m m e n und in der Engelsburg inhaftiert. Bereits w ä h rend des Pontifikats von Julius III. h a t t e die von d e m seinerzeitigen Kardinal C a r a f a geleitete Inquisition sich Belastungsmaterial gegen ihn verschafft, aber keinen R ü c k h a l t bei Julius III. g e f u n d e n . Auf die V e r h a f t u n g M o r o n e s reagierte m a n ungläubig u n d mit V e r w u n d e r u n g . M a n b r a c h t e sie s o f o r t mit d e m Sturz von Kardinal Pole in V e r b i n d u n g und sah darin d a s Zeichen einer Wende. D a s Verfahren gegen M o r o n e w a r tatsächlich ein Verfahren gegen einen ganzen Abschnitt religiöser Geschichte Italiens, gegen Kreise, die von Pole zu Flaminio, von V i t t o r i o C o l o n n a zu Giulia G o n zaga, von Alvise Priuli zu Pietro Carnesecchi reichten u n d in d e m Büchlein Beneficio di Cristo ihr Selbstverständnis g e f u n d e n h a t t e n .
Zu entschiedenen Reaktionen kam es von politischer Seite, beginnend mit der Unterstützung, die die habsburgischen Herrscher Morone zukommen ließen. -»Philipp II. intervenierte im Herbst 1557 direkt zu seinen Gunsten. Auch Kardinal Ercole Gonzaga erwies ihm bedingungslose Solidarität. Während die Haft ungeachtet der Interventionen andauerte, begann am 13. Juni 1559 die Phase der Verteidigung in dem Verfahren, das Paul IV. schnell zum Abschluß zu bringen suchte. Er hatte offenbar die Absicht, noch vor seinem eigenen Tod, den er bereits erwartete, eine Verurteilung Morones zu erreichen; doch das gelang nicht, da Paul IV. am 18. August 1559 starb. Auf dem Hintergrund einer umfassenderen Revision der Politik Pauls IV. hatte dessen Tod sogleich positive Auswirkungen für Morone. Am 21. August 1559 beschloß das Sacrum Collegium seine Freilassung und Wiedereinsetzung. So konnte er an dem Konklave teilnehmen, auf dem —>Pius IV. gewählt wurde, der auf dem Konsistorium vom 13. März 1560 seinen Freispruch verlangte. Die Ereignisse haben jedoch das restliche Leben Morones gezeichnet, und —»Pius V. hat sogar, wenn auch nicht in förmlicher Weise, das Verfahren gegen ihn wieder eröffnet. Morone hat seitdem in Lehrfragen und in seinem Verhalten äußerste Vorsicht an den Tag gelegt. 3. Die Legation
während der dritten Sitzungsperiode
des —> Tridentinums
Beim Tode der Kardinallegaten Ercole Gonzaga (2. März 1563) und Girolamo Seripando (17. März 1563) durchlief das Konzil von Trient eine kritische Phase. Es war
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Morone
b l o c k i e r t durch das T a k t i e r e n der v o n d e m L e g a t e n K a r d i n a l S i m o n e t t a g e f ü h r t e n K u rialen (der sog. zelanti)
in o f f e n e m G e g e n s a t z zu den F r a n z o s e n und S p a n i e r n vor a l l e m
in der heiklen F r a g e der R e s i d e n z p f l i c h t . E i n vorzeitiger A b b r u c h des K o n z i l s w a r kein e s w e g s a u s g e s c h l o s s e n . A m 7 . M ä r z 1 5 6 3 e r n a n n t e Pius IV. als neue L e g a t e n für d a s Konzil die K a r d i n ä l e M o r o n e und B e r n a r d o N a v a g e r o . Morone wurde als ältester Legat Konzilsvorsitzender. Das unbegrenzte Vertrauen des Papstes ihm gegenüber und die Hochschätzung, die ihn seit den Jahren seiner Nuntiatur mit -»Ferdinand I. verband, setzte er sofort ein. Er brach am 23. März 1563 aus Rom auf und begab sich nach einem kurzen Aufenthalt in Trient (vom 10. bis zum 16. April) zu Verhandlungen mit dem Kaiser nach Innsbruck, die mit vollem Erfolg und einer Wiederannäherung von Papst und Kaiser endeten. Nach Trient zurückgekehrt, gelang es ihm, die Intrigen Simonettas und der zelanti zu überspielen und eine Diskussion mit dem „Kardinal von Lothringen" Charles Guise aufzunehmen, um ihn für seine Position zu gewinnen. Deswegen verweigerte er der sogenannten „Practica", die von dem Bischof Gualterio von Viterbo ausgearbeitet worden war, der auf eine rasche Beendigung des Konzils abzielte, seine Unterstützung. Zur Wende kam es am 6. Juli 1563, als Morone eine Konferenz einberief, an der etwa 40 herausragende Konziliare teilnahmen und in deren Verlauf er einen Spanier und Franzosen zufriedenstellenden Konsens über das Weihesakrament und die Residenzpflicht herbeiführen konnte. Seitdem war Kardinal Guise offener Befürworter der Konzilspolitik Morones. Die Blockierung des Konzils war überwunden. Am 15. Juli wurden im Verlauf der 23. Sitzung die Dekrete über den Ordo und die Reform angenommen. Seit der Konferenz vom 6. Juli zeichnete sich die Konzilstaktik Morones, der in dem Auditor Gabriele Paleotti eine wertvolle Stütze gefunden hatte, ab: Debatten in den Generalkongregationen zu vermeiden, wenn sie nicht zuvor in direkten Verhandlungen zwischen den bestimmenden Persönlichkeiten des Konzils vorbereitet und abgesprochen waren. So bekam Morone die Lage fest in den Griff. In der 24. Sitzung vom 11. November und in der das Konzil beschließenden 25. Sitzung vom 3. und 4. Dezember wurden die großen Reformdekrete gebilligt. Es w a r M o r o n e g e l u n g e n , mit g r o ß e m p e r s ö n l i c h e n E r f o l g das Konzil zu E n d e zu f ü h r e n . A m 6. D e z e m b e r 1 5 6 3 b r a c h er v o n T r i e n t n a c h R o m auf. 4. Nach
Trient
N a c h R o m z u r ü c k g e k e h r t , k ü m m e r t e sich M o r o n e u m die r a s c h e p ä p s t l i c h e B i l l i g u n g der K o n z i l s d e k r e t e , deren V e r ö f f e n t l i c h u n g der B u c h d r u c k e r in aedibus
populi
Romani
P a o l o M a n u z i o b e s o r g t e , dessen N i e d e r l a s s u n g in R o m M o r o n e z u s a m m e n mit C a r l o —»Borromeo A n f a n g der sechziger J a h r e g e f ö r d e r t h a t t e . I m M ä r z 1 5 6 4 ä u ß e r t e Pius IV. die A b s i c h t , M o r o n e als L e g a t e n für die D u r c h f ü h r u n g der K o n z i l s b e s c h l ü s s e
nach
D e u t s c h l a n d zu s c h i c k e n . D o c h k a m diese M i s s i o n a n g e s i c h t s seines W i d e r s t a n d e s n i c h t zustande. N e b e n der W i e d e r a u f n a h m e seiner R o l l e als eines h e r a u s r a g e n d e n Vertreters des K a r d i n a l s k o l l e g i u m s und der F ö r d e r u n g der E r n e n n u n g v o n G a b r i e l e P a l e o t t i z u m K a r dinal b e k l e i d e t e er seit 1 5 6 4 w i e d e r d a s A m t des B i s c h o f s v o n M o d e n a , o h n e allerdings d o r t b e s t ä n d i g zu residieren. I m V e r l a u f dieser zweiten A m t s p e r i o d e in M o d e n a f a n d e n zwei V i s i t a t i o n e n ( 1 5 6 5 und 1569) und drei D i ö z e s a n s y n o d e n ( 1 5 6 5 , 1568 und 1 5 7 1 ) statt. 1 5 6 6 g r ü n d e t e er d a s P r i e s t e r s e m i n a r und 1 5 7 0 das W a i s e n k o l l e g S a n B e r n a r d i n o . A m 16. D e z e m b e r 1 5 7 1 e n t s a g t e er endgültig d e m Stuhl v o n M o d e n a zugunsten v o n Sisto V i s d o m i n i . B e i m T o d Pius' IV. e r s c h i e n er als ein m ö g l i c h e r N a c h f o l g e k a n d i d a t . Allerdings war die Rolle der alten kaiserfreundlichen Partei, der Morone angehörte, teils infolge der politischen Ereignisse, teils infolge der religiösen Entwicklung seit dem Konklave von 1555 endgültig beendet. Seine Kandidatur war daher zwar ernsthaft, aber von vornherein unzeitgemäß. Im Konklave, das am 20. Dezember 1565 eröffnet wurde, hatte er die Unterstützung des Kaisers, während die Herrscher von Frankreich und Spanien sowie Herzog Cosimo de' Medici gegen ihn waren. So ging aus der Wahl Michele Ghislieri (-»Pius V.) hervor, der im Konklave einen regelrechten unüberwindbaren Damm gegen Morone hatte aufbauen können und dazu letztendlich auch von der Dokumentation des unter Paul IV. gegen ihn geführten Verfahrens Gebrauch gemacht hatte.
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Während des Pontifikats von Pius V., der ihm stets ablehnend gegenüberstand, gehörte Morone zu den Kardinalskommissionen für die Behandlung politischer, die Herrscher betreffenden Angelegenheiten (1566), für die Reform der römischen Geistlichkeit (1566), für die Förderung der Bildung einer antitürkischen Liga (1566) und für die Vulgata (1569). 1571 spielte er eine ausschlaggebende Rolle bei der Einbeziehung Venedigs in die antitürkische Liga, die ihren glanzvollen Höhepunkt in der Schlacht von Lepanto fand. Im Verlauf des Pontifikats —»Gregors XIII., der ihn im Gegensatz zu Pius V. schätzte und großes Vertrauen in ihn setzte, kehrte Morone auf den Schauplatz der großen Diplomatie zurück. Anläßlich der großen Genueser Krise, die aus Gegensätzen zwischen altem und neuem Stadtadel erwuchs und mit der sich Volksunruhen verbanden, schaltete sich Spanien in die Ereignisse ein in der Absicht, die O b e r h e r r s c h a f t über Genua zu gewinnen. Der Papst, der über das spanische Vorgehen beunruhigt war, sandte M o r o n e als Legaten mit dem Auftrag einer Vermittlung nach G e n u a . Die Verhandlungen k a m e n am 10. M ä r z 1576 zum Abschluß, und am 17. M ä r z wurden in G e n u a bedeutsame Verfassungsreformen verkündet, die unter anderem den Z u g a n g zum Stadtadel und die Wahl des Dogen betrafen. Die hegemonialen Bestrebungen Philipps II. waren damit zum Scheitern gebracht. Unter großen Ehrungen kehrte M o r o n e nach R o m zurück und w u r d e im Konsistorium vom 14. April 1576 feierlich e m p f a n g e n . Wenige Tage später reiste er als Legat zum Reichstag nach Regensburg, w o er am 9. Juni 1576 eintraf. Sein H a u p t e r f o l g war hier eine Stärkung der Widerstandsfähigkeit der deutschen Katholiken und der Gewinn des vollen Vertrauens des k r a n k e n und schon dem Tod nahen Kaisers - » M a x i m i l i a n II.
Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Morone als geachteter Dekan des Kardinalskollegiums und setzte dabei sein Wirken für die katholische Kirche außerhalb der Grenzen Italiens fort. 1578 hatte er sogar Gelegenheit, sich mit der religiösen Lage in Schweden zu befassen, nachdem er sich zuvor schon mit der Verbreitung des Calvinismus in Holland beschäftigt hatte. Er war ein Förderer zahlreicher religiöser Orden sowie des Collegium Germanicum. Morone starb am 1. Dezember 1580 in Rom und wurde in Santa Maria della Minerva beigesetzt. Mit ihm trat eine der vielschichtigsten und widersprüchlichsten Persönlichkeiten der Kirchengeschichte des 16. Jh. ab. Er w a r gewiß der beste Diplomat, dessen sich die katholische Kirche seiner Zeit bedienen konnte, schloß in sich aber auch die ganze Unruhe eines Zeitalters freier und unvoreingenommener geistlicher Suche, die die starren Schemata zunächst der konfessionellen Gegensätze und dann der triumphierenden Gegenreformation noch nicht hatten zum Absterben bringen können. In pastoraler Hinsicht verkörperte er ungeachtet seiner aufrichtigen Reformversuche und seiner Bewunderung für Giberti das Bild eines Bischofs, das noch nicht die Z ü g e der großen, die Gestalt des nachtridentinischen Bischofs bestimmenden U m f o r m u n g e n in sich schloß. T h e o logisch w a r er auf die sich ihm stellenden Anforderungen wenig vorbereitet, ein Mangel, den er im übrigen mit einem großen Teil des zeitgenössischen, vorwiegend durch einen kanonistischen Bildungsgang geprägten italienischen Episkopats gemein hatte. Doch er suchte ihm mit der Leidenschaft und Unerbittlichkeit b e i z u k o m m e n , die stets das Kennzeichen seiner starken Persönlichkeit waren. Literatur Verba prolata ab illustrissimo D. J o a n n e Cardinale M o r o n e p r i m o Praesidente et Legato sacri Concilii Tridentini in eius prima c o m p a r i n o n e in generali Congregatione die martis XIII aprilis MDLXIII, Ripae, a p u d Jo. Bapt. Bozolam, 1563. - Nicola Bernabei, Vita del cardinale Giovanni M o r o n e , vescovo di M o d e n a , M o d e n a 1885. - Cesare Bianco, La comunità di „fratelli" nel movimento ereticale modenese del '500: RSIt 92 (1980) 6 2 1 - 6 7 9 . - Ders., Bartolomeo della Pergola e la sua predicazione eterodossa a M o d e n a nel 1544: BSSV n. 151 (1982) 3 - 4 9 . - G o t t f r i e d Buschbell, R e f o r m a t i o n u. Inquisition in Italien um die Mitte des 16. Jh., Paderborn 1910. - Cesare C a n t ò , Gli eretici d'Italia. Discorsi storici, 3 Bde., Turin 1866—68. — Ders., Il cardinale Giovanni M o r o n e : M e m o r i e del R. Istituto L o m b a r d o di Scienze e Lettere. Classe di lettere e scienze morali e politiche, M a i l a n d , 10 (1867) f. 5, 2 4 - 3 6 . - Ludwig C a r d a u n s , N B D 1. Abt. 1533-1559, V N u n t i a t u r e n M o r o n e s u. Poggios. Legationen Farneses u. Cervinis 1539-1540, Berlin 1909. - Ders., N B D 1. Abt. 1533-1559, VI Gesandschaft Campegios. N u n t i a t u r e n M o r o n e s u. Poggios 1540-1541,
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Umberto Mazzone
Morus Morus, Thomas 1. Leben
1.
325
(1477/78-1535)
2. Schriften
3. Denken (Quellen/Literatur S.328)
Leben
Thomas More (latinisiert: Morus) wurde in London im Jahre 1477 oder 1478 geboren (drei Daten sind möglich: 6. Februar 1477, 6. Februar 1478, 7. Februar 1478). Er war der Sohn von John More (ca. 1451-1530), einem Rechtsanwalt und Richter. Seine Mutter, Agnes Graunger, war die Tochter eines Londoner Kürschners, Stadtrates und staplers. Morus besuchte die St. Anthony's School (ca. 1490) und wurde im Haus des Kardinals Morton einquartiert, der ihn an die Universität Oxford schickte (ca. 1492—1494). Von seinem Vater zurückgerufen, um eine juristische Karriere zu beginnen, ging Morus an den New Inn (ca. 1494) und Lincoln's Inn (1496). Er beendete seine juristische Ausbildung nach fünf Jahren, doch der Geist des contemptus mundi zog ihn zur Wissenschaft. Als Tutor von Studenten der Rechtswissenschaft lebte er im Charterhouse, um seinen Entschluß, Mönch zu werden, zu prüfen. Bei William Grocyn und Thomas Linacre lernte er Griechisch und wurde Erasmus vorgestellt. Er las über Augustins Gottesstaat (ca. 1501) und wurde Schützling von John Colet. Sein Vater jedoch tadelte die Vernachlässigung der Rechtswissenschaft, und schließlich entschloß sich Morus, das Charterhouse zu verlassen. Ende 1504 heiratete er Jane Colt und widmete sich wieder der juristischen Praxis. Während der Zeit gemeinsamer Lucian-Übersetzungen hielt sich —»Erasmus in seinem Haus auf, außerdem 1509, als er sein Encomium Moriae mit der Widmung an Morus und der Anspielung auf dessen Namen abschloß. Trotz seiner Liebe zur Wissenschaft widmete Morus sich zunehmend seiner Karriere in London und bei Hofe. In London wirkte er als Rechtsanwalt und undersheriff (1510—1518). Auch zu Hause erwarteten ihn einige Aufgaben. Jane Colt brachte vier Kinder zur Welt: Margaret (1505), Elizabeth (1506), Cecily (1507) und John (1509). Außerdem wurde ein Pflegekind angenommen, Margaret Gigs. Jane starb 1511, und Morus heiratete Alice Middleton, die Witwe eines Londoner Bürgers und Textilienhändlers.
Kardinal Wolsey sandte Morus 1515 als Botschafter nach Flandern, wo er mit den Arbeiten an seiner Utopia begann. Es war die erste von vielen Aufgaben, die Morus für die Krone übernahm. Als königlicher Diener erwarb er sich schnell Vertrauen, und im Juni 1518 wurde seine Ernennung zum Berater Heinrichs VIII. bestätigt. Er bezog eine Wohnung am Hof und nahm die Funktionen eines königlichen Sekretärs, Diplomaten und Richters am Berufungsgericht wahr. Mit —»Heinrich VIII. pflegte er vertraulichen Umgang, wartete ihm täglich bei Hofe auf und war ihm bei seiner Widerlegung Luthers behilflich. Er begrüßte —»Karl V. bei seinen Besuchen in England und befand sich im Gefolge Heinrichs VIII. beim Treffen mit —»Franz I. auf dem Field of Cloth of Gold (Juni 1520). 1521 wurde er zum Ritter geschlagen und zum under-treasurer von England ernannt, 1523 wählte man ihn zum Sprecher des Unterhauses. 1524 wurde er zum high Steward der Universität Oxford und im folgenden Jahr zum Steward von Cambridge ernannt. Er folgte Sir Richard Wingfield als Kanzler des Herzogtums Lancaster (29. September 1525) und wurde der führende Kopf der englisch-französischen Diplomatie. Im Frühjahr 1527 äußerte Heinrich VIII. zum ersten Mal Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Ehe mit Katharina von Aragon. Morus begleitete Wolsey bei seiner ergebnislosen diplomatischen Mission nach Frankreich und wurde bei seiner Rückkehr von Heinrich wegen der Scheidung zu Rate gezogen. Auf Bischof Tunstalls Bitte hin unternahm es Morus, die Flut protestantischer Literatur zu lesen und zu widerlegen, die nach England eindrang (März 1528). Nach dem Sturz Wolseys im Oktober 1529 übernahm Morus dessen Amt. Da er nicht bereit war, sich mit der Scheidung des Königs abzufinden und die Angriffe des Parlaments auf die Kirche nicht verhindern konnte, wurde seine Karriere als lord chaticellor schwer belastet. Beim Pardon of the Clergy (Januar bis März 1531) kam es erstmals zur Verkündigung der These des königlichen Supremats. Bis zum März 1532 hatte das Parlament die Act in Conditional Restraint of Annates verabschiedet. Dann machte sich Thomas Cromwell den Groll der Abgeordneten des Unterhauses gegen Häresieprozesse zunutze, um die Submission
326
Morus
of the Clergy durchzusetzen (15. März 1532). Keine Kirchenversammlung durfte ohne königlichen Befehl einberufen werden; keine neuen Kanones konnten ohne königliche Zustimmung in Kraft gesetzt werden; bereits existierende waren von einer königlichen Kommission zu prüfen; solche, die der königlichen Prärogative schädlich waren, mußten annulliert werden. Am folgenden Tag trat Morus vom Amt des Kanzlers zurück. Er suchte sich nunmehr dem öffentlichen Leben zu entziehen, um im Dienst Gottes für sein Seelenheil zu sorgen. Bis zum Dezember 1533 verteidigte er in verschiedenen Schriften weiterhin die katholische Sache. Dann verweigerte er den Eid, den die im März 1534 verabschiedete Act of Succession vorschrieb, die gleichzeitig des Königs Ehe mit Anne Boleyn anerkannte. Aufgrund der Eidesverweigerung wurde Morus am 17. April 1534 im Tower von London gefangengesetzt und im November wegen misprision of treason (Verschleierung eines Verrats) angeklagt. Nach seiner Vernehmung durch Cromwell und den Council (April bis Juni 1535) wurde aufgrund der Acts of Supremacy and Treason der Prozeß eröffnet. Dabei stellte Morus heraus, daß seine Anklage ungültig sei, da sie auf Parlamentsstatuten gründe, die den Überzeugungen der gesamten Christenheit zuwiderliefen (1. Juli). Sein Einspruch wurde abgelehnt und ein Schuldspruch gefällt. Die Entscheidung war tatsächlich anfechtbar, da Morus den Supremat des Königs nicht geleugnet hatte, wie es die Art of Treason verlangt hätte. Während seines Verhörs hatte er eine Stellungnahme verweigert und sogar angedeutet, daß Schweigen Zustimmung bedeuten könne. Er hatte die gesamte Suprematsfrage mit Richard Rieh hypothetisch diskutiert. Allerdings stammt die einzige Darstellung dieses Gesprächs von Rieh selbst. Morus verwahrte sich gegen Richs Zeugenaussage, doch das Gericht befand ihn für schuldig. Möglicherweise war der Prozeß gestellt, denn immerhin fand sich unter den Geschworenen John Parnell, ein Londoner Tuchhändler und Denunziant, der Morus erfolglos der Korruption angeklagt hatte, nachdem dieser als lord chancellor eine Untersuchung des Kanzleigerichts gegen ihn angestrengt hatte. Morus wurde am Morgen des 6. Juli 1535 auf dem Tower Hill hingerichtet. Sein Kopf wurde auf der London Bridge auf einem Pfahl zur Schau gestellt, bis seine Tochter Margareth ihn zur Beerdigung an sich brachte. Sein Leichnam wurde in der Gemeindekirche zu Chelsea zur letzten Ruhe gebettet, in dem Grab, für das er selber die Inschrift verfaßt hat. 2. Schriften Morus' Schriften gliedern sich in drei Gruppen: humanistische (2.1.), kontroverstheologische (2.2.) und erbauliche (2.3.). 2.1. Zu den humanistischen Schriften gehören die Translations of Lucian (Yale Edition of the Works of St Thomas More, Vol.3, Part 1, ed. Thompson); Latin Poems (Yale Edition, Vol.3, Part 2, ed. Miller/Bradner/Lynch/Oliver); Utopia (Yale Edition, Vol.4, ed. Surtz/Hexter); Historia Richardi Tertii (Latin and English versions: Yale Edition, Vol.2, ed. Sylvester; Vol. 15, ed. Kinney); Letter to Martin Dorp, Letter to the University of Oxford, Letter to Edward Lee, Letter to a Monk (Yale Edition, Vol. 15, ed. Kinney). 2.2. Zu den kontrovers-theologischen Werken zählen die Responsio ad Lutherum (Yale Edition, Vol. 5, ed. Headley); A Dialogue Concerning Heresies (Yale Edition, Vol. 6, ed. Lawler/Marc'hadour/Marius); The Confutation of Tyndale's Answer (Yale Edition, Vol.8, ed. Schuster/Marius/Lusardi/Schoeck); The Apology (Yale Edition, Vol.9, ed. Trapp); The Debellation of Salem and Bizance (Yale Edition, Vol. 10, ed. Guy/ Keen/Miller/McGugan); The Answer to a Poisoned Book (Yale Edition, Vol.11, ed. Foley/Miller). 2.3. Die erbaulichen Schriften umfassen Here is conteyned the lyfe of Johan Picus Erie of Myrandula (London, 1510? [Yale Edition, Vol. 1 (in Vorbereitung)]); A Dialogue of Comfort against Tribulation (Yale Edition, Vol. 12, ed. Martz/Manley); Treatise on the Passion, Treatise on the Blessed Body, Instructions and Prayer (Yale Edition, Vol. 13, ed. Haupt); De Tristitia Christi (Yale Edition, Vol. 14, ed. Miller).
Morus 3.
327
Denken
Morus war mehr Jurist und Humanist als Theologe. Seine theologische Bedeutung liegt in den sich im folgenden mit Trient (->Tridentinum) durchsetzenden Gedanken über das Wesen und die Autorität der katholischen Kirche und ihre Bedeutung im Verhältnis zur Offenbarung. Die entscheidende Größe war für ihn nicht der päpstliche Primat, sondern die katholische Tradition und ihre Ekklesiologie. Sein zentraler dogmatischer Begriff war der consensus der wahren catholyke chyrch. Die catholyke chyrch bestimmte er als die sichtbare bzw. comon knowen chyrch, die „the comon knowen catholyke people, clergy, lay folke, and all" (die für jedermann wahrnehmbaren Katholiken, den Klerus, die Laien und alle) umfaßt (Confutation of Tyndale's Answer: Yale Edition 8, 3 7 9 - 3 8 2 . 4 7 7 - 4 7 9 . 480f. 1 0 0 4 - 1 0 1 3 . 1 0 2 9 - 1 0 3 4 ) . Er wies die protestantische Behauptung zurück, die —»Kirche sei „a spiritualle thynge and no exterior thynge but invisible from carnalle yies" (ein geistliches Ding und kein äußerliches Ding, sondern unsichtbar für fleischliche Augen; ebd. Appendix A 1042). Seiner Ansicht nach kann eine invisible oder chyrche unknowen, die allein die Erwählten umfaßt, nicht geglaubt werden, „syth it can not be herd" (ebd. 3 7 9 - 3 8 2 . 4 7 6 - 4 7 9 ; Responsio ad Lutherum: Yale Edition 5, 1 8 0 - 1 8 5 ) . Die wahre catholyke chyrch existiert seit der Zeit der Apostel und liegt bereits der Schrift voraus, nicht umgekehrt, wie die Reformatoren lehrten. Die Kirche hat jene Texte kanonisiert, die gemeinsam die heilige Schrift bilden. Der heilige Geist wiederum stiftete den Konsens, der die Kanonisierung der Schrift durch die Kirche ermöglichte (Responsio ad Lutherum: Yale Edition 5, 242—244; Dialogue Concerning Heresies: Yale Edition 6, 1 1 6 - 1 2 1 . 1 8 0 - 1 8 2 . 2 5 3 - 2 5 5 ; Confutation: Yale Edition 8, 3 7 7 - 3 8 3 . 4 7 6 - 4 8 1 . 9 9 6 - 1 0 0 6 ) . Die Kirche kann nicht nach dem Ermessen einzelner Personen beurteilt werden, auch wenn diese ihre Lehre für schriftgemäß halten. Allein die Kirche als Institution kann die authentische Auslegung der Schrift feststellen. Und für solche authentischen Auslegungen besitzt die mündliche Tradition der katholischen Kirche die gleiche Autorität wie die Schrift, ist doch die Tradition Ausdruck der andauernden Offenbarung Gottes an sein Volk durch das Evangelium, das in die Herzen geschrieben ist (Responsio ad Lutherum: Yale Edition 5, 733—739). Gott hat sich seiner Kirche offenbart „partely by wryting, partely wythout, and that in those twoo maners the revelacions of God styl abyde and continue in his churche" (teils durch Schrift, teils ohne, und daß auf beiderlei Weise Gottes Offenbarungen immer noch andauern und fortwähren in seiner Kirche; Confutation of Tyndale's Answer: Yale Edition 8, 996). Der heilige Geist schenkt den Glauben, woraufhin „we byleve as well the chyrch concernynge goddys wordys taught us by the chyrch and by god graved in mennys hartys wythout scrypture/as hys holy wordys wryten in hys holy scrypture" (wir glauben sowohl an die Kirche, was Gottes Wort betrifft, das die Kirche uns lehrt und das Gott in Menschenherzen schreibt ohne die Schrift, als auch an seine heiligen Worte, die in seiner heiligen Schrift geschrieben stehen; Dialogue Concerning Heresies: Yale Edition 6, 254). Auf den juristischen Ansatz, mit dem Christopher St. German (1460-1541) in seiner Schrift Treatise Concerning the Division (1532) zu zeigen versuchte, warum Mißgunst und Spaltung zwischen Klerus und Laien in England aufkamen und welche Reformen erforderlich seien, um Kirche und Staat wieder zu vereinen, antwortete Morus, daß das kanonische -> Recht das allgemeingültige Recht in der Christenheit sei. Das kanonische Recht und insbesondere die Verwerfung der Häresien, sei von Konzilien und Synoden unter dem Beistand des heiligen Geistes erstellt worden, der in gleichem Maße wie in der apostolischen Zeit in ihnen gegenwärtig und wirksam sei. Dieses Recht aufzulösen bedeute, den Glauben zu schwächen, so daß „the stretys were lykely to swarme füll of heretykes" (es in den Straßen von Irrlehrern wimmeln würde; Apology: Yale Edition 9, 60. 9 9 - 1 0 2 . 130; Debellation of Salem and Bizance: Yale Edition 10, 9. 37. 2 1 6 - 2 1 8 . 224. 2 2 9 - 2 3 0 ) .
328
Morus
Durchgehend vermied es M o r u s , die Autorität in der Kirche mit irgendeiner Einzelperson in Verbindung zu bringen. Er vertraute auf die Vorstellung eines Konsenses, der als expliziter oder impliziter vorhanden sei, ersterer in Gestalt von Konzilsentscheidungen, letzterer als all das, was die Glaubenden unstreitig für w a h r hielten. Expliziten Konsens verortete er im allgemeinen Konzil (Gogan 2 6 7 - 3 0 8 ) . Eine Theorie über das Verhältnis von Papst und Konzil entwickelte er nicht, war aber der Auffassung, daß ein allgemeines Konzil einen Papst absetzen könne (Correspondence, ed. Rogers 499). Er behauptete, daß Konzilien die Kirche repräsentierten „lyke wise as a parliament representeth the hole rea[l]me" (wie ein Parlament das ganze Reich repräsentiert; Confutation of Tyndale's Answer: Yale Edition 8, 146). Konzilserlasse sind, als von der ganzen Kirche für gültig erklärt, auch bindend. Das Konzil vermag in jeder Angelegenheit zu sprechen, in der die Kirche sprechen kann, und konziliare Lehre wird von der Autorität der gesamten Kirche getragen. Konziliare Z u s t i m m u n g repräsentiert und äußert den Konsens der gesamten Kirche (Correspondence, ed. Rogers 498 f; Gogan 290-292). Anders als Bischof Fisher, den Heinrich VIII. wegen seiner Verteidigung des päpstlichen Primats hinrichten ließ, war M o r u s in bezug auf den Papst Minimalist (Correspondence, ed. Rogers 498 f). Seine Unterstützung für den päpstlichen Primat verstärkte sich erst in der Reaktion auf die Ansprüche Heinrichs VIII. Im F r ü h j a h r 1534 vertrat M o r u s schließlich die Ansicht, d a ß der Primat durch das Zeugnis der griechischen und lateinischen Väter und durch die Lehre allgemeiner Konzilien bestätigt sei. Zumindest sei der päpstliche Primat „instituted by the corps of Christendom and for a great urgent cause in avoiding of scysmes" (aufgerichtet durch die Christenheit zur Verhinderung von Schismen; ebd. 498). Bei seinem Prozeß beharrte M o r u s darauf, d a ß der königliche Supremat auf Parlamentsstatuten basiere, die dem „generali lawe of Christes universall Chatholike C h u r c h e " (allgemeinen Gesetz der universalen katholischen Kirche Christi) zuwiderliefen (Harpsfield 193 f). Er war der Überzeugung, daß sein Gewissen nicht an eine nationale Gesetzgebung gebunden sei, die den Dekreten des „generali counsell of the whole body of C h r y s t e n d o m e " (allgemeinen Konzils der Gesamtchristenheit) und dem „generali faith growen by the workynge of G o d universally thorow all Christian nacions" (allgemeinen christlichen Glauben, der durch das Wirken Gottes weltweit in allen christlichen Nationen entstanden ist) widerspreche (Harpsfield 177; Correspondence, ed. Rogers 5 2 4 - 5 2 6 ) . Für M o r u s war der explizite und implizite Konsens allgemeiner Konzilien und der Gläubigen unfehlbares Zeichen der Authentizität einer dogmatischen Position. Eine zeitgenössische Darstellung seines M a r t y r i u m s überliefert, was er noch auf dem Schafott bekräftigte: Er sterbe, wie er gelebt habe, „the king's good servant, but G o d ' s first" (als guter Diener seines Königs, aber als erster Diener Gottes; Harpsfield 2 5 8 - 2 6 6 ) . Aufgrund seiner Hinrichtung durch Heinrich VIII. wurde Morus, ebenso wie Fisher, 1886 selig- und 1935 heiliggesprochen. Quellen N i c h o l a s H a r p s f i e l d , T h e life and d e a t h of Sir T h o m a s M o o r e , knight, s o m e t y m e s Lord high Chancellor of E n g l a n d , written in t h e tyme of Q u e e n e M a r i e , ed. by Elsie V. 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Morus
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Heresies, ed. by T h o m a s M . C . Lawler/Germain Marc'hadour/Richard C. Marius; VII. Letter to Bugenhagen, Supplication of Souls, Letter against Frith, ed. by Frank Manley/Germain M a r c ' h a dour/Richard C . Marius/Clarence H. Miller; VIII. T h e Confutation of Tyndale's Answer, ed. by Louis A. Schuster/Richard C. Marius/James P. Lusardi/Richard J . Schoeck; I X . T h e Apology, ed. by Joseph B. Trapp; X . T h e Debellation of Salem and Bizance, ed. by J o h n A. Guy/Ralph Keen/Clarence H . Miller/Ruth M c G u g a n ; X I . T h e Answer to a Poisoned B o o k , ed. by Stephen M . Foley/Clarence H. Miller; X I I . A Dialogue of C o m f o r t against Tribulation, ed. by Louis L. Martz/Frank Manley; XIII. Treatise on the Passion, Treatise on the Blessed Body, Instructions and Prayers, ed. by Garry E. Haupt; XIV. De Tristitia Christi, ed. by Clarence H . Miller; XV. In Defense o f Humanism. 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Mosaikkunst -»Künste, Bildende
Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften I. A l t e s T e s t a m e n t 342
II. N e u e s T e s t a m e n t III. A p o k a l y p t i s c h e u n d j ü d i s c h - h e l l e n i s t i s c h e
Literatur
347
I. A l t e s T e s t a m e n t 1. M e t h o d o l o g i s c h e P r o b l e m a t i k der R ü c k f r a g e nach dem historischen M o s e 2. Eckdaten einer historischen Annäherung 3. Biblische M o s e b i l d e r 4. Meerlied, M o s e l i e d , Mosesegen (Literatur S. 338)
1. Methodologische
Problematik
der Rückfrage
nach dem historischen
D i e f r ü h e r b i s w e i l e n m i t d e m h i s t o r i s c h e n M o s e a l s „ Q u e l l e n " in
Mose
Zusammenhang
g e b r a c h t e n T e x t e ( „ L i e d e r " : G r u n d s c h i c h t von E x 15; N u m 2 1 , 1 7 f . 2 7 - 3 0 ;
„Gesetze":
D e k a l o g , Teile des B u n d e s b u c h s ) wird heute k a u m n o c h j e m a n d ernsthaft als „ m o s a i s c h " reklamieren wollen. Nicht einmal mehr der N a c h w e i s der M ö g l i c h k e i t der Mosaizität des Dekalogs, den bedeutende Forscher versucht haben (z.B. M . - > B u b e r , W. Eichrodt, P. V o l z ) , ist h e u t e a k z e p t a b e l ; e i g e n t l i c h w a r d i e s s c h o n d u r c h J . —• W e l l h a u s e n e r l e d i g t . Allerdings bleibt die Frage n a c h den frühesten M o s e ü b e r l i e f e r u n g e n b e d e u t s a m , d a ß mit d e m H i n w e i s auf ihr Alter s c h o n a priori über ihren historischen entschieden
wäre.
ohne
Quellenwert
Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften I
331
Die Mosegeschichten des ->Pentateuch sind weitgehend ursprünglich als Einzelgeschichten entstanden, deren sukzessives An- und Zusammenwachsen in mündlicher Überlieferung nicht mehr rekonstruierbar ist. Meist werden, in der Folge von M. ->Noth, vier Hauptthemen der Pentateuchüberlieferung, die für Mose relevant sind, unterschieden: „Herausführung aus Ägypten", „Offenbarung am Sinai", „Führung durch die Wüste", „Hineinführung in das Kulturland (Seßhaftwerdung)". Es stellen sich dann die Fragen, in welchem Überlieferungskreis Mose ursprünglich zu Hause ist und wie bzw. warum er in die übrigen Themen hineingewachsen ist. Bislang (und wohl auch künftig; anders J . C . de Moor, Yahwism passim) gibt es keine external evidence für Mose und für die mit seiner Gestalt in Verbindung gebrachten Ereignisse. Wohl läßt sich aus außerbiblischen Quellen (Texte und Bilder) eine insgesamt vorstellbare „Szenerie" zumindest der mit Mose verbundenen Exodusüberlieferung rekonstruieren, doch ist die direkte Korrelation zwischen dieser „Szenerie" und den biblischen Texten im Blick auf ein historisch nachweisbares Geschehen methodisch weder erlaubt noch realisierbar (Knauf, Midian 170). Die Problematik der external evidence verschärft sich für den Komplex „Offenbarung am Sinai", insofern damit ein Geschehen angezielt ist, das sich als solches der historischen Rekonstruktion entzieht. Die Fragen nach dem geschichtlichen Anlaß bzw. Auslöser der Sinai-Erzählungen und der Rolle des Mose darin sind damit freilich nicht erledigt. Die mit der skizzierten Quellenlage prinzipiell gegebene Problematik ist durch die derzeitige Forschungssituation in zweifacher Hinsicht verschärft. Zum einen hat die neu in Gang gekommene Diskussion über Entstehung und Frühgeschichte Israels derzeit noch zu keiner konsensfähigen Theorie geführt, innerhalb derer dann auch Mose seinen historischen Ort hätte. Zum anderen ist die seit gut einem Jahrzehnt gesuchte Um- und Neuorientierung der Pentateuchkritik (Problematisierung bzw. Ablehnung der Wellhausenschen „Quellenhypothese", alternative Entwürfe von „Erzählkranzhypothesen", Herausstellung später Redaktionsschichten) noch so offen, daß die Frage nach „alten" Moseüberlieferungen auch davon methodisch tangiert ist. Angesichts der ungünstigen biblischen und außerbiblischen Quellenlage überrascht, daß die kritische Forschung dennoch historische „Mosebilder" entworfen hat. Die dabei meist angewandte Methode war das „Rückschlußverfahren", d.h. der „Rückschluß aus quellenmäßig besser bekannten Zeiten der Geschichte" (Smend, Moseforschung 70). Ein zweites Verfahren, mit dem die wenigen historisch-kritisch erhebbaren Aussagen über Mose entfaltet werden, ist die Analogie; dieses Verfahren ist teilweise schon innerbiblisch angelegt, wenn auf Mose Titel und Amtsbezeichnungen übertragen werden, die ursprünglich in anderem Kontext und mit anderen Gestalten verbunden waren. Bei diesem Verfahren wird „die Frage ,Wer war Mose?' . . . auf dem Umweg über die etwas einfachere Frage ,Was war Mose?' beantwortet. Deutlicher heißt die zweite Frage: in welche Kategorie ist er einzuordnen, welchem Typus gehört er an?" (Smend, Moseforschung 90). Allerdings zeigt die Vielfalt der auf diesem Wege „gewonnenen" Mosebilder (Religionsstifter, Gesetzgeber, Prophet, charismatischer Führer, Priester ...) die Problematik dieses Verfahrens: Zum einen laufen Analogie-Verfahren immer Gefahr, die Individualität einer Gestalt zu nivellieren und zu verfehlen; zum anderen scheinen diese Verfahren gerade für herausragende Gestalten wie Mose ungeeignet, weil sie deren Inkommensurabilität bereits methodisch unterschlagen (müssen). Angesichts der massiven Differenz zwischen dem „biblischen" und dem „historisch-kritischen" Mosebild stellt sich schließlich die noch viel grundsätzlichere Frage, ob die historische Kritik überhaupt in der Lage sein kann, die biographische und religiöse Wirklichkeit, die sich hinter der biblischen Mosegestalt verbirgt, zu erfassen. Zwar ist die Moseforschung aus vielen Gründen nicht mit der Leben-Jesu-Forschung zu parallelisieren, doch werden an der Frage nach dem historischen Mose und nach dem historischen Jesus nicht nur ähnliche methodologische Probleme, sondern vor allem ähnliche Grenzen der bloß historischen Erkenntnis offenbar.
332 2. Eckdaten
Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften I einer historischen
Annäherung
Für eine historische Rekonstruktion, für die die unter 1. skizzierten Vorbehalte gültig bleiben, können aus der biblischen Überlieferung selbst als Ansatzpunkte dienen: (1) der ägyptische Name des Mose, (2) seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu Midian und (3) seine Führungsrolle beim Verlassen Ägyptens. Ergänzend und illustrierend kommen außerbiblische Informationen über die Verhältnisse in —• Ägypten zur Zeit des Neuen Reichs, über Lebensweise und Religion der Schasu-Leute und der 'Aperu/Hapiru sowie über die siedlungsgeschichtlichen Veränderungen in Palästina/Israel im Übergang von der Spätbronze- zur Eisenzeit hinzu. Gegenüber den oben skizzierten Etappen der Moseforschung ist festzustellen, daß sich die außerbiblische Quellenlage über die historisch plausible „Szenerie" der biblischen Mose-Erzählungen in den letzten Jahren durch ägyptische Texte und durch die archäologischen Erkenntnisse über die Kulturkontakte der im Sinai, in Nordwestarabien und in Palästina lebenden Halbnomaden untereinander und ihre konfliktreichen Beziehungen zu Ägypten positiv verändert hat. 2.3. Der Name Mose ist ägyptischer Provenienz. Ursprünglich wohl Teilelement theophorer Eigennamen, insbesondere von Königen (vgl. Thut-Mose/is, Ra-mses), ist „ M o s e " auch als Kurzname bezeugt (z.B. als Name eines Vorarbeiters, der in der Arbeiterkolonie von Deir-el-Medina einen Streik organisiert hat: P. Weimar/E. Zenger, Exodus 108). Bei theophoren Namen ist „ M o s e " von ms/msj = „erzeugen, gebären" abgeleitet und kann sowohl aktivisch als auch passivisch verstanden werden (der Gott NN hat ihn geboren bzw. der Gott NN ist geboren). Neuerdings wurde der biblische Mose mit dem in ägyptischen Texten und Bildern bezeugten „Syrer" Bay/Beya (gegenüber der früher üblichen Vokalisierung Bay ist nach der in Ugarit gefundenen Tafel RS 86.2230 besser Beya zu lesen: J . C . de M o o r , Yahwism 136 Anm. 161; ebd. 149 deutet er den Namen sogar als Verweis auf den vormosaischen Jahwismus: „In Y H [is my trust]") identifiziert, dessen offizieller Beamtenname ebenfalls das Element ms enthält (Helck, Beziehungen Ägyptens 371: R ' - m s - s w - h ' w - m - n t r w ) und der nach einem Usurpationsversuch nach dem Tod des Pharao-Siptah (zusammen mit dessen kanaanäischer Mutter Tausret oder nach deren Tod?) von Sethnacht, dem Begründer der 20. Dynastie, vertrieben wurde bzw. vor ihm floh (1187/1186). Daß der biblische M o s e einen ägyptischen Namen trägt, bindet seine Herkunft oder sein Wirken zwar nicht zwingend nach Ägypten, worauf M . Noth nachdrücklich besteht: „Einen ägyptischen Namen konnte ein Mensch am Ausgang der Spätbronzezeit, nachdem Syrien-Palästina mehrere Jahrhunderte lang unter ägyptischer Oberherrschaft gestanden hatte, auch erhalten haben, ohne jemals in Ägypten selbst gewesen zu sein; besonders bei Stämmen, die sich in der Wüste zwischen Ägypten und dem palästinischen Kulturland zeitweise aufhielten, war das leicht möglich" (Überlieferungsgeschichte 178 f). Gegen die zuletzt genannte „Möglichkeit" spricht der aus den „Schasu-Texten" (s.u.) erschließbare Dauerkonflikt zwischen dem ägyptischen Staat und den „ S t ä m m e n " ; dies gilt dann analog auch für die bei ihren Kriegszügen oder Expeditionen nach Ägypten verschleppten Schasu und wohl auch 'Aperu/Hapiru (s.u.). Andererseits spricht überhaupt nichts für die vor allem in nicht-bibelwissenschaftlicher Literatur immer wieder (z. B. S. Freud) vertretene These, Mose sei ein (vornehmer) Ägypter gewesen, der sich mit den unterdrückten „Israeliten/Hebräern" solidarisiert habe; die ganze biblische Tradition spricht gegen diese Vermutung. Entweder erhielt Mose diesen ägyptischen Namen von seinem nichtägyptischen Vater (in Ex 2,1 haben die Eltern des Mose keine Namen, sie sind aus dem „Stamm Levi"; in Ex 6,20; Num 26,59 werden ihnen von der nachexilischen Priestertheologie die Namen Amram und Jokebed zugelegt; auch die Geschwisterkonstellation Mose-Aaron-Mirjam ist theologisches Konstrukt), weil dieser in ägyptischen Diensten stand, oder er erhielt den Namen, als er selbst als Fremder/Ausländer in ägyptische Dienste trat: Für beide Situationen ist diese ägyptische Namenspraxis belegt. Daß die biblische Überlieferung selbst den ägyptischen Namen des Mose als Problem empfand, zeigt der in Ex 2 , 1 - 1 0
Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften I
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unternommene Versuch, den Namen deutlich als sekundären Namen des „levitischen Kindes" festzuhalten sowie sachgerecht zu erklären (die Erzählung spielt mit dem Wortfeld „gebären" = msj); andererseits versucht sie durch den Kommentar der Pharaotochter in Ex 2,10 b dem ägyptischen Namen eine auf den dann erzählten Exodus vorweisende Bedeutung abzugewinnen (I. Willi-Plein). Auf jeden Fall dürfte gelten: „Daß der für Israels Religion so entscheidend gewordene Mann keinen israelitischen Namen trug, ist eine schwerlich aus sekundären Umständen ableitbare Tatsache" (Hermann, Israels Aufenthalt 67 Anm. 8). 2.2. Auch Moses familiäre Verbindung mit Midian ist am ehesten als der biblischen Überlieferung historisch vorgegeben zu beurteilen. Zumindest von der mittleren Königszeit an, als die Beziehungen zwischen Juda und den Midianitern sich negativ verschärften und sich in entsprechend negativen „Midianiterbildern" niederschlugen (z.B. Num 2 5 , 6 - 1 8 ; 31), ist eine Entstehung dieses Zugs nicht mehr vorstellbar. Daß man die midianitische „Familiengeschichte" als theologisches Problem wahrnahm, zeigen die verschiedenen Versuche, dieses Problem zu „lösen" oder zu verdrängen: In Ex 1 8 , 1 - 1 2 bekehrt sich der Vater der midianitischen Frau des Mose ausdrücklich zu Jahwe, dem Gott des Exodus; in Ex 4,24—26 wird die midianitische Frau des Mose durch den Vollzug der Beschneidung in die biblische Jahwereligion integriert (R. und E. Blum: FS Rendtorff 4 1 - 5 4 ) ; Num 12 (falls die Bezeichnung der Frau des Mose als „Kuschiterin" von Kuschan, das in Hab 3,7 parallel zu „Midian" steht, zu verstehen ist; andere Möglichkeit: das afrikanische Kusch) löst das Problem durch autoritative Zurückweisung jeder Kritik. Über die midianitischen Verwandtschaftsbeziehungen des Mose liegen mehrere Überlieferungen vor, die nicht - wie dies häufig geschieht (z.B. Albright, Jethro; Knauf, Midian 158 f) - durch Textänderungen oder Glossierungsverdacht vorschnell harmonisiert werden können. Hinsichtlich des midianitischen Schwiegervaters sind drei Stränge erkennbar: Jitro, der Priester von Midian (Ex 3,1; 4,18); Reguel, der Priester von Midian (Ex 2,16.18; Num 10,29); Hobab, der Keniter (Ri 1,16; 4,11); in Num 10,29 werden „Reguel" und „ H o b a b " genealogisch verknüpft. Der Name der Frau des Mose ist einheitlich Zippora (Ex 2,21; 4,25; 18,2); die beiden Söhne des Mose, Gerschom (Ex 2,22; 18,3) und Elieser (nur Ex 18,3), tragen eindeutige Programmnamen, die zugleich eine Israel-Perspektive haben. Meist wird diese midianitische „Beziehung" des Mose - wohl mit Recht - stammes- und religionsgeschichtlich ausgewertet (vgl. auch den Forschungsüberblick bei W. H. Schmidt, Exodus, Sinai und Mose 1 1 0 - 1 3 0 ) ; sie bestätigt die sich auch anderweitig nahelegende Herkunft des „vorbiblischen" Gottes Jahwe aus Südostpalästina/Nordwestarabien sowie die Beteiligung vom midianitischen „Schasu" am „historischen" Exodus unter Führung des Mose, dessen vorstellbare Ereignishaftigkeit durch Beiziehung ägyptischer Quellen (unter Erinnerung der oben skizzierten methodologischen Problematik) sich wie folgt präzisieren läßt: 2.3. Die in topographischen Listen auf Bauteilen von Tempelanlagen Amenophis' III. (im nubischen/sudanesischen Soleb) und Ramses' II. (im ebenfalls nubischen/sudanesischen Amara-West) neben anderen Gebiets- bzw. Gruppenbezeichnungen eingravierte Namenseintragung „Land der Schasu, (nämlich) J H W " bezeichnet mit „ J H W " einerseits sowohl die halbnomadisch lebende „JHW-Gruppe" von Schasu-Leuten als auch das von dieser Gruppe beanspruchte Gebiet in Südostpalästina/Nordwestarabien; ob diese Gruppe ursprünglich in Nordpalästina „beheimatet" war und erst mit der „Völkerwanderung" der Schasu von Norden nach Süden zog, ist kontrovers (vgl. u.a. M . Görg, E.A. Knauf, J . C. de Moor). Andererseits dürfte „ J H W " zugleich auch der Name des Stammesgottes dieser („midianitischen") Schasu-Gruppe gewesen sein, dessen ursprüngliche Herleitung von einer Verbbasis „wehen, (sturmgleich) herabfallen" das machtvoll „schützende" oder „vernichtende" Herzukommen/Herabsteigen dieses Gottes „ J H W " durchscheinen läßt. Mit dem Namen „ J H W " verbinden sich wohl vor allem Erfahrungen der JHW-Schasu im Kampf um ihre Lebensinteressen, nicht zuletzt in ihren
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permanenten Auseinandersetzungen mit dem Neuen Reich, das vor allem seine Bergbauinteressen in Punon und Timna durch Expeditionen und Zwangsdeportationen von „Schasu-Leuten" nach Ägypten (vgl. die Illustration Sethos' I. auf der Nordwand des Säulensaales im Amun-Tempel von Karnak), aber auch insgesamt seinen machtpolitischen Oberherrschaftsanspruch gegenüber den „Asiaten" verteidigte und demonstrierte (vgl. den dokumentierten Überblick „Die Schasunomaden in zeitgenössischer Ikonographie" bei Th. Staubli, Das Image der Nomaden 3 5 - 6 6 ) . Daß das sog. Mirjamlied Ex 15,21 als „authentisches, zeitgenössisches Dokument für das darin besungene Ereignis" ein ursprünglich von der Exodusüberlieferung zu trennender, dem „historischen" Exodus sogar vorgegebener und von der „Proto-Araberin Maryam" (Stammesführerin und Priesterin? Mantikerin und Dichterin?) stammender midianitischer Text sei, der die Vernichtung von Bergbauexpeditions- oder Disziplinierungsstreitwagen am Golf von el-'Aqaba besingt, und daß dieses Lied durch deportierte Midianiter-Schasu nach Ägypten wanderte und dort nicht unwesentlich als Botschaft von der Macht dieses Gottes JHW(H) zum Exodus selbst motivierte (vgl. Knauf, Midian 1 4 2 - 1 4 6 ; ähnlich, wenngleich bedeutsam anders: de Moor, Yahwism 1 0 8 - 1 5 1 ) , bleibt eine höchst problematische Vermutung. Noch problematischer ist die Vermutung, J H W / J H W H sei ursprünglich eine nordwestarabische „Manifestation des syrisch-arabischen Sturm-, Regen- und Gewittergottes" Hadad (Knauf 51); dafür lassen sich auf keinen Fall die ältesten (?) biblischen JHWH-Texte Dtn 33,2; Ri 5,4f; Ps 68,8 f beiziehen, da sie gerade das „geschichtliche" Kommen J H W H s zu seinem „Volk" poetisch feiern. 2.4. Nach Ausweis der Quellen nimmt die Präsenz von „Asiaten" im Ägypten des Neuen Reichs, insbesondere im Ostdelta, derart zu, daß - unter Umständen auch im Fortwirken der Hyksosereignisse - geradezu das Trauma einer asiatischen Überfremdung bzw. Machtergreifung aufkam, das sich u.a. in der auf der Elephantine-Stele bezeugten Aktion des Sethnacht widerspiegelt (E.A. Knauf, M. Görg, J . C . de Moor im Rückgriff vor allem auf R. Drenkhahn; zurückhaltender dagegen in der historischen „Auswertung" der Stele: F. Junge). Die „asiatische" ( = semitische) Präsenz war zunächst gegeben durch „Asiaten", die eingewandert waren, sich (begrenzt) in den Staat integriert hatten und nach Ausweis der Quellen auch wichtige Ämter übernehmen konnten. Sodann wurde die Zunahme von den Ägyptern selbst herbeigeführt, nämlich durch die eingeschleppten Schasu-Leute sowie durch aus Kanaan/Südpalästina deportierte Kriegsgefangene bzw. zwangsrekrutierte ' A p e r u / H a p i r u (marginalisierte Gruppen von Kleinbauern und Handwerkern der kanaanäischen Stadtstaaten; halbnomadische, zwischen den Stadtstaaten lebende, diese und die ägyptischen Garnisonen in Südpalästina zunehmend bedrohende Gruppen u.ä.); es ist nicht unplausibel, daß derartige „Fremd- und Zwangsarbeiter", die sich selbst keineswegs gesellschaftlich und religiös in das Unterdrückerregime integrieren wollten (von diesem aber ebenfalls nicht integriert werden wollten), vor allem bei Großprojekten wie dem Bau der „Ramsesstadt" im Ostdelta (Qantir) eingesetzt wurden. „Der Aufenthalt von Teilgruppen der Schasu und darunter der JHW-Leute im Ostdelta hat neben einer Annäherung an bereits im Lande befindliche Asiatengruppen zu . . . Rivalitäten mit den Ägyptern geführt, die das stetige Anwachsen asiatischer Bevölkerungsteile im Deltagebiet mit äußerstem Mißtrauen begleiteten. Aufstandsbewegungen und Usurpationsversuche sind gerade für die Zeit vor dem Regierungsantritt Ramses' III. bezeugt, in welche Unruheperiode am ehesten auch eine Loslösung der betroffenen Schasu-Sippenteile von Ägypten in Richtung Sinai fallen wird, wobei wiederum an eine Anreicherung mit Flüchtlingen aus anderen semitischen Bevölkerungsgruppen wie etwa den Aperu-Leuten, die wohl den ,Hebräern' den Namen gegeben haben, ohne mit ihnen ethnisch gleichgesetzt werden zu dürfen, gedacht werden kann. Die Orientierung der Flüchtigen kann die sichernde Südroute abseits der Kontrollzonen gewesen sein, freilich doch wohl so, daß das eigentliche Ziel die Rückkehr zu den angestammten Regionen südöstlich des Toten Meeres war. Es ist aber auch damit zu rech-
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nen, daß man auf ägyptischer Seite zum Mittel einer Vertreibung der Unruhestifter gegriffen hat, so daß sowohl Fluchtbewegungen von Schasu-Leuten (und Kriegsgefangenen anderer Herkunft) wie auch Vertreibungsaktionen von prominenten Asiaten stattfanden, welche Praxis allein den Weg in die offizielle Dokumentation gefunden hat [vgl. die Sethnacht-Stele], wie leicht zu begreifen ist" (Görg, Monotheismus 282). Beide „ExodusMöglichkeiten"(Flucht und Vertreibung) kommen in der biblischen Überlieferung vor. Daß beide Linien historische Erinnerung bezeugen, ist fraglich, aber nicht auszuschließen. Im Fall der Vertreibung ist die J H W H zugeschriebene „Exodus-Tat" stärker als „Rettung" (Aspekt Leben) im Blick, im Fall der „Flucht" ist der Exodus die von J H W H herbeigeführte „Befreiung" (Aspekt Freiheit) mehr im Vordergrund. 2.5. Mose kommt als Inspirator und Organisator des skizzierten und zwischen 1300 und 1200 denkbaren Exodusgeschehens unzweifelhaft in Frage. Man könnte ihn sich als „Kombination eines Stammeshäuptlings der Schasu mit der Figur eines ägyptischen Politikers asiatischer Abkunft" (Görg, Exodus 635) denken, welcher der mit ihm im Exodus verbundenen Gruppe zugleich neue Dimensionen des Gottes JHW(H) erschloß. Mit der historischen Mosefigur bleibt die entscheidende „Kompetenz-Ausweitung" des vorbiblischen J H W als einem territorial und sippengemäß begrenzten „Bezugsgott" zum territorial ungebundenen (er kommt „aus dem Sinai" zu den Seinen, wo immer sie in Not sind), gesellschaftskonstitutiven (die sich zu ihm „Bekennenden" sind seine „Sippe" bzw. sein „Volk") und geschichtlich handelnden (er „verwirklicht" sich selbst als „Führungsgott" seines Volkes in dessen wechselvoller Geschichte) biblischen J H W H verbunden, dessen im Exodus offenbar gewordenes „Wesen" die biblische Überlieferung dann durch Mose in Ex 3,13—15 theologisch sachgemäß, wenn auch im Rückgriff auf eine namensgeschichtlich wohl „falsche" Herleitung aus der Verbbasis HYH = „sein, dasein" erklären läßt. 3. Biblische
Mosebilder
3.1. In den Büchern Ex-Dtn ist Mose die nahezu alle Erzählungen und Gesetzesüberlieferungen verbindende menschliche Gestalt. Daß sie und der Name des Mose demgegenüber in der außerpentateuchischen Literatur „keineswegs zu der Bedeutung gekommen ist, die man nach seiner jetzigen Rolle erwarten sollte" (Noth, Überlieferungsgeschichte 172), dürfte vor allem zwei Gründe haben: Zum einen liegt eine übergreifende Geschichtstheologie der Ursprünge Israels von den Erzeitern über Exodus, Sinai, Wüstenwanderung bis hin zur Landnahme erstmals in der mittleren Königszeit, in der sog. frühdeuteronomischen Theologie vor (jehowistisches Erzählwerk aus der Frühzeit des Manasse, als erste Synthese prophetischer, priesterlicher und weisheitlicher Konzeptionen, entstanden in Jerusalem; so u.a. E. Zenger); zum anderen war die biblische Tradition weniger an der Ausgestaltung der Biographie des Mose als an seiner Funktion bzw. an den ihm zugeschriebenen „Worten" interessiert: Mose war und blieb - darin ist eine erstaunliche Kontinuität zum „historischen" Mose erkennbar — der Übermittler und Interpret des sich im Gottesnamen J H W H gemäß Ex 3,14f geheimnisvoll verheißenden und fordernden Gottes-Zuspruchs. Am auffallendsten ist zunächst, daß Mose beinahe alle Funktionen und Ämter oder zumindest Aspekte von ihnen in sich versammelt - mit einer Ausnahme: Er hat keine spezifisch königlichen Züge angenommen, obwohl sich solche von seiner Rolle als „Gesetzgeber" „Feldherr" oder „Volksführer" durchaus aufgedrängt hätten. In der Sache bedeutet dies: Mose ist nie zum „Konkurrenten" des Gottes Jahwe oder seiner Gottesherrschaft geworden. Selbst wo er, wie in der späten Überlieferung Ex 3 4 , 2 9 - 3 5 , beinahe „vergöttlicht" wird (der göttliche Glanz bleibt auf seinem Angesicht!), bleibt er Bote und Mittler Gottes oder, wie die deuteronomische/deuteronomistische Theologie gerne sagt, „Knecht Jahwes" (sein Vertrauter und sein Stellvertreter) und nicht „Sohn" Gottes. Wenn die Tradition ihn oben auf dem Berg „gemäß dem Wort Jahwes" (Dtn 34,5)
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sterben und von Jahwe selbst bestatten läßt (Dtn 34,6 ist M T beizubehalten!), hat sie das biblische Bild von Mose als dem „Gottesinterpreten" und „Gottesknecht" (der mit seiner Vollmacht handelt!) par excellence (vgl. Num 12,6—8), aber auch „Gotteskämpfer" (vgl. Ex 3 2 , 2 6 - 2 9 ) zusammengefaßt: Was Mose war und ist, ist er 'al-pi jhwh, d.h. als Hörer und Täter des ihm aus dem Mund Jahwes zukommenden Wortes. Die rabbinische Tradition hat Dtn 34,5 sehr tiefsinnig so gedeutet, daß Mose „am Mund Jahwes", d.h. von Gott geküßt, gestorben sei. Dabei bleibt die andere Linie der Moseüberlieferung unüberhörbar stehen, die Mose voll auf die Seite seines Volkes stellte (vgl. besonders Mose als Fürbitter für sein Volk, der sogar für dieses zum Sterben bereit ist: Ex 3 2 , 7 - 1 4 . 3 1 - 3 2 ) , bis hin zum Widerspruch (vgl. Ex 17,4; Num 11,11-15) und zur Sünde gegen Gott (vgl. vor allem die priesterliche Theologie: Num 2 0 , 1 - 1 2 ; 27,13 f; dazu G. von Rad, Theologie I 308: „Die alte Frage qua in re peccaverit Moses, wird von dem Text nicht mehr klar beantwortet; wahrscheinlich hat ihn die Scheu der Späteren übermalt. Nach Ps 106,32 hat Mose ,unbesonnen geredet'"). In den ältesten Exodusgeschichten (vermutlich im Nordreich entstanden), die in das jehowistische Werk (s.o.) Aufnahme fanden, ist Mose vor allem Bote —»Jahwes gegenüber dem Pharao und für Israel, der Jahwes befreiendes und rettendes (durch „Schlagen" und „Schützen") Handeln ankündigt und deutet; in einer (vermutlich ebenfalls im Nordreich entstandenen) weiteren Ausgestaltung dieser Überlieferung wird Mose dann zugleich zum „Gottesmann" bzw. Wundertäter im Stil der Elia- und Elisageschichten. Der frühdeuteronomische („jehowistische") Mose integriert schließlich Züge der für die Jahwe-Monolatrie kämpfenden Nordreichprophetie (Elia, Hosea) und des prophetisch-weisheitlichen Einsatzes für „Recht und Gerechtigkeit"; in Sonderheit wird er nun zum Mittler des in einer „Gottesberit" gegebenen „Privilegrechts" (vgl. Ex 34*). Damit sind die entscheidenden Weichen für die sog. Mosefiktion gestellt, die das ganze Dtn bestimmt, auch wenn der Mosename nur in den Rahmenteilen des Dtn begegnet (Anfang von Dtn 1; Dtn 4 , 4 1 - 5 , 1 ; 2 7 - 2 9 ; 3 0 - 3 4 ) : Mose ist hier der prophetische (vgl. Dtn 1 8 , 1 5 - 1 8 ) , aber als solcher gleichwohl einzigartig autoritative (vgl. Dtn 3 4 , 1 0 - 1 2 ) Ausleger der im Dekalog (Dtn 5 , 6 - 2 1 ) von Gott selbst unmittelbar und vor allem Volk verkündeten „Kurzfassung" seines im Exodus begründeten Gotteswillens. In der Priesterschrift kehrt die Überlieferung geradezu „instinktiv" zum „Ur-Mose" zurück, wenn sie ihn in Ex 6 , 2 - 8 zum Erst-Empfänger der Offenbarung des Gottesnamens Jahwe, also zum Mittler der eigentlichen „Gotteswahrheit" macht; als solcher intitiiert er den Bau des Heiligtums als „Gottesbegegnungsstätte" und den Opferkult als Feier der Befreiung (vgl. Lev 9—10) und als gottgeschenkte Feier der Sühne bzw. der Versöhnung mit Gott (vgl. Lev 16). 3.2. Außerhalb des Pentateuck spielt die Mosegestalt eine geringere, aber gleichwohl wichtige Rolle: (1) Zwischen der Elia- und der Moseüberlieferung in Ex sind Parallelisierungen nicht zu übersehen (insbesondere zwischen Ex 33 und IReg 19), die auf mehrfache wechselseitige (!) Beeinflussung zurückgehen, aber fundamental in dem Anspruch des historischen Elia verwurzelt sein könnten, in der Autorität des Mose zu handeln; auf diese „successio mosaica" dürfte auch Hosea zurückgegriffen haben (E. Zenger, Durch Menschen). (2) In der deuteronomischen und chronistischen Theologie ist Mose der Mittler der Tora, an der die Geschichte Judas und Israels, in Sonderheit das Verhalten der Könige, gemessen wird; die Tora heißt nun ausdrücklich „Buch der Tora des M o s e " (Jos 8,31; 23,6) bzw. „Tora des M o s e " (IReg 2,3; II Reg 14,4; I l C h r 23,18 u.ö.); allerdings tritt Mose im chron. Werk gegenüber David an Häufigkeit der Erwähnung und an Bedeutung zurück. (3) Die „normative" und „paradigmatische" Rolle des Mose als prophetischer Verkünder („Prediger") der Tora im Spannungsfeld von Leben und Tod, Heil oder Gericht (vgl. Dtn 28,30) wird nicht nur in der im DtrG beziehungsreich gestalteten Kette Mose-Josua-Propheten sichtbar, sondern noch einmal vertieft in der in Mal 3 , 2 2 - 2 4 als Schluß des ganzen „Prophetenkanons" ausdrücklich
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vollzogenen Rückbindung des corpus propheticum (3 „große" Propheten und 12 „kleine Propheten" in Entsprechung zu den 3 Stammvätern Abraham, Isaak, Jakob und den 12 Söhnen Jakobs) an die „Tora des Mose, meines Knechtes" (Mal 3,22 als Rückbezug auf Jos 1,7!). (4) In Neh 8 - 1 0 wird eine regelrechte Parallelisierung Mose-Esra vollzogen (—>Esra). (5) Unterschiedliche Aspekte des durch Mose sein Volk rettenden Jahwe werden in Hos 12,14 (Mose als prophetischer „Hirte" Israels beim Exodus, im Kontrast zu Jakob; allerdings fehlt der Name „Mose"), Jer 15,11 (Mose und Samuel als Fürbitter), Jes 63,11 - 1 4 (Mose als einer der „Hirten" beim Exodus und als Instrument des „Armes" Jahwes; vgl. I. Fischer, Wo ist Jahwe? 1 1 - 1 5 . 1 4 7 - 1 6 7 ) und in Mi 6,4 (Mose, Aaron und Mirjam als gottgesandte Anführer auf dem Exodusweg) herausgestellt. (6) Der einzige Mose als „Gottesmann" zugeschriebene 90. Psalm (u. a. wegen der Anspielungen in Ps 90,3 an Gen 3,19) eröffnet das vierte Psalmenbuch 9 0 - 1 0 6 , das motivlich mehrfach auf den Pentateuch, insbesondere auf die Exodusüberlieferungen zurückgreift und überdies Mose in Ps 99,6; 103,7; 105,26; 106,16.23.32 namentlich nennt. Außerhalb des vierten Psalmenbuchs, das insgesamt stark von „mosaischer" (Pentateuch-) Theologie geprägt ist (F.. Zenger, Israel und Kirche), begegnet Mose namentlich nur noch in der Schlußzeile des 77. Psalms (77,21), wo Mose und Aaron, analog Jes 63,11 und Mi 6,4, als Hirten im Dienste Jahwes dessen „Volk" beim Exodus und durch die Wüste geführt haben. 4.
Meerlied/Moselied/Mosesegen
4.1. Das Meerlied Ex 15,lb-18, das gemäß Ex 15,1a Mose mit den Israeliten nach der Rettung am Meer als eine Art Siegeslied singt, wurde zwar insbesondere in der „Albright-Schule" als einer der ältesten, wenn nicht gar als der älteste biblische Text überhaupt (wegen seiner angeblich engen Verwandtschaft mit ugaritischen Texten) bestimmt, doch spricht die mit Aufnahme von im Baal-Mythos belegten Vorstellungen (Sieg über das Chaos-Meer, Bau eines Palastes/Heiligtums auf dem Götterberg) durchgeführte „Mythisierung" der Geschichte, deren narrativer Geschehensbogen vom Meerwunder bis zum Kommen Israels an den „Gottesberg" Zion reicht, für eine Datierung in die späte Königszeit bzw. wahrscheinlicher in die exilische/nachexilische Epoche; auch die komplexe Form und die „polemische Monolatrie" (F. L. Hossfeld, E. Zenger) schließen jegliche Frühdatierung aus. Umstritten ist, ob das Lied für den jetzigen literarischen Zusammenhang geschaffen und dann in literarkritischer Hinsicht einheitlich ist oder ob es (wahrscheinlicher) ursprünglich selbständig war, einen Sitz im Kult (Herbstfest? Pessachfest?) hatte und erst (sekundär) in den Ex-Erzählzusammenhang eingefügt und durch entsprechende „Zusätze" mit diesem verbunden wurde. Das Lied zitiert am Anfang das ältere Mirjamlied Ex 15,21 (andere Meinung u.a.: 15,21 ist kein eigenständiges Lied, sondern die für den Erzählzusammenhang konstruierte „Antwort" der Frauen) und entfaltet dessen Hauptaussagen sowohl hinsichtlich des Meergeschehens selbst als auch hinsichtlich der dabei offenbar gewordenen „Erhabenheit" Jahwes, die in dem das Lied beschließenden Bekenntnis bzw. in der Beschwörung des „ewigen Königtums" Jahwes (Ex 15,18) zusammengefaßt wird. 4.2. Das ,,Moselied" Dtn 32,1-43 (J. C.G. Volck: „Mosis canticum cygneum" = Schwanengesang) verdankt diese Bezeichnung nur seinem literarischen Kontext, der es als „Lied" (Dtn 31,19.21.30; 32,44) vorstellt, das Mose vor seinem Tod „der vollständigen Versammlung Israels, ohne irgend etwas auszulassen, laut vortrug" (Dtn 31,30; vgl. 32,44). Der umfangreiche dtr. Rahmen Dtn 3 1 , 1 6 - 3 0 und 3 2 , 4 4 - 4 7 parallelisiert „das Lied" (Dtn 31,19.21) mit der töräh „Weisung" (Dtn 31,24.26; 32,46) (Braulik, Das Testament 78). Beide sollen als schriftliche Dokumente sowie als wirkmächtiges Wort „Zeuge" vor und in (gegen?) Israel (Dtn 32,19.21.26) sein. Das im wesentlichen einheitliche (leichte Überarbeitungen!) „Lied", dessen Entstehung in der Exils- bzw. Frühnachexilszeit immer noch am plausibelsten erscheint (in der Forschung werden Datierungen vom 11. bis zum 5. Jh. vertreten; neuerdings will J. C. de Moor das „Lied" sogar als mosaisch re-
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klamieren), ist „eine Theodizee mit tröstlichem Ausgang" (K. Budde), die, wie das „Proömium" (V. 1 - 3 ) herausstellt, als weisheitlich-erzieherische „Lehre" den Adressaten neues Leben, Stärkung und Trost zusprechen will. Vor allem will das „Lied", als dessen Thematik V. 4 f die Verläßlichkeit und die Gerechtigkeit Jahwes (Jahwe ist der rettende „Fels" schlechthin: Dieser aus Jerusalemer Tradition stammende Gottesname begegnet siebenmal!) im Gegenüber der Untreue Israels proklamiert, Israel dazu fähig machen, gerade angesichts der katastrophischen Erfahrungen seiner Geschichte sich, wie der „Liedschluß" V. 43 angibt, Jahwe als „dem Gott huldigend zu beugen und ihn zu preisen, dem allein universal, von Himmel und Erde, Huldigung gebührt." (H. Irsigler, Moselied 174). Das „Lied", das sich nach Meinung mancher Exegeten im Aufbau von der „prophetischen Anklagerede bei Bundesbruch" (rtb pattern) inspirieren läßt (wenig wahrscheinlich, da dieses pattern selbst nicht sicher ist), könnte in Büß- und Bittgottesdiensten der Exilszeit (vgl. Thr u.a.) mit einem „prophetischen" Sprecher (vgl. Ps 50; 81) seinen ursprünglichen „Sitz im Leben" gehabt haben; es ist eines der frühesten und klassischen Zeugnisse des reflektierten Monotheismus Israels (vgl. besonders 32,39). Indem die deuteronomistische Redaktion diese geschichtstheologisch entfaltete Proklamation des Jahwe-Namens als Kurzfassung der „ T o r a " sekundär zum „Testament" des Mose macht, führt sie einerseits das in Ex 3 , 1 3 - 1 5 und Ex 34,6f, aber auch in Ex 6 , 2 - 8 präsentierte Bild von Mose als „Offenbarungsmittler" weiter, andererseits macht sie ihn zum „Gotteslehrer" schlechthin. 4.3. Der „Mosesegen" Dtn 33,1-29 wurde wie das „Moselied" von einer deuteronomistischen Redaktion sekundär Mose zugeschrieben und in das Dtn eingefügt. Wie der sterbende Jakob (Gen 49) seine zwölf Söhne mit einer Komposition von „Stammessprüchen" der Reihe nach segnet und mit der schöpferischen Wirkmacht der Abschiedsworte eines Sterbenden (vgl. die Gattung des „Testaments") deren Zukunft gestaltet (vgl. Gen 49,1), so spricht Mose, „der Mann Gottes" (Dtn 33,1; vgl. Jos 14,6; Ps 90,1; Würdetitel von Samuel, Elia, Elisa), seinen prophetischen Segen über die zwölf Stämme, „bevor er starb". Die Abfolge „Lied" (Dtn 32) - „Segen" (Dtn 33) entspricht der Abfolge „Psalm Davids" (II Sam 22) — „letzte Worte Davids" (II Sam 2 3 , 1 - 7 ) . Sachlich erinnert sie an die in der deuteronomischen/deuteronomistischen Theologie wichtige Spannung „Segen" - „Fluch" (vgl. Dtn 28), kehrt sie freilich antithetisch um: Moses letztes Wort ist Segen. Der Text besteht aus ursprünglich zwei selbständigen Teilen: Um die im Vergleich mit Gen 49 jüngere Komposition der Stammessprüche V. 6 - 2 5 , deren singuläre Anordnung und Reihenfolge der Stämme sich geographischen Gesichtspunkten verdankt (der Levispruch V. 8 - 1 1 geht erst auf die deuteronomistische Redaktion zurück; von ihr stammen auch V. 1 und V. 4), ist ein vermutlich ebenfalls ursprünglich selbständiger Jahwe-Königtums-Psalm (V. 2 - 5 . 2 6 - 2 9 ) gelegt worden. Die Datierung beider Stücke ist kontrovers; sie reicht von der vorstaatlichen bis zur spätvorexilischen Zeit; einzelne Stammessprüche können vorstaatliche Überlieferung bewahrt haben; der zweistrophige „Rahmenpsalm", der Jahwes Königtum in Auseinandersetzung mit der (kanaanäischen) Tradition vom „Götterkönig" in seiner Israel rettenden geschichtlichen Zuwendung feiert, dürfte erst aus der mittleren Königszeit stammen (—»Herrschaft Gottes). Vielfach wird versucht, aus der textlich sehr schwierigen masoretischen Form von Dtn 3 3 , 2 - 5 . 2 6 - 2 9 eine „Vorstufe" zu rekonstruieren, die in die vorstaatliche Zeit zurückreichen soll (vgl. u.a. J . Jeremias, Königtum Gottes 8 2 - 8 8 ) . In jedem Fall zeigt der „Rahmenpsalm" eine Theologie des „Sinaigottes" Jahwe, die sich von der in Ex 1 9 - 2 4 entfalteten deutlich abhebt. Literatur William Foxwell Albright, Jethro, H o b a b and Reuel in Early Hebrew Tradition: C B Q 25 (1963) 1 — 11. — Ders., Moses in Historical and Theological Perspective: Magnalia Dei. Essays in M e m o r y of George Ernest Wright, New York 1976, 1 2 0 - 1 3 1 . - Elias Auerbach, Moses, Amsterdam 1953. - Erik Aurelius, Der Fürbitter Israels. Eine Studie zum Mosebild im AT, 1988 ( C B . O T 27). - Chri-
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Erich Zenger
342
Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften II
II. Neues Testament 1. Synoptische Evangelien 2. Johannesevangelium 5. Hebräerbrief 6. Die übrigen Stellen (Literatur S. 346)
3. Apostelgeschichte
4. Paulus
Das Neue Testament nennt Mose öfter als jede andere Gestalt der biblischen Vorzeit. Hinzu kommen Anspielungen auf mit ihm verbundene Traditionen, deren Eindeutigkeit von Fall zu Fall zu prüfen ist (Saito 51—72.112f). Von erheblichem theologischem Gewicht ist diese implizite Form der Moserezeption dort, wo die frühchristliche Gemeinde ihre eigene Schrifthermeneutik offenlegt. Abgesehen von II Tim 3,8; Jud 9 und Apk 15,3'begegnet Mose explizit nur in den Evangelien, in Act, in Teilen des Corpus Paulinum (Rom, I/II Kor) und im Hebr. Diese Verteilung spiegelt das in diesen Zeugnissen reflektierte Verhältnis von christlicher Gemeinde und Synagoge wider. Es findet seinen augenfälligsten Ausdruck in der Gegenüberstellung von Christus und Mose. Ein in sich geschlossenes Mosebild bieten die neutestamentlichen Schriften jedoch nicht. 1. Synoptische
Evangelien
Ein primär biographisches oder historisches Interesse an Mose fehlt hier. Er gilt vornehmlich als Verkünder der Tora (Mk 1,44 par.; 7,10; 10,3 par.; 12,19 par.; Lk 2,22; 16,29.31; 24,27). Daran kann positiv, nicht selten jedoch auch in kritischer Absicht angeknüpft werden. So kontrastiert Matthäus den mit Mose verbundenen Anspruch, Gottes Gebote verbindlich und vollgültig offenbart zu haben, mit dem Anspruch Jesu. Im Kontext der Antithesen 5,21—48 stellt Mt 5 , 1 7 - 1 9 klar, daß „das —»Gesetz und die —•Propheten" an Christus vorbei keinerlei Autorität aus sich heraus besitzen. Damit wird ein Verständnis der Schrift ausgeschlossen, das von Jesus absieht. Dieser streng christologisch definierte Zugang zur Mosetora und zu den Propheten bestimmt auch die Diskussion über die Reinheitshalacha (Mk 7,1—23 par. Mt 15,1-20). Bereits auf der vormarkinischen Stufe überführt Jesu Antwort den an ihn herangetragenen Tadel (Mk 7,5) qua Analogiefall (V. 9—13) in eine grundsätzliche Kritik an „eurer Überlieferung" (Mk 7,9 par. Mt 15,3). Indem Jesus sich auf das mosaische Gebot bezieht, an dem sich das Weihegelübde kritisch zu messen hat, bezichtigt er die Ankläger unter Berufung auf Mose nicht allein der Heuchelei, sondern deklariert ihre Korbanpraxis als Aufhebung des in der Tora geoffenbarten Wortes Gottes (Mk 7 , 1 1 - 1 3 par. Mt 15,5 f). Das Logion Mk 7,15 par. Mt 15,11 konfrontiert die halachische napäöoaiq TCÖV npeaßvrepcov („Überlieferung der Alten") (Mk 7,5 b par. Mt 15,2a) mit dem Anspruch Jesu, den Willen Gottes auch ohne absichernden Rückgriff auf die Mosetora aus- und offenzulegen. Dadurch wird die Tora und mit ihr die Autorität Moses hineingestellt in den übergreifenden Horizont der mit Jesus anbrechenden Gottesherrschaft (vgl. nur Mk l,14f par. Mt 4,17; Mt 12,28 par. Lk 11,20). Das innere Gefälle des Streitgesprächs Mk 1 0 , 2 - 9 par. Mt 1 9 , 2 - 9 zielt besonders in seiner markinischen Fassung auf die Klimax in V. 9. Dessen Pointe besteht nicht darin, Mose gegen Mose auszuspielen. Der argumentative Stellenwert des Zitatenverbunds (Gen 1,27; 2,24) liegt auf einer anderen Ebene als die sich von Dtn 24,1.3 her legitimierende Scheidungspraxis (Mk 10,3 f par. Mt 19,7). Anders als hier sieht Jesus dort - über den förmlichen Charakter als jeweiliges Schriftzitat hinaus — den der Schöpfung eingestifteten Willen Gottes zur Sprache gebracht. Dieser gründet zwar in der Tora, muß aber nicht mit Einzelgeboten identisch sein. Wie in Mk 1 , 4 0 - 4 5 par. die Aufforderung Jesu an den Geheilten zu verstehen ist, sich nach der Anordnung Moses dem Priester zu zeigen (Lev 13; 14,2f), illustriert Matthäus durch seine Verknüpfung der Heilungsgeschichte ( 8 , 1 - 4 ) mit der -»Bergpredigt. Der Sinn der Sendung Jesu, des die Tora erfüllenden Messias Israels (5,17—19), besteht darin, die Tora auszulegen. Entsprechend geschieht das, was Maria „nach dem Gesetz Moses" vollzieht, in Kontinuität zu und in Übereinstimmung mit Jesu Beschneidung und Darbringung (Lk 2,21 f). Auch hier erfolgt der Rückbezug auf Mose in christologischer Absicht (vgl. Lk 2,25 f). Seine Anerkenntnis als von Gott bevollmächtigter
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Offenbarungsmittler geht der Frage der Sadduzäer Mk 12,19 par. voraus. Alle drei Evangelisten nehmen das Stichwort „Mose" positiv auf. Sie lassen Jesus mit der Schrift antworten, indem er die vermeintlichen Konsequenzen des unterstellten Kasus mit Mose selbst (Ex 3,6) widerlegt (Mk 12,26f par.). Die Verklärungsgeschichte Mk 9 , 2 - 8 par. erinnert in Einzelzügen ihrer Motivik über die Nennung Moses hinaus (V. 4f) an das Sinaigeschehen (Ex 24,1.9.12f.l5f; 3 4 , 2 9 - 3 5 ) . Doch diese Reminiszenz steht im Dienst der messianischen Proklamation Jesu (9,7 par.), deren Schluß nicht von ungefähr die Verheißung des endzeitlichen Mose-Propheten aus Dtn 18,15 aufnimmt und auf Jesus überträgt. Das Erscheinen der beiden in himmlischer Entrückung vorgestellten Gestalten Mose und -»Elia erhellt deren theologische Funktion an dieser Stelle. Als Typos und Vorläufer des endzeitlichen -»Messias (Haacker/Schäfer 173 f) bezeugen sie, daß der verklärte Jesus wie sie selbst der himmlischen Welt angehört, aber zugleich mehr und anders als sie der Sohn Gottes ist. Mit anderen Worten, Mose erscheint, um die Messianität Jesu zu bestätigen. Das die Redekomposition Mt 2 3 , 1 - 3 6 einleitende Jesuswort (V. 2) übt keine Kritik an Mose. Der sich pauschal gegen die „-»Schriftgelehrten und -»Pharisäer" richtende Vorwurf benutzt das Kathedra-Motiv (tSuk 4,6; EkhaR 2,10; ShemR 32,11; SifBam 27,18), um ihre von Mose abgeleitete Lehrautorität (mSan 1,6; SifBam 11,16) mit ihrem damit nicht vereinbaren Tun zu kontrastieren. 2.
Johannesevangelium
Das Interesse des 4. Evangeliums an Mose ist mehrschichtig. Joh 9,29 formuliert von jüdischer Warte aus, der Mose primär als Sprachrohr Gottes und Gesetzgeber gilt (vgl. 7,19a.22f). Doch bereits der Prolog präludiert in 1 , 1 4 - 1 8 das theologische Spezifikum des johanneischen Mosebildes. Die in V. 17f explizit vorgetragene Gegenüberstellung von „Gesetz" und „Gnadenfülle" ist identisch mit der von Mose und Christus (vgl. 6,32f; 9,28f, ferner V. 17a mit 7,19; V. 18 mit 5,37b; 6,46; 12,45; 14,9). Nicht die von Mose stammenden Schriften enthalten das ewige Leben (5,39). Zum Leben verhilft die Tora ausschließlich in einer sie selbst limitierenden Weise, indem sie von sich weg auf den verweist, von dem sie Zeugnis ablegt (1,45; 5,46b), von -»Jesus Christus, dem in die Welt herabgestiegenen Gesandten des Vaters (3,17.34; 5,30; 6,29; 7,28 f; 8,16; 12,44 f; 17,3; 20,21). Diese christozentrische Schrifthermeneutik bestimmt auch die Interpretation des auf die Mannaspeisung (Ex 16) bezogenen Zitats Ps 77,24 [LXX] (6,31) in 6,32. Dem typologisch verstandenen Psalmwort eignet wiederum nur eine dienende Funktion als Ausdruck einer außerhalb seiner selbst liegenden Heilswirklichkeit. Sie gründet nicht in der Schrift, wird auch nicht von Mose vermittelt. Die wahre -»Offenbarung vom Himmel bleibt einzig für Jesus Christus, den menschgewordenen -»Logos, reserviert ( I , 4 f . l 4 a . l 8 ; 3,16; 5 , 3 7 - 3 9 ; 7,28f; 8,42; 1 7 , 2 1 - 2 3 . 2 5 b u.ö.), in dem Gottes Ö6£a („Herrlichkeit") selbst gegenwärtig ist. Doch hebt dieses Urteil über Mose dessen positive Zeugnisfunktion nicht auf. Wie das Manna in der Wüste das wahre Himmelsbrot typologisch vorschattet, spricht Mose in der Schrift „von mir" (5,46), von „Jesus, Josephs Sohn aus Nazareth" (1,45; vgl. 6,42). Daher kann Mose, und zwar in betontem Gegensatz zur traditionellen Vorstellung von seinem Amt als Fürsprecher -»Israels vor Gott, als Ankläger gegen „die Juden" (5,18) aufgeboten werden. Nähmen sie ihn ernst, müßten sie auch an Jesus glauben (5,45 f; vgl. 9,28 f). So wird Mose zum Zeugen für die Wahrheit der Sendung des Sohnes, ihm damit aber zugleich in betonter Weise subordiniert (vgl. 1,21.25; 3,14f; 6,14; 4,19.44; 7,40.52; 9,17). 3.
Apostelgeschichte
Abgesehen von der Metonymie Mose = Tora (6,11.14; 15,1.5.21; 21,21; 26,22; 28,23) konzentrieren sich nahezu alle übrigen Belege auf die Stephanusrede 7 , 2 - 5 3 . Mit ihr reagiert der spätere M ä r t y r e r auf den Vorwurf, er verbreite „ L ä s t e r w o r t e gegen M o s e und G o t t " (6,11) bzw. gegen den —»Tempel und das Gesetz (6,13f). M o s e wird hier als der erwählte
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und durch Wunder legitimierte Gesandte G o t t e s und Gesetzesmittler präsentiert. In dieses M o s e b i l d schiebt sich aber ein bereits im Alten T e s t a m e n t (Ex 17,4; N u m 14,10) angelegtes gegenläufiges M o t i v : das seiner Verleugnung und Abweisung durch „unsere V ä t e r " (V. 35 a). Sie gehorchten M o s e nicht, stießen ihn a b (V. 39; vgl. V. 2 7 - 2 9 ) und fertigten sich selbst ein Gottesbild (V. 4 0 f . 4 3 ) . Diese Linie der falschen Gottesverehrung zieht das negative Urteil über den „mit Händen g e m a c h t e n " Jerusalemer Tempel (V. 4 8 - 5 0 ; vgl. V . 4 1 ) bis in die G e g e n w a r t des Sprechers hinein aus. D a s bereits im zeitgenössischen J u d e n t u m ausgebildete eschatologisch-messianische Verständnis der Moseverheißung von Dtn 18,15 (Teeple 3 1 - 4 3 ; M e e k s , Prophet King 1 0 0 - 1 2 5 ) - neben A c t 7 , 3 7 auch in der Verbindung von 3 , 1 8 mit 3 , 2 2 f sichtbar - wird vom „ K o m m e n des G e r e c h t e n " (V. 5 2 ; vgl. 3 , 1 4 ; 22,14) her christologisch reflektiert und in die deuteronomistische Vorstellungstradition vom gewaltsamen Prophetengeschick integriert. So erschließt das Ende der Stephanusrede die M o seprophet-Typologie als alttestamentlich fundierte Weissagung auf die Geschichte J e s u hin. Zugleich erscheint die Passion J e s u in dem Mosegeschehen typologisch präfiguriert, dessen Erfüllung in der Jetztzeit Act 7 , 5 l f konstatiert. M i t seiner auf M o s e zurückgreifenden, heilsgeschichtlich begründeten Kritik am Tempelkult begegnet Stephanus der Anklage, gegen M o s e und G o t t zu agitieren. Die auf den Jerusalemer Tempel fixierte Gottesverehrung verkennt vielmehr ihrerseits die M a n i festation der 5ö£,a Qeoü in dem auferweckten und erhöhten Jesus (7,55 f). Dadurch gibt Stephanus den gegen ihn erhobenen V o r w u r f an seine Widersacher zurück. In Act 7 , 1 7 - 4 3 bestimmt das lukanische Christusverständnis das lukanische Moseverständnis und umgekehrt.
4. Paulus In II Kor 3 , 4 - 1 8 verteidigt Paulus seine Eignung (3,5 f) zur Evangeliumsverkündigung. Er kontrastiert den Inhalt seines -»Apostolats, die Siaxovia xaivtjq ¿laStjxrjc; („Dienst eines Neuen Bundes"), d.h. das Christusevangelium (3,6; vgl. Rom 1,1.9; 15,16; Phil 2,22; Kol 1,23; Eph 3,6f), mit der nalaiä öia^xrj („Alter Bund") (V. 14), der Sinaitora (vgl. V. 15a; I Kor 9,9; Gal 4,24), mit deren Verkündigung Mose beauftragt war. In 3 , 7 - 1 1 erläutert Paulus, inwiefern und warum sich die Christusdiatheke von der Mosediatheke grundsätzlich, d. h. qualitativ, unterscheidet. Diese besitzt zwar ihre eigene Herrlichkeit, wie der das Angesicht Moses verklärende Lichtglanz bezeugt. Doch das Schwinden des Glanzes (V. 7.13) ist zugleich ein Kennzeichen dafür, daß der Mose-Dienst limitiert und angesichts der „alles überragenden Herrlichkeit" (V. 10) der dem Apostel übertragenen Evangeliumsverkündigung vergänglich ist. Dadurch degradiert Paulus M o s e jedoch keineswegs zum M i t t l e r einer post Christum überholten Heilsordnung. Die T o r a ist und bleibt für Paulus G o t t e s guter Wille. Aber sie trifft auf den i m m e r schon der - » S ü n d e verfallenen - » M e n s c h e n ( R o m 7 , 1 4 . 1 7 . 2 0 ; 8,7) und wird für ihn zum anklagenden, richtenden G o t t e s w o r t ( R o m 1 , 1 8 - 3 , 2 0 ; 7 , 8 b - 1 0 . 1 2 ) . In dieser Funktion ist der M o se-Dienst und mit ihm seine ÖÖ£a dort vergangen, „ w o das Evangelium als die rettende und lebendigmachende M a n i f e s t a t i o n der M a c h t und Herrlichkeit G o t t e s " offenbar wird (Hofius, G e s e t z und Evangelium 113). Solange und wann immer Israel M o s e (d.h. die im Synagogengottesdienst verlesene T o r a ) vernimmt, liegt „bis h e u t e " — wie bei M o s e und der Exodusgeneration (II K o r 3 , 1 3 f) - „eine Hülle auf ihrem H e r z e n " ( 3 , 1 4 f ) . M i t dieser symbolischen Deutung von E x 3 4 , 3 3 - 3 5 expliziert Paulus noch einmal den Gegensatz, der in soteriologischer Hinsicht zwischen der M o setora und dem Evangelium von Jesus Christus besteht. Erst ¿v Xpwxcb („in C h r i s t u s " ) (3,14 b) wird die der T o r a zugemesssene Aufgabe, den Sünder mit der göttlichen Willensforderung zu k o n frontieren, erkennbar, damit aber auch die auf diesen Dienst begrenzte Funktion des M o s e .
Jedoch läßt sich von Paulus her kein einseitig negatives Mosebild ableiten. Das beweisen neben den argumentativ hochbesetzten Mose-(Tora-) zitaten Rom 9,15; 10,5.19 vor allem Gal 3,19f und I Kor 10,2. Dem Mittler (Mose) wurde 430 Jahre nach der Abrahamverheißung (Gal 3,17) das Gesetz „durch -»Engel verordnet" (3,19; vgl. Act 7,38.53; Hebr 2,2; Josephus, Ant X V 136; Jub 1,27; 2,1; PesR 21[103b]; MShir 1,2). Damit disqualifiziert Paulus das Gesetz nicht als von widergöttlichen Mächten stammend. Im Hintergrund von Gal 3,19 f dürfte vielmehr der auch sonst im antiken Judentum zu belegende Auftrag der Engel stehen, Anwälte der -»Heiligkeit Gottes und seiner strafenden -»Gerechtigkeit (middat had-diri) zu sein (P. Schäfer, Rivalität zwischen Engeln und Menschen, 1975 [SJ 8] 2 2 0 - 2 2 2 ) . Indem Mose aus den Händen der Engel die Tora empfängt und sie weitergibt, wird er zum Mittler der in ihr zu vernehmenden, Juden wie Heiden gleichermaßen geltenden Anklage und Rechtsforderung Gottes. Die
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auf diese Funktion begrenzte Aufgabe der Tora ist, wie zuvor in II Kor 3,4 ff, auch hier leitend. Gleich zu Beginn des paränetisch ausgerichteten (I Kor 10,11 f) Abschnitts I Kor 1 0 , 1 - 1 0 schließt Paulus die angeredeten Christen in einer Art mythischen Korporativdenkens mit „unseren Vätern" der Wüstengeneration zusammen. Ihren Durchzug durch das Meer (V. 2) deutet der Apostel als „ - » T a u f e auf M o s e " , womit er bereits sprachlich den Bezug auf die Christustaufe herstellt (Rom 6,3; Gal 3,27). Moses Rettungshandeln ist die typologische Vorausdarstellung (V. 6.11) dessen, was sich in der christlichen Taufe vollzieht. Zugleich werden die weiteren Ereignisse der Wüstenzeit ( V . 5 - 7 . 8 b . 9 b . 1 0 b ) den Korinthern als Beispiele einer falschen securitas warnend entgegengehalten. Sie gewinnen in der gegenwärtigen, christologisch definierten Heilszeit (II Kor 6,2 b) ihre Eindeutigkeit „für uns" (Rom 4,23f; 15,4; I Kor 9,10). Durch diese vom Evangelium her bestimmte und von ihm ausgehende Denkbewegung legt Paulus in I Kor 10,1 ff nicht Christus durch Mose, sondern Mose durch Christus aus. 5.
Hebräerbrief
Der Gegensatz Mose-Christus begegnet im Hebr kein einziges M a l . Als Gesetzgeber wird Mose eher nebenbei erwähnt (9,19; 10,28; vgl. 7,14; 12,21). 3 , 1 - 6 stellt ihn neben Jesus. Beide sind mazöq (3,2), d.h. glaubwürdig und zuverlässig. Gott selbst hat es Mose ausdrücklich bestätigt (Num 12,7; vgl. AssMos 11,16). Deshalb bürgt Gott für die unbedingte Gültigkeit dessen, was Mose in seinem Auftrag noch verkündigen sollte (3,5), und zwar, so ist sachlich zu ergänzen (vgl. 1,2), auf die Zukunft Christi hin. Wenn aber schon Mose als Diener im Hause Gottes, der Gemeinde Israel, als treu und zuverlässig erfunden wurde, um wieviel mehr Jesus, der als Sohn auf Gottes Seite gehört und als Herr über das Haus, die christliche Gemeinde (vgl. 2,11 f; 12,23), gesetzt ist (3,4f; 10,21). Nicht Kritik an Mose, sondern Paraklese bestimmt diesen Abschnitt wie den Brief als Ganzes (13,22; vgl. 3,13; 6,18; 10,25; 12,5; 13,19). Die Differenz zwischen Mose und Jesus besteht bei gleichem 71/oroij-Sein in der unvergleichlich größeren Sö£,a des Gottessohnes (1,2-14; 3,3; 5,5). Der Begründung dieser christologischen Aussage, an der sich die Hoffnung der Gemeinde festmachen soll, dient die Moseparallele. In dem tractatus de fide (11,2-40) gehört Mose (11,23-29) zur „Wolke der Zeugen" (12.1). Auch sie wird nicht in polemischer Absicht aufgeboten, sondern um beispielhaft zu veranschaulichen, was -»Glaube ist (D'Angelo 24). Mose erscheint in 11,25 f geradezu als Antitypos des leidenden Christus (12,2). Im Glauben verliert er trotz aller Versuchung und erlittener Schmach das eschatologische Ziel nicht aus den Augen (V. 26) und erweist darin seine Zuverlässigkeit (vgl. 3,2.5). An ihm und den übrigen npeaßvzepoi („Alten") (11.2) soll die Gemeinde lernen, was Glaube heißt, und darin in ihrem Glauben gestärkt werden. In eschatologischer Vorläufigkeit wurde der Xöyoq xrjq äxorjQ („Wort der Predigt") (4,2) bereits Mose und dem Israel der Exodusgeneration bekannt. In eschatologischer Eindeutigkeit und unüberbietbar hat Gott jetzt durch den Sohn und Kyrios geredet (1,1 f; 2,3), den „Anführer und Vollender des Glaubens" (12,2). 6. Die übrigen
Stellen
II Tim 3,8 f paraphrasiert eine aus Ex 7 , 1 0 f.22; 8 , 3 . 1 4 f ; 9 , 1 1 herausgesponnene, nur noch bruchstückhaft erhaltene, jüdische Überlieferung von Jannes und Jambres (vgl. C D 5 , 1 7 - 1 9 ; TPsJ zu Ex 1,15 und 7 , 1 1 ; weiteres bei Bill. III, 6 6 0 - 6 6 4 ) . Der dort berichtete, entgegen Ex 7 , 1 2 ; 8,14; 9 , 1 1 erfolgreiche Widerstand der ägyptischen Zauberer gegen Mose (und Aaron) wird im Kontext von II Tim 3 , 1 - 9 einem paränetischen Zweck dienstbar gemacht. Er soll die Gefährlichkeit der in die Gemeinde eingedrungenen (3,6ff) Irrlehrer illustrieren. A m Beispiel des apokrypher Tradition entstammenden (vgl. 4 Q A m r b R 2 , 9 - 1 1 ; sl.VitMos 16) Streits zwischen dem Erzengel Michael und dem —»Teufel um den Leichnam Moses untermauert der Verfasser des —• Jud (V. 9) die Vermessenheit der von ihm angegriffenen Gegner. In der A p k singen die auf dem Zion versammelten (14,1) Sieger über das Tier aus dem Wasser (13; vgl. 17,3.14) „das Lied des Gottesknechtes M o s e (vgl. Ex 1 5 , 1 - 1 9 ) und das Lied des Lammes" (15,3). Eine Mose-Christus-Typologie im eigentlichen Sinn liegt nicht vor, sondern Exodus-Typologie (—»Exodusmotiv). M i t Hilfe der Himmelsozean-Sym-
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bolik (15,2; vgl. Ex 14,21-30) interpretiert der Seher Johannes -»Tod (12,11; 14,13) und -»Auferstehung der ihrem Glauben treu bleibenden Christen (13,8; 14,4f) als endzeitlichen Exodus aus der irdischen in die himmlische Welt. Leitend ist nicht der Entsprechungsgedanke: erster Erlöser (Mose) - zweiter Erlöser (Christus). Wie die Prädikation Christi als (Passa-) Lamm (15,3) zum Ausdruck bringt, liegt der Ton auf der eschatologischen Vollendung des irdischen Exodus durch das rettende Sühnopfer (-»Sühne) Christi (vgl. 1,5; 5 , 6 - 9 ; 14,3f; 19,9.13). Nur von dieser umfassenden Perspektive her ist es statthaft, Mose als Repräsentanten des Heilshandelns Gottes in der Vorzeit mit Christus als dem Erlöser der Endzeit typologisch in Beziehung zu setzen. Literatur Mary R. D'Angelo, Moses in the Letter to the Hebrews, 1979 (SBLDS 42). - Donald L. Balch, Backgrounds of I Cor. VII; Sayings of the Lord in Q; Moses as an Ascetic 0E1OZ ANHP in II Cor. 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Dieter Sänger
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III. Apokalyptische und jüdisch-hellenistische Literatur 1. Offenbarungsträger der apokalyptischen Tradition 2 . Hellenistisch-jüdischer 3. Zielscheibe antijüdischer A t t a c k e n 4 . Erhöhungen (Literatur S. 356)
Heros
Die Mose-Rezeption der jüdisch-hellenistischen Literatur, die sich zwischen hebräische Bibel und rabbinisches Schaffen einfügt, fächert sich in vielfältiger Art auf, entsprechend den zahlreichen ideologisch-politischen Gruppierungen der letzten beiden Jahrhunderte vor und dem 1. J h . nach der Zeitrechnung. Die unterschiedliche Akzentuierung der Mose-Figur legt eine Grobeinteilung nahe in apokalyptischen Offenbarungsträger einerseits, in hellenistischen Heros und Antiheros andererseits. Das methodische Augenmerk liegt dabei vor allem auf den neuen, die biblische Vorlage überlappenden Motiven, auf der Ausblendung bestimmter biblischer Mose-Episoden und auf der Zuweisung gewisser Rollen bis hin zu krass tendenziösen Verformungen des Exodus-Protagonisten. Die literatur-soziologische Betrachtung dieser Topoi und Akzentverschiebungen soll den Grund des Erfolgs einiger neuer Mose-Aspekte, ihren Nährboden und die sie tragenden Gruppen erhellen. 1. Offenbarungsträger
der apokalyptischen
Tradition
Nach altkirchlichen Zeugnissen gab es eine große Anzahl apokrypher Texte mit M o s e als Offenbarungsträger (Brandenburger 60). Uns davon bekannte Schriften sind etwa das ->Jubiläenbuch, die nicht-biblischen „Worte des M o s e " aus - » Q u m r a n (1 Q D M ) , die Mose-Apokalypse und die Himmelfahrt des Mose. Der letztgenannte Text, die ,,Assumptio M o s i s " , dient im folgenden als Paradigma der apokalyptischen Mose-Fassungen, da namentlich hier der Titelheld über die bloße Funktion als Rahmenträger hinauskommt. In einem zweiten Schritt soll dann das dem apokalyptischen Mose Gemeinsame zusammengeführt werden. Die einzige vorhandene Handschrift der „ A s s u m p t i o M o s i s " entdeckte Antonius M . Ceriani 1861 in der Ambrosianischen Bibliothek in M a i l a n d . Der lateinische T e x t basiert auf einer griechischen Übersetzung eines wahrscheinlich hebräischen, eventuell aramäischen Originals. Datierungszuweisungen dieser ursprünglichen Fassung eröffneten in der Vergangenheit einen Spielraum von der hasmonäischen Zeit für das G r u n d r a s t e r (Licht) bis hin zum B a r - K o c h b a - A u f s t a n d (Diskussion dargestellt bei Laperrousaz 9 6 f f ) .
Heute nimmt man als für die Datierung geeignete Angaben die zwar verschlüsselten, doch leicht deutbaren Geschehnisse von Kapitel 6: Der 34 Jahre lang regierende „freche König" bezieht sich wohl auf -»Herodes den Großen, die Aussage, daß seine Söhne kürzere Zeit herrschen werden, hat sich geschichtlich nur für Archelaos (4 v . - 6 n. Chr.) bewahrheitet, nicht aber für Philippus, der 37 Jahre, und Antipas, der 43 Jahre regierte. Aufgrund dieser Angaben pendelt sich der Zeitraum für die Datierung zwischen 4 v. und ca. 30 n . C h r . ein. Auf den Entstehungsort weisen keine zwingenden Indizien hin, am ehesten kommt Judäa in Frage. Der nähere Trägerkreis bleibt ähnlich ungenau, wie sich ganz allgemein die bewußt verdunkelt gehaltenen, jedes greifbare Indiz vermeidenden Apokalypsen nur schwer konkreten Kreisen zuweisen lassen. So hat die Forschung hier die ganze Palette uns bekannter apokalyptisch ausgerichteter Gruppierungen angeführt: -»Zeloten, Quietisten, -»Essener bzw. die Qumran-Gemeinschaft, ->Samaritaner und andere. Inhaltlich läßt sich die Himmelfahrt des M o s e folgendermaßen umreißen. Im Rahmen ruft M o s e — von Beginn der Welt an bereitet, Mittler des Bundes zu werden — kurz vor seinem Tod, im 120. Lebensjahr den Nachfolger - > J o s u a zu sich und übergibt ihm zur Aufbewahrung eine geheime, erst am Ende der Tage offenbar werdende Schrift. Die darin enthaltene Botschaft sowie seinen nahen Tod tut M o s e Josua kund. Die nun folgende Prophetie ist in zwei Blöcke unterteilt. Die Kapitel 2 - 6 „weissagen" in apokalyptischer Manier - d.h. mit Berechnung der Weltzeit strukturierend, Namen und Orte chiffrierend - die Geschichte Israels von der bevorstehenden Landnahme bis zum Zeit-
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p u n k t des Verfassers, also der nachherodianischen Zeit. Tragend ist dabei das Konzept des Heil verbürgenden Bundes, eine N ä h e zum deuteronomistischen G e d a n k e n g u t , auffallend auch das kultisch-priesterliche Interesse. In einem zweiten Teil, den Kapiteln 7 - 1 0 , folgt d a n n sozusagen eine „ d o p p e l t e P r o p h e t i e " (vom Blickpunkt des Erzählers M o s e u n d vom A u t o r der „ A s s u m p t i o " aus). Sie berichtet in negativen Superlativen von der Ungerechtigkeit und Schreckensherrschaft eines universalen Weltherrschers. Diesem gegenüber tritt T a x o , ein Levite, der bereit ist, sein Leben und das seiner sieben Söhne zu o p f e r n (Reminiszenzen an II M a k k 7), um von G o t t gerächt zu werden. Trotz zahlreicher Studien ist diese Figur weder historisch noch literarisch befriedigend decodiert w o r d e n . An seine Söhne richtet T a x o als Abschluß und H ö h e p u n k t der geheimen M o s e - O f f e n b a r u n g eine in lyrischer Sprache gehaltene Vision: Gottes Eingreifen a m Ende der Tage, die Bestrafung der Feinde und E r h ö h u n g ganz Israels (nicht n u r der A u s e r w ä h l t e n , wie es einige G r u p p i e r u n g e n der Zeit, etwa die Q u m r a n - G e m e i n d e , postulierten). Die letzten beiden uns überlieferten Kapitel 11 und 12 blenden w i e d e r u m in den R a h m e n zurück. M o s e spricht zu Josua von seinem nahen Tod, seiner „ A u f n a h m e " (im C o d e x ist die betreffende Stelle nicht sicher überliefert). Die leidgeprägte und angstvolle A n t w o r t Josuas kreist vorerst ganz um die T h e m a t i k G r a b und Leichnam: Kein O r t ist würdig, M o s e s Leichnam zu fassen, kein Mensch ist würdig, M o s e s Leichn a m zu b e r ü h r e n . Die G r ö ß e des G r a b e s ist symbolisch für die G r ö ß e des M e n s c h e n , so ist d a s G r a b des M o s e die ganze Welt, von S o n n e n a u f g a n g bis Sonnenuntergang. D a r a u f s c h m ü c k t Josua den M o s e mit einer an Apotheose grenzenden Epitheta-Kette: ,, . . . der heilige, des H e r r n würdige, vielfältige und u n f a ß b a r e Geist, der in allem treue H e r r des Wortes, der göttliche Prophet über die ganze Erde, der v o l l k o m m e n e Lehrer in der Welt (...), der g r o ß e Engel . . . " (11, 16.17). In der darauf folgenden tröstenden A n t w o r t des M o s e bricht der Text unvermittelt ab. Die H a n d s c h r i f t trägt also keinen Bericht von einer H i m m e l f a h r t des M o s e . Somit stellt sich die Frage, wie der C o d e x zu seinem Titel k o m m t und o b dieser berechtigt ist. Die ersten drei Zeilen der H a n d s c h r i f t , welche w o h l die Überschrift enthielten, sind erloschen, der Titel geht auf die Erstedition Cerianis z u r ü c k , „ F r a g m e n t a A s s u m p t i o n i s M o s i s " . Die altkirchlichen Z e u g n i s s e v e r w e n d e n f ü r die nachbiblischen Mose-Schriften Bezeichnungen wie A p o k a l y p s e , G e h e i m n i s , H i m m e l f a h r t , Aufstieg und T e s t a m e n t o h n e für uns e r k e n n b a r e Präzision. Z w e i A n g a b e n scheinen aber f ü r die „ A s s u m p t i o M o s i s " relevant. Origenes (In I o s u a m h o m . 2,1) e r w ä h n t d e n der „Ass u m p t i o " m e h r f a c h zugeschriebenen T o p o s v o m Kampf des Erzengels Michael mit d e m Teufel u m den L e i c h n a m des M o s e (Jud 5. 9). Und Gelasius n e n n t in seiner Geschichte des Konzils von N i c a e a eine „ H i m m e l f a h r t des M o s e " , welche s o w o h l den A n f a n g unseres Textes als auch das M o t i v des u m d e n L e i c h n a m des M o s e k ä m p f e n d e n M i c h a e l u n d Satan beinhaltet. Eine genauere B e t r a c h t u n g der beiden M o t i v e M i c h a e l — Satan einerseits, H i m m e l f a h r t andererseits — k a n n ebenfalls zur Diskussion ihrer Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t mit d e m a m b r o s i a n i s c h e n F r a g m e n t beitragen.
Die Thematik Michael - Satan: Eine der die Mose-Rezeption inspirierendsten Stellen ist die dunkel gehaltene Todesszene D t n 34,6, die N o t i z , d a ß der H e r r M o s e b e g r u b und d a ß n i e m a n d sein G r a b kennt. Diese t r a n s f o r m i e r t die H i m m e l f a h r t in 11, 5 — 8 — wie bereits e r w ä h n t — in die Frage nach dem Totengräber und der Ubiquität von M o s e s G r a b , doch o h n e N e n n u n g von Erzengel oder Satan. Allerdings ist die T h e m a t i k des M o s e als Spielball zwischen Engel und Teufel in der Apokalyptik breit belegt. Im J u b i l ä e n b u c h ist M o s e sowohl O f f e n b a r u n g s t r ä g e r in der R a h m e n e r z ä h l u n g als auch ein P r o t a g o n i s t der Offenbarungsgeschichte selbst. Der „Engel des Angesichts" (vgl. Jes 63,9), der M o s e eine Geschichtsoffenbarung von der S c h ö p f u n g bis zum Sinai überbringt, erzählt d e m E x o d u s - H e l d e n dessen eigene Biographie (Kap. 47 und 48). In dieser D a r s t e l l u n g k o m m t M o s e immer wieder zwischen die Fronten des Fürsten M a s t e m a - die spezifische Satansbezeichnung im Jubiläenbuch - und des „Engels des Angesichts". So v e r ä n d e r t das Jubiläenbuch Ex 4,24 dahin, d a ß nicht der H e r r , sondern M a s t e m a M o s e töten will, und nicht Z i p p o r a , sondern der „Engel des Angesichts" ihn rettet. Im gleichen Mächtespiel steht M o s e bei den Wundertaten vor dem P h a r a o und beim D u r c h zug d u r c h s Schilfmeer. Für die „ A s s u m p t i o " k a n n m a n aus diesen Daten schließen, d a ß
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das Michael-Satan-Motiv mit dem Fragment kompatibel, aber nicht zwingend wäre, denn Engel spielen im erhaltenen Text keine Rolle. Andererseits ist die Frage nach dem den Leichnam Wegschaffenden explizit gestellt, und die Thematik von Mose im Spannungsfeld zwischen gutem und bösem Engel ist unserem Text im apokalyptischen Horizont vorgegeben. Die Thematik der Himmelfahrt: Ähnlich unsicher sind auch die Verbindungslinien zu einer anschließenden „Assumptio". Die apokalyptische Literatur unterscheidet beim religionsgeschichtlich allgemein bekannten Motiv der Himmelfahrt zwischen mehrmaligem Entrücken zu Lebzeiten und einmaliger Erhöhung am Lebensende. Das Motiv der endgültigen Entrückung - die höchste Besiegelung der Botschaft des Eingeweihten - stellt Mose (ähnlich wie Henoch) an die Spitze aller apokalyptischen Offenbarungsträger (-»Abraham, ->Esra, -»Baruch u.a.). Textimmanente Indizien, welche der Himmelfahrt des Mose diesen dramatischen Schluß zuweisen, sind Erzählzeit und Erzählort: Der Rahmen nennt Ammon, in der Nähe des Nebo, im Todesjahr des Mose. Aus Gründen der Logik, Symmetrie und Ausgewogenheit der Rahmenerzählung läge eine Beschreibung von Moses Tod, eventuell seiner Himmelfahrt am Ende des Textes nahe. Eine parallele Erzählsituation — Mose, der als 120-jähriger auf dem Nebo eine letzte Offenbarung empfängt - bieten die in Qumran entdeckten „Worte des M o s e " (1 Q D M ) ; und auch hier rechnen die Herausgeber damit, daß Tod und Himmelfahrt den Text abrundeten (Barthelemy/Milik 91). Die vorangegangenen Überlegungen zusammen mit den patristischen Notizen legen somit eine Rechtfertigung des Titels „Assumptio Mosis" nahe, doch für eine sichere Rekonstruktion stehen zu wenig Mosaiksteine zur Verfügung. Allgemein fällt in den apokalyptischen Texten auf, daß die Rahmen-Prologe relativ breit ausladend erzählen, während die Rahmen-Epiloge oft nur in kargen Sätzen abbrechen, als ob die Texte nach hinten offen oder neu variierbar wären. Sowohl das in der „Assumptio" entworfene Mose-Bild als auch die Mose zugewiesene Rolle sind repräsentativ für sämtliche uns bekannten apokalyptischen Mose-Offenbarungen. Wie die anderen Titelhelden apokalyptischer Werke ist auch Mose nicht Protagonist, sondern lediglich Rahmengarant, „Gütesiegel" für die geheime Botschaft, auf die sich das ganze Interesse konzentriert. So ist z.B. die „Apokalypse des M o s e " ein ausschließlich Adam und Eva gewidmeter Text, der nur im Vorspann Mose kurz erwähnt als denjenigen, der diesen Bericht am Sinai erhalten habe. Die passive Rolle des Mose wird z.T. unterstrichen durch das Auftreten eines Engels, der sich als Mittler zwischen Gott und Mose schiebt und die ganze Initiative an sich reißt. Mose ist nicht Person, sondern Funktion; es gibt keinen Blick zurück in die Vergangenheit auf „persönliche" Daten der biblischen Biographie. Der Fokus ist gerichtet auf die geheime Botschaft der Gegenwart, der nahen Zukunft und der letzten Tage, was für den Verfasser alles eines ist. Die herausragendsten Momente des apokalyptischen Mose sind seine Universalisierung und damit verbunden seine Trägerschaft zweier Offenbarungen. Mose ist nicht mehr bloß der Empfänger des-israelitischen Gesetzes am Sinai, sondern zusätzlich Träger der geheimen Offenbarung über jüdisches und nicht-jüdisches Geschick bis hin zum Ende der Tage (IV Esr 1 4 , 3 - 6 ) . Diese Idee motiviert die bereits zitierte Mose-Bezeichnung als „der göttliche Prophet über die ganze Erde, der vollkommene Lehrer in der Welt" (AssMos 11,16). Das dualistische, mit Mose verbundene Offenbarungskonzept der Apokalyptik findet übrigens später seine Verlängerung in der rabbinischen Auffassung von der schriftlichen und mündlichen Offenbarung am Sinai, welche einen ähnlichen Universalitätsanspruch geltend macht. Abschließend läßt sich der apokalyptische Mose mit seiner Geheimbotschaft im Bild von einem Krug und dessen Inhalt fassen: Literarisch veredelt ist das Gefäß, um für die Qualität des Inhalts zu garantieren, denn nur dieser zählt. 2. Hellenistisch-jüdischer
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Seiner eben beschriebenen passiven Rolle völlig entbunden, erscheint Mose in der zur —»Apokalyptik zeitlich parallelen jüdisch-hellenistischen Literatur. Anschauliche
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Illustration dafür ist das erste, fragmentarisch erhaltene jüdische Drama, die „ E x a g o g e " von Ezechiel dem Tragiker (2. J h . v. Chr. ?), in dem M o s e als Hauptakteur auf die Bühne tritt und in dem ebenfalls — wie es der Titel anzeigt — der Nachdruck auf M o s e als dem M o t o r des Exodus liegt. Neben der dramatischen Heroisierung des M o s e durch Ezechiel (auf die später noch eingegangen wird) ragen in der jüdisch-hellenistischen Strömung zwei romanartige Mose-Biographien heraus: die „Vita M o s i s " —»Philos von Alexandrien und die Bücher 2 , 2 0 1 - 4 der „Antiquitates" des Flavius -»Josephus. Die je eigenen Ausprägungen dieser beiden biographischen Nacherzählungen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede, stehen im folgenden Abschnitt im Zentrum. Vorausschickend muß hier - gerade im Gegensatz zur apokalyptischen Literatur - bedacht werden, daß sich Philos und Josephus' Werk verstehen als ein auf dem biblischen Bericht fußender Lebensbericht über Mose. Dieser richtet sich nicht wie oben an ein jüdisches Insider-Publikum, sondern explizit an die Griechen (VitMos 1,1.2; Ant 1,5). Philo gliedert seine „Vita M o s i s " in zwei Bücher (ältere Editionen unterteilen das zweite Buch in 2 und 3), wobei Buch 1 den eigentlichen Lebensweg des königlich-philosophischen M o s e nachzeichnet, Buch 2 das Gesetz auszugsweise vorstellt mittels M o s e in den drei Rollen als Gesetzgeber, Hoherpriester und Prophet. Der biographische erste Teil setzt ein mit der Geburt des übernatürlich schönen Moseknaben, der von der kinderlosen Pharaotochter - sie fingiert eine Scheinschwangerschaft - adoptiert wird und zum rechtmäßigen Erben des Pharao aufrückt. Wie Josephus (Ant 1,228; Ap 1,286) leitet auch Philo, nicht sehr philologisch, den Namen „ M o s e " von ägypt. moy, „Wasser", ab (1,18). Am königlichen H o f erhält Mose eine für hellenistische Begriffe ideale Erziehung, nicht zuletzt auch durch griechische Lehrer, die Mose bald in den Schatten stellt (in SpecLeg 4,61 und All 1,108 geht Philo noch einen Schritt weiter und macht die griechischen Gesetzgeber und Philosophen zu Schülern des Mose). Der am Pharaonenhof weilende Mose trägt bereits den Titel „Junger König" (1,32). Ihm ist jede Jugendtorheit fern, die Seele stellt er ganz über den Körper, harmonisch vereint er Gedanke, Wort und Tat. Z w a r erschlägt er den Ägypter, doch aus Gründen purer Gerechtigkeit (1,43ff), und Anlaß seiner Flucht sind vor allem die verleumderischen Intrigen am Hof. Die anschließende Flucht und Hirtenzeit deutet Philo als Vorbereitung auf das zukünftige königliche Hirtenamt des M o s e (1,60ff). Auf Berufungs- und Plagenbericht folgt eine Rechtfertigung für das den Ägyptern entwendete Gut von Ex 12,35.36, es ist die rechtmäßige materielle Entschädigung für die Fronzeit. Der Auszug geht Hand in Hand mit der Erhöhung des Mose. So verzichtet er auf seinen Anspruch auf den Pharaonensessel, denn Gott gibt ihm ein größeres Reich, ein Volk, welches das Priesteramt für die ganze Menschheit ausführt (1,149). Von nun an trägt M o s e den Königstitel, er ist das „lebendige Gesetz" (1,162). Die folgenden Wüstenwirren werden stark harmonisiert, bei den destruktiven Ereignissen steht M o s e im Hintergrund, er ist vor allem Vater und Fürsorger des Volkes. Der abgeklärte Held zerbricht keine Gesetzestafeln, und in Abweichung zu Num 20 gibt es keinen Grund, weshalb er das gelobte Land nicht betreten dürfte. Im Auftakt zum zweiten Buch entfaltet Philo ein Herrscherideal, basierend auf der Verquickung der Rollen König, Philosoph, Gesetzgeber, Hoherpriester, Prophet, eine Verquickung, die M o s e vollendet verkörpert. Die das mosaische Gesetz entwickelnden Passagen unterstreichen den kosmopolitischen Z u g des jüdischen Gesetzes, denn dieses wendet sich an alle N a t i o n e n . In diesem Z u s a m m e n h a n g ist der lange E x k u r s zur Entstehung der L X X zu interpretieren (2,25 - 4 0 ) : Seine Funktion besteht darin, zu zeigen, daß sich die T o r a insbesondere auch an die griechische Welt richtet. Z w e i weitere Wege, das jüdische Gesetz den Griechen nahezubringen, bestehen in symbolischen Auslegungen und dem Bestreben, mosaische Satzungen mit dem Naturgesetz in Einklang zu bringen. Z u s a m m e n f a s s e n d stellt Philos M o s e - E n t w u r f das stoische Ideal des M e n s c h e n dar, das platonische Ideal des Herrschers.
Auch Flavius Josephus kleidet M o s e in den „Antiquitates", die einige Jahrzehnte nach Philos Werk entstanden sind (zwischen 8 0 - 9 4 n.Chr.), ins klassische Heroengewand, stattet ihn aber mit anderen Requisiten aus. So setzt die Mose-Erzählung ein
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mit der Weissagung eines ägyptischen Schriftkundigen, daß ein hebräischer Knabe die Herrschaft der Ägypter vernichten werde (2,205). Darauf erläßt der Pharao den Befehl, die neugeborenen israelitischen Knaben zu töten. Dieses bekannte Mythen- und Märchenmotiv, das einen gewaltsamen Machtwechsel im Generationenkonflikt personalisiert und als vom Fatum gegeben darstellt, ist in Josephus' U m f o r m u n g von Ex 1,15 f. sicher griechisch inspiriert (Laios — Oedipus, Kronos — Zeus u.a.). Allen Verfolgungen entronnen, wird der überaus schöne M o s e von der Pharaotochter Thermutis adoptiert. Mit der Bitte, M o s e als Erben einzusetzen, legt die Pharaotochter den Knaben auf die Knie des ägyptischen Königs. Im Spiel setzt der Pharao M o s e seine Krone auf, doch dieser wirft sie zu Boden und tritt sie mit Füßen (2,233). Die Szene symbolisiert — gerade nach 70 n.Chr. — den Wunschtraum vom Siegesbild des jüdischen Volkes über die beherrschende Großmacht. Ein außerbiblischer, von Artapanos (2. Jh. v.Chr.) bereits vorgegebener Exkurs schiebt sich nun in die biblische Nacherzählung. In einem Krieg gegen den äthiopischen Aggressor führt M o s e siegreich die ägyptischen Truppen an. Es folgt eine kurze romantische Episode: Die äthiopische Königstochter T h a r b i s verliebt sich beim Anblick des an der Stadtmauer kämpfenden M o s e unsterblich und bietet M o s e ihre Hand an. M o s e heiratet die Prinzessin unter der Bedingung der Übergabe der Hauptstadt (2,252.253; vgl. auch T P s J 1 zu N u m 12,1, wonach M o s e auf Veranlassung der Äthiopier die Königin heiraten mußte). Die Tatsache, daß M o s e dem Pharao zu mächtig geworden ist, motiviert die Flucht nach Midian - Josephus verschweigt die T ö t u n g des Ägypters. Der auf Berufung und Plagen folgende Auszug ist in einen griechischen Vergleich gekleidet: So wie die Pamphylische See vor Alexander dem Großen zurückwich, flieht das Meer vor M o s e (2,348). Während der Wüstenzeit agiert M o s e vor allem als geschickter Stratege: Er wählt geeignete Routen, feuert zum Kampf an, macht Kriegsbeute, belohnt die tapferen Helden, veranstaltet Gastmähler. Die geistigen Errungenschaften des als uneigennützig und weise charakterisierten M o s e sind neben dem Gesetz eine Staatsverfassung und Lieder in Hexametern (2,346; 4,303). Im ganzen Exodus- und Wüstenbericht nivelliert Flavius J o s e p h u s die negativen Punkte; so streicht er das goldene Kalb, das Zerbrechen der Gesetzestafeln, den Aufstand von M i r j a m und Aaron oder ein mögliches Vergehen des M o s e , d a s seinen Tod vor dem Einzug ins Heilige Land rechtfertigen würde. Josephus läßt seinen Protagonisten auch nicht sterben, sondern entrückt ihn in einer Wolke. Der Autor bemerkt aber, daß M o s e in seine Bücher einen anderen Bericht von seinem eigenen Tod schrieb — aus Furcht, man könnte ihn zu sehr verehren. Die H a u p t z ü g e des Mose-Bildes bei J o s e p h u s faßt eine Art Nachruf am Ende des vierten Buches z u s a m m e n : M o s e bestach durch seine Geistesschärfe, seine strategische Geschicktheit, seine prophetische G a b e und seine Selbstbeherrschung: „Seine Stimmungen beherrschte er in solchem G r a d e , d a ß sie in ihm gar nicht vorhanden zu sein schienen, und daß er ihre N a m e n mehr deshalb, weil er sie bei anderen Menschen sah, als von sich selbst her zu kennen schien." (4,328.329)
Im Vergleich ihrer jeweiligen Mose-Darstellung weisen die beiden großen jüdischhellenistischen Autoren einige Gemeinsamkeiten auf. Beide gehen mit ihrer Vorlage äußerst frei um und weisen M o s e Rollen zu, wie die des Königs und Hohenpriesters, die er in der Bibel gerade nicht innehatte (das Königtum des M o s e bei Philo ist in keiner Weise als Reminiszenz von Dtn 33,5 her zu verstehen). Hauptstichworte für die MoseRezeption sind hier Idealisierung, Hellenisierung, Heroisierung und wiederum Universalisierung. Doch diese letzte Tendenz hat eine von der Apokalyptik verschiedene Funktion, ihr Ziel ist die Akzeptanz des Judentums durch ein nicht-jüdisches Publikum. Den hellenistischen Adressaten wird an der Person des M o s e , einem Ideal des antiken Menschen, paradigmatisch die Idee des Judentums vorgeführt, denn beide besprochenen Werke haben neben dem literarisch-ästhetischen einen historischen Entstehungsgrund. Von Philo ist bekannt, daß er als alter M a n n zwei Jahre nach dem antijüdischen Pogrom in Alexandria von 38 n.Chr. eine jüdische Gesandtschaft anführte, die sich in R o m bei Caligula für die jüdische Gemeinde einsetzte. Flavius' apologetisches Bemühen für das Judentum manifestiert sich besonders deutlich in „ C o n t r a A p i o n e m " (vgl. weiter unten),
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mußte er doch nicht nur auf die ganze Kette jüdisch-griechischer Konflikte in der Diaspora zurückschauen (38,41,66 n.Chr.), sondern auch auf die Zerstörung des jüdischen Staates und Jerusalems. Auf diesem Hintergrund sind viele frei in den Mose-Bericht gestreute Elemente wie etwa die Tora als Naturgesetz, das Zurückbinden des Wunders, die rationalistische Vorsicht, mit der Flavius Josephus die göttliche Inspiration des Mose beschreibt (Ap 16,106) oder Moses Anrede an Gott als „Herr des Himmels, der Erde und des Meeres" (Ant 4,40) nicht einfach als amüsante, ahistorische Aspekte zu verstehen, sondern als eminent historische Antworten auf antijüdische Anklagen im 1. Jh. n. Chr. Sowohl Philos „Vita Mosis" als auch Josephus' „Antiquitates" 2 - 4 sind apologetische Schriften, welche mit der Waffe des Ideal-Menschen Mose das Judentum verteidigen. Z u m Schluß drängt sich, trotz gemeinsamer Stoßrichtung der beiden Schriftsteller, doch auch der Unterschied ihrer M o s e - D a r s t e l l u n g auf, denn der hellenistische H e r o s fällt - entsprechend dem Typ, Ideal und Lebensstil seiner beiden Verfasser - recht verschieden aus. W i e der Autor sich selbst in seinem Werk porträtiert, so erscheint auch der Protagonist einmal als abgeklärter Philosoph, das andere M a l als versierter S t a a t s m a n n . Bei Philo überwiegt die geistig-religiöse Rolle des asketischen M o s e , während J o s e p h u s seinem Helden durchaus einige m o n d ä n e Züge zugesteht. Sein Heerführer kennt auch Lieder, G a s t m ä h l e r , ja A m o u r e n . Eine letzte, nicht recht in den R a h m e n passende Facette sei hier e r w ä h n t . Leitmotivisch zieht sich durch den ganzen Josephus-Bericht die Notiz, daß das Volk M o s e steinigen wollte - z . T . dort, w o die Bibel das „ M u r r e n " erwähnt. E r k l ä r b a r ist dieses der harmonisierenden Strichrichtung des T e x t e s entgegenlaufende M o t i v eigentlich nur aufgrund der persönlichen bitteren Erfahrung des J o s e p h u s als Feldherr.
3. Zielscheibe
antijüdischer
Attacken
Seit dem 3 . J h . v.Chr. schreiben nicht-jüdische, insbesondere griechische Autoren über das Judentum. Die Quellen und Wege ihrer Informationen liegen im Dunkeln. Neben der Polemik sind die Zeugnisse auch von konfusen Vorstellungen geprägt. Als Beispiel dafür kann die Verbindung Joseph - Mose dienen: Manethon (3. Jh. v.Chr.) nennt Moses ursprünglichen Namen „Osarseph" (eine Verballhornung von Osiris und Joseph), bei Apollonios Molon (1. Jh. v.Chr.) ist Mose Josephs Enkel, bei Pompeius Trogus ( l . J h . v . / l . J h . n.Chr.) Josephs Sohn. Ein erstes Zeugnis einer zusammenhängenden Darstellung vom Ursprung des Judentums liefert Hekateios von Abdera um 300 v. Chr. in seinen „Aegyptiaca" - das Werk ist durch Diodorus überliefert. Darin berichtet der Autor, wie die Juden zusammen mit den Griechen aus Aegypten infolge einer Pestseuche ausgewiesen wurden. Der mit Wertschätzung gezeichnete, weise und mutige Mose leitete dabei die ausziehenden Israeliten an, kam nach Judäa, gründete Jerusalem, führte einen monotheistischen Kult ein, teilte das Volk in zwölf Stämme und gab den Juden eine Staatsverfassung, Kriegsführungsstrategien und Gesetze (Stern 1,20ff.). Diese Skizze zeigt, daß Mose in der griechischen Umwelt schon früh zum eigentlichen „Konzentrat" des Judentums symbolisiert wurde. Spätere Autoren mit deutlich antijüdischer Haltung beziehen sich in der Folge auf Hekataios' Bild und fokussieren ihre Anwürfe auf die Mose-Gestalt. Eine umfassende Zusammenstellung dieser antijüdischen Topoi legt Flavius Josephus in seiner das Judentum verteidigenden Schrift „Contra Apionem" vor - wobei man sich auch bei Josephus' Wiedergabe antijüdischer Berichte seiner interessengefärbten Position bewußt sein muß. Der Verleumdungskatalog ist in seiner Stereotypie erschrekkend: Ritualmord, Verschwörung gegen die Nicht-Juden, Verunglimpfung von Tieropfern, von Schächten, Speisegesetzen, Beschneidung und Schabbat, oder die Anklage des „adversus omnes alios hostile odium" (Tacitus, Hist. 5,5). Gebündelt werden diese M o t i v e in der Person des Religionsstifters und einer neuen Version des E x o d u s , dessen erste Fassung die des M a n e t h o n , eines ägyptischen Priesters und Historikers, zu sein scheint. D a n a c h „ s ä u b e r t " der P h a r a o A m e n o p h i s , im Anschluß an ein O r a k e l , sein Land von allen Leprakranken und Unreinen und interniert sie in Steinbrüchen. W ä h r e n d einer Revolte wählen sich die kranken Hirten als Anführer den ebenfalls von Lepra befallenen Heliopolis-Priester
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Osarseph/Moses. Dieser atheistisch gesinnte M o s e vertreibt den Pharao zeitweilig nach Äthiopien und stachelt seine Anhänger zur Schändung der ägyptischen Heiligtümer an. Den israelitischen Kult, das Tieropfer, beleuchtet M a n e t h o n als bewußt gegen die ägyptischen Tier-Götter gerichtete blasphemische Handlung. Die Geschichte endet mit dem Triumph Pharaos und der Vertreibung der Juden (Ap 1,227ff). Das inhaltliche Grundmuster übernehmen in den nächsten drei, vier J a h r hunderten insbesondere die ägyptisch-griechischen Autoren (Lysimachos, 1. Jh. v. Chr.; Chairemon, 1. J h . n. Chr.). Auch der Topos, daß M o s e „ A l p h a " hieß aufgrund seiner leprösen Flecken, „ a l p h o i " (Nikarchos, 1. Jh. n . C h r . ; Ptolemaios Chennos, 1./2. Jh. n . C h r . ) , ist in diese Exodus-Abwandlung integrierbar — Alpha w a r ein Ehrentitel für Mitglieder des M u s e u m s von Alexandrien und wurde wahrscheinlich von der jüdisch-hellenistischen Literatur auf Mose übertragen. Die Tatsache, daß sich die entstellte Exodus-Erzählung gerade in ägyptisch-griechischen Kreisen so großer Beliebtheit erfreute, kombiniert mit den geschichtlichen Fakten über die angeheizte Atmosphäre zwischen Diaspora-Juden und ihrer Umwelt, deckt die gefährliche Aktualität der ägyptisch-griechischen Variante klar auf, waren doch die Juden schon bei ihrem früheren Aufenthalt in Ägypten nichts anderes als unreine, minderwertige, zu vertreibende Elemente, die Ägypter beleidigend mit ihrem provokant antiägyptischen Kult, sie bedrohend aufgrund der Lehre, die ihnen ihr damaliger Anführer gegeben hatte, lehrte dieser sie doch nur Betrug und Zauberei (Apuleius und Celsus, 2. Jh. n . C h r . , vgl. Stern 11,203ff und II, 234ff).
Den augenfälligen Transfer vom vergangenheitlichen Exodus zu einem aktuellen Vertreiben der Juden konnten antijüdische Kreise bestens ausnutzen. Zu diesen gehörte der in Alexandria lebende griechische Rhetoriker Apion, gegen den sich Flavius Josephus in seiner Streitschrift richtet, und von dem er andernorts berichtet, daß er als Antagonist Philos die antijüdische Seite vertrat in der öffentlichen Auseinandersetzung vor Caligula (Ant 18,257ff). Als letzte Veranschaulichung dafür, daß M o s e und der Exodus als Schauplatz für die Auseinandersetzung zwischen dem Judentum und seiner Umwelt dienten, kann der jüdisch-hellenistische Schriftsteller Artapanos herangezogen werden. Er hat in seinem Werk „Peri Ioudaion" einen Gegenbericht geschrieben zu der Version des Manethon. Darin erhält der eigenartige Exkurs über den Äthiopienfeldzug des jungen M o s e erstmals eine klare Funktion: M o s e beweist mit seinem Kampf für das ägyptische Heimatland seine loyale Haltung Ägypten gegenüber und stellt seinen ägyptischen Patriotismus unter Beweis. Und eine anschließende Ätiologie für die jährliche Überschwemmung des Nils - eine Folge davon, daß M o s e den Nil mit seinem Stock schlug - charakterisiert M o s e als Wohltäter und Heilbringer für Ägypten. Dieses Motiv ist sicher als literarischer Schutzschild zu verstehen, entstanden in Kreisen des ägyptischen Diaspora-Judentums. Ein weiterer griechisch-römischer Topos, der die Juden im allgemeinen und — in gewissen Ausformungen — M o s e im besonderen diffamierte, w a r der sogenannte Eselskult. Nach Josephus (Ap 2,112ff) lieferte M n a s e a s von Patara (3. Jh. v.Chr.) Apion die M ä r eines im Tempel verehrten goldenen Eselskopfes. Das fleißig rezipierte Motiv kombinierten in späterer Zeit Demokrit ( 3 . J h . n . C h r . ) und die Suda (10.Jh.) sogar mit einem Menschenopfer, und Poseidonios von Apamea (2./1. Jh. v.Chr.) sowie Tacitus (1./2. Jh. n . C h r . ) verbinden es wiederum mit Mose. In der Version des Poseidonios entdeckte Antiochos IV. Epiphanes, als er den Tempel betrat, eine Statue mit einem bärtigen M a n n - offensichtlich M o s e - auf einem Esel sitzend mit einem Buch in der H a n d . Tacitus erzählt (Hist. 5,3.4), d a ß eine Herde Wildesel M o s e in der Wüste den Weg zum Wasser gewiesen habe, und daß die Juden deshalb im Allerheiligsten das Weihebild eines Esels aufgestellt hätten. Welches auch immer die Ursprünge des Topos gewesen sein mögen (vgl. Gafni), auf jeden Fall zielen sie darauf hin, das Judentum zu lädieren, und das mit einer bekannten Technik antisemitischen Zuschnitts, indem gewisse religiöse Charakteristika verzerrt gegen die Religionsgemeinschaft gerichtet werden, im vorliegenden Fall etwa durch die Pervertierung des Bildverbotes, gesteigert mit einem unreinen Tier. In Bezug auf das Mose-Bild fällt einmal mehr auf, daß die Figur des Religionsgründers Ersatzangriffsfläche für das ganze Judentum darstellt.
Eine weitere Thematik, welche um die Gestalt des M o s e kreist, ist seine Rivalität mit den großen griechischen Philosophen. So lautet der ursprüngliche Titel von Josephus' Streitschrift gegen Apion „Über das Altertum der J u d e n " . Herausragende Thesen daraus
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sind insbesondere, daß M o s e den ältesten Gesetzgeber überhaupt darstellt (Ap 2,154), und daß die griechische Philosophie vom mosaischen Denken abhängig ist (ebd. 2,168). Diesen Grundgedanken äußern jüdisch-hellenistische Schriftsteller seit dem 2. J h . v. Chr. Artapanos erhebt M o s e zu Orpheus' Lehrer. Nach Aristobulos (2. J h . v. Chr.) sind Homer, Hesiod, Pythagoras, —»Sokrates und -»Plato Moses geistige Schüler (Eusebius, Praep. Ev. 12,12). Eupolemos (2. J h . v.Chr.) läßt Mose die Schrift erfinden. Die griechischen Repliken fehlen natürlich nicht, dafür zeugt nicht zuletzt „Contra Apionem". Der dieser Altersrivalität übergeordnete Gedanke ist offensichtlich die Thematik, welche Religion oder Kultur der andern überlegen sei. So führen nach dem Untergang der jüdisch-hellenistischen Literatur die jüdisch-christlichen Apologeten (Stern 111,38 ff) diese Topik der Abhängigkeit griechischen Denkens von Mose weiter und belegen damit noch einmal, wie sehr M o s e im Dialog mit den „Heiden" zur Chiffre für das Judentum wird. 4.
Erhöhungen
Den Erniedrigungen in der griechischen Literatur treten die jüdischen Autoren entgegen, die M o s e mittels Messianisierung und Divinisierung bis in schwindelerregende Höhen tragen. Superlativische Aussagen schmücken insbesondere die Todesszene des Mose. Flavius Josephus schließt das vierte Buch der „Antiquitates" mit der Notiz: „ . . . eine so ungeheure Trauer hat die Hebräer nie wieder ergriffen, als damals, da M o y ses starb." Pseudo-Philo steigert, indem er berichtet, daß die Trauer bei den Sterblichen und den Himmlischen so groß war, daß der tägliche Hymnus im Himmel am Todestag entfiel, ein Ereignis ohne Parallele in Vergangenheit und Zukunft (LAB 19,16). Im gleichen Text (19,13) verspricht Gott dem Sterbenden, daß er die Zeiten beschleunigen werde, damit M o s e schneller wieder auferstehen könne. Diese Aussage der endzeitlichen Wiederkehr sowie auch die Entrückung des M o s e in den Himmel können in einem Messias-Kontext gelesen werden, sieht doch die jüdische Literatur der Zeitenwende M o se als Paradigma und Vorläufer des Messias. Seit Deuterojesaja bedingt der neue Exodus einen „neuen M o s e " . Die eschatologische Strömung zur Zeit der Entstehung des Christentums akzentuiert die Parallelen zwischen Auszug aus Ägypten und entzeitlichem Exodus und damit zwischen M o s e und Messias. Die biblische Stütze dazu lieferte u.a. Dtn 18,15: „Einen Propheten wie mich wird dir der Herr, dein Gott, entstehen lassen . . . " . Von einer Aktualisierung dieses neuen Propheten mosaischen Zuschnittes berichtet J o sephus (Ant 20,97): Ein Betrüger namens Theudas, der sich als Prophet ausgab, lockte „ungeheure Menschenmassen" mit der Behauptung an, die Fluten des Jordans zu teilen. Eine ganz andere Ausformung des „neuen M o s e " bietet die Damaskusschrift, welche den messianisch interpretierten „ S t e r n " aus N u m 2 4 , 1 7 , den Erforscher des Gesetzes (CD VII,18.19), gleichsetzt mit dem mehoqqeq, dem „Gesetzgeber" (ebd. VI,7), einem Titel, der wohl auf M o s e anspielt. Ein wesentlicher Grund für den Paradigmentransfer M o s e - Messias liegt nun aber auch in der absoluten Erweiterung der M o s e attribuierten Rollen. Wie bereits erwähnt, fächert sich die Figur bei Philo auf in König, Prophet, Priester und Gesetzgeber. Im Targum Jerusalem I zu Dtn 3 4 , 5 trägt M o s e vier Kronen, die des Gesetzes, des Priestertums, des Königtums und diejenige des guten Namens. Der so idealisierte Übermensch in der Urzeit des Judentums findet sein Pendant im endzeitlichen Messias. Auf solche Weise beeinflussen sich Moses- und Messias-Bild gegenseitig, und M o s e behauptet bis in die rabbinische Tradition seine Stellung als Vorbild für den Erlöser a m Ende der Zeiten (Bloch 152ff).
Eine andere, forciertere Art, Moses Prestige zu steigern, ist die Divinisierung. Bereits im 2. J h . v.Chr. schreibt Jesus Sirach (45,1.2): „Geliebt von Gott und den Menschen: Mose, sein Andenken sei zum Segen. Er nannte ihn einen Gott und stärkte ihn zu furchterregenden T a t e n . " Und unter hellenistischem Einfluß erlebt M o s e eine eigentliche Apotheose. Nach Philos Darstellung wird M o s e nicht nur König, sondern auch Gott genannt (VitMos 1,158). Besonders eindrücklich ist die Tatsache, daß der Erzähler in der M o se-Biographie des Philo den Bericht in dritter Person nur zweimal verläßt und in ein lyrisch-gebetsartiges „ D u " wechselt, um so mit dem gleichen Stilmittel einmal Gott und einmal M o s e zu glorifizieren. Die pointierteste Szene eines vergöttlichten M o s e
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präsentiert Ezechiel der Tragiker. In der bereits erwähnten „Exagoge" gibt M o s e einen Traum wieder: Auf dem Gipfel des Sinai erscheint ihm ein Thron, auf dem ein vornehmer, mit Diadem und Szepter ausgestatteter M a n n sitzt. Dieser winkt M o s e zu sich, übergibt ihm Diadem und Szepter, läßt ihn auf dem Thron Platz nehmen und weicht selbst vom Thron. Darauf fällt eine Fülle von Sternen zu Moses Knien (Vogt 124). Die Deutung, daß hier Mose Gottes Thron einnimmt, ist augenfällig. Das Drama selber gibt der Szene allerdings eine andere Wende, denn der Schwiegervater des M o s e interpretiert den Traum dahin, daß M o s e den Pharao vertreiben werde. Doch will diese Antwort überhaupt nicht zur friedlichen Vision vom Thron auf dem Sinai passen. Die Abschwächung mag ein Zugeständnis an das jüdische Publikum sein, aber die Ambiguität bleibt. In der hellenistisch-jüdischen Literatur sitzt der Heros M o s e — gleich den griechischen Heroen — auf einem göttlichen Thron. Eine letzte Notiz, die eventuell im Zusammenhang mit der Vergöttlichung des M o s e steht, sei hier angemerkt: der Umgang mit dem Namen „ M o s e " in antiker und spätantiker Zeit. Bekanntlich gibt es schon in der Bibel nur den einen Mose. Entsprechend Josephus' Zeugnis stand bei den Essenern auf der Lästerung von Moses Namen die Todesstrafe (Bell 2,145), und die Damaskusschrift verbietet in Eidesformeln nicht nur den Gottesnamen, sondern auch den Mosenamen (CD XV,2). G. Vermes zitiert nun die interessante Beobachtung J.T. Miliks, daß der Name „ M o s e " — nach den vollständigen Listen palästinischer Gräber - nie im Repertoire der alten Eigennamen in Palästina figurierte. Weiter erwähnt auch der Talmud keinen einzigen Gelehrten oder eine sonstige nachbiblische Persönlichkeit mit diesem Namen. Vermes interpretiert den Tatbestand v . a . dahin, daß der Volksglaube den Namen „ M o s e " dem Messias als „ M o s e s redivivus" vorbehalten habe (Gestalt 91). Auf jeden Fall zeigt die Gesamtbetrachtung dieser Aspekte die Tabuisierung des Mosenamens, die mit der Tabuisierung des Gottesnamens vergleichbar ist, und führt noch einmal die Positionsnähe Gott - Mose vor Augen.
Die Rezeptionskurve der Mose-Figur läuft also von der biblischen Differenziertheit nachbiblisch auf eine Polarisierung hinaus. Der vielschichtige Protagonist der Bücher Exodus bis Deuteronomium spaltet sich auf in einen Träger universalen Wissens, einen abgeklärten, übermenschlich souveränen Heros einerseits, in einen befleckten Demagogen andererseits. Die jüdisch-hellenistische Literatur kostet dabei nicht nur die ganze „Spannweite und Deutungsfähigkeit des Moses-Stoffes" (Frenzel) aus, sondern sprengt den Rahmen der Vorlage auf polemische Weise im politischen Interesse der eigenen Zeit. Mose ist keine Person, vielmehr eine Ideologie, ein Kristallisationspunkt des Judentums. Die Mose-Figur wird zum Schauplatz des Konflikts zwischen Judentum und seiner Umwelt. Literarische Seismographen für die Darstellungsintentionen sind dabei der Umgang mit gewissen „neuralgischen" Episoden aus dem biblischen Exodus-Bericht wie etwa die Erschlagung des Ägypters, das Mitführen von ägyptischem Eigentum, das goldene Kalb, das Zerbrechen der Gesetzestafeln oder der Grund, weshalb M o s e das Heilige Land nicht betreten durfte. In Pseudo-Philos Darstellung zerbricht M o s e die Gesetzestafeln erst, nachdem er sich vergewissert hat, daß sie unbeschriftet sind (12,5). Und als Grund dafür, weshalb M o s e vor Einzug ins Land starb, gibt derselbe Autor an, daß Gott M o s e verschonen wollte vor dem Anblick der Götzenbilder, die das Volk verführen würden (ebd. 19,7). In der „Zeit des Übergangs" grenzt die Heroisierung des M o s e an eine Divinisierung. Ein kleiner Ausblick auf die Fortsetzung der Mose-Rezeption in rabbinischer Literatur zeigt aber, daß dort der superlativische M o s e - trotz größter Hochachtung - von den jüdischen Weisen doch auch einer gewissen Kritik unterzogen wird (bPes 66 b). Gründe dafür betreffen unter anderem die Adressaten der literarischen Werke, denn während die jüdisch-hellenistische Apologetik sich primär an einen nicht-jüdischen Leserkreis wandte, ist die talmudische Literatur doch ganz auf ein jüdisches Insider-Publikum zugeschnitten. Weiter mochten die Rabbinen - auch in Abgrenzung zum erstarkenden Christentum - einen allzu prononcierten Personenkult des Religionsstifters, eine Mosaisierung des Judentums, vermeiden. Ausgehend von den drei Fixpunkten in der Mose-Darstellung - hebräische Bibel, jüdisch-hellenistische Literatur, rabbinisches Schaffen - schlägt das Pendel der Rezeption somit wieder zurück:
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Auf die Polarisierung der „Zeit des Übergangs" folgt bei den Rabbinen erneut eine Phase der Differenziertheit. Quellen Dominique Barthélemy/Jozef Tadeusz Milik, Dires de Moïse, 1955 ( D J D 1) 9 1 - 9 7 . - Egon Brandenburger, Himmelfahrt Moses, 1976 ( J S H R Z V / 2 ) 5 7 - 8 4 . - Ezechiel der Tragiker. Tragicorum Graecorum Fragmenta I, Authors on Jews and Judaism, hg. v. Bruno Snell, 3 Bde., Jerusalem 1 9 7 6 - 1 9 8 4 . - Fragmenta Assumptionis Mosis: M o n u m e n t a sacra et profana ex codicibus praesertim Bibliothecae Ambrosiana opera Collegii Doctorum eiusdem, Tom. 1, Fac. I. hg. v. Antonius M . Ceriani, M i l a n o 1861, 9 - 1 3 . 5 5 - 6 4 . - Daniel J . Harrington/Jacques Cazeaux, Les Antiquités Bibliques, 2 Bde., 1976 (SC 229). - Howard J a c o b s e n , T h e Exagoge of Ezechiel, Cambridge 1983. - M . R . J a m e s / D . Litt, T h e Biblical Antiquities of Philo, New York 1971. - E . M . 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Mose ben Maimón
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Gabrielle Oberhänsli-Widmer Mose ben Maimon (Maimontd.es)
(1138-1204)
1. Leben und Werk 2. Voraussetzungen und Probleme im Judentum 3. Offenbarung („Prophetie"), Erkenntnis und Vervollkommnung 4. Erkenntnis- und Heilsziele, Glaubensinhalte 5. Providenz, Schöpfung 6. Nachwirkung (Quellen/Literatur S. 361)
1. Leben und Werk Mose ben Maimon wurde 1138 in Cordoba als Sohn eines jüdischen Richters geboren und genoß eine umfassende Ausbildung in jüdischen und nichtjüdischen Bildungstraditionen. Nach der Eroberung durch die Almohaden verließ die Familie 1148 die Stadt und lebte ab ca. 1159 in Fez/Nordafrika, gelangte etwa 1165 nach Akko, 1166 über Jerusalem nach Alexandrien. Bis zum Tod des Bruders David (1169) konnte Mose ben Maimon sich voll seinen Studien widmen, danach praktizierte er in Alt Kairo als Arzt, zuletzt auch am Fatimidenhof. Zugleich fungierte er als Repräsentant und Richter der jüdischen Gemeinde. Er starb am 13.12.1204 in Alt Kairo, sein Sohn Abraham (1187-1237) und sein Enkel David (1222-1300) wirkten ebenfalls als Autoren und Repräsentanten des ägyptischen Judentums. Mose ben Maimon wirkte und schrieb in erster Linie als jüdischer Rechtsgelehrter. Schon 1158 hatte er eine kleine Schrift über die Kalenderberechnung und 1159 eine kurze Einleitung in die Logik erstellt. Ein arabisch verfaßter Kommentar zur -»Mischna, vollendet 1168, enthält in den Einleitungen zum Gesamtwerk, zum Traktat Abot und zu Sanhedrin X (Heläq) auch grundlegende Ausführungen zu Theologie und Ethik. Eine systematische Auflistung der 613 Gebote und Verbote im Pentateuch, der Kitäb al Fara'td/Sefär ham-mìswòt, diente der Vorbereitung eines 1182 vollendeten, umfassenden Kompendiums des jüdischen Rechts (in Mischna-Hebräisch), Misneh Toräh. Die kodexartige Struktur entsprach nicht der diskutierenden Art der rabbinischen Schultradition und erregte Widerspruch. Dazu enthält Buch I ( S e f ä r bam-madda' ) theologisch-philosophische Ausführungen als Teil der verbindlichen Tradition, obwohl sie traditioneller Exegese und Glaubensvorstellung teilweise widersprachen. Gleichwohl blieb der Misneh Toräh bis heute eine der maßgeblichsten Quellen und Grundlagen jüdischen Rechts. Wieder in arabischer Sprache abgefaßt, nicht als geschlossenes Werk konzipiert, sondern als eine Folge von Episteln an seinen philosophisch gebildeten Schüler Josef ben Jehuda ibn Shim'on gerichtet, entstand ab ca. 1190 das theologisch-philosophische Werk Dalälat al-Ha'irin. Es setzt philosophische Vorbildung voraus und war ausdrücklich nicht für eine breitere Leserschaft bestimmt. Es versucht die Ergebnisse der Wissenschaft und Vernunfterkenntnis (Philosophie) mit den Aussagen der Offenbarung (der hebräischen Bibel) in Einklang zu bringen. Damit entsprach er einer damals gerade in Spanien/Südfrankreich regen Nachfrage, und daher wurde das Werk auch bald zweimal ins Hebräische übersetzt. Der Dichter Jehuda ben Salomo Alharizi schuf eine sprachlich schöne, aber inhaltlich nicht immer treffende Übersetzung, während Samuel ben Jehuda ibn Tibbon (mit Mose ben Maimon in brieflichem Kontakt) terminologisch exakter zu formulieren wußte (Moreh ban-nebükim). Die hebräischen Übersetzungen machten die philosophierende Theologie des Mose ben Maimon auch im nichtislamischen Bereich rasch bekannt, und dies bestimmte für die nächsten Jahrhunderte zu einem guten Teil die religiöse Diskussion im Judentum insgesamt. 2. Voraussetzungen
und Probleme
im
Judentum
Grundvoraussetzung der Theologie des Mose ben Maimon und der nachfolgenden inner jüdischen Auseinandersetzungen war eine in Bibel und Tradition vorgegebene Span-
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Mose ben Maimón
nung zwischen widersprüchlichen Aussagen über Gott, Welt und Mensch. In bezug auf Gott war es der Kontrast zwischen Betonungen der Überweltlichkeit und Erhabenheit Gottes und Hervorhebungen der Nähe und direkten Einwirkung Gottes, vor allem durch Anthropomorphismen/Anthropopathismen. Aber auch die Frage, ob und wie Gott im biblischen Sinne als Schöpfer und als Herr der Welt und der Geschichte begriffen werden kann, stand zur Debatte, unausweichlich im Falle jeder Konfrontation mit der wiederentdeckten antiken Philosophie und deren Anwendung im Islam, im Christentum und (nicht zuletzt infolge der Kontroversen zwischen rabbinischem Judentum und -»Karäern) auch im Judentum. Das Menschenbild war betroffen, insofern man biblische Aussagen vom Menschen als -»-Bild Gottes wörtlich nahm, damit die prophetischen Visionsberichte vom thronenden Gott-König (u.a. Jes 6,1 ff; Ez 1 - 3 ) verband und somit die menschengestaltige Erscheinung Gottes im Anschluß an Märkabah-, Hekalot- sowie Si'ur Qomäh-Spekulationen als unverzichtbare jüdische Offenbarungs- und Traditionsinhalte wertete. Dazu kam die schon in talmudischer Zeit als selbstverständlich geltende Vorstellung von einer bei der Geburt inkorporierten und mit dem Tod den Leib wieder verlassenden -»-Seele, unter neuplatonischem Einfluß weiterentwickelt und von da an sowohl für die Frömmigkeit der breiten Schichten als auch für die Mehrzahl der Gebildeten Teil auch der jüdischen religiösen Grundüberzeugungen und maßgeblich für Erkenntnisbegriff und Ethik. Demgegenüber profilierte sich erst im 12. Jh., und nur bei wenigen Autoren, auch die aristotelische Vorstellung von den separaten Intellekten und damit vom menschlichen (angeborenen/potentiellen, aktualisierten/erworbenen) Intellekt. Damit waren die Voraussetzungen gegeben für eine Definition der „Seele" als Form des Körpers und für die Bindung der Unsterblichkeit an den erworbenen Intellekt. War schon die neuplatonische Auffassung von der Seele nicht leicht mit der traditionellen Betonung der Leiblichkeit und dem Heilsziel einer leiblichen Auferstehung vereinbar, so war nun, die strenge Anwendung des Transzendenzbegriffs vorausgesetzt, eine klare Trennung der Seinsstufen unerläßlich. Die innerweltlich-endgeschichtliche Heilszeit mit leiblicher Existenz (nach der Auferstehung) war als Messiaszeit von dem endgültigen, jenseitigen Heilszustand zu unterscheiden. Unabhängig von diesen Problemkomplexen ergab sich die Frage, wie die biblisch-nachbiblische Vorstellung der Weltschöpfung mit der neuplatonischen Emanationslehre oder mit der aristotelischen Metaphysik, die ja mit wissenschaftlichem Anspruch vertreten wurde, vereinbar sei. Vor allem betraf dies die Vorstellung des Weltanfangs im biblischen Sinne. Mose ben Maimon fand in Islam und Judentum bereits eine umfangreiche philosophierende theologische Literatur vor. Als Aristoteliker stand ihm im Judentum —»Abraham ibn Daud am nächsten, die neuplatonisch orientierten Autoren ignorierte er fast völlig. Hingegen stützte er sich voll auf die aristotelischen Schriften und Lehren in der Interpretation durch Alexander von Aphrodisias, auch auf AlfaräbT, teilweise auch auf Ibn Sina (Avicenna). Ibn Rusd (—•Averroismus) schätzte er hoch, lernte aber dessen Schriften sehr spät kennen, sie wirkten sich erst auf Mose ben Maimons Anhänger voll aus. Mose ben Maimon anerkannte die aristotelische Physik als gesicherte Wissenschaft für die sublunare Sphäre, die Metaphysik hingegen relativierte er als teilweise spekulativ und kontrovers. Die Gleichsetzung von „Physik" und ma'seh b're'sit (in der Tradition: esoterische Schöpfungsspekulation) und der „Metaphysik" mit ma'aseh märkabah (in der Tradition: Thronwagenspekulation) signalisiert eine tiefreichende Korrektur mit weitreichenden hermeneutisch-exegetischen Konsequenzen für das traditionelle jüdische Denken. 3. Offenbarung
(„Prophetie"),
Erkenntnis
und
Vervollkommnung
Der Mensch verfügt über einen potentiellen Intellekt, den er dank der Einwirkung des die sublunare Welt regierenden „aktiven Intellekts" zu aktualisieren vermag. Der so „erworbene Intellekt" verbürgt eine immer engere Verbindung mit diesem „aktiven Intellekt". Er prägt auch das Maß des Anteils am endgültigen, jenseitigen Heilszustand,
Mose ben Maimón
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und zwar auf der Basis der Einheit von Erkennendem, Erkenntnisakt und Erkanntem. Die Preisgabe der Individualität vermied Mose ben Maimon aber in seinen Formulierungen. Diese allgemein menschliche Möglichkeit eines Heilsziels auf Grund der Verbindung von erkenntnismäßiger und moralischer Vollendung wird aber offenbarungsund erwählungstheologisch eingeschränkt. Zwar gibt es nach Mose ben Maimon eine durch besondere Ausprägung der imaginativen Fähigkeit vorgegebene allgemein menschliche Möglichkeit der „Prophetie". Doch diese allgemeine und nur mittelbare (durch Traum, Vision, Audition, Ekstase) empfangene Offenbarung wird nach Inhalt, Qualität und Funktion strikt von der „Prophetie des Mose" (der Torah vom Sinai) abgesetzt. In Mose verbanden sich die Eigenschaften des Propheten, Staatsmannes und Philosophen. Seine Erkenntnisstufe ist unvergleichlich und bis auf die Schranke der Leiblichkeit „engelgleich" (d.h.: auf der Stufe der „separaten Intellekte"). Die allgemeine Prophetie bleibt in ihrer Mittelbarkeit auch sprachlich-ausdrucksmäßig dem Imaginativen und Sinnlichen verhaftet, ist bildliche Rede und bedarf insofern der allegorisierenden Deutung. Die Torah des Mose ist als beste Rechts-, Sozial- und Lebensordnung die beste Voraussetzung auch für Vernunfterkenntnis. Nur diasporabedingt, infolge historischer Unbilden, verlor das Judentum vorübergehend die philosophische Bildung, so daß man sie zum Teil von Nichtjuden wie Aristoteles wieder erlernen muß. Dieser Mißstand muß durch eine schrittweise Erziehung und Bildungsarbeit behoben werden. Die Bibel selbst dient, soweit sie allgemeine Prophetie und somit bildliche Rede enthält, diesem pädagogischen Zweck, der auch bildungs-, niveaugerechte Ausdrucksweise erfordert. Dies ergibt eine Art Doppelstrategie (Exoterik/Esoterik), aber keinerlei Ansatz zu „doppelter Wahrheit". Der wahre Sinn der Bibel entspricht dem Erkenntnisinhalt wahrer Philosophie, die eben nicht die Wahrheit der Philosophen darstellt, sondern die göttliche Wahrheit, von der die Philosophen mehr oder weniger zu erfassen vermögen, am meisten natürlich auf der Basis der Torahpraxis, also im Judentum. Demgemäß wird sich Israel in der messianischen Endzeit (MT Hilkot m'läkim) sorglos ganz der Torah widmen können, während die Völker den sieben noachidischen Geboten unterworfen werden. Mose ben Maimon erreicht damit dieselbe Exklusivität für Israel, die sonst heilsgeschichtstheologisch begründet wurde. 4. Erkenntnis-
und Heilsziele,
Glaubensinhalte
Das Ziel aller Erkenntnis, die Gotteserkenntnis, erhält eine im Aristotelismus so nicht übliche Zuspitzung im Sinne negativer Theologie. Nicht nur die Wesensattribute werden bestritten, sondern vergleichbare Attribute überhaupt, und zwar mit Hilfe entsprechender allegorischer Exegese biblischer Aussagen. Dies aber nicht auf Grund neuplatonischen Einflusses, sondern aus der Frontstellung gegenüber der anthropomorphistischen Linie in der jüdischen Tradition. Mose ben Maimon formulierte jüdische Glaubensprinzipien, die 13 'Iqqärim (Einleitung zu MK Sanhedrin). Sie betreffen: (1) Existenz G o t t e s auf der Basis von Kontingenz/Inkontingenz; Unterscheidung zwischen Essenz und Existenz nach Avicenna. (2) Einheit G o t t e s . (3) Unkörperlichkeit G o t t e s . (4) Ewigkeit G o t t e s . (5) Verpflichtung zum Gottes-Dienst (gegen Götzendienst) laut T o r a h , insofern schon verbunden mit (6) Anerkennung der „ P r o p h e t i e " allgemein. D a v o n sehr betont abgegrenzt (7) die Prophetie des M o s e in ihrer unvergleichlichen Einzigartigkeit; (8) ihr Inhalt ist als T o r a h unausschöpfliche göttliche Offenbarung, und zwar als schriftliche und mündliche T o r a h . (9) Diese T o r a h ist unaufhebbar. (10) Wissen und Providenz G o t t e s begründen (11) Lohn und Strafe. (12) D a s K o m m e n der (innerweltlichen) Messiaszeit als C h a n c e unbehelligter Vollendung in T o r a h e r k e n n t n i s und -gehorsam für Israel mit zuvor stattfindender (13) Auferstehung der T o t e n .
Der endgültige Heilszustand ('Oläm hab-bä '/Jenseits) ist als Folge der ethischen Vervollkommnung in Zusammenhang mit „erworbenem Intellekt" nicht Glaubensgegenstand. Als höchste Strafe galt Nichtexistenz. Der in den 'Iqqärim 1 - 4 erscheinende philosophisch-universalistische Ansatz wird in 'Iqqar 5 bereits auf die Torah zurückgeführt und in den 'Iqqärim 6 - 8 , mit der sin-
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gulären Hervorhebung der Prophetie des Mose, aufgehoben. Folgerichtig betrachtete Mose ben Maimon auch den 'Iqqar 3 (Unkörperlichkeit) als unverzichtbaren Bestandteil der Prophetie des Mose und seine Leugnung als Häresie. 1 1 - 1 3 hingegen betreffen Voraussetzungen bzw. Mittel. Ziel der Erkenntnis ist nicht zuletzt Anerkennung der Begrenztheit menschlicher Erkenntnismöglichkeit angesichts der totalen Andersheit und Unvergleichlichkeit Gottes. Positiv, als „erworbener Intellekt", fallen Erkenntnisziel und endgültiges, transzendentes Heilsziel in eins. 5. Providern,
Schöpfung
Die Annahme einer individuellen Providenz ist auf der Basis der 'Iqqärim 1 - 4 ausgeschlossen, doch widersprechen dem die 'Iqqärim 10—11 und maßgebliche Partien in anderen Werken. Allerdings liegt eigentlich eine Umdeutung der traditionellen jüdischen Einschränkung der Providenz auf Israel im Zusammenhang mit der Sinaioffenbarung vor. Bereits 'Iqqar 5 impliziert die Bindung des geforderten Gottes-Dienstes an die Torah. In M N 111,51 wird in scheinbar krassem Gegensatz zu M N II,17ff noch deutlicher formuliert: Eigentlich decken sich göttliche Providenz mit der in Mose repräsentierten Möglichkeit der Vervollkommnung in Ethos und Erkenntnis, erreicht die Providenz mit der Trennung von der leiblichen Beschränktheit und der Verbindung mit dem aktiven Intellekt ihr Ziel: bildlich im göttlichen „Todeskuß", dem Eintritt in den 'Oläm hab-bä' im höchstmöglichen Grad der Vervollkommnung. Auf eine scheinbar extrem philosophische (averroistische) Weise wird also gerade der jüdische Exklusivitätsanspruch zur Geltung gebracht. Die übrigen Behauptungen einer individuellen Providenz, abgesehen von dieser Torah-Gebundenheit, sind der pädagogischen Taktik zuzurechnen: Nur auf den höheren Stufen der Erkenntnis vermag der Fromme auf die stimulierende Wirkung von Lohn und Strafansage zu verzichten und Erkenntnis um der Erkenntnis (Gottes) selbst willen zu erstreben. Die Providenz vollzieht sich also in der Aktualisierung des potentiellen Intellekts zugleich mit der ethischen Vervollkommnung auf der Basis des Torah-Gehorsams. Von Gott als Schöpfer im biblischen Sinn sprach Mose ben Maimon mit deutlichem Vorbehalt. Die Frage der Anfangslosigkeit der Welt erörtert er umständlich und läßt die Vernunft-Entscheidung darüber in Schwebe, verweist dann aber auf die ausschlaggebende Autorität der Torah. Die Frage schien ihm persönlich nicht so gewichtig zu sein wie die Themen Transzendenz, Unkörperlichkeit und Kontingenz Gottes. 6.
Nachwirkung
Während des 13./14. Jh. erfolgte unter radikalen Maimonides-Anhängern eine an Averroes orientierte, mehr oder minder konsequente Ablösung des Erkenntnis- und Vervollkommnungsprozesses von der Torah als Basis, wobei die Torah in stärkstem Maße allegorisiert wurde. Das pädagogische Mittel des Torah-Gehorsams erschien auf höheren Stufen der Erkenntnis als funktionslos. Weitere Kreise zog der Kampf um die Berechtigung profaner Bildung überhaupt. Der Denker Mose ben Maimon galt nun als Repräsentant nichtjüdischer Philosophie und Wissenschaft, doch sein Renommee als Gesetzesgelehrter bewahrte ihn vor posthumer Ächtung. Jahrhundertelang diente für alle an profaner Bildung Interessierten der M N als Lehrbuch der Philosophie, freilich weitgehend verpönt. Die jüdische Aufklärung sah in Mose ben Maimon ihren Vorläufer, und in seinen Intellektualismus wurde der moderne Rationalismus hineingelesen. Die Zweideutigkeit der pädagogischen Taktik des Mose ben Maimon hatte widersprüchliche Nachwirkungen. Die Traditionalisten stellten den Gesetzesgelehrten in den Vordergrund und spielten die philosophischen Komponenten hinunter. Kabbalisten sahen in Mose ben Maimon einen der ihren, indem sie seine esoterischen Aussagen auf die Kabbalah bezogen. Wer in Mose ben Maimon einen aristotelischen und letztlich averroistischen Philosophen sah, unterstellte ihm die esoterischen Inhalte des Aristotelismus. Doch damit ist sein Gesamtwerk und seine Lebenshaltung nicht zu begründen. Tatsächlich akzep-
Mose ben Maimón
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tierte M o s e ben M a i m o n den Aristotelismus weitgehend, aber er sah in ihm authentische I n h a l t e der Prophetie des M o s e , die durch die Ungunst der G e s c h i c h t s l ä u f e in Israel nur in Vergessenheit geraten w a r e n , a b e r nur in Israel, auf der T o r a h b a s i s , wirklich voll zur G e l t u n g k o m m e n k ö n n e n . Quellen 1. Maqäla fi sinä'at al-mantiq. (Hebr.:) Millôt hâ-higgajôn: Moïse Ventura, Paris 1935 (mit franz. Übers.); Israel Efros, Maimonides' Treatise on Logic, PAAJR 8 (1937/8), 3 - 6 5 und 5 - 1 3 6 (mit engl. Übers.). - Lat.: Sebastian Münster, Basel 1527. 2. Mischnahkommentar (MK): Kitäb as-Sirag. Hebr.: Sefär ham-Mä'ör (ed. pr. Neapel 1492); Josef Kafah, Misnäh 'im pêrûs Rabbenû Moseh ben Majmón, I - V I I , Jerusalem 1963/68 (mit arab. Text u. neuhebr. Übers.). — Lat.: Wilhelm G. Surenhusius, Mischna sive totius Hebraeorum Iuris Ritum, I—V, Amsterdam 1698 — 1703. — J(osef) Holzer, Zur Gesch. d. Dogmenlehre in d. jiid. 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Mose ben Nachman
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Mose ben Nachman
(1194-1270)
(Quellen/Literatur S.365) M o s e ben N a c h m a n , auch als N a c h m a n i d e s , B o n a s t r u c da Porta oder unter dem Kürzel R a M B a N b e k a n n t , w a r T a l m u d g e l e h r t e r , K a b b a i i s t und B i b e l - K o m m e n t a t o r . E r wurde 1 1 9 4 in Spanien g e b o r e n und starb 1270 in - » P a l ä s t i n a . T r o t z seiner irenischen Veranlagung w a r es ihm b e s t i m m t , in Auseinandersetzungen verwickelt zu werden: über die B e d e u t u n g der Lehren des M a i m o n i d e s ( - » M o s e ben M a i m o n ) und mit dem zum C h r i s t e n t u m konvertierten P a b l o Christiani. M o s e ben N a c h m a n wurde vier J a h r e nach A b f a s s u n g des „ F ü h r e r der Unschlüssig e n " , des philosophischen H a u p t w e r k e s des M a i m o n i d e s , g e b o r e n . Er lebte in der Z e i t des ersten A u s b r u c h s des Streits um dessen A n n e h m b a r k e i t und starb vor der zweiten und dritten Welle der Auseinandersetzung um dieses W e r k . Diese Kontroversen b r a c h t e n eine jüdische G e m e i n s c h a f t gegen die andere auf. N a c h m a n i d e s versuchte die R o l l e eines Vermittlers zu ü b e r n e h m e n , o b w o h l sein Vetter J o n a n Gerundi einer der Anstifter zum Angriff a u f die philosophischen Ideen des M a i m o n i d e s w a r .
Mose ben Nachman
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Nachmanides schrieb an jene Mitglieder des französischen Rabbinats, die das Buch zu bannen und seine Leser zu exkommunizieren beabsichtigten; er verteidigte Maimonides und seine Schrift. Er hob hervor, daß der „Führer der Unschlüssigen" eine notwendige Antwort auf die Anziehungskraft sei, die die Philosophie auf eine ganz bestimmte Art von Juden ausübe. Da die französischen Autoritäten mit anders geprägten Juden zu tun hätten, verstünden sie die Absicht des Maimonides nicht. Außerdem erweise das französische Rabbinat dem bedeutenden Werk des Maimonides nicht die Ehre, die ihm als Halachisten gebühre. Nachmanides schlug einen Kompromiß vor: Der „Führer der Unschlüssigen" sollte in Bann getan werden, nicht jedoch das „Buch des Wissens" (sefer ham-mada'), das den ersten Teil der „Mischne T o r a " bildet. Der Vermittlungsversuch des Nachmanides scheiterte jedoch, als die Verteidiger der Lehre des Maimonides die Reinheit der Abstammung der Familie seines Vetters Gerundi in Zweifel zogen. Dieser Angriff betraf auch Nachmanides selbst. Er attackierte darauf die Anhänger des Maimonides, zunächst beleidigt, dann aber mit wachsender Bitterkeit.
Seine Hochachtung vor dem Halachisten Maimonides hielt Nachmanides davon ab, den Philosophen Maimonides anzugreifen. Im Hauptwerk des Nachmanides, seinem Torakommentar (Perüsche hat-Tora) ist Maimonides auf vielen Seiten spürbar präsent. Von einigen war Maimonides vorgeworfen worden, er werte die Schrift nur als Gleichnis, behandle sie also allegorisch und leugne die Historizität eines Teiles oder gar der ganzen Bibel. Der Angriff kam von Juden, die die Schrift nur buchstäblich verstanden. Nachmanides sucht in seinem Torakommentar (ed. Chavel) einen Mittelweg zwischen buchstäblicher und allegorischer Deutung, um Gegnern und Anhängern des Maimonides gerecht zu werden. Sein Kommentar ist eine stark symbolische Deutung der Tora, wobei der Wortsinn untrennbar mit einer tieferen philosophischen und mystischen Bedeutung Hand in Hand geht. Die Tora ist ein göttliches Mysterium, das alle Weisheiten kennt und den Sinn der gesamten menschlichen Geschichte darstellt. Die in ihr geschilderten Ereignisse fanden wirklich statt. Sie weisen jedoch über sich hinaus. Jedes Wort der Tora ist voller Bedeutungen. Schon in seiner Einleitung sagt Nachmanides: „Wir haben eine wahrhaftige Überlieferung bei uns, daß die ganze Tora aus den Namen des Heiligen, gelobt sei er, besteht, und daß die Buchstaben der Begriffe durch Findung einer neuen Bedeutung voneinander getrennt werden können . . . " (ed. Chavel Bd 1,6).
Nachmanides schrieb seinen Torakommentar, „um den Lernenden, die vom Exil und seinen Nöten müde geworden sind, und die an den Sabbaten und Feiertagen die vorgeschriebenen Tora-Abschnitte lesen, Beruhigung zu bringen, und um ihr Herz auf den offenkundigen Sinn (bap-peschatim) der Schrift hinzulenken, und auch ein wenig auf Dinge, die für Hörende angenehm sind, und die den Wissenden Gnade bringen" (Perüsche hat-Tora I 7). Neben der Freilegung der einfachen Wahrheit geht es somit auch um die „Verborgenheiten der Tora" (sitre tora) bzw. um den „Weg der Wahrheit" (z.B. Auslegung von Ex 6,8: Perüsche hat-Tora I 306 u.ö.). RaMBaN teilte also seinen Lesern mit, daß sich aus dem Studium der bisherigen Kommentatoren (BerR, Abraham ibn Esra, Raschi, Maimonides etc.) nicht die Aufdeckung aller Wahrheiten und Geheimnisse der Tora ergebe. Sein kabbalistischer Ansatz führe zwar nicht zur Enthüllung aller, wohl aber zur Kundgabe einiger Geheimnisse. Am Beispiel von Nachmanides' Sicht der - > S c h ö p f u n g zeigt sich, daß sein neuer Weg der Auslegung auch stark der philosophischen Auseinandersetzung verpflichtet ist. Für Maimonides und seine Nachfolger stand die Schöpfung aus nichts nicht im Zentrum des Denkens, und sie war auch stark mit Problemstellungen belastet. Für Nachmanides dagegen war die Schöpfung das kardinale Element des Judentums. Sie zu leugnen oder die Ewigkeit der Welt zu behaupten implizierte auch die Leugnung der Wunder, der Wahrheit der Tora und der Hoffnung auf ein ewiges jenseitiges Leben. Die creatio ex nihilo war bei ihm jedoch eingeschränkt auf die Urmaterie (ha-chomer ha-rischon): „Sie wird bei den Griechen hyle genannt. Nach der Erschaffung der hyle erschuf er nichts mehr aus nichts. Vielmehr formte und verfertigte er alle Dinge aus ihr" (Perüsche hat-Tora I 12). Eine rabbinische Deutekombination von Gen 1,1 und Prov 8,22 aufnehmend (BerR 1,1) und diese
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Mose ben Nachman
mit der esoterischen Tradition des —• Jesira-Buches verbindend, interpretiert Nachmanides den Schöpfungsakt Gottes in folgender Weise: „Mit zehn Sephirot ist die Welt erschaffen worden, und es gibt einen Hinweis auf die Sephira Weisheit, in der das Fundament von allem liegt" (Perüsche hat-Tora I 11). Damit reiht sich Nachmanides ein in das monistische Denken über die Schöpfung: Mit Ausnahme der materia prima ist alles Ausfluss göttlicher Potenzen. Neuplatonisches und gnostisches Denken sowie mündliche esoterisch-jüdische Traditionen, die seit spätantiker Zeit in intellektuellen Kreisen tradiert worden waren, veranlaßten ihn zu dieser Sicht (TRE 16,658 f; Idel 15.20-22).
Nachmanides bringt seine kabbalistischen Deutungen nie ohne begleitende Deutungen der rabbinischen Tradition vor und ohne auf das wörtliche Verständnis der einzelnen Sätze zu insistieren: Diese Welt entstand in sechs Tagen; dabei wurden die in Erde, Luft, Feuer und Wasser enthaltenen Elemente aktualisiert. Das Sechstagewerk weise auf die gesamte Geschichte der Menschheit hin. Alles ist Grundlage und Urbild für Kommendes: das Sechstagewerk für die sechs Millenien der Weltgeschichte, das Licht des ersten Schöpfungstages für -> Adam, die Teilung des Wassers am zweiten Schöpfungstag für Noah, die Erschaffung der Bäume am dritten Schöpfungstag für —»-Abraham und seine Nachkommen sowie für die Erbauung des ersten Tempels, die Erschaffung der Lichter am vierten Tag für die Herrlichkeit Gottes im Tempel, die Erschaffung von allerlei Kriechtieren am fünften Tag für die Gegenwart, in der die Menschen jagen und wie Tiere gejagt werden, die Erschaffung Adams am sechsten Tag für den —»Messias. Nachmanides berechnete das Kommen des Messias auf das Jahr 5118 (1358 n.Chr.; vgl. sein „Buch der Erlösung": Writings II 555 — 650). Der siebte Schöpfungstag weist auf die kommende Welt hin, in der alles Sabbatruhe sein wird. Wie Nachmanides eine Mittelstellung zwischen den Verfechtern der Ewigkeit der Welt und jenen, die alles auf die Schöpfung aus nichts zurückführten, behauptete, so ist auch seine Lehre von den Wundern eine vermittelnde Theorie. Es gab Religionsphilosophen, die Wunder in allen Bereichen der Welt für möglich hielten und solche, die Wunder als unmöglich ablehnten. Nach Nachmanides gibt es zwei Arten von Wundern: geheime und offenkundige. Die geheimen geschehen in Übereinstimmung mit der Natur, die offenkundigen durchbrechen die Natur. Beide Arten beweisen auf ihre Weise die Existenz Gottes. Gott.wirkt durch die Natur, kann sich aber auch über sie hinwegsetzen. In der Frage nach den Möglichkeiten und den Dimensionen der -»Prophetie steht Nachmanides ebenfalls in der Mitte zwischen jenen, die alles Prophetische auf die menschliche und jenen, die alles auf die göttliche Aktivität zurückführen. Er unterscheidet im Sinne von Maimonides - besonders im Zusammenhang mit seiner Deutung von Num 12,6 und Dtn 34,10 — zwischen der singulären Prophetie Moses und jener der übrigen Propheten. Auch die übrigen Propheten, die nicht die unmittelbare Gottesschau des Mose haben, sprechen „im heiligen Geist" oder „durch die Hand Gottes" (Perüsche hat-Tora II 239). Es ist eines der geheimen Wunder, daß das Volk Israel die Sprache und den Inhalt der Prophetie aufnimmt. Demgegenüber war das Sinaiereignis ein offenkundiges Wunder, und Mose stand im Zentrum dieses Wunders: „Der große Name (das Tetragrammaton) stieg zum Berg Sinai hinunter, ruhte im Feuer auf ihm und sprach mit Mose; das Gespräch mit Mose fand während des ganzen Ereignisses im einzigartigen Namen statt" (Perüsche hat-Tora II 387). Die Tora, die Israel eine Vorzugsstellung gibt, wird nach Nachmanides eingeteilt in den - * Dekalog, in die übrigen Gebote und in Erzählungen. Der Dekalog belehrt uns über Gott und die ihm gebührende Ehre sowie über das gebotene zwischenmenschliche Verhalten. Die übrigen Gebote werden unterteilt in Bezeugungen, Vorschriften und Urteile. Die Bezeugungen erinnern uns an Gott; die Vorschriften haben fordernden Charakter, ohne daß ihnen Begründungen beigegeben sind; die Urteile beziehen sich auf das menschliche Zusammenleben. Über die Opfer, die zu den Vorschriften gehören, ist Nachmanides anderer Meinung als Maimonides. Für Maimonides sind sie ein Zugeständnis Gottes an gewohntes Verhalten oder auch
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ein Mittel zur Bekämpfung des Götzendienstes. Nachmanides sieht in ihnen ein Mittel zur Sühne. Die Tora gibt aber nicht nur Aufschluß über Damaliges, sondern auch über die Zukunft. Sie umfaßt auch Lehren über Gott, Gebote für das Volk und Hinweise für die Zukunft dieses Volkes. Wer sich an die Tora hält, wird in diesem Leben von der göttlichen Vorsehung beschützt und erhält als Lohn das ewige Leben. Im J a h r e 1263 f o r d e r t e d e r v o m J u d e n t u m z u m C h r i s t e n t u m k o n v e r t i e r t e F r a P a b l o C h r i s t i a n i d e n N a c h m a n i d e s zu einer Disputation ü b e r die W a h r h e i t des C h r i s t e n t u m s in G e g e n w a r t des a r a g o n i s c h e n Königs J a k o b a u f . O b w o h l ihm die freie R e d e v o m König z u g e s t a n d e n w o r d e n w a r , w u r d e die D i s p u t a t i o n v o n Barcelona f ü r N a c h m a n i d e s z u m s c h w e r e n Schicksal. P a b l o C h r i s t i a n i b e a n s p r u c h t e in d e r A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m die B e d e u t u n g des M e s s i a s f ü r J u d e n u n d C h r i s t e n d e n Sieg f ü r sich. Die K i r c h e k l a g t e N a c h m a n i d e s n a c h t r ä g l i c h d e r L ä s t e r u n g d e r christlichen Religion a n u n d verurteilte ihn z u n ä c h s t zu zwei J a h r e n V e r b a n n u n g ; sie w u r d e d a n n auf u n b e s t i m m t e Z e i t verlängert. N a c h m a n i d e s verließ A r a g o n , zog n a c h Kastilien, S ü d f r a n k r e i c h u n d schließlich ins heilige L a n d . Er lebte längere Z e i t in J e r u s a l e m u n d s t a r b 1270 in A k k o . N a c h m a n i d e s v e r f a ß t e einen Bericht ü b e r die D i s p u t a t i o n von Barcelona (kritische W ü r d i g u n g d e r M s s . bei v o n M u t i u s 9 - 1 8 ; Ü b e r s e t z u n g bei C h a v e l , Writings II 6 5 3 - 6 9 6 ) . Sein schriftstellerisches W e r k ist sehr reichhaltig: K o m m e n t a r e z u r T o r a , zu d e n P r o p h e t e n u n d zu H i o b , G l o s s e n z u m —»Talmud u n d zu G e s e t z e s k o m p e n d i e n , zahlreiche H o m i l i e n , R e s p o n s e n u n d liturgische Stücke, Kritik an M a i m o n i d e s ' „Sefer h a m - m i z w o t " sowie Abhandlungen über Schächtung, Begräbnis und Trauer. Mehrere spezifisch k a b b a l i s t i s c h e K l e i n s c h r i f t e n w e r d e n i h m z u g e s c h r i e b e n ; seine A u t o r s c h a f t w i r d a b e r a u c h b e z w e i f e l t . Im 'iggeret h a q - q ö d e s c h (der heilige Brief) w e r d e n die G e schlechtlichkeit u n d die E h e verteidigt; a b e r a u c h d a ist die A u t o r s c h a f t des N a c h m a n i d e s fraglich. Quellen/Literatur Perüsche hat-Tora leRabbenü Mosche ben Nachman (RaMBaN), ed. Chaim D. Chavel, 2 Bde., Jerusalem 1959. - Perüsche ha-RaMBaN 'al nevi "m ukhetüvim, ed. Chaim D. Chavel, Jerusalem 1963 M986. - Teschüvot Rabbenü Mosche ben Nachman, ed. Chaim D. Chavel, Jerusalem 1975. - Sefer Wikkuach ha-RaMBaN, ed. Moritz Steinschneider, Berlin 1860. - Ramban (Nachmanides), Commentary on the Torah, 5 Vol., übers, ins Engl, von Charles D. Chavel, New York 1971-1976. - Ramban (Nachmanides), Writings and Discourses, 2 Vol., übers, ins Engl, von Charles D. Chavel, New York 1978. — Y. Unna, Rabbenu Moshe ben Nachman, Jerusalem 1954. — Hans-G. von Mutius, Die christl.-jüd. Zwangsdisputation zu Barcelona. Nach dem hebr. Protokoll des Moses Nachmanides, Frankfurt 1982 (Judentum u. Umwelt 5). - Moshe Idel, Kabbalah. New Perspectives, New York 1988. - Nahmanide (Ramban), La legge del Signore e perfetta. Omelia rabbinica sulla perfezione della Torah, ed. Mauro Perani, Roma 1989. L e o n a r d S. Kravitz
M o s h e i m , Johann 1. Leben 1.
Lorenz
von
(1694[5]—1755)
2. Werk und Nachwirkung
(Quellen/Literatur S.367)
Leben
J o h a n n L o r e n z v o n M o s h e i m w u r d e a m 9. O k t o b e r 1694 (oder 1695) in L ü b e c k g e b o r e n ; sein Vater w a r ein (katholischer?) H e e r e s o f f i z i e r . Finanzielle U n t e r s t ü t z u n g von Adligen e r m ö g l i c h t e es d e m v e r a r m t e n f r ü h r e i f e n J u g e n d l i c h e n , a n d e r U n i v e r s i t ä t -»Kiel zu s t u d i e r e n . 1718 w u r d e er d o r t M a g i s t e r , 1719 Assessor in d e r p h i l o s o p h i s c h e n F a k u l t ä t . Schon zu dieser Z e i t e r s c h i e n e n seine ersten literarischen u n d h i s t o r i s c h e n A r b e i t e n im D r u c k (erste V e r ö f f e n t l i c h u n g : Zufällige Gedanken von einigen Vorurteilen in der Poesie, besonders in der deutschen, L ü b e c k 1716). Wegen seiner ü b e r r a g e n d e n a k a d e m i s c h e n F ä h i g k e i t e n w u r d e i h m 1719 die E r l a u b n i s erteilt, p h i l o s o p h i s c h e Vorles u n g e n an der Kieler U n i v e r s i t ä t zu h a l t e n (Logik u n d M e t a p h y s i k ) . B e r u f u n g e n n a c h
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Mosheim
-•Duisburg, Uppsala und später nach -»Leipzig und Finnland schlug er ebenso aus wie das Angebot, als dänischer Gesandtschaftsprediger nach Wien zu gehen. Im Jahre 1723 übernahm Mosheim einen Lehrstuhl für Theologie an der Universität zu -»Helmstedt. Als Abt von Marienthal (seit 1726) und als Abt von Michaelstein (seit 1727) wurde er Schulinspektor von -»Braunschweig; seit 1729 leitete er das gesamte Schulwesen Hannovers und nahm entscheidenden Einfluß auf das dortige Kirchenwesen (vgl. T R E 14,432,49ff). Zahlreiche hohe kirchliche und weltliche Ämter banden ihn so fest an Helmstedt (vgl. T R E 15,38,17ff), daß er erst im Jahre 1747, als die geistige Ausstrahlungskraft dieser Universität nachließ, einen Ruf an die neu gegründete Universität in —»Göttingen annahm, wo ihm neben einem Lehrstuhl für Theologie auch das Amt des Universitätskanzlers übertragen wurde. Noch von Helmstedt aus hatte Mosheim die Statuten der Göttinger theologischen Fakultät entworfen (vgl. T R E 18,544,40ff). Mosheim prägte mit großem Eifer und der ihm eigenen wissenschaftlichen Vitalität die junge Göttinger Universität bis zu seinem Tode am 9. September 1755. 2. Werk und
Nachwirkung
Mosheim war einer der produktivsten Schriftsteller der deutschen Theologiegeschichte; sein Werk umfaßt eine Vielzahl von Interessengebieten: Kirchengeschichte aller Epochen, Moralphilosophie (mit praktischer Ethik), Homiletik, Bibelwissenschaft (Cogitationes in NT selectiores, 2 Bde., Hannover 1726/31; Kommentare zu I u. II Tim, Hamburg 1755); er schrieb Arbeiten zur europäischen Literaturgeschichte sowie zum Platonismus seiner Zeit (—»Deismus); er veröffentlichte auch Beiträge zu polemischen Zeitfragen und eine Methodologie für Übersetzer. Allein schon die Zahl und der Umfang seiner wissenschaftlichen Schriften setzten seine Zeitgenossen in Erstaunen; sie bewunderten seine stilistische Gewandtheit im Lateinischen wie im Deutschen. Seine Kollegen, Studenten und viele Freunde stellten jedoch seine rednerische Begabung - vor allem als Prediger - auf die gleiche Höhe. Die „Deutsche Gesellschaft" wählte ihn 1732 in Leipzig zum Präsidenten aufgrund seiner Beiträge zur deutschen Rhetorik (Deutsche Wohlredenheit). M o s h e i m w a r bescheiden, freundlich und weltgewandt; ein großer Kreis von B e k a n n t e n schätzte ihn als Freund und Gesellschaftspartner. E r mied jeglichen Fanatismus und praktizierte M ä ß i g u n g in allem - außer in seinem Fleiß als Wissenschaftler. Eine eigene Schule ihm ergebener Schüler hat er nicht gründen wollen; auch als Begründer eines philosophischen Systems wollte er nicht hervortreten. Wenn eine Schule oder ein System sich fortsetzten, so meinte er, k ö n n t e n sie zum Fanatismus oder sogar zum Aberglauben führen. D e s h a l b vermittelte er persönlich wie auch als Wissenschaftler zwischen O r t h o d o x i e ( - » O r t h o d o x i e , Lutherische) und -»Pietismus; zugleich weigerte er sich, einem der beiden Lager ausschließlich R e c h t zu geben.
Mosheims wichtigstes Werk waren seine Schriften zur Kirchengeschichte, mit denen er das Fundament legte, „auf dem sich die Kirchengeschichtsschreibung der Aufklärungszeit hat erheben können, die ihrerseits wieder die Voraussetzungen für die kirchliche Geschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts geschaffen hat" (Meinhold 11,11; -•Kirchengeschichtsschreibung). Mosheim bearbeitete erstaunlich unterschiedliche Themenbereiche. Große Bedeutung kommt seiner häufig revidierten und oft übersetzten Ubersicht über die Kirchengeschichte zu (Institutiones historiae ecclesiasticae antiquae et recentioris, 1739 [in endgültiger Fassung Helmstedt 1755]), in der er „die sogenannte pragmatische Methode der politischen Geschichtsschreibung in die Kirchengeschichte" übernahm und „das Societas-Modell des zeitgenössischen Kirchenrechts (Kollegialsystem) seiner Darstellung zugrundelegte" (E. Stove: T R E 18,551,22ff). Mosheims Wissenschaftlichkeit zeichnete sich durch drei Vorzüge aus: 1. Gelehrsamkeit (z.B. das Ausmaß und die Qualität seiner diskursiven Fußnoten, die die philosophische Abhandlung Cudworths, die er ins Lateinische übersetzte, korrigierte und erweiterte, oder seine Beherrschung der zur Verfügung stehenden Quellen für seine Institutiones)-, 2. Ausgewogenheit (z.B. sein Versuch, im Ritenstreit zwischen
Moskau
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den —»Jesuiten und den —» Franziskanern und —»Dominikanern beide Seiten zu ihrem Recht kommen zu lassen und wohlwollendes Verständnis für den Vatikan aufzubringen). з. Historiograpkiscke Modernität. Einige Wissenschaftler gehen so weit, ihn den „Vater der modernen Kirchengeschichte" zu nennen (seit Baur 118) - als ob es nur einen einzigen gäbe, dem dieser Titel zukommt. Mosheim war immer wieder auf der Suche nach neuen Quellen, die er historisch-kritisch erschloß. Er entdeckte historische Kausalitäten zuvorderst in natürlichen, menschlichen Ereignissen, statt ein übernatürliches Eingreifen anzunehmen. Vor allem suchte er Objektivität und verwarf bewußt dogmatische Interessen bei der Bewertung und Beurteilung geschichtlicher Ereignisse. Mosheim machte den Begriff „Häretiker" zu einer wertneutralen Kategorie; jemand, der die Kirche spaltet, sei nicht deshalb schon moralisch schlecht. Sein unparteiischer Geist erlaubte es ihm, so unterschiedliche und zuvor gebrandmarkte Gruppen und Einzelpersonen wie die -»Waldenser, die -»Katharer, die Wiedertäufer, -»Karlstadt, Michael -»Server und selbst David -»Joris vorurteilsfrei zu würdigen. Einige zeitgenössische Gruppen wie z.B. die -»Quäker überstiegen allerdings seine Unparteilichkeit, so daß er scharfe Urteile fällte. Er war aber in einem säkularen Sinn noch nicht völlig modern. Sein Ziel war es, durch seine Kirchengeschichte die Menschen moralisch zu bessern, ja sogar den Lesern auf ihrem Weg zum Heil zu helfen. Mosheims wissenschaftliche Reputation übertraf diejenige angesehener Zeitgenossen - Michael Schmidt, Johann Pütter, Adam Rechenberg - um nur einige zu nennen - auf jedem der hier genannten Gebiete. Quellen Von den ungefähr 170 Drucken der Werke Mosheims seien hier einige wenige genannt, deren Auswahl die Bandbreite seiner Veröffentlichungen verdeutlichen soll: Ralph C u d w o r t h : Systema intellectualis huius universi, hg. u. übers, v. J o h a n n Lorenz von M o s h e i m , Jena 1733. - Sittenlehre der heiligen Schrift, 5 Bde., Helmstedt 1735-1753. - Historia T a r t a r o r u m ecclesiastica, Helmstedt 1741. - Erklärung des ersten Briefes des heiligen Apostels Pauli an die Gemeinde zu Corinthus, Altona 1741 [Hörer-Nachschrift]. - Origenis Vorstehers der christl. Schule zu Alexandrien, übers. и. bearb. v. Johann Lorenz von M o s h e i m , H a m b u r g 1745. — Versuch einer unparteiischen u. gründlichen Ketzergesch., Helmstedt 1746. - Heilige Reden über wichtige Wahrheiten der Lehre Jesu Christi, 6 Bde., H a m b u r g 1765. Literatur Ferdinand Christian Baur, Die Epochen der christl. Kirchengeschichtsschreibung, Tübingen 1852. - Annemarie D a h m , Weitherzige Milde u. Gewissensfreiheit - Ein Lebensbild: Schleswig-Holstein. M o n a t s h e f t f. H e i m a t u. Volkstum 6 (1954) 3 1 8 - 3 1 9 . - Karl Heussi, J o h a n n Lorenz Mosheim. Ein Beitr. zur KG des 18. Jh., T ü b i n g e n 1906. - Siegfried Körsgen, Das Bild der Reformation in der Kirchengeschichtsschreibung Mosheims, Tübingen 1966. - Eginhard Peter Meijering, M o s h e i m on the Difference between Christianity and Platonism: VigChr 31 (1977) 6 8 - 7 3 . - Peter M e i n h o l d , Gesch. der kirchl. Historiographie, F r e i b u r g / M ü n c h e n , II 1967, 11 - 3 0 . - J o h a n n Georg Meusel, v. Mosheim (Johann Lorenz): Lexikon der vom J a h r 1750 bis 1800 verstorbenen dt. Schriftsteller 9 (1809) 3 4 7 - 3 6 4 [Liste von Veröffentlichungen u. Portraits Mosheims], - Kurt Viktor Selge, Einf. in das Studium der KG, D a r m s t a d t 1982.
John S. Oyer Moskau (Literatur S. 370)
Moskau (russ. Moskvä), Hauptstadt —»Rußlands, 1923-1991 der Sowjetunion und der russischen Föderativen Sowjetrepublik mit über 9 Mill. Einwohnern, Sitz des orthodoxen Patriarchen und des altgläubigen Metropoliten (beide mit Titel „von Moskau und der ganzen R u s ' " ) . Die 1147/48 erstmals unter dem Namen Moskau urkundlich erwähnte, archäologischen Funden zufolge aber ältere Burg wird 1156 von Fürst Jurij Dolgorukij, der als Gründer Moskaus gilt, als Stadt befestigt, 1237/38 aber von den Tataren niedergebrannt. Mit Daniii (1261-1302), dem vierten Sohn des Großfürsten Aleksandr Nevskij, beginnt die Geschichte des selbständigen Fürstentums Moskau. Bereits unter seinem Nach-
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Moskau
folger Jurij Danilovic (1280—1325) tritt das noch kleine Moskau ein in den Streit der russischen Teilfürstentümer um die Großfürstenwürde, die es in Konkurrenz zu Tver' auch vorübergehend von den Tataren gewinnen kann. Wichtiger für die künftige Stellung Moskaus ist die Unterstützung durch den Kiever Metropoliten Petr (1308-1326), der seine Residenz von Vladimir nach Moskau verlegt und dieses so zum kirchlichen Zentrum Rußlands erhebt. Kaum ein anderer Schritt w a r so wichtig für den künftigen Aufstieg der Stadt. Jurijs Nachfolger, Daniiis jüngster Sohn Ivan I. Kaiita ( = Geldsack, 1325-1341), kann sich als Tributeinsammler der Tataren große Reichtümer und schließlich auch die Großfürstenwürde sichern, die seitdem mit Ausnahme der Jahre 1360-1363 dauerhaft - wenn auch lange noch immer wieder umstritten - bei Moskau verbleibt. Unter Ivan I. beginnt der prachtvolle Ausbau des Moskauer Kreml' mit der Errichtung steinerner Kirchbauten. Hatte schon die Unterstützung Metropolit Petrs die Stellung der Moskauer Herrscher gefestigt, so noch mehr die Wirksamkeit des selbst bei den Tataren als Wundertäter verehrten Metropoliten Aleksij (1354-1378), der jahrelang die Regentschaft für den minderjährigen Dimitrij Ivanovic (1359-1389) geführt hatte. Aleksij ist schon ganz Moskauer, auch wenn erst Metropolit Feodosij (1461 — 1465) den Namen der Stadt in seinem Titel führte. Metropolit Aleksij unterhielt intensive Kontakte zu dem hl. Sergij von Radonez, der wiederum seinerseits Dimitrij zum Kampf gegen die Tataren segnete. Von dem Sieg über diesen bis dahin als unbesieglich gefürchteten Gegner auf dem Kulikovo Feld am Don erhielt Dimitrij den Beinamen Donskoj. Mit ihm w a r der Moskauer Großfürst zum eigentlichen Sachwalter der gesamtrussischen Interessen geworden. Einen gewissen Abschluß erfährt die schon von Ivan I. eingeleitete „Sammlung der russischen Lande" unter Ivan III. (1462—1505). Daß er mit der Eroberung Novgorods Rußland einer politischen Alternative mit demokratischen Elementen beraubte, gehört zu den negativen Folgen seiner Sammlungspolitik. Er ist der erste Moskauer Herrscher, der den Titel „ C a r ' " (Kaiser) für sich beanspruchte und sich damit in die Nachfolge - » Konstantinopels stellte. Die Heirat der Nichte des letzten Konstantinopler Kaisers Konstantin XI. Zoi (in Rußland: Sofija) wird aber wohl zu Unrecht damit in Beziehung gebracht. Zoi lebte in Rom, und die Heirat mit ihr unterstrich mehr die Weltoffenheit Moskaus als die Nachfolge Konstantinopels, vermittelte diese Eheschließung doch vor allem die Kontakte zur italienischen -»Renaissance. Dazu, daß Moskau unter Ivan III. in die Nachfolge von -»Byzanz zu rücken begann, trug wie bei allen früheren Schritten Moskaus zur Vorherrschaft in Rußland die kirchliche Stellung der Stadt bei, wenngleich sich hier auch zunehmend die Gewichte zugunsten der politischen Macht verschoben. Als Metropolit Isidor (1436-1441) die Florentinische Union (—»Unionen, Kirchliche) in Moskau durchzusetzen versucht hatte, w a r er vom Moskauer Großfürsten Vasilij II. abgesetzt worden. 1448 setzte dieser - ohne die bisher stets notwendige Zustimmung Konstantinopels - Iona von Rjazan' zu Isidors Nachfolger ein. Die Russische Orthodoxe Kirche verknüpft damit den Beginn ihrer —»Autokephalie, die sie auf der Moskauer Synode von 1458/59 bestätigte. Die Annahme der Union durch Konstantinopel und der Fall dieser Stadt im Jahre 1453 förderte die Theorie von Moskau, dem Dritten Rom, die besonders von dem Mönch Filofej von Pskov vertreten wurde: „ . . . Zwei Rome sind gefallen, und das dritte steht. Ein viertes aber wird es nicht geben . . . " . Bei der Errichtung des Moskauer -»Patriarchats im Jahre 1589 spielte diese Theorie eine wichtige Rolle - unausgesprochen aber schon bei der Krönung Ivans IV. des Schrecklichen zum Zaren im Jahre 1547. Auch bei der Errichtung des Moskauer Patriarchats 1589 lag alle Initiative auf der Seite der weltlichen Gewalt, speziell bei dem damaligen Regenten Boris Godunov (Zar: 1598-1605). Die Unruhen nach seinem Tode (Smuta) gipfelten in der Besetzung M o s k a u s durch die -»Polen und endeten mit der Einsetzung des ersten Zaren der Romanov-Dynastie, Michail Feodorovic (1613-1645). Als dessen Vater unter dem Namen Filaret
Moskau
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1619 als Nachfolger des 1612 von den Polen umgebrachten hl. Märtyrers Germogen Patriarch von Moskau und ganz Rußland wurde, erlangte das Moskauer Patriarchat seine höchste Machtentfaltung. Doch Patriarch Nikon (1652-1667) scheiterte bei dem Versuch, diese Stellung auszubauen. Dagegen konnte er zwar die Anpassung der russischen Kirche an griechisches Brauchtum weitgehend durchsetzen, doch um den Preis der Abspaltung der sog. Altgläubigen, die bis heute von der russischen Kirche getrennt sind, und nach schweren Verfolgungen durch den Staat - freilich in viele Gruppierungen zersplittert - noch immer Millionen zählen. Zar Peter I. (1682-1725) verlegte 1703 die Hauptstadt in das neugegründete St. Petersburg und schaffte 1721 das bereits seit 1700 vakante Moskauer Patriarchat ab. An dessen Stelle rückte der in St. Petersburg tagende „Heiligste Dirigierende Sinod". Doch gewannen Moskauer Metropoliten auch in der „Synodalzeit" immer wieder großen Einfluß, unter ihnen besonders die Metropoliten Piaton (Levsin, gest. 1812) und Filaret (Drozdov, gest. 1867), nachdem der Moskauer Sitz zwischen 1721 und 1742 überhaupt nicht mehr besetzt worden war. Auch blieb Moskau zweite Hauptstadt, in der bis 1894 alle Zaren gekrönt wurden. Nachdem Napoleon, der 1812 mit dem Einmarsch in Moskau Rußland ,im Herzen' treffen wollte, durch den vermutlich von russischer Seite selbst entfesselten Brand der Stadt nach wenigen Tagen zum Rückzug genötigt worden war, wuchs die Bedeutung Moskaus von neuem. Als in den Tagen der Oktoberrevolution das Patriarchat wiederbegründet worden war, wurde Moskau erneut dessen Sitz, im M ä r z 1918 auch wieder russische Hauptstadt. Seit seinem Aufstieg im 14. Jh. ist Moskau wichtiges Zentrum der russischen Kultur. Unter den Ikonenmalern, die hier wirkten, sind Feofan Grek (gest. um 1410), Andrej Rublev (gest. 1427?) und Dionisij (gest. nach 1502) die bedeutendsten, doch haben die Moskauer Zarenwerkstätten noch bis zur Wende vom 17. zum 18. Jh. Ikonenmaler von hervorragender Bedeutung hervorgebracht. Seit Ivan I. im Moskauer Kreml' Steinkirchen errichten ließ, hat Moskau auch im Kirchenbau zunehmend eine führende Stellung erreicht. Allerdings hat der Pskover den Moskauer Kirchenbau hier zunächst beeinflußt. Ivan III. zog für die Errichtung der wichtigsten Moskauer Kirche, des Uspenskij Sobor im Kreml', den italienischen Architekten Aristotele Fioravanti heran, der seinerseits wieder die Kathedrale von Vladimir zum Muster nahm. Ein Jahrhundert später als in Mitteleuropa, aber früher als in anderen Städten Rußlands, fand der Buchdruck Eingang in Moskau. 1564 konnte in dem von Ivan IV. errichteten Druckerhof von Ivan Fedorov die Sammlung der Episteln (Apostol) als erstes Buch gedruckt werden. Wichtig für die kulturelle Entwicklung Rußlands unter der Führung Moskaus war auch die Sammlung der Heiligenviten unter Metropolit M a k a r i j (1543-1564), der auch die Moskauer Synoden von 1547, 1551 („Stoglav") und 1553/54 theologisch inspirierte. Das Bildungsniveau in Moskau w a r im 17. Jh. immerhin so hoch, daß fast ein Viertel der Bevölkerung schreibkundig war. 1687 errichteten die Brüder Ioannikios und Sofronios Lichudis die Slawisch-Griechisch-Lateinische Akademie, die nach der Gründung der Moskauer Universität in eine theologische Hochschule verwandelt wurde. Sie ist seit 1814 in der Dreieinigkeits-Sergij-Lavra nordöstlich von Moskau untergebracht. Der Aufstieg Moskaus war verbunden mit einem raschen Wachsen der Stadt, die sich ringförmig ausbreitete und im 17. Jh. bereits über 250000 Einwohner zählte. Schon früh war Moskau besonders reich an Kirchen und Klöstern. Im Ausland sprach man im 16. und 17. Jh. von 2000 Kirchen, in Moskau selbst von 1600 (sorok sorokov). M a g sich diese ohnehin nicht genau zu nehmende Zahl auch vielleicht auf alle Nebenkirchen erstrecken, so verfügte Moskau 1917 über 677 orthodoxe und 81 nicht-orthodoxe Kirchen (davon 59 der Altgläubigen) und 67 Kapellen (Zvonarev 8). Im Gebiet M o s k a u s gab es 1908 15 Männer- und 11 Frauenklöster.
370 Das
Moskau Ausmaß
der
Zerstörungen
und
Kirchenschließungen
in
sowjetischer
Zeit
(-»• C h r i s t e n v e r f o l g u n g e n ) l e h r t b e r e i t s ein B l i c k a u f d i e V e r h ä l t n i s s e i m M o s k a u e r K r e m l ' und auf dem b e n a c h b a r t e n R o t e n Platz. Von 18 K i r c h e n w a r e n hier bis 1936
neun
zerstört, d a r u n t e r die älteste bis dahin e r h a l t e n e S t e i n k i r c h e v o m A n f a n g des 14. J h . und das Wunder-(Cudov-) Kloster aus dem 16. J h . Keine der hier erhalten gebliebenen K i r c h e n w a r in s o w j e t i s c h e r Z e i t f ü r d e n G o t t e s d i e n s t g e ö f f n e t . Ü b e r die H ä l f t e d e r K i r c h e n M o s k a u s ist in d i e s e r Z e i t v o l l s t ä n d i g z e r s t ö r t w o r d e n ; von den geschlossenen sind die meisten v e r w a h r l o s t und z w e c k e n t f r e m d e t .
Nachdem
die Z a h l d e r g e ö f f n e t e n K i r c h e n b i s z u m A u s b r u c h d e s 2 . W e l t k r i e g s a u f e i n e n T i e f s t a n d u n d in d e r C h r u s c é v - Z e i t n a c h k u r z f r i s t i g e r E r h ö h u n g n o c h e i n m a l g e s u n k e n w a r , d i e n t e n i m J a h r e 1 9 8 5 in d e r g e g e n ü b e r 1 9 1 7 u m ein V i e l f a c h e s g e w a c h s e n e n S t a d t 5 4 K i r c h e n den O r t h o d o x e n , 7 den Altgläubigen und 6 G o t t e s h ä u s e r anderen Konfessionen
und
Religionen. S c h o n g e g e n E n d e d e r B r e z n e v - Z e i t z e i c h n e t e n s i c h e i n i g e E r l e i c h t e r u n g e n f ü r die K i r c h e a b . A n l ä ß l i c h d e r T a u s e n d j a h r f e i e r d e r T a u f e d e r R u s ' e r h i e l t d i e K i r c h e mit d e m D a n i l o v - K l o s t e r n i c h t n u r e r s t m a l s w i e d e r ein K l o s t e r , s o n d e r n n e b e n d r e i K i r c h e n a u c h G e b ä u d e f ü r d a s K i r c h l i c h e A u ß e n a m t , d i e R e s i d e n z d e s P a t r i a r c h e n u n d die neu errichtete Bibliothek des Hl. Sinod. D i e V e r ä n d e r u n g e n u n t e r M i c h a i l G o r b a c é v h a b e n i n n e r h a l b e i n e s Z e i t r a u m s von 1 l k J a h r e n bis M i t t e 1 9 9 0 zur R ü c k g a b e v o n 2 4 K i r c h e n geführt. Seit d e m mißglückten Putsch v o m August 1 9 9 1 hat sich der P r o z e ß der R ü c k g a b e von K i r c h e n n o c h beschleunigt. N e b e n vielen K i r c h e n stehen auch m e h r e r e h i s t o r i s c h b e d e u t e n d e K l ö s t e r wieder in k i r c h l i c h e m B e s i t z . D i e w i c h t i g s t e n K r e m l ' - K i r c h e n u n d d i e K i r c h e V a s i l i j B l a z e n n y j auf dem R o t e n Platz k ö n n e n nach einem Ende 1992 geschlossenen Vertrag wieder gottesdienstlich genutzt werden. Literatur Albert M . Ammann, Abriß der ostslawischen K G , Wien 1950. - Valentina I. Antonova/Nadezda E. Mneva, Katalog drevnerusskoj zivopisi, 2 Bde., M o s k a u 1963. — Der Aufstieg Moskaus. Auszüge aus einer russ. Chronik, 2 Bde., übers., eingel. u. erkl. von Peter Nitsche, Graz/Wien/Köln 1966/ 1967. - V.N. Bockarev, M o s k o v s k o e gosudarstvo X V - X V I I vv. po skazanijam sovremennikovinostrancev, St. Petersburg 1914. - Vera G. Brjusova, Russkaja zivopis' 17 veka, M o s k a u 1984. N. S. Caev, M o s k v a - Tretij R i m , M o s k a u 1956. - J o h n Shelton Curtiss, Die Kirche i. d. Sowjetunion ( 1 9 1 7 - 1 9 5 6 ) , München 1957. - Leonid I. Denisov, Pravoslavnye Monastyri Rossijskoj imperii, M o s k a u 1908. - M . D ' j a k o n o v , Vlast' Moskovskich Gosudarej. Ocerki iz istorii politiceskich idej drevnej Rusi do konca 16 v., St. Petersburg 1889. - E. Donnert, Altruss. Kulturlexikon, Leipzig 1985. - Drevnie ikony staroobrjadceskogo kafeldral'nogo Pokrovskogo sobora pri Rogozskom kladbisce v Moskve, M o s k a u 1956. - Evgenij Golubinskij, Istorija russkoj cerkvi, 2 Bde., Moskau 1 9 0 1 - 1 9 0 4 2 . - Peter Hauptmann, Das russ. Altgläubigentum 300 J a h r e nach dem Tode des Protopopen Avvakum: K O 29 (1986) 6 9 - 1 3 5 . - Ders./Gerd Stricker, Die Orth. Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Gesch. ( 1 8 6 0 - 1 9 8 0 ) , Göttingen 1988. - Manfred Hellmann/Gottfried Schramm/ Klaus Zernack, H b . der Gesch. Rußlands, Stuttgart 1979ff. - Sigismund zu Herberstein, Reise zu den Moskowitern 1526, hg. u. eingel. v. Traudl Seifert, München 1966. — Michael Iljin/Tamara Moissejewa, M o s k a u u. Umgebung, München/Berlin 1988. - Johannes Chrysostomus [Blaschkewitz], KG Rußlands d. neuesten Zeit, 3 Bde., München/Salzburg 1 9 6 5 - 1 9 6 8 . - Anton V. Kartasev, Ocerki po istorii russkoj cerkvi, 2 Bde., Paris 1959. - Viktor N . Lazarev, M o s k o v s k a j a skola ikonopisi-Moscow School o f Icon-Painting, M o s k a u 1980. - Ders., Russkaja zivopis'. Moskovskaja skola, M o s k a u 1983. - M a k a r i j [Bulgakov], Istorija Russkoj Cerkvi, 11 Bde., St. Petersburg 1868ff. - Waleria Markova/Harald Olbrich, Der Kreml. Bauwerke u. Kunstschätze, Gütersloh 1976. - M a rina Martynowa/Walentin Tschorny, Der Kreml, Leipzig 1986. - M o s k o v s k a j a Duchovnaja Akademija 300 let ( 1 6 8 5 - 1 9 8 5 ) = B o T r . Jubilejnyj Sbornik, M o s k a u 1986. - Moskovskij Patriarchat 1917. 1977, M o s k a u 1978. - Peter Nitsche, Die Anfänge des M o s k a u e r Staates, 1977 (WdF 340). — Adam Olearius, Außführliche Beschreibung d. Kundbaren Reyse Nach M u s c o w u. Persien, Schleswig 3 1663. - Pamjatniki Architektury Moskvy. Kreml', Kitaj-gorod, central'nye ploscady, M o s k a u 1983. - Pamjatniki Architektury Moskvy. Belyj gorod, M o s k a u 1989. - Philaret [Gumilevski], Gesch. d. Kirche Rußlands, 2 Bde., Frankfurt 1872. - Pitirim [Necaev], metr./Gusejn-Zade, Pravoslavnye chramy Moskvy, M o s k a u 1988. - Ders., Die Russ. O r t h . Kirche, Berlin/New York
Motette
371
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Karl Christian Felmy
Motette (Literatur S. 373)
Motette (von franz. le mot, nicht lat. movere) ist eine musikalische Gestaltungsweise, die durch den Text und seine Behandlung bestimmt ist und in der Musikgeschichte in verschiedenen Schichten zu sehr unterschiedlichen Ausprägungen geführt hat. In der frühen Mehrstimmigkeit der Pariser Notre-Dame-Schule (ca. 1160-1250) wurde eine Art musikalischer Tropierung gregorianischer Gesänge entwickelt, bei welcher ein Abschnitt einer liturgischen Melodie (Klausel) durch eine rascher bewegte freie Stimme mit eigenem französischem oder lateinischem Text kontrapunktiert wurde. Es konnten auch 2 oder 3 freie Stimmen mit jeweils neuem Text hinzukomponiert werden, so daß eine Doppel-Motette mit der gregorianischen Vorlage drei, eine Tripel-Motette vier Textschichten enthält. Diese paraphrasieren oder kommentieren zumeist die liturgische Vorlage, lösten sich jedoch zunehmend davon. In der sog. „isorhythmischen" Motette des 14. Jh. (Hauptvertreter: Ph. de Vitry und G. de Machaut) wird dem liturgischen Melodieausschnitt (Color) ein rhythmisches Modell übergestülpt (Talea), das nicht mit dem Color übereinstimmen durfte und ihm infolgedessen bei jedem Durchgang eine andere rhythmische Struktur aufprägte. Durch den bewegten Satz der übrigen Stimmen erhält die Motette eine differenzierte und komplexe rhythmische Struktur, die einem rationalen Prinzip folgt und als solche nicht erkennbar wird. - In Italien (J. Ciconia) werden auch weltliche Vorlagen solchen Motetten zugrundegelegt. Mit dem 15. Jh. wird die Mehrschichtigkeit des Textes zugunsten einer einzigen liturgischen oder geistlichen Vorlage aufgegeben und der Begriff zur Sammelbezeichnung für alle geistlichen Kompositionen außerhalb des Meßordinariums, ohne daß formale, stilistische oder textliche Kriterien zu klareren Bestimmungen führten. Grundlage ist weiter eine gregorianische Melodie als Cantus firmus (Tenor-Motette). Unter der Vorherrschaft franko-flämischer Komponisten (J. Ockeghem, J. Obrecht, H. Isaak, P. de la Rue, N. Gombert, J. Clemens non Papa, J. de Kerle, Ph. de Monte u.a.) bildet sich in der Motette wie in der Messe das stilistische Ideal der Gleichrangigkeit aller Stimmen aus, das jedoch nicht deren rein vokale Ausführung (a-cappella) einschließt, vielmehr ist von vokal-instrumentalen Mischbesetzungen auszugehen. Unter J. de Pres treten die Evangelien- und die Psalm-Motetten hinzu. Das bei ihm erreichte Gleichgewicht von Wort und Ton hatte große Wirkung auf Luthers Musikverständnis und die Ausbildung eigener Formen der protestantischen Kirchenmusik. Luther selbst gilt als Urheber einer vierstimmigen Motette „Non moriar sed vivam", und Komponisten wie L. Senfl komponierten für ihn Motetten. Die Situation zur Zeit der Reformation ist durch weitgehende Repertoiregemeinschaft mit der Kirchenmusik der Altkirche gekennzeichnet, durch die Fortdauer des lateinischen Gottesdienstes erleichtert und umso fruchtbarer, als zwischen Palestrina und O. di Lasso die lateinische Motette ihren künstlerischen Höchststand und ihre klassische Ausprägung erhielt. Der Text wird nach Sinnabschnitten aufgeteilt und deren Vertonung von allen
372
Motette
Stimmen nacheinander aufgenommen („abschnittweise Durchimitation"). Träger der Figuralmusik im frühen Protestantismus waren hauptsächlich die Chöre der Lateinschulen. Bedeutendster Vertreter dieser Ausprägung ist G.P. da -»Palestrina, dessen Stil bald als Ideal der Kirchenmusik galt und an den sich eine ganze Schule (G. Animuccia, L. Marenzio, T. L. da Vittoria) anschloß. O. di Lasso als letzter großer Komponist franko-flämischer Herkunft hingegen entwickelte die Ausdrucksfähigkeit der Motette. Für die Kirchenmusik des frühen Protestantismus lag es nahe, statt des gregorianischen Chorals den neuen Typ des Gemeindelieds der Gestaltung von Motetten zugrundezulegen. Daneben tritt neu die Vertonung von Bibelsprüchen (Dicta); mit Lied- und Spruch-Motetten entwickelt die protestantische Kirchenmusik ihre ersten eigenen Formen (L. Lechner: Hohelied-Motetten, Sprüche von Leben und Tod, J . Eccard: Preußische Festlieder). Um 1600 geht die Entwicklung in zwei gegenläufige Tendenzen auseinander. Vor allem in Venedig wird die Technik des mehrchörigen Satzes ausgebildet, die schon aus akustischen Gründen wegen der getrennten räumlichen Aufstellung der Chöre die Gleichrangigkeit aller Stimmen aufgeben mußte und zu einem Außenstimmensatz mit harmonisch bedingten Füllstimmen kam. In der Aufführungspraxis wurden jedoch ganze „Chöre" mit oder ohne Vokalstimme durch ein Instrument zusammengefaßt (Reduktionssatz). Hauptvertreter dieses Stils sind A. Gabrieli sowie in der protestantischen Kirchenmusik H. -»Schütz (Ps. Davids) und M . Praetorius (Polyhymnia Caduceatrix). In der Konsequenz dieses „konzertanten" Satzes liegt zugleich das von vornherein geringstimmig konzipierte Konzert mit 1 - 2 Vokalstimmen und Generalbaß, wie es A. Banchieri und L. da Viadana einführten. Es wird in Deutschland vor allem durch die Sammeldrucke J . Donfrieds verbreitet. Es läuft in der katholischen Kirchenmusik unter der Bezeichnung „Konzertante" Motette, während in der protestantischen Kirchenmusik durch Schütz die Bezeichnung „Kleines Geistl. Konzert" gebräuchlich wurde, das durch S. Scheidt, J . H . Schein und A. Hammerschmidt weiter gepflegt wurde. Es erwies sich als entwicklungsträchtigere Form und mündete noch im 17. Jh. in die —»Kantate. Diese war so vielfältig wandelbar, daß sie im 18. Jh. die Motette fast völlig verdrängte (J.S. Bach: 7 Motetten gegen ca. 250 Kantaten). In der katholischen Kirchenmusik bleibt dagegen die Motette im Palestrina-Stil als durchgängiger Unterstrom unter der stilgeschichtlichen Entwicklung erhalten, während die „konzertante" Motette stärker den musikhistorischen Tendenzen folgte. Mit Beginn der kirchenmusikalischen Reformbewegungen des 19. Jh. lebte auch die Komposition von Motetten wieder auf, wobei in der katholischen Kirchenmusik die Palestrina-Renaissance den Stil bestimmte, aber Komponisten wie Liszt oder Bruckner sich bereits gegen den einseitigen Historismus stemmten. In der protestantischen gingen Impulse insbesondere von den Bemühungen um die Agendenreform in Preußen aus. Zwar spielte auch hier, gefördert vor allem durch J . v . Bunsen, das Palestrina-Ideal eine Rolle, doch schufen F. Mendelssohn Bartholdy, O. Nicolai u. a. so aussagekräftige Werke auf dem stilistischen Stand der Zeit, daß auch Komponisten, die der Agendenreform fernstanden, zur Wiederbelebung der Gattung beitrugen, insbesondere J . Brahms, später auch H.v. Herzogenberg und A. Mendelssohn. Starke Impulse gingen von der Schütz-Renaissance aus, und im Umkreis der preußischen Agendenreform wurde J . Eccard in einer dem Palestrina-Ideal der katholischen Kirchenmusik vergleichbaren Weise zum stilistischen Vorbild. Bei aller Anlehnung an alte Formen und Satztechniken nutzten die Komponisten alle Ausdrucksmittel ihrer Zeit. Auf dieser Basis förderten die liturgischen Erneuerungsbewegungen des 20. Jh. eine erneute starke Auseinandersetzung mit der Gattung unter Einsatz auch der Mittel der „neuen" Musik. Namen wie M . Reger, H. Distler, E. Pepping, K. Thomas, J . Driessler u.a. markieren diese Entwicklung, die auch in der katholischen Kirchenmusik aufgenommen wurde (J.N. David, H. Schroeder u.a.).
Motivation
373
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Motivation 1. Motivation in moderner psychologischer Sicht 2. Empirische Forschungen zu Motivationen in religiöser Praxis 3. Theologische Rezeption von Motivationsforschung (Literatur S . 3 7 8 ) 1. Motivation
in moderner
psychologischer
Sicht
In d e r m o d e r n e n e r f a h r u n g s w i s s e n s c h a f t l i c h e n P s y c h o l o g i e g e h ö r t M o t i v a t i o n
als
p s y c h i s c h e s A n t r i e b s g e s c h e h e n v o n E r l e b e n u n d V e r h a l t e n zu d e n z e n t r a l e n F o r s c h u n g s g e g e n s t ä n d e n . V e r b r e i t e t ist d i e A u f f a s s u n g v o n M o t i v a t i o n a l s B e d ü r f n i s s p a n n u n g , a u s der sich die B e r e i t s c h a f t im I n d i v i d u u m ergibt, durch H a n d e l n die gestörte H a r m o n i e m i t d e r U m w e l t w i e d e r h e r z u s t e l l e n . E i n e e i n h e i t l i c h e B e g r i f f s b i l d u n g liegt j e d o c h n i c h t v o r ; a u c h w i r d z u r B e g r i f f s b e s t i m m u n g in u n t e r s c h i e d l i c h e r W e i s e a u f v e r w a n d t e T e r m i n i wie Affekt, Bedürfnis, Interesse, Trieb, Wille u . a . zurückgegriffen. M o t i v a t i o n
(auch
M o t i v i e r u n g ) u n d M o t i v s i n d zu u n t e r s c h e i d e n , d a s e i n e m e i n t e h e r ein G e s c h e h e n , d a s andere eine Voraussetzung. Beide Ausdrücke werden jedoch umgangssprachlich wie wissenschaftlich zuweilen synonym verwandt. Ü b e r e i n s t i m m u n g besteht insgesamt darin, d a ß M o t i v a t i o n als theoretisches
Kon-
s t r u k t g i l t . G e n e r e l l g e s p r o c h e n h a n d e l t es s i c h „ u m e i n e n h y p o t h e t i s c h e n B e g r i f f z u r E r k l ä r u n g der gesteuerten D y n a m i k des Verhaltens, der E r w a r t u n g von Handlungsfolgen und der g e f ü h l h a f t e n B e s e t z u n g von A b s i c h t e n . M o t i v a t i o n e n sind A b s t r a k t i o n e n des M e n s c h e n . S i e s i n d v i e l f ä l t i g v o n e i n a n d e r zu u n t e r s c h e i d e n n a c h U r s p r u n g , R i c h t u n g , Funktionsverlauf, B e w u ß t s e i n s g r a d " (Schiefele 30). Wegen ihrer theoretischen wie praktischen B e d e u t s a m k e i t sind auch diejenigen Erträge psychologischer F o r s c h u n g mit hera n z u z i e h e n , die unter a n d e r e r Begrifflichkeit sachlich zur P r o b l e m e r s c h l i e ß u n g
beige-
tragen haben. 1.1. Die verhaltenstheoretische Psychologie hat vor allem die Bedingungsvariablen der Leistungs-Motivation in Lernprozessen eingehender untersucht. Diese wird definiert „als Bestreben, die eigene Tüchtigkeit in allen jenen Tätigkeiten zu steigern oder möglichst hoch zu halten, in denen man einen G ü t e m a ß s t a b für verbindlich hält und deren Ausführung deshalb gelingen oder mißlingen k a n n " (Heckhausen 194f). Zu weiteren Bedingungsvariablen gehören relativ überdauernde Persönlichkeitsmerkmale wie Begabung und Reife sowie situative Faktoren wie Hoffnung auf Erfolg bzw. Angst vor Mißerfolg, Bedürfnis nach Identifikation mit Vorbildern, nach Geltung in der Gruppe u . a . Auch wenn ein streng behavioristisches Verständnis von Motivation auf der Basis von physiologischen Mangelzuständen und im Schema von Stimulus und Response als beeinflußbare „ S c h u b - M o t i v a t i o n " nicht von allen persönlichkeitspsychologischen Ansätzen geteilt wird, ist die konstitutive Bedeutung von Motivation für das Zustandekommen und Gelingen von Lernprozessen unbestritten. Im klassisch gewordenen fünfphasigen Schema (-»Lernen) bezeichnet Motivation die initiale Phase der Erfahrung eines Konfliktes zwischen bisheriger Einstellung und neuer Situation (Corell 55). Als sehr fruchtbar in deskriptiver wie handlungsleitender Hinsicht hat sich dabei die Differenzierung von „ p r i m ä r e r " bzw. „intrinsischer" und „ s e k u n d ä r e r " bzw. „extrinsischer" Motivation erwiesen (zuerst beschrieben von Hunt). Dabei wird qualitativ unterschieden zwischen sachbezogenen oder selbstzweckhaften und sachfremden oder künstlichen Handlungsantrieben. Erstere sind auf Dauer für Lernerfolge wirkungsvoller, da sie die Bedürfnisse des Subjekts stärker zur Geltung bringen. Auch sie müssen jedoch als soziokulturell vermittelt gelten.
374
Motivation
1.2. Insbesondere komplexere Formen menschlicher Aktivität wie Wissenserwerb und Reflexion sind seit langem Gegenstand spezifisch kognitionspsychologischer Motivationsforschung. Epistemologisch werden entsprechende neuere Arbeiten durch ] . Piaget begründet. Er ging für die Entwicklung menschlicher Intelligenz von einer den konkreten Umwelteinflüssen vorgelagerten ursprünglichen Grund-Motivation nach Wissen aus. In einem homöostatischen Modell von „Assimilation" und „Akkomodation" faßt Piaget „Äquilibration" zwischen verfügbaren Denkschemata und neuen Umwelterfahrungen, die Herstellung eines subjektiv befriedigenden kognitiven Gleichgewichts zwischen psychischer Verarbeitungsmöglichkeit und widersprüchlicher Außenwelterfahrung als „die am tiefsten verwurzelte Tendenz jeder menschlichen Aktivität" (Piaget 21; vgl. auch Hunt). Im Rahmen eines solchen Modells ist einerseits mit Hilfe der Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger) beschrieben worden, wie einander widersprechende Wissensinhalte als Motivation zu dissonanzverringerndem Denkverhalten verstanden werden können. Andererseits hat man die Rolle externer Faktoren bei der Entstehung kognitiver Motivation im Sinne einer ,,epistemischen Neugierde" (Berlyne 324ff) beschrieben. 1.3. Obwohl auch in der Psychoanalyse Motivation kein zentraler Begriff ist, hat diese psychologische Richtung wesentliche Erkenntnisse über die affektive Komponente des Motivationsgeschehens erbracht (vgl. Rappaport). Dazu zählt einmal die (keineswegs allein im therapeutischen Bereich belegte) Hypothese von der „Existenz verborgener, unbewußter Motive" (Breuer/Freud 298). So ist menschliches Handeln und Erleben in der Regel durch die dem Subjekt zugängliche, gleichzeitig aber durch eine unzugängliche, wiewohl wirksame Schicht von psychischen Antrieben bewegt. Dabei ergibt sich zuweilen gerade dasjenige als „wohlmotiviert", was „durch dem Bewußtsein unbekannter Motive determiniert ist" (Freud, Alltagsleben 267). Zum anderen ist das Phänomen der „Rationalisierung" untersucht worden; dabei geht es um eine nachträgliche Plausibilisierung des Handelns mit rationalen Erklärungen, wenngleich die irrationalen Motivationen subjektiv von größerer Bedeutung waren. Sachlich kann die Freudsche Triebtheorie, insbesondere diejenige im Regulationsprinzip der Lust-Unlustspannung (vgl. Freud, Formulierungen 229ff), als komplementäre Beschreibung zu Piagets homöostatischem Motivationsmodell gelesen werden; denn hier wird im Bereich der Affekte von einer ähnlichen Grundtendenz zur Wiederherstellung eines bedrohten Gleichgewichts im IchWelt-Erleben ausgegangen. Unter Weiterentwicklung von Freuds Ansatz hat F. Riemann mit seinem charakterologischen Entwurf der „Grundformen der Angst" sachlich einen wichtigen Beitrag zur Erforschung überdauernder Motivation als persönüchkeitsstruktureller Einstellungen vorgelegt. Wenn dieser auch ohne Heranziehung des Terminus Motivation formuliert ist, so ergibt er doch wichtige qualitative Umschreibungen und genetische Aufklärung menschlicher Grundstrebungen als bewußt/unbewußte Gerichtetheiten. Dazu zählen Trennung und Individuierung, Bindung und Abhängigkeit, Dauer und Beständigkeit sowie Entgrenzungen und Begrenzung. Die von Freud bereits mehrfach modifizierte Theorie wird in neuesten, auch Säuglingsbeobachtungen einschließenden Ansätzen einer psychoanalytischen Motivationstheorie qualitativ erweitert. So hat insbesondere Lichtenberg (Psychoanalysis) vorgeschlagen, die Psychoanalyse insgesamt als „Theorie strukturierter Motivationen" zu begreifen, wobei er statt Freuds dualem Triebverständnis fünf „motivational-funktionale Systeme" annimmt („die Notwendigkeit, physiologische Bedürfnisse zu befriedigen, das Bedürfnis nach Bindung . . . , das Bedürfnis nach Selbstbehauptung (Assertion) und Exploration; das Bedürfnis aversiv zu reagieren durch Widerspruch und/oder Rückzug; das Bedürfnis nach sinnlichen Vergnügen und sexueller Erregung"; System 58). 1.4. In Entwürfen der Humanistischen Psychologie gewinnt Motivation im Sinne von menschlichen Grundbedürfnissen (basic needs) schließlich eine Lichtenbergs Ansatz vergleichbare Breite. Die holistisch orientierte Theorie Maslows (Maslow, Motivation) integriert in den Motivationsbegriff sowohl instinkthafte, physiologische Bedürfnisse wie Hunger als auch kognitive und ästhetische Strebungsqualitäten, spricht in hierarchischer Bewertung sogar von „Metamotivationen" als Antrieben zur Selbstrealisierung der Persönlichkeit (Theory; zu weiteren psychologischen Zugängen vgl. Riess, Pfarrer 22ff).
2. Empirische
Forschungen
zu Motivationen
in religiöser
Praxis
Im Rückgriff auf unterschiedliche theoretische Zugänge sind zahlreiche Aspekte und Elemente religiöser Praxis empirisch untersucht worden, um gesicherte Erkenntnisse über sozialwissenschaftlich nachweisbar wirksame Motivation zu ermitteln. Angesichts der Fülle des Materials muß die Darstellung exemplarisch verfahren. 2.1. Zu religiösem Denken und Handeln. Vor allem kognitionspsychologisch orientierte Entwicklungspsychologie hat Motivation zu religiösem Denken sowie Motivation zu dessen qualitativem Wandel erforscht.
Motivation
375
Über die recht unspezifische H y p o t h e s e R . G o l d m a n s hinaus, religiöses D e n k e n sei stark auch affektiv motiviert, hat D . Elkind vier Stufen religiösen D e n k e n s beschrieben, die jeweils bestimmten kognitiven Grundbedürfnissen (cognitive need capacities) folgen: Bedürfnis nach Konservierung im Dienst der Verarbeitung von Trennungskonflikten im Kleinkindalter; Bedürfnis nach Vorstellungen im Dienste der Realitätsverarbeitung im Vorschulalter; Bedürfnis nach R e l a t i o n im Dienste kausaler Erklärungen im Schulalter; Bedürfnis nach Verstehen im Dienste systematischer Weltbildorientierung in der Adoleszenz.
Sachlich liefern auch die strukturgenetischen Theorien religiöser Entwicklung (Fowler, Oser/Gmünder) differenziertere Aufschlüsse über die Motivation zur Weiterentwicklung religiösen Denkens; sie belegen vor allem Motivation aufgrund denkerisch ungelöster Problemsituationen. W ä h r e n d B r ö k i n g - B o r t f e l d t in seiner Untersuchung von 13— 16jährigen Schülern inhaltlich breiter nach biblischen „ W i r k u n g s m o t i v e n " für religiöse Orientierung Jugendlicher gefragt hat, liefert die enger dimensionierte experimentelle Studie von Darley und Batson Aufschluß über die Geltung der A n n a h m e , spezifisch religiöses Wissen motiviere zu entsprechendem ethischen H a n d e l n . Ihre viel diskutierte Arbeit (vgl. G r e e n w a l d ; M c K e n n a ; B a t s o n / G r a y ) untersuchte persönlichkeitsspezifische und situationale Variablen der M o t i v a t i o n zu helfendem Handeln. D a b e i zeigte sich das ernüchternde R e s u l t a t , d a ß von gedanklicher Beschäftigung mit Helfer-Vorbildern (hier Lk 10,25 ff) auf die Versuchspersonen nur außerordentlich eingeschränkte motivationale Kraft zum Helfen ausging. Im E x p e r i m e n t ergab sich bei den beteiligten Theologiestudenten sogar vom Auftrag, andere über das Gleichnis v o m barmherzigen Samariter zu belehren, eine größere M o t i v a t i o n als von einer fingierten N o t s i t u a t i o n eines hilfsbedürftigen M e n s c h e n am Wege.
2.2. Teilnahme an institutionalisierter religiöser Praxis. Differenzierteren Aufschluß über Motivation zur Partizipation an kirchlichen Angeboten (wie auch zum Fernbleiben bzw. zum Kirchenaustritt) haben u.a. die beiden EKD-Mitgliedschaftsuntersuchungen (Hild; Hanselmann) ergeben. In Auswertung der ersteren hat K . W . D a h m im R a h m e n funktionaler Analyse ein M o d e l l konstrukt zum besseren Verständnis von typischen M o t i v a t i o n e n zur Kirchenzugehörigkeit erarbeitet. D a n a c h ergeben sich sechs „ M o t i v a t i o n s s c h w e r p u n k t e " : „Geistliches Leben, Christliche Werke, Seelsorgerliche Z u w e n d u n g , Rituelle Begleitung, Karitative D i a k o n i e und Gesellschaftspolitisches E n g a g e m e n t " , „ w o b e i hinter jedem der . . . Einstellungstypen eine Art Syndrom mit weiteren unterschiedlichen M o t i v e n und M o t i v - E l e m e n t e n s t e h t " ( D a h m 119). In quantitativer Hinsicht hat die zweite E K D - S t u d i e keine wesentlichen Verschiebungen des Befundes ermittelt (vgl. H a n selmann 158). Entsprechende Analysen im katholischen R a u m liegen vor. Hinzu k o m m e n dort breite empirische Studien über die M o t i v a t i o n zur T e i l n a h m e an konfessionsspezifischer außergemeindlicher institutioneller religiöser Praxis wie Wallfahrten. Hier ergibt sich im Altersvergleich ein n a c h w e i s b a r e r T r e n d weg von traditioneller religiöser hin zu sozialer M o t i v a t i o n (Post/van Uden; van Uden/Pieper).
2.3. Z.ur Berufsmotivation von Funktionsträgern. Empirisch orientierte Analyse zur Berufsmotivation von Pfarrern begann in Deutschland auf protestantischer Seite nach entsprechendem Vorlauf im US-amerikanischen Bereich (Booth) sowie auf katholischer Seite (Lindner u.a.; Rey) in den 60er Jahren im Kontext sozialwissenschaftlich orientierter Analyse kirchlicher Wirklichkeit generell. Die in der Berliner Studie (Spiegel/ Teichler) ermittelten dominanten Berufswahl-Motivationen wie Interesse an Begegnung mit anderen Menschen, Prägung durch religiös-christliche Sozialisation oder auch missionarischer Impetus haben sich - trotz aller Differenzen in Einzelergebnissen - im wesentlichen in den späteren Untersuchungen bestätigt (vgl. Marhold u.a.; Riess). B e m e r k e n s w e r t ist, d a ß sich das Untersuchungsinteresse mit fortschreitender Differenzierung zeitweise stark auf krisenhafte Veränderungen insbesondere der Studienmotivation hin verschob. Diese bereits früher sichtbare Forschungstendenz (vgl. Lohse) hat in der sehr ausführlichen und methodologisch bislang differenziertesten Analyse von M a r h o l d u . a . dazu geführt, den Schwerpunkt des Interesses ganz auf die E r f o r s c h u n g der M o t i v a t i o n zum Aufgeben des T h e o l o g i e s t u d i u m s bzw. des Berufes zu legen. D a b e i ist deutlich geworden, wie sehr M o t i v a t i o n im Sinne der Studienfach-Ausgangsmotivation sich bereits im Verlauf der universitären Ausbildungsphase in persönlichen, beruflichen und politischen Identitätsbildungsprozessen und Einstellungsänderungen ver-
376
Motivation
schiebt bzw. zerfällt und der jeweiligen Neubegründung bedarf. Hier ist u . a . das Phänomen der „ D e n n o c h - M o t i v a t i o n " erhoben worden (Herrmann), der Wandel von „ p r i m ä r e r " Motivation zur Auseinandersetzung mit theologischer Wissenschaft hin zu einer „ s e k u n d ä r e n " Motivation zum Durchlaufen einer als fremdbestimmt erlebten Berufsqualifizierungsphase. Rückblickend fällt auf. wie stark solche Resultate der kirchlichen Motivationsforschung zeitgebunden sind und nur verstehbar werden unter Berücksichtigung spezieller historischer Gegebenheiten, die dem fortlaufender Wandel unterliegen.
Auch die Berufswahl-Motivation von Religionslehrern an öffentlichen Schulen Deutschlands (Westliche Bundesländer) ist mittlerweile empirisch untersucht worden. Studien auf katholischer (Schach) wie evangelischer Seite (Kürten) weisen als wichtigste und bei jüngeren Berufsanfängern zunehmend bedeutsame Motivation das wissenschaftliche Interesse an Theologie aus. Es rangiert quantitativ vor der prägenden Kraft des bisherigen kirchlichen Engagements bzw. der kirchlichen Verkündigung. Der Befund differiert jedoch nach Schularten (zur Biographie-Forschung vgl. Biehl, Erfahrung 240ff). Im Anschluß an die psychoanalytische Theorie ist insbesondere die Motivation von Mitarbeitern in helfenden Berufen untersucht worden. Schmidbauer hat den Motivationstyp des „Helfer-Syndroms" herausgearbeitet. Dabei wird ein Zusammenhang zwischen mangelhaften eigenen frühkindlichen Beziehungserfahrungen, der späteren Berufswahl wie auch der emotional unbefriedigenden Gestaltung von Beziehungen im Berufsalltag aufgedeckt. Dieser eher hinderliche Motivationstyp, der auch mit zwanghaften Frömmigkeitsstrukturen korrelieren kann, enthält als unbewußten Antrieb zum Helfen ein stark überzogenes Ideal perfekten Helfens, welches innerpsychisch als Abwehr gegen die Einsicht in eigene Hilfsbedürftigkeit fungiert. Von dieser Charakterprägung her besteht die Neigung, helfende Beziehungen unbewußt in Herrschaftsbeziehungen umzustrukturieren. 3. Theologische
Rezeption
von
Motivationsforschung
3.1. In praxisleitender Perspektive. Die verschiedenen psychologischen Ansätze sind in unterschiedlicher Weise in praktisch-theologischen Handlungsfeldern berücksichtigt worden. (Dabei dominierte zumindest anfänglich die behavioristische Psychologie.) Insgesamt hat dies mit dazu beigetragen, sich der Verantwortung für die gestaltbare Seite religiöser Praxis bewußter zu werden, dabei insbesondere zwischen unterstellten und nachweisbaren Motivationen zu unterscheiden. Relativ früh hat die neuere -*Religionspädagogik entsprechende Zusammenhänge aufgegriffen (Neidhart; Berg). Unter Berücksichtigung von Eigenarten der Lernmotivation geht es hier zunächst um Beseitigung von Disziplinschwierigkeiten sowie um Steigerung des Lerneffektes. Im Unterschied zu mancher rein funktionalen Anwendung von Motivationstechniken (Wollner; Peatling) ist jedoch mit Berg die Intention festzuhalten, „die Motivationsmethodik zu einer kritischen Motivationsdidaktik fortzuschreiben" (Berg 29). An der Subjektwerdung des Menschen orientierte theologische Bildungstheorie verträgt sich nicht mit rein manipulatorischer Optimierung von Motivation. Für ein wirklichkeitsorientiertes Verständnis von —»Predigt und —>Gottesdienst hat die Einbeziehung der lernpsychologischen Einsichten ebenfalls fruchtbare Impulse erbracht (Trautwein). Aufgeschlossenheit und Hörbereitschaft der Gemeinde verdanken sich zu wichtigen Teilen auch überprüfbaren und beeinflußbaren Antriebspotentialen und Interessenlagen. So effektiv dabei die Transformation „sekundärer" in „primäre" Motivation ist, so sehr gilt das relative Recht einer solchen Betrachtungsweise: Gottesdienst kann nicht auf einen psychologisch beschreibbaren Lernprozeß reduziert werden. Entsprechende differenziertere Rezeption von Motivationsforschung ist in der -* Homiletik zu verzeichnen (Düsterfeld/Kaufmann). Predigt ist als menschlicher Kommunikationsprozeß auch in der Perspektive des Lernprozesses beschreibbar und entsprechend auf Motivation hin zu bedenken. Probleme ergeben sich im Blick auf die liturgisch und homiletisch zu beachtende Spannung zwischen Lernen und Feiern; Motivation zielt psy-
Motivation
377
chisch gesehen auf Verunsicherung, Intention evangelischer Verkündigung muß auch Stabilisierung bzw. Tröstung bleiben (vgl. dazu ähnlich bereits Niebergall mit seiner Unterscheidung von „ M o t i v e n " und „Quietiven"; Niebergall). Speziell die unbewußten Motivationen des Predigers sind in homiletischer und pastoralpsychologischer Aufnahme von Riemanns Arbeit ansatzweise berücksichtigt worden (Tschirsch; Riemann; Liersch). Wenn bei ihrer sachgemäßen Rezeption pauschalisierende Zuschreibungen von Charakterstörungen vermieden werden, so dürfte hier ein wertvolles Korrektiv zu stärker formalen lernpsychologischen Theorien vorliegen. Denn es wird auf inhaltliche Zusammenhänge von Charakterprägungen und subjektiven „Leitmotiven" der theologischen und frömmigkeitspraktischen Orientierung verwiesen. Die Analyse des „Helfer-Syndroms" gilt in der Diakonik, die sich mit Krisen der Motivation schon länger beschäftigt (Meurer), als wichtiges Instrument effektiver Mitarbeiterfortbildung; theoretisch ist sie neuerdings aufgegriffen worden (Theißen; Heimbrock). Für die Theoriebildung des Gemeindeaufbaus ist bisher weniger der Begriff der Motivation als derjenige der „Grundbedürfnisse" in Anschlag gebracht worden (Schneider; vgl. auch Biehl, Alltagserfahrungen). 3.2. In fundamentaltheologischer Perspektive. Ältere Arbeiten zur „Motivforschung" (Wingren; Lindström; Röhr) sowie die katholische Diskussion zu „Glaubensmotiven" (Alfaro) verweisen bereits unter Heranziehung weitgehend spekulativ entfalteter Anthropologie auf Bezugspunkte des Problems. Dieses besteht in fundamentaltheologischer Perspektive heute darin zu klären, wieweit die humanwissenschaftlich beschreibbare empirische Wirklichkeit von Motivation bzw. deren theoretische Konstrukte mit theologischem Verständnis von Glauben korrelieren. Zunächst gilt im Anschluß an Lerntheorien „Glaube kann . . . oft die Funktion von Motivation haben" (Schröer 177), ein Zugang, der Theologie auch als Lernanthropologie gesprächsfähig hält. In gleicher Richtung kann man dann sagen: „Die Motivation zum Handeln aus Glauben wird grundgelegt in Lernprozessen der Identifikation, des Vorbildlernens, des Bekräftigungslernens, wobei internalisierte Fremdbekräftigung sich mit der Bewährung im eigenen Leben zur Selbstbekräftigung wandeln wird." (Simon 88). Mit der inhaltlichen Seite von Motivation taucht hier jedoch die wichtige Frage auf, wem sich diese Kraft im einzelnen verdankt. Grundsätzlich gilt, daß -»Glaube in christlichem Verständnis nicht in Motivation aufgeht, schon gar nicht in inhaltsneutral quantitativ faßbaren und menschlich unbegrenzt verfügbaren Antriebspotentialen zum Handeln. Hier wäre Luthers Modifizierung der mittelalterlichen Affektpsychologie aufzunehmen, auch die alte Unterscheidung von fides quae und fides qua. Systematisch-theologisch ist das Problem im Rahmen der Pneumatologie zu diskutieren; dort sind theologische Bedingungen zu formulieren, unter denen von einer motivierenden Wirkung des Geistes auf Denken, Reden und Handeln von Menschen auszugehen ist (vgl. Dantine, insbes. 142 ff).
Gerade das unaufgebbare qualitative Potential des Evangeliums zur Geltung bringen kann unter Zuhilfenahme des Motivationsbegriffs die (im Rahmen der Elementarisierungsforschung geprägte) Leitformel vom „Geist Jesu Christi als Motivation und Kriterium christlich-humaner Lebenspraxis" (Stock 14 in sachlichem Anschluß an Dantine). Ein solcher Zugang übersteigt allerdings ein allein auf Lernprozesse fixiertes Verständnis christlicher Praxis. Die in Stocks Formel avisierten pneumatologischen Kriterien für den rechten Gebrauch von Motivation im Sinne der paulinischen Charismen oder auch von Luthers Prinzip „Was Christum treibet" sowie die entsprechende Kritik an psychotechnisch-manipulativem Gebrauch von Motivation in Kirche und Gesellschaft sind weiter zu entfalten. Dazu zählt selbstkritisch allerdings auch die Aufarbeitung kirchlicher Sozialisationsmechanismen mit Einsatz verwerflicher Motivation wie bewußte Induzierung von angstbesetzten Vorstellungen (Pfister). Zu wehren ist einem Begriff und Gebrauch von Motivation im Sinne rein manipulativen Zugriffs auf Menschen. Für die theologische Anthropologie beinhaltet die differenziertere Analyse von Phänomenen wie „extrinsischer" und „unbewußter" Motivation bzw. Rationalisierung ei-
378
Motivation
nen bedeutsamen Beitrag, insofern auch damit wichtige empirisch formulierte Verweise auf Grenzen und Bedingtheiten menschlicher Freiheit formuliert sind. Literatur Zu 1: D.B. Berlyne, Konflikt, Erregung, Neugier. Z u r Psychologie der kognitiven Motivation (1960), dt. Stuttgart 1974. - Joseph Breuer/Sigmund Freud, Stud, über Hysterie (1895): Sigmund Freud, G W I , F r a n k f u r t / M . 1952, 75 - 312. - Werner Corell, Lernpsychologie, Donauwörth 1968. - Lion Festinger, A Theory of Cognitive Dissonance, Evanston 1957. - Sigmund Freud, Z u r Psychopathologie des Alltagslebens (1901), GW IV, F r a n k f u r t / M . 1941. - Ders., Formulierungen über die zwei Prinzipien psychischen Geschehens (1911): ders., GW VIII, F r a n k f u r t / M . 1945, 229-238. - Heinz Heckhausen, Förderung der Lernmotivierung u. der intellektuellen Tüchtigkeiten: Heinrich Roth (Hg.), Begabung u. Lernen (Deutscher Bildungsrat Gutachen u. Stud, der Bildungskommission 4), Stuttgart 1969, 193 - 228. - J.McV. 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Mott
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Hans-Günter Heimbrock Mott, John R.
(1865-1955)
1. Leben und Werk
2. Würdigung
(Quellen/Literatur S . 3 8 1 )
1. Leben und Werk John R. Mott wurde am 25. Mai 1865 in Kivingston Manor/New York geboren und wuchs auf einer Farm im mittleren Westen heran. Bei seiner Taufe in einer methodistischen Kirche erhielt er den Namen John; später fügte man die Abkürzung „ R . " hinzu, was aber nicht „Raleigh" heißt, wie einige Nachschlagewerke behaupten. Als Student an der Cornell-Universität antwortete er 1886 auf einen Aufruf des englischen Cricketspielers J . E . K . Studd, der zu einem Evangelisten geworden war, und gab die Pläne für eine juristische und politische Karriere zugunsten kirchlich-evangelistischer Arbeit auf. Noch im gleichen Jahr nahm Mott an der Northfield-Konferenz des Evangelisten Dwight Lyman Moody (1837-1899) teil, der seinen Redestil beeinflussen sollte. Im Jahre 1888 nahm Mott die Stelle des Sekretärs für College-Angelegenheiten bei der Young Men's Christian Association (YMCA; ->Vereinswesen) an, eine Position, die er bis 1915 innehatte, als er zum Generalsekretär des Y M C A berufen wurde. Motts religiöses Engagement und sein hohes Interesse für die —»Mission führten dazu, daß man ihn zu einer Zeit, als in den USA das Student-Volunteer-Movement rasch anwuchs, zum Verantwortlichen für diese Bewegung machte. Mott übernahm das inspirierende - wenn auch bei Europäern umstrittene - Motto der Studentenbewegung: „Die Evangelisation der Welt in dieser Generation!" Während der Konferenz des Weltbundes des YMCA 1891 in Amsterdam traf Mott Karl Fries aus Stockholm und Raoul Allier von der Sorbonne, mit denen er Pläne diskutierte, die 1894 in der Gründung des Christlichen Studentenweltbundes (CSWB) in Vadstena (Schweden) verwirklicht wurden. Man hat zu Recht gesagt, daß es diese Initiative war, die die Energien und den Enthusiasmus der „großen Masse der Führungspersönlichkeiten der modernen ökumenischen Bewegung" geweckt und in vorwärtsweisende institutionelle Bahnen gelenkt hat (->Ökumene/Ökumenismus). Es war Mott, der den Grafen Eduard v. Pückler (1853-1924), den Vorsitzenden der Deutschen Christlichen Studenten-Vereinigung (DCSV) dazu überredete, einen Vertreter in den CSWB zu entsenden. Seit der Gründung des CSWB lebte Mott für dessen Aktivitäten; er war
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Mott
Mittelpunkt und Inspirator der Arbeit mit einzelnen Studenten, aber auch eine unermüdliche Triebkraft für Veränderungen in den Kirchen. Mott begann eine rege Reisetätigkeit, die ihn trotz seiner Anfälligkeit für die Seekrankheit über drei Millionen Kilometer weit durch alle fünf Kontinente führte. Er nahm direkten Kontakt mit den -»Orthodoxen Kirchen des Ostens auf (vor allem auf der Studentenkonferenz in Konstantinopel 1911), aber auch mit der -»Römisch-katholischen Kirche sowohl im Mittelmeerraum wie in Lateinamerika. Motts Berichte von diesen Reisen beeindruckten eine reiche Witwe, Mrs. Nettie Fowler McCormick, so sehr, daß sie sich verpflichtete, sein Gehalt und seine Reisespesen zu bezahlen, was sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1923 treu tat. Mott hatte ein bemerkenswertes Talent, reiche und einflußreiche Persönlichkeiten zu beeindrucken. Die Veröffentlichung seiner Reiseberichte ließ ihn zur bekanntesten missionarischen Gestalt des Weltprotestantismus werden. So war es selbstverständlich, daß man ihn zu Rate zog, als für das Jahr 1910 eine Weltmissionskonferenz in Edinburgh geplant wurde.
Missionskonferenzen waren etwa alle zehn Jahre abgehalten worden, aber erst die Konferenz von Edinburgh (1910) bedeutete für die Geschichte der ökumenischen Bewegung einen entscheidenden Schritt nach vorn. Dies lag nicht zuletzt daran, daß M o t t darauf bestanden hatte, daß die Tagung gründlich vorbereitet wurde, daß die Vertretungen ausgewogen sein mußten, daß die Debatten diszipliniert verlaufen und daß schließlich praktische Konsequenzen aus den Beratungen gezogen werden sollten. Um hochkirchlichen Anglikanern die Teilnahme zu ermöglichen, kam man überein, daß die Gottesdienste während der Konferenz zwischen den Vertretern der einzelnen Konfessionen selbst abgesprochen und gestaltet werden sollten und konfessionell ungebunden zu sein hätten. So wurde es möglich, daß etwa ein Bischof der Kirche von England, Charles - > G o r e , zusammen mit dem deutschen Professor Julius Richter ( 1 8 6 2 - 1 9 4 0 ) , der aus der Kirche der preußischen Union kam, unter der Konferenzleitung des methodistischen Laien M o t t aus den USA gemeinsam tagen und beraten konnten. M a n traf sich in einer Situation, in der Japan als moderne Weltmacht aus dem Schatten hervortrat und der Islam weltweit erstarkte. Um die in Edinburgh erreichte Aufbruchstimmung zu bewahren, setzte man einen Fortsetzungsausschuß unter der Leitung von M o t t ein. M o t t wurde zu den einzelnen Missionsgesellschaften entsandt und hielt Regional- und Nationalkonferenzen ab, auf denen vorsichtige Vorschläge für eine weitergehende ökumenische Zusammenarbeit diskutiert wurden. Edinburgh war - um mit M a r c Boegner zu sprechen - „die Wiege der ökumenischen Bewegung". Der Erste Weltkrieg brachte einen großen Rückschlag für M o t t s Hoffnungen. Zunächst konnte er die amerikanische Neutralität nutzen, um mit Kirchenführern auf beiden Seiten zu sprechen und finanzielle Unterstützung für gestrandete Missionen in Afrika und Asien zu organisieren, die von ihren deutschen und französischen Zentralen abgeschnitten waren. Die Nöte der Soldaten und der Kriegsgefangenen wurden zu einem wichtigen Anliegen des Y M C A und brachten große finanzielle und verwaltungstechnische Lasten mit sich, die M o t t als Generalsekretär des National War Work Council des Y M C A auf sich nahm. Im Jahre 1916 folgte Mott der Bitte des amerikanischen Präsidenten Wilson und wurde Mitglied der Mexikanischen Kommission; 1917 ließ er sich - weniger gut überlegt - dazu bewegen, an einer Besonderen Diplomatischen Mission nach Rußland teilzunehmen. Die Nachricht von seiner Ernennung schlug bei seinen deutschen Freunden wie eine Bombe ein; man fühlte sich verraten durch Motts scheinbare Preisgabe der bisher von allen Seiten so hoch geschätzten Neutralität. Als die Deutsche Zeitung für China eine entstellte Fassung einer Rede Motts vor Kosaken abdruckte, verloren die Deutschen das Vertrauen zu Mott vollständig. Er wurde aufgefordert, von seinen internationalen kirchlichen Ämtern zurückzutreten. Es entstand ein Vakuum in der ökumenischen Bewegung, das Motts Freund, der Erzbischof von Uppsala, Nathan ->Söderblom, zu füllen versuchte, indem er während des Krieges strikte Neutralität bewahrte. Die unterschiedlichen Ansichten des schwedischen Lutheraners und des amerikanischen Methodisten verdeutlicht ein Zusammenstoß im Jahre 1922, als der optimistische Mott erklärte, der Weltkrieg sei notwendig gewesen und dadurch Söderblom zu der Antwort provozierte: „Nein, nein, nein. Ich kenne John Mott sehr gut, aber . . . der Weltkrieg war schrecklich, nur schrecklich" (Sundkler 331). Einige deutsche Kirchen-
Mott
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Vertreter sahen in Mott den Hauptdrahtzieher einer vermeintlichen anglo-amerikanischen Vormacht in der Weltmissionskonferenz und im Fortsetzungsausschuß. Nach dem Krieg erklärten sie, Mott hätte sich resoluter gegen die Übernahme deutscher Missionen durch Missionsgesellschaften der Siegermächte zur Wehr setzen müssen. Johannes Weise gab nur eine weitverbreitete Ansicht in Deutschland wieder, als er 1921 beklagte, daß Motts überorganisierter, zahlenbesessener Evangelismus ihn dahin gebracht habe, Gott nur ganz am Schluß des Buches über den CSWB zu erwähnen. Daß Mott nicht an der ersten Weltkonferenz für Praktisches Christentum 1925 in Stockholm teilnahm, ist so rätselhaft nicht, wie sein Biograph C.Howard Hopkins es glauben machen möchte.
In den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen blieb Mott trotz solcher Rückfragen eine der zentralen Gestalten der ökumenischen Bewegung. Der Fortsetzungsausschuß bildete sich 1920/21 zum Internationalen Missionsrat (IMR) um, dessen Vorsitzender wiederum Mott wurde, so daß er bald erneut auf Reisen war. Der Zerfall des Osmanischen Reiches hatte die Vermutung aufkommen lassen, der Islam sei am Rande des Zusammenbruchs. Mott reagierte darauf mit der Organisation von Konferenzen in Algerien, Ägypten und im Libanon, die ihren Höhepunkt 1924 in Jerusalem hatten. Er kam 1928 mit dem I M R nach Jerusalem zurück; diese Tagung wurde im folgenden Jahr in Tambaram weitergeführt, wo Mott es als dringlich erforderlich ansah, einen Weltrat der Kirchen zu bilden. Als dieser Traum 1948 in Amsterdam Realität werden konnte, wurde Mott zu einem der Ehrenpräsidenten des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) gewählt. Die Anerkennung seines immensen Beitrags zum Verständnis unter den Völkern kam mit der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1946 zum Ausdruck. Mott starb am 31. 1. 1955 in Orlando/Florida. 2.
Würdigung
Marc Boegner, der französische Pionier und Veteran der ökumenischen Bewegung, hat Mott als „den M a n n " beschrieben, „der - mehr als irgend ein anderer - fast sechzig Jahre lang in den protestantischen und orthodoxen Kirchen die Inkarnation der Aufforderung Christi an seine Kirche war, eins zu sein"). Für seinen bislang jüngsten und umfassendsten amerikanischen Biographen, C . H . Hopkins, „personifiziert [er] die Ära der Energie". In Mott schien sich John —»Wesleys Eigenart einer positiven, diesseitigen Heiligkeit mit dem Drang des amerikanischen Geschäftsmannes nach Expansion, Unternehmungslust und Effizienz zu verschmelzen. Es war dies ein Charakterbild und Gemütszustand, den deutsche Kirchenführer nicht leicht verstehen konnten. Aber auch für einen Bischof der Kirche von England, Stephen Neill, „konnte [er] in seiner Leitungsfunktion autoritär, fast brutal" erscheinen. Doch auf der anderen Seite war etwa ein kongregationalistischer Laie auf der Konferenz von Edinburgh tief davon beeindruckt, wie wenig Ehrerbietung Mott den anwesenden Bischöfen und Adligen entgegenzubringen bereit war. Als man Mott im Alter von 23 Jahren Verantwortung im Y M C A übertrug, hatte er nur Abneigung gegen gemischte Zuhörerschaften und zog es vor, nur zu Männern zu reden. Dies äußerte er in einer Zeit, in der der Y M C A Zentren „für die konstruktive Kanalisierung männlicher Energie" errichtete. In seiner Ehefrau Leila fand Mott eine ihm ergebene Herausgeberin seiner Schriften, die zugleich Forscherin und Sekretärin für ihn war. Quellen John R. Mott, Addresses and Papers, 6 Bde., New York 1946/47. - Ders., T h e Evangelisation of the World in This Generation, New York (1900) 1972; dt.: Die Evangelisation der Welt in dieser Generation, Berlin 1901. - Ders., T h e Future Leadership of the Church, New York 1909. - Ders., T h e Decisive Hour of Christian Missions, New York 1910; dt.: Die Entscheidungsstunde der Weltmission u. wir, Basel 1911. - Ders., ThePresent-Day Summons to the World Mission of Christianity, Nashville 1931. Literatur Karl Axenfeld, Mission, amerikan. Demokratie u. Kriegshetze: A M Z 44 (1917) 370f. - Ders., Der Riss in der ev. Mission: E M M 51 (1917) 4 0 3 - 4 0 7 . - Marc Boegner, T h e Long Road to Unity. Memories and Anticipations, London 1970. — Karl Heinz Dejung, Die Ökumene im Entwicklungs-
382
Moulton
konflikt 1 9 1 0 - 1 9 6 8 , Stuttgart 1973. - Galen M . Fisher, John R . M o t t . Architect of Co-operation and Unity, N e w York 1952. - Reinhard Frieling, Der Weg des ökumen. Gedankens. Eine Ö k u menekunde, Göttingen 1992 (Lit.). - Günter Gloede (Hg.), Ökumenische Profile. Brückenbauer der einen Kirche, Stuttgart, I 1961, II 1963. - William Richey H o g g , Ecumenical Foundations. A History of the International Missionary Council and its Nineteenth-Century Background, N e w York 1952; dt.: Mission u. Ökumene. Gesch. des Internat. Missionsrates u. seiner Vorläufer im 19. Jh., Stuttgart 1954. - C . H o w a r d Hopkins, John R. M o t t 1 8 6 5 - 1 9 5 5 . A Biography, Grand Rapids 1979 (Lit.). - Eleanor M . J a c k s o n , Red Tape and T h e Gospel. A Study of the Significance of the Ecumenical Missionary Struggle of William Paton ( 1 8 8 6 - 1 9 4 3 ) , Birmingham 1980. - Denton Lutz, „ T h e Evangelisation o f the World in This G e n e r a t i o n " , Diss. H a m b u r g 1972. - Basil Joseph M a t h e w s , John R. M o t t . World Citizen, London 1934. - Stuart Mews, Kikuyu and Edinburgh. T h e Interaction of Attitudes to T w o Conferences: G . J . C u m i n g / D e r e k Baker (Hg.), Councils and Assemblies of the Church, Cambridge 1970 (SCH 7) 3 4 5 - 3 5 9 . - Stephen Neill, Men of Unity, London 1960. - Lesslie Newbiggin, Unfinished Agenda, L o n d o n 1985. - Arthur Porritt, T h e Best I Remember, London 1922. - Bengt Gustaf M . Sundkler, N a t h a n Söderblom. His Life and Work, Lund 1968. - Tissington Tatlow, T h e Story of the Student Christian M o v e m e n t , London 1933. - J o h a n n e s Weise, Ein Buch von Dr. M o t t : Mitt. z. Förderung einer dt. christl. Studentenbewegung 1921, N r . 2 6 2 - 2 6 3 .
Stuart Mews
Moulton, James
Hope
1. Leben und Werk
1. Leben
und
(1863-1917) 2. Nachwirkung
(Literatur S . 3 8 4 )
Werk
Der englische Gelehrte James Hope Moulton wurde 1863 im Richmond College in der Nähe von London geboren, wo sein Vater William Fiddian Moulton, Tutor in der methodistischen Pastorenausbildung, als Neutestamentier wirkte. J . H . Moulton war der erste Wesleyanische Pastor, der zum Fellow in -»Cambridge (am King's College) gewählt wurde. In der Folgezeit wurde er weithin bekannt als Spezialist für das hellenistische Griechisch und für die altzoroastrische Religion. Seine Interessen erstreckten sich auch auf soziale Fragen und auf Belange der evangelischen Pastorenschaft. Politisch neigte er zum Liberalismus. J . H . Moulton starb im Jahr 1917 an Erschöpfung in einem offenen Boot auf dem Mittelmeer, nachdem sein Schiff auf der Heimreise von Indien, wo er sich als Lehrer am United Theological College in Bangalore der Missionsarbeit verpflichtet hatte, von einem Torpedo getroffen worden war. Über sechs Generationen hinweg hatte die Familie J . H . Moultons den Methodisten (—» Methodistische Kirchen) zugehört; sein Vater hatte die Leys School in Cambridge für junge Söhne methodistischer Eltern gegründet. Nachdem J . H . Moulton am King's College hohe Anerkennung in den klassischen Altertumswissenschaften erlangt hatte, unterstützte er zunächst seinen Vater als Lehrer an der Leys School. 1902 zog er jedoch nach Didsbury, dem methodistischen College in Manchester, und widmete sich dem Studium und der Lehre des Neuen Testaments. Zur gleichen Zeit wurde er Greenwood-Professor für hellenistisches Griechisch an der Universität von Manchester und half dort A.S. Peake beim Aufbau einer weithin bekannten theologischen Fakultät. 1912 hielt er die Hibbert-Vorlesungen über den frühen Zoroastrismus (-»Iranische Religionen); diesem Thema galt neben dem neutestamentlichen —»Griechisch sein Hauptinteresse während seines ganzen Lebens, so daß er nach dem Tod seiner Ehefrau einer Einladung zur Mitwirkung an der Missionsarbeit unter den Parsen in Bombay folgte (1915). Er wurde ein hervorragender Kenner der parsischen Religion (—»Iranische Religionen). Wie sein Sohn später feststellen sollte, lassen die Quantität und die Qualität seiner Veröffentlichungen im Bereich der zoroastrischen Religion keinen Zweifel daran aufkommen, daß er hier einen ebenso hohen Rang einnahm wie im Bereich der neutestamentlichen Wissenschaft (H.K. Moulton, J . H . Moulton, London 1963, 35). Sein erstes Buch über die zoroastrische Religion trug den Titel Early Religious Poetry, Cam-
Moulton
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bridge 1911. Sein ganzes Leben lang studierte er die Avesta, die heiligen persischen Schriften. Er würde sagen, daß die zoroastrische Lehre die einzige nichtchristliche Religion sei, von welcher man - aus christlicher Perspektive gesehen - nichts wegstreichen mußte, und daß das Christentum hier lediglich etwas hinzuzufügen hatte (H. K. Moulton 35). Sein letztes Werk, The Treasure of the Magi, birgt seine Überzeugung, daß die zoroastrische Lehre Christus wertvolle Schätze zu Füßen zu legen hatte und daß Christus diese Schätze noch zusätzlich bereichern konnte. J . H . Moulton verfaßte die Artikel über ,,Fravashi", „Iranians" und „Magi" für die von J. Hastings herausgegebene Encyclopaedia of Religion and Ethics (ERE). Sein vielleicht wichtigster und bleibend bedeutsamer Beitrag zur Erforschung der zoroastrischen Religion war seine negative Beurteilung der These, daß die iranische Religion auf das -»Judentum Einfluß ausgeübt hätte, womit er sich in Übereinstimmung mit N. -»Söderblom (La vie future d'après le Mazdéisme, 1901) und J. Scheftelowitz (Die altpersische Religion und das Judentum, 1920) befand (vgl. dazu M . J . Dresden: IDB 3 [1962] 747). Dessenungeachtet wird J . H . Moulton aber nachdrücklicher in Erinnerung bleiben wegen seiner Forschungen zur Sprache des Neuen Testaments. Er veröffentlichte zuerst 1895 ein Buch für Studienanfänger mit dem Titel Introduction to the Study of New Testament Greek; eine revidierte Fassung dieses Werks wird heute noch von Studierenden benutzt. Darauf folgte die Planung einer eigenen dreibändigen Grammatik, die an die Stelle der Übersetzung von G.B. Winers neutestamentlicher Grammatik durch Moultons Vater treten sollte. 1906 brachte er den ersten Band heraus mit dem Titel Prolegomena to a Grammar of New Testament Greek - eine verständliche und gut geschriebene Einführung, die in deutscher Übersetzung als Einleitung in die Sprache des Neuen Testaments erschien (1911). Im Anschluß an Adolf —»Deißmann versuchte J . H . Moulton, die Bedeutung neuer ägyptischer Funde für das Verständnis der neutestamentlichen Sprache aufzuzeigen. Er hatte einen zweiten Band über die Formenlehre geplant, konnte diesen aber vor seinem Tod nicht mehr vollenden, so daß er erst von seinem Schüler W. F. Howard nach dem ersten Weltkrieg veröffentlicht werden konnte. Schließlich fügte Nigel Turner in den Jahren 1963 und 1976 zwei weitere Bände hinzu (Band 3: Syntax, Band 4: Stilfragen). J . H . Moulton war von A.S. Peake gebeten worden, dessen eigenen Kommentar zur Bibel (1919) durch den Beitrag über die Sprache des Neuen Testaments zu ergänzen, und es fügte sich günstig, daß N. Turner, der J . H . Moultons Grammatik vollenden sollte, dann auch den entsprechenden Beitrag für die 2. Auflage von Peake's Commentary on the Bible (1962) zu verfassen hatte. J . H . Moulton führte auch seine Forschungen über die neuen Bedeutungen neutestamentlicher Vokabeln fort, die sich aus ihrer Verwendung in den ägyptischen Papyri erheben ließen. A. Deißmanns Entdeckung der auffallenden Ähnlichkeit zwischen dem Vokabular der frühchristlichen Evangelien und Briefe und dem der Briefe von literarisch nicht gebildeten Schreibern in —• Ägypten aus der gleichen Zeit hatte J . H . Moulton stark beeindruckt. George Milligan konnte J . H . Moultons Aufzeichnungen benutzen, als er 1930 sein berühmtes Werk The Vocabulary of the Greek Testament lllustrated from the Papyri and other non-literary Sources veröffentlichte, später allgemein bekannt als Moulton and Milligan. Obwohl J . H . Moulton nur 53 Jahre alt wurde, konnte er auf diese Weise eine solide Grundlage für die weitere Forschung der zoroastrischen Religion und für die Kenntnis der Sprache des Neuen Testaments legen. Auch wenn er zu der Grammatik, die seinen Namen trägt, nur einen Band und zu dem Wörterbuch (.Moulton and Milligan) nur einen Teil des Inhalts beigesteuert hatte, so hat doch seine Nachwirkung bis in die Gegenwart hinein dazu geführt, daß beide Werke vollständig im Sinn seiner ursprünglichen Konzeptionen vollendet werden konnten. Dementsprechend konnte auch der Verfasser des vierten Bandes der Grammatik beteuern, daß selbst nach 70 Jahren seine eigenen Vorstellungen mit denen von J . H . Moulton weitestgehend übereinstimmten, und dies ungeachtet der Tatsache, daß in der Grammatik das Wesen des neutestamentlichen Griechisch nicht von einem einheitlichen Standpunkt her beur-
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teilt wird, so daß hier Spuren der tiefgreifenden Weiterentwicklung zu erkennen sind, die angesichts des Fortschrittes der Forschung zu erwarten war. 2.
Nachwirkung
J . H. Moulton war geprägt von den Erkenntnissen, die A. Deißmann aus den profanen Papyri gewonnen hatte, und seine Grammatik wurde daher zunächst aufgrund der Überzeugung konzipiert, daß das Neue Testament in dem umgangssprachlichen Griechisch jener Tage geschrieben sei, das sich in diesen Papyri widerspiegelte. Die Bände 3 und 4 verraten jedoch eine neuere Einstellung, die davon ausgeht, daß das biblische Griechisch stark semitisch geprägt ist, so daß „nicht nur der Inhalt der biblischen Schriften einzigartig ist, sondern ebenso die Sprache, in welcher sie zur Abfassung und Übersetzung kamen" (Grammar 3, 1963, 9). Trotz der neuen Forschungsrichtung haben manche zeitgenössische Kritiker den Eindruck, daß das Pendel gegen J . H . Moulton zu weit ausgeschlagen sei (z.B. W. Barclay, The New Testament in Historical and Contemporary Perspective, Oxford 1965, 75); sie bestehen auch jetzt noch darauf, daß die von J . H . Moulton beharrlich erforschten profanen Texte weiterhin von hoher Bedeutung für die Erhellung des Lebens, der Zeit und der Sprache des Neuen Testaments seien (Barclay 81). J . H . Moulton ist mit folgenden Worten beurteilt worden: „Alle, die Moulton kannten, stimmen darin überein, daß seine intellektuelle Überlegenheit und sein brillantes Gelehrtentum vor den Qualitäten seiner Persönlichkeit verblassen" - Charme, Herzlichkeit, Abscheu vor dem Gemeinen und Liebe zum Guten. Seine Interessen waren unbegrenzt. Der große Gelehrte konnte mit „reiner" Gelehrsamkeit nichts anfangen (M. Ward: LQHR 88 [1963, Oktober] 314). Literatur
(zusätzlich zu der im Artikel genannten)
William Barclay, Moulton's Grammar up to date: British Weekly and Christian World (Edinburgh) v. 21. März 1963. - Matthew Black, The Biblical Languages: CHB 1 (1963) 1 - 1 1 . - Edgar V. McKnight, Is the N T written in „Holy Ghost" Greek?: BiTr 16 (1965) 8 7 - 9 3 . - W. Fiddian Moulton (Bruder J . H . Moultons), Life of J . H . Moulton, London 1919. - Arthur Samuel Peake, Art. Moulton, James Hope: DNB Suppl. 1912-1921 (1927) 391 f. - Moisés Silva, Bilingualism and Character of Palestinian Greek: Bib. 61 (1980) 1 9 8 - 2 1 9 . - Nigel Turner, Biblical Greek - the Peculiar Language of a Peculiar People: StEv7 (1982) (TU 126) 5 0 5 - 5 1 2 .
Nigel Turner t Mowinckel, Sigmund 1. Leben
1.
2. Werk
(1884-1965) 3. Wirkung
(Werke/Literatur S. 388)
Leben
Sigmund Olaf Plytt Mowinckel wurde am 4.8.1884 in Kjerringoy (in Nord-Norwegen) als Sohn des Pfarrers Jorgen Blydt M. (1858-1942) und Petra Johanne, geb. Meitzner (1861-1918) geboren. Am 9.5.1917 hat er Caroline (Caro) Simonsen (1887-1963) geheiratet; sie hatten zwei Töchter, Wencke (1918-1994) und Vibeke (1923-1993). Im Herbst 1964 heiratete er mit 80 Jahren Ingeborg Wilhelmine Wiborg, geb. Schibbye (1888-1974). Nach dem Besuch des Gymnasiums (Bergen Katedralskole, 1902) hat er an der Universität in Kristiania (ab 1925: Oslo) Theologie (dazu noch Geschichte, Literaturgeschichte und Philosophie) studiert und wurde 1908 cand. theol. Die nächsten Jahre, teilweise durch Schulunterricht und Krankheit behindert, hat er sich dem Studium des Alten Testaments sowie der Assyriologie gewidmet. Dabei hatte er 1911-1913 Studienaufenthalte in Kopenhagen, wo V. Gronbech Lehrer der Religionsgeschichte war, in Marburg, wo P. Jensen Assyriologie lehrte, und in Gießen, wo er H. -»Gunkel kennengelernt hat. Nachdem er 1915—1917 an seiner heimatlichen Fakultät Adjunktstipendiat gewesen war und 1916 durch eine Abhandlung über Statholderen Nehemia dort dok-
Mowinckel
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toriert und sich habilitiert hatte, wurde er 1917 in einer neu eingerichteten dosentur angestellt und 1922 zum ao. Professor ernannt; von 1933 bis 1954 war er, als Nachfolger von S. Michelet, o. Professor für Altes Testament. Auch als Emeritus hat er mehrmals Vorlesungen gehalten, und zwar noch im Winter/Frühling 1965, kurz bevor er am 4.6.1965 im Alter von 80 Jahren gestorben ist. Bis zum Allerletzten war er mit literarischer Arbeit intensiv beschäftigt; für eine rückblickende Autobiographie hatte er dagegen wenig Sinn und Zeit; seine autobiographischen Notizen sind spärlich, aber um so interessanter (vgl. Studentene fra 1902; Fragmenter; Mowinckel's Letter; s. Bibl.). Als Mowinckel 1921-1924 seine Psalmenstudien in 6 Bänden veröffentlicht hatte, war sein Weltruhm begründet. Danach wurden ihm vielfach akademische Ehrungen zuteil. Er wurde an die Fakultäten in Marburg und Basel berufen, hat aber die Berufungen abgelehnt. Er wurde Ehrendoktor in Gießen (1922), Lund (1923), Straßburg (1927), Amsterdam (1932) und in St. Andrews (1956). Schon 1918 hat (Videnskabs-Selskabet i Christiania/) Det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo, in deren Publikationen nicht nur seine Psalmenstudien, sondern auch noch viele seiner anderen Schriften erschienen sind, ihn zum Mitglied gewählt. Sonst war er Mitglied mehrerer ausländischer Wissenschafts-Akademien sowie Ehrenmitglied der amerikanischen Society of Biblical Literature und der britischen Society for Old Testament Study (1949). 1924 wurden ihm Fridtjof Nansens belonning (der Osloer Videnskaps-Akademi), 1949 The Burkitt Medal of the British Academy und 1951 das Kommandeur-Kreuz des Kongelige Norske St. Olavs Orden verliehen; dazu war er Ritter des schwedischen Nordstjärneordens. Das praktisch-theologische Staatsexamen hatte Mowinckel 1915 (mit höchster Note) absolviert, ließ sich aber erst 1940 ordinieren, nachdem er 1934 in Verbindung mit dem Oxford Groupe Movement gekommen war und dabei auch eine positivere Einstellung zur Kirche eingenommen hatte. 2. Werk Wie ein Polyhistor war Mowinckel auf den meisten Gebieten der alttestamentlichen Forschung tätig. Es ist schwer, der großen Breite seines literarischen Werks hier kurz gerecht zu werden. Den ersten Schwerpunkt seiner Forschung bildeten die Propheten. Nach zwei Erstlingsarbeiten über sie ( N T T 1909-10) hat er 1914 in einer Studie Zur Komposition des Buches Jeremia die bisherige Prophetenforschung einer scharfen Kritik für ihre literarkritische Deutung der Propheten unterzogen und demgegenüber positiv zu zeigen versucht, wie sich die Entstehung des Jeremiabuches durch mehrere Stadien des Wachstums form- und traditionsgeschichtlich erklären läßt. Einen zweiten Schwerpunkt machten Studien historischer Bücher im Alten Testament aus, wobei er 1916 zwei Studien zur Geschichte und Literatur der jüdischen Gemeinde (Statholderen Nehemia und Ezra den skriftlcerde) gleichzeitig veröffentlichte. Als Teile des chronistischen Werkes wurden die Bücher Ezra-Nehemia nicht nur im Blick auf ihre Entstehung und Komposition, sondern auch auf ihren historischen Wert hin untersucht. Dabei hat er die Ich-Rede der Nehemia-Denkschrift nicht nur - wie bereits öfter vor ihm in der Forschung - als „Memoiren" verstanden, sondern anhand vorderasiatischer Königs- und Fürsteninschriften als ein besonderes Stilmerkmal der Darstellung erklärt. Im Jahr 1916 hat er dazu noch als drittes ein gemeinverständliches Buch über die Königspsalmen publiziert (Kongesalmerne i det Gamle Testamente). Mit dem Thema der Psalmen im Alten Testament ist nun der dritte und wichtigste Schwerpunkt seiner Forschung angezeigt. Sowohl in diesem Buch (75f), das u.a. auch die Rolle des Königs und „das kollektive Ich" in den Psalmen aufs neue erörterte, als auch in einer seiner Probevorlesungen bei der Doktorprüfung hat Mowinckel ferner den ersten Entwurf seiner besonderen These zur Deutung vieler Psalmen im Alten Testament schon vorgelegt. Dabei rekonstruierte er anhand der „Thronbesteigungspsalmen" (Ps 47; 93; 9 6 - 9 9 )
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und n o c h anderer P s a l m e n sowie a n h a n d außerisraelitischer Parallelen ein „ T h r o n b e steigungsfest J a h w ä s " . Bei diesem Fest, d e m „ T a g J H W H s " , habe m a n , wie in einem „ s c h ö p f e r i s c h e m D r a m a " mit vielen Einzelriten, vor allem die N e u s c h ö p f u n g und die T h r o n b e s t e i g u n g J H W H s als K ö n i g gefeiert. S o d a n n hat er diese T h e s e 1917 in einem Artikel ( „ T r o n s t i g n i n g s s a l m e r n e o g J a h v e s t r o n s t i g n i n g s f e s t " : N T T 18 [1917] 1 3 - 7 9 ) weiter entwickelt und in den Psalmenstudien, v o r allem im 2. B a n d , Das Thronbesteigungsfest ]ahwäs und der Ursprung der Eschatologie (1922), voll entfaltet. D e r Kern seiner neuen Psalmendeutung b r a u c h t aber von dieser Festtheorie nicht unbedingt a b hängig zu sein; denn ihm lag in erster Linie d a r a n , die grundlegende Bedeutung des Kultus, als des „eigentlichen O r t e s " des R e l i g i ö s e n , in den Vordergrund zu r ü c k e n , und demzufolge die überwiegende M e h r z a h l der Psalmen im Alten T e s t a m e n t als Kultlieder zu verstehen. A u f diese Weise w o l l t e er G u n k e l s f o r m g e s c h i c h t l i c h e M e t h o d e , die er a u f g e n o m m e n hatte, zu einer „kultgeschichtlichen M e t h o d e " a u s b a u e n , und so „ G u n k e l gegen G u n k e l a u s s p i e l e n " ( N T T 2 5 [1924] 4 f ; Psalmenstudien 1 , 1 9 2 1 , V ) . Er hat endlich 1923 in e i n e m Vortrag in Lund diesen „kultischen G e s i c h t s p u n k t " methodisch grundsätzlich als „ F o r s c h u n g s p r i n z i p der alttestamentlichen W i s s e n s c h a f t " erörtert ( „ D e t kultiske synspunkt s o m forskningsprincipp i den g a m m e l t e s t a m e n t l i g e v i d e n s k a p " : N T T 2 5 [1924] 1 - 2 3 ) . Die Zeit bis 1924, besonders das Jahrzehnt 1914-1924, in der eine wahre Fülle größerer und kleinerer Arbeiten aus seiner Feder geflossen ist, darf als die erste Periode seiner reichen schöpferischen Forschung betrachtet werden, die sich dazu als die ergiebigste erwies. Über die Psalmen hinaus hat er sich nun noch zur schwierigen Gottesknechtfrage, und zwar mit neuer Lösung (Der Knecht Jahwäs, 1921), sowie zum Hiob-Problem (Diktet om Ijob og hans tre venner, 1924) geäußert. Außerdem hat er in seiner Antrittsvorlesung am 9. März 1923 die Stilprobleme der hebräischen Poesie kritisch erörtert ( N T T 24 [1923] 1 8 - 3 9 ) ; vor allem die hebräische Metrik sollte ihn weiterhin sehr beschäftigen. In dieser ersten Periode, in der die meisten Signale seiner forschungsmäßigen Position schon gegeben waren, hat er auch noch das Hohelied (1919) und die Psalmen (1923) übersetzt, was aber einigermaßen der nächsten Periode vorgreift. Denn die zweite Periode seines Wirkens, die mit etwa 20 Jahren bis zum Jahr 1945 gerechnet werden darf, und in der er mehr durch Artikel als durch neue Bücher seine Position ausgebaut und konsolidiert hat, scheint sehr von seiner Arbeit an der neuen, wissenschaftlich kommentierten Übersetzung des Alten Testaments beherrscht zu sein (Det Gamle Testamente, I, 1929; II, 1935; III, 1944; IV, 1955; V, 1963). Er hat sie um 1920 mit S. Michelet und N. Messel angefangen und am Ende seines Lebens mit Teilnahme von A.S. Kapelrud (Ruth) und R. Leivestad (Prediger) abgeschlossen. Allmählich wuchs seine eigene Beteiligung an diesem Werk immer mehr (von insgesamt 2560 Seiten stammen mehr als 1950 von ihm). Sonst war er in dieser Periode meist mit allerlei Fragen der Prophetenforschung beschäftigt und hat überdies noch theologische Fragen aufgegriffen, darunter auch die theologische Würdigung des Alten Testamentes als Wortes Gottes (Det Gamle Testament som Guds ord, 1938). In der letzten Periode seines Wirkens, die wiederum als eine Zeitspanne von 20 Jahren zwischen 1945 und 1965 berechnet werden darf, hat Mowinckel seine vielfältige Forschungsarbeit fortgesetzt und abgerundet. Seine intensive literarische Aktivität war nun der in seiner ersten Periode ähnlich. Im Vordergrund standen wieder Arbeiten zu den Psalmen und zu historischen Schriften im Alten Testament. Sonst ist etwa seine Bemühung um die hebräische Metrik erwähnenswert. Nach mehreren kleineren Beiträgen dazu hat er 1957 eine Monographie publiziert (Real and Apparent Tricola in Hebrew Psalm Poetry). Dabei stand er nun wie früher dem System Sievers ablehnend, positiv dagegen dem von Hölscher gegenüber, aber auch im Verhältnis zu ihm blieb er selbständig. Während Prophetiestudien, die in der wissenschaftlichen Übersetzung des großen Prophetenbandes (1944) mündeten, in der mittleren Periode seines Wirkens vorherrschten, traten sie in der letzten Periode merklich zurück. Doch am Anfang steht eine bemerkenswerte Studie (Prophecy and Tradition, 1946), die nicht nur inbezug auf die Prophetenbücher, sondern auch noch für die Geschichtswerke wichtig ist, weil sie eine methodische Klärung des damals modisch gewordenen Begriffs „Tradition/Überlieferung" vornimmt. Wenn diese Studie zudem noch im Licht seiner autobiographischen „Fragmente" von 1957 gesehen wird, erscheint sie um so wesentlicher für ein rechtes Verständnis der Position Mowinckels. War ihm nun die Bedeutung der schöpferisch lebendigen Traditionsgeschichte für eine sachgemäße und vor allem historische Erfassung der biblischen Texte schon seit seiner Jeremia-Studie (1913/14) immer folgenreicher geworden, möchte er die geschichtlich verstandene „Traditionskri-
Mowinckel
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tik" nicht gegen die ältere „Literarkritik" oder die „Formkritik" ausspielen, sondern diese Arbeitsweisen in einem methodischen Zusammenwirken verwenden, wobei er der mündlichen Überlieferung ein bedeutendes Gewicht zuerkannte. Wie sich dies alles bei ihm ausgewirkt hat, läßt sich an einer Reihe von historischen Arbeiten erkennen, und zwar teils an Einzelstudien {Zur Frage nach dokumentarischen Quellen in Josua 13-19, 1946; „Die vermeintliche ,Passahlegende' Ex. 1 - 1 5 in Bezug auf die Frage: Literarkritik und Traditionskritik": StTh 5 [1951] 6 6 - 8 8 ) , teils an neuen Studien zum Pentateuch (Tetrateuch-Pentateuch-Hexateuch, 1964; „Erwägungen zur Pentateuchquellenfrage": N T T 65 [1964] 1 - 1 3 8 , auch als Buch), wo er nun E als eine weiterführende mündliche Tradition des J-Stoffes betrachtete, und teils an einer umfassenden Neubearbeitung seiner frühen Ezra/Nehemia-Studien (Studien zu dem Buche Ezra-Nehemia, 3 Bde., 1964-1965) sowie zusammenfassend in lsraelite Historiography (ASTI 2 [1963] 4—26). Seine letzten Arbeiten bestanden aus zwei Büchern zur Frühgeschichte Israels in ihrem kanaanäischen Kontext (Palestina for Israel, 1965; Israels opphav og eldste historie, posthum 1967). Doch auch in der Spätphase seiner Forschung waren gewiß die Psalmen sein liebster Gegenstand. In zwei großen Büchern aus dem Jahr 1951 hat er dazu ausführliche Zusammenfassungen seines langen Forschungsweges mit den Pslamen und dem Phänomen des Kultus in Israel geschaffen, zunächst Offersang og sangoffer (später: The Psalms in lsrael's Worship, 2 Bde., Oxford 1962) und sodann Han som kommer. Messiasforventningen i Det gamle testament og pa Jesu tid (später: He That Cometh, Oxford 1956), wo er nicht nur die eschatologischen und messianischen Linien aus Psalmenstudien II weiterführt (so auch in „Jahves dag": N T T 59 [1958] 1 - 5 6 . 2 0 9 - 2 2 9 ) , und dabei die geschichtliche Verankerung der israelitischen Heilshoffnung stärker erarbeitet, sondern wo er auch die Gestalt des „Menschensohnes" neu behandelt, die er sonst früher in Einzelstudien erörtert hatte. Seine Arbeit an den Psalmen rundete er auch in mehreren Artikeln ab („Traditionalism and Personality in the Psalms": HUCA 23 [1950/51] 2 0 5 - 2 3 1 ; „Psalm Criticism Between 1900 and 1935": V T 5 [1955] 1 3 - 3 3 ; „Psalms and Wisdom": FS Rowley, 1955 [VT.S 3] 204 - 224); dazu gehört auch sein neues Vorwort zum zweibändigen Neudruck seiner Psalmenstudien (Amsterdam 1961), wo er teilweise modifizierend und selbstkorrigierend seine früheren Theorien würdigte, denn fertig wurde er nie. Schließlich hat er im Buch Religion og kultus (1950; später: Religion und Kultus, Göttingen 1953) eine religionsphänomenologische Darstellung seines vornehmsten Forschungsthemas gegeben. Aufs G a n z e gesehen m ö c h t e M o w i n c k e l zunächst als E x e g e t des Alten T e s t a m e n t s und als E x e g e t in erster Linie als Historiker a u f g e f a ß t werden; denn er wollte vor allem zu einem historischen Verständnis des Alten T e s t a m e n t s und seiner Religion verhelfen, und er glaubte so auch die theologischen Fragen a m besten behandeln zu k ö n n e n (s. Ssebo). D a b e i war ihm der Kultus der Schlüsselbegriff. Seine f o r m - und traditionsgeschichtliche M e t h o d e s a m t der Literarkritik hat dazu beigetragen, seiner literaturgeschichtlichen Arbeitsweise eine historische T i e f e n d i m e n s i o n zu verleihen.
3.
Wirkung
M o w i n c k e l hat mit e r h e b l i c h e m E r f o l g in viele Fragen der E r f o r s c h u n g des Alten T e s t a m e n t s - und d a r ü b e r hinaus - eingegriffen. E r h a t t e die K r a f t , die F o r s c h u n g d u r c h neue Fragestellungen schöpferisch zu erneuern und so öfter das R a d der F o r s c h u n g über den toten Punkt bringen zu k ö n n e n . E r hat w e d e r K o m m e n t a r e im h e r k ö m m l i c h e n Sinne noch eine „ T h e o l o g i e des Alten T e s t a m e n t s " geschrieben, a b e r seine u m f a n g r e i chen Forschungen h a b e n einen beachtlichen Einfluß auf das Verständnis s o w o h l vieler T e x t e als auch der R e l i g i o n des Alten T e s t a m e n t s im ganzen ausgeübt. M o w i n c k e l h a t vor allem die Erfassung der alttestamentlichen F o r m - und T r a d i t i o n s g e s c h i c h t e , insbesondere die der P s a l m e n , wesentlich beeinflußt. Z w a r wollte er nicht der R e l i g i o n s g e schichtlichen Schule zugeordnet werden (Prophecy and Tradition 14), hat a b e r d o c h a u f die E r f o r s c h u n g der israelitischen R e l i g i o n s g e s c h i c h t e eine g r o ß e W i r k u n g a u s g e ü b t , so besonders auf die sog. Uppsala-Schule und die a n g l o - s k a n d i n a v i s c h e „ c u l t p a t t e r n s c h o o l " , o b w o h l er über die Ergebnisse seiner dortigen E r b e n nicht i m m e r glücklich w a r . Viele haben sich über M o w i n c k e l g e ä u ß e r t , es fehlt aber i m m e r n o c h eine a u s f ü h r liche, seiner wissenschaftlichen G r ö ß e g e b ü h r e n d e B i o g r a p h i e M o w i n c k e l s . D i e s e A u f g a b e ist dringend, weil eine B i o g r a p h i e M o w i n c k e l s weithin die F o r s c h u n g s g e s c h i c h t e des Alten T e s t a m e n t s in diesem J a h r h u n d e r t mit einschließen m ü ß t e .
388 Werke/
Mühlenberg Bibliographien
Die wichtigsten Titel des umfassenden Schrifttums Mowinckels sind im Text schon genannt worden; hier darf nur noch sein bahnbrechendes Hauptwerk extra erwähnt werden: Psalmenstud. I Awän u. die individuellen Klagepsalmen, 1921 (SVSK II, 1921:4); II Das Thronbesteigungsfest Jahwäs u. der Ursprung der Eschatologie, 1922 (SVSK II, 1921:6); III Kultprophetie u. prophetische Psalmen, 1923 (SVSK II, 1922:1); IV Die technischen Termini in den Psalmenüberschriften, 1923 (SVSK II, 1922:2); V Segen u. Fluch in Israels Kult u. Psalmendichtung, 1924 (SVSK II, 1923:3); VI Die Psalmdichter, 1924 (SVSK II, 1924:1). Neudr. der Psalmenstud. (in 2 Bdn.), Amsterdam 1961 (mit einem neuen, vierseitigen, aber unpaginierten „Vorwort" des Verfassers). — Autobiographisches: Mowinckel, Sigmund Olaf Plytt: Studentene fra 1902. Biografiske oplysninger, Oslo 1927, 252—254. - Fragmenter: Norsk litteraturvitenskap i det 20. árhundre. Festskrift til Francis Bull pá 70 ársdagen, Oslo 1957, 1 1 7 - 1 3 0 . - Mowinckel's Letter (dat. 19.05.65!): Luther Theological Seminary Review 5, St. Paul/Minnesota (1967) 4 1 - 4 4 . - Festschriften: Acta Mowinckeliana, redigert av Oluf Kolsrud og Hans Ording: Sonderausg. der N T T 45 (1944) 1 6 1 - 2 6 3 . - Interpretationes ad Vetus Testamentum pertinentes, Sigmundo Mowinckel septuagenario missae, red. av Nils Alstrup Dahl og Arvid S. Kapelrud: Sonderausg. der N T T 56 (1955) 1 - 1 8 3 . - Bibliographien: Henrik Harboe og Oluf Kolsrud, Sigmund Mowinckel's skrifter. Bibliografi: N T T 45 (1944) 245 - 263 = Acta Mowinckeliana 85 — 104. — Dagfinn Kvale, Sigmund Mowinckels skrifter, 4. august 1944— 4. august 1964. Bibliografi: N T T 65 (1964) 2 6 1 - 2 7 7 . - Dagfinn Kvale and Dagfinn Rian, Professor Sigmund Mowinckel. A Bibliography. Scandinavian Journal of the O T 2 (1988) 9 5 - 1 6 8 (vollständig, auch mit Angaben der Besprechungen der Bücher Mowinckels sowie der Artikel über ihn; ursprünglich norwegisch: Professor Sigmund Mowinckels liv og skrifter, Trondheim 1980; erste englische Ausgabe: Sigmund Mowinckel's Life and Works, Oslo 1984). Literatur Leiv Amundsen, Det Norske Videnskaps-Akademi i Oslo 1 8 5 7 - 1 9 5 7 , Oslo, II 1960, 126f.645f. - D e r s . , Universitetet i Oslo 1811-1961, Oslo, I 1961, 4 1 - 4 4 . - George W. Anderson, Prof. Sigmund Mowinckel: The Times (London) 10.06.1965, 12. - Dafydd R. Ap-Thomas, An Appreciation of Sigmund Mowinckel's Contribution to Bibl. Studies: J B L 85 (1966) 3 1 5 - 3 2 5 . - Aage Bentzen, Om Sigmund Mowinckels indsats i den gammeltestamentlige forskning: N T T 45 (1944) 1 6 3 - 1 7 5 ( = Acta Mowinckeliana 3—15). — Harris Birkeland, Art. Mowinckel, Sigmund: Norsk Biografisk Leksikon 9 (Oslo 1940) 3 9 7 - 401. - Josef de Fraine, Mowinckel, Sigmund...: DBS 5 (1957) 1387-1390. -Wolfram Herrmann, Ein unveröffentlichter Brief von Sigmund Mowinckel: V T 41 (1991) 3 4 4 - 3 4 7 . - G u s t a v Hölscher, Sigmund Mowinckel som gammeltestamentling forsker: N T T 24 (1923) 7 3 - 1 3 8 . - Bernd Janowski, Thronbesteigungsfest im AT. Ein unveröffentlichtes Ms. S. Mowinckels und sein wissenschaftsgesch. Kontext: ZAW 105 (1993) 2 7 0 - 2 7 8 . - Arvid S. Kapelrud, Minnetale over professor Sigmund Mowinckel: ArNVAO 1965, Oslo 1966, 6 7 - 7 4 . - Ders., Sigmund Mowinckel and O T Study: ASTI 5 (1967) 4 - 2 9 . - Ders., Sigmund Mowinckel 1884-1965: SEÄ 49 (1984) 6 6 - 7 3 . - Hans-Joachim Kraus, Gesch. der hist.-krit. Erforschung des AT, Neukirchen-Vluyn 3 1982, 4 0 2 - 4 0 6 . 4 6 0 - 469. - Johannes Lindblom, Sigmund Mowinckel in memoriam: SvTK 41 (1965) 1 9 1 - 1 9 2 . - The Life and Work of Sigmund Mowinckel, ed. by Hans M . Barstad and Magnus Ottosson: S J O T 2 (1988) 1 - 1 6 8 (mit Beitr. v. J . B . Hygen, N.A. Dahl, M . S ^ b o , H. Ringgren, K. Jeppesen, M . R . Hauge, A.S. Kapelrud, H . M . Barstad, sowie der Bibliogr. v. D. Kvale u. D. Rian, s.o.). - Magne Saebo, Sigmund Mowinckel and His Relation to the Literary Critical School: StTh 40 (1986) 8 1 - 9 3 (korr. Neudr.: S J O T 2 [1988] 2 3 - 3 5 ) .
Magne Ssebo
Mühlenberg, Heinrich (Henry) Melchior 1. Leben
2. Werk
(1711-1787)
3. Bedeutung und Nachwirkung
(Quellen/Literatur S. 391)
1. Leben Heinrich Melchior Mühlenberg war der wichtigste Führer der lutherischen Kirche in Amerika während der Kolonialzeit und zugleich Hauptorganisator der ersten lutherischen Synode in der Neuen Welt. Er wird mit dem Ehrentitel „Patriarch der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika" bedacht (Stoever). Mühlenberg wurde als siebtes von neun Kindern am 6. September 1711 in Einbeck (Hannover) geboren. Sein Vater, Nikolaus Melchior Mühlenberg, war „Bürger, Brauer und Diaconus" (Selbstbiographie 183). Trotz des frühen Todes seines Vaters (1723) war Mühlenberg in der Lage, seine
Mühlenberg
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Erziehung an den Schulen a m O r t abzuschließen; danach studierte er von 1735 bis 1738 T h e o l o g i e in —»Göttingen, w o Professor J o a c h i m O p o r i n , dem er als Amanuensis diente, einen großen Einfluß auf ihn ausübte. M ü h l e n b e r g setzte seine theologischen Studien an den Franckeschen Stiftungen in - » H a l l e fort und w a r dort zugleich Lehrer der jüngeren Schulkinder. Die Verantwortlichen in Halle planten, ihn als M i s s i o n a r nach Indien zu senden. D o c h er erhielt durch die Vermittlung des G r a f e n R e u ß X X I V . von Greitz einen R u f als Pastor nach G r o ß h e n n e r s d o r f (Oberlausitz) und wurde 1739 in Leipzig ordiniert.
Bei einem Besuch in Halle wurde Mühlenberg 1741 von Gotthilf August Francke gebeten, einen Ruf als Pastor für drei lutherische Gemeinden in Pennsylvania in Trappe (oder Providence), New Hanover (oder Falckner's Swamp) und Philadelphia anzunehmen. Diese Bitte um einen Pastor, die die United Congregations schon 1739 ausgesprochen hatten, war unbeantwortet geblieben, bis Berichte über die Tätigkeit von Nikolaus Ludwig Graf von -»Zinzendorf nach Europa drangen. Zinzendorf war 1741 nach Pennsylvania gekommen, wo er versuchte, alle Christen deutscher Abstammung in einer Congregation ofGod in the Spirit zu vereinen. Als Mühlenberg die Aufforderung Frankkes erhielt, nach Pennsylvania zu gehen, um dort der lutherischen Kirche zu dienen, antwortete er bereitwillig: „Wenn es göttlicher Wille wäre, so wollte und müßte er folgen, wohin ihn die Vorsehung bestimmte" (Selbstbiographie 15). Francke empfahl ihn Friedrich Michael Ziegenhagen, dem Hofprediger der Hannoverschen Könige in London, mit dem die Vertreter der Gemeinden in Pennsylvania 1733 in Verbindung getreten waren. Am 17. Dezember 1741 reiste Mühlenberg zu seinem Dienst nach Amerika ab. N a c h einem kurzen Aufenthalt in L o n d o n bei Ziegenhagen, von dem er den Auftrag und die Autorisierung, in einer englischen Kolonie seinen Dienst auszuüben, empfing, besuchte M ü h l e n b e r g die Kolonie der Salzburger Lutheraner in Georgia und k a m am 25. N o v e m b e r 1742 in Philadelphia an. D a man M ü h l e n b e r g von L o n d o n aus nicht angekündigt hatte, war er zunächst gezwungen, die R e c h t m ä ß i g k e i t seiner Berufung nachzuweisen. In der Kolonie lebten Lutheraner, R e f o r mierte, Herrnhuter, M e n n o n i t e n (—»Menno S i m o n s / M e n n o n i t e n ) , Tunkers, Schwenckfelder (—»Schwenckfeld/Schwenckfelder) und andere deutsche Sekten nebeneinander, was zu einer gewissen religiösen Wirrnis führte. M a n mißtraute jedem, der vorgab, Seelsorger zu sein. N a c h d e m M ü h l e n b e r g der Gemeinde in Philadelphia seine Empfehlungsschreiben vorgelegt und den abtrünnigen Prediger Valentin Kraft entlassen hatte, wurde er von Z i n z e n d o r f auf einem Treffen vor den Kirchendiakonen und Presbytern am 30. D e z e m b e r 1742 zur R e d e gestellt. D a s Treffen endete mit Zinzendorfs R ü c k k e h r nach E u r o p a und der Anerkennung der Autorität M ü h l e n b e r g s durch die Lutheraner.
Seit dieser Zeit war Mühlenberg der anerkannte Führer der lutherischen Kirche in Pennsylvania. Als Pastor in der größten Siedlung der Kolonie - und weil er das Vertrauen der kirchlichen Autoritäten in London und Deutschland genoß begann sein Einfluß sich auch auf andere Kolonien zu erstrecken. Weil er in Englisch und Niederländisch ebenso gut wie in Deutsch predigte, wurde er oft eingeladen, die Seelsorge in entfernten Gemeinden auszuüben. Schon 1743 wurde er gebeten, auch in der Gemeinde in Tulpehocken als Pastor auszuhelfen. Wegen der großen Entfernung sah er sich dazu nicht in der Lage. Er wandte sich an Halle und bat um die Entsendung von weiteren Pastoren für die lutherische Kirche in Amerika. Daraufhin wurden 1745 ein ordinierter Pastor, Peter Brunnholtz, und zwei Katecheten nach Amerika entsandt. Sie waren die ersten in einem immer weiter anwachsenden Strom von Geistlichen, die in die Neue Welt kommen sollten. Brunnholtz übernahm das Pastorat in der Gemeinde Philadelphia, während Mühlenberg selbst sich den Gemeinden in Trappe und New Hanover widmete; darüberhinaus versorgte er zahlreiche weitere Predigtorte mit und weitete seine Pfarrtätigkeit allmählich immer weiter aus. Brunnholtz und andere Pastoren, die nach Amerika gekommen waren, erwarteten von Mühlenberg, daß er die Leitung der Gesamtgemeinde in seine Hände nehme. So wurde er faktisch der Superintendent dieser Kirche, die sich bald bis nach New Jersey, Maryland und New York erstreckte und gegen Ende seines Lebens alle englischen Kolonien erfaßt hatte.
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Mühlenberg
Schon bald erwies es sich als notwendig, dieser Kirche eine feste Organisationsstruktur zu geben. Johannes Nikolaus Kurtz, einer der Katecheten, die 1745 angekommen waren, war von der Gemeinde in Tulpehocken berufen worden und mußte ordiniert werden. Am 14./15. August 1748 trafen sich Mühlenberg, Brunnholtz, J o h a n n Friedrich H a n d s c h u h (ein Pastor, der im April aus Halle gekommen war und eine Gemeinde in Lancaster betreute), J o h a n n Sandin (der schwedische Propst in Philadelphia) und Johann Christoph Hartwick (ein Pastor aus R h i n e b e c k / N e w York) in Philadelphia und errichteten die erste lutherische Synode in Amerika. Dieses Gremium, das sich später den N a m e n The Evangelical Lutheran Ministerium of Pennsylvania and Adjacent States gab, ordinierte danach Kurtz zum Seelsorger seiner Gemeinde. O b w o h l keine offizielle Wahl erfolgte, w a r M ü h l e n b e r g seither der anerkannte Leiter der Synode und blieb es bis zu seinem Tod. Mühlenberg zog 1761 nach dem Tod von Brunnholtz und einer Zeit von Gemeindewirren unter H a n d s c h u h s Führung nach Philadelphia um und ü b e r n a h m die Seelsorgetätigkeit an diesem O r t . Als ein in der Kolonie Pennsylvania auf politischem Gebiet aktiver und einflußreicher Zeitgenosse, wurde er durch den Unabhängigkeitskrieg (-•Vereinigte Staaten von Amerika) tief beunruhigt. Als Pastor w a r er weder bereit, sich mit der Sache der Aufständischen zu identifizieren, noch k o n n t e er sich auf die Seite der englischen Krone stellen. Er k a u f t e 1776 ein H a u s in Trappe und zog sich von Philadelphia dorthin zurück. Hier wohnte er bis zu seinem Tod. Während Mühlenberg es vermied, sich auf eine der beiden Seiten in der Auseinandersetzung zu schlagen, verließen zwei seiner Söhne den Seelsorgedienst, wurden führende Revolutionäre und später in den Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Mühlenbergs eigene Haltung zur -»Revolution wird bis in die Gegenwart hinein unterschiedlich bewertet (vgl. Tappert, American Revolution). - Mühlenberg starb am 7. O k t o b e r 1787 in Trappe, M o n t g o m e r y County/Pennsylvania und wurde auf dem Friedhof der alten Augustus Lutheran Church beerdigt, die er 1745 eingeweiht hatte. Er hatte am 22. April 1745 Anna M a r i a Weiser geheiratet, die am 23. August 1802 starb. Sieben ihrer elf Kinder überlebten die Kinderjahre. 2. Werk O b w o h l es schon fast ein Jahrhundert lang, bevor Mühlenberg in der Neuen Welt a n k a m , dort lutherische Pastoren gegeben hatte, ist er der Pionierpastor geworden, der als erster eine Organisation der zerstreut liegenden lutherischen Kirchen zustandebrachte. Wenn auch Pennsylvania das Z e n t r u m seines Wirkens war, so reichte sein Einfluß von Neuschottland bis nach Georgia. Er vermittelte häufig in Streitigkeiten zwischen Gemeinden und ihren Pastoren (vgl. Riforgiato 108-130). O b w o h l Mühlenberg nur selten offiziell als Präsident der Synode von Pennsylvania amtierte, so erhielt diese erste und größte Vereinigung von Pastoren und Gemeinden in der Neuen Welt doch durch ihn ihre Prägung. Der erste Schritt zur Emanzipation der amerikanischen Kirche von der Aufsicht durch die europäischen Kirchen bestand darin, d a ß man die P r ü f u n g der Kandidaten und die —• Ordination zum Predigtamt selbst ü b e r n a h m . Mühlenberg bemühte sich darüber hinaus um die Einheitlichkeit im gottesdienstlichen Leben in den deutschen lutherischen Kirchen Amerikas. Auf der ersten Tagung des Ministerium of Pennsylvania im Jahre 1748 kamen die Pastoren überein, eine einheitliche —»Agende zu benutzen. Jeder fertigte eine Manuskriptkopie eines Formulars an, das Mühlenberg, Brunnholtz und H a n d s c h u h vorbereitet hatten. Diese Agende, die auf der Gottesdienstordnung in der Savoykirche (St. Mary's) in London basierte, w a r bis in die jüngste Zeit hinein das Modell amerikanisch-lutherischen Gottesdienstes. Noch im letzten Jahr seines Lebens wählte Mühlenberg Kirchenlieder aus und schrieb ein Vorwort für ein neues Gesang- und Gebetbuch für die amerikanischen Kirchen. N e b e n der Predigt- u n d Seelsorgetätigkeit ging es M ü h l e n b e r g vor allem u m d a s Erziehungswesen. Die G e m e i n d e in Philadelphia h a t t e eine b l ü h e n d e Schule; er selbst u n t e r r i c h t e t e verschiedene
Mühlenberg
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Kandidaten für den Seelsorgedienst. Sein Plan, die Schule zu einem theologischen Seminar auszubauen, w u r d e aber wegen mangelnder Geldmittel und wegen des Ausbruchs des Unabhängigkeitskrieges vereitelt. Der Krieg verhinderte auch, d a ß er in Philadelphia ein Waisenhaus errichtete, das dem in Halle ähnlich sein sollte. 3. Bedeutung
und
Nachwirkung
M ü h l e n b e r g s N a c h w i r k u n g ist a m b e s t e n a n d e r K i r c h e n o r d n u n g zu e r k e n n e n , d i e e r 1 7 6 2 in s e i n e r G e m e i n d e in P h i l a d e l p h i a e i n f ü h r t e ( S c h m u c k e r , O r g a n i z a t i o n ) . D i e G e m e i n d e b e s a ß n a c h dieser O r d n u n g d a s f ü r alle Z e i t e n gültige R e c h t , ihre eigenen P a s t o r e n z u b e r u f e n . Sie w a r a b e r v e r p f l i c h t e t , n u r s o l c h e K a n d i d a t e n a u s z u w ä h l e n , d i e d i e Confessio Augustana invariata (-*Augsburger B e k e n n t n i s I) a n e r k a n n t e n ; d a r ü b e r h i n a u s m u ß t e m a n sich mit a n d e r e n P a s t o r e n der S y n o d e b e r a t e n , b e v o r eine B e r u f u n g e r f o l g e n k o n n t e . W e i l es k e i n e r l e i k i r c h l i c h e O r g a n i s a t i o n in d e r N e u e n W e l t g a b u n d w e i l es a u ß e r d e m s c h w i e r i g w a r , A u t o r i t ä t e n in E u r o p a u m R a t u n d W e i s u n g z u b i t t e n , w ä h l t e M ü h l e n b e r g eine - » S y n o d a l v e r f a s s u n g f ü r die Leitung seiner Kirche. D e m e n t sprechend g a b er den G e m e i n d e n eine weitgehend u n a b h ä n g i g e O r d n u n g mit d e m Recht, d i e e i g e n e n G e m e i n d e a n g e l e g e n h e i t e n s e l b s t b e s t i m m e n zu k ö n n e n . D i e l u t h e r i s c h e n K i r c h e n in A m e r i k a h a b e n d i e s e s M o d e l l ü b e r n o m m e n . O b w o h l M ü h l e n b e r g e i n s e h r f r e u n d s c h a f t l i c h e s V e r h ä l t n i s zu a n d e r e n p r o t e s t a n t i s c h e n P a s t o r e n h a t t e — v o r a l l e m zu j e n e n d e r —»Kirche v o n E n g l a n d - , w a r e r e i n o r t h o d o x e r L u t h e r a n e r , dessen geistliches Leben v o m Halleschen Pietismus geprägt w a r . E r a c h t e t e d a r a u f , d a ß d a s L u t h e r t u m s e i n e k o n f e s s i o n e l l e I d e n t i t ä t b e w a h r t e u n d sich nicht mit d e m allgemeinen a m e r i k a n i s c h e n P r o t e s t a n t i s m u s vermengte. Auf dieses Ziel w a r e n s e i n e B e m ü h u n g e n g e r i c h t e t , d i e l u t h e r i s c h e K i r c h e in d e r N e u e n W e l t h e i m i s c h w e r d e n zu l a s s e n . D a s a m e r i k a n i s c h e L u t h e r t u m ist sein l e b e n d e s M o n u m e n t . Quellen Mühlenberg schrieb 1782 eine Selbstbiographie, die die Gesch. seines Lebens bis zur A n k u n f t in Amerika 1742 erzählt: Heinrich Melchior M ü h l e n b e r g , Patriarch der Luth. Kirche N o r d a m e r i k a ' s [ = Selbstbiographie], hg. v. W. G e r m a n n , A l l e n t o w n / P A / H a l l e 1881. - Eine engl. Übers, (das dt. Original existiert nur als Manuskript) seiner Tagebücher von 1742 bis 1787: T h e Journals of Henry Melchior Mühlenberg, übers, v. T h e o d o r e G. T a p p e r t / J o h n W. Doberstein, 3 Bde., Philadelphia 1942-1958 Philadelphia-Evansville/IN 2 1982 (Quellenangaben Bd. 1, vii-xxiv). - Eine Z u s a m m e n fassung der Tagebücher: N o t e b o o k of a Colonial Clergyman, Philadelphia 1959. - Mühlenbergs Briefe werden z . Z t . veröffentlicht: Die Korrespondenz Heinrich Melchior Mühlenbergs. Aus der Anfangszeit des dt. Luthertums in N o r d a m e r i k a , hg. v. Kurt Aland, bisher 4 Bde., B e r l i n / N e w York 1986-1993 (Quellenangaben Bd. 1, xi-xx). Vgl. zu dieser großen Ed. im R a h m e n der T G P (Abt. III: August H e r m a n n Francke. Handschriftlicher Nachlaß) die ausführliche Rez. von Erich Beyreuther: Z K G 104 (1993) 2 3 5 - 2 5 5 . - M ü h l e n b e r g sandte detaillierte Berichte über seine Tätigkeit in Amerika nach Halle, w o sie veröffentlicht wurden: Nachrichten von den vereinigten Dt. Ev.-Luth. Gemeinden in N o r d - A m e r i k a , absonderlich in Pennsylvanien ( = Hallesche Nachrichten), hg. v. J o h a n n Ludwig Schulze, 2 Bde., Halle 1750-1787; 2. Ausg. v. W. J. M a n n / B . M . Schmucker/W. Germ a n n , Bd. 1 A l l e n t o w n / P A / H a l l e 1866, Bd. 2 Philadelphia 1895; engl. Übers, v. J o n a t h a n O s w a l d , 2 Bde., Philadelphia 1880-1881; engl. Übers, v. C.W. 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Mühlenberg
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Max
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James L. Schaaf Müller, Friedrich
Max
(1823-1900)
(Literatur S . 3 9 4 )
Friedrich M a x Müller wurde als Sohn des klassischen Philologen Wilhelm Müller am 6. Dezember 1823 in Dessau geboren. Er trat als Sprachwissenschaftler und Indologe ebenso wie als Religions- und Mythenforscher hervor und wurde zu einem der Begründer der modernen, philologisch fundierten Vergleichenden Religionswissenschaft („Comparative Religion", „Science of Religion"). Seine Übersetzungen indischer, vor allem althinduistischer und buddhistischer Texte sowohl des Kleinen Fahrzeugs (Hmayäna) wie auch des Großen Fahrzeugs (Mahäyäna) gewannen bahnbrechende Bedeutung. Ein Grund für die Zuwendung F. M . Müllers zu den klassischen Werken des alten Indien lag darin, daß er, von der Romantik inspiriert, zu den ältesten schriftlichen Zeugnissen der Menschheit vorzustoßen suchte, weil er meinte, daß diese der reinen Urreligion der Menschheit am nächsten kämen. So war seine philologische Arbeit z.T. zugleich eine Suche nach den Ursprüngen der Religion. Allerdings beschäftigte er sich nicht nur mit den religiösen Zeugnissen des alten Indien, sondern auch mit seiner Erzählkunst und Dichtung, Philosophie und Geschichte. Müller studierte zunächst Philosophie, Sprachwissenschaft und Indologie an der Universität Leipzig, wo er 1843 promoviert wurde. Weitere Stadien seines Lebens- und Studienweges waren Berlin (1844), Paris ( 1 8 4 5 - 4 6 ) und London ( 1 8 4 6 - 4 7 ) . In London widmete er sich der Übersetzung des ältesten indischen Literaturwerkes, des Rigveda (Rgveda). Es ist dies ein komplexes, in einer alten Sprachform des Sanskrit verfaßtes Werk, das Anrufungen, Gebete, Mythen und epische Stoffe nebst später erst eingefügten Belehrungen usw. enthält. Das Werk spiegelt zwar die bunte polytheistische Welt des alten Indien (ca. 1 4 . J h . - 4 . Jh. v.Chr.), läßt aber in keiner Weise jenen reinen Monotheismus erkennen, auf dessen Suche F. M . Müller war. Trotz dieser Einsicht führte F. M . Müller nach seiner Übersiedlung nach Oxford 1848 die Arbeit am Rigveda fort. Seine Edition und Übersetzung des altindischen Textes erschien in Oxford 1849—75 (Rig Veda Samhita, 6 vols.). Zu den Übersetzungen nichtreligiöser Werke Indiens durch F. M. Müller gehören die Übersetzungen der Fabelsammlung Hitopadesa (dt. Übersetzung 1844; engl. Übersetzung 1866) und des Gedichtes Der Wolkenbote (Meghadhüta) des indischen Dichters Kälidäsa (dt. Übersetzung 1847). Erst nach seiner Übersiedlung nach Oxford 1848, wohin Müller von London berufen wurde, beendete er seine Bearbeitung des Rigveda. Zwanzig Jahre lang (ab 1854) lehrte er in Oxford europäische Sprachen und Literaturen. Seine Hoffnung, 1860 auf den Lehrstuhl für Sanskrit ( B o d e n professorship) an dieser Universität berufen zu werden, erfüllten sich allerdings nicht. Erst 1868 erhielt er eine Professur für Vergleichende Philologie in Oxford. Er arbeitete nun auf breiter, vergleichender Basis, wobei er sich über sprachwissenschaftliche Probleme hinaus auch solchen der indischen Philosophie- und Religionsgeschichte und der Vergleichenden Religionswissenschaft widmete. Am 20. Oktober 1900 starb F. M a x Müller nach langer Krankheit. In Indien genießt er heute vor allem wegen seiner bahnbrechenden Übersetzungen großes Ansehen. Zu den altindischen Werken, die Müller einem breiteren Publikum in englischer Übertragung zugänglich machte, gehören neben dem Rigveda und den genannten Werken Hitopadesa und Meghadüta auch die ältesten Zeugnisse der indischen Mystik, die Upanishaden (1879-84).
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Müller,
Julius
F e r n e r h a t er b e d e u t e n d e b u d d h i s t i s c h e W e r k e s o w o h l a u s d e m Pali wie a u s d e m S a n s k r i t ü b e r s e t z t , so die a l t b u d d h i s t i s c h e S p r u c h s a m m l u n g Dhammapada (1870) wie a u c h W e r k e d e r M a h ä y ä n a - L i t e r a t u r ( L o t u s - S ü t r a , Sütras über das Paradies des Buddha Amitäbha, usw.). Diese W e r k e f a n d e n ihren Platz in d e r m o n u m e n t a l e n , v o n i h m hera u s g e g e b e n e n Ü b e r s e t z u n g s s e r i e Sacred Books of the East ( O x f o r d 1 8 7 9 - 1 8 9 4 ; repr. Delhi 1965 u n d 1968; 50 Bde. m i t I n d e x b a n d v o n M . W i n t e r n i t z 1910). Die eher a n a l y s i e r e n d e n W e r k e M ü l l e r s sind e b e n f a l l s g r ö ß t e n t e i l s d e r S p r a c h w i s s e n s c h a f t , d e r R e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t o d e r d e r indischen Religionsgeschichte g e w i d m e t . Im Z e n t r u m d e r r e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h e n Arbeit M ü l l e r s steht seine B e m ü h u n g u m U r s p r u n g u n d E n t w i c k l u n g d e r Religion als allgemeines M e n s c h h e i t s p h ä n o m e n . In diesem Z u s a m m e n h a n g sind f o l g e n d e W e r k e zu n e n n e n : Lectures on the Origin and Growth of Religion, as lllustrated by the Keligions of lndia (1878); India, What Can It Teach Us? (1883); Science ofThought (1887); Natural Religion (1889); Physical Religion (1891); Anthropological Religion (1892); Theosophy or Psychological Religion (1893); Ramakrishna. His Life and Sayings (1898); The Six Systems of Indian Philosophy (1899). D i e r e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h e n Ü b e r l e g u n g e n M ü l l e r s spiegeln sich v o r allem in sein e n Chips from a German Workshop (4 vols., 1 8 6 7 - 1 8 7 5 ) u n d seiner Introduction to the Science of Religion (1873). Die Fülle d e r w i s s e n s c h a f t l i c h e n Studien u n d Veröffentl i c h u n g e n des g r o ß e n R e l i g i o n s f o r s c h e r s g e h t nicht zuletzt a u s seinen a u t o b i o g r a p h i s c h e n W e r k e n h e r v o r , Auld Lang Syne (2 vols., 1898/99; dt. Ü b e r s e t z u n g Alte Zeiten, alte Freunde, 1901) u n d p o s t u m Autobiography and Last Essays (2 vols., 1901). Literatur T h o m a s Achelis, M a x Müller u. die Vergleichende Religionswiss., H a m b u r g 1893. - Paul Berk e n k o p f , Die Voraussetzungen der Religionsphil. Friedrich M a x Müllers, Langensalza 1914. - Nirad C. C h a u d h u r i , Scholar Extraordinary. T h e Life of Professor the Rt. H o n . Friedrich M a x Müller, P.C. L o n d o n 1974. — Josph M . K i t a g a w a / J o h n S. Strong, Friedrich M a x Müller and the C o m p a rative Study of Religion: S m a r t / N i n i a n [a.o.] (Hg.), Nineteenth Century Religious T h o u g h t in the West, Cambridge, III 1985, 179- 213. - Georgina Müller (Hg.): T h e Life and Letters of the Rt. H o n . Friedrich M a x Müller, 2 vols., London 1902. - Johannes H. Voigt, M a x Müller. T h e M a n and His Ideas, Calcutta 1967.
H a n s - J o a c h i m Klimkeit Müller, Julius 1. Leben
1.
(1801-1878) 2. Werk
3. W i r k u n g
(Werke S. 398 / Literatur S. 399)
Leben
J u l i u s M ü l l e r w u r d e a m 10. April 1801 in Brieg (Schlesien) als S o h n des d a m a l i g e n F e l d p r e d i g e r s u n d s p ä t e r e n S u p e r i n t e n d e n t e n D r . Karl Daniel M ü l l e r g e b o r e n . 1819 beg a n n M ü l l e r auf W u n s c h seiner Eltern ein J u r a s t u d i u m in - » B r e s l a u , d a s er im H e r b s t 1820 an d e r Universität —>Göttingen fortsetzte, w o sein älterer B r u d e r Karl O t f r i e d M ü l l e r ( 1 7 9 7 - 1 8 4 0 ) klassische Philologie u n d A r c h ä o l o g i e lehrte. I m J a h r e 1821, in d e m M ü l l e r mit einer juristischen A r b e i t ü b e r d e n W u c h e r ( R a t i o et historia odii) einen a k a d e m i s c h e n Preis g e w a n n , e n t d e c k t e er seine innere B e s t i m m u n g z u m T h e o l o g i e s t u d i u m . M ü l l e r s E r w e c k u n g s e r l e b n i s scheint o h n e b e s o n d e r e ä u ß e r e V o r k o m m n i s s e zus t a n d e g e k o m m e n zu sein. Erste A n s t ö ß e zu dieser W e n d e d ü r f t e n a b e r in die G y m n a sialzeit z u r ü c k r e i c h e n , in der es zu B e r ü h r u n g e n mit d e r schlesischen - > E r w e c k u n g s bewegung gekommen war. „Ich war schon lange in meinem G e m ü t h von innerer Unruhe geängstet; wo ich ging und stand, hatte ich vergebens nach einem G u t gesucht, das fest und bleibend, über den Eitelkeiten e r h a b e n wäre, von denen ich mich umgeben sah . . . Diese Angst, diese Sehnsucht verzehrte mich bereits seit meinem 16. Lebensjahre . . . bis ich nach Göttingen k a m und hier zum ersten Mal von der göttlichen Kraft des Evangeliums im innersten G e m ü t h ergriffen, den seligen Frieden fand, den Christus allem geben k a n n " (Selbstzeugnis, zit. bei Schultze, Mittheilungen 7f).
Müller,
Julius
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Während des Theologiestudiums (1822/23 in Breslau, 1823/24 in -»Berlin) beeinflußten den Bildungsgang Müllers verschiedene Vertreter der Erweckungsbewegung, so Johann Gottfried Scheibel ( 1 7 8 3 - 1 8 4 3 ) , Henrik Steffens ( 1 7 7 3 - 1 8 4 5 ) , A. -»Neander und besonders F . A . G . -»Tholuck. Kontakte zu dem Berliner Kreis um den Baron E. v. —»Kottwitz bestärkten Müller in der Überzeugung, „daß der Eintritt ins praktische Amt zunächst der gewiesene Weg Gottes für ihn sei" (Schultze a . a . O . 16).
Von 1825 bis 1831 amtierte Müller als Pfarrer in Schönbrunn (Schlesien). Vorstudien zu einer geplanten „Geschichte des Pietismus" brach er 1826 ab, um literarisch gegen den rationalistischen katholischen Kirchenrechtslehrer Johann Anton Theiner (1799-1860) auftreten zu können. Müller verfolgte mit seiner viel beachteten Streitschrift gegen Theiner das Ziel, die Auseinandersetzung zwischen Protestanten und Katholiken auf die grundsätzlichen, bekenntnisbestimmten Lehrunterschiede zu konzentrieren und sie nicht in oberflächlicher Polemik auszutragen. Als in -»Schlesien die Unionsagende eingeführt werden sollte ( T R E 2 , 5 5 - 6 0 ; 10,678,42ff), lehnte Müller deren Annahme ab, nicht weil er der Union grundsätzlich kritisch gegenüberstand, sondern weil er durch das eigenmächtige Vorgehen des Königs die Freiheit der Kirche gefährdet sah. Die sich abzeichnenden Schwierigkeiten mit dem Konsistorium veranlaßten Müller, das Pfarramt aufzugeben. Im Sommer 1831 wechselte er nach Göttingen über und wurde dort Universitätsprediger. In seiner Göttinger Zeit (1831-1835) habilitierte sich Müller mit einer Schrift über Luthers Lehre von der Prädestination und vom freien Willen (1831). 1834 wurde er zum ao. Professor ernannt. Rezensionen in den Theologischen Studien und Kritiken sowie ein Predigtband (1834) machten ihn über Göttingen hinaus bekannt. So kam es 1835 zu einem Ruf nach —»Marburg auf den ordentlichen Lehrstuhl für Dogmatik. In Marburg entstand Müllers Hauptwerk, von dem zunächst nur ein erster Band erschien (Vom Wesen und Grunde der Sünde, 1839), der durch einen Nebentitel allerdings bereits als Teil einer umfassenden „Lehre von der Sünde" angekündigt wurde (ab 2 1844: Die christliche Lehre von der Sünde, 2Bde.). Dies Werk und eine Rezension des Leben Jesu von D.F. -»Strauß, die den Mythos-Begriff scharfsinnig analysierte (1836), befestigten den frühen Ruhm Müllers so sehr, daß sich Dorpat, Greifswald, Rostock, Heidelberg und Kiel um eine Berufung bemühten. Doch erst der von Tholuck ebenso nachdrücklich wie geschickt beim Berliner Minister durchgesetzte Ruf nach Halle (gegen die Kandidatur F. Chr. -»Baurs; vgl. T R E 5 , 3 5 6 , 2 0 - 2 2 ) veranlaßte Müller, seine erfolgreiche Lehrtätigkeit in Marburg aufzugeben und die Nachfolge des nach Heidelberg zurückberufenen Vermittlungstheologen Carl Ulimann ( T R E 14,578,44-48) anzutreten. In dem beinahe 40jährigen Zeitraum der Lehrtätigkeit in —»Halle (1839-1878) entwickelte sich Müller zu einem der führenden Theologen der Kirche der Union (—»Unionen, Kirchliche). Als Mitglied der Berliner Generalsynode von 1846 arbeitete er eng mit I.A. -»Dorner und C.I. -»Nitzsch zusammen. Als einer der „Führer der Reformpartei" (Neuser 350) entwarf er die theologische Begründung einer Lehrunion zwischen Lutheranern und Reformierten, die nach langwierigen Verhandlungen von der Synode angenommen wurde. Als später sichtbar wurde, daß König Friedrich Wilhelm IV. nicht bereit war, die Synodalbeschlüsse zu bestätigen und in Kraft zu setzen, entfaltete Müller eine bis in die mittleren 50er Jahre reichende rege literarische Tätigkeit für das „göttliche Recht" einer evangelischen Union. Polemische Angriffe, etwa von E.W. -» Hengstenberg, wies er mit Schärfe und Entschiedenheit zurück (Die erste Generalsynode 214-227). Als nach 1848 der deutsche -»Protestantismus begann, sich in kirchlichen Parteien zu formieren (—»Politik und Kirche), begründete Müller zusammen mit A. Neander und C. I. Nitzsch die Deutsche Zeitschrift für christliche Wissenschaft und christliches Leben ( 1 8 5 0 - 1 8 5 7 ; NF 1 8 5 8 - 1 8 6 1 ) . Unter ausdrücklichem Hinweis auf „ein sehr verschiedenes Verhältniß" der Herausgeber zu -»Schleiermacher bestimmten diese die progressiv-konservative Tendenz ihres Programms mit den Worten: „Wir erkennen nur diejenige Richtung als die wahrhaft erhaltende an, welche zugleich eine nach ihrem eigenthümlichen Gesetz frei fortschreitende ist. Wir sind überzeugt, daß es die Aufgabe der Zeit nicht ist, eine alte Form des evangelischen Kirchenwesens, eine alte Gestalt der Theologie wiederherzustellen . . . , sondern dahin zu wirken, daß von dem unwandelbaren Einen Grunde aus
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Müller, Julius
durch die M a c h t des in ewiger Frische sich verjüngenden göttlichen Wortes etwas Neues für die Z u k u n f t sich g e s t a l t e " ( P r o g r a m m : D Z C W 1 [1850] 2; weder die D Z C W noch M ü l l e r selbst k ö n n e n undifferenziert der -»Vermittlungstheologie zugerechnet werden; so schon Barth und neuerdings mit überzeugender Begründung G r a f , T h e o n o m i e 88 f).
Müller war Teilnehmer der -»Kirchentage von 1848 bis 1854. In Wittenberg (1848) eröffnete er die Debatte mit einem Votum für die Freiheit der Kirche, die sich notfalls von einem parlamentarisch-konstitutionellen, „atheistischen" Staat lösen müsse (ähnlich in Abgrenzung von R. -»Rothe: D Z C W 1 [1850] 116). In Frankfurt (1854) hielt Müller ein Grundsatzreferat über die „Wiedertrauung geschiedener Personen", das zu einer Verschärfung der preußischen kirchlichen Gesetzgebung beitrug (Monbijou-Konferenz 1856; zur gleichen Thematik hatte sich Müller bereits 1827 in der EKZ geäußert). Im Jahre 1841 lehnte Müller einen Ruf nach -»Tübingen ab und wurde daraufhin von Kultusminister Eichhorn zum Konsistorialrat ernannt. In dieser Funktion erstattete er für das Ministerium mehrere Gutachten zu Hochschulfragen; zu einer weitergehenden Beteiligung an der Konsistorialverwaltung war er nicht bereit. Am l . M ä r z 1856 erlitt Müller einen Schlaganfall, von dessen Folgen (Sprechstörungen) er sich nie wieder völlig erholen konnte. Zwar nahm er 1857 seine Lehrtätigkeit wieder auf, doch neue literarische Arbeiten konnte er nicht beginnen. Müller, der zweimal Witwer geworden war (1839 und 1844), lebte noch zweiundzwanzig Jahre - „ein langer Kreuzesweg" (Kahler, Geschichte 133) - und starb am 27. September 1878 in Halle. Testamentarisch hatte er verfügt, es dürfe nach seinem Tode nichts aus dem Nachlaß gedruckt werden; daran haben sich seine neun Kinder und seine Schüler (zu ihnen vgl. Graf, Theonomie 96 A.68) gehalten. 2. Werk Müller ist nach dem Urteil M. —»Kählers „kein großer Systematiker" gewesen. Nicht auf das zum System drängende „Formalprinzip" der —»Dogmatik habe Müller Gewicht gelegt, sondern auf das „Realprinzip", nämlich „die Grundanschauung, die alles Denken bestimme" (Kähler, Geschichte 134f). Dieses Urteil des Schülers ist durch die neuere Forschung bestätigt und vertieft worden (vgl. Nitschke, Ringleben, Wenz, Graf). Das Hauptwerk Müllers, Die christliche Lehre von der Sünde, entfaltet im Rahmen eines imponierend umfassenden theologie- und philosophiegeschichtlichen Diskurses die eine „Grundanschauung", daß nach biblischer und reformatorischer Lehre der personale Schuldcharakter der -» Sünde, ihre Unableitbarkeit und „Rätselhaftigkeit" (Barth 541), von der Theologie unbedingt ernst genommen werden müsse. Gegen alle Versuche, die Existenz des —»Bösen in der Welt spekulativ betrachtend, philosophisch verstehend oder theologisch systematisierend „erklären" zu wollen, erhob Müller Einspruch: „ D a s Böse ist der harte Fels, an dem dieser G l a u b e scheitert, so gewiß N i e m a n d der Sünde in ihm mächtig wird durch die b l o ß e Betrachtung. Denn dies wäre nur dadurch möglich, d a ß er sie als nothwendiges M o m e n t der Weltidee verstehen lernte, w o m i t das B ö s e aber nicht e r k a n n t wird, um es zu überwinden, womit es vielmehr nur geleugnet wird, um desto gewisser seiner M a c h t zu verfallen" (Lehre v . d . Sünde [ 4 1 8 5 8 ] 2 , 5 9 3 ) .
Der erste Band der „Lehre von der Sünde" enthält eine „Prüfung der vornehmsten Theorien zur Erklärung der Sünde" (1,364-563), die vor allem in der Analyse der idealistischen Systementwürfe (—»Idealismus) und der -»Spekulativen Theologie bleibende Bedeutung hat (vgl. T R E 13,119,14—21). Müller entwickelt hier implizit eine ethische Kategorienlehre, die gegen die gemeinidealistische Voraussetzung, daß Autonomie das Wesen der Sittlichkeit sei, die These setzt, eine theologische Materialethik bedürfe der theonomen, biblisch-theologischen Begründung (vgl. Graf, Theonomie 8 4 - 9 8 ) . Aus diesem Ansatz kann die schon von Zeitgenossen bemerkte Sonderstellung Müllers in der Theologiegeschichte des 19. Jh. erklärt werden: Sein politischer Konservatismus, der doch zugleich zur Zukunft hin ganz offen sein wollte (vgl. das Programm der DZCW); seine Kritik am Kulturoptimismus vieler Zeitgenossen, die doch zugleich
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Julius
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mit einem energischen Willen zur Kulturgestaltung gepaart war (vgl. die Predigten von 1846), und seine in die politische Sphäre hineinreichende Ablehnung des liberalen Freiheitsverständnisses, das in der Zeit des Vormärz weite Bereiche der theologischen und kirchenpolitischen Diskussion beherrschte (vgl. die Auseinandersetzung Müllers mit den Schülern Hegels, insbes. mit D.F. Strauß, L. -*Feuerbach und [in den späteren Auflagen der „Lehre von der Sünde"] mit W. ->Vatke). In allen diesen Bereichen argumentierte Müller von seiner der Erweckungsbewegung entstammenden „Grundanschauung" aus, daß nur durch eine personale Beziehung zu Jesus Christus, dem Versöhner, jene innere Freiheit erworben werden könne, die sich in liebendem Gehorsam an Gottes Willen binde und damit den Glauben zur sittlichen Tat mache. Als Unionstheologe hat Müller seit der Mitte der 40er Jahre eine auf gründlichen historischen Studien aufbauende These vertreten: Eine Union zwischen Lutheranern und Reformierten bedeute nicht die Aufhebung der Lehrgegensätze in einer höheren Einheit, auch nicht die vermittelnde Ausgleichung derselben. Müller wollte weder dazu beitragen, daß mit der Union eine dritte Konfession gestiftet werde, noch dachte er je daran, daß die eine innerprotestantische Konfession in die andere überzugehen habe und dabei ihr besonderes theologisches Profil preisgeben müsse. Die Unionstheologie habe keine derartige Konstruktionsaufgabe zu lösen, sondern eine Entdeckung zu machen und konkret zu belegen. „Die wahre Union ist am wenigsten etwas, was sich willkürlich machen, durch künstliche Mittel hervorbringen läßt. Von ihr kann vielmehr gesagt werden, daß sie wesentlich sich selbst voraussetzt. Man unirt sich eigentlich nur, weil man schon unirt ist" (Union 21). Auf der Berliner Generalsynode von 1846 hat Müller in einem umfangreichen G u t a c h t e n erstmals den Versuch g e m a c h t , jenen längst bestehenden innerprotestantischen Lehrkonsens auszuformulieren (Verhandlungen der Generalsynode 1 1 , 8 8 - 1 0 2 ) . Ausgangspunkte sind „das materiale Princip von der Rechtfertigung durch den G l a u b e n an Christum den Versöhner in seinem Gegensatz gegen die W e r k h e i l i g k e i t " sowie das als fundamentum fidei bezeichnete Christusbekenntnis nach I Kor 3,11 ( a . a . O . 11,94). Von diesem „gemeinschaftlichen evangelischen Kern der lutherischen und reformierten B e k e n n t n i s s e " ausgehend skizzierte M ü l l e r dann den die Kirche der Union theologisch begründenden Lehrkonsens. Ausdrücklich fügte er hinzu, daß innerprotestantische Sonderlehren im R a h m e n einer evangelischen Katholizität unangetastet bleiben dürften ( a . a . O . 11,98). Unter der veränderten innerkirchlichen Situation in der preußischen Landeskirche in den 50er J a h r e n (vgl. T R E 1 0 , 6 7 9 , 1 - 4 ) hat M ü l l e r den „ K o n s e n s u s " in 2 6 Artikeln weiter entfaltet und mit ausführlichen historisch-theologischen Anmerkungen versehen (Union 170—205; 2 0 5 — 258). In einer auf Veranlassung des Frankfurter Kirchentags (1854) herausgegebenen Sonderausgabe dieses Textes betonte M ü l l e r erneut, „ d a ß der Lehrkonsensus zwischen den beiden evangelischen Kirchen . . . nicht b l o ß in den treibenden Principien, sondern in allen Hauptbegriffen der Lehre dieselbe A b s t a m m u n g " darlege (Konsensus 1).
Müllers Dogmatische Abhandlungen (1870) enthalten sieben ältere Aufsätze, allerdings (worauf in der Sekundärliteratur bislang nicht zureichend geachtet worden ist) „in grossentheils veränderter, ja auch gänzlich umgearbeiteter Gestalt" (Abhandlungen V). Thematisch reichen diese Arbeiten von einer weit ausholenden ekklesiologischen Studie über Die unsichtbare Kirche ( 2 7 8 - 4 0 3 ; inhaltlich eine Verhältnisbestimmung der „Kirche Jesu Christi" zur Volkskirche), über Beiträge zur Sakramentenlehre bis hin zu der tiefsinnigen trinitätstheologischen Untersuchung der Frage: Ob der Sohn Gottes Mensch geworden sein würde, wenn das menschliche Geschlecht ohne Sünde geblieben wäre (66-126). Müller äußerte sich auch zu aktuellen Fragen; so schrieb er ein temperamentvolles Plädoyer für die Beibehaltung einer „christlichen Ordnung des Eides" (gegen die von der Paulskirchenversammlung vorgeschlagene Streichung des Zusatzes „durch Jesum Christum" zu „so wahr mir Gott helfe": D Z C W 1 [1850] 6 0 - 6 5 ) . 3.
Wirkung
Der krankheitsbedingte verhältnismäßig frühe Abbruch der literarischen Tätigkeit Müllers hatte zur Folge, daß er sich nicht mehr gestaltend an den theologischen Debatten
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nach 1 8 6 0 beteiligen k o n n t e . So blieb es M ü l l e r versagt, seine sorgfältig d u r c h d a c h t e antispekulative S o t e r i o l o g i e e t w a in Beziehung auf A. —» R i t s c h i s neuen theologischen A n s a t z weiter zu entfalten. M i t R . - » R o t h e k o n n t e er jedoch n o c h in den späteren Auflagen der „ L e h r e von der S ü n d e " ein ausführliches kritisches G e s p r ä c h führen. M ü l l e r hinterließ bei der S t u d e n t e n s c h a f t einen durch seine persönliche F r ö m m i g k e i t und seinen G l a u b e n s e r n s t b e s t i m m t e n tiefen E i n d r u c k . D e n von H a l l e ausgehenden „ b i b e l t h e o l o g i s c h e n " Studien (vgl. T R E 1 7 , 5 1 1 , 4 3 - 5 0 ) hat M ü l l e r - vor allem über M . K ä h l e r - wichtige Impulse gegeben. Wegen seiner ebenso selbständigen wie tiefgründigen theologischen D e n k a r b e i t ist M ü l l e r bis in die G e g e n w a r t hinein immer wieder von systematischen T h e o l o g e n als vielfach anregender G e s p r ä c h s p a r t n e r für das eigene N a c h d e n k e n neu e n t d e c k t w o r d e n . Werke Nachlaß: Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (Abteilung Sondersammlungen) verwahrt mehrere Vorlesungsnachschriften und Briefe Julius Müllers (Sign. Yc 8° 17. 26. 41; 4° 63). Weitere Briefe und Vorlesungsnachschriften befinden sich im „Nachlaß Tholuck" bei der Kirchlichen Hochschule Naumburg. Bei der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg werden die Handschriften einer Dogmatik- und einer Ethik-Vorlesung (1859/1860) verwahrt. Splitternachlässe befinden sich in der UB Marburg; ferner im Nachlaß Victor Aimé Huber, Rauhes Haus (Hamburg). Teile von Müllers Dogmatik-Vorlesung wurden abgedruckt bei H. Nitschke (s.u.). Ratio et historia odii quo foenus habitum est. Commentatio, Göttingen 1821. - Zur Beurtheilung der Schrift: Die kath. Kirche Schlesiens. Von einem ev. Geistlichen, Breslau 1826 2 1827. — Gespräch des Scholastikers mit seinem Freunde. Zur Abwehr der Angriffe des Herrn Professor Dr. Middeld o r f u. eines ev. Laien, Breslau 1827. — Christus u. unser Zeitalter in Beziehung auf die Ehebündnisse zw. Geschiedenen: EKZ 4 (1829) 1 6 9 - 1 7 3 . 1 7 7 - 1 8 3 . 1 8 5 - 1 9 1 . 193 - 200. - C. F. Göschel's neuere Schriften. (In Beziehung auf das Verhältniß der hegel'schen Philosophie zum christlichen Glauben): ThStKr 6 (1833) 1069-1122. - Das christl. Leben, seine Entwickelung, seine Kämpfe u. seine Vollendung, darg. in einer Reihe Predigten, gehalten in der Universitätskirche zu Göttingen, Breslau 1834 2 1838. - Nitzsch's Predigten aus der Amtsführung der letztvergangenen Jahre und Tholuck's Sammlung v. Predigten: ThStKr 8 (1835) 2 2 7 - 246. - Weiße's, Göschel's u. Fichte's Abhandlungen u. Recensionen, die Lehre v. der Unsterblichkeit betreffend: ThStKr 8 (1835) 7 0 3 - 7 9 4 . — Rez. Das Leben Jesu, krit. bearbeitet v. David Friedrich Strauß, Tübingen 1835/36: ThStKr 9 (1836) 8 1 6 - 8 9 0 . - Bemerkungen zum dritten Hefte der Streitschr. über das Leben Jesu v. Dr. D.Fr. Strauß: ThStKr 11 (1838) 3 7 0 - 3 8 3 . - Disputatio de miraculorum Jesu Christi natura et necessitate. Particula I, Marburg 1839; Particula II, Halle 1841. - Vom Wesen u. Grunde der Sünde. Eine theol. Unters. Die christl. Lehre v. der Sünde I, Breslau 1839. - Rez. Das Wesen des Christenthums v. L. Feuerbach, Leipzig 1841: ThStKr 15 (1842) 1 7 1 - 2 6 9 . - Beitr. zur Orientirung über das gegenwärtige Verhältniß zw. Theol. u. Phil.: L A C T W 12 (1842) 1 - 2 4 . 3 0 - 3 2 . 3 7 - 4 0 . - Das Verhältniß der dogm. Theol. zu den antirel. Richtungen der gegenwärtigen Zeit. Eine dogm. Vorlesung, Breslau 1843. - Die christl. Lehre v. der Sünde, 2Bde., Breslau 2 1844 3 1849 "1858 5 1867 '1889 ( = NA). - Die nächsten Aufgaben für die Fortbildung der dt.-prot. Kirchenverfassung, Breslau 1845. - Zeugniß v. Christo u. v. dem Wege zu ihm f. die Suchenden. Predigten, Breslau 1846. - Die erste Generalsynode der ev. Landeskirche Preußens u. die kirchl. Bekenntnisse, Breslau 1847. - Eröffnungsrede bei der Diskussion: Die Verhandlungen der Wittenberger Versammlung für Gründung eines dt. ev. Kirchenbundes im September 1848. Nach Beschluß u. im Auftrag derselben veröffentlicht durch ihren Schriftführer Dr. Kling, Berlin 1848, 7 - 1 0 . - Die neue Eidesformel: DZCW 1 (1850) 6 0 - 6 5 . 367f. - Gedanken über das Verhältniß des Christenthums zur Poesie: DZCW 1 (1850) 1 3 4 - 1 3 9 . 1 4 8 - 1 5 0 . - Lutheri et Calvini sententiae de Sacra Coena inter se comparatae, Halle 1853. - Der Pelagianismus. Ein Vortrag... gehalten am 3. April 1854, Berlin 1854. - Die ev. Union, ihr Wesen u. göttliches Recht, Berlin 1854. - Der Konsensus luth. u. ref. Lehre in der ev. Kirche Deutschlands, Berlin 1854. - Unsterblichkeitsglaube u. Auferstehungshoffnung. Ein Vortrag, Halle 1855. — Über Ehescheidung und Wiederverehelichung geschiedener Gatten. Zwei Vorträge, Berlin 1855. - Das Verhältniß zw. der Wirksamkeit des heil. Geistes u. dem Gnadenmittel des göttlichen Wortes: ThStKr 29 (1856) 297 - 4 0 2 . 493 - 582. - Dogm. Abh., Bremen 1870. Julius Müllers Gutachten u. Rede-Beiträge während der Berliner Generalsynode v. 1846 finden sich: Verhandlungen der ev. General-Synode zu Berlin vom 2. Juni bis zum 29. August 1846. (Amtlicher Abdruck), Berlin 1846.
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Karl
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Literatur Karl Barth, Die prot. Theol. im 19. Jh., Z o l l i k o n / Z ü r i c h 1947, 5 3 5 - 5 4 3 . - Isaak August Dorner, Uber den theol. Begriff der Union u. sein Verhältniß zur Confession mit bes. Beziehung auf das Werk: Die ev. U n i o n . . . v. D. Jul. Müller: T h S t K r 29 (1856) 7 - 7 5 . 2 3 3 - 2 9 7 . - Ludwig Feuerbach, Beleuchtung einer theol. Recension vom „Wesen des C h r i s t e n t h u m s " : ders., SW VII, W. Bolin/F. Jodl 2 1 2 - 2 5 8 . - J.F. G e r h a r d Goeters/Rudolf M a u (Hg.), Die Gesch. der Ev. Kirche der Union. Ein H b . I Die Anfänge der Union unter landesherrlichem Kirchenregiment (1817-1850), Leipzig 1992. — Friedrich Wilhelm G r a f , T h e o n o m i e . Fallstud. zum Integrationsanspruch neuzeitlicher Theol., Gütersloh 1987, 8 2 - 1 2 7 (Lit.). - Ders., Prot. T h e o l . in der Gesellschaft des Kaiserreichs: ders. (Hg.), Profile des neuzeitlichen Protestantismus, Gütersloh, II/l 1992,12—117 (Lit.). — Emanuel Hirsch, Gesch. der neuern prot. Theol., Gütersloh, V 5 1975, 3 9 2 - 3 9 5 . - David H u p f e l d , Art. Müller, Julius: RE 2 10 (1882) 3 4 3 - 3 5 6 (materialreicher als die gekürzte Fassung: RE 3 13 [1903] 5 2 9 - 5 3 4 ) . - M a r t i n Kahler, D. Julius Müller, der Hallische Dogmatiker. Gest. 27. Sept. 1878, Halle/Saale 1878. - Ders., Gesch. der prot. Dogmatik im 19. Jh., 1962 (TB 16) 1 2 9 - 1 3 9 . - Rudolf Kögel, Art. Julius Müller: ADB 22 (1885) 6 3 8 - 6 4 1 . - Gustav Krüger, Berichte über die erste ev. Generalsynode Preußens im J a h r e 1846. M i t einem Anhange der wichtigsten Actenstücke, Leipzig 1846. - Joachim M e h l h a u s e n , Das Recht der Gemeinde. C. I. Nitzschs Beitr. zur R e f o r m der ev. Kirchenverfassung im 19. Jh.: Z K G 100 (1989) 3 3 - 5 7 . - Ders., Rationalismus u. Vermittlungstheol. Unionstheol. u. Hegelianismus an den preußischen Fakultäten: J . F . G . Goeters/R. M a u (Hg.), Geschichte I, 1 7 5 - 2 1 0 (Lit.). - Wilhelm H . Neuser, Landeskirchliche R e f o r m - , Bekenntnis- u. Verfassungsfragen. Die Provinzialsynoden u. die Berliner Generalsynode v. 1846: J . F . G . Goeters/R. M a u (Hg.), Geschichte I (s.o.), 3 4 2 - 3 6 6 . - H o r s t Nitschke, Die Beurteilung des natürlichen M e n schen in der Theol. Julius Müllers, Diss. theol. Halle/Wittenberg 1951 (Masch.). - Joachim Ringleben, Hegels Theorie der Sünde. Die subjektivitäts-logische Konstruktion eines theol. Begriffs, Berlin/New York 1977, 2 6 1 - 2 8 1 . - Leopold Schultze, D. Julius Müller. Mittheilungen aus seinem Leben, Bremen 1879. — Ders./Eduard R i e h m / R u d o l f Kögel, Z u m Gedächtnis an D. Julius Müller. Reden an seinem Sarge u. an seinem G r a b e , Bremen 1879. - Julius Leopold Schultze, D. Julius Müller als Ethiker u. die Glaubensfrage mit Bezug auf das Apostolicum. Eine ethische u. eine ethisch-dogm. Stud., Bremen 1895. - Carl Schwarz, Z u r Gesch. der neuesten Theol., Leipzig 3 1864, 363—366. - Wilhelm Vatke, Die menschliche Freiheit in ihrem Verhältniß zur Sünde u. zur göttl. G n a d e wiss. darg., Berlin 1841. — G u n t h e r Wenz, Vom Unwesen der Sünde. Subjektivitätstheoretische G r u n d p r o b l e m e neuzeitlicher H a r m a t i o l o g i e darg. unter bes. Berücksichtigung der Sündenlehre v. Julius Müller: KuD 30 (1984) 2 9 8 - 3 2 9 . Joachim
M ü l l e r , Karl 1. Leben 1.
Mehlhausen
(1852-1940) 2. Werk
3. Wertung
(Quellen/Literatur S. 402)
Leben
K a r l ( F e r d i n a n d F r i e d r i c h ) M ü l l e r w u r d e a m 3. S e p t e m b e r 1 8 5 2 in L a n g e n b u r g i m w ü r t t e m b e r g i s c h e n H o h e n l o h e geboren. D e r Vater, F e r d i n a n d G o t t l o b J a k o b M ü l l e r ( 1 8 1 6 - 1 8 9 7 ) , d a m a l s S t a d t p f a r r e r u n d D e k a n , s e i t 1868 F e l d p r o p s t u n d P r ä l a t in S t u t t gart, e n t s t a m m t e einer H a n d w e r k e r f a m i l i e ; die M u t t e r , M a r i e geb. Schelling ( 1 8 2 5 - 1 8 6 2 ) , w a r e i n e N i c h t e d e s P h i l o s o p h e n . K a r l M ü l l e r , d e r sich v o n f r ü h a n z u r Theologie hingezogen fühlte, absolvierte im Seminar von Urach (1866-1870) und mit d e m S t u d i u m in - » T ü b i n g e n ( 1 8 7 0 - 1 8 7 4 ) d e n ü b l i c h e n w ü r t t e m b e r g i s c h e n A u s b i l d u n g s g a n g . D i e P e r s ö n l i c h k e i t , f r e i l i c h n i c h t d i e E x e g e s e J . T . -> B e c k s b e r ü h r t e i h n s t a r k . Sein e i g e n t l i c h e r L e h r e r a b e r w a r d e r N a c h f o l g e r v o n F. C h r . - > B a u r , d e r K i r c h e n h i storiker Carl H e i n r i c h Weizsäcker ( 1 8 2 2 - 1 8 9 9 ) . A n die Vikariatszeit (1875/76) u n d die P r o m o t i o n z u m D r . p h i l . ( 8 . 8 . 1 8 7 6 ) s c h l o ß sich 1 8 7 6 / 7 7 e i n S t u d i e n a u f e n t h a l t in G ö t t i n g e n a n , d e r d e r w e i t e r e n A u s b i l d u n g bei W e i z s ä c k e r s B r u d e r , d e m H i s t o r i k e r J u l i u s Weizsäcker ( 1 8 2 8 - 1 8 8 9 ) diente. M ü l l e r lernte hier a b e r auch A. ->Ritschl k e n n e n u n d v e r d a n k t e dieser Begegnung „eine g r o ß e innere Befreiung aus d e m . . . D i l e m m a zwischen einer unkritischen, konfessionellen b z w . biblizistischen Theologie u n d einem histor i s c h - k r i t i s c h e n , z u m Teil a u c h s c h o n r e l i g i o n s g e s c h i c h t l i c h e n L i b e r a l i s m u s " ( R ü c k e r t 379). Ein R e i s e s t i p e n d i u m e r m ö g l i c h t e v o n A u g u s t bis N o v e m b e r 1877 ein H a n d s c h r i f -
400
Müller,
Karl
tenstudium an der N a t i o n a l b i b l i o t h e k in Paris. N a c h der P r o m o t i o n zum L i c . t h e o l . ( 1 4 . 5 . 1 8 7 8 ) w a r M ü l l e r als Stadtpfarrverweser in Friedrichshafen und als Stadtvikar in Ludwigsburg tätig. D i e folgenden M o n a t e ( 1 8 . 1 0 . 1 8 7 8 bis 2 0 . 1 . 1 8 8 0 ) als R e p e t e n t a m Evangelischen Stift in T ü b i n g e n bildeten den Ü b e r g a n g v o m Kirchendienst in den akademischen Beruf. Die Habilitation für Kirchengeschichte am 24.4.1880 wurde nicht an der Heimatuniversität, sondern in -»Berlin vollzogen (zu den Gründen vgl. Selbstdarstellung lOf). Viereinhalb Jahre wirkte Müller, der wegen Erkrankung des Lehrstuhlinhabers sogleich über das Gesamtgebiet seines Faches las, an der hauptstädtischen Fakultät, die damals starken Zulauf hatte (seit 14.12.1882 als beamteter ao. Prof.). Die Berufung auf ein Extraordinariat in -»Halle (1.9.1884) als Nachfolger des nach Königsberg wechselnden Paul Tschackert ermöglichte zugleich die Eheschließung mit Berta, geb. Weizsäcker (1864-1945), der Tochter seines Göttinger Lehrers (von den 5 Kindern hat nur eine Tochter die Eltern überlebt). Zum 1.10.1886 folgte Müller der Berufung zum o. Prof. in -•Gießen als Nachfolger A. -»Harnacks; die schon frühere Bekanntschaft mit Harnack wurde jetzt intensiviert, da dieser von Marburg aus den Verkehr mit seiner früheren Fakultät aufrechterhielt. Den Wechsel in eine ganz neue kirchliche und landschaftliche Tradition bedeutete der Ruf (4.3.1891) nach -»Breslau; doch hat sich Müller den schlesischen Einflüssen mit wachem Geist rasch erschlossen und hat zumal zur Brüdergemeine ein herzliches Verhältnis entwickelt. In Breslau hat er neben der Kirchen- und Dogmengeschichte regelmäßig auch über die Konfessionskunde sowie über Luther gelesen. D i e letzte Phase seiner Lehrtätigkeit w a r M ü l l e r in seiner württembergischen H e i m a t beschieden. N a c h dem frühen T o d e von Alfred Hegler ( 1 8 6 3 - 1 9 0 2 ) , dem N a c h f o l g e r C . H . Weizsäckers, h a t t e sich die T ü b i n g e r F a k u l t ä t einmütig für die Berufung M ü l l e r s ausgesprochen, die schon einen M o n a t später am 1 2 . 1 . 1 9 0 3 erfolgte. N e b e n A. - » S c h l a t ter wurde M ü l l e r zu einer herausragenden und geachteten Persönlichkeit der F a k u l t ä t . Selbst über den Z e i t p u n k t der Emeritierung hinaus ( 1 . 1 0 . 1 9 2 2 ) setzte er seine Vorlesungstätigkeit noch bis 1926 fort. D i e Arbeit an seinem H a u p t w e r k , der Kirchengeschichte (s.u. 2 . 2 . ) , und an anderen Publikationen begleitete ihn bis zuletzt. D i e letzte Lieferung der 3. Auflage von Bd. 1/1 der Kirchengeschichte w a r fast vollendet, als der T o d a m 10. F e b r u a r 1 9 4 0 seinem W i r k e n im 8 7 . L e b e n s j a h r ein Ende setzte. Von den zahlreichen E h r u n g e n seien die Verleihung des E h r e n d o k t o r s durch die B o n n e r Juristische F a k u l t ä t (1909), ferner die M i t g l i e d s c h a f t in den A k a d e m i e n der Wissenschaft in M ü n chen (1888), G ö t t i n g e n (1899) und Berlin (1917) e r w ä h n t . D e r lebhafte Einsatz für die Belange der w ü r t t e m b e r g i s c h e n K i r c h e n g e s c h i c h t e fand 1920 mit der Berufung zum Vorsitzenden des eben begründeten Vereins für w ü r t t e m b e r g i s c h e Kirchengeschichte seine Würdigung. 2.
Werk
Karl M ü l l e r hat zu den verschiedenen E p o c h e n der Kirchengeschichte kleinere und g r ö ß e r e Arbeiten verfaßt, die sich z. T. methodisch wie inhaltlich als b a h n b r e c h e n d erwiesen. Besonderen R u h m hat er sich durch seine Kirchengeschichte e r w o r b e n ; an ihr w a r er fast 5 0 J a h r e hindurch p l a n e n d , schreibend und verbessernd tätig. 2.1. Seinen Einstieg hat Müller im späteren Mittelalter genommen. Aus den Stoffen der Dissertation und der Habilitation ist das zweibändige Erstlingswerk Der Kampf Ludwigs des Baiern mit der römischen Curie. Ein Beitrag zur kirchlichen Geschichte des 14. Jahrhunderts (2 Bde., Tübingen 1879/80) erwachsen. Bereits hier hatte er es vornehmlich mit rechtsgeschichtlichem Material zu tun, und er lehrte anhand der kirchen- und staatspolitischen Streitpunkte des 14. Jh. das Spätmittelalter nicht als Epoche des Niedergangs und Verfalls, sondern der Vorbereitung und des Anbruchs einer neuen Zeit verstehen. Vom 14. Jh. aus stieß Müller rückwärtsgehend auf Die Anfänge des Minoritenordens und der Bußbruderschaften (Freiburg/Br. 1885) sowie auf Die Waldenser und ihre einzelnen Gruppen bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts (Gotha 1886). Noch vor den bedeutenden Arbeiten von Paul Sabatier (seit 1894; vgl. T R E ll,304,22ff) lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Anfänge des -»Franciscus von Assisi und seiner Brüder, die noch nicht auf die Begründung eines formellen Ordens gerichtet waren, und gab damit das Startsignal zu einer neuen, kritischen Phase der Franziskusforschung. Andere Arbeiten zur mittelalterlichen Kirchen- und Theologiegeschichte traten damals und später hinzu (vgl. Bibliographie, Gruppe III—V).
Müller,
401
Karl
2.2. Noch in die Gießener Zeit fällt die Übernahme der Aufgabe, von der Müller nicht ahnen konnte, daß sie zu seinem Lebenswerk werden würde. Auf Anfrage des Verlegers Paul Siebeck erklärte er sich bereit, die Redaktion einer Publikationsreihe von Lehrbüchern zu allen theologischen Disziplinen zu übernehmen („Grundriß der Theologischen Wissenschaften") und dabei selbst den Überblick über die Kirchengeschichte zu verfassen. Schon 1892 erschien Band I, der von den Anfängen der Kirche bis zum Ende der Stauferzeit im Hochmittelalter reichte (613 Seiten; Nachdr. Tübingen 1905). Da sich eine allzu gedrängte Übersicht zumal mit Beginn der Reformationszeit nicht empfahl, entschloß sich Müller zur Teilung von Band II in zwei Halbbände. Band II/l, kurz vor dem Ende der Breslauer Jahre vollendet (Tübingen/Leipzig 1902; Nachdr. Tübingen [1911] 1922), umfaßte den Zeitraum vom Ende des 13. J h . bis etwa 1560 (549 Seiten), Band II/2, in Lieferungen erschienen und 1919 abgeschlossen, führte die Darstellung bis zum Westfälischen Frieden (1648) bzw. bis zur englischen Toleranzakte (1689) fort (759 Seiten). Angesichts seines Alters vor die Entscheidung gestellt, eine Fortsetzung des Werkes ins 18. und 19. Jh. hinein zu versuchen oder statt dessen die gedrängte Darstellung der Alten Kirche zu überarbeiten und dem Forschungsstand anzupassen, entschloß sich Müller in kluger Einschätzung seiner Möglichkeiten zu letzterem. Diesen Teil seiner Kirchengeschichte (Bd. 1/1), der die Zeit bis Kaiser Justinian (Mitte 6. Jh.) umfaßt, hat Müller in nie erlahmender Hingabe an sein Opus magnum nicht nur in zweiter ( 1 9 2 5 - 1 9 2 9 ) , sondern sogar noch in dritter Auflage (1938 — 1941) herausbringen können, zuletzt unterstützt durch seinen jüngeren Kollegen Hans Frhr. v. Campenhausen. Müllers Werk ist die letzte Gesamtdarstellung der Kirchengeschichte, die von einem Autor geschrieben und verantwortet wurde — schon dadurch eine inzwischen nicht mehr realisierbare Leistung. Als eines der Kriterien für seine wissenschaftliche Arbeit hat Müller später genannt (Aus der akademischen Arbeit 12): „Die Kirchengeschichte bildet trotz ihrer Eigenart nur einen Teil der allgemeinen Geschichte und kann nur in stetem Zusammenhang mit ihr geschrieben w e r d e n . . . " . Er gilt damit als Vertreter einer sog. profanen —• Kirchengeschichtsschreibung, wobei sich „profan" allein auf die angewandte historische Methode bezieht, nicht dagegen als Bewertung einer inneren Einstellung zu verstehen ist. Dabei ist es eine in der Nachfolge -»Hegels und F. Chr. Baurs streng am Begriff der Entwicklung orientierte Geschichtsauffassung (vgl. T R E 12,647,11 ff), die Müller auch in der Kirchengeschichte am Werke sieht und die die architektonische Gliederung des Stoffes in Perioden, Zeiträume, Epochen und Abschnitte bestimmt. Auffallend ist ferner die außerordentliche Zurückhaltung im Urteil; sie entspringt aber nicht einfach dem Streben nach Objektivität, sondern hat mit der letztlich theologischen Einsicht in die „Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit des geschichtlichen Augenblicks" (Rückert 398) zu tun. Nicht der darstellende Historiker ist nach dieser Einschätzung zu einem — auch wieder nur vorläufigen und von der eigenen Situation bestimmten — Urteil berechtigt, vielmehr ist es der Fortgang der Ereignisse, Fragestellungen und Erfahrungen selbst, der frühere Entwicklungen in einem neuen Lichte sehen läßt und damit die Beurteilung zurechtrückt. Dies ist zweifellos von Müller mit gemeint, wenn er als zweiten Gesichtspunkt für sein wissenschaftliches Ethos angibt: Die Kirchengeschichte „darf nicht mit festen, vorgefaßten Meinungen betrieben werden". Damit sei, so fügt er hinzu, nicht das falsche Ideal angeblicher „Voraussetzungslosigkeit" gemeint, sondern die Bereitschaft, sich vom Gang der Geschichte fortschreitend belehren zu lassen: „Aber das kann man von jedem Forscher verlangen, daß er an seinen Voraussetzungen nicht festhält, wenn ihm aus gewissenhafter Arbeit sich Tatsachen aufdrängen, die damit nicht zu vereinigen sind, daß er also lerne, sich zu fügen, umzulernen und immer neu zu lernen, sich führen zu lassen auch dahin, wo er zuerst nicht hin will" (Aus der akademischen Arbeit 12). 2.3. M ü l l e r s Kirchengeschichte
ist n i c h t allein a u f die b l o ß e A b f o l g e und V e r k n ü p f u n g
d e r Ereignisse fixiert, s o n d e r n sie bezieht die innere, t h e o l o g i s c h e E n t w i c k l u n g , d a s A n w a c h s e n der P r o b l e m s t e l l u n g e n d u r c h die T e i l n a h m e v o n K i r c h e und C h r i s t e n t u m an den geistigen, k u l t u r e l l e n , p o l i t i s c h e n und sozialen G e g e b e n h e i t e n mit ein. Intensive B e r ü c k s i c h t i g u n g e r f a h r e n - v o r a l l e m für die Z e i t seit d e r R e f o r m a t i o n - die T e r r i t o r i a l und O r t s k i r c h e n g e s c h i c h t e (vgl. die für ihre Z e i t u m f a s s e n d e n b i b l i o g r a p h i s c h e n A n g a b e n : K G 1 1 / 1 , 1 7 9 - 1 8 8 und 1 1 / 2 , 1 - 1 0 ; zur B e d e u t u n g M ü l l e r s speziell für die w ü r t t e m b e r g i s c h e K i r c h e n g e s c h i c h t e vgl. R a u s c h e r ) . Als b e s o n d e r s verdienstvoll ist h e r v o r z u h e b e n , d a ß M ü l l e r von B e g i n n an den F r a g e n des R e c h t s , des A u f b a u s und d e r Verfassung der K i r c h e einen h o h e n S t e l l e n w e r t e i n g e r ä u m t und B a h n b r e c h e n d e s zu ihrer K l ä r u n g geleistet h a t . D i e s e T h e m a t i k h a t er n i c h t nur in der Kirchengeschichte
durch-
g e h e n d verfolgt, m i t ihr b e s c h ä f t i g e n sich a u c h die m e i s t e n g r ö ß e r e n U n t e r s u c h u n g e n , die M ü l l e r n a c h d e r J a h r h u n d e r t w e n d e publiziert h a t . I m B l i c k a u f die a l t k i r c h l i c h e Z e i t h a n d e l t es sich v o r n e h m l i c h um die Beiträge
zur
Geschichte
der
Verfassung
der
402
Müller, Karl
alten Kirche (APAW.PH 1922, 3); für Luther sind die Bücher Luther und Karlstadt. Stücke aus ihrem gegenseitigen Verhältnis untersucht (Tübingen 1907) sowie Kirche, Gemeinde und Obrigkeit nach Luther (Tübingen 1910) zu nennen, in denen schon vor -» Holls Aufsatz über „Luther und das landesherrliche Kirchenregiment" (1911) wichtige Differenzierungen zum Verhältnis von Obrigkeit und Kirche nach reformatorischer Lehre und Praxis vorgenommen werden; für die Herausbildung der Struktur der lutherischen Landeskirchen ist auf den nach wie vor bedeutsamen Aufsatz Die Anfänge der Konsistorialverfassung im lutherischen Deutschland (HZ 102 [1908] 1 - 3 0 ; auch in: Aus der akademischen Arbeit 1 7 5 - 1 9 0 ) zu verweisen, der erstmals die Entstehungsverhältnisse der lutherischen Konsistorien klarlegte und ihre beiden Grundtypen herausarbeitete (—•Konsistorium); auch dem Aufsatz Zur Geschichte und zum Verständnis des Episkopalsystems (ZSRG.K 8 [1918] 1 - 2 6 ) kam einige - inzwischen allerdings eingeschränkte - Bedeutung für die Erhellung der frühen lutherischen Kirchenverfassung zu (-»Kirchenregiment, Landesherrliches). So hat Müller wesentlich dazu beigetragen, in Auseinandersetzung mit der Schau R. —»Sohms das Wesen und die Wirkung der Kirche nicht nur nach der Seite von Geist und Glauben, sondern auch als Erscheinung des Rechts, der Institution und der Ordnung verstehen und achten zu lehren. 3.
Wertung
Müller hat davon abgesehen, seine Kirchengeschichte mit Prolegomena zu beginnen, in denen er sich über Wesen und Aufgabe der Kirchengeschichte geäußert hätte. Das ist gelegentlich als Nachteil, ja als Versäumnis beurteilt worden (vgl. Overbeck [bei Smend], Nigg); tatsächlich hat das Bewußtsein von der Einheit und Ganzheit der -»Theologie heute eine Reflexionsstufe erreicht, die es unabweisbar macht, das Verhältnis der theologischen Disziplinen zueinander und das Beziehungsgeflecht von Kirchlichkeit, Wissenschaftlichkeit und Geschichtlichkeit der Theologie ausdrücklich zu bedenken (vgl. G. Ebeling, Studium der Theologie, Tübingen 1974 [UTB 446] 2 - 9 ) . Theologisch ist bei näherem Hinsehen aber doch deutlich geworden, was Rückert (401 f) als Ergebnis der Arbeitsweise Müllers und seiner streng sachbezogenen Darstellung herausgearbeitet hat: daß „die unsichtbare Kirche niemals neben der sichtbaren steht"; vielmehr: „Die unsichtbare Kirche wird nur ergriffen in der sichtbaren, wobei das Ineinanderliegen der beiden Größen so streng gefaßt werden muß, wie das Ineinander von Offenbarung und Verhüllung in Luthers Christologie oder wie in der Formel Hamanns: Omnia divina, humana omnia." Quellen Personalakte Müller der Univ. Tübingen (Universitätsarchiv 1 2 6 / 4 5 3 ) . — Familienarchiv Müller/Haering (ebd., Repertorium 5 1 4 ) . - Korrespondenz mit H a n s Lietzmann: Glanz u. Niedergang der dt. Univ., hg.v. Kurt Aland, B e r l i n / N e w York 1979 (s. Reg. s.v.). - Korrespondenz mit dem Verlag J . C . B . M o h r (Paul Siebeck), Tübingen (im Verlagsarchiv). - Arbeiten von Müller (außer den im T e x t genannten): Calvins Bekehrung: N G W G . P H 1905, 1 8 8 - 2 5 5 . 4 6 3 f . - Die Esslinger Pfarrkirche im M A . Beitr. zur Gesch. der Organisation der Pfarrkirchen: W V L G N F 16 (1907) 2 3 7 - 3 2 6 . - Luthers Äußerungen über das Recht des bewaffneten Widerstands gegen den Kaiser: SBAW 1915, 8. - Kirchl. Prüfungs- u. Anstellungswesen in Württemberg im Zeitalter der Orthodoxie. Aus den Zeugnisbüchern des herzoglichen Konsistoriums: W V L G N F 2 5 (1916) 4 3 1 - 4 8 8 . - Die rel. Erweckung in Württemberg am Anfang des 19. J h . , Tübingen 1925. - Die Forderung der Ehelosigkeit f. alle Getauften in der alten Kirche, 1927 (SGV 126). - Z u m T e x t der dt. Theol.: Z K G N F 12 (1930) 3 0 7 - 3 3 5 . - Aus der akademischen Arbeit. VuA, Tübingen 1930 (hier 1 - 4 4 : Aus der akademischen Arbeit [„Selbstdarstellung"]; 3 4 3 - 3 4 8 : Bibliogr. bis 1929). - Nach 1930 erschienen: Der heilige Patrick: N G W G . P H 1 9 3 1 , 6 2 - 1 1 6 . - Kleine Beitr. zur alten KG, 18.: Parochie u. Diözese im Abendland in spätröm. u. merowingischer Zeit: Z N W 3 2 (1933) 1 4 9 - 1 8 5 . - Ein Zitat aus Meister E c k h a r t bei Tauler: Z D A 72 (1935) 9 4 - 9 6 .
Literatur H e r m a n n Dörries, Karl Müller u. sein Werk: ders., Wort u. Stunde III, Göttingen 1 9 7 0 , 4 2 1 - 4 5 7 . - H e r m a n n Haering, Karl Müller f : Z W L G 4 (1940) 4 6 7 - 4 7 0 . - Walter Nigg, Die Kirchenge-
München
403
schichtsschreibung, M ü n c h e n 1934, 2 3 0 - 2 4 4 . - Julius R a u s c h e r , Karl M ü l l e r u. die w ü r t t e m b e r gische K G : B W K G 4 4 (1940) 6 9 - 7 4 . - H a n n s R ü c k e r t , Karl M ü l l e r t 10. F e b r u a r 1940: ders., VuA zur hist. T h e o l . , T ü b i n g e n 1 9 7 2 , 3 7 4 - 3 8 5 . - Ders., Karl M ü l l e r als Kirchenhistoriker: ebd. 3 8 6 - 4 0 3 . - R u d o l f Smend, Franz O v e r b e c k über Karl Müllers K G : T h Z 3 0 (1974) 3 4 7 f .
Wilfrid Werbeck Müller, Max -»Müller, Friedrich M a x München,
Universität
1. Universität Landshut (1800—1826) 2. Allgemeine Entwicklung der Universität M ü n c h e n (seit 1826) 3. K a t h o l i s c h - T h e o l o g i s c h e F a k u l t ä t 4 . E v a n g e l i s c h - T h e o l o g i s c h e F a k u l t ä t (seit 1967) (Quellen und Literatur S. 406)
1. Universität
Landshut
(1800-1826)
Im Zug der tiefeinschneidenden Kulturpolitik des leitenden bayerischen Ministers Maximilian Joseph von Montgelas (1799-1817) wurde die kurbayerische Landesuniversität -»Ingolstadt 1800 nach Landshut verlegt und hier 1802 endgültig als Ludovico-Maximilianea konstituiert. Das Organisationsedikt von 1804 praktizierte das extremste Reformexperiment im rheinbündischen Deutschland, bestimmt von der staatsabsolutistischen Spätaufklärung, bald zusätzlich geprägt durch den geistigen Umbruch von der —»Aufklärung zur -»Romantik. Die alten Strukturen wurden zugunsten straffer staatlicher Reglementierung weitgehend aufgehoben (Beseitigung des konfessionellen Charakters, Aushöhlung der Selbstverwaltung, Umbildung der Fakultäten in zwei Hauptklassen mit je vier Sektionen). D u r c h hervorragende Berufungen, darunter der Jurist P. J . A . F e u e r b a c h , der Philologe G . A . F . Ast, der Mediziner Ph. Walther, der Rechtshistoriker F. K. von Savigny, der Naturwissenschaftler F. S c h r a n k und bedeutende T h e o l o g e n , gedieh Landshut auf ein J a h r z e h n t zu einer der blühendsten deutschen Universitäten. D a n n begann ein merklicher Niedergang, bedingt durch weltanschauliche Parteiungen im L e h r k ö r p e r , M ä n g e l der bürokratischen Verfassung, F i n a n z n ö t e und A b w a n d e r u n g bedeutender Professoren.
Die Theologische Fakultät (Sektion), von Montgelas gedacht als Ausbildungsstätte katholischer „Religionsdiener" und „Volkslehrer", wurde in dieser bewegten Epoche mit hochqualifizierten Professoren ausgestattet, worunter hervorragten der Kirchenhistoriker und Liturgiker Vitus Anton Winter (gest. 1814), der Dogmatiker Patriz Benedikt Zimmer (gest. 1820) und der Moral- und Pastoraltheologe Johann Michael -»Sailer. Das Vierteljahrhundert der Fakultät in Landshut wurde vornehmlich von der geistlichen Persönlichkeit Sailers, von dem weit über Fakultät und Universität hinausreichenden „Sailerkreis" gekennzeichnet, aber auch von harten Auseinandersetzungen mit rationalistischer Aufklärung, wie sie in Priesterbildung und Pastoral vor allem Matthäus Fingerlos ( 1 8 0 4 - 1 8 1 4 Direktor des Georgianums, einer herzoglichen Priesterseminarstiftung von 1494 an der Universität) vertrat. 2. Allgemeine
Entwicklung
der Universität
München
(seit
1826)
Die Verlegung der Universität nach München (Eröffnung am 15. Nov. 1826) brachte zugleich eine Neuorganisation mit zahlreichen Neuberufungen. N a c h dem Willen König Ludwigs 1. (1825 - 48) sollte die Ergänzung und Erneuerung der Universität vornehmlich im Geist der Landshuter R o m a n t i k erfolgen. Die v o m königlichen Vertrauten E d u a r d von Schenk, von Sailer (im theologischen und geisteswissenschaftlichen Bereich) und dem königlichen Leibarzt J o h a n n N e p . Ringseis mitbestimmten überkonfessionellen Berufungen (darunter Franz von B a a d e r , J o s e p h von G ö r r e s , Friedrich W i l h e l m von Schelling) zeigten den R a u m neuer geistiger Freiheit und zugleich kirchlich-politischer —»Restauration. Vor allem der sprachgewaltige G ö r r e s wurde im V o r m ä r z zum M i t t e l p u n k t des neu e r w a c h t e n , fortschreitend auch politisch akzentuierten katholischen Geisteslebens ( „ G ö r r e s k r e i s " ; Zeitschriften „ E o s " und „ H i storisch-Politische B l ä t t e r " ) .
404
München
Seit der N e u b e g r ü n d u n g w a r M ü n c h e n in die erste Reihe der deutschen Universitäten gerückt. Die zielbewußte liberale Berufungspolitik unter König Maximilian II. (1848-64) verschob das geistige Schwergewicht in der Universität, führte zu harten publizistischen und innenpolitischen Auseinandersetzungen um die „ N o r d l i c h t e r " und ihre kleindeutsch-preußische Haltung, leitete aber den modernen Aufbruch der positiven Geistesund experimentellen Naturwissenschaften ein, ausgewiesen durch glänzendste N a m e n der deutschen Wissenschaftsgeschichte des 19./20. Jh. G e n a n n t seien nur der Chemiker J. Liebig, der Botaniker K. Nägeli, der Physiker Ph. Jolly, der Anatom T h . Bischoff, der Zoologe K . T h . Siebold, die Historiker H . Sybel und F.W. Giesebrecht, der Begründer der wissenschaftlichen Volkskunde W. H . Riehl. Z u r Universität k a m 1858 die Historische Kommission an der Akademie der Wissenschaften (unter Leopold von Ranke als erstem Präsidenten). Die Studentenzahlen stiegen bis 1900 auf ca. 4500, wobei Rechtswissenschaften und Medizin an der Spitze lagen. Den i n t e r n a t i o n a l e n R a n g der Universität b e g r ü n d e t e n im späten 19. u n d f r ü h e n 20. J h . Professoren (meist vom König geadelt) wie die M e d i z i n e r K. Pfeufer, M . P e t t e n k o f e r , J . N . N u ß b a u m , H . Z i e m s s e n , E. Kraepelin, F. S a u e r b r u c h , die Juristen H . Bayer, J . K . Bluntschli, B. Windscheid, K. von A m i r a , L. Wenger, die C h e m i k e r A. Baeyer, R. Willstätter, die Physiker W. C. R ö n t g e n , M . Laue, L. B o l t z m a n n , A. S o m m e r f e l d , der N a t i o n a l ö k o n o m L. B r e n t a n o und sein N a c h f o l g e r M . Weber, Begründer der wissenschaftlichen Soziologie, die H i s t o r i k e r S. Riezler, H . G r a u e r t und M . D o e b e r l , die Kunsthistoriker H . Wölfflin und W. Pinder, der R o m a n i s t K. Voßler, die Philosophen G . von H e r t l i n g , A. P f ä n d e r , unter den T h e o l o g e n vor allem Ignaz Döllinger; dazu k a m die wissenschaftliche G r u n d l e g u n g von Spezialbereichen (Byzantinistik seit K. K r u m b a c h e r : Semin a r g r ü n d u n g 1898; Mittellateinische Philologie seit L. T r a u b e : S e m i n a r g r ü n d u n g 1906).
Auch nach dem Ersten Weltkrieg konnte die Universität trotz finanzieller Bedrängnis ihren Rang behaupten. Unter der NS-Diktatur erfuhr sie die gleichschaltende Umgestaltung wie alle deutschen Universitäten; ihre Theologische Fakultät wurde im Februar 1939 geschlossen, Prof. Kurt H u b e r mit studentischen Mitgliedern der Widerstandsgruppe „Weiße R o s e " hingerichtet (1943/44). Die Bomben des Zweiten Weltkriegs legten die Universitätsgebäude zu 8 0 % in Schutt und Asche. Der geistige und materielle Wiederaufbau und der Aufstieg zur größten deutschen Universität, erneut ausgewiesen durch hervorragende Gelehrte in allen Bereichen, spiegelt sich auch in den Frequenzkurven von 10386 Studierenden 1947, über 20000 seit 1961 und über 60000 seit 1988. Das Bayerische Hochschulgesetz von 1974 brachte die einschneidendste Verfassungsänderung seit 1804 und 1933, w u r d e aber seither mehrfach zugunsten der alten deutschen Universitätstradition modifiziert. Gegenwärtig (1990) zählt die Universität 20 Fakultäten, darunter eine Katholisch-Theologische und (seit 1967) eine Evangelisch-Theologische Fakultät.
3. Katholisch-Theologische
Fakultät
Auf die Einrichtung der Theologischen Fakultät in M ü n c h e n (seit 1826) nahm Bischof Sailer, von König Ludwig I. und Eduard von Schenk gebeten, erheblichen Einfluß. Von Sailers Geistigkeit und Schülern blieben die beiden ersten Jahrzehnte in München noch stark bestimmt. Von Landshut her wurden ü b e r n o m m e n der Moraltheologe und Kirchenhistoriker J . N . Hortig, die Exegeten S. Mall und J.F. Allioli (er brachte 1830/32 die im katholischen Deutschland des 19. Jh. am weitesten verbreitete Bibelübersetzung heraus), der Pastoraltheologe und Georgianumsdirektor F. G. W i e d e m a n n . 1826 wurde, zunächst als ao. Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht Ignaz -»Döllinger berufen, bald die Seele des Görreskreises, von den vierziger Jahren bis zu seiner Exk o m m u n i k a t i o n 1871 der bedeutendste Gelehrte der Fakultät, in steigendem M a ß e auch international hoch angesehen. Der Lehrbetrieb wurde in M ü n c h e n zunächst von 5 Professoren aufgenommen (dazu Dozenten), der Lehrkörper bis zum Ende des Jahrhunderts auf 9 ordentliche und 2 außerordentliche Professoren ausgebaut.
München
405
Die Besonderheit der Fakultät bestand in ihrem „überdiözesanen" Charakter; seit Eröffnung des Erzbischöflichen Priesterseminars (1826) und des (staatlichen) Lyzeums (1834) in Freising wurden die Theologiestudierenden des Erzbistums M ü n c h e n und Freising in der Regel in Freising ausgebildet, bis zum Ende der Philosophisch-Theologischen Hochschule Freising und der Verlegung des Priesterseminars nach M ü n c h e n (1969). Den Kern der Theologiestudenten in München bildeten die Studierenden des stets überdiözesanen Herzoglichen Georgianums, das seit der Stiftung stets der Universität eng verbunden und seit Beginn des 19. Jh. stets mit einer o. Professur der Fakultät in Personalunion verknüpft ist. J o h a n n A d a m - » M ö h l e r s Lehrtätigkeit in M ü n c h e n (1835-1838) w a r zu kurz, u m Schule bilden zu k ö n n e n , e b e n s o die Lehrtätigkeit seines N a c h f o l g e r s Heinrich Klee ( 1 8 3 9 - 1 8 4 0 ) . N e b e n der ü b e r r a g e n d e n Gestalt des Kirchenhistorikers Döllinger sind im 19. J h . als b e d e u t e n d e Professoren zu n e n n e n die N e u t e s t a m e n t i e r F.X. R e i t m a y r ( 1 8 3 7 - 1 8 7 2 ) u n d P . J. Schegg ( 1 8 7 2 - 1 8 8 5 ) , der Exeget und M o r a l t h e o l o g e W . K . Reischl ( 1 8 6 7 - 1 8 7 3 ) , der Alttestamentler D . B . H a n e b e r g ( 1 8 4 1 - 1 8 7 2 ) , die Kirchenrechtler M . P e r m a n e d e r ( 1 8 4 7 - 1 8 6 2 ) und I. Silbernagl ( 1 8 6 3 - 1 9 0 4 , seit 1872 zugleich an Döllingers Stelle Professor für Kirchengeschichte), der P a s t o r a l t h e o l o g e u n d G e o r g i a n u m s d i r e k t o r V. T h a l h o f e r ( 1 8 6 3 - 1 8 7 6 , einer der b e d e u t e n d s t e n Liturgiker des J a h r h u n d e r t s ) , die Brüder Alois von Schmid ( D o g m a t i k u n d Apologetik 1 8 6 6 - 1 8 9 4 ) u n d A n d r e a s Schmid (Pastoraltheologe und G e o r g i a n u m s d i r e k t o r 1 8 7 7 - 1 9 0 9 ) .
Im Streit um das -+ Vatikanum I (Exkommunikation Döllingers 1871 und seines Schülers Johannes Friedrich 1872) konnte die Gefahr einer Sprengung der Fakultät überwunden werden, doch blieb eine kritische Kirchengeschichtsschreibung durch die M a ß regelung ihres führenden Vertreters im katholischen Deutschland auf Jahrzehnte gelähmt. Viele Bischöfe zogen ihre Theologiestudenten von München ab. Einen neuen Rückschlag brachte die Modernismuspsychose am Beginn des 20. Jh. (-»Modernismus) (Beurlaubung des Dogmenhistorikers J. Schnitzer 1908). In der a u f g e z w u n g e n e n geistigen Stagnation g e w a n n e n der F a k u l t ä t neues Ansehen der f ü h r e n d e Patrologe O . B a r d e n h e w e r (1886—1924 Prof. f ü r N e u e s T e s t a m e n t ) , die Exegeten J. B. G o e t t s b e r g e r ( 1 9 0 3 - 1 9 3 5 Altes T e s t a m e n t ) u n d J. Sickenberger ( 1 9 2 4 - 1 9 3 7 N e u e s T e s t a m e n t ) , die beide 1903 die Biblische Zeitschrift b e g r ü n d e t e n , die Kirchenhistoriker Alois Knöpfler ( 1 8 8 6 - 1 9 1 7 ) , der 1892 d a s kirchenhistorische Seminar (als erstes wissenschaftliches Seminar der Fakultät) b e g r ü n d e t e , und G e o r g Pfeilschifter ( 1 9 1 7 - 1 9 3 5 ) , der Kirchenrechtler u n d Rechtshistoriker E d u a r d E i c h m a n n ( 1 9 1 8 - 1 9 3 6 ; sein Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des C / C , 1923, ständig vertieft u n d erweitert, nach 1946 von Klaus M ö r s d o r f w e i t e r g e f ü h r t , w u r d e z u m S t a n d a r d w e r k des Kanonischen Rechts im deutschen R a u m ) und der D o g m a t i k e r M a r t i n G r a b m a n n ( 1 9 1 8 - 1 9 3 9 ) , der b a h n b r e chende E r f o r s c h e r der mittelalterlichen Scholastik, d a n n der M o r a l t h e o l o g e T h e o d o r Steinbüchel ( 1 9 3 5 - 1 9 3 9 ) . Die F a k u l t ä t w u ß t e sich in den f r ü h e n J a h r e n der N S - D i k t a t u r d u r c h gutes Z u s a m m e n h a l t e n fest u n d klug zu b e h a u p t e n , bis die NS-Reichsregierung die N e u b e s e t z u n g des Lehrstuhls f ü r Kirchenrecht ( N a c h f o l g e E i c h m a n n ) u n d den Einspruch des Erzbischofs M i c h a e l von F a u l h a b e r gegen H a n s Barion zum A n l a ß n a h m , die F a k u l t ä t im F e b r u a r 1939 zu schließen.
Nach Kriegsende w u r d e die Fakultät rasch wiedereröffnet (formell Februar 1946). Bedeutende Professoren des Wiederaufbaus waren der Dogmatiker Michael Schmaus, der Pastoraltheologe und Georgianumsdirektor Joseph Pascher, die aus Breslau vertriebenen Professoren Franz X. Seppelt (Kirchen- und Papsthistoriker), Friedrich Wilhelm Maier (Neues Testament) und Friedrich Stummer (Altes Testament), der Fundamentaltheologe Gottlieb Söhngen, der Moraltheologe Richard Egenter und der Kirchenrechtler Klaus M ö r s d o r f . R o m a n o Guardini, der Philosophischen Fakultät zugehörig, wirkte 1948-1963 als gefeierter Lehrer aller Fakultäten an der Universität. 1947 wurde in der Fakultät ein Kanonistisches Institut (3 Lehrstühle) errichtet, 1954 das Grabmann-Institut zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie. Die F a k u l t ä t (seit 1967 Katholisch-Theologische Fakultät) zählt g e g e n w ä r t i g (1990) 21 o r d e n t liche Professuren (darunter seit 1984 ein Lehrstuhl f ü r O r t h o d o x e T h e o l o g i e , besetzt mit einem o r t h o d o x e n Professor) u n d 9 Institute. Sie gibt seit 1950 die Münchener Theologische Zeitschrift u n d (in 3 Abteilungen) die Münchener Theologischen Studien h e r a u s . An ihr k ö n n e n die a k a d e -
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München
mischen Grade eines Diplomtheologen, eines Lizentiaten und Doktors der Theologie sowie eines Lizentiaten und Doktors des kanonischen Rechts erworben werden. Die Frequenz der Fakultät (und der Universität) war im 19./20. Jh. starken Schwankungen unterworfen: 1826/27: 284 Theologiestudierende (bei insgesamt 1613 Studenten der Universität); 1830/31: 493 (insgesamt 1915); dann Rückgang, bedingt durch die Errichtung von Lyzeen in den bayerischen Bistümern; 1849/50: wieder 294 (bei insgesamt 1924 Studierenden). Der starke Rückgang der Theologiestudenten nach der Exkommunikation Döllingers hängt wesentlich mit der genannten Krise zusammen: WS 1900/01: 182 Theologiestudierende (4184 Studierende der Universität); WS 1938/39 (letztes Semester vor Schließung): 196 (insgesamt 4725); WS 1948/49: 204 (insgesamt 9580); WS 1969/70: 518 (insgesamt 23554); SS 1987: 1522 (insgesamt 59088); SS 1990: 1451 (insgesamt 60747). Seit 1946 ist der Anteil der Studenten, die nicht das Priestertum anstreben („Laientheologen") und der weiblichen Studierenden fortschreitend gestiegen. 4. Evangelisch-Theologische
Fakultät
(seit
1967)
A m 2 0 . Juni 1 9 6 7 wurde durch Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Bayern und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (unter Landesbischof H e r m a n n Dietzfelbinger) eine Evangelisch-Theologische Fakultät an der Ludwig-Maximilians-Universität M ü n c h e n errichtet, damals als 8. Fakultät zu den bestehenden 7 Fakultäten. Damit bestand eine dritte Ausbildungsstätte für evangelische Theologie in Bayern, neben der Theologischen Fakultät der Universität - » E r l a n g e n und der 1 9 4 7 eröffneten kirchlichen A u g u s t a n a - H o c h s c h u l e in Neuendettelsau (vgl. T R E 15, 4 3 1 f). Im Vertrag wurde der evangelisch-lutherische C h a r a k t e r der Fakultät betont. Z u Beginn des Sommersemesters 1968 n a h m die Fakultät mit zunächst 5 o. Professoren ihre Vorlesungstätigkeit auf: L e o n h a r d Goppelt (Neues Testament; Gründungsdekan), G e o r g K r e t s c h m a r (Kirchengeschichte und Neues Testament), Wolfhart Pannenberg (Systematische Theologie), Peter Krusche (Praktische Theologie), Klaus Baltzer (Altes Testament). Wegen der Studentenunruhen mußte damals auf alle akademischen Feierlichkeiten in der Universität verzichtet werden. In der Folgezeit konnte die Fakultät weiter ausgebaut, bald zu beachtlicher Blüte geführt werden und nach einer provisorischen Unterbringung neue R ä u m e in unmittelbarer N ä h e des Universitätshauptgebäudes beziehen. Gegenwärtig (1990) zählt die Fakultät 13 o. Professuren (Lehrstühle), 7 Institute (Alttestamentliche Theologie, Neutestamentliche Theologie, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Fundamentaltheologie und Ökumene, Praktische Theologie, Missions- und Religionswissenschaft) und insgesamt 794 Studierende. Quellen
und
Literatur
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Christi
zu —»Täufer
Münster, Münster, Sebastian 1. Leben
1.
2. Werk
Sebastian
407
(1488-1552) (Quellen und Literatur S. 408)
Leben
Sebastian Münster wurde am 20. Januar 1488 in Niederingelheim geboren. Seine Eltern und Vorfahren waren Bauern (zugleich auch Spital- und Kirchenpfleger). Um 1505 trat Münster in den Franziskanerorden ein. Er absolvierte in den Klöstern von Heidelberg, Löwen, Freiburg i.Br., Rufach und Pforzheim besonders die Logik und Kosmologie, wandte sich dann aber unter dem Eindruck der damals erschienenen ersten Lehrbücher des Hebräischen, Konrad Pellikans De modo legendi et intellegendi Hebraeum (1504) und Johannes -»Reuchlins De rudimentis hebraicis (1506), dem Studium dieser Sprache zu. Bereits 1510 entstanden erste (nur handschriftlich überlieferte) Wörterbücher aus Münsters Feder. 1511 hielt Münster seine erste Predigt (Lk 22,35). Im Jahr darauf wurde er zum Priester geweiht. 1514-1518 wirkte Münster als Lektor für Philosophie am Franziskanerkloster in Tübingen und vollendete zugleich unter Johannes Stöffler seine mathematische Bildung. In den Jahren 1518 — 1520 lehrte er Philosophie am Franziskanerkloster in Basel. Hier brachte er 1520 Luthers Predigt über die zehn Gebote in deutscher Übersetzung heraus und arbeitete wohl auch an der ersten von Pellikan besorgten Gesamtausgabe Luthers mit. In Basel dürfte Münster seine Ausbildung als Buchdrucker erhalten haben. Seit 1521 wirkte Münster als Lektor in Heidelberg, wo er mehrere grammatische und lexikographische Arbeiten zur hebräischen und aramäischen Sprache verfaßte. Er trat in eine enge Verbindung zu dem jüdischen Grammatiker Elia Levita, dessen Werke er ins Lateinische übersetzte und zur Grundlage seiner eigenen Arbeiten machte. Bereits 1524 wurde ihm ein Lehrstuhl für hebräische Sprache an der Universität Heidelberg übertragen. Seit 1526 begann Münster, dazu von Beatus Rhenanus angeregt, mit der Erforschung des „Heidelberger Bezirks" und mit Reisen entlang des Oberrheins seine Arbeiten an der Kosmographie. Nachdem er auf solchen Reisen während des Bauernkrieges wiederholt als Mönch angegriffen worden war, trat er — immer schon evangelisch gesinnt - 1529 aus dem Orden aus, um einen Ruf als Hebraist an die damals reformierte Universität Basel anzunehmen. Münster heiratete um 1530 die Witwe des Buchdruckers Adam Petri, wurde 1535 in das Basler Bürgerrecht und 1536 in die Zunft zu Hausgenossen (Buchdrucker) aufgenommen. Er betreute bis zu seinem Lebensende die hebraistische Ausbildung der Studenten, unter denen sich auch Johannes -»Calvin befand. Von 1542 bis 1544 hatte Münster außerdem den Lehrstuhl für Altes Testament inne, gab ihn aber wieder auf, weil er nicht den theologischen Doktorgrad erwerben wollte. 1547/48 war er Rektor der Universität Basel. Am 26. Mai 1552 starb Münster an der Pest und wurde im Kreuzgang des Basler Münsters beigesetzt (im später - unter Entfernung seines Epitaphs — gestalteten Reformatorengrab). Erst in jüngster Vergangenheit wurden ihm Denkmäler in Heidelberg (1978) und Ingelheim (1988) errichtet; sein Porträt wurde seit 1961 auf der 100DM-Banknote verbreitet. 2. Werk Münsters Lebenswerk umfaßt über 70 von ihm selbst verfaßte Bücher, Ausgaben und Übersetzungen und gliedert sich in einen (wissenschaftlichen) hebraistisch-theologischen und einen (populären) geographisch-mathematischen Teil. Aus der Sicht seiner beruflichen Stellung heraus fällt dem ersten das Hauptgewicht zu; Höhepunkt ist die Edition des Alten Testaments in hebräischer Sprache mit einer neuen lateinischen Bibelübersetzung (1534/35). Die Bibelübersetzung stieß wegen ihrer starken Anlehnung an das hebräische Sprachbild auf heftige Kritik bei Luther und Melanchthon, ebenso verwarf Luther die breite Heranziehung des rabbinischen Schrifttums in Münsters Kom-
Münster,
408
Sebastian
mentar. Große Aufgeschlossenheit zeigte Münster auch gegenüber der Judentumskunde. Doch begründete die in deutscher Sprache abgefaßte Kosmographey, eine Beschreibung aller Länder der Welt (1550), Münsters eigentlichen Ruhm, zumal dieses Werk sich als eines der erfolgreichsten Bücher des 16. Jh. überhaupt verkauft hat. Quellen
und
Literatur
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(chronologisch)
Markus Marulus, Evangelisterium, Basel 1519. - Martin Luther, Der zehen gebot ein nützliche erklerung, Basel 1520. - Epitome hebraicae grammaticae, Basel 1520. — Proverbia Salomonis, Basel 1520. — Dictionarium hebraicum, Basel 1523 ' 1 5 6 4 . - Institutiones grammaticae, Basel 1524. — J o n a s , Basel 1524. - Elia Levita, G r a m m a t i c a hebraica absolutissima, Basel 1525 5 1552. - Accentuum hebraicorum compendium, Basel 1525. - Institutio elementaria, Basel 1525. - Elia Levita, Composita verborum et nominum hebraicorum, Basel 1525 2 1536. - Canticum canticorum, Basel 1525. - Ecclesiastes, Basel 1525. — Elia Levita, Capitula cantici, Basel 1527. — M o s e s Maimonides, Logica sapientis, Basel 1527. — Aben Esra, Decalogus praeceptorum, Basel 1527. — Kalendarium hebraicum, Basel 1527. — Compendium hebraicae grammaticae, Basel 1527 Paris ' 1 5 3 7 . — Dictionarum chaldaicum, Basel 1527. - Chaldaica grammatica, Basel 1527. - Kalender für die Jahre 1527, 1532 und 1549, alle Basel, teilweise auch ins Franz. übers. - Regulae aliquot generales, Basel 1527. - Erklerung des newen Instruments der Sunnen, Oppenheim 1525 2 1528 M a i n z 3 1 5 3 4 Marburg "1544 5 1 5 4 5 Wien ' 1 5 7 9 . — Erklerung des newen Instruments über den M o n , Worms 1529. — Abraham ben David, Compendium elegans historiarum Josephi, Worms 1529. - M o s e s Maimonides, Tredecim articuli fidei Judaeorum, Worms 1529. — Joel et Malachias, Basel 1530. — Germaniae descriptio, Basel 1530. - Dictionarium trilingue, Basel 1530 3 1562. - Moses Kimchi, G r a m m a t i c a , Basel 1531. - Arnos, Basel 1531. - Compositio horologiorum, Basel 1531. - Weltkarte zu Simon Grynaeus, Novus Orbis, Basel 1532 Paris 2 1532 Basel 4 1555. - Horologiographia, Basel 1533. - Moses ben J a k o b , Catalogus omnium praeceptorum legis mosaicae, Basel 1533. - Canones super novum instrumentum luminarium, Basel 1534. - Isaias, Basel o. J . (ca. 1534). - Biblia hebraica, Basel 1534/35 2 1546. - Isagoge elementalis, Basel 1535 2 1540. - Elia Levita, Vocabula hebraica irregularia, Basel 1536. - Hebraicae grammaticae pars de verborum coniugationibus, Basel 1536. - Organum uranicum, Basel 1536. — M a p p a Europae, F r a n k f u r t / M . 1536 2 1537. — Evangelium secundum M a t thaeum (hebr.) 1537 3 1582. - Fides Christianorum et Judaeorum, Basel 1537. - Johannes Reuchlin, Rudimenta hebraica, Basel 1537. - Aegidius Tschudi, Rhaetia, Basel 1538. - Fürmalung der H o rologien, Basel 1537 3 1579. - Solinus et M e l a , Basel 1538 2 1543. - Elia Levita, Traditionum über, Basel 1539. - Christiani hominis cum J u d a e o colloquium, Basel 1539. - Messias Christianorum et Judaeorum, Basel 1539. — Elia Levita, Accentuum hebraicorum liber unus, Basel 1539. — Biblia, Zürich 1539. - Ptolemaeus, Geographia, Basel 1540 4 1552, auch ital. Venetia 1548. - Josippon, Basel 1541. — Opus grammaticum consummatum, Basel 1542 ' 1 5 7 0 . — T o b i a s , Basel 1542. — Kosmographey, Basel 1544 5 1550 2 1 1 6 2 8 , auch lat. Basel 1550 ' 1 5 7 3 , franz. Basel 1552 Paris ' 1 5 7 5 tschech. Prag 1554, ital. Basel 1558 Köln 3 1575. - Abraham bar Chija, Sphaera mundi, Basel 1546. - Elia Mizrachi, Compendium arithmetices, Basel 1546. — Rudimenta mathematica, Basel 1551. Literatur Günter F. Anthes, Beitr. zur Gesch. der Familien Münster in Meisenheim am Glan, 1989 (Quellen zur Gesch. der Stadt u. Verbandsgemeinde Meisenheim am Glan, Beih. 9). — Manfred Büttner/Karl
Münster,
409
Universität
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Universität
1. Die Entwicklung der Universität 2. Die K a t h o l i s c h - T h e o l o g i s c h e Fakultät gelisch-Theologische F a k u l t ä t (Literatur S . 4 1 4 ) 1. Die
Entwicklung
der
3. Die E v a n -
Universität
D i e v i e l l e i c h t u m 7 9 7 g e g r ü n d e t e D o m s c h u l e in M ü n s t e r / W e s t f . e r h i e l t d u r c h d i e h u m a n i s t i s c h e R e f o r m s e i t 1 5 0 0 e i n e q u a s i u n i v e r s i t ä r e B e d e u t u n g , d i e s i e zu
einem
Z e n t r u m p h i l o l o g i s c h e r u n d t h e o l o g i s c h e r G e l e h r s a m k e i t in N o r d w e s t d e u t s c h l a n d w e r den ließ. N a m e n t l i c h die H u m a n i s t e n H e r m a n n v o n d e m B u s c h e , R u d o l f v o n L a n g e n , T i m a n n K e m e n e r und J o h a n n e s M u r m e l l i u s zogen viele a u s w ä r t i g e S c h ü l e r an. D u r c h die W i r r e n der T ä u f e r h e r r s c h a f t (—»Täufer) 1 5 3 4 / 3 5 w u r d e diese Tradition
unterbro-
c h e n , a b e r seit 1 5 5 0 / 5 1 u n t e r H e r m a n n v o n K e r s s e n b r o c k neu b e g r ü n d e t . G e g e n einige Widerstände übernahmen
1588 die - » J e s u i t e n das G y m n a s i u m P a u l i n u m und
bauten
es s u k z e s s i v e b i s 1 6 2 4 d u r c h e i n e n p h i l o s o p h i s c h e n u n d e i n e n t h e o l o g i s c h e n K u r s a u s . D e m Z i e l , d a r a u s e i n e j e s u i t i s c h e H o c h s c h u l e m i t z w e i F a k u l t ä t e n — w i e in P a d e r b o r n 1 6 1 6 - zu m a c h e n , s t a n d e n die P l ä n e v o n F ü r s t b i s c h o f , D o m k a p i t e l u n d L a n d s t ä n d e n zur Errichtung einer Volluniversität im Wege, die i m m e r h i n dazu führten, d a ß Kaiser F e r d i n a n d II. ( n a c h d e r p ä p s t l i c h e n A p p r o b a t i o n 1 6 2 9 d u r c h U r b a n V I I I . ) 1 6 3 1 M ü n s t e r d a s Privileg verlieh, w i e die älteren U n i v e r s i t ä t e n m i t allen R e c h t e n vier F a k u l t ä t e n zu e t a b l i e r e n . D o c h die G r ü n d u n g scheiterte an der D i v e r g e n z der B i l d u n g s k o n z e p t i o n e n ,
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Münster, Universität
an den Kriegswirren, an dem Fehlen der nötigen Finanzmittel sowie an der Existenz des Jesuitenkollegs als einer die unmittelbaren Bedürfnisse des Bistums hinsichtlich der Klerikerausbildung befriedigenden Schule. Erst im Zusammenhang mit den Bemühungen, das von -»Säkularisation bedrohte Fürstentum in Verwaltung und Bildungswesen zu reformieren, k a m es unter dem tatkräftigen Minister und Generalvikar Franz Frhr. v. Fürstenberg ( 1 7 2 9 - 1 8 1 0 ) zur Gründung einer Landesuniversität, die - als letzte deutsche — 1773 durch päpstliche und kaiserliche Stiftungsurkunde legitimiert wurde und mit sieben Lehrstühlen den Betrieb aufnahm (formelle Konstituierung 1780 ohne die übliche Inauguration, ohne Statuten und Promotionen). Voraussetzung war die mäßige Dotierung der juristischen und medizinischen Lehrstühle aus den Ländereien des Benediktinerinnenstiftes Überwasser, der theologischen und philosophischen Lehrstühle aus dem Fonds des aufgehobenen Jesuitenordens. Fürstenbergs Konzept zielte - im Gegenüber zu den modernen, durch die -»Aufklärung geprägten Universitäten wie z . B . - » H a l l e und - » G ö t t i n g e n - auf eine konfessionell-katholisch geprägte, die praktischen Bedürfnisse der akademischen Berufe erfüllende und allein die Landeskinder in Lehrkörper wie in Studentenschaft berücksichtigende Ausbildungsstätte. M i t dem Übergang des säkularisierten Oberstifts Münster an -»Preußen 1802 sollte dies geändert werden; Frhr. Karl vom Stein als Chef der Zivilverwaltung plädierte 1804 in einer Denkschrift für einen Ausbau der Universität (unter Aufhebung von Paderborn und —»Duisburg) und für eine Beseitigung ihres konfessionellen Charakters. Die Entlassung Fürstenbergs als Kurator, die erste Berufung eines Protestanten an die Philosophische Fakultät und die Berufung zweier rationalistischer Theologieprofessoren 1805 erweckten Konflikte um die Zuständigkeiten von Staat und Kirche, die sich in der Folgezeit fortsetzten. Als Preußen 1815 auch die Rheinlande ( - » R h e i n l a n d ) erhielt, führte die geplante Konzentration der Universitätsausbildung in den Westprovinzen (Zusage einer Universitätsgründung in —»Bonn) auf dem Hintergrund der Kritik an der konfessionellen Verengung und an dem mangelhaften wissenschaftlichen Stand 1818 insofern zur formellen Aufhebung der Universität, als die juristische und die medizinische Fakultät geschlossen wurden. Bestehen blieben zunächst Lehrkurse mit den bisherigen Theologie- und Philosophieprofessoren für die Ausbildung des Priester- und Lehrernachwuchses in der Diözese Münster, die durch die Satzung von 1832 als „Akademische Lehranstalt" universitätsähnlich institutionalisiert wurden (seit 1843 als „Königliche Theologisch-Philosophische A k a d e m i e " ) . Derartiges g a b es sonst nur in Braunsberg für E r m l a n d / W e s t p r e u ß e n ; religionspolitische R ü c k sichtnahmen auf das starke katholische Bevölkerungselement waren ausschlaggebend dafür, daß faktisch gegenüber der Z e i t vor 1818 nicht allzu viel geändert wurde. Als Ersatz für die medizinische F a k u l t ä t wurde 1821 für die Provinz eine Chirurgische Lehranstalt geschaffen, die bis 1849 bestand. 1844 erhielt die philosophische F a k u l t ä t — mit A u s n a h m e der Naturwissenschaften — das P r o m o tionsrecht.
D a die Provinzialstände sich seit 1845 für die Wiedererrichtung einer „katholischen Universität" einsetzten, die staatliche Bildungsplanung dem aber entgegenstand, gerieten die Auseinandersetzungen zu einem besonderen Komplex der preußischen Konfessionsund Kulturpolitik. Der Kampf um die Entkonfessionalisierung (Simultanisierung) der Philosophischen Fakultät wurde nach 1870 verstärkt durch die Konflikte um das Unfehlbarkeitsdogma ( - » V a t i k a n u m I) und nach 1872 durch den - » K u l t u r k a m p f mit der Absetzung von Bischof J . B . Brinkmann und der Schließung des Priesterseminars 1876. D a s war ein Grund, warum nach 1866 —»Westfalen (neben dem kleinen Posen) die einzige preußische Provinz ohne Universität blieb. 1875 führte Oberpräsident von Kühlwetter zusammen mit Kultusminister Falk die Simultanisierung der philosophischen Fakultät durch Besetzung neuer Lehrstühle mit Protestanten und durch evangelische Studenten ein. Jetzt war das volle Gymnasiallehrerstudium möglich, doch nur wenige Professoren mit überregionaler Bedeutung lehrten hier (als bedeutendster der Physiker Wilhelm Hittorf).
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Universität
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Akademie und Provinziallandtag strebten seit 1879 die Errichtung weiterer Fakultäten an, vor allem einer juristischen, aber auch einer medizinischen. Den Wunsch nach Errichtung einer evangelischen Fakultät „im Interesse des paritätischen C h a r a k t e r s " beschloß die Provinzialsynode erstmals 1891, aber ohne Erfolg. Schließlich führten die Vorstöße westfälischer Mitglieder im preussischen Abgeordneten- und Herrenhaus dazu, daß 1902 eine rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät gegründet wurde (organisiert durch Leo v. Savigny) und der König „die Bezeichnung als Universität" genehmigte (ihr 1907 seinen N a m e n als „Westfälische Wilhelms-Universität" verlieh). Durch das finanzielle Engagement von Stadt und Provinz k a m 1905 eine Abteilung für das vorklinische Studium zustande, die sukzessive zu einer medizinischen Fakultät ausgebaut wurde (Eröffnung nach Fertigstellung moderner Kliniken 1925). Entgegen der zunächst ablehnenden Haltung von E O K und Kultusministerium setzten westfälische Abgeordnete 1912 die Gründung einer evangelisch-theologischen Fakultät durch. Die Universität entwickelte sich kontinuierlich: 1 9 3 1 / 3 2 mit 5 . 5 2 7 Studierenden gegenüber 6 8 8 im J a h r e 1900 und 2.001 im J a h r e 1910, 1928 mit 172 Professoren gegenüber 7 3 im J a h r e 1902. Allgemeine Bedeutung hatten außer einigen Theologen z. B. die Philosophen Karl Vorländer, Peter Wust und Heinrich Scholz, die Altphilologen Carl Hosius und Wilhelm Kroll, die Historiker Georg von Below, O t t o Seeck, Ernst Robert Daenell und H e r m a n n Wätjen, der Jurist Ernst Rosenfeld, der Mediziner Gerhard D o m a g k .
Nach der fast völligen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erlebte die Universität durch großzügige Neubauten, Stellenvermehrung und Sachmittel eine beachtliche Blüte. Herausragende Wissenschaftler prägten sie in etlichen Bereichen: z.B. in der Philosophie Joachim Ritter und Hans Blumenberg, in der Germanistik Benno von Wiese, Erich Trunz und Albrecht Schöne, in der Mittelalterforschung Herbert Grundmann und Karl Hauck, in der Altertumskunde Richard Härder und Heinrich Dörrie, in der Romanistik Heinrich Lausberg, in der Soziologie Helmut Schelsky, in der Volkswirtschaftslehre Alfred Müller-Armack. Die Studentenzahlen explodierten förmlich: von 5.183 im Jahre 1950 auf 15.668 (1965), 25.749 (1975), 32.540 (1980), 44.530 (1993). 1978 wurde die Pädagogische Hochschule, deren konfessioneller Charakter 1969 durch die Zusammenlegung der katholischen und der evangelischen Abteilung (diese 1960 gegründet) entfiel, durch Landesgesetz eingegliedert; die tatsächliche Integration vollzog sich danach gegen erhebliche Widerstände. 2. Die Katholisch-Theologische
Fakultät
Seit 1773 erfolgte gemäß Fürstenbergs Konzept die Ausbildung von Priestern zu religiösen Volkserziehern für das Münsterland durch einheimische Lehrer ohne allgemeine Bedeutung. Lediglich Georg —»Hermes ( 1 8 0 7 - 2 0 Professor für Dogmatik) bildete eine Ausnahme, erlangte aber seine Berühmtheit erst seit dem Wechsel nach Bonn. Im Lehrkörper der Akademie nach 1818 ragten die Dogmatiker Anton Berlage (1832/35-81) und Joseph Schwane (1853/59-92, Verfasser der ersten katholischen „Dogmengeschichte", der die Neuscholastik hier durchsetzte), hervor. Die Studentenzahlen überragten schon vor der Universitätsneugründung diejenigen der meisten deutschen Fakultäten (325 im Jahre 1900). Nach dem -»Kulturkampf stieg die wissenschaftliche Qualität beträchtlich an, z.B. durch Otto Bardenhewer (1884-85), Max Sdralek (1884-96), Ernst Commer (1884-88), Joseph Mausbach (1892-1929), Franz Hitze (1893-1920), Joseph Pohle (1894-97), Franz Diekamp (1902-33), Joseph Greving (1909-17), M a x Meinertz (1909-50), Franz Joseph Dölger (1912-26). Auch die Gründung der Theologischen Revue 1902 und der „Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum" 1917 signalisierten das. Aufgrund der neuscholastischen Orientierung wurde die Fakultät durch die Modernismuskrise (—»Modernismus) nicht erschüttert, doch ein Mitglied, der Dogmatiker Franz Renz, wurde 1907 aufgrund bischöflicher Intervention nach Breslau versetzt. Daß man für neue Möglichkeiten der wissenschaftlichen Organisation besonders aufgeschlossen war, zeigte die Einrichtung von vier Speziallehrstühlen: für Christliche Gesellschaftslehre (mit Hitze, der als Zentrumsabgeordneter im Landtag und Reichstag sowie als Sozialpolitiker hervortrat), für Missionswissenschaft (mit Joseph Schmidlin 1910—34), für Religions-
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Wissenschaft (mit Dölger), f ü r Kunde des Christlichen Orients (mit Paul Karge 1 9 1 7 - 2 2 ) . Historische Verdienste e r w a r b der M o r a l t h e o l o g e und D o m p r o p s t —» M a u s b a c h dad u r c h , d a ß er 1919 - wie Hitze Z e n t r u m s a b g e o r d n e t e r in der Weimarer N a t i o n a l v e r s a m m l u n g - im Verfassungsausschuß z u s a m m e n mit den Protestanten F. - » N a u m a n n und Wilhelm Kahl (1849-1932) die Kirchen- und Schulartikel g e m ä ß den kirchlichen Interessen durchsetzte. Der Kampf des NS-Staates gegen den Katholizismus (—»-Nationalsozialismus u. Kirchen) traf auch die Fakultät. Schmidlin w u r d e wegen seiner politischen Äußerungen 1934 zwangspensioniert, später verhaftet und starb 1944 im Konzentrationslager. Der Kirchenhistoriker G e o r g Schreiber, 1 9 2 0 - 3 3 p r o m i n e n t e s Reichstagsmitglied, entging 1935 der Zwangsversetz/ing nach Braunsberg nur d u r c h Antrag auf Emeritierung. Als Ersatz f ü r ihn versetzte Minister R u s t den bis dahin im Sinne des - • Nationalsozialismus engagierten Joseph - » L o r t z von Braunsberg hierher, der aber die politischen E r w a r tungen enttäuschte. Heinrich Weber, der Nachfolger Hitzes, w u r d e 1935 nach -»Breslau versetzt, Joseph H ö f e r , der 1 9 3 6 - 4 0 den Lehrstuhl f ü r Pastoraltheologie vertrat, w u r d e die E r n e n n u n g verweigert. Einige Lehrstühle d u r f t e n nicht wieder besetzt werden. Der N e u b a u nach 1945 - zunächst getragen d u r c h Schreiber und M e i n e r t z - vollzog sich schwierig. Für den nach M ü n c h e n wechselnden D o g m a t i k e r Michael Schmaus k a m 1946 H e r m a n n Volk (1962 Bischof von M a i n z ) . Den seit 1935 vakanten Lehrstuhl für Gesellschaftslehre ü b e r n a h m 1951 Joseph H ö f f n e r , der das entsprechende Institut aufbaute (1962 Bischof von M ü n s t e r ) . Die Fakultät entwickelte sich durch Errichtung neuer Lehrstühle und g e w a n n durch bedeutende Gelehrte ein besonderes Profil: Emil Lengeling ( 1 9 5 9 - 8 1 ) , Josef Pieper ( 1 9 6 0 - 7 2 ) , J o s e p h Ratzinger ( 1 9 6 3 - 6 6 ) , J o h a n n Baptist M e t z ( 1 9 6 3 - 9 3 ) , E r w i n Iserloh ( 1 9 6 4 - 8 3 ) , Walter Kasper ( 1 9 6 4 - 7 0 ) , Karl R a h n e r ( 1 9 6 7 - 7 1 ) . D u r c h die rasante Z u n a h m e der Studierenden (1960: ca. 500) im D i p l o m - u n d L e h r a m t s s t u d i e n g a n g ist sie zur größten katholischen F a k u l t ä t der Welt g e w o r d e n (mit 2.960 i. J. 1993 bei 30 Professuren).
3. Die Evangelisch-Theologische
Fakultät
Bei der Eröffnungsfeier am 15. 10. 1914 w u r d e der Aspekt betont, d a ß die N e u g r ü n d u n g zur Korrektur der verbreiteten Auffassung, M ü n s t e r w ä r e eine katholische Universität, beitragen könnte. Doch im konfessionspolitischen R a h m e n des dominierenden Milieukatholizismus, in den N ö t e n von Kriegs- und Nachkriegszeit und als weitaus jüngste unter den deutschen evangelischen - » F a k u l t ä t e n h a t t e die M ü n s t e r a n e r längere Zeit einen schweren Stand. D e n n o c h entwickelte sie sich relativ gut (von 37 Studierenden 1914/15 auf 319 1932/33). Sie w a r pragmatisch als westfälische Ausbildungsstätte, nicht p r o g r a m m a t i s c h als protestantisches Aushängeschild konzipiert. Die Ausstattung w a r sparsam, die Berufung der Professoren durch Kultusminister A. v. Trott zu Soltz ignorierte den d a m a l s bestimmenden Streit der theologischen Richtungen: Julius Smend ( P T h , der G r ü n d u n g s d e k a n , 1919 bereits R e k t o r ) , Wilhelm Rothstein (AT, 1921 emeritiert; sein N a c h f o l g e r : J o h a n n e s H e r r m a n n ) , G e o r g G r ü t z m a c h e r (KG), Karl H e i m (STh, bis 1920; d a n a c h G e o r g W e h r u n g ) , J o h a n n e s Leipoldt (NT, bis 1916; d a n a c h O t t o Schmitz); als E x t r a ordinarien Emil Balla (AT) u n d Waither G l a w e (KG), beide bis 1921. Beziehungen zur katholischen F a k u l t ä t ergaben sich vorerst nicht. 1922 w u r d e als S t u d i e n k o n v i k t d a s H a m a n n s t i f t gegründet. Besonderes theologisches Profil - allerdings w i e d e r u m nicht im Sinne b e s t i m m t e r R i c h t u n g e n - erhielt die F a k u l t ä t erst d u r c h die B e r u f u n g Karl - » B a r t h s 1925 u n d Wilhelm Stählins 1926; beide w i r k t e n über F a k u l t ä t u n d Universität hinaus, p r ä g e n d e W i r k u n g auf die westfälische T h e o l o g e n s c h a f t ging allerdings stärker von letzterem aus.
Die H e r r s c h a f t des Nationalsozialismus und der Kirchenkampf veränderten das Gesicht der Fakultät erheblich. Barths N a c h f o l g e r O t t o Piper (seit 1930) w u r d e im H e r b s t 1933 wegen seiner SPD-Mitgliedschaft entlassen, O t t o Schmitz wegen seines Einsatzes f ü r die Bekennende Kirche im S o m m e r 1934. G e m ä ß dem Führerprinzip herrschte als D e k a n 1 9 3 4 - 3 9 der Systematiker Friedrich Wilhelm Schmidt (1927 als außerordentlicher
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Professor berufen, 1934 Ordinarius, Mitglied der NSDAP seit 1933), der die politischen Vorgaben in der Fakultät durchsetzte. Als Schmitz' Nachfolger holte er aus Bethel (s. T R E 15, 428) Hans Wilhelm Schmidt, der sich für die - * Deutschen Christen engagierte. Auf Betreiben des westfälischen Gauleiters erhielt der Privatdozent für Praktische Theologie Martin Redeker 1934 eine Professur, ging aber 1936 nach ->Kiel. Allerdings schloß sich die Mehrheit 1934 der Bekennenden Kirche an: Stählin, G r ü t z m a c h e r , H e r r m a n n und die beiden außerplanmäßigen Professoren Werner Foerster ( N T ) und Karl Bauer ( K G ) , die deswegen berufliche Nachteile erlitten. 1935 wurden W i l h e l m Goeters und H a n s Emil Weber von - » B o n n hierher zwangsversetzt. H . W . Schmidt ging 1935 nach B o n n , F.W. Schmidt 1939 nach —»Berlin. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Provinzialkirche um die Kooperation der Bekennenden Kirche mit Konsistorium und Kirchenausschuß spitzten sich für die Fakultät in der Frage der Beteiligung an den E x a m i n a zu. Die „ d a h l e m i t i s c h e n " Bekenntnisstudenten boykottierten 1936 die Lehrveranstaltungen von H e r r m a n n und Stählin, doch ihre von westfälischen Pfarrern durchgeführten Ersatzvorlesungen wurden vom Ministerium verboten. 1938 berief dieses o h n e M i t w i r k u n g der Fakultät Helmuth Kittel und 1939 Ernst H a e n c h e n . Die Studentenzahl sank bis 1939 auf 20; 1944 wurde der Lehrbetrieb wegen der starken B o m b e n s c h ä d e n eingestellt, Stählin ging als Bischofsverweser nach O l d e n b u r g . 1945 g a b es in der zu 91 Prozent zerstörten Altstadt keine Universitätsgebäude mehr.
Nach dem Krieg mußte die Fakultät, der nur noch J. Herrmann angehörte (da Haenchen sich emeritieren ließ und Kittel nach Celle berufen wurde), völlig neu aufgebaut werden. Das geschah unter starkem Einfluß der westfälischen Kirchenleitung und aufgrund des tatkräftigen Einsatzes von Helmuth Schreiner, der nach Verdrängung aus seinem Rostocker Ordinariat 1937 in Münster das Diakonissenmutterhaus leitete. Wie 1912-14 orientierte man sich auch jetzt nicht an theologischen Richtungen oder kirchlichen Positionen, was im Vergleich zu anderen deutschen Fakultäten bemerkenswert war. Entnazifizierungsfälle standen nicht an. Wegen der Zerstörung der Stadt gab es kaum Wohnungs- und Arbeitsmöglichkeiten; daran scheiterten 1 9 4 5 - 4 7 manche Berufungspläne. Zunächst behalf man sich im provisorischen Vorlesungsbetrieb — neben Schreiner und Herrmann als einzigen Professoren - mit Lehraufträgen. 1947/48 waren die weiteren Lehrstühle besetzt: mit Robert Stupperich (KG), Karl Heinrich Rengstorf (NT), Carl Heinz Ratschow (STh). Dazu kam als Extraordinarius Joachim Konrad (PTh/STh, bis 1950). Das zweite systematische Ordinariat wurde auf Drängen der lippischen Kirchenleitung zur Professur für Reformierte Theologie umgewidmet (mit Paul Jacobs 1948/49 besetzt) - eine Folge der Eingliederung von Lippe-Detmold (->Lippe) in das neue Bundesland Nordrhein-Westfalen. Diese Fixierung des konfessionellen C h a r a k t e r s eines Lehrstuhls führte zu einem bemerkenswerten Konflikt: Die F a k u l t ä t ergänzte 1949 ihre Statuten dahingehend, „ d a ß sämtliche O r d i n a r i a t e mit A u s n a h m e des für reformierte D o g m a t i k als lutherisch anzusehen und im Regelfalle mit Lutheranern bzw. Unierten lutherischer Prägung zu b e s e t z e n " wären. Das entsprach weder dem k o n fessionellen Z u s t a n d Westfalens (trotz starker lutherischer Tradition) noch der bisherigen Einordnung der preußischen Fakultäten als unierter Institutionen. Auf dem kirchenpolitischen Hintergrund der Auseinandersetzung um die G r ü n d u n g der V E L K D neben der E K D rief jene Fixierung, der außer dem Kultusministerium zunächst auch die Kirchenleitung zugestimmt hatte, scharfe Kritik hervor; diese führte allerdings nicht zu einer Änderung der Statuten, wohl aber zu einer a t m o sphärischen Belastung und erhielt 1952 durch die Berufung des lutherischen D o g m a t i k e r s Ernst Kinder neuen Auftrieb. Im Staatskirchenvertrag von 1958 wurde der Lippischen Landeskirche ein zweiter reformierter Lehrstuhl konzediert.
Das Profil der Fakultät wird bis heute durch die seit 1952 erfolgte Einrichtung spezieller Institute bestimmt: das Institutum Judaicum Delitzschianum (Rengstorf); die Bucerforschungsstelle und das Ostkircheninstitut (Stupperich); das große Institut für Christliche Gesellschaftswissenschaften mit der Berufung von Heinz Dietrich Wendland 1955 als Ausdruck für eine interdisziplinäre Neuorientierung der Theologie; das Institut für Neutestamentliche Textforschung, welches der aus Halle vertriebene Kurt Aland seit 1959 aufbaute und - mitsamt dem Bibelmuseum 1979 - zu einem international
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Müntzer
r e n o m m i e r t e n W i s s e n s c h a f t s z e n t r u m m a c h t e . N a c h 1 9 6 5 spielte die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Bekenntnisbewegung „Kein anderes E v a n g e l i u m " - v o r allem wegen derer Att a c k e n a u f Willi M a r x s e n - e i n e R o l l e . N a c h 1 9 6 8 p o l a r i s i e r t e n die h o c h s c h u l p o l i t i s c h e n Konflikte die F a k u l t ä t . I m Z u s a m m e n h a n g d e s a l l g e m e i n e n U n i v e r s i t ä t s a u s b a u s
ver-
m e h r t e n sich die P r o f e s s o r e n - u n d A s s i s t e n t e n s t e l l e n b e t r ä c h t l i c h , w o d u r c h die F a k u l t ä t zu e i n e r d e r g r ö ß t e n in D e u t s c h l a n d w u r d e ; sie u n t e r l i e g e n a b e r seit einigen
Jahren
a u f g r u n d d e r g e g e n ü b e r M ü n s t e r d e z i d i e r t r e s t r i k t i v e n H o c h s c h u l p o l i t i k des L a n d e s z u n e h m e n d e n K ü r z u n g e n (derzeit 2 1 P r o f e s s u r e n u n t e r E i n s c h l u ß d e r 1 9 8 2 i n t e g r i e r t e n P H - L e h r s t ü h l e als Institut
für Evangelische
Theologie
und ihre Didaktik-,
Z a h l d e r Stu-
d i e r e n d e n : 1 . 3 9 1 im J a h r e 1 9 9 3 ) . Literatur Heinz Dollinger (Hg.), Die Univ. Münster 1 7 8 0 - 1 9 8 0 , Münster 1980. - Anton Eitel, Von der alten zur neuen Univ. in Münster, Münster 1953 (Sehr, der Gesellschaft zur Förderung^der Westfälischen Wilhelms-Univ. zu Münster 31). - Eduard Hegel, Die Kath.-Theol. Fakultät Münster in ihrer gesch. Entwicklung ( 1 7 7 3 - 1 9 6 1 ) , Münster 1961 (Sehr, der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Univ. zu Münster 47). - Ders., Gesch. der Kath.-Theol. Fakultät Münster 1 7 7 3 - 1 9 6 4 , 2 Bde., Münster 1 9 6 6 - 7 1 ( M B T h 30). - Ders., Die kath. T h e o l . in Münster: Univ. Münster (s. o. H . Dollinger) 2 5 3 - 2 6 8 . - Wilhelm H . Neuser (Hg.), Die Ev.-Theol. Fakultät Münster 1914 bis 1989, Bielefeld 1991 (Unio u. Confessio 15). - Ders., Karl Barth in Münster 1 9 2 5 - 1 9 3 0 , Zürich 1985 (ThSt 130). - Ders., Die Teilnahme der Professoren aus Münster an den kirchl. Prüfungen - ein Stück westfälischer Kirchenkampf: T h e o l . Fakultäten im Nationalsozialismus, hg. v. Leonore Siegele-Wenschkewitz/Carsten Nicolaisen, 1993 ( A K Z B. 18), 3 1 7 - 3 4 5 . - Erhard Obermeyer (Hg.), Univ. Münster. Ein Porträt, Münster 1992. - Anton Pieper, Die alte Univ. Münster 1 7 7 3 - 1 8 1 8 , Münster 1902. - Dietrich Reichling, Die Reform der Domschule zu Münster im J a h r e 1500, Berlin 1900. - Wilhelm Ribhegge, Gesch. der Univ. Münster, Münster 1985. - Bernd Schönemann, Die Bildungsinstitutionen in der frühen Neuzeit: Gesch. der Stadt Münster, hg. v. FranzJosef J a k o b i , Münster, 11993, 6 8 3 - 7 3 3 . - Rudolf Schulze (Hg.), Das Gymnasium Paulinum zu Münster 7 9 7 - 1 9 4 7 , Münster 1948. - R o b e r t Stupperich, Die Ev.-Theol. Fakultät der Univ. Münster ( 1 9 1 4 - 1 9 5 4 ) , Münster 1955 (Sehr, der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Univ. zu Münster 34). - Ders., Die ev.-theol. Fakultät der Univ. Münster. Univ. Münster (s. o. H . Dollinger) 2 4 1 - 2 5 3 . Wolf-Dieter Hauschild
M ü n t z e r , Thomas
(ca.
1. Forschungsgeschichte S.428) 1.
1490-1525) 2. Leben
3. Theologie
4. Wirkung
(Quellen und Literatur
Forschungsgeschichte
Eine im eigentlichen Sinn wissenschaftliche Beschäftigung mit Müntzers Leben und Theologie gibt es erst seit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Z w a r waren erste Ansätze dazu schon Ende des 18. J h . vorhanden, aber gerade das 19. J h . vollzog dann einen vielfältig ideologischen Zugriff auf Müntzer, indem man ihn auf der einen Seite als das Gegenbild eines antirevolutionär angeeigneten Luther (Ludwig von Baczko, J o h a n n Karl Seidemann, Heinrich Leo) und auf der anderen Seite als den frühen Vertreter liberaler (Wilhelm Zimmermann) und demokratisch revolutionärer (Friedrich Engels) Intentionen zeichnete. Die Grundlagen für eine ernstzunehmende Müntzerforschung wurden daher erst in Auseinandersetzung mit der den Quellen nicht immer gerecht werdenden, vielfach auch fehlerhaften Darstellung Ernst - » B l o c h s von Heinrich Böhmer und Karl - » H o l l gelegt. Während diese Linie in ihrer Schule fortgesetzt wurde (Lohmann; Gerdes), blieb die marxistische Geschichtsdeutung (Smirin), vor allem in der D D R (Meusel), auf den von Engels und Kautsky vorgezeichneten Bahnen. Differenzierter wurde diese Müntzerdeutung, als man sie nach 1960 in das Gesamtkonzept der ,frühbürgerlichen Revolution' einzeichnete, wie es besonders in den Arbeiten von Manfred Bensing geschah und, die Beiträge des Jubiläumsjahres 1975 von marxistischer Seite zusammenfassend, in der „Illustrierten Geschichte der frühbürgerlichen R e v o l u t i o n " dokumentiert wurde. In der Auseinandersetzung mit dieser Deutung wurde von Elliger, vor allem in seiner monumentalen Biographie aus dem J a h r 1975, der T h e o l o g e Müntzer nachdrücklich gegenüber dem Revolutionär herausgearbeitet, während Hinrichs und Nipperdey schon früher mit unterschiedlichen Antworten nach dem Zusammenhang von Theologie und Revolution bei Müntzer
Müntzer
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gefragt hatten. M i t der keineswegs befriedigenden Edition der Schriften Müntzers durch Günther Franz wurde Ende der sechziger J a h r e gleichwohl der weiteren Forschung ein anregendes Instrument geschaffen. Eine erste umfassende und die Frage nach dem Verhältnis des T h e o l o g e n zum R e v o lutionär einbeziehende Deutung der T h e o l o g i e M ü n t z e r s unternahm G o e r t z , wobei er mit N a c h druck auf die mystischen Traditionen verwies, während andere stärker die apokalyptischen Überlieferungen betonten ( M a r o n , S c h w a r z , S e e b a ß ) . Neuerdings wurden aber auch im Z u g e von Untersuchungen zu Müntzers Frühzeit die humanistischen Hintergründe in den Blick g e n o m m e n (Bubenheimer). Seit Beginn der achtziger J a h r e k a m es dann zu vielfältigem wissenschaftlichen Austausch zwischen den Vertretern der marxistischen und nichtmarxistischen M ü n t z e r f o r s c h u n g und darüber insofern zu deutlicher Annäherung, als auch auf marxistischer Seite die T h e o l o g i e Müntzers nun nicht mehr als zeitbedingte Einkleidung sozialrevolutionärer G e d a n k e n verstanden, sondern ernst g e n o m m e n und in den Vordergrund gestellt wurde. D a s schlug sich ansatzweise auch in den offiziellen „ T h e s e n über T h o m a s M ü n t z e r " (1988), stärker aber in den Beiträgen von Laube, Steinmetz und Vogler zum J u b i l ä u m s j a h r 1989 nieder. Bleibendes D o k u m e n t der schon vor der politischen ,Wende' in der wissenschaftlichen M ü n t z e r f o r s c h u n g erreichten weitgehenden Übereinstimmung und eine solide Grundlage aller weiteren Forschung bilden die unter dem programmatischen T i t e l „ D e r T h e o l o g e T h o m a s M ü n t z e r " (S. Bräuer, Junghans) in einem Band vereinigten Beiträge von Kirchenhistorikern und H i s t o r i k e r n sowohl marxistischer wie nichtmarxistischer Prägung, die im gleichen J a h r erschienen. T r o t z m a n c h e r offener Fragen, die nicht nur Quellen und Herleitung der T h e o l o g i e M ü n t z e r s , sondern auch durchaus zentrale P r o b l e m e seines Denkens betreffen, ist hier M ü n t z e r s T h e o l o g i e erstmals fast alle Aspekte umgreifend analysiert und auch ein erster zusammenfassender Konsens erreicht worden, wie er sich ähnlich auch in den verschiedenen im J u biläumsjahr erschienenen Biographien findet (Brendler, G o e r t z , Gritsch, Friesen, Scott, Vogler und Wolgast), in denen in A u f n a h m e und Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Bubenheimer und Steinmetz vor allem die Frühzeit M ü n t z e r s und seine Entwicklung, die Einbindung seiner T h e o l o g i e in den regionalen und weiteren historischen K o n t e x t sowie der Weg in den Bauernkrieg differenzierter als früher ausgearbeitet wurden.
2.
Leben
Trotz der in den vergangenen Jahren intensivierten Forschung zu Müntzers Frühzeit und Entwicklung bleibt in diesem Bereich vieles Hypothese, so daß im folgenden an vielen Stellen exakte Datierungen nicht möglich sind. Müntzer wurde wahrscheinlich — darauf deutet sein Vorname hin - am 20. oder 21. Dezember 1490 in Stolberg/Harz geboren. Über die Eltern ist kaum etwas bekannt, sie gehörten aber beide vermutlich zu eher wohlhabenden und aufstrebenden Familien, die in vielfältigen Kontakten zu den gehobenen Schichten der anderen Städte des Harzvorlandes standen. Nach dem Besuch der Lateinschule in Quedlinburg-der Heimatstadt der Mutter - bezog Müntzer 1506 die Universität Leipzig. Ohne eigentliche Beendigung des Studiums übernahm er danach zunächst die Stelle eines ,Kollaborators' in Aschersleben und Halle, um dann 1512 erneut die Universität zu beziehen, diesmal die mit Leipzig vielfältig verbundene Viadrina in —»Frankfurt/Oder. Wohl hier hat Müntzer seine akademischen Grade, den Baccalaureus und Magister artium sowie den Magister der Theologie erworben. Nach der in der Diözese Halberstadt erfolgten Priesterweihe dürften ihm familiäre Verbindungen zu einer Pfründe an der Michaeliskirche in Braunschweig verholfen haben. Diese behielt er auch, als er wenig später die Stelle eines Propstes und Leiters der Schule im Kanonissenstift Frose bei Aschersleben übernahm. Noch 1517 begab sich Müntzer wahrscheinlich nach —» Wittenberg, sicher keine lutherische Universität', aber die Universität Luthers, und als solche dürfte sie Müntzer angezogen haben. Das heißt nicht, daß Müntzer damit einfach zum Schüler Luthers werden mußte. Er konnte dort ebensogut seine humanistische Bildung vervollkommnen und seine theologischen Studien vertiefen. Von Wittenberg aus kam er um Ostern 1519 nach Jüterbog, um den ,lutherischen' Prediger Günther zu vertreten, geriet aber wie dieser sofort in Auseinandersetzungen mit den dortigen Franziskanern, da er nicht nur die scholastische Theologie, sondern auch die Hierarchie der Kirche scharf kritisierte (Bubenheimer; Lohse, Müntzer in neuer Sicht). Nach Günthers Rückkehr hat er sich vermutlich nach Wittenberg oder aber ins obere Saaletal nach Orlamünde begeben, dessen
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Pfarre der ihm von Wittenberg her bekannte Karlstadt innehatte, damals freilich noch nicht selbst verwaltete. Wenig später finden wir ihn als Beichtvater im Zisterzienserinnenkloster von Beuditz bei Weißenfels. Müntzer mag seine dortige Tätigkeit als eine Art ,Exil' empfunden haben, sie ließ ihm aber Zeit zum intensiven Studium der Vulgata, historischer Werke (Pseudohegesipp, Euseb, Akten der Konzilien von Konstanz und Basel) der Kirchenväter (Hieronymus, Augustin) sowie mystischer Schriften (Tauler, Seuse, Schriften der deutschen dominikanischen Frauenmystik) - Studien, die sich einerseits seinem Antiklerikalismus und der Kirchenkritik, andererseits dem Interesse am rechten christlichen Glauben verdankten. Daneben verfolgte er die ,Luthersache' und könnte auch selbst bei der Leipziger Disputation Karlstadts und Luthers mit J . -»Eck zugegen gewesen sein. Möglicherweise durch Luthers Vermittlung erhielt Müntzer im Mai 1520 die Aufgabe, Johannes Egranus als Prediger an der Marienkirche in Zwickau zu vertreten, einer Stadt von überregionaler Bedeutung und mit deutlichen sozialen Spannungen, in der es einen bereits virulenten Antiklerikalismus gab. Auch hier geriet Müntzer wieder sehr schnell in Auseinandersetzungen mit den Franziskanern, in die sich der bischöfliche Offizial, die kurfürstlichen Beamten und der Rat einschalteten. Müntzer, der als Anhänger Luthers galt, wurde zunächst vom Rat geschützt und konnte nach Ablauf der Vertretung die Predigerstelle an der Katharinenkirche übernehmen. Seine zunehmend spiritualistisch und apokalyptisch geprägte Theologie, die ihn wohl mit den späteren ,Zwickauer Propheten' zusammenbrachte, führte aber zu Differenzen mit den eigentlichen Lutheranhängern sowie mit Egranus, der einen reformfreundlich-humanistischen Kurs zu steuern versuchte. Um der drohenden Verschärfung der Spannungen in der Stadt zuvorzukommen, wurde Müntzer vom Rat im April 1521 entlassen. Die von Luther und ihm selbst bezogene positive Stellung zur Reformation des J . —•Hus dürfte ihn bewogen haben, sich nach Böhmen zu begeben. An der Prager Universität zunächst als ,Wittenberger' freundlich aufgenommen, konnte er sich dann aber seiner Predigten wegen auch in dieser Stadt nicht länger halten. Ob Müntzer damals hussitisch-taboritische Schriften und Traditionen, zu denen sich in seinen späteren Schriften deutliche Analogien finden (Schwarz), direkt oder nur über Gegenschriften kennengelernt hat, ist nicht festzustellen. In seinem ,Bekenntnis', das er als offenen Brief an die Böhmen und die Gesamtchristenheit konzipierte, dem sogenannten Prager Manifest (als älteste wohl die lateinische Fassung, dann eine kurze und später eine längere deutsche Überarbeitung mit tschechischer Übersetzung; vgl. de Boor, Prager Manifest und Wolfgram, Prager Anschlag) ist nicht nur seine spiritualistische Theologie in der durchgehenden Unterscheidung von ,totem Buchstaben' und ,lebendigem Wort' (Goertz), sondern ebenso seine Apokalyptik zu greifen. In diese Zeit fällt nicht nur der Tod seiner Mutter und die Übersiedlung seines Vaters nach Braunschweig, sondern auch die Aufgabe der Pfründe in dieser Stadt. Es folgt eine Zeit, die Müntzer gelegentlich als das ,Elend meiner Vertreibung' bezeichnet hat und in der wir seinen Weg nur schwer verfolgen können. Er könnte ein Angebot des Erfurter Benediktinerklosters angenommen haben, dort die .Humaniora' zu lehren; er scheint in Wittenberg und Stolberg, möglicherweise sogar in Augsburg gewesen zu sein; ein kurzer Aufenthalt mit scharfer Abgrenzung gegen den Lutheraner Lorenz Süße ist für Nordhausen bezeugt; außerdem besuchte er Karlstadt, der damals eine stark von der Mystik beeinflußte Theologie entwickelte, in Wörlitz. Schließlich erhielt er eine Stelle als Prediger im Nonnenkloster Glaucha vor den Toren Halles, mußte aber - wohl erneut seiner Predigten und der daraus resultierenden Spannungen wegen - die Stadt im M ä r z 1523 unfreiwillig räumen. Dennoch fand Müntzer die Zeit, die Schriften Tertullians durchzuarbeiten und mit Randglossen zu versehen, die beweisen, daß er seine Lektüre kritisch und im Horizont eines eigenen Denkens betrieb, das seine Theologie in vielen Zügen deutlich erkennen läßt (Matheson, Müntzer's Marginal Comments; Ullmann, ordo rerum). Zunehmend wandte sich Müntzer - zumal nach Luthers Invokavitpredigten - nun auch immer deutlicher gegen die Theologie und die von der Rücksichtnahme auf die ,Schwachen' gekennzeichnete Reformation der Wittenberger. Insgesamt haben die persön-
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liehen Erfahrungen der Jahre zwischen 1521 und 1523 sicherlich dazu beigetragen, die zentrale Stellung des Leidens in Müntzers Theologie zu festigen.
Wohl Anfang April 1523 erhielt Müntzer - vielleicht durch Vermittlung der Felicitas von Seimenitz, die ihm wohl schon die Anstellung in Glaucha verschafft hatte — die Pfarrstelle der Johanniskirche in Allstedt, einem Ackerbürgerstädtchen von 700 Einwohnern, das als kursächsische Exklave vom Schösser Hans Zeiß verwaltet wurde. Offenbar in kürzester Zeit gelang es ihm, nicht nur den Schösser und den Rat, sondern auch seinen Amtskollegen, Simon Haferitz, für sich und die von ihm vertretene Theologie einzunehmen. Zum ersten Mal, wenn auch nicht vom fürstlichen Patron, mit einer eigenen Pfarrstelle betraut, ging Müntzer, der bald nach seinem Amtsantritt die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen heiratete - über den Verbleib des 1524 geborenen Sohnes ist nichts bekannt—, sofort daran, eine Reformation des gottesdienstlichen Lebens vorzunehmen. Das betraf nicht nur den Meßgottesdienst, sondern ebenso die Kasualien. Alle Gottesdienste wurden durchgehend in deutscher Sprache gehalten, Müntzer hielt sich im allgemeinen an die überlieferte Abfolge der gottesdienstlichen Stücke, beseitigte aber, was seiner Theologie direkt widersprach, und veränderte anderes in deren Sinn. Dabei griff er durchaus auch auf Schriften und Übersetzungen Luthers zurück, übertrug aber eine Fülle von Texten, vor allem Psalmen und Hymnen, auch selbst ins Deutsche. Darüberhinaus arbeitete er auf der Grundlage des Breviers eine den fünf Hauptzeiten des Kirchenjahres folgende Agende für die Nebengottesdienste aus, die im Herbst 1523 unter dem Titel Deutsches Kirchenamt im Druck erschien (MSB 25—155 mit der Vorrede 161 f). Als sich im Laufe des Jahres die Angriffe von Seiten altgläubiger Fürsten auf die Allstedter Gottesdienste häuften, gab Müntzer für sich und seine Kollegen und unter dem Wappen der Stadt eine Rechtfertigung seiner Reform mit dem Titel Ordnung und Berechnung des Deutschen Amts zu Allstedt heraus (MSB 207—215). Dagegen zogen sich Ausarbeitung und Druck seiner Deutschen evangelischen Messe, die wiederum die fünf Hauptzeiten des Kirchenjahres berücksichtigte, bis in den August 1524 hin ( 1 5 7 - 1 6 0 ; 1 6 3 - 2 0 6 ) .
Von seiner Tätigkeit voll ausgefüllt, warnte er damals seine Stoiberger Anhänger in einem offenen Brief davor, mit dem Anbruch der Herrschaft Christi in unmittelbarer Zukunft zu rechnen (MSB 2 2 - 24; der kürzere Entwurf ebd. 21 f). Außerdem erneuerte er den Kontakt zu Karlstadt und zu Luther. Letzterer verfolgte allerdings von Anfang an Müntzers Wirken in Allstedt sehr kritisch und warnte zumal den Schösser Zeiß wiederholt vor Müntzers Theologie. Dennoch besaßen die Allstedter Gottesdienste als kleines reformatorisches Zentrum in einer sonst altgläubigen Umgebung für die Menschen auch der benachbarten Ämter und Gebiete eine hohe und weitreichende Anziehungskraft. Deswegen kam es schon seit Sommer 1523 zu schweren Differenzen mit Ernst von Mansfeld, in die nicht nur der herzogliche und kursächsische Hof eingeschaltet wurden, sondern in deren Verlauf auch Müntzer sehr deutlich formulierte, daß einer Obrigkeit, die ihre in Rom 13,3f festgelegten Funktionen nicht wahrnehme oder gar verkehre, die Macht genommen und nach Dan 7,27 f den Auserwählten gegeben werde. Den kursächsischen Fürsten gegenüber bekundete Müntzer immer wieder seine Bereitschaft, seine Lehre öffentlich zu verteidigen, lehnte allerdings ein Verhör durch die Wittenberger Theologen im kleinen Kreis stets ab. In diesem Zusammenhang sind die beiden Schriften entstanden, in denen er in scharfer und deutlicher Auseinandersetzung mit Altgläubigen und Wittenbergern seine Theologie darlegte: Protestation oder Erbietung Thomas Müntzers (MSB 2 2 5 - 2 4 0 ) und Von dem gedichteten Glauben (MSB 2 1 7 - 2 2 4 ) . Das Verhältnis zu den sächsischen Fürsten wurde schwer gestört, als die Allstedter dem Nonnenkloster Naundorf nicht nur die fälligen Abgaben verweigerten, um sie einer erneuerten Armenpflege zuzuführen, sondern am 24. März 1524 auch die dem Kloster gehörende, in ihrer Feldmark liegende Mallerbacher Kapelle ausraubten und niederbrannten. Der Aufforderung zur Verhaftung und Bestrafung der Schuldigen kamen Schösser und Rat von Allstedt, darin massiv von Müntzer unterstützt, zunächst gar nicht und dann nur zögerlich nach. Am 13. Juli hatte Müntzer dann Gelegenheit, vor
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Herzog Johann und seinem Gefolge auf dem Schloß von Allstedt zu predigen, wobei er eine ausführliche und ganz auf die eigene, von ihm apokalyptisch gedeutete Zeit und die Aufgaben der sächsischen als christlichen' Fürsten bezogene Auslegung von Dan 2 gab, die sogenannte Fürstenpredigt, die wenig später im Druck erschien (MSB 2 4 1 - 2 6 3 ) . Im Laufe des Sommers verschärfte sich die Situation aus verschiedenen Gründen: Die Allstedter reagierten aufsässig, als der Schösser auf den Druck des Hofes hin schließlich gegen die Schuldigen an den Mallerbacher Vorgängen einschreiten mußte. Diese Vorgänge veranlaßten Luther, bei den sächsischen Fürsten ein entschiedenes Eingreifen anzumahnen. Außerdem verschärften sich die Auseinandersetzungen mit den umliegenden Amtleuten wegen des Gottesdienstbesuchs in Allstedt, der nun gewaltsam unterbunden wurde. In dieser Situation, die Müntzer als Landfriedensbruch beurteilte, bildete er in Allstedt einen Bund, der allerdings nur defensiv zugunsten der Anhänger und Hörer Müntzers tätig werden sollte. Nach einem Verhör am herzoglichen Hof in Weimar befahl man den Allstedtern, die Täter von Mallerbach zu bestrafen, den Bund aufzulösen und die für Müntzer arbeitende Druckerei zu schließen. Als man sich in Allstedt dazu bereit fand, verließ Müntzer in der Nacht vom 7. auf den 8. August heimlich das Städtchen. Wohl über Nordhausen begab sich Müntzer in die Reichsstadt Mühlhausen, in der bereits seit 1522 antiklerikal und reformatorisch gepredigt wurde und in der die wohlhabenderen Schichten der Bürger darüber eine Beteiligung am Stadtregiment erreicht hatten. Eine Warnung Luthers kam zu spät: Müntzer hatte bereits freundliche Aufnahme in der Stadt gefunden, die Erlaubnis zur Predigt in der Marien- und Nikolaikirche erhalten und war dabei, seine Allstedter Gottesdienstreform auch hier durchzuführen. Die ohnehin in der Stadt bestehenden Spannungen dürften durch Müntzer und Heinrich Pfeiffer, der nach einer ersten Ausweisung in die Stadt zurückgekehrt war, verschärft worden sein. Zum Ausbruch kamen sie über einen Willkürakt eines der Bürgermeister. Die unter Mitwirkung von Müntzer und Pfeiffer aufgestellten Elf Artikel, die einen neuen Rat und ein am Wort Gottes orientiertes Stadtregiment forderten, wurden zwar zunächst angenommen, aber mit Hilfe der Bauern des Landgebiets konnte der Rat der Situation Herr werden. Müntzer und Pfeiffer, die während der Auseinandersetzungen den ,Ewigen Bund' vor den Toren Mühlhausens gegründet hatten, wurden am 26. September ausgewiesen. Müntzer wandte sich zunächst nach Bibra, um dort dem Buchführer Hans —»-Hut, den er schon länger kannte, die inzwischen umgearbeitete und erweiterte Fassung seiner Auslegung von Lk 1 für die Publikation zu übergeben. Im Oktober wurde die Schrift, deren ersten Entwurf Müntzer noch in Allstedt erstellt hatte (MSB 267—319, B), in erweiterter Form als Ausgedrückte Entblößung des falschen Glaubens heimlich in Nürnberg gedruckt (MSB 2 6 7 - 3 1 9 , A). Wenig später kam auch Müntzer selbst in diese Stadt, wo er, vom Rat ignoriert oder nicht entdeckt, mit Ratsherren wie Christoph Fürer, aber auch mit dem humanistischen Schulmeister Hans -»Denck verkehren und seine Abrechnung mit Luther, die Hochverursachte Schutzrede, konzipieren konnte. In beiden Schriften zeigt sich, daß Müntzer nach der Enttäuschung über die sächsischen Fürsten die fürstlichen Obrigkeiten nun insgesamt als Gottlose und Verworfene qualifizierte, denen die Herrschaft zugunsten der Auserwählten genommen werde. Entsprechend scharf fiel auch seine Schrift gegen Luther aus, dessen Theologie er nicht nur als den ausbeuterischen Fürsten dienlich, sondern geradezu als Verhinderung des rechten Glaubens decouvrieren wollte (MSB 3 2 1 - 3 4 3 ) . Als seine Schrift gegen Luther im Dezember in Nürnberg gedruckt und konfisziert wurde, war Müntzer bereits in den Südwesten des Reichs weitergezogen. Ob er damit einer Empfehlung Hans Dencks folgte, sich an —»Oekolampad zu wenden, ob er von den Zürcher Radikalen gehört hatte, die sich schon im September mit ihm brieflich hatten in Verbindung setzen wollen, oder ob er von dem beginnenden Bauernaufstand (-»Bauernkrieg) angezogen wurde, bleibt unklar. Ein Zusammentreffen mit Oekolam-
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päd ist bezeugt, dagegen kann eines mit den späteren Zürcher Täufern und ein weiteres mit B. -»Hubmaier nur vermutet werden. Sicher aber ist, daß Müntzer bei den aufständischen Bauern im Klettgau und Hegau gepredigt und für sie ,Artikel' über eine anzustrebende Herrschaftsform aufgesetzt hat, selbst wenn deren Identifizierung mit dem bei Hubmaier später gefundenen Verfassungsentwurf' (Seebaß) fraglich bleibt. Von besonderer Bedeutung ist Müntzer für den südwestdeutschen Bauernkrieg nicht gewesen. Ihn selbst aber hat der Aufstand in der Überzeugung gestärkt, daß die ,große Reformation' der Welt vor der Tür stehe. Angesichts der veränderten Situation in Mühlhausen — dort waren nach der Rückkehr Pfeiffers im Dezember nach einem Bildersturm die Klöster aufgehoben und das Kirchengut eingezogen worden - kehrte Müntzer im Februar 1525 dorthin zurück. Wenig später kam es angesichts der Bedrohung der Stadt von außen erneut zu einer Auseinandersetzung zwischen den Predigern, ihrem Anhang und dem Rat, die mit Zustimmung der Gemeinde mit der Neuwahl eines ,Ewigen Rates' endete. Seit Mitte April begannen sich dann auch in Thüringen die Bauern in drei Haufen zu sammeln, von denen der Eisenacher Haufe von einem Anhänger Müntzers geführt wurde. Ein Mühlhäuser Aufgebot zog unter der von Müntzer gestalteten Fahne des Ewigen Bundes - einem weißen Tuch mit der Abbildung des Regenbogens, dem Spruch Verbutn Domini manet in aeternum und der Aufforderung, wer bei dem Worte Gottes stehen wolle, solle unter diese Fahne treten - , aber ohne ihn selbst gegen Langensalza. In den Tagen darauf schwoll der Mühlhäuser Haufe auf fast 10.000 Mann an, zog dann aber nicht, wie Müntzer es gewollt hatte, gegen Ernst von Mansfeld, sondern auf das Eichsfeld. Erst nach Beendigung dieses Zuges konnte Müntzer mit einem kleinen städtischen Aufgebot von dreihundert Mann dem Frankenhäuser Haufen zu Hilfe eilen. Nach seiner Ankunft versuchte er sofort brieflich weitere Verstärkungen für die Frankenhäuser zu mobilisieren, allerdings ohne großen Erfolg. In scharfen Briefen wandte er sich außerdem gegen die Grafen von Mansfeld. So wurde er zum geistigen und geistlichen Führer des Haufens. Es ist daher verständlich, daß —»Philipp von Hessen, —»Georg von Sachsen und Heinrich von Braunschweig, die bis zum 15. Mai den Ring um die Frankenhäuser immer enger zogen, seine Auslieferung verlangten, aber vergeblich. Unter Hinweis auf einen regenbogenfarbigen Ring um die Sonne predigte Müntzer am 15. Mai den Bauern, Gott werde zu ihren Gunsten in diese letzte Auseinandersetzung zur Reinigung der Welt eingreifen. Die fürstlichen Truppen aber errangen dann doch einen schnellen Sieg, der mit einem furchtbaren Gemetzel unter den Aufständischen endete. Müntzer wurde in Frankenhausen selbst aufgestöbert, gefangengenommen und Ernst von Mansfeld in Heldrungen übergeben. Nach intensiven Verhören, auch unter Folter, hat man ihn am 27. Mai zusammen mit Heinrich Pfeiffer im Lager vor Görmar hingerichtet, die Köpfe auf Spieße gesteckt, die Leiber gepfählt. Daß Müntzer einen ,Widerruf' geleistet haben oder an seiner Sache irre geworden sein sollte, ist nicht zu belegen. Die Niederlage der Bauern führte er darauf zurück, daß von ihnen nicht ausschließlich Gottes Ehre und Reich, sondern auch der eigene Nutzen gesucht worden sei, der stets ins Verderben führe. Seine Aufforderung an die Fürsten, die Bücher der Könige zu lesen, bezeugt am Ende seines Lebens noch einmal, daß Müntzer ungebrochen in den Tod ging.
3.
Theologie
Die genaue Erfassung von Müntzers Theologie steht im Blick auf sein Werk vor besonderen Schwierigkeiten. Von einigen Stücken abgesehen, stammen Müntzers Schriften und Briefe aus seinen letzten sechs Lebensjahren, einem relativ kurzen Zeitabschnitt also. Hinzu kommt, daß mit Ausnahme der agendarischen Entwürfe seine Schriften fast durchgehend polemisch geprägt sind. Außer seiner Auslegung von Dan 2, die sich einer besonderen Situation verdankt, sind auch keine ausgeführten Predigten erhalten, sondern lediglich einige fragmentarische Entwürfe. Das Verständnis Müntzers wird
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außerdem dadurch erschwert, daß seine Schriften in Wortwahl und Satzkonstruktion vor besondere Schwierigkeiten stellen, da sie einerseits dem Mittelhochdeutschen viel stärker verhaftet sind als andere Texte der Reformationszeit, andrerseits aber nicht selten nach lateinischem Muster konstruiert sind. Schließlich stellt auch Müntzers Umgang mit der Bibel vor Schwierigkeiten, da er fast ausschließlich auf die Vulgata zurückgreift und extensiv von allegorischer und harmonisierender Auslegung Gebrauch macht. Dagegen kann von tiefgreifenden Wandlungen innerhalb der Theologie Müntzers nicht die Rede sein. Sein Weg von der spätmittelalterlichen zur reformatorischen Theologie liegt für uns trotz neuerer Versuche, ihn aufzuhellen, weithin im Dunkeln. Wieweit spätmittelalterliche Mystik und Spiritualismus seiner Wendung zur Reformation vorgearbeitet haben und worin die Anziehungskraft der reformatorischen Theologie für ihn lag, läßt sich kaum genau bestimmen. Müntzers Theologie steht in ihrer eigenartigen Verbindung von mystischem Spiritualismus und Apokalyptik schon seit 1521 im sogenannten „Prager Manifest" deutlich vor uns. Allerdings wird sie nach unterschiedlichen Richtungen und in unterschiedlicher Schärfe polemisch gewendet, wo er der jeweiligen Situation entsprechend die eigene Zeit zu deuten versucht. Daß damit eine Entwicklung in seiner Theologie, zumal im Bereich von Obrigkeitsverständnis und Widerstandslehre, aber auch in der Abgrenzung gegenüber den Wittenbergern verbunden war, hat schon der biographische Abriß erkennen lassen. Eine Analyse der Müntzerschen Theologie nach den loci der tradierten Dogmatik ist sicherlich möglich, läßt aber ihre innere Verbindung und die sie treibenden Kräfte so wenig deutlich werden, daß darüber die konzeptionelle Einheit verlorenzugehen droht. Deren Erfassung aber ist für ein richtiges Verständnis der Theologie Müntzers unabdingbare Voraussetzung. Den Rahmen von Müntzers Theologie bietet - ohne daß damit ihre Prävalenz behauptet werden soll — seine Apokalyptik, die wie stets, so auch bei ihm, mit der Deutung der eigenen Zeit und seiner eigenen Rolle und Aufgabe in dieser Zeit eng verbunden ist. Müntzer hat das Bewußtsein in der ,letzten Zeit' vor dem Ende zu leben; eine umfassende Reformation der Christenheit steht unmittelbar bevor, die Veränderung der Welt kündigt sich an. Noch allerdings ist die Zeit des Antichrists, die ihrerseits aber dem Reich Christi vorangeht, der die Christenheit reinigen und danach seine Herrschaft über sie aufrichten wird. Müntzer weiß, daß darauf im Grunde niemand vorbereitet ist. Die Situation gleicht für ihn derjenigen der Menschheit vor der Sintflut: Wer das Kommende benennt wie Müntzer, findet ebensowenig Glauben wie Noah. Die zeitgenössische Christenheit befindet sich nach Müntzer in einem Zustand schrecklicher Verwüstung. Als einem corpus permixtum fehlt ihr die notwendige Trennung des Gesunden von dem Kranken, der Frommen von den Gottlosen und Verdammten. Erst eine solche notwendige ,Sonderung' würde eine wirkliche Kirche entstehen lassen. Stattdessen sieht sich Müntzer allenthalben mit der Auffassung konfrontiert, daß eine solche Trennung nicht möglich sei, da niemand Fromme und Gottlose mit Sicherheit erkennen könne. Man wartet daher auf einen transzendenten Hereinbruch des Endes und des Gerichtes, statt zu sehen, daß es gerade die Aufgabe der Theologen und Prediger ist, hier Klarheit zu schaffen. Damit ist auch deutlich, wo für Müntzer die eigentlich Schuldigen an diesem Zustand der Christenheit zu suchen sind. Es sind die Geistlichen, sicher zunächst die der traditionellen Kirche, sehr bald aber auch - spätestens seit 1522 - die Reformatoren. Allerdings beginnt für ihn der Verfall der Kirche schon mit dem Tod der Apostel. Seitdem hat man den ,Weinberg des Herrn' der Verwüstung überlassen, das ,Unkraut unter dem reinen Weizen' geduldet. Als man den Katechumenenunterricht vernachlässigte und unter Hinweis auf das Versprechen der Paten unmündige Kinder durch die Taufe in die Christenheit aufnahm, begann jene heillose Mischung von Ungläubigen und Glaubenden in der Kirche. Zwar erklärte Müntzer die Kindertaufe nicht einfach für illegitim, aber er hielt es doch für besser, die Kinder in einem Alter zu taufen, das ihnen eine bewußte
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Erinnerung an die Taufe ermöglicht, selbst wenn deren volles Verständnis erst später erreicht werde. Nachdrücklich kritisiert Müntzer die völlige Veräußerlichung in der Kirche. D a ß R o m um eines abweichenden Ostertermins willen die Christen in Kleinasien aus der Gemeinschaft der Kirche ausschloß, ist dafür bereits deutlicher Beleg. In der Duldung der Bilder und dem Gebrauch einer der Gemeinde unverständlichen Sprache im Gottesdienst ist sie ebenso greifbar. Gravierender aber ist für Müntzer, daß von dieser Veräußerlichung der Glaube selbst geprägt ist. Das zeigt sich in dem ,goldenen Christus' der traditionellen Schaumeßfrömmigkeit ebenso wie in dem exklusiv-satisfaktorisch verstandenen ,Christus für uns', den die Reformatoren predigen. Deren Rechtfertigungslehre wird deshalb von Müntzer scharf kritisiert. So sehr er die ,gleißenden Werke' verurteilt, so sehr lehnt er die Entgegensetzung von Glaube und Werk in der reformatorischen Theologie ab. Das alles resultiert für ihn aus einem völlig falschen Umgang mit der Heiligen Schrift, zu deren rechtem Verständnis es des lebendigen Geistes Gottes bedarf. M a n . traut dem äußeren Wort der Schrift zuviel zu, wenn man meint, den Glauben darauf gründen zu können, da sie doch lediglich Zeugnis für den Glauben anderer ist. Dem entspricht es, daß die ,Schriftstehler' die Bibel nur ,stückwerkisch', also in einzelnen Aussagen heranziehen, ohne die notwendige ,Vergleichung', nämlich eine biblische Gesamtexegese, die von Müntzers Verständnis des Glaubens als der conformitas mit dem leidenden Christus geprägt ist. Deswegen sind die Geistlichen aber auch unfähig, irgendjemanden, schon gar nicht Ketzer, Juden, Türken oder Heiden zum wahren Glauben zu bringen. Sich auf den Wortlaut der Schrift zu berufen, muß denen gegenüber ins Leere führen, die sich in gleicher Weise auf die ihnen eigenen schriftlichen Traditionen beziehen. Müntzer versucht sogar deutlich zu machen, daß die Christen in ihrem ,leidensscheuen' Glauben den Heiden und M o s l e m s gleichen, so daß man sie ihnen geradezu als Spiegel vorhalten kann. Die Wahrheit des christlichen Glaubens kann nicht mit Bibelzitaten begründet werden, sondern bedarf ganz anderer Beweise. Der so charakterisierten falschen Lehre der Geistlichen entspricht - wiederum auf altgläubiger wie auf reformatorischer Seite - ihr Leben. Müntzer wird nicht müde, ihre Hingabe an diese Welt und ihre Güter zu brandmarken: Unersättlich sind sie nicht nur in bezug auf Speise und T r a n k , sondern ebenso in ihrer ,hurenhengstigen' Sexualität, ihrer Habsucht, die die Gemeinden rücksichtslos ausbeutet, ihrem Ehrgeiz, zu dem dann auch die Unterwürfigkeit vor ,menschlichen Kreaturen' paßt. In all dem unterscheidet sich Luther als das ,sanftlebende Fleisch zu Wittenberg' in keiner Weise von den M ö n chen. So lehnt Müntzer zwar den erzwungenen Z ö l i b a t ab, warnt aber genauso davor, die Freigabe der Priesterehe auf Seiten der Reformatoren als Freibrief für ein unkeusches Ausleben der Sexualität zu betrachten. Für Müntzer liegt klar auf der H a n d , daß solche Geistlichen den .gemeinen M a n n ' bewußt in Unwissenheit halten, ihn mit Hilfe eines den fiskalischen Interessen dienstbar gemachten Kirchenrechtes ständig ausbeuten und mit ihrer Aufforderung an den von seiner Sünde Angefochteten, sich auf den Glauben und das Verdienst Christi zu verlassen, selbst den geringsten Ansatz zur echten Buße verhindern. Dazu k o m m t , daß diese Geistlichen selbst nur einen g e d i c h t e t e n ' , einen fiktiven, aber keinen wahren und das heißt im Leid e r f a h r e n e n ' Glauben besitzen. Sie sind letzten Endes nichts anderes als blinde Blindenführer. Diesen Geistlichen entsprechen die Christen, ja sind gleichsam ihr Spiegelbild. Unter diesem Aspekt kann sich Müntzers Kritik auch gegen das gesamte Volk richten. Ihnen gegenüber bildet sich ein Selbstverständnis und Selbstbewußtsein Müntzers heraus, das auf die unterschiedlichsten Traditionen der Heiligen Schrift zurückgreift: Er vergleicht sich mit den alttestamentlichen Propheten, wenn er posaunenartig seine Stimme erhebt (Jes 5 8 , 2 ; 4 9 5 , 1 - 5 ) . Wie J e r e m i a führt er den H a m m e r des Wortes G o t t e s (Jer 2 3 , 2 9 ; 2 6 7 ) , m u ß aber gleich ihm erfahren, daß man seiner Verkündigung nicht glaubt ( 2 9 4 , 1 2 f f ) . W i e Daniel vor N e b u k a d n e z a r so deutet er den sächsischen Fürsten, w a s G o t t von ihnen fordert (257,19ff). Als diese darauf nicht eingehen, will er analog dem Propheten Hesekiel ein L o c h durch die Wand brechen, damit man den wahren C h a r a k t e r dieser ,christlichen Fürsten' erkenne (Ez 8; 2 6 7 , 7 f f ) .
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E t w a gleichzeitig sieht er sich als Bußprediger: gleichsam jener neue Johannes, dessen Predigt die Christenheit auf das K o m m e n Christi, diesmal aber auf seine Wiederkunft, vorbereiten soll. Schon 1521 versteht er sich als einen jener Engel, die Gott am Ende aussenden wird, um mit der ,scharfen Sichel', auf die Müntzer immer wieder anspielt, das Unkraut zu schneiden. Als ,Verstörer der Ungläubigen' hatte er sich schon 1522 in einer Briefunterschrift bezeichnet; in der Auseinandersetzung mit Luther erinnert er dann wie schon früher an den Propheten Elia, der nach I Kön 18 f die Auseinandersetzung mit den Baalspriestern aufnimmt. In der letzten Phase des Bauernkrieges wiederum spielt er, indem er die Wendung ,mit dem Schwert Gideonis' seinem N a m e n hinzufügt, auf die wunderbaren Siege dieses Richters an (Ri 6 - 9 ) . Überblickt man diese Selbstbezeichnungen Müntzers, der gern auch die im Alten Testament so häufige Bezeichnung ,Knecht Gottes' für sich übernahm, so wird deutlich, daß es bei all dem weniger um ein exklusives Selbstverständnis Müntzers, auch nicht um eine Identifizierung mit dieser oder jener biblischen Gestalt geht, sondern daß sich darin eher die Verortung auch der eigenen Person in der von der Bibel her apokalyptisch gedeuteten jeweiligen Situation vollzieht. Diese Selbstbezeichnungen sind also keineswegs nur für die Selbstdeutung Müntzers aussagekräftig, sondern ebenso für die von ihm vorgenommene Bestimmung der Gesamtsituation.
Aus seiner Kritik an den falschen Hirten' ergibt sich aber zugleich ganz selbstverständlich das, was Müntzer selbst für notwendig hält und tut. Es geht ihm um die ,Aufrichtung und Auferbauung' der ganzen Gemeinde, vor allem aber darum, ihnen die Schrift durch den ,Schlüssel Davids', die Konformität mit dem leidenden Christus, aufzuschließen. Im Interesse der unter den Christen zu vollziehenden Scheidung in Fromme und Gottlose und des wirklichen Glaubens geht es Müntzer um einen für die ganze Gemeinde verständlichen und öffentlichen Gottesdienst. Dem dienen auch die Agenden für Messe, Kasualien und Gebetsgottesdienste, die Müntzer entwarf, als er in Allstedt zum ersten Mal eine eigene Pfarre übernehmen konnte. Sie orientierten sich zwar im Ablauf weitestgehend an den überlieferten Ordnungen, lassen aber gleichwohl allenthalben durch die Auswahl und die Übersetzung von Stücken der Heiligen Schrift, in veränderten Lesungen und Voten, aber auch in den Liedern Müntzers eigene unverwechselbare Theologie deutlich werden. Und Müntzer deutet auch den Gesamtverlauf der Gottesdienste, wie die Ordnung und Berechnung zeigt, durchgehend und in den einzelnen — hier freilich nur in Auswahl erwähnten - Stücken von seiner Leidenstheologie aus. Für diese Theologie ist der Gedanke der Ordnung Gottes zentral. Müntzer spricht von einer Ordnung ,in Gott und Kreaturen gesetzt', eine Ordnung also, die für Gott selbst und seine Schöpfung gilt. Müntzers oft sehr knappe Andeutungen dazu machen gleichwohl deutlich, daß es dabei zunächst um ein mit der Folge der Schöpfungswerke verbundenes Herrschafts- und Dienstverhältnis geht, bei dem Gott, der Vater, an der Spitze steht, unter ihm der Sohn und dann absteigend die übrigen Kreaturen, über die nach Gen 1,27 der Mensch gesetzt ist (519,17-20). Müntzer kann dies auch in neuplatonischer Terminologie ausdrücken, insofern es dabei um den Weg von dem Einen zu dem ,mannigfaltig Vielen', von dem Ganzen zu den Teilen geht. Dieser Ordnungsbegriff stammt wohl kaum aus Quintilian (gegen Bubenheimer), sondern - viel näherliegend - aus der deutschen Mystik. Um eine ,innere und äußere Ordnung' (Goertz) handelt es sich dabei insofern, als der Mensch ganz umfassend Gott dienen und über die Kreaturen herrschen soll. Aus dieser ,Schöpfungsordnung' aber ist der Mensch durch die Sünde Adams herausgefallen. Damit ist eine Verkehrung des gesamten Herrschaftsgefüges und der gesamten Seinsordnung eingetreten. Der Mensch, der eigentlich über die Welt, die Kreaturen, die Teile herrschen sollte, dient nun nicht mehr Gott, sondern den Kreaturen, und verliert sich an sie. Dies versteht Müntzer nicht nur als einen seelisch-innerlichen Vorgang, sondern als einen das gesamte Weltverhältnis des Menschen betreffenden: Der Mensch ist nach Adams Fall charakterisiert durch das Haben-Wollen, augustinisch gesprochen die concupiscentia. Die Folgen sind bereits in Müntzers Kritik am Leben der Geistlichen herausgestellt worden: Unmäßigkeit in der Nahrungsaufnahme, hemmungslose Gier in der Sexualität, rücksichtsloses Streben nach Reichtum und Besitz und unstillbares, ehrgeiziges Geltungsbedürfnis. Darunter leidet aber nicht nur die dem sündigen Menschen derart unterworfene Kreatur, sondern auch das Verhältnis
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des Menschen zum Menschen. Kritisiert Müntzer in diesem Zusammenhang zunächst die Ehrsucht der Geistlichen und Gebildeten, so greift er, nachdem die kursächsischen Fürsten sich gegen ihn stellten, die Herrschaft von Menschen über Menschen als solche an. Wer sich an die Kreaturen verliert, über den herrschen dann auch im zwischenmenschlichen Bereich ,Kreaturen', ja die Furcht vor ihnen tritt konsequenterweise an die Stelle der ,Furcht Gottes', die doch der Anfang aller Weisheit und Erkenntnis Gottes ist. In dieser Analyse der ihn umgebenden Gesellschaft und der in ihr führenden Schichten wurzelt Müntzers Sozialkritik. Hier liegt auch der Ansatz für eine Sozialrevolutionäre Interpretation seiner Theologie. Durchbrochen ist dieser Gesamtzusammenhang der verkehrten Welt zunächst ausschließlich in Christus, der dem Vater gehorsam war bis in sein Leiden und Sterben hinein und damit das Gegenbild zu Adam darstellt (520,12-14). Er hat sich in Gethsemane ganz dem Willen des Vaters gefügt bis hin in seine Gottverlassenheit am Kreuz. Das Leiden Christi ist nach Müntzers Verständnis aber nicht exklusiv stellvertretend für uns geschehen, wie es seiner Meinung nach in der traditionellen und der reformatorischen Christologie gedacht wird. Das wäre nur ein ,güldener' oder ein ,honigsüßer' Christus, der dem Menschen eher schadet als nützt. Stattdessen will Müntzer das Leiden Christi inklusiv verstehen: Der Mensch muß Christus im Leid gleichförmig werden, wenn er zum wahren Glauben kommen will und die Schöpfungsordnung wiederhergestellt werden soll. Denn nur das Leiden kann den Menschen von seinen Bindungen an die Kreaturen und die Welt lösen, weil sie ihm dadurch entzogen werden. In diesem Zusammenhang macht Müntzer reichen Gebrauch von den Gedanken und den Termini der deutschen Mystik, wobei es ihm aber nie um das Einswerden mit Gott, sondern um die Einstimmung in dessen Willen im Lassen des eigenen geht. Dabei entspricht für Müntzer das M a ß des Leidens genau dem Maß, in dem sich der Mensch an die Kreaturen hingegeben hat. Insofern ist das von Gott geschickte Leid für den Menschen heilsam. Denn Gott will so den Menschen zu sich bringen. Er redet, wie Müntzer absolut formulieren kann, allein ,in die Leidligkeit der Kreaturen' (MSB 499,19f), so daß darin die lebendige Stimme des lebendigen Gottes gehört werden kann. Zwar ist Müntzer daneben auch der Überzeugung, daß Gott den Auserwählten durch Träume und Visionen seinen Willen kundtut, aber er insistiert darauf, daß stets anhand der Schrift überprüft werden müsse, ob es sich um eine Eingebung Gottes, des Teufels oder unserer Natur handelt (MSB 248,12—252,9), eine Differenzierung, die bei den Charakterisierungen Müntzers als ,Schwärmer' nur zu leicht vergessen wird. Das von Gott selbst gewirkte und gewollte Leiden stellt für Müntzer den Wahrheitsgehalt der traditionellen Rede vom Fegefeuer dar. Er verwirft zwar dessen traditionelles Verständnis, warnt aber die Reformatoren gleichzeitig davor, das Fegefeuer überhaupt zu leugnen (MSB 381,27-382,3). Das gottgewollte Leiden vergleicht Müntzer freilich nur einem ,Ausgestrichen-Werden' mit dem weichen ,Fuchsschwanz', während derjenige, der solches Leiden in dieser Welt nicht ertragen will, in jener Welt von dem Teufel mit ,eisernen Ruten' geschlagen wird. Wer nicht um Gottes willen leiden will, wird eben um des Teufels willen zu leiden haben. Erst wenn sich der Mensch durch das Leid auf dem tiefsten Punkt der Gottverlassenheit befindet, derjenigen, die Christus am Kreuz, erfahren hat, kann senfkornartig der wahre, der nicht,gedichtete', der ,erfahrene', eben der Glaube ,in Erfahrung' entstehen, der sich wirklich auf nichts in der Welt stützt, sondern auf den transzendenten Gott allein. Als symbolische Abbildung dieses Leidensprozesses gelten Müntzer vor allem die beiden mit der Reformation allein noch anerkannten Sakramente, die Taufe und das Abendmahl. Das in der Abendmahlsfeier gesungene ,Gelobt sei, der da kommt' wird von Müntzer erläutert: ,Wenn uns Gott in die höchste Ehre durch Schande setzt, in des Geistes Gesundheit durch Krankheit des Leibes etc., dann so kommt er in seinem Namen, wenn unser Name verunehret und verschandfleckt wird, ohne daß wir es verwirkt hätten' (MSB 210,28-213,15). Ähnlich wie hier das Kommen Christi im Abendmahl auf das
424 Leid gedeutet wird, geschieht 2 1 4 , 1 1 - 2 1 5 , 6 ; vgl. S e e b a ß ) .
Müntzer dies
auch
in
den
Auslegungen
der
Taufe
(MSB
Einigen Andeutungen bei Müntzer ist zu entnehmen, daß er der Auffassung war, er könne diesen Heilsweg allein durch das Leiden in der Konformität mit Christus jedermann aufgrund der .Ordnung der Dinge', durch die alltägliche Erfahrung also, demonstrieren. Den Ansatz dazu bilden biblische Gleichnisse, die Müntzer im Sinn seiner Leidenstheologie interpretiert, wenn er etwa davon spricht, daß der ,Werkmeister' den Stein bearbeiten müsse, damit er zum Eckstein werden kann, während andere Steine so hart sind, daß sie den Meißel abspringen lassen (MSB 222,24 - 26 und 499,1 — 5). Ebenso kann ihm das Senfkorn in seiner Bitterkeit zum Gleichnis für den nur im Leid aufbrechenden Glauben werden (535,1-7). Christus erweist seinen Auserwählten gerade seine Liebe, indem er sie leiden läßt wie die Schafe, die für die Küche geschlachtet werden (MSB 223,6 — 9). Insofern müßten eigentlich die unter dem Menschen leidenden .Kreaturen' dem Menschen das verschlossene Buch der Heiligen Schrift auftun können, wie es eben das geschlachtete Lamm, Christus, als der Schlüssel Davids, tut (MSB 234,6 f). Deswegen war Müntzer offenbar auch der Auffassung, daß man aus diesem ordo rerum die Wahrheit des christlichen Glaubens, daß nämlich der Mensch nur durch christusförmiges Leid zum Heil kommen könne, jedermann erweisen könne, ja daß man zum Glauben letzten Endes auch ohne jede Erkenntnis der Heiligen Schrift kommen könne (MSB 277,25ff). Aus diesem Grunde meinte er, mit einer solchen Argumentation auch Ketzer, Juden, Türken und Heiden von der Wahrheit seiner Lehre überzeugen zu können und drängte auf ihre Anwesenheit bei der Überprüfung seiner Lehre. Denn daß man ihnen gegenüber nicht durch bloße Berufung auf die Worte der Schrift überzeugend wirken könne, stand für ihn bereits während seines Aufenthaltes in Prag fest (MSB 5 0 9 , 7 - 2 0 ) . In diesen Gedanken liegt dann auch das relative Recht der Deutung der .Ordnung Gottes' als des Heilsweges im Sinn der universalen Erkennbarkeit des Willens Gottes im Leid (Ullmann, Rochier). Diese von Müntzer vielleicht wegen des schnell erhobenen Vorwurfs der Schwärmerei — im allgemeinen nur kurz angedeuteten Gedanken hat dann sein Schüler Hans Hut weiterführend und systematisierend ausgebaut zum .Evangelium aller Kreatur'. Insgesamt freilich kennt Müntzer eine ganz umfassende Beweisführung für das, was er lehrt: ,,Si volueritis, omnia mea scripturis, orditie, experientia, apertoque verbo Dei roborabo" (MSB 382,1 f). M ü n t z e r s ganzes Interesse gilt der Z e r s t ö r u n g des vorgegebenen, des .gedichteten' G l a u b e n s , in dem die Christenheit aufgrund der Verführung durch die G e i s t l i c h e n , aber auch aufgrund der allgemein von der verkehrten O r d n u n g G o t t e s geprägten Verhältnisse dieser Welt befangen ist. Deswegen wird von ihm in m o n o t o n e r , ja geradezu m o n o m a n e r Weise der Heilsweg des Leidens und die darin liegende Verbindung der G l i e d e r mit C h r i s t u s , ihrem H a u p t , b e t o n t . Dagegen ist v o m L e b e n des w a h r h a f t G l a u b e n d e n k a u m die R e d e . Es läßt sich aber aus Andeutungen und vor allem aus den Alternativen zu den Charakterisierungen der Sünde erschließen: G r u n d l e g e n d geht es um die E i n s t i m m u n g in den W i l l e n G o t t e s , die A u f g a b e des Eigenwillens und d a m i t um die gelebte E r k e n n t n i s , d a ß . n i e m a n d zwei H e r r e n dienen k a n n ' . G o t t allein ist es, den der M e n s c h fürchten soll, und d a m i t verträgt sich keinerlei K r e a t u r e n f u r c h t . Von den Lüsten dieser Welt gilt es sich loszureißen. Alle falsche Sorge um das L e b e n und seinen U n t e r h a l t m u ß fallen, denn wie k ö n n t e m a n G o t t im Blick a u f H ö h e r e s g l a u b e n , wenn m a n ihm nicht einmal im Blick auf die N a h r u n g s f ü r s o r g e vertrauen will ( M S B 2 2 7 , 2 0 f). Insofern k ö n n e n die G l a u b e n d e n auch ,die K r e a t u r e n ausziehen', ihren Besitz aufgeben und lassen ( M S B 4 1 1 , 1 3 ff u . ö . ) . Solche M e n s c h e n sind auch in der Lage, die Heilige Schrift aufgrund ihrer , E r f a h r u n g ' zu verstehen, weil sie auf die gleiche schwere, weil leidvolle Weise zum G l a u b e n g e k o m m e n sind, wie die G l a u b e n d e n des Alten und N e u e n T e s t a m e n t s . D a aber M ü n t z e r der Überzeugung ist, in der letzten Z e i t zu leben, genügt es ihm nicht, durch seine Predigt für eine sich erneuernde K i r c h e zu w i r k e n , vielmehr erwartet er für die eigene Z e i t die g r o ß e .unüberwindliche R e f o r m a t i o n ' der g e s a m t e n Christenheit. W o die Christenheit durch die Erscheinung des Antichristen in der K i r c h e auf d e m tiefsten Punkt ihres Verderbens a n g e k o m m e n ist, m u ß auch die Reinigung und die W i e d e r k e h r Christi zur Ü b e r n a h m e der H e r r s c h a f t erfolgen: , D a s rechte Regieren Christi m u ß vollzogen werden nach aller E n t b l ö ß u n g der Z i e r d e der Welt, dann k o m m t der H e r r und regiert und stößt die T y r a n n e n zu B o d e n ' ( M S B 2 1 , 6 - 9 ) . Einerseits w a r n t e M ü n t z e r davor, G o t t e s endzeitliche H i l f e als u n m i t t e l b a r bevorstehend zu b e t r a c h t e n ,
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andrerseits aber sah er eine Fülle derjenigen Weissagungen als erfüllt an, die traditionell der Endzeit galten: die endzeitliche Geistausgießung nach Joel 3,1 f genauso wie die Voraussagen der synoptischen (Mt 24) und teilweise der johanneischen Apokalypse (Apk 6 , 2 - 4 ) . Allerdings war Müntzer nicht der Auffassung, daß er selbst die große Reinigung der Christenheit vorzunehmen habe. Wie der Mensch sich nicht selbst das gottgewirkte Leiden bereiten, sondern es bestenfalls nicht fliehen und nur hinnehmen kann, so wird auch von Gott selbst die Reinigung der Christenheit vollzogen. So hält denn Müntzer Ausschau nach denen, die Gott als seine Werkzeuge auserwählt hat. Das können freilich - wie er in seinem Brief an die Stoiberger klarmacht (MSB 2 1 - 2 4 ) — nur Menschen mit einem im Leid erfahrenen und bewährten Glauben sein. Aber auch diese sollen nicht selbstmächtig oder gar im Interesse einer Verbesserung ihrer eigenen Situation losschlagen. M a n wird deswegen auch die ,Verbündnisse', die Müntzer nach seinen Gefangenschaftsaussagen in seiner Jugend gegründet haben will, nicht einfach subversiv-revolutionär interpretieren dürfen. War doch auch der von Müntzer im Zusammenhang der Allstedter Ereignisse des Sommers 1524 gegründete ,Bund' eindeutig als ein Instrument zur Verteidigung gegen das Wüten der ,gottlosen Tyrannen' gedacht, nicht aber als eine offensive Kampfgemeinschaft für das Reich Gottes ( M S B 421 f). An eine solche hat Müntzer erst nach der Gründung des ,Ewigen Bundes' in Mühlhausen im Zusammenhang des Bauernkrieges gedacht. Gleichwohl hat Müntzer offenbar schon sehr früh nach denjenigen Werkzeugen Gottes Ausschau gehalten, die die Reinigung der gesamten Christenheit vollziehen sollten. 1521 war Müntzer offenbar der Auffassung, daß die große Reformation im Böhmen des Johannes Hus ihren Anfang nehmen müsse, aber diese Hoffnung trog. Später in Allstedt setzte er auf die reformatorisch gesinnten sächsischen Fürsten und forderte sie auf, auch mit dem Risiko des eigenen Untergangs den Kampf gegen die Gottlosen aufzunehmen und die Sünder zu vertilgen. Denn der Auftrag von R o m 13, die Guten zu schützen und die Bösen zu strafen, meint für Müntzer gerade nicht wie für Luther die nach den bürgerlich-weltlichen Maßstäben Guten und Bösen, sondern eben die Frommen und die Sünder ( M S B 2 5 7 , 2 2 - 2 6 0 , 4 ) . Weder die Zurückhaltung der frühen Christen gegenüber dem heidnischen Kult noch den Hinweis Luthers darauf, daß der Antichrist nach Dan 2,34 ,ohne Hand' zerstört werden solle, noch den Hinweis auf Gottes endzeitliches Handeln durch seine Engel ließ Müntzer als Gegenargumente gelten ( 2 6 , 4 - 2 6 2 , 4 ) . Für ihn war die ,Zeit der Ernte' gekommen. Daß die sächsischen Fürsten sich diesem Ansinnen versagten und gegen Müntzer vorgingen, hat für ihn eine tiefgreifende Wende in zweierlei Hinsicht bedeutet: Einmal nämlich war Müntzer nunmehr der Überzeugung, daß die jetzigen Fürsten Tyrannen wie Augustus und Herodes seien: nichts anderes als ,Henker' und ,Büttel', eine Z u c h t rute' Gottes. Gleichzeitig wandte er die scharfe Kritik, die er an den Geistlichen übte, nun auch wider die Fürsten: Sie wollen mehr als Gott gefürchtet sein, und neben ihren prächtigen Titeln nimmt sich Christus geradezu armselig aus. Sie beuten in ihrer unersättlichen Gier nach Reichtum und Besitz aller Art das Volk aus und zwingen auf diese Weise den ,armen gemeinen M a n n ' nicht nur zu einer ihn völlig absorbierenden Sorge um die Lebensgrundlagen, sondern im Grunde sogar zum Diebstahl. Wenn dem die reformatorischen Prediger das Verbot des Stehlens im 7. Gebot entgegenstellen, so machen sie sich mit diesem Schutz ,geraubten Eigentums' geradezu zu Komplizen der ausbeuterischen Fürsten und verkennen den eigentlichen Sinn des Gesetzes Gottes. Jedenfalls ist die Ausbeutung durch die Fürsten - in dieser Analyse trifft sich Müntzer durchaus mit Luther — Anlaß für den drohenden Aufruhr des gemeinen Mannes. Zum anderen hat Müntzer nun auch die Einsicht gewonnen, daß die Wende in der Christenheit nicht allein durch die Predigt herbeigeführt werden kann. Denn die Strukturen einer von der Sünde gestalteten Welt erlauben es dem einzelnen gar nicht, zum rechten Glauben zu kommen. Der gemeine M a n n kann angesichts eines ausbeuterischen Gesamtsystems die ,Kreaturen nicht lassen', weil er durch die notwendige Vorsorge ständig bei ihnen
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festgehalten wird. Und ebenso läßt die Furcht vor dem herrschenden Fürsten die wahre Furcht Gottes nicht aufkommen. Herrschaft und Ausbeutung müßten also überwunden werden. Beides verbindet sich für Müntzer in der lapidaren Erkenntnis: ,Man kann euch von Gott nicht sagen, dieweil sie über euch regieren' (MSB 4 5 5 , 1 6 - 1 8 ) . Dies ist weder die ,Vertagung der Theologie für die Zeit nach der Revolution' (Dismer) noch die Aufforderung zu letzterer, sondern es ist die Überzeugung, daß die Wende sich nur gleichzeitig am Einzelnen und Gesamten vollziehen kann. Hier ist jener Punkt erreicht, von dem aus die Verbindung von Theologie und gewaltsamer Revolution bei Müntzer verständlich wird. Müntzer selbst hat den gewaltsamen Aufstand zunächst nicht forciert. Aber er hat in dem beginnenden und sich ausbreitenden Bauernkrieg die Erfüllung von Dan 7,26 f gesehen, daß nämlich die Macht dem ,Volk des Höchsten' gegeben werden solle. Angesichts der großen und übergreifenden Zielvorstellungen der südwestdeutschen Bauern, die mit Gottes Ehre, reiner Verkündigung seines Wortes, gemeinem Nutzen und brüderlicher Liebe durchaus so etwas wie eine Verchristlichung der Gesamtgesellschaft erstrebten, konnte er in ihnen sehr wohl jene Gottesstreiter sehen, die das Reich Christi heraufführen sollten. Deswegen hat er dann in seinen Briefen während des Bauernkrieges unter ständigem Verweis auf alttestamentliche und apokalyptische Traditionen (vor allem Ez 34; 39; Dan 7; Apk 18 f) einen gnadenlosen Kampf gegen die gottlosen Fürsten betrieben und verlangt. Hatte er doch schon 1521 Nikolaus Hausmann gegenüber behauptet, daß es nicht um eine ,fleischliche' Demut, sondern um eine Demut des Geistes gehe, die sich eben durchaus mit der Hinschlachtung der Baalspriester durch Elia vertrage (MSB 3 7 2 , 1 - 9 ) . Darüberhinaus beweisen seine letzten Briefe sowie der Bericht Hans Huts über seine Predigt vor der Schlacht von Frankenhausen, daß Müntzer mit einem wunderbaren Eingreifen Gottes zugunsten der Bauern gerechnet hat. Sowenig sich Müntzer im Blick auf den einzelnen darüber äußerte, wie dessen Leben nach der Überwindung des gedichteten Glaubens' aussehen werde, sowenig hat er genauer erklärt, wie das Leben der Gesamtchristenheit nach dem Gericht über die Gottlosen aussehen werde. Es spricht aber angesichts von Müntzers Umgang mit der Bibel alles dafür, daß er für die unmittelbare Zukunft mit einer chiliastischen Herrschaft Christi auf Erden gerechnet hat. Dabei läßt sich allerdings nicht ausmachen, ob Müntzer an eine Herrschaft des wiederkommenden Christus selbst und seiner Auserwählten oder nur an eine Herrschaft Christi durch seine Auserwählten, die Glieder des Leibes, dessen Haupt er ist, gedacht hat. Es gibt eben keinerlei zusammenhängende Aussagen bei ihm zu diesem ganzen Komplex. Dennoch lassen sich auch hier aus Müntzers verstreuten Andeutungen einige Hinweise geben, die sich durchaus in das theologische Gesamtkonzept einfügen. Im Reich Christi werden nur die wahren Auserwählten, von Gottes Geist erwählte und erfüllte Menschen leben. Dazu aber gehörten für ihn zweifellos nicht nur Christen, sondern aufgrund der entsprechenden alt- und neutestamentlichen Verheißungen auch viele von den Juden, den Türken und den Heiden. Sicher hat Müntzer auch damit gerechnet, daß es eine Herrschaft, die ,Kreaturenfurcht' mit sich bringt, im Reich Christi nicht mehr geben werde. Das muß nicht heißen, daß Müntzer utopische Strukturen erwartete. Vielmehr scheint er durchaus mit in seinem Sinn ,gottesfürchtigen' ,Vorstehern' ( = Fürstehenden = Fürsten) gerechnet und ihnen auch gewisse Privilegien eingeräumt zu haben. Dennoch war dabei nicht mehr im traditionellen Sinn an Herrschaft, sondern eher an einen Auftrag zur Verwaltung und dessen Rücknahme bei unchristlichem Verhalten gedacht. Zur Beseitigung aller falschen Formen von Herrschaft und der damit verbundenen Furcht vor Menschen trat für ihn sicher ein neues Verhältnis zum Besitz hinzu. Ausbeutung konnte es im Reich Christi nicht mehr geben. Dennoch ist keineswegs sicher, daß er ein omnia sunt communia im Sinn der Aufhebung allen Privateigentums erwartete. Aber ganz zweifellos sollte ,einem jeden nach seiner Notdurft' ausgeteilt werden. Eine solche Welt ohne unterdrückende Herrschaft und Ausbeutung mußte wun-
Müntzer
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d e r h a f t e Z ü g e an sich tragen. S o dürfte M ü n t z e r d u r c h a u s mit einer A r t paradisus terrestris, mit einer leidlosen Welt, gerechnet h a b e n . In dieser H i n s i c h t sprechen seine A n d e u t u n g e n über ,reine Z e u g u n g ' und , s c h m e r z l o s e G e b u r t ' , also die A u f h e b u n g des Fluches v o n G e n 3 , 6 , eine deutliche S p r a c h e . W i e sollte es a u c h n o c h Leid d o r t
geben
k ö n n e n , w o m a n seiner zur Ü b e r w i n d u n g der S ü n d e nicht m e h r bedurfte. Freilich hat sich M ü n t z e r dann nach der Niederlage auch mühelos und ohne
an
s e i n e m G e s a m t k o n z e p t irre zu w e r d e n , v o n d e n a u f s t ä n d i s c h e n B a u e r n w i e d e r l o s s a g e n k ö n n e n . D e n n die B a u e r n , die ja nicht zuletzt für die V e r w i r k l i c h u n g sehr
konkreter
sozialer Ziele den Aufstand gewagt hatten, hatten für M ü n t z e r ,alleine angesehen eigenen N u t z e n , der z u m Untergang göttlicher W a h r h e i t gelanget'. A u c h die Niederlage Frankenhausen
führte er d a r a u f zurück, ,daß ein jeder seinen eigenen N u t z e n
gesucht als die R e c h t f e r t i g u n g der ganzen C h r i s t e n h e i t ' ( M S B 4.
von mehr
473,2-10.18-21).
Wirkung
Die N a c h w i r k u n g e n M ü n t z e r s reichten weit. Allerdings war das zum großen Teil eine eher indirekte W i r k u n g . Seine Schriften sind nicht mehrfach aufgelegt oder nachgedruckt worden, so daß von ihnen keine große W i r k u n g ausgehen konnte. Lediglich die liturgischen O r d n u n g e n M ü n t zers sind in T h ü r i n g e n , vor allem in Allstedt selbst auch nach M ü n t z e r s T o d und wenig verändert, wenn auch o h n e N a m e n s n e n n u n g M ü n t z e r s , in Erfurt benutzt worden. W i e w e i t sie darüber hinaus indirekt gewirkt h a b e n , bedürfte einer genaueren Untersuchung. Von größerer Bedeutung war ohne Z w e i f e l , d a ß L u t h e r , sicher zu Unrecht, in M ü n t z e r einen der Hauptverursacher des Bauernkrieges sah und ihn unterstützt von anderen R e f o r m a t o r e n wie M e l a n c h t h o n , J o h a n n Agricola und Urbanus Rhegius auf D a u e r a l s , M o r d p r o p h e t e n ' b r a n d m a r k t e . Luther berief sich dafür vor allem auf die letzten Briefe M ü n t z e r s aus der M ü h l h ä u s e r Zeit und den Tagen von Frankenhausen. Es war also ganz einseitig M ü n t z e r s apokalyptische Interpretation des Bauernkrieges, die diese Beurteilung seiner Person und seines Werkes begründete, und sie prägte die konfessionalistische sogenannte ,Müntzerlegende' (Steinmetz) bis in unser J a h r h u n d e r t hinein. Eine weitaus positivere A u f n a h m e hat M ü n t z e r bei denen gefunden, die man dem ,linken Flügel' der R e f o r m a t i o n zurechnet. D a s gilt für die A n f ä n g e der Z ü r c h e r R a d i k a l e n (—»Täufer), o b w o h l diese schon im September 1524 auch ihre Vorbehalte gegenüber M ü n t z e r s U m g a n g mit der Bibel und seiner Stellung zur G e w a l t f r a g e äußerten. Von weitreichender Bedeutung aber wurde M ü n t z e r dadurch, daß sein Schüler H a n s —»Hut aufgrund des gewaltsamen Endes von M ü n t z e r und Pfeiffer beide mit den Propheten aus Apk 11 identifizieren und so zu einer N e u b e r e c h n u n g des T e r m i n s für die Reinigung der Christenheit k o m m e n k o n n t e . Durch H u t wurde a u ß e r d e m , wenn auch in m a n c h e n Punkten vergröbert und verändert, die T h e o l o g i e M ü n t z e r s weitergetragen, so daß man sehr wohl von Huts T h e o l o g i e rückfragend auch M ü n t z e r besser verstehen k a n n . Deswegen k a m es auch zu Auseinandersetzungen zwischen H u t und B a l t h a s a r H u b m a i e r in N i k o l s burg sowie zwischen Hut und den stärker v o m Schweizer T ä u f e r t u m geprägten T ä u f e r n in Augsburg. Über H a n s H u t ist dann das frühe thüringische und fränkische, das österreichische und ein Teil des mährischen T ä u f e r t u m s (—»Hutterische Brüder) indirekt von M ü n t z e r s A p o k a l y p t i k , tiefer aber von seinem Verständnis des Heilsweges beeinflußt und geprägt worden. In den Kreisen dieses T ä u f e r t u m s sind nachweislich auch Schriften Müntzers Pseudonym (Christianus H i t z von Salzburg) überliefert worden. So konnten die Hutterischen Brüder in ihren C h r o n i k e n M ü n t z e r sogar ein ehrendes Andenken bewahren, indem man behauptete, man habe ihm fälschlich die Schuld am Bauernkrieg gegeben. Hier berief man sich dann freilich ganz einseitig auf den mystischen Spiritualisten M ü n t z e r , während der Apokalyptiker so gut wie ganz verschwand. So brach in der lutherischen und täuferischen Sicht Müntzers auseinander, was bei jenem gerade eine unlösliche Einheit gewesen w a r . D a n e b e n sind aber auch die eigentlichen Spiritualisten von M ü n t z e r s T h e o l o g i e beeinflußt w o r den. Das gilt nicht nur für H a n s —»Denck, der selbst verschiedentlich mit M ü n t z e r zusammengetroffen ist (Packull, D e n c k ) , sondern vor allem auch für S. —»Franck, der sich bemühte, M ü n t z e r s Verständnis des Heilsweges aus dessen Schriften klar darzulegen. Z u erwähnen ist in diesem Z u s a m m e n h a n g auch Kaspar von - » S c h w e n c k f e l d , auch wenn dieser selbst M ü n t z e r keinerlei direkte Bedeutung für seine T h e o l o g i e zuschrieb ( M a r o n , Individualismus). In diesen Kreisen ist M ü n t z e r s Geisttheologie auch in der zweiten H ä l f t e des 16. J h . noch gut b e k a n n t gewesen, wie die Schriften V. —»Weigels beweisen (Wollgast, Z u r Wertung T h o m a s M ü n t z e r s ) . Unter diesen Umständen verwundert es nicht, d a ß später auch Gottfried - » A r n o l d in seiner Kirchen- und Ketzerhistorie auf M ü n t z e r differenzierend eingeht. Aber das waren dünne, im C h o r der konfessionellen Verurteilung k a u m wahrzunehmende Stimmen. Insofern kann man w o h l mit R e c h t behaupten, d a ß erst die
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Müntzer
Forschung der letzten Jahrzehnte Thomas Müntzer noch einmal unverstellt hat zu Wort kommen lassen. Quellen
und
Literatur
(1. Quellen 2. Bibliographien 3. Forschungsgeschichte 4. Leben und Werk 5. Zur Sprache Müntzers 6. Zur Theologie 7. Zu den liturgischen Schriften 8. Zum Verhältnis Müntzers zu Luther und den Reformatoren 9. Zum Verhältnis Müntzers zu den Täufern und dem ,linken Flügel' 10. Müntzer in Literatur und Kunst) 1.
Quellen
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Müntzer
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Bibliographien
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Müntzer
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Müntzer
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Müntzers
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Theologie
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434
Müntzer
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435
Müntzer
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Schriften
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Müntzers
zu Luther und den
Reformatoren
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436
Murner
9. Zum Verhältnis
Müntzers
zu den Täufern
und dem linken
Flügel
Abraham Friesen, Acts 10. T h e Baptism of Cornelius as interpreted by Thomas Müntzer and Felix Manz: M e n n Q R 64 (1990) 5 - 2 1 . - Ders., Thomas Müntzer and the Anabaptists: Journal of Mennonite Stud. 4 (1986) 1 4 3 - 1 6 1 . - Joel Lefebvre, Melanchthon, Thomas Müntzer et les origins saxonnes de l'anabaptisme: Ethno-Psychologie. Revue der Psychologie des Peuples 32 (1977) 2 3 7 - 2 5 6 . - Grete Mecenseffy, Die Herkunft des österr. Täufertums: ARG 47 (1956) 2 5 2 - 2 5 9 ; wiederabgedr.: Wirkungen der Reformation bis 1555, hg. v. Walther Hubatsch, 1967 (WdF 203) 1 8 8 - 1 9 7 ; engl.: T h e Origin of Upper Austrian Anabaptism: T h e Anabaptists and Thomas Müntzer, transl. and ed. by James M . Stayer/Werner O. Packull, Dubuque/Iowa/Toronto/Ontario 1980, 1 5 2 - 1 5 3 . - Werner O. Packull, Mysticism and the Early South German-Austrian Anabaptist Movement 1 5 2 5 - 1 5 3 1 , 1977 (SAMH 19). - Ders., Thomas Müntzer u. das Hutsche Täufertum: M G B 46 (1989) 3 0 - 4 2 . - Gordon Rupp, Thomas Müntzer, Hans Huth and „The Gospel of all Creatures", B J R L 4 3 (1961) 4 9 2 - 5 1 9 ; wiederabgedr.: ders., Patterns of the Reformation, London 1 9 6 9 , 3 2 5 - 3 5 3 ; dt.: Thomas Müntzer, Hans Hut u. das „Evangelium aller Kreatur": Thomas Müntzer, hg. v. Abraham Friesen/Hans-Jürgen Goertz, 1978 (WdF 491) 1 7 8 - 2 1 0 . - Gottfried Seebaß, Das Zeichen der Erwählten. Zum Verständnis der Taufe bei Hans Hut: Umstrittenes Täufertum 1 5 2 5 - 1 9 7 5 . Neue Forschungen, hg. v. Hans-Jürgen Goertz, Göttingen 2 1977, 138 — 164. — Ders., Müntzers Erbe. Leben u. Theol. des Hans Hut, theol. Hab. Sehr, (masch.) Erlangen 1972. - James Stayer, Anabaptists and the Sword, Lawrence 2 1973. - Richard van Dülmen, Müntzers Anhänger im oberdt. Täufertum: Z B L G 39 (1976) 8 8 3 - 8 9 1 . - Günter Vogler, Sozialethische Vorstellungen u. Lebensweisen v. Täufergruppen - Thomas Müntzer u. die Täufer im Vergleich: Standpunkt 17 (1989) 7 5 - 7 9 . - Karel Vos, Revolutionary Reformation: T h e Anabaptists and Thomas Müntzer, transl. and ed. by James M . Stayer/Werner O. Packull, Dubuque/Iowa/Toronto/Ontario 1980, 8 5 - 9 1 . — Wilhelm Wiswedel, War Thomas Müntzer wirklich der Urheber der großen Taufbewegung?: Mühlhäuser Gesch.bl. 30 (1929/30) 2 6 8 - 2 7 3 . - Siegfried Wollgast, Zur Wertung Thomas Müntzers durch Valentin Weigel u. antiweiglische Streitschriften: Der dt. Bauernkrieg u. Thomas Müntzer, hg. v. M a x Steinmetz, Leipzig 1976, 183 — 190. — Gerhard Zschäbitz, Zur mitteldt. Wiedertäuferbewegung nach dem Großen Bauernkrieg, 1958 (LÜAMA R. B 1). - Ders., The Position of Anabaptism on the Continuum of the Early Bourgeois Revolution in Germany: The Anabaptists and Thomas Müntzer, transl. and ed. by James M . Stayer/Werner O. Packull, Dubuque/Iowa/Toronto/ Ontario 1980, 2 8 - 3 2 . 10. Müntzer
in Literatur
und
Kunst
1525, Dramen zum dt. Bauernkrieg, hg. u. mit einem Nachwort v. Walter Dietze, Berlin 1975. — Dieter Fechner, Zum Müntzerbild in der neueren Lyrik der D D R : Mühlhäuser Beitr. zu Gesch. u. Kulturgesch. 5 (1982) 4 9 - 5 5 . - Günter Franz, Die Bildnisse Thomas Müntzers: AKuG 25 (1935) 2 1 - 3 7 . - Paul Lauerwald, Die Medaillen zum 450jährigen Bauernkriegsjubiläum 1975: Mühlhäuser Beitr. zu Gesch. u. Kulturgesch. 1 (1978) 3 2 - 3 6 . - Rolf Luhn, Müntzer- u. Bauernkriegsfeiern fortschrittlicher Sozialdemokraten in Thüringen 1925: Mühlhäuser Beitr. zu Gesch. u. Kulturgesch. 12 (1989) 3 9 - 4 4 . - Robert Stahl, Thomas Müntzer. Nachdr. der Ausg. Berlin-Wilmersdorf 1924, Neudr. Nendeln, Liechtenstein 1972. — Heinz-Dieter Tschärtner, Gerhart Hauptmanns Bauernkriegsdrama „Florian Geyer" u. seine Rezeption in der D D R : Mühlhäuser Beitr. zu Gesch. u. Kulturgesch. 1 (1978) 2 3 - 3 1 .
Gottfried Seebaß Muhammed -»Islam Murner, Thomas
(1475-1530)
(Quellen/Literatur S. 438)
Geboren in der elsässischen Reichsstadt Oberehnheim (wahrscheinlich am 24.12.1475), besuchte Murner die Klosterschule des nicht reformierten Zweiges der Franziskaner in Straßburg. Er trat 1490 in den Orden ein und wurde 1494 zum Priester geweiht. Zwischen 1490 und 1501 studierte er an den Universitäten Freiburg (1498 Magister Artium), Paris, Köln, Rostock, Prag und Krakau (Baccalaureus Theologiae 1500). 1506 wurde er in Freiburg zum Lizentiaten und Doktor der Theologie promoviert, 1519 in Basel zum Dr. beider Rechte. —»Gersons Theologie und die —•Devotio moderna, vermittelt durch die Straßburger Geiler von Kaysersberg und Wimpfeling, haben ihn
Murner
437
beeinflußt. Im Dienst seines Ordens war er als Lesemeister tätig in Freiburg (1508), Bern (1509), Speyer (1510), Frankfurt a . M . (1511-1513) und als Guardian in Straßburg (151.3-14). Aber seine beißende Zunge und sein kämpferisches Wesen erregten immer wieder Anstoß. Als Schriftsteller befaßte sich Murner zunächst mit Tagesfragen (Astrologie, Lähmung durch Hexenzauber, Jetzerhandel). Gegen Wimpfeling behauptete er die ursprüngliche Zugehörigkeit des Elsaß zu Frankreich (Germania nova 1502). 1509 in Wien zum Poeta laureatus gekrönt, lieferte Murner einen bedeutenden Beitrag zur deutschsprachigen Dichtkunst durch mehrere erfolgreiche Satiren. 1512 erschienen die Narrenbeschwörung und die Schelmenzunft, die in Anlehnung an Brants Narrenschiff die Alchimisten, die Mediziner, die Juristen, die Kaufleute und andere Narren als Besessene vorstellte, denen die bösen Geister auszutreiben seien. Ein andechtig geistlich Badenfahrt (1514) beschreibt den durch Gott gewirkten Badevorgang, der den Menschen nicht nur leiblich, sondern auch seelisch (durch das Bußsakrament) heilt. In der Mühle von Schwindelsheim (1515) rügt Murner die Laster des Klerus und macht sich lustig über die von der Liebe besessenen Frauen. Die Gäuchmatt (1519) ist eine Satire auf die Liebesnarrheit der Männer. Die Laster der verschiedenen Gesellschaftsschichten werden angeprangert. Die Klöster sind zum Refugium der Faulen geworden, die Weltpriester widersetzen sich Reformen und beuten die Gläubigen aus, die weltliche Obrigkeit wird schuldig durch Übergriffe auf den Bereich der Kirche. Nur Kaiser und Papst sind als Grundlagen der Ordnung von der Kritik ausgenommen. Diese ist vorwiegend moralisch. Sie will das Verhalten der Zeitgenossen ändern und nicht die Institutionen. Außerdem gab Murner didaktische und juristische Schriften heraus: Lógica memorativa Chartiludium (1507), Chartiludium Institute summarie (1518), Übersetzung von Justinians Institutionen ins Deutsche. Im Herbst 1520 begann er seinen Kampf gegen die Reformation mit vier Schriften: Ein christliche und brüderliche ermahnung; Von Doctor Martinus Luters leren und predigen; Von dem bapstenthum, das ist von der höchsten oberkeyt Christiichs glauben; An den groszmechtigsten und Durchlüchtigsten adel tütscher nation. Er betonte, daß das Recht, Reformen durchzuführen, den traditionellen Autoritäten (u.a. Kaiser und Papst) zustand und nicht dem Volk, das Luther aufhetzte als „Catilina der deutschen Nation". Der Unterschied zwischen Klerus und Laien muß bleiben. Bekämpft wird das reformatorische Schriftprinzip. Gott hat während 1500 Jahren seiner Kirche beigestanden. Sich gegen die Tradition (und die Mehrheit) zu erheben bedeutet, sich gegen Gott erheben. Wer die von Gott eingesetzte und durch den Beistand des Heiligen Geistes getragene Autorität des Papstes untergräbt, zerstört die gesamte Hierarchie und damit die Kirche selbst, und fördert die Spaltung und die Häresie. Murner war einer der ersten, der das Thema der Messe aufgriff (Betonung ihres Opfercharakters) und die Benützung der Volkssprache als Entsakralisierung ablehnte. Er übersetzte Luthers De Captivitate Babylonica ins Deutsche und prangerte die Verbrennung der päpstlichen Bulle und des Kirchenrechts an. Zielscheibe der lutherischen Flugschriften (Murnarus Leviathan, Karsthans, etc.), setzte sich Murner publizistisch zur Wehr ( D e f e n s i ó n und Protestation, das er wider Doctor Martin Luther nichts Unrechts gehandelt, 1521; Ain new lied von dem undergang des christlichen glaubens, 1522). Höhepunkt seiner Polemik war das 4800 Verse umfassende Gedicht Von dem grossen Lutherischen Narren, wie in doctor Murner beschworen hat (1522): Luthers Ruf zur Freiheit führt zum Libertinismus, zur Zerstörung der Kirche und zum Aufruhr. Im Frühjahr 1523 weilte Murner in England als Parteigänger Heinrichs VIII., dessen Assertio Septem sacramentorum er übersetzt und den er gegen Luther verteidigt hatte (Ob der künig usz engelland ein lügner sey oder der Luther). Im Frühjahr 1524 war er Abgesandter des Bischofs von Straßburg auf dem Reichstag zu Nürnberg. In Straßburg verteidigte er die Messe gegen die evangelischen Auffassungen durch Vorlesungen über I Kor 11. Im September 1524 mußte er aus der Stadt fliehen. Von 1525 bis 1529 wirkte er als Lehrer, Prediger und Leutpriester in Luzern. Auftragsgemäß veröffentlichte er die
438
Murner
A k t e n d e r D i s p u t a t i o n v o n B a d e n ( 1 5 2 6 ) , an der er t e i l g e n o m m e n h a t t e , in einer ums t r i t t e n e n d e u t s c h e n A u s g a b e : Die l a t e i n i s c h e n A u s g a b e : Causa Baden
( 1 5 2 8 ) . Der Lutherischen
und Die gotsheylige
meß
disputation
Helvetica
Evangelischen
Beren
den fidei.
Kirchendieb
xij
orten
( 1 5 2 7 ) und in einer
Disputatio und Ketzer
Helveticorum Kalender
in (1527)
v e r w a r f e n die r e f o r m a t o r i s c h e n N e u e r u n g e n . D a s t a t e n auch
die g e g e n B e r n g e r i c h t e t e n E p i g r a m m e : Des Von des jungen
vor
Orthodoxae
zenvve
im mundt.
alten
christlichen
beeren
Testament
und
D i e letzten L e b e n s j a h r e v e r b r a c h t e M u r n e r in
O b e r e h n h e i m . E r ü b e r t r u g die E n n e a d e s des M a r c u s A n t o n i u s S a b e l l i c u s ins D e u t s c h e (History
von anbeschaffener
weit).
D r e i illustrierte B ä n d e sind als M a n u s k r i p t erhalten
geblieben. M u r n e r w a r einer d e r w e n i g e n a l t g l ä u b i g e n T h e o l o g e n des 16. J h . , die a u c h publizistisch b r e i t e V o l k s s c h i c h t e n a n s p r e c h e n k o n n t e n . Als T h e o l o g e h a t er k e i n e n bleibenden E i n f l u ß a u s g e ü b t . D a g e g e n w u r d e n m e h r e r e seiner v o r r e f o r m a t o r i s c h e n satirischen und seiner j u r i s t i s c h e n S c h r i f t e n n o c h in der zweiten H ä l f t e des 16. J h . neu aufgelegt. In der N e u z e i t w u r d e sein S c h a f f e n zuerst v o n L i t e r a t u r h i s t o r i k e r n a u f g e w e r t e t , die seine S p r a c h k e n n t n i s s e , seine vielseitigen I n t e r e s s e n , seine G e l e h r s a m k e i t , seinen volkst ü m l i c h e n Stil, seine E r d - und H e i m a t v e r b u n d e n h e i t h e r v o r h o b e n . S c h l i e ß l i c h w u r d e a u c h d e r B e i t r a g des T h e o l o g e n im „ K a m p f u m die M e s s e " (Iserloh) positiver g e w ü r d i g t . Quellen Werkverzeichnis: Wilbirgis Klaiber (Hg.), Kath. Kontroverstheologen u. Reformer des 16. Jh. Ein Werkverzeichnis, 1978 ( R S T 116). - Friedrich Eckel, Der Fremdwortschatz Thomas Murners. Ein Beitr. zur Wortgesch. des frühen 16. J h . Mit einer vollständigen Murner-Bibliogr., Göppingen 1978 (Göppinger Arbeiten z. Germanistik 210), 1 7 1 - 2 0 8 . - Thomas Murners Dt. Sehr, mit den Holzschnitten der Erstdrucke, hg. v. Franz Schulz, Berlin u. Leipzig, I - I X 1 9 1 8 - 1 9 3 1 . - Wolfgang Pfeiffer-Belli (Hg.), Thomas Murner. Die Gottesheilige Messe von Gott allein erstiftet, Halle 1928 (Neudr. dt. Literaturwerke des 16. u. 17. J h . 257). — Ders.: Thomas Murner im Schweizer Glaubenskampf, 1939 (CCath22). - M a x Scherer (Hg.), Des alten christl. Bären testament: AnzSG 50 (1919) (6) 24—38. — Joseph Lefitz (Hg.), „Des jungen Bären Zahnweh". Eine verschollene Streitschr. Murners: AEKG 1 (1926)/[141]/158-167. - Ders., Purgatio vulgaris: AEKG 3 (1928)/[97]/108-114. - Übers, der Weltgesch. des Sabellicus, Faksimile des Autographs v. Thomas Murner, Karlsruhe 1987. Literatur Johannes Beumer, Der Minorit Thomas Murner u. seine Polemik gegen die dt. Messe Luthers: FS 54 (1972) 1 9 2 - 1 9 6 . - Frauke Büchner, Thomas Murner. Sein Kampf um die Kontinuität der kirchl. Lehre u. die Identität des Christenmenschen in den Jahren 1 5 1 1 - 1 5 2 2 , Diss. Kirchl. Hochschule Berlin 1974. - Adalbert Erler, Thomas Murner als Jurist, Frankfurt/M. 1956 (Frankfurter Wiss. Beitr. u. Wirtschaftswiss. R . 13). - Erwin Iserloh, Thomas Murner ( 1 4 7 5 - 1 5 3 7 ) : Kath. Theologen der Reformationszeit 3, hg.v. Erwin Iserloh 1986 (KLK 46) 1 9 - 3 2 . - Waldemar Kawerau, Thomas Murner u. die Kirche des M A , 1890 ( S V R G 3 0 ) . - Ders., Thomas Murner u. die dt. Reformation, 1891 (SVRG 32). - Florenz Landmann, Thomas Murner als Prediger. Eine krit. Nachprüfung: AEKG 10 (1935) 2 9 5 - 3 6 8 . - Joseph Lefitz, Die volkstümlichen Stilelemente in Murners Satiren, Straßburg 1915 (Einzelschr. zur Elsässischen Geistes- u. Kulturgesch. 1). - Theodor v. Liebenau, Der Franziskaner Dr. Thomas Murner, Freiburg/ßr. 1913 (Erläuterungen u. Erg. zu Janssens Gesch. des dt. Volkes IX,4,5). — Marc Lienhard, Les pamphlets antiluthériens de Thomas Murner: Les Funtièrer religieuses en Europe du XVe au XVIIe siècle, Actes du X X X I e colloque internat, d'études humanistes, hg. v. R. Souzet, Paris 1992, 9 7 - 1 0 7 . - Thomas Murner, Elsässischer Theologe u. Humanist 1 4 7 5 - 1 5 3 7 . Ausstellungskat., hg.v. der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, Karlsruhe 1987. - Richard Newald, Wandlungen des Murner-Bildes: Beitr. zur Geistes- und Kulturgesch. der Oberrheinlande. Zum 60. Geburtstag Franz Schultz gewidmet, hg. v. Hermann Gumbel, Frankfurt 1938, 4 0 - 78. - Paul L. Nyhus, T h e Franciscans in South Germany, 1 4 0 0 - 1 5 3 0 . Reform und Revolution, 1975 (TAPhS NS.65,8). - Nikolaus Paulus, Murners Geburtsjahr u. Geburtsort: AEKG 2 (1927) 4 4 6 - 447. - Francis Rapp, Les Franciscains et la Réformation en Alsace. Deux religieux humanistes dans la tourmente, Murner et Pellican: AEst (1985) 1 5 1 - 1 6 5 . - Paul Scherrer, Thomas Murners Verhältnis zum Humanismus. Unters, aufgrund seiner „Reformatio poetarum", Basel 1929. — Georg Schuhmann, Wetterzeichen der Reformation nach Murners Satiren aus der vorluth. Zeit: R Q 25 (1911) 1 6 2 - 1 8 4 . M a r c Lienhard
Musculus
439
Musäus -»Orthodoxie, Lutherische Musculus, Wolfgang 1. Leben
1.
2. Werk
(1497-1563) 3. Nachwirkung
(Werkverzeichnis/Literatur S. 4 4 1 )
Leben
Musculus' Leben verlief in vier Phasen: Am 8.9.1497 als Sohn des Küfers Anton Müslin und der Angela Sartori in Dieuze (Lothringen) geboren, besuchte Wolfgang die renommierten Elsäßer Humanistenschulen von Rappoltsweiler, Colmar und Schlettstadt. - 1512, mit 15 Jahren, trat er ins Benediktinerkloster Lixheim ein, was für einen jungen Mann seiner Herkunft die Chance darstellte, um zu Bildung, Amt und Würden zu gelangen. Er nahm diese wahr, indem er mit Eifer und Erfolg lateinische Klassiker, Musik und Theologie studierte, setzte sie aber auch aufs Spiel, als er um 1518, wohl über den späteren Juristen Claudius Cantiuncula, in den Besitz von Luther-Schriften gelangte und deren Botschaft bald offen weitergab. Die Bischöfe von Metz und Straßburg ließen den „lutherischen Mönch" und gewandten Prediger ungern gewähren, aber Musculus konnte, auch in den Wirren des Bauernkriegs, auf den Schutz des pfälzischen Klostervogts Reinhard von Rottenburg zählen. - Dreißigjährig hat Musculus 1527 das Kloster verlassen, geheiratet und sich mit seiner Frau Margaretha Barth in Straßburg niedergelassen. Nun folgten zwei Jahrzehnte unermüdlichen Einsatzes für die Reformation. Musculus wurde —»Bucers amanuensis, Filialprediger in Dorlisheim und 1528 Diakon von Matthäus Zell am Münster. In dieser Stellung führte er in Dossenheim die Reformation ein. Zudem besuchte er —»Capitos und Bucers Vorlesungen und lernte Hebräisch. 1531 folgte er einem Ruf nach Augsburg. Hier, zunächst an Heilig-Kreuz und seit 1537 am Dom, avancierte er rasch zum ersten Prediger. Er half die Reformation einzuführen und ein evangelisches Kirchenwesen aufzubauen, bildete sich aber auch ständig weiter. Musculus war Mitunterzeichner der -» Wittenberger Konkordie, er hat 1540/41 an den Religionsgesprächen von Worms und Regensburg (—»Reformationsgespräche) teilgenommen und 1544 der Reformation in Donauwörth zum Durchbruch verholfen. 1548 hat er Augsburg aus Protest gegen die Annahme des -»Interims durch den Rat verlassen. — Während der letzten 14 Jahre seines Lebens wirkte Musculus als Professor an der Berner Hohen Schule. Er hätte nach Straßburg und Augsburg zurückkehren, nach Heidelberg und Marburg gehen und einem Ruf Thomas Cranmers nach England folgen können, aber er ist in Bern geblieben und hat sich als Lehrer und Autor in den Dienst der Reformation gestellt. Auch stand er in den theologischen Konflikten und konfessionellen Spannungen der Zeit seiner Kirche als Vermittler und Berater bei. Er hat sich dabei nicht geschont. 1562 machten sich erste Anzeichen von körperlicher Schwäche bemerkbar. Am 30.8.1563 ist Musculus in Bern gestorben. 2. Werk Musculus war sowohl Reformator als auch wissenschaftlicher Theologe: Von seinem reformatorischen Wirken in Dorlisheim, Dossenheim und Donauwörth war schon die Rede. Wegen der Bedeutung der Stadt ungleich wichtiger war seine Rolle in der Augsburger Reformation. Hier hat er den Rat in Predigten und Memoranden wirksam unterstützt, u.a. zusammen mit Bucer in der Frage, ob einem städtischen Magistrat das ius reformationis zustehe. Er hat dies unter Berufung auf naturrechtliche und biblische Argumente bejaht, sah im Unterschied zu Luther also keinen Grund, in diesem Fall die Durchsetzung der Reformation bis zum erwarteten Konzil hinauszuschieben. Auch hat er Bucer wirksam unterstützt, als es 1537 in der Frage einer neuen Kirchenordnung darauf ankam, den zwinglianisch-oberdeutschen und den an Wittenberg sich orientierenden Kräften Rechnung zu tragen. Im Umgang mit Vertretern des sog. linken Flügels der Reformation hat Musculus, ohne die sachlichen Differenzen zu verwischen, grund-
440
Musculus
sätzlich für Milde plädiert. In diesem Sinn hat er von Bern aus auch auf seinen Freund —•Calvin einzuwirken versucht. Auf wissenschaftlichem Gebiet ist Musculus als Patristiker, Exeget und Systematiker in Erscheinung getreten. - Er hat Schriften von —»Johannes Chrysostomus, -»Basilius dem Großen, - » G r e g o r von Nazianz, der Alexandriner -»Athanasius und -»Cyrill sowie die Hauptwerke der älteren Kirchengeschichtsschreibung ins Lateinische übersetzt. Dabei versteht er z . B . Basilius ganz in reformatorischem Sinn und hofft, dessen Regeln für das geistliche Leben seiner Zeit fruchtbar machen zu können. - Das Kommentarwerk umfaßt (in der Reihenfolge der Entstehung) M t , J o h , Ps, Gen, R o m , Jes, I—II Kor, Gal, Eph, Phil, Kol, I—II Thess und I T i m . Die Schrift, deren Einheit im Bundesgedanken wurzelt, will aus sich selber heraus verstanden werden. Musculus unterscheidet - ohne die eine von der anderen zu trennen - zwischen wissenschaftlicher und praktischer Auslegung. Seine dogmatischen und ethischen Erwägungen beruhen durchweg auf sorgfältigen Ermittlungen zur Textgestalt und zum historischen Schriftsinn. Z u r Auslegung gehört die intensive Auseinandersetzung mit der altkirchlichen, mittelalterlichen, jüdischen und zeitgenössischen Exegese. - Neben den Kommentaren erschienen in Musculus' Berner Zeit eine Reihe kleinerer Schriften und 1560 seine Loci communes Tbeologiae sacrae. Eine angemessene Würdigung dieses Standardwerkes damaliger reformierter Dogmatik steht noch aus. Zwei Aspekte seien hervorgehoben: Z u m einen vertritt Musculus im Gewand der klassischen Lokalmethode einen doppelten Bundesbegriff. Anders als —»Zwingli, -»Bullinger und Calvin, aber wohl in Anlehnung an Melanchthons Verständnis des Naturgesetzes unterscheidet er vom zeitlichen Noahbund Gottes mit der ganzen Schöpfung (foedus generale) Gottes ewigen Abrahamsbund mit den Erwählten und Gläubigen (foedus speciale), wobei er in der Erwählungslehre den Trost, den der Glaube darin findet, betont. Z u m andern denkt Musculus seinen schon in Augsburg entwickelten und von Bucer beeinflußten Ansatz in der Lehre vom staatlichen Kirchenregiment zu Ende: Geht man von einem Gemeinwesen aus, das sich als christlich versteht, dann wird man in der Frage der Beziehung zwischen Magistrat und Kirche nicht am Modell der neutestamentlichen Gemeinden, deren Kontext nicht christlich war, sondern an demjenigen des alttestamentlichen Königtums M a ß nehmen. Das heißt, daß es zwei verschiedene Lebenssphären, eine kirchliche und eine staatliche, nicht gibt und damit auch keinen Rechtsdualismus. Vielmehr ist es wie zur Zeit des alten Bundes die eine, von G o t t geordnete Obrigkeit, die im einen, christlichen Volk das Sagen hat.
3.
Nachwirkung
Musculus' K o m m e n t a r e haben wie die Loci über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg zahlreiche Auflagen erlebt. Auszüge aus seinem Bibelwerk und verschiedene seiner Gelegenheitsschriften sind ins Englische, Französische, Deutsche und Holländische, seine Dogmatik als Ganze ist ins Englische und Französische übersetzt worden. Musculus' Werke haben Generationen von reformierten Theologen mitgeprägt. Sein Psalmenkommentar hat Calvins L o b , seine exegetische Methode Richard Simons Anerkennung gefunden, während seine Loci zu einer wichtigen Quelle für Stephan Szegedins Dogmatik geworden sind. In der -»Pfalz hat sich T h o m a s Erastus auf Musculus' Staatskirchentheorie berufen, und als „ E r a s t i a n i s m u s " hat diese Konzeption das anglikanische Staatskirchentum ( - » K i r c h e von England) konsolidieren helfen. Dabei waren die Konfliktsituationen, in denen man sich seine Argumentation zunutze machte, hier wie dort, in der Pfalz und in England, einander ähnlich: Hier rang man mit einem calvinistischen Entwurf, der Kirche nach apostolischem Vorbild autonom begründen wollte, dort mit dem —»Puritanismus, der sich aus denselben Gründen gegen den Tudor-Absolutismus sperrte. Und in diesem Spannungsfeld hat wohl auch Musculus seine Staatskirchentheorie vollendet: Er wird dabei nicht nur R o m , sondern auch Genf vor Augen gehabt haben. Den Blick auf die ökumenische Dimension der Kirche hat er sich aber auch von der scheinbar irreversiblen Spaltung nie verstellen lassen. - D a ß er der Dichter von Kir-
Musik und Religion I
441
chenliedern gewesen ist, als den man ihn lange Zeit bewundert hat, ist heute wieder fraglich geworden. — Ohne (wünschenswerten) Forschungen vorzugreifen, wird man Musculus zu den bedeutendsten Theologen der zweiten Reformatorengeneration des 16. J h . zählen dürfen. Werkverzeichnis Paul R o m a n e - M u s c u l u s , C a t a l o g u e des œuvres imprimés du théologien Wolfgang Musculus: R H P h R 43 (1963) 2 6 0 - 2 7 8 .
Literatur Irena Backus, Lectures humanistes de Basile de Césarée, T r a d u c t i o n s latines (1439—1619), 1990 (EAug, Sér. „ A n t i q u i t é " 125). - R u d o l f Dellsperger, Wolfgang M u s c u l u s ( 1 4 9 7 - 1 5 6 3 ) : Reinhard S c h w a r z (Hg.), Die Augsburger K O v. 1537 u. ihr Umfeld, 1988 ( S V R G 196, Lit.!) 9 1 - 1 1 0 . - Craig S. F a r m e r , T h e J o h a n n i n e Signs in the Exegesis o f Wolfgang M u s c u l u s , Diss. phil. D u k e University 1992 (Publikation in Vorbereitung). - M a r i j i n de K r o o n , Die Augsburger R e f o r m a t i o n in der Korrespondenz des Straßburger R e f o r m a t o r s M a r t i n Bucer unter bes. Berücksichtigung des Briefwechsels G e r e o n Sailers: Reinhard S c h w a r z (Hg.), Die Augsburger K O (s.o.) 9 1 - 1 1 0 . - Paul Gerhard L a n g e n b r u c h , Schriftverständnis u. Schriftauslegung bei Wolfgang Musculus, Magisterschrift G ö t tingen 1969 (Typoskript, Lit.!). - Gottfried S e e b a ß , Die Augsburger Kirchenordnung v. 1537 in ihrem hist. u. theol. Z u s a m m e n h a n g : Reinhard Schwarz (Hg.), Die Augsburger K O (s.o.) 3 3 - 5 8 . - H o r s t Weigelt, Die Beziehung Schwenckfelds zu Augsburg im Umfeld der Kirchenordnung von 1537: Reinhard Schwarz (Hg.), Die Augsburger K O (s.o.) 1 1 1 - 1 2 2 .
Rudolf Dellsperger Musik und Religion I. II. III. IV.
Altes und Neues Testament Judentum Alte Kirche und Mittelalter Von der Renaissance bis zur Gegenwart
446 452 457
I. Altes und Neues Testament 1. Historischer Überblick
1. Historischer
2. Systematischer Überblick
(Literatur S . 4 4 6 )
Überblick
1.1. Vor der Staatenbildung
(13.-11.
Jh.
v.Chr.)
1.1.1. Kultmusik. Unter Kultmusik wird nur die Musik verstanden, die an einem Kultort vom Kultpersonal ausgeführt wird. Daher sind die Heiligtumstraditionen des Alten Testaments von Belang. Für Sichern, Bet-El, Schilo, Beerscheba, Dan, Mizpa und Tabor gibt es keine Angaben über Kultmusik. In E x 3 2 , 1 7 - 1 9 ist von Geschrei und Tanz die Rede. Bei Jericho/Gilgal ist die Lage anders. J o s 3 - 6 können diesem Kultort zugeordnet werden. In Jos 6 kommen drei Instrumentenbezeichnungen vor: Widderhorn {qaeraen hàjjóbel V.5), Hörner ( s ó p a r ó t V.4ff). Die Mischbezeichnung Widderhorninstrumente (sòparót hàjjób'lim) dürfte redaktionellen Ursprungs sein (Seidel, Musik 50 ff). Diese Bezeichnungen gehören verschiedenen literarischen Schichten an, und die Instrumente sind in unterschiedlichen Funktionen eingesetzt. Das Signal des Widderhorns wird als langgezogener Ton (msk) angegeben (vgl. Ex 19,13b). Das Widderhorn ist kultisches Signalinstrument. Für die Zeit vor der Staatenbildung kommt wahrscheinlich nur die Angabe über das Widderhorn in Betracht (vgl. Seidel, J o s 6). Einen eigenen Traditionskreis bildet die Mirjamtradition, die nach Num 20,1 mit dem Heiligtum von Kadesch in Verbindung steht. Zu ihr gehört auch E x 15,20 f. Die Prophetin Mirjam musiziert mit der Rahmentrommel (top) tanzend ein Siegestanzlied. Sie fungiert als Vorsängerin, und eine Frauengruppe wiederholt tanzend den kurzen, ursprünglich selbständig überlieferten Text V. 21. Für den Frauentanz mit Rahmentrommeln gibt es Abbildungen aus Ägypten (vgl. Hickmann).
442
Musik und Religion I
1.1.2. Außerkultische Musik. Einige Angaben lassen sich aus den Vätertraditionen entnehmen. Gen 31,27f flieht Jakob heimlich, obwohl er mit Jubel und Gesängen (sirim), mit Rahmentrommel (top) und Leier (kinnor) hätte verabschiedet werden können. Die Abbildung eines Semiten, der auf seinem Lasttier eine Leier mitführt, wurde in einem ägyptischen Grab gefunden (20. Jh. v. Chr., vgl. Hickmann, Ägypten 105). I Sam 10,5 wird eine Schar ekstatischer Propheten von einer Musikergruppe mit Leier (kinnor), Harfe (nebael), Rahmentrommel (top) und Doppeloboe (halil) begleitet. Die Doppeloboe zeigt an, daß es sich um keine Kultmusiker Altisraels handelt. Daß die Propheten an Höhenheiligtümern Musikschulen betrieben haben (so Lauko, Maecklenburg, Sendrey u.a.), ist reine Phantasie. Im Bereich der Volksmusik sind Frauen mit Rahmentrommeln tätig (vgl. Jdc 11,34). I Sam 1 8 , 6 - 7 begrüßen sieden Sieger. Hier wird außerdem ein schwer bestimmbares Instrument genannt (salis). In der militärischen Signalgebung spielt das Horn (söpar) eine entscheidende Rolle (vgl. Jdc 3,27; 6 , 3 3 - 3 4 ; 7 , 1 6 - 2 0 ; I Sam 13,3). Im ,Deboralied' (Jdc 5), einem Text aus vorstaatlicher Zeit, steht neben der Selbstaufforderung „ich will singen" (sir) und „ich will musizieren" (zamär) die Aufforderung an Debora, „ein Lied zu singen" (V. 12). In einem kunstvoll poetisch geformten Heldenlied, dessen Darbietung eine Berufsmusikerin voraussetzt, wird die Tat Jaels besungen (V. 2 4 - 3 0 , vgl. die altarabische Quasida).
1.2. Von David bis Alexander
d. Großen
(11.-4.
Jh.
v.Chr.)
1.2.1. Kultmusik. Für die Darstellung stehen neben archäologischem Material der Eisen IIA-IIC-Zeit das Deuteronomistische Geschichtswerk (DtrG) und Psalmen zur Verfügung. Das Chronistische Geschichtswerk (ChrG) kommt nur für das 5.-4.Jh.v.Chr. in Betracht. Für den Bau des Jerusalemer Tempels und seine Einrichtung standen außerisraelitische Vorbilder Modell. Die Musik am Königshof und am königlichen Heiligtum standen im Alten Orient in enger Verbindung. Deshalb ist eine scharfe Trennung zwischen kultischer und außerkultischer Musik in dieser Zeit kaum möglich. Nach II Sam 6,5 vollzog sich das Einholen der Lade bei der geplanten Tempelgründung mit Musik und dem Kulttanz des Königs David. Es werden Klanghölzer ('"se herösim), Leiern, Harfen, Rahmentrommeln, Rasseln (menacantim) und Zimbeln (saelsaelim) verwendet. Solche Prozessionen sind im Tempelkult wahrscheinlich wiederholt werden. Ps 47,2 werden die Teilnehmer aufgefordert, zu jauchzen und zu jubeln, wenn Gott unter Festlärm (fruäh) und Hörnerschall heraufsteigt (Ps 47,6). Die viermalige Aufforderung zu musizieren (zamär) richtet sich an die Kultmusiker, wie aus der Erwähnung der poetischen Kunstform des Maskils (V. 8) zu schließen ist. Eng verwandt ist Ps 68. V. 2 5 - 2 8 beschreiben einen Aufzug: Sänger, Instrumentalisten, Frauen und Fürsten. Die Aufforderung, Gott zu singen und zu spielen, ergeht an Berufsmusiker (vgl. Ps 9,12; 27,6; 30,5; 57,10; 71,22f; 101,1; 105,2; 108,4). In der Selbstaufforderung „wir wollen singen und spielen deiner Macht" (Ps 21,14) stellen sich die Musiker selbst in das kultische Geschehen hinein (vgl. Ps 27,6). Sie musizieren mit Leier und Harfe (vgl. Ps 57,9f; 150,3). Der theologische Ort der Musik ist das Musizieren „für Jahwe" oder „dem Namen Jahwes" (Ps 7,18; 9,3; 61,9; 66,2.4.; 68,5.26). Als kultischer Ort wird von der jüdischen Tradition der Platz zwischen dem Vorhof der Laien und dem Vorhof der Priester (Stufen) angegeben. Der Signalgebung dient das Horn (söpar). In Ex 19 ist dieser Vorgang erkennbar. Die Theophanie (Donner, Rauch) wird akustisch mit dem Horn angezeigt (Rückprojektion aus dem Jerusalemer Tempelkult in die Wüstenzeit). Nach der Zerstörung des Tempels (587 v. Chr.) wurden die Kult- und Palastmusiker deportiert. Im Exil (587-539 v. Chr.) ist Kultmusik unmöglich, und das Kultpersonal kann sich nur theoretisch mit der Kultmusik beschäftigen. Die Priesterschaft ist, wie die Kultordnungen und Festkalender ausweisen (vgl. Ez 4 0 - 4 8 ) , an der Kultmusik nicht interessiert. Eine Ausnahme bildet die Signalgebung. Lev 23 spricht von einer „heiligen Ausrufung" (miqra' qodaes). Priester nehmen mit Hornsignalen die Deklaration von Festtagen vor (Lev 25,9 vgl. Jos 6). Die Berufsmusiker, wie Ps 137 sie schildert, sammelten und dichteten Lieder, die dann zum Besitz ihrer Sängerfamilie oder Gilde zählten (vgl. Ps 74; 79 und die Zuordnung zu Asaf). In der Exilszeit liegt Jerusalem verödet, und die Musik ist verstummt (Thr 5,14). Nach Beendigung des Exils kehrt die Musikergruppe Asaf nach Jerusalem zurück (Esr 2,41).
Musik und Religion I
443
In vorexilischer Zeit waren bis zu ihrer Auflösung durch die Reform des Königs Josia andere Heiligtümer neben dem Jerusalemer Tempel in Betrieb: Bet-El und Dan im Norden, Beerscheba im Süden. Arnos 5,23 spricht drohend von der Kultmusik von Bet-El. Auch Ex 32,18 könnte man auf Bet-El beziehen. Eine Sonderstellung nehmen die Korachiten ein. Es ist fraglich, ob die Korachitenpsalmen (Ps 42—49) die Festliturgie des Heiligtums von Dan darstellen (Goulder). Auf jeden Fall waren die Korachiten in der Königszeit in Arad tätig (vgl. Aharoni, Arad). Nach einer bewegten Geschichte (vgl. Num 16,31.35) werden sie im 4 . J h . v.Chr. als Torhüter des Tempels geführt (I Chr 9,19). Später scheinen sie unter die Tempelmusiker wieder aufgenommen worden zu sein (I Chr 6,22; II Chr 20,19). Bis in die Mitte des 5. J h . v. Chr. gibt es keine weiteren Informationen über Kultmusik. Selbst die vom Wiederaufbau des Tempels berichtenden Texte schweigen darüber. Erst das ChrG entwirft ein deutlicheres Bild der Kultmusik, als deren Initiator und Organisator nun David gilt. Innerhalb der Denkschrift Nehemias ( 4 5 0 - 4 0 0 v. Chr.) ist von zwei Dankchören die Rede, die zum Fest der Mauerweihe Jerusalems tätig werden (Neh 12,31.37f). Wahrscheinlich ist auch Ps 147 auf diese Situation zu beziehen. Er gehört zur Sammlung der Hallelujapsalmen ( 1 4 6 - 1 5 0 ) , mit deren Hilfe sich die Umrisse der nachexilischen Kultmusik nachzeichnen lassen. Ps 149 fordert zum „neuen Lied" auf (vgl. Ps 96,1 ff). Tanz mit der Rahmentrommel ist angezeigt. Ps 8 1 , 2 - 5 enthält Musizieranweisungen für Rahmentrommel, Horn, Leier und Harfe. Die Hornsignale setzen die Signalordnung von Lev 23 und Num 29 voraus. Ps 98 kennt auch den Gebrauch der Metalltrompete im Kult. In den genannten Psalmen scheint es ein feststehendes Ensemble von Kultinstrumenten gegeben zu haben (vgl. Ps 3 3 , 2 - 3 ; 9 2 , 2 - 4 ) . Die interessantesten Angaben finden sich Ps 150. Die literarische Struktur des Psalms entspricht der Tempelstruktur: Zuerst wird aus dem Tempelgebäude die Theophanie Gottes mit dem Horn (sopar) signalisiert. Es folgen die Musiker mit Leier und Harfe am Rande des Vorhofs der Priester. Im Vorhof der Laien loben die Frauen Gott mit Rahmentrommeln und Tanz, und die Barden spielen mit Saiteninstrumenten und 'ügab auf. Das Volk lärmt mit Zimbeln (vgl. Seidel, Ps 150; ders., Musik 165ff). Es handelt sich um kein „Tempelorchester". Mit Esra verstärkt sich der priesterliche Einfluß auf die Kultmusik: Es wird wahrscheinlich Num 1 0 , 1 - 1 0 verbindlich gemacht. Nach Num 31,6 werden die „Lärmtrompeten" - nicht mehr das „ L ä r m h o r n " wie Lev 2 5 , 9 a - von Priestern bedient. In den Chronikbüchern ist der Wechsel von Horn zur Trompete als Kultinstrument vollzogen. Die Texte spiegeln die Musikpraxis des 4. J h . v.Chr. wider: a. Die Musiker werden zu den Leviten gerechnet, b. Die Gründung der levitischen Dienstgruppen, ihre Aufgaben und Instrumente werden auf David zurückgeführt (I Chr 15,16ff; 16,4ff.37ff). c. Drei Familien stellen die levitischen Musiker: Asaf, Heman und Jedutun. Ihre Instrumente sind Harfen, Leiern und Becken (I Chr 1 5 , 1 7 . 1 9 - 2 1 ; 25,1.6; II Chr 5,11 f; 20,28; 29,25ff), d. Die Trompete ist kultisches Signalinstrument. Sie ist den Priestern vorbehalten (II Chr 5 , 1 1 - 1 3 ; 7,6; 29,25ff). Die Veränderungen gegenüber der Kultmusik der vorexilischen Zeit werden deutlich, wenn man die Texte des ChrG mit den Vorlagen vergleicht: I Chr 13,8/11 Sam 6,5; I Chr 15,28/11 Sam 6,15. 2.2.2. Außerkultische Musik. In nachexilischer Zeit scheint eine deutliche Trennung zwischen kultischer und außerkultischer Musik vollzogen worden zu sein. Über die Musik in den Palästen und Häusern der Vornehmen erfährt man etwas aus der prophetischen Kritik (Am 6,4 f; Jes 5,11 f; 16,10f; Jer 48,33.36). Ob in diesen Texten die ausübenden Berufsmusiker oder die Vornehmen selbst kritisiert werden, ist unklar. Die Davidüberlieferung setzt bei dem König Spielfertigkeiten voraus (I Sam 16,16f; 18,10; 19,9 vgl. Am 6,4f). Männliche und weibliche Berufsmusiker an Königshöfen sind aus Ugarit, Ägypten und Mesopotamien bekannt (vgl. II Sam 19,36). Stadtkultur und Musik gehören zusammen (Jes 14,11). Der militärischen Signalgebung dient weiterhin das Horn, das auch bei der Inthronisation eines Königs mitwirkt (II Sam 15,10: I Reg 1,33 ff. 39 f; II Reg 9,13; 11,1-20). Daneben kommt die Metalltrompete in Gebrauch (Hos 5,8; II Reg 11,14). In der Prophetie findet sich das Hornsignal als Element einer geprägten Motivgruppe (Jes 18,3; Zeph
444
Musik und Religion I
1,16; J e r 4 , 5 . 1 9 f f ; 6 , 1 - 8 . 1 7 ) und lebt nach der Z e r s t ö r u n g des Tempels und dem Ende aller militärischen Möglichkeiten als M e t a p h e r weiter (vgl. Ez 3 3 , 3 f f ; Sach 9 , 1 4 ) . M i t dem Auftreten Nehemias (445 - 4 3 2 v . C h r . ) ändert sich die Situation. Ihm steht ein Hornist zur Seite (Neh 4 , 1 2 . 1 4 ) . Der Stand der Berufsmusiker o h n e kultische Bindung ist in Gen 4,19—22 bezeugt. M a n kann sie als , B a r d e n ' bezeichnen. Ihre Instrumente sind Leier und 'ügab. Die griechische Übersetzung läßt bei 'ügab — entgegen der üblichen Übersetzung „ F l ö t e " — an ein Saiteninstrument denken (vgl. l l Q P s " 151,2). Andere Instrumente sind ebenfalls im außerkultischen G e b r a u c h bezeugt (Dirne/Leier J e s 2 3 , 1 5 f ; R e i c h e / L e i e r , H a r f e , R a h m e n t r o m m e l , D o p p e l o b o e J e s 5 , 1 1 f; als M e t a p h e r J e s 16,11 Leier; J e r 4 8 , 3 6 D o p p e l o b o e ; J e s 3 0 , 3 2 R a h m e n t r o m m e l , Leier).
1.3. Die hellenistisch-römische
Zeit (3. — l.Jh.
v.Chr.)
1.3.1. Kultmusik.. Unter Antiochus III. ( 2 2 3 - 1 8 7 v.Chr.) blüht in Jerusalem der Tempelkult (Sir 50,3 ff). Als Initiator der Kultmusik gewinnt David immer größere Bedeutung (Sir 4 7 , 1 - 9 ) . Gott wird mit Harfen und Saiteninstrumenten verherrlicht (Sir 39,13ff vgl. I M a k k 4,54). Eine Sonderstellung nimmt die Gemeinschaft von Qumran ein. Instrumente und Musik werden nur als Metapher verwendet. „Musizieren" ist ein Bild für Gebet, Gesetzesbetrachtung und Rezitation (1QS X , 9 ; 1 Q H V,30; X I , 2 3 f ; 4Q511 10,8). Selbst die „Rolle der Lieder für das Sabbatopfer" (11 QSirSabb) läßt keine Liedpraxis erkennen. Das Fehlen von Musik ist um so erstaunlicher (vgl. Weise), als in Qumran eine Sammlung von „Lobliedern" (1QH) entstanden ist, die Leviten eine Rolle spielen und David als der bedeutendste Musikorganisator, als Dichter von Psalmen und Liedern und als Erbauer von Musikinstrumenten angesehen wird ( l l Q P s a D a v C o m p ) . Die Gruppe der Therapeuten soll dagegen Hymnengesang geübt haben, und zum Fest am 50. Tag seien Wechselgesänge erklungen und man habe getanzt (Philo, De vita contemplativa). 1.3.2. Außerkultische Musik. In den M a k k a b ä e r k ä m p f e n (2. J h . v . C h r . ) werden mit der T r o m pete Signale geblasen (I M a k k 3 , 5 4 f ; II M a k k 15,25), und die „ K r i e g s r o l l e " von Q u m r a n ( 1 Q M ) teilt den Leviten das H o r n ( s ö p a r ) und den Priestern die T r o m p e t e n ( h ° s o s e r ö t ) zu (vgl. Seidel, H o r n ) . D e r Palastmusik in D a n 3 , 5 . 7 . 1 0 . 1 5 entspricht keine Realität. Sie ist erzähltechnisch bedingt (satirischer M i ß k l a n g ) . Es fehlen charakteristische Instrumente wie Aulos, R a h m e n t r o m m e l etc. In der M u s i k des Volkes zeigt die Verwendung des Aulos den griechischen Einfluß (Sir 3 2 , 1 - 1 3 ; 4 0 , 1 8 - 2 7 ; I M a k k 3,45; 9,39; vgl. die Malereien im M u s i k e r g r a b von M a r e s c h a ; vgl. Wegner).
1.4. Die Zeit des Neuen
Testamentes
1.4.1. Gottesdienstmusik. In den gottesdienstlichen Versammlungen der christlichen Gemeinden spielen das Lied, der Hymnus und der Psalm eine wichtige Rolle (I Kor 14,26; Kol 3,16; Eph 5,19; M k 14,26). Fraglich ist, ob diese Bezeichnungen verschiedene Poesiegattungen oder Musikgattungen meinen. Für Hymnen und Lieder (Oden) lassen sich griechische Beispiele benennen. Der Begriff „ P s a l m " ist nur in der christlichen Literatur anzutreffen und meint wahrscheinlich die alttestamentlichen Psalmen. Eine Reihe frühchristlicher Hymnen ist im Neuen Testament entdeckt worden: Joh 1 , 1 - 1 8 ; Kol I , 1 5 - 2 0 ; Phil 2 , 6 - 1 1 ; I T i m 3,16; Hebr 1,3; I Petr 2 , 2 1 - 2 4 ; Eph 2 , 1 4 - 1 7 (-.-Formeln, Liturgische; —»Gottesdienst; —»Hymnen). Sind diese Hymnen gesungen worden? Allgemein wird angenommen, daß die ersten Christen am Synagogengottesdienst teilgenommen oder sich in ihren Versammlungen der jüdischen Formen des Umgangs mit Text und Musik bedient haben (-»Gottesdienst III). Der Synagogengottesdienst ist ein Wortgottesdienst mit Lesungen (-»Perikopen), -»Gebeten, -»Paränese u.ä. Die Sprachform ist die Kantillation und nicht vergleichbar mit „Gesang" oder „ L i e d " im heutigen Verständnis. Musikinstrumente werden nicht verwendet. Wie in Qumran sind sie Bilder in Vergleichen u.ä. (Aulos und Leier I Kor 14,8; Harfe [Ki&äpa] und Doppeloboe [aoXöc,} I Kor 14,7; Trompete Apk 1,10; 4,1; Leierspieler mit Leier Apk 14,2; lärmendes Becken [KVfißaÄov] I Kor 13,1). Die Vorstellungen von der himmlischen Musik, die Engel und Älteste ausführen, lassen keinen Rückschluß auf reale, irdische Verhältnisse zu, wie wieder der Vergleich mit Qumran zeigt (Apk 5,8; 14,2f; 15,2; M t 24,31; I Kor 15,52; Hebr 12,19; sieben Engel mit sieben Trompeten Apk 8,2ff.7.8.10.12.13; 9,1.13; 10,7; I I , 1 5 ; vgl. I Thess 4,16 und l l Q S i r S a b b ) .
Musik und Religion I 2. Systematischer
445
Überblick
2.1. Instrumente. Nicht alle Instrumentenbezeichnungen lassen eine sichere Definition zu. Es ist wahrscheinlich, daß ein Begriff eine Instrumentenfamilie und nicht ein Instrument angibt. Darüber hinaus werden Veränderungen an Instrumenten, ihrer Spielweise und Funktion durch gleichbleibende Begriffe nicht erfaßt. Chordophone: Am häufigsten wird kinnör (Leier) genannt (vgl. Abb. bei Schroer, Rashid; H. H i c k m a n n / M . Wegner: M G G 8 [1960] 5 1 7 - 5 3 4 ) . Für den Tempelkult werden Instrumente aus wertvollem Holz gefertigt (I Reg 10,12). Nach Josephus (Ant 7,306) besaß die Leier zehn Saiten und wurde mit einem Piektrum gespielt. Sie war ein Instrument festlicher Freude und wurde im Kult von levitischen Musikern bedient. Sie wird häufig zusammen mit nebael (Harfe) erwähnt. Diese sind aus Mesopotamien (Rashid) und Ägypten (Hickmann) bekannt. Sie wurden wie die Leiern im Kult Altisraels verwendet. Nach Josephus (Ant 7,306) besaß sie zwölf Saiten, die gezupft wurden. Leier und Harfe dienten der Gesangsbegleitung. Die Verbindung nebael 'asör (Ps 33,2; 144,9) deutet auf eine zwölfsaitige Harfe hin. Ps 92,4 sieht ' a s ö r als selbständiges Instrument. Sammelbezeichnungen für Saiteninstrumente sind n'ginöt Jes 38,20; H a b 3,19; T h r 5,14 und minnim Ps 45,9; 150,4. Membraphone: Am bekanntesten ist die Rahmentrommel oder Handpauke (hebr. top). Sie ist ein mit Fell oder Haut bespannter Holzrahmen und wird von Frauen zum Tanz geschlagen. Aerophone: Das Horn oder Widderhorn ist ein unbearbeitetes Tierhorn (hebr. söpar), mit dem Signaltöne geblasen werden. Es ist Kult- und Militärinstrument. Die Übersetzung von söpar mit „Posaune" ist falsch. Die Trompete (b"sos e rah) besteht aus einem dünnen Metallrohr mit Schalltrichter und wird paarweise verwendet (vgl. Titusbogen, Münzen; Num 10). Sie ist als Kult- und Militärinstrument bezeugt. Die Übersetzung „Posaune" ist ebenfalls falsch. Als ursprünglich königliches Signalinstrument wird sie nach dem Exil von der Priesterschaft beansprucht. Die Doppeloboe (hebr. halil) entspricht dem griechischen Aulos. Sie war in Altisrael kein Kultinstrument (Abb. Wegner). Idiophone: Sie sind archäologisch häufig belegt. Die Zimbeln (saelsaelim) sind paarweise benutzte Metallplatten ( 0 bis etwa 12 cm), die als Volksinstrument gelten. Das im nachexilischen Kult verwendete Instrument trägt eine andere Bezeichnung (m'siltäjim), die wahrscheinlich eine andere Funktion und Form (Becken) verdeutlichen soll. In II Sam 6,5 wirken mena'an'im mit, womit vermutlich die archäologisch gut bezeugten Rasseln gemeint sind. Fraglich bleiben im gleichen Text die Klanghölzer ('"se b'rösim). Bei zwei Instrumentenbezeichnungen kann die Bedeutung nur wahrscheinlich gemacht werden: 'mgab könnte entsprechend der griechischen Übersetzung ein Saiteninstrument in der Hand von Berufsmusikern sein (keine Flöte!). Bei salis, abgeleitet von der Zahl drei, ist die dreisaitige Laute oder das Sistrum vorgeschlagen worden. Die Übersetzung mit „ G e i g e n " (Luther) ist sicher falsch. 2.2. Aufführungspraxis. Es gab Berufsmusiker im Kult und außerhalb des Kultes. Als Kultmusiker waren nur Männer tätig. Sie spielten Leier, Harfe und in nachexilischer Zeit die Becken. Wie die Psalmenüberschriften ausweisen, verfügten sie über ein Inventar an Texten und Aufführungsmodi. Aus der poetischen Struktur von Psalmen läßt sich auf einen antiphonalen Vortrag und auf responsoralen Wechsel zwischen Vorsänger/ Kantor bzw. Chor/Gemeinde schließen. Die Gemeinde antwortete mit Rufen und Akklamationen wie „ A m e n " , „Halleluja", „ewig währt seine Treue" u.ä. Die Musiker konnten den Gesang mit Instrumenten begleiten. Die Psalmenüberschriften enthalten Angaben zur Aufführungspraxis, die kaum deutbar sind. Im Vergleich mit assyrischen und babylonischen Kolophonen und dem ugaritischen Text RS 15.30 + 15.49 + 17.387 läßt sich die Struktur der Psalmenüberschriften erkennen. Dem Oberbegriff lamnässeah sind die anderen Angaben zur Aufführungspraxis untergeordnet. Entsprechend den Ko-
446
Musik und Religion II
lophonangaben kann der Ausdruck „zur musikalischen Aufführung b e s t i m m t " bedeuten. Die folgenden mit 'äl verbundenen Angaben bezeichnen den Musiziermodus (vgl. Seidel, Studien; ders. Musik 2 1 5 f f ; Bayer, Titles). Der Terminus saela gehört ebenfalls zu den liturgisch-technischen Angaben. Die Bedeutungen „ P a u s e " oder „instrumentales Zwischenspiel" sind strittig. Der ugaritische T e x t weist auf eine Wiederholung von T e x t teilen hin,was auch für saela zutreffen könnte. Der Versuch, die Akzente des hebräischen Textes in unser Notensystem umzusetzen (Haik-Vantura), d a r f als verfehlt gelten (vgl. Seidel, Spuren). Z u m Vergleich geeigneter scheint der genannte ugaritische T e x t zu sein (Kilmer). Literatur Cyrus Adler, The shofar — its Use and Origin: Annual R e p o r t . . . of the Smithsonian Institution (1893) 4 3 7 - 4 5 0 . - Yohann Aharoni, Arad Inscriptions, Jerusalem 1981. - Hanoch Avenary, Magic, Symbolism and Allegory of the Old Hebrew Sound Instruments: Collectanea Historiae Musicae II, Florenz 1 9 5 6 , 2 1 - 3 1 . - D e r s . , Art. Jüd. Musik: M G G 7 (1958) 2 2 5 - 2 6 1 . - Ders., The Discrepancy between Iconography and Literary Presentation of Ancient Eastern Musical Instruments: Orbis Musicae 2 (1973/74) 1 2 1 - 1 2 9 . - Nahman Avigad, The King's Daughter and the Lyre: IEJ 28 (1978) 1 4 6 - 1 5 1 . - Bathyah Bayer, The Titles of the Psalms: Yuval 4 (Jerusalem 1982) 2 9 - 1 2 3 . - Dies., The Material Relics on Music in Ancient Palestine and its Environs, Tel Aviv 1963. - Dies., The Biblical nebel: Yuval 1 (Jerusalem 1968) 8 9 - 1 6 1 . - Pierre Casetti, Funktionen der Musik in der Bibel: FZPhTh 24 (1977) 3 6 6 - 3 8 9 . - Moshe Dothan, The Musicians of Ashdod: Arch. 23 (1970) 310f. - Ders., Ashdod I I - I I I , Jerusalem 1971. - Edith Gerson-Kiwi, The Bards of the Bible: Studia Musicologica 7 (1965) 6 1 - 7 0 . - Dies., Schallplatte „AMS 1508" (Schwann), Düsseldorf 0 . J . — Hartmut Gese, Zur Gesch. der Kultsänger am Zweiten Tempel: Abraham unser Vater. FS Otto Michel, Köln 1963, 222 - 234. - Manfred Görg, Die Königstochter u. die Leier: Bibl. Notizen 14 (1981) 7 - 1 0 . - Michael Goulder, The Psalms of the Sons of Korah, Sheffield 1982. - Peter Gradenwitz, Die Musikgesch. Israels, Kassel 1961. - Karl Erich Grözinger, Musik u. Gesang in der Theol. der frühen jüd. Lit., Talmud, Midrasch, Mystik, Tübingen 1982. - Suzanne Haik-Vantura, La musique de la bible révélée, Paris 1976. — Hans Hickmann, Musikgesch. in Bildern. II, 1. Ägypten, Leipzig 1961. - Abraham Idelsohn, Jewish Music in its Historical Development, New York 1929. - Anne D. Kilmer, The Cult Song with Music from Ancient Ugarit: RA 68 (1974) 6 9 - 8 2 . - Eino Kolari, Musikinstrumente u. ihre Verwendung im AT, Diss. Helsinki 1947. - Albert Maecklenburg, Die Anschauung der Bibel über die hebr. Musik: BZ 22 (1934) 1 0 1 - 1 1 7 . 3 3 2 - 3 4 9 . - Amihai Mazar, Archaelogy of the Land of the Bible, New York 1990. - Johannes Muray, Instrumenta musica s. Scripturae: VD 32 (1954) 8 4 - 9 8 . - Subhi A. Rashid, Musikgesch. in Bildern 11,2: Mesopotamien, Leipzig 1984. - Bo Reicke, Art. Posaune: BHH 3 (1966) 1480 f. - Aron Rothmüller, Die Musik der Juden, Zürich 1951. - Silvia Schroer, In Israel gab es Bilder, 1987 (OBO 74). - Sylvio J . Scorza, Praise and Music in the Qumran Community: RefR(H) 11 (1958) 3 2 - 3 6 . - Hans Seidel, Horn u. Trompete im alten Israel unter Berücksichtigung der „Kriegsrolle" v. Qumran: WZ(L).GS 6 (1956/57) 5 8 9 - 5 9 9 . - Ders., Psalm 150 u. die Gottesdienstmusik Altisraels: NedThT 35 (1980) 8 9 - 1 0 0 . - Ders., Wallfahrtslieder: Das lebendige Wort. FS G. Voigt, Berlin 1982, 2 6 - 4 0 . - Ders., Unters, zur Aufführungspraxis der Psalmen im altisraelit. Gottesdienst: V T 33 (1983) 5 0 3 - 5 0 9 . - Ders., Auf den Spuren der Beter, Berlin 1987. - Ders., Musik in Altisrael, Frankfurt 1989. - Ders., Gen 4 , 1 9 - 4 4 u. der Ursprung der Kultur: Überlieferung der Gesch. FS G. Wallis, Halle 1990, 2 3 - 3 4 . - Alfred Sendrey, Musik in Altisrael, Leipzig o . J . - Norman Snaith, Sela: V T 2 (1952) 4 3 - 5 6 . - Joel Walbe, Der Gesang Altisraels u. seine Quellen, Hamburg 1975. - Max Wegner, Musikgesch. in Bildern, II, 4. Griechenland, Leipzig 1963. - Manfred Weise, Kultzeiten u. kultischer Bundesschluß in der Ordensregel vom Toten Meer, Leiden 1961. — Eric Werner, Hebr. Musik, Köln 2 1980. - Ders., The Sacred Bridge, New York, 1 1959 II 1984. - Dieter Wohlenberg, Kultmusik in Altisrael, Diss. Hamburg 1967. - Josef Yasser, Bibliography of Articles and Books of Jewish Music, New York 1947. H a n s Seidel
II. Judentum 1. Themenstellung und Quellenlage 2. Einfluß der Tempelmusik auf die Synagoge 3. Die Einstellung der Rabbiner zur Musik von der talmudischen Zeit bis zur Zeit der Emanzipation 4. Entwicklungen in der Neuzeit (Literatur S.452)
Musik und Religion II 1. Themenstellung
und
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Quellenlage
Unser Thema umfaßt die Einstellung des Judentums zur Musik während der ca. 2000 Jahre der Diaspora, und zwar zur weltlichen Musikpraxis sowie zu den liturgischen, paraliturgischen und sonstigen musikalischen Aktivitäten in der Synagoge und im traditionellen jüdischen Familienleben. Die Diaspora ist der entscheidende historische Faktor, der allen Gebieten der jüdischen Kultur und Lebensform im Orient wie im Okzident seinen Stempel aufgedrückt hat. Die Erforschung jüdischer Eigenarten muß demnach immer von der Vielfalt der Akkulturations- sowie Assimilationsphänomene ausgehen, die in den verschiedenen über die Welt verstreuten jüdischen Gemeinden an bestimmten Momenten ihrer historischen Entwicklung stattgefunden haben, egal ob es sich um Literatur, Musik, Essensgewohnheiten oder Kleidung handelt. Folglich ist es, auch in der komparativen Forschung kaum möglich, rein-jüdische Elemente herauszuschälen, und die vielfach aufgestellten Hypothesen über ein sogenanntes jüdisches Urmelos sind mit größter Vorsicht zu behandeln. In der sehr kontrovers geführten Diskussion über die Frage: Was ist jüdische Musik? ist die Definition von Curt Sachs, die den funktionellen Charakter jüdischer Musik betont, am zutreffendsten: Diejenige Musik ist immer dann jüdisch, wenn sie von Juden für Juden als Juden praktiziert wird (s. Bayer 555 und das Literaturverzeichnis zur Thematik dieses Abschnitts bei Adler, Musique juive 8 6 - 8 8 ) . Die Musikausübung im Judentum basiert seit jeher hauptsächlich auf mündlich überlieferten Quellen. Diese konnten dank einer ununterbrochenen liturgischen Tradition, die fast ausschließlich auf der hebräischen bzw. aramäischen Sprache basiert, über lange Zeiträume hinweg konserviert werden. Die akribische Überlieferung der biblischen Texte sowie der Stammgebete wie ' a m i d a h , semac, usw. garantierten eine gemeinsame Basis und das Rückgrat der verschiedenen musikalischen Überlieferungen. Somit bilden die drei Elemente: Diaspora, die heiligen Texte der Bibel und Liturgie und die mündliche Überlieferung eine untrennbare Einheit für das Verständnis jüdischer Musikpraxis. Eine Vielzahl vereinzelter Hinweise auf musikalische Phänomene oder theologische Musikanschauungen findet sich in den talmudischen Schriften, dem -»Midrasch und den rabbinischen Responsen, Kommentaren usw., in der —»Kabbala sowie in anderen Zweigen jüdischen Schrifttums vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Diese Hinweise beziehen sich auf die Aufführungspraxis und Funktion der Musik im Gottesdienst, im gesellschaftlichen jüdischen Leben, auf halachische Aspekte der Musikausübung, musiktheologische Vorstellungen usw.; sie geben jedoch keinerlei Auskunft oder Anweisungen über musiktheoretische Aspekte wie Tonleitern, Modi oder Stilistik. Aus der gleichen Epoche liegen uns jedoch nur sehr wenige Dokumente notierter Musikbeispiele vor. Aus diesem Grunde können wir Einsichten in die melodische Natur der jüdischen Musiktraditionen nur mit Hilfe der Quellen mündlicher Überlieferung gewinnen. Dabei spielt die Dialektik von mündlicher und schriftlicher Überlieferung eine entscheidende Rolle. M i t Hilfe von vereinzelten frühen Musiknotierungen kann z.B. ein Stratum mündlicher Überlieferung auf sein Alter hin geprüft werden; auf der anderen Seite können wir mit Hilfe einer komparativen Analyse der mündlichen Überlieferung die musikalischen Strukturen der im 9.—10. J h . kodifizierten masoretischen Akzentuationssysteme (ta'ame ham-miqra) erfassen. 2. Einfluß
der Tempelmusik
auf die
Synagoge
Die talmudischen Quellen geben ein detailliertes Bild des Gottesdienstes im Jerusalemer Tempel, jedoch besitzen wir über die Liturgie der frühen Synagoge nur spärliche Kenntnisse. In diesem Kontext stellt sich die viel diskutierte Frage, ob musikalische Traditionen der Tempelmusik auf die Synagoge übergegangen sind. Außer einigen indirekten talmudischen Hinweisen spricht für diese These die im Volk verankerte und von Rabbinen gelehrte Doktrin, daß alles, was mit dem Tempel in Verbindung gebracht werden konnte, als heilig zu betrachten und in Erinnerung zu halten sei.
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Musik und Religion II
Dagegen spricht die völlig verschiedene Organisationsform der Musikpraxis in Tempel und Synagoge: einerseits die jahrhundertealte Institution der professionellen Tempelmusiker (Leviten), andererseits ein frei organisiertes, von Laien ausgeführtes Singen in der Synagoge (das Instrumentalspiel war außerhalb des Tempels an Sabbaten und Festtagen generell verboten); das Amt eines professionellen Vorsängers (hazzan) ist erst nach dem 5. J h . n. Chr. belegt. Ein wichtiges Element in dieser Diskussion ist die Frage der Übernahme der levitischen Tradition des Psalmengesangs durch die Synagoge. Die bis dahin weitverbreitete Ansicht über die Existenz einer psalmodischen Praxis in der frühen Synagoge wurde neuerdings aufgrund des Fehlens talmudischer Evidenz bestritten („there was no singing of psalms in the ancient synagogue": McKinnon, Exclusion 84). Musikethnologisch fundierte Forschungsarbeiten der letzten Jahre legen jedoch neues Beweismaterial für die These vor, daß die hebräische Psalmodie schon zur Zeit des 2. Tempels in der Synagoge verankert war (Flender, Psalmodie 9 0 - 9 8 ) . Bedingt durch die lückenlose Kontinuität der mündlichen Überlieferung, hat sich ein breites Spektrum von Psalmenweisen in allen jüdischen Gemeinden, insbesondere bei den orientalischen Juden, erhalten (ebd. 2 3 7 - 326). Das Rezitieren der Psalmen gehört demnach zu einer breit im Volk verankerten Sitte, die in der Tat mit wenigen Ausnahmen (wie z.B. das Hallel, Ps 113—118) nicht an einen festen liturgischen Kontext gebunden ist. Die Psalmodie mit den strukturalen Rezitationselementen: Initium, Tenor, Mediante und Finalis ist wie die Tora- und Prophetenlesung eine spezifische Form der Kantilation der heiligen Schriften (Flender, Sprechgesang). Sie basiert auf dem individuellen Vortrag des Textes in Form eines streng kodierten Sprechgesangs. Dies ist das eigentliche musikalische Erbe der Synagoge; es darf nicht mit der Jerusalemer Tempelmusik identifiziert werden. Es wäre vielmehr angebracht, die musikalische Tradition der levitischen Chöre unter Begleitung des levitischen Tempelorchesters und die musikalische Tradition der frühen Synagoge als zwei parallele, gleichzeitig existierende Ströme zu sehen, von denen die Jerusalemer Tempelmusik verlorenging, die Musik der Synagoge jedoch die nationale Katastrophe 70 n. Chr. überlebte. Allenfalls in dem solemnen Chorgesang der jemenitischen Juden kann man vielleicht einen Nachhall der levitischen Chormusik erblicken.
der
3. Die Einstellung Emanzipation
der Rabbiner
zur Musik
von der talmudischen
Zeit bis zur
Zeit
Nur ein kleiner Teil der bisher bekannten postbiblischen, die Musik betreffenden Literatur des Judentums beschäftigt sich mit der Thematik dieses Artikels, nämlich mit der Frage der Musikausübung in der Synagoge und im jüdischen Leben. Der vorwiegende Teil der hebräischen Schriften, in denen Abschnitte über Musik enthalten sind, behandelt Spekulationen über Musik, die meistens aus griechisch-arabischen oder arabischen Quellen kompiliert wurden. Es geht um kosmologische Aspekte der Musik (die Musik der Sphären), den Einfluß der Musik auf die Seele des Menschen (Ethoslehre), um die Musik der Engel und um sonstige Themen der Musikphilosophie und Musiktheologie. Andere Schriften beschäftigen sich mit musiktheoretischen Aspekten wie Akustik und mit der mathematischen Basis für die Berechnung von Intervallen. Es gibt nur wenige, regelrechte Musiktraktate, die meist aus lateinischen Quellen adaptiert wurden (s. Adler, Hebrew Writings xxiii—xxxiii). Einen systematischen Überblick über die Musiktheologie der frühen jüdischen Literatur gibt Grözinger. Eine Zusammenstellung von den die Musik betreffenden Themen im Zohar findet man bei Shiloah/Tene. Es gibt bisher keine systematische Quellensammlung der autoritativen Aussprüche zur jüdisch-liturgischen Musikpraxis, so wie es z . B . F. Romita in seinem Jus musicae liturgicae für die römisch-katholische Tradition vorgelegt hat (s. Hucke 24). Zu den vorläufigen Arbeiten auf diesem Gebiet zählen die Sammlungen talmudischer und rabbinischer Aussprüche zur Musik wie Sendrey 3 4 6 - 3 5 5 ; Hofman, Talmud; ders., Midrashim.
Musik und Religion II
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Bei der Auswertung der vorliegenden rabbinischen Quellen lassen sich einige zentrale Themenkomplexe herausschälen. Zu den wichtigsten Motiven, die zu einer Einschränkung der musikalischen Praxis durch die rabbinischen Autoritäten geführt hat, gehört die Trauer über die Zerstörung des Zweiten Jerusalemer Tempels 70 n. Chr.: „Als das Sanhedrin zu bestehen aufhörte, hörte die Musik beim Trinkgelage a u f . . . " (mSot 9,11; bSot 48 a). Dieses Trauermotiv zieht sich wie ein roter Faden von der talmudischen Epoche bis zur Moderne (s. z.B. Maimonides, misneh torah, hilkot tacanit V. 14; J. Karo, orah hayytm 560, 2 - 3 ) und führte manchmal zum vollständigen Verbot jeglicher Musikpraxis. Solch ein generelles Verbot konnte jedoch nur in der Zeit der Generationen, die diese Katastrophe miterlebt hatten, aufrechterhalten werden. Ein Wiederhall dieses Motivs findet sich auch in späteren Epochen, wenn jüdische Gemeinden mit lokalen Katastrophen konfrontiert wurden (z.B. die Chmielnicki-Pogrome in Osteuropa 1648). Neben diesem historisch begründeten Trauermotiv ist die grundsätzliche Einstellung zur Musik hauptsächlich von funktionalen Aspekten abhängig, d.h. Musik wird erlaubt und befürwortet, wenn sie einem religiösen Zweck dient. Der Vorbeter soll eine schöne Stimme haben (bTaan 16 a); die liturgische Toralesung darf nicht ohne Kantilation vorgetragen werden, und auch das Mischnastudium wird mit melodischem Vortrag durchgeführt (bMeg 32a). Auch eine beschränkte Anzahl von weltlichen Liedern, wie z.B. Arbeitslieder, ist erlaubt, während andere, die als anrüchig gelten, verboten sind (bSot 48 a). Innerhalb der fundamentalen Unterscheidung zwischen erlaubter religiöser Musik und weitgehend verbotener weltlicher Musik differenziert der Talmud für die weltliche Musik zwischen instrumentaler Musikpraxis (zimrä de-manä), die strikter abgelehnt wird als vokale Musik (zimrä de-fümä). Insbesondere wird vor der verführenden Wirkung von Frauengesang gewarnt (bBer 24 a, bSot 48 a). Die späteren rabbinischen Quellen bestätigen und präzisieren diese grundsätzliche Unterscheidung zwischen religiöser und weltlicher Funktion der Musik, ohne sich mit Fragen der Musiktheorie und Ästhetik auseinanderzusetzen (Adler, Pratique 1,12). Zu den Texten, in denen diese Doktrin zum Ausdruck kommt, gehört das Responsum von Hayya Gaon (939-1038): „ . . . [verboten ist] das Singen über die Liebe eines Menschen zum Nächsten oder um seine Schönheit zu preisen, was die Araber ascär al-gazl [Liebeslieder] nennen; aber von Liedern und Preisungen, die die Güte des Allmächtigen vergegenwärtigen, läßt sich keiner abhalten. So ist der Brauch in ganz Israel, bei Hochzeitsfeiern und Trinkgelagen zu singen... und wir haben keinen gesehen, der dem widerspräche..." (Adler, Hebrew Writings 143-145). Diese später oft zitierte Passage wurde schon im 11. Jh. von Isaak Alfasi in sein talmudisches Kompendium aufgenommen (Alfasi zu bBer 21 b) und erhielt dadurch den Status einer halakah. Auch Maimonides (1135 — 1204) zitierte diese Doktrin in seinem Responsum über Musik, einer der wichtigsten Quellen zu unserem Thema. Auf die von der Gemeinde von Aleppo gestellte Frage, ob es erlaubt sei, [arabische] Musik zu hören, antwortet er mit einer radikalen Absage und zitiert den Talmud: „Das Ohr, das Musik hört, soll ausgerissen werden" (bSot 48 a). Alles, was zur Erregung und zur ausgelassenen Fröhlichkeit der Seele führt, ist verboten. Es spielt keine Rolle, ob der Text arabisch oder hebräisch ist; der Gesang ist je nach dem Inhalt des Textes erlaubt oder verboten. Dann zählt Maimonides 5 Verbote auf, beginnend mit leichten bis hin zu schweren, die sich auf die weltliche Musik beziehen. Verboten ist: 1. der profane Text selbst; 2. vokale Musik; 3. letztere mit instrumentaler Begleitung; 4. letztere beim Trinkgelage; 5. Gesang der Frauen. Er begründet diese ablehnende Einstellung folgendermaßen: „Und die Wahrheit, wie wir sie schon an den Tag gelegt haben, ist, daß wir dazu bestimmt sind, ein heiliges Volk zu sein, und daß es zwischen uns keinerlei Handlungen oder Worte geben darf, die nicht vollkommen sind oder die nicht zur Vollkommenheit führen, und die in uns Kräfte erwecken, die uns vom Guten wegführen und uns zu Ausschweifungen verf ü h r e n . . . " (Adler, Hebrew Writings 2 4 0 - 2 4 2 ) . Diese Doktrin findet ihren Ausdruck auch bei den Rabbinern späterer Generationen, so z.B. bei dem Italiener Leon da Modena (1571-1648) in seinem Responsum von Ferrara
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um 1605 (Adler, Hebrew Writings 216-221). Je nach dem Land, der Epoche und den allgemeinen Lebensbedingungen, unter denen die Juden lebten, wurde der Begriff einer religiösen oder einer profanen Musikpraxis mal enger und mal weiter definiert. Normalerweise wird die erlaubte religiöse Musikpraxis nicht auf rein liturgische Musik begrenzt. Bei Trinkgelagen sowie bei den festlichen religiös gebundenen Mählern (se'üdot miztvah) auf Hochzeiten, Beschneidungen, während der karnevalartigen Purimfeier usw., war Musik nicht nur erlaubt, sondern Vorschrift. Da jede kulturelle Veranstaltung der Juden an einen religiösen Kontext gebunden sein mußte, jedoch eine genaue rabbinische Reglementierung dessen, was musikalisch erlaubt oder verboten war, fehlte, war hier eine Entfaltungsmöglichkeit für Musikliebhaber und Amateure je nach ihrem musikalischen Geschmack und den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegeben. Ein zusätzliches Motiv für die reservierte Haltung der Rabbiner gegenüber der Musik ist das Verbot, die Sitten und Gebräuche der Gojim (huqqat hag-goy) nachzuahmen, um die Juden vor jeglichem Kontakt mit einem fremden Kultus ('avödah zarah) zu bewahren. Die Anwendung des huqqat hag-göy-Verbotes auf die Musik läßt sich insbesondere im christlichen Abendland beobachten, wo die Musikentwicklung im Mittelalter eng mit der Kirche verbunden gewesen ist. Man hielt demgegenüber besonders an dem liturgischen Sprechgesang sowie an gewissen traditionell verankerten Melodien fest, deren Ursprung sogar auf die Sinaioffenbarung Moses zurückprojiziert wurde (s. Avenary, Mi-sinai niggunim). Nichtsdestoweniger ist die Freiheit, neue Melodien für piyyütim (religiöse Poesie) im Gottesdienst einzuführen, bereits seit dem 13. Jh. im aschkenasischen sefer hasidim verbucht: „Suche nach Melodien, und wenn du betest, dann sing mit der Melodie, die du für angenehm und süß hältst" (ed. Wistinetzki/Freimann par. 11). Die Ablehnung „ f r e m d e r " Melodien innerhalb des Gottesdienstes kulminierte insbesondere bei den Aschkenasim in den Schriften sowohl der Rabbiner als auch mancher Kantoren des 16. bis 18. Jh. Während dieser Epoche versuchten nämlich verschiedene Kantoren, möglichst neue Melodien in die Liturgie einzuführen. Es war eine äußerst produktive Periode für die aschkenasische hazzanüt, die die Entwicklung der mesörerimPraxis (eine besondere chorale Improvisationspraxis) mit sich brachte; der Vorsänger ließ sich von zwei Stimmen, einem „Singer" (ein Knabe) und einem „Bass", begleiten (Idelsohn, Song and Singers 401 ff; Adler, Notated Sources x x x i x - x 1, 799-802). Die Synagoge wurde so manchmal zum Schauplatz von heftig geführten Auseinandersetzungen, an denen drei Parteien teilnahmen: Die hazzanim befürworteten meistens eine Erneuerung des melodischen Repertoires; die Rabbiner waren meist strenge Gegner von „ f r e m d e n " Melodien; die Gemeinde stand zwischen diesen Parteien und stellte doch oft den anspornenden Faktor für die musikalischen Neuerungen der hazzanim dar (Idelsohn, Song and Singers; Adler, Pratique I 1 5 - 2 2 sowie die Texte im Appendix A, 6 - 1 2 ) . 4. Entwicklung
in der
Neuzeit
Seit dem Beginn des 17. Jh. liegen uns in Italien erstmals eindeutige Zeugnisse für die Einführung europäischer Kunstmusik in der Synagoge vor (Ferrara seit 1605, M a n t u a seit 1610-1612, Venedig seit 1628). Diese Entwicklung ging einher mit wichtigen, manchmal polemischen Stellungnahmen der Rabbiner zur Rechtmäßigkeit dieser Musik in der Synagoge. Die wichtigsten Figuren dieser Bewegung waren der Komponist Salamone Rossi aus Mantua sowie der Rabbiner Leon Modena aus Venedig; später wurde auch u.a. der Rabbiner Nathanael Trabotto aus Modena in diese Diskussion eingeschaltet. Die Einführung einer kunstmusikalischen Praxis in der Synagoge scheint in Verbindung zu stehen mit den radikalen Veränderungen der sozialen Situation des italienischen Judentums seit der 2. Hälfte des 16. Jh. Im Zuge der Gegenreformation verhängte nämlich die katholische Kirche eine Reihe von Absonderungsmaßnahmen gegen die Juden, die später zur Entstehung jüdischer Ghettos führten. Die Akkulturationsprozesse, die während der italienischen Renaissance im Judentum stattgefunden hatten und die zur Mit-
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arbeit der Juden am Kulturleben Italiens führten, wurden gehemmt. Infolge dieser Restriktionen wurde jüdischen Musikern, die zuvor ihren Beruf als Musiker am Hofe oder als Musiklehrer ausgeübt hatten, der Boden ihrer Berufstätigkeit entzogen. Anstelle dessen fanden sie einen natürlichen Ausdruck ihrer künstlerischen Begabung innerhalb der musikalischen Aktivitäten der Synagoge. Um die Mitte des 17. Jh. hat sich die Kunstmusik in der Synagoge in ganz Italien, wo es jüdische Gemeinden gab, eingebürgert. Ein ausdrückliches Zeugnis dafür finden wir in einem Responsum Trabottos aus dem Jahre 1645. Dieser Zustand bleibt in Italien unverändert bis zur ersten Hälfte des 19. Jh., d.h. bis zur politischen Emanzipation der Juden in Italien. Die Einführung von Kunstmusik verdrängte jedoch keineswegs die traditionellen Gesänge der Synagoge. Die Chorkompositionen Salamone Rossis, und andere Werke aus späterer Zeit waren während des 1 7 . - 1 8 . Jh. für die Ausschmückung von besonderen Sabbaten und jüdischen Festen sowie für besondere Gelegenheiten wie die Einweihung einer Synagoge oder die Einweihung einer neuen Torarolle bestimmt. Die traditionellen synagogalen Weisen wurden aber durch solcherlei Festmusiken keineswegs verdrängt. Zeugnisse für ähnliche musikalische Aktivitäten außerhalb Italiens gab es im 17. Jh. und 18. Jh. in Europa auch in der portugiesischen Gemeinde von Amsterdam und in Südfrankreich (Adler, Pratique; Ders., The Rise). Im 18. bzw. im 19. Jh. entstanden zwei neue religiöse Bewegungen im Judentum, die bis heute weltweit verbreitet sind: der Chasidismus und die synagogale Reformbewegung. Sie können hier nur gestreift werden. Der ->Chasidismus entstand in Polen und in der Ukraine im 18. Jh. und stellt die letzte Phase der großen mystischen Strömungen im Judentum dar. Israel Baal Schern Tov (ca. 1700-1760), der Begründer des Chasidismus, lehrte die freudige Hingabe der frommen Seele an den Schöpfer im Medium der Musik. Unter dem Motto „Dienet dem Herrn mit Freuden" (Ps 100,2; vgl. Dtn 28,47 und bAr IIa) wurden ekstatischer Tanz und Gesang auf die Ebene gottgefälliger Frömmigkeit gehoben. Dabei war es sogar geboten, die weltlichen Lieder der christlichen Umwelt, meist Volksmusik, „zu erlösen", d.h. sie wieder als Lobpreis des Schöpfers zu identifizieren und in der Synagoge zu singen. Diese „erlösten" Melodien wurden sogar meist ohne Text geträllert. Eine bibliographische Auflistung von Studien über die markante Rolle der Musik im Chasidismus findet sich bei Sendrey 109-110; für ergänzende bibliographische Angaben s. Adler, Musique juive 100-101. Zu Beginn des 19. Jh. setzte in Deutschland mit der politischen Emanzipation der Juden eine religiöse Reformbewegung ein, die sich eng an die Gottesdienstform der protestantischen Kirche anlehnte. Die wichtigsten musikalischen Aspekte dieser Reformbewegung waren: 1. die Einführung der deutschen Sprache und neukomponierter Choralmelodien in die Liturgie; 2. das Ersetzen der traditionellen Torakantilation durch einfaches Vorlesen; 3. die Einführung der Orgel. Diese radikalen Reformen wurden zuerst in Seesen (1810), dann in Berlin (1815), Hamburg (1818) u.a. Städten eingeführt. Größere Verbreitung fand jedoch in ganz Europa und später in den USA die gemäßigte Reform, die von Salomon Sulzer in Wien um 1826 eingeführt wurde. Sulzer sah es als eine seiner Hauptaufgaben an, die Musik der Synagoge zu „veredeln" und sie insbesondere von Einflüssen der osteuropäischen hazzanüt zu reinigen. Kernpunkt der hitzigen Auseinandersetzung um die Reform war die Einführung der Orgel. Dabei kamen alle Argumente der restriktiven Haltung der Rabbiner zur Musik (Trauer über die Zerstörung des Tempels, das buqqat hag-göy-Verbot und hauptsächlich das Verbot des Instrumentalspiels am Sabbat und an Festtagen) wieder zum Tragen. Umfangreiches Quellenmaterial über die Musik in der Reformbewegung findet sich in der Eduard Birnbaum Collection im Hebrew Union College, Cincinnati. Dieses Material wurde teilweise von Idelsohn, Jewish Music 2 3 2 - 2 9 5 , aufgearbeitet. Außer den bei Sendrey, 1 0 4 - 1 0 6 aufgelisteten Studien soll noch verwiesen werden auf die in der Literatur angegebenen Arbeiten von Benayahu und Petuchowski.
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III. Alte Kirche und Mittelalter (Literatur S. 456) Z u Beginn dieses J h . g a b es unter W i s s e n s c h a f t l e r n das Bestreben, frühchristliche M u s i k und H a l t u n g gegenüber der M u s i k im K o n t e x t des klassischen Altertums zu b e t r a c h t e n ; H e r m a n n A b e r t s Die Musikanschauung des Mittelalters und ihre Grundlagen (1905) w a r in dieser H i n s i c h t das einflußreichste W e r k . Es w a r im wesentlichen eine Weiterführung seiner vorausgegangenen U n t e r s u c h u n g Die Lehre vom Ethos ( 1 8 9 9 ) , einer im wesentlichen gelungenen Darstellung der griechischen M u s i k a u f f a s s u n g . B e i diesem Ansatz verwundert es nicht, d a ß A b e r t dazu neigte, die gesamte christliche H a l tung der M u s i k gegenüber entweder als eine von ihm positiv gewertete Aneignung griechischer M u s i k p h i l o s o p h i e oder als deren von ihm negativ eingeschätzte a u s d r ü c k l i c h e Ablehnung anzusehen. M i t e i n e m W o r t : E r sah die klassische Auffassung als positiv und ästhetikorientiert und die christliche als negativ und puritanisch. Bei dieser E i n schätzung unterliefen ihm drei Fehler: 1. E r unterließ es, den christlichen S t a n d p u n k t
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unter dessen eigenen Voraussetzungen zu betrachten und sah ihn nur in Beziehung zu den klassischen Vorstellungen; 2. er übersah die Möglichkeit eines Beitrags aus dem J u d e n t u m ; 3. er behandelte das T h e m a systematisch ohne Rücksicht auf zeitliche Veränderungen vom apostolischen Zeitalter bis in die nachkonstantinische Zeit. Das T h e m a e r f u h r 1930 eine wesentliche Weiterführung durch die Untersuchung Musik und Gesang in den Kulten der heidnischen Antike und der christlichen Frühzeit von Johannes Quasten. Als ausgebildeter Patrologe gab er sachgerecht die Ansichten der Kirchenväter zu einem großen Spektrum musikalischer Fragen wieder, auch wenn es ihm nicht sonderlich gelang, das Verhältnis christlicher Musik und Musiker zu ihrem griechischen und jüdischen Hintergrund näher zu bestimmen oder eine Darstellung der Entwicklung des liturgischen Gesanges in der Zeit der Kirchenväter zu bieten. Einen wichtigen Schritt tat eine G r u p p e anglikanischer Liturgiegeschichtier, W . O . E . Oesterley, Clifford D u g m o r e and Gregory Dix, die die frühchristliche Musikpraxis unmittelbar auf die —»Synagoge zurückführten. Sie behaupteten, der aus den vier Elementen Schriftlesung, Predigt, Gebet und Psalmengesang bestehende christliche „Wortgottesdienst" vor der —• Abendmahlsfeier sei im ganzen der Synagoge entlehnt. Diese sehr einleuchtende Sicht hat den offensichtlichen Vorteil, d a ß sie die Suche nach den Ursprüngen der christlichen Musik von den griechischen zu den jüdischen Quellen verlegt; sie irrt aber, wenn sie den Eindruck einer detaillierteren und präziseren Beziehung vermittelt als die Beweislage ermöglicht. Z w a r wurde die Bibel zur Zeit Jesu in der Synagoge gelesen und besprochen, aber man kann bezweifeln, d a ß es dort vor der Zerstörung des Tempels durch die Römer im J a h r 70 n . C h r . regelrechte liturgische Gottesdienste gab, und es ist so gut wie sicher, d a ß es noch J a h r h u n d e r t e später keinen regulären Psalmengesang gab. Dies soll keine Antithese gegen einen erheblichen Einfluß des Judentums im allgemeinen auf die frühchristliche -»Liturgie sein, sondern nur die Auffassung abstreiten, d a ß die frühe Kirche spezifische Psalmodiepraktiken der Synagoge übernahm. Auf höherer Ebene genoß der Psalm im frühen Christentum und im Frühjudentum eine ähnliche Stellung; er war zunächst mehr Schriftlesung und Gebet denn kirchlicher Gesang. Er stand also im Gegensatz zur meisten heidnischen Kultmusik, wie z.B. dem vom Spiel der Pfeife und Trommel begleiteten, orgiastischen Tanz, der durch Musik herbeigeführten prophetischen Trance und der obligatorischen Instrumentalbegleitung von Tieropfern. Z w a r spielten jüdische Leviten Instrumente und sangen einen Psalm, während das Opferlamm als H ö h e p u n k t des Tempeldienstes von den Flammen verzehrt wurde, aber dies muß man für letzte Spuren eines älteren Ritus halten. In der Tat verhinderte die noch vorhandene Rücksicht auf den Tempelkult teilweise, d a ß sich die Verwendung der Psalmen im J u d e n t u m nach der Zerstörung des Tempels zu einer ihrer selbst bewußten musikalischen Praxis entwickeln konnte; dies geschah erst im Frühmittelalter. Der Prozeß verlief im frühen Christentum sehr viel schneller. Das bezeugt schon die innere Bewegtheit der neutestamentlichen Hinweise auf den Gesang in der Gemeinde, auch wenn sie sich im allgemeinen nicht sehr deutlich darüber auslassen, wie dieser Gesang tatsächlich vorzustellen ist. Das einzige, was sich in den neutestamentlichen u n d frühen patristischen Aussagen über gottesdienstliche Musik deutlich abzeichnet, ist, daß insbesondere auf Gesang bei den abendlichen Mahlfeiern, seien es nun die eucharistischen Versammlungen des apostolischen Zeitalters, die Feiern der —»Agape oder weniger fest umrissene Z u s a m m e n k ü n f t e , gedrängt wurde. Dabei wurden sowohl alttestamentliche Psalmen als auch neu verfaßte - » H y m n e n gesungen, wobei nach der derzeitigen wissenschaftlichen Auffassung die letztgenannten üblicher waren. Das späte 4. Jh. erlebte dagegen eine außergewöhnliche Blüte des Psalmengesangs. Wesentlich für diese Entwicklung w a r , d a ß sich die W ü s t e n m ö n c h e das „fortlaufende Psalmensingen" als Mittel der Erfüllung ihres Ideals unablässigen Gebets zu eigen gemacht hatten. (Fortlaufendes Psalmensingen heißt Singen des gesamten Psalters in seiner Reihenfolge gegenüber der Auswahl einzelner Psalmen aufgrund ihrer Eignung für bestimmte Gele-
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genheiten.) Der G e s a n g der f r ü h e n M ö n c h e w a r mehr eine Hilfe zur - » M e d i t a t i o n als b e w u ß t musikalisch gestalteter Gottesdienst; als das - » M ö n c h t u m sich aber in der zweiten H ä l f t e des 4. J h . in die Städte hinein ausbreitete, w u r d e sein Psalmengesang ein beherrschender F a k t o r f ü r die Entwicklung des kirchlichen Gesangs. Z u m einen w a r er selbst von dem responsorischen und a n t i p h o n a l e n Psalmensingen beeinflußt, das sich seit der rechtlichen A n e r k e n n u n g der Kirche 313 in den städtischen Basiliken entwickelt hatte; wesentlicher aber war, d a ß die (seinerzeit lediglich aus je einem Morgen- und Abendgottesdienst mit b e d a c h t s a m ausgewählten Psalmen bestehende) Gottesdienstübung der bischöflichen Kirchen mit einer Flut f o r t l a u f e n d e n , w ä h r e n d eines großen Teils des Tages und der N a c h t a n h a l t e n d e n Psalmengesangs ü b e r s c h w e m m t w u r d e (->Stundengebet). D a s Ergebnis läßt sich a m besten an Egerias Beschreibung des Jerusalemer Gottesdienstes im späten 4. J h . aufzeigen (—»Jerusalem); d o r t findet m a n insbesondere eine Vigil am S o n n t a g m o r g e n vor der Eucharistiefeier, in der die Laien in N a c h a h m u n g der wöchentlichen monastischen Vigil Psalmen sangen. Es läßt sich beobachten, wie solche beliebten Vigilien sich gegen Ende des 4. J h . v o m Osten zum Westen verbreiteten. D a s soll erstmals 386 bei dem b e k a n n t e n M a i l ä n d e r Vorfall geschehen sein, als - » A m b r o s i u s seine Gemeinde in der von T r u p p e n umstellten Kirche dazu anhielt, „ d a ß nach d e m Brauch des Ostens Psalmen und H y m n e n gesungen w ü r d e n , d a m i t das Volk nicht am Ü b e r d r u ß des K u m m e r s vergehe" (Augustin, C o n f . IX 7,15). Die ausführlichste Beschreibung dieser Entwicklung begegnet in den beiden beachtlichen Predigten De vigiliis und De psalmodiae bono von —»Nicetas von Remesiana. Der Verfasser dieses Artikels ist der M e i n u n g , d a ß dieser weitverbreitete volkstümliche Psalmengesang zur U m w a n d l u n g der stellenweise als Schriftlesungen im Wortteil der Eucharistiefeier begegnenden Psalmen zu einem eigenen musikalischen Teil, dem G r a d u a l p s a l m , beigetragen hat. Wie w a r die vorherrschende kirchliche H a l t u n g zum liturgischen Psalmengesang? Die oft zitierten Bedenken -»Augustins gegenüber der Freude an seinem W o h l k l a n g (Conf. X 33,50) stehen in der patristischen Literatur einzig da, doch seine Schlußfolgerungen blieben letztendlich im R a h m e n des Üblichen. Im Einklang mit der überwältigenden M e h r h e i t der Kirchenväter verteidigte er den Psalmengesang, ja n a h m ihn sogar enthusiastisch auf; n u r eine verdrossene M i n d e r h e i t meldete Widerspruch an. Andererseits w u r d e die heidnische M u s i k p r a x i s scharf verurteilt; die Kirchenväter polemisierten vor allem gegen das Singen, Spielen und Tanzen bei bestimmten Gelegenheiten, im T h e a t e r , im Z i r k u s , bei Hochzeiten und großen G a s t m ä h l e r n . Q u a s t e n sieht dies vornehmlich als R e a k t i o n auf die Verbindungen mit dem Götzendienst, die solchen Gelegenheiten a n h a f t e t e n ; doch die dabei häufiger offen zur Schau getragene U n m o r a l scheint zumindest ein genauso stark motivierender F a k t o r gewesen zu sein. Paradoxerweise akzeptierten die Kirchenväter eine Erscheinungsform der heidnischen M u s i k , die musica, eine der sieben freien Künste (—»Artes liberales). Sie taten dies als Teil ihrer b e h u t s a m e n Akzeptanz der klassischen Bildung ü b e r h a u p t . Tatsächlich h a t t e die freie Kunst der M u s i k aber nur sehr wenig mit M u s i k im gewöhnlichen Sinn des Wortes zu tun; sie w a r vielmehr ein höchst abstraktes System mathematischer Konstruktionen mit rhythmischen, metrischen und tonalen K o m p o n e n t e n . Es w a r jedoch ein folgenschwerer Schritt, sie in die Kirche einzuführen. So weit sie in der Antike a u c h von der wirklichen M u s i k , sei es der alltäglichen heidnischen M u s i k oder d e m christlichen Psalmengesang, entfernt w a r , so sollten ihre Grundvorstellungen im Mittelalter doch auf den Gregorianischen C h o r a l a n g e w a n d t werden, und das hatte weitreichende Auswirkungen auf die weitere Entwicklungsrichtung der westlichen klassischen M u s i k . Die vornehmlichen Vermittler des theoretischen Erbes der Griechen an das Mittelalter waren - » C a s s i o d o r und -»Boethius. Cassiodor hat im R a h m e n eines Lehrplans, d e r seine M ö n c h e zur N u t z b a r m a c h u n g der Artes liberales f ü r das Schriftstudium anleiten sollte, einen ganz k n a p p e n und nicht gerade überzeugenden Abriß der M u s i k t h e o r i e gegeben. Sein Werk w a r in frühkarolingischer Zeit recht einflußreich, w ä h r e n d der m u siktheoretische Abriß von Boethius erst etwas später zur Geltung k a m . -»Isidor v o n
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Sevilla lieferte ebenfalls einen wichtigen Beitrag, der dem Cassiodors näherstand als Boethius. Es ist schwierig, die Entwicklung der liturgischen Musik für diese Zeit nachzuvollziehen. Die Tradition hat Papst - » G r e g o r I. eine weitreichende Rolle bei der Einrichtung des Kirchengesangs und seiner Einbindung in die Liturgie zugedacht, doch die neuere Forschung setzt diese Entwicklung eher mit einem etwas späteren Höhepunkt um die Zeit Gregors II. ( 7 1 5 - 7 3 1 ) und Gregors III. ( 7 3 1 - 7 4 1 ) an (-»Gregorianik). Es gibt verschiedene Gründe für die irrige Zuschreibung an Gregor I., von denen eine Unklarheit über die Zuordnung des Namens Gregor nur der augenscheinlichste ist. Zum einen mögen die Franken, von denen die Legende über Gregor ausgeht, durch ihre englischen Mentoren voreingenommen gewesen sein, die sich mit großer Dankbarkeit der Rolle Gregors I. bei der Bekehrung ihrer Insel erinnerten; zum anderen wurde die Legende besonders in monastischen Kreisen weiterverbreitet, in denen Gregor wie ein zweiter Schutzheiliger neben —»Benedikt von Nursia verehrt wurde. Auf jeden Fall waren —»Pippin d. J . und —»Karl d. Gr. von dem von der schola cantorum vorgetragenen großartigen römischen Kirchengesang tief beeindruckt und sorgten mit Erfolg für seine Übertragung in den Norden. Sie sahen in ihm, der für sie letztlich gleichbedeutend war mit der Liturgie, ein wesentliches Einheitsband bei ihrem Bestreben zur Errichtung eines einheitlichen europäischen Reiches. Irgendwann nach dem Übergang des Kirchengesangs in den Raum nördlich der Alpen erfolgte dann seine Notation. Der genaue Zeitpunkt - um 800 oder um 900 - und die Herkunft der ersten Notationszeichen — etwa aus Wortakzenten oder aus Satzzeichen - sind gegenwärtig heftig umstritten; doch außer Frage steht die weitreichende Bedeutung dieser Entwicklung. Das Hauptrepertoire des Kirchengesangs war im 9. und 10. J h . fest eingeführt und stand in hoher Achtung. Dennoch gab es in den Klöstern der karolingischen und ottonischen Reiche und in der Folge in denen der großen Klosterverbände, deren bekanntester der von -»Cluny ist, eine reiche Fülle schöpferischer Energie. Sie fand ihr Betätigungsfeld jedoch eher in der Erweiterung und Ausschmückung des verbindlich Vorgegebenen als in seiner Ersetzung. Neue Gattungen wie die Sequenz und der Versus wurden geschaffen, doch die Haupttätigkeit läßt sich mit dem Oberbegriff der Tropierung umschreiben, ob sie nun durch melismatische Tonführung über einzelnen Silben, die Unterlegung zusätzlicher Texte unter durchgestaltete Melodien oder die Schaffung neuer Texte und Melodien als Prä- oder Interludien zu bestehenden Stücken erfolgte. Die dauerhafteste und eindringlichste musikalische Neuerung der Zeit war die Überlagerung des Gesangs mit einer harmonisierenden Stimme zur Erzeugung polyphoner Musik. Diese in monastischen Kreisen des 9. J h . erwachsende Praxis ist wohl als Wirksamwerden sowohl der Anstöße zur Tropierung als auch der genannten theoretischen Bestrebungen anzusehen. Im übrigen läßt sich eine enge Entsprechung zwischen den musikalischen Tropen und den Randglossen zur Bibel feststellen. Die folgenschweren Veränderungen, die sich in der zweiten Hälfte des 12. J h . in der europäischen Kultur vollzogen, spiegeln sich deutlich auch in der Musik wider. Da das Mönchtum nicht länger die kulturelle und moralische Triebkraft in der Gesellschaft war, verlor es auch seine führende Rolle in der Musik und gab sie an die erstehenden Städte ab, in denen die Domkirchen zum Mittelpunkt musikalischen Schaffens wurden. Auch für den Rest des Mittelalters bleibt die Domkirche eine führende Kraft in der Musik, wenn sie auch diese Führungsposition im 14. und 15. J h . mit den großen Stiftskirchen der Handelszentren des Nordens und zu einem noch größeren Teil mit Fürstenhöfen teilen muß. Doch auch auf diesem letztgenannten Gebiet bleibt die Religion ein bestimmendes Element, da die Hofmusiker in erster Linie dem Klerus entnommen wurden; sie werden Kapläne genannt, und ihre Körperschaft wird als „die Kapelle" bezeichnet (capella, chappelle). Diese Terminologie hat eigentümliche Folgen. Im 15. J h . bezieht sich der Ausdruck Chor auf einen Ort, den abgegrenzten Chor einer Kathedrale; später führt J . S . -»Bach am calvinistischen H o f des Fürsten Leopold in Kothen ( 1 7 1 8 - 1 7 2 3 ) während der einzigen Periode seines Lebens, in der er nichts mit Kirchen-
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musik zu tun hatte, den Titel Kapellmeister. Um noch einmal kurz auf das späte 12. und frühe 13. J h . zurückzukommen, so war vor allem eine Kathedrale und Stadt das unangefochtene Zentrum religiöser Musik: Notre Dame in Paris. Ihr Hochaltar wurde 1182 geweiht, und ungefähr zu dieser Zeit war Leonin als Kanoniker von Notre Dame damit beschäftigt, seinen monumentalen Magnus Uber organi zu komponieren, eine Sammlung polyphoner Gradualien, Alleluiaverse und Responsorien für alle wichtigen Tage des liturgischen Jahres, man könnte fast sagen, das musikalische Gegenstück zu der etwas späteren Summa theologica von - > T h o m a s von Aquino. M i t dem Fortgang des Jahrhunderts beteiligten sich die geistlichen Studenten und Magister der Universität mit dem Klerus der Kathedrale an einem bedeutsamen musikalischen Unterfangen: Sie verwandelten die polyphone Motette, die als eine Art textlicher Glosse zu Leonins liturgischer Komposition entstanden war, in eine raffinierte französischsprachige weltliche Gattung. Dieser leichtfüßige Austausch zwischen Heiligem und Weltlichem charakterisiert den Rest des Mittelalters. M a n kann es z. B. in der Person von Guillaume de Machaut (ca. 1 3 0 0 - 1 3 7 7 ) sehen; er war Kanoniker an der Kathedrale in Reims und zugleich Komponist der ersten einheitlich polyphonen Messe und Verfasser der Liebesbriefe an die junge Peronne von Armentieres. M a n kann dasselbe Charakteristikum wiederum bei der Prozession in Brügge im 15. J h . beobachten, mit der sowohl die Maifeier wie das Fest der Kreuzauffindung am 3. M a i begangen wurde, und in der Verwendung weltlicher Melodien wie „L'homme a r m é " in zeitgenössischen polyphonen Messen. In der Forschung sind zu dieser letzten Erscheinung seltsame Behauptungen aufgestellt worden: Listige Komponisten wie Guillaume Dufay (ca. 1 4 0 0 - 1 4 7 4 ) hätten die kirchlichen Instanzen dadurch getäuscht, daß sie solche Melodien in einem polyphonen Klangteppich verbargen; Tatsache ist jedoch, daß Dufay selbst gehobene kirchliche Ämter bekleidet hat und, soweit wir das beurteilen können, ein frommer Mann war. Die unideologische Art dieser spätmittelalterlichen Neigung, Heiliges und Weltliches ohne weiteres zu verbinden, kennzeichnet die Einstellung zu Musik und Religion während des gesamten hier besprochenen Zeitraums. Wir heutigen Zeitgenossen sind von der religiösen und musikalischen Auseinandersetzung der vergangenen 500 Jahre bestimmt. Wir sind uns auch sehr des musikalischen Puritanismus der radikalprotestantischen Reformatoren, der romantischen Religiosität des 19. J h . im römisch-katholischen Cäcilianismus und bei den Benediktinern von Solesmes sowie der Anliegen der —> Liturgischen Bewegung des 20. J h . bewußt. Daher übertragen wir die Vorstellungen späterer Jahrhunderte auf die ersten 15 Jahrhunderte des Christentums. Augustins Selbstreflexion und die Kritik -»Bernhards von Clairvaux an der musikalischen Überspanntheit Clunys sind Ausnahmen, nicht die Regel. Die beste Verdeutlichung dieser Sicht geschieht bei einer Überprüfung der sogenannten A-cappella-Frage. Zwar war die frühchristliche und mittelalterliche Kirchenmusik im wesentlichen Vokalmusik; ihr Absehen von Instrumenten beruhte jedoch auf historischen und zufälligen und selbst auf stilistischen, nicht aber auf philosophischen oder theologischen Gründen. Die Auffassung, nur Vokalmusik sei als religiöses Ausdrucksmittel rein genug und Instrumentalmusik sei durch weltliche Verbindung irgendwie mit Makeln versehen, ist romantisch und entstammt einer wertenden Sicht der Vergangenheit. Kirchliche Instanzen wandten sich zwar entschieden gegen das ihrer Ansicht nach Vulgäre und Unmoralische in mancher Art weltlicher Musik, aber sie reflektierten bemerkenswerterweise kaum über kirchliche Musik; sie pflegten und entfalteten vielmehr, ohne sich dessen selbst bewußt zu sein, all die Jahrhunderte hindurch eine der großen Schönheiten und eines der großen Ruhmesblätter abendländischer Kultur. Literatur H e r m a n n Abert, Die Lehre v o m Ethos in der griech. M u s i k , Leipzig 1899 = T u t z i n g / W i e s b a d e n 1968. - Ders., Die M u s i k a n s c h a u u n g des Mittelalters u. ihre Grundlagen, H a l l e 1905 = T u t z i n g 1964. - Paul F. B r a d s h a w , Daily Prayer in the Early C h u r c h , L o n d o n 1981 (Lit.) - R i c h a r d C r o c k e r /
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James McKinnon IV. Von der Renaissance bis zur Gegenwart 1. Vorüberlegungen 2. Historische Entfaltung 2 . 1 . R e n a i s s a n c e und B a r o c k 2 . 2 . Im Umfeld der Aufklärung 2.3. R o m a n t i k und N a c h r o m a n t i k 2 . 4 . Die Z e i t nach dem Ersten Weltkrieg 2.5. Die neueste Zeit 3. Systematische Probleme (Literatur S. 492)
1.
Vorüberlegungen
Eine Darstellung des Verhältnisses von Musik und Religion in der Neuzeit ist mit mancherlei Problemen behaftet. Nicht nur hat es der Betrachter dieses Zeitabschnittes mit einer Fülle von musikalischen Gestalten zu tun, die sich sowohl in ihrer Faktur als auch in dem hermeneutischen Horizont, aus dem sie jeweils erwachsen sind, bisweilen epochal unterscheiden; ein Problem ist auch der Begriff der —• Religion als Definitionsmerkmal eines solchen hermeneutischen Horizontes: Keinesfalls ist seine Bedeutung noch ausgemacht (F. Wagner 12ff). Aus gewichtigen Gründen legt es sich nahe, trotz aller neuzeitlichen Wandlungen der Musik über das Christentum hinaus den Ansatz bei der Musik im Raum des Christentums als historisch gewachsener und institutionalisierter Religion zu nehmen. Zunächst: Phänomenologisch wird gerade hier die Beziehung von Musik und Religion im Sinne von beider Beziehung zum Kultus als einem in seiner historischen wie gegenwärtigen Bedeutung unumstrittenen Bestandteil religiöser Expressivität anschaulich. Auch die neuzeitlich-abendländische Musik umkreist bis an die Schwelle zur Gegenwart (und sei es nur aus der Erinnerung heraus) die Frage nach ihrem Ort im christlichen —•Gottesdienst. Trotz reformatorischer und aufklärerischer Kultuskritik und seines unterschiedlichen Stellenwertes im Selbstverständnis der Konfessionen erscheint er doch bis an die Schwelle zur Gegenwart als Ort, an dem sich (man vergleiche das Sanctus und Benedictus der Messe) ein „Heiliges" (—• Heiligkeit) anzeigt, das auch musikalisches
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Schaffen begründet und durch dieses zur Sprache kommen will: in Texten, die auf geradezu „normative" Weise (Schmidt-Biggemann 1300 u. ö.) ihre Bedeutung bewahrt haben oder nach kultus- und traditionskritischen Epochen wieder in ihre Bedeutung eingesetzt worden sind und die zugleich „vertont" werden können. Hier liegt also eine Fülle von Formen und Gattungen vor, welche Musik im hermeneutischen Kontext von „Religion" zu intepretieren helfen. Ein weiteres Merkmal neuzeitlicher Musik ist nur aus ihrem Zusammenhang mit der institutionalisierten Religion des Christentums zu erklären: die Tatsache, daß Musik in wachsendem M a ß im organisierten (und seit dem 20. J h . massenmedial [-»Massenmedien] verbreiteten) „Konzertleben" in Erscheinung tritt, mit seinen Wirkungen auch auf Erdregionen, die in einer ganz anders gearteten institutionalisierten Religiosität stehen (etwa der ostasiatische Raum). Schon der „geistlichen" -»-Motette der Renaissance entspricht das „weltliche" Madrigal, dem „geistlichen" -»Oratorium des Barock die „weltliche" Oper, der Gattung des „geistlichen" Konzertes schließlich das alle Bereiche des Musiklebens seit dem 18. J h . erfassende „weltliche". Bereits der „geistlichen" Motette des Mittelalters entspricht die „weltliche" Motette; und es ist keineswegs ausgemacht, ob die weltliche Motette sich unilinear aus der geistlichen entwickelt habe oder nicht manche geistliche Motette aus weltlichen Vorlagen entstanden ist (Frobenius 272 ff). Gewiß hat ein konservatives Christentum demgegenüber immer versucht, den traditionellen „kultischen" Bezugspunkt der Musik neu geltend zu machen, und aus dem Interesse allen kultischen Denkens heraus, das „Sakrale" vor „Profanisierung" zu bewahren, zumindest eine allzu weitgehende Interdependenz kultischer Musik mit der „weltlichen" Musik der jeweiligen Epoche abgelehnt und sich für erstgenannte an „archaischeren" Modellen orientiert (so etwa die Neulutheraner [->Neuluthertum] und Cäcilianisten des 19. J h . am Palestrina-Stil). Demgemäß wurde die zunehmende Entwicklung neuzeitlich-„bürgerlicher" Musikpraxis und das ihr korrelierende Musikschaffen zumeist skeptisch wahrgenommen, zumal wenn es die für die „kultische" Musik jeweils gesetzten Kompositionsprinzipien zu bedrohen schien (man vergleiche die Diskussion um die Eröffnung der Hamburger Oper 1678 [Schweitzer 73]; zur neueren Diskussion vgl. Krieg, Musik 287ff). Dieses Phänomen läßt sich schon im Mittelalter beobachten. So haben konservative Theologen gegen die Einführung der Mehrstimmigkeit protestiert und —»Johannes X X I I . 1324/25 gegen die Ars Nova Philipp de Vitrys (Hoffmann-Axthelm 350). Genützt haben diese Gegenbewegungen wenig. Trotz gegenläufiger Hoffnungen noch im 20. J h . (Söhngen, Kirche 22; Blankenburg, Ev. Kirchenmusik 1) geschah es nur selten, daß Musik sich wieder an „archaischeren" Stilformen und dem Kultus orientierte. Erst recht nicht verhinderten sie, daß die „profane" Musik sich zunehmend weniger in ihrer Korrelation zur oder Interdependenz mit der „sakralen" Musik verstand, sondern seit dem 18. J h . als Paradigma von Musik schlechthin, während die „sakrale" Musik nur noch als Teilbereich neben Oper, Sinfonie usw. figurierte. Dies aber verweist auf eine charakteristische Erkenntnishaltung gerade des neuzeitlichen Menschen (-»Neuzeit) gegenüber der Musik. M a n könnte sie das in einer institutionalisierten Religion in Erscheinung tretende M o m e n t der Legitimierung der säkularen Wirklichkeit in ihrer Emanzipation aus dem kultischen Vollzug nennen, wie es, in der Neuzeit zunehmend deutlicher hervortretend, dem Christentum von der Antike überkommen ist (vgl. Ebeling, Dogmatik I, 140ff): Bereits dort muß sich ja der - » „ M y t h o s " dem —»„Logos" stellen, der „Kultus" dem säkularen - d. h. ihn in die Frage der Erfassung der Wirklichkeit allgemein integrierenden — „Verstehen" dessen, was sich im kultischen Vollzug bereits als das „Heilige" angezeigt hat. Und wie schon in der vorchristlichen Antike Musik über den Kultus hinaus bei aller „mythologischen" Rede von ihrem „göttlichen" Ursprung doch im Nachdenken über diesen Ursprung zugleich als Phänomen als solches in den Blick kommt (Plato, T i m . 35 Äff), so hat erst recht neuzeitliches Christentum auf dem Weg
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über das Mittelalter und (auf differenzierte Weise) die Reformation in dem M a ß e Musik immer stärker aus säkular-philosophischer Perspektive praktiziert und betrachtet, in welchem es sich unter dem Ansturm neuzeitlichen Denkens in seiner Selbstauslegung zunehmend weniger in die tradierten kultischen Texte fassen ließ. In dieser Durchformung, durch das neuzeitliche Denken nicht notwendig an den tradierten Kultus gebunden, hat es somit gerade auch an der Musik als Phänomen als solchem sein Selbstverständnis als „Religion" immer wieder neu definiert, sei es unter Zuhilfenahme des reichen Kategorienpotentials, das von antik-philosophischer Rede von einem göttlichen Ursprung der Musik und ihrer Wirkung auf den Menschen her bereitlag, sei es von neuzeitlicher (und durch das Christentumsverständnis der Reformatoren auf Dauer nicht gebannter) Religio naturalis her, einer „mystischen" Religiosität, die, in christlicher Musikauffassung traditionell verankert, doch zunehgiend den Blick auf andere Religionen nicht scheut; und es hat dabei zunehmend in Übereinstimmung mit einem „wissenschaftlichen" Religionsbegriff gestanden, der sich spätestens seit der Aufklärung immer weniger an kultisch-institutionalisierter Religiosität orientierte (F.Wagner 5 5 f ) . Mehr noch: Aus dieser neuzeitlichen Perspektive heraus hat das Christentum „weltliche" - also etwa höfische oder bürgerliche - Musik nicht nur praktiziert und reflektiert, sondern bisweilen (z.B. in der Aufklärung mit ihrer Kultuskritik wie auch gelegentlich in der neuesten Zeit) seine eigenen kultisch-musikalischen Erscheinungsformen von Richtungen des Denkens her hinterfragen lassen, die dem Christentum als institutionalisierter Religion bereits recht fern standen. Schließlich ist die Betrachtung der Beziehung von Musik und Religion vom Raum des Christentums her aus einer weiteren Perspektive hilfreich. Gerade hier liegen ja mehr Zeugnisse vor als die jeweiligen musikalischen Werke und ihre profanwissenschaftliche Interpretation, nämlich die der christlichen Theologie. Hineingestellt in die Spannung von Sakralität und Profanität, tradiertem Kultus und säkularer Reflexion, findet hier das Christentum „zu einem wissenschaftlichen [d.h. zugleich: logosgemäßen] Selbstbewußtsein" (Nitzsch 1) und steht „kraft gläubiger Erfahrung" im Dialog mit der „allgemeinen Vernunftwissenschaft" (7), und zwar in seiner christologischen Konkretion gegenüber der Welt der Religionen und dem allgemeinen wissenschaftlichen Denken. Hier liegt somit eine religiös begründete wie wissenschaftlich bestimmte Binnensicht von Religion vor unter dem Vorzeichen der Betroffenheit durch die -»Offenbarung des Christus als des christlichen Propriums. Hier liegt vor allem auch ein zentraler Bezugspunkt für die neuzeitliche Entwicklung der Musik auf ihrem Weg in die säkulare Welt vor: Wenn sich diese Entwicklung von der Spannung zwischen Mythos und Logos, kultischem Vollzug und säkularer Reflexion her begreifen läßt, dann nicht zuletzt deshalb, weil die Reflexion der Christusoffenbarung die Rezeption dieses Denkansatzes ermöglicht hat. Die Gestalt Jesu Christi selbst ist ja nicht nur Zentrum kultischer Praxis, eine Gestalt des sich vor allem Verstehen anzeigenden Heiligen, sondern als konkretes Individuum über alle kultische Verehrung hinaus zugleich Gegenstand „rationaler", d.h. hermeneutisch wiederum mit dem säkularen Denken interdependenter, Auslegung, wirkt damit aber auch wiederum in die „säkulare" Welt und ihr Musikverständnis zurück. Aber die Bedeutung der Theologie für die neuzeitliche Musikentwicklung geht noch weiter: Hat sie die Spannung zwischen Mythos und Logos in sich aufgenommen, dann zugleich so, daß sie von der Gestalt Jesu als von einem Individuum in der —•Geschichte her, welches wiederum auch Geschichte eröffnen will (in welchen mythischen Kategorien diese Eröffnung auch „kultisch" dargestellt oder in welchen ,,säkular"-hermeneutischen Kategorien sie „verstanden" werden mag), auch die musikalische Praxis und Reflexion als ein Geschehen in Geschichte verstanden hat. Damit aber hat die Theologie die Geschichte der neuzeitlichen Musik nicht nur begleitet, sondern auf weite Strecken auch in Bewegung gehalten — nicht zuletzt dadurch, daß sie (über alle Rezeption der Antike hinaus) mit dazu beigetragen hat, die Frage nach dem Ziel der Musik zu artikulieren. Stets neu hat sie es somit auch unternommen, in Auseinandersetzung mit der Musik
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in der Fülle ihrer Erscheinungsweisen unter dem Vorzeichen der Christusoffenbarung (und damit zugleich in bisweilen kritischer Reflexion des Religionsproblems allgemein) eine exemplarische Antwort darauf zu geben, welchen Ort Musik als Erscheinungsform einer institutionalisierten Religion auf dem Weg durch die Geschichte einnehmen kann. Von ihrem Dialog mit den allgemeinen „Vernunftwissenschaften" her und im Gespräch mit einem daraus abkünftigen Religionsverständnis, das zunehmend jegliche Orientierung an den Erscheinungsweisen der institutionalisierten Religion hinter sich läßt (vgl. F. Wagner 170ff. 210ff. 234ff u.ö.), hat sie in ihrer neueren Entwicklung darüberhinaus die Möglichkeit bereitgestellt, zu fragen, inwieweit Musik als Erscheinungsform von Religion im umfassenderen Sinne gegenwärtig überhaupt noch verstehbar ist. Hier ist somit das weite Feld einer Interpretationsgeschichte vorhanden, welche zu betrachten auch für eine neue systematische Zusammenschau der Probleme sinnvoll sein kann. 2. Historische
Entfaltung
2.1. —f Renaissance
und —»Barock
2.1.1. Musik als kosmische Ordnung im Kultus und in der Sphäre des sozialen Lebens. Wenn neuzeitliches Musikverstehen mit der mittelalterlichen Geisteswelt verknüpft ist, dann gilt das bis zur Aufklärung in besonderer Weise, zumindest (auf weite Strecken und unbeschadet aller Wandlungen in Renaissance und Barock) im Raum katholischer Kirchlichkeit, erst recht im durch die Wittenberger —»Reformation geprägten deutschsprachigen —»Protestantismus (anders als in der Schweizer Reformation, s.u.). Im Blick auf die hier gültigen theologisch-musikalischen Grundüberzeugungen stimmen Theologie, Philosophie, Komponist und nachschöpferischer Musiker überein; ebenso in der Überzeugung, daß ein Zentrum der Musik die -»Kirchenmusik (vornehmlich als Musik für den öffentlichen —»Gottesdienst) bildet (wobei die Gottesdienstgemeinde noch weitgehend mit der Bürgergemeinde identisch ist). Hier kann zunächst außer acht gelassen werden, wie dieser Gottesdienst „theologisch" zu definieren ist. Die kultische Musik ist ja in jedem Fall Musik für die (auch im Raum der Wittenberger Reformation noch für lange Zeit zumindest partiell lateinische) —»Messe, ob diese nun normativ in der Art eines durch sich selbst wirksamen sakramentalen Kultus im katholischen oder als Christuszeugnis im lutherischen Sinne verstanden wurde. Und so wurden denn auch im lutherischen Gottesdienst bis in die Zeit Bachs hinein unbefangen katholische Meßkompositionen verwendet (Blume 68ff. 111 ff). Hier gilt: Gemäß der Orientierung des Musikverständnisses am biblisch-geschichtlichen und auch den Gottesdienst prägenden Denken wie am spekulativen Denken „vornehmlich pythagoreisch-platonischer Prägung" (Reckow 594) (-»Piatonismus) erscheint Musik als Bestandteil der empirischen —>Welt inmitten der Fülle ihrer Erscheinungen, die doch als vergängliche, leidende und von menschlicher Unvollkommenheit bestimmte -»Schöpfung Gottes nicht mit sich identisch ist, sondern über sich hinausweist auf ihr ewiges Wesen, durch welches sie als ein ungeschaffener, in Gott als ihrem transzendenten Bezugspunkt ideal vorhandener (aber nicht mit ihm identischer) Kosmos immer schon konstituiert und welches in der Sprache der Philosophie und Theologie kategorial immer schon bestimmt ist: Ihrem Wesen nach ist Musik also — als Musica theorica — die „Sphärenmusik" im pythagoräischen Sinne bzw. die „Musik der Engel" im Sinne von H i 3 8 , 7 , welche die empirische Welt transzendiert und in einer himmlischen -»Liturgie erklingt, die am Ende der Zeit allen Gläubigen offenbar werden wird, als Musik mit dem erhöhten Christus, den Märtyrern und Aposteln vor dem Throne Gottes und seinen Engeln (J. Walter, 1552: EKG 311), als die Musik der „Himmelskantorei" (J. Walter, 1538), die Musica coelestis (nach dem Vorgang etwa von Pseudo-Beda, MPL X C 911, noch Kircher oder Werckmeister; vgl. die Belege bei Dammann 397ff). Von dieser Musik ist die Musik der empirischen Welt nur vergängliches „Abbild", mochte dieses unter aristotelischem
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Einfluß seit dem Mittelalter (J. de Grocheo) auch Gegenstand empirisch-naturwissenschaftlichen Nachdenkens sein. Gewiß spielen innerhalb dieses Umfeldes kosmologische Spekulationen nicht allerorts die gleiche Rolle (etwa bei dem Humanisten G. Zarlino). Vor allem M . -»Luther hat die antik-kosmologische Deutung der Musik nur partiell übernommen (Söhngen, Theologie 95). Doch auch bei ihm gilt, daß die Musik ihren „eigentlichen" Ort jenseits der empirischen Welt hat, „in jhenem ewigen leben . . . , übt omnia erunt perfectissima et iucundissima" (WA.TR 4 Nr. 4192), freilich in der prima materia (ebd.) der irdischen Musik ein Wirken Gottes für diese Welt sein will, als seine besondere, ab initio mundi geschaffene Creatura (WA 50, 368 f), die zugleich Gefäß, „Naturform" (Müller, Musik 10) der biblischen Offenbarung ist (vgl. WA 5, 537).
In jedem Fall erscheint Musik also auch hier als ein Geschehen, das in der „irdischen Sinnenwelt" - eben auch in der belebten „Natur" (Luther, WA 29, 551; s.a. 50,368ff) - eine „Vorahnung" der „vollkommenen Himmelswelt" geben kann (Blankenburg, Harmonie-Begriff 210), als eine irdische Abbildung der „Ewigkeit". Medium dieser Abbildung sind wie schon im Mittelalter (mit Hinweis auf Weish 11,21) die mathematischen Proportionen (-»Mathematik) der Musik (A. Kircher; A. Werckmeister; J. A. Herbst; vgl. auch Luthers Definition von Musik als doctrina numeris inclusa: Eggebrecht, Ort 265), wie sie sich vor allem in der „Harmonie" darstellen: Schon in Antike und Mittelalter - als Definition der Intervallbeziehungen, nicht des homophonen Akkordes! — spekulativ interpretiert, erscheint gerade sie - in gläubigem Rationalismus (Blankenburg, Harmonie-Begriff 217) betrachtet - als Abbildung der ewigen kosmischen Ordnung Gottes, späterhin (als trias harmonica perfecta verstanden) als religiöses Fundament des Generalbaßzeitalters. Vor allem ist Musik aber auch logoshaft (—»Logos). Sie hat (bis zum Ende des 16. Jh. unangefochten) ihr Zentrum in der Vokalmusik. Dabei will auch dies zunächst als ein aus der Antike überkommenes Deutungselement verstanden werden (im Sinne von Piatos Definition der Musik als äpßovia, po&ßöq, Aöyoq: Pol. 398B). Zunehmend wichtig wird freilich, daß mit diesem Bezug auf die —»Sprache die Musik ihre neuzeitlichen Züge gewinnt: Sie ist nicht nur auf den Kosmos hin orientiert, sondern auch auf den Menschen mit seinem Interesse am „Verstehen", sowohl im Sinne des Humanismus als auch der Reformatoren (erinnert sei an Luthers Wertschätzung Josquins, WA.TR 1 Nr. 1258). So wird ja auch in der Renaissance die mittelalterliche —»Motette über G. Dufay, Josquin bis G. Pierluigi da Palestrina weiterentwickelt: Sie gliedert sich in durch die Text-Inhalte vorgegebene Smnabschnitte, die jeweils polyphon-imitatorisch durchgebildet werden, wobei auch die Einzelstimme in ihrer melodischen Führung wort-ausdeutende Funktion erhalten kann (Boetticher; Eggebrecht, Musik 302ff). Aus antik-mittelalterlicher Anschauung ist auch erwachsen, daß Musik die menschliche -»Seele berührt. Sie kann als pythagoräisch-kosmologisch kategorisiertes Klangereignis (in den Tonarten und Intervallen) wie im Zusammenhang mit Texten über alles sprachliche Verstehen hinaus Affekte, Trauer, Freude usw. hervorbringen (vgl. schon B. Ramos de Pareja, Musica Practica, 1482; Luther, WA 50, 371; besonders Zarlino, Istitutioni harmoniche, 1558; noch J.Ph. Kirnberger, Die Kunst des reinen Satzes, 1774-79). Hier wird freilich jenes bereits im Sprach-Bezug der Musik erkennbare „neuzeitliche" Element dieser Musikanschauung noch deutlicher, denn nicht nur wird Musik damit erneut in ihrer Orientierung am Menschen beschrieben, sondern sie erhält zugleich ein Moment, das Musik als Ereignis religiös-emotionaler Wahrnehmung und Erfahrung zu verstehen anleitet. In dieser „psychologischen" Dimension der Musikdeutung in Renaissance und Barock erscheint damit zugleich die aufklärerisch-empfindsame, erst recht die „romantische" Deutung von Musik als Sprache des „Gefühls" präfiguriert (vgl. Eggebrecht, Ort 273 f). 2.1.2. Akzentsetzungen der -»Reformation. Freilich ist mit diesem Modell das theologisch-musikalische Gesamtbild von Renaissance und Barock keineswegs umfassend beschrieben: Bei aller Interdependenz lutherischer und katholischer Musikpraxis und
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Musiktheologie bis in die Bach-Zeit h a t bereits die Wittenberger R e f o r m a t i o n Akzente gesetzt, die dieses M o d e l l relativieren; erst recht treten in der M u s i k a n s c h a u u n g der Schweizer R e f o r m a t o r e n - exemplarisch in der Position Calvins - Positionen zutage, die zeigen, wie wenig das Verhältnis von M u s i k u n d Religion selbst im R e f o r m a t i o n s j a h r h u n d e r t noch in einen überkonfessionellen Konsens zu fassen ist. Z u m i n d e s t f ü r den Bereich der lutherischen M u s i k t h e o l o g i e und der Wittenberger R e f o r m a t i o n , in ihrer O r i e n t i e r u n g allen gesellschaftlich-musikalischen Lebens auf den Gottesdienst und des Gottesdienstes auf die Gestalt der Messe hin, mögen die Unterschiede zur v o r r e f o r m a t o r i s c h e n und zeitgenössisch-katholischen M u s i k p r a x i s zunächst nicht auffällig sein. D e n n o c h h a t die lutherische R e f o r m a t i o n einen neuen Geist in dieses M u s i k v e r s t ä n d n i s hineingetragen: Ist M u s i k ihrem „ W e s e n " nach zunächst Abbild der himmlischen —•Liturgie, die mit d e m e r h ö h t e n Christus und den Heiligen vor Gottes T h r o n gefeiert wird, ist sie zugleich ein auf den M e n s c h e n bezogenes wortsprachliches und affektuoses Ereignis - so erfährt dieses Musikverstehen zugleich eine christologische Zentrierung: Aus „ j h e n e m ewigen l e b e n " (Luther, s.o.) in die irdische Sinnenwelt vorzeichenhaft hineinklingend, wird sie in dieser Sinnenwelt Predigt von Jesus Christus als der O f f e n b a r u n g Gottes in der Geschichte eines historischen Lebens, welches als das Leben des fleischgewordenen Wortes, des Gekreuzigten, Auferstandenen und E r h ö h t e n in der jeweiligen geschichtlichen Situation zu verkündigen ist: „Sic praedicavit Deus evangelium etiam per musicam" (Luther, W A . T R 1 N r . 1258; vgl. auch W A 35, 474 u.ö.). In dem M a ß e , in welchem dieses „ n e u e " M o m e n t neuzeitlichen Musikverstehens an die Rede von der Musica coelestis z u r ü c k g e b u n d e n bleibt, bleibt dieses Musikverstehen auch als solches gewiß weiterhin (und vor allem in der lutherischen O r t h o d o x i e ) in vorreformatorisch-hermeneutische Voraussetzungen m i t s a m t ihrer A b k u n f t wiederum aus dem spekulativen D e n k e n der Antike (Ebeling, Bedeutung 16) eingebettet, in die tradierte - > O n t o l o g i e und das tradierte antik-biblische „Weltbild". D e n n o c h ist Luthers Orientierung der M u s i k an der Chrisrus-Verkündigung auch f ü r das Musikverstehen und die M u s i k p r a x i s der Wittenberger R e f o r m a t i o n (mittelbar noch für die „ L u t h e r a n e r " G.W.F. - » H e g e l und R. Wagner) von grundlegender Bedeutung; denn n u n m e h r wird die M u s i k theologisch gewichtiger noch als im H u m a n i s m u s der (verbalen) Sprache zugeordnet. Als kosmologisches und affektuoses Ereignis wird sie zugleich zur Musica poetica (so der Luther-Schüler N . Listenius) und entfaltet sich in - seit 1606 bei J. Burmeister lehrmäßig systematisierten - musikalisch-rhetorischen, d . h . w o r t - a u s d e u t e n d e n Figuren ( D a m m a n n 100 ff; Eggebrecht, M u s i k 313). Und vor allem: Soziologisch mag eine solche Christus-Predigt im Gottesdienst ihr Z e n t r u m h a b e n . Theologisch-existentiell lebt aber die gesamte M u s i k p r a x i s der Zeit aus dieser christologischen Zentrierung: Erinnert sei etwa an die Figur des Passus duriusculus, d . h . des chromatischen Q u a r tenganges (wobei C h r o m a t i k als „ A f f e k t " Trauer und Schmerz bedeutet) und ihre Anw e n d u n g bei -»-Bach. Sie erscheint im Crucifixus des Symbolum N i c e n u m (BWV 232) als Ausdruck der Klage über das Kreuz Jesu Christi und in der gottesdienstlichen Kantate BWV 12 als Klage des Christen über sein eigenes „ K r e u z " in der „ i r d i s c h e n " Welt, die auf das k o m m e n d e Reich Gottes hin angelegt ist. Aber auch w e n n sie etwa in der „weltlichen" dreistimmigen Sinfonia f-moll (BWV 795) verwendet wird, bleibt zumindest assoziativ der R ü c k b e z u g auf jene christologisch verdichteten Weisen der Klage. D a s besagt: Sofern M u s i k „religiös" im mittelalterlichen Sinne ist, andererseits in die gesamte Existenz hineinwirkende Christus-Predigt, d a n n wird ihr Bezug zu den tradierten kultischen Vollzügen z u n e h m e n d in einen neuen H o r i z o n t gestellt. Z w a r bleibt sie als Abbild der himmlischen Liturgie auf der Erde weiterhin auf die Messe zentriert und n i m m t teil an ihrer kultischen Gestalt, a m Nachvollzug des O r d i n a r i u m s und des - • K i r c h e n jahres. Zugleich aber wird das Verständnis der M u s i k vom G e d a n k e n der Interdependenz von M u s i k und Kultus her d u r c h die Rede vom universal zu predigenden Christus entscheidend relativiert.
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Z u m einen: Von dieser R e d e her hat M u s i k bei all ihrer Z e n t r i e r u n g auf die M e s s e a u ß e r h a l b ihrer doch keine geringere t h e o l o g i s c h e D i g n i t ä t . S o ist denn auch der lutherische - » C h o r a l musikalisch z . T . „ w e l t l i c h e n " Ursprungs und keineswegs auf seine kultische Verwendung b e s c h r ä n k t , und in der Weise des Parodieverfahrens k o n n t e n o c h bei B a c h weltliche M u s i k zu gottesdienstlicher M u s i k u m t e x t i e r t werden. Bis in die Z e i t der A u f k l ä r u n g hinein (und durchaus anders als im K a t h o l i z i s m u s , s. u.) w a r also auch die F r a g e eines „ k i r c h l i c h e n S t i l s " in der M u s i k weitgehend belanglos. Von dieser R e d e her wird u m g e k e h r t aber auch der „ k u l t i s c h e " Gottesdienst im S i n n e einer sakralen G r ö ß e , in der sich das Heilige ( - » H e i l i g k e i t ) u n m i t t e l b a r (nach t r a d i t i o n e l l - k a t h o l i s c h e m Verständnis: in s a k r a m e n t a l e r Präsenz) anzeigt, fraglich (wie denn Luther G o t t e s d i e n s t im weiteren Sinne als ein universales, d . h . alle menschlichen L e b e n s b e z ü g e umfassendes Ereignis im Sinne von R o m 12,1 versteht; vgl. e t w a W A 2 , 7 3 4 ; 2 3 , 3 6 3 ) . D e n n ist es eben dieser zu predigende Christus, der in den tradierten T e x t e n g l a u b e n s c h a f f e n d zur S p r a c h e k o m m e n will, dann gewinnt der G o t t e s d i e n s t seine kultische D i g n i t ä t allein v o m G l a u b e n an diesen Christus her. Abgelöst von der sich durch den Kult hindurch ereignenden und im G l a u b e n zu fassenden Christuspredigt ist der G o t t e s d i e n s t „ n u r " ein W e r k der aus dem G l a u b e n e r w a c h s e n d e n „ L i e b e " , der Päda g o g i k für die S c h w a c h e n , für die k o n k r e t e Situation im Angesicht des Fleischgeword e n e n , Gekreuzigten und Auferstandenen je neu zu bedenken ( W A 1 8 , 4 1 7 f f ; 1 9 , 7 2 f f ) . D e m g e m ä ß e n t w i c k e l t e sich bereits im 16. J h . im R a u m der W i t t e n b e r g e r R e f o r m a t i o n die tradierte „ O r d n u n g " der M e s s e in unterschiedliche, jeweils geographisch bedingte, „ O r d n u n g e n " der M e s s e weiter (Volp 6 2 6 f f ) . D a m i t läßt sich das Verhältnis von M u s i k und Religion im Umfeld der W i t t e n b e r g e r R e f o r m a t i o n n o c h präziser b e s t i m m e n : M u s i k als m e n s c h l i c h e N a c h g e s t a l t u n g des universal „ e r k e n n b a r e n " göttlichen Wesens, das sich zugleich als ein W i r k e n in der jeweils neu zu verkündigenden O f f e n b a r u n g durch eine G e s t a l t der G e s c h i c h t e manifestiert, ist a u c h ihrerseits deutlicher als im M i t t e l a l t e r a b h ä n g i g von den jeweiligen Interpretationsm o d e l l e n ihres O r t e s in der G e s c h i c h t e als des O r t e s , an dem G o t t in die Welt hinein redet — deutlicher a b h ä n g i g s o m i t auch von der jeweiligen hermeneutischen Interdependenz dieser M o d e l l e mit der „ s ä k u l a r e n " H e r m e n e u t i k der E p o c h e . G e w i ß , von grundlegender Bedeutung sind diese Fragen erst in der - » A u f k l ä r u n g , d . h . nach d e m Z u s a m m e n b r u c h der tradierten S u b s t a n z o n t o l o g i e und des antiken Weltbildes als den s ä k u l a r h e r m e n e u t i s c h e n Voraussetzungen einer a m biblischen Literalsinn orientierten C h r i s t o l o g i e . D e n n o c h wird zu zeigen sein, d a ß sie schon a m E n d e des R e f o r m a t i o n s j a h r h u n d e r t s wichtig werden und der Weg zwischen beginnender Neuzeit und der A u f k l ä r u n g nicht weit ist. Z u v o r a b e r sei auf die A k z e n t e verwiesen, die die R e f o r m a t i o n Calvins in das neuzeitliche Verstehen der Beziehung von M u s i k und R e ligion eingetragen hat. Zunächst: Wie Luther hat auch -»Calvin Musik als Tun Gottes in der sichtbaren Welt verstanden, sie als „don de Dieu" bezeichnet (Calvin 16; weitere Belege bei Söhngen, Theologie 63 f)Und somit vermag die Musik „auf der Erde" auch den „Himmel" widerzuspiegeln, als Musik ,,en la presence de Dieu et de ses anges" (ebd.). Selbstverständlich ist in diesem Umfeld auch die Deutung von Musik als Mittel der Textgestaltung, wenngleich nicht vermittels rhetorischer Figuren (vgl. L. Bourgeois, Cinquante Pseaulmes, 1547), als seelen-bewegende Macht (Calvin 15). Universale Christuspredigt im Sinne Luthers ist sie freilich nicht. Stärker betont wird der Unterschied zwischen der sichtbaren Welt und der Offenbarung, und letztere erscheint nicht in der Musik als „Naturform" des Evangeliums im Sinne Luthers vorgebildet, erst recht nicht im Sinne von Bachs gläubigem Rationalismus (wie denn musikalisch-kosmologische Spekulationen bei Calvin deutlicher noch als bei Luther fehlen), sondern sie wird Gestalt allein als verbales, wort-sprachliches Ereignis; denn „le cueur requiert Pintelligence" (17). Damit hat Musik als solche auch kein (schöpfungs-) theologisches, gar christologisches Eigengewicht; im Gegenteil, abgelöst von der verbaliter zu predigenden Offenbarung ist sie eher gefährdet, Ausdruck der gefallenen Welt zu werden; denn: „nostre nature nous . . . induit ä chercher tous moyens de resiouyssance folle et vicieuse" (16). Demgemäß hat sie als solche ebensowenig eine Funktion für den Gottesdienst - es sei denn, sie bindet sich an das (biblische) Wort zurück, wird zum Psalmengesang, d.h. zur Mithilfe im textlich artikulierten
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Gotteslob, das freilich durch die Macht des Klanges - „une vertu secrette et quasi incredible" (16) - noch gesteigert wird (15). Dabei hat allerdings die einzelne Psalm-Melodie anders als der im Sinne von Luthers Christus-Predigt verstandene lutherische Choral (anders auch als die mehrstimmigen Psalmbearbeitungen im Bereich der Genfer Reformation) keine text-ausdeutende Funktion (Blankenburg, Kirchenmusik in den reformierten Gebieten 348).
Noch weniger Ausdruck von Gottes-, ja, Christuserfahrung ist die Musik bei -•Zwingli, wie denn bei ihm nicht nur vom mittelalterlich-kosmologischen Musikverständnis nichts mehr zu erkennen ist, sondern auch schöpfungstheologische Begründungen im Sinne Calvins, gar Luthers, fehlen. Als theologisch legitime Gestalt christlicher Frömmigkeit gilt hier neben der Predigt das Gebet der Gläubigen, die Andacht im Geist (Schlußreden, These 44). Demgemäß lehnt Zwingli für das Zentrum christlicher Frömmigkeit, den Gottesdienst, nicht nur die tradierte Messe mit ihren musikalischen Möglichkeiten zugunsten der Zürcher Form des Predigtgottesdienstes ab, sondern steht auch dem Gemeindegesang über die von Calvin gemachten Einschränkungen hinaus insgesamt skeptisch gegenüber (Belege bei Söhngen, Theologie 32ff. 250ff; Musica Sacra 31 ff). In ihrem Mißtrauen gegenüber der „kultischen" Musik bei gleichzeitiger Hinnahme (Calvin) oder positiver Akzeptanz ihrer faktischen Existenz (Zwingli) - erinnert sei an Bourgeois' oder C. Goudimels Psalmenkompositionen für den „Hausgebrauch" oder Zwingiis private Musikpflege, aber auch an das Entstehen des Orgelkonzerts in den reformierten Niederlanden - hat freilich die reformierte Position das „bürgerliche" Konzertleben gefördert und somit die Musikgeschichte in Bewegung gehalten. Nicht unterschätzt werden darf auch ihre Bedeutung für die theologische Sichtung der Musik der Gegenwart. Denn so gewiß sich auch die bürgerliche Musikpflege von Calvin keineswegs beunruhigen lassen wird, so sollte zumindest im theologischen Bewußtsein dessen Position als Warnzeichen wirken, Musik unhinterfragt religiös zu verklären und unbesehen für Kirche und Christentum zu reklamieren. In diesem Sinne ist vor allem die Musikinterpretation der -»Dialektischen Theologie ohne die bei Calvin geebneten Bahnen schwerlich denkbar. 2.1.3. Wandlungen des Musikverstehens in der lutherischen Orthodoxie (-»Orthodoxie, Lutherische). Noch einmal jedoch sei der Blick auf die Musikauffassung im Umfeld der Wittenberger Reformation gelenkt; denn zumindest seit dem Ende des 16. Jh. zeichnen sich auch hier Entwicklungen ab, die im Überschritt über den bisherigen katholisch-lutherischen Konsens den Weg der Musikgeschichte hin zu einem bürgerlichen, trans- konfessionellen, von allem tradierten Kultus abgelösten Musikleben vorbereiten, mögen sie auch von der „reformierten" Interpretation der Musik nur in eingegrenztem Sinne beeinflußt sein (etwa D. Buxtehudes wohl von den Niederlanden her beeinflußte Praxis des Orgelkonzerts). Gewiß gilt weiterhin in diesem Bereich bis in die Zeit Bachs hinein das Verstehen von Musik als Abbild von Gottes kosmischer Ordnung und affektuosem wort-sprachlichen Geschehen. Erinnert sei aber daran, daß bereits in der Zeit Ph. Nicolais (t 1608) Wandlungen in der Theologie festzustellen sind, die sich in der Musik niederschlagen und jenen Umbruch in der Beziehung zwischen Musik und Religion vorbereiten sollten, der schon in der Zeit Buxtehudes und Bachs vonstatten ging. Man kann diese Wandlungen als zunehmende Individuierung in „Lehre" und „Frömmigkeitspraxis" bezeichnen. Denn so sehr auch die ontologische Struktur der Theologie und ihrer Weltsicht gewahrt bleibt und ebenso ihre Orientierung am Logos Christus, so wird dieses Denken doch zunehmend individuell-mystisch durchformt. Und das besagt für die Musik: Als ihrem Wesen nach ewig im Kosmos aufbewahrtes Abbild der himmlischen Liturgie und als Predigt vom Logos Christus für die Christengemeinde ist sie zugleich Musik von Individuum zu Individuum. Sie wird zur Predigt des Christus, der als der Logos Gottes zugleich der Jesus ist, der im Sinne augustinischer und bernardinischer, am Ende des 17. Jh. auch pietistische Elemente in sich aufnehmender Frömmigkeit (Geck 39ff) Gegenstand mystischer Kontemplation durch die „—•Seele" sein will (-»Mystik): als der „allerholdseligste Knabe" und „allerfreundlichste Jüngling"
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(H. Schütz, S W V 307), als das „Haupt voll Blut und Wunden" (P. -»Gerhardt; vgl. Nostri auch den im frühpietistischen Umfeld entstandenen Passionszyklus Membra Jesu von Buxtehude), als der „Bräutigam", den die „bräutliche" Seele besingt (Ph. Nicolai) und mit dem sie sich in des „Himmels R o s e n " eins weiß (Bach, B W V 140). All dies bedeutete einen neuen Impuls in der geschichtlichen Weiterbildung des Verhältnisses von Musik und Religion, sicherlich zunächst auf eine für den Bereich der Wittenberger Reformation höchst fruchtbare Weise. Denn nunmehr konnte sich noch einmal der bisherige lutherisch-katholische Konsens musikalisch bestätigen, mit umfassenden Folgen für das kirchenmusikalische wie allgemeinmusikalische Leben. Von dieser deutlicher als bisher auf die religiöse Erfahrung bezogenen Frömmigkeit her konnte dann nicht nur die Affektenlehre in ihrem Bezug auf die „Seele" besondere musikalische Bedeutung erhalten (Dammann 218 ff), sondern auch bei aller Entwicklung der musikalisch-rhetorischen Figuren für die lutherische Christus-Predigt die individuierte und zunehmend instrumental bestimmte Formensprache übernommen werden, die sich von -•Renaissance und -»Humanismus her in Italien seit etwa 1580 entwickelt hatte - M o n odie (also „solistische" Musikpraxis) und Generalbaß, geistliches „ K o n z e r t " (H. Schütz), predigtbezogene „—»Kantate" und „ - » O r a t o r i u m " (Bach, G . P h . Telemann). J a , von Luthers Position aus und bei der soziologisch weiterhin vorhandenen Identität von Bürgergemeinde und Gottesdienstgemeinde konnte zumindest in der Regel gelassen akzeptiert werden, daß dieser Musikstil auch in „ O p e r " und „ K a m m e r m u s i k " gültig war, mochten auch reformorthodoxe (Th. Grossgebauer) und späterhin pietistische Theologen diese Musik als Musik einer sich zunehmend verweltlichenden Volkskirche empfinden (Geck 109 ff). Freilich zeigte sich schon für das 17., erst recht aber für das 18. J h . (und unbeschadet des blühenden Musiklebens gerade im Raum der Wittenberger Reformation), wie folgenreich diese Individuierung in Theologie und Frömmigkeit für die Musik war: Wann würde der mystisch kontemplierte Jesus Nicolais oder - » B a c h s zu einem Individuum „ n e b e n " anderen Individuen, zu einer Gestalt, die nicht mehr die literalistisch interpretierte und liturgisch in Kirchenjahr und Messe verdichtete —»Offenbarung Gottes repräsentierte? Und müßte nicht dann ein Verständnis von Musik als einer gestaltgewordenen Wahrnehmung Gottes in der Welt auch ohne christologische Bestimmung möglich sein? Auch im Raum der Wittenberger Reformation war ja längst die —»Aufklärung in Gestalt der „vernunftgemäßen" Bibelkritik (—»Bibelwissenschaft) und ihrer Frage nach der „historischen" Individualität Jesu auf den Plan getreten (H.S. —»Reimarus). Ebenso wirkte der mittlerweile entstandene —»Pietismus nicht nur wie bei Buxtehude als ein die mystische Jesus-Frömmigkeit der Orthodoxie noch deutlicher konturierendes Moment: Schon längst hatte auch er zumindest in seinen radikalen Ausprägungen (P. —»Poiret) die tradierte Theologie hinterfragt, sofern gerade deren christologische Aussagen zwar nicht „historisch-kritisch" zu beseitigen waren, aber keine religiöse Erfahrungswirklichkeit mehr darstellten; und in diesem Sinne wurde die Gestalt Jesu allein als Typos mystischer Existenz (—»Mystik) verstanden, d.h. wiederum radikal individualisiert. In Parallele dazu war mancherorts die Rede von Gott und seiner Beziehung zur -»Welt ebenfalls längst neue Wege gegangen: Einerseits sei die Welt als Welt Gottes mehr als die Welt in ihrer Unvollkommenheit; durch sie hindurch zeige sich vielmehr auch ein von Gott gewirkter „vollkommenerer" Kosmos an, in religiöser Erfahrung wahrgenommen. Jedoch sollte sich unter den Voraussetzungen neuzeitlich-naturwissenschaftlichen Denkens (Ebert 1174) dessen Deutung zunehmend platonisch-pythagoräischen Kategorisierungen entziehen und mit neuen Deutungsmodellen verbinden. Dementsprechend sollte auch die Rede von der Wahrnehmung Gottes in der Welt deutlicher transdogmatisch konturiert werden, im Sinne einer Religio naturalis (-»Natürliche Religion), aufgrund welcher Gott in der Vernunft zureichend vernehmbar sei (Reimarus, Fragmente 24; ebenso, unter B. Spinozas Einfluß, Herder, X V I , 438ff), aber auch in der „—»Seele" und ihren „Empfindungen" (Herder, VIII, 169ff und 202).
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Bestimmte dabei der bibelkritische - d.h. aufklärerisch-rationalistische - Impuls der Epoche das Verhältnis von Musik und Religion im Blick auf den Kultus neu, indem nun auch die bislang für „kultische" Musik offenen Konfessionen zunehmend hinterfragt wurden, so aufklärerische Religio naturalis - mitsamt ihren mystischen und naturphilosophischen Beiklängen - das Verhältnis von Musik und Religion allgemein. 2.2. Im Umfeld
der —» Aufklärung
2.2.1. Die Ablösung der Musik aus dem tradierten Kultus. Die Beziehung von Musik und Religion im Licht aufklärerischer Bibelkritik zu beschreiben heißt insofern zunächst, auch für den lutherischen (und partiell den katholischen) Bereich den Ablösungsprozeß der Musik von ihren Bindungen an den kirchlichen Kultus zu beschreiben, sofern dieser nunmehr auch hier (wenngleich unter ganz anderen hermeneutischen Voraussetzungen als bei Calvin) die bisherigen theologisch-dogmatischen Grundlagen verliert, die auch seine theologisch-musikalischen Grundlagen waren. Ging es bei allem von -»Luther initiierten Verständnis des —»Gottesdienstes als Predigt von Gottes Offenbarung in der Geschichte und bei der Bestimmung der Meßform als menschlicher Einrichtung doch gerade auch im Gottesdienst immer um die Bezeugung dieser Offenbarung als Offenbarung im Gott-Menschen Jesus Christus, d.h. um die (dogmatisch fixierte) Gegenwärtigkeit eines göttlichen Seins, das substantiell anders ist als die empirische Welt und in Auferstehung, Himmelfahrt und Jüngstem Gericht jene substantiell andere Welt als die Welt der „himmlischen Liturgie" bereits angezeigt hat oder noch anzeigen wird, dann ist aus historisch-kritischem Verständnis diese Sichtweise nicht mehr möglich. Lutherisch-orthodoxe Rede etwa von der —»Auferstehung Christi als Auferstehung „nach dem Fleisch", da der Gott-Mensch nicht der Verwesung anheimfallen könne (Hunnius, Blatt 173; vgl. J . S . Bach, B W V 3 1 ) , erscheint jetzt als die hermeneutisch unzureichende Beschreibung eines mit den Mitteln des empirischen Denkens zu erklärenden Vorganges, der keiner Kategorisierung als „Auferstehung" bedarf (Reimarus, Von dem Zwecke 230ff); und die Rede vom am Ende der Zeit zum Gericht (-»Gericht Gottes) wiederkommenden Christus - so muß der spätorthodoxe Komponist Telemann erkennen — wird mit der skeptischen Frage konfrontiert, ob ein außerweltlich begründetes Ende der Welt überhaupt wissenschaftlich denkbar und nicht vielmehr von ihrem fortwährenden Bestand zu reden sei („Der Tag des Gerichts"). Damit verliert der Kultus für viele Zeitgenossen seinen Sinn, da sein bisheriger Inhalt mitsamt seiner gesamtgesellschaftlichen Bedeutung fraglich wird. Denn wenn dieser Inhalt vornehmlich wissenschaftlich-kritisch zu reflektieren ist, dann kann derlei auch im Rahmen allgemein-gesellschaftlicher Bildung geleistet werden. Konsequent werden mit dem Hinweis auf die allerorts sich entwickelnden Bildungsmöglichkeiten in Nürnberg die Wochengottesdienste seit 1783 abgeschafft (Rietschel/Graff 385). Aufklärerische Theologie aller Konfessionen hat sich jedoch mit diesem Argumentationsmuster nicht zufriedengegeben. Im Dialog mit ihrer Epoche hat sie nicht zuletzt das allgemeine Interesse an -»Bildung positiv aufgenommen (in diesem Punkt wieder mit Luther verbunden), den Gottesdienst als tradierte Gestalt kritischer Reflexion unterworfen und vor allem zum Forum einer solchen Reflexion gemacht, mitsamt allen Forderungen für eine Umwandlung der überlieferten —»Liturgie. In diesem Sinne hat sich die —»Liturgik (aller Konfessionen) um einen „undogmatischeren" Gottesdienst bemüht, um liturgische Flexibilität und Situationsorientierung, also größere Unabhängigkeit von den in Kirchenjahr und Messe vorgegebenen und kultisch „wiederholten" Texten (mochten diese auch zumindest nach Luthers Verständnis ihre „Sakralität" allein durch den in ihnen gepredigten Christus gewinnen). Vor allem aber hat sich diese Liturgik um die Kanzelpredigt bemüht, als den entscheidenden Ort kritischer Reflexion der christlichen Inhalte einerseits und der hermeneutischen Umsetzung der Tradition für die Zeitgenossenschaft andererseits. In Kauf genommen hat sie freilich mit alledem eine zu-
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nehmende Intellektualisierung des Gottesdienstes, seine Entfremdung von musikalischer Gestaltung: „Unsere öffentlichen Gottesverehrungen würden . . . ihrem E n d z w e c k , nützliche Kenntnisse zu verbreiten, gewiß mehr entsprechen, wenn man durch Abkürzung . . . die A u f m e r k s a m k e i t des Zuhörers auf den Vortrag des Lehrers mehr zu erhalten . . . suchte . . . Denn durch das viele und lange Singen, Lesen und Musizieren vor der Predigt wird die A u f m e r k s a m k e i t des Z u h ö r e r s schon sehr g e s c h w ä c h t " ( C h r . M . Pfaff, zit. bei Leupold 2 7 ) .
Fraglich wurde die Kirchenmusik aber auch in ihren tradierten spezifischen Erscheinungsformen. Waren diese auch an der Sprache und seit Luther an der -»Predigt interessiert, so hatten sie doch immer ein affektuoses, non-verbales Element im Gottesdienst gebildet, als Wirken Gottes in der „Seele". Eben dieses Element trat in einem an der Kanzelpredigt orientierten Gottesdienst zurück. Zurücktreten mußte auch gottesdienstliche Musik als eigenständige Predigt im Sinne der Wittenberger Reformation, sofern diese Weise der Predigt in ihren rhetorischen Figuren an die voraufklärerische Theologie gebunden war (man vergleiche als herausragendes Beispiel Bachs Symbolum Nicenum). Aber auch angesichts der Forderung nach liturgischer Flexibilität verliert die tradierte —»Kirchenmusik ihre Bedeutung, also die Vertonung der —»Messe und die kirchenjahresbezogene -»Kantate bzw. das Oratorium. Als tradierte Gattung unangefochten in Geltung blieb lediglich das Kirchenlied (in seinen überlieferten Gestalten freilich von den anstößigsten dogmatischen Formulierungen „gereinigt"). Zumindest für den Raum der Wittenberger Reformation sollte aber ebenso die Entwicklung neuer Möglichkeiten kultischer Musik in hohem M a ß e fraglich werden; denn bildete allen aufklärerischen Umbrüchen zum Trotz im katholischen Bereich die nonverbale (d.h. in diesem Falle: kultisch-sakramentale) Dimension des Gottesdienstes weiterhin ein Korrektiv gegen seine Intellektualisierung, so blieb im lutherischen Protestantismus die Vorherrschaft der Kanzelpredigt in der Folgezeit weitgehend erhalten. Damit wurden seit dem Ausgang des 18. J h . (Schubart 263) bis an die Schwelle zur Gegenwart (Gölz 15) Klagen über das liturgisch-musikalische Desinteresse im Protestantismus laut, verbunden mit gelegentlichen Seitenblicken auf das kirchenmusikalische Leben in der katholischen Kirche (schon Schubart ebd.). 2.2.2. Musik als Sprache Gottes im Universum für die universale Gesellschaft. Die Mehrzahl der Musiker hat die Ablösung der Musik aus ihrer bisherigen kultischen Bindung gelassen hingenommen, ja, protestantischerseits auf einer neuen - „undogmatischeren" - Ebene Luthers Überzeugung von der theologischen Bedeutung aller Musik bestätigt. Auch unter aufklärerischen Bedingungen blieb das Christentum „ m e h r " als der tradierte Kultus mit seiner Abhängigkeit von der konfessionellen „ D o g m a t i k " : Denn hatte schon die allgemeine Geistes- und Theologiegeschichte weiterhin gelehrt, daß Gott in der Welt (in welcher ihrer Kategorisierungen auch immer) auch nach der Abkehr von der überlieferten Christologie wahrnehmbar sei und diese Wahrnehmbarkeit ihren anthropologischen Ort nicht allein im „intellektuellen" Verstehen, sondern auch in der „Seele" habe, dann war damit bereits das hermeneutische Instrumentarium bereitgestellt, auch die Musik als eine Gestalt dieser Wahrnehmbarkeit erneut als „religiös", ja, „kirchlich" relevantes Ereignis zu bestimmen (wie denn alle Komponisten sich weiterhin den tradierten Konfessionen zugehörig wissen). J . F r . Reichardt, Verehrer von Herder, F.G. Klopstock und J . J . Rousseau, schreibt 1782: ,,Wenn's w a h r ist, daß der . . . höchste Z w e c k all unsers Tuns . . . dahin geht . . . , unser Gefühl zu veredeln . . . , so muß auch der T o n k u n s t . . . höchster Z w e c k jene Veredlung, E r h ö h u n g des Gefühls sein. W i e kann sie diesen Z w e c k . . . v o l l k o m m n e r erreichen, als wenn sie all ihr Vermögen anwendet, die G r ö ß e , M a j e s t ä t , Allgewalt G o t t e s und seine herrliche lebende N a t u r um uns herum . . . seeldurchdringender zu malen und dann der staunenden . . . Seele zuruft: G o t t ist die L i e b e " ! (170)
Bei allen noch zu bedenkenden „aufklärerischen", ja, „romantischen" Begriffs- und Sinnverschiebungen - die hier vorgetragene Musikauffassung trägt strukturell in ihrer
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kosmologischen wie anthropologischen Bestimmtheit in der Tat auch traditionelle Züge: Wohl geht es in der Musik nicht mehr um die Abbildung einer Musica coelestis als der theologischen Definition eines platonisch-pythagoräisch kategorisierten Kosmos, sondern der „Natur um uns herum" (-»Natur), aber doch nicht im Sinne ihrer (gewiß auch empirisch analysierbaren, vgl. Reichardt 114 ff) Erscheinung, sondern im Sinne der Abbildung ihrer fast mit dem religiösen Staunen Luthers wahrgenommenen „Lebendigkeit" und „Herrlichkeit" als des Ausdrucks der Größe Gottes. Sodann: Sofern der die Natur durchwaltende Gott - zwar nunmehr ohne offenbarungs-christologisches Gefälle, aber durchaus nach der Art lutherischer Weltsicht (Söhngen, Theologie 268 ff) - ein Gott der „-»Liebe" ist und die Musik als Abbildung dieses Waltens gestaltgewordene Rede von dieser Liebe (vgl. Beethovens Geliert-Vertonungen, op. 48, bes. Nr. 4, und seine Schiller-Vertonung in der IX. Sinfonie, Schlußsatz), ist sie von den Nichtigkeiten (101) und dem „Elend" (99) der irdischen Sinnenwelt unterschieden, als Abbildung der Natur zugleich Eröffnung des „Himmels", eine „göttliche Kunst" (170f). Und wenn Reichardts Zeitgenosse^ Schubart das in der Musik nachgestaltete „Ganze" (200) bzw. - im Vorklang auf F.D.E. -»Schleiermacher - das „Universum" (212) deutlicher als Reichardt und fasziniert von I. -»Newtons Musikbetrachtung (200), aber durchaus im Umkreis etwa der Musikbetrachtung Werckmeisters, von seinen akustisch analysierbaren Gesetzmäßigkeiten her wahrnimmt, dann doch wie Reichardt als ein Ganzes, das mehr ist als die empirische Welt: Gegenüber dieser - der Welt der „gefallenen Menschheit" (213) - bleibt auch bei ihm in der Musik als Abbildung des Universums zugleich der „Himmel" angezeigt (ebd.). Wenn zudem Reichardt im oben zitierten Text wie Schubart (278 ff) Musik als gestaltgewordene Erfahrung Gottes und seines Himmels im „Gefühl" definieren, dann geht es ähnlich wie in der tradierten Affektenlehre weiterhin um ein Geschehen in der Seele, wie denn auch beide die „seeldurchdringende" (s.o.) Macht der Musik im traditionellen Sinne an den Intervallen (Reichardt 172ff) und Tonarten (Schubart 284ff) festmachen. Vor allem wird ganz im traditionell-kirchlichen Sinne gehofft, daß Musik, so verstanden, weiterhin ihren Ort im Kultus, „im Tempel des Herrn" (Reichardt 170) haben möge. Konservative Züge trägt das Musikverstehen der Zeit bisweilen auch in der Antwort auf die Frage nach dem Bezug der Musik zur verbalen -»Sprache. Trotz der anwachsenden Fülle von Sinfonien, Sonaten, Kammermusik ist noch der Lutheraner -»Hegel der „reinen" Instrumentalmusik gegenüber mißtrauisch. So sehr für ihn auch der (göttliche) „Geist" seinem Wesen nach vor allen „Formen der Natur" (III, 140) angesiedelt ist, bleibt ihm dennoch die Überzeugung gültig, daß der Geist an das verständliche „Wort" gebunden sei, die Instrumentalmusik als solche zu „abstrakt" und die Vokalmusik vorzuziehen sei (III, 131 ff; man vergleiche auch I. -»Kants Mißtrauen gegenüber der Musik, sofern sie sich als eine „Sprache der Affekten" dem begrifflichen Verstehen entzieht). Dennoch zeigt gerade Reichardts oben zitierte Bestimmung der Musik als „Malen" der Welt Gottes als der Welt der „lebendigen Natur um uns herum", d.h. nicht mehr als Abbildung eines platonisch-pythagoräischen Kosmos, wie tiefgreifend die Unterschiede zur voraufklärerischen Musikauffassung bei allen noch vorhandenen Übereinstimmungen sind. Wohl war auch Luther für Gottes Wirken in der „Natur" empfänglich und Musik ihm eine „Naturform" der Christusoffenbarung; wohl war in der lutherischen Orthodoxie Musik als ein Geschehen in der empirischen Welt ähnlich wie bei Newton und seinem Verehrer Schubart auch Gegenstand „naturwissenschaftlichen" Nachdenkens (Werckmeister). Zugleich aber blieb all dies nur eine Vorausahnung des „eigentlichen" Wesens der Musik. In Luthers Staunen über den in den Klängen der Sinnenwelt wirkenden und sich zugleich in empirisch nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten erschließenden Gott mischte sich die Gewißheit, ja, im Sinne J.S. Bachs und der lutherischen Orthodoxie (Dammann 447 ff) die Klage, daß die Musica coelestis noch auf sich warten lasse und erst „in jhenem ewigen leben" (Luther, s.o.) endgültig offenbar werde. Jetzt
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dagegen zeigt die irdische Sinnenwelt „um uns herum", in religiösem Staunen und im Nachdenken über ihre auch in der Musik wirksamen „Naturgesetze" wahrgenommen, an sich selbst ihren transzendenten Bezugspunkt und damit ihre Nicht-Identität mit sich selbst an, und als Welt des „Elends", der „gefallenen Menschheit" wahrgenommen, von der Erfahrung ihres transzendenten Bezugspunktes her, an sich selbst ihre Öffnung auf ihre Interpretation als Universum Gottes, ja, als „ H i m m e l " , der in der Musik Gestalt werden will. Dabei wird der transzendente Bezugspunkt, der die empirische Welt gleichsam durch sich selbst hindurch als religiös erfahrbares und in der Musik abgebildetes Universum vernehmbar werden läßt, als die „Seele" des Alls gepriesen (Mozart, Freimaurerkantate, K V 619), die zugleich gut aufklärerisch dem „Forscherauge" zugänglich ist (Freimaurerkantate, KV 471), mag diese - wiederum im Sinne aufklärerischer Theologia naturalis, d.h. den „positiven" Religionen gegenüber indifferent — „ J e h o v a " , „ G o t t " , „ F u " , „ B r a h m a " heißen (Mozart, KV 619). Und vor allem: Sofern sich dieser Lobpreis inmitten einer Welt des „Elends" ereignet, so geschieht doch die endgültige Uberwindung dieses Elends in der Musik als einer Eröffnung des „ H i m m e l s " nicht mehr in einer in der empirischen Welt nur angezeigten Música coelestis jenseits des „Tages des Gerichts", wie ihn noch Telemann im Unterschied zu seinen skeptischeren Zeitgenossen erwartete. Sie geschieht vielmehr in der empirischen Welt im Blick auf eine Zukunft, in welcher die Betrachtung dieser Welt von ihrem transzendenten Bezugspunkt her, d.h. als noch nicht endgültig offenbarer Kosmos Gottes, noch „unzählig viele" Möglichkeiten musikalischer Nachgestaltung enthält (Schubart 212), so daß in der Musik die vorfindliche Welt in ihrer eigenen Geschichte auf eine „schönere Welt" — jenseits aller Sklavenketten - transzendiert wird (Reichardt 99). Mit alledem gewinnen auch Einzelelemente der musikalischen Entwicklung gegenüber den Epochen vor der Aufklärung neue Bedeutung. So der Begriff der „ H a r m o n i e " : Er verweist seiner „eigentlichen" Bedeutung nach nicht mehr auf die „Sphärenharmon i e " , von der die empirisch hörbaren Intervalle nur Abbild sind, sondern ist ebenfalls „durch die Natur gegeben" (Reichardt 116), und zwar in ganz unplatonischem, nämlich physikalischem Sinne als aus der „Naturtonreihe" ableitbarer „ A k k o r d " , „Dreiklang" (Reichardt, ebd.; er schon im Gefolge von J . P h . Rameau, Traité de l'Harmonie réduite à ses Principes naturels, 1722). Freilich weckt auch die als „ A k k o r d " verstandene „Harm o n i e " „ A n d a c h t " (Reichardt 172), ist also dem Horizont mystischer Erfahrung nicht entnommen. Mancherorts hat auch der „aufklärerische" Protest gegen die reine Instrumentalmusik eine Färbung, die keineswegs „protestantische" Züge trägt, sondern von aufklärerischem „Natur"-Verständnis abgeleitet ist. So ist der Protestant Reichardt ähnlich wie Hegel gegenüber der reinen Instrumentalmusik mißtrauisch, aber nicht, weil er sie gegenüber einer an das „ W o r t " gebundenen Musik als zu abstrakt empfindet, sondern weil er sie in Weiterentwicklung von Gedanken —»-Rousseaus (Dictionnaire 242) im Gegensatz zum „ G e s a n g " als der „natürlichen" Musik für „künstlich" hält, in ihr die Gefahr bloßer „Spielerei" entdeckt (117). Ähnlich entdeckt auch Schubart bei aller Verehrung Newtons im Gesang als einem „natürlichen" Geschehen deutlicher den in (religiöser) „ R ü h r u n g " erfahrenen „Nachhall der göttlichen Urstimme" wieder als in der Instrumentalmusik (256). Nach alledem verwundert auch nicht, daß die Deutung der Musik als einer gestaltgewordenen Wahrnehmung von Gottes kosmischem Wirken durch die Seele nicht mehr im Sinne der tradierten Affektenlehre beschrieben wird (wurde auch weiterhin den Intervallen und Tonarten emotive Funktion zugemessen), sondern als Wahrnehmung dieses Wirkens im Gefühl. Hier wird vielmehr noch einmal deutlich, wie sehr das platonischpythagoräisch kategorisierte Verständnis dieses Wirkens vergangen ist und nicht weniger das Verständnis von einer am Ende der Zeit sich endgültig offenbarenden himmlischen Liturgie oder einem als mystisch zu kontemplierendes Individuum (im Sinne J . S . Bachs gewiß bewegend nahen) zu predigenden Gott-Menschen her: Eben diese dogmatisch
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definierten Realitäten waren es ja, die affektuos erfahren und vermittels der in ihrer Bedeutung vorgegebenen Tonarten, Intervalle, rhetorischen „Figuren" jeweils nachgestaltet worden waren. Gilt demgegenüber nunmehr, daß im All an-sich Gott sich anzeigt, als dessen dem „Forscherauge" zugängliche „Seele", an der Natur an-sich, in ihrer mit religiösem Staunen wahrgenommenen „Herrlichkeit", dann zeigt er sich zugleich am Individuum an-sich an: Dessen eigene - nicht mehr also von der Überzeugung von einer himmlischen Liturgie oder einem ewigen Gott-Menschen substantiell gefüllte - innere Bewegtheit, seine eigenen Empfindungen sind (durchaus im mystischen Sinne) wie die von Gott durchwirkte äußere Natur ihrerseits „göttlicher N a t u r " (Schubart 279), um somit das Wirken Gottes im All und in der „Natur um uns herum" aufnehmen und wiederum in der Musik abmalen zu können. Musik, kosmologisch als Abbildung von Gottes Wirken im All bzw. der Natur begründet, als seine Rede von seiner das Universum durchwirkenden Liebe, wird anthropologisch somit zur Tat des All und Natur in sich selbst religiös wahrnehmenden, in sich selbst göttlich-menschlichen „Genies", das seine je eigene Gotteserfahrung, seine eigenen „entzückten Liebesgefühle" (Reichardt 170) im „ R i n g e n " um das individuelle wie universale, göttliche wie menschliche „Meisterw e r k " zu „beseeltem" musikalischen „Ausdruck" zu bringen hat (Schubart 278 ff; vgl. auch C . P h . E . Bach 122). Das aber besagt insgesamt: Wohl ist das Musikverständnis der Aufklärung noch mannigfach mit voraufklärerischen religiösen Denkmodellen verknüpft. Zugleich jedoch markiert es das Stadium, an welchem - aller zukünftigen Wandlungen ungeachtet — die Musik endgültig ihr spezifisch neuzeitliches Gepräge erhält: Das lch-selbst ist inmitten der vorfindlichen Wirklichkeit und ihrer nach vorne hin offenen Geschichte vermittels seiner religiösen Erfahrung der Ort, an welchem Musik als Verdichtung der Welt als eines Kosmos Gottes Gestalt wird und damit zugleich jene alle Empirie überschreitende, erhoffte und im konkreten Werk vorzeichenhaft beschriebene (Beethoven, I X . Sinfonie, Schlußsatz) „schönere Welt", die vormals die vorfindliche Welt pythagoräisch, liturgisch oder christologisch kategorisiert, immer schon, fernab von allem menschlichen „Ringen", umschloß. Spezifisch neuzeitlich ist endgültig auch der soziologische Ort der Musik in dieser vorfindlichen Welt bestimmt: Ist Musik im oben beschriebenen Sinne Verdichtung des Kosmos als Universum Gottes im Individuum, so bedeutet dies trotz aller bei manchen Komponisten weiterhin vorhandenen Hochschätzung der Kirchenmusik: Sie beschreibt dieses Universum als ein Universum für die universale Gesellschaft, d.h. wiederum eine Gesellschaft musizierender und hörender Individuen, die einander im Sinne Beethovens als der jeweils „Andere" begegnen (Aufzeichnung 1812; zit. bei Eggebrecht, Musik 573), um miteinander in der Musik allgemein jene „schönere W e l t " angezeigt zu sehen und durch die Musik Besserung der vorfindlichen Wirklichkeit zu erhoffen (Reichardt 98ff). Dabei ist dieses Universum konsequentermaßen keines mehr für eine mit der „Gottesdienstgemeinde" weitgehend identische „Bürgergemeinde", sondern für ein „Publik u m " , das nicht nur im Gottesdienst (aller Konfessionen), sondern grundsätzlich nach einer religiösen Weltdeutung sucht. Gewiß mochten dabei die tradierten Kulte (bei aller reformatorischen und aufklärerischen Gebrochenheit) weiterhin bestehen, als die traditionellen Repräsentanten jenes „ H i m m e l s " , den auch aufklärerisches Musikverstehen nicht gänzlich verleugnete (um ihn jedoch zunehmend für die Geschichte der empirischen Welt und ihre Zukunft zu erhoffen). Aber sie besaßen auch für den Musiker nicht mehr jene frühere Dignität als kirchlich-christliches Zentrum. Als religiös-gesellschaftlicher Orientierungspunkt waren sie eine „Veranstaltung" neben anderen geworden, und in ihnen der religiösen Erfahrung „Ausdruck" zu verleihen lag im Ermessen des Einzelnen. So konnte im Katholizismus und seiner deutlicher bewahrten non-verbalen Bindung des Gottesdienstes zwar weiterhin gottesdienstliche Musik entstehen (J. Haydn; auch L. van Beethoven, Missa Solemnis), doch ebenso Musik für „ n e u e " Kulte wie Mozarts Freimaurerkantaten oder F.-J. Gossecs für die Revolutionsfeierlichkeiten von 1794 ge-
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schriebener und von 2400 Personen aufgeführter Hymnus an das Höchste Wesen (Dahlhaus, Revolutionsoper 348f). Erst recht konnte anders noch als für Bach oder Telemann der transkonfessionell „bürgerliche" Raum von Konzertsaal und Oper den Orientierungspunkt des Musikers bilden: Hier ließ sich die Erinnerung an die „kultische" Musik wachhalten (wie schon C . P h . E . Bachs Oratorium „Die Israeliten in der W ü s t e " [1769] für „ K i r c h e " und „ K o n z e r t " konzipiert ist, vgl. Ottenberg 162) wie eine neue „kultische" Dimension eröffnen (man vergleiche Mozarts an freimaurerischen Riten orientierte „Zauberflöte"). Vor allem wollte Musik als ein solcher gesamtgesellschaftlicher Ausdruck von Religion über alle konfessionelle Orientierung und über ihre theologischen wie soziologischen Bindungen hinaus der gesamten Gesellschaft auch in ihren konkreten Gestaltungsweisen, ihrer kompositorischen Faktur zugänglich sein, jenseits aller „gelehrten" Kontrapunktik etwa Bachs und seiner rhetorischen „Figuren" als Ausdruck lutherisch-dogmatischer (und damit auf den Raum der Wittenberger Reformation beschränkter) Spezifikation: in der („naturgemäßen") kantablen „ O b e r s t i m m e " , in klar gegliederten tonalen Abläufen, in durchhörbarer musikalischer Periodik - und am Ende (in der Wiener Klassik) in einem durch Haydn und Mozart geprägten „Universalstil", der (vornehmlich polyphon geprägten) „gelehrten" und (homophon orientierten) „galanten" Stil gleichermaßen zu verbinden trachtete (Dahlhaus, Musik des 18. J h . 19ff). Mit alledem aber hat sich Musik nicht allein aus ihrer Bindung an den Kultus gewachsener christlicher Religiosität entfernt, sondern beginnt sich in der Fülle ihrer Erscheinungen im gesellschaftlichen Leben als ein eigenständiges Paradigma von Religion Und in dem M a ß e , in welchem sich das bürgerliche Konzertleben stabizu etablieren. lisierte, während der christliche Kultus fraglich wurde, wurde die Kirchenmusik selbst zum Problem. 2.3. —•Romantik
und
Nachromantik
2.3.1. Musik als bürgerliche Kunst-Religion. Trotz dieser Trennung von Musik und Kultus bleibt auch die Musik der Romantik und Nachromantik innerhalb volkskirchlicher „Christlichkeit" zu sehen. Immerhin wissen sich auch die Komponisten dieser Zeit (selbst Wagner) den tradierten Konfessionen verbunden. M e h r noch: Im Sinne nicht nur der gottesdienstlichen Verwendung - zumindest im katholischen Bereich (F. Schubert, F. Liszt, A. Bruckner) —, sondern auch der Pflege tradierter kirchenmusikalischer Formen und Gattungen für das (Kirchen-) Konzert - vor allem im Protestantismus (F. Mendelssohn-Bartholdy, L. Spohr, J . Brahms, selbst Wagner) — ist im 19. J h . eine Fülle von Werken entstanden. Möglich war damit auch im 19. J h . eine Zusammenschau von Musik als religiösem Paradigma allgemein-theologischer Reflexion (in Übereinstimmung mit dem religiösen Grundgefühl der Zeit) und der Erscheinungsform von Musik im Kultus der Kirchen (unabhängig davon, ob musikalisches Neuschaffen in der Tat für diesen Kultus gedacht war). Als exemplarisch für dieses Musikverstehen kann vor allem die Position —• Schleiermachers gelten. Zum einen war sie wie etwa diejenige Reichardts von allgemein-religiöser, neuzeitlicher Welt-Sicht bestimmt und damit transkonfessionell: Sie war bestimmt durch eine Wahrnehmung der empirischen -»-Welt in der Fülle ihrer Erscheinungen, welche an sich selbst - also nicht im Sinne einer (von Schleiermacher als negativ bewerteten) „ M y t h o l o g i e " „vor der Welt und außer der Welt" (Religion 54) - „durch allen Wechsel und alles Übel hindurch" (53) Gott anzeigt und sich dadurch zugleich als göttlicher Kosmos erweist (ebd.), und durch ein Verständnis des Ich, das diese Wahrnehmung an sich selbst, d.h. wiederum in seiner individuellen Religiosität (54) vollzieht, um also durch sich selbst hindurch die Welt als Kosmos Gottes in der Musik abzubilden. Im Sinne der „ R o m a n t i k " kantianischer Vernunftkritik ( - » K a n t ) eingedenk und insofern weniger optimistisch als die Überzeugung Mozarts von der Erkennbarkeit Gottes durch das „Forscherauge", brachte sie andererseits das „mystische" Element aller Wahrnehmung Gottes in Kosmos und Ich und damit allen musikalisch-schöpferischen Tuns wie-
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derum deutlich zur Geltung. Beschrieben wurde also die Musik in systematischer Weiterentwicklung etwa der Positionen Reichardts oder Schubarts (wie alle Kunst) als erwachsen aus dem „Anschauen" (nicht also der „Erkenntnis") des „Universums" (Religion 53) als der - ganz im Sinne Reichardts - „unendlichen und lebendigen Natur" (51), deren transzendenter Bezugspunkt (Gott) sich durch sie im „Gefühl" - als dem wiederum „natürlichen" Ort aller religiösen Erfahrung (59 f) - erschließt, um sich sodann im konkreten Werk „darzustellen" (130; zum Begriff der „Darstellung" vgl. Ästhetik 30ff): Hier wird somit die „eingeborene Idee Gottes und der Welt als Totalität der Erscheinung" realisiert (Ästhetik 65), Musik (wie Kunst allgemein) wird zur Erscheinung des Ewigen im Zeitlichen (Religion 41). Hier kommt das Universum „nach seinem ewigen idealen Gehalt" zur Sprache (ebd.). Die empirische Welt zeigt hier ihre eigene Transzendenz an, verdichtet sich als Abbildung der Welt als Kosmos Gottes im Symbol, und somit besitzt die Musik wie alle „hohe Kunst" eine „symbolische Würde" (Ästhetik 75). Hier ist in der Tat zunächst irrelevant, inwieweit sich diese symbolische Darstellung des „Ewigen" mit den Mitteln der empirischen Welt im „Kultus" ereignet oder im „Konzert", denn auch der Kultus ist eine solche „Darstellung" (Ästhetik 72; weitere Belege bei Albrecht 15 f). Insofern bleibt die Musik als Ausdruck religiös-individueller Universums-Erfahrung weiterhin ein gesamtgesellschaftlich-religiöses Geschehen, eine Gestalt von Kunst-Religion (zum Begriff vgl. Dahlhaus, Idee 91; Musik des 19. Jh. 77ff). In der T a t haben m a n c h e Zeitgenossen und N a c h f a h r e n Schleiermachers M u s i k ähnlich in einer W a h r n e h m u n g G o t t e s begründet gesehen, die ihnen vom „ A l l " her begegnet (Liszt 191), von der „ N a t u r " , die der M e n s c h - in christlichem „ S p i r i t u a l i s m u s " (Liszt ebd.) - in seinem „ G e f ü h l " w a h r n i m m t (ebd.; R . Wagner V I , 5 3 f ) und die ihn mit „der Ahnung des U n e n d l i c h e n " erfüllt (Wagner ebd.). Und wiederum haben sie wie Schleiermacher und - » N i t z s c h die „ D a r s t e l l u n g " dieser W a h r n e h m u n g in der empirischen Welt als „ s y m b o l i s c h " verstanden (Hanslick 32) und die entsprechenden religiösen T e x t e als Ausdruck des „ M y t h o s " (Wagner VII, 150ff; X , 118).
Mit alledem hat Musik in Übereinstimmung von theologischer und säkularer Musikspekulation eine Würde bewahrt, wie sie zwar im aufklärerischen Protestantismus und seinem Interesse an der Kanzelpredigt nicht vorhanden war, umso deutlicher jedoch in der Musikinterpretation etwa Beethovens. Zwar nicht Abbild einer in der Gestalt Jesu Christi in der empirischen Welt präfigurierten „ewigen" Welt, die als die Welt der Musica coelestis das für das Ende der Zeit ersehnte Ziel aller Gläubigen ist, läßt sie doch an der empirischen Welt eine transzendente Welt aufscheinen. Dabei ist diese allerdings weniger im Sinne Beethovens eine für die universale Gesellschaft erhoffte Welt, sondern - individueller, der vorhandenen Wirklichkeit in ihrer „Alltäglichkeit" und „Trivialität" (Smend, Gottesdienst 151) gegenüber indifferenter - eine „höhere Sphäre" (Liszt 191), eine „ideale" (Smend ebd.), „überirdische Welt" (Liszt ebd.), die im Sinne des romantischen „Zwei-Welten-Modells" (Eggebrecht, Musik 592 ff) in der Musik nicht nur „erstrebt", sondern auch „erreicht" wird (Smend ebd.), und zwar wiederum auf geradezu mystische Weise (Wackenroder, zit. bei Dahlhaus, Idee 84). Ja, abgelöst von der Erlösung der Welt durch den fleischgewordenen Logos, den Gekreuzigten und Auferstandenen im Sinne der tradierten Dogmatik, hat sie selbst eine erlösende Funktion (Wagner VIII, 31, aber auch der Praktische Theologe F. Niebergall, Praktische Theologie II, 27). Vor allem gewinnt von dieser Hermeneutik her die Musik der Vergangenheit neue Relevanz, bisweilen bereits ihre Kategorisierung im mathematisch-pythagoräisch proportionierten Kosmos, wie er sich nicht zuletzt in der „Harmonie" als dem Ausdruck des „Ewigen und Idealen" darstellt (Hoffmann 39). Denn hatte die Aufklärung den Kosmos auch als „Natur" zu verstehen gelehrt, die „um uns herum" im Sinne Reichardts wahrnehmbar ist, so hat doch der Kosmos als Kosmos Gottes eben jene „ideale" Seite, welche sich in ihrer absoluten „Reinheit" wahrnehmen läßt, über alle „Materie" hinaus als „reine Bewegung", die sodann auch (symbolisch) in der Sprache der Musica theoretica ausgesagt werden kann (Schelling 145ff). Erst recht können die konkreten Gestalten vergangener Musik positiver gewürdigt werden, besonders die Kirchenmusik vorauf-
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klärerischer Epochen. So kommt etwa dem Kirchenlied der Reformationszeit oder der lutherischen Orthodoxie seinerseits symbolische Würde zu, und es will als Ausdruck des Mythos nicht nur „verstanden", sondern auch in „Andacht" kontempliert werden (vgl. etwa Palmer 51). Ließ man sich also auf eine solche Hermeneutik ein, dann konnte in der Tat der Eindruck entstehen, als ruhten trotz aller Ablösung der Musik vom Kultus nach wie vor Musik und Religion, Kirchenmusik und Kirche spannungslos ineinander: Unter dem Begriff des „Gefühls" gehörten „Religion" und „Christentum" zusammen, unter dem des „Symbols" „Kultus" und „Kunst", sofern von Gefühl und Symbol her Gott selbst sich als der im Universum wirkende innerhalb und außerhalb der tradierten Konfessionen und ihrer Gottesdienste musikalisch erschließt. Demgemäß konnte, unter schleiermacherianisch-romantischem und idealistischem Vorzeichen und ähnlich wie schon R. -»Rothe überzeugt von der Vorläufigkeit aller auf den traditionellen „kirchlichen" Kultus bezogenen Kunst, noch in der zweiten Dekade dieses Jahrhunderts ein Theologe wie F. Ziller die Musik etwa R. Schumanns als „Ersatz" für die darniederliegende Kirchenmusik empfehlen (Ziller 295). 2.3.2. Kunst-Religion und institutionalisierte Religion. „Absolute Musik" und „Neudeutsche Schule". Indes ist das Verhältnis von Musik und Religion im 19. und frühen 20. Jh. sowohl als solches als auch in seiner Zuordnung zur Frage nach dem Verhältnis von —»Kirchenmusik (besonders kultischer Musik) und Kirche differenzierter zu sehen. Musikschaffen wie Musikspekulation der Zeit hatten ja Probleme aus sich entlassen, die in ihrem Bezug zur Frage nach der Religion keineswegs abgeklärt werden. Endgültig seit M o z a r t und Beethoven etabliert hatten sich ja die instrumentalen (und dem Musikverständnis Luthers und des Luthertums mit seinem Interesse an „ S p r a c h e " sehr fernstehenden) Formen Sinfonie, Konzert, Streichquartett usw., um bei J . B r a h m s zu einem neuen H ö hepunkt zu finden; dergleichen k o m p o s i t o r i s c h e Praxis hinwiederum trat spätestens seit der 2 . Hälfte des 19. J h . in Spannung zur P r o g r a m m u s i k etwa von H . Berlioz, erst recht zur Symphonischen Dichtung Liszts und zu dessen Apologeten Wagner und seiner Konzeption des „ G e s a m t k u n s t w e r k s " , d . h . zu einer M u s i k , die ihr Interesse an Sprache wiederum keineswegs verleugnete.
Wie ließ sich das „Religiöse" der „absoluten", von allen außer-musikalischen „Inhalten", in reinen „Formen" entfalteten Musik noch präziser bestimmen, gegenüber aller mit außermusikalischen Assoziationen verknüpften Musik? Wie umgekehrt die „religiöse" Bedeutung von Musik in ihrem Bezug zu außermusikalischen Inhalten in Symphonischer Dichtung oder Musikdrama? Hier hatten sich im 19. Jh. zwischen „Brahmsianern" und „Neudeutscher Schule" Antagonismen gebildet, die für die Entwicklung der Beziehung von Musik und Religion folgenreich waren. Im Blick auf die Frage der Kirchenmusik selbst war hinwiederum nicht ausgemacht, inwieweit die Positionen etwa Rothes oder Zillers (bei all ihrer bewußten oder unbewußten Akzeptanz im religiösen Bürgertum) nicht ihrerseits Fragen aus sich entließen - nämlich die nach dem Proprium von Musik in einer Kirche, die sich nicht von der „vielgepriesenen allgemeinen Religiosität" (Ph. Spitta I, X X ) absorbieren lassen und in den christlichen Staat und die bürgerliche Kunst hinein auflösen wollte, sondern der religiösen Ästhetik des Bürgertums eigene musikalisch-hermeneutische Modelle entgegensetzen konnte. Es ist wichtig, diese beiden Fragenkreise zusammen zu sehen, so wenig auch Theologen und kirchenmusikalisch engagierte Musiker des 19. Jh. dem Antagonismus zwischen „Brahmsianern" und „Neudeutscher Schule" als solchem theologisch-ästhetisch reflektierte Aufmerksamkeit gewidmet haben; denn zum einen wird die Betrachtung dieses Antagonismus zeigen, wie sehr die Interpretation von Musik als eigenständiges religiöses Paradigma fortschreitet, um damit die Notwendigkeit einer theologischen Reflexion von Musik für die Kirche und ihren Kultus umso dringlicher erscheinen zu lassen. Zum anderen haben die hier geäußerten Positionen als solche zumindest mittelbar erhebliche Wirkung auf die weitere kirchenmusikalische Entwicklung gehabt.
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Betrachten wir von hier aus zunächst den Antagonismus zwischen den Vertretern von „absoluter" Musik und „Programmusik", dann sei an die Position des BrahmsVerehrers E. Hanslick erinnert. Hier wird in der Tat versucht, die Bedeutung der reinen Instrumentalmusik präziser zu fassen. Demgemäß ist für Hanslick die Musik ihrem Wesen nach eine Erscheinung „der freien Schöpfung des Geistes aus geistfähigem, begriffslosem Material" (104) und damit „tönend bewegte F o r m " (32), die nicht nur keiner weiteren „außermusikalischen" Bestimmungen bedarf, sondern in der Instrumentalmusik erst eigentlich verwirklicht wird. Demgemäß werden Programmusik oder die Oper Wagners unter ein polemisches Verdikt gestellt. Dergleichen steht dem religiösen Musikverstehen des 19. Jh. weiterhin nicht fern, zumal Hanslick in der Erstauflage seiner Schrift „Vom Musikalisch-Schönen" dieses „Geistige" der Musik, das sich in die „ F o r m " begibt, als das das Universum durchwirkende „Unendliche" beschreibt, das „mystisch" (102) zu „fühlen" (104) ist, so daß die Musik als tönend bewegte Form wiederum ein Abbild des Kosmos selbst sei (ebd.), der zwar als „Natur" gewisse empirisch zu erkennende „Gesetze" hat (35), aber zugleich eine „unendliche" Tiefe besitzt. Wichtig ist jedoch, wie sehr Hanslicks Erwägungen als solche aller tradierten theologischen Reflexion von Musik am Ende fernstehen: Hier geht es nicht mehr um die Logoshaftigkeit der Musik im bisherigen (auch kirchenmusikalischen) Sinne, sondern einzig um die Ästhetik des autonomen Konzertsaales, in welchem (nach einer Formulierung von A. Schönberg, Vorwort zu A. Weberns „Bagatellen" op. 9) etwas durch Töne gesagt werden soll, das nur durch Töne gesagt werden kann (also eben nicht mehr durch die Kirchenmusik und ihrem Bezug auf die verbale Sprache). Aber auch das Verstehen von Musik als symbolischer Darstellung des von der „Unendlichkeit" durchwirkten Kosmos wird im Ansatz erstmals fraglich; denn in dem Maße, in welchem Hanslicks Deutung von Musik als geistbestimmter Form auch in sich selbst schlüssig ist, vermag alle „kosmologische" Bestimmung von Musik als ein letztlich entbehrliches „Ornament" (Dahlhaus, Idee 33) verstanden zu werden, und deshalb hat Hanslick die entsprechenden Passagen späterhin aus seiner Abhandlung „Vom Musikalisch-Schönen" getilgt. Hier zeigen sich Entwicklungen an, die partiell auf Spannungen zwischen „religiöser" Musikinterpretation und der Musik innerhalb der institutionalisierten Kirche verweisen. Diese Spannungen werden nicht weniger deutlich, sobald man die Position betrachtet, die Hanslick kritisch im Blick hat, diejenige Liszts bzw. Wagners. Gewiß, wenn in den Überlegungen dieser Komponisten Musik an außermusikalische Inhalte zurückgebunden wurde, zum „ T o n " das „Wort" hinzuzukommen hatte, zur „ M u s i k " der „Gedanke" (Liszt 191), etwa in der Symphonischen Dichtung und ihrer Orientierung an außermusikalischen Inhalten, erst recht in Wagners Opernkonzept als einem Bemühen, Musik „aus der Sprache" zu entwickeln und das „Wort" (als das „christliche" Erbe der Musik, R. Wagner VI, 55) und den „ T o n " neu zu versöhnen, dann entsprach diese Überzeugung traditionellerem Bewußtsein. Und im Sinne ihres Wortbezuges hat auch ein liberal-protestantischer Musikästhetiker der Zeit wie A. Schweitzer die Opern Wagners mit Beifall aufgenommen und Wagner in eine Reihe mit Monteverdi, Schütz und Bach gestellt, als den Komponisten, bei welchen Wagners Bemühen um eine Musik aus der Sprache präfiguriert sei (vgl. bes. Schweitzer 49ff). Gerade bei Wagner indes läuft dieses Musikverstehen keineswegs auf die institutionalisierte Kirche zu. Die „religiösen" Inhalte seiner Musik bestimmen sich ja nicht mehr von der Symbolik etwa Bachs her, d.h. sie sind ohne „christologische" Dimension. Zwar mögen Theologen und Musiker auch die Gestalten der „christlichen" Religiosität als symbolische und mythische Gestalten verstanden haben. Zugleich aber galt, daß die „christliche" Symbolik Ausdruck eines unüberholbaren, in der Geschichte geschehenen Offenbarungsereignisses war, an welchem alle anderen Symbole - der mathematischnumerisch oder als „Natur" verstandene Kosmos und die Mythen aller Zeiten und Völker - allenfalls auf eine vorläufige Weise partizipieren. Der „Protestant" Wagner
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steht dagegen in der Linie von -»Feuerbach, d.h. nicht nur im Gefolge christentumsimmanenter „historischer K r i t i k " , sondern zugleich nachchristlicher -»Religionskritik. Jesus Christus ist (aufklärerisch) ein „Religionsstifter" neben anderen geworden. Als historische Gestalt - und das heißt für Wagner: als der Jesus der synoptischen Evangelien (vgl. seinen Opernentwurf „Jesus von Nazareth") - trägt er die Züge eines religiös motivierten Sozialreformers. Sofern er Anlaß zur Bildung von „Erlösungs-Mythen" gegeben hat, hat doch der „christliche" Erlösungsmythos anderen Mythenwelten nichts voraus, er bleibt allenfalls schattenhaft - im Parsifal — konstitutiv. Vor allem: Der soziologische Ort dieser religiösen Predigt ist wiederum nicht der Kirchenraum, sondern die bürgerliche Musikwelt. Anders gewendet: Z w a r konnte die theologische Musikbetrachtung des 19. J h . das allgemeine Verhältnis von Religion und Musik und das spezielle Verhältnis von Kirche und Kirchenmusik als spannungslos ineinander ruhend verstehen, da alle Musik als „religiöse" Musik prinzipiell auf die Kirche hin offen sei und die Kirchenmusik vielleicht nur eine Vorstufe zur neuzeitlich „religiösen M u s i k " sei; deutlich ist jedoch ebenso, daß im allgemein-gesellschaftlichen Bewußtsein Musik endgültig in den Horizont einer Religiosität rückt, deren Zusammenhang mit der christlichen Tradition verblaßt. Damit wird umgekehrt verständlich, daß parallel zur weiteren Verselbständigung von Musik als einem Paradigma von Religion gegenüber der verfaßten Kirche und zugleich kritisch gegenüber der „allgemeinen Religiosität" in Konzertsaal und Oper sich theologisch-musikalische Positionen entwickelten, die nach präziseren Kriterien „kirchlicher" Musik fragten, vor allem nach einer Musik für den Kultus. Dabei wurde diese Frage umso wichtiger, als nach gemeinprotestantischem Verständnis die Kanzelpredigt immer noch das Zentrum des Gottesdienstes bildete. 2.3.3. Das Problem des „Kirchenstils". Auf sehr restaurative Weise hat das -»Neuluthertum des 19. J h . mit seiner Rezeption des A-cappella-Ideals die Frage nach einer Musik für den Kultus zu beantworten gesucht (L. Schöberlein, T h . —»Harnack, H. Oesterley u.a.). Gewiß galt auch hier -»Schleiermachers Deutung der Beziehung von Kultus und Kunst im Horizont religiöser Erfahrung als „Darstellung" dieser Erfahrung (Schöberlein 91). Was freilich im Kultus dargestellt wird, ist die Offenbarung, und zwar in dezidiert inkarnationschristologischem Sinne. So wie der Christus Incarnatus eine „Einheit" aus (menschlicher) „ N a t u r " und (göttlichem) „ G e i s t " ist, so ist auch die Vokalmusik eine Einheit von „ N a t u r " (d. h. menschlicher „Stimme") und „ G e i s t " , sofern sie den Menschen vor allem „Bewußtseyn" (Schöberlein 99) auf seinen „Naturgrund" (ebd.) verweist und doch zugleich sein geistliches Leben darstellt (Harnack 507). Gerade A-cappella-Musik ist somit Musik der Kirche, sofern die Inkarnation als Weg Gottes in die Leiblichkeit (Schöberlein 109, mit Rückbezug auf Oetinger) und somit als „Symb o l " in der Kirche fortwirkt, vor allem in der leiblich-geistigen und damit am „Sakram e n t " orientierten Liturgie der Messe und ihrer Vertonung durch die Alten Meister (besonders der Palestrina-Schule). Naturgemäß hat auch der (vertonte) liturgische Text eine solche leiblich-geistige Bedeutung. Mehr noch, er ist - wie die „Vokalmusik" als die elementarste Darstellungsweise der Natur-Geist-Einheit Jesu Christi - eine sakrosankte Größe, überzeitlich und allem geschichtlichen „Verstehen" enthoben (Harnack 621). Und so haben die Befürworter dieser Musik die Musik seit -»Schütz unter ein kritisches Verdikt gestellt, -»Oratorium und -»Kantate (in beider Nähe zur „ O p e r " ) wie (instrumental begleiteten) Sologesang allgemein (Oesterley 181 f). Fraglich ist jedoch, inwieweit mit diesen Bestimmungen der Beziehung zwischen Musik und Religion einerseits und Kirchenmusik und Kirche andererseits die Unterscheidung zwischen beiden Bereichen markiert werden konnte. Gewiß hatte der A-cappella-Stil schon vor seiner Rezeption durch neulutherische Theologen „kirchliche" Bedeutung: Im Katholizismus war er ja als stile antico, durch das —»Tridentinum sanktioniert, an der Cappella Sistina immer gepflegt worden (Finscher 252) und hatte schon im frühen 19. J h . Komponisten jedweder konfessioneller Provenienz zu „liturgischen"
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A-cappela-Werken motiviert, etwa D. Bortnjanskij oder F. Mendelssohn-Bartholdy für die Altpreußische Agende und die Gottesdienste des Berliner Hofes. Erst recht konnten sich Schöberleins oder Harnacks Positionen in Übereinstimmung finden mit den liturgischen Bestrebungen des katholischen Cäcilianismus (F. X . Witt, K. Proske). Dennoch waren ja die Impulse für dieses Kirchenmusikverständnis weder für den Katholizismus noch für den Raum der Wittenberger Reformation in der tradierten Kirchlichkeit angesiedelt, sondern im „religiösen" Naturverständnis der Aufklärung —»Rousseaus oder Reichardts. Erst recht lassen sich die Wiederentdecker der altitalienischen Meister in der Frühromantik keineswegs in die Welt der tradierten Konfessionen einordnen. Das Interesse der theologischen Vertreter des A-cappella-Stils bleibt jedoch wahrzunehmen. Hier liegt nicht nur das Bemühen vor, im Dialog mit der Epoche Musik als eine Erscheinungsform von Religion zu verstehen, sondern (wenn auch mit unzureichenden Mitteln) in bemerkenswerter Affinität zu den Anfragen des Pietismus an die volkskirchlich-musikalische Wirklichkeit in der lutherischen Orthodoxie (s. o.) zugleich Grenzmarkierungen zwischen der verfaßten Kirche und der sich säkularisierenden Gesellschaft zu liefern. Vor allem war dieses Bemühen zumindest im konfessionellen Luthertum auf die konkrete Praxis der Ortsgemeinde mit ihren Möglichkeiten bezogen, sofern die Kirche als Gemeinde in der Chormusik ihre religiös-christologisch begründete Erfahrung „kollektiver" darstellen konnte als in der religiösen Individualisierung, wie sie sich in den Epochen zuvor entwickelt hatte. So hat besonders Schöberlein in seinem „Schatz des evangelischen Chor- und Gemeindegesanges" liturgisch-musikalisches Material bereitgestellt und in seiner Zeitschrift „ S i o n a " kultdidaktische Anregungen vermitteln wollen. Ebenso haben sich in diesem Umfeld Komponisten eingefunden, die ihrerseits liturgische A-cappella-Musik schrieben (etwa A . E . Grell und sein Biograph H. Bellermann). Indes haben auch „liberal-protestantische" Theologen (und kirchenmusikalisch interessierte Musiker) das Verhältnis von Musik und Religion einerseits und Kirchenmusik und Kirche (Kultus) andererseits kritischer gesichtet. Dies gilt besonders für die Praktischen Theologen J . Smend und F. Spitta. Wird von ihnen auch einerseits Musik allgemein als aus religiöser Erfahrung entstammendes Ereignis beschrieben, das die empirische Welt im Sinne Liszts transzendiert (Smend, Gottesdienst 104), und nicht zuletzt von hier aus für den —»Gottesdienst als wesentlich angesehen wird, wird sie doch andererseits im Blick auf die Kirche und ihren Kultus dezidiert von der Christusoffenbarung her bestimmt (F. Spitta 76). Hier geht es durchaus auch um die Überzeugung, daß der Gottesdienst als Darstellung der Christusoffenbarung gleichsam durch die Geschichte hindurchragt und einen Reichtum an Symbolen entwickelt hat, die zu kontemplieren sind (wie denn die Gottesdiensttheologie in diesem Umfeld ein deutliches mystisches Element aufweist). Freilich geht es weniger um liturgische bzw. liturgisch-musikalische Symbolik als ein sakramentales leiblich-geistiges Gestalten wie bei Schöberlein. Stärker wird diese Symbolik vielmehr von der Gestalt des historisch-kritisch reflektierten Jesus von Nazareth her betrachtet, und demgemäß werden die Weisen symbolischer Darstellung der Christusoffenbarung in ihrer historischen Entwicklung dezidierter innerhalb ihrer geschichtlichen Bedingungen wahrgenommen. Damit ist bereits das Bild der Kirchenmusikgeschichte ein anderes als im Neuluthertum. Keinesfalls sind —»Schütz oder -•Bach, etwa mit ihrem Interesse nicht nur an symbolischer „Darstellung" religiöser Erfahrung, sondern an Wort-Auslegung und Wort-Versiege«, und ihrer Rezeption von zeitgenössischer Instrumentalpraxis und „Sologesang" Zeugen kirchenmusikalischen Verfalls, sondern eher für protestantisch-geschichtliches Bewußtsein im Sinne Luthers, und die Wiederentdeckung solcher Musik für die Gegenwart ist liturgisch sinnvoller als ein neulutherisches Beharren auf der A-cappella-Musik (vgl. insgesamt Krieg, Musik 163ff). Weniger skeptisch ist auch der Blick auf die zeitgenössische Musik. Wohl zeigen die hier zu nennenden und mit Smend und Spitta freundschaftlich verbundenen Komponisten (A. Mendelssohn, H. von Herzogenberg, M . Reger) mit ihrer Orientierung an
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den Alten Meistern (Mendelssohn) oder Bachs Kontrapunkt (Reger, Herzogenberg) ein konservatives Gepräge, und bisweilen werden solche Bezüge auf die Tradition im Sinne des A-cappella-Stils begründet. So erscheint etwa bei Mendelssohn die Orientierung an den Alten Meistern mit ihrem Interesse an Vokalität wie bei Reichardt oder E.T. A. Hoffmann als Kontakt des Komponisten mit seinem „Naturboden" (ebd. 43) und Regers Interesse am Bach'schen Kontrapunkt als Bändigung romantischer „Individualität" durch die Bindung an strenge, vorgegebene Strukturen (Cadenbach 274). Konservativ ist auch die Textwahl (Meßtext, biblische Texte, Kirchenlied). Zugleich aber geht es um neue (wiederum auch in musikalischer Wort-Auslegung manifeste) Zugangsweisen zur symbolischen Tradition. So wird in diesem Umfeld auch Wagner zumindest von Reger enthusiastisch rezipiert und nicht anders sein Antipode Brahms (Herzogenberg). Hier wird also weniger nach Abgrenzungen gegenüber dem sich religiös säkularisierenden Bürgertum in neulutherischem Sinne gefragt als nach liberalen Synthesen - freilich (und damit sind auch hier Verbindungslinien zum Neuluthertum erkennbar) mit engagiertem Bezug auf die konkrete Ortsgemeinde und ihre musikalischen Möglichkeiten. So komponiert etwa Reger Choralkantaten, die auch den Anforderungen von Laienmusikern entsprechen, oder Herzogenberg Oratorien, die den Gemeindegesang einbeziehen. Fragen muß man jedoch auch hier, inwieweit wirklich die Kirchenmusik gegenüber der bürgerlich-religiösen Musikpraxis neu bestimmt war. Gewiß war der Horizont weiter gespannt als bei den Vertretern des A-cappella-Stils; und wenn Smend und Spitta nach Synthesen zwischen der Religiosität der im Kultus sichtbaren Kirche und derjenigen des Bürgertums suchten, dann trafen sie damit ein Grundgefühl, das auch andernorts vorhanden war. Andererseits war der von Theologen wie Smend und Spitta so geschätzte Schütz ähnlich wie die A-cappella-Musik nicht im liturgischen Raum wiederentdeckt worden, sondern von Seiten der „säkularen", wenngleich religiös und kirchlich engagierten Musikwissenschaft (C. von Winterfeld, J. Gabrieli und sein Zeitalter, 1834). Und Bachs Kirchenmusik war seit Mendelssohn-Bartholdys Wiederaufführung der Matthäuspassion 1829 in der Berliner Singakademie längst eine Sache des Konzertsaales geworden und eben hier nicht nur ästhetischer „Kunstgenuß", sondern religiöse „Feier" (Schumann 206, anläßlich einer Aufführung 1841). Erst recht wurde die Polyphonie der Alten Meister oder Bachs keineswegs allerorts als Indiz für „kirchliche" Musik wahrgenommen, wie noch F. Draeseke glaubte (Vorwort zu seinem Christus-Oratorium). Nach dem Vorgange Wagners selbst (Dahlhaus, Idee 121) konnte etwa Bachs kontrapunktische Tonsprache mit der „unendlichen Melodie" des letzteren, ihren an der WortSprache orientierten, religiös-kosmisch verstandenen Bögen zusammengeschaut werden (vgl. noch E. Kurth 183), und in beidem ließ sich eine „Unendlichkeit" finden, die kaum mit dem Selbstverständnis eines wenn auch liberal gefaßten kirchlichen Kultus und seinem Bezug auf die Christusoffenbarung vereinbar war. Trotz aller Bemühungen des 19. und frühen 20. Jh., das Verhältnis von Musik und Religion im Blick auf die Musik der Kirche und ihren Kultus gründlicher zu reflektieren und neue Möglichkeiten gottesdienstlicher Musik bereitzustellen, blieb es also dabei, daß die Musik als Erscheinungsform von Religion nur noch auf partielle (und mißverständliche) Weise für den Kultus wiedergewonnen war und im Ganzen der volkskirchlichen Wirklichkeit als bürgerlich-religiöses Paradigma Geltung behielt. 2.4. Die Zeit nach dem Ersten
Weltkrieg
2.4.1. Musik und Religion im gesamtgesellschaftlichen Kontext und theologische Deutungsmodelle. Die Krise der bürgerlichen Musikpraxis und ihre Folgen für die Kirchenmusik. Im Gefolge des Ersten Weltkrieges sollte auch die Kunst-Religion des Bürgertums in eine Krise geraten. Fraglich wurde mancherorts die Praxis von Konzert und Oper allgemein, in ihrer Unterscheidung von Komponist, Interpret (Solist), Orchester und Publikum, fraglich wurden die entsprechenden musikalischen Formen und Gattun-
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gen wie etwa das „Virtuosenkonzert". Dergleichen erscheint nunmehr als eine „Technisierung" der Musik und eine „Atomisierung" von Musiker und Hörer. Neu wach wird der Wunsch nach einer musikalisch sich darstellenden Weltanschauung, die der kollektiven Religiosität bis ins 18. J h . mit ihrer gottesdienstlichen Bindung vergleichbar wäre (Jöde) und hilfreich sein könnte für ein aufgrund des Weltkrieges in seinem nationalen Bewußtsein erschüttertes Bürgertum, das nach neuen kollektiven Identitäten suchte. So entsteht 1922/23 die Singbewegung F. Jödes und W. Hensels, in säkularer Nachfolge der Vertreter des A-cappella-Ideals des 19. J h . wie etwa E . T . A. Hoffmanns, mit einem neuen Interesse an gemeinschaftlicher Musikpraxis und (auf den „Singwochen") neuen kultischen Formen. Hier erfolgte also eine Kritik der romantischen KunstReligion nicht auf prinzipielle, sondern auf „romantische" Weise, d.h. als Kritik des neuzeitlichen „Individualismus". Damit wurde ein neues Interesse an der klassischen Vokalpolyphonie wach, als Musik, die auch Laien zugänglich ist und welche die Singenden bei aller polyphonen Bewegtheit der Einzelstimmen doch zugleich in der „Harm o n i e " zusammenschließt (Krieg, Musik 78ff). Dergleichen schloß Instrumentalpraxis anders als im 19. J h . nicht aus. Allerdings wurden an der menschlichen „ S t i m m e " orientierte Instrumente bevorzugt, also Blasinstrumente, sofern sie dem menschlichen Atem näherstehen. Von hier aus ist die Wiederentdeckung der Blockflöte als Volksinstrument zu verstehen. In einen ähnlichen Z u s a m m e n h a n g gehört die „ O r g e l b e w e g u n g " : Auch die - » O r g e l wird als „ B l ä s e r i n s t r u m e n t " wiederentdeckt, sofern sie ihre „streichenden" Stimmen im Sinne des romantischen O r g e l b a u s verliert.
Indes geriet die bürgerlich-romantische Religiosität auch dort in die Krise, wo die Institutionen Oper und Konzertsaal weniger hinterfragt wurden, wie an der nunmehr entstehenden Neuen Musik zu erkennen ist. Im Gegenteil: Hier wurde diese Religiosität erst recht zum Problem. Fraglich wurde bereits jenes Grunddogma bürgerlicher KunstReligion, das zumindest in der Singbewegung noch aufrechterhalten wurde: die Bindung aller Musik an die „ H a r m o n i e " , d.h. Dur/moll-Tonalität (mitsamt ihren Vorformen). Ein neues „Dissonanzbewußtsein" brach sich Bahn, nach welchem alle musikalischen Abläufe sich keineswegs mehr jeweils zu „harmonischen" Klängen zu verdichten hatten, wie in der tradierten (und noch bei Wagner weitgehend gültigen) „Harmonielehre" gefordert wurde. In konservativerem Sinne vollzog sich diese Entwicklung bei P. Hindemith: Hier wurde zwar die Funktionsharmonik überwunden; im Prinzip jedoch blieben alle Klänge an der trias harmónica orientiert. Radikal dagegen hat die Zweite Wiener Schule (A. Schönberg, A. Berg, A. Webern) die überlieferte Klangwelt in Frage gestellt, indem sie alle Intervalle für gleichwertig erklärte. Als kompositorischer Ansatz des jeweiligen Werkes galten nicht mehr die tradierten Dur/moll-Tonleitern (bzw. die Skalen der „Kirchentonarten"), sondern die alle zwölf T ö n e der temperierten Stimmung umfassende „ R e i h e " . Experimente mit Vierteltönen (A. Hába) schlössen sich an (H. Danuser 129ff; Krieg, Musik 95ff). Fraglich wurde auch die bisherige religiöse Thematik. Gewiß sollten „konservativere" Komponisten sich weiterhin in das Umfeld kirchenmusikalischer Formen und Gattungen begeben (A. Honegger, Le Roi David, 1921), aber diese Musik blieb weiter für den Konzertsaal bestimmt, Ausdruck individueller Auseinandersetzung mit der religiösen Überlieferung. In jedem Falle skeptisch wurde der „bürgerliche" Erlösungsoptimismus betrachtet, der in Wagners Musikdrama zum Ausdruck kam. Schon G . M a h l e r ( | 1911) k o n n t e diesen O p t i m i s m u s nicht mehr teilen: Wohl ist auch er noch „ P i e t i s t " und „ R o m a n t i k e r " , wie seine Vertonung von - » K l o p s t o c k s „ A u f e r s t e h u n g s h y m n u s " in der II. Sinfonie oder der Schlußszene aus - » G o e t h e s Faust II in der VIII. Sinfonie zeigen. A b e r derartige Religiosität ist gepaart mit Verzweiflung angesichts der Schrecken der Geschichte („Sold a t e n l i e d " ) . Auch die Religiosität, mit welcher M a h l e r den K l o p s t o c k ' s c h e n H y m n u s rezipiert, bleibt am Ende Appell: „ O glaube, mein Herz, o g l a u b e " .
Auch in Oper und Konzert zeigt sich dementsprechend das Interesse, die bisherigen Modelle von Religiosität zu überwinden. Wirksam wurde es schon in Strawinskijs (1913
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in Paris uraufgeführtem) „Frühlingsopfer" mit seiner Orientierung an der Religion des „heidnischen" Rußland, in seinen grellen Dissonanzen und „archaischen" Rhythmen, die mit dem Taktschema der funktionsharmonisch gebundenen Musik nichts mehr zu tun hatten, geschweige denn mit den freischweifenden Metren der Religiosität von Wagners „unendlicher Melodie". In Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft (Adorno X V I , 454ff) entwirft Schönberg 1 9 3 0 - 3 2 seine Oper „Moses und A a r o n " . Die Klangwelt des —»Jazz wird rezipiert (P. Hindemith, E. Krenek), um sich bei D. Milhaud 1936 im Ballett „La Creation du M o n d e " zu religiöser Aussage zu verdichten. O . Messiaen entdeckt in der gleichen Zeit die Religion Indiens („La Nativite du Seigneur", 1935: „Dieu parmi nous"). Gegenüber der bürgerlichen, partiell am tradierten Christentum, partiell an der Konzertmusik von Brahms oder der Oper Wagners orientierten Religiosität brachen also neue religiöse Erfahrungen durch, pluraler noch als die bisherigen, und verlangten nach einer neuen Bewältigung der Verhältnisbestimmung von Musik und Religion. Und selbst wenn sich Deutschland ab 1933 von der allgemeinen Musikentwicklung abkoppelte, blieb im Spannungsfeld von Singbewegung und Zweiter Wiener Schule noch Material der Reflexion genug: Immerhin hatten sich Komponisten wie Hindemith und Schönberg auch theoretisch Rechenschaft über ihre „Religiosität" abgelegt. Vor allem waren diese Probleme in der verfaßten Kirche zu diskutieren. Dies gilt umso mehr, als die Kirche nach dem Ersten Weltkrieg offiziell vom Staat getrennt und die sich auch in der Musik zeigende Entfremdung zwischen institutionalisierter Religion und dem „religiösen" Bürgertum formalisiert wurde, sich damit aber die Frage nach dem Proprium von „ K i r c h e " auch in ihrer musikalischen Erscheinungsform neu stellte. Entsprechend war theologisch die Frage nach der Musik neu zu behandeln, d.h. nach den hermeneutischen Voraussetzungen, mit der neueren Musikentwicklung in einen Dialog zu treten, um damit neue Perspektiven für die Kirchenmusik zu ermöglichen. Freilich war die neuere Theologie in ihren hermeneutischen Voraussetzungen sehr unterschiedlich, so sehr auch die Krisis der bisherigen Religiosität wahrgenommen wurde, über die Frage der Musik hinaus: Wie sollte Religion nunmehr beurteilt werden, im Blick auf die —»Offenbarung einerseits und ihre Bedeutung für die gestaltete Kirche andererseits? Sollte hier vielleicht die heftige - und in genuin calvinistischer Tradition stehende - Kritik gelten, die -»Barth angesichts der Fraglichkeit der bisherigen Religiosität gegenüber der Religion überhaupt übte? Erst recht blieb die Musik im Kultus neu zu bedenken, nachdem die allgemeine Musikpraxis endgültig andere Wege zu gehen schien, als sie von der bisherigen —»Liturgik noch zu bewältigen waren. Dies war um so wichtiger, als selbst die „Liberalen" unter den bisherigen Liturgikern und liturgisch interessierten Musikern die neueste Musik entweder überhaupt nicht (Smend) oder doch nur mit Mißtrauen wahrnahmen (Mendelssohn 28). Theologische Deutungsmodelle und ihr musikalisch-ästhetisches Umfeld. Immerhin waren gemeinsame Bezugspunkte der neueren Musikentwicklung und ihrer theologischen Betrachtungsmöglichkeiten zumindest partiell vorhanden, nämlich in der Herkunft des Selbstverständnisses nicht nur der neueren Musikergeneration, sondern auch neuerer theologischer Strömungen aus religiösen Denkmustern des 19. J h . Kann hier auch nicht die —»Dialektische Theologie mit ihrer Kritik an Religion genannt werden, so doch das —»Neuluthertum in der Gestalt O . Söhngens mit seinem Bezug auf die Religionswissenschaft R. - » O t t o s : Hier sollten - endgültig systematisiert in Söhngens „Theologie der M u s i k " von 1967 - in der Tat die hermeneutischen Voraussetzungen der Musik - in der Spannweite von Singbewegung und Zweiter Wiener Schule - in z. T. beachtlicher Übereinstimmung mit dem Selbstverständnis der Vertreter dieser Musikentwicklung theologisch reflektiert erscheinen. Damit also läßt sich das musikalisch-religiöse Selbstverständnis der Epoche anhand theologischer (oder doch im Umfeld der Theologie entstandener) Äußerungen darstellen. Immerhin hat Söhngen seit dem Beginn der 30er Jahre die gesamtmusikalische Entwick-
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lung verfolgt. Vor allem hatte sein Lehrer R. Otto schon in seinem Buch „Das Heilige'' von 1917 ein hermeneutisches Instrumentarium bereitgestellt, das als charakteristisch gelten kann für die religiös-musikalische Gestimmtheit der Epoche. Zum einen: Deutlich wird in diesem Kontext die theologisch bzw. (bei Otto) religionswissenschaftlich artikulierte Interpretation von Musik im Horizont mystischer Betroffenheit (—»Mystik) von der Tiefe des Universums her, wie sie schon —>Schleiermacher artikuliert hatte. Von ihr aus ist Musik (zwar nicht „Darstellung", aber doch) „Ausdrucksmittel" (Otto) des „Numinosen", nämlich der den Kosmos, d.h., wiederum auch etwa im Sinne des „Aufklärers" Chr. F. Geliert, die „Natur", durchwaltenden Majestät Gottes (Otto 38). Und in der Tat: Mystische Betroffenheit im Angesicht von Gottes Wirken im Kosmos als Impuls musikalischen Schaffens und nachschöpferischer Musikpraxis wird von vielen Komponisten und nachschöpferischen Musikern der Zeit bezeugt. Mystische Erfahrungen im Akt des Singens werden schon bei den Teilnehmern an Hensels erster „ S i n g w o c h e " vernehmbar und von Hensel späterhin mit kosmologisch-naturreligiösen Spekulationen verbunden (vgl. Krieg, Musik 2 2 3 f ) . Hindemith entdeckt im Universum bei allen empirisch zu analysierenden Gesetzmäßigkeiten ein „ G e h e i m n i s " , das im schöpferischen Akt staunend musikalisch zu meditieren ist, wobei er diese Meditation auf kantoraltheologische Weise mit dem Begriff des „ G o t t e s l o b s " umschreibt (Hindemith 27); und Schönberg empfindet in ähnlicher Weise die Beziehung des schöpferischen Ich zum „Weltall" in der Musik als eine durch die „ M y s t i k " gegebene (Schönberg 25). Geradezu im Sinne des ->Quietismus beschreibt der Schönberg-Adept A d o r n o diese Komponente von Musik: „Die meinende Sprache möchte das Absolute vermittelt sagen, und es entgleitet ihr in jeder einzelnen Intention . . . Musik trifft es unmittelbar, aber im gleichen Augenblick verdunkelt es sich, so wie überstarkes Licht das Auge blendet, welches das ganz Sichtbare nicht zu sehen v e r m a g " ( X V I , 2 5 4 ) .
Wenn Musik in diesem Sinne Gestaltwerdung „mystischen" Umgangs des Ich mit dem Kosmos in seiner göttlichen Tiefe ist, dann wiederum - und auch in ihren neuesten und radikalsten Erscheinungsformen - im Sinne eines Ausdrucksmittels, das symbolische Bedeutung hat. Musik ist insofern Chiffre (Söhngen, Theologie 179); vgl. aber auch Adorno XVI, 455, „magisches Bild" (Distler 1328; s.a. Adorno ebd. 458). Damit steht sie mithin weiterhin dem -»Mythos nahe (Söhngen ebd.; Stier 7f; Adorno ebd.) - und so kann Söhngen die mythische Religiosität in der Musik in ähnlicher Weise akzeptieren wie sich im 19. Jh. -+Nitzsch mit der Beziehung von Kunst und Mythos auseinandersetzte (z.B. Theologie 296). Nichts ausgesagt ist mit alledem jedoch über die konkrete Gestalt der Musik als eines solchen religiösen Symbols. Prinzipiell konnte dergleichen auch an älterer Musik verifiziert werden (Otto 90f). Vor allem empfanden kirchliche und außerkirchliche Interpreten der Singbewegung das tradierte „harmonische" Modell kompositorischer Klangordnung als angemessen (Kiefner 315). Diese Klangordnung wurde wie bei E.T. A. Hoffmann und seinen Vorgängern als „naturgegeben" angesehen und an den Gesang zurückgebunden als den ursprünglichsten Ort religiöser Erfahrung (Stier 26). Damit war es in der Tat möglich, Hensels Naturreligiosität aufzunehmen, die Überzeugung der Singbewegung, daß die menschliche Stimme dem göttlichen Geist am nächsten stehe (Köppler 14). Anders liegen die Dinge bei Söhngen, sofern er wie die „liberalen" Theologen die geschichtliche Wandelbarkeit aller Symbolik deutlicher erkannte (wie er auch die „Kirchenmusik" als Symbolisierung der Christus-Offenbarung aus liberal-geschichtlichem Bewußtsein verstehen wird) und damit dem Selbstverständnis der Komponisten neuer Musik näher kam. So ist ihm bereits 1932/33 in seinen frühen Vorträgen der Zusammenbruch der Funktionsharmonik kein religiöses Verhängnis, sondern Indiz, daß die Erfahrung des Heiligen, das den Kosmos nicht nur durchwaltet, sondern erst recht transzendiert, alle „Darstellung" dieser Erfahrung in die Vorläufigkeit verweist, d.h. Musik als gestaltgewordene Wahrnehmung Gottes aus dem Kosmos heraus doch Wahrnehmung durch seine vergängliche Schöpfung ist: Alle Musik - auch die trias harmónica (vormals
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Ausdruck eines „ewigen" Kosmos oder doch der von Gott durchwirkten „Natur") - ist somit auch eschatologisch gebrochen, durch Gott als das Heilige-selbst, das als das Mysterium tremendum stets neue Symbolisierungen religiöser Erfahrung schaffen will. Hier rückt auch das romantische Zwei-Welten-Modell in den Hintergrund: Musik, so verstanden, zeigt inmitten der empirischen Welt keineswegs mehr das Erreichen einer „idealen", „höheren" Welt im Sinne Liszts oder Smends an. Als Musik in dieser Welt bleibt sie vielmehr an diese Welt gebunden, verweist sie ähnlich wie im Barock oder der Aufklärung (wenngleich unter neuen hermeneutischen Voraussetzungen) auf ein noch nicht erreichtes Telos hin (Wiedergeburt 9ff. 29ff), wobei dieses Telos - als „vollendete Schöpfung" (Theologie 339) - freilich weniger die universale Gesellschaft Beethovens meint, sondern sich wiederum in der - nunmehr allerdings als „Chiffre" verstandenen - Rede von der Musica coelestis ausdrückt (ebd. 338 f). Mit dieser Hervorhebung der geschichtlichen Offenheit aller Musik in ihren symbolischen Darstellungsweisen war in der Tat das Selbstverständnis mancher Komponisten zwischen den Weltkriegen angemessen definiert (so wenig sich diese auch Söhngens theologischer Hermeneutik explizit zuordnen mochten). Zum einen war die Möglichkeit theologisch legitimiert, sich in der Darstellung kosmisch-religiöser Erfahrung an tradierten Symbolen zu orientieren - also etwa die Position Hindemiths in ihrer Abkehr von der Funktionsharmonik einerseits bei gleichzeitiger Insistenz auf der Dignität der trias harmonica andererseits (Hindemith 27). Zugleich war eine solche Position Schönbergs Musikverständnis nicht fern. Gerade dieser hat sich ja in seiner Dodekaphonie von den tradierten „Bildern" von Gottes Wirken im Kosmos endgültig entfernt und anders als Hindemith keinen Punkt ausmachen können, an welchem ein solches Wirken ein für allemal musikalisch symbolisiert erschiene (Schönberg 29). Und in diesem Sinne kann dann gerade auch Söhngen zumindest nach dem Zweiten Weltkrieg in der Betrachtung der Neuen Musik zunehmend die Zweite Wiener Schule als theologisch relevant verstehen (Musica sacra 88 f). 2.4.2. Auf der Suche nach einem neuen „Kirchenstil". Das kultische Musikverstehen der Epoche zwischen den Weltkriegen trägt freilich „konservative" Züge, d.h. es ist am liturgisch engagierten Luthertum orientiert und nicht an der -»Dialektischen Theologie mit ihrem offenbarungstheologisch begründeten Mißtrauen gegenüber „religiös"-kultischen Formen. Es ist verständlich, daß diese Tendenz gerade jetzt hervortritt. Angesichts der Trennung von Staat und Kirche und der religiösen Pluralisierung des Bürgertums (-•Gesellschaft und Christentum) ging es ja nicht nur um die Frage nach dem Ort der Kirche inmitten dieser Wirklichkeit, sondern auch um ihre sichtbare Identität. So zeigt sich die Kirchenmusik zwischen den Weltkriegen von einer ->Liturgik abhängig, die etwa Überlegungen Schöberleins wieder aufnimmt. Ähnlich wie dort -•Schleiermachers „mystischer" Ansatz in Richtung auf eine Inkarnationschristologie weiterentwickelt wurde, so nunmehr die Mystik R. Ottos. Erneut wurde der —»Gottesdienst im Überschritt über alle „rationalistische" Predigtzentrierung als Ort religiöser Erfahrung verstanden, welche in der Gestalt Jesu Christi natürlich-geisthaftes —•Symbol geworden war und sich von dieser Natur-Geist-Einheit Jesu Christi her in die leiblichgeisthafte und auf das Sakrament zentrierte Liturgie hinein symbolisierte (Krimm 217). Und ähnlich wie im romantischen -»• Neuluthertum wurde die Liturgie als eine vom Christus incarnatus her durch die Geschichte hindurch fortbestehende leiblich-geistige (d.h. zugleich sakramentale) Gestalt an der Messe festgemacht (Müller, Grundriß 128). Damit waren hinsichtlich der Rezeption religiös-musikalischer Paradigmen in der Musikpraxis nach dem Ersten Weltkrieg hermeneutische Präferenzen verbunden. Einer solchen Liturgik stand die Religiosität der Singbewegung näher als diejenige Schönbergs: Z w a r nicht „christologisch" orientiert, hatte diese aber ähnlich wie E . T . A. Hoffmann in ihrer R e d e von gemeinschaftsstiftenden Erfahrungen im Akt des Singens als einem naturhaft-geistigen Geschehen, in der damit verbundenen Wiedergewinnung der Alten Meister, in ihrem Protest gegen eine musikalisch atomisierte bürgerliche Existenzform eine Ontologie der Musik hervorgebracht, deren „ r o m a n t i s c h e " Vorform schon für die neulutherische Kirchlichkeit des 19. Jh. dialogfähig
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gewesen war; und so wurde die Singbewegung als ein „pfingstliches Neuwerden" (Stählin) begrüßt und in die Kirche integriert (vgl. Krieg, Musik 85ff). Dabei wirkte der Gemeinschaftsgedanke der Singbewegung als zusätzlicher Impuls, die nach neuer Identität strebende Kirche als eine von der Leib-Geist-Einheit Jesu Christi her mögliche, auch „musikalisch" sichtbare leiblich-geistige Gestalt zu verstehen, die mehr war als das religiöse Individuum; demgemäß wurde auch die in der Singbewegung praktizierte geistliche Musik im geradezu sakramental-ekklesiologischen Sinn verstanden (Söhngen, Theologie 229).
Inwieweit mit alledem freilich eine Ortsbestimmung von Kirchenmusik nicht nur inmitten, sondern auch gegenüber der Gesellschaft angezeigt war, haben kritischere Betrachter bald nach den ersten Bewegungen von Singbewegung und Kirche gefragt (vgl. Krieg, Musik 89 f). Die Rede von der (vokalen) Musik als naturhaft-geistiger und damit für den Kultus wesentlicher Gestalt war ja weiterhin nicht notwendig an die Rede vom Christus gebunden, sondern konnte innerhalb romantischer Naturreligiosität verbleiben (Hensel). Und wenn Kirchenmusiker die Text-Dimension der durch das Singen religiös „erlebten" Kirchen-Musik als „mythisch" bezeichneten (Stier) und damit auch einem Vertreter der Singbewegung wie Hensel nahe standen, dann hing über alledem der Schatten Wagners und seiner mythischen Panreligiosität (wie denn manche Vertreter der Singbewegung der Religiosität des Dritten Reiches erliegen sollten). Damit wurde es notwendig, die Kirchen-Musik schärfer von anderen musikalischen Erscheinungsweisen von Religion abzugrenzen, d.h. wie bei den „liberalen" Verteidigern gottesdienstlicher Musik im 19. J h . nicht nur als ein sich in tradierten liturgischen Texten symbolisierendes Ereignis von Gotteserfahrung zu verstehen, sondern als geschichtliche Auseinandersetzung mit einer konkreten historischen Gestalt als der —•Offenbarung Gottes in der vergänglichen, auf ein letztes Ziel hin zulaufenden Geschichte (Kamiah 46). Damit freilich war neue kultische Musik notwendig, wie sie besonders Söhngen seit 1932/33 gefordert hat, d.h. eine Musik, die die Offenbarung als Offenbarung in der Geschichte zugleich in der gegenwärtigen Geschichte zur Sprache bringt, musikalisch neu - d.h. wiederum auch: wort-auslegend - verständlich macht, jenseits aller Funktionsharmonik und im eschatologischen Aufbruch aus allen bisherigen Abbildungen Gottes. In dem M a ß e , in welchem die Musikanschauung der Singbewegung bereits kirchlich rezipiert worden war, ist freilich einsichtig, daß sich auch die neue gottesdienstliche Musik nicht gänzlich von der Singbewegung entfernte, sondern sich eher im Umfeld Hindemiths ansiedelte (Distler, E. Pepping, J . N . David, H.F. Micheelsen). Hier war zwar die Funktionsharmonik überwunden und das Klangbild in einem Maße dissonant eingeschärft, wie es vor der Moderne nicht denkbar war; zum anderen aber war die kosmologische Kategorisierung der Musik im Sinne pythagoräisch (Hindemith) oder romantisch-naturhaft (Pepping 18) definierter „Harmonik" nicht aufgegeben. Außerdem ging es weiterhin um Musik für eine Gemeinschaft mit kultischer Orientierung, wie denn manche dieser Komponisten sich nicht nur Hindemith verpflichtet sahen (Distler), sondern auch der Singbewegung (Pepping, Micheelsen) oder der Orgelbewegung (David) verbunden blieben. In dem Maße, in welchem diese Musik zugleich von der neulutherischen Liturgik bestimmt war, blieb sie im übrigen in ihrer wort-sprachlichen Dimension auf die tradierte Symbolik der Meßform und des Kirchenjahres bezogen.
Ebenso verständlich ist aber, daß zahllose Theologen und Kirchenmusiker bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg die neue „kultische" Musik sowohl als wesentlichen Beitrag zur allgemeinen Musikentwicklung als auch zur kirchlichen Identitätsfindung angesehen haben, als Musik, die „religiös" wie „kirchlich" zeitgemäß war, jenen Ansprüchen an „ M o d e r n i t ä t " entsprach, die auch der restaurativen Kulturpolitik des Dritten Reiches nicht widerstrebte, wie das Fest der Deutschen Kirchenmusik von 1937 zeigt (Krieg, Musik 112ff), und einem konservativen Bürgertum im Umfeld der Hindemith-Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg genügte. Dennoch mußte die Aktualität dieser Musik begrenzt bleiben: Theologisch konnte sie nur so lange als zeitgemäß gelten, als die neulutherische Liturgik in Geltung stand, und allgemein-musikalisch nur so lange als „ m o d e r n " , als nach dem Zweiten Weltkrieg
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in Deutschland (aufgrund der vom Dritten Reich hinterlassenen musikalisch-ästhetischen Verwüstungen) die Zweite Wiener Schule und weiterführende Richtungen nur zögernd Boden gewannen. In dem Maße, in dem freilich die deutsche Musikentwicklung den Anschluß an die allgemeinmusikalische Entwicklung gewonnen hatte, erwies sich jene neue Kirchenmusik als restaurative Episode und die Überzeugung von ihrer gesamtmusikalischen Bedeutung als eine „schöne Täuschung" (Blankenburg, Kirchenmusik 1). 2.5. Die neueste
Zeit
2.5.1. Musik in der Pluralität der Stile und der Weisen künstlerischen Selbstverstehens. Von der Entwicklung der Beziehung von Musik und Religion nach dem Zweiten Weltkrieg zu sprechen, heißt, Prozesse zu beschreiben, die eine zunehmende Ferne von der Theologie und Kirchenmusik zwischen den Weltkriegen anzeigen, vornehmlich auch die weitere Pluralisierung der Stile und der Weisen kompositorischen Selbstverstehens darzustellen, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg begonnen hatte. Zusätzlich ist eine theologische Pluralisierung hinzugekommen — in der Spannweite zwischen —»Dialektischer Theologie, historischer Kritik, Adorno-Rezeption und einer neu an —»-Schleiermacher und religiöser Erfahrung orientierten Theologie. Insofern ist es kaum mehr möglich, für die Darstellung der Beziehung von Musik und Religion sich an einem einzigen hermeneutischen Modell zu orientieren, von welchem aus diese Zeit überschaubar wäre. Pluralistisch ist bereits die Fülle k o m p o s i t o r i s c h e r T e c h n i k e n : N a c h der Rezeption der Zweiten W i e n e r Schule im allgemein-musikalischen Bereich ( H . W . H e n z e , I. V i o l i n k o n z e r t , 1947) schlössen sich Versuche an, musikalische Abläufe nicht nur vermittels der „ R e i h e " , sondern einer Festlegung aller Parameter (Lautstärke, T o n d a u e r usw.) zu determinieren (Messiaen, Q u a t r e Études de rhythme, 1 9 4 9 / 5 0 : M o d e de Valeurs et d'Intensités). Konsequent führte derlei zur „ e l e k t r o n i s c h e n " M u s i k (K. S t o c k h a u s e n , „ E l e k t r o n i s c h e Studien I und I I " , 1953/54) und in Gegenbewegung dazu zu einem neuen „ i m p r o v i s a t o r i s c h e n " Umgang mit dem T o n m a t e r i a l , etwa in der „ A l e a t o r i k " von P. Boulez, III. Klaviersonate. Experimentelles „ M u s i k t h e a t e r " schloß sich an ( M . Kagel, Sur Scène), eine Besinnung auf tradierte „ G r o ß f o r m e n " (Henze, VII. Sinfonie), nach der H o c h b l ü t e der D o d e k a p h o n i e eine Wiederentdeckung der „ R o m a n t i k " (W. R i h m , H ö l d e r l i n - F r a g m e n t e , Fremde Szenen I—III) und „ t o n a l e r " Kompositionstechniken (A. Pärt, III. Sinfonie).
Erst recht zeigen die weltanschaulichen Positionen der Komponisten in mancher Hinsicht grundlegende Differenzen, wie denn eine Verortung der Komponisten in den tradierten „Konfessionen" anhand ihres Schaffens mit Ausnahmen (Messiaen, Schnebel, K. Penderecki) nicht mehr möglich ist, ja, an den Rändern des Spektrums auch die Definition von Komponisten in ihrem Selbstverständnis wie ihrer Musik als „religiös" fraglich wird (Henze, Rihm, vgl. unten). Dennoch gilt: Auch die neueste Musik ist auf weite Strecken aus Impulsen erwachsen, die aus der tradierten Religiosität oder ihrer neuzeitlichen (philosophisch-spekulativen) Weiterbildung abkünftig sind und die sich hermeneutisch als Wahrnehmung der Nicht-Identität der empirischen Welt mit sich selbst beschreiben lassen - als Wahrnehmung, die hinwiederum ihrerseits im konkreten Werk eine „wesentlichere" Welt anzeigen will, als die vorfindliche Welt bereits anzeigt, nämlich die Welt als ein „göttliches" Universum. Noch vielgestaltiger als zwischen den Weltkriegen jedoch ist bereits die Benennung dieser Impulse geworden. So gilt die Benennung vom jüdisch-christlichen Gottesglauben her (Messiaen; A. Reimann; K. Penderecki; S. Gubaidulina), bisweilen (nicht ohne den Einfluß Hegels oder Adornos) verbunden mit der Rede vom „Geist" (Schnebel 420); daneben stehen außerchristlich-religiöse Definitionen, etwa aus dem islamischen Bereich (Stockhausen, Vortrag über HU) oder in Gestalt eines transpersonalen „Es" nach der Art östlicher Mystik (S. Reich), schließlich - im Gefolge der linkshegelianischen Philosophie und ihrer neuzeitlichen Weiterbildung - die Rede von der ,,schöne[n] Idee von der Göttlichkeit des Menschen" als Impuls musikalischer Weltgestaltung (Henze, Gespräch 319). Sodann: Der Vielgestaltigkeit der Benennung dieser Impulse der Musik entspricht eine Vielgestaltigkeit der Mittel.
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Wiederum deutlicher noch als zwischen den Weltkriegen gilt dies bereits von der Thematik der einzelnen Werke her. Immerhin ist diese bisweilen noch als „religiös" im Sinne des Christentums zu beschreiben, als Rede von Gott, der die Welt empirischer Gesetzmäßigkeiten, Raum und Zeit, der belebten und unbelebten Natur zugleich als Universum erfahren läßt, das ein „Mysterium" in sich birgt und somit mehr ist als alle Empirie (Messiaen; vgl. Krieg, Musik 258f), und der in der Person Jesu Christi handelt. So haben etwa die biblischen Texte Bedeutung (Stockhausen, Gesang der Jünglinge; Penderecki, Psalmen Davids, Lukas-Passion; Gubaidulina, Die sieben Worte) und üben die Texte der Liturgie (G. Klebe, Messe op.51) bzw. älterer oder neuer kirchlich-theologisch gebundener Poesie ihre Faszination aus (R. Kelterborn, Tres Cantiones Sacrae; Messiaen, Trois Petites Liturgies). Daneben treten religiöse Themen anderer Art. Sie gewinnen ihren Inhalt aus den Glaubensurkunden neuerer vom Christentum abkünftiger religiöser Gemeinschaften (vgl. L. Robertson, Oratorio from the Book of Mormon, 1946/47) oder „individualistischer", d.h. weniger an institutionalisierte Religiosität gebunden, aus einer neuen „romantisch-religiösen Naturbetrachtung (Stockhausen, Sternklang), der Schöpfungstheologie des -»Hinduismus, dem Kosmosverständnis buddhistischer (-»Buddhismus) und islamischer (-»Islam) -»Mystik (La Monte Young, Dream House; vgl. auch J . E . Behrendt, Nada Brahma), taoistischer (-»Chinesische Religionen) Philosophie (I. Yun) - und zwar in dem Maße, in welchem außereuropäische Musikkulturen umgekehrt ihre eigene Religiosität mit den Mitteln europäischer Musik darstellen (T. Mayuzumi, Nirvana- und Mandala-Sinfonie). Erst recht vielgestaltig ist das Klangmaterial, vermittels dessen solche Themen gestaltet werden: Die Qualität, in der empirischen Welt zugleich den Kosmos Gottes symbolisch aufscheinen zu lassen, können der gregorianische Hymnus (-»Gregorianik) haben (B. Britten, The Prodigal Son), die trias harmonica (A. Schnittke, „Deum de Deo, lumen de lumine": Requiem; Stockhausen, Sternklang), die Zentrierung auf einen Zentralton (Yun) oder auf wenige, in sich fluktuierende und prozessual sich verwandelnde Klangfelder (Reich; T. Riley) als Ausdruck meditativer Konzentration auf das Eine im Ganzen, ebenso die Klangwelt der elektronischen Musik (W. Fortner, vgl. Krieg, Musik 300, Anm. 194); gelegentlich weiterhin die Dodekaphonie (Messiaen, Livre d'Orgue; Yun, Piri), schließlich der Rhythmus als Ausdruck der von der „Ewigkeit" umgriffenen „Zeit" als einer Grundbedingung von Makro- und Mikrokosmos (Messiaen 41 ff).
Dieser Pluralismus ist bezeichnend. Er zeigt, daß der Ort, an welchem sich religiöse Erfahrung ereignet und an welchem sie im musikalischen Werk gestaltet wird, zwar die Welt in ihrer alle Empirie transzendierenden Erfahrbarkeit als Kosmos Gottes ist, aber als Kosmos zugleich endgültig vom individuierten Subjekt (—»Individualismus) an seinem Ort auf dem Feld der Geschichte wahrgenommen wird und in der Tat - deutlicher wiederum als zwischen den Weltkriegen (Schönberg) - keine Chiffrierung einer solchen Erfahrung noch mit allgemeiner Akzeptanz rechnen kann. Selbst wenn also etwa die trias harmonica noch symbolische Qualität hat, so deutet derlei nicht auf eine allgemein „gültige" -»Ontologie, sondern ist Ausdruck einer jeweils neuen Entscheidung des Individuums angesichts vorhandener Möglichkeiten symbolischer Gestaltung. Ist diese Pluralisierung aber Symptom radikal geschichtlichen Umgangs mit den Symbolisierungsmöglichkeiten religiöser Erfahrung, dann wird zum einen - im Blick auf den gesellschaftlichen Ort der Musik - verständlich, daß auch die neueste Musik als Musik des individuierten Subjekts mit je eigener religiöser Erfahrung in der Regel Konzertmusik ist und die Kulte der verfaßten Religion nur peripher berührt. So findet sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch kein Phänomen, das dem der Singbewegung und ihrer zu tradierter „Kirchlichkeit" hin offenen Religiosität vergleichbar wäre. Zum anderen wird - im Blick auf die gesellschaftliche Bedeutung der Musik - verständlich, daß in dem Maße, in welchem alle Definitionen der Musik als „Darstellung" der Welt als Kosmos aus der Erfahrung seines transzendenten Bezugspunktes Ereignisse auf dem Feld der Geschichte sind, sich zugleich deutlicher noch als zwischen den Weltkriegen die Frage nach dem Ziel der Musik in der Geschichte stellt. Das gilt besonders für die Musik der späten 60er und der 70er Jahre in ihrem Protest gegen alle trotz der mittlerweile erfolgten Rezeption Schönbergs noch vorhandenen Überzeugungen von „naturhaft gegebenen" kosmischen Ordnungen etwa im Sinne von Peppings oder Hindemiths Strukturierung des Tonmaterials von der trias harmonica her: Dergleichen Ordnungen erscheinen nunmehr als solche, die sich - so Adorno - nur kosmisch „gebärden" bzw. - so Röhrig - als Ausdruck eines „hierarchischen", nicht „republikanischen" Bewußtseins (vgl. insgesamt Röhrig 37). Umgekehrt gewinnt gegenüber aller Rede von
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solchen Ordnungen noch deutlicher als etwa bei Söhngen (s.o.) die spätestens seit Wagner sich abzeichnende und bei Schönberg oder Boulez endgütlig manifeste Emanzipation der Dissonanz neue Relevanz, wie wiederum besonders Adorno zeigt ( X V I , 478): Wohl bleibt Musik weiterhin „Gleichnis" religiöser Erfahrung, des „Absoluten" ( X V I , 461), die sich ins „ B i l d " vermittelt (ebd. 458), und meint in der Stimmigkeit und Stringenz des konkreten musikalischen Werkes „Totalität" (ebd. 461), ja, will selbst die „Schöpfung" werden (ebd.). Dennoch gilt ebenso: In dem M a ß e , in welchem Musik auf dem Feld der Geschichte in Bewegung bleibt, wird jedes aus Gotteserfahrung erwachsene Bild zugleich negiert, d. h. es bleibt Symbolisierung dieser Erfahrung nicht als Abbildung eines bereits in kosmischen Ordnungen — etwa der trias harmonica — kategorisierten Ganzen, sondern ein „ T r a c h t e n " nach Totalität (ebd.), Stringenz und Stimmigkeit. Solchermaßen - auf ihrem Weg durch die Geschichte als einem Weg aus der Emanzipation von „hierarchischen" Ordnungen - Vorklang von Stringenz und Stimmigkeit erscheint sie zugleich, nach der Weise Beethovens (XIV, 411 ff), in aufklärerisch-säkularem, da weniger von traditionell jüdisch-christlicher „mythologischer" Rede geprägtem, aber gleichwohl „eschatologisch" bewegtem Bewußtsein, als Vorzeichen einer neuen, „schöneren" Welt nachgerade im Sinne Reichardts; sie zeigt sich als (geglaubte, erlittene, erhoffte) Präfiguration einer stimmigen menschlichen Gesellschaft, in der alle „Herrschaft" und aller daraus erwachsene „Widerspruch" und alle „ N o t " auf die im musikalischen Werk antizipierte „Versöhnung" (XIV, 418) hin transzendiert werden. Wesentliche (gegenüber A d o r n o freilich deutlicher säkularisierte) Elemente dieser Konzeption finden sich bei Henze musikalisch verwirklicht. Z u m einen hat gerade er die traditionellen Formen von Religion hinterfragt, in ihnen eine klerikale Überwelt ausgemacht, die Mensch und Gesellschaft von ihrem geschichtlichen Telos fernhalte (so erscheint etwa in „El C i m a r r ö n " die gregorianische Psalmodie als Karikatur des Pfaffentums). Z u m anderen hat er vor allem in den 60er und 70er Jahren Entwürfe geliefert, in welchen die Transzendierung der Gegenwart in Richtung auf die historische Utopie aufscheint (Das Floß der Medusa; La C u b a n a ) . Z u nennen ist auch L. N o n o (La Fabbrica Illuminata).
2.5.2. Theologische Zugangsweisen. So pluralistisch sich die neueste Musikentwicklung nicht nur in ihrem aus tradierter Religiosität oder deren neuzeitlicher Weiterentwicklung abkünftigen Selbstverständnis darstellt, sondern auch in ihrer theologischen Interpretation, so eint die gegenwärtigen Zugangsweisen der Theologie zu dieser Musik doch dieses: die Abkehr von Denkmodellen, aufgrund derer Musik als mögliche Erscheinungsform von Religion sogleich im Blick auf ihre Integrationsmöglichkeit in die institutionalisierte Kirche gesichtet wurde. In der Tat hat sich ja das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft gegenüber der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und des Dritten Reiches geändert, stellt sich die Frage nach der Identität von Kirche weniger als Frage nach der Kirche gegenüber, sondern inmitten der Gesellschaft. Wichtige Impulse für die Abkehr von der zuletzt beschriebenen Betrachtungsweise von Musik hat die Dialektische Theologie geliefert, nämlich in ihrem Protest gegen ein Verstehen von Musik als einem Ereignis religiös-kosmologischer Qualität, das sodann in ausgewählten Gestalten (z.B. der A-cappella-Musik) kirchlich-sakramentale Dignität gewinnen könne. Aus reformierter Tradition bleiben die Schöpfung Gottes und seine Offenbarung in der einmaligen (und sich nicht in Gestalten dieser Welt ontologischsakramental prolongierenden) Gestalt Jesu Christi deutlicher geschieden. Und mochte in diesen Zusammenhängen Musik auch als symbolische Abbildung des im pythagoräischen Sinne in Zahl und M a ß geordneten Kosmos verstanden werden (Hammer 37 u.ö.), dann war derlei doch nicht „religiös" zu deuten, und der Anspruch der Musik, als solche im Sinne Luthers auf die Christusoffenbarung hin offen zu sein, blieb kritisch zu sichten. Von ihrem „religiösen" Anspruch her war somit auch die tradierte protestantische Kirchenmusik etwa Bachs abzuweisen (Traub 230). Auf andere Weise wurde die historisch-kritische Forschung (—»BibelWissenschaft) im Gefolge R . ->Bultmanns wichtig (H. Braun; E. Käsemann), sofern sie (in deutlicherem Bemühen um geschichtliches „Verstehen" der Überlieferung als bei -»Barth) die biblische
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(„kirchliche" und „liturgische") Symbolik in ihrer geschichtlichen, d.h. an die empirische „ W e l t " gebundenen, Bedingtheit und Zusammengehörigkeit mit außerchristlichen Symbolen und Mythen zu interpretieren lehrte und zugleich den Ursprung dieses Symbolisierungsprozesses, die (wiederum „historische") Gestalt Jesu von Nazareth, als den Träger der -»Offenbarung neu ins Bewußtsein rief (Schnebel 424ff). Gewiß war durch die Kritik am „religiösen" Verstehen von Musik vornehmlich in der -»Dialektischen Theologie das Selbstverständnis der Komponisten weder älterer Generationen noch der neuesten Zeit mit seinen spirituellen Impulsen getroffen. In der Betonung der „Welthaftigkeit" aller musikalischen Gestalten war jedoch die Möglichkeit eröffnet, auch die bisher als „kirchlich" rezipierten Gestalten zu relativieren und den Blick auf Erscheinungsweisen der Musik zu lenken, die den bisherigen theologisch-musikalischen Präferenzen nicht entsprachen. In diesem Sinne hat die theologische Musikbetrachtung diesseits von Theologen wie Söhngen in Rezeption der Dialektischen Theologie wie der historischen Kritik zunächst der Musik Schönbergs oder Weberns in ihrem Zerbrechen aller bislang anerkannten Symbolisierungen von Gottes Wirken im Kosmos Gottes ihr Interesse zugewandt und sich zu einem neuen, „weltlichen" Umgang mit dem Tonmaterial befreit gesehen, jenseits der bislang gültigen und aus religiöser Erfahrung erwachsenen Kategorisierungen der Klangwelt (Schnebel 424ff). Ähnlich ist die Rezeption von —»Jazz, Schlager und Chanson in den 60er und 70er Jahren motiviert. Ging es auch hier weniger um „experimentelles" Musikschaffen im Sinne der Avantgarde als vielmehr erneut um Gemeindemusik, von Laien aufführbar, so doch theologisch um eine Gemeinde, die keine anderen Gestaltungsmittel hat als die, welche sie in der Gesellschaft allgemein vorfindet: Denn ist die Offenbarung selbst in einer konkreten Gestalt der Geschichte der empirischen Welt erschienen, dann kommt ihre kirchliche Nachgestaltung „von der Straße" (Knipping 48 f). Demgemäß sind auch die vertonten Texte weniger von der tradierten kultisch-liturgischen Symbolik her bestimmt, sondern zunehmend durch neue Lyrik (etwa W. Borchert oder J . Prevert) und durch eine für den Alltag offene Sprache (Watkinson 89ff). Indes sollte sich unter dem Einfluß der neueren Musikphilosophie bzw. -Soziologie (Adorno) auch bald die Frage nach dem „religiösen" Impuls in der Musik gerade in ihrem Bezug auf die neuzeitliche Gesamtgesellschaft stellen. Bei aller Akzeptanz der Uberzeugung von der Geschichtlichkeit und Vorläufigkeit musikalischen Gestaltens innerhalb wie außerhalb der Kirche blieb die Überzeugung im R a u m , daß Adornos Frage nach dem in der Musik zur Sprache kommenden „Absoluten" nicht erledigt war. Nicht ohne Einfluß seiner Hegel-Rezeption erscheint damit gegen die Dialektische Theologie (Traub) die Musik von -»Schütz (Eggebrecht, Schütz) oder - » B a c h (Röhring 11 ff) neu im Bewußtsein: Z w a r nicht mehr als Musik, die im Sinne eines mathematisch proportionierten Kosmos nach der Weise der Interpretation Hindemiths theologisch relevant wäre, aber aus durchaus religiös-theologischer Perspektive als Ausdruck einer fortschreitenden Bewegung des (göttlichen) Geistes aus dem „sakralen" R a u m in die empirische Welt und ihre Geschichte hinein (Eggebrecht ebd. 26ff). Ebenso wird die neueste Musik als eine solche Bewegung des Geistes in die „ W e l t " hinein wahrgenommen und ihre Abkehr von der institutionalisierten Kirche positiv gewürdigt. In diesen Zusammenhängen wird dann auch in theologischem Sinne die Frage nach dem Telos der Musik neu relevant, wobei naturgemäß auch hier die tradierte symbolische Kategoriensprache etwa im Sinne von Söhngens „voraufklärerischer" Rede von einer Musica coelestis zurücktritt zugunsten „aufklärerischer" Kategorisierungen. Und so erscheint Musik als „Kritik und Konstruktion der W e l t " (Röhring 69), d. h. als Kritik kirchlich sanktionierter Traditionen und als Konstruktion einer Praxis, die ihrerseits den Weg auf jene „herrschaftsfreie Gesellschaft" hin wagt, die zugleich als „Gemeinschaft der Heiligen" verstanden werden kann (Röhring 46). D. Schnebel hat diesen Weg der Musik in die neuzeitliche Gesellschaft auskomponiert. In seinen Choralvorspielen I und II ( 1 9 6 6 / 6 8 - 6 9 ) erscheint der tradierte - » C h o r a l zwar verwendet, aber
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fragmentarisiert und durch „ s ä k u l a r e " Geräuscherzeuger (Ventilator u . ä . ) verfremdet. Am Ende des Stückes ziehen die Musiker aus dem R a u m der Kirche in die „ P r o f a n i t ä t " hinaus.
Grundsätzlich war mit dieser Interpretation der Musik von der Religiosität Hegels oder Adornos her in einem nächsten Schritt die erneute Akzeptanz des Sachverhaltes möglich, daß die Musik nicht nur auf jene herrschaftsfreie Gesellschaft und ihre Konstruktion durch die (kirchliche) Praxis hin ausgerichtet, sondern allgemein-anthropologischer Ausdruck religiöser Expressivität sein kann, von Erfahrung Gottes, in welchen Abbildungen und unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen auch immer, ob in der Symbolik Bachs (Jetter 275, A n m . 5 6 ) , der Expressivität der Romantik (Cornehl 305), als „Einspielung" der Christusoffenbarung etwa in der kosmischen Religiosität Stockhausens oder der indischen Musik (Röhring 68). Dementsprechend wird das neue geistliche Lied theologisch gelassener als „religiöses" Lied bestimmt, weniger also als ein Lied der Gemeinde in ihrem Bezug auf die „ p r o f a n e " Welt und ihre Geschichte, sondern als Bestandteil einer durchaus christentumsübergreifenden Symbolik und ihres Reichtums „ a n Emotionen, an Phantasie, an Visionen", entstanden aus der „Sehnsucht nach Heil, einem G a n z e n " (Cornehl 300). Bei allen dialektisch-theologischen Impulsen in der Entwicklung neuerer theologischer Zugangsweisen zur Musik und Öffnung ihres Musikverstehens auf die Welt, die Gesellschaft und die Geschichte hin: Wenn Musik in aller offenbarungstheologisch begründeten Geschichtlichkeit und Wandelbarkeit ihrer Gestalt nach alledem als „Ausdrucksweise" religiöser Erfahrung verstanden wird, die „ d e m tragenden Seinsgrund menschlicher Existenz tönende Gestalt verleihen und die Fülle der Empfindungen . . . ins Absolute erheben" kann (Mezger 97), dann ist erneut der Anschluß an Schleiermacher und den theologischen Liberalismus gefunden. 2.5.3. Musik im —• Gottesdienst. Von diesen theologischen Zugängen zur neuesten Musikentwicklung her ist verständlich, daß nicht nur die Abgrenzung der säkularen Musikpraxis von der Kirche allgemein, sondern auch von ihren Gottesdiensten, wie sie bei den Vertretern des A-cappella-Stils und ebenso in der Musiktheologie zwischen den Weltkriegen erkennbar war, in der Gegenwart nicht mehr möglich ist - in dem Maße nicht, als sich die Überzeugungen der -»Dialektischen Theologie wie der historischen Kritik mitsamt „ n e u e r " - aber gleichwohl „geschichtlich" bestimmter - Zugangsweisen zur Frage nach der Religion als einem Konstitutiv von Kirche und Christentum auf den Kultus auswirkten: Dieser selbst ist ja eine geschichtliche Größe, und keine gottesdienstliche Gestalt ließe sich als Gestalt der Christus-Offenbarung im Sinne einer „endgültigen" theologischen Definition gegenüber anderen Gestalten als „überzeitlich" erweisen. So stehen kirchenmusikalische Gestalten von Renaissance und Barock neben den Gestalten des neuen geistlichen Liedes und Chor- und Orgelwerken der Klassik, der Romantik und bisweilen der neueren und neuesten Zeit. Mehr noch: Wie etwa die zunehmende Rezeption der Musikpraxis der Kommunität von Taize zeigt, gewinnt auch das romantische A-cappella-Ideal im Sinne von Gemeindemusik eine neue Bedeutung. Die Frage nach den jeweiligen Grenzen gottesdienstlich verwendeter Musik ist dabei eine Frage des jeweiligen theologischen bzw. theologisch-musikalischen Konzeptes und seines soziologischen Bezugsrahmens. 3. Systematische 3.1.
Probleme
Überschau
Will man angesichts der Fülle der Erscheinungsweisen von Musik in der Neuzeit und ihrer Interpretationen zu einem umfassenden Urteil über das Verhältnis von Musik und Religion kommen, so hat man zahlreiche Momente zu berücksichtigen. Als mehrschichtig erwies sich bereits der Begriff der -»Religion, als deren Erscheinungsform Musik verstanden wurde. Wichtig war einerseits der in ihm zur Sprache kommende Bezug des Menschen auf den Kosmos, sofern also die Welt über alle ihre
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empirischen Erscheinungsformen hinaus als Kosmos Gottes einen transzendenten Bezugspunkt hat, wie er sich in der Musik durch eine Vielzahl von Ausdrucksmitteln „symbolisch" manifestiert: in der Darstellung dieses Bezugspunktes im pythagoräischen Kosmos wie in der elektronischen Musik und in außereuropäischen Musikkulturen. Als Beschreibung der Beziehung des Menschen zum Kosmos mitsamt deren symbolischer Darstellung erfaßte der Begriff aber zugleich menschliche Existenz auf ihrem Weg durch die Geschichte: Er war Ausdruck der Beziehung des Menschen zur empirischen Welt, sofern dieser als erkennendes und handelndes Subjekt ihren kulturellen und sozialen Ist-Zustand je neu transzendiert, also auch jede symbolische Darstellung der Erfahrung ihres transzendenten Bezugspunktes - hin auf ein Telos, das in der Geschichte noch nicht erreicht ist, aber im musikalischen Werk und seinem Streben nach Totalität symbolisch antizipiert wird. Parallel dazu orientierte sich der Begriff von Religion einerseits an einer tradierten Religion und ihren Kulten; zugleich aber reichte diese Orientierung immer weniger aus: Zunehmend geriet das Individuum in den Blick, das sich „neuen" Kulten zuwendet, aber auch Weisen des schöpferischen Welt- und Selbstverständnisses sucht, deren Beziehung zu den tradierten Religionen (etwa in Konzert und Oper) immer weniger erkennbar ist. Damit wird auch zum Problem, inwieweit eine „allgemeine" Definition von Musik unter dem Vorzeichen von Religion überhaupt möglich ist. Dieses Problem stellt sich umso mehr, als die neueste Entwicklung der Musik Erscheinungsformen aufweist, die es nahelegen, von den Grenzen religiöser Expressivität zu sprechen. Mit alledem ist ein Problem der Rezeption von Musik in ihrer religiösen Bedeutung verbunden: Wenn etwa die Vertreter des A-cappella-Stils im 19. Jh. die Vokalmusik des 16. und 17. Jh. rezipierten, dann „verstanden" sie diese ja von einer völlig anderen Religiosität her als derjenigen, aus welcher jene sich selbst definierte (etwa von ihrem Verständnis der Harmonie als einem religiös zu kontemplierenden Naturklang her). Und wenn Wagner oder —»Schweitzer sich —»Bach zuwandten, dann „hörten" sie eine andere Musik als die Gesellschaft, für die Bach komponierte. Ganz besonders stellt sich dieses Problem in der Gegenwart: Wie ist Musik überhaupt noch „religiös" wahrnehmbar, in einer Epoche, die zunehmend die tradierten Religionen hinter sich läßt, in welcher der „Kultus" sich in der Tat in die „Kunst" weiterentwickelt hat und die religiöse Kultgemeinschaft auf weite Strecken durch das „Publikum" mit sehr unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Verstehensvoraussetzungen abgelöst worden ist? Es liegt auf der Hand, daß in dem Maße, in welchem die „religiöse Dimension" von Musik als solche zum Problem wird, dies erst recht für die Musik im Raum der Kirche und ihrem Kultus zutrifft. Zu erinnern ist daran, daß in dem Zeitraum, in welchem sich Musik als Erscheinungsform von Religion neben der Kirche etabliert, in „neuen" Kulten und im „säkularen" Musikwesen, das musikalische Schaffen für die Kirche quantitativ zurückgeht. Das gilt spätestens seit dem Ende des 18. Jh. Aber auch die Werke, die zumindest in der „Erinnerung" an den liturgischen Ursprung der jeweiligen Gattung komponiert werden, werden zunehmend weniger, sind durchweg „konzertante" Musik, keine Gemeindemusik (Schuberth 659). Umgekehrt besteht zwar seit dem 19. Jh. die Tendenz, der „bürgerlichen" Musikpraxis wie der „konzertanten" Kirchenmusik die Gemeindemusik gegenüberzustellen, als Musik für eine Kultgemeinschaft und nicht ein Publikum. Ebensowenig ist jedoch zu verkennen, daß diese Gemeindemusik Gemeindemusik bleibt, d.h. zwar aus konkreten Erfordernissen erwachsen ist, partiell aus der gesamtmusikalischen Entwicklung abkünftig, ihrerseits aber nicht auf die gesamtmusikalische Entwicklung zurückwirkt und vor allem: im Wandel der (Kirchen-) Geschichte nur wenig Spuren hinterläßt. Bezeichnenderweise ist ja die liturgische A-cappella-Musik des 19. Jh. eine Marginalie der Musikgeschichte geblieben (Grell) und scheinen die Komponisten von Gemeindemusik im 20. Jh. (Distler; Pepping; David) in ihrer Wirkung auf den kirchlichen Raum beschränkt zu sein. Erst recht trifft dies für die Schöpfer des neuen geistlichen Liedes zu. Vor allem aber gilt gerade für die Kirchenmusik - ob als
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konzertante Musik, ob als Gemeindemusik - die Frage nach ihrer Rezeption im oben definierten Sinne, danach, inwieweit nicht am Ende auch die unmittelbar für den gegenwärtigen Kult geschriebene Musik als eigenständiges religiöses oder „weltanschauliches" Paradigma verstanden werden kann und damit auch der Gottesdienst als „Veranstaltung" und die Gemeinde als „Publikum" mit seinen unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Zugangsweisen. 3.2. Möglichkeiten
und Grenzen
religiöser
Expressivität
in der
Musik
Wie differenziert nun auch der Begriff von -»Religion im Blick auf die Geschichte der neuzeitlichen Musik sein mag, so ist dennoch der Ansatz einer „religiösen" Definition von Musik im traditionell-phänomenologischen Sinne immer noch hilfreich, d.h. bei dem Selbstverständnis, wie es die neuzeitliche Musik bei Komponist und Rezipient trotz aller Unterschiede in Musikpraxis und Musikreflexion noch weitgehend bestimmt. Dabei hat diese Definition spätestens seit Schleiermacher auch in der theologischen - und neuerdings in der religionssoziologischen (P. Berger 28.167f) — Reflexion ihren Ort. Festzuhalten ist deshalb zunächst die Definition von Musik als einer Erscheinungsform schöpferischen Tuns und Hörens von seiner existentiellen Betroffenheit durch die —»Welt als Kosmos her, sofern sie (und dies begründet den Akt der Betroffenheit) bei aller Fülle ihrer in „Naturgesetzen" und historischen Entwicklungen wahrnehmbaren Erscheinungen und aller „religiösen" Kosmos-Definitionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart nicht mit der empirischen Welt identisch, sondern zugleich in ihrer Vorfindlichkeit und Tatsächlichkeit durch ein Anderes bestimmt ist, welches sie durch die Fülle ihrer Erscheinungen hindurch auf ihre eigene -»Transzendenz hin öffnet und in dieser Transzendenz beschreibbar sein läßt. Insofern ist auch die Musik ein transzendentes Ereignis, da sie, obwohl mit den Mitteln der empirischen Welt gestaltet und allen Möglichkeiten empirischer Reflexion zugänglich, in der empirischen Welt doch deren Nicht-Identität mit sich selbst „symbolisch" beschreibt, d.h. die Wahrnehmung des sie transzendierenden Anderen und damit der Welt als eines in ihrem Ist-Zustand nicht „endgültig" offenbaren Kosmos Gottes exemplarisch in die Gestalt erhebt. Immerhin ist auf diese Weise ein theologisch-phänomenologischer Dialog über die Musik mit der Welt der Religionen allgemein möglich und darüberhinaus mit dem philosophischen Denken, wenn immer dieses Denken nicht in Positivismus erstarrt ist. Diese Definition von Musik als einer solchen aus religiöser Erfahrung erwachsenen und mit den Mitteln der empirischen Welt gestalteten symbolischen Darstellung der Welt als Kosmos besagt ein weiteres: Was in der Musik als religiösem Symbol zur Sprache kommen will, ist also etwas, das in diesem Symbol „eigentlich" nicht gesagt werden kann, da die vom Symbol als einem Bestandteil der empirischen Welt unterschiedene Begründung dieser Welt auch in ihrer symbolischen „Darstellung" - als Darstellung der empirischen Welt auf ihre Transzendenz als Kosmos Gottes hin - Begründung durch das Andere bleibt. In welchen musikalischen Symbolisierungen sich die Erfahrung der empirischen Welt als eines ihre Vorfindlichkeit transzendierenden Kosmos Gottes also auch verdichten mag: Am Ende bleibt die symbolische Gestaltwerdung dieser Erfahrung vom Grund dieser Erfahrung durch einen Abgrund getrennt. Religiös-musikalisch kann also das zur Gestalt erhoben werden, was systematisch-theologisch mit dem Begriff der Fundamentalunterscheidung (Ebeling, Dogmatik 233 ff) umschrieben wird, als ontologische Bestimmung der Nicht-Identität der empirischen Welt mit sich selbst, im dezidiert christlich-jüdischen Sinne. Ein drittes Moment sei festgehalten: Wenn die Musik das Andere zwar mit den Mitteln der empirischen Welt beschreibt, das Andere aber nicht nur in, sondern erst recht gegenüber dieser symbolisiert, dann beschreibt sie diese zugleich in ihrer eigenen Empfindlichkeit, als Schöpfung. Das „naturgegebene" Material aller symbolischen Expressivität ist so endlich wie seine spekulative oder mythologische Interpretation (und so wäre eine Rede von der Welt als Kosmos, der seinem „ewigen" Wesen nach als in Maß
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und Z a h l geordnet und in einer Musica coelestis kategorisiert ist, nicht n u r a u f g r u n d der Wandlungen des Kosmosverständnisses in der Neuzeit, s o n d e r n auch schöpfungstheologisch verdächtig); endlich ist jedes einzelne musikalische Werk trotz all seiner möglichen Stimmigkeit u n d Stringenz, endlich aber auch die Totalität der musikalischen Werke in ihrer Aufeinanderfolge in der Geschichte. Keinesfalls verliert sich die Geschichte des musikalischen Umgangs mit der symbolischen Darstellung des Anderen im unerk e n n b a r e n (allenfalls prognostizierbaren) Ziel einer nach vorne hin offenen Gesellschaft, sondern beschreibt zugleich die Endlichkeit dieser Gesellschaft in ihrer Begegnung mit dem Anderen, das diese Endlichkeit bedingt und umschließt. M u s i k ist nach diesem Verständnis von Religion zu k ü h n , Utopien zu entwickeln, die jenseits ihrer eigenen Geschichte liegen und an welchen sie als im schöpferischen Akt geschaffenes, als vern o m m e n e s und gedeutetes Klangereignis nicht mehr teilhat: Bezeichnenderweise hat ja auch die neuere M u s i k zumindest d o r t , w o sie sich explizit als „religiös" versteht, nicht allein eine eschatologische, s o n d e r n auch eine apokalyptische D i m e n s i o n . Es d ü r f t e kein Zufall sein, d a ß sich die im Blick auf das säkulare Bewußtsein der Neuzeit doch eher untypische R e q u i e m - K o m p o s i t i o n auch im außerkatholischen Bereich (Schumann; O . Olsson; Ligeti; Schnittke) gehalten hat, d . h . eine Wirklichkeit thematisiert wird, welche nicht nur die empirische Welt in ihrer Endlichkeit anzeigt, sondern auch die Endlichkeit aller in der Geschichte, im k o n k r e t e n Kunstwerk, antizipierten und f ü r die „ Z u k u n f t " noch erhofften „ D a r s t e l l u n g e n " der Welt als eines Kosmos Gottes. (Zu den Requiem-Kompositionen von W. R i h m [Dies] und H . W . Henze s.u.) Keineswegs ist mit alledem ein „archaisches" Modell der Beziehung von M u s i k und Religion e n t w o r f e n , das die innerhistorische Entwicklung der M u s i k von der Fundamentalunterscheidung her vergleichgültigt und das konkrete Werk m i t s a m t seinen historischen Bedingungen in die theologische Irrelevanz schickt. Es bleibt ja dabei: Wenn es im Wesen des religiösen Symbols liegt, mit den Mitteln der geschöpflichen Welt ein Jenseits der geschöpflichen Welt darzustellen, so auch, dieses Jenseits im „Diesseits" zu symbolisieren, d . h . die Transzendenz dieser Welt als T r a n s z e n d i e r u n g dieser Welt unter den Bedingungen dieser Welt zu antizipieren, in der Geschichte und ihrem Weg „nach v o r n e " , in der Einmaligkeit und zugleich Vorläufigkeit des jeweiligen Werkes. Auch die O f f e n b a r u n g ist ja als eine geschichts-jenseitige O f f e n b a r u n g , die doch in der Gestalt Jesu von N a z a r e t h den Bedingungen der Geschichte u n t e r w o r f e n ist, „ n u r " ein Praeludium Aeternitatis. D e n n o c h zeigen sich hier vom Selbstverständnis der Komponisten her Probleme f ü r die Definition der neueren M u s i k als einer Erscheinung von Religion. Erinnert sei noch einmal an H . W . Henze. So sehr m a n etwa den G r u n d i m p u l s seines Schaffens, artikuliert in seiner Rede vom „ G ö t t l i c h e n " im M e n s c h e n , strukturell als mystisch bezeichnen mag, gilt doch: D a s Ziel dieses Schaffens ist die Transzendierung der vorfindlichen Welt allein innerhalb ihrer Endlichkeit, des H u m a n u m auf das H u m a n u n i hin, in einer Gesellschaft, deren Ziel hinwiederum eine Gesellschaft ist, deren „ E n d e " allenfalls d u r c h den (individuellen) Tod markiert wird (Henze, Gespräch 319). Der Überschritt, über die empirische Welt, der vormals (wenn auch auf p a r a d o x e Weise) im religiösen Symbol „ g e m e i n t " war, wird somit zu einem Überschritt z w a r nicht in einer in sich r u h e n d e n (—• Tillich), sondern in einer b e k ü m m e r t e n Endlichkeit, erweist sich aber als ein Transzendieren ohne die Suche nach einer „religiös motivierten Transzendenz" (Rihm über sich selbst, Gespräch 29), welche der Welt aus d e m Jenseits ihrer Endlichkeit begegnete. D e m e n t s p r e c h e n d sinken auch die tradierten christlichen Texte, als Zeugen jenes Überschritts, in „ m y t h i s c h e " , „ l e g e n d ä r e " Ferne z u r ü c k , u m , von d o r t aus als Erinnerungen der ontogenetischen Frühzeit abgerufen, „ M e t a p h e r n " f ü r die Erlebnisse menschlichen „Werdens und Seins" in einer endlichen Welt zu liefern (Henze, Bach 366). In solchen Z u s a m m e n h ä n g e n verwandelt sich d e m e n t s p r e c h e n d die Rede von der Welt, sofern sie als in der empirischen Welt religiös e r f a h r e n e r Kosmos Gottes nicht n u r von G o t t her begründet, sondern zugleich begrenzt ist, in die Feststellung von
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einer Endlichkeit der Welt, die in dieser selbst und ihrer Geschichte angelegt ist, als einer Welt, die keine Außenseite mehr hat, auf welche hin ein Schritt möglich wäre (Lévinas 30). Tendenzen dieses Umgangs mit der Welt als eines nicht mehr religiös definierten, sondern nur noch innerhalb ihrer Endlichkeit den Akt des Transzendierens ihrer empirischen Vorfindlichkeit ermöglichenden Kosmos zeigen erstmals Komponisten im Umfeld der —»Nietzsche-Rezeption. So artikuliert etwa Delius in seinem nicht von liturgischen Texten ausgehenden „ R e q u i e m " (von 1922) die radikale Endlichkeit der Welt (und die Vergeblichkeit der in ihr aufweisbaren religiösen Erfahrungen) — eine Endlichkeit, in welcher auch das Ich versinkt. Nicht anders entscheidet sich Rihm: So sehr er auch einerseits Musik als Erfahrung des „Anderen" beschreibt (Musik 85 ff), das Transzendieren, „Freiheit", ermöglicht, so doch nur als ein Anderes in der endlichen Welt, die keine Bedingung außerhalb ihrer selbst mehr hat. Das kosmische „Weltgebäude" ist - im Sinne der von Rihm vertonten Vision Jean Pauls (Andere Schatten, 1985) - leer, ohne transzendenten Bezug. Demgemäß vertritt er auch in seinem 1984 entstandenen Dies (wohlgemerkt: nicht Dies Irae, also in Abkehr von der Beschreibung eines - göttlichen — Zornes) die Überzeugung von einer Apokalyptik „von innen", d.h. von der geschichtlichen Entwicklung des Menschen in Technik und Zivilisation her und dem darauf beruhenden „Weltende", also nicht eine Apokalyptik „von außen", aufgrund derer dieses Ende in einem Anderen begründet ist, das jenseits des Endes stünde. Ähnlich ist auch Henzes instrumentales, aber in den einzelnen Satzüberschriften auf die traditionelle Totenmesse bezogenes Requiem (1993) im Kontext seines oben beschriebenen Todesverständnisses zu sehen (Jungheinrich). All dies könnte bedeuten, daß eine Beschreibung des Verhältnisses von Musik und Religion an seinen Rändern mit hermeneutischen Unschärfen zu rechnen hätte, deren theologische Bewältigung auf Dauer von Wichtigkeit wäre. Denn entschlösse man sich, die in der Musik zweifellos gegebene Überschreitung der empirischen Wirklichkeit als solche für ein Indiz der „religiösen" Bedeutung von Musik zu nehmen, dann wäre der Begriff der Religion zur Beschreibung der „eigentlichen" Bedeutung von Musik am Ende kaum mehr sinnvoll, da überflüssig. Zu ersetzen wäre er nicht zuletzt durch erfahrungswissenschaftliche Begriffe, die das eben auch durch die Musik strukturierte Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft bei allen menschlichen Akten des Transzendierens und allen Erfahrungen möglicher Freiheit im Kontext eben dieser Gesellschaft in ihrer bei sich selbst verbleibenden Endlichkeit beschreiben, da die Frage nach dem „Ursprung" und dem „ Z i e l " der Gesellschaft und ihrer Musik nach dem „Tode G o t t e s " (M. Foucault, Ordnung 460ff) allein die der Archäologie (Foucault, Archäologie 193 ff) und der Futurologie wäre, nicht aber der Protologie und der Eschatologie. 3.3. Zur religiösen
Anthropologie
der
—>Kirchenmusik
Kirchenmusik als Musik, die an der Entwicklung der allgemeinen Musikgeschichte partizipiert, wird es also in der Geschichte der Musik allgemein zunehmend mit Erscheinungsweisen zu tun haben, für welche sie nur in eingegrenztem M a ß e dialogfähig sein wird. Gegenüber einer in die Endlichkeit eingekehrten Musik wird sie aber immer den paradoxen Anspruch aller —»Religion bewahren, über die Endlichkeit hinausweisen zu können, d. h. auf eine „Stufe der Transzendenz", die gewiß „in der menschlichen Kultur nicht alle Erscheinungen und nicht alle Kunststrukturen" erreichen, auf welche hin aber manche Kulturen und Strukturen zumindest „in einem dahin tendierenden Prozeß" befindlich sind (Karbusicky 272). Innerhalb dieses Prozesses der Transzendierung des Endlichen zur —»Transzendenz hin wird sie zugleich ihre Symbolik (—»Symbol) zu suchen haben und finden. Hier wäre sodann ihr Ort: in der Vergewisserung dessen, was in christlich-religiöser Symbolik immer schon gewiß ist, in der durchaus auch an der „traditionellen" Kirchenmusik orientierten „Einübung" der geschehenen Geschichte des im Christus-Symbol
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für die Welt aufbewahrten Jesus von Nazareth, der doch zugleich „vor aller Z e i t " anwesend ist als der Schöpfer der Welt und „nach aller Z e i t " als der Richter. Er wäre „kultisch" anzuzeigen, in welchen dieser Gestalten auch immer. Er wäre anzuzeigen als der, welcher in der Tat den transzendenten Bezugspunkt der Schöpfung in personaler Verdichtung ausdrücklich macht, präfiguriert in „dieser" Welt, aber doch auf eine Realität hin, die alle endlichen Bilder im Feuer der Apokalypse verbrennt (Messiaen, Quatuor pour la Fin du Temps). Und: Der O r t dieser Kirchen-Musik wäre zugleich der Aufbruch in eine neue Symbolik, nach welcher in der Tat - im Gefolge der Einsicht in die Geschichtlichkeit aller Symbolik - die Erfahrung der Transzendenz als Christus-Erfahrung neu aufgehoben ist. Nicht eindeutig auszumachen ist allerdings gegenwärtig, wie eine solche „ n e u e " Symbolik kriterial zu bestimmen wäre, als Ausdruck einer positioneilen Theologie, die aber doch auf universellere Akzeptanz hoffen dürfte. Versperrt ist in jedem Falle der Weg mancher Theologen der 60er und 70er Jahre, musikalische „Avantgarden" auf ihrem Weg aus dem tradierten Kultus in die säkulare Welt unter dem Vorzeichen des Geistes zum Kriterium einer „ n e u e n " Kirchenmusik zu erheben; denn damit löste sich die Kirchenmusik in die allgemeine Musikentwicklung hinein auf. Nicht abzuschätzen andererseits ist der Weg, den das neue geistliche Lied nimmt. Ist gerade auch dieses an einer „ n e u e n " Symbolik interessiert, so ist diese doch in hohem M a ß e anthropologisch-innergeschichtlich orientiert, wie denn zentrale Themen (Passion, -»Ostern, -•Himmelfahrt, Ende der Zeit) kaum bedacht werden oder hier allenfalls die tradierte Symbolik repristiniert wird. Dieser Reduktionismus sollte zu denken geben. Für welche Symbolik man sich aber konkret entscheiden mag - in keinem Falle ist die Kirchenmusik in der —• Neuzeit dagegen gefeit, mißverstanden zu werden, angesichts der Tatsache, daß sich die Musik insgesamt zu einem eigenständigen Paradigma von Religion (und Weltanschauung) entwickelt hat und auch die Kirchenmusik allem Bezug auf die Offenbarung Gottes in der Geschichte zum Trotz der symbolischen und mythischen Dimension und der Vielfalt der Interpretationsweisen von Symbol und Mythos nicht entnommen ist. So kann der —»Gottesdienst in seiner musikalischen Dimension in der Tat zu einer „säkularen" Veranstaltung werden, austauschbar mit anderen Gestalten der empirischen Welt. Mehr noch, angesichts der allgemeinen musikalischen Entwicklung ist zu fragen, inwieweit die Kirchenmusik es grundsätzlich noch leisten kann, was (vornehmlich von Theologen) von ihr erwartet wird, nämlich in der Welt allgemein-gesellschaftlich orientierter musikalischer Paradigmen einen eigenständigen Beitrag zur Erbauung der Gemeinde zu liefern. Vermutlich wird alle Kirchenmusik noch deutlicher als bisher in den gemeindlichen Kontext eingebunden sein müssen, innerhalb dessen sie erklingt: im Gottesdienst gebunden nicht nur an die „Liturgie" und ihre kultisch-kontemplative Dimension, sondern erst recht an die Predigt; im „Kirchenkonzert" an die konkrete „ I n f o r m a t i o n " zumindest über die ursprüngliche theologische „Bedeutung" des jeweils aufgeführten Werkes. Inwieweit die Grenzen zwischen der Kirchenmusik als Musik des Christentums und der Musik als Musik einer zunehmend in ihre eigene Endlichkeit einkehrenden und in ihrer Suche nach Identität auf sich selbst bezogenen Welt, deren Sinn an den Rändern im Unerkennbaren verblaßt (Russell 279), dereinst wieder überschritten werden, d.h. Kirchenmusik und allgemeine Musik erneut in einer gemeinsamen Weltdeutung zueinanderfinden: diese Frage zu beantworten kommt der Praktischen Theologie nicht zu. Literatur T h e o d o r W. Adorno, Einl. in die Musiksoziologie. Z w ö l f theoretische Vorl.: GS hg. v. Rolf T i e d e m a n n , Frankfurt, X I V 1973, 1 6 9 - 4 3 3 . - Ders., Musik u. neue Musik: ebd., XIV, 4 7 6 - 4 9 2 . - Ders., Frgm. über Musik u. Sprache: ebd., X V I 1978, 2 5 1 - 2 5 6 . - Ders., Sakrales Frgm. Über Schönbergs Moses u. Aron: ebd. 4 5 4 - 4 7 5 . - Christoph Albrecht, Schleiermachers Liturgik. Theorie u. Praxis des Gottesdienstes bei Schleiermacher u. ihre geistesgesch. Zusammenhänge, 1963 ( V E G L 1 3 ) . — Carl Philipp Emanuel Bach, Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen,
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Musik und Religion IV
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Muße in u. u. u.
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Gustav A. Krieg
Muße 1. Z u m Begriff und zur G e s c h i c h t e der M u ß e
1. Zum Begriff und zur Geschichte
der
2. Kirche und M u ß e
(Literatur S . 4 9 7 )
Muße
Muße (von ahd. muoza, mhd. muoze: Möglichkeit, Gelegenheit zu) stellt in der westeuropäischen Kultur das Erbe antiker Lebensideale und Ergebnis ihrer geschichtlichen Weiterentwicklung dar. In der griechischen Polis bezeichnet Muße {axoXfi) zunächst eine von Arbeit (d-axoMa\) und Sorgen freie Lebenslage, über die nur der freie, männliche Bürger verfügt. Inhalte der Muße sind Aktivitäten, die ohne Nützlichkeitsdenken um ihrer selbst willen verfolgt werden. Aristoteles, der große Theoretiker der Muße, bewertet neben der Musik vor allem die theoria (üecopia = geistige Schau) als Inbegriff dessen, was den Namen Muße verdient. Ruhe und Freiheit sind Voraussetzungen der Muße, das Glück der geistigen Schau ist ihr Ziel. Muße steht in engem Zusammenhang mit Frieden. Beider Grundlagen sind die Tugenden der Weisheit, Mäßigkeit und Gerechtigkeit, die in einer auf selbständiges Denken und freies Handeln angelegten Erziehung angestrebt werden (Aristoteles, Politik IV[VII], 15, 459). Auch in Rom hat die Muße (otium) einen höheren Stellenwert als —»Arbeit (negotium), ist aber weniger Selbstzweck im aristotelischen Sinne, sondern meint mehr Ruhe von den Geschäften und Erholung für sie, z.B. durch Aufenthalte auf dem Land. Geschätzter Inhalt der Muße ist der Umgang mit den freien Künsten. Der Gegensatz von artes liberales und artes serviles ist kennzeichnend auch für die Mußetradition des Mittelalters. Bestimmend ist die Aristotelesrezeption des Thomas von Aquin, die die vita activa der vita passiva vorordnet. Mit der Neuzeit beginnt die Arbeit, der Muße den Rang abzulaufen. Muße wird immer stärker zum Privileg kleiner Schichten, die darunter auch zunehmend weniger ein kontemplatives Leben verstehen als Kunstgenuß, Pflege von Geselligkeit usw. Gesamtgesellschaftlich gesehen erhält die Muße eher den negativen Beiklang des Müßiggangs. Im Zuge der Industrialisierung kommt es aus Mangel an Zeit zu einem Verlust der Muße, so daß der Muße-Begriff im Laufe des 19. Jh. ganz aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwindet, noch ehe der neue Begriff der —»Freizeit sich einbürgert. Die Inhalte der Muße und vor allem die Sehnsucht nach ihnen leben weiter. Als Einzelelemente existieren weiterhin die Beziehung zu Kultur und Kunst, passiv und aktiv gestaltet, im häuslichen Rahmen (z.B. Hausmusik) wie auf der gesellschaftlichen Ebene (Theater usw.), außerdem die Elemente des Spiels, des geistigen Austauschs und gemeinsamen Gesprächs (z.B. in den Salons). Wander-, Sport- und Gesangvereine sowie Arbeiterbildungsvereine erleben eine Blütezeit. Die Sehnsucht nach Ruhe richtet sich - bis in die heutige Zeit - auf das Naturerleben. (Vgl. Walter Andritzky/Winfried Bormann, Bessere Freizeitmöglichkeiten, Stuttgart 1978, 106 zum „Urbanisierungstrauma". Der Wunsch nach Ruhe und Erholung ist auch heute noch die dominierende Erwartung an die arbeitsfreie Zeit, wie 74 Prozent der Antworten auf die Frage einer empirischen Untersuchung nach der Funktion von Freizeit zeigen; vgl. Horst W. Opaschowski, Probleme im Umgang mit der Freizeit, Hamburg 1980, 36.) Aus dieser Sehnsucht speist sich auch die Wandervogelbewegung, die Ende des 19. Jh. entsteht.
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Muße
Der Wunsch nach Naturverbundenheit und nach einem einfachen, selbstbestimmten, authentischen Leben, dem Entkommen aus einer als nicht erfüllt empfundenen Arbeitsund Lebensweise liegt manchem Auswandern und „Aussteigen" bis in das nunmehr ausgehende 20. J h . zugrunde. Solche Bewegungen speisen sich gewiß nicht lediglich aus romantischen und eskapistischen Motiven, sondern sind auch Ausdruck eines berechtigten Protests gegen Gesellschaften, für die die Vorherrschaft des Nützlichkeitsdenkens und ein durch Entfremdung geprägter Lebensstil charakteristisch sind. Der Muße-Begriff wird in der heutigen Zeit, auch wenn er altertümlich klingt, allgemein mit Positivem assoziiert (vgl. Hanhart 225.232). Hanhart gelangt außerdem mit Hilfe experimentell erhobener Fragestellungen zu Arbeit, Freizeit und Muße zu folgender Charakterisierung: „Dasein, das Muße hat, ist innerlich gelöstes Dasein, ist offenes Dasein, bereit, Neues zu empfangen oder auf das ihm Begegnende einzugehen. In der Muße ist also das Dasein in bestimmter Weise bei sich selbst und zwar im Modus der Geborgenheit und Gelöstheit." „Muße ist somit nicht an einen bestimmten Rahmen gebunden, wie er etwa durch Freizeit gegeben wird. Für Muße ist also durchaus auch innerhalb der Arbeit Raum." (25.26)
Moderne Philosophen betonen in ihrer Hochschätzung der M u ß e deren Selberseinsund Freiheitsinhalt, die Chance zur bewußten gesellschaftlichen Teilnahme und zum Glück (vgl. Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, F r a n k f u r t / M . "1977, 1086; Jürgen Habermas, Notizen zum Verhältnis von Arbeit und Freizeit: Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker, Bonn 1958, 231). Charakteristika und potentielle Inhalte der Muße lassen sich ausmachen in den Wunschvorstellungen und Zielen für das Leben. Die meistgenannten Beantwortungen der Frage nach den Wunschvorstellungen für das Leben waren in einer empirischen Untersuchung: glücklich, erfüllt, friedlich, interessant, sinnvoll. Die Frage nach der aktiven Verwirklichung von Lebenszielen wurde am häufigsten beantwortet mit: etwas selber tun, das Spaß macht; Leben genießen, mit anderen Zusammensein, selbst verwirklichen, Ideen durchzusetzen (Horst W. Opaschowski/Gerhard Raddatz, Freizeit im Wertewandel, Hamburg 1982, 20.24). — Die Wünsche speziell an die Freizeit richten sich zu je einem Drittel auf Frei-Sein, Ruhe, Zusammensein mit der Familie, die Zielort der Sehnsucht nach Glück und Geborgenheit ist (Opaschowski a . a . O . 34).
Da es sich hier um ein allgemein verbreitetes Phänomen handelt, erscheint die Reaktivierung und Rehabilitierung des Muße-Begriffs für den heutigen Sprachgebrauch gerechtfertigt. Dabei sind mögliche Anklänge an die Kultivierung elitären oder weitabgewandten Verhaltens abzuwehren und die Bedeutung der M u ß e als erfülltes Gestalten und Erleben von Zeit in Arbeit und Freizeit hervorzuheben. 2. Kirche
und
Muße
Die Kirche kann auf eine Tradition der Mußegestaltung in ihren pädagogischen Arbeitsfeldern wie im Gemeindeleben zurückblicken. Bestimmendes Prinzip vor allem der erzieherischen Bemühungen war dabei die Vermeidung von Müßiggang, wie an der Pädagogik von Comenius, Francke, Schleiermacher, Wichern und Naumann deutlich wird (s. hierzu auch —»Freizeit und Krauß-Siemann, Kap. 1, 12ff u. Kap. 4.2,91 ff). Die Elemente der M u ß e - Ruhe, Freiheit und Glück - stellen auch biblische Qualifizierungen erfüllter Zeit dar und sind mit Verheißungen verknüpft (vgl. z.B. zur Ruhe außer den auf die Sabbatruhe bezogenen Bibeltexten Jes 32,18 und Hebr 4,9). Die Kirche betonte in ihrer Geschichte jedoch nahezu ausschließlich den eschatologischen Aspekt erfüllter Zeit, hinter dem das diesseitige Erleben von Ruhe, Freiheit und Glück, wie es in der biblischen Anthropologie, vor allem des Alten Testaments, beschrieben wird, zurücktrat. Die Projektierung erfüllter Zeit allein in die Zukunft empfindet der Mensch ebensowenig als ganzheitliches Leben wie das Abdrängen der Dimensionen erfüllten und geglückten Lebens in einen Teilbereich des Daseins. Angesichts der Tendenz, MußeErleben möglichst völlig aus dem Bereich der Erwerbsarbeit zu verbannen, nur in der Freizeit zu dulden und damit eine Zweiteilung des Lebens zu befestigen, muß es Aufgabe
Muttergottheiten
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der K i r c h e sein, den Anspruch auf das unteilbare L e b e n zu bekräftigen. D a s kirchliche Leben, das eine Fülle von M ö g l i c h k e i t e n g e m e i n s a m e n M u ß e - E r l e b e n s und - G e s t a l t e n s bietet, sollte M u t zur M u ß e m a c h e n und den nötigen Spielraum des E i n ü b e n s bereitstellen. W i c h t i g e Bereiche dafür sind der - » S o n n t a g sowie - » F e s t e und Feiertage, die mit ihrer Sinnvergewisserung und F r e u d e in den Alltag ausstrahlen sollten. M e h r als bisher ist j e d o c h das A u g e n m e r k a u f die A n g e b o t e zur M u ß e im Alltag selbst zu richten. D a b e i ist zu respektieren, d a ß w ä h r e n d der A r b e i t s w o c h e das Bedürfnis nach R u h e o b e n a n steht. D e s h a l b wird die gastfreie, einladende G e m e i n d e dann neben verschiedenen M ö g l i c h k e i t e n der zwanglosen K o m m u n i k a t i o n auch R ä u m e der Stille, Gelegenheiten zur M e d i t a t i o n usw. a n b i e t e n , wie ü b e r h a u p t die K i r c h e n - und G e m e i n d e r ä u m e für die genannten Z w e c k e i m m e r offen sein sollten. D a der U m g a n g mit der Z e i t eine A u f g a b e ist, v o r die sich alle M e n s c h e n gestellt sehen, ist das Erlernen einer H a l t u n g der M u ß e weniger eine Frage von g r ö ß e r e r Bildung oder A n l a ß für die Institutionalisierung einer kirchlichen Freizeitpädagogik als eine Dimension g e m e i n s a m e n L e b e n s . D a ß die G e m e i n d e g l i e d e r sich seitens der h a u p t a m t l i c h e n kirchlichen F u n k t i o n s t r ä g e r nicht der Verpflichtung zu ständigem Einsatz ausgesetzt sehen, d a ß ihr G l ü c k s s t r e b e n e b e n s o b e j a h t wie ihre M ü n d i g k e i t e r n s t g e n o m m e n wird, zählt zu den Voraussetzungen gelungener M u ß e in den kirchlichen Lebensfeldern. Literatur Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1967. - Aristoteles, Nikomachische Ethik, hg. v. Günter Bien, Hamburg 1972. - Ders., Politik, hg.v. Franz Susemihl, Aachen 1978. - Aurelius Augustinus, Confessiones, hg.v. Joseph Bernhart, München 1955. - Ders. De beata vita. Über das Glück, hg.v. Ingeborg Schwarz-Kirchenbauer/Willi Schwarz, Stuttgart 1982. - Roman Bleistein, Art. Muße: Praktisches Wb. der Pastoralanthropologie, hg.v. Heimo Gastager/ Karl Gastgeber, Wien 1975, 742. - Hans Brühweiler, Muße (schole), Zürich 1971. - Heinrich Buhr, Das Glück und die Theol., Stuttgart 1969. - Gert Eichler, Von aristokratischer Muße zur „Aristokratie der Arbeit"?: ders., Spiel u. Arbeit, Stuttgart-Bad Cannstatt 1979, 9 1 - 1 0 6 . - Johannes Feige, Der alte Feierabend, München 1963. - Peter Frantzen, Muße u. Muse, Bonn-Bad Godesberg 1969. - Hans-Georg Gadamer, Über leere u. erfüllte Zeit (1969): ders., KS. III. Idee u. Sprache, Tübingen 1972, 2 2 1 - 2 3 6 . - Sebastian de Grazia, Der Begriff Muße: Erwin K. Scheuch/Rolf Meyersohn (Hg.), Soziologie der Freizeit, Köln 1972, 56—73. — Bernhard Grom u.a., Glück — auf der Suche nach dem „guten Leben", Frankfurt/M./Berlin 1987. - Dieter Hanhart, Arbeiter in der Freizeit, Bern/Stuttgart 1964. - Anselm Hertz, Perspektiven christl. Ethik zur Freizeitproblematik u. zu Fragen der Muße: Hb. der christl. Ethik, hg. v. Anselm Hertz u.a., Freiburg/Basel/Wien 1978, 3 8 2 - 3 9 6 . - Jutta Krauß-Siemann, Von der Freizeit zur Muße. Grundlagen u. Perspektiven freizeitbewußter kirchl. Praxis, Neukirchen-Vluyn 1989. - Ludwig Marcuse, Phil, des Glücks, Zürich 1972. - Gerhard M . Martin, „Wir wollen hier auf Erden s c h o n . . . " Das Recht auf Glück, Stuttgart 1970. - Jürgen Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung, München 1971. - Christiane Müller-Wichmann, Zeitnot! Unters, zum Freizeitproblem u. seiner pädagogischen Zugänglichkeit, Weinheim/Basel 1984. - Josef Pieper, Muße u. Kult, München 1984. - Ders., Muße u. menschliche Existenz: Leopold Prohaska (Hg.), Mensch u. Freizeit als pädagogisches Problem, Wien/München 1961. - Bertrand Russell, Lob des Müßiggangs, Wien/Hamburg 1957. - Seneca, Vom glückseligen Leben u. andere Schriften, hg.v. Peter Jaerisch, Stuttgart 1962. - Thomas v. Aquin, Summa theologica (vor allem II/2), hg.v. der Albertus-Magnus-Akademie Walberberg bei Köln, Graz/Wien/Salzburg/Heidelberg/München 1953 ff. - Albrecht Timm, Verlust der Muße. Buchholz-Hamburg o. J. (1968). - Brian Vickers (Hg.), Arbeit - Muße - Kontemplation. Betrachtungen zur Vita activa u. Vita contemplativa, Zürich 1985. Jutta Krauß-Siemann
Muttergottheiten 1. Religionsphänomenologische Einordnung 2. Phänotypen der Magna Mater 2.1. Die Fruchtbarkeitsgöttin des Vorderen Orients 2.2. Die Mutter der Pharaonen 2.3. Der chthonische Aspekt der Muttergöttin 3. Weibliche Aspekte der Gottheit 3.1. Die ambivalente Urmutter des Hinduismus 3.2. Die buddhistische Göttin der Barmherzigkeit 4. Mutterrechtstheorien und ihr religionssoziologischer Wert 5. Offene Fragen (Literatur S. 502)
Muttergottheiten
498 1. Religionsphänomenologische
Einordnung
Weibliche Gottheiten sind nicht unbedingt Ausdruck f ü r eine weibliche Sakralität, noch sind sie ein Indiz d a f ü r , d a ß a m Anfang die „ G r o ß e G ö t t i n " gestanden habe, der w o m ö g l i c h ein F r ü h s t a d i u m des M a t r i a r c h a t s entsprach, wenn auch die sog. „paleolithische Venus" offenbar ein Übergewicht gegenüber den männlichen Gottheiten des P a n t h e o n gehabt h a b e n mag. Zweifellos handelt es sich u m eine ganze Reihe von Funktionen, die der M u t t e r g ö t t i n zu ihrer hervorragenden Stellung in der Religionsgeschichte verholfen h a b e n . Dabei darf m a n wohl d a v o n ausgehen, d a ß die F u n k t i o n der Fruchtbarkeit gleichsam das „ G r u n d m u s t e r " bildet, welches allen M a g n a - M a i e r - K u l t e n inh ä r e n t ist, und z w a r u n a b h ä n g i g von ihren kulturellen Kontexten. Die kontextuellen Besonderheiten verbinden sich vielmehr mit diesem G r u n d m u s t e r o d e r überlagern und d o m i n i e r e n es (wie z.B. im ostasiatischen Buddhismus). D e m e n t s p r e c h e n d ist auch der Kult mit seinen rituellen Funktionen Abbild dieses G r u n d m u s t e r s und seiner k o n t e x tuellen Besonderheiten: Die Suche der Isis nach dem Leichnam des Osiris f a n d in hellenistischer Zeit in den „Isismysterien" (—•Mysterienreligionen) ihren sichtbaren Ausd r u c k ; aus dem D e m e t e r - M y t h o s entwickelten sich das Frauenfest der Thesmophoria und die Katagoge, bei der die M ä n n e r die aus der Unterwelt befreite Kore rituell heimf ü h r t e n ; die shintoistische Sonnengöttin A m a t e r a s u wird noch i m m e r bei der T h r o n besteigung des japanischen Kaisers und in zahlreichen Festen als Schutzgöttin J a p a n s verehrt; die hinduistische G ö t t i n LaksmT gilt jedem Inder als Vorbild der E h e f r a u und M u t t e r , die G ö t t i n KälT hingegen als ambivalente Personifikation von G e b u r t u n d Tod. Dabei sprechen sowohl der Ritus als auch der Kult Frauen und M ä n n e r gleicherweise an. In diesem Sinne sind wahrscheinlich auch die in Asien und E u r o p a entdeckten figurinen archaischen Bildnisse weiblicher Gottheiten zu beurteilen: W i e u n d in welcher Weise sie verehrt w u r d e n , hing vom regionalen Kontext bzw. der „archäologischen P r o v e n i e n z " (James J. Preston, Art. Goddess Worship: EncRel [E] 6 [1987] 36) ab. Die F u n k t i o n e n der M u t t e r g o t t h e i t sind ebenso p o l y m o r p h wie ihre Aspekte. D a s scheint im Neolithikum (ca. 1 0 0 0 0 - 4 0 0 0 ) anders zu sein. H i e r werden zum ersten M a l bestimmte F u n k t i o n e n mit der Göttin verbunden: Kosmische K r ä f t e besitzt sie auf G r u n d ihrer Beziehung zum M o n d (die M u t t e r g ö t t i n ist die M o n d g ö t t i n ) , irdische K r ä f t e besitzt sie als H e r r i n der Tiere und Göttin der Vegetation. In letzterem Sinne sind z.B. die Statuetten zu deuten, die J. M e l l a a r t im anatolischen £ a t a l H ü y ü k g e f u n d e n hat. M a n wird hier und an anderen Fundstellen des Vorderen O r i e n t s von sog. Kultkomplexen sprechen k ö n n e n , die sich seit dem N e o l i t h i k u m herausgebildet h a b e n . Sie w e r d e n jeweils durch ihre kulturellen Kontexte und originären T r a d i t i o n e n bestimmt, w o d u r c h sich eigene P h ä n o t y p e n entwickeln k o n n t e n . 2. Phänotypen
der Magna
2.1. Die Fruchtbarkeitsgöttin
Mater des Vorderen
Orients
Die Verehrung der M u t t e r g ö t t i n hatte im Antiken Vorderen O r i e n t zwei geographische Schwerpunkte: Mesopotamien und Ägypten. Sumerische Tontafelji berichten bereits u m 3000 v. Chr. oder f r ü h e r von einer Göttin I n a n n a (Ninanna), die in Uruk als Königin des H i m m e l s (Planet Venus) und der Erde und als Liebesgöttin (—»Liebe) verehrt und h e r n a c h mit der G ö t t i n Istar identifiziert w u r d e . Sie ist zweifellos die wichtigste Göttin im sumerischen P a n t h e o n . In einem O f f e n b a r u n g s t e x t bekennt sie von sich: „ M e i n Vater ( A n / N a n n a ) h a t mir den H i m m e l gegeben: Die H i m m e l s h e r r i n bin ich./ M i ß t sich einer, ein G o t t , mit m i r ? / . . . Die Erde als Sandale (hat er mir) an meinen F u ß gelegt,/ Den leuchtenden G ö t t e r m a n t e l h a t er mir u m g e t a n " (A. Falkenstein/W. v. Soden, Sumerische u. akkadische H y m n e n u. Gebete, Z ü r i c h / S t u t t g a r t 1953, N r . 7). Als G ö t t i n d e r Liebe und der Fruchtbarkeit tritt I n a n n a an der Seite des Gottes D u m u z i auf, der mit ihr die Heilige Hochzeit vollzieht und als sterbende und auferstehende F r u c h t b a r k e i t s g o t t h e i t verehrt wird. M i t I n a n n a werden auch die lokalen M u t t e r g ö t t i n n e n identifiziert. So
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heißt es im Tempel weihegebet eines Sumererfürsten aus Lagasch (um 2050): „Königin, Mutter, die Lagasch gründete, bist Du!/ Hast Du Deinen Blick auf das Volk gerichtet, strömt ihm alsbald Überfluß zu./ Ich habe keine Mutter - Du bist meine Mutter,/Ich habe keinen Vater - Du bist mein Vater!/ Meinen Samen empfingst Du, hast mich im Tempel geboren,/... süß ist Dein reiner Name!" (Walter Beyerlin [Hg.], Religionsgesch. Textbuch zum AT, Göttingen 1975,137). Auch die semitische Istar offenbart sich als „Herrscherin der Liebe" und der Fruchtbarkeit - ein wichtiger Teil ihres Kultes in Uruk bestand in der Tempelprostitution - , aber auch als Kriegsgöttin, die an der Spitze des assyrischen Heeres schritt und ihm zum Sieg verhalf. In Babylonien pries man sie als Mutter aller Dinge und Schicksalsgöttin. In einer Beschwörung, die der Priester der Gottheit vortrug, heißt es: „Du schaust auf den Bedrückten und Mißhandelten und schaffst (ihnen) täglich R e c h t . . . / Hoch erhaben ist Istar" (W. Beyerlin ebd. 134.136). Die mesopotamische Muttergöttin ist von ihrem „Grundmuster" her eine typische Fruchtbarkeitsgottheit, in ihrer kontextuellen Besonderheit und als Phänotyp ist sie Königin des Himmels und Schutzgöttin der Menschen. Sie besitzt außerdem eine partheno-gynaikische Funktion, d.h. sie ist Jungfrau und Mutter zugleich. Beide Aspekte bildeten für den Verehrer der Göttin keine Gegensätze. 2.2. Die Mutter der
Pharaonen
Im Alten Ägypten ist Isis die beherrschende Muttergöttin. Sie präsentiert sich als „Herrscherin jedes Landes" (Siegfried Morenz, Ägyptische Religion: R M 8 [1960] 263), als Göttin der Weisheit und der Magie. Ihr Ursprung ist unbekannt; ihre Hieroglyphe stellt einen Thron dar, der sie als Himmelskönigin ausweist. Als Gattin des Osiris wird sie zum Urbild ehelicher Treue, aber auch zum Inbegriff mütterlicher Liebe. Darstellungen, die sie mit dem Horusknaben zeigen, haben möglicherweise die christlichen Madonnenbilder inspiriert. Eine Aretalogie faßt ihre Prädikate zusammen: „Ich bin I s i s . . . , die Herrscherin der G ö t t e r . . . , die Herrin der Menschen..., die Große an Zauberkraft... Ich bin die Fürstin von Ägypten... Ich bin die Königsmutter, die Mutter des Gottes Horus, die Königsgemahlin, die königliche Schwester..." (Bergman 227). Neben Isis - und in der Spätzeit mit ihr identisch - ist Hathor, die kuhgestaltige Himmelsgöttin, eng mit dem Königshaus verbunden: Sie beschützt das königliche Paar und säugt den Königssohn. Sie beschützt auch die Toten, indem sie sie entgegennimmt, um ihr Leben zu erneuern. Ihre Funktion als Muttergöttin erfüllt sie auch als Baumgottheit, die in einer Sykomore lebt und dem Pharao Schatten und Lebenswasser spendet. Auch die Göttin Nuth verschmilzt mit Isis zur Magna Mater, indem sie aus dem heiligen Baum Leben spendet. Zum Pharao sagt sie: , , . . . ich lasse dich saugen von meiner Milch, damit du lebst und am Leben erhalten wirst, von meinen Brüsten, in denen Freude und Gesundheit i s t . . . " (Ramses Riad Moftah, Die heiligen Bäume im Alten Ägypten, Diss. masch. Göttingen 1959,139). Grundmuster des Kults ist auch hier die Fruchtbarkeit der Magna Mater, während ihr kulturspezifisch die Kräfte der Weisheit, des Zaubers und der Heilung zukommen. 2.3. Der chthonische
Aspekt der
Muttergöttin
Intensiver als die großen Schicksalsgöttinnen Tyche und Fortuna, ihre römische Entsprechung, beeinflußten chthonische Gottheiten die griechische und römische Volksfrömmigkeit. Dabei spielte die Interpretatio Graeca bzw. Romana eine wichtige Rolle: Schon in frühminoischer Zeit (2600-2000) importierte man auf dem Seewege nicht nur Waren aus Ägypten, sondern auch Götter. Zu ihnen gehörten Isis und Osiris, deren Kult in Griechenland eine Hochblüte erlebte, so daß man geradezu von einer „Osirisation" oder „Isidesation" sprechen kann. Isis wurde zur Demeter (Ceres bei den Römern), der Erdgöttin, die man schließlich zur Schutzgöttin der Familie und des Staates erhob. In hellenistischer Zeit kannte die Ausdehnung des Kults und damit der Isis-—»Synkretismus
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keine Grenzen mehr: Händler, Seefahrer, Soldaten und Sklaven verbreiteten die IsisReligion bis an die Rhone, den Rhein und die Donau. Auch die klassische Magna Mater, Kybele, ist eine „importierte Göttin". In ihr kreuzen sich minoisch-mykenische und phrygische Traditionen. Die wilde phrygische Berggöttin wurde bereits im 7. Jh. v. Chr. von den Griechen Kleinasiens übernommen (vgl. Euripides, Bacchantes 58ff [„Mutter Rhea"] u. 127ff). Sie heißt Mt]xt]p schlechthin, öfter mit dem Zusatz Meter Oreia ( = Mutter vom Berg). Homer, Hymn. 14, erwähnt eine Mutter des Zeus, der Hera, des Poseidon, eine ¿tf/TT/p $£ Arkandisziplin gegen Profanierung geschützt. Gibt es dafür Ansatzpunkte bereits im Neuen Testament? 4.1. Taufverständnis und Mysterien. Aussichtsreicher als die Untersuchung einzelner Begriffe wie ocppayÌQ (Siegel) oder (pa>ziC,£iv (erleuchten) scheint es zunächst, die Vorstellung des Mit-Christus-Sterbens und -Auferstehens bei Paulus, zumal in R o m 6 , 1 - 1 1 , als korrigierende Anknüpfung an ein Mysterienverständnis der Taufe zu betrachten, wie das seit der Religionsgeschichtlichen Schule geschieht. Paulus hätte es ins Sittliche (Tod gegenüber der Sünde, Wandel in der Neuheit des Lebens) und Eschatologische (Mitleben V. 8) gewendet. Aber die neuere Forschung legt den Finger darauf, daß die Teilnahme am Mysteriendrama bzw. der rituelle Tod des Initianden niemals als Mitvollzug des Sterbens einer Gottheit erscheint. Paulus greift vielmehr auf einen etwa bei Philon belegten übertragenen Gebrauch von Sterben (gegenüber dem Körperlichen) und Leben (für die Seele bzw. für Gott) zurück, der von vornherein sittlich orientiert ist. Bei den meisten Mysterien ist der Einschnitt gegenüber der Vergangenheit nicht so tief, daß diese Metaphorik angebracht wäre. Paulus aber folgert eine tiefgreifende Wandlung beim Gläubigen aus dem Sühnetod Christi (II Kor 5 , 1 4 f ; Gal 2,19ff), und zwar zunächst unabhängig vom Taufritus. Erst in R o m 6 , 4 a spielt das „Mit-Begrabenwerden" wohl darauf an. Schwebt Paulus hier doch eine Mysterientheorie vor, wonach die öpcbpeva (kultischen Handlungen) das Geschick der Gottheit nachahmen (Zeller) ? V. 6,4 b braucht er keine massive, gar von den Mysterien inspirierte Behauptung gegenwärtiger Auferstehung zurechtzubiegen. Diese ist nach neueren Untersuchungen weder den Auferstehungsleugnern in I Kor 15 zu unterschieben noch durch den von R o m abhängigen Kolosser- bzw. Epheserbrief belegt. Nach Firmicus Maternus, err. 22,1 ist ja auch das den Mysten zugesagte Heil noch zukünftig. Daß dieses freilich seinen Grund in der schon erfolgten Rettung des Gottes hat, bietet eine Analogie zu paulinischen Sätzen, die von der Auferweckung Jesu auf die der Christen schließen (I Thess 4,14; 5,10; I Kor
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6,14; 15,20ff; Rom 8,11), gerade weil Osiris seine Wiederbelebung Isis verdankt wie Jesus die seinige der M a c h t des Vaters. Diese Analogie konnte noch stärker wirksam werden, wo der eschatologische Hintergrund zurücktrat. Die Taufe ist zwar strukturell mit den Reinigungsriten der Mysterien zu vergleichen, weil sie eine Abwaschung früherer Schuld bedeutet (I Kor 6,11) und den Zutritt zu einer Gemeinschaft und deren Kultmahl gewährt (Did 9,5; Inst. Ap. 1,66; Justin, apol. 66,1). Jene bewirken — wenn wir von den Taurobolien absehen - aber nicht schon die Wiedergeburt. Dagegen verbindet sich bereits mit dem Taufbad die Gabe des Geistes als Befähigung zu gottgemäßem Leben. Deshalb ist es nicht entscheidend, ob der an sich aus philosophischem Vokabular kommende, aber schon im 1. J h . v.Chr. auf andere Sachverhalte angewandte Begriff naAiyyevEaia (Wiedergeburt) T i t 3,5 (vgl. J o h 3,5; Justin, apol. 6 1 , 3 - 1 0 ; 66,1) der Mysteriensprache entlehnt ist (Dibelius, H N T z.St.) oder nicht (Dey). Wenn I Petr 1,3 (vgl. V. 23) sagt, daß Gott uns „nach seinem großen Erbarmen zu lebendiger Hoffnung wiedergeboren hat durch die Auferstehung Jesu Christi von den T o t e n " , so ist existentiell das renatus des Isis-, Mithras- und Kybelekultes (vgl. noch Salustios, de diis 4,10 (baitep dvayevvcoßevcov) vergleichbar. Das Isisbuch des Apuleius zeigt, daß nach verwirktem Leben gnädig ein Neuanfang gewährt wird, nur daß dieser für den Christen eschatologische Dimension hat. Traditionsgeschichtlich liegt allerdings JosAs 8,10; 15,5 näher, wo der jüdische Schöpfergott die zum Judentum Stoßenden wiedererneuern und wiederlebendigmachen muß (vgl. auch Ps-Philo, De Iona 46). Auch I Petr nennt ja ausdrücklich Gott bzw. sein Wort als Urheber des neuen Lebens. Die Taufe gibt im Unterschied zu den vorbereitenden Akten der Mysterienweihe schon Anteil am Ganzen des Heils und der Christusgeschichte mit ihren existentiellen Folgen. Dabei spielt das Miterleben des Geschicks der Gottheit — R o m 6 , 4 a einmal ausgeklammert - keine Rolle. Wie die Weihen begründet sie eine bleibende Beziehung zur Gottheit, die Gal 3,27 mit „Christus-Anziehen" ausgedrückt wird. In dieser seltenen Koppelung des an sich oft bildhaft verwendeten Verbs mit einem personalen Objekt hat man die Spur eines Mysterienbrauchs (vor allem Apuleius, met. 11,24) sehen wollen. Aber Gal 3 intendiert keine Vergottung, sondern eine Neubestimmung der Existenz. Die Kleidmetapher kann das vielleicht deshalb symbolisieren, weil in der Antike Priester und Verehrer oft Tracht und Insignien ihrer Gottheit trugen (Wedderburn, Baptism 337ff). D a ß die Taufe freilich im Christentum auch als magische Sicherung jenseitigen Lebens mißbraucht werden konnte, zeigt ihre stellvertretende Übernahme für die Toten I Kor 15,29, für die man schon immer die Versprechen der Orpheotelesten (Piaton, rep. 3 6 4 e / 3 6 5 a ) zum Vergleich herangezogen hat. Freilich beziehen sich dort die „Reinigungen . . . für die Verstorbenen" wohl sinngemäß auf die eigene Vorsorge fürs Jenseits. Ebenso findet die aufkommende Kindertaufe in der in der Spätantike immer beliebteren Einweihung von kleinen Kindern - vor allem im Bacchuskult - ihre Parallele. 4.2. Eucharistie und Mysterienmähler. Essen und Trinken kann bei den Mysterien seinen Ort kurz vor (Kykeon in Eleusis) oder während der Einweihung (Demosthenes, cor. 259; Korybanthenweihe in Erythrai; Kybele; Mithras nach einem Fresko in St. M a r i a Capua Vetere 13 ) haben, sie abschließen (6. und 7. Grad der Mithrasmysterien) oder im Rahmen eines wiederholten Opfer- und Gemeinschaftsmahls der Eingeweihten stattfinden. Nur diese letzteren Mähler sind der Eucharistie analog. Sie enthält zwar keinen Opferritus, aber auch die Danksagung über Brot und Wein konnte allmählich als Opfer gewertet werden (Justin, dial. 41,1 ff; 117,2 f), was spiritualisierenden Tendenzen — etwa bei den Orphikern — und möglicherweise der Praxis des Mithraskultes entsprach. In zwei Fällen hat das M a h l auch sachlich etwas mit dem von der Gottheit erwirkten Heil zu tun: Der Dionysosmyste freut sich an ihrer Gabe, dem Wein. In den Mithrasmysterien vergegenwärtigte es das glücklich vollendete Heilsdrama, natürlich nicht den Tod des Kultheros, aber seinen Sieg. Die Speisen geben Anteil am erlösenden Opfer, obwohl es nicht feststeht, daß der Wein das Blut des Urstiers repräsentierte (so Turcan). „Les
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mithriastes ne m a n g e n t pas le dieu . . . , mais avec le dieu" [Die M i t h r a s a n h ä n g e r essen nicht den G o t t . . . , sondern mit d e m G o t t ] ( T u r c a n , Le sacrifice 3 5 5 f ) . D o c h gibt es nicht auch ein Vorbild für den G e n u ß von Leib und B l u t der G o t t h e i t ? D a f ü r k ä m e nur die O m o p h a g i e der M ä n a d e n in Frage, die glaubten, „ m i t d e m blutigen Fleisch den G o t t substantiell in sich a u f z u n e h m e n " ( K l a u c k 111). Allerdings ist diese Auffassung umstritten. Später k o n n t e m a n den kultischen Verzehr von r o h e m Fleisch nur als ôeïyfia (Darstellung) dieses schon mythischen G e s c h e h e n s verstehen (Scholion zu C l e m e n s A l e x . [Stählin 3 1 8 , 5 - 7 ] ) . W o der B r a u c h mit dem M y t h o s des Z a g r e u s in Verbindung g e b r a c h t wird, k a n n er dessen Z e r t e i l u n g ohnehin nur „ n a c h a h m e n " oder „ i n Erinnerung r u f e n " (s. 2 . 3 . , bes. F i r m i c u s M a t e r n u s err. 6,5 crudeles epulas annuis commemorationibus excitantes). M i t diesen Kategorien scheint man in der ausgehenden A n t i k e den Bezug der z . T . barbarischen R i t e n zum M y t h o s hergestellt zu h a b e n : vgl. P s - L u k i a n , Syr. D e a 6 pvrjßrjv zov nà&ovç ( G e d ä c h t n i s des Leidens); P l u t a r c h , M o r 3 5 7 F önöfivrißa TOÓ Tiepi 'Oaipiôoç xàSouç ( D e n k m a l des Leidens des O s i r i s ) , vgl. 4 1 7 E ; Arnobius, nat. 5 . 1 6 in memoriam luctus (zum G e d ä c h t n i s der Trauer); 5 , 3 9 memorant ... similitudinem refert ... memoriam. B e z w e c k t auch der in der hellenistischen G e m e i n d e Antiochiens zum A b e n d m a h l s b e r i c h t h i n z u g e k o m m e n e A n a m n e s e b e f e h l (I K o r 1 1 , 2 4 f; L k 2 2 , 1 9 ; J u s t i n , apol. 6 6 , 3 ) eine derartige Interpretation der D e u t e w o r t e ? M e i s t versteht m a n ihn allerdings v o m P a s s a - G e d ä c h t n i s her, w o j e d o c h der personale Bezug fehlt. H i e r bieten sich zunächst eher die hellenistisch-römischen G e d e n k f e i e r n für die T o t e n als A n a l o g o n an, die auch die F o r m e l „zu m e i n e m G e d ä c h t n i s " o . ä . k e n n e n ( K l a u c k 8 3 - 8 6 ) . D a hier a b e r der G e b u r t s t a g des Verstorbenen begangen w i r d , ist zu e r w ä g e n , o b für das „ G e d ä c h t n i s des L e i d e n s " (so ausdrücklich J u s t i n , dial. 4 1 , 4 ; vgl. 7 0 , 4 ; 117,3) nicht doch eher M y s t e r i e n t h e o r i e Pate stand. D a s Essen und T r i n k e n , durch das m a n den „ T o d des H e r r n v e r k ü n d e t " (I K o r 1 1 , 2 6 ) , b e k o m m t etwas von e i n e m ôpcb/ievov, o b nun an begleitende W o r t e zu denken ist oder nicht, zumal die „ V e r k ü n d i g u n g " im geschlossenen R a u m bleibt. Selbst N o c k 101 f gesteht zu: „ D i e E u c h a r i s t i e , b e t r a c h t e t als Aktualisierung eines H e i l s d r a m a s , liegt a u f der Linie der M y s t e r i e n ihrer Z e i t , die die Leiden und den T r i u m p h eines G o t t e s zeigen w o l l t e n , an welchen seine Verehrer mitfühlend Anteil n a h m e n . " E r k o n s t a t i e r t eine nicht auf A b h ä n g i g k e i t beruhende tiefreichende Konvergenz, wenn auch bei dieser Sicht der M y s t e r i e n eher d r a m a t i s c h e R i t e n denn K u l t m ä h l e r im Blick stehen. 4.3. Mysterienfrömmigkeit bei christlichen Sekten? Weil der Verfasser des Kol so auffällig der „Philosophie" der Gegner das christliche, allerdings heilsgeschichtlich konzipierte Mysterium gegenüberstellt, kann man fragen, ob diese nicht selbst mysterienhaft verbrämt war, etwa die Beschneidung als Einweihung in geheime Weisheit empfahl. Da aber die neuere Exegese den jüdischen Einschlag der Häresie erkannt hat, bleibt als Anhaltspunkt dafür nur das auch in seiner syntaktischen Beziehung rätselhafte ¿ßßazevav Kol 2,18, das im nahen Klaros den Eintritt ins Heiligtum zum Orakelempfang nach voraufgegangener Einweihung bezeichnet. Wenn nicht zu übersetzen ist „was er geschaut hat, erforschend", sind Visionen angezielt, die man beim Anschluß an die Sekte - als Überschreiten einer Schwelle gefaßt - oder beim Betreten des himmlischen Heiligtums hatte. Schluß: Im Bereich des N e u e n T e s t a m e n t s lassen sich k a u m E n t l e h n u n g e n aus den M y s t e r i e n k u l t e n n a c h w e i s e n . M ö g l i c h schien nur in R o m 6 , 4 a und I K o r l l , 2 4 f f B e nutzung von M y s t e r i e n t h e o r i e . D i e M y s t e r i e n beleuchten lediglich die H e i l s e r w a r t u n g weiter Kreise und das Bedürfnis nach einer persönlichen R e l i g i o n , in der das m e n s c h l i c h e Dasein mit seinen H ö h e n und T i e f e n a u f g e h o b e n ist. Anmerkungen 1
2 3
Nilsson, Mysteries 1 3 3 - 1 3 8 zu einer Inschrift aus Smyrna; anders Arthur Darby Nock, Essays on Religion and the Ancient World, Cambridge/Mass. 1972, 848. Turcan, Les cultes 55 ff hält sie in der Urform für eine Art Priesterweihe der Archigallen. Vgl. Robert Turcan, Les religions orientales en Gaule narbonnaise et dans la vallée du Rhône: ANRW II 18,1 (1989) 4 5 6 - 5 1 8 , 494f.
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Die Graffiti sind erst im 2. J h . n . C h r . e n t s t a n d e n ; vgl. H e i k k i Solin, Sui graffiti del s a n t u a r i o isiaco s o t t o S. Sabina: La soteriologia 1 3 2 - 1 3 8 ; Rita Volpe, I graffiti isiaci nell'area di S. Sabina a R o m a : ebd. 1 4 5 - 1 5 5 . s Per Beskow, T h e R o u t e s of Early M i t h r a i s m : Etudes 7 - 1 8 . ' 6 Vgl. Ugo Bianchi, T h e Religio-historical Q u e s t i o n of the Mysteries of M i t h r a : Mysteria M i t h r a e 52 zu Texten aus St. Prisca. 7 Vgl. G e r a r d Mussies, Cascelia's p r a y e r : La soteriologia 1 5 6 - 1 6 7 , 157f. 8 Vgl. Giulia Sfameni G a s p a r r o , II m i t r a i s m o n e l l ' a m b i t o della f e n o m e n o l o g i a mistérica: Mysteria M i t h r a e 2 9 9 - 3 0 9 ; dies., Riflessioni ulteriori su M i t h r a dio ,místico': ebd. 3 9 7 - 4 0 8 . ' Vgl. im einzelnen Börner; d a z u ders., Isis u n d Osiris in der Welt der Sklaven: G y m . 96 (1989) 97-109. 10 D a s sog. „ T a u f r e l i e f " m u ß allerdings als Teil einer O p f e r s z e n e gedeutet w e r d e n : Erika Simon, Z u m Bruchstück eines Weihreliefs: M D A I . A 69/70 (1954/55) 4 5 - 4 8 . 11 Inschriften aus griechischen Städten Kleinasiens, hg. v. H e l m u t E n g e l m a n n / R e i n h o l d M e r k e l bach, Bonn 1973, 2 , 2 0 6 , 6 - 1 0 12 In d e n drei letzten Punkten ist der Art. ->Initiation/Initiationsriten: T R E 1 6 , 1 5 6 - 1 6 2 , 159 zu korrigieren. 13 D a r a u f bezieht J.P. Kane, T h e M i t h r a i c Cult M e a l in its Greek and R o m a n E n v i r o n m e n t : Mithraic Studies 3 1 3 - 3 5 1 , 320f Justin, apol. 66,4, eventuell auch Tertullian, praesc. 40, w e n n oblatio nicht ein O p f e r für die G ö t t e r meint; so R . L . G o r d o n , F r a n z C u m o n t and the Doctrines of M i t h r a i s m , ebd. 2 1 5 - 2 4 8 , 235. 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Mysterienspiele 1. Voraussetzungen 2 . Liturgisches Spiel 3. Volkssprachliches Schauspiel 4 . Frankreich und die französischsprachigen burgundischen Niederlande 5. Deutschland und die niederländischsprachigen Niederlande 6. England 7 . Italien 8. Spanien 9. D a s geistliche Spiel seit der R e f o r m a t i o n (Literatur S. 533)
1.
Voraussetzungen
Die Haltung der frühen Kirche zum Schauspiel war durchweg ablehnend. Heidnische Tempel, jüdische Synagogen und das Theater waren den Christen gleichermaßen verboten (vgl. Apostolische —» Konstitutionen II 62), und —»Tertullian wertet in De Spectaculis Darstellungen, wie man sie im Theater zu gewärtigen hat, strikt als unsittlich und betörend. Solche theologischen Vorbehalte gegenüber der Mimesis, die sich für uns mit dem Begriff des Schauspiels verbindet, sind im Verlauf des Mittelalters nicht völlig geschwunden, doch trat weithin ein Einstellungswandel ein, als im 14. und 15. Jh. volkssprachliche Spiele über das Leben von Heiligen und biblische Themen, insbesondere die Passion, allenthalben in Europa außerordentlich beliebt wurden. Eine Voraussetzung dafür war das Wirksamwerden einer Reihe theologischer Motive. Dazu gehört die von —»Anselm von Canterbury mit Cur deus homo und von —»Bernhard von Clairvaux wachgerufene Neigung, Christus als Heiland in betont menschlichen Zügen zu sehen. Wichtig war auch, daß -»Hugo von St. Viktor sich befürwortend über die Heilsamkeit der Erholung unter Einschluß des Theaters ausgesprochen und —»Thomas von Aquino die Notwendigkeit erholsamer Entspannung des Geistes betont hatte. Ein weiterer Anstoß ging von den Bettelorden, vor allem den —»Franziskanern aus, die der Einbildungskraft einen hohen Stellenwert für die lebendige Frömmigkeit zumaßen und sogar behaupteten, daß die Erlösung auf einer durch sie sich vollziehenden Identifikation mit dem Leiden Christi beruhe. Ebenfalls wirksam war die franziskanische Ikonographie (vgl. die früher -»Bonaventura zugeschriebenen Meditationes vitae Christi). 2. Liturgisches
Spiel
Die liturgischen Spiele, im Wechselgesang gestaltete szenische Handlungen im Rahmen der Liturgie, die unzutreffend als Vorstufe des volkssprachlichen Spiels angesehen worden sind, lassen sich nur schwer von lediglich dramenartigen liturgischen Handlungen unterscheiden. Wie die Tropen hat man sie mit dem Bestreben in Verbindung gebracht, nach der Zurückdrängung der breit ausgeführten altgallischen Liturgie zur Zeit —»Karls d. Gr. deren Neigung zu dramatischer Gestaltung zu bewahren. Die früheste szenische Handlung dieser Art, die den älteren Tropus Quem quaeritis in sich aufgenommen hat, begegnet gegen 890 in England in der Regularis concordia. Danach sollten am Ostermorgen drei als die Frauen am Grab Jesu verkleidete Mönche einem anderen Bruder gegenübertreten, der den Engel der Auferstehungsbotschaft darstellte. Diese hier in ihrer Grundform vorliegende Visitatio sepulchri begegnet in der Folge auch in weiter ausgestalteten Fassungen. Deren ausführlichste schließt die Klage der Maria Magdalena, ihre Begegnung mit Christus, den sie für den Gärtner hält, und den Wettlauf der zwei Jünger zum Grab ein. Liturgische Oster- und Weihnachtsspiele, darunter viele mit Notation versehene, sind aus dem gesamten europäischen Raum einschließlich Skandinaviens und der katholischen Länder Osteuropas erhalten. Bis zur —»Reformation und dem —»Tridentinum gehörten sie als Ausdrucksmittel der Vergegenwärtigung zentraler Begebenheiten der Heilsgeschichte zur gottesdienstlichen Praxis. Einfache liturgische Spiele wurden während des ganzen Mittelalters dargeboten. Doch im 12. Jh. begannen sich in einzelnen Klöstern und Domkirchen, zumal in Deutschland und Frankreich, wesentlich ausgestaltetere Formen heranzubilden, so etwa der Ludus paschalis aus Origny-sur-Loire und der Benediktbeuerner Zyklus von Weihnachtsund Osterspielen. Auch alttestamentliche Stoffe fanden Eingang in das lateinische Ii-
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turgische Spiel, so im Spiel von Daniel aus Beauvais. Desgleichen begegnen in Frankreich (Textbuch von Fleury) und Deutschland (Text aus Hildesheim) die Wunder des -»Nikolaus von Myra. In einer Reihe dieser Spiele finden sich volkssprachliche Sätze oder ganze Szenen. Der Sponsus aus St. Martial in Limoges aus der Zeit um 1100, der das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen dramatisch gestaltet, bietet einen zu einem Drittel frankoprovençalischen und zu zwei Dritteln lateinischen Text. Das nach Text wie Musik eigenständigste liturgische Spiel ist der rein lateinische Ordo virtutum von —»Hildegard von Bingen, der die auf die Psychomachia des —»Prudentius zurückgehende mittelalterliche Allegorie von den Tugenden und Lastern verarbeitet. Der -»Teufel als Vertreter des Bösen kann darin nicht singen, sondern schreit als Ausdruck dafür, daß er nicht im Einklang mit der Ordnung steht, die man seit —»Boethius der geschaffenen Welt innewohnen sieht. 3. Volkssprachliches
Schauspiel
Das erste gesprochene volkssprachliche Schauspiel, der anglonormannische Jeu d'Adam aus dem späten 12. J h . , bezieht zwar gesungene lateinische Lektionen und Responsorien ein, doch weisen ausführliche lateinische Didaskalien auf eine Aufführung außerhalb des Gottesdienstes und des Kirchenraumes. Gleichfalls aus dem 12. J h . stammen die gänzlich volkssprachliche anglonormannische Seinte resurrection und der kastilische Auto de los reyes magos. Im 13. J h . fand das volkssprachliche religiöse Schauspiel weite Verbreitung, und in Italien trat eine neue Form in Erscheinung, die dramatische laude, die aus dem Gesang der Geißlerbruderschaften (disciplinati; —»Geißler) erwuchs. Ungeachtet dessen, daß auch das Lateinische weiterhin noch einen Platz behauptet, bestimmt seit dem 14. J h . das von Land zu Land unterschiedlich sich entfaltende volkssprachliche Schauspiel das geistliche Theater in Europa. 4. Frankreich
und die französischsprachigen
burgundischen
Niederlande
Der französische Sprachraum hat die größte Anzahl von geistlichen Spielen, Spiele mit Stoffen aus der Bibel ebenso wie Mirakelspiele über Heiligenleben oder -legenden, hervorgebracht, und es gibt zahlreiche Nachrichten über Aufführungen insbesondere aus dem Pariser Gebiet sowie aus Savoyen und der Dauphiné. Mirakelspiele konnten zu Ehren des Schutzheiligen einer Zunft oder Stadt wie auch der Heiligen verfaßt werden, von denen man wirksamen Beistand gegen die Pest und anderes Unheil erwartete. Selbst zeitgenössische Heilige wurden durch solche Spiele geehrt, und im Siège d'Orléans erscheint die erst im 20. J h . heiliggesprochene —»Johanna von Orléans als Heilige. Mehr als vierzig zumeist für die Pariser Goldschmiedezunft verfaßte Mirakelspiele gelten der Jungfrau —»Maria. In vielen der biblischen Stücke spielt sie gleichfalls eine bedeutende Rolle. Dabei begegnen auch Themen wie die Unbefleckte Empfängnis, die Kindheit Mariens und ihre Vermählung mit Joseph, die letztlich auf die neutestamentlichen -»Apokryphen zurückgehen. Im Mittelpunkt der in der Regel Passions genannten biblischen Spiele steht das Leben Jesu, zuweilen mit alttestamentlichen Präfigurationen, während Verarbeitungen alttestamentlicher Stoffe für sich erst im 16. J h . Verbreitung fanden. Die Beliebtheit der Passionsspiele in Nordfrankreich und den Niederlanden findet ihren Niederschlag in zahlreichen Vermerken über Aufführungen in städtischen Aufzeichnungen nach dem Ende des Hundertjährigen Krieges und in einer großen Anzahl früher Handschriften und Frühdrucke der zehn- bis fünfzigtausend Zeilen ausmachenden Grundtexte der Spiele von Arnoul Greban und Jean Michel, in denen sich Predigten, Klagen und Bußbekundungen mit lebensvollen Zügen des zeitgenössischen Umfeldes (z. B. in der Aufmachung Maria Magdalenas), Schilderungen des unflätigen Humors der Folterknechte und ihrer Gewalttätigkeit und Auftritte des Teufels verbinden. M a n c h e Spiele setzen besondere Schwerpunkte: das Auvergneser Spiel ist ausgeprägt marianisch, während die Passion von Semur aus Burgund auf die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Synagoge
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abhebt, den Streit zwischen Neuem und Altem Gesetz, wobei das letzte durch ins Lächerliche verzerrte Szenen aus dem jüdischen Ritual, aber auch durch ernsthafte, sowohl Mose als auch Christus in den Mund gelegte Predigten über die Zehn Gebote dargestellt wird. Die zahlende Zuschauerschaft dieser Schauspiele bestand aus Stadtbewohnern, Angehörigen des Adels und kirchlichen Würdenträgern; die Aussicht auf einfallsreiche dramatische Kunstmittel und besondere Effekte, gute Dichtkunst und Musik, Erhebung und Erheiterung lockte zudem Besucherströme aus anderen Städten an. 5. Deutschland
und die niederländischsprachigen
Niederlande
Nach Verbreitung, Vielfalt und Zahl der überlieferten Texte nimmt das deutsche geistliche Spiel die zweite Stelle nach dem französischen ein. Mirakelspiele sind nur wenige erhalten, dagegen viele Oster-, Passions- und Fronleichnamsspiele vor allem aus dem Rheinland, aus Hessen und aus Tirol. Kennzeichnend für viele deutsche Spiele ist eine zweisprachige Abfassung, wobei jedes Dialogelement zunächst lateinisch gesungen und dann deutsch gesprochen wird. Die lateinischen Texte beruhen zumeist auf der Bibel, einige auch auf der Liturgie. Aber auch die rein volkssprachlichen Spiele zeigen diese bestimmende Bindung an die biblischen Quellen mit wenig Raum für zeitgenössische Wirklichkeitsbezüge und Komik. Eine Folge dieser Haltung ist die Betonung einer negativen Rolle der Juden, die entsprechend johanneischer Tradition in der Regel das Widerstreben gegen den Erlöser verkörpern. Der häufige Einsatz der Schola Iudaeorum, des Chors der Juden, bildet einen kennzeichnenden Unterschied zu den französischen Spielen, in denen die Gestalten stärker individualisiert und gute wie schlechte Juden gleichermaßen vertreten sind (so etwa Jäirus als Anführer der bons juifs im Gegenüber zu Kaiphas und den Pharisäern in Michels Passion). Diese formalisierte dramatische Umsetzung der Bibel wird in vielen Spielen zudem noch unterstrichen durch die Einführung eines die Handlung exegetisch (und zuweilen auch typologisch) erläuternden Erklärers, häufig des hl. -> Augustinus. Eine Besonderheit des Heidelberger Passionsspiels ist es, daß in den neutestamentlichen Handlungsablauf alttestamentliche Gestalten eingefügt sind wie die lebenden Bilder im modernen Oberammergauer Passionsspiel. Die volkssprachlichen deutschen Spiele wurden in der Regel von Bürgern, und zwar ausschließlich Männern, auf Plätzen oder in einer Art von Prozession in den Straßen oder in Kirchen aufgeführt. Das Luzerner Osterspiel, das gattungsmäßig ein Passionsspiel ist, wurde in relativ regelmäßigen Abständen bis ins 17. Jh. aufgeführt, und im Oberammergauer Passionsspiel lebt die Tradition des geistlichen Spiels bis in die Gegenwart fort. Wahrscheinlich unter dem Einfluß des deutschen Spiels entstanden auch in anderen katholischen Ländern Mittel- und Osteuropas, insbesondere in Polen, Ungarn und Böhmen, volkssprachliche Passionsspiele, und wie in Deutschland und Österreich erfreuten sie sich auch hier mehrere Jahrhunderte hindurch großer Beliebtheit. Eine Sonderstellung nimmt unter den deutschen Spielen der niederdeutsche Sündenfall von Arnold Immessen ein. In eher französischer Weise gestaltet er die alttestamentlichen Motive reich aus und ist gleichfalls stark marianisch ausgerichtet. So gut wie sicher hat er das bedeutendste erhaltene niederländische Passionsspiel, Die sieben Freuden Mariens, beeinflußt, von dem allerdings nur noch die Eerste und die Sevenste Bliscap vorliegen. Jeweils eine dieser Bliscappen wurde als Teil der einen ommeganc (Umzug) einschließenden jährlichen Brüsseler Feierlichkeiten zu Ehren Unserer Lieben Frau aufgeführt. Ähnliche Verbindungen von Prozession und dramatischer Darstellung begegnen in Lille und Florenz. Wie viele der niederländischen Spiele waren die Bliscappen mit der Rederijkerskamer (Rhetorikkammer) verbunden, deren Mitglieder, ähnlich wie die allerdings nicht so bedeutenden französischen literarischen Vereinigungen der Puys, in den niederländischsprachigen Niederlanden Aufführungen und Wettbewerbe ausrichteten. Ein spezifischer Zug der niederländischen Spiele ist das Vorkommen von sinnekins, teuflischen Versuchern der Menschheit, in zahlreichen Stücken biblischen Inhalts und
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Moralitäten. Im 16. Jh. schritt die spanische Herrschaft in den Gebieten, in denen die Reformation besonderen Anklang fand, zunehmend gegen die geistlichen Spiele ein, und in Städten wie etwa Lille wurden ihre Aufführungen als häresieverdächtig verboten. Das bekannteste mittelalterliche niederländische Spiel ist der Elckerlijc, auf dem auch der englische Everyman beruht. Darin liegt der Schwerpunkt auf der Vorwegnahme des Jüngsten Gerichtes, dem sich jeder einzelne am Ende seines Lebens zu stellen hat. Die Begegnung des Menschen mit dem Tod erinnert dabei an die Darstellungen des Totentanzes in der bildenden Kunst. 6.
England
Der englische Everyman aus dem frühen 16. Jh. wird auf dem Titelblatt als „nach Art eines moralischen Spiels" beschrieben. Texte englischer Moralitäten des 15. Jh. - etwa Mankind oder The Castle of Perseverance, dessen Aufbaustruktur dem Doppelaspekt von Fall und Erlösung entspricht - sind indessen selten. Die Gattung scheint überhaupt in England weniger bedeutend gewesen zu sein als Heiligenspiele und Bibeldramen. Überlieferten Berichten zufolge erfreuten sich Mirakelspiele vom 12. Jh. bis zur Reformation großer Beliebtheit, doch nur zwei mittelenglische Texte sind erhalten, beide in der Digby-Handschrift; außerdem ist noch ein kornisches Stück über den Regionalheiligen Meriasek überliefert. Die Mary Magdalene der Digby-Handschrift verarbeitet wie die französische Marie Madeleine neben biblischen auch außerbiblische Stoffe; sie setzt in ihrem zweiten Teil die legendenhafte Überlieferung vom Leben der Heiligen nach der Auferstehung Christi in Szene und stellt sie als Muster des kontemplativen Lebens dar. Das Play ofthe Sacrament ist ein Mirakelspiel über einen Juden und dessen Volksangehörige, die eine konsekrierte —»Hostie zu schänden versuchen, indem sie ihr an fünf Stellen Wunden zufügen. Am Ende des Spiels, das so spektakuläre Effekte enthält wie das Erscheinen Christi aus einem Backofen, in den die Hostie geworfen worden war, werden die Juden bekehrt. Der hier sich geltend machende -»Antisemitismus verwundert insofern, als die Juden 1290 aus England (und sechzehn Jahre später auch aus Frankreich) vertrieben worden waren. Die Feindseligkeit gilt offenbar nicht den Juden als Volk, sondern dem einzelnen Juden, der sich der Eingliederung in die Gemeinschaft der Gottesstadt verweigert. Dagegen wird in der französischen Sainte Hostie der Jude als Bösewicht dargestellt, den seine Frau und sein Sohn aus Entsetzen den Behörden verraten und der dann hingerichtet wird. In England gehörten zum Bibeldrama die großen städtischen Zyklen. In York, ehester und möglicherweise auch in Coventry umfaßten die nahezu Jahr für Jahr zu Fronleichnam oder Pfingsten auf Wagenbühnen vorgeführten Spiele die gesamte Heilsgeschichte von der Schöpfung über Pfingsten bis zum Ende der Zeiten. Anders als in kontinentaleuropäischen Zyklen wurde hier das Jüngste Gericht einbezogen und nach M t 25 in Szene gesetzt, wobei sich die Gelegenheit bot, auf die sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit als Voraussetzung der Bewahrung im Endgericht abzuheben. Doch wurden beim englischen Bibeldrama häufig auch feste Bühnen verwendet. Wohl erforderlich waren sie für die Spiele der Towneley-Handschrift, als deren Heimat man früher Wakefield (West Riding, Yorkshire) angesehen hat. Der sog. Wakefield Master, in dessen Secunda Pastorum der Geburt des Christuskindes, das als das Lamm Gottes offenbar gemacht werden soll, wirklichkeitsgetreu dargestellte englische Schafhirten gegenübergestellt werden, gilt als theologisch hintergründiger und befähigter Dramatiker. Ein anderer Kreis von Spielen, der N-town-Zyklus, ist eine nach East Anglia weisende Auswahlsammlung. Seine dramatische Verarbeitung einzelner Episoden, darunter der Empfängnis und des frühen Lebens der Jungfrau Maria, ist im mittelalterlichen englischen Drama einmalig. Desgleichen enthält der Zyklus zwei kunstvoll durchgestaltete Folgen von Passionsspielszenen. In kornischer Sprache sind ebenfalls Zyklen von Bibeldramen erhalten, die zur Aufführung auf einer vom Publikum umgebenen Bühne gedacht waren.
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7. Italien Das aus der laude der disciplinati (-»Geißler) des 13. Jh. erwachsende volkssprachliche Schauspiel Italiens hat häufig eine Beziehung zum -»Kirchenjahr bewahrt, so etwa in der Folge von sacre rappresentazioni aus Orvieto oder Siena, während die für gewöhnlich von Knabengruppen aufgeführten Florentinischen Spiele sich mit Motiven befaßten, die der Jugend der Darsteller gemäß waren, etwa Joseph, Isaak und Ismael oder dem verlorenen Sohn. Größeren Umfang hatte das Passionsspiel, das in Rom jährlich am Karfreitag von „allit rijcher lude kinder", wie 1497 der Pilger Arnold von Harff notiert hat, zur Aufführung gebracht wurde. Der Text und Einzelheiten aus der Inszenierung dieses Stückes sind überliefert. In vielen Städten fanden anläßlich örtlicher Festtage, etwa der jährlichen Feier des Florentinischen Stadtheiligen —»Johannes des Täufers, Prozessionen statt, bei denen der Aufzug von berittenen Gestalten und Festwagen in bestimmten Abständen anhielt, um Spiele aufzuführen (vgl. die Spiele der englischen Zyklen von York und Chester). Kunstvoller ausgebildete Schauspiele wurden, vornehmlich in Florenz, von führenden Künstlern wie etwa Brunelleschi in Kirchen gestaltet. Der 1439 am Konzil von Florenz (-»Basel-Ferrara-Florenz) teilnehmende russische Bischof Avraamij von Suzdal hat in seinem Reisetagebuch solche Aufführungen eingehend beschrieben. Sowohl Prozessions- als auch abgekürzte Spiele wurden auch das 16. Jh. hindurch noch aufgeführt (und gedruckt). In Italien ist das geistliche Schauspiel unmittelbar aus dem Mittelalter in die Gegenreformation übergegangen. 8. Spanien Infolge des langsamen Fortgangs der Reconquista hat das christliche Drama, das liturgische wie das volkssprachliche Spiel, Spanien nur spät und gebietsweise erreicht. Katalonien war das erste von der maurischen Herrschaft zurückgewonnene Gebiet. Es wurde kirchlich dem Erzbistum Narbonne unterstellt und bildete in der Zeit vom 11. bis zum 13. Jh. eine breite Vielfalt liturgischer Spiele aus. Zentren waren dabei Ripoll, Gerona und die Kathedrale von Palma de Mallorca. Eine Besonderheit des liturgischen Spiels auf der iberischen Halbinsel war die Sequenz von der Sybille und den fünfzehn Zeichen des Jüngsten Gerichts, die lateinisch und in der Volkssprache als Teil der Feierlichkeiten zum Heiligen Abend vorgetragen wurde. Später kam es in Katalonien zur Ausbildung von Bibel- und Heiligenspielen. Über zahlreiche Aufführungen solcher Spiele in Kirchen oder Kathedralen, oft auf besonderen Gerüsten, liegen Nachrichten vor. Besonders beliebt waren Mariae-Himmelfahrtsspiele (-»Maria), bei denen eine Hebebühne {ara cell) eingesetzt wurde. In Elche ist die Aufführung eines solchen Spiels bis heute geübter Brauch. Die baulichen Einrichtungen für die ara celi wurden hier bei einem Neubau der Kirche nach einem Brand im 18. Jh. beibehalten. Aus dem übrigen Spanien fehlen so gut wie alle Nachrichten bis ins 15. Jh. Zu dieser Zeit entwickelten sich aus einfachen lebenden Bildern auf Plattformen, die auf den Schultern von Männern in der Fronleichnamsprozession mitgeführt wurden, ausgestaltete dialogische Szenen. Obwohl in Spanien die Kirche in ausgeprägterem Maß als anderwärts die Kontrolle über das Theater in der Hand behielt, kam es im späten 16. und 17. Jh. auch zu einer wachsenden Beteiligung professioneller Dramatiker und Schauspieler an diesen autos sacramentales. 9. Das geistliche
Spiel seit der
Reformation
Das Mariae-Himmelfahrtsspiel von Elche enthält eine Vielfalt bildnerischer und musikalischer Elemente, die seit dem 16. Jh. herangewachsen sind. Im deutschsprachigen Raum ist die Überlieferung des Passions- und Weihnachtsspiels niemals wirklich abgebrochen.
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Mysterienspiele
Das bei weitem bekannteste im 20. Jh. aufgeführte Passionsspiel wird, in der Regel in einem Zehn-Jahres-Rhythmus, von den Einwohnern der bayerischen Gemeinde Oberammergau ausgerichtet. Bis zu einer halben Million Zuschauer besuchen dieses wegen seiner religiös anrührenden Schönheit und seines Reizes als Gemeinschaftsleistung berühmte Spiel. Gerade sein Erfolg hat aber auch zu kritischen Bedenken im Blick auf die heikle Frage seiner Darstellung der Rolle der Juden in der Leidensgeschichte Jesu Anlaß gegeben. 1633 hatten die Oberammergauer gelobt, alle zehn Jahre ein Passionsspiel aufzuführen, wenn Gott der sie heimsuchenden Pestepidemie ein Ende setzte. Der Gemeindechronik zufolge gab es nach diesem Gelöbnis keine Pesttoten mehr. Das daraufhin 1634 aufgeführte (1644 und 1654 wiederholte) Spiel w a r den Berichten nach eine Zusammenarbeitung zweier Augsburger Spiele des 15. und 16. Jh. 1662 wurde der Text für die Aufführung von 1664 überarbeitet. Danach wurde das Passionsspiel von 1680 bis 1760 jedes volle zehnte Jahr ausgerichtet, dabei zuletzt in der von Ferdinand Rosner OSB für die Aufführung von 1750 geschaffenen Neubearbeitung. Widerstände gegen das geistliche Schauspiel während der Aufklärungszeit führten in Bayern zum Verbot von Passionsspielen, das jedoch für Oberammergau 1763 wiederaufgehoben wurde. Nach einer Neubearbeitung durch M a g n u s Knipfelberger, der wie Rosner Benediktiner aus Ettal w a r , wurde das Spiel 1780 und 1790 erneut zugelassen. 1810 wurde die Aufführung zum Volksfest erklärt, und Othmar Weiß erarbeitete eine neue Textfassung, die zahlreiche barocke Elemente fallenließ und sich enger an die Darstellung der Evangelien anschloß. Sie wurde 1811 und in überarbeiteter Form 1815 aufgeführt. Eine weitere Überarbeitung nahm Weiß' Schüler Alois Daisenberger vor, und auf der Textfassung von Weiß/Daisenberger beruht das derzeitige Spiel. Seit 1820 ist es jedes volle zehnte Jahr aufgeführt worden mit Ausnahme einer Verschiebung aus Kriegsgründen von 1870 auf 1871 und infolge sozialer Erschütterungen von 1920 auf 1922 sowie einer kriegsbedingten Aussetzung 1940. Aufführungen zum 300. und 350. Jubiläum fanden 1934 und 1984 statt. Das Oberammergauer Passionsspiel stellt die Gegebenheiten von Jesu Einzug in Jerusalem bis zur Auferstehung dar. Jeder Akt wird von einem Prolog und - mit Ausnahme der Kreuzigung - einem gesungenen Choral sowie ein oder zwei lebenden Bildern vorausweisender alttestamentlicher Ereignisse (-> Typologie) eingeleitet. Entsprechend mittelalterlicher Überlieferung ist die Aufführung mit einer Dauer von durchschnittlich acht Stunden eine Gemeinschaftsleistung mit Amateurdarstellern aus dem Kreis der Ortseinwohner bei einer Besetzung von rund 500 Beteiligten. Der Text des häufig neubearbeiteten Spieles geht zwar nicht unmittelbar auf mittelalterliche Quellen zurück, bietet aber eine überkommene Auffassung von der Rolle der Juden in der Leidensgeschichte, darunter viele, heute von der katholischen Kirche abgelehnte Vorstellungen mit judenfeindlicher Zuspitzung. Die für das Spiel Verantwortlichen sahen sich daher vor das schwierige Problem gestellt, hier bei Wahrung der Überlieferungstreue einem unabweisbaren Bewußtseinswandel Geltung zu verschaffen. Die von Pater Gregor Rümmelein und anderen für die Aufführung von 1980 vorgenommene Textüberarbeitung hat daher zahlreiche Stellen geändert oder gestrichen, in denen eine Verwerfungstheologie zum Ausdruck k a m , und auch darüber hinaus einige von jüdischer wie christlicher Seite als judenfeindlich beanstandete Züge beseitigt. Kritische Stimmen meinen jedoch, daß man bei gleichzeitiger Treue den Evangelien gegenüber in dieser Richtung noch weitergehen könne. So könne das Passionsspiel etwa eine Anschauung von Jesu Einbindung in seine jüdische Herkunfts- und Lebenswelt und von den jüdischen Wurzeln des Christentums vermitteln. Während Spiele wie die von Elche und Oberammergau in einer kontinuierlichen Tradition stehen, ist in Nancy (seit 1910) und York (seit 1951) wie auch anderwärts der Brauch regelmäßiger Veranstaltungen geistlicher Spiele wieder neu ins Leben gerufen worden. In jüngster Zeit ist es besonders in den englischsprachigen Ländern auch zu
Mystik
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beachtlichen, von Universitäten getragenen Aufführungen mittelalterlicher geistlicher Spiele g e k o m m e n . Versuche moderner D r a m a t i k e r , die Tradition des mittelalterlichen Spiels aufzunehmen, waren von unterschiedlichem Erfolg. Die Verarbeitung des Jedermann von H u g o von Hoffmannsthal hat weithin Anerkennung gefunden, und im Mord im Dom von T. S. Eliot, der das E n d e von T h o m a s - » B e c k e t t verarbeitet, verbindet sich die traditionelle F o r m des Heiligenspiels mit zeitgenössischen Zielsetzungen. Literatur Allgemeines: Wilhelm Creizenach, Gesch. des Neueren Dramas, Halle, I 1911. - Clifford Davidson (ed.), The Saint Play in Medieval Europe, Kalamazoo/Mi. 1986. - Ders./John Tailby (ed.), The Staging of Religious Drama in Europe in the Later Middle Ages, Kalamazoo/Mi. 1983. - Peter Meredith, Medieval Drama in Europe: Martin Banham (ed.), The Cambridge Guide to World Theatre, Cambridge 1988, 6 3 0 - 6 5 3 . - Murray Roston, Biblical Drama in England from the Middle Ages to the Present Day, London 1968. - Christine Schnusenberg, The Relationship between the Church and the Theatre, Lanham/Md. 1988. Liturgisches Spiel: C. Clifford Flanigan, The Liturgical Drama and Its Tradition. A Review of Scholarship 1 9 6 5 - 7 5 : Research Opportunities in Renaissance Drama 18 (1975) 8 1 - 1 0 2 ; 19 (1976) 109-136. - Ordo Virtutum of Hildegard v. Bingen: Audrey E. Davidson (ed.), Critical Studies, Kalamazoo/Mi. 1992. - Walther Lipphardt (Hg.),Lat. Osterfeiern u. Osterspiele, 6 Bde., Berlin/New York 1 9 7 5 - 8 9 (Ausg. dt. Lit. des 15. bis 18. Jh. [ 6 1 - 6 6 ] R. Drama 5). - Susan Rankin, The Music of the Medieval Liturgical Drama in France and England, 2 Bde., New York 1989. - Karl Young, The Drama of the Medieval Church, 2 Bde., Oxford 1933. Frankreich: Maurice Accarie, Le théâtre sacré de la fin du moyen âge, Genf 1979. — Lynette R. Muir, Liturgy and Drama in the Anglo-Norman Adam, Oxford 1973. - Louis Petit de Julleville, Histoire du théâtre en France. Les Mystères, 2 Bde., Paris 1880 = 2 1969. Deutschland und Niederlande: Rolf Bergmann, Art. Spiele, ma. geistliche: RDL 2 4 (1979) 64—100. — Ders., Katalog der deutschsprachigen geistlichen Spiele u. Marienklagen des MA, München 1986. — David Brett-Evans, Von Hrsovit bis Folz u. Gengenbach: Eine Gesch. des ma. dt. Dramas, 2 Bde., Berlin 1975. — Willem Marinus Hendrik Hummelen, Repertorium van het Rederijkersdrama 1 5 0 0 - c . 1620, Assen 1968. - Hansjürgen Linke, Das volkssprachige Drama u. Theater im dt. u. niederl. Sprachbereich: Neues Hb. der Literaturwiss., hg.v. Klaus v. See, Bd. 8, Wiesbaden 1978, 7 3 3 - 7 6 3 . - Ders., A Survey of Medieval Drama and Theater in Germany: Drama on the Continent of Europe, hg. v. Clifford Davidson/J.M. Stroupe, Kalamazoo/Mi. 1993. — Wolfgang F. Michael, Das dt. Drama des MA, Berlin 1971. — Bernd Neumann, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit. Zur Aufführung ma. rel. Dramen, 2 Bde., München/Zürich 1987. England: Janet A. Bakere, The Cornish Ordinalia, Cardiff 1980. - Edmund K. Chambers, The Medieval Stage, 2 Bde., London 1903. - Ian Lancashire, Dramatic Texts and Records of Britain. A Chronological Topography to 1558, Toronto 1984. - Robert Potter, The English Morality Play, London 1975. — J.W.Robinson, Studies in Fifteenth Century Stagecraft, Kalamazoo/Mi. 1991. - Rosemary Woolf, The English Mystery Plays, Berkeley 1972. Italien: Alessandro D'Ancona, Origini del teatro italiano, Turin 1891 = Rom 2 1966. - Cyrilla Barr, The Monophonie Lauda and the Lay Religious Confraternities of Tuscany and Umbria in the Late Middle Ages, Kalamazoo/Mi. 1988. — Vincenzo de Bartholomaeis, Origini della poesia drammatica italiana, Turin 2 1952. Spanien: Richard B. Donovan, The Liturgical Drama in Medieval Spain, Toronto 1958. — Norman D. Shergold, A History of the Spanish Stage, Oxford 1967. Das geistliche Spiel seit der Reformation: John Elliott Jr., Playing God, Toronto 1989. - Eric Lane/Ian Brenson (ed.), The Oberammergau Passion Play, London 1984. - Leonard Swidler/Gerard S. Sloyan (ed.), The Oberammergau Passionsspiel 1984, New York 1980 (sic). Clifford D a v i d s o n / L y n e t t e R . Muir/Stephen S p e c t o r / J o h n E. Tailby
Mystik I. II. III. IV.
Religionsgeschichtlich Kirchengeschichtlich Systematisch-theologisch Philosophisch
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Mystik I
I. Religionsgeschichtlich 1. M e t h o d i s c h e Schwierigkeiten bei der Begriffsbildung 1.1. Das Selbstverständnis der M y stiker 2 . Der mystische Weg und die Stufen des Heils 3. M e i s t e r und Schüler 4. D a s Ziel: Die Unio Mystica 5 . M e t a p h e r n und Bilder 6. M y s t i k und Ethik 7 . Mystik als Häresie 8. M y s t i k islamischer Frauen 9. Die Verwendung von P s y c h o p h a r m a k a 10. Mystik und neue Spiritualität (Literatur S. 5 4 4 )
1. Methodische
Schwierigkeiten
bei der
Begriffsbildung
Der Fülle an Texten und Literatur entsprechen die zahlreichen Versuche, Mystik als universales religiöses Phänomen zu definieren. Unstrittig in der Forschung ist dabei die Tatsache, daß die Mystik „eine legitime Weise religiösen Lebens" darstellt, die „im Herzen jeder Religion" wurzelt (Keller 1,29). Doch bereits hier beginnen die Probleme: Wenn auch eine Universalität der Mystik postuliert werden kann, so ist damit noch keine zutreffende Definition gegeben, die über allgemeine Formulierungen hinausginge. Schon Rudolf Otto hatte darauf hingewiesen, daß sich in der Mystik zwar „gewaltige Urmotive der menschlichen Seele regen, die als solche gleichgültig sind gegen die Unterschiede des Klimas, der Weltgegend oder der R a s s e . . . " , daß aber „die Behauptung, Mystik sei eben immer Mystik, sei immer und allenthalben ein und dieselbe Größe, falsch ist, daß es in ihr vielmehr Mannigfaltigkeiten der Ausprägungen gibt" . . . und diese Mannigfaltigkeiten „innerhalb desselben Rasse- und Kulturkreises nebeneinander auftreten . . . " (West-östliche Mystik 2). Nicht einmal die Herkunft des Begriffs und seine Ableitung (von griech. myein = verschließen, schweigen, stille sein) lassen sich universalisieren, weil nicht alle Mystiker (z.B. die Derwische oder die Medien während der Trance) auf dem Höhepunkt ihrer mystischen Erfahrungen schweigen. Es lassen sich allenfalls gemeinsame Charakteristika entdecken, wie sie J . A . Cuttat in einer umfangreichen Synopse unter den Stichworten „Orientalische Spiritualität" und „Christliche Erfahrung" vorgelegt bzw. auf die er in einer Rubrik „Konvergenz" zwischen den christlichen und außerchristlichen Phänomenen aufmerksam gemacht hat (Ravier 1022-1095). Demnach gehören zu den charakteristischen Merkmalen mystischer Erfahrung keineswegs nur „die beiden Wesenselemente Loslösung von der Außenwelt... und der unmittelbaren Berührung des einsam gewordenen Menschen mit dem einen Göttlichen", wie Friedrich Heiler meinte (Bedeutung 6), sondern außer dieser numinosen Welt- und Seinsvergessenheit auch asketische und meditative Techniken, Visionen und Auditionen, Licht- und Finsternismetaphern und schließlich die mystische Vereinigung, die sowohl als ein Prozeß wie auch als unmittelbarer Vorgang auftritt, welcher Erleuchtung, aber auch Vernichtung zur Folge haben kann. Mystische Erfahrungen setzen also einen Weg voraus, der je nach Kontext unterschiedlich sein kann. Aber auch das mystische Ziel richtet sich nach dem jeweiligen religionsgeschichtlichen Kontext, und der „choc inaugural", von dem Cuttat spricht (Ravier 918), ist nicht etwa das Kennzeichen, das die Mystiker miteinander weltweit gemeinsam haben, sondern richtet sich nach den religiösen Systemen, aus denen sie hervorgegangen sind und denen sie angehören. Mit anderen Worten: Jede Mystik in der Religionsgeschichte, gleich, ob sie sich als gemeinschaftsbildend oder nicht erwiesen hat, bedarf jeweils eigener Forschungsmethoden, und das heißt zunächst; einer eigenen Definition. Dabei wird man grundsätzlich zwei Unterscheidungsmerkmale zu berücksichtigen haben, die die Kulturanthropologie und die Ontologie betreffen, nämlich das lineare bzw. zyklische Weltwirklichkeitsverständnis und - dem entsprechend - der personale bzw. a-personale Gottesbegriff oder gar das grundsätzliche Fehlen eines Numen überhaupt. Das lineare Denken setzt einen personalen Gottesbegriff, einen ->Gott (oder mehrere Götter) der Geschichte voraus, dementsprechend gründet sich die mystische Erfahrung auf diesen personalen Gott und kreist um seine Einheit, in die sich der Mystiker einbeziehen will. Die meisten Mystiker des Islam, die Süfis, bekennen sich zu
Mystik I
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dieser „Persönlichkeitsmystik" (Schimmel, Mystische Dimensionen 18), die im tawhld, dem Einheitsbekenntnis, wurzelt. Das macht z.B. Abü Nasr as-Sarräj deutlich, wenn er sagt: Die Süfis sind Leute, „die Gott allem anderen vorziehen und die Gott allem anderen vorzieht" (ebd. 32). Das zyklische Denken hingegen setzt einen a-personalen Gottesbegriff voraus, ein höchstes Absolutes, das Brahman, von dem die Upanishaden sprechen. Ziel des Mystikers ist es hier, den Geburtenkreislauf, samsära, zu überwinden und mit dem Ätman, dem Selbst, im kosmischen Brahman aufzugehen. Im Atharvaveda (Nrisiriha-uttaratäpanlya-Upanishad 1) heißt es: „Indem man diesen Ätman durch das Wort O M eins macht, und das Brahman mit dem Atman durch das Wort O M eins macht, genieße man jenes Eine, Alterlose, Unsterbliche, Furchtlose in dem Worte O M . . . " (Übers, v. Paul Deußen, Sechzig Upanishad's des Veda, Darmstadt 1963,780). Der Weise Yäjnavalkya ruft aus: „Wahrlich, dieses Selbst (Ätman, die Seele) ist das B r a h m a n . . . " (Brihadäranyaka-Upanishad 4,4,4). Der Vedänta lehrt also eine monistische advaita-Metaphysik, eine All-Einheit, die ein Zweites oder eine Vielfalt nicht zuläßt. Darum kann es auch kein Gegenüber von Gott und Mensch geben. Im Säktismus und Tantrismus haben wir es wiederum mit einer Mystik zu tun, die den erotischen Aspekt in die mystische Erfahrung integriert, indem sie sich auf bestimmte Riten und Symbole bezieht, die die sexuelle Vereinigung als Unio Mystica deuten. Gott Siva z.B. handelt durch seine säkti, seine Energie, die als sein aktives Element zur Göttin wird und mit ihm zusammen unter dem Bilde des matrimonium spirituale, der Heiligen Hochzeit, von den Gläubigen verehrt und im Ritus in Form von Heiligen Hochzeiten nachgeahmt wird. Das bunte Spektrum der indisch-hinduistischen Religionsgeschichte (-»Hinduismus) bietet aber auch genügend Hinweise für eine „Persönlichkeitsmystik". Ein wichtiger Zeuge ist hier Rämänuya, der das Brahman personalistisch interpretiert. Desgleichen wird in der Bhagavädgita die mystische Gottesliebe mit dem „monotheistischen" Bekenntnis zu Visnu verbunden und von einer Teilhabe an der Gottheit gesprochen - ein einzigartiges Phänomen, das schließlich unter Visnu- und Siva-Anhängern die bhakti-Frömmigkeit auslöste, einen mystischen Erlösungsweg (bhakti-märga), der sich unter den Vaisnavas bis zum heutigen Tage großer Beliebtheit erfreut. Im —>Buddhismus, vor allem im frühen Buddhismus, aber auch im japanischen ZenBuddhismus fehlt ein absolutes Numen, so daß man sogar von einer „a-theistischen Religion" (Helmuth v. Glasenapp, Der Buddhismus-eine atheistische Religion, München 2 1966) gesprochen hat, in der keine Mystik entstehen konnte (L. de la Vallee Poussin, Mysticism 85 f). Diese These läßt sich nicht — auf den Zen-Buddhismus bezogen nur bedingt — aufrechterhalten, weil das Vorhandensein von Gottheiten nicht zur Voraussetzung mystischer Erfahrungen gemacht werden kann. Gerade der Buddhismus mit seinem ausgeprägten Meditationssystem und den Versenkungsstufen sowie der Erleuchtung am Ende einer langen „via negativa" enthält eine Fülle an mystischem Material. Auch die sogen. „Naturmystik", die in der Religionsgeschichte zu Unrecht vernachlässigte Mystik in den Natur- und Altvölker-Religionen (—>Naturreligionen), bedarf eigener Zugänge und Forschungsmethoden. Die Erfahrung der Einheit von Mensch und Natur, von individuellem Selbst und kosmischer Totalität ist zweifellos eine mystische Erfahrung, die mit der All-Einheitslehre der Upanishaden, aber auch mit der taoistischen Lehre von der Harmonie zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos manches gemeinsam hat. Die eigentliche Frage ist aber: Sind die Schamanen, die Zauberer und Medien, im eigentlichen Sinne als Mystiker und Mystikerinnen zu bezeichnen? Befinden sie sich während des „Schamanisierens" in einem mystischen Zustand? Ist ihre Trance als mystische Erfahrung zu deuten? - Es dürfte kein Zweifel darüber bestehen, daß das Orenda bei den Irokesen und das Mana bei den Polynesiern jene überirdischen Kräfte sind, mit deren Hilfe der Mensch sich der Gegenwart der numinosen Wesen vergewissert, Ekstasen erlebt und sich seiner irdischen Bedingungen entledigt. Aber reichen diese Kriterien aus,
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Mystik I
um der herkömmlichen Vorstellung von Mystik zu genügen? - Sicher nicht; denn auch die Mystik der „Naturreligionen" entzieht sich einer universalen und ubiquitären Definition. Für sie und für jede andere Form von Mystik gilt, was Carl-A. Keller über die „mystische Intention" sagt: „ . . . la mystique universelle non pas comme un phénomène unitaire mais comme une catégorie de la vie religieuse" (1,24). 1.1. Das Selbstverständnis
der
Mystiker
Wie definieren die Mystiker selbst ihre Erfahrungen? Nach den allgemeinen Erörterungen zum Begriff scheint jetzt eine Definition unter kontextuellen Bedingungen möglich zu sein. Die islamischen Süfis (—»Islam; ihr Name ist wahrscheinlich von süf, Wolle, abzuleiten, weil das wollene Gewand, gama-i süf, ihr besonderes Kennzeichen war) geben von sich und ihren Glaubenserfahrungen recht zutreffende Beschreibungen. „Süfismus bedeutet, dai? das Herz rein ist von der Beschmutzung durch Uneinigkeit (mit Allah nämlich)", erklärt 'Utmän al-HugwTri (Schimmel, Mystische Dimensionen 33); Gunayd (gest. 910) sagt: „Süfismus wird nicht erworben durch viel Beten und Fasten, sondern ist die Sicherheit des Herzens und der Großmut der Seele" (ebd. 31). Abü Nasr as-Sarräg betont die asketische Dimension: „Süfismus bedeutet, nichts zu besitzen und von nichts besessen zu werden" (ebd. 32). Die Selbstzeugnisse sagen zunächst noch wenig über den „Beruf" des Mystikers aus; sie definieren aber ihre Aufgabe als die von Asketen: Der Süfismus ist „das Absondern (des Urewigen) vom Erschaffenen, das Aufgeben der Heimatstätten, die Trennung von den Lieben, das Ablassen von allem, was man weiß oder nicht weiß, und das Verzichten auf alles außer Gott" (Gunayd, Ubers, v. R. Grämlich 23). Die Mystiker der Upanishaden (von upa-ni-sad = nahe dabeisitzen, zu Füßen des Meisters sitzen) beschreiben ihre Erfahrung zunächst als Leidenserfahrung. „Rette mich", bittet König Brihadräta, der sich als Einsiedler in den Wald zurückgezogen hat, den weisen Cakäyanya; „denn ich fühle mich in diesem Weltlaufe wie der Frosch in einem blinden (d.h. wasserlosen) Brunnenloche" (Maiträyana-Upanishad 1,4). Aus dieser verhängnisvollen Grundbefindlichkeit des Daseins kann nur die Erkenntnis des Brahman, brahmavidyä, befreien. Und diese wiederum ist nur erreichbar, wenn man im eigenen Innneren das Geheimnis des transzendenten Atman schaut. „In sich selbst schaut er das Selbst", heißt es in der Brihadäranyaka (4,3,6). Im Schauen dieses Lichtglanzes „ist keine Unterbrechung des Sehens, weil er (der Sehende) unvergänglich ist. Es ist kein Zweites außer ihm, kein anderes von ihm Verschiedenes, das er sehen könnte" (Brihadäranyaka 4,3,23). Der Mystiker vollzieht die Enstase; d.h. er geht ganz in sich selbst ein, zieht sich in sich zurück. Die Seher der Upanishaden definieren ihre mystischen Erfahrungen als advaita, Nicht-Dualismus: In einer vorher nicht geahnten Bewußtseinserweiterung erkennen sie, daß ihr Atman mit dem kosmischen Brahman eins ist: „So groß dieser Weltraum ist, so groß ist dieser Raum inwendig im Herzen", heißt es in der Cändogya-Upanishad (8,1,3); „in ihm sind beide, der Himmel und die Erde, beschlossen". Der advaita-Monismus duldet keinen Subjekt-Objekt-Gegensatz mehr: Ich und Du, Innen und Außen, Gut und Böse, Geist und Fleisch - alle Diskrepanzen sind aufgehoben. 2. Der mystische
Weg und die Stufen des
Heils
Wiewohl die Unio Mystica im Letzten als ein Geschenk erlebt wird, ist doch der Weg zum Ziel anstrengend und beschwerlich. Jede Stufe basiert dabei auf der vorangegangenen und kann erst betreten werden, wenn diese erfüllt ist. Jalälludln RümT vergleicht den mystischen Weg in seinem dlwän mit dem Zug der Karawane durch die Wüste: Wenn die Karawanenglocke den Aufbruch zu neuen Stationen ankündigt, müssen Menschen und Tiere bereit sein. So wandert auch die Seele von einer Station zur anderen, von einer Erkenntnis zur anderen, bis sie sich mit Gott vereinigen kann. Deshalb fordert
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der Maulana seine mystischen Gefährten mit dem R u f „ar-rahll", „Auf zur R e i s e ! " auf (Schimmel, Rumi 144). „Stationen" auf dieser Reise sind für den Süfi zahlreiche Tugenden und Glaubensprüfungen: Am Anfang steht die Reue (tawba), die Abwendung von der Welt, der Bruch mit der Welt; ihr folgen die Enthaltsamkeit (wara'), die Aufgabe dessen, was von Gott ablenkt, der Kampf gegen die Ichsucht, die niederen Triebe, die in der Seele (nafs) lauern und durch -»Fasten (sawm) und Schlaflosigkeit zu bekämpfen sind. Zahlreich sind die Berichte über Fastenwunder, durch welche die Süfis ihre M i t menschen beeindruckten. Den asketischen Tugenden folgen Glaubensbeweise, wie z.B. die Verwirklichung des Einheitsbekenntnisses (tawakkul), das Gebet, das als „die unmittelbare Vorstufe der . . . Einheit mit Gott erlebt wird" (Heiler, Gebet 285); ferner die Läuterung durch Armut (faqr), die Geduld (sabr), die Dankbarkeit gegenüber G o t t (sukr), die Zufriedenheit (ridä), ein vollkommenes Glücksempfinden (bast), das man nur in der Entrückung erlebt, und schließlich die beiden Herzstücke des mystischen Weges: -*Liebe und Entwerden. Von der Liebe, mahabba, heißt es, sie bestehe aus den Aspekten Vertrauen, Nähe und Sehnsucht; sie läßt sich nicht erlernen, sondern ist göttliche Gnade, eine Flamme, die alles außer dem Geliebten verbrennt (Maulänä Jalälludln RümT, MatnawT-yi ma'nawi V,588). Auf dem Wege der Liebe verliert der Intellekt seine Bedeutung. Das Entwerden, fanä (eigentlich: Zunichtewerden, Verschwinden), ist die „völlige Aufhebung des Ich-Bewußtseins, wenn nur die absolute reine Eine Wirklichkeit als absolutes Bewußtsein vor ihrer Spaltung in Subjekt und Objekt übrig bleibt" (Toshihiko Izutsu, T h e Basic Structure of Metaphysical Thinking in Islam: M a h d ! M o h a g h ghegh/Hermann A. Landolt, Collected Papers on Islamic Philosophy and Mysticism, Teheran 1971, 3 9 f ) . Fanä wird damit zur Voraussetzung für die Gottesschau und schließlich für die Gottesvereinigung (gam'): Wer sein Ich-Bewußtsein aufgegeben hat, kann Gott sehen und mit ihm eins werden. Damit ist der letzte Schleier gefallen und das Einheitsbekenntnis (tawhld) Wirklichkeit geworden. Auch die Upanishaden kennen einen solchen Stufenweg: Voraussetzung für die mystische Introversion ist auch hier der asketische Bruch mit dem bisherigen (Welt-)Leben: Wer den Ätman sucht, muß auf Ehe, Familie und Besitz verzichten und als Bettler umherwandern (Brihadäranyaka 3,5,1). Die erste Etappe kommt also einer Katharsis gleich. Erst „wer ohne Verlangen, frei von V e r l a n g e n . . . , selbst sein Verlangen ist", geht im Brahman auf (Brihadäranyaka 4,4,6). Erst auf eine schmerzvolle Reinigung kann die beseeligende Erfahrung der Ruhe, sänti, folgen, und man kann „in sich selbst das Selbst" schauen (ebd. 4,3,6). Der Tiefschlaf bildet dabei für den angehenden Mystiker eine Art Zwischenzustand: Im Traum nimmt er sowohl „die Ü b e l " dieser Welt als auch „die Wonnen" jener Welt wahr (ebd. 4,3,9). Nur in phänomenologischer Hinsicht gleicht der Achtfältige Pfad, attangika-magga, den der Buddha als Weg zur Überwindung des Leidens und zur Erleuchtung lehrt, dem „Karawanenweg" der Süfis. Auch er ist ein Weg in die „Hauslosigkeit". Inhaltlich setzt er aber andere Schwerpunkte - z.B. steht das Axiom von der Ichlosigkeit, der anattäväda, am Anfang des mystischen Weges als das Ergebnis logischer und meditativer Reflexion: Der Buddha-Jünger reflektiert die Lehre vom Entstehen in Abhängigkeit, paticcäsamuppäda, und erkennt, daß die (Wieder-)Geburt einzige Ursache des Leidens ist und es des Wissens (vijjä) bedarf, um die Kette des ursächlichen Entstehens zu durchschauen und zu der Erkenntnis zu kommen, „daß alle Dinge ohne ein Selbst sind" (Päli: sabbe dhammä anattä). Der Buddhismus verfährt also analytisch, indem er das Dasein in seine letzten Bestandteile zerlegt und sie schließlich als wesenlose Phänomene entlarvt. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann der Achtfältige Pfad beschritten werden, der zur Auslöschung des Leidens führt. Dieser besteht aus drei „soteriologischen" Einheiten: Rechte Erkenntnis und rechte Gesinnung bilden zusammen das Wissen (panna); daraus entwickeln sich die ethischen Normen: rechte Rede, rechtes Tun, rechter Lebensunterhalt; aus der Ethik (slla) schließlich geht der Komplex der „ S a m m l u n g " , samädhi, hervor, bestehend aus der rechten Anstrengung, Achtsamkeit und der Ver-
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Mystik I
Senkung (Pali: samma-samadhi), in welcher der Jünger das nirvana schon im Diesseits erreicht. 3. Meister
und
Schüler
Niemand kann den mystischen Weg allein finden; dazu sind spirituelle Lehrer und Meister nötig, die ihr Wissen an die Schüler weitergeben. Aber der Meister ist mehr als ein Guru, der sein Wissen vermittelt; in ihm und „in der Ausstrahlung seiner Persönlichkeit nimmt der Anfänger die letzte Realität wahr, die er in seine eigene Existenz zu integrieren sucht" (Keller I, 104). „Le maître est toujours la réplique exacte, et indispensable à la progression de l'adepte, de l'Ultime que chaque religion le définit", betont Keller mit Recht (ebd.). Auch hier trifft zu, was wir oben als besondere Problemlage bezeichneten: „In jeder Tradition übt der Meister charakteristische Funktionen aus, die sich anderswo nicht finden" (ebd.). In diesem Sinne ist z . B . die Literaturgattung der Upanishaden das Ergebnis einer intensiven Lehrer-Schüler-Beziehung: Die Schüler sitzen zu Füßen des Meisters und bitten ihn: brahma adhidhi, „lehre mich das B r a h m a n ! " Die Unterweisung, die sie daraufhin empfangen, ist esoterisches Wissen, das nur durch intuitive Einsicht begriffen werden kann. „Ohne Lehrer ist hier gar kein Zugang. Zu tief ist er (der Sinn) für eigenes tiefes D e n k e n " , sagt die Käthaka-Upanishad (2,8). Die Lehrer sind Seher; sie zeigen den Schülern die verborgene Welt des eigenen Inneren, das Geheimnis des transzendenten Atman. In diesem Sinne fragt Uddälaka seinen Sohn Svetaketu, der nach zwölf Jahren Vedastudium zurückgekehrt ist: „Hast du gelernt, wodurch das Ungehörte ein Gehörtes, das Unverstandene ein Verstandenes, das Unerkannte ein Erkanntes wird?" (Cändogya-Upanishad 6,1,2) Aber der Sohn ist zu dünkelhaft und hat nichts begriffen; darum muß ihn jetzt der Vater an Hand von zahlreichen Beispielen belehren, daß Atman und Brahman ein und dasselbe sind. Doch der Lehrer kann den Schüler nur bis zur Schwelle des Allerheiligsten führen, die Einheitserfahrung kann er ihm nicht vermitteln, sie ist nicht Sache menschlicher Unterweisung, sie ist ein Geschenk; darauf muß der Schüler solange warten, bis es über ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel kommt (vgl. Käthaka-Upanishad 2,7). Im Islam war und ist der sayh oder pir (pers.) derjenige, der dem Adepten, murid, als Lehrer dient, ihm den Weg zeigt und ihn dabei überwacht, der seine Träume deutet, seine Gedanken liest und jeder Regung seines Bewußtseins folgt. Zunächst aber hat er den murid auf seine Belastbarkeit zu überprüfen. Das setzt ein hartes Noviziat voraus, welches drei Jahre dauert (ein J a h r im Dienst der Menschen, ein J a h r im Dienst Gottes, ein Jahr, in welchem er sein eigenes Herz zu prüfen hat) und mit der Aufnahme in den Jüngerkreis abschließt. Der sayh oder pir genießt absolutes Vertrauen und gilt als „ V a t e r " des Adepten, der in seiner Hand wie die Leiche in der Hand eines Leichenwäschers sein soll. Die angehenden Süfis wanderten früher jahrelang umher, ehe sie den richtigen Meister gefunden hatten, von dem sie die baraka, die Segenskraft, erwarten durften. Wie wichtig der Meister war, belegt ein Vers aus dem M a t n a w l JaläluddTn RümTs (111,588): „Wer ohne Führer reist, braucht zweihundert Jahre für eine Reise von zwei T a g e n " . Die Aufnahme in den Jüngerkreis entspricht einer -»Initiation: Der murid erhält die kirqa, den Flickenrock, zum Zeichen, daß er der Welt entsagt hat, und wird in die dikr-Formel, das Gottesgedenken, eingeweiht. Dabei weist der Meister den Jünger an, ohne Unterlaß die Worte: „Sprich: Gott, Gott, G o t t " als Herzensgebet herzusagen und nichts anderes mehr vor Augen zu haben und an nichts anderes mehr zu denken, bis der Mensch nichts mehr ist und Gott nur noch allein da ist (vgl. Richard Hartmann, Al-Kuschairls Darstellung des Sufitums: Islam 6 [1916] 29f.31). Im „a-theistischen" Buddhismus wird der Gautama zum Meister seiner Jünger. Seine unumstrittene Autorität kommt in seiner Selbstbezeugung zum Ausdruck: „Ich bin der Heilige, arahat, in der Welt, ich bin der unvergleichliche L e h r e r . . . " (Moritz Winternitz, Der Ältere Buddhismus, Tübingen 1929 [ R G L 11] 11). Auf jeder Stufe des Achtfältigen
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Pfads ist der Buddha Vorbild und Beispiel: Er ist „das Auge der Welt"; in ihm vereinen sich Vollendung und Wahrheit; er hat die vollkommene Selbstbezähmung, sänta dänta, erreicht, und vor allem: Er ist der Erleuchtete, der die Ursache des Leidens erkannt hat, der in das nirväna eingetreten ist. Der arahat ist jenseits von Gut und Böse. Als solcher wird er für seine Jünger zum Ideal, das im Mahayäna-Buddhismus auf den (altruistischen) Bodhisattva übertragen wird. Und doch ist der Jünger für sein „Schicksal" selbst verantwortlich; er hat es in der Hand, ob er zur Erleuchtung kommt oder nicht: „ . . . von meinen Jüngern... erreichen die einen das höchste Ziel, das nirväna, die anderen erreichen es nicht. Was kann ich dagegen tun? - Nur ein Wegweiser ist der Tathägata" (Majjhima-Nikäya 107). Diese Wegweiserfunktion spielt im japanischen Zen-Buddhismus (-»Japan) eine wichtige Rolle: Der Zen-Meister verlangt von seinem Schüler zunächst höchste mentale Konzentration (zen von Sanskr. dhyäna), aber gleichzeitig soll er systematisch seine Vernunft überschreiten, was durch ein köan erzielt wird, eine paradoxe Behauptung (z.B. das Klatschen mit einer Hand), die die Vernunft verwirren soll und für deren Erklärung der Adept schließlich einen „höheren Sinn" finden muß, - die Vorbereitung für den Zustand der Erleuchtung, satori. Auf dieser Stufe soll das Bewußtsein alle Gegensätze und Vorurteile abwerfen und der Durchbruch vom Ich zum Nicht-Ich bzw. zum wahren Selbst erfolgen. Der Zen-Meister überwacht zwar diese mentalen Vorgänge in seinen Schülern und korrigiert sie auch; aber die Auslösung der satori-Erfahrung vermag er nicht zu steuern. Wie der Buddha, so ist auch er nur Wegweiser. Das höchste Ziel, die Koinzidenz der Gegensätze im Bewußtsein zu erreichen, ist dem Schüler selbst anheimgestellt. 4. Das Ziel: Die Urtio
Mystica
So intensiv der angehende Mystiker mit Hilfe seines Lehrers und Meisters und schließlich allein, „einsam", die via purgativa und die via illuminativa beschreitet - die Vereinigung mit dem Absoluten, die Utiio Mystica, läßt sich nicht auf dem Wege der Selbsterlösung erreichen. Sie ist letzten Endes „Geschenk". Wahrscheinlich kommt darin die Universalität mystischer Erfahrung am deutlichsten zum Ausdruck. Bezeichnenderweise ist der (unbeschreibliche) Augenblick des Eintritts in die Unio „choc inaugural" genannt worden, eine „Erschütterung am Anfang", in der alle mystischen Bilder und Phänomene und natürlich die All-Einheitserfahrung des Absoluten ihren Ursprung haben und die zugleich alle weiteren Erfahrungen auslöst. Der „choc" ist also ein Schlüsselerlebnis: Er ist zeitlos; denn die in ihm erfahrene „Ewigkeit" kennt keinen Anfang und kein Ende. In einem Bewußtseinszustand, in welchem Begriffe wie „vorher" und „nachher" ihren Sinn verloren haben, spielt die Zeit keine Rolle mehr. Der Vorgang der Erleuchtung, den Ileana Marcoulesco „the paradoxality of mystical union" nennt (Mystical Union 240), ist auf einen unendlich kurzen Augenblick reduziert, der sich freilich wiederholen kann, der aber nie meßbar und nie nachvollziehbar ist. Der Zeitlosigkeit entspricht die Raumlosigkeit. Sie wird in den indischen Religionen durch den Sanskritbegriff sünyatä bzw. im japanischen Buddhismus durch den Begriff mu, Leere, Leerheit, ausgedrückt. Mu suggeriert das ozeanische Gefühl, sich jenseits der Grenzen von Zeit und Raum zu befinden. Wer mu erreicht hat, der überschreitet die Grenzen seiner eigenen Identität und erfährt sein Selbst als Selbstlosigkeit. Nach außen hin kann der „choc" sehr unterschiedlich sein. Er kann in seiner Plötzlichkeit wie ein Paroxysmus auftreten, als Stupor oder Katalepsie, die den Mystiker für kurze Zeit bewegungsunfähig machen (wie die sibirischen Schamanen im Zustand des Schamanisierens, die Stifter und Stifterinnen der Neuen Japanischen Religionen bei ihrer Berufung), oder wie ein Blitz sein, der ihn schmerzhaft durchzuckt (wie al-Halläg, als er im Zustand der Erleuchtung verkündete: „Ich bin die Wahrheit"), oder als eine Offenbarung erfahren werden (wie sie Svetaketu zuteil wird, als er erfährt, daß sein Selbst das Weltall ist); er kann - mental - im Buchstabensymbolismus (z.B. im arabischen
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Mystik I
Buchstaben b, der zu Beginn der basmala steht, die den Qur'än eröffnet, oder gar im Punkt unter dem b, mit dem die Bewegung des geschaffenen Universums beginnt) erkannt werden oder auf Einsicht beruhen (wie sie dem Zen-Schüler während der täglichen Arbeit zuteil werden kann) - alle mystischen Schlüsselerlebnisse haben es in irgendeiner Weise mit einer den Mystikern grundlegend verändernden Erschütterung zu tun. 5. Metaphern
und
Bilder
Die Unio Mystica erscheint unter verschiedenen Metaphern. Die bekannteste ist die der Liebe bzw. der Liebesvereinigung. Die Erfahrung der völligen Einheit des Menschen mit seiner Gottheit und das Gefühl der höchsten Seligkeit gleicht einer Liebesvereinigung, einem hieros gamos, der bereits im Alten Vorderen Orient als Bild für die Vereinigung von Himmel und Erde, Göttin und König verwendet wurde. Zwischen der menschlichen Seele und dem Absoluten besteht dann „kein Zwischenraum mehr", hören wir bei Plotin (Enneade VI,7,34); „es sind nicht mehr zwei, sondern beide sind eins; sie sind nicht voneinander zu scheiden. . . . Diese Vereinigung ahmen hier in dieser Welt die Liebenden und Geliebten nach, die miteinander zu einem Wesen verschmelzen wollen". Die gleiche Metapher gebraucht die Brihadäranyaka (4,3,21): „ . . . so wie einer, von einem geliebten Weibe umschlungen, kein Bewußtsein hat von dem, was außen oder innen ist, so auch hat der Geist, von dem absoluten Selbst (nämlich dem Brahman) umschlungen, kein Bewußtsein von dem, was außen oder innen ist". Wahrscheinlich sind es indische Traditionen, deren sexuelle Bilder und Symbole die islamische Liebesmystik beeinflußt haben; jedenfalls hat es einen wechselseitigen Austausch zwischen der bhakti-Mystik, bestimmten Yogapraktiken, ja sogar dem hinduistischen Pantheismus und dem Süfismus gegeben. Bedeutende Vertreter der islamischen Liebesmystik sind Fand ad-DTn 'Attär aus Ostpersien (gest. 1220), Muhyi 'd-DTn Ibn 'Arabi aus Spanien (gest. 1240) und der große Dogmatiker Abü Hamid al-Gazzäll (gest. 1111), der eine Versöhnung zwischen Mystik und Orthodoxie anstrebte, aber in seiner „Wiederbelebung der religiösen Wissenschaften" selber die erotische Sprache gebrauchte, um die Einheit zwischen dem gläubigen Muslim und Allah als Verschmelzung des Liebenden mit dem Geliebten zu preisen (Ihyä 'ulum ad-dln, Bd. 4, Bulaq 1872/73, 277). Der Einfluß, der gerade von der islamischen Liebesmystik auf die spanisch-christliche Mystik ausging, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden und ist noch immer Gegenstand der vergleichenden Mystikforschung. Eine andere Metapher beschäftigt sich mit der Überwindung der Ich-Du-Struktur bzw. des Subjekt-Objekt-Axioms. Die Upanishaden haben dieses Problem mit dem mahäväkyam, dem „großen Wort", daß der Atman in Wirklichkeit das allumfassende absolute Brahman ist, am konsequentesten gelöst. Unaufhörlich belehrt Uddälaka Aruni in der Cändogya-Upanishad seinen Sohn und Schüler Svetaketu, daß das, woraus das Weltall besteht, die Seele ist. Die stereotype Antwort am Ende der Gleichnisse lautet daher jeweils: tat tvam asi, „das bist du" (vgl. Cändogya-Upanishad 6 , 8 - 1 4 ) : So wie sich das Salz im Wasser auflöst, aber salzigen Geschmack vermittelt, so wird auch das wahrhaft Seiende hier (im Leibe) nicht wahrgenommen und ist dennoch vorhanden. Auch den Süfi-Märtyrer (-»Martyrium) Husayn ibn Mansür al-Halläg (858-922) beschäftigte zeitlebens die Ich-Du-Struktur und ihre Überwindung: „Ich bin der, den ich (liebend) begehre, und der, den ich (liebend) begehre, ist ich; /Wir sind zwei Geister, die (zusammen) in einem Körper wohnen. /Wenn man mich sieht, sieht man ihn; /Wenn man ihn sieht, sieht man uns... /Du bewohnst das Bewußtsein im Inneren meines Herzens" (Josef Schacht, Der Islam, Tübingen 1931 [RGL 16] 103 f). Auch al-Halläg bedient sich der Sprache der Liebe, um sein Einswerden mit Allah zu beschreiben; aber offenbar leidet er noch immer an der Tatsache, daß er sich seiner Existenz und darum seiner Identität bewußt ist. Darum klagt er Gott: „Zwischen mir und dir ist ein „Ich bin", das mich bekümmert; darum räume in deiner Güte das „Ich bin" fort" (Louis Massignon, Quatres textes inedits relatifs ä la biographie d'al-Hallaj, Paris, IV 1914, 52). Mit Recht
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sagt Louis Dupre (Mysticism 257): „Even the supreme expression of union still indicates a remnant of duality". Beim Vergleich zwischen hinduistischer und islamischer Mystik werden also die typologischen Unterschiede besonders deutlich: Was in den a-personalen monistischen Systemen problemlos erscheint, bereitet den personalen zumal den monotheistischen Systemen Schwierigkeiten. Nicht so scheint es mit der Lichtmetapher (-*Licht) zu sein. Sie wird in allen Mystiken verwandt, um die Erfahrung der absoluten Realität (Macnicol, Mysticism 115: „the Ultimate One") zu beschreiben. Der Begriff „Erleuchtung" spielt eine wichtige Rolle. Der Buddha erlebt sie in der Versenkung unter dem bodhi-Baum in Benares, der Zen-Mönch in der satori- oder der mu-Erfahrung, die als leerer Kreis symbolisiert oder als kenshö bezeichnet wird, nämlich als die Fähigkeit, plötzlich das Wesen der Dinge zu sehen. Für SuhrawardT Maqtül (gest. 1191), den islamischen Meister der Philosophie der Erleuchtung, al sayh al isriq, wiederholt sich in jeder Erleuchtung die Erschaffung des Lichts, nur, vom ersten Schöpfungstage. Damit wird die mystische Erleuchtung zu einem Neuanfang, einem Erwachen: Der Buddha als der vollkommen Erleuchtete ist auch der Erwachte. Sich dem göttlichen Lichte auszusetzen, bedeutet für den Mystiker aber auch die Opferung seiner selbst. Al-Halläg beschreibt sie im Gleichnis vom Schmetterling, der bis zum Anbruch des Morgens um eine Kerze fliegt, deren Hitze „die Wirklichkeit der Wirklichkeit" ist. In dieser Kerze verbrennt er; „verzehrt und verflüchtigt er sich, so daß er ohne Gestalt, ohne Körper, ohne Namen und ohne Kennzeichen bleibt... Er ist jemand, der zum Schauen gelangt ist, . . . und wer zu dem, den er schaut, gelangt ist, kann (selbst) das Schauen entbehren" (Übers. L. Massignon: R G L 16 [1931] 100). Die Alternative zum Licht ist die Nacht. Die islamischen Mystiker sprechen von der „dunklen Nacht der Seele" oder der Finsternis, in der die Seele einsam ist, als ob sie sich in der Wüste befände. Die Nacht aber ist nur Durchgangsstadium; sie muß nür, dem Licht, weichen, das die Erleuchtung bringt. Auch das Meer, das alle Ströme aufnimmt und alle Wassertropfen in einem einzigen großen Ozean vereinigt, dient als Metapher und wird auf Gott übertragen; denn auch in ihm hört nach der Vereinigung das individuelle Selbst auf zu sein. Dann wird das „Meer der Gottheit" zum „Meer der Seele", wo die mystische Reise und damit alles Sehnen endet. Dieses Bild hat 'Attär vor Augen, wenn er im Vorwort zu seinem Ilähinäma schreibt: „O Seele Du von Nicht-Sein und vom Sein, Nichts sah ich in der Welt als Dich allein... Ich bin im Wesen Dein verwirrt versunken, in Deiner Attribute Meer ertrunken" (Übers, v. A. Schimmel, Gärten 123). Im Gegensatz zu den mahäyänistischen Systemen (z.B. den japanischen Paradiesessekten) hat der frühe Buddhismus keine Metapher für die Unio Mystica-, denn der Begriff „Erleuchtung" sagt noch nichts über den mystischen Erfahrungshorizont aus. Das nirväna (Päli: nibbäna) wird vom Buddha Sakyamuni als völliges Verlöschen bezeichnet: „Es gibt eine Stätte, wo es weder Erde noch Wasser noch Feuer noch Luft gibt. Es ist nicht die Stätte der Raumunendlichkeit noch die der Bewußtseinsunendlichkeit noch die des Nichtsseins, noch auch die Stätte, wo es weder ein Vorstellen noch ein Nichtvorstellen gibt. Ich nenne es weder ein Kommen noch ein Gehen, weder ein Vergehen noch ein Entstehen... Es ist ohne Anfang, ohne Grundlage - das eben ist das Ende des Leidens" (Udäna 8 , 1 - 4 : Winternitz a . a . O . 108). Aber in den Reden des Buddha gibt es durchaus Hinweise darauf, daß bereits der Frühe Buddhismus eine metaphorische Definition des nirväna zumindest versucht hat. Sutta-Nipäta (Übers, v. Nyanaponika, Konstanz 1955) 1094 heißt es von dem Heilsziel: „Es ist jenes unvergleichliche Eiland, wo man nichts sein eigen nennt, an nichts hängt: 'Nirväna' nenne ich es, das Ende von Alter und Tod." Für die Mahäyäna-Schulen aber wurde das nirväna (wieder) zur höchsten absoluten ungeteilten Realität, in der die Gegensätze aufhören, der Konditionalnexus (paticcasamuppäda) überwunden ist und damit die Wiedergeburten ihr Ende fin-
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den. Für das nirväna gibt es keine Analogie, außer daß es den Inbegriff der Ruhe darstellt, und Ruhe ist - wie schon die Etymologie von myein besagt - das Ziel aller Mystik. Wie ist die Unio Mystica religionswissenschaftlich bzw. religionspsychologisch zu bewerten? Friedrich Heiler nennt sie - unter Hinweis auf -»-Dionysius Areopagita - eine „Ekstase"; ihr „physiologisches Charakteristikum... ist die kataleptische Starre und völlige Anästhesie", ihr „Zustand ist völlige Leere von allen konkreten Inhalten" (Gebet 253.259). Auch Ileana Marcoulesco ordnet die Anfänge des Süfismus als ekstatische Phänomene ein und nennt Muhammad „the God-intoxicated prophet" (Mystical Union 244), weil er in seinen Visionen und Auditionen „außer sich" war. - Wird man bei der Urtio Mystica so selbstverständlich und pauschalierend von „Ekstase" sprechen können? Waren die Mystiker im Zustand der All-Einheitserfahrung, der Liebesvereinigung, der Erleuchtung usw. nur „außer sich" und nicht ebenso auch „in sich"? Mit anderen Worten, muß man bei diesem Phänomen nicht vielmehr eine klarere Differenzierung vornehmen und z.B. neben „Ekstase" auch von „Enstase" oder „Kenostase" sprechen, von einer „Vereinnahmung der Gottheit" durch den Mystiker (vgl. die Upanishaden) bzw. einer „Entäußerung", bei der - umgekehrt - während der Unio Mystica nichts mehr vom Mystiker „übrig bleibt" (vgl. al-Halläg)? Bei der Definition eines so wichtigen religionsgeschichtlichen Phänomens sollten in Zukunft strengere Kriterien gelten. 6. Mystik und
Ethik
Es trifft zwar zu, daß sich der Mystiker während der Unio Mystica in einem Zustand „jenseits von Gut und Böse" befindet (wie der Buddha, Sutta-Nipäta 547, a.a.O.) und daher kein Sündenbewußtsein kennt; aber das Argument, die Mystik sei eo ipso ethisch indifferent, läßt sich nicht aufrechterhalten. Im Gegenteil: Diese letzte Realität, das Absolute, wird zur Quelle für die Entstehung sittlicher und sozialer Ordnungen. Wer seine individuelle Identität aufgegeben hat und selbst-los geworden ist, kann selbstlos an andere denken, den Willen der Gottheit erfüllen und eine -»Ethik der Selbstlosigkeit praktizieren, Anders ausgedrückt: Die Teilhabe an der Gottheit bedeutet auch Teilhabe am -»Nächsten. Der Mystiker ist Seelsorger, wie der hinduistische guru, Ratgeber, wie der islamische sayh, Heiler und Wundertäter, wie der Schamane/die Schamanin oder der Medizinmann/die Medizinfrau. Wenn sich der Mystiker mit der Gottheit vereinigt hat, wird er zur Inkarnation ihres Willens und kehrt in die Welt zurück, um seine Erfahrungen an die Menschen weiterzugeben und das, was er geschaut hat, zu verwirklichen: „ . . . dans sa propre intériorité profonde: éthique et quête mystique ne font qu'un" (Keller 11,35). Absichtlich stellt der Buddha slla, die Sittlichkeit, die vita activa, in den Mittelpunkt seines Achtfältigen Pfads. Aus dem gleichen Grunde ist auch die Behauptung, Mystik sei grundsätzlich kult- und gemeinschaftsfeindlich, nur ein Vorurteil. Die Tatsache, daß es mystische Bewegungen gab und gibt und Orden gegründet wurden, zeigt, wie wichtig kultische und rituelle Phänomene für die mystische Praxis sind. Allerdings kann man in den Orden bzw. den monastischen Bewegungen (-»Mönchtum) auch Alternativen zur herkömmlichen religiösen Gesellschaft erkennen (Keller 11,187, spricht hier von „contre-sociétés"). Die buddhistische Mönchsgemeinde, sarigha, versteht sich (und zwar auf Grund der strengen Ordensregeln und der Bekenntnislitanei, pätimokkha) als Alternative zum nicht-institutionalisierten Laienbuddhismus, dessen Korrektiv sie sein will. Die Süfi-Orden, welche seit Anfang des 12. Jh. entstanden (erster Orden: die Suhrawardiyya), waren zunächst eine Art Konvent (türk. tekke) mit festen Regeln, zu denen die Speisung der Armen und die Betreuung der Kranken ebenso gehörten wie das Nachtgebet und das Hersagen des dikr. Ethische und kultische Verpflichtungen korrespondieren einander. Auch die Süfi-Orden verstehen sich häufig als Alternativen zur herkömmlichen islamischen Orthodoxie und zur Obrigkeit. Zumal die Derwischorden, die eine Art Urkommunismus praktizierten, gerieten deshalb mit der institutionellen Religion immer wieder in Konflikt.
Mystik I 7. Mystik als
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Häresie
Während im Vedänta und im Sämkhya-Hinduismus Religion und Mystik miteinander identisch sind bzw. die Utiio Mystica selbst Inhalt und Ziel der betreffenden religiösen Systeme darstellt, bildet die Mystik im Islam ein Glaubensmodell innerhalb, neben oder gar außerhalb der orthodoxen Lehrmeinung und bedarf jeweils der Integration. Die dogmatisch-theologischen Gegensätze zwischen den Süfis und ihren Orden und der akademischen Theologie sind dabei nicht zu übersehen. Die Vorwürfe gegenüber der Mystik beziehen sich fast ausschließlich auf ihr Menschenbild, das mystische Teilhabe-Axiom und die Identifikationstheorie. Beide verstoßen gegen das Dogma des tawhid und lassen zu, daß sich der heilige Gott mit dem profanen Menschen vereinigt. Daraus resultiert das Fehlen eines Sündenbewußtseins sowie die Ausklammerung oder Relativierung des Phänomens des Bösen. Solche und ähnliche Phänomene werden von der Orthodoxie als Hybris angesehen und als Ketzerei bekämpft. Das Schicksal des al-Halläg, der hingerichtet wurde, weil er sich in der mystischen Verzückung als die „Absolute Wahrheit" (al-haqq) bezeichnet hatte, wurde zum Schibboleth für alle Süfis und al-Halläg selbst zum Märtyrer. Manche Häretiker retteten sich in die Narrheit oder wurden vom Volk für Narren gehalten, andere hielten sich für besessen und bekannten sich dazu wie Mänikkaväcakar, der sich von Siva besessen fühlte, oder sie ließen sich für verrückt erklären, um nicht bestraft zu werden, wenn sie Kritik am sozialen und politischen Leben ihrer Zeit übten, wie die „weisen Narren" unter den Süfis, von denen man sagte, daß „Gott sie von Befehl und Verbot befreit" habe (Schimmel, Mystische Dimensionen 39). Diese „Konfusion des Geistes" (arab. hlra) wird manchmal als eine unerläßliche Stufe auf dem Wege der Gottessuche bezeichnet, wie wir 'Attärs „Vogelgesprächen" (dt.: Interlaken 1988,143-148) entnehmen können. Eine Psychopathologie der Mystik wird sich nicht nur mit den Symptomen und den Casus zu befassen haben, sondern die Narrheit in Gott als ein religionsgeschichtliches Phänomen sui generis berücksichtigen müssen. 8. Mystik islamischer
Frauen
Die islamische Frauenmystik geht auf die Marienverehrung zurück, die bei den Süfis eine bedeutende Rolle spielt: Maria ist Inbegriff der mütterlichen Seele (nafs), die den männlichen Intellekt ausgleicht und den Mystiker zur Gottesliebe befähigt. In der Unio Mystica kommt es zu einem matrimonium spirituale zwischen der Seele und Gott bzw. Muhammad (Schimmel, Mystische Dimensionen 619). Die Geschichte der islamischen Liebesmystik beginnt bezeichnenderweise mit einer Frau, der Sklavin Räbi'a al-'Adawiyya (gest. 801), welche 'Attär „die zweite Maria, die Reine" genannt hat und zum Ideal der frommen muslimischen Frau geworden ist. Offenbar durften Frauen auch die erbaulichen Konventikel von Süfi-sayhs besuchen, wie von Fätima von Nishapur (gest. 849) bezeugt wird, die mit BäyezTd BistämT (gest. 874) disputierte und dabei - wie es heißt - ohne Scheu ihren Schleier aufhob. Einige Süfi-Orden hatten Frauen als Laienschwestern angegliedert, in anderen, z.B. im liberalen türkischen Bektashi-Orden, waren sie sogar den Männern gleichgestellt. 9. Die Verwendung
von
Psychopharmaka
Neben psycho-physischen Techniken wie Musik, Tanz, Hypnose, Yogaübungen dienen seit jeher auch Rauschmittel dazu, den ekstatischen oder enstatischen Zustand herbeizuführen. Die sibirischen Schamanen und Schamaninnen trinken den Absud von Fliegenpilzen, bevor sie sich auf die Himmelsreise begeben und ihre numinose Besessenheit erhalten; mexikanische Stammensangehörige verwenden Pulque, den mescalinhaltigen Rauschtrank aus Agavensaft, um bei kultischen Handlungen den Geistern zu begegnen; Brahmanen nehmen zuweilen Opiate zu sich, um die advaita-Erfahrung möglichst rasch zu erleben und ihren Atman mit dem Brahman zu verschmelzen; einige Bektashi, die
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Mystik I
den fanä-Zustand durch äußere Mittel erreichen wollten, gaben sich dem Opiumgenuß hin oder nahmen Haschisch, um die Wirklichkeit hinter sich zu lassen und nur noch Allah zu schauen. „Die Pforten der Wahrnehmung" (so das gleichnamige Buch von Aldous Huxley) scheinen sich auch für einige Mystiker schneller durch die Verwendung halluzinogener Substanzen zu öffnen als auf dem mühevollen Wege der Gottsuche. Doch in der Regel warnen die Meister ihre Schüler vor Drogen, es sei denn, diese werden kontrolliert und innerhalb einer festgefügten mystischen Gemeinschaft eingenommen. 10. Mystik und neue
Spiritualität
Der uferlosen Literatur, die zu mystischen Themen erscheint, entspricht eine Wiederbelebung der mystischen Praxis in den außerchristlichen Religionen: In neo-hinduistischen Ashrams lernen die Samnyäsins, wie sie in der Versenkung das mahäväkyam finden können; in den islamischen (zumal den fundamentalistischen) Ländern entdeckt man die klassischen Süfi-Traditionen wieder, und mystische Orden entstehen; Schamanen und Schamaninnen dürfen in Sibirien wieder mit den Geistern Kontakte aufnehmen; Medizinmänner und Medizinfrauen, die auf Grund ihrer mystischen Erfahrungen zu Heilern werden, genießen nicht nur in Schwarzafrika höchstes Ansehen. Und was das Erstaunlichste ist: Die Neubelebung außerchristlicher mystischer Traditionen setzt sich auch im Westen fort (—> Neue Religionen). Es kommt zu Translationen und Synkretismen, die in der Religionsgeschichte ein —»New Age und in der Mystik eine neue Spiritualität zur Folge haben: Süfi-Orden entstehen auch in Europa und in den beiden Amerika, neo-hinduistische Gurus überschwemmen die Welt mit z.T. fragwürdigen mystischen Praktiken, die Yogalehre findet als Yoga-Praxis Eingang in die Therapiezentren, Schamanen bieten ihre Besessenheitserfahrungen als Heilmittel an, Psychopharmaka schließlich verheißen dem an der Wirklichkeit irre gewordenen Menschen Transzendenzerfahrung und Bewußtseinserweiterung — also eine Pseudo-Mystik oder eine Mystik im Schnellverfahren („Instant Nirvana"), die keine bleibende Wirkung hinterläßt, weil sie sich vom religiösen Inhalt, der jeder echten Mystik zueigen ist, gelöst hat: Ein Süfismus ohne Allah, ein Zen ohne die Lehren des Buddha, ein tat tvam asi ohne die Kenntnis der Upanishaden, eine Yoga-Praxis ohne samädhi ist wie eine Religion ohne das Heilige und kann nicht mehr mit den Maßstäben mystischer Erfahrungen gemessen werden, geschweige denn zur Unio Mystica führen. Aber auch die Sehnsucht nach echten mystischen Erfahrungen nimmt in der Gegenwart zu. Sie hat ihre Ursache im Unbehagen an der institutionalisierten Religion und sucht nach einem Heilsweg, der zu einer Koinzidenz aller Gegensätze führt, zu einer letzten Einheit des Seienden in der Unio Mystica, wo das Endliche mit dem Unendlichen verschmilzt. Literatur 1. Allgemein: Carl Albrecht, Psychologie des mystischen Bewußtseins, Bremen 1951 = Mainz 1976. - Philip C. Almond, Mystical Experience and Religious Doctrine, Amsterdam 1982. - David S. Ariel, The Eastern Dawn of Wisdom. The Problem of the Relation between Islamic and Jewish Mysticism: Approaches to Judaism in Medieval Times 2 (1985) 1 4 9 - 1 6 8 . - Manutschehr Aschtiani, Der dialektische Vorgang in der mystischen „Unio-Lehre" Eckharts und Maulanas, Heidelberg 1971. - Bernhard Barzel, Mystique de l'ineffable dans l'hindouisme et le christianisme, Paris 1982. - Hubert Cancik (Hg.), Rausch-Ekstase-Mystik, Düsseldorf 1978. - Milbourne Christopher, Mediums, Mystics and the Occult, New York 1975. - Harold Coward/Terence Penelhum (Hg.), Mystics and Scholars. The Calgary Conference on Mysticism 1976, Waterloo/Ontario 1977. - Arthur J. Deikman, The Observing Seif. Mysticism and Psychotherapy, Boston 1982. - Mircea Eliade, The Two and the One, Chicago 1965. - Antoine Faivre/Rolf Chr. Zimmermann u.a., Epochen der Naturmystik. Hermetische Tradition im wiss. Fortschritt, Berlin 1979. - Peter Heigl, Mystik u. Drogenmystik. Ein krit. Vergleich, Düsseldorf 1980. - Friedrich Heiler, Die Bedeutung der Mystik für die Weltreligionen, München 1919. - Ders., Das Gebet. Eine religionsgesch. und religionspsych. Unters., München 5 1923 (Lit. 2 4 8 - 3 4 6 ) . - Nils G. Holm (Hg.), Religious Ecstasy, Stockholm 1982. - Carl A. Keller, Approche de la mystique, 2Bde., Le Mont-sur-Lausanne 1989/90 (Lit. 209 - 246).
Mystik I
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Vorbemerkung
Ein geschichtlicher A b r i ß der christlichen mystischen Überlieferung erfordert v o r a b eine K l ä r u n g der zugrundeliegenden Begriffsbestimmung von M y s t i k . I m Unterschied zu dem schon früher, für g e w ö h n l i c h mit e k k l e s i o l o g i s c h e m Bezug oder im Z u s a m m e n h a n g der S a k r a m e n t s l e h r e verwendeten Adjektiv „ m y s t i s c h " begegnet das Substantiv in den europäischen S p r a c h e n erst v e r h ä l t n i s m ä ß i g spät, und sein Sinngehalt wird von den religiösen Einstellungen der beiden letzten J a h r h u n d e r t e mitgeprägt. Es hebt a u f eine e r f a h r u n g s b e s t i m m t e und ausgesprochen individualistische Weise religiösen L e b e n s a b und läßt zugleich an eine von festen religiösen G e m e i n s c h a f t e n und Lehrsystemen u n a b h ä n g i g e G o t t e s e r f a h r u n g d e n k e n . Ein Versuch, unter e i n e m solchen Vorverständnis eine geschichtliche Darstellung christlicher mystischer Überlieferung zu g e b e n , w ä r e un-
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möglich und würde gewiß in die Irre führen. Die hier zu gebende Darstellung richtet sich demgegenüber an einer vorläufigen Begriffsbestimmung aus, nach der unter Mystik eine Beziehung zwischen -»Mensch und -»Gott verstanden wird, die sich als Vereinigung mit Gott, genauer - und das ist eine Unterscheidung, die an gegebener Stelle deutlich werden wird - ah eine Vereinigung mit Gott selbst kennzeichnen läßt, als eine Vereinigung, die real ist und daher zweifelsfrei erfahren wird, wenn auch der Ton eher auf die Wirklichkeit der Erfahrung als auf die -»Erfahrung selbst fällt. Es ist überdies möglich, zwischen dem, was man „mystische Theologie", und dem, was man „mystische Philosophie" nennen könnte, zu unterscheiden. Mystische Philosophie wäre dann eine Analyse der Wirklichkeit, die um die Möglichkeit oder Wirklichkeit einer Vereinigung zwischen der —» Seele, wie es für gewöhnlich heißt, und -»Gott kreist (ein gewichtiges Beispiel dafür wäre die Philosophie -»Plotins). Mystische Theologie wäre demgegenüber der Versuch, die Bestimmtheit der Vereinigung zwischen der Seele und Gott zu verstehen. Zuweilen wird Wert darauf gelegt, die „mystische Philosophie" aus der Darstellung einer Geschichte christlicher Mystik auszuschließen, da sie keine Mystik im eigentlichen Sinne sei. Das soll hier jedoch allein schon darum nicht versucht werden, weil selbst dann, wenn - was zu entscheiden ohnehin schwierig ist - mystische Philosophie nicht Mystik im eigentlichen Sinne ist, doch auch unbestreitbare Vertreter mystischer Theologie ohne weiteres dankbar Aussagen mystischer Philosophie verwenden. Allerdings ist die folgende Darstellung weit davon entfernt, einen Abriß der christlichen -»Spiritualität überhaupt zu geben; ihre Grenzen sind durch die vorstehenden Erwägungen bestimmt. 1.2. Die
Anfänge
1.2.1. Neues Testament. Man hat die Ursprünge einer spezifisch christlichen Mystik gern in der johanneischen und paulinischen Theologie gesucht. Man muß allerdings, will man nicht Vorstellungen einer viel späteren Zeit ins 1. Jh. zurückprojizieren, sehen, daß diese Mystik in beiden Fällen sowohl christozentrisch als auch ekklesiologisch und sakramental ist: Die Vereinigung mit Gott erfolgt durch Christus, sie wird in der Kirche erfahren und durch die Sakramente der -»Taufe und Eucharistie (—»Abendmahl) gewirkt. Es ist daher keine Rede von einer lediglich individuellen Erfahrung: Die Vereinigung mit Gott durch Christus zieht eine Vereinigung mit den Brüdern und Schwestern im Glauben an Christus nach sich. Dabei ist ein Schlüsselbegriff für den Apostel -»Paulus der Begriff der Teilhabe: Er verwendet den Begriff Koivtovia (Teilhabe), und für Johannes ist der Schlüsselbegriff /¿eveiv (bleiben). Der Glaube an Christus und die Taufe auf seinen Namen bringen mit sich, daß der Glaubende „in Christus ist" (häufig bei Paulus), daß sein „Leben verborgen ist mit Christus in Gott" (Kol 3,3); auch Johannes spricht von einer solchen wechselseitigen Einwohnung (vgl. Joh 17,20-26). Diese Vereinigung mit Christus ist von der Art, daß Paulus sagen kann: „Ich lebe; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20), und Johannes läßt Christus sagen: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben;... ohne mich könnt ihr nichts tun" (Joh 15,5). Die Eucharistie, die die Koivcovia am Leib und Blut Christi ist (vgl. I Kor 10,16), in der die Teilnehmer durch das Essen des Fleisches und Trinken des Blutes Christi in Christus „bleiben" und er in ihnen (Joh. 5,56), hat eine tragende Bedeutung für diese Vereinigung zwischen dem Glaubenden und Christus. Paulus spricht von einer mystischen Erfahrung, in der er (und schwerlich ein geheimnisvoller Dritter) „bis an den dritten Himmel" (II Kor 12,2), „in das Paradies" (V. 4) entrückt worden ist und, offenbar in einem Zustand der Verzückung (V. 2b), Unsagbares erfahren hat. Er hat sich über diese seine Erfahrung nicht weiter ausgelassen, doch ist ihr in späterer christlicher Wertung häufig große Bedeutung beigemessen worden. Was sich in Christus erfüllt hat, war in der Geschichte Israels angekündigt, und die großen Gestalten und Ereignisse des Alten Testaments scheinen in Vorwegnahme an der Vereinigung mit Gott durch Christus teilzuhaben (vgl. z.B. Joh 8,56; I Kor 1 0 , 1 - 5 ) .
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An diesem Verständnis der Erzväter und Propheten als Wegbereiter der Vereinigung mit Gott in Christus hält die frühchristliche Zeit fest. Im Blick auf das Ziel christlicher Gotteserkenntnis sprechen Paulus wie Johannes von einer Schau. Bei Johannes ist die Rede von einer umgestaltenden Schau, in der wir Gott gleich werden, und er spricht von der Vorbereitung auf diese der Parusie - „wenn er erscheint" - vorbehaltene Schau als einer Reinigung (I Joh 3 , 2 - 3 ) . Diese Schau bedeutet eine Umgestaltung, näherhin eine Vergöttlichung. Paulus redet von Umgestaltung durch den Geist „von Herrlichkeit zu Herrlichkeit" (II Kor 3,18) und an anderer Stelle von einem Übergang von einer stückweisen, spiegelbildlichen Gotteserkenntnis zu einer vollständigen Schau von Angesicht zu Angesicht (I Kor 13,12), in der unsere Liebe der Liebe Gottes zu uns antwortet. 1.2.2. - » M a r t y r i u m . Die Christen sahen sich von Anfang an von Verfolgung bedroht, und dieser Druck dauerte während der ersten drei Jahrhunderte an. Der Märtyrer galt als herausragendes Beispiel der —»Nachfolge Jesu. Möglicherweise noch wichtiger war zudem, daß die frühe Kirche als Erbe aus dem Judentum eine dort bereits ausgebildete „Spiritualität" des Martyriums (vgl. insbesondere die Makkabäerbücher [—»Makkabäer]) übernahm. Der Märtyrer stand an der Schwelle der zukünftigen Zeit. Sein Tod war eine Sühne für die Verfehlungen derer, die in der Erwartung des heraufkommenden Zeitalters lebten, und ließ dieses Zeitalter näherrücken, das das —»Paradies, die Wiederherstellung der ursprünglichen -»Schöpfung Gottes sein würde. Die lukanische Passionsgeschichte stellt Jesu Leiden in gewissem Grad als Märtyrertod dar und sieht Jesus vom Kreuz ins Paradies übergehen, wobei er den reuigen Übeltäter mit sich nimmt (Luk 23,43). Auch Stephanus sieht angesichts des Martyriums „den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen" (Act 7,56). Dem Seher Johannes wird seine Schau des geöffneten Himmels (vgl. Apk 4,1) nach der —• Johannesapokalypse zuteil, als er öiä...Ttjv ßapzvpiav Itjaov ( u m . . . d e s Zeugnisses von Jesus willen: Apk 1,9) in der Verbannung auf Patmos weilte, und die große Schar, die er dabei Gott und das Lamm verehren sieht, trägt Palmzweige als Siegeszeichen (Apk 7,9) und wird als Schar derer beschrieben, die SK trjg OMy/ecog rfjq ßeyäAtjg (aus der großen Bedrängnis) gekommen sind (Apk 7,14), eine Wendung, die an Verfolgung denken läßt. Das Martyrium erschien als die äußerste Bewährung des Christen, die —»Vollkommenheit oder Erfüllung (zEleiwaiQ) mit sich brachte. Standhaftigkeit angesichts der Verfolgung ließ den Christen sein Leben hingeben (vgl. R o m 5 , 3 - 5 ) . TeAeitocriQ wird später zum Kennzeichen der letzten Stufe des mystischen Aufstiegs, doch die ältere Verwendung des Begriffs zielt (so etwa durchgängig in Eusebs Kirchengeschichte) auf die Vollendung oder Erfüllung des Martyriums. Der Märtyrer war ein Mensch, der vollständig christusförmig geworden war, und viele Märtyrerberichte (so in hohem M a ß die Passio Perpetuae) bringen eine Fülle von Erscheinungen, die später mit der Mystik verbunden wurden, wie Visionen, Ekstase und Vollmacht zu wirksamer Fürbitte (selbst für Verstorbene). 1.3. Von Ignatius
von Antiochien
bis
Irenäus
1.3.1. Herausragende Kirchenmänner des 2. Jh., die das Martyrium erlitten, waren —»Ignatius von Antiochien und —»Polykarp von Smyrna. Die Ignatiusbriefe sind durchzogen von Vorstellungen und Begriffen, die auf das vierte Makkabäerbuch zurückgehen, einer durch das Martyrium der M a k k a b ä e r angeregten philosophischen Abhandlung. Ignatius betrachtet sein Martyrium als ein Geschehen von weltgeschichtlicher Tragweite, das das Ende des gegenwärtigen Zeitalters heraufführt, und bittet seine Mitchristen in R o m , nicht zu versuchen, seine Vollendung zu verhindern. Zugleich faßt er das Martyrium in eine ausgeprägt eucharistische Sprache; das geschieht besonders deutlich, wo er sich selbst „Weizen G o t t e s " nennt, der „durch die Zähne der wilden Tiere gemahlen" wird, „damit ich als reines Brot Christi befunden werde" (IgnRom 4,1), doch gibt es auch noch eine Reihe anderer Stellen mit solcherart eucharistischen Bildern. Desgleichen
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verwendet er eindringlich die Bilder von Wort und Schweigen: Jesus ist das „aus dem Schweigen" des Vaters „hervorgegangene Wort" (IgnMagn 8,2); „Wer Jesu Wort wirklich besitzt, kann auch seine Stille {tjav/ia.) vernehmen" (IgnEph 15,2). Schweigen, Stille kennzeichnen Gottes inneres Wesen, und in dieser Stille vollziehen sich die die Schöpfung erneuernden Werke der Erlösung (vgl. IgnEph 19,1); Schweigen kennzeichnet die Autorität des Bischofs (vgl. IgnEph 6,1; IgnPhilad 1,1), und durch Übung der Stille vermag der Glaubende Christus nahezukommen und sein Wort zu besitzen. Des Ignatius Liebe zu Christus und sein Gleichförmigwerden mit ihm durch das Martyrium ist unzweifelhaft: Ob 6 ¿/iöq epcoQ ¿OTavpanai (meine Liebe ist gekreuzigt: IgnRom 7,2) seine Liebe zu Christus meint, ein Verständnis, zu dem die altkirchlichen Schriftsteller neigen, oder die Kreuzigung seines inneren Wesens in der Vereinigung mit Christus, auf jeden Fall bringt die Wendung die Tiefe seiner Hingabe an Christus zum Klingen. Polykarp stand noch in jüngeren Jahren, war aber bereits Bischof von Smyrna, als Ignatius zur Zeit Trajans (98-117) auf dem Weg zu seinem römischen Martyrium durch Kleinasien kam. Er selbst erlitt um 155 den Märtyrertod, und der Bericht darüber ist der älteste erhaltene Märtyrerbericht. Polykarps Brief an die Christen in Philippi ist eine schlichte, bewegende Mahnung zur Hingabe an Jesus und zur Bereitschaft zum Leiden um seines Namens willen. Der Bericht von seinem Martyrium, das er im Alter von 86 Jahren erlitt, gleicht dessen Umstände denen des Todes Jesu an und sieht in dem Märtyrer Polykarp einen Mann des Gebets, der vom Geist erfüllt ist, einen in seinen Worten untrüglichen Propheten (MartPol 16,2). Bevor der Scheiterhaufen, auf dem er verbrannt werden soll, angezündet wird, sieht man ihn sich selbst in einer Sprache, in der deutlich Form und Gehalt des Eucharistiegebetes anklingen, Gott als Opfer darbringen: In seinem Tod erfüllt er die Vereinigung mit Gott, die im eucharistischen Handeln der Kirche zum Ausdruck kommt und bewirkt wird. 1.3.2. Die —>Gnosis wird häufig vornehmlich als eine Ausformung der Mystik angesehen, und umgekehrt gilt die Mystik häufig als eine Form von „Gnosis". Ein Abriß der christlichen Mystik kann daher die Gnosis nicht übergehen. Zugleich aber ist eine gedrängte Darstellung sehr schwierig. Die Gnosis war eine Erscheinung von breiter Vielfalt, und auch nach der Veröffentlichung der Bibliothek von -»Nag Hammadi ist man noch weit von einem umfassenden Verständnis entfernt. Soll nicht die Ausgewogenheit des vorliegenden Überblicks gestört werden, empfiehlt es sich am ehesten, eine einzelne gnostische Schrift vorzustellen, die man „die älteste erhaltene Predigt christlicher Mystik" genannt hat, nämlich das Evangelium der Wahrheit (NHC I 2). In dieser Schrift werden zweifellos Motive angeschlagen, die der vorgegebenen Bestimmung von Mystik als der religiösen Erfahrung einer Vereinigung mit Gott entsprechen, und zwar auch solche Motive, die den „Hauptstrom" christlicher Mystik kennzeichnen. Die Predigt spricht am Schluß von denen, die die Wahrheit sind, „und der Vater ist in ihnen, und sie sind in dem Vater" (42,25-26). Eine bestimmende Vorstellung ist die der „Ruhe" (vgl. das johanneische fieveiv). Des Vaters Ruhe ist seine Fülle (41, 12), der Quell aller wahren Wirklichkeit. Der „Ruheort des Vaters" wird Paradies genannt (36,35-37,18), aus dem die Seligen herausgefallen sind und in das sie durch die Mittlerschaft des Sohnes, der des Vaters Äußerung ist, wieder zurückkehren werden. Die Ruhe wird der Bewegung gegenübergestellt, und diejenigen, die zur Erkenntnis (yvcboiq) kommen, finden diese Ruhe in sich selbst durch den Gewinn von Selbsterkenntnis, des Innewerdens des eigenen inneren Wesens als einer Ausstrahlung aus der Ruhe des Vaters. Die Art, in der -»Valentin - sofern er der Verfasser der Schrift ist — im Evangelium der Wahrheit von „Ruhe" spricht, erinnert an des Ignatius Rede von Schweigen und Stille. Andere gnostische Schriften (z.B. Zostrianos [NHC VIII 1], Allogenes [NHC XI 3]) enthalten klassische Beispiele des „mystischen Aufstiegs", der schon bei Parmenides und ->Plato, insbesondere in seinem Symposion, gut bezeugt ist und in größerer zeitlicher Nähe im mittleren Piatonismus und in der Allegorisierung des Lebens von Erzvätern
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wie Abraham und Mose bei -»Philo begegnet. Die Stufenleiter des Aufstiegs im Zostrianos ist insofern bemerkenswert, als sie einen Aufstieg zur yvwaig abbildet, der mit der Taufe beginnt (und sich anscheinend über weitere Taufen fortsetzt). 1.3.3. Der Beitrag des ->Irenaus zur mystischen Theologie verbirgt sich in seinem gewichtigen polemischen Werk gegen die Gnostiker. Er liegt daher eher in den Motiven, die er anschlägt, als in einer durchgängigen systematischen Darstellung. Dabei sind insbesondere zwei Motive bedeutsam, die Lehre, daß der Mensch nach dem Bild und der Ebenbildlichkeit Gottes (-»Bild Gottes) geschaffen ist, und das irenäische Verständnis von Inkarnation und Vergöttlichung. Gegenüber den Gnostikern betont Irenäus, daß der Mensch von Gott selbst geschaffen ist, und schreibt die unheilvolle Vorfindlichkeit der Welt der Abwendung des Menschen von Gott als dem Quell alles Seins zu. Er unterscheidet zwischen dem Bild und der Ebenbildlichkeit Gottes, nach denen der Mensch geschaffen worden ist. Das Bild gehört zur geschaffenen Natur des Menschen, die Ebenbildlichkeit ist demgegenüber etwas anderes. Zuweilen spricht er davon, daß der Mensch die Ebenbildlichkeit durch den Fall verloren habe, zuweilen davon, daß der Mensch nach Gottes Bild geschaffen worden sei und die Ebenbildlichkeit etwas sei, das er erlangt hätte, wäre er Gott zugewandt geblieben. So oder so aber steht die Ebenbildlichkeit außerhalb des dem Menschen Erreichbaren und kann allein durch den —»Geist verliehen werden. Die Unterscheidung von Bild und Ebenbildlichkeit verleiht dem irenäischen Verständnis des Menschen einen dynamischen Zug: Das geschaffene Bild schließt in sich das Vermögen, die Ebenbildlichkeit zu empfangen, die durch Christi Heilswerk, durch Bußfertigkeit und das Wirken des heiligen Geistes wiederhergestellt (oder einfachhin empfangen) wird. Zur Ebenbildlichkeit Gottes wiederhergestellt, bekundet der Mensch diese Ebenbildlichkeit durch Teilhabe an Gottes unvergänglichem -»Leben und tut so in seinem Sein die Herrlichkeit Gottes kund und findet die Erfüllung seines Lebens in der Schau Gottes: gloria ertim Dei vivens homo, vita autem hominis visio Dei (Gottes Herrlichkeit ist der lebendige Mensch, das Leben des Menschen aber ist die Schau Gottes: haer. IV 20,7). Diese Wiederherstellung aber beruht auf der Inkarnation des Wortes Gottes, des Bildes des Vaters, nach dem der Mensch geschaffen ist (-»Jesus Christus). Das fleischgewordene Wort rekapituliert alle Stufen des Ungehorsams des Menschen und seiner Abkehr von Gott und öffnet so den Weg zu seiner Wiederherstellung zum Leben Gottes. Die Inkarnation des Sohnes Gottes ermöglicht die Vergöttlichung des Menschen: „Er, der in seiner unendlichen Liebe geworden ist, was wir sind, um uns zu dem zu vollenden, was er ist" (haer. V praef.). 1.4. Clemens
von Alexandrien
und
Origenes
1.4.1. —•Clemens von Alexandrien hat ein ganzes Buch seiner Stromateis (IV) dem Martyrium gewidmet. Er unterscheidet zwischen einem „einfachen" Martyrium und dem, was er ein „gnostisches" Martyrium nennt (ström. IV 4,15,4). Das einfache, d.h. das Martyrium im buchstäblichen Sinn, erlangt gewiß die Erfüllung oder Vollendung (zeleicoaiQ, vgl. o. 1.2.2), aber es erreicht sie nicht einfachhin durch den Tod, sondern darum, weil es ein „vollkommenes Liebeswerk" bekundet (ström. IV 4,14,3), und ein solches vollkommenes Liebeswerk kann auch von denen bekundet werden, die nicht zum Martyrium im buchstäblichen Sinn berufen sind. Es wird in der Tat von denen bekundet, die Clemens „Gnostiker" nennt, von Männern und Frauen, die sich selbst gänzlich Gott ergeben haben und wie die Märtyrer Gott nahe sind und durch ihre vollmächtige Fürbitte anderen Segen zu bringen vermögen (s. Quis dives salvetur 34—41 und ström. VII passim zum wahren Gnostiker). Clemens' Darstellung gnostischer Vollkommenheit bringt zwei weitere Momente in die Mystik der frühen Kirche ein. Einmal findet sich bei ihm vor allem die Verwendung von Begriffen, die geschichtlich den Hintergrund des Begriffs „Mystik" bilden, wie fiücmKÖg und ßuazripiov. Mvazrjpiov zielt auf das „Mysterium Christi" (vgl. Kol 1,26), das Geheimnis, das in Christus offenbart ist, aber, obwohl offenbart, als Gottes Ge-
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heimnis G e h e i m n i s bleibt. Dieses M y s t e r i u m wird offenbar in einem L e b e n , das in der i n s b e s o n d e r e der N ä h e zu Christus geführt wird, in den - » S a k r a m e n t e n (xä noaxrjpia), Eucharistie, und in der heiligen Schrift. Die „in der T i e f e des G e i s t e s " der G n o s t i k e r verborgenen „ u n s a g b a r e n G e h e i m n i s s e " (Quis dives 36) werden von ihrem i m m e r tieferen Verständnis der heiligen Schrift getragen: D i e m o s a i s c h e Philosophie ( d . h . das Verständnis der Schrift) läßt sich vierfach gliedern: in (1) die historische und im eigentlichen Sinn gesetzgeberische G a t t u n g , (2) das, was zum ethischen T u n {fjOiKtj npay/iaxeia) g e h ö r t , (3) die auf den Kult b e z o g e n e G a t tung, die schon zur natürlichen S c h a u ((puoiKrj Oecopia) gehört, und (4) die vierte, alle anderen überragende t h e o l o g i s c h e G a t t u n g , die K o n t e m p l a t i o n {¿nonxeia), die nach P l a t o zu den w a h r h a f t großen M y s t e r i e n gehört (ström. I 2 8 , 1 7 6 , 1 f). In den drei Stufen, die über das historische Verständnis hinausführen, k a n n m a n die Anfänge der späteren Unterscheidung von drei Stufen mystischen Lebens sehen, insbesondere in der G e s t a l t , die diese Stufen bei Evagrius (s.u. 1.6.1) a n n e h m e n : npatcxiKrj, (pvaiKrj, Oeoloyia. D e r angeführte T e x t läßt auch das zweite von C l e m e n s in die mystische T h e o l o g i e eingebrachte M o m e n t e r k e n n e n , den Einfluß der klassischen Philosophie, insbesondere Piatos. C l e m e n s ' Vorstellung v o m G n o s t i k e r ist in erheblichem M a ß d e m philosophischen Ideal des Weisen verpflichtet, insbesondere in der Art, wie er sein Bild des w a h r e n G n o s t i k e r s von der änädeia b e s t i m m t sein läßt, einer G e l ö s t h e i t und A b g e k l ä r t h e i t , die den G n o s t i k e r von der Beunruhigung durch weltliche G e s c h ä f t i g k e i t f r e i m a c h t und ein interessenfreies Liebeshandeln in der Welt e r m ö g l i c h t (vgl. s t r ö m . VII 7 , 5 ) . Sein Verständnis des Fortschreitens des Christen zur yvcöaic; (Erkenntnis) ist im b e s o n d e r e n M a ß e gerade P l a t o verpflichtet: Es verlangt KaOapaiQ, Läuterung (vgl. Piatos Phaidon), und diese Läuterung ist ganz wesentlich eine L ä u t e r u n g der Liebe, des epcoc; (vgl. Piatos Gastmahl). Piatos B e h a u p t u n g : (pvyrj öe öfioicoaig 9s(p Kaxä xd övvaxöv (sc. die Flucht [aus der Verstrickung ins Irdische] ist möglichste Angleichung an G o t t : T h e a i t e t o s 176B) wird von C l e m e n s mit Vorliebe angeführt. E r setzt Piatos ¿fioiwoiq Oedt gleich mit d e m mosaischen G e b o t , G o t t zu folgen (Dtn 13,4; vgl. s t r ö m . II 1 9 , 1 0 0 , 4 ) . M i t dieser D e u t u n g des Alten T e s t a m e n t s aus der Sicht griechischer Philosophie ist C l e m e n s deutlich —»Philo verpflichtet, der bis ins 4. J h , bei G r e g o r von Nyssa und A m b r o s i u s , einen b e t r ä c h t l i c h e n Einfluß a u f diese Seite der christlichen mystischen T r a d i t i o n ausgeübt hat (wenn auch Philos D e u t u n g des „ G o t t F o l g e n " sich nicht mit der von C l e m e n s d e c k t , vgl. Philo, M i g r 1 2 7 - 1 3 1 ) . W i e Irenäus unterscheidet C l e m e n s zwischen Bild und E b e n b i l d l i c h k e i t G o t t e s , nach denen der M e n s c h geschaffen ist, und er b e t r a c h t e t das christliche Leben als einen Prozeß, in dem das Bild in das E b e n b i l d übergeht. D a die L X X die E b e n b i l d lichkeit in G e n 1,26 als öfioiwoiq bezeichnet, fügt sich dieses Verständnis von der Verv o l l k o m m n u n g des Bildes gut zu Piatos R e d e von der dfioiajaiq Oed). 1.4.2. —yOrigenes steht mit seinem Verständnis der mystischen T h e o l o g i e und seinem Beitrag zu ihr C l e m e n s sachlich sehr nahe. M a n findet die gleiche A k z e n t v e r l a g e r u n g v o m M a r t y r i u m im b u c h s t ä b l i c h e n Sinn zu einem geistlichen M a r t y r i u m der - » A s k e s e , und auch der platonische Einfluß ist spürbar. D o c h stellt Origenes in seinem Verständnis christlichen Lebens und christlicher T h e o l o g i e die Schrift n o c h entschiedener in den M i t t e l p u n k t als C l e m e n s . B e s t i m m e n d für seine Auffassung der M y s t i k ist die B e g e g n u n g mit Christus als d e m - » L o g o s , die ihren O r t in der Auslegung der heiligen Schrift (—»Schriftauslegung) h a t . B e d e u t s a m für die origeneische Entfaltung der M y s t i k und in der Folgezeit von weitreichender W i r k u n g ist seine Auffassung des —»Hohenliedes als eines Z e u g n i s s e s mystischen L e b e n s . Dieser L o b p r e i s menschlicher Liebesbeziehung w a r schon in der rabbinischen Auslegung auf die L i e b e zwischen G o t t und Israel bezogen w o r d e n , eine D e u tung, die dann zur Z e i t - » H i p p o l y t s christlich gewendet wurde und das H o h e l i e d als Preis der Liebe zwischen Christus und der K i r c h e (vgl. Eph 5 , 2 5 - 3 2 ) e r s c h e i n e n ließ. Dieses Verständnis blieb für O r i g e n e s grundlegend, doch er verband d a m i t eine Bezie-
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hung des Textes auf die Liebe zwischen Christus und der einzelnen christlichen Seele. Sie sieht er in zweifacher Hinsicht zur Geltung kommen. Einmal wertet er das Hohelied unter Verweis auf den superlativischen Sinn seines hebräischen Titels als das gewaltigste unter den Liedern des Alten Testamentes, die mit dem als Preis der Taufe gedeuteten Siegeslied Moses nach der Durchquerung des Roten Meeres (Ex 15 [-»-Mose]) beginnen (vgl. Horn, in Cant. I 1; Comm. in Cant., prol.): die „mystische" Vereinigung mit Gott ist somit die Erfüllung dessen, was schon in der Taufe begonnen hat. Auf der anderen Seite betrachtet Origenes das Hohelied als das letzte der drei Weisheitsbücher und in Entsprechung dazu als letzten der drei Zweige der Philosophie, wobei die Proverbien der Ethik, der Prediger der Physik und das Hohelied der „Enoptik" entspricht (der lateinische Text hat inspective, seine griechische Vorlage hat wahrscheinlich ¿vonziKrj gelesen; ein Vergleich mit der von Clemens genannten Trias [s.o. 1.4.1.] läßt vermuten, daß inonziKrj gemeint ist, was auch sinnvoller wäre), so wie es drei Stufen des Aufstiegs der Seele zu Gott gibt, fjOiKt], if/v/iKi/ und eTtonTiKr/. Die erste Stufe gilt der Läuterung der Seele durch Tugendübung; sie wird von Origenes eher beiläufig behandelt. Darauf lernt sie, die Welt zu erschauen und ihre Vergänglichkeit wahrzunehmen, und schließlich gelangt sie zur Schau Gottes selbst und zur Vereinigung mit ihm in der Kontemplation. Die Kontemplation, Oecopia, spielt bei Origenes in der Metaphysik wie auch in der mystischen Theologie eine bedeutsame Rolle. Durch die nach oben gerichtete Haltung der Oecopia haben niedere Wesen teil an höheren: Der Logos ist göttlich (Oeöq, nicht ö deög) infolge seiner „unaufhörlichen Kontemplation der väterlichen Tiefe" (Comm. in Ioan. II 2), der geläuterte Geist „wird vergöttlicht durch das, was er erschaut" (ebd. X X X I I 2). Die Kontemplation ist somit als solche vergöttlichend. Ursprünglich haben alle geistigen Wesen (XoyiKoi) den Vater durch den - * Logos erschaut. Als sie sich aus Überdruß von der Kontemplation abwandten, verfielen sie in ihr leibgebundenes Dasein. Das mystische Leben bedeutet die Rückkehr in den ursprünglichen Zustand reiner, vergöttlichender Kontemplation. Die drei oben skizzierten Stufen zeigen den Weg dieser Rückkehr auf, die tatsächlich durch die Gegebenheit des leiblichen Daseins ermöglicht wird. Das asketische Ringen der -»Seele mit dem -»Leib läutert sie und bereitet sie auf die Kontemplation vor. Der Wiedergewinn des Zustandes der Kontemplation wird zudem beschleunigt durch die Fleischwerdung des Logos, der durch sein Erscheinen in leiblicher Gestalt in denen, die ihm - unmittelbar im Fall der Jünger oder durch die Schrift und die Kirche - begegnen, das Verlangen nach der Kontemplation wachruft. Ein weiterer bedeutsamer Beitrag des Origenes zur mystischen Tradition ist seine Lehre von den geistlichen Sinnen. Der Anfang dieser Vorstellung liegt wohl in dem Versuch, biblische Stellen wie Ps 34,9 („Schmecket und sehet, wie gütig der Herr ist") zu deuten, bei denen auf ein geistliches Sehen und Schmecken verwiesen werden mußte, da ein leibliches schwerlich in Betracht kam. Das führte zu der Vorstellung, daß entsprechend zu den fünf Sinnen des Leibes auch die Seele Sinne habe, mit denen sie die Wirklichkeit im Bereich des Geistigen wahrnimmt. Diese Sinne sind von der Sünde getrübt und werden erst durch die Gnade erweckt. In dem Maße, in dem die leiblichen Sinne abgetötet werden, erwachen die geistlichen Sinne zum Leben. Die sinnliche Sprache des Hohenliedes bietet reichlich Gelegenheit zur Entfaltung dieser Lehre von den geistlichen Sinnen, die den Gedanken nahelegt, daß mystische Erfahrung weniger eine Art eines inneren veränderten Bewußtseinszustandes ist als vielmehr der Zugang zu einem anderen Bereich, dem Paradies, das die Märtyrer gesehen haben und in dem Christus die ihn Suchenden bewillkommnet. 1.5. Athanasius
und Gregor von
Nyssa
1.5.1. Im 4. Jh. führten die langwierigen arianischen Streitigkeiten (—• Arianismus) schließlich zur Festschreibung des orthodoxen Glaubens an eine wesenseine, ungeschaffene ->Trinität, dergegenüber alles übrige aus dem Nichts erschaffen ist (—•Schöpfer/Schöpfung). Die darin beschlossene Vorstellung einer radikalen Scheidung zwischen
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Gott und seinen Geschöpfen hatte eine tiefgreifende Auswirkung auf die mystische Theologie. —> Athanasius zeigt in Contra gentes/De incarnatione ein Verständnis der Beziehung des Menschen zu Gott als einer Kontemplation, das in mancher Hinsicht an Origenes erinnert. Doch der gefallene Zustand der aus dem Nichts geschaffenen Geschöpfe beraubt sie jeder natürlichen Verwandtschaft mit Gott und infolgedessen auch jeder Möglichkeit, die Anschauung Gottes aus eigener Kraft und im asketischen Ringen wiederzugewinnen. Die Gottesschau wird allein wieder ermöglicht durch die Inkarnation, in der sich der Logos, das Bild Gottes, in der geschöpflichen Welt kundtut, und durch seine Wiederherstellung der Fähigkeit des Menschen, das Bild Gottes zu erfassen. Diese Fähigkeit gründet darin, daß der Mensch nach diesem Bild und dieser Ebenbildlichkeit - Athanasius macht hier keinen Unterschied - geschaffen ist; doch ist diese Abbildhaftigkeit der zerstörerischen Wirkung der (pOopä (Vergänglichkeit) als einer Folge des Falls unterlegen (de incarn. 13—16). Der Ton verschiebt sich von der origeneischen Vorstellung der aus sich selbst heraus vergöttlichenden Kontemplation zu der Behauptung des Athanasius, daß es die Vereinigung des Logos Gottes mit der Menschheit ist, die den Menschen vergöttlicht und ihm die Möglichkeit der Gottesschau zurückgibt: „Er wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden. Er offenbarte sich durch einen Leib, damit wir die Erkenntnis des unsichtbaren Vaters gewännen (evvoiav Xäßco/iev)" (ebd. 54). Menschwerdung und Vergöttlichung bedingen sich wechselseitig, die letzte beruht auf der ersten. 1.5.2. Am gründlichsten hat indessen - > G r e g o r von Nyssa die Folgen in dem Gedanken der Schöpfung aus dem Nichts für die mystische Theologie beschlossenen Folgen durchdacht. Sind die Geschöpfe aus dem Nichts geschaffen, dann gibt es keinen Berührungspunkt zwischen Gott und ihnen, und Gott bleibt dem Menschen schlechthin unerkennbar. Das schließt für Gregor ein, daß die Dunkelheit, in die der Mensch gestürzt wird, umso tiefer ist, je näher er Gott kommt. Während für viele Mystiker (wie etwa Origenes) das Fortschreiten zur Vereinigung mit Gott ein Fortschreiten beständig zunehmender -»Erleuchtung bedeutet, ist es demgegenüber für Gregor eine immer tiefergehende Erfahrung von Dunkelheit. Die drei Stufen des mystischen Aufstiegs, wie man sie bei Origenes findet, sind daher umgestaltet. Nimmt man das Leben des -»Mose als Beispiel des Aufstiegs der Seele zu Gott, so sieht Gregor diese drei Stufen im brennenden Dornbusch (Ex 3 , 2 - 6 ) , im Aufstieg zum Berg Sinai (Ex 19,16-25) und in seiner endgültigen Gotteserfahrung in der Felsenkluft (Ex 33,17-23) versinnbildlicht: Das Fortschreiten vollzieht sich vom Licht durch die Wolke {vetpeAt]) zu tiefer Dunkelheit (yvotpoQ). Je näher die Seele Gott kommt, desto tiefer wird sie der unausschöpflichen Unerkennbarkeit Gottes inne. Gregor deutet Moses endgültige Erfahrung Gottes in der Felsenkluft, in der ihm ein Schauen von Angesicht zu Angesicht versagt bleibt und er Gott nur von hinten sehen kann, als Beleg dafür, daß „Gott schauen heißt, Gott zu folgen" (Vita Moysis II 252: Musurillo 121,5 f). Es gibt keine endgültige Schau Gottes, das Verlangen der Seele nach Gott wird niemals befriedigt. „Die wahre Schau Gottes besteht darin, daß die Seele, die zu Gott aufschaut, niemals in ihrem Sehnen nach ihm aufhört" (Vita Moysis II 233: Musurillo 114,22 f). Diese Auffassung wird häufig als Gregors Lehre von der ETtEKTaaiQ angesprochen. Gregor entfaltet seine Bestreitung einer endgültigen Gottesschau auch unter Rückgriff auf die Lehre von den geistigen Sinnen. Bei Plato und im griechischen Denken überhaupt wird die Kontemplation als die Art der Wirklichkeitswahrnehmung des Geistes (voüg) in Entsprechung zum Gesichtssinn, „dem klarsten aller Sinne" (Phaidros 250D; vgl. Rep. VI 508B), gesehen. Gregors Beharren auf der schlechthinnigen Unerkennbarkeit Gottes macht das hinfällig: In der Dunkelheit der Gegenwart Gottes ist keine Kontemplation mehr möglich. Die Seele erfaßt Gott auf eine andere, weniger umgreifende Weise. Die Erfahrung Gottes ist für Gregor die Erfahrung einer dunklen, aber gewissen Gegenwärtigkeit, einer Gegenwärtigkeit, die gefühlt, geschmeckt, ja gerochen wird, einer Gegenwärtigkeit, die sich uns enthüllt, und nicht etwas, das wir aufspüren. Die Seele ist „umgeben von der göttlichen Nacht, wäh-
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rend der Bräutigam naht, doch sich nicht zeigt. . . E r gibt der Seele ein Empfinden seiner Gegenwart, auch während er sich, verborgen durch die Unsichtbarkeit seiner Natur, einer deutlichen Erfassung durch sie entzieht" (Comm. in Cant. XI: 3 2 4 , 7 - 1 2 Langerbeck). Gregors Gedanken über die liebende Vereinigung der Seele mit Gott in der Dunkelheit seiner Gegenwart, eine Vereinigung, die niemals endgültig ist und nie das Verlangen der Seele stillt, haben moderne Leser in ihren Bann gezogen, haben aber in der Spätantike, von einem Einfluß auf Dionysios Areopagita (s.u. 1.8.) abgesehen, offenbar wenig Resonanz gefunden. 1.6. Monastische
Schriftsteller
des
Ostens
1.6.1. Das Ausgreifen der monastischen Bewegung im 4. Jh. ließ die christliche mystische Tradition in zunehmendem Maße zu einem Reservat der Mönche werden, und die Weichenstellungen für die weitere Entwicklung im Osten wie im Westen vollzogen sich bei den frühen Theoretikern des —»Mönchtums. Unter ihnen steht an erster Stelle Evagrius Ponticus. Wie das monastische Leben wesentlich ein dem —»Gebet gewidmetes Leben ist, so konzentriert sich die mystische Theologie jetzt eher auf die Gebetsübung und stellt sich nicht mehr so sehr wie bei Clemens und Origenes als Frucht eines vertieften Schriftverständnisses dar. Für Evagrius ist das Gebet der Zustand, in dem der Geist mit Gott in Verbindung tritt; es ist seine „beste und reine Tätigkeit" (// Kpzhxoiv Kai Ei'AiKpivijq ¿vepyeia). Infolge seiner Bindung an den Leib wird der Geist durch Verstrickung in weltliche Belange von solchem Gebet abgelenkt. Das Ziel des monastischen Lebens ist es, ihn vom Leib und dessen Belangen zu lösen und ihn so nackt (yüßvöc,) werden zu lassen und zum reinen Gebet zu befähigen. Die erste Stufe auf dem Weg dorthin nennt Evagrius npa.KZiKr\. Es ist das Stadium tätigen Ringens mit der Versuchung und den -»Dämonen, die den Geist in leibliche Belange zu verstricken suchen, indem sie zwanghafte Gedanken wachrufen, die Evagrius als Xoyiapoi bezeichnet. Er unterscheidet acht Gattungen dieser Xoyiapoi, nämlich yaozpipapyia, nopveia, (piXapyvpia, Xünrj, dpyfi, aKtjöia, KevoSo^ia, vnept] Augustin ist einer der ersten nachhaltig vom —»Neuplatonismus bestimmten Theologen. Er lernte die Philosophie in der von —»Porphyrius und —»Marius Victorinus vermittelten Gestalt kennen. Seine Vorstellung vom cor inquietum, dem unruhigen Herzen, das unfähig ist, in dieser Welt, der regio dissimilitudinis (Reich der Unähnlichkeit), zur R u h e zu k o m m e n , ist in großem M a ß -»Plotin verpflichtet. Sie ist zugleich ein Ausgangspunkt seiner mystischen Theologie. Die Ruhelosigkeit des Herzens ist eine Art Heimweh. Erst, wenn es in G o t t ruht, hat es Frieden. Diese Ruhelosigkeit ist eine Erfahrung innerer Gespaltenheit, und die R ü c k k e h r zu G o t t bringt die Überwindung dieser inneren Spaltung durch Einfachheit und Einzigkeit mit sich. Augustin fand allerdings bald zu der Überzeugung, daß solches Gesammelt- und zur Einheit Zurückgeführtwerden, das er continentia nannte (vgl. Conf. X 29,40), nicht in der M a c h t des gefallenen Menschen steht und nur durch Gottes —»Gnade möglich ist. Aus dieser Einsicht begann er weit weniger von einer ekstatischen Berührung mit der ewigen Weisheit Gottes zu halten ( - » E k s t a s e ) , wie er sie in seinen frühen Schriften, insbesondere den Confessiones (VII 17,23; I X 1 0 , 2 3 - 2 6 ; X 40,65), beschrieben und im zwölften Buch von De Genesi ad litteram eingehend analysiert hatte. Dennoch haben seine Darstellungen ekstatischer Erfahrungen, zumal die des Genesiskommentars, einen ganz erheblichen Einfluß auf die spätere abendländische Mystik ausgeübt; seine berühmteste Darstellung einer solchen Erfahrung allerdings, der Bericht über die Ekstase, die er im Gespräch mit seiner M u t t e r M o n i c a kurz vor deren T o d erfuhr (Conf. I X 1 0 , 2 3 - 2 6 ) , schlägt, ungeachtet einer plotinischen sprachlichen Einkleidung (vgl. Enneade V 1,2), insofern einen ausgesprochen unplotinischen Klang an, als es sich dabei um eine gemeinsam erlebte und keine einsame Erfahrung handelt.
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Der bleibende Beitrag Augustins zur mystischen Tradition ist allerdings kaum unmittelbar Plotin verpflichtet. Das Durchdenken der sachlichen Konsequenzen der Vorstellung einer wesensgleichen, wesenseinen -»Trinität brachte ihn zur Ablehnung der geläufigen Auffassung der griechischen Theologie, daß der Sohn das Bild Gottes und der Mensch nach {tcaza, secundum) diesem Bilde geschaffen sei. Diese Auffassung erschien ihm einen Subordinationismus in sich zu schließen, da ein Bild geringer sein müsse als der Abgebildete. Er sah daher statt dessen den geistigen Teil des Menschen - seine unstoffliche Seele, das Höchste der geschöpflichen Wesen - unmittelbar als Bild Gottes an, und zwar als Bild des dreieinigen Gottes. Ein solches Bild aber mußte auch seinerseits trinitarisch sein, und Augustin hat in seinem großen Werk De trinitate dieses trinitarische Bild im Menschen zu entdecken gesucht und dabei Zug um Zug vollkommenere Ausgestaltungen dieses Bildes im Geist, der sich selbst erkennt und sich selbst liebt (Buch IX), im Gedächtnis, Verstand und Willen (Buch X) und, als höchste Ausformung im gegenwärtigen Leben, im Geist, der sich Gott vergegenwärtigt, ihn erkennt und ihn liebt (Buch XIV 12,15), gefunden. Das mystische Leben ist als stufenweise Wiedergestaltung dieses Bildes zu verstehen, die in der Taufe beginnt und in einem langsamen, schrittweisen Ringen darum, Gottes Gnade zu entsprechen und der eigenen Taufe treu zu sein, vervollkommnet wird. Der Weg der trinitarischen Seele zum trinitarischen Gott wurde in der abendländischen Mystik zu einer anziehenden Vorstellung. 1.7.2. Johannes —>Cassianus hat mit seinen Schriften zum Mönchsleben die monastische Spiritualität der ägyptischen Wüstenväter, insbesondere in der Gestalt, die sie bei Evagrius gefunden hatte, ins Abendland gebracht. Da seine Schriften zur Grundlektüre des lateinischen Mönchtums wurden, ist sein Einfluß kaum zu überschätzen. Seinen spezifischen Beitrag zur mystischen Tradition kann man in seiner Lehre vom unablässigen Gebet sehen (Collationes IX und X , Abba Isaak zugeschrieben). Ein solches unablässiges Gebet ist das Ziel des monastischen Lebens. Es erfordert immobilem tranquillitatem mentis ac perpetuam puritatem (unerschütterliche Ruhe des Geistes und beständige Reinheit: IX 2), wie es in einer für Cassian kennzeichnenden Umschreibung der evagrianischen anäOeia heißt, die den im Westen schon von —• Hieronymus und Augustinus gegen dieses Ideal erhobenen Einwänden ausweicht. Diese Haltung erwächst aus der Übung der Tugenden und der Überwindung von Versuchung; Cassian spricht davon in engem Anschluß an Evagrius, dessen acht Xoyiafioi dabei zu den octo vitia principalia (acht Hauptlastern) werden. Damit wird die Seele allmählich für die contemplatio dei bereitet. Ein solcher Gebetszustand, qui contemplatione dei solius et caritatis ardore formatur (der in der Beschauung des alleinigen Gottes und der Glut der Liebe Gestalt findet: Collationes IX 18), kommt in vorübergehender Verzückung über die zu seinem Empfang befähigte Seele und erfüllt den Geist mit himmlischem Licht (Collationes IX 25). Cassian spricht davon als von einer Erfahrung, die bei allen möglichen Gelegenheiten in der Seele ausgelöst werden kann und stets ein Gefühl von Zerknirschung mit sich bringt (Collationes IX 26). Die zehnte Collatio erörtert dieses bildlose Gebet ausführlicher und empfiehlt kurze wiederholte Gebete als Mittel, die andauernde memoria dei, aus der ein solches Gebet erwachsen kann, zu pflegen. 1.7.3. —>Gregor der Große stand unter dem nachhaltigen Einfluß sowohl Augustins als auch Cassians. Die bei ihnen begegnenden Vorstellungen von der Ekstase kehren in seiner Erörterung des ekstatischen Gebets wieder, insbesondere in der berühmten Vision, die er im zweiten Buch seiner Dialoge -»Benedikt von Nursia zuschreibt. Gregors ausführlichste Erörterung des mystischen Gebets findet sich in seinen beiden Homilienreihen über -»Ezechiel. Er entfaltet darin seine Auffassung vom Gebet in seiner - zumindest äußerlich an eines der Themen der jüdischen Merkabah-Mystik erinnernden - Auslegung der von Ezechiel beschriebenen großen Visionen Gottes. Gregors Verständnis des Gebets ist auf die Schrift ausgerichtet, die Gottes Offenbarungswort ist. Im Achthaben auf die Schrift hören wir Gottes an uns gerichtete Stimme, eine Stimme, die das Herz durchdringt und in ihm ein Gefühl der Zerknirschung erweckt (I 15). Gregor
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spricht davon in ausgeprägt christozentrischer Weise. Das Wort bringt das Heil, welches, der Bedeutung seines Namens entsprechend, Jesus ist, und somit eröffnet der Herabstieg der Wahrheit in der Inkarnation uns einen Aufstieg, der auf der Demut beruht, der wir in der Nachfolge Jesu und seiner Nachahmung nachkommen. Die Nachahmung Christi führt zur Gleichförmigkeit mit Gott und Freiheit von Verderbnis, die die Kontemplation Gottes ermöglichen. Wenn Gregor auf die Kontemplation zu sprechen kommt, redet er mit großer Vorliebe von Süßigkeit und Wonne. Die Kontemplation hat etwas Anziehendes, Verlockendes an sich und vermittelt uns einen Geschmack von der Süße Gottes. Dieser Zustand ist vorübergehend, da die Seele von der „Nahrung der Liebe auf der Weide erschauter Wahrheit" von der ihr durch die Verderbnis vermittelten Gebrechlichkeit abgezogen wird. Doch die Seele, die die Kontemplation geschmeckt hat, behält „ein Gedächtnis der Süße Gottes", das „äußerlich durch gute Werke und inwendig durch heiliges Streben genährt wird". Kontemplation ist somit für Gregor ein Vorgeschmack auf die Gottesschau im Himmel. 1.8. Dionysius
Areopagita
-»Dionysius Areopagita hat in die christliche Theologie den Einfluß der Linie des -•Neuplatonismus eingebracht, der von Plotin über Jamblichus führt und seinen vornehmlichen Wortführer in —»Proclus gefunden hat. Mit Begeisterung hat er die Sprache und die häufig in triadischer Form gegebenen metaphysischen Distinktionen und Konstruktionen dieser philosophischen Strömung aufgegriffen, um damit einer auf die christliche -»Liturgie ausgerichteten, ihrem Gehalt nach christlichen Weltsicht Ausdruck zu geben. Die Begegnung des Menschen mit Gott wird vor den Hintergrund der glanzvollen Entfaltung göttlicher Selbstbekundung oder Theophanie im Kosmos (—»Offenbarung) gestellt, ist aber wesentlich eine Antwort auf Gottes Wirken, in dem er sich durch seine in der Inkarnation sich verdichtenden und in der Liturgie gefeierten deoupyiai seinen Geschöpfen entgegenstreckt. Gott der Schöpfer, der sich auf diese Weise kundtut, steht seinem Wesen nach außerhalb menschlicher Erfassungsmöglichkeit, er ist unerkennbar, doch er offenbart sich durch die Schöpfung und in ihr - die Schöpfung ist als solche Theophanie - , und daher offenbart alles etwas von Gott, und doch offenbart nichts —»Gott so, wie er ist. Daher gibt es sowohl eine kataphatische Theologie, die beteuert, daß die in der Schrift verwendeten Gottesbezeichnungen etwas von Gott offenbaren, als auch eine apophatische Theologie, die bestreitet, daß diese Bezeichnungen auf irgendeine Weise Gottes Sein erfassen: Den Negationen kommt dabei ein größerer Wahrheitsgehalt zu; denn was positiv von Gott ausgesagt wird, bedarf stets einer Einschränkung, während negative Aussagen schlechthin wahr sind, solange sie als eine Verneinung von Eigenschaften Gottes verstanden werden, nicht, weil sie ihm abgehen, sondern weil er sie transzendiert. Daher zeigt Dionysius eine Vorliebe dafür, Adjektive, wenn sie auf Gott bezogen werden (aber auch Begriffe des Seins und der Gottheit, vgl. De mystica theologia I 1), mit dem Präfix önep- zu versehen. Gott selbst und der gesamte ihn kundtuende Kosmos ist durch Triaden gekennzeichnet. Gott ist die Dreieinigkeit; das himmlische Reich besteht aus drei Hierarchien, deren jede drei Grade umfaßt; die kirchliche Hierarchie hat drei Grade der Geistlichkeit, drei Laiengrade und drei sakramentale Riten. In der triadischen Form kommt eine triadische Bewegung zum Ausdruck, durch die die Geschöpfe geläutert, erleuchtet und endlich vollendet oder mit Gott vereint werden. Der ganze Zweck der Hierarchie ist nach Dionysius Oetüaig, Vergöttlichung. Diese triadische Bewegung von Läuterung, Erleuchtung und Vervollkommnung — der Ursprung der „drei Wege" der späteren Mystik - vollzieht sich in erster Linie in den sakramentalen Riten der christlichen Liturgie. Die kurze Abhandlung „Über die mystische Theologie" legt dar, wie wir, über unser Antworten auf Gottes Selbstoffenbarung in der kataphatischen Theologie hinaus, durch die apophatische Theologie zu Gott an sich aufsteigen und schließlich mit ihm in der „verborgenen Wolke der Unwissenheit" mit ihm vereinigt werden und ihn auf eine den Verstand übersteigende Weise im Nichtwissen erkennen
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(ebd. I 3). Ein Vergleich z w i s c h e n d e r „ M y s t i s c h e n T h e o l o g i e " u n d d e r „ K i r c h l i c h e n H i e r a r c h i e " (z.B. II 2,8; III 2; III 3,3) legt n a h e , d a ß die „ M y s t i s c h e T h e o l o g i e " sich mit d e r i n n e r e n B e d e u t u n g d e r s a k r a m e n t a l e n R i t e n b e f a ß t , u n d d a s heißt mit a n d e r e n W o r t e n : „ M y s t i k " b e f a ß t sich f ü r D i o n y s i u s mit d e m v e r b o r g e n e n (/loauKÖq) Sinn d e r Schrift, d e r S a k r a m e n t e u n d des L e b e n s des g e t a u f t e n C h r i s t e n . Es ist ein E n t w u r f , der u n t e r Rückgriff auf n e u p l a t o n i s c h e A u s d r u c k s - u n d D e n k f o r m e n d i e geläufige Überzeug u n g d e r V ä t e r v o n d e r v e r b o r g e n e n D i m e n s i o n d e r m e n s c h l i c h e n B e g e g n u n g mit G o t t , z u m a l d e r in d e r Liturgie sich v o l l z i e h e n d e n , z u r S p r a c h e b r i n g t . S p ä t e r w u r d e dieser E n t w u r f , i n s b e s o n d e r e im W e s t e n , n u r m e h r in Teilen w a h r g e n o m m e n u n d D i o n y s i u s als Vater einer „ m y s t i s c h e n T h e o l o g i e " a n g e s e h e n , u n t e r d e r m a n a u ß e r g e w ö h n l i c h e , u n a u s s p r e c h l i c h e i n n e r e E r f a h r u n g e n v e r s t a n d , eine Sicht, die ihn selbst sicher v e r w u n dert hätte. 2.
Byzanz
2.1. Johannes
Climacus
D i o n y s i u s A r e o p a g i t a g e w a n n im b y z a n t i n i s c h e n R a u m rasch Einfluß. Dieser Einfluß traf indessen eine u n t e r d e r b e s t i m m e n d e n W i r k u n g v o n E v a g r i u s u n d d e n M a k a r i u s h o m i l i e n bereits a u s g e s t a l t e t e asketische u n d m y s t i s c h e T h e o l o g i e . D a s g r u n d l e g e n d e G e w i c h t dieser T r a d i t i o n f ü r d e n O s t e n w i r d d u r c h die b e r ü h m t e „ H i m m e l s l e i t e r " (KXTfia£ zov napaöeiaoü) des w a h r s c h e i n l i c h u m die W e n d e v o m 6. z u m 7. J h . a n z u setzenden Johannes vom Sinai v e r a n s c h a u l i c h t , d e r n a c h diesem Werk Johannes Climacus g e n a n n t w i r d . Die „ H i m m e l s l e i t e r " ist völlig frei v o n a r e o p a g i t i s c h e m Einfluß u n d stellt d a s asketische Leben als eine Leiter mit d r e i ß i g Sprossen d a r , d e r e n h ö c h s t e die Sprosse v o n G l a u b e , H o f f n u n g u n d Liebe ist. Z u m g r ö ß t e n Teil ist die „ H i m m e l s leiter" ein W e r k asketischer u n d nicht so sehr mystischer T h e o l o g i e - allerdings gibt es seit d e m S ü n d e n f a l l keine m y s t i s c h e T h e o l o g i e o h n e asketische T h e o l o g i e u n d sie e n t f a l t e t die Sicht des E v a g r i u s . W i e bei i h m ist d a s Ziel d e r Askese die E r l a n g u n g d e r (auf d e r 29. Sprosse b e h a n d e l t e n ) änä9eia, die die Seele zu d e r Liebe f r e i m a c h t , in d e r ihre G o t t e s e b e n b i l d l i c h k e i t (ö/ioicoaig) v o l l e n d e t w i r d . Von d e r änäOeia u n t e r s c h i e d e n , a b e r eng mit ihr z u s a m m e n h ä n g e n d ist die (auf d e r 27. Sprosse b e h a n d e l t e ) R u h e , ¡ j a u / i a , die in d a s (auf d e r 28. Sprosse b e h a n d e l t e ) G e b e t a u s m ü n d e t . U m q a v x i a zu finden, empfiehlt J o h a n n e s k u r z e G e b e t e , i n s b e s o n d e r e ein G e b e t , d a s er r/ 'Irjaov das Jesusgebet, n e n n t ; d o c h f ü h r t er n i r g e n d s eine b e s t i m m t e F o r m u l i e r u n g f ü r dieses G e b e t a n u n d h a t m ö g l i c h e r w e i s e a u c h keine im Auge. H i e r wie a u c h in a n d e r e r H i n s i c h t zeigt er sich v o n d e n M ö n c h e n B a r s a n u p h i o s u n d J o h a n n e s a u s - > G a z a u n d i h r e m Schüler D o r o t h e o s beeinflußt. W e n n die Seele g e l ä u t e r t u n d f ä h i g w i r d z u r E r k e n n t n i s G o t t e s , w i r d sie ü b e r s t r ö m t v o n Licht, d e m g ö t t l i c h e n Licht ( H i m m e l s l e i t e r 26), e i n e m i m m a t e r i e l l e n Licht (ebd. 7). J o h a n n e s verfolgt m i t seiner „ H i m m e l s l e i t e r " e i n e p r a k t i sche u n d p a s t o r a l e A b s i c h t u n d zeigt k e i n e n A n s a t z zu d e r t h e o r e t i s c h e n A b s t ü t z u n g , die diesen Vorstellungen im H e s y c h a s m u s des 14. J h . (s.u. 2.5.) z u w ä c h s t . D i e „ H i m m e l s l e i t e r " richtet sich z w a r a n d e n einzelnen M ö n c h in seinem asketischen K a m p f , ist a b e r in ihrer Sicht des M ö n c h s u n d seines G e b e t e s n i c h t individualistisch b e s t i m m t . Die erste d e r v o n J o h a n n e s a u f g e f ü h r t e n W i r k u n g e n des G e b e t e s ist die GVoraoiQ KÖO/IOÜ (Bestand d e r Welt) - d a s G e b e t u n d d a s Streben des M ö n c h s n a c h Ü b e r w i n d u n g d e r Folgen des Sündenfalls haben kosmische Bedeutung. 2.2. Maximus
Confessor
- • M a x i m u s C o n f e s s o r ist w o h l d e r erste, bei d e m alle g e s t a l t e n d e n E l e m e n t e d e r byzantinischen mystischen Theologie, evagrianische, makarianische und areopagitische, i n e i n a n d e r f l i e ß e n . B e s o n d e r e B e d e u t u n g h a t er f ü r die W e i t e r v e r m i t t l u n g d e r a r e o p a g i tischen Ü b e r l i e f e r u n g (auch w e n n er selbst b e h a u p t e t , v o n d r i t t e r , u n g e n a n n t e r Seite in die D i o n y s i u s s c h r i f t e n e i n g e f ü h r t w o r d e n zu sein). Bei ihrer W e i t e r g a b e läßt er die zentrale Stellung C h r i s t i (die m a n verschiedentlich bei D i o n y s i u s selbst d u r c h seine H i e r -
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archienlehre eingeschränkt sieht) sehr viel klarer hervortreten und stellt klar, daß der gesamte Kosmos durch die Schöpfung aus dem Nichts von Gott herrührt. Seine Vorstellung vom Aufstieg der Seele zu Gott verdankt sich im wesentlichen Evagrius: Durch Überwindung der durch die Xoyiofioi bewirkten Ablenkungen lernt die Seele, zur Kontemplation zu finden, und sie lernt dann, von der Vielfalt der y/iXä vor/fiara hinüberzugehen zu einem einzigen Schauen, in dem sie Gott erkennt. Das evagrianische Grundmuster wird mit makarianischen Motiven aufgefüllt, die die Notwendigkeit der Erfahrung und „die selige Leidenschaft der heiligen Liebe" betonen, und anaOsia ist für Maximus nicht die Unterdrückung des irrationalen Teils der Seele, sondern dessen Sublimierung, durch die die emOv/iia zum göttlichen eptog und der Ovßög zur göttlichen äyänt] wird (Cent. Car. II 48). Wenn Maximus auf die Vereinigung des Geistes (oder des Herzens) mit Gott in der Kontemplation zu sprechen kommt, greift er auf die areopagitischen Motive der Ekstase und des Unwissens zurück: Der Verstand „wird durch die Ekstase der Liebe ganz in Gott allein gekleidet und wird durch die mystische Theologie ganz und gar dazu gebracht, in Gott zu ruhen" (Cap. theol. et oecon. Cent. I 39), er „erlangt durch Nichtwissen das Prinzip der göttlichen Einheit" (ebd. II 8). Maximus übernimmt aber von Dionysius auch die mystische Theologie der Sakramente. Seine Mystagogia entwickelt die Vorstellung von der Liturgie als einer Begehung der in der Inkarnation (-> Jesus Christus) sich vollziehenden Bewegung Gottes auf die Menschheit zu und der Antwort des Menschen in Liebe und Selbstverleugnung weiter. So wie Gott durch seine KEVCÜOIQ (Entäußerung) Mensch geworden ist, so machen wir Gebrauch von der Verheißung der Vergöttlichung durch den Erwerb der änädeia (Pater Noster 877 A). Vergöttlichung ist somit bei Maximus das Ziel der mystischen Theologie, doch sie ist wie bei Athanasius eine durch die Inkarnation des Gottessohnes ermöglichte Vergöttlichung. Eine solche Vergöttlichung, Vereinigung mit Gott, bringt auch einem in Unordnung geratenen Kosmos die Harmonie zurück. Für Maximus spiegelt die das liturgische Handeln ermöglichende Trennung der Kirche in Altarraum und Schiff andere Trennungen wider, zwischen sichtbarer und unsichtbarer Schöpfung im Kosmos, zwischen Himmel und Erde in der physischen Welt, zwischen Leib und Seele im Menschen usw. In der Liturgie werden diese Trennungen geheilt, ihre Pole sind nicht mehr Gegensätze, sondern ergänzen einander. Der asketische Kampf des Mönches für die Überwindung von Trennung hat gleichermaßen eine über ihn hinausführende Bedeutung, er stellt Harmonie in der Gesellschaft, im Kosmos und zwischen Mensch und Gott wieder her. 2.3. Symeon
der Neue
Theologe
Ein späterer Vertreter der bei Maximus Confessor begegnenden byzantinischen Synthese mystisch-theologischer Überlieferungen ist - * Symeon der Neue Theologe. In seinen Schriften wird sichtbar, was diese Synthese im Kontext erlebnishafter Erfahrung bedeutete. Erfahrung, erlebnishafte Erfahrung ist für Symeon ein Schlüsselbegriff. Kennzeichnend für ihn ist die Bedeutung, die er dieser Erfahrung, selbst bis zum Sichhinwegsetzen über die Autorität des geistlichen Amtes, als einer Gewähr für religiöse Authentizität beimißt. Diese Erfahrung ist offenbar sowohl (wie bei Symeon selbst) verwandelnde Erfahrung als auch die Frucht asketischen Ringens. Es ist eine Erfahrung von Licht (—»Licht und Feuer) und zugleich tiefgreifender innerer Bewegung, die ein inniges Gefühl von Liebe und Freude im Herzen weckt und die Gabe der Tränen mit sich bringt. Es ist desgleichen eine Erfahrung von Verzückung. Diese Erfahrung des göttlichen Lichts ist eine Begegnung zwischen Mensch und Gott, der um unseretwillen Mensch geworden ist, und das Ziel dieser Begegnung ist die Vergöttlichung. Der Hauptteil des schriftstellerischen Werks Symeons gilt einer asketischen Theologie, der es um die Lösung von allem geht, was den Menschen vom Innewerden des göttlichen Lichts und der Liebe Gottes zu den Menschen abzieht. Nur an wenigen Stellen bringt er sein Verständnis von dem zur Sprache, was der Seele widerfährt, wenn sie sich der Liebe Gottes ergibt
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und des göttlichen Lichtes inne wird. Dabei findet sich wie bei Maximus eine im wesentlichen evagrianische Auffassung vom nackten Verstand, der Gott in einer die Entgegensetzung von Subjekt und Objekt übersteigenden Weise erschaut. Symeon deutet das in einer auf Dionysius zurückgreifenden Sprache als Unmöglichkeit spekulativer Erkenntnis, als eine Art von Nichtwissen. Sofern sich Symeon von seinen Quellen unterscheidet, tut er das wohl in der Art, in der er die Erfahrungsseite dieses Nichtwissens, das Erschrecken und das ehrfürchtige Erschauern bei der Begegnung mit dem Grundlosen und Unsagbaren, hervortreten läßt (s. Cap. theol. gnostica et practica II 1 1 - 1 7 ) . 2.4. Nicetas
Stethatos
-»Nicetas Stethatos war Schüler Symeons und hat neben einem Leben seines Lehrers eine Reihe von Abhandlungen hinterlassen. Eine davon, die drei Centurien praktischer, physischer und gnostischer Kephalaia, ist in der Philokalie (s.u. 5.1.1.) im Anschluß an eine Auswahl von Kephalaia Symeons gedruckt worden (Venedig 1782, 7 8 5 - 8 5 1 ; PG 120,852-1009). Sie sind im wesentlichen von Evagrius bestimmt, verdienen aber Beachtung wegen der Art, in der die dritte, die „gnostische" Stufe des geistlichen Lebens, das „Leben in Liebe und Vollkommenheit", FLUOZIKÓQ genannt wird (III 44). Wer diese Stufe erreicht hat, ist mit den „Mächten der Cherubim und Seraphim" vereint, so daß die himmlische Hierarchie, näherhin ihre höchsten Grade, das Ziel des mystischen Lebens ist. Diese bei Dionysius nicht begegnende Vorstellung findet sich auch noch anderwärts bei Nicetas (s. De hierarchia 1 5 - 1 9 ; aus dieser Stelle geht auch hervor, daß die Stufe der Cherubim und Seraphim die zweithöchste Stufe unter der der Throne als höchster ist: s. ebd. 17,25). 2.5. Der Hesychasmus
und Gregor
Palamas
Der aus dem griechischen r¡avxía. abgeleitete Begriff Hesychasmus ließe sich zur Beschreibung eines grundlegenden Zuges des griechischen Mönchtums seit dem 4. Jh. verwenden. Es wird jedoch für gewöhnlich in einem engeren Sinn als Bezeichnung einer insbesondere mit dem Berg - * Athos verbundenen Erneuerungsbewegung im griechischen Mönchtum des 13. und 14. Jh. gebraucht, die zu den Auseinandersetzungen führte, in denen -»Gregorios Palamas für die 1341, 1347 und 1351 auf Synoden in Konstantinopel gerechtfertigten Hesychasten eintrat. In diesem engeren Sinn beschreibt der Begriff eine Art des Gebets, bei dem das Jesusgebet verwendet und eine bestimmte Körperhaltung eingenommen wird (geduckte Haltung und Rezitation des Jesusgebets im Rhythmus des Atems) mit dem Ziel, im Herzen zur Ruhe im Gegenüber zu Gott zu finden. Eine solche Verbindung des Gebets mit einer bestimmten Körperhaltung und Atemtechnik begegnet erstmals im 13. Jh. in den Schriften von Nikephoros dem Hesychasten. Dieses Gebet führt zur Gemeinschaft mit Gott, zu einer Schau des ungeschaffenen Lichtes, das Gott ist, des Lichtes, das den Aposteln bei der Verklärung Christi kundgetan wurde. Der hesychastische Streit wurde durch einen von -»Barlaam von Calabrien unternommenen Angriff ausgelöst. Er machte unter Verweis auf die Schriften von Dionysius Areopagita geltend, daß Gott ganz und gar transzendent ist und es daher unmöglich sei, ihn in diesem Leben zu erkennen, wenn auch eine Erkenntnis über ihn durch die Schrift und die Überlieferung der Kirche vermittelt werde. Die Behauptung der Hesychasten, mit ihren leiblichen Augen das ungeschaffene Licht Gottes zu sehen, sei eine Illusion, das Licht, das sie sähen, müsse ein natürliches und geschaffenes sein. Außerdem focht Barlaam die von den Hesychasten angewandte Körpertechnik als materialistisch und abergläubisch an. Die Verteidigung der Hesychasten durch Gregorios Palamas kennzeichnet einen entscheidenden Fortschritt im griechischen Verständnis der Vereinigung des Menschen mit Gott. Gregorios schöpft aus der Fülle der griechischen monastischen Überlieferung, um zu einer neuen Zusammenschau zu kommen. Sie ist eine energische Verfechtung der hesychastischen Behauptung, daß Gott im Gebet erfahren wird und diese Erfahrung
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den ganzen Menschen erfaßt. Nach Gregorios kann der Mensch durch die Gnade des heiligen Geistes so gewandelt werden, daß er eine neue Ganzheit erlangt und daher auch seine natürlichen Sinne für Geistliches aufnahmefähig werden. Das ist es, was die Väter unter der aioOtioiQ voepä verstanden, durch die man Gott aufnimmt. Der Verstand für sich hat keinen bevorrechtigten Zugang zu Gott. Nur der zur Einheit mit sich selbst erneuerte Mensch kann Gott erkennen, und diese Erkenntnis ist im irdischen Leben erreichbar. Gregorios verteidigt auch die von den Hesychasten empfohlene Körpertechnik, legt aber keinen großen Wert darauf. Sie erscheint ihm vornehmlich für Anfänger von Wert zu sein. Das dem Beter sich offenbarende ungeschaffene Licht jedoch ist nicht Gott an sich; Gott bleibt auch in seiner Selbstoffenbarung transzendent. Gregorios erläutert das mit seiner bekannten Unterscheidung zwischen dem Wesen (ouoia) Gottes und seinen Wirkkräften (¿vepyeiai). Zu ihrer Verteidigung verweist er auf bestimmte Väterstellen (insbesondere bei den Kappadokiern und bei Maximus), doch seine Auffassung von dieser Unterscheidung muß wohl doch ihm selbst zugeschrieben werden. Gott ist in seiner ovaia ganz und gar unerkennbar. Wir werden ihn niemals, auch nicht im zukünftigen Leben, in seinem Wesen erkennen. Doch Gott offenbart sich selbst und nicht nur Mitteilungen über sich selbst durch seine Wirkkräfte, und das ungeschaffene Licht, das die Hesychasten zu sehen behaupten, ist eine solche Wirkkraft Gottes. Als solche ist das ungeschaffene Licht Gottes keine Erscheinung, die wir untersuchen können, sondern Gott, der sich selbst offenbart und uns in sich selbst verwandelt. Die Wirkkräfte Gottes sind vergöttlichend, und die Schau des ungeschaffenen Lichtes ist eine verwandelnde, verklärende Schau - daher auch die Vorliebe der Hesychasten, die Erscheinung des ungeschaffenen Lichtes mit der Verklärung Christi zu vergleichen. In dieser vergöttlichenden Verklärung wird der ganze Mensch, Leib und Seele, verwandelt. Vergöttlicht nimmt der Mensch die wahre Mitte seines Wesens, sein Herz, wahr. Diese hesychastische Auffassung von einer Verwandlung des Menschen in Gott durch das Gebet darf nicht als individualistisches Unterfangen abseits der Sakramente und des liturgischen Lebens der Kirche verstanden werden. Für —»Gregorios Sinaites ist das Gebet die „Offenbarung der Taufe"; es fördert die Erweckung der durch die Sakramente in der Seele gegenwärtigen Gnade. Dieser sakramentale Aspekt kommt besonders deutlich in den Schriften von —»Nikolaus Kabasilas zum Tragen. Seine Hauptwerke, das Leben in Christus und die Erklärung der göttlichen Liturgie stellen das christliche Leben als grundlegend sakramental bestimmt dar. Durch das Gebet und die Sakramente wird der Christ mit Gott vereint, wird er vergöttlicht. 3. Abendländisches 3.1. Johannes
Scotus
Mittelalter Eriugena
-»•Johannes Scotus Eriugena ist vor allem als Übersetzer und Ausleger von Dionysius Areopagita für die Entfaltung der abendländischen mystischen Tradition bedeutsam. Er hat das gesamte areopagitische Schrifttum ins Lateinische übersetzt oder vielmehr dessen erste, von Hilduin von St. Denis veranlaßte Übersetzung überarbeitet und die Himmlische Hierarchie kommentiert, und in seinem Periphyseon und seinen fragmentarischen Erläuterungen zum Johannesevangelium hat er dem Abendland eine zutiefst Dionysius Areopagita (und anderen byzantinischen Theologen wie Gregor von Nyssa und Maximus Confessor) verpflichtete mystische Philosophie zugänglich gemacht. Seine bekannte, das Periphyseon bestimmende vierfache Unterteilung der Wirklichkeit in quae creat et non creatur, quae et creatur et creat, quae creatur et non creat, quae nec creat nec creatur ([die Wirklichkeit], die erschafft und nicht erschaffen wird; die erschaffen wird und erschafft; die erschaffen wird und nicht erschafft; die weder erschafft noch erschaffen wird) - gemeint sind Gott als der Ursprung von allem, die Ideen, die physische Welt und Gott als Ziel aller Dinge - bekundet eine Versöhnung von christlicher Schöpfungs- und neuplatonischer Emanationsvorstellung (-»Neuplatonismus), bei der Gott der Anfang und das Ende aller Dinge ist. Die in dieser Unterteilung zutage tretende
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Einteilungsfreude zieht sich durch Eriugenas gesamtes Werk und setzt ihn in die Lage, eine Schau der Geschichte und des Kosmos zu entwerfen, in der Gottes Menschwerdung eine Entsprechung in der Vergöttlichung des Menschen findet, der Mensch in seinem Wesen als Widerspiegelung der Natur des Kosmos erscheint und das augustinische Motiv des Fortschreitens vom Glauben zum Verstehen sich verbindet mit einem wachsenden Verständnis des Sinnes der Offenbarung Gottes in der Schrift, das mit dem historischen Sinn beginnt und über ethische Bildung und Erkenntnis der natürlichen Welt zur theologia, einer umgestaltenden Kontemplation der göttlichen Natur, fortschreitet. 3.2. Bernhard
von
Clairvaux
Die Geschichte der mystischen Überlieferung im abendländischen Mittelalter ist zu einem großen Teil eine Wirkungsgeschichte von Dionysius Areopagita. Diese Wirkungsgeschichte beginnt jedoch erst recht spät. Obwohl das areopagitische Schrifttum bereits im 9. Jh. ins Lateinische übertragen wurde, macht sich sein Einfluß doch nicht vor dem 12. Jh. bemerkbar, und er ist dabei eher durch die Domschulen (und Universitäten) als durch die Klöster vermittelt worden. —»Bernhard von Clairvaux, von dem selbst ein außerordentlicher Einfluß auf die mystische Tradition ausgegangen ist, hat von Dionysius offenbar wenig gewußt. Doch ist das, was man bei Bernhard findet, bedeutsam für das Verständnis des späteren areopagitischen Einflusses im Abendland. In Bernhards mystischer Theologie stößt man nämlich auf eine zunehmende Scheidung zwischen menschlichem Verstand und menschlichem Empfinden, zwischen Erkenntnis und Liebe. Wir kommen zur Gotteserkenntnis nicht durch Einsicht, sondern durch Liebe: amor ipse intellectus est (die Liebe ist selbst die Einsicht), wie es Bernhards Freund -»Wilhelm von St. Thierry formuliert hat (Epistula aurea 173). Während Augustin, der den bei weitem gewichtigsten Einfluß auf Bernhard ausgeübt hat, intellectus und amor nur unter ausdrücklichem Beharren auf ihrer Untrennbarkeit unterschieden hat (s. z.B. De trinitate X passim), trennt Bernhard Erkenntnis und Liebe und sieht in der Liebe sowohl die eingehendste Bekundung unserer eigenen Natur als auch den einzigen Weg, auf dem wir zur Gotteserkenntnis kommen können. Erkenntnis dient in einem frühen Stadium dazu, unsere Liebe und unser Empfinden anzuleiten, doch es ist die Liebe, die uns mit Gott vereint, die Liebe im Sinne von Empfindung ( a f f e c t u s ) : sie affici, deificari est (so angerührt zu werden bedeutet vergöttlicht zu werden: De diligendo Deo X 27). Während für Augustin sapientia (Weisheit) die Vollendung von scientia (Wissen) ist, wird sapientia bei Bernhard völlig von scientia unterschieden und als sapor boni, als Schmecken des Guten bestimmt (In Cant. 85). Diese Betonung von Liebe und Empfindung kommt zu voller Geltung, wo Bernhard das mystische Leben in seiner Auslegung des Hohenliedes darzustellen sucht. Er versteht das biblische Buch als Liebeslied zwischen der Seele und Christus, und der Christus, der die Seele liebt, ist Jesus, der Menschgewordene, der für uns am —»Kreuz gelitten hat. Bei Bernhard stößt man auf eine wachsende Betonung der geschichtlichen, leiblichen Gegebenheiten des Lebens Christi, der Krippe und des Kreuzes. Christus, der Geliebte, ist einer, der uns in menschlicher Gestalt geliebt hat, und Bernhard verharrt ausgiebig bei dieser menschlichen Gestalt und den ihre Liebe zur Menschheit bekundenden Wunden, die sie an sich trägt. Bernhards Scheidung von Liebe und Erkenntnis und sein Preis der Liebe zu Lasten der Erkenntnis spiegelt (oder verursacht möglicherweise) einen Wandel im Verständnis der menschlichen Natur, das in einzelnen areopagitischen Vorstellungen überraschende Bezüge findet. 3.3. Die
Viktoriner
Im 12. und 13. Jh. wurde der Einfluß des Areopagiten auf die mystische Tradition entscheidend von einer Reihe von Theologen gefördert, die mit dem 1108 von Wilhelm von Champeaux in Paris gegründeten Stift —»Sankt Viktor verbunden waren. Bei ihnen kommt es überhaupt zur ersten systematischen Beschäftigung mit dem areopagitischen Schrifttum im Abendland. Dabei fanden zunächst die Schriften über die Hierarchien Beachtung. -»Hugo von St. Viktor schrieb einen Kommentar zur Himmlischen Hier-
Mystik II
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archie, und am Begriff der Hierarchien entfaltete -»-Richard von St. Viktor seine mystischen Vorstellungen. Richards eigene mystische Theologie zeichnet sich durch ein ausgeprägtes psychologisches Interesse aus. Wie Augustin ist er an der inneren Natur des Menschen interessiert. Er nimmt das alte Motiv auf, daß wir allein durch Selbsterkenntnis zur Gotteserkenntnis kommen können, und neigt dazu, den Weg zu Gott als eine Erkundung der Tiefen der Seele darzustellen. So zeichnet er in De quattuor gradibus violentae caritatis den Aufstieg der Seele zu Gott in vier Stufen der Liebe nach - verwundend, bindend, einzigartig und unersättlich: Das Fortschreiten der Seele wird durch die sich wandelnde Beschaffenheit ihrer Liebe zu Gott gekennzeichnet. Darin zeigt sich der Einfluß von Bernhard von Clairvaux, wenn auch Richard anders als dieser Erkennen und Lieben nicht scheidet. Es ist der Geist, mens, der Gott erkennt und liebt. Richard läßt dabei jedoch auch einen neuen, von Dionysius angeregten, wenn auch keineswegs dessen eigenen Vorstellungen entsprechenden Ton anklingen, wenn er sagt, die Seele strebe in ihrem Suchen nach Kontemplation „nach dem höchsten Erzengelrang der Engelhierarchie" (Benjamin maior IV 7), d.h. der mystische Aufstieg sei in bestimmter Weise einem Aufstieg in der himmlischen Hierarchie zu vergleichen. Dieser Gedanke wird bei dem Viktoriner und Abt von St. Andreas in Vercelli Thomas Gallus (gest. 1246) noch weiter entwickelt. Er hat durch seine Kommentare zum areopagitischen Schrifttum, insbesondere zur Mystischen Theologie, zur Verbreitung des areopagitischen Gedankenguts beigetragen, und die bei Richard lediglich anklingende Vorstellung wird bei ihm voll entfaltet. Die himmlische Hierarchie wird zu einer Art Allegorie der Stufen des Aufstiegs der Seele zu Gott. Die niedrigste Hierarchie ist die Stufe des natürlichen Bemühens des Menschen, und der Aufstieg vollzieht sich von der schlichten Erfassung von Gut und Böse (Stufe der Engel) über die erste Erweckung des Verstandes und der Affekte (Erzengel) zur höchsten Wahrheit und zum Guten schlechthin (Fürstentümer). Die mittlere Hierarchie ist die Stufe, auf der der freie Wille des Menschen mit Gottes Gnade zusammenwirkt und der Mensch von der bewußten Entscheidung für das Gute und Wahre in der Schöpfung (Stufe der Gewalten) zur vollkommenen Tätigkeit des von der gewöhnlichen Gnade unterstützten Willens (Stufe der Herrschaften) erhoben wird. Die höchste Hierarchie ist die Stufe, auf der die Gnade allein wirkt und die Seele sich vom Empfang der eingegossenen Gnade (die Stufe der Throne) über die Vollendung der Erkenntnis durch die eingegossene Erleuchtung (Stufe der Cherubim) hinbewegt zur Vollendung der Vereinigung im apex affectus, dem Gipfel des Empfindens der Seele (Stufe der Seraphim). Diese Deutung verdient aus verschiedenen Gründen Beachtung. Einmal ist hier die himmlische Hierarchie verinnerlicht worden — die Ordnungen und Rangstufen der Hierarchie sind zur Auslotung der Tiefen der menschlichen Seele verwendet worden. Zum anderen wird eine klare Unterscheidung getroffen zwischen dem, was im Bereich menschlichen Bemühens liegt, und dem, was nur durch die alleinige Wirkung der göttlichen Gnade zu erreichen ist - ein augustinisches theologisches Beharren auf der wesenhaften Unabhängigkeit der Gnade in bezug auf die Natur ist psychologisiert worden, wobei sich die Vorstellung einer menschlichen Tätigkeit - der Kontemplation - ergibt, die in Wirklichkeit gar keine menschliche, sondern eine göttliche ist. Zum dritten kommt Erkenntnis auf der vorletzten Stufe zur Vollendung, während der innerste Bereich des Menschen, der apex affectus, über die Erkenntnis in ihrer Vollkommenheit hinausgeht. Diese Bernhardsche Scheidung von Liebe und Erkenntnis führt Thomas Gallus zu einer eigenständigen Deutung der areopagitischen „Wolke des Nichtwissens", in die der Verstand nach der Mystischen Theologie eintritt. Diese „Wolke des Nichtwissens" ist die Absage an die Verstandestätigkeit zugunsten liebenden Empfindens, einer „Hingebung oberhalb des Verstandes", wie er es in seinem Kommentar zur Mystischen Theologie nennt, des liebenden Empfindens, das die ureigene Tätigkeit der innersten Mitte des Menschen, seines apex affectus, ausmacht. Sie ist eine „Wolke des Nichtwissens", weil die zur Erkenntnis führende Verstandestätigkeit aufgegeben worden ist.
566 3.4.
Mystik II Bonaventura
Diese Vorstellung von einer hierarchischen Schichtung der Seele, deren tiefster Kern nicht in ihrem Erkenntnis- als vielmehr in ihrem Liebesvermögen liegt, kommt bei -»Bonaventura zu weitreichender Entfaltung. Der Begriff der Hierarchie wird für ihn zu einem wesentlichen, auf alles Seiende von Gott bis herab zur menschlichen Seele anwendbaren Deutungsmittel. Alles wird in hierarchischer Stufung gesehen. Der Begriff der Hierarchie wird verwendet, um die Vorstellung unterschiedlicher Ebenen innerhalb eines einzigen Ganzen zu umgreifen. Die verschiedenen Hierarchien - die göttliche, die himmlische, die kirchliche, die seelische - erleuchten einander; insbesondere erleuchtet die himmlische Hierarchie, die sich von menschlichen Beziehungen bis zur Gegenwart Gottes erstreckt, die seelische Hierarchie, die sich von menschlichen Belangen und Bemühungen bis zur Ergebung in Gott in der Beschauung erstreckt. Der Aufstieg des Menschen zu Gott ist ein Aufstieg durch die seelische Hierarchie - Bonaventura sagt, die Seele sei „hierarchisch geschaffen, um aufzusteigen" (Itinerarium mentis in deum IV 4). Wie bei Richard von St. Viktor und Thomas Gallus läßt sich dieser Aufstieg mit dem durch die Stufen der himmlischen Hierarchie vergleichen. Bonaventura folgt Thomas auch insofern, als er diesen Aufstieg vom rein Natürlichen hin zu dem rein gnadenhaft Gegebenen sich vollziehen sieht. Seine Nähe zu Thomas läßt an einen unmittelbaren Einfluß denken. Die Vorstellung, daß die Seele im Erlangen der kontemplativen Einheit mit Gott auf die Stufe der Seraphim erhoben wird, hat für Bonaventura als -•Franziskaner eine besondere Bedeutung. ->Franciscus ist nämlich, wie es heißt, bei seiner Stigmatisierung Christus in Gestalt eines glutstrahlenden sechsflügeligen, ans Kreuz geschlagenen Seraphen erschienen. Er wurde so in kontemplativer Verzückung (per contemplationis excessum) den in Liebe erglühenden Seraphim angeglichen und auf diese Weise mit dem Gott vereint, der sich aus Liebe zu uns hat kreuzigen lassen (vgl. ebd. VII 3). Bonaventura verbindet so die Vorstellung, daß die Seele auf die Stufe der Seraphim gelangt, mit der Hingabe an die geheiligte Menschheit Christi. 3.5. Thomas
von Aquino
und Dante
Alighieri
3.5.1. —» Thomas von Aquino war kein im eigentlichen Sinn geistlicher Schriftsteller, und mag ihn auch die ihm in den letzten Wochen seines Lebens zuteilgewordene Offenbarung, der gegenüber ihm alles, was er geschrieben hatte, wie Stroh erschien, als Mystiker ausweisen, so hilft das dennoch nicht weiter, da er sie nicht in Worte zu fassen wußte. Er ist jedoch für die Fortentwicklung der mystischen Tradition insofern bedeutsam, als er sich wie sein Lehrer -> Albertus Magnus der in den voraufgehenden Abschnitten (3.2.-4.) festgestellten Tendenz entgegenstellte, in der Gotteserkenntnis etwas zu sehen, das nicht der Vernunft als vielmehr einem anderen, sei es ihr gegenüber tieferen oder ihr zur Seite stehenden Vermögen des Menschen gewährt wird, einem Vermögen, das in der Liebe, dem Willen oder dem Gefühl zum Ausdruck kommt. Nach Thomas dagegen erkennen wir Gott, sofern wir ihn überhaupt erkennen, mit der Vernunft, und die Liebe bewegt lediglich unsere Vernunft dazu, ihn zu suchen. Die Fülle der Erkenntnis aber, die wahre Erkenntnis Gottes, ist etwas, das der eschatologischen beseligenden Schau vorbehalten bleibt. 3.5.2. Auch —fDante Alighieri ist kein Mystiker, er bringt aber dennoch in seiner Divina Commedia eine Schau Gottes und seiner Welt zur Sprache, die in hohem Maß den Einsichten der Mystiker verpflichtet ist. Er erkennt das offensichtlich auch selbst an, wenn er sich in Paradiso 31 durch Bernhard von Clairvaux in die tiefsten Geheimnisse des Paradieses einführen läßt. Wenn er in ihm, dessen Erklärung des Paradieses in ein Gebet zur Gottesmutter ausmündet, la vivace/carità di colui che'n questo mondo,/ contemplando, gustò di quella pace (die lebensvolle Liebe dessen, der in der Kontemplation in dieser Welt von jenem Frieden gekostet hat: 31.109-111) sieht, erblickt er das Abbild Gottes. Auf andere Weise spiegelt Dantes Schau insofern die Einsichten der Mystiker wider, als er einen nicht von Gottes Macht, sondern von seiner Liebe, l'amor
Mystik II
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che move il sole e l'altre stelle (die Liebe, die die Sonne und die anderen Sterne bewegt: 33,145), aufrecht erhaltenen Kosmos wahrnimmt. Ohne Zweifel ist seine Dichtung in der abendländischen Literatur ein Zeugnis für die eindringliche Kraft mystischer Gottesschau. 3.6. Die Eckhartsche
Wesensmystik
3.6.1. Meister —• Eckhart war —»Dominikaner und als solcher der von Albertus Magnus und Thomas von Aquino geprägten Tradition verbunden. Seine Geltung als Mystiker ist in gewissem Umfang auch dadurch mitbestimmt, daß einige seiner Lehraussagen nach seinem Tode von -»Johannes XXII. in der Bulle In Agro Dominico von 1329 verurteilt worden sind. Das hat, von einigen bedeutenden Ausnahmen abgesehen, eine unmittelbare Wirkung seiner mystischen Theologie unterbunden, dafür aber seiner späteren Wirkung im Zuge der Wiederentdeckung seiner Werke im 19. Jh. durch den Nimbus eines von den Amtswaltern der offiziellen Religion verfolgten Mystikers Auftrieb gegeben. Die verurteilten Sätze betreffen Eckharts vermeintliche Lehre von der Ewigkeit der Welt, seine Verwischung der Unterscheidung zwischen Gott und der Seele und seine scheinbar auf einen Quietismus hinauslaufende Lehre von einer passiven Abhängigkeit von Gott. Es besteht heute im allgemeinen Übereinstimmung darüber, daß es sich dabei um Mißverständnisse der wirklichen Lehre Eckharts handelt, wenn auch zugestanden wird, daß er auf seine Ausdrucksweise keine allzu große Sorgfalt verwendet hat. Eckhart war einerseits sehr traditionsgebunden und greift mit seiner Betonung, daß der nach Gottes Bild geschaffene Mensch vergöttlicht werden könne, lediglich auf eine Ausdrucksweise zurück, die durchaus älterer Tradition entsprach, wenn sie auch einem ausgebildeten scholastischen Denken zumindest fremdartig erscheinen mußte. Andererseits schließt sein Traditionalismus ein tiefes Empfinden für die Unsagbarkeit Gottes in sich, aus dem heraus er betonte, daß jedes menschliche Bemühen, Gott zu begreifen, notwendig auf Paradoxes stoßen mußte. Diese Betonung des Paradoxen hat eine in Eckharts Predigten zuweilen besonders deutlich hervortretende praktische, pastorale Zielrichtung; denn nach Eckhart sind solche Paradoxa darauf gerichtet, unser Selbstvertrauen, das Gefühl, die Dinge im Griff zu haben, zu brechen und uns gänzlich Gott anheimzugeben. Eckhart beharrt jedoch darauf, daß der Anfang des mystischen Lebens darin besteht, in allem Ernst ein christliches Leben zu führen und den darin beschlossenen sittlichen Verpflichtungen nachzukommen. Erst wenn das zu einem Habitus geworden ist, eröffnet sich das scheinbar mehr antinomistische mystische Leben. Die Aufforderung, sich über die habituelle Tugend hinaus Gott anheimzugeben, schließt einen radikalen Bruch in sich, den Eckhart als Durchbruch bezeichnet. Es ist ein Übergang von einem selbstbestimmten zu einem unmittelbar gottgeleiteten Leben. Auf andere Weise redet Eckhart vom Durchbruch, wenn er von der Gottesgeburt in der Seele oder von der Entdeckung des Seelengrundes spricht. Er erklärt das zuweilen durch die Unterscheidung von Seelengrund und Seelenkräften. Die Seelenkräfte sind die Mittel, durch die die Seele in der Welt tätig ist und in ihr mit der Verfolgung ihrer Belange, ihrer Selbstachtung und der Einschätzung anderer ein Bild ihrer selbst schafft. Der Seelengrund enthüllt sich, wenn die Seele sich aus alledem zurückzieht in das Schweigen ihres eigenen Seins, in das Nichts, in dem sie von ihrem Schöpfer ausgegangen ist. Dieser Durchbruch oder Rückzug in sich selbst wird durch eine Haltung gekennzeichnet, die Eckhart Gelassenheit (geläzenheit) oder Abgeschiedenheit (abegescheidenheit) nennt. In dieser Gelassenheit und Abgeschiedenheit läßt die Seele jedes Bestreben hinter sich, eigene Ziele in der Welt zu erreichen, und wird einfachhin zu einem selbstlosen Werkzeug der Liebe des Schöpfergottes. Der Prüfstein für die Echtheit des Durchbruchs liegt nicht im Erreichen eines Zustandes der Kontemplation an sich als vielmehr im Fahrenlassen jedes Habenwollens im Tätigsein in der Welt, im Erlangen einer Durchlässigkeit für die Liebe Gottes. Eckharts Unterscheidung zwischen Seelengrund und Seelenkräften ergibt sich aus seinem Verständnis des Wesens der Seele als des Bildes Gottes, eines Gottes, in dem eine ähnliche
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Mystik II
Unterscheidung zwischen dem als Schöpfer und Dreieinigkeit offenbaren Gott und dem Ungrund dessen, was er die Gottheit nennt, getroffen werden kann. Wenn die Seele ihren eigenen Grund findet, den Ort, an dem sie als Nichts aus dem Schöpfer entströmt, dann findet sie auch die verborgenen Tiefen der Gottheit, die schweigende Einöde, den Ungrund. In dieser bestürzenden Begegnung wird die Seele frei zu einer Freiheit, die Gottes Freiheit ist. Die Art, in der Eckharts Mystik von metaphysischen Aussagen über Gott und die Seele unterbaut ist, hat ihr die Bezeichnung Wesensmystik eingetragen. Man kann in ihr einen fernen Nachklang der Mystik Eriugenas sehen, und seine unmittelbaren geistigen Nachfolger haben diese Tradition fortgesetzt. Wie Eckharts Predigten bediente sie sich mit sprachschöpferischer Gestaltungskraft weithin der deutschen Volkssprache, deren geistliche Verwendung sie damit bahnbrechend gefördert hat. 3.6.2. Johannes -* Tauler war ebenfalls Dominikaner und so gut wie sicher ein Schüler Eckharts. Er greift in erheblichem Umfang Eckhartsche Themen auf, zeigt jedoch unter dem Eindruck der Verurteilung Eckharts in ihrer Behandlung auch eine deutliche Vorsicht. So tritt bei ihm etwa der Begriff der Gottesgeburt weit weniger hervor, und er neigt insgesamt dazu, die ethische Seite der Aussagen seines Lehrers stärker herauszukehren als die philosophische. Ein bemerkenswerter Zug der Lehre Taulers ist seine Betonung des Rückzuges Gottes als einer Stufe im Fortschreiten der Seele, auf der ihr Gottverlangen gereinigt und vertieft wird (vgl. Gregor d. Gr.: sancta enitn desideria... dilatione crescunt [das heilige Verlangen wächst nämlich... durch Hinhalten: Horn, in Evang. II 25]). Es ist ein Zustand des Leidens, der „den Geist quälender Entblößung überläßt" (Predigten, hg. v. G. Hofmann, 1979, 103). Diese Vorstellung sollte bei -»• Johannes vom Kreuz in dem Gedanken der „dunklen Nacht der Seele" zu voller Ausprägung kommen; weitere Verbreitung aber fand sie in ihrer Ausformung durch Tauler, so etwa auch in der Imitatio Christi (-»Thomas von Kempen). Taulers Predigten haben Eckharts Gedankengut nach seiner Verurteilung weitergeführt; doch war Tauler mehr als nur sein Schüler. 3.6.3. Auch Heinrich —fSeuse war Dominikaner und ein Schüler Eckharts, für dessen Lehre er eintrat. Seine Schriften sind zwar von einem sich von der herben Spiritualität Eckharts und Taulers deutlich unterscheidenden Geist durchzogen, voll überschwänglicher Bildhaftigkeit und lebhafter Einbindung in die spätmittelalterliche Volksfrömmigkeit. Doch er ist erfüllt von Eckhartschem Gedankengut wie der Vorstellung von der Geburt Gottes in der Seele und dem Nichtssein aller Geschöpfe, allerdings verbunden mit einer wesentlich stärkeren Betonung des Erlösungswerks des fleischgewordenen Christus und einer beträchtlichen Vorsicht im Umgang mit den Gedanken Eckharts. Seine Schriften fanden außerordentlichen Anklang und trugen dadurch wesentlich zur Verbreitung der Motive der Eckhartschen Wesensmystik bei. 3.6.4. -»Jan van Ruysbroeck exemplifiziert das Wirksamwerden der Eckhartschen Wesensmystik in den Niederlanden, doch er erschöpft sich nicht darin, bietet vielmehr in seinen Schriften eine weitgespannte Erörterung des Aufstiegs der Seele zur Vereinigung mit Gott. Hier können nur einige Schlüsselthemen herausgegriffen werden. Wie viele mittelalterliche Denker fühlt er sich von Triaden angezogen. So wird der Mensch von ihm als dreistufig beschrieben. Die niedrigste Stufe, die wir mit den Tieren gemein haben, ist die der Empfindungen und Instinkte, die ihre Einheit im Herzen finden. Die nächste Stufe besteht aus unserem vernünftigen und geistlichen Vermögen und hat ihre Einheit im Geist oder Verstand. Die höchste Stufe ist die, die wir in Gott haben und unsere Einheit als Person ausmacht. Das Ziel des mystischen Lebens ist es, durch ein das Sein transzendierendes Leben der Kontemplation diese höchste Einheit in Gott als Person zu erreichen. Eine weitere von Ruysbroeck verwendete Triade ist die der Einheit mit Gott durch eine Mittelinstanz, ohne eine solche und ohne Unterscheidung. Der Unterschied zwischen den beiden ersten ist der zwischen dem Wirken der Gnade (der „geschaffenen Gnade" nach scholastischem Verständnis) und dem Erfassen des in seinen Gnadengaben gegenwärtigen Christus selbst (der „ungeschaffenen Gnade"). Die Verei-
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nigung mit G o t t o h n e Unterscheidung ist eine Stufe jenseits dieser beiden, auf der die Seele sich e n t b l ö ß t , „ n a c k t " wird und ihr inneres Wesen entdeckt. D a s aus menschlicher Sicht b e s t i m m e n d e M o m e n t dieser Stufe ist die „Abgeschiedenheit" Eckharts. Sie ist jedoch wie bei diesem nicht etwas von Seiten des M e n s c h e n aus Erreichbares, s o n d e r n wird von G o t t in der Seele bewirkt. Ruysbroeck spricht in diesem Z u s a m m e n h a n g v o n der „ A n r ü h r u n g " Gottes, die den „allerinnersten Teil der Seele" e r f a ß t und in ihr „Stürme der Liebe" zu G o t t auslöst. D a s Bildwort des „ S t u r m e s " ist dabei A u s d r u c k f ü r das, was Ruysbroeck a n d e r w ä r t s (ebenfalls mit einem Eckhartschen Ausdruck) als Weiselosigkeit der Liebe der Seele bezeichnet, als eine Weiselosigkeit, in der sich die grenzenlose Liebe widerspiegelt, die den Vater, den Sohn und den heiligen Geist m i t e i n a n d e r verbindet. Auf dieser Stufe f ü h r t R u y s b r o e c k d a s areopagitische Bild der D u n k e l h e i t und seine Eckhartschen A b w a n d l u n g e n , A b g r u n d , Einöde, ein. Auf dieser Stufe ist die Seele „ o h n e U n t e r s c h i e d " mit G o t t vereint; es ist kein Unterschied zwischen G o t t u n d ihr w a h r n e h m b a r , die Liebe, die sie h a t , ist G o t t e s eigene Liebe. Etwa zwei J a h r z e h n t e nach Ruysbroecks T o d w u r d e seine mystische Theologie von J o h a n n e s —»Gerson kritisiert. Er warf ihr —> Pantheismus vor und sah sie im Gegensatz zu der E r k l ä r u n g Papst Benedikts XII. über die Unmöglichkeit einer E r f a h r u n g der beseligenden Gottesschau im irdischen Leben (1336) stehen. R u y s b r o e c k w u r d e jedoch von seinen A n h ä n g e r n verteidigt und entging einer Verurteilung. Gerson selbst k a n n im übrigen nicht als Gegner der M y s t i k gelten. Er hat sich in seinen Schriften eingehend über das Gebetsleben und die mystische Theologie geäußert und w u r d e seinerseits in der Mitte des 15. J h . z u s a m m e n mit seinem e t w a s jüngeren Zeitgenossen N i k o l a u s von Kues kritisiert. Der A r g w o h n , den die rheinischen und niederländischen M y s t i k e r erregten, war teilweise darin begründet, d a ß ihr G e d a n k e n g u t in entstellter Form von G r u p p i e r u n g e n wie den —»Brüdern des freien Geistes a u f g e n o m m e n w u r d e , die f ü r sich in Anspruch n a h m e n , d u r c h das K o m m e n der G n a d e von den gewöhnlichen moralischen Z w ä n g e n e n t b u n d e n zu sein. D a ß R u y s b r o e c k einer Verurteilung entging, m a g z u m Teil d a r a n liegen, d a ß er so unermüdlich wie kein anderer Stellung gegen den vermeintlichen Libertinismus der Brüder des freien Geistes bezogen hat. 3.6.5. O b —•Nikolaus von Kues selbst M y s t i k e r w a r oder nicht eher ein „mystischer P h i l o s o p h " , ist eine Streitfrage. D o c h auch w e n n er es nicht gewesen sein sollte, verdiente er jedenfalls in der Geschichte der abendländischen mystischen Tradition insofern eine Anerkennung, als er in seiner Bibliothek Schriften Eckharts, insbesondere seine lateinischen A b h a n d l u n g e n , f ü r die N a c h w e l t b e w a h r t hat. M a n wird sich indessen k a u m dem Eindruck entziehen k ö n n e n , d a ß er in seiner Schrift De visione dei über ihm Vertrautes schreibt. Auch w e n n darin zahlreiche der ihn bewegenden philosophischen M o tive - coincidentia oppositorum, complicatio u n d explicatio, docta ignorantia - aufscheinen, so werden sie doch eingebracht, um das Leben der K o n t e m p l a t i o n zu erläutern, in dem der Geist in die Dunkelheit des Z u s a m m e n f a l l s der Gegensätze eintritt und G o t t auf mystische Weise schaut. De visione dei orientiert sich a m Beispiel eines Portraits, das den Betrachter aus jedem Blickwinkel heraus anzuschauen scheint. N i k o l a u s entfaltet den G e d a n k e n des Blickens Gottes und unseres Z u r ü c k b l i c k e n s in Entsprechung z u m neuplatonischen H e r a u s t r e t e n und Z u r ü c k k e h r e n . Unser a n t w o r t e n d e r Blick findet seine Erfüllung in einer u n m i t t e l b a r e n Schau Gottes, der o b e r h a l b aller Gegensätze, in D u n kelheit ist. Diese Erfüllung e r f o r d e r t Vereinzelung, die w i e d e r u m L ä u t e r u n g erfordert. Es zeichnet sich ein vertrautes neuplatonisches (areopagitisches) D e n k m u s t e r ab. D o c h es ist der Verstand (mens), der G o t t erschaut u n d in die Dunkelheit seiner G e g e n w a r t eintritt. N i k o l a u s schließt sich hier Dionysius selbst und weniger seiner d a m a l s sehr geläufigen D e u t u n g im Sinne der G e f ü h l s m y s t i k eines T h o m a s Gallus an. D a r i n liegt offenbar auch der G r u n d f ü r einen 1453 von d e m Kartäuserprior Vinzenz von Aggsbach gegen ihn (und J o h a n n e s Gerson) geführten Angriff.
570 3.7. Mittelalterliche
Mystik II Frauenmystik
Eine bemerkenswerte Erscheinung des Spätmittelalters ist das Auftreten einer großen Zahl von Mystikerinnen und die Entstehung einer eigenen religiösen Frauenbewegung, der -»Beginen. Die rheinischen und niederländischen Mystiker (s. 3.6.) nahmen sich solcher Gemeinschaften an und stellten ihnen Beichtväter und geistliche Leiter. Eine Beeinflussung erfolgte jedoch nicht nur in einer Richtung. Eine Begine namens Hadewijch hat offenbar Ruysbroeck beeinflußt. Die Mystikerinnen des Spätmittelalters waren zumeist nicht Angehörige der herkömmlichen Orden. Die Beginen und andere vergleichbare Gemeinschaften unterschieden sich von den üblichen Frauenorden dadurch, daß ihre Angehörigen nicht in Klausur lebten und einer nicht so festgelegten Ordnung der gottesdienstlichen Übung unterlagen. Andere Mystikerinnen waren Tertiarierinnen (—»Tertiarier) des einen oder anderen Bettelordens. So eindrucksvoll die Erscheinung der Frauenmystik auch ist, so ist doch weniger deutlich, in welcher Hinsicht man ihr eine spezifische Eigenart zusprechen kann. Die Schriften der Mystikerinnen zeichnen sich häufig durch eine ausgeprägt sinnliche Bildhaftigkeit aus, doch Gleiches findet man etwa auch bei den zisterziensischen und franziskanischen Mystikern, und auch Motive wie die Mutterschaft Christi (oder Gottes) und selbst visionäre Erfahrungen des Stillens des Christuskindes oder der Schwangerschaft mit Jesus findet man bei Männern ebenso wie bei Frauen. Indessen war die Spiritualität der Frauen vergleichsweise „mystischer" als die der Männer, und paramystische Erscheinungen (Ekstasen, Levitationen usw.) waren bei Frauen verbreiteter als bei Männern. Es begegnet in der Frauenmystik auch eine Neigung zur Ausrichtung auf leibhaftige Gegebenheiten; die Verehrung der leidenden Menschheit Christi oder der Eucharistie ist sehr verbreitet. Das hat in der Vergangenheit zu einer Tendenz geführt, die Bedeutung der Frauenmystik abzuwerten. Ihre starke Gefühlsbetontheit, das Hervortreten physischer Wirkungen wie der Ekstase, ihre Vorliebe für Visionen sind an einem Maßstab neuplatonischer Mystik gemessen worden, die das „bildlose" Gebet und die Unberührtheit von der Erfahrung schätzte, und sie wurde daher einer geringeren Stufe geistlicher Erfahrung zugeordnet. Das ist jedoch ein abzulehnendes Vorurteil. Es gibt allerdings einen für die Frauenmystik in Anspruch genommenen Zug, der mit einigem Recht als spezifisch gelten darf. Für viele Mystikerinnen (so etwa -»Mechthild von Magdeburg, -»-Katharina von Siena, Juliana von Norwich, ->Teresa von Avila und zu sehr viel späterer Zeit -»Thérèse von Lisieux) ist kennzeichnend, daß sie von der Wirklichkeit der Liebe Gottes so sehr überzeugt waren, daß sie sich diese Liebe nicht, wie es die Lehre von der —»Prädestination zu besagen schien, begrenzt vorstellen konnten. Die Tiefe der Liebe Gottes schließt für sie eine unerschöpfliche Hoffnung ein. Daher legt ihre Mystik großen Nachdruck auf die überströmende Fülle der Liebe Gottes, und sie gewinnt dadurch auch eine Art missionarischer Dimension. Die Vereinigung mit Gott geschieht um anderer willen, und die Liebe Gottes, die sie in ihrer Vereinigung mit ihm durchströmt, ist für die gesamte Menschheit von größtem Wert. 3.8. Mittelenglische
Mystik
Das 14. Jh. erlebte nicht nur die rheinische Mystik und die Beginenbewegung; es erlebte in England auch eine beachtliche Blüte mystischer Literatur vornehmlich in volkssprachlicher Gestalt. Der erste dieser mittelenglischen Mystiker war Richard -»Rolle, der zahlreiche lateinische wie mittelenglische Schriften über das geistliche Leben verfaßt hat. Er verwendet eine sinnliche Bildersprache und sieht die Seele sich Gott nähern über die drei Stufen der unüberwindlichen, der unscheidbaren und der einzigartigen Liebe (ein Rückgriff auf die ersten drei der vier Stufen nach Richard von St. Viktor, s. 3.3.) oder durch Wärme, Gesang und Süßigkeit. Seine ausgeprägt erfahrungsbetonte Sprache stand Mißverständnissen offen und stieß auf Kritik von Seiten Walter Hiltons und des Verfassers von The Cloud of Unknowing, fügt sich aber einer festen Tradition der Lehre von den geistlichen Sinnen ein und muß nicht notwendigerweise
Mystik II
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mißverstanden werden. Walter Hilton (gest. 1396) ist der theologisch Gebildetste unter den mittelenglischen Mystikern. In seinem Hauptwerk, The Scale of Perfection, stellt er das mystische Leben in ausgeprägt augustinischer Begrifflichkeit als die reformatio des Bildes dar, das durch die Abkehr von Gott deformiert worden war. Seine Reformierung vollzieht sich in zwei Stufen - im Glauben und Fühlen - , und Hilton spricht von einer „lichthaften Dunkelheit", in der die Seele durch das Wirken der Gnade gereinigt und für die Kontemplation vorbereitet wird. Wesentlich stärker im Mittelpunkt steht das Bild der Dunkelheit in der Lehre des Verfassers von The Cloud ofUnknowing. Für ihn ist Gott unerkennbar, doch er kann geliebt werden, und das Eintreten in die Wolke des Unwissens heißt, die eigenen Verstandeskräfte, soweit es um Gott geht, fahren zu lassen und in der Dunkelheit mit dem liebenden Willen nach ihm zu greifen. Die Erfahrung der Dunkelheit oder der Wolke läutert. Hilton und der Verfasser von The Cloud unterscheiden sich insofern, als Hilton an der traditionellen Auffassung festhält, daß der Verstand der Mittelpunkt des Menschen ist. Die Liebe rüttelt den Verstand dazu auf, Gott zu suchen, und die Dunkelheit, in die er in dem Streben nach der Kontemplation eintritt, läutert ihn. Für den Verfasser von The Cloud aber ist Dunkelheit eine Metapher für die Außerkraftsetzung des Verstandes bei der Suche des liebenden Willens nach Gott. Beiden aber geht es darum, die Kontemplation dessen zu verdeutlichen, was das menschliche Vermögen grundsätzlich übersteigt. Die reizvollste Gestalt der mittelenglischen Mystik ist Juliana von Norwich. Sie wurde 1343 geboren, lebte als Rekluse in Norwich und ist während des ersten Viertels des 15. Jh. verstorben. Alles, was man von ihr weiß, beruht auf ihrer Schrift Showings oder Revelation of Divine Love, die von Visionen von Christus am Kreuz berichtet, die sie hatte, als sie 1373 dem Tode nahe zu sein meinte, und davon, was ihr diese Visionen bedeuteten. Die Showings liegen in zwei Fassungen vor, einer kürzeren, offenbar bald nach den Visionen geschriebenen, und einer längeren, rund zwanzig Jahre später verfaßten. Juliana erscheint, insbesondere in der längeren Fassung, als eine Frau von starkem und wachem Verstand, die nachdrücklich darauf bedacht war, die ihr widerfahrene außergewöhnliche Reihe von Visionen zu verstehen. Die Unterweisung, die sie in den Showings erteilt, ist reichhaltig und legt besonderen Nachdruck auf die Liebe Gottes, die der Schlüssel zu allem, von der Schöpfung bis zur Erlösung und endgültigen Herrlichkeit, ist. Durch die Inkarnation, in der sich Gott die menschliche Natur zu eigen macht, wird die Möglichkeit der „Einung" des Geschöpfes mit Gott eröffnet. Diese „Einung" schließt in sich die Läuterung alles dessen, was im Gegensatz zu Gott steht, oder vielmehr die Wahrnehmung, daß nichts im Gegensatz zu Gott steht, er sich vielmehr durch alles offenbaren kann. Julianas Theologie zeigt ein tiefes Vertrauen auf Gott und den endlichen Sieg der Liebe Gottes. 4. Entwicklungen
nach der
Reformation
4.1. Die —• Reformation Auch wenn -»Luther unter dem Einfluß der deutschen mystischen Tradition stand und selbst die -»• Theologia deutsch herausgegeben hat, standen doch die Reformatoren im allgemeinen der Mystik ablehnend gegenüber, und diese ablehnende Haltung setzt sich durch die Geschichte des Protestantismus hindurch fort. Der Grund dafür liegt nahe; denn was auch immer die verschiedenen Mystiker unter der Vereinigung mit Gott verstanden haben, sie haben sich sicher eine effektive Umformung des Menschen durch das Wirken der Gnade Gottes vorgestellt. Die Lehre von der ->Rechtfertigung aus dem Glauben aber geht dahin, die Vorstellung von einer umgestaltenden Kraft der Gnade abzuwerten und stattdessen auf eine Umgestaltung der Stellung des Menschen vor Gott infolge des Opfers Christi zu verweisen. Die Art, in der zahlreiche Mystiker von Vergöttlichung sprechen, stößt daher schnell auf gründlichen Argwohn. Doch bestimmte Akzentsetzungen der Reformatoren, insbesondere ihre Betonung der souveränen Tran-
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szendenz Gottes, stehen entsprechenden Aussagen der Mystiker sehr nahe, werden in ihrer Bedeutung allerdings gewöhnlich in ganz unterschiedlicher Weise aufgefaßt. 4.2. Katholische Reform 4.2.1. Teresa von Avila. Im Zeitalter der Reformation wurde in Spanien durch —»Teresa von Avila und —»Johannes vom Kreuz eine Reform des Karmeliterordens (-»Karmeliter) in die Wege geleitet, die ihn wieder zu seiner ursprünglichen Strenge und kontemplativen Zielsetzung erneuern sollte. Die Schriften dieser beiden Karmeliter bilden eine Scheidemarke in der Entwicklung der mystischen Tradition des Abendlandes. Teresa hat ihre Unterweisung über das Gebet in zahlreichen Büchern und Briefen aufgezeichnet, darunter auch ihrem Leben, das als Bericht über ihre eigenen Erfahrungen angelegt ist, und anderen, gewöhnlich für ihre Schwestern bestimmten Schriften, insbesondere dem Weg zur Vollkommenheit (Camino de perfección) und der Seelenburg (Castillo interior). Was sie in allen diesen Schriften äußert, läßt sich nicht immer einfach in eine zusammenhängende Darstellung einbringen, und der Versuch eines Überblicks ist notwendigerweise eine Vereinfachung. Ein für Teresa wie für Johannes entscheidendes Moment ist die Unterscheidung zwischen aktiven und passiven Zuständlichkeiten oder aktivem und passivem Gebet. Die aktiven Zuständlichkeiten haben vorbereitende Bedeutung und stehen unter unserer eigenen Kontrolle, die passiven folgen ihnen und stehen nicht unter unserer Kontrolle, in ihnen verhält sich die Seele passiv, sie unterwirft oder ergibt sich dem Handeln Gottes. Der Grund für diese scharfe Unterscheidung liegt in einem ausgeprägten Empfinden für den Gabecharakter der Gnade Gottes, das letztlich auf Augustin, unmittelbar aber auf die scholastische Erörterung über die Gnade zurückgeht. Eine weitere für Teresa wichtige Unterscheidung ist die zwischen dem betrachtenden Gebet als einem Gebet, in dem der Geist sich diskursiv denkend bewegt - das heißt, dem meditativen Bedenken von Evangelientexten oder christlichen Lehren, das zu einem festen Bestandteil monastischer Frömmigkeit geworden war - , und dem affektiven Gebet, einem Gebet, in dem man ein Gefühl, für gewöhnlich das der Liebe zu Gott, erlebt. Teresas Interesse richtet sich auf den Übergang von dem diskursiven, betrachtenden Gebet zur passiven Vereinigung mit Gott, in der alle Seelenkräfte aufgehoben sind. Ihre Stufen beschreibt sie immer wieder unterschiedlich, doch im wesentlichen innerhalb eines bestimmten Grundmusters: aktives betrachtendes (diskursives) Gebet, aktives affektives Gebet, ein Zustand der Sammlung, in dem die Aktivität reduziert ist und der gelegentlich Gebet der Ruhe genannt wird, passives affektives Gebet, das ebenfalls Gebet der Ruhe genannt wird, Vereinigung, die Gebet der Vereinigung genannt wird und bei der zwischen geistlichem Verlöbnis und geistlicher Ehe unterschieden wird. Neben der Frage einer gewissen Unschärfe bei der Unterscheidung dieser Phasen stellt sich noch ein weiteres Problem. Teresa beschreibt häufig ihre eigenen Erfahrungen beim Durchgang durch diese Phasen, Erfahrungen, die ekstatische Zustände, Verzückungen, Levitationen, Visionen und ähnliches mehr umfassen. Sie zeigt sich auch an dem psychischen Zustand des Menschen interessiert, der diese verschiedenen Stufen des Gebets erlangt. Doch obwohl sie alles dies keineswegs als unerheblich betrachtet, tritt es völlig in den Hintergrund gegenüber dem, was sie eigentlich bewegt, der Vervollkommnung unserer Liebe zu Gott durch Ergebung in seine Liebe zu uns, die sich eher in der Praxis als in der inneren Erfahrung erweist. Dennoch hat Teresa offensichtlich das Tor zu einer Art der Beschäftigung mit mystischer Theologie geöffnet, die psychischen Zuständlichkeiten nachgeht. Des weiteren hat die Tatsache, daß die höheren Stufen mystischen Lebens passiv sind, die Frage aufgeworfen, ob mystisches Leben allen zugänglich ist oder nur wenigen Auserwählten, eine Frage, die die katholische Mystik jahrhundertelang beschäftigen sollte. Teresas Heiligsprechung vierzig Jahre nach ihrem Tod (1622) hat so einen mit Problemen belasteten Zugang zur Mystik bekräftigt. 4.2.2. Der 1726 heilig gesprochene und 1926 zum Kirchenlehrer erklärte —•Johannes vom Kreuz gilt vielen als unanfechtbare Autorität in der katholischen mystischen Theo-
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logie. Sein Verständnis der mystischen Theologie hat viele Gemeinsamkeiten mit der Teresas von Avila, wird aber weit systematischer entfaltet. Im Mittelpunkt steht dabei die Vorstellung oder besser Erfahrung der Dunklen Nacht der Seele. Sie ist in der Tradition verwurzelt, letztlich bei Dionysius Areopagita, wenn nicht gar im Reden der Bibel, insbesondere des Alten Testaments, von der Dunkelheit, und unmittelbarer bei mittelalterlichen Mystikern wie dem Verfasser von The Cloud of Unknowing und Johannes Tauler; doch die Entfaltung dieses Motivs durch Johannes und die zentrale Stellung, die es für sein Verständnis des Aufstiegs der Seele zu Gott hat, lassen sich nicht auf diese Vorgänger zurückführen. Sein Reden von der Dunklen Nacht ist einmal von der bereits angesprochenen Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Zuständlichkeit bestimmt und zum anderen von einer analytischen Aufteilung der Seele in ihren Geist und ihre Sinne, einer Unterscheidung zwischen dem, was die Seele an sich ist, und den Sinnen, durch die sie zur Welt und anderen Menschen in Beziehung steht. Es gibt daher eine vierfache Unterteilung der Dunklen Nacht, die aktive Nacht der Sinne, die aktive Nacht des Geistes, die passive Nacht der Sinne und die passive Nacht des Geistes. Nach Johannes' eigenen Angaben befaßt sich das erste Buch von Subida del Monte Carmelo mit der aktiven Nacht der Sinne und das zweite und dritte Buch mit der aktiven Nacht des Geistes. Das vierte Buch sollte sich mit der passiven Nacht des Geistes befassen, doch es gibt kein viertes Buch, das Werk ist unvollendet. Doch die Noche Oscura handelt von der passiven Nacht, das erste Buch von der der Sinne und das zweite von der des Geistes. Die aktive Nacht der Sinne wird eindeutig als vorläufig betrachtet. Sie ist die Stufe der Abtötung und Selbstverleugnung, in der man das Losgelöstsein vom Begehren zu erreichen sucht. Eine, möglicherweise die entscheidende Stufe, auf die Johannes mehrmals zurückkommt, betrifft den Beginn der Kontemplation. Er betrachtet ihn als ein passives, eingegossenes Stadium, in dem die Seele ihre eigenen Bemühungen um Hingabe fahren läßt und sich Gott ergibt. In Subida II 19 und Noche I 9 nennt er drei Zeichen, die Zeichen, an denen die Seele erkennen kann, daß sie sich, wie es in Subida dargestellt wird, im Ubergang von der Meditation zur Kontemplation befindet, oder, wie es in Noche heißt, in die „noche y purgación del apetito sensitivo" eintritt. Da er unmittelbar zuvor ( N o c h e 18) die Nacht mit der Kontemplation gleichgesetzt hat, ist wohl auch das in Subida II 9 und Noche I 9 beschriebene Stadium so gemeint. Das heißt mit anderen Worten, daß normalerweise die aktive Nacht des Geistes, die Nacht des Glaubens, wie Johannes sie nennt, zugleich mit der passiven Nacht der Sinne eintritt, in der die durch die Sinne vermittelte Bindung an die Welt durch das Wirken der Gnade Gottes gelöst wird. Sie ist somit für Johannes die eigentliche passive Nacht, und nur wenige erreichen darüber hinaus die passive Nacht des Geistes, in der man die Leitung des eigenen Lebens ganz Gott anheimgibt. Sie wird als verwirrend und schmerzvoll beschrieben, als eine Nacht, in der die Seele in der Läuterung zur Erfahrung der Vereinigung mit Gott eine Erfahrung des Nichts durchlebt. Sie ist verwirrend, weil Gott unmittelbar im Wesen der Seele wirkt, das für Johannes entsprechend den Auffassungen der thomistischen Psychologie nur mittelbar durch die phantasmata der Sinne erfaßt werden kann, so daß die Seele tatsächlich nicht weiß, was ihr geschieht. Gottes Wirken in der Seele in diesem Stadium wird mit dem Begriff toques sustanciales, wesenhafte Berührungen, beschrieben als Gottes unmittelbarer, die Kräfte und Sinne übergehender Kontakt mit dem Wesen der Seele. In der Nacht oder jenseits von ihr ist die Seele mit Gott vereint. Die Ausdrucksweise, die Johannes in Cántico Espiritual und Llama de Amor Viva verwendet, läßt sich am ehesten im Sinne von jenseits der Nacht verstehen, wo sich das ereignet, was er geistliches Verlöbnis nennt. Doch ein Vergleich des zweiten Buches von Noche und (insbesondere) der Llama Viva, die beide von Gottes Wirken in der Seele im Sinne von toques sustanciales sprechen, läßt daran denken, daß die Nacht und das geistliche Verlöbnis möglicherweise zwei Seiten ein und derselben Erfahrung sind mit dem Unterschied, daß in dem in Llama Viva beschriebenen Stadium die Seele versteht, was ihr widerfährt, und der erlebte Schmerz eher als süß (cauterio suave) denn als quälend und verwirrend empfunden wird.
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Katholizismus 4.3. Nachtridentinischer 4.3.1. François de —*Sales ist der Hauptvertreter der Erscheinung, die Henri Brémond als „l'humanisme dévot" bezeichnet hat. In seinen zwei Abhandlungen Introduction à la vie dévote und Traité de l'amour de Dieu sowie in zahlreichen geistlichen Briefen unterwies er in einer Art des Gebetes, die zur liebenden Kontemplation und Vereinigung mit Gott führen soll und innerhalb des nachtridentinischen Katholizismus, aber auch über ihn hinaus eine große Wirkung ausgeübt hat. Der für sein Verständnis des geistlichen Lebens zentrale Begriffe ist die Liebe Gottes, seine insbesondere in der Inkarnation zum Tragen kommende Liebe zu den Menschen, und unsere antwortende Liebe. Der Zweck des Gebetes ist es, diese Liebe im menschlichen Herzen wachzurufen und groß werden zu lassen. Zur Erweckung dieser Liebe übt man Meditation in Gestalt des Bedenkens des Geschehens der Inkarnation und der Geheimnisse des Glaubens, das zum affektiven Gebet hinführt und zu der Form des Gebetes, die Sales simple remise, schlichte Betrachtung oder liebende Hinwendung nannte. Dieses Gebet ist allen zugänglich, welche Stellung sie im Leben auch einnehmen. Es ist nicht einem kleinen Kreis und gewiß nicht den Angehörigen kontemplativer Orden vorbehalten. Wenn Sales auf die Vereinigung zu sprechen kommt, bedient er sich Teresas Sprache der ,,oraison de quiétude" und sagt, die Seele müsse in diesem Zustand „l'indifférence amoureuse" zu üben lernen (vgl. die Vorstellung der „indiferencia" bei -»Ignatius von Loyola), um gänzlich passiv in Gottes Hand zu sein. Den Teil der Seele, der jenseits ihrer analytischen Fähigkeiten liegt, nennt er mit einer in gewissem Grade Eckharts Rede vom „Seelengrund" entgegengestellten Metapher „la cime et suprême point de l'esprit", den Gipfel und die höchste Spitze des Geistes. 4.3.2. Fénelon und der Quietismus. Die Betonung der Passivität der Seele bei ihrer Annäherung an die Vereinigung mit Gott bei den karmelitischen Mystikern und François de Sales hatte schon den Argwohn der kirchlichen Instanzen wachgerufen. Ein solches offensichtliches Vertrauen auf innere Erleuchtung schien der Gefahr des Amoralismus wie auch einer Indifferenz gegenüber den Ansprüchen kirchlicher Autorität offenzustehen, der gegenüber sich die Wahrer dieser Autorität im Gefolge der Reformation besonders empfindlich zeigten. Die Verurteilung der alumbrados in Spanien hatte auch die Lehre von Johannes vom Kreuz in Verdacht geraten lassen, und 1687 wurde der spanische Theologe Miguel de -»Molinos wegen ->Quietismus verurteilt. 1699 führte die Befürchtung des Quietismus zur Verurteilung von Jeanne-Marie Bouvière de la Mothe Guyon (1648-1717). Sie hatte sich nach dem Tod ihres Ehemannes (1676) einem Leben frommer Hingabe zugewandt und geriet alsbald in den Bann des Quietismus von Molinos. Sie verbreitete ihre mystischen Überzeugungen durch Schriften und Vorträge und fand, zumal durch ihre Beziehungen zum französischen Hof, beträchtliche Beachtung. Zu ihren Anhängern gehörte auch der Erzbischof von Cambrai, François de Salignac -•Fénelon, der zusammen mit ihr verurteilt wurde. Das, wofür Fénelon eintrat, war die Vorstellung der reinen Liebe, pur amour, einer Liebe, mit der die Seele Gott ganz und gar um seiner selbst willen ohne eigensüchtige Hoffnung auf Lohn oder Glückhaftigkeit liebt. Der Bischof von Meaux, —»Bossuet, trat Madame Guyon und Fénelon entgegen und machte sich die Furcht vor einem unmoralischen Quietismus zunutze, um ihre Verurteilung durchzusetzen. Für ihn kann es keine interessenfreie Liebe zu Gott, keine Gottesliebe im Sinne von pur amour geben, da Gott ebenso wie das höchste Gut auch mein höchstes Gut ist. Eine Folge der Verurteilung Fénelons war, daß über die Übung des kontemplativen Gebetes ein Schatten des Argwohns fiel. So wie die Befürchtung eines Illuminismus die geistlichen Leiter Teresas zu dem Versuch veranlaßt hatten, sie vom kontemplativen Gebet abzuhalten, so führte die Furcht vor dem Quietismus ungeachtet der Heiligsprechung Teresas in katholischen Kreisen zu einem weit verbreiteten Argwohn gegenüber dem kontemplativen Gebet mit der Folge, daß es als eine besondere Gnade angesehen wurde, die einem kleinen, normalerweise in klösterlicher Abgeschiedenheit lebenden Kreis vorbehalten war.
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4.3.3. Jean-Pierre de Caussade (1675-1751) hatte unter dieser Beargwöhnung der Mystik zu leiden. Sein einziges veröffentlichtes Werk war eine Darstellung der Lehre Bossuets vom Gebet, in der er behauptete, Bossuet habe niemals die eigentliche Mystik, sondern nur die Auswüchse des Quietismus verurteilt. Seine eigene Lehre vom Gebet und der von ihm ausgehende Einfluß hat seinen Niederschlag in seinen Briefen gefunden und läßt sich in der Wendung abandon à la providence divine, Ergebung in die göttliche Vorsehung, zusammenfassen, dem Titel seines bekanntesten Werkes, das postum in einer wohl überarbeiteten, interpolierten Fassung veröffentlicht worden ist. Ein Begriff wie abandon erinnert zu Recht an die Passivität bei den Karmelitern und die indifférence von Sales, geht aber den Gefahren des Quietismus durch die Art aus dem Weg, in der de Caussade ihn als aktive Selbsthingabe in den Pflichten und Gegebenheiten des alltäglichen Lebens erläutert. In diesem Sinn ist abandon Ergebung an Gott, an seine jeden Augenblick beherrschende Vorsehung. Es geht dabei nicht um ein Ausweichen vor dem Leiden und dem Bösen, das uns umgibt, sondern um einen Weg, innerhalb des alltäglichen Lebens in Gottes Nähe zu verweilen und zur Vereinigung mit Gott zu kommen. De Caussade nennt abandon in diesem Sinne ,,le sacrement de moment présent". Die Anforderungen und Vorgegebenheiten des Augenblicks werden zu einem Sakrament, in dem die Seele Gnade empfängt und zur Vereinigung mit Gott findet. 4.3.4. Diese Spiritualität des abandon begegnet auch im Leben der Karmelitin Thérèse de Lisieux, Therese vom Kinde Jesu (1873-1897). Ihr „kleiner Weg" der Liebe setzt im endenden 19. Jh. de Caussades abandon in Lebenspraxis um. Das, was an ihrem Leben bemerkenswert ist, ist ihre tiefe Erfassung der grenzenlosen Liebe Gottes und die Tatsache, daß sie, die aus dem Milieu eines bürgerlichen französischen Katholizismus stammte und in sehr jungen Jahren in das Karmelitinnenkloster von Lisieux eingetreten ist, in ihrem frühzeitig durch Tuberkulose beendeten Leben zu einer heilsamen Einfühlung in die rasch um sich greifende Gottesferne der modernen Welt fand, so daß sie, um es mit den Worten des ihr allenfalls nur dem Namen nach bekannten Evagrius zu sagen, „von der Welt getrennt und mit der Welt vereint" war. 4.4. Protestantische
Bewegungen
4.4.1. Der mit dem Quietismus gleichzeitige und auch unmittelbar mit ihm verbundene —>Pietismus bedeutet eine Erneuerung der Mystik innerhalb des Protestantismus. Im Gegenzug zur Betonung des extra nos in der -»Rechtfertigung aus dem Glauben lehrte er, daß der Glaube eine wirkliche Wandlung im Leben des Gläubigen ermögliche, und sah darin die eigentliche Bedeutung der Rechtfertigung aus dem Glauben. Nach pietistischer Auffassung werden die Gläubigen durch das Wirken der Gnade Gottes zur Heiligkeit berufen und können sie auch erlangen. Das fand häufig Ausdruck in Gestalt der Lehre von der „Wiedergeburt", einer in nicht immer ganz befriedigender Weise zur Erneuerung in der Taufe in Beziehung gesetzten Geburt, wobei die Eckhartsche Rede vom „Durchbruch" zur Beschreibung der Wirkungen der Wiedergeburt eingesetzt wurde, wenn auch ein unmittelbarer Einfluß Eckharts kaum wahrscheinlich ist. 4.4.2. Jakob Böhme und William Law. Schon eine Generation zuvor finden sich ähnliche Vorstellungen bei Jakob -*• Böhme, allerdings eingebunden in komplexe theosophische Spekulationen (-> Theosophie). Seine darin entfalteten und häufig auch verworrenen Vorstellungen können hier nicht erörtert werden, doch die von ihm ausgehende Wirkung muß erwähnt werden. In Deutschland wie in Rußland haben manche Strömungen dessen, was wir als mystische Philosophie bezeichnet haben, sich durch ihn anregen lassen und legitimiert gesehen. Ein bemerkenswertes Beispiel der Wirkung Böhmes begegnet bei dem englischen Non-Juror William —*Law. Seine früheren Schriften, gerade auch sein Serious Call to a Devout and Holy Life (1728), sind keineswegs mystisch bestimmt, sie sind vielmehr Aufrufe zu einer ernsthaften, strengen christlichen Lebenspraxis. Seine späteren Schriften dagegen, zumal The Spirit ofPrayer (1749) und The Spirit of Love (1752), sind insofern
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mystisch, als sie auf eine Umgestaltung im Leben des Gläubigen durch die „neue G e b u r t " abzielen, durch die die Seele „ihre erste himmlische N a t u r " wiedergewinnt. Law bedient sich dabei einer Böhme verpflichteten theosophischen Sprache und bezieht sich auch inhaltlich unmittelbar auf ihn. 4.4.3. Angelus Silesius, Henry Vaughan und Thomas Traherne. Ein Zeitgenosse des Quietismus und der Anfänge des Pietismus ist auch Johannes —*Scheffler, der 1653 vom lutherischen zum katholischen Bekenntnis übertrat und eine umfangreiche Sammlung mystischer Gedichte schrieb, die als Heilige Seelenlust (1657) und Der Cherubinische Wandersmann (1675; zuerst 1657 als Geistreiche Sinn- und Schlußreime) unter dem Pseudonym Angelus Silesius erschienen. Der Dichter spricht darin von einer Vereinigung von Gott und Mensch und verwendet dabei eine bewußt zugespitzte, paradoxe Sprache, die an Eckhart gemahnt, der ihm allerdings sicher nicht unmittelbar bekannt gewesen ist. Verse wie: Gott liebet mich allein, nach mir ist ihm so bange, D a ß er auch stirbt vor Angst, weil ich ihm nicht anhange, bringen dieselbe Art des Perspektivenwechsels zur Geltung, wie sie auch in Predigten Eckharts begegnet, und haben in gleicher Weise Bestürzung und Argwohn erregt. Eine weitere erwähnenswerte Erscheinungsform der Mystik trat in England nach dem Martyrium König Karls I. (1649) zutage, als die anglikanische Gottesdienstübung untersagt wurde. Der Dichter Henry Vaughan (1621/2-1695) spricht in den schönsten Gedichten seiner Sammlung Silex Scintillans (1650, 1655) unter Rückgriff auf Motive aus der mystischen Tradition, insbesondere aus —»Dionysius Areopagita, vom Aufstieg der Seele zu Gott. Ein Dichter war auch Thomas Traherne (1637—1674), doch seine Geltung als Mystiker beruht eher auf seiner erst 1908 veröffentlichten Prosaschrift Centuries of Meditation. Er übernimmt darin die alte, insbesondere östliche Form einer in Gruppen von je hundert Abschnitten oder „Kapiteln" angeordneten geistlichen Abhandlung und spricht vom Fortschreiten der Seele zur Vereinigung mit Gott nicht in der geläufigeren Weise der Verneinung, bei der menschlichem Verlangen und der Welt um Gottes willen entsagt wird, sondern in einer positiven, bejahenden Weise, bei der das Verlangen der Seele bekräftigt wird und durch nichts Geringeres als nur durch Gott allein zu befriedigen erscheint: „You must Want like a G O D , that you may be Satisfied like a G O D " (du mußt verlangen wie ein Gott, um wie ein Gott befriedigt zu werden: 144). Dieser bejahende Weg zur Vereinigung mit Gott verläuft jedoch auch über Stufen, die den drei überkommenen Weisen der Läuterung, Erleuchtung und Vereinigung entsprechen. 5.
Neuzeit
5.1. Die Erneuerung
des
Hesychasmus
5.1.1. Das 18. J h . erlebte eine Wiederbelebung hesychastischer Spiritualität (vgl. 2.5.), die ihren Mittelpunkt auf dem Berg —»Athos fand. Die sie tragende Gruppe von Mönchen wurde „Kollyvades" genannt, eine Bezeichnung, die sich von KÖXAoßa, dem beim gottesdienstlichen Totengedächtnis gegessenen gekochten Weizen, ableitet und ihre strenge Bindung an die Tradition zum Ausdruck bringt. Unter ihnen sind insbesondere zu nennen Nikodemos vom Heiligen Berg ( 1 7 4 9 - 1 8 0 9 ) und Makarios von Korinth ( 1 7 3 1 - 1 8 0 5 ) . Ihr Hauptwerk war eine umfangreiche Anthologie hesychastischer Literatur, die 1782 in Venedig erscheinende i>iAoKaAia zcov iepcov vrjmiK&v, die Texte aus der monastischen Literatur von Evagrius und Maximus Confessor bis zu Gregor Palamas und seinen Anhängern umfaßte. Damit verband sich eine Wiederbelebung der Übung der Stille und des inneren Gebetes, bei der das Jesusgebet eine bestimmende Rolle spielte, und eine Verbreitung der hesychastischen Auffassung der Vergöttlichung im ungeschaffenen Licht der Gottheit als dem Ende eines solchen Gebetes. Wie der Hesychasmus des 14. J h . war auch seine Erneuerung zwar in erster Linie, aber nicht ausschließlich eine monastische
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Erscheinung. Auch Laien waren zur Vereinigung mit Gott durch die Übung des Jesusgebetes berufen. Die hesychastische Erneuerung blieb nicht auf den griechischsprachigen Raum begrenzt. 1793 übersetzte Paisij Velickovskij die Philokalia ins Kirchenslavische, und im 19. Jh. erschienen russische Übersetzungen von Ignatij Briancaninov und Feofan dem Klausner. Im 20. Jh. wurde sie darüber hinaus, aber oft nur in Auszügen, ins Französische, Englische, Deutsche, Rumänische und in weitere Sprachen übertragen. 5.1.2. Ein bedeutender Vertreter mystischer Theologie, der sich in seinen späteren Jahren die slavische Philokalia, die Dobrotoljubie, nutzbar machte, war Serafim von Sarov (1759—1833). Während der meisten Zeit seines Mönchslebens war er auf der Suche nach immer tieferer Einsamkeit, um dann am 25. November 1825 aus seiner Zurückgezogenheit herauszutreten und für Tausende, die ihm zuströmten, zu einer Quelle geistlicher Leitung zu werden. Er verkörperte so eine Erneuerung der Tradition der geistlichen Vaterschaft, des starcestvo, die für die Wüstenväter wie für den Hesychasmus von großer Bedeutung gewesen ist. Für Serafim war der Zweck des Lebens die Erlangung des heiligen Geistes, und das unablässige Gebet war der Weg zu diesem Ziel. Seine eigene Vereinigung mit Gott zeigte sich nicht wie bei ->Franciscus von Assisi und manchem anderen abendländischen Heiligen in einer ->Stigmatisierung, sondern in seiner Verklärung im ungeschaffenen Licht der Gottheit. In einer berühmten Szene erschien er 1831 in einem Gespräch mit N. A. Motovilov diesem mit einem Gesicht „so strahlend wie die Sonne", und als Motovilov in dieses Licht schaute, wurde er in es hineingezogen und spürte unbeschreibliche Ruhe und Frieden. 5.1.3. Das Jesusgebet nahm in Serafims Verständnis des Herzensgebetes keine zentrale Stellung ein. In dem Maße jedoch, in dem die Philokalia an Bekanntheit gewann, wurde es zu einem wichtigen Bestandteil des geistlichen Lebens vieler frommer Russen. Beide Übersetzer der Sammlung ins Russische, Ignatij Briancaninov und Feofan der Klausner, empfahlen seine Verwendung, Briancaninov in einer kurzen Abhandlung darüber, während Feofan es in seinem ausgedehnten Briefwechsel als geistlicher Leiter als Weg zum Herzensgebet nahelegte. Keiner von beiden erreichte allerdings die Popularität des anonymen Verfassers der Otkrovennye rasskazy strannika duchovnomu svoemu otcu (Aufrichtige Erzählungen eines Pilgers an seinen geistlichen Vater, 1884; dt. Übers, hg. v. Emmanuel Jungclaussen, Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, Freiburg 1974). In diesem bemerkenswerten Buch berichtet der „Pilger", wie er das paulinische Gebot, ohne Unterlaß zu beten (I Thess 5,17), zu erfüllen suchte und schließlich durch die Übung des Jesusgebetes das Herzensgebet entdeckte. Dieses Herzensgebet erfüllte ihn mit größter Freude, und das nicht nur innerlich, „vielmehr erschien mir alles, was um mich herum war, in einer wunderbaren Gestalt, und alles bewog mich, Gott zu lieben und ihm zu danken; Menschen, Bäume, Pflanzen, Tiere, alles war mir verwandt, an allem fand ich den Eindruck des Namens Jesu Christi." 5.2. Neuere
Ansätze
Das Ende des 19. und der Anfang des 20. Jh. erlebten das Aufkommen eines großen Interesses an der Erscheinung der Mystik, die dabei gemeinhin als etwas der gesamten Welt der Religionen Gemeinsames, als eine Art von Ökumenismus des Geistes angesehen wurde. Zur gleichen Zeit erhob sich eine heftige Diskussion über das Wesen der christlichen Mystik, insbesondere über die Frage, ob das mystische Gebet etwas ist, zu dem zu kommen alle erhoffen können. Die dabei aufbrechenden theologischen Fragen werden an anderer Stelle erörtert (s.u. S. 581 ff). An dieser Stelle ist lediglich Raum, drei Personen zu nennen, die an diesem Interesse an der Mystik Anteil hatten, aber in gewisser Hinsicht auch selbst Mystiker waren. 5.2.1. Friedrich von —>Hügel, in Florenz geborener österreichischer Adliger, hat den größten Teil seines Lebens in England verbracht. Sein Hauptwerk, The Mystical Element of Religion (2 Bde., 1908 2 1923) hat eine breite und weithin positive Wirkung ausgeübt. Dem Augenschein nach eine Erörterung über die Mystikerin Katharina von Genua aus
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dem 15. Jh., ist es großenteils eigentlich eine ausgedehnte philosophische Abhandlung über das Wesen der Mystik und ihren Ort im menschlichen Leben. Bedeutsam war dabei insbesondere seine Vorstellung von drei Elementen der Religion, dem spekulativen, dem institutionellen und dem mystischen, die sich wechselseitig ergänzen. Fehlt im Leben des einzelnen oder einer Kirche eines von ihnen, entsteht ein Ungleichgewicht, das zu Verwerfungen führt. Von Hügels Theorie war nicht nur in sich selbst von Bedeutung, sondern auch als praktischer Orientierungsrahmen für die Aufgaben geistlicher Leitung, für die er selbst vielfach in Anspruch genommen wurde. 5.2.2. Evelyn Underhill (1875-1941) gehörte zu denen, die von Hügel angeleitet hatte. Von ihm ist sie aus einer Art Theosophie einer lebendigen Laienfrömmigkeit innerhalb der Kirche von England zugeführt worden. Sie war eine fruchtbare Schriftstellerin und hat sich später stark in der Ausübung geistlicher Leitung und der aufblühenden Rüstzeitbewegung engagiert. Von ihren Büchern haben zwei besondere Bedeutung, Mysticism (1911) und Worship (1936). Das erste stammt aus ihrer theosophischen Zeit und geht der Erscheinung der Mystik in einem sehr weit gespannten Rahmen nach. Das zweite ist im anglikanischen Sinn geschrieben und zeichnet sich durch ihr Einfühlungsvermögen in unterschiedliche Formen und Arten der Anbetung aus. Die Anbetung bringt für sie viel für eine gesunde Mystik Zentrales zum Ausdruck. Hemmnisse für das mystische Gebet - stets Formen der Ichbezogenheit - sind gleichermaßen offenkundig auch Hemmnisse für das Verlangen der Seele nach Anbetung und Selbsthingabe. 5.2.3. Thomas Merton (1915-1968) war ein amerikanischer Trappist und zeit seines Lebens ein fruchtbarer Schriftsteller. In einem gewissen Grade zeichnen sich in seinen Schriften die Wandlungen des amerikanischen Katholizismus in der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den frühen Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (—»Vatikanum II) ab. Er ist ein wichtiger Zeuge für die sich im 20. Jh. vollziehende Wiederentdeckung der alten monastischen Überlieferung, sowohl der Anfänge bei den Wüstenvätern als auch der mittelalterlichen, insbesondere der mit seinem eigenen Orden der -»Zisterzienser verbundenen Reformbewegungen, für den Einfluß der meditativen Überlieferung der indischen Religionen auf das Christentum der fünfziger und sechziger Jahre und für die Auswirkungen von Besorgnissen über die Entwicklungsrichtung der westlichen Welt auf das Mönchtum. 5.3. Moderne
russische
Mystik
5.3.1. Vladimir Sergejevic Solovjev (1853-1900) ist ein Beispiel für die Wirkung der bei Jakob Böhme begegnenden Art mystischer Philosophie (oder Theosophie), die sich mit dem Idealismus -»Hegels und ->Schellings verband und in Solovjevs Vorstellung von der als eine Art weiblichen Prinzips in der Gottheit gesehenen Weisheit oder Sophia mit christlichen Lehren verschmolz. Serge; Nikolajevic Bulgakov (1871-1944) stand unter dem Einfluß der Vorstellungen Solovjevs und suchte diese in größeren Einklang mit der überkommenen christlichen Theologie zu bringen. Nach seinem stärker differenzierten Entwurf ist die göttliche Weisheit die anhypostatische Natur Gottes, die sich in ihrer geschaffenen Form in der geschaffenen Welt widerspiegelt. Die Vereinigung von ungeschaffener und geschaffener Weisheit begegnet im inkarnierten Wort. Mit der Entwicklung dieser Vorstellung versucht Bulgakov, seinem Verständnis des christlichen Lebens eine mystische Dimension zu geben, eine Dimension, die sowohl vertikal als auch horizontal ist, vertikal in der Hingabe an die ungeschaffene Weisheit und horizontal in der Gemeinschaftlichkeit (sobornost'), die sich in der Einheit der Kirche verwirklicht und die konsubstantiale Einheit widerspiegelt, die die ungeschaffene Weisheit innerhalb der Gottheit darstellt. 5.3.2. Diese Vorstellungen wurden von Vladimir Lossky (1903-1958) als häretisch angefochten. Er entwickelte eine eigene Auffassung von mystischer Theologie in einer Rückwendung zu den griechischen Ursprüngen des orthodoxen Christentums. Sein vornehmlich in dem einzigen von ihm selbst herausgebrachten Buch Essai sur la théologie
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de l'église d'Orient (1944) zum T r a g e n k o m m e n d e r E n t w u r f greift in e r h e b l i c h e m M a ß auf Dionysius A r e o p a g i t a und dessen B e t o n u n g der U n e r k e n n b a r k e i t G o t t e s zurück, die nicht im Sinne einer letzten Begrenzung des menschlichen Verstandes a u f g e f a ß t wird, sondern im Sinne einer Unausschöpflichkeit dessen, dem wir durch die K i r c h e und die S a k r a m e n t e in C h r i s t u s begegnen, e t w a s , das nach Losskys M e i n u n g nur durch die palamitische Unterscheidung zwischen G o t t e s Wesen und Energien sichergestellt wird. Losskys Verwendung des W o r t e s „ m y s t i s c h " hat weniger mit einem allgemein geläufigen Verständnis dieses Begriffs als vielmehr mit d e m Verständnis des christlichen E v a n g e l i u m s als / w a z r j p i o v bei den V ä t e r n zu tun. 5 . 3 . 3 . Siluan ( 1 8 6 6 - 1 9 3 8 ) , ein russischer B a u e r , wurde M ö n c h a u f dem - » A t h o s und lebte dort 4 6 J a h r e . Sein L e b e n blieb der Öffentlichkeit v e r b o r g e n , und sein W i r k u n g s kreis war a u f die wenigen b e s c h r ä n k t , die ihn k a n n t e n . Z u ihnen gehörte ein anderer R u s s e , Sofronij ( 1 8 9 6 - 1 9 9 3 ) , der sich eine kurze Z e i t lang als Künstler in Paris versucht hatte, ehe er M ö n c h w u r d e und auf den A t h o s ging. D o r t lebte er bis nach d e m Z w e i t e n Weltkrieg, ging dann in den Westen und gründete schließlich in E s s e x in E n g l a n d ein o r t h o d o x e s K l o s t e r . E r b r a c h t e dabei die Aufzeichnungen Siluans mit und veröffentlichte sie. D a r ü b e r hinaus hat er in der Folge auch Schriften aufgrund eigener E r f a h r u n g e n herausgebracht. D a s L e b e n Siluans und das des A r c h i m a n d r i t e n S o f r o n i j ist das L e b e n eines modernen H e s y c h a s t e n mit langen Z e i t e n der Stille im Streben nach d e m H e r zensgebet mit H i l f e des Jesusgebetes. D a s H e r z , das beten k a n n , ist das H e r z , das zu lieben gelernt hat. Für Siluan ist der Prüfstein dieser Liebe Christi das G e b o t der Feindesliebe. Alles das ist nur möglich im Vertrauen auf G o t t , im G o t t v e r t r a u e n selbst in der tiefsten Verzweiflung, wie es in den Siluan geoffenbarten W o r t e n zutage tritt: „ H a b ' deinen Geist in der H ö l l e und verzweifle n i c h t . " Quellen Diese Auswahl schließt nicht die Quellentexte jener Autoren ein, denen ein eigener TRE-Artikel gewidmet ist. Ignatij Brjancaninov, Socinenija ( = GS), 6 Bde., Tuzov 3 1905. - Sergei Bulgakov, Agnec Bozij, Paris 1933. - Ders., Drug zenixa, Paris 1928. - Ders., Dva Grada, Moscau 1911. - Ders., Lestvica Jakova, Paris 1929. - Ders., Kurina neopalimaja, Paris 1927. - Ders., Nevestga Agnca, Paris 1945. - Ders., Svet Nevecernij, Moscau 1917. - Ders., Utesitel', Paris 1936. - Jean-Pierre de Caussade, Lettres spirituelles, 2 Bde., hg. v. Michel Olphe-Galliard SJ, 1 9 6 2 - 1 9 6 4 (CollChr 8.16). - Ders., L'Abandon à la providence divine, hg. v. Michel Olphe-Galliard SJ, 1966 (CollChr 22). - Ders., Traité sur l'oraison du coeur. Instructions spirituelles, hg. v. 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Dem ist nicht so, denn Gott ist hier ... ebenso wohl Mensch geworden wie dort, und er ist aus dem Grunde Mensch geworden, daß er dich als seinen eingeborenen Sohn gebäre und als nicht geringer" (Meister Eckhart, DW 2,657); und: „Der Heilige aber hat seine Kirche an allen Orten bey sich und in sich . . . Sein Herz ist die wahre Kirche" (Böhme, Christosophia, SS 4,135). Auch ein historisch einmaliges und insofern konstitutives Offenbarungsereignis ist für mystische Religiosität obsolet, weil im Grunde alles -»Offenbarung ist. Vielleicht ist diese Art von gelassener Unabhängigkeit gegenüber organisierter, institutionalisierter Religiosität und „orthodoxer" Dogmatik ein Grund für eine zunehmende Attraktivität gerade der mystischen Frömmigkeit, wie sie auch und gerade durch moderne Lyrik und Literatur (z.B. Rainer Maria Rilke; Hermann Hesse) vermittelt werden kann (Schmid, Mystik 37ff). Die mit dieser Nähe zur Häresie (Richter, Mystik I, 1238) wie zur monadischen Frömmigkeit verbundene implizite wie explizite Kritik an einer auch machtpolitisch
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interessierten institutionell gebundenen R e l i g i o s i t ä t , wie sie auf besondere Weise auch in der franziskanischen M y s t i k zu finden ist (Benz, Ecclesia spiritualis 1 4 5 f f ) , ist ein G r u n d für die oft b e t o n t e „ ö k u m e n i s c h e " Weite (—»Ökumene) mystischer F r ö m m i g k e i t , die in allen —»Konfessionen und R e l i g i o n e n entstehen k a n n und doch von ihnen unabhängig ist (Underhill, M y s t i c i s m I X ; S c h m i d , M y s t i k 5 6 ) . Ökumenische Weite oder auch Faszination durch die alle starren Formen durchbrechende lebendige Religiosität der Mystik (Rudolf -»Otto) neben dem Respekt auch vor ihrer argumentativ geschlossen auftretenden onto-theologischen Durchführung (Paul ->TMich) sind Gründe, die in Gegenwendung zu ihrer Diskriminierung durch die Dialektische Theologie die Mystik zu einem theologisch hochrangigen Thema machen (eine differenzierte Stellung Karl ->•Barths zur Mystik belegt kritisch N. Klimek). Sie kann aber auch wegen ihrer positiven, wenn auch schillernden Aufnahme atheistischer (Steinacker-Berghäuser, Verhältnis 32.59) wie nihilistischer Gedanken eine Art Überwindung von skeptischen oder religionskritischen Anfragen gleichsam durch eine Flucht nach vorn sein, indem sie deren Anliegen zusammen mit einer auch in ihnen anklingenden Erlösungssehnsucht des Menschen aufnimmt. Denn Mystik entsteht - wenn auch nicht zu jeder, so doch verstärkt auch in unserer Zeit - , „wenn Scepsis und Sehnsucht sich begatten" (Friedrich Nietzsche, Musarion-Ausg. 14,22). 1.
Quellen
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Hartmut Rosenau
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IV. Philosophisch (Literatur S.591) In der Geschichte der Philosophie hat es zwar, und insbesondere seit der -»Aufklärung, mystikfeindliche oder doch mystikfremde Tendenzen gegeben, doch findet sich schon in den Anfängen der abendländischen Philosphie bei den Griechen (und entsprechend auch in den indischen Upanischaden sowie im frühen chinesischen Taoismus [-»Chinesische Religionen]) ein der Mystik zumindest nahestehendes Denken. Bei Parmenides und Heraklit hat man bereits Verbindungen zur Mystik vermutet. Über -»Plato und vor allem -»Plotin, später auch über -»Proclus ist dann mystisches Gedankengut aus der griechischen Philosophie in das philosophische Denken des christlichen Mittelalters gelangt (-»Augustin, -»Dionysius Aeropagita, die Viktoriner, -»Bonaventura, Meister -»Eckhart). In das neuzeitliche Philosophieren kommen mystische Gedanken über -»Nikolaus von Kues, der seinerseits aus Eckharts lateinischen Schriften schöpfte, und Jakob —»Böhme, der unter anderem auch Einflüsse aus der —»Kabbala aufgenommen hat. Ferner hat die Wiederentdeckung der deutschen Predigten Meister Eckharts in der Zeit der -»Romantik Bedeutung gehabt für die Philosophie des deutschen Idealismus, vor allem für —»Baader, —»Hegel und —»Schelling. Ein neues Stadium philosophischer Beschäftigung mit mystischen Gedanken beginnt mit der Übersetzung der altindischen Upanischaden (-»Hinduismus) durch den französischen Orientalisten A.H. Anquetil-Duperron sowie mit -»Schopenhauer, der die ihm durch diese Übersetzung zugänglichen Upanischaden als „das größte Geschenk dieses Jahrhunderts" (WW 2,419 f) und als „die Ausgeburt der höchsten menschlichen Weisheit" (WW 6,423 f) bezeichnet hatte. Eine bedeutende Rolle spielen die Upanischaden dann auch in Schopenhauers Ethik und Ästhetik. In seiner Ethik beruft sich Schopenhauer mehrfach auf das „tat tvam asi" (das bist du) der Upanischaden. Er findet als metaphysisch darin zunächst die Erkenntnis, „daß alle Vielheit nur scheinbar sei, daß in allen Individuen dieser Welt (...) doch nur eines und dasselbe, in ihnen allen gegenwärtige und identische, wahrhaft seiende Wesen sich manifestire" (WW 4,268). In solch ontologisch-mystischer Erkenntnis gründet das -»Mitleid und damit die Wurzel allen tugendhaften Handelns: „Diese Erkenntnis ist es im letzten Grunde, an welche jede Appellation an Milde, an Menschenliebe, an Gnade vor Recht sich richtet: denn eine solche ist eine Erinnerung an die Rücksicht, in welcher wir alle eins und dasselbe Wesen sind." - Auch in der Ästhetik sind die Upanischaden von Bedeutung. Schopenhauer beschreibt das Gefühl des Erhabenen als „ein nur gefühltes Bewußtsein, daß man in irgendeinem Sinne (den allein die Philosophie deutlich macht) mit der Welt eines ist und daher durch ihre Unermeßlichkeit nicht niedergedrückt, sondern gehoben wird" (WW 2,243). Dieses Bewußtsein aber sei schon in den Upanischaden ausgesprochen: „Hae omnes creaturae in totum ego sum, et praeter me aliud ens non est" (Oupnek'hat I 22: Alle diese Geschöpfe insgesamt bin ich, und außer mir gibt es kein anderes Seiendes). -»Nietzsche hat Schopenhauer seinen „großen Lehrer" genannt (KSA 5,251), dessen Hauptwerk ihn auf die Upanischaden aufmerksam gemacht hatte. Aber auch der Schulfreund Deussen lenkte Nietzsches Aufmerksamkeit auf die älteste indische Philosophie. So erwähnt Nietzsche ganz im Sinne Schopenhauers in seiner Frühschrift „die Weltflucht im Sinne indischer Philosophen" und deren „tiefe religiöse Überzeugung von der Verderbtheit, Vergänglichkeit und Unseligkeit des Daseins" und „das mystische Versenktsein in eine allgenügende entzückende Vorstellung" (KSA l,844f). Und im Blick auf die vorplatonische griechische Philosophie, aber auch ganz allgemein auf die Philosophie schlechthin, heißt es zu dem Satz von der Einheit alles Seienden, er sei ein „metaphysischer Glaubenssatz, der seinen Ursprung in einer mystischen Intuition hat und dem wir bei allen Philosophien samt den immer erneuten Versuchen, ihn besser auszudrücken, begegnen" (KSA 1, 813). Die mystische Erfahrung steht für Nietzsche aber nicht nur
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am Anfang der Philosophie, sondern auch an ihrem Ende, ihrem Ziel. In einer Notiz aus der Zeit der Abfassung des vierten Zarathustra-Buches heißt es: „Eigentlicher Zweck alles Philosophierens ist die intuitio mystica" (KSA 11,232). Und aufgrund der gemeinsamen H e r k u n f t der indogermanischen Sprachen hebt Nietzsche „die wunderbare Familien-Ähnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen Philosophierens" hervor (KSA 5,34). Sowohl Schopenhauer als auch Nietzsche haben auf die —• Lebensphilosophie eingewirkt. Von da leiten sich dann die lebensphilosophischen Stellungnahmen zur Mystik her. Erwähnenswert ist hier zunächst Graf H e r m a n n Keyserling, der in seinem „Reisetagebuch eines Philosophen" die Mystik der alten Inder hoch über die christliche Mystik des Abendlandes stellt (230, 275). Ebenso findet er in der chinesischen Mystik des Taoismus „die vielleicht tiefsten Aussprüche zur Lebensweisheit, die wir überhaupt besitzen" (388 f). M i t Bergson ist ein weiterer Begründer der Lebensphilosophie näher auf die Mystik eingegangen. In seiner Schrift über die beiden Quellen der M o r a l und der Religion unterscheidet er zunächst zwei Arten der Moralität je nach ihren verschiedenen Ursprüngen: Die eine leitet sich ab von den Forderungen der menschlichen Gesellschaft, die andere entspricht der religiösen und mystischen Liebe des Einzelnen. Ebenso gibt es nach Bergson auch zwei Arten der Religiosität. Die eine, die „statische Religion", dient der Selbsterhaltung der Gesellschaft, die andere, die „dynamische Religion", ist die höhere Form. Sie hat mystischen Charakter, indem ihr Ziel die Vereinigung der Seele des Einzelnen mit der Gottheit ist. Die Mystik ist aber nicht nur für M o r a l und Religion von Bedeutung, sondern auch für die Philosophie. Bergson erblickt in der reinen Mystik „ein mächtiges Hilfsmittel des philosophischen Suchens" (Les deux sources de la morale et de la religion 268). Denn die Mystiker „haben einen Weg eröffnet, auf dem andere Menschen gehen können. Sie haben eben dadurch dem Philosophen gezeigt, woher das Leben k a m und wohin es ging" (ebd.). Während aber Bergson mehr Interpret der Mystik ist, hat Louis Lavelle, sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl des „Collège de France", mit der Lehre von der „ E r f a h r u n g des Seins", in der die Erkenntnis ihr letztes Ziel erreicht und der Erkennende sich „vergöttlicht", seiner Philosophie selbst mystische Züge verliehen. Bei Heidegger findet sich schon in der Habilitationsschrift aus dem Jahre 1916 die Absicht, die Mystik Meister Eckharts unter dem Gesichtspunkt des Subjekt-ObjektProblems zu interpretieren (GA 1,402 Anm.). Nach der mystikfernen Phase von „Sein und Z e i t " hat sich Heidegger eine Zeitlang mit der taoistischen Mystik Lao-tses und der des Zen-Buddhismus befaßt. In der Spätphase nähert sich Heideggers Lehre vom „Ereignis" einer gnostischen Mystik. Die Philosophie der Gegenwart hat zahlreiche historische Untersuchungen zur westlichen und gerade auch zur östlichen Mystik hervorgebracht. Außerdem gibt es Versuche, mystische Elemente in das „systematische Philosophieren" aufzunehmen und zu einer modernen „philosophischen M y s t i k " zu gelangen, vor allem in Japan und in Deutschland (Nishitani, T s u j i m u r a , Ueda; Albert, Beierwaltes, Wohlfahrt). Quellen Henri Bergson, Ecrits et paroles, hg. v. Rose-Marie Mossé-Bastide, Bd. 1 - 3 , Paris 1 9 5 7 - 5 9 . - Martin Heidegger, Gesamtausgabe, Frankfurt 1976 (GA). - Graf Hermann Keyserling, Das Reisetagebuch eines Philosophen, Bd. 1 - 2 , Darmstadt 1919. - Friedrich Nietzsche, SW. Krit. Stud.ausg., hg. v. Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Berlin 1 9 6 7 - 7 7 (KSA). - Arthur Schopenhauer, SW, hg. v. Arthur Hübscher, Leipzig/Wiesbaden 1937 ff. Literatur Karl Albert, Mystik und Phil., St. Augustin 1986 = ders., Philosophie der Phil., St. Augustin 1988, 2 1 1 - 4 2 8 . - Werner Beierwaltes, Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Phil, und ihrer Wirkungsgesch., Frankfurt 1985. - Gnosis und Mystik in der Gesch. der Phil., hg. v. Peter
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1.
Einleitung
Die Mystik ist in ihrem Ausgangspunkt, der religiösen Grunderfahrung des mysterium tremendum et fascinosum, der höchsten Stufe ästhetischen Erlebens verwandt; schon daraus ergeben sich viele Bezüge zwischen Mystik und Kunst, die oft bemerkt wurden, aber wenig erforscht sind. Hinzu kommen viele weitere Berührungspunkte: Berichte über visionäre Erfahrungen bedienen sich häufig ästhetischer Kategorien. Die Kunstbetrachtung ihrerseits greift gern zur Begrifflichkeit der Mystik: So beschreibt Abt Suger von St. Denis (Panofsky 62, 74) in Anlehnung an die neuplatonische Theologia mystica des -»Dionysius Areopagita und -»-Johannes Scotus Eriugena seine Erfahrungen bei der Betrachtung von Edelsteinen wie von Kunstwerken in der Terminologie des mystischen Aufstiegs. Mystik und Kunst gemeinsam sind vor allem Erleben und Verherrlichung des Lichtes. 2. Meinungen
der Mystiker
über
Kunst
Die Mystiker des Mittelalters haben, zumal im Gefolge der Reformen des 12. J h . , meist keine hohe Meinung von Kunstwerken: „Doch Bilder und Übungen soll man bald fahren lassen und mit flammender Liebe durch den mittleren in den allerinwendigsten Menschen hindurchdringen" (Tauler: Denifle 380). In der Stufenlehre des mystischen Aufstiegs sind Bilder wie sinnliche Erfahrung ,äußerlich', stehen also auf der untersten Stufe. Mystikertexte für den theologischen Gebrauch sind deshalb in der Regel nicht bebildert. Doch findet sich früh bei einzelnen Mystikern Kritik an dieser Abwertung; sie räumen Bildern höheren Rang ein, wenn auch nur als Ausgang der Reflexion: So wird in Cusanus' De visione Dei das Bild des alles und überall hin Sehenden als einzig adäquater irdischer Ausdruck von Gottes Sehen verstanden. Auffällig ist die große Zahl und der hohe Rang von Kunstwerken bei den —»Kartäusern. Theresa von Avila bekräftigte den Gebrauch von Kunst: „Ich hatte . . . gelesen, es sei eine Unvollkommenheit, künstlich gearbeitete Bilder zu besitzen; deshalb wollte ich kein derartiges mehr in meiner Zelle haben. Schon ehe ich dies gelesen, schien es mir der Armut gemäß, nur Bilder von Papier zu haben, und darum wollte ich keine anderen mehr besitzen. Da vernahm ich aber in einem Augenblick, wo ich gar nicht daran dachte, vom Herrn die Worte: ,Das ist keine gute Abtötung; denn was ist besser, Armut oder Liebe? Weil nun die Liebe besser ist, so gib weder selbst etwas auf, noch entziehe auch deinen Schwestern etwas, was zur Liebe anregt. Das Buch handelt nur von den überflüssigen Verzierungen und dem zu reichlichen Schmuckwerk der Bilder und nicht von den Bildern selbst. Es ist ein Kunstgriff des bösen Feindes, daß er den Irrgläubigen eingibt, sich aller Mittel zur Erweckung der Andacht zu berauben, damit sie sich so ins Verderben stürzen'" (Teresa, Leben 482, 94ff). Bilder seien für die Betrachtung der Menschheit Christi, die wiederum den Menschen in ihrer begrenzten Leiblichkeit besonders gemäß und hilfreich sei, unentbehrlich; sie gab deshalb viele Kunstaufträge und fertigte selbst Bildstickereien.
TAFEL 1
A b b . 1 N e w H a v e n / C o n n . U S A , Yale U n i v e r s i t y L i b r a r y , m s . 4 1 6 , D i d a k t i s c h e T a b u l a e , K a m p O C i s t , M i t t e 13. J h . , fol. 7 r : A r b o r d i v i n i a m o r i s
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New-Age-Bewegung und der Feministischen Theologie (-»Theologie, Feministische) genannt. Doch finden sich dort oft mythische mit metaphysischen Spekulationen über die „Konvergenz" von Wissenschaft und Mythos verknüpft, Spekulationen, deren ontologische Grundlage aber nicht reflektiert wird. Schließlich teilen diese neuen Tendenzen mit den Entmythologisierungsversuchen die Bereitschaft, substanzielle Widersprüche zur Heiligen —»Schrift in Kauf zu nehmen. Dennoch kann in dem modernen Mythologismus ein Syndrom für den geistigen wie geistlichen Mangel gesehen werden, an dem der moderne Mensch in einer überrationalisierten, übertechnisierten und weitgehend profanierten Wirklichkeit leidet. Literatur T h e o d o r A d o r n o / M a x H o r k h e i m e r , Dialektik der Aufklärung, F r a n k f u r t / M . 1984. — J o h a n n J a k o b B a c h o f e n , G W , Basel 1954. - Alfred B a e u m l e r , D a s mythische Weltalter, M ü n c h e n 1965. — R o l a n d Barthes, M y t h e n des Alltags, F r a n k f u r t / M . 1964. — H a n s Blumenberg, Arbeit am M y t h o s , F r a n k f u r t / M . 1979. - Dieter B o r c h m e y e r , D a s T h e a t e r R i c h a r d Wagners, Stuttgart 1982. - Karl August Böttiger, Ideen zur Kunstmythologie, Dresden 1826. — Walter B r ö c k e r , T h e o l . der Ilias, F r a n k f u r t / M . 1975. - R u d o l f B u l t m a n n , T h e o l . des N T , T ü b i n g e n 1953. - Ders., J o h a n n e s e v a n gelium, Göttingen 1950. — Ders., N T u. M y t h o l o g i e , M ü n c h e n 2 1 9 8 5 . — Ders., Jesus Christus u. M y t h o l o g i e , H a m b u r g 1964. - Walter Burckert, Griech. Religion der archaischen klass. Periode, Stuttgart 1977. — Ernst Cassirer, Phil, der Symbolischen F o r m e n II, D a r m s t a d t 7 1 9 7 7 . — Francis M a c D o n a l d C o m f o r t , F r o m Religion to Philosophy, N e w York 1957. - Friedrich Creuzer, S y m b o l i k u. M y t h o l o g i e der V ö l k e r , D a r m s t a d t 1836. — Eugen D r e w e r m a n n , Strukturen des Bösen, M ü n c h e n 5 1 9 8 4 . - H a n s Peter Duerr, T r a u m z e i t , F r a n k f u r t / M . 1978. - G e o r g e s Dumézil. M y t h e et épopée, Paris 1968. — Emile D u r k h e i m . Les formes élémentaires de la vie religieuse, Paris 1912. — M i r c e a Eliade, M y t h and Reality, N e w York 1963. - Julius E v o l a , Revolte gegen die moderne Welt, Interlaken 1982. — Bernard de Fontenelles, D e l ' O r i g i n e de Fables (1752) = Oevres c o m p i . , ed. par G . - B . Depping, G e n f , II 1968, 3 8 8 - 3 8 9 . - J a m e s G e o r g e Frazer, T h e G o l d e n Bough, L o n d o n 1890. — Siegmund Freud, T r a u m d e u t u n g , F r a n k f u r t / M . 1 4 1985. — Ders.: T o t e m u. T a b u , F r a n k f u r t / M . 2 1 1 9 8 0 . - Leo Frobenius, D a s Zeitalter des Sonnengottes, Berlin 1904. - R e n é Girard, Des Choses
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Mythos II
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Kurt H ü b n e r II. Religionsgeschichtlich 1. M e t h o d o l o g i s c h e Vorfragen 2. Ertrag der Theoriegeschichte 2.1. Die „ D e n k f o r m " des Mythos 2.2. Z u s a m m e n h a n g M y t h o s u n d Ritual 2.3. Bedeutungen u n d S t r u k t u r des M y t h o s 3. Definitorischer Z u g a n g 4. Klassifikationen 4.1. Korrelationen 4.2. Z u s a m m e n h a n g der Kodierungsebenen 4.3. Sitz im Leben 4.4. Bearbeitung, Verarbeitung 4.5. Inhalte 5. Besondere kulturelle K o n t e x t e von M y t h e n 5.1. M y t h e n im Bereich schriftloser Kulturen 5.2. Indien 5.3. M y t h e n antiker H o c h k u l t u r e n 5.4. M y t h o s im Bereich m o n o t h e i s t i s c h e r Orientierungen 5.5. M y t h o s nach der A u f k l ä r u n g (Literatur S. 624)
1. Methodologische
Vorfragen
Der alltagssprachliche Gebrauch des Wortes „ M y t h o s " ist ambivalent: Einerseits ist der M y t h o s in der N ä h e des M ä r c h e n s und d a m i t des Illusionären angesiedelt; u n d andererseits vertraut m a n sich der K r a f t der M y t h e n , welche vom Irrational-Ursprünglichen k ü n d e n , an (bis hin zum verhängnisvollen „ M y t h o s des 20. J a h r h u n d e r t s " ) . Dieser alltägliche G e b r a u c h von „ M y t h o s " hat einen neuzeitlichen wissenschaftsgeschichtlichen
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Hintergrund; gegenwärtiger wissenschaftlicher Umgang mit dem Mythos kann sich weder von der Wissenschaftsgeschichte noch von den wertbesetzten Konnotationen der Alltagssprache freimachen, sondern hat diesen Kontext zu verarbeiten. Der religionswissenschaftliche Gebrauch des Mythos-Begriffs hat zunächst eine religionsgeschichtliche Komponente. Der Terminus „Mythos" entstammt einem bestimmten historischen und kulturellen Kontext, nämlich dem griechischen; aber er soll nun auch im Hinblick auf andere (beliebig viele?) historische und kulturelle Kontexte verwendbar sein. Analoge Benennungsvorgänge mit ähnlicher Tragweite liegen etwa in der Verwendung der Ausdrücke „ M a n a " , „Tabu" oder „Dema" vor. Der Vorgang ist folgendermaßen zu beschreiben: In einer bestimmten Kultur wird ein bestimmter Sachverhalt durch einen bestimmten Ausdruck bezeichnet; ein identischer oder wenigstens ähnlicher Sachverhalt wird in einer anderen Kultur wahrgenommen und entsprechend mit demselben Ausdruck bezeichnet. Zweierlei Fragen stellen sich: Wie ist die „Identität" bzw. „Ähnlichkeit" des Gegenstandes bestimmt? Und wie verhalten sich die jeweils primären Benennungsvorgänge (der Gegenstand wird in jeder Kultur seine spezifische Benennung haben) zum sekundären religionswissenschaftlichen Benennungsvorgang? Beide Problemfelder sind komplex miteinander verbunden; die Religionsphänomenologie, welche sich die Behandlung derartiger Fragen vorgenommen hatte, hat zu deren Klärung leider wenig beigetragen. Konkret ist im Hinblick auf „Mythos" festzustellen: Was im Griechischen als „Mythos" bezeichnet wird, ist recht unbestimmt und vage (Wort, Rede, Gespräch, Erzählung - damit dann eben auch die traditionelle „heilige" Erzählung). Gewiß gibt es in keiner anderen Sprache einen identischen Sachverhalt, der durch eine Bezeichnung mit denselben Konnotationen und Verwendungsmöglichkeiten konstituiert wäre. Ein Begriff wie „Mythos" muß also religionswissenschaftlich in einer Weise definiert werden, daß er in möglichst vielen Kulturen vergleichbare Sachverhalte (bzw. deren Bezeichnungen) bezeichnet; es handelt sich somit um einen Begriff religionswissenschaftlicher Metasprache, welcher sich sowohl der Selektion (nicht alle Bedeutungsaspekte von griech. mythos werden berücksichtigt) als auch der Erweiterung und Generalisierung (neue Gesichtspunkte treten zum griech. Sprachgebrauch von mythos hinzu) bedient. Die hier gemachte Voraussetzung, daß es „den Mythos" lediglich in der religionswissenschaftlichen Metasprache „gibt", daß die Verwendung des Begriffs also lediglich dazu dient, Phänomene einzelner Kulturen und Religionen bestimmten Leitfragen zugänglich und dadurch vergleichbar zu machen, bezeichnet die Reichweite des vorliegenden Theorieansatzes. Es erscheint von einem religionswissenschaftlich vergleichenden Standpunkt aus als aussichtslos, mit der Bezeichnung „Mythos" unmittelbar eine anthropologische Konstante, welche bestimmte Erlebens- und Denkformen implizierte, zu postulieren; entsprechend problematisch nimmt sich z.B. der Versuch aus, „dem Mythos" eine bestimmte „Ontotogie" zuzuordnen (vgl. den Ansatz von Kurt Hübner in I.). Dreierlei also ist bei einem so konzipierten Definitionsvorgang zu bedenken: 1. Ein Terminus religionswissenschaftlicher Metasprache hat eine große Bedeutungsbreite, da er eine möglichst große Zahl einzelkultureller Phänomene bezeichnen muß. Dementsprechend ist er mit einem Arsenal möglicher Spezifizierungen, mit einem klassifikatorischen Kontext auszustatten. 2. Dem Wort „Mythos" haften die Bedeutungen seiner griechischen bzw. abendländischen Herkunft an; im Selektions- und Generalisierungsvorgang, der das Wort zu einem Terminus religionswissenschaftlicher Metasprache macht, kommen Fragestellungen und Modelle der jüngeren Theoriegeschichte zum Zuge. 3. Schließlich bildet auch der alltagssprachliche Umgang mit dem Wort einen Kontext, den es zu beachten gilt. 2. Ertrag der
Theoriegeschichte
Interpretationen und Deutungsversuche zum Wesen des Mythos existieren seit der Antike. Die Fragestellungen der gegenwärtigen Religionswissenschaft artikulieren sich
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Mythos II
jedoch erst in der Neuzeit; man kann die Namen von Gianbattista Vico (1668-1744) und Christian Gottlob Heyne (1729-1812) als Marksteine der Forschungsgeschichte nennen. Es geht im folgenden nicht darum, einen vollständigen Überblick über die Forschungsgeschichte zu geben, sondern lediglich um eine Formulierung von Problemstellungen, die heute zu berücksichtigen sind. 2.1. Die „Denkform"
des
Mythos
Vico entwarf als erster eine globale Geistes- und Religionsgeschichte der Menschheit, welche die Dimension des Historischen zu berücksichtigen suchte: Der Umgang des Menschen mit den ihn bedrängenden Mächten bedient sich der Macht der fantasia, der kreativen Einbildungs- und Imaginationskraft, aus welcher Sprache, Poesie und Religion entstehen. Mythen und Götter korrespondieren diesem imaginativen Vermögen. Der Verlauf der Kulturgeschichte ist durch „Gesetze" bestimmt; die Rationalität erweist sich als Denkform eines letzten Entwicklungsstadiums der Imagination, welche allerdings gleichzeitig die Auflösung sozialer Ordnungen impliziert. Damit sind wesentliche Fragen späterer Forschung thematisiert. Der Zusammenhang zwischen dem Ursprung von Sprache, Poesie, Metaphorik und Mythos ist in der -»Romantik von großer Bedeutung und gewinnt dann besonders in der Arbeit von F. Max Müller einen zentralen Stellenwert. Ist bei Vico und in der Tradition der Romantik der Ursprung kultureller Entwicklung mit besonderer Hochachtung verbunden, so kehrt sich die Wertung im Bannkreis der Aufklärung und des Fortschrittsoptimismus um: Die mythologische Phantasie wird zwar weiterhin als Vorform rationaler Denkweise gewertet, aber als defizitäre, durch Affektivität bestimmte. Derartige Konzepte begegnen in verschiedenen Wissenschaftstraditionen, von Wilhelm Wundt bis zu Lucien Lévy-Bruhl. Ist auch das Problem der kulturellen Evolution, insbesondere ihrer „Gesetze" und „Ursprünge", heute obsolet, so ist doch der Zusammenhang zwischen Poesie, Mythos und Rationalität bzw. das symbolische Vermögen des Menschen ganz allgemein von bleibendem Interesse. An grundlegenden, völlig verschiedenen Arbeiten in dieser Hinsicht seien lediglich die von Ernst Cassirer und Claude Lévi-Strauss genannt (vgl. die Hinweise in I.). 2.2. Zusammenhang
Mythos
und
Ritual
Christian Gottlob Heyne, der Begründer der deutschen Altertumswissenschaft, verwendete als erster den Ausdruck „Mythos" mit religionswissenschaftlicher Präzision und verstand darunter eine spezifisch religiöse Redeform. Er fragte gleichzeitig nach der Beziehung zwischen Mythos und Ritual (-»Ritus), und er stellte fest, daß in den Religionen der Antike das Ritual dem Mythos vorgeordnet sei. Damit ist erstmals und grundsätzlich die Frage nach dem Zusammenhang von sprachlicher und handlungsmäßiger Darstellung einer bestimmten religiösen Botschaft gestellt; sie wird von nun an immer wieder neu beantwortet. Ähnlich wie Heyne betonte der Semitist W. Robertson Smith hundert Jahre später eine Vorordnung der Handlung vor der Sprache. Ihm folgte anfänglich auch die klassische Altertumsforscherin Jane Harrison, welche aber später, unter dem Einfluß E. Dürkheims, immer mehr dazu neigte, Mythos und Ritual in Parallelität zu sehen. Dieses letztere Konzept erhielt in den verschiedensten Forschungsrichtungen zunehmendes Gewicht; zunächst in den kultgeschichtlichen Traditionen Englands und Skandinaviens im Hinblick auf die antiken Religionen, insbesondere des fruchtbaren Halbmondes; dann auch in der Religionsethnologie (z.B. A.E. Jensen). Zu einer Infragestellung der selbstverständlichen Parallelisierung von Sprach- und Handlungsebene kam es insbesondere durch Anregungen von C. Lévi-Strauss und im —•Strukturalismus generell: Handlung und Sprache müssen nicht ein paralleles Geschehen in Szene setzen, sie können sich auch komplementär verhalten. Darüber hinaus ist auch die Ebene des Bildes mit in die Betrachtung einzubeziehen: Sprachliche, handlungs-
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mäßige, visuelle, musikalische Kodierung einer religiösen Botschaft sind in wechselseitiger Beziehung zu betrachten und zu analysieren, wobei das Verhältnis und die Hierarchie dieser verschiedenen Kodierungen im Einzelfall zu bestimmen sind. 2.3. Bedeutungen
und Struktur des
Mythos
Seit in der Antike das Nachdenken über den Mythos eingesetzt hat, ist seine Doppelnatur deutlich geworden: Er kann einerseits in sich selbst verstanden werden (wie jede Erzählung; etwa der Homerische Demeterhymnus, der die dramatische Geschichte von Mutter und Tochter erzählt) und verweist andererseits über sich selbst hinaus (fraglos meint der genannte Demeter-Mythos auch den Wechsel der Jahreszeiten, die göttliche Stiftung von Saat und Ernte sowie die Feier der Eleusinischen Mysterien). Man kann diese Dimensionen als syntagmatisch und paradigmatiscb bezeichnen, beide Dimensionen sind bei der Interpretation eines Mythos zu berücksichtigen. Was die paradigmatische Dimension betrifft, so sind immer wieder typische Interpretationen zur Anwendung gekommen. Bereits Vico, vor allem aber Müller betonen die Bedeutung naturhafter Vorgänge, die im Mythos poetisch und religiös verarbeitet werden: das Gewitter, der Sonnenaufgang usw. Später (etwa in den kultgeschichtlichen Konzepten) ist es dann der Kreislauf der —*Natur in ihren typischen Rhythmen, welcher als Ursprung der Mythenstoffe in Anspruch genommen wird: Der Mythos macht den notwendigen Wechsel eindeutig und bringt so Orientierung ins Naturgeschehen. Dem naturhaften Bedeutungsaspekt ist im weiteren Sinne auch der geographische Raum zuzuordnen: Viele Mythen verarbeiten die Gliederung des bekannten und des angrenzendunbekannten Lebensraums und erschließen diesen dem religiösen Symbolsystem. Neben dem Bereich der Natur ist es derjenige der —>Gesellschaft, der politischen und sozialen Ordnung, welcher thematisiert wird; dabei wird gern auf die parallele Bearbeitung naturhafter und sozialer Materialien hingewiesen (etwa bei den Äußerungen J. G. Frazers oder der kultgeschichtlichen Schule zum sakralen Königtum). Erst in jüngster Zeit ist bemerkt worden, wie grundlegend in (allen?) Religionssystemen die Unterscheidung zwischen Natur und Kultur ist, was die fraglose Parallelisierung zwischen naturhaftem und menschlich-gesellschaftlichem Geschehen problematisiert (Lévi-Strauss). Kontrovers ist die Diskussion der Mythenstoffe häufig im Hinblick auf die -»Geschichte gewesen: Sind auch Erzählungen, die historische Ereignisse deuten, als Mythen zu bezeichnen - oder ist in diesem Zusammenhang (vor allem auch im biblischen Zusammenhang) der Mythos-Begriff illegitim? In der Regel bearbeiten religiöse Symbolsysteme die historische Lebensdimension gemeinsam mit der sozialen, geographischen und naturhaften, was in einer Theorie des Mythos bedacht werden muß. Im Gegensatz zu den bisher genannten Ansätzen suchen psychologische Mytheninterpretationen den Stoff der Mythen nicht in der Außen-, sondern in der Innenwelt (besonders S. Freud und C . G . Jung, in gewisser Weise - was die Strukturierung der Mythen betrifft - auch C. Lévi-Strauss). In dieser Sicht der Dinge sind es also Topologie und Dynamik der „Seele" oder des „Geistes" (was immer im einzelnen Theorieansatz darunter zu verstehen ist), die das Bedeutungsfeld des Mythos ausmachen. Nochmals ein anderer Akzent ergibt sich, wenn der Gegenstandsbereich der Mythen nicht nur religionswissenschaftlich analysiert, sondern religiös gewürdigt, also jenseits der Innen- oder Außenwelt des Menschen angesiedelt wird. Dann ist es das Heilige selbst, welches sich im Mythos manifestiert (z.B. M. Eliade). Neben dieser „paradigmatischen" ist die Beachtung der „syntagmatischen" Bedeutungsdimension des Mythos in der Forschungsgeschichte erstaunlicherweise ganz zurückgetreten. Was bestimmt die Struktur, den Ablauf mythischer Erzählungen? Gewiß spiegeln sie teilweise Abläufe der Natur (z.B. Wechsel der Jahreszeiten) wider; aber wesentlicher scheint doch die Tatsache zu sein, daß Gesetzmäßigkeiten des Erzählens zum Zuge kommen. Anregungen, die von unterschiedlichsten Positionen der Erzählforschung (von A. Olrik bis zu V. Propp) hätten aufgenommen werden können, sind
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Mythos II
in der religionswissenschaftlichen Mythenforschung auffällig wenig berücksichtigt worden. Sind solche „Gesetzmäßigkeiten des Erzählens" anthropologische Konstanten, so etwas wie „biologische Programme" (Burkert)? Mit derartigen Fragen hat sich die Mythenforschung bislang noch kaum befaßt. An diese Fragestellung schließt sich die nach der Beziehung zwischen verschiedenen Mythen an. Viele Mythen sind in verschiedenen Varianten belegt; das genannte Beispiel des Demeter-Kore-Mythos z. B. erscheint nicht nur im homerischen Demeter-Hymnus, sondern ist auch andernorts, mit charakteristischen Abweichungen, überliefert. Andererseits knüpfen Mythen aneinander an, bilden so etwas wie „Fortsetzungen". Die Aussage von Lévi-Strauss, daß ein Mythos aus der Summe seiner Varianten bestehe, kann in dem Sinne aufgenommen werden, daß die Gesamtheit von Varianten und Verknüpfungen eines Mythos das Feld möglicher Bedeutungen in syntagmatischer und Leistungen in paradigmatischer Hinsicht absteckt. Wie verhält sich der Mythos zur Realität? Die lange selbstverständliche Annahme einer Parallelität (der Mythos inszeniert die Wirklichkeit bzw. er „verdoppelt" sie auf symbolischer Ebene) ist wiederum durch C. Lévi-Strauss in Frage gestellt worden: Nicht nur die Realität, sondern auch die Irrealität ist Thema des Mythos; die Beziehung zwischen diesen Bereichen ist also nicht gegeben, sondern im Einzelfall zu erfragen. 3. Definitorischer Zugang In letzter Zeit ist in religionswissenschaftlicher Arbeit der Begriff des Mythos zunehmend vom Phänomen der traditionellen Erzählung her konzipiert worden. Damit wird einerseits ein Aspekt des griechischen Ursprungs des Wortes aufgenommen und andererseits ein Phänomen erfaßt, das wohl überall in der Menschheitsgeschichte vorkommt und einen gewissen Stellenwert in der Darstellung des religiösen Symbolsystems hat. Es ist daher sinnvoll, einen Definitionsrahmen und ein dazugehöriges klassifikatorisches Instrumentarium von diesem Ausgangspunkt aus aufzubauen. Innerhalb einzelner Kulturen hat das Erzählen allerdings recht unterschiedliche Gestalten, Themen und Funktionen, was dann zur Ausdifferenzierung einzelner Gattungen führt (man denke an Redeformen wie Mythos, Sage, Legende, Märchen usw.); doch so nötig solche Unterscheidungen im einzelnen sind, so wenig lassen sie sich generell im transkulturellen Vergleich durchführen. Welches ist nun die Funktion des traditionellen Erzählens, wenn es zur Konstituierung des religiösen Symbolsystems dient? Das wesentlichste Merkmal des so verstandenen Mythos ist, daß er einen Vorgang wiedergibt; einzelne bedeutungsvolle Szenen folgen sich in einer bestimmten Sequenz. Der Vorgang vermittelt eine religiöse Orientierung. Diese Bestimmung ist nun nochmals zu problematisieren. Denn die Repräsentation eines bedeutungsvollen Vorgangs muß nicht notwendig durch ein Erzählen im engeren Sinne des Wortes realisiert sein. Die Mythen Griechenlands sind zunächst in der Gestalt des Epos, der Lyrik und der Tragödie überliefert; diese Redeformen machen von traditionell bekannten Handlungssequenzen Gebrauch; immerhin mögen dieselben Stoffe auch als Erzählungen tradiert worden sein. Aber ein solcher Vorgang muß nicht unbedingt sprachlich in Erscheinung treten. In Ägypten sind die wesentlichen Vorgänge primär als Bild und als Bildersequenz, die von Sprache begleitet sind, dargestellt; wieweit diese bedeutungsträchtigen Vorgänge auch als Erzählung überliefert wurden, ist nicht klar. Das Mahäbhärata in Indien wird - wiewohl sprachlich überliefert — vielerorts im Tanz zur Darstellung gebracht. Die hier zur Anwendung gebrachte Definition des Mythos erfolgt also auf zwei Ebenen. Dessen Tiefenstruktur besteht in einer irreversiblen Anreihung von Bedeutungsträgern, welche einen Vorgang konstituieren. Diese Tiefenstruktur ist an der Oberfläche in besonders vielen Kulturen durch die Erzählung im engeren Sinne des Wortes, allenfalls durch andere Redeformen realisiert; doch gibt es auch andere, z. B. visuelle oder handlungsmäßige Realisierungsmöglichkeiten.
Mythos II
613
Wie sind nun Wirkung und Leistung des Mythos zu bestimmen? Im Hinblick auf die „Oberflächenebene" läßt sich folgendes sagen: Die Erzählung beinhaltet einen Vorgang, welcher von einem Anfang auf einen Schluß zuläuft. Der Vorgang ist nicht umkehrbar; die Veränderungen, welche sich im Hinblick auf Situationen und die daran beteiligten Personen abspielen, haben eine eindeutige Richtung. Der Ausgangspunkt des Mythos läßt Veränderungen zu; er ist also labil. Der Schluß des Mythos kennt keine weiteren Veränderungen mehr; er ist stabil. Der Mythos beinhaltet demnach eine Transformation von der Labilität zur Stabilität. Dem stabilen Schluß kommt eine gewisse Gültigkeit zu; er macht vorhergehende Stationen ungültig. Diese Transformation vom Ungültigen zum Gültigen ist häufig zu erläutern durch das Begriffspaar irreal-real. Kosmogonische Mythen etwa entwerfen gern einen irrealen Urzustand ohne Differenzierungen, z.B. eine ungestaltete Wasserwelt, welcher dann schrittweise in den jetzigen Zustand der differenzierten Realität überführt wird. Paradiesesmythen berichten von einer ursprünglichen —»Welt, in welcher gewisse prägende Faktoren der Gegenwart ausgeschaltet sind - z.B. der Tod, die Nötigung zur Arbeit, die Sexualität, die Zurechnungsfähigkeit. Was Welt ist, wird dadurch gezeigt, daß sie mit einer Gegenwelt oder mit mehreren Gegenwelten kontrastiert wird. Die Irrealität kann übrigens durchaus ihren Platz außerhalb des gültigen Kosmos haben; das ungestaltete Meer, das in kosmogonischen Mythen gern erscheint, existiert weiter nach der Schöpfung, ebenso das chaotische Gemenge politischer Feinde. Dabei sind Mythen in der Regel nicht in der Weise umfassend, daß sie alle Bereiche der Wirklichkeit thematisieren; vielmehr beziehen sie sich auf einzelne Aspekte, sie stellen die Welt gewissermaßen paradigmatisch dar. Sie setzen wohl einen Kosmos voraus; aber dieser ist vielgestaltig und variabel, Mythen erhellen ihn immer partiell. Eine Erzählung, welche vom labilen Ausgangspunkt zum stabilen Schluß verläuft, erzeugt Spannung. Sie zielt auf die Identifikation des Hörers mit dem Geschehen; der Hörer wird in den Mythos hineingenommen, wird gefesselt. Dadurch teilt die Erzählung ihre Intentionen, d.h. ihr Orientierungspotential mit. Diese Leistung kommt bereits der Tiefenstruktur des Mythos zu; der identiflkationsgewährende Vorgang muß nicht notwendig durch Erzählen realisiert sein. In diesem Sinne ist als „Mythos" zu bezeichnen, was grundlegende religiöse Orientierungsprozesse auslöst, also die typisch menschlichen Irritationen durch die Erfahrung von Kontingenz, von Chaos und Vieldeutigkeit auffängt, mit Sinn besetzt und der Kommunikation erschließt. Dieser Prozeß, der kognitive und emotionale Aspekte hat, ist als grundlegende Funktion der Religion überhaupt anzusprechen; in diesem Sinne kann man dem Mythos einen zentralen Stellenwert für die Religion zusprechen. 4.
Klassifikationen
Nach dem ganz generellen deflatorischen Ansatz ist jetzt zu erläutern, inwiefern der Mythosbegriff klassifikatorisch präzisiert werden kann. Die Gesichtspunkte dazu entstammen zunächst den forschungsgeschichtlichen Impulsen und sind nun als methodische Leitfragen zur Analyse eines Mythos geltend zu machen. 4.1.
Korrelationen
Zunächst sind die Varianten und Verknüpfungen eines Mythos zu verzeichnen. Wie sind die syntagmatische und die paradigmatische Dimension aufgebaut und ausgearbeitet? Ist der Mythos hochgradig auf sich selbst bezogen, oder ist er stark durch seine Hinweisfunktion auf Dinge, die außerhalb der Erzählung selbst liegen, bestimmt? 4.2. Zusammenhang
der
Kodierungsebenen
Sodann ist nach Beziehungen zwischen sprachlichen und nichtsprachlichen Kodierungsformen zu fragen. Besteht eine Verbindung zu handlungsmäßigen, rituellen Vorgängen? Ist die Dimension des Visuellen mit einbezogen, gehören Musik oder Gerüche zum Vollzug des Mythos?
614 4.3.
Mythos II Sitz im
Leben
In welchem Kontext wird der Mythos laut, welches ist sein „Sitz im Leben"? Sind Situation und Zuständigkeit für den Vortrag geregelt? Die Palette möglicher Antworten ist an dieser Stelle denkbar breit, neben strikt einschränkenden Verwendungsregeln (nur ein bestimmter sozialer Rollenträger darf den Mythos zu einer ganz bestimmten Gelegenheit vortragen) gibt es die weitgehende Regellosigkeit (jeder darf den Mythos zu jeder Zeit erzählen). Welches ist die spezifische Funktion des Mythos, welches ist seine Orientierungspotenz? Bei der generellen Definition wurde die Identifikation als mythisches Orientierungsprinzip genannt; aber diese Orientierung kann ganz verschiedene Reichweite haben (Colpe spricht von einer „mythischen Valenz", die einem Mythos eignen oder mangeln könne). Sie kann relativ oberflächlich verlaufen, im Sinne bloßer Unterhaltung. Traditionelle Erzählungen können eine kathartische oder moralische Unterhaltungs- und Befriedigungsfunktion haben und etwa unerfüllbare Wünsche artikulieren, welche man im Erzählvorgang durcherlebt - Wünsche nach dem Glück des Zu-kurz-Gekommenen, nach brutaler Durchsetzung der Gerechtigkeit usw. Dergleichen ist im europäischen Märchen recht häufig, das nicht völlig vom Mythos zu trennen ist, auch wenn die Verbindung zum (christlichen) religiösen Symbolsystem nur noch recht lose ist. Wesentlicher ist in unserem Zusammenhang die tiefer gehende Orientierung, die sich insbesondere bei Verwendung der Erzählung im Kontext eines religiösen Symbolsystems, in einem Ensemble mit anderen Kodierungsebenen der Botschaft wie Handlung, Bild usw. einstellt. Der Vorgang der sprachlichen Prägung ist dann mit anderen Kanälen der Sinneswahrnehmung koordiniert, wobei durchaus offen bleiben kann, ob nicht eine sinnstiftende Handlung oder ein sinnstiftendes Bild tiefer gehen als die Erzählung. 4.4.
Bearbeitung,
Verarbeitung
Die Strukturierung traditioneller Erzählungen verdankt sich - wie diejenige der Sprache überhaupt - einem Regelsystem, das nicht bewußt gehandhabt wird. Wo allerdings der Mythos zur Domäne von Spezialisten wird, ist häufig die Tendenz einer bewußten Bearbeitung festzustellen: Bestimmte abstrahierbare Ideen werden dann zum Leitgedanken eines Mythos. Diese Tendenz der Bearbeitung zeigt sich häufig bei der Komposition von Mythen zu einem größeren Ganzen; als Beispiele aus dem orientalischantiken Raum seien genannt: das Gilgamesch-Epos, welches einzelne ursprünglich unabhängige (als solche sumerisch überlieferte) Mythen unter einheitlichen Gesichtspunkten zu einer Großkomposition verbindet (die Frage nach dem Todesgeschick des M e n schen steht im Zentrum, dann auch der Gegensatz zwischen Samas und Istar); der ugaritische Ba c als-Mythos, der unterschiedliche Konfliktfelder und Erfahrungsbereiche des Gottes Ba c al ineinander verarbeitet; oder die Theogonie des Hesiod, welche Mythenstoffe vorwiegend orientalischen Ursprungs mit griechischen Überlieferungen in einen Zusammenhang bringt und dem Gesichtspunkt von Zeus' durchsichtiger Herrschaft unterstellt. Man kann in diesem Zusammenhang versuchsweise von „ G r o ß m y t h e n " sprechen. Im Zusammenhang damit ist die Bearbeitung von Mythen im Übergang zur Schriftlichkeit zu nennen. Wo immer -»-Schrift zur Anwendung gelangte, wurde sie mit der Zeit auch zur Fixierung der traditionellen Erzählungen benützt. Diese erhielten damit einen neuen, sekundären Kontext: in der Schule und schließlich in der Gelehrtenstube. Philosophische Bearbeitungen von Mythen und die Elaborierung eigentlicher Auslegungs- und Interpretationsmethoden stehen am Schluß dieser Entwicklung. Damit ist eine rationale Bearbeitung des Mythos gegeben; wieder befinden wir uns am Rand des „traditionellen" Erzählens. Kann etwa Plutarchs De Iside et Osiride noch als „ M y t h o s " bezeichnet werden? Einerseits ja, es ist sogar die einzige Erzählfassung des Isis-OsirisMythos; andererseits gewiß nicht, es handelt sich um eine allegorisch-philosophische Interpretation des vorgegebenen Stoffes.
Mythos II 4.5.
615
Inhalte
Die üblichste Klassifikation der Mythen orientiert sich an bestimmten Inhalten. Allerdings sind in diesem Zusammenhang viele Überschneidungen zu beobachten; häufig reichen die von außen an die Mythen herangetragenen Kategorien nicht aus, um wirklich zu greifen. 4.5.1. Kosmogonische Mythen. Mythen von der Erschaffung der —• Welt haben in der Regel eine Umgestaltung zum Inhalt: Die Welt wird aus einem charakteristisch andersartigen in den jetzigen Zustand transformiert. Die Metaphorik ist allen möglichen Erfahrungsbereichen entnommen. Häufig begegnet eine anthropomorphe Interpretation des Geschehens: Himmel und Erde werden als M a n n und Frau konzipiert, fast immer in dieser Zuordnung; die Kosmogonie kann dann als Trennung des Urpaares beschrieben werden. Ebenso verbreitet sind theriomorphe Interpretationen (etwa der Himmel als Kuh, die sich über die Erde erhebt, in Ägypten, parallel zur genannten anthropomorphen Sicht der Dinge usw.). Recht häufig ist das Wasser Bild für den ungestalteten Urzustand der Welt. Der Prozeß der Weltentstehung ist dann in verschiedener Weise beschreibbar: als Auftauchen von Land in der Wasserflut, als Kampfgeschehen, welches im Wasser einen Raum schafft, als Tat eines Urwesens usw. Hinsichtlich der Genese des Bildes für den Urzustand konkurrieren verschiedene Erklärungen (geographisch-klimatische, menschheitsgeschichtliche, psychologische). Die Idee der Trennung und Sonderung spielt in den meisten kosmogonischen Mythen eine wesentliche Rolle: Kosmogonie bedeutet, daß die Elemente, die ursprünglich ununterschieden und ungeordnet sind, auseinandertreten und damit eine Ordnung finden. Dabei kann dieser Ordnungsprozeß positiv oder negativ gewertet sein; der Zusammenhang von Himmel und Erde wird einerseits als „seliges L e b e n " (in welchem Menschen und Götter beisammen sind), andererseits als unerträgliches Dasein (in welchem z.B. die Sonne vernichtend nah und heiß, der Himmel erstickend dicht auf der Erde ist) gesehen. In jedem Fall haben wir es mit einer Entwicklung von einer „Irrealität" zur jetzt geltenden „ R e a l i t ä t " zu tun. Schöpfung bzw. Gestaltung der „ W e l t " bedeutet in den meisten Fällen Einrichtung der konkreten Umwelt einer bestimmten Ethnie; der Weltaufbau ist also ethnozentrisch gesehen, und zumeist beläßt das Schöpfungskonzept noch einen Rest an „ U n w e i t " , in welcher die ungeordneten, chaotischen Mächte weiterhin ihr Unwesen treiben. 4.5.2. Anthropogonische Mythen. M a n c h e Merkmale, welche im Hinblick auf die kosmogonischen Mythen genannt wurden, gelten entsprechend auch im Hinblick auf die Entstehung des —>Menschern Anthropogonie ist häufig als Transformation beschrieben. Menschen entstehen z.B. aus dem Kot eines Urzeitwesens; oder sie werden aus Erde durch ein höheres Wesen geschaffen. Ebenso verbreitet ist eine Thematik, welche nicht eigentlich die Entstehung des Menschen, wohl aber die seiner gegenwärtigen Lebensumstände zur Sprache bringt. Solche Mythen setzen z.B. mit einer Zeit ein, in der die Menschen noch ungeregelt miteinander verkehren, und schildern dann den Übergang zur Gegenwart mit den jetzt geltenden Heiratsregeln; oder sie stellen einen Ursprung dar, in dem Menschen und übermenschliche Wesen noch nicht getrennt sind, und erzählen dann, wie es zur Trennung, damit zur jetzt geltenden und orientierenden Differenzierung der Wirklichkeit gekommen ist. Wiederum ist der Wandel von der Irrealität zur Realität bestimmend. Manche Mythen schildern sogar verschiedene Phasen der Irrealität, von denen sich die jetzt geltende Realität abhebt. In derartigen Mythen wird die Bestimmung des Menschen deutlich. Die Idee einer Trennung göttlicher und menschlicher Wesen, diejenige einer „spontanen" Entstehung des Menschen und die einer Schöpfung des Menschen durch einen (mehr oder weniger) überlegenen Gott (im Einzelfall begegnet gelegentlich das Motiv, daß es vor der Schöpfung des Menschen zu einigen Fehlversuchen kommt, vgl. auch Gen 2,18 ff) ergeben je
Mythos II
616
unterschiedliche Konzepte der Stellung des Menschen in der Welt und im Kontext der lebensbestimmenden Mächte. 4.5.3. Begrenztere Ätiologien. Anthropogonie und Kosmogonie können als Ätiologien bezeichnet werden. Grundlegende Sachverhalte der gegenwärtigen Wirklichkeit werden begründet in dem Sinne, daß ihre Entstehung verständlich wird; so finden sie ihren Platz in der Welt, werden dadurch mit Sinn besetzt und der Orientierung erschlossen. Aber nicht nur grundlegende, sondern auch nebensächlichere Sachverhalte unterliegen einer entsprechenden Orientierungsstiftung, und zwar „normale" wie „abnormale". Gerade letztere - etwa besonders auffällige geographische Erscheinungen (man denke z.B. an Lots Weib!) - werden gern im Mythos bearbeitet und damit in die Welt eingeordnet. 4.5.4. Geschichtliche Stoffe. Prägende geschichtliche Ereignisse gehen gegebenenfalls so problemlos in die Erzählung ein wie herausragende Elemente der Natur. So spiegeln sich z. B. Wanderbewegungen der eigenen ethnischen Vergangenheit in Wander-Erzählungen der Ahnen wider. Naturgemäß gewinnt das Historische einen höheren Stellenwert in Kulturen mit Schriftgebrauch. Besonders eindrücklich ist in Ägypten ein historisches Ereignis mythisch erinnert worden, und zwar das der Reichseinigung: Die Vereinigung von Ober- und Unterägypten stellt den grundlegenden Vorgang dar, der die Wirklichkeit des Landes prägt. Er ist in die verschiedensten mythischen, rituellen und ikonographischen Zusammenhänge hineinverwoben. Über die Frage nach Mythen in Israel wird gesondert zu handeln sein. 4.5.5. Mythen der Vor- und Endzeit. Mythen können recht verschiedene Zeitstrukturen (-»Zeit) repräsentieren und in Gang setzen. Die Vorstellung der heiligen „mythischen Urzeit", welche in die profane Zeit einbricht (Eliade u.a.), stellt lediglich einen Fall dar, der allerdings von großer Bedeutung ist: Die Rezitation, meist auch rituelle Inszenierung, schafft unmittelbar die orientierende Wirklichkeit; der Übergang von einer chaotischen Unordnung zu einem durchsichtigen Kosmos wird unmittelbar wirksam. Manche Mythen implizieren demgegenüber eine Differenz von Zeiten-. So wird etwa festgehalten, daß gewisse Grundbedingungen der Welt, innerhalb derer sich eine wirklichkeitskonstituierende Ereigniskette abspielt, bereits feststehen (z. B. in einem Mythos wie der sumerischen Komposition „Enki und die Weltordnung"). Wieder andere Mythen beleuchten ganz generell die Qualität der gegenwärtigen Zeit, indem sie deren allmähliche, aber abgeschlossene Entstehung in Erinnerung rufen; etwa der Weltaltermythos (der die Gegenwart in ihren Defiziten beleuchtet) oder die hesiodische Theogonie (die die Gegenwart in ihrer zeusbestimmten Ordnung meint). Ein akutes Orientierungsdefizit der Gegenwart gegenüber findet häufig seinen Niederschlag in Krisenkulten, und die entsprechenden Erzählungen sind an einer heilvollen Zukunft orientiert; die eigentliche, orientierungsstiftende „Realität" wird in einem noch ausstehenden Ereigniszusammenhang gesehen, auf den hin man lebt, und die Gegenwart wird als „Unwirklichkeit" diskreditiert (zu diesen in Krisenkulten häufigen Zeitkonzepten vgl. 5.1.). 5. Besondere
kulturelle
Kontexte
von
Mythen
Je nach kulturellem und historischem Kontext weisen Mythen für die religionswissenschaftliche Wahrnehmung Besonderheiten auf, die einerseits auf diesen Kontext zurückzuführen sind, sich andererseits aber auch dem spezifischen methodischen Zugriff verdanken. Beide Aspekte sind parallel zu bedenken. Im folgenden kann lediglich ein ganz kleiner Ausschnitt „mythischer Landschaften" exemplarisch auf ihre Probleme hin befragt werden.
Mythos II
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5.1. Mythen im Bereich schriftloser Kulturen Mythen im Bereich schriftloser Kulturen der jüngeren Vergangenheit, teilweise noch der Gegenwart, verdanken sich einem religionsethnographischen Zugang: Sie sind idealerweise durch Tondokumente als unmittelbare Erzählung aufgenommen, möglicherweise durch Bildmaterial ergänzt usw.; man ist dann im Besitz der Anwendung eines Mythos in einem konkreten Kontext. In derartigen Kulturen fehlt in der Regel eine Reflexion über den Mythos; man wendet ihn an und legt ihn nicht aus, man bedient sich seines Denkens und denkt nicht über ihn nach. Zur Interpretation eines Mythos kann der Ethnograph zusätzliche Informationen bei seinen Gewährspersonen einholen. Er setzt dann so etwas wie „Auslegung" in Gang, indem er Fragen stellt, über die der Befragte kaum nachgedacht hat, obwohl er durchaus eine Antwort geben kann. Allerdings ergibt sich damit noch nicht eine „authentische" Interpretation: Die Fragestellungen und Systematisierungstendenzen des von außen betrachtenden Religionswissenschaftlers sind konstitutiv für die Interpretation. Häufig hat die Arbeit der Ethnographen nachhaltig auf die Mythenüberlieferung eingewirkt. So brachten die Mythensammlungen der Ethnographen den Informanten erst den Gesamtkontext der Erzählung zum Bewußtsein, so daß sich mit der Zeit eine Art „Kanonisierungstendenz" einstellen konnte. Die religionswissenschaftliche Bearbeitung des Mythengutes hat dann also einen bestimmenden Einfluß auf die untersuchte Religion; der Religionswissenschaftler wird zu einem innovativen Faktor von eigenartiger Ambivalenz: Einerseits vermittelt er Distanz zu den überlieferten Mythen, andererseits verhilft er möglicherweise zu neuen Identifikationsmöglichkeiten. M i t welchen Schwierigkeiten die Mytheninterpretation schriftloser Kulturen umzugehen hat, sei im Hinblick auf australische Materialien kurz skizziert. Zunächst muß der Ausdruck „traditionelle Erzählung" präzisiert werden: Gewiß sind Mythen traditionell, werden von Generation zu Generation überliefert. Das bedeutet aber keineswegs, daß sie von Innovation frei wären. Der Spezialist, welcher eine besondere Initiation (die derjenigen des nordeurasiatischen Schamanen in manchem ähnelt) durchlaufen muß, lernt den Mythos „eigentlich" in einer jenseitigen Welt kennen, und die „eigentliche" Tradition wird also nicht „natürlich" weitergegeben, sondern durch die das Dasein der Lebensgemeinschaft bestimmenden Mächte. Nun ist es gut möglich, daß der Spezialist in seiner Jenseitsreise neue Geschichten bzw. Varianten der alten Geschichten entdeckt; diese haben durchaus traditionelles Gewicht. Solche neuen Geschichten können auch von außen übernommen sein. Der Spezialist trägt seine Geschichte z. T. in einer verzerrten Sprache, manchmal sogar in einer Fremdsprache vor, so daß sie nicht mehr im Sinne normaler Kommunikation „verständlich" ist. „Verstehen" wird aber ohnehin nicht in erster Linie durch kognitive Denotation hergestellt, sondern durch dramatische Inszenierung im Tanz (Korroboree). Die sprachliche Kodierung der Erzählung ist also mit anderen Kodierungsformen verflochten: mit rhythmisierter Handlung und Musik (die freilich auch wieder ganz anderen Bedingungen gehorcht als die unsere). Eine wichtige Rolle spielen auch visuelle Elemente: Die am Vollzug des Mythos beteiligten Personen gestalten sich selbst um, „verwandeln" sich also in die Figuren des Mythos; das mythische Geschehen ist häufig graphisch in einem heiligen Gegenstand (etwa einer Tjurunga) repräsentiert. Es ist klar, daß die eingangs gegebenen Merkmale des Erzählens hier nur noch bedingt greifen. Der Mythos ist dem Interpreten aus einem westlichen kulturellen Kontext so fremd, daß eine Annäherung an den Gegenstand nur sehr unvollständig möglich ist. Die Reichweite religionswissenschaftlicher Fragestellung erweist sich in derartigen Fällen als besonders beschränkt. Zu besonderen Transformationen mythischer Strukturen kommt es häufig bei bestimmten Formen des Kulturkontakts, die sich vor allem in kolonialen Situationen haben beobachten lassen, aber durchaus nicht darauf beschränkt sind. Die Begegnung mit fremden Kulturen, die durch besondere Niveauunterschiede gekennzeichnet sind (z.B.
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Mythos II
im Hinblick auf politische M a c h t , Technologie usw.), löst häufig Krisen aus; die traditionellen Orientierungsmechanismen versagen, die Mythen und Rituale werden als machtlos empfunden. In diesem Falle gibt es die Möglichkeit, entweder die eigene Identität ganz aufzugeben oder aber das bestehende religiöse Symbolsystem tiefgreifend umzuformen. Die nun entstehenden Krisenkulte entwickeln neue mythische Orientierungsmuster (also Mythen im weiteren Sinne des Wortes). Die entscheidenden Orientierungsvorgänge werden in eine (in der Regel nahe) Zukunft verlegt, und zwischen der Vergangenheit und dieser Zukunft besteht eine charakteristische Diskontinuität; in vielen Fällen kann man geradezu von einer „Eschatologisierung" (->Eschatologie) sprechen. Die von außen kommende Analyse relativiert diese Diskontinuität allerdings: In der Regel sind es die Bestandteile des traditionellen Symbolsystems, welche, angereichert durch Elemente aus den Kontaktkulturen, das Material des neuen Orientierungskomplexes bilden. Die Mythen von Cargo-Kulten und vielen anderen nativistischen Kulten sind hier einzuordnen. Aber es handelt sich keineswegs um ein Phänomen, das sich erst in der Neuzeit eingestellt hätte, der Eschatologisierungsschub, der die mythischen Traditionen Altisraels in der Zeit des babylonischen Exils erfaßt hat, ist auch hier einzuordnen: In der tiefgreifenden Orientierungskrise des völligen Traditionsabbruchs werden die heilvollen Konstellationen (Exodus, Schöpfung, Paradies), die der bisherige Kult zum Ausdruck gebracht hatte, in die Zukunft verlagert; die Gegenwart ist demgegenüber undurchschaubar und desorientierend. 5.2.
Indien
Die dokumentierte Überlieferung der Mythen —•Indiens reicht vom Beginn des 1. Jt. v. Chr. bis in die Gegenwart. Die Lieder des Rg-Veda, des ältesten literarischen Korpus, machen von vielen bereits vorliegenden Mythen Gebrauch; dabei ist deutlich, daß da und dort Erzählzusammenhänge vorliegen, die als indogermanisches Erbe aufgefaßt werden dürfen. In erzählender Form liegen Mythen in den Puränas vor. Dabei ist auffällig, daß Mythen seit sehr früher Zeit eine explizite Interpretation erfahren; sie werden also nicht einfach „ n a i v " erzählt, sondern auf bestimmte göttliche Gestalten oder Prinzipien hin neu gestaltet, dadurch mit einem neuen Sinn versehen. Diese Neuinterpretation hängt mit der Ausdifferenzierung elitärer Gruppierungen zusammen, welche einerseits die Überlieferung einem ganz neuartigen Typ von Spekulation unterzogen, andererseits auch neue Frömmigkeitsstile entwickelten (ein Typus von Religiosität, wie er in den Upanisaden besonders deutlich zum Ausdruck kommt). Charakteristisch ist sodann die Entstehung weiträumiger epischer Kompositionen, in welchen zahlreiche Mythen- und Sagenstoffe verarbeitet sind (Mahäbhärata, Rämäyana). Daneben ist in Indien aber stets die - zunehmend mit Ikonographie verbundene - traditionelle Form der in sich geschlossenen Erzählung in Gebrauch gewesen. 5.3.
Mythen
antiker
Hochkulturen
Der Umgang mit Mythen der Hochkulturen im vorderasiatischen und mediterranen Kaum stößt auf gemeinsame Probleme. Einerseits sind diese Mythen vielfach von bestimmendem Einfluß auf das kulturelle Erbe des Abendlands (ägyptische und mesopotamische Materialien haben auf das Alte Testament, griechische und römische auf die abendländische Geistesgeschichte eingewirkt) und insofern auf eigentümliche Weise „vertraut"; andererseits ist aber über die konkrete Verwendung dieser Mythen zu ihrer Zeit außerordentlich wenig bekannt, ihr jeweiliger kultureller Kontext kann lediglich erschlossen werden. Dabei stellt sich die Situation in den verschiedenen Kulturregionen unterschiedlich dar. 5.3.1. Ägypten. In —* Ägypten ist der Mythos überraschend selten als Erzählung überliefert, obwohl mythische Konstellationen und Ereignisketten seit ältester Zeit wohlbekannt und in erstaunlichem M a ß e konstant sind (der bekannte Mythos von Isis und
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Osiris ist als durchgehende Erzählung erst im Hellenismus durch Plutarch — und hier mit einer philosophischen Interpretation versehen — überliefert). Dafür sind bildliche Darstellungen häufig mit erläuternden Beischriften versehen. Ikonographische und sprachliche Kodierung sind vielfach parallel und ergänzen sich durchsichtig. 5.3.2. Mesopotamien. Völlig anders liegen die Verhältnisse in Mesopotamien. Hier sind Mythen in reichlichem M a ß e überliefert, ohne daß freilich ihre ursprüngliche Funktion deutlich würde. Mythen waren hier offenbar mindestens teilweise (besonders im sumerischen Überlieferungsbereich) Erzählgut professioneller Erzähler, wobei (wie in der Homerischen Epik) noch Merkmale mündlicher Reproduktion sichtbar sind. Wie weit Mythen mit Ritual verbunden waren, ist nur in einigen speziellen Fällen klar, etwa im Falle des babylonischen Neujahrsmythos enüma elis, dessen rituellen Kontext wir (aus teilweise allerdings sehr späten Texten) kennen. Auffällig ist, daß rituelle Handlung und Erzählung wohl Berührungen aufweisen, keineswegs aber einfach parallel verlaufen. Vielmehr haben sprachliche und handlungsmäßige Darstellung je ihr eigenes Gewicht und ihre eigene Leistungsfähigkeit. Von wesentlicher Bedeutung ist die Tatsache, daß in Mesopotamien der Mythos im Verlauf der Verschriftung in den Bereich der Schule übergeht. Dadurch kommt es zu einer Ablösung der Mythen von ihrer geographischen, z.T. sicher auch rituellen Verwurzelung. Mythen werden zum Bildungsgut und finden damit weite Verbreitung; mesopotamische Mythen sind in Ägypten gelesen worden (Amarna), haben aber auch den Weg nach Griechenland gefunden. Ebenso wesentlich wie diese Verbreitung ist aber auch die inhaltliche Modifikation, der die Mythen unterzogen werden: Sie geraten in den Sog „weisheitlicher" Arbeit, d. h. sie werden in der typischen Art vorphilosophischer Reflexion (etwa nach Art der Listenwissenschaft) bearbeitet. Besonders aufschlußreich sind in dieser Hinsicht der Mythos enüma elis und die daran sich anschließende Kommentarliteratur. 5.3.3. Griechenland. Griechische Mythen (—»Griechische Religion) muten den abendländischen Interpreten besonders bekannt an, da sie ins traditionelle Bildungsgut eingegangen sind. Allerdings kann diese Bekanntschaft auch Aspekte des griechischen Mythos, die zusammen mit der vorchristlichen Antike untergegangen sind, verdecken. Zunächst ist die vielfältige Gestalt der Überlieferung zu bedenken: Die Mythen sind zumeist in hellenistischer, sehr später Gestalt erhalten, und sie haben hier teilweise nur mehr unterhaltende Funktion, dienen also nicht mehr der elementaren religiösen Überlieferung. In ältere Zeit reichen die Gestalten des Mythos, wie sie in Epik (Homer und Hesiod), Lyrik und Tragödie vorliegen, zurück; aber hier hat das spezifische Interpretationsinteresse dieser Literaturformen tief auf die traditionellen Erzählungen eingewirkt. Ursprünglicher scheint das mythische Material in manchen Homerischen Hymnen zu sein. Zwischen Mythos und Ritual lassen sich viele Beziehungen aufweisen, freilich keineswegs in der Weise, daß eine völlige Parallele vorläge. In mancherlei Hinsicht scheint die Handlungsebene (die dromena nach griechischer Ausdrucksweise) von weit größerer Reichweite gewesen zu sein als die sprachliche Kodierung der Botschaft. Bei den Mysterien von Eleusis muß sich im „Schauen" das Wesentliche abgespielt haben, und das Arkangebot hat dementsprechend eine sprachliche Wiedergabe der Vorgänge, wie sie im Homerischen Demeter-Hymnus vorliegt, nicht ausgeschlossen. Insgesamt wird man sich davor hüten müssen, die Figuren des griechischen Mythos zu anthropomorph zu sehen. Die Götter sind nicht im selben M a ß e „personal" bestimmt, wie sich dies von der abendländischen Rezeptionsgeschichte her ausnimmt. Andererseits darf man den griechischen Mythos auch nicht „archaisieren". Verschiedene Verständnisse des Mythos stehen nebeneinander. Dazu ist zu bedenken, daß in Griechenland Reflexionsformen des Mythos eine dominierende Rolle zu spielen beginnen. Die Ursprünge der Philosophie greifen unmittelbar
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auf mythische Vorlagen zurück, formen sie aber in bestimmter Weise um. Durch die Frage nach der arche wird der Erzählgang umgekehrt, man läßt sich nicht mehr von der Differenziertheit mythischer Orientierung leiten, sondern fragt nach ihrem (noch undifferenzierten!) Ursprung und Anfang, ihrem „Prinzip". An die Stelle der Transformation von einer irrealen Gegenwelt zur jetzt gültigen Welt tritt die Unterscheidung zwischen der „ w a h r e n " Wirklichkeit und der Wirklichkeit des Augenscheins (etwa bei den Eleaten und Heraklit, besonders zukunftsweisend dann aber bei Piaton). So kann man die Anfänge der griechischen Philosophie als einen Schub von Generalisierungs-, Abstraktions- und Formalisierungsleistungen im Bereich des Mythos auffassen. Aufschlußreich ist für den griechischen Kulturraum das Nebeneinander von verschiedenen Gestalten des Mythos; der erzählte Mythos behält sein Gewicht, die Abstraktionsgestalt der philosophischen Mythik wird gleichzeitig, teils konkurrierend, teils komplementär, wirksam. Insgesamt hat die rationale Bearbeitung des Mythos aber doch eine Schwächung von dessen Orientierungskraft zur Folge: Die Distanz der Reflexion gestattet es, sich dem Mythos zu entziehen. Dies ist besonders deutlich bei Xenophanes, welcher sich gegen die traditionellen Autoritäten im Bereich des Mythos, Homer und Hesiod, wendet, um rational befriedigendere religiöse Konzepte zu formulieren (zu vergleichen ist auch Heraklit). 5.3.4. Rom. Die Religion Roms (—»Römische Religion) gilt bereits in der Antike als weitgehend mythenlose Religion (vgl. Dionysios von Halikarnass). Tatsächlich fehlen hier „Göttergeschichten", die mit denen Griechenlands zu vergleichen wären; geringe Spuren weisen darauf hin, daß die Situation in einer Vorzeit anders gewesen sein könnte. In historisch faßbarer Zeit dagegen stehen historische Themen im Zentrum traditionellen Erzählens, wobei sich freilich (wenn die scharfsinnigen, z.T. wohl über das Ziel hinausschießenden Interpretationen durch G. Dumezil zutreffen) teilweise Strukturmerkmale traditioneller indogermanischer Mythologie ausmachen lassen. So hat der Mythos hier eine „Historisierung" erfahren: Die politisch-historische Erfahrung ist für R o m in einem derartigen M a ß e dominant, daß eine entsprechende Situierung orientierender Erzählung erfolgt. Dem entspricht, daß die Eigenart der römischen Götter primär nicht in der Erzählung zum Ausdruck kommt; weder die Genealogien noch die Geschichten der Götter interessieren. Ein „ N u m e n " (dies die in klassischer Zeit bevorzugte Nomenklatur für die göttlichen Mächte) manifestiert sich primär durch seine offensichtliche Leistungsfähigkeit in einem politisch-historischen oder auch alltäglichen Lebensvorgang - was zum besonderen Hervortreten der „Sondergötter" (Usener) geführt hat. Diese Manifestationen werden rituell bearbeitet, primär also durch Handlungen, auch durch begleitende Rede, aber nicht durch Erzählung (auch nicht durch das Bild - die visuelle Kodierung spielt für die klassische römische Religion gleichfalls eine geringe Rolle). Allerdings macht sich dieser Sachverhalt im Zusammenspiel zwischen griechischer und römischer Kultur dann auch als Defizit bemerkbar. Bereits seit relativ früher Zeit strömen orientalische Kulte und deren Mythologie in R o m ein (so z.B. der Kult der magna mater), und die interpretatio graeca der römischen Götter ist mit einer selbstverständlichen Übertragung griechischer Mythologie auf R o m verbunden. 5.4.
Mythos
im Bereich
monotheistischer
Orientierungen
Ein besonderes Problem stellt die Bedeutung des Mythos im Bereich der israelitischen Religion und deren Tochterreligionen (Judentum, Christentum, Islam) dar. Die Diskussion ist durch das ungeklärte Ineinander religionswissenschaftlicher und theologischer Fragestellungen belastet; gewisse definitorische Zugänge zum Mythos wurden häufig sehr schnell mit theologischen Urteilen verbunden (z.B.: Der Mythos ist eine kultisch gebundene Redeform, die ans zyklische Zeitverständnis einer Naturreligion gebunden ist - im Gegensatz zur historisch geprägten Gotteserfahrung Israels).
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5.4.1. Israel. Die methodologischen Vorfragen im Hinblick auf das Problem „Mythos in Israel" sind komplex, zunächst im Hinblick auf die Quellen: Das Alte Testament (-•Bibel) ist keineswegs als authentische Quelle zur Frühzeit altisraelitischer Religion zu werten, sondern verdankt sich einem langen Auswahl- und Kanonisierungsprozeß. Einzelne Erzählungen und Erzählformen müssen also zunächst rekonstruktiv auf ihre Vorgeschichte hin befragt werden, wenn nach dem Status religiösen Erzählens in älterer, gar vorexilischer Zeit gefragt wird. Sodann ist, wie bereits angedeutet, das Definitionsproblem hier besonders virulent. Von der jetzt vorliegenden Gestalt des Alten Testaments her beurteilt, spielt jedenfalls die Erzählung eine überragende Rolle; das Werk als ganzes kann als „Großerzählung" betrachtet weden, die freilich vielerlei Material nicht-erzählenden Charakters in sich aufgenommen hat. Dieselbe Beobachtung gilt dann von der christlichen Bibel als ganzer; sie konstituiert als umfassende heilige Erzählung die Tradition des Christentums, ist mithin nach unserer Definition als „traditionelle Erzählung" und damit eben als Mythos zu werten. Diese umfassende Erzählung hat sich aus der bearbeitenden und reflektierenden Addition sehr viel elementarerer Erzählungen ergeben. Geht man zu den alttestamentlichen Ursprüngen zurück, so zeigen sich etwa Familiengeschichten (Vätersagen), Heldengeschichten (Stammessagen, besonders im Josua- und Richterbuch), Prophetengeschichten usw. Alle diese Erzähltypen liegen freilich in hochgradiger theologischer Reflexion und Verarbeitung zu umfassenden Erzählwerken vor; es ist nur sehr bedingt möglich, von hier aus auf ursprünglichere Überlieferungsstufen, womöglich sogar mündliche, zurückzuschließen (der Optimismus der gattungsgeschichtlichen Fragestellung ist heute nicht mehr am Platz). Noch schwerer lassen sich Mythen dingfest machen, deren Thematik Israel mit seiner Umwelt teilt, insbesondere etwa der Mythos vom Chaoskampf. Zwar ist die mythische Konstellation noch durchaus deutlich, aber sie ist nicht mehr in der Gestalt der Erzählung überliefert, sondern in erster Linie im Rahmen von Hymnen und Klagen. Es ist nicht auszumachen, ob im vorexilischen Israel diese Thematik wirklich noch als Erzählung präsent war. Was die spezifisch israelitische Verarbeitung des religiös orientierenden Erzählens betrifft, so ist zunächst auf das Gewicht der historischen Erfahrungen hinzuweisen. Wie bei den Römern, so ist auch hier die Geschichte ein wesentliches Feld nationaler Identifizierung. Seit der Zeit der Volks- und Staatenbildung ist der Gott Jahwe als die geschichtsmächtige Figur erlebt worden, was sich seit frühester Zeit mythen- bzw. sagenbestimmend ausgewirkt haben dürfte: Praktisch alle alttestamentlichen Erzählungen kennen ihn als Hauptfigur. Ebenso typisch ist die fast vollständige Reduktion der Götterwelt auf diesen einen Gott; es bleibt an einigen Stellen die Gestalt eines chaotischen göttlichen Gegenspielers, es bleibt die typische Erzählung von der Mischung zwischen Menschen und Göttern in einer früheren Zeit (Gen 6 , 1 - 5 ) . Wann und unter welchen Umständen diese Konzentration zustande gekommen ist, muß hier dahingestellt bleiben. 5.4.2. Urchristentum. Was das Neue Testament (-»Bibel) betrifft, so pflegt man üblicherweise unter dem Stichwort „ M y t h o s " die Textbereiche zu erörtern, welche sich in ihrem Weltbild mit bestimmten Erscheinungen der Umwelt vergleichen lassen (vgl. IV.). In unserem Zusammenhang ist jedoch von der Feststellung auszugehen, daß die Erzählung im Neuen Testament eine grundlegende Rolle spielt; sie ist völlig auf die Figur Jesu konzentriert. Erzähltypen aus dem jüdischen Bereich und der weiteren hellenistischen Umwelt formen sich zu den typisch neutestamentlichen Gattungen, die man nach unserer Definition unter den Mythos subsumieren darf. Insbesondere spielt die hellenistische Figur des theios aner eine wesentliche Rolle in der Traditionsbildung. Der Gesamtkomplex biblischer Erzählungen formiert sich zu einem Gesamtbild: Die Welt unterliegt einer Reihe von Transformationen, aus welchen sich die grundlegende
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religiöse Orientierung ergibt: Die anfängliche Schöpfung wird korrumpiert durch den Fall, wodurch die undurchschaubare gegenwärtige Weltzeit anbricht; in Zukunft jedoch wird diese abgelöst durch die endgültige Herrschaft Gottes. Diese Zukunft hat entsprechend orientierende Qualität. Dabei sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht einfach Zeitdimensionen, sondern sie stellen ein differenziert anwendbares Klassifikationsmuster dar, um es dem Adressaten zu gestatten, sich in der Welt zurechtzufinden. M a n könnte diesen Gesamtzusammenhang vom vorliegenden definitorischen Zugang her als Mythos im weiteren Sinne des Wortes bezeichnen; es ist aber auffällig, daß sich in der alten Kirche als Redeform zur Darstellung der Heilsgeschichte das Glaubensbekenntnis herausgebildet hat, welches nicht einfach erzählt, sondern dieses Erzählen in einer bestimmten Weise qualifiziert: Der Glaubende (bzw. die Kirche) erzählt seine Sicht der Welt; die Möglichkeit des Unglaubens ist stets präsent, alternative Möglichkeiten der Weltdeutung bieten sich ständig an - die Anfechtung manifestiert sich auf den verschiedensten Ebenen der Lebenserfahrung. 5.4.3. Gnosis. Während also die Kirche ihren „Gesamtmythos" primär als Glaubensbekenntnis formuliert, stellt sich die Situation in der —• Gnosis charakteristisch anders dar. Hier wird die Unheils- und Heilsgeschichte, welche die Welt und das der Welt gegenüberstehende Jenseits Gottes anschaulich macht, durch eine ausführliche Erzählung expliziert; insofern kann man in der Tat von einem „gnostischen M y t h o s " sprechen. Allerdings ist dies nicht im Sinne der älteren Gnosisforschung so mißzuverstehen, daß es eine „ U r f o r m " dieses Mythos gegeben hätte, die sich dann in Diffusionsprozessen zu verschiedenen Varianten entwickelt hätte. Die unmittelbarsten Vorformen des gnostischen Mythos liegen in den eschatologisch orientierten, apokalyptischen Entwürfen Spätisraels, welche bereits in hohem M a ß e das Weltkonzept in eine Gesamterzählung einkleiden, wobei Gebrauch gemacht wird von älteren Erzählstoffen (z.B. äthHen, IV Esra); es handelt sich also um eine gelehrte und reflektierte Fortschreibung bereits überlieferter Geschichten, deren deklarierte Offenbarungsqualität die Autorität legitimieren soll. Dieser Prozeß wird in der Gnosis fortgesetzt. Die vorwiegend zeitlichen Kategorien des Unheils- und Heilsdramas werden durch räumliche ergänzt; die Erzählung wird „vollständiger", reflektierter; sie bezieht Materialien nicht nur aus dem alttestamentlichen, sondern auch aus dem umgebenden hellenistischen Raum ein. Die Tatsache, daß gnostische Kreise ihre Weltsicht in der Redeform der Erzählung darstellen, hat wohl einen soziologischen Hintergrund: Gnostische Kreise dichteten ihre Lehre ab und werden sich auch in ihren Lebensformen entsprechend abgesondert haben, wobei unklar ist, wieweit diese esoterischen Zirkel innerhalb oder außerhalb der Kirche standen. Diese Form des Erzählens konstituiert die gnostische Sonderwelt, welche sich nicht auf Konfrontationen mit andern Weltkonzepten einläßt. 5.4.4. Islam. Muhammad verkündet die Botschaft des —•Islam in Anlehnung an die jüdischen und christlichen Konzepte von Welt- und Heilsgeschichte. Wesentlich sind insbesondere die Themen der Schöpfung und der Eschatologie; auch Adam, Abraham (als Vater Ismaels, damit als Ahne der Araber), M o s e und Jesus spielen eine bedeutende Rolle, dazu weitere biblische Figuren sowie Gestalten arabischer Überlieferung. Allerdings wird von dieser Erzähl-Tradition nur punktuell Gebrauch gemacht; die „Prophet e n " und „Gesandten" der Geschichte erscheinen primär als Vorläufer Muhammads, welche dessen Botschaft bereits andeuten und von ihrer Zeit abgelehnt werden. Dieses Schwergewicht der Botschaft und nicht der Erzählung (das Reden Gottes wird viel stärker akzentuiert als sein Handeln) schlägt sich auch im Glaubensbekenntnis nieder, das nicht erzählt, sondern lediglich die Einzigkeit Gottes und die Offenbarungsmittlerschaft M u hammads betrifft. Die islamische Erzählüberlieferung wurde nach dem Tode des Stifters ergänzt durch (vielfach konstruierte) Episoden im Leben des Propheten, welche offene Fragen der Normierung islamischen Lebens klären sollten (die sog. Sünna)-, dazu kamen
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legendarische Stoffe (z.B. Muhammads Himmelsreise), welche eher erzählerisches Gewicht haben. Insgesamt jedoch tritt im (orthodoxen) Islam das Erzählen stark zurück. Im Vordergrund steht die Regulierung des Lebens im Sinne göttlicher Offenbarung, nicht das zu erzählende Heilshandeln Gottes. 5.5. Mythos
nach der
Aufklärung
Verwendung und Leistung des „christlichen Mythos" sind durch die - * Aufklärung tiefgreifend verändert worden. Deren Wirkung läßt sich im Hinblick auf den Mythos in der Weise formulieren, daß nicht mehr der (primär durch Erzählung konstituierten) Tradition Wirklichkeitsbegründung und Orientierung zukommt, sondern einer davon losgelösten, autonomen und durch das Individuum verwalteten Vernunft. Dabei hat diese Veränderung nicht nur die abendländische Gestalt des Christentums neu geprägt, sondern gleichzeitig die Konstitutionsbedingungen für neuzeitliches und speziell auch religionswissenschaftliches Reden vom Mythos bestimmt. Die Aufklärung hat verschiedene Reaktionen im Umgang mit dem religiösen Traditionsgut ausgelöst. Mit Peter L. Berger (Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft, Frankfurt 1980) kann man drei Reaktionstypen unterscheiden: Einerseits kommt es zu einer Abwehr (von Berger „deduktive Reaktion" genannt) und zum Versuch, am Überlieferten festzuhalten bzw. es zu repristinieren. Sodann ist eine „reduktive Reaktion" zu verzeichnen: Die Erzählungen werden reduziert bis zu dem Punkt, wo sie mit dem neuen Weltbild in jeder Beziehung kompatibel sind. Schließlich gibt es Versuche, die Mythen neu zu interpretieren, sie im Rahmen der neuen geistigen Gegebenheiten fortzuschreiben, um ihnen in einem neuen Horizont die alte Wirkung zu gewährleisten (Berger: „induktive Reaktion"; in diesem Zusammenhang ist etwa Bultmanns Entmythologisierungs-Programm zu verstehen, dem es keineswegs um eine Elimination, sondern um eine Interpretation des Mythos geht, vgl. u. IV.). Insgesamt hat die Aufklärung zweifellos die „mythische" Funktion der Religion im Sinne einer Orientierungsvermittlung weitgehend zersetzt; ersatzweise hat die Religion die beschränkte Funktion übernommen, die Moral (deren Prinzipien freilich auch vernünftig zu begründen sind) zu befördern. Damit aber hat sich in der —»Neuzeit ein gravierendes Orientierungsdefizit eingestellt. Dieses Vakuum ist durch verschiedene neue Phänomene gefüllt worden, welche zumindest teilweise als Funktionsäquivalente von Mythen zu werten sind. An erster Stelle ist auf explizite Ideologien hinzuweisen, insbesondere den —»Marxismus, welcher mit seinem umfassenden Geschichtsbild auch eine „erzählende" Grundstruktur hat; ganz konsequent haben solche Ideologien, welche die Religion ersetzen sollten, zu quasireligiösen Ritualen geführt (etwa die Jugendweihe in den früheren sozialistischen Ländern). Viel weniger explizite Gestalt, aber um so tiefere emotionale Reichweite haben nationalistische Bewegungen seit dem 19. Jh. Der Wegfall traditionell-religiöser Legitimation der politischen und sozialen Ordnung ist kompensiert worden durch die Suche nach den eigenen nationalen oder „völkischen" Wurzeln. „Ursprung", „Niedergang" und „Sendung" der slavischen, der germanischen oder der angelsächsischen Völker bilden wiederum ein Orientierungsmuster, das dem Mythos zu vergleichen ist; so wenig solche Muster in der Regel artikuliert wurden, so wirksam waren sie doch. Es ist bezeichnend, daß in diesem Zusammenhang der Mythos-Begriff zuweilen ausdrücklich verwendet wurde (man denke an Alfred Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhunderts"). Mit dem —»Nationalismus ist ein weiter Bereich sinnstiftender Komplexe berührt, die man als „latente Mythen" bezeichnen könnte. Wesentliche Überlegungen dazu hat besonders Roland Barthes angestellt. Die Werbetechnologie im wirtschaftlichen wie im politischen Bereich macht Gebrauch von verbreiteten, durchaus gegensätzlichen Orientierungsmustern: Die triumphierende braungebrannte Jugend signalisiert den alten Fortschrittsoptimismus, die drohend dampfenden Atommeiler markieren eine apokalyptische Krisenstimmung. Die „Mythen des Alltags" regulieren weithin Alltagsverhalten,
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versorgen es mit W e r t e n u n d N o r m e n , w e l c h e k a u m h i n t e r f r a g t w e r d e n u n d dieselbe S e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i t d e r G e l t u n g besitzen wie einst die t r a d i t i o n e l l e n M y t h e n . W e r d e n solche „ M y t h e n " b e w u ß t g e m a c h t , s o verlieren sie an F a s z i n a t i o n u n d O r i e n t i e r u n g s k r a f t . Die L a t e n z des M y t h o s ist also sein Schutz. A u c h solche „ M y t h e n " k ö n n t e n G e g e n s t a n d r e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h e r Analyse sein. Allerdings stellen sich d a m i t g r u n d s ä t z l i c h e F r a g e n , d e n n latente M y t h e n zu b e a r b e i t e n b e d e u t e t , sie d e m D i s k u r s a u s z u s e t z e n u n d d a m i t zu e n t m ä c h t i g e n , so wie im A b e n d l a n d generell die A n w e n d u n g reflexiver Prozesse auf M y t h e n zu d e r e n E n t m ä c h t i g u n g g e f ü h r t h a t . D i e m i t d i e s e m P r o z e ß v e r b u n d e n e n W e r t f r a g e n b e d ü r f t e n n o c h e i n g e h e n d e r Reflexion. Literatur (Zu den mehr phil. oder ntl. ausgerichteten Arbeiten vgl. die Angaben in den entsprechenden Art.) - Bendt Alster, D u m u z i ' s D r e a m . Aspects of Oral Poetry in a Sumerian M y t h , Kopenhagen 1972. - Jan Assmann, Die Verborgenheit des M y t h o s in Ägypten: G ö M i s z 25 (1977) 7 - 4 3 . - Ders./ Walter Burkert/Fritz Stolz, Funktionen u. Leistungen des Mythos. Drei altorientalische Beispiele, Fribourg 1982 ( O B O 48). - H e r m a n n B a u m a n n , M y t h o s in ethnologischer Sicht: StGen 12 (1959) 1 - 1 7 ; 5 8 3 - 5 9 7 . - Karl Beth, Mythologie u. Mythos: H W D A VI, 7 2 0 - 7 5 2 (Lit.). - Harald Biezais (Hg.), T h e M y t h of the State, Â b o / T u r k u 1972. - Karl Heinz Bohrer (Hg.), M y t h o s u. M o d e r n e , F r a n k f u r t 1983. - Kees W. 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Fritz Stolz
III. Alttestamentlich Vorbemerkung. Zur Fragestellung 1. Drei Grundauffassungen 1.1. Mythos als Wort oder Erzählung 1.2. Mythos als Denk- oder Vorstellungsweise 1.3. Mythos als die Ausdrucksform von Religion 2. Ein frühes Beispiel (Am 7,4; 9,2 ff) 3. Mythische Überlieferungen und die Ausschließlichkeit des Glaubens 3.1. Gottes „Ewigkeit" (Ps 90,2; vgl. 102,26) 3.2. Die sog. Kulturmythen 3.3. Der himmlische Hofstaat 3.4. Gestirne und andere mythische Mächte (Gen 6 , 1 4) 4. Mythos und Geschichte: „Historisierung des Mythos" - „Mythisierung der Geschichte" (Ps 77,17-19; vgl. 74,12-17; Jes 51,9f) 5. Freiheit im Umgang mit mythischer Überlieferung: Eschatologische Erwartung (Jes 2,12-17; Ez 28,12-17; 31,2-9; Jes 27,1; 60,19; Ps 73,23ff) 6. Mythos in Bildern und Metaphern (Ps 18,17; Hi 7,12; Ps 103,11 f; Jes 55,10f; Bilderverbot) 7. Gebrochenes Verhältnis zum Mythos (Anmerkungen/Literatur S. 637)
Vorbemerkung.
Zur
Fragestellung
Die Eigenart alttestamentlichen Glaubens, „der eigentliche Z u g der Jahwe-Religion ist den Mythen nicht günstig"; denn sie ist, wie H . Gunkel 1 urteilt, „von Anfang an auf den Monotheismus hin angelegt", d . h . genauer auf die „Verehrung eines Gottes". So sind beide Begriffe „ M y t h o s " und —»„Monotheismus" durch die Forschungsgeschichte längst miteinander verbunden; dennoch sind sie dem Alten Testament nur bedingt und eingeschränkt angemessen.
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M y t h o s III
Zwei Auffassungen bilden Grenzaussagen und stellen als solche eine kaum ausreichende Stellungnahme dar. Einerseits sollte der Begriff „ M y t h o s " nicht nur dazu dienen, eine Abwehrhaltung zum Ausdruck zu bringen: Als „mythisch" gilt die andere, fremde — in diesem Fall die altorientalische- Religion. Außerdem steht das Alte Testament keineswegs nur im Gegensatz zum Mythos. Andererseits besteht kaum Identität. Alttestamentlicher Glaube findet seinen Ausdruck nicht nur im Mythos; er ist eine, kaum die einzige Denkform und Aussagegestalt, vermag kaum das Besondere des Alten Testaments auszusprechen. Damit deutet sich ein Unterschied an. Wie läßt sich also zwischen Ablehnung und ungeteilter Zustimmung zum „ M y t h o s " , zwischen Negation und Identifikation, ein Weg suchen? E i n G r u n d p r o b l e m f ü r den E x e g e t e n ist mit d e m schlichten S a c h v e r h a l t gegeben: D e r Begriff „ M y t h o s " - w i e e t w a der Begriff „ E s c h a t o l o g i e " u . a . - findet sich im Alten T e s t a m e n t nicht. 2 I n s o f e r n k a n n der A u s l e g e r nicht u n m i t t e l b a r den Begriff d e r Bibel g e m ä ß b e s t i m m e n , m u ß ihn v i e l m e h r - z u m i n d e s t a n s a t z w e i s e , v o r l ä u f i g - in seiner Bedeutung abgrenzen, die M e r k m a l e umschreiben, u m v o n diesem Vorverständnis aus in der Bibel entsprechende P h ä n o m e n e , also m y t h i s c h e M o t i v e , Vorstellungen o d e r Überlief e r u n g e n a u f z u s u c h e n u n d a u f z u s p ü r e n , w i e d a s A l t e T e s t a m e n t mit ihnen u m g e h t . Ist es auf diese Weise m ö g l i c h , die A u f f a s s u n g v o n „ M y t h o s " nicht n u r - v o n außen - an den T e x t a n z u l e g e n , s o n d e r n an ihn g l e i c h s a m „ r ü c k z u b i n d e n " o d e r mit ihm zu vermitteln? 3 1. Drei
Grundauffassungen
„ M y t h o s " ist ein höchst unterschiedlich g e b r a u c h t e r , i n s o f e r n m e h r d e u t i g e r , ja schillernder B e g r i f f . G r o b lassen sich drei f ü r die E x e g e s e w i c h t i g e Grundauffassungen -voneinander abheben: 1.1. Mythos
als Wort
oder
Erzählung
Im Unterschied zu den S a g e n , in denen M e n s c h e n a u f t r e t e n , charakterisiert H . - > G u n kel - nach V o r g ä n g e r n und bis heute auch mit viel Z u s t i m m u n g — die M y t h e n als „ G ö t tergeschichten".4 Z w a r werden die Eigenarten der Mythen unterschiedlich bestimmt, allerdings lassen sich zur näheren Kennzeichnung des Phänomens wohl vier Hauptmerkmale 5 benennen: a) Der Mythos erzählt von Göttern als handelnden Personen und schildert ihre Taten (mit ihren Schicksalen), also Ereignisse. Sollte „ G o t t . . . i n der Religion ein Spätkömmling'", das Göttlich-Machtvolle nicht von vornherein personal erfahren und gedacht worden sein, so war der alte Orient, als Israel in die Geschichte eintrat, längst in das Zeitalter mythischen Denkens und Vorstellens übergegangen. Die Mythen stellen vor, wer und wie die Götter sind, indem sie von ihren machtvollen Taten künden, ihr Verhalten untereinander sowie ihre Beziehung zur Welt und zu den Menschen schildern. 7 Demnach veranschaulichen die Mythen nach ihrem Selbstverständnis keineswegs nur Naturvorgänge. Vielmehr werden die Götter etwa von den Naturphänomenen, in denen sie erscheinen oder wohnen können, unterschieden, bewirken das Geschehen eher; sie repräsentieren nicht nur Aspekte der Welt, sind vielmehr für sie zuständig. So gilt Baal „ H e r r " als Spender der Vegetation. Auch werden von den Göttern Geschichten erzählt, die weit über den Naturkreislauf hinausführen; ihr Schicksal braucht mit ihm nicht übereinzustimmen. Die Eigenständigkeit oder Individualität der Gottheit zeigt sich insbesondere in ihrem Namen, der sie von anderen Mächten unterscheidet; er erlaubt erst, die Götter anzurufen und von ihnen als handelnden Personen zu erzählen.' b) Der Mythos vollzieht sich in einer eigenen Zeit jenseits der Geschichte. Theologien, Kosmogonien und Anthropogonien, welche die Entstehung der Götter, der Welt und des Menschen beschreiben, Urstandsmythen, die von einem (vergangenen) Zustand der Welt nach ihrem Beginn erzählen, oder Kulturmythen, welche über die Herkunft menschlicher Erfindungen und Errungenschaften berichten, greifen in eine Ur- oder Vorzeit zurück.' Endzeitmythen greifen in eine ferne Zeit voraus. Daher vollzieht sich der Mythos insofern „außerhalb aller Zeitlichkeit" 1 0 , nämlich außerhalb des Ablaufs und der Folge geschichtlicher Ereignisse, oder vielmehr, genauer gesagt, in einer besonderen, andersartigen Zeit, als er von Begebenheiten vor (oder nach) der geschichtlichen Zeit erzählt. Die (mythische) Urzeit ist zugleich (geschichtliche) Vorzeit." Auf Grund dieser Andersartigkeit, der Unterscheidung von mythischer und alltäglicher Zeit 1 2 , können mythische Handlungen, zumal im kultischen Nachvollzug, in der Geschichte gegenwärtig werden oder bleiben. 13
Mythos III
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Entsprechend kann der mythische Raum in den menschlichen Lebensbereich hineinragen. Spielen die mythischen Geschehnisse in der Ferne des Himmels, so bildet er keinen abgeschlossenen Bereich; vielmehr kann die obere Welt zur unteren hin offen sein, so daß die Gottheit auf Erden zu erscheinen vermag, Himmelswesen herabkommen oder hinaufsteigen. 14 Der Zeit wie dem Raum des Mythos kommt also ein gewisser Doppelcharakter zu, fern und nah zugleich zu sein. c) Der Mythos gilt — etwa im Unterschied zum Märchen oder zur Fabel — als das wahre., Wirklichkeit stiftende und erhaltende Wort-, er bietet, indem er den Ursprung aufsucht, die Grundlage der Welt, der Gesellschaft und des Lebens. 15 Im Mythos „wird gesagt, warum es auf Erden so ist und sein muß, wie es i s t " . 1 ' Das Erklären des „Woher" und das Begründen durch das „Warum" sind mit- und ineinander gegeben. 17 Die Ereignisse der Urzeit sind Voraussetzung und Bedingung des Daseins; der mythisch erzählte Anfang der Zustände oder Vorgänge ist zugleich ihr bleibender, tragender Grund. Die Gegenwart ist in der Urvergangenheit verankert; sie hält die kosmische und soziale Ordnung aufrecht, gibt dem Bestehenden Rechtfertigung und Dauer. Demnach erzählt der Mythos so von den Göttern, daß er zugleich die Wirklichkeit des Menschen erschließt. Trotz aller im Mythos enthaltenen — auch Phantasie erfordernden — Gestaltung einschließlich der möglichen Umgestaltung, der erkennbaren Wandlungen, ist er das für wahr gehaltene, gültige, verbindliche Wort und kann von erfundener, erdachter Geschichte unterschieden werden. 18 d) Der Mythos kann in Beziehung zum Kult stehen. Hat es „keinen echten (ursprünglichen) Mythos ohne Kultus" gegeben? 1 ' Da eine allgemeingültige Antwort kaum möglich ist, wird man äußerst zurückhaltend urteilen müssen. Erst recht bleibt das Verhältnis zwischen mythischem Wort und ritueller Handlung — etwa: erklärt und beglaubigt der Mythos die Kulthandlung, ist sie aufgeführter Mythos? — schwer zu bestimmen; zumindest braucht sich beides nicht (im einzelnen) zu entsprechen. Das babylonische Weltentstehungsepos (Enuma elisch) wurde am Neujahrsfest verlesen 20 ; so wird die Urzeit im Fest gegenwärtig. Bleibt für den Mythos darum nicht eher das Erzählen oder Nacherzählen (bzw. Vorlesen) entscheidend?
In einem weiteren Sinn werden Motive als „mythisch" bezeichnet, die (auch) in jenen Erzählungen vorkommen oder in diesem Zusammenhang erst ihre eigentliche Bedeutung kundtun, erhalten oder entfalten, wie Götterberg, Götterversammlung oder himmlischer Hofstaat, Gottesgarten, Meeresdrachen, Aufstieg zum Himmel u.a. 2 1 Mythische Erzählungen setzen solche Vorstellungen voraus; diese können umgekehrt als Erzählmotiv nachwirken, so daß eine strenge, eindeutige Unterscheidung schwerfällt. Von daher wird eine noch erheblichere Ausweitung verständlich. Kann man von „Mythos" in seiner bisher umschriebenen narrativen Bedeutung einen Plural — „Mythen" als „Göttergeschichten" - bilden, so beziehen sich diese Auffassungen im Grunde auf „Myhisches". Spricht sich in dieser Ausweitung nicht bereits eine Distanz zum Mythos im ursprünglichen S i n n " aus? 1.2. Mythos
als Denk-
oder
Vorstellungsweise
Im Mythos als für wahr gehaltener Erzählung sind Götterkunde, Weltdeutung und Selbstverständnis, Wissen und Daseinserhellung, Erklären und Lebensauffassung vereint; das Verständnis von Göttern (->Gott), -»Welt und —• Mensch ist miteinander gegeben oder liegt noch ununterschieden ineinander." Demgegenüber geht die Definition R. Bultmanns, die gleichsam einen Aspekt des Mythischen verallgemeinert und verselbständigt, von der Wirklichkeitsauffassung, dem „Weltbild", aus: „Mythologisch ist die Vorstellungsweise, in der das Unweltliche, Göttliche als Weltliches, Menschliches, das Jenseitige als Diesseitiges erscheint." 24 Dabei sucht er zwischen der mythologischen, „objektivierenden" Rede von einem Handeln Gottes, das sich „zwischen" weltlichen, natürlichen und geschichtlichen Ereignissen „abspielt", so gleichsam ihren Zusammenhang zerreißt und der Rede von einem unweltlichen, verborgenen Handeln Gottes, „das sich in ihnen ereignet", zu unterscheiden. 25 1.3. Mythos
als die Ausdrucksform
von
Religion
„Der Mythos ist die genuine Sprache der Religion" urteilt S. Mowinckel. 26 Mythische Redeweise erschließt (im Alltag oft verborgene) Bereiche oder (hintergründige) Dimensionen menschlicher Erfahrung, einen - im Vergleich mit der Wissenschaft - anderen
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Mythos III
Umgang des Menschen mit der Welt und dem Leben. Nach K. Hübner „kann lebendiger Glaube immer nur mythisch erfahren werden" 2 7 . Wahrt mythische Vorstellung und Ausdrucksweise nicht das (unabdingbar) lebendige Element der Religion? Insbesondere von einem Standpunkt aus, nach dem der Mensch sein Wesen bzw. seine personale Struktur in die Welt hineinlegt, wenn er den verborgenen letzten Grund des Seins personal empfindet, erfährt und denkt, erscheint Religion überhaupt als „ m y t h i s c h " . Schließt eine so umfassende Ausdehnung aber nicht zu unterschiedliche Phänomene unter einem Oberbegriff „ M y t h o s " zusammen, so daß die Unterscheidungsfähigkeit verlorenzugehen droht?
2. Ein frühes
Beispiel
(Am 7,4; 9,2 f f )
Im Verlauf der beiden Visionspaare, durch die Arnos, der erste „Schrift"prophet (im 8. Jh. v. Chr.), zu der Einsicht vom „Ende für mein Volk Israel" (8,2) geführt wird, nimmt schon die zweite Vision eine — wohl der Waberlohe vergleichbare — mythische Vorstellung von kosmischer Weite (7,4) auf: Ein Feuer „frißt die große Tehom", d.h. verschlingt die Urtiefe, das Weltmeer. 28 Jedoch wird das mythische Motiv geschichtlichkonkret abgewandelt und zugespitzt; Ziel ist nicht der Untergang des Urmeers, sondern das Gericht über das Nordreich. Das geschaute Feuer verzehrt nicht nur die Grundflut, sondern die Flur, d. h. den Ackeranteil des Bauern. 2 ' In dem Geschehen, das Gott „schauen läßt", hat er auch das letzte Wort, das noch lautet: „Es soll sich nicht ereignen." Die fünfte Vision zieht aus der Einsicht vom „Ende" gleichsam die Folgerung: „Ich sah den Herrn stehend über dem Altar" bedeutet für das Heiligtum Gericht, das ausdrücklich „alle" einbezieht. 30 „Kein Flüchtiger soll entrinnen"; selbst in der Gefangenschaft kann man sein Leben nicht retten (Am 9,1.4). Innerhalb dieser Ankündigung wird die Aussage-Absicht in farbig-einprägsamen Beispielsätzen veranschaulicht, die mit wechselnden Worten und Handlungsweisen grundsätzlich jeweils die gleiche Folge ankündigen (9,2 f): „Wenn sie in die Unterwelt einbrechen, so wird meine H a n d sie von dort holen. Und wenn sie zum Himmel hinaufsteigen, so werde ich sie von dort herabstürzen.. .Und wenn sie sich vor meinen Augen auf dem Grund des Meeres verbergen, so gebiete ich dort der Schlange, sie zu beißen."
In den ausgewählten Beispielen 31 wird jeweils ein Raum genannt, der außerhalb, sei es auf- oder abwärts, „oberhalb" oder „unterhalb" erfahrbarer Wirklichkeit liegt, dem Menschen - zumindest dem Lebenden - eigentlich unzugänglich ist und so „mythisch" genannt werden kann. Diese Vorstellung erhält im Kontext wie selbstverständlich die Intention: Der mythische Raum ist Gott nicht entzogen, für ihn sind die Grenzen aufgehoben, und die in der Schlange verkörperte Macht ist Gott unterstellt. a) N a c h alter Auffassung „ g e d e n k t " Gott der Toten nicht; denn sie sind „ v o n " seiner „ H a n d abgeschnitten" 3 2 . Schon Arnos 3 3 kann allerdings eine Einschränkung vornehmen: „Totenreich und Unterwelt liegen offen vor J a h w e . " 3 4 b) Der Himmel, sonst G o t t vorbehalten und dem Menschen verschlossen oder nur durch Offenbarung aufgeschlossen 3 5 , wird hier zum Fluchtziel. 3 ' D a Gott den Menschen von dort „herabh o l t " , scheint der Himmel — wie die Unterwelt — hier nicht Gottes Wohnstätte zu sein. Z w a r reicht Gottes M a c h t bis dorthin, aber er ist dort kaum „zu H a u s e " . Eher ist Gottes Gegenwart (nach Am 9,1) am Heiligtum oder beim Menschen. c) Der Meeresboden ist ein geradezu „absurder Zufluchtsort" 3 7 . Auch die Schlange ist hier eher ein mythisches als ein wirkliches T i e r ; das Alte Testament selbst bezeugt die altorientalische Vorstellung von der „flüchtigen", „gewundenen Schlange", dem Drachen „im M e e r " . 3 ' Sie wird in ihrer Existenz nicht geleugnet, aber von Gott in Dienst genommen und bekommt so — wie „das Schwert", d . h . die V ö l k e r 3 ' - die Aufgabe, Gottes Unheilsbeschluß zu vollstrecken, den vor G o t t fliehenden Menschen zu fassen. W i e „ J a h w e einen großen Fisch entbot, J o n a zu verschlingen" (Jon 2,1), so ist die Schlange keine eigenständige G r ö ß e oder selbst wirkende M a c h t , vollzieht vielmehr den Willen des einen Gottes.
Demnach reicht Gottes Hand einerseits über die vorstellbaren Bereiche der Welt hinaus, andererseits zielt Gottes Handeln auf den Menschen (Am 9,4): „Ich richte meine Augen auf sie."
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Die Zukunftsansage des Propheten nimmt Ps 139 mit ähnlichen Vorstellungen auf. „ W e n n ich zum H i m m e l emporstiege, (so) bist du dort; lagerte ich mich in der Unterwelt, da bist du (auch). N ä h m e ich Flügel der M o r g e n r ö t e und ließe mich nieder a m E n d e des M e e r e s , so würde selbst d o r t . . . d e i n e R e c h t e mich f a s s e n . "
Der mythischen Überlieferung wird jeweils die Vorstellung einer Grenze, des äußersten Randes der menschlichen Welt, entnommen - in der Absicht, das räumlich Vorstellbare zu überbieten, die Grenzenlosigkeit von Gottes Macht auszusagen. Von solcher Allwissenheit und Allgegenwart Gottes wird allerdings nicht in beziehungsloser Allgemeinheit, vielmehr innerhalb der „Du"-Anrede in persönlicher Betroffenheit geredet. Im Propheten- wie im Psalmenwort wird, wenn auch nicht eigens reflektiert, eine Differenz - zwischen mythischen Vorstellungen und dem Umgang mit ihnen - spürbar. Wieweit ist es angebracht, solche Art der Rede von Gott „mythisch" zu nennen? Gewiß ist es wichtiger, die Differenz wahrzunehmen als sie begrifflich zu benennen; insofern mag man nicht nur den Anfangs-, sondern auch den Endpunkt der Überlieferung, d.h. das Propheten- und Psalmenwort, als „Mythos" bezeichnen. Wenn man Mythos als die Sprache der Religion schlechthin versteht, so daß jede Rede von Gott 40 einbezogen ist, dann ist der im Text erkennbare Unterschied zwischen den aufgenommenen Vorstellungen und der Intention der Aussage mit Hilfe des Begriffs „Mythos" - oder durch die Kennzeichnung als „mythisch" - nicht mehr aussagbar. Eine zu weite Fassung von „Mythos" oder „mythisch", die sich unter anderen Aspekten nahelegen mag, ist exegetisch ungeeignet, da sie die Bibel - mehr oder weniger - insgesamt umfaßt, Unterschiede innerhalb der Bibel nicht mehr anzudeuten oder darzustellen vermag und damit für die Beschreibung von Phänomenen nicht förderlich ist. Vielmehr erscheint es zweckdienlich und hilfreich, jenen Unterschied mit diesem Begriff zu beschreiben: „Mythisch" ist eher eine Ausdrucksform, eine Art des Vorstellens und Redens von Gott. Wieweit sind jene E x t r e m e , Vorstellungen von dem M e n s c h e n eigentlich nicht gegebenen M ö g lichkeiten, „ r e a l " , wieweit nur „ b i l d h a f t " gemeint? Kann sich der Prophet oder der Psalmendichter der mythischen Vorstellungen „ b e d i e n e n " , um seines Aussageziels willen das „ W i e " frei gestalten? Die Frage, wieweit beide Freiheit in und gegenüber den Vorstellungen h a b e n , sei nur gestellt, die A n t w o r t absichtlich offengelassen. Angesichts des in den T e x t e n erkennbaren Umgangs mit jenen Überlieferungen liegt allerdings die Vermutung nahe, daß der Prophet wie der Psalmendichter (zwischen) Vorstellungen „ w ä h l e n " konnte.
Im Prophetenwort zielen die mythischen Vorstellungen eindeutig auf eine nicht-mythische Wirklichkeit, die Ankündigung einer Zukunft. Der Prophet wie der Psalmendichter mit seiner Einsicht, daß der Mensch in jeder Situation in der Gegenwart Gottes steht, muß also nicht in mythischen „Bildern" seine Intention aussagen, kann sie offenkundig auch anders wiedergeben. Allerdings ist mythisches Reden - umgekehrt - keineswegs eine mit diesem Glauben unvereinbare oder eigentlich überholte Sprache, bleibt vielmehr hilfreich oder gar notwendig. Sie bringt einerseits die Intention der Aussage, die Unausweichlichkeit des Menschen vor Gott, lebendig-anschaulich wie eindrücklich, wenn nicht verschärft oder vertieft, zum Ausdruck und gewinnt damit andererseits für den geschichtlichen Raum und über ihn hinaus einen kosmisch-universalen Hintergrund. 3. Mythische
Überlieferungen
und die Ausschließlichkeit
des
Glaubens
Auf Grund seiner Auffassung von Mythos als „Göttergeschichte" hat H. Gunkel - mit Recht - gefolgert: Das „Israel, das wir aus dem A.T. kennen", hat „eigentliche, unverfälschte Mythen nicht ertragen". Zwar „dem Dichter hat man Anspielungen an Mythen erlaubt", aber „der Monotheismus Israels will nur von solchen Mythen wissen, in denen entweder Gott allein handelt... Oder die Geschichte spielt zwischen Gott und Menschen" 4 1 . In diesen beiden Fällen hat „Mythos" eine allgemeinere oder gar übertragene Bedeutung, da es zu einer Erzählung „aus Handlung und Gegenhandlung",
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gleichsam zu einer Szene zwischen Spielern und Gegenspielern, nicht kommen kann. Deshalb sind „eigentliche Mythen, rein und vollständig überliefert, nirgends im Alten Testament anzutreffen" 42 . 3.1. Gottes „Ewigkeit"
(Ps 90,2; vgl.
102,26)
In der Tat fehlen auf Grund der Auswirkungen der Ausschließlichkeit des -»Glaubens - vielleicht nicht von vornherein, jedenfalls in der Konsequenz - im Alten Testament über Anspielungen hinaus ausgeführte Erzählungen, die vom Werden und Vergehen, damit von der Genealogie der Götter, von der Hochzeit zwischen Gott und Göttin, von Götterpaaren oder von einer durch Kampf zu erringenden Herrschaft über andere Götter berichten. 43 Der eine Gott wurde nicht geboren und stirbt nicht; von Himmel und Erde, der Schöpfung, gilt: „Sie vergehen - du aber b l e i b s t . " 4 4 „Bist du nicht von Urzeit, J a h w e , mein .heiliger' G o t t , ,der nicht s t i r b t ' ? " 4 5 „ V o r mir wurde kein G o t t g e b i l d e t . " (Jes 4 3 , 1 0 )
Ps 90 greift über den Wechsel „von Geschlecht zu Geschlecht" hinaus bis zum Anfang jenseits der Grundfeste des menschlichen Lebensraums, bedient sich dabei eines aus Kosmogonien vorgegebenen Stils, der durch Negation des Vorhandenen („als noch nicht", „bevor") eine Zeit vor dem Seienden andeutet 4 ', und nimmt dabei die urtümliche Vorstellung von der „Mutter Erde" 4 7 auf: „ B e v o r Berge geboren wurden, Erde und Festland (dabei) in Wehen lagen 4 8 , bist du, G o t t , von Ewigkeit zu E w i g k e i t . " Streng g e n o m m e n , spricht der T e x t von G o t t nicht als S c h ö p f e r 4 ' , sondern als „ Z e u g e " 5 0 , der bei dem Vorgang - ähnlich wie bei der Entstehung des einzelnen M e n s c h e n (Ps 139,15 f) - schon gegenwärtig ist. Diese Redeweise ist möglich, weil der Psalmist hier nur den Aspekt der Zeit bedenkt, allerdings wieder in bildkräftig-anschaulicher F o r m . Dabei werden im Z u s a m m e n h a n g naheliegende mythische Vorstellungen von G o t t selbst strikt ferngehalten. S o wird das Prädikat „ V a t e r " , das innerhalb altorientalischer Tradition mit dem M o t i v einer Zeugung 5 1 verbunden sein kann, gemieden. Erst recht ist jeder G e d a n k e , daß G o t t in das Werden und Vergehen, den Wechsel der G e n e r a t i o n e n 5 2 , einbezogen sein k ö n n t e , ausgeschlossen.
Dieser hymnische Preis, nach dem Gott „vor" der menschlichen Welt - verallgemeinert: vor dem Seienden — war, wagt eine Aussage über Gott „an sich" nur insoweit, als er innerhalb der „Du"-Anrede Gott als die seit je wirkende Macht, die in der Vergänglichkeit bleibende Zuflucht bekennt. Es gibt keine Zeit ohne Gott, so keine Zeit, die von Gott verlassen ist. Wie die mythischen „Bilder" von Am 9 oder Ps 139 die Unentrinnbarkeit vor Gottes Macht und Gegenwart verdeutlichen, so dieser Rückgriff auf das Werden der Erde die Grenzenlosigkeit vom Grund des Vertrauens. Gottes „Ewigkeit" meint jedenfalls nicht nur das „Bevor" der Vor- oder Urzeit, sondern das Bleiben im Wandel der Generationen, das In-der-Zeit-gegenwärtig-Sein. 3.2. Die sog.
Kulturmythen
Das Alte Testament kennt auch nicht die sog. Kulturmythen, die menschliche Errungenschaften, damit bestimmte Berufe oder Zünfte, auf göttlichen Ursprung zurückführen: Gottheiten haben Werkzeuge und Künste erfunden und den Menschen anvertraut. Andeutungsweise ist diese Vorstellung in dem Erzählmoment bewahrt, daß Gott zum Schutz der Menschen trotz ihres Ungehorsams „Röcke von Fell machte" (Gen 3,21). Beispielsweise ist der erste Schmied nicht der syrische Gott Chusor oder der griechische Hephaistos, sondern der Mensch Tubal-Kain (Gen 4,22): „Er wurde der Vater aller derer, die Erz und Eisen schmieden." Ähnlich weiß die kleine Liste Gen 4,17.20ff zu berichten, wer als erster eine Stadt gründete, das Metier der Viehhirten und Musiker handhabte, oder Noach (Gen 9,20 ff) erscheint als erster Weinbauer. „Das Alte Testament konnte diese Erfindungen und das Patronat über die einzelnen Gewerbe schwerlich Göttern zuschreiben... Die Erfinder sind also Menschen." 5 3
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3.3. Der himmlische
Hofstaat
Um Macht und Überlegenheit des eigenen Gottes über die fremden Gottheiten oder Gottwesen proklamieren zu können, übernahm Israel die Vorstellung eines himmlischen Hofstaates, in dem der höchste Gott als König thront: „Bringt dar Jahwe, ihr Göttersöhne, bringt dar Jahwe Ehre und Stärke!.. .Jahwe thront über der Flut, als König thront Jahwe in Ewigkeit" (Ps 29,1.10).
Die Vorherrschaft des einen Gottes über die anderen Götter kann unmittelbar ausgesprochen werden: „Ein großer Gott ist Jahwe und... König über alle Götter" (Ps 95,3; vgl. 96,4f; 97,9).
Jedoch behalten die Götter oder Himmelswesen nicht ihre ursprüngliche Stellung; sie werden dem einen Gott verantwortlich und damit unterstellt. 5 4 Die mythisch-göttlichen Mächte werden zur Dienerschar erniedrigt, die dem einen Gott huldigt (vgl. Ps 97,7), ihm ergeben und zu Willen ist (Ps 103,19.21): „Jahwe hat seinen Thron im Himmel errichtet, und seine Königsmacht herrscht über das All...Lobet Jahwe, alle seine Heerscharen, ihr seine Diener, die ihr seinen Willen verrichtet!" So werden die Heerscharen als Boten in das Lob, das der Beter selbst darbringt (V. l f . 2 2 b ) , einbezogen; das Bekenntnis zur universalen Herrschaft Gottes (V. 19) und - mit der individuellen Zuspitzung - die persönliche Zugehörigkeit oder Betroffenheit sind miteinander verbunden.
Auch das Heer des Himmels, das einmal Sterne oder ihre Personifizierungen dargestellt haben wird 5 5 , gewinnt die Aufgabe, Gott zu loben (Ps 148,2), ja gilt als von Gott geschaffen. 56 Ähnlich bringen die Seraphen, ursprünglich wohl fliegende Schlangen 57 , in der Berufungsvision des Propheten Jesaja dem als König verehrten Gott Ehre dar, erfüllen seinen Auftrag und bezeugen mit dem Verhüllen ihres Angesichts den Abstand zu Gott. Sowohl der Seraphenchor als auch das Himmelsheer können als himmlischer Hofstaat auftreten, an dessen Beratungen der Prophet teilhat.5»
3.4. Gestirne
und andere
mythische
Mächte
(Gen
6,1-4)
Im Alten Testament klingt hier und da eine Personifizierung der Gestirne nach 5 '; 0 weitaus häufiger wird gegen eine Gestirnverehrung polemisiert.' Die Gestirne sind nicht ewig, erst recht nicht eigenmächtig, sondern geschaffen: „Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat diese geschaffen? Der ihr Heer vollzählig herausführt, sie alle mit Namen ruft; ihm, der groß an Kraft und stark an Macht ist, bleibt nicht eins a u s . " "
Können im alten Orient die Gestirne als Schicksalsbestimmer erscheinen, so läßt die Schöpfungsgeschichte nur zu, daß sie „über Tag und Nacht herrschen", d.h. „Licht und Finsternis scheiden" (Gen l,16ff). Weil die Namen „ S o n n e " und „ M o n d " Namen von Gottheiten darstellen (vgl. Ez 8,16), werden sie in der Schöpfungsgeschichte gemieden und durch „Leuchtkörper" ersetzt. Sie haben also bestimmte Aufgaben zu erfüllen, die Erde zu beleuchten und die Zeit zu unterscheiden. Damit ist jede mythische Deutung aufgegeben. Das Chaos (Gen 1,2) ist keine persönliche, selbst tätige M a c h t ; das Licht (1,3) geht nicht einmal „ a u s " der Finsternis hervor. Sogar die Kreativität der Erde, ihre Kraft, die Pflanzen hervorzubringen, ist ihr nach dem biblischen Schöpfungsbericht nicht von sich aus eigen, sondern durch das Wort des Schöpfers zugesprochen (Gen 1,11.24). Ähnliche Prozesse der Unterwerfung und Integration mythischer Mächte lassen sich vielfach beobachten. So wird der „Verderber", der Wüstendämon der Passanacht, im Bericht vom Auszug aus Ägypten zu einer Art Engelwesen, das auf Jahwes Befehl das Gericht vollstreckt (Ex 12,23)"; die spätere sog. Priesterschrift gibt die Personalität des Würgeengels ganz auf und spricht nur noch von einem „Verderbensschlag" (12,13)." Wie der Esel Bileams nach der vorliegenden Erzählung seine Fähigkeit zu reden nicht aus sich besitzt, vielmehr Gott ihm den Mund geöffnet hat
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(Num 22,28), so ist die Schlange der Paradiesgeschichte, dieses „listigste aller Tiere des Feldes", ein Geschöpf Jahwes (Gen 3 , 1 ; vgl. 2,19), kein gegengöttliches Wesen.
Die wohl am stärksten mythisch geprägte Überlieferung im Alten Testament ist die - wohl absichtlich - knappe Erzählung von den sog. „ E n g e l e h e n " (Gen 6 , 1 - 4 ) . Sie spielt in der Urzeit „als die Menschen sich auf der Erde zu mehren begannen" und erzählt, wie „Göttersöhne" - d.h. kaum nur mächtige Männer oder Heroen, sondern himmlische, ja göttliche Wesen (Hi 1,6; 2,1 u.a.) - „Menschentöchter" „zu Frauen nahmen". Daß aus dieser Verbindung von Überirdischem und Irdischem Riesen hervorgingen, wird nur noch verhalten angedeutet (V. 4; anders Jub 5,1 f). Darüber hinaus wird dieser so bereits gestörte Handlungsverlauf mit seinem Spannungsbogen durch ein Gotteswort (V. 3) zerrissen, das die Lebenszeit des Menschen, der „Fleisch" ist, begrenzt. So ist in der vorliegenden Erzählgestalt die Eigenmacht der mythisch-göttlichen Wesen gebrochen und der Mensch für verantwortlich erklärt. 64 Auf diese Weise dient die Überlieferung ihrem ursprünglichen Sinn entgegen zur weiteren Begründung für die Schuld der Menschheit (Gen 6,5). 4. Mythos und Geschichte: ,,Historisierung des Geschichte" (Ps 77,17-19; vgl. 74,12-17; )es 52,9/)
Mythos"
— „Mythisierung
der
Bei der gegenseitigen Durchdringung von Mythos und -»Geschichte lassen sich im Ansatz wie in der Richtung der Überlieferungsbildung zwei Vorgänge unterscheiden. a) Der Mythos ist Israel vorgegeben und wird von ihm interpretiert; ein Stoff fremder Herkunft wird so in die Geschichte einbezogen. Beispielsweise wird der Mythos vom Höllensturz des zu hoch hinaufstrebenden Himmelswesens „Wie bist du vom Himmel gefallen..., der du in deinem Herzen sprachst: ,Zum Himmel will ich aufsteigen'" in einer spöttischen Leichenklage auf den Untergang eines politischen Reiches gedeutet (Jes 14,12ff; vgl. Ez 28). Dieses Verfahren stellt eine „Historisierung des Mythos" dar.' 5 b) Das geschichtliche Ereignis ist vorgegeben und wird nachträglich mythisch ausgemalt. In diesem Fall nutzt Israel — der Herkunft nach - fremde Vorstellungen aus, um eigene Erfahrungen oder Überlieferungen auszugestalten. So wird die Errettung am Schilfmeer beim Auszug aus Ägypten, die in den älteren Berichten als Untergang der Verfolger, aber nicht als Kampf mit dem Meer geschildert wird, später mit den mythischen Zügen des Chaosdrachenkampfes verlebendigt. Dieses Phänomen läßt sich - umgekehrt - angemessener als „Mythisierung der Geschichte" bestimmen." Allerdings können sich die beiden überlieferungsgeschichtlichen Vorgänge überschneiden. Zwar ist das Bekenntnis zur Befreiung aus Ägypten für Israel schon früh Grund des Glaubens, aber auch der Chaoskampf ist als uralter Mythos aus der Umwelt vorgegeben und wird nachträglich auf ein Geschichtsereignis bezogen. Eine ursprünglich mythische Erzählung wird in Geschichte übertragen, und Geschichte wird mythisch dargestellt; in diesem Fall liegen Historisierung des Mythos und Mythisierung der Geschichte ineinander oder bedingen sich gar gegenseitig. Wird der Vorgang damit nicht zu einer fragwürdigen, zwiespältigen und mißverständlichen Größe? Was ist seine eigentliche Intention? Der Mythos vom Kampf mit dem Meer' 7 war in wechselnden Formen weit verbreitet; er konnte mit der Schöpfung als Höhepunkt abschließen oder die Welt bereits voraussetzen; auch die Namen der kämpfenden Parteien, seien es Götter oder Gott und Drachen, waren verschieden. Klingen diese Fassungen im Alten Testament nach, so veranschaulicht der Mythos in der Regel die Befreiung beim Auszug aus Ägypten. So sind in Ps 7 7 innerhalb eines R a h m e n s , der an diese Rettungstat erinnert: „Du hast dein Volk erlöst"; „durchs Meer führte dein W e g " (V. 16.20), die mythischen Traditionen (V. 1 7 - 1 9 ) eingefügt: „Es sahen dich die Wasser, J a h w e ' , es sahen dich die Wasser, erbebten, ja, die Urfluten e r s c h r a k e n . . . "
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Sie heben sich durch die im Alten Testament seltene Dreigliedrigkeit der Verse von der Umgebung ab und zeigen so noch ihre ursprüngliche Selbständigkeit. a) Weil der Mythos die Machtstellung eines Gottes begründet oder bestätigt, kann oder muß sich auch das Bekenntnis zu Jahwe als dem einzigen Helfer in den aus der Umwelt vertrauten Mythen aussprechen. Durch die Übertragung auf Jahwe entzieht Israel einer fremden Gottheit Recht und Möglichkeit, mit diesem Machterweis ihren Herrschaftsanspruch zu begründen, und nimmt so die Aussagekraft des Mythos für den eigenen Glauben (Ps 74,13: „Du mit deiner Kraft" 6 ') in Anspruch. Insofern ist die Entlehnung mythischer Sprache zunächst ein Gewinn. b) Weil der Mythos nicht um seiner selbst willen erzählt wird, sondern hilft, das eigene Bekenntnis auszusagen, wird er auch nicht als ganzer, sondern nur in bestimmten Zügen, bruchstückhaft, übernommen. Ein wirklicher Kampf - mit ungewissem Ausgang - wird nicht geschildert." Äußert sich nicht schon in der Auswahl ein kritisches Verhältnis, damit zugleich ein Stück Freiheit? c) Der Mythos kann dem Ereignis einen kosmischen Hintergrund geben, tritt aber nicht mehr selbständig als Bericht von einer eigenen (kosmischen) Handlung auf. Vielmehr dient er der lebhaften Ausgestaltung eines Geschichtsereignisses, hilft so, dessen Bedeutung, vielleicht auch dessen grundsätzlichen Charakter, hervorzuheben und damit Jahwes Unvergleichlichkeit zu bekunden (Ps 77,14f): „Wer ist ein Gott, so groß wie Jahwe? Du bist der Gott, der Wunder tut!"
Das Alte Testament kann solche Motive aufgreifen, weil Mythos und Geschichtserzählung von Gottes Taten berichten. Darum hat der Mythos auch gerne seinen „Sitz im L e b e n " im rühmenden Hymnus oder in hymnischen Partien des Gott anredenden Klagelieds, zumal sich - im Vergleich mit Prosatraditionen - die Doxologie eher größere Freiheit in der Sprache nimmt. Liegt in der Verflechtung mit dem Mythischen nicht auch eine Gefahr? Das Schilfmeer wird durch Parallelisierung oder Gleichsetzung mit dem Meeresdrachen scheinbar personifiziert; die Rettungstat wird zu einem Akt, der mit Waffen ausgefochten wird, zu einem „Zerhauen" und „Durchbohren" 7 0 . Die Intention liegt im Zusammenhang jedoch eher auf dem umgekehrten Vorgang, nämlich auf der Integration des Personal-Mythischen ins Geschichtliche: Die „große Urflut" ist das „Meer, durch das die Erlösten hindurchzogen" (Jes 51,10). Zwar droht das Geschichtsereignis durch die mythische Darstellung als kosmisches Geschehen in die Vorzeit verlegt zu werden: „Die Taten Jahwes" werden zu „Wundern von Urzeit an" (Ps 77,12), zu einem Machterweis, der sich „in den Tagen der Urzeit, bei den Geschlechtern der frühen Zeiten" (Jes 51,9) vollzog. Aber die „Vorzeit" ist zugleich Israels „Frühzeit" (vgl. Ps 74,12 mit 74,2; 44,2; auch Mi 7,20). Wird damit nicht auf ein Geschehen in Raum und Zeit verwiesen? So sucht das Bekenntnis (Ps 74,12) mit dem Bezug zur Geschichte die persönliche Betroffenheit festzuhalten: „Jahwe ist mein König von Urzeit her, der Heilstaten vollbringt auf der Erde."
Ausdrücklich wird das Passa als „ G e d e n k t a g " verstanden, der an den Auszug, damit ein bestimmtes, einmaliges Ereignis, „erinnert" 7 1 . Die Feier trägt - nach der im Alten Testament überlieferten Gestalt - ihren Sinn nicht (mehr) in sich selbst, etwa als Schutzritus, sondern im Rückbezug auf ein Geschehen, die Rettung in Ägypten. Auch die Vergegenwärtigung der Aufbruchstimmung „in ängstlicher Eile" (Ex 12,11) bedeutet keine Wiederholung des Exodus; der Ritus kann geradezu katechetische Aufgaben (12,24ff) erhalten. So werden das Wissen um den Zeitabstand und die Gegenwartsbedeutung festgehalten, auch wenn sich ähnliche Erfahrungen anschließen. Daß im Alten Testament der jahreszeitliche Aspekt der Feste im Naturkreislauf von der geschichtlichen Erinnerung überlagert wurde 7 2 , beurteilte G. v. Rad als „Prozeß einer tiefgreifenden Entmythologisierung" 7 3 . So kann die Erzählung der „heilsgeschichtlichen" Vergangenheit, die für die Gegenwart entscheidende Bedeutung innehat, zwar ähnliche Aufgaben erfüllen wie der Mythos mit der Beziehung auf die grundlegende Urzeit, bleibt von ihm aber unterschieden - durch die Bewahrung der Einmaligkeit 7 4 und die Weiterführung des Geschichtsrückblicks durch Hinzufügung weiterer, ähnlicher Erfahrungen. 5. Freiheit (Jes 2,12-17;
im Umgang Ez 28,12-17;
mit mythischer Überlieferung: 31,2-9; Jes 27,1; 60,19; Ps
Eschatologische 73,23ff)
Erwartung
Die Freiheit des Alten Testaments gegenüber dem Mythos wird dort am deutlichsten, wo mythischen Überlieferungen ein Sinn unterlegt wird, den sie von Haus aus nicht
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haben, oder ihnen gar ein gegenläufiger Sinn aufgenötigt wird. Dies ist am ehesten in der Kritik und der Zukunftsansage prophetischer Verkündigung erkennbar. Eschatologische Mythen75 (—> Eschatologie) spielen im alten Orient 76 eine eher geringe Rolle. Demgegenüber hat das Alte Testament vielfach Erinnerung in Erwartung umgedacht, grundlegende Überlieferungen (von Schöpfung, Exodus, David oder Zion) in Zukunft verwandelt. Liegt nicht schon in der Ausrichtung auf „Neues" 77 ein Unterschied zum mythischen Selbstverständnis? Eschatologische Vorstellungen dienen auch nicht der Grundlegung, setzen vielmehr der Wirklichkeit ein „Noch-nicht" entgegen, decken damit ihre Unvollkommenheit auf. So kann Jesaja (2,12-17) die altorientalische, speziell kanaanäische Tradition von einer in die Natur zerstörend eingreifenden Gewittertheophanie (vgl. Ps 29) in Zukunftsdrohung verwandeln: „Da beugt sich des Menschen Hoffart.. .Erhaben ist Jahwe allein an jenem Tag." Gottes Erhabenheit wird sich gegen menschliche Hybris 78 durchsetzen. Dieses jesajanische Thema, die Kritik des Hochmuts, nimmt der Prophet —•Ezechiel vielfältig auf. So veranschaulicht er die Größe bzw. Anmaßung des Königs von Tyrus mit für die Situation abgewandelten mythischen Vorstellungen: „Weil dein Herz sich erhoben hat und du gesprochen hast: Gott bin ich, auf dem Göttersitz wohne ich mitten im Meer", wendet die — historisch kaum gegebene - Vorstellung der Gottgleichheit aber nur als Kritik an: „wo du doch ein Mensch bist und kein G o t t " . 7 ' Der Prophet kann die Tradition von Verfehlung und Verstoßung aus dem Gottesgarten (Gen 3) wieder mit Abwandlungen (Garten auf dem Gottesberg, Bewohner ein König) nutzen, um die Vollkommenheit „Fehllos warst du auf deinen Wegen vom Tage an, da du geschaffen wurdest" dem Frevel und künftigen Untergang gegenüberzustellen (Ez 28,12-17): „Dein Herz hatte sich wegen deiner Schönheit überhoben..., ich schleudere dich hinab." Mit wechselnden mythischen Motiven bringt Ezechiel denselben Grundgedanken zum Ausdruck: Das Krokodil, das mit Zügen des Meeresdrachens versehen ist, wird zum Symbol für den Pharao (Ez 29; 32). Das Motiv vom Weltenbaum (Ez 3 1 , 2 - 9 ) wird aufgeboten, um Erhöhung und Demütigung des Königs zu veranschaulichen: Ein Baum, der im Gottesgarten steht und vom Chaosmeer getränkt wird, überragt alle anderen Bäume, ja streckt seine Zweige bis in die Wolken, wird jedoch umgehauen. 80 So wird der Mythos „in einer eigentümlich israelitischen Wendung des Gedankens" mit der Verkündigung vom Sturz des Hohen verbunden. An der Darstellung ist noch „zu spüren, daß die Aussagen vom Fall nachträglich an das ausgeformte Bild vom Weltenbaum herangebracht worden s i n d " " . Brauchte der Prophet bei seiner Kritik an der Überheblichkeit des Fürsten von Tyrus die Überlieferung von Schönheit und Fall des Menschen im Gottesgarten nur zuzuspitzen, so gab er hier der Tradition eine Bedeutung, die nicht in ihr angelegt war, ja kehrte die Intention des vorgegebenen Bildes ins Negative um.
Dabei stellt der Prophet jeweils betont Gottes „Ich" als die eigentliche Wirkkraft (28,14.16ff; 31,9 u.a.) heraus. Letztlich dienen die mythischen Vorstellungen dazu, das Bekenntnis (Ez 17,24) auszusprechen, daß Gott „den hohen Baum erniedrigt, aber den niedrigen erhöht, den saftigen Baum dürr macht, aber den dürren sprossen läßt" 8 2 . Wenn die spätere Prophetie und beginnende Apokalyptik mythische Vorstellungen aufnehmen, um die Zukunft farbkräftig auszumalen, gilt die Beschreibung nicht Gott selbst. 83 Die mythischen Überlieferungen werden durchweg vielmehr auf die Völker bezogen, die zum Gericht aufgeboten werden, bzw. auf die fremden Machthaber, denen das Gericht angesagt wird. So ist die Überlieferung von Leviatan und Tannin (Jes 27,l) 8 4 in die Zukunft projiziert und hat darüber hinaus ihren mythischen „Realitätsgehalt" völlig aufgeben müssen: Der Meeresdrache ist Symbol für bestimmte geschichtliche Reiche (vgl. Jes 26,21). Rahab kann sogar zum Decknamen für eine politische Großmacht, für Ägypten (Ps 87,4; vgl. Jes 30,7), werden. „Die Mythen sind hier ganz von der Gottheit getrennt, sie sind nicht einmal mehr wie sonst gelegentlich Symbole für das göttliche Handeln in der Geschichte, sondern sie liefern nur noch Bilder für rein historische Größen; die Gottheit selbst tritt erst da auf, wo die im mythologischen Bilde dargestellte Größe vernichtet wird... Wir haben es hier also gar nicht mehr mit einem wirklichen Weiterleben von Mythen innerhalb der israelitischen Religion zu tun, sondern nur noch mit polemisch zugespitzten Bildern." 85
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Das -*Danielbuch nimmt, zumal in den Visionen, vielfältig mythische Bilder auf. So wird die aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte Kolossalstatue (Dan 2) „ohne Menschenhand" von einem Stein zerstört, der „zu einem großen Berg wird und die ganze Erde füllt"; er symbolisiert das Gottesreich, das die Weltherrschaft antritt. In Dan 7 ist die Vorstellung vom himmlischen Hofstaat, verbunden mit dem Chaoskampf, im Rahmen einer Gerichtsszene als Zukunftsankündigung gestaltet. Die für die prophetische Zukunftsansage verwendeten mythischen Bilder wollen nicht die Übereinstimmung mit der Gegenwart aussagen, setzen ihr vielmehr ein Kommendes, sei es drohend oder tröstend, entgegen. 8 ' Als sich die alttestamentliche Hoffnung über das eine Volk hinaus erstreckt 87 , können mythische Züge die Aufgabe erhalten, die kosmisch-universale Weite auszusagen 88 ; so werden der Raum wie die Geschichte geprägt und begrenzt von einer Zeit, die „einen neuen Himmel und eine neue Erde" (Jes 65,17) heraufführt. Hat Israel, um die weltweite Bedeutung seines Glaubens herauszustellen, auch selbst - mit kreativer Einbildungskraft — mythische Vorstellungen, wie die Erwartung eines Völkerkampfs 8 ' und vor allem eine Wallfahrt der Völker zum Zion' 0 , gebildet? Zumindest wurden vorgegebene Motive breit ausgestaltet. Der „Berg des Hauses Jahwes", der als höchster Gipfel alle anderen überragt, so daß die Völker freiwillig zu ihm strömen (Jes 2 , 2 - 4 ; Mi 4,1—3), bezeugt bildhaft die Ausschließlichkeit des einen Gottes: „ D i e Sonne wird nicht mehr dein Licht sein bei Tage, und der M o n d wird dir nicht mehr leuchten, sondern J a h w e wird dein ewiges Licht sein und dein G o t t deine H e r r l i c h k e i t " (Jes 6 0 , 1 9 ; vgl. 24,23; Hi 2 5 , 4 f ) .
Dem Bereich des —* Todes hat „der Jahweglaube mit besonderem Eifer jede mythische Dignität abgesprochen"; in der Zurückhaltung des Alten Testaments gegenüber den verschiedenen Formen eines Totenkults sah G. v. R a d " eine „entmythologisierende Tendenz des Jahweglaubens". Wagt das Alte Testament über das Bekenntnis, daß Gottes Macht bis in die Unterwelt reicht, hinaus in Ps 73 eine Hoffnung auf Gemeinschaft mit G o t t " , die „immer", auch im Tod, bleibt, so wird das „Hernach" (V. 24) nur eben angedeutet. Wie die Hofstaatvorstellung in der Frage „Wen habe ich im Himmel?" so klingt das mythische Motiv der Entrückung' 3 nur nach, ohne daß ein Leben nach dem Tod ausgemalt wird: „Du nimmst mich auf." 6. Mythos in Bildern Bilderverbot)
und Metaphern
(Ps 18,7; Hi 7,12; Ps 103,11 f ; Jes 55,10 f ;
Eine mythische Überlieferung kann in verschiedene Zusammenhänge geraten, damit unterschiedliche Intentionen im Kontext erfüllen und so verraten, daß sie ihre ursprüngliche „Funktion" eingebüßt hat. Schließlich können mythische Vorstellungen zu Bildern oder Metaphern abgeschwächt werden.' 4 Allerdings ist die Übergangszone breit und schwer genauer bestimmbar. Wieweit wirkt der mythische Hintergrund fort, wieweit werden Vorstellungen im „eigentlichen", wieweit im „uneigentlichen" Sinn verwendet, wieweit ist diese Unterscheidung - zwischen ausdrücklich Gesagtem und Gemeintem - überhaupt angemessen? Das individuelle Danklied Ps 18 beschreibt die Situation des Beters „in mythenähnlichen Chiffren und Bildern"' 5 , ja bezieht eine umfangreiche Theophanieschilderung, die das Kommen Gottes vom Himmel in altorientalischen Überlieferungen (V.9-15) und die Reaktion der Erde (V.8.16) ausmalt, auf die persönliche Not. Die Bewegung, die die Welt bis zu den Tiefen des Meeres erschüttert, hat ihr Ziel in der Rettung: Gott „griff herab aus der Höhe, faßte mich, zog mich heraus aus großen Wassern" (V.17). In diesem Bekenntnis, wie in anderen Notschilderungen des Psalters", dient die mythische Vorstellung, zumal von der Urflut, zur Charakterisierung verschiedenartiger Bedrängnis. Die Wasser des Urmeeres werden zu Repräsentanten der in das Leben hin-
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einreichenden Todessphäre.' 7 So ist die ursprünglich kosmisch orientierte mythische Überlieferung auf das Leben des einzelnen bezogen, um die Nöte und Gefährdungen des Daseins zu beschreiben. Dabei mischen sich in den verschiedenen Darstellungen des Lebensbedrohenden Bild und Wirklichkeit, so daß beides ineinander übergeht und die Aussage etwas Schwebendes erhält. Die Spruchweisheit kann ursprünglich mythische Motive als Metaphern, etwa den Lebensbaum als Symbol der Kraft, verwenden." —>Hiob faßt die schweren Gotteserfahrungen, die er zu tragen hat, in die klagendanklagende Frage, die ihn mit dem mythischen Wesen gleichsetzt (7,12): „Bin ich denn das Meer oder der Meeresdrache (Tannin), daß du eine Wache über mich aufstellst?" Auch die Vorstellung vom Urmenschen wird auf ihn bezogen (15,7): „Bis du als Erster der Menschen geboren, vor den Hügeln zur Welt gebracht?"" Gelegentlich wird, auch wo der kosmisch-mythische Hintergrund nachwirkt, die Bildhaftigkeit der Vorstellung ausdrücklich durch Vergleichspartikel „wie - so" oder durch Verben wie „vergleichen" ausgesprochen. Die Sonne läuft (nur) „wie ein Held ihre Bahn" 1 0 0 . „Die auf Jahwe vertrauen, sind wie der Berg Zion, der nicht wankt." (Ps 125,1) „So hoch wie der Himmel über der Erde ist, so ,hoch' ist seine Gnade über die, die ihn fürchten. So fern der Osten vom Westen ist, so fern läßt er unsere Vergehen von uns sein" (Ps 103,11 f).
Die höchste räumliche Entfernung, der größtmögliche oder gar unendliche Abstand von Himmel und Erde, dient als Vergleich, der vom Räumlichen anschließend zum menschlichen Miteinander (V.13: „Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt") überwechseln kann, zur Einsicht in die Unausmeßbarkeit von Gottes Gnade. 101 Es geht nicht um ein Mehr oder Weniger, sondern letztlich um eine Andersartigkeit, wie ein ähnlicher Vergleich (Jes 55,8f) aussagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken." Mit von Haus aus mythischen, vielleicht nur natürlich-bildhaft gebrauchten Vorstellungen vom „befruchtenden" Regen und Wachsen wird die Wirksamkeit des durch den Propheten weitergegebenen Gottesworts (55,10f) nahegebracht: „Wie Regen und Schnee vom Himmel herabfallen..., so ist mein W o r t . . . " Der Unterschied von Himmel und Erde zeigt sich hier im Geben und Nehmen, Schenken und Empfangen.
Die Vorstellung von Gott im Himmel meint keineswegs nur den - räumlichen - Abstand, sondern zugleich die Verantwortlichkeit des Geschöpfs: „Vom Himmel blickt Jahwe, er sieht alle Menschen" 1 0 2 , so daß der Beter bekennen kann (Ps 139,2): „Du kennst meine Gedanken von ferne." Darin ist Vertrauen verborgen, daß „in die Tiefe schaut, wer in der Höhe thront". 1 0 3 Das Bilderverbot hebt, jedenfalls in seinem späteren Verständnis 104 , die Unterscheidung von Gott und Welt hervor und setzt damit auch für Vorstellungen eine Grenze. Entsprechend kennt das Alte Testament Verben, wie „vergeben" und „schaffen", die Gott vorbehalten bleiben, so sein Wirken jeder Ähnlichkeit menschlichen Handelns, damit der Vorstellbarkeit und Anschaulichkeit, entziehen. Ist hier ansatzweise nicht die Unterscheidung von Gottesaussage und Welterklärung gegeben? 7. Gebrochenes
Verhältnis zum
Mythos
Gegenüber einer zu engen, einseitigen rationalen Welt- und Lebensauffassung hat der „Mythos" ein berechtigtes Anliegen, deutet Grenzen an, verweist auf andere Aspekte der Wirklichkeit, eine symbolische Welt. Diese Aufgabe läßt sich mit dem Gedanken eines Fortschritts „vom Mythos zum Logos" oder einer grundsätzlichen Abwertung vom „Mythos" nicht ausreichend erfassen. Die Gefahr eines zu weiten Verständnisses von „Mythos" ist aber, daß in ihn zu unterschiedliche Phänomene einbezogen werden; nicht jede „religiöse" Rede sollte „mythisch" genannt werden. Insgesamt dürften Gebundenheit wie Freiheit deutlich sein: Das Alte Testament hat, in der damaligen Situation notwendig, am - altorientalischen - Mythos Anteil 105 , hat aber, ob ausdrücklich oder eher unausgesprochen, ein gebrochenes Verhältnis zum My-
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t h o s . 1 0 6 Die prägende K r a f t alttestamentlichen G l a u b e n s , der in seinem Sinne tief umgestaltet, was an mythischen Überlieferungen oder Vorstellungen vorgegeben ist, vermag ursprünglich Fremdes sich so a n z u v e r w a n d e l n , d a ß es Eigenes ausspricht, ja für dieses Besondere geradezu c h a r a k t e r i s t i s c h wird. D a s Alte T e s t a m e n t zeigt deutlich V o r b e h a l t e gegenüber mythischen E r z ä h l u n g e n , geht mit ihnen kritischer um als mit mythischen Vorstellungen oder E l e m e n t e n , behält diese vielfach bei, enthält so - in den verschiedenen T e x t b e r e i c h e n unterschiedlich - mythische Sprache. Es spielt auf mythische M o t i v e an, k a n n sie für seine Intention einsetzen oder in b e s t i m m t e n Z u s a m m e n h ä n g e n , zumal in Z u k u n f t s e r w a r t u n g e n , a u s b a u e n . So k a n n mythische Überlieferung in ihrer verschiedenen G e s t a l t helfen, den G l a u b e n an den einen G o t t anschaulich, bildhaft, lebendig auszusprechen und zugleich mit dem kosmischen H i n t e r g r u n d seinen universalen Anspruch zu e r h e b e n . 1 0 7 Alttestamentlicher G l a u b e enthält aber auch Z ü g e , die sich m y t h i s c h e m D e n k e n - d a m i t einem weiteren, allgemeineren Verständnis v o m „ M y t h o s " - schwer einfügen und so in gewisser Spannung zu mythischen Vorstellungen stehen. Anmerkungen Genesis, Göttingen 3 1910. "1969, XIV; Die israelit. Lit. (1925), Darmstadt 1963, 16; vgl. RGG 2 1 (1930) 383. 2 Zur Herkunft des Begriffs in der griechischen Antike und zur Bedeutungsgeschichte vgl. A. Horstmann: HWP 6 (1984) 2 8 1 - 3 1 8 ; auch Jan de Vries, Forschungsgesch. der Mythologie, Freiburg/München 1961. Zugleich über das geringe Vorkommen in der L X X informiert G. Stählin: T h W N T 4 (1942) 7 6 9 - 803, bes. 787. 3 Ziel einer exegetischen Behandlung des Themas kann also nicht sein, eine exakte Definition von „Mythos" zu finden, um ihr die zu ihr mehr oder weniger passenden Texte zuzuordnen, sondern des Phänomens — der in ihnen erkennbaren Unterschiede — ansichtig zu werden. 4 Genesis XIV. „Der eigentliche Mythos ist immer Göttermythos" (W.F. Otto: K. Kerenyi [Hg.], Die Eröffnung des Zugangs zum Mythos, Darmstadt 1967 [WdF20] 271; vgl. K. Kerenyi, ebd. 224.228). Ahnlich Hans Bonnet: RÄRG (1952) 496; Siegfried Morenz, Äg. Religion, Stuttgart 1960, 17; Eva Brunner-Traut: LÄ 4 (1982) 2 7 7 - 2 8 6 ; Jan Assmann, Ägypten - Theol. u. Frömmigkeit einer frühen Hochkultur, Stuttgart 1984, bes. 135 ff; Wolfram von Soden, Einf. in die Altorientalistik, Darmstadt 1985, 199 u.a. Zu den Vorgängern H. Gunkels, zumal J. Grimm, vgl. J . de Vries (Anm. 2); für die atl. Wissenschaft: Rogerson bes. 27.60.146; H.P. Müller (Mythos - Tradition - Revolution, 1973, 9f; Z T h K 80 [1983] 3ff) bestimmt Mythos zunächst als vorliterarische Gattung, bevor er sie vom „Mythischen" abgrenzt. 5 Im Anschluß an den Versuch einer Zusammenfassung vorwiegend religionswissenschaftlicher Einsichten in EvTh 27 (1967) 2 3 7 - 2 4 0 . 6 G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, Tübingen 2 1956, 33; vgl. 54.103; auch S. Morenz, Äg. Religion 16ff; Gott u. Mensch im alten Ägypten, Leipzig 2 1984, 40f. 7 Vgl. etwa Gen 6,2. 8 Auch die Mythen, die vom Handeln eines Gottes erzählen, wie von der Entstehung der Welt durch das Wort des Gottes Ptah (GAT 1, hg. v. W. Beyerlin, 2 1985 [ = R T A T ] 31 f), benennen diesen Gott mit Namen. Vgl zum Griechischen: G. Bader, Gott nennen. Vom Götternamen zum göttlichen Namen: Z T h K 86 (1989) 3 0 6 - 3 5 4 . ' Vgl. etwa Gen 2,5; 6,1; den Anfang des Atramchasis-Epos: „Als die Götter (noch) Mensch waren" (W. von Soden, zuletzt: Einf. 200f; vgl. R T A T 115f) oder der sumerischen Königsliste: „Als das Königtum vom Himmel herabkam" ( R T A T 113 f); auch den vielfach bezeugten (Gen 1 , 6 - 8 nachklingenden) Himmel-Erde-Trennungsmythos oder die (Gen 2,5; Ps 90,2; Spr 8,25 aufgenommene) Beschreibung des Urzustands durch die Negation des Vorhandenen, ein „Noch - nicht" (Anm. 52). 10 G. van der Leeuw, Phänomenologie 470 f; vgl. Th. P. van Baaren, Menschen wie wir, Gütersloh 1964, 185 f. 11 „So gewiß der Ägypter jene urzeitlichen Geschehnisse von der Jetztzeit...qualitativ unterscheidet..., so gewiß bleibt die Urzeit eine Zeitstrecke vor der alltäglichen Zeit" (K. Koch: ZThK 62 (1965) 257 = Studien 67 vom Denkmal memphitischer Theologie; ausführlich: FS W. Pannenberg 253ff = Spuren hebräischen Denkens, 1991, 248ff). 12 Vgl. R. Brunner, Zum Zeitbegriff der Ägypter: StGen 8 (1955) 5 8 4 - 5 9 0 ; Erik Hornung, Gesch. als Fest, Darmstadt 1966; Jan Assmann, Zeit u. Ewigkeit im alten Ägypten, 1975 (AHAW.PH 1975/1); Wolfhart Westendorff, Einst - Jetzt - Einst: W O 17 (1986) 5 - 8 . 1
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Absichtlich sei die Frage offengelassen, ob der Kult in bestimmten Fällen den Mythos auch, etwa jahreszeitlich, „wiederholt". 14 Vgl. etwa Gen 28,12. 15 „Der mythische Gedanke setzt stets voraus, daß alles dies Bestehende ein Gewordenes ist, ein Werk schöpferischer Kräfte, die aus der Unordnung - oder aus der andersartigen, nicht richtigen Ordnung — die bestehende Ordnung, aus dem Andersartig-Bestehenden das Jetzt-Bestehende schufen." (A.E. Jensen: Eröffnung 262; vgl. R. Pettazoni, ebd. 257) 16 W. Stöhr, Die Religionen Indonesiens: R M 5/1, 1965, 161. Der Mythos „gibt dem Glauben Ausdruck, Erhöhung und Gesetz; er sichert und stärkt die Sitte; der bürgt für die Wirksamkeit des Ritus und enthält praktische Regeln für das menschliche Verhalten" (B. Malinowski: Eröffnung 182). 17 Vgl. etwa Gen 2 , 1 8 - 2 4 . 18 Vgl. B. Malinowski: Eröffnung 188ff; bes. R. Pettazoni ebd. 253ff; A.E. Jensen ebd. 265ff; Th. P. van Baaren (Anm. 10) 186f. " W. F. Otto: Eröffnung 271. „Der wirkliche Mythos ist an den Kultus geknüpft" (S. Mowinckel, Religion u. Kultus 94). Vgl. aber die Vorbehalte bei Eberhard Otto, Das Verhältnis von Rite u. Mythus im Äg., 1958 (SHAW.PH) bes. 20; ders., Nachwort zu Adolf Erman, Die Religion der Ägypter (1934), Nachdr. Berlin 1968, 475ff; S. Morenz, Äg. Religion 87ff; H. Brunner, Die Geburt des Gottkönigs, 1964, 20f; (Benno Landsberger) Wolfram v. Soden, Leistung u. Grenze sumerischer u. babylonischer Wiss., Nachdr. Darmstadt 1965, 59f; C. Petersen, Mythos im AT, 1982, 32 Anm. 61; auch F. Stolz: Mythos u. Rationalität, 1988, 85 Anm. 20. 20 Vgl. das Ritual A O T 299; F. Thureau-Dangin, Rituels accadiens, 1921, 136.279ff; dazu W.G. Lambert: JSS 13 (1968) 106 ff; auch R T A T (Anm. 8) 106f; W. v. Soden, Einf. 182.203. „Ein Mythos in der Art von enuma elis zielt also auf einen Kosmos, der die natürliche wie die politischsoziale, also geschichtliche Komponente des Lebens umfaßt" (Stolz 21; vgl. OBO 48 [1982] 83-114). 21 Vgl. etwa Ohler. Eine zu enge Definition, die solche Motive ausschließt (Petersen 46f), empfiehlt sich nicht, weil sie überlieferungsgeschichtlich wie vorstellungsmäßig Zusammengehöriges trennt. 22 Diesen ursprünglichen, lebendigen, „authentischen" Sinn suchte C. Colpe als Mythos „mit mythischer Valenz" zu bestimmen: „Unter Mythos wollen wir eine Erzählung verstehen, die Urzeitgeschehen und/oder Endzeitgeschehen auf logisch oder mindestens rational verständliche Weise entweder mit sich selbst identisch setzt oder berichtet... Der Mensch versteht sich entweder im Urzeit- bzw. Endzeitgeschehen, oder er versteht sich ihm gegenüber... Der Mythos vermag etwas über den Menschen oder nicht." (Mythische u. rel. Aussage außerhalb u. innerhalb des Christentums [1968]: Theol., Ideologie, Religionswiss. 1980 [TB 68] 85f) Vgl. K. Rudolph: Mythos u. Rationalität, 1988, 3 6 8 - 3 8 1 , bes. 371 ff. 23 Weil der Mythos Welt- und Selbsterkenntnis zugleich umfaßt und nicht unterscheidet, kann er einerseits wie eine Vorstufe wissenschaftlichen Denkens wirken und enthält andererseits Elemente, die in wissenschaftliches Denken nicht überführbar sind. 24 Kerygma u. Mythos 1, 1948, 23 Anm. 2. Kurz: Der Mythos unterscheidet — in einem inneren Widerspruch — zwar Gott und Mensch, hebt diese Differenz aber wieder auf, indem er sich Gott wie Menschen vorstellt. Da der eigentliche Sinn das in den Vorstellungen „liegende Existenzverständnis" ist (KuM 1,28), trägt der Mythos gleichsam seine Kritik in sich. Die Auseinandersetzung von Chr. Hartlich-W. Sachs (Der Ursprung des Mythosbegriffes, 1952 [SSEA 2] 154-156) mit H. Gunkel setzt dies erweiterte Verständnis voraus: Für sie muß „unter ,mythisch'...jede Vorstellung befaßt werden..., die die Wirklichkeit einer unmittelbar einwirkenden oder in Erscheinung tretenden Gottheit aussagt". 25 Zusammenfassend: Glaube u. Verstehen 4, 1965, 172ff, bes. 173. 26 RGG 3 4 (1960) 1275. „Der echte Mythus ist die spezifisch religiöse Form der ,Heilsgeschichte'" (S. Mowinckel, Religion u. Kultus, 1953, 95). 27 Die Wahrheit des Mythos, 1985, 343. Es gibt „keine Religion ohne Mythos" (344). Vgl. ders., Der Mythos, der Logos u. das spezifisch Religiöse: Mythos u. Rationalität, 1 9 8 8 , 2 7 - 4 1 , bes. 35 ff. 2 " Vgl. etwa Victor Maag, Text, Wortschatz u. Begriffswelt des Buches Arnos, Leiden 1951, 205f. 29 Damit „verliert die Vision sogleich ihre kosmische Weite...; denn heleq, das von Haus aus eine Bezeichnung für den dem einzelnen Bauern durch das Los bestimmten Anteil am Landbesitz der Dorfgemeinde ist, deutet eben lediglich auf den Ackeranteil des kleinen Bauern im heiligen Lande hin, den Arnos durch das Feuer bedroht sieht, gerade so wie 7,1 der Heuschreckenfraß sein Feld bedroht hatte. Es ist also keine Rede von einem Weltenbrand, sondern von einem Geschehen, das lediglich einen Teil des (heiligen) Landes in Mitleidenschaft zieht" (R. Mayer, Die bibl. Vorstellung vom Weltenbrand, Bonn 1956, 89f). 13
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Am 9,1 wird vielleicht, auf Jerusalem übertragen, Jes 6,l(ff) weitergeführt, jedenfalls Am 9,4 in Jer 24,5.8 aufgenommen und abgewandelt. Am 9,2 f spiegelt die Unentrinnbarkeit wie 5,19 u. a. wider. 31 Ist der außerdem (V.3a) genannte Karmel als undurchdringliches Gebirge oder - ähnlich dem Zaphon (vgl. Jes 14,13; Ps 48,3) - zugleich als Gottesberg (vgl. I Reg 18; dazu M . J . Mulder: T h W A T 4 [1984] 346ff) gedacht? 32 Ps 88,6; vgl. V. l l f ; 6,6; 30,10; 49,8ff; Jes 38,18f; Hi 14 u.a. 33 Vgl. auch Hos 13,14; Jes 7,11. 34 Prov 15,11; vgl. Hi 14,13; 26,5 f u. a. Oder tritt diese Glaubensansicht gar jener Ps 88,6 bewahrten Auffassung entgegen? Beide bilden insofern keinen Gegensatz, als die erste bedenkt, daß die Toten Gott „nicht loben", während die zweite eine Grenze für Gottes Macht bestreitet. 35 Vgl. Gen 11,4f; 28,12; auch 22,11.15 u.a.; dazu J . A . Soggin: T H A T 2 (1976) 9 6 5 - 9 7 0 . 36 Vgl. Ps 139,8; Hi 20,6; Prov 30,4; auch Jes 14,13 f. 37 H.W. Wolff, BK XIV/2, 3 1985, 392. 38 Die schon ugaritisch belegte Überlieferung findet sich Jes 27,1 wieder; vgl. auch Hi 26,13; zum Thema zuletzt E. Lipinski: T h W A T 4 (1984) 5 2 1 - 5 2 7 ; H.-J. Fabry: T h W A T 5 (1986) 3 8 4 397.407 f. 39 Vgl. Am 9,4a mit 5,27; 6,14 u.a.; zur Schlange auch Am 5,19. 40 Verdeckt die Kennzeichnung „mythisch", wenn sie etwa auch die Anrede im Gebet einschließt, nicht zu unterschiedliche Redeweisen? 41 Genesis XIV f. 42 Es findet sich nur „mannigfaches mythisches Material, wenn auch in allerlei Abschwächungen und Verkürzungen" (Die israelit. Lit. 16). O. Eißfeldt (Einl. in das AT, 3 1964, 45f) stimmt zu: „Eigentliche Mythen finden sich im AT doch nicht, wenigstens keine in Israel entstandenen." Wegen der Verehrung eines Gottes „konnte hier ein eigentlicher Mythus gar nicht aufkommen. Was im AT an Mythen oder Anklängen an solche vorliegt, ist ganz deutlich von auswärts nach Israel eingedrungen und hier, wenigstens weithin, seines eigentlich mythischen Charakters entkleidet worden." Es „bleibt charakteristisch, daß Israel selbst keine mythischen Erzählungen gebildet, sondern nur fremde (wohl meist durch Kanaan vermittelte) Mythen - bruchstückhaft - übernommen und verändert hat" (W.H. Schmidt, Mythos 246). 43 „Nichts mehr in diesen Erzählungen von Theogonie, von Ehen der Götter und ihren Kämpfen! Kein anderer Name als der Jahwes wird genannt." (H. Gunkel, Die israel. Lit. 17) Das AT kennt wohl auch keine „Thronbesteigung" im strengen Sinne einer Inthronisation Gottes (Ps 93,2): „Fest steht dein Thron von uran." Vgl. zu den sog. Thronbesteigungspsalmen bzw. JahweKönigs-Liedern zuletzt J. Jeremias, Königtum Gottes; B. Janowski: Z T h K (1989) 389ff; R. Scoralick, Trishagion u. Gottesherrschaft: SBS 138, 1989. 44 Ps 102,27; vgl. 93,2; Jes 40,28; Gen 1,1. Ist dieser „Anfang" (vgl. zuletzt E. Jenni, Erwägungen zu Gen 1,1 „am Anfang": ZAH 2 [1989] 1 2 1 - 1 2 7 ) nicht zugleich der Einsatz der - von der Priesterschrift dargestellten - Geschichte? 4 5 Hab 1,12. Der Text enthält eine der „Verbesserungen der Schreiber": Die Aussage von Gottes „Sterben" war selbst in verneinter Form späterer Zeit so anstößig, daß der Text in „wir werden nicht sterben" geändert wurde; vgl. KBL 3 533a; zurückhaltender C. McCarthy, The Tiqqune Sopherim: O B O 36 (1981) 105 ff. 46 Vgl. Gen 2 , 4 b - 5 ; Prov 8,24f; Ez 16,4f; dazu W.H. Schmidt, Die Schöpfungsgesch. 77f. 196; H.P. Müller, Der 90. Psalm: Z T h K 81 (1984) 2 6 5 - 2 8 5 , bes. 270 Anm. 26. 47 Motivanklänge an die „Mutter alles Lebenden" (JSir 40,1) finden sich in Gen 1,12.24; Ps 90,2; 139,15; Jes 55,10; Hi 1,21; 38,8 u.a.; dazu W.H. Schmidt a . a . O . 108f (Lit.). 48 Die passivische Punktation bzw. Übersetzung ( L X X u.a.) ist eine Erleichterung oder gar bewußte „dogmatische" Korrektur. Vgl. Prov 8,24f. 4 ' „Der die Berge bildet" (Am 4,13; vgl. Jes 40,12). 50 H . J . Kraus, BK X V / 2 , '1989, 798. Durch die Aufnahme der Vorstellung in den Kontext ist deutlich genug, daß Gott nicht nur Zuschauer ist. 51 Vgl. Anspielungen wie Ps 2,7; Jer 2,27; Dtn 32,18; Jes 1,2 (LXX); 55,10. „Eine dem Gedanken der Mutter Erde an sich logisch entsprechende Auffassung, daß Gott der Vater der geborenen Natur sei, wird durch einfache und deswegen beredte Betonung der Gottheit Gottes ausgeschlossen. Gott ist, weil er Gott ist, nicht Erzeuger, sondern gebietender Herr" (G. Quell: T h W N T 5 [1954] 967f). 52 Jene Ps 90,2 einleitende Negation „(als) noch nicht", „bevor" kann altorientalische Überlieferung auch auf das Sein der Götter beziehen und sie in eine genealogische Folge einfügen (vgl. als Beispiel die Einleitung des babylonischen Weltschöpfungsepos Enuma elisch „Als droben"; R T A T [Anm. 8] 108). 53 G. Wallis: ZAW 78 (1966) 135f (Lit.). Vgl. auch Gen 3,7; 4,2; 10,8ff; 11,3. 30
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Vgl. H i 1,6 ff; 2 , 1 ff. - N a c h Ps 8 2 scheint den G ö t t e r n in der G ö t t e r v e r s a m m l u n g als Gerichtsszene (V. 1) gar die Strafe zugemessen zu werden (V. 6 f ) : „ W i e M e n s c h e n sollt ihr s t e r b e n . " Vgl. J e s 4 0 , 2 6 ; Ps 147,4; D t n 4 , 1 7 ; 17,3 u . a . Gen 2,1; Ps 3 3 , 6 ; J e s 4 5 , 1 2 ; N e h 9,6. N u m 2 1 , 6 ff; D t n 8 , 1 5 ; J e s 14,29; 30,6. I R e g 2 2 , 1 9 ff; vgl. J e r 2 3 , 1 8 . 2 2 ; A m 3 , 7 . J d c 5 , 2 0 ; Ps 1 9 , 6 f ; vgl. J o s 1 0 , 1 2 f ; auch J e s 14,13 u . a . ; zur Sache: W . H . Schmidt a . a . O . 117ff; H . Gese, Die Religionen Altsyriens: R M 1 0 / 2 , 1970, 1 6 6 f f ; H . P . Stähli, Solare Elemente; B. J a n o w s k i , Rettungsgewißheit; B. Langer, G o t t als „ L i c h t " in Israel u. M e s o p o t a m i e n : O B S 7, 1989. Die Sterne gelten „als göttliche P h ä n o m e n e , und es k a n n . . . d i e Astralisierung der G ö t t e r soweit gehen, daß die G ö t t e r v e r s a m m l u n g als G e s a m t h e i t der Sterne e r s c h e i n t " (Gese 168); vgl. Hi 3 8 , 7 . D t n 4 , 1 9 ; 17,3; II R e g 17,16; 2 1 , 3 . 5 ; 2 3 , 5 . 1 1 ; J e r 8,2; 10,2; 19,13; 4 4 , 1 7 . 2 5 ; Ez 8,16 usw. J e s 4 0 , 2 6 ; vgl. I R e g 8 , 1 2 ( L X X ) ; Ps 19,5; 7 4 , 1 6 ; 136,7ff; J e r 3 1 , 3 5 f u . a . Z u r Unterordnung d ä m o n i s c h e r M ä c h t e vgl. auch N u m 2 2 , 2 1 ff; II Sam 2 4 , 1 3 u . a . Steigert die von G e n 1 her zu lesende Priesterschrift in ihrer Geschichtsdarstellung, wie in den Erzählungen von den Plagen (Ex 7 , 1 1 ; 8 , 1 - 3 . 1 4 f ; 9 , 1 1 ; vgl. 12,12) oder vom Durchzug durch das M e e r ( 1 4 , 2 2 f . 2 8 f ) , nicht eher das Wunderhafte als das Mythische? Vgl. zur näheren Begründung W . H . Schmidt, M y t h o s 243—246; dazu aus der Vielfalt der Lit. (vgl. C . Westermann, B K 1/1, 1974, 491 ff) bes. Rüdiger Bartelmus, H e r o e n t u m in Israel u. seiner Umwelt 1979 ( A T h A N T 65); R . S . Hendel: J B L 106 (1987) 1 3 - 2 6 ; L o t h a r Perlitt, Riesen im Alten T e s t a m e n t : N A W G 1 9 9 0 / 1 , Göttingen 1990, 4 0 f f . Vgl. M . N o t h , Die Historisierung des M y t h o s im A T (1928): G S t zum A T II, 1969, 2 9 - 4 7 ; A. Weiser, G l a u b e u. G e s c h . im AT, 1961, 117ff; R . Rendtorff, Kult, M y t h o s u. Gesch. im Alten Israel (1958): G S t zum AT, M ü n c h e n 1975 ( T B 57) l l O f f ; K . H . Bernhardt, D a s Problem der altorientalischen Königsideologie im A T , 1961, 1 ff (Lit.); ders., Bemerkungen zum Problem der „ E n t m y t h o l o g i s i e r u n g " aus atl. Sicht: K u D 15 (1969) 193 - 2 0 9 u . a . Vgl. M . Buber, M o s e s , 2 1 9 5 2 , 19 = Werke II, M ü n c h e n / H e i d e l b e r g 1964, 20; J . Hempel: Z A W 65 (1953) 1 1 3 f . ; ders., Geschichten u. G e s c h . im AT, 1964, 57; K . H . Bernhardt (Anm. 65); H . Ringgren, Israelit. Religion: R M 2 6 , Stuttgart 1963 2 1 9 8 2 , 102; H.P. M ü l l e r , M y t h o s - T r a d i t i o n Revolution 5 9 f f ; C . K l o o s 1 5 8 f f u . a . M . Buber versteht unter M y t h o s allerdings den „ B e r i c h t des Begeisterten von dem, was ihm w i d e r f u h r " (ebd.). In einer frühen Arbeit (Der M y t h o s der J u d e n , 1916) deutet M . B u b e r M y t h o s als „Bericht von göttlichem Geschehen als einer sinnlichen W i r k l i c h k e i t " und kann daraufhin urteilen: „ E s ist gar nicht w a h r , daß M o n o t h e i s m u s und M y t h o s einander ausschlössen und ein monotheistisch empfindendes Volk somit der mythenbildenden Kraft entbehren müßte. Vielmehr ist jeder lebendige M o n o t h e i s m u s des mythischen Elements voll, und nur solange er dies ist, ist er l e b e n d i g " (Der J u d e u. sein J u d e n t u m , Köln 1963, 7 8 . 8 2 ) . Vgl. Z . Levy, Über F r a n z Rosenzweigs Auffassung des M y t h o s : D e r Philosoph Franz Rosenzweig. Int. Kongreß Kassel 1986, hg. v. W. S c h m i e d - K o w a r z i k , F r e i b u r g / M ü n c h e n , II 1987, 9 8 7 - 9 9 9 . Vgl. bes. die angegebenen Arbeiten von J . D a y , G . R . Driver, R . H i l l m a n n , O . Kaiser, C . K l o o s , St. I . L . N o r i n , M . K . W a k e m a n , U. R ü t e r s w ö r d e n : T h W A T 7 (1991) 3 7 2 - 3 7 8 und A n m . 38. Vgl. Ps 8 9 , 1 1 ; Hi 2 6 , 1 2 . D a r u m kann der M y t h o s vom M e e r e s k a m p f zu einer Aussage verblassen, die den J o r d a n d u r c h z u g beschreibt: „ D a s M e e r sah und floh." (Ps 114,3; vgl. 7 7 , 1 7 ; 104,7; J e s 17,13; 33,3) Die Absicht ist, das Ergebnis, die Überwindung des Feindes und damit die Überlegenheit G o t t e s , festzuhalten (Ps 93,4): „ M ä c h t i g e r als das D o n n e r n starker W a s s e r . . . ist J a h w e in der H ö h e . " „ D u hast alle Grenzen der Erde festgelegt." (Ps 7 4 , 1 7 ; vgl. vom M e e r : J e r 5 , 2 2 ; Ps 104,9; Prov 8,29; Hi 3 8 , 8 - 1 1 ) D a s Loblied kann anredend zu der Erkenntnis k o m m e n : „ D u hast Leviatan gebildet, um zu s p i e l e n " (Ps 104,26; vgl. 148,7; G e n 1,21; Hi 4 0 , 1 5 M T ) . J e s 5 1 , 9 f ; vgl. H i 2 6 , 1 2 f ; J e s 6 3 , 1 2 ; Neh 9 , 1 1 ; ähnlich Ps 7 4 , 1 3 f ; 89,11 u . a . E x 12,14; D t n 1 6 , 3 . 1 2 ; vgl. Ps 111, 4 u . a . Vgl. E x 2 3 , 2 5 ; Lev 2 3 , 4 2 f ; D t n 2 6 u . a . T h e o l o g i e des A T I 4 , 40. N a c h F. Heiler (Erscheinungsformen u. Wesen der Religion, Stuttgart 1961, 155) geschah hier „eine der größten Revolutionen der R e l i g i o n s g e s c h i c h t e " . Die Geschichte rückte „in die F u n k t i o n des M y t h o s als gründende Urzeit e i n " ; „doch verlor jene Ursprungsgeschichte nicht völlig ihre Kontingenz und E i n m a l i g k e i t " (W. Pannenberg, Christentum u. M y t h o s , Gütersloh 1972, 33; vgl. ders.: M y t h o s u. R a t i o n a l i t ä t , 1988, 115ff). Vgl. etwa C . M . E d s m a n : R G G 3 2 (1958) 6 5 0 - 6 5 5 ; F. Heiler, Erscheinungsformen 2 8 6 f ; T h . P. van Baaren, M e n s c h e n wie wir, 1964, 181 ff; auch H . W i ß m a n n : T R E 10 (1982) 2 5 4 - 2 5 6 . Beispielhaft sei genannt die Ankündigung des ägyptischen G o t t e s Atum gegenüber Osiris (Totenbuch, Spruch 125): „Ich aber werde alles, was ich geschaffen habe, zerstören. Diese Erde
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wird wieder in den Nun (d.h. in den Urozean) zurückgehen" (RTAT [Anm. 8] 38f; vgl. J. Assmann, Zeit u. Ewigkeit im alten Ägypten, bes. 24ff). 77 Jes 43,18f; 65,17 u.a.; vgl. auch Gegenüberstellungen wie Jer 31,31 ff u.a. 78 Vgl. Jes 3,16f.24; 5,14; 10,5ff; 28,lff; 32,9ff; außerdem Gen ll,4ff u.a. 79 Ez 28,2; vgl. 29,3.9; Jes 31,3. 80 Ez 31,2-9; vgl. 17,22-24; Dan 4,7-9; Ps 80,9-12. 81 W. Zimmerli, Ezechiel, BK XII1/2, 1969, 754; vgl. F. Stolz, Die Bäume des Gottesgartens auf dem Libanon: ZAW 84 (1972) 141-156; Kirsten Nielsen, There is Hope for a Tree. The Tree as Metaphor in Isaiah: JSOT 65 (1989); dies.: ThWAT 6 (1989) 295f; Martin Metzger, Der Weltenbaum in vorderorientalischer Bildtradition: Unsere Welt - Gottes Schöpfung. FS E. Wölfel, Marburg 1992, 1-34. 82 Vgl. I Sam 2,6 f; II Reg 5,7; Dtn 32,39; Hos 6,1; Hi 5,18; auch Ps 18,28; 75,8; 147,6; Jes 26,5; 40,4; 45,7; 57,15; Thr 3,38 u.a. 83 Der Name „der Hochbetagte" (Dan 7,22) ist eine Ausnahme. Gott selbst wird - dem Bilderverbot entsprechend — bei seiner Tat (vgl. etwa Dan 7,26; Sach 12,4; 14,3 u.a.) in der Regel nicht bildhaft vorgestellt. Ezechiel betont innerhalb seiner Vision mit der Wendung „es sah aus wie" (1,22.26) die „Inadäquatheit der Schilderung" (K. Seybold: ThWAT 4 [1984] 7); ähnlich Ex 24,10; Dan 7,13. Vgl. Ausprägungen des Bilderverbots?: Das Wort u. die Wörter. FS G. Friedrich, Stuttgart 1973, 25-34. 84 Vgl. Anm. 38. 85 M. Noth, GSt zum AT II, 1969, 44. 86 Was bevorsteht, kann dann im Himmel als präfiguriert oder schon vorhanden gedacht sein — wie in der im AT noch nicht ausgeprägten Vorstellung eines himmlischen Jerusalems (vgl. Apk 21, Gal 4,26; Hebr 12,22; 13,14). Was im Himmel wartet, bedeutet die Aufhebung der sichtbar gegebenen Wirklichkeit, erscheint als die Zukunft der Erde. 87 Jes 11,10; 25,6; Sach 9,10; 14,9.16 u.a. 88 Zeph 1,14-16; Jes 13,6-13; Joel 3f; Sach 14 u.a. Auch die Natur wird einbezogen: Am 9,13; Jes 11,6ff; 55,13; Joel 4,18; Ez 34,25; 47,12 u.a. 89 Vgl. Ps 46,7ff; 48,5; Jes 8,9f; 17,12-14; 34,1-8; Mi 4,11-13; Joel 2; 4; Ez 38f. 90 Vgl. Jes 11,10; 25,6; 60; Hag 2,6f; Sach 8,20ff u.a. Die Vorstellung vom Mittelpunkt bzw. Nabel der Erde findet sich explizit nur gelegentlich im AT (Ez 38,12; vgl. 5,5; Jes 19,24; Ri 9,37). 91 G. v. Rad, Theol. des AT II, "1965, 371 f. Weil Gottes Wirkungsbereich die Geschichte ist, tritt „jegliche Spekulation über den Zustand nach dem Tode...an die Peripherie; das um so mehr, als aller Totendienst - sei es nun Totenkult oder einfach nur ,Totenversorgung' - mit dem Ausschließlichkeitsanspruch Jahwes in Konflikt geraten muß" (L. Wächter, Der Tod im AT, 176; vgl. 187ff). 92 Vgl. Ps 49,16; Hi 19,25 f; dazu Anm. 33. 93 Vgl. Gen 5,24; II Reg 2; dazu A. Schmitt. 94 Der Mythos enthält Bilder — „Wie Fliegen scharten sich die Götter um den Opfernden" heißt es etwa in der auf der XI. Tafel des Gilgamesch-Epos erhaltenen Fluterzählung (RTAT [Anm. 8] 122) — will selbst aber keineswegs (nur) als Bild oder Metapher verstanden werden. 95 H.J. Kraus, Psalmen: BKXV/1, '1989, 288; vgl. J. Jeremias, Theophanie, WMANT 10, 21977, bes. 33 ff. 96 Ps 42,8; 144,7; auch 18,5f; 69,2f; Jon 2,4ff u.a.; vgl. O. Keel, Feinde u. Gottesleugner, Stuttgart 1969 (SBM 7), bes. 211 ff; L. Ruppert, Der leidende Gerechte u. seine Feinde, Würzburg 1973. 97 Vgl. C. Barth, Die Errettung vom Tode in den individuellen Klage- u. Dankliedern des AT, hg. v. B. Janowski, Zürich 21987. 98 Prov 3,18; 11,30; 13,12; 15,4 (dazu C. Kayatz, Stud. zu Prov 1 - 9 , WMANT 22, 19¿6, 105ff); vgl. die Lebensquelle: Prov 13,14; 14,27; 16,22 u.a. 99 Vgl. zu den im Hiobbuch verschiedenartig verwendeten mythischen Motiven bes. die angegebenen Arbeiten von O. Keel, V. Kubina, G. Fuchs. In Hi 38ff (wie Gen 1; Ps 104,26; 148 u.a.) werden chaotische Elemente in die Schöpfung integriert. 100 p s j^ g (dazu Anm. 61), vgl. Dtn 32,11 („einem Adler gleich"); Jes 66,13 („wie einen, den seine Mutter tröstet"); 42,14; 49,15 u.a. "" Vgl. Jes 55,8f; auch Jer 31,37 u.a. 102 Ps 33,13f; vgl. 11,4ff; 14,2; Prov 15,3; Hi 28,24; 34,21 f Jer 16,17; auch 23,23f u.a. 103 Ps 113,6; 102,20 f. 104 Ex 20,4; Dtn 4,12.15ff; vgl. Jes 40,18 u.a. 105 Nach C. Petersen (264f) werden „mit Hilfe mythischer Motive.. .grundsätzliche Aussagen über den Menschen formuliert...In vielen dieser Texte kommt den mythischen Elementen zentrale Bedeutung z u . . . Das mythische Reden von Gott ist... für das Gottes- und Selbstverständnis Israels, jedenfalls in einer bestimmten Zeit, von wesentlicher Bedeutung gewesen."
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M y t h o s III
„Israel hat seinen Glauben nicht ohne Mythos ausgesprochen, vielleicht . . . nicht aussprechen können. Wo aber der Mythos in die Glaubensaussagen eindringt, da wird er verändert, umgestaltet oder gar überwunden. So treffen die.. .Charakteristika des Mythos im großen und ganzen auf die mythischen Erzählungen im Alten Testament nicht mehr zu: Sie vergegenwärtigen nicht mehr das Schicksal von Göttern, spielen nicht mehr jenseits der Zeit der Geschichte, begründen nicht mehr die Ordnung der Welt und stehen auch kaum mehr in enger Beziehung zum Kult" (W. H. Schmidt, Mythos 249f). Es mag angebracht sein, diesen kritischen Umgang des AT mit dem Mythos als „Entmythisierung" von dem hermeneutischen Programm der „Entmythologisierung" zu unterscheiden (vgl. ders., Königtum 97; ders., Mythos 242; J . Heller, An der Quelle des Lebens, 1988 [BEAT 10] 173ff; ders.: Mythos u. Rationalität 128). Mag mythische Überlieferung in diesem Sinn „unverzichtbar" sein, so hat sie doch keine Glauben gründende „Funktion", auch wenn es gelegentlich im - vom Zusammenhang isolierten - Einzeltext (wie Jes 51,9 ohne V lOf) so erscheinen mag. Literatur
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Mythos III
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Mythos IV
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Werner H. Schmidt
IV. Neutestamentlich 1. Z u r Diskussion 2. Das P r o g r a m m Bultmanns 3. Dimensionen des Mythischen im Neuen Testament 4. Mythische Elemente im Neuen Testament 5. Ergebnis (Literatur S. 650)
1. Zur
Diskussion
Die Diskussion um Mythos und Mythologie im Neuen Testament ist bis zur Gegenwart entscheidend bestimmt durch das Programm der „Entmythologisierung", das R. -»Bultmann 1941 mit dem Aufsatz „Neues Testament und Mythologie" vorlegte. Der Umgang mit mythischen Elementen im Neuen Testament war freilich, wie die Auslegungsgeschichte zeigt (vgl. Merk), schon vorher ein theologisches Problem. Am Beginn unseres Jahrhunderts bewegte die mit dem Namen von A. Drews verbundene Debatte um die „Christusmythe" die Kirche und die Theologie. Drews u.a. versuchten, im Namen des Monismus die neutestamentliche Darstellung Jesu als eine Historisierung des antiken Erlösermythos aufzuweisen und damit als obsolet, weil Mythologie, erscheinen zu lassen. Dieser auf dem mythos-feindlichen Zeitgeist fußende Angriff auf das Christentum wurde alsbald abgewehrt durch den wissenschaftlichen Nachweis der Geschichtlichkeit Jesu. Freilich wurde dadurch eine Tendenz zur Abwertung der Christologie mit ihren mythologischen Zügen (Präexistenz, Sohn Gottes, Parusie; —•Jesus Christus) befördert, die sich in einer Abwertung des —»Paulus gegenüber dem „historischen" Jesus manifestierte. Die Ablösung der liberalen Theologie, verbunden mit der Erkenntnis, daß, ebenso wie das übrige Neue Testament, auch die Evangelien die Geschichte Jesu ausschließlich in christologischer Dimension vermitteln, führte zu der Einsicht, daß nicht die Eliminierung der mythologischen Elemente, sondern ihre Interpretation mit Hilfe gegenwärtig verantwortbarer theologischer Kategorien dem Anspruch des Neuen Testaments gerecht wird. 2. Das Programm
Bultmanns
Hier hat Bultmanns Programm der Entmythologisierung seinen Ort. Sowohl der fundamentale Ansatz, die „mythologischen" Elemente im Neuen Testament nicht zu eliminieren, sondern zu interpretieren, als auch seine Durchführung mittels der existentialen Interpretation (—»Hermeneutik) vermittelten dem Programm seine grundsätzliche Bedeutung. Diese trat bereits in der Frühphase der Diskussion, die, durch die Kriegsund erste Nachkriegszeit bedingt, zunächst nur geringe Reichweite hatte, deutlich hervor (vgl. besonders die Stellungnahmen von J. Schniewind 1943 und E. Lohmeyer 1944, gedruckt veröffentlicht in KuM 1). Die nach der Neuveröffentlichung des Bultmannschen Entmythologisierungsaufsatzes 1948 durch H.W.Bartsch vehement einsetzende Auseinandersetzung litt von Anfang an - neben dem z. T. selbstverschuldeten Mißverständnis („erledigt i s t . . . " ) , er wolle den Inhalt der „mythologischen" Rede eliminieren statt interpretieren — unter der Unsicherheit hinsichtlich der Definition des Mythos. Sie dürfte, wie auch die gegenwärtige Diskussion zeigt (s. I. und V.), in der Sache begründet sein. Bultmann charakterisiert den Mythos von dessen Redeweise her: „Er redet vom Unweltlichen weltlich, von den Göttern menschlich" (Neues Testament 22); es geht ihm
Mythos IV
645
mithin nicht um den konkreten Inhalt des Mythos, sondern um das, was seine „Ontologie" genannt wird (K. Hübner; s.o. I.). Daher erklärt sich, daß er nicht zwischen Mythos und Mythologie differenziert (ebd. 22 f, Anm. 20: „Mythologisch ist die Vorstellungsweise, in der das Unweltliche, Göttliche als Weltliches, Menschliches, das Jenseitige als Diesseitiges erscheint"), da beiden die gleiche „Ontologie" zugrunde liegt. Und eben die Redeweise des Mythos, die die Bedingungen, denen Welt und Menschen unterworfen sind, als überweltliche Objekte darstellt, muß übersetzt werden in eine solche, die dem Verständnis des modernen Menschen von sich und seiner Welt entspricht. Dafür bot sich Bultmann die „existentiale Interpretation" auf der Grundlage der Existenzphilosophie M . -»Heideggers an (es „scheint Martin Heideggers existentiale Analyse des Daseins nur eine profane philosophische Darstellung der neutestamentlichen Anschauung vom menschlichen Dasein zu sein": ebd. 41). Es macht die Durchschlagskraft dieses Programms aus, daß einerseits der Umgang mit den in „mythologischen" Kategorien gefaßten Aussagen des Neuen Testaments konsequent als hermeneutische Aufgabe begriffen und durchgeführt wurde und andererseits dafür Kategorien angeboten wurden, die sich in genauer Übereinstimmung mit dem Wirklichkeitsverständnis der damaligen Zeit befanden. Die Angemessenheit dieser Form des Umgangs mit den mythologischen Aussagen des Neuen Testaments hängt daher ab von der Fähigkeit der Existenzphilosophie, die Wirklichkeit von -»Welt und -»Mensch für die Gegenwart gültig zu erschließen. 3. Dimensionen
des Mythischen
im Neuen
Testament
Bemerkenswert ist, daß Bultmann die „mythologischen" Kategorien des Neuen Testaments nicht in solche der „physikalischen Ontologie" (K. Hübner) überführt, wie sie in der —»Neuzeit das wissenschaftliche Denken, besonders in —»Naturwissenschaft und —»Technik, bestimmen. Das hängt damit zusammen, daß die „mythologischen" Aussagen des Neuen Testaments nach Bultmann (entsprechend seinem existenzphilosophischen Ansatz) gar nicht die Dimension haben und haben wollen, die durch die „physikalische Ontologie" erfaßt wird. Es ist aber die Frage, ob eine solche Scheidung möglich ist. 3.1. Indem Bultmann „von Gottes Tun, von seinem entscheidenden eschatologischen Tun" spricht (ebd. 63) und die Geschichte des historischen Menschen Jesus von Nazareth samt dem durch sie ausgelösten Geschehen der Verkündigung als „eschatologische Phänomene, eschatologisches Geschehen" (ebd. 64) qualifiziert, bedient er sich gerade in der entscheidenden Wertung selbst der „mythologischen" Rede. Denn tatsächlich geht die „mythologisch" strukturierte Botschaft des Neuen Testaments nicht auf in der Existenzanalyse des Menschen in seiner Welt, sondern sagt diesem zu, daß seine Existenz, die er in der Welt nicht anders als auf den -»Tod hin ausgerichtet erfährt und erfahren kann, —»Leben und heile Zukunft empfangen soll. Eine derartige Botschaft nimmt in Anspruch, von einer Wirklichkeit zu reden, die weder mit physikalischen Kategorien noch mit existentialen zu erfassen ist, der aber auch nicht (wie K. Hübner gezeigt hat) von diesen Kategorien her das Sein abgesprochen werden kann. 3.2. Die Wirklichkeit „von Gottes Tun, von seinem entscheidenden eschatologischen Tun" stellt sich im Neuen Testament nun aber nicht, wie im Mythos, in einem geschichtslosen Ursprungsgeschehen, einer Arche, dar, sondern in einer lokal und temporal bestimmten Geschichte. Denn anders als im Mythos ist für das Neue Testament —»Gott (bzw. die Götter, der Mythos ist polytheistisch!) nicht ein Aspekt der Weltwirklichkeit, sondern steht ihr als an ihr handelnd gegenüber. Deshalb bietet das Neue Testament auch keine „traditionelle Erzählung" (wie der Mythos, s. Stolz 82), sondern erzählt Geschichte oder nimmt auf solche Erzählung Bezug. Natürlich existiert auch hier erzählte —»Geschichte nur als gedeutete Geschichte. Und solche Deutung erfolgt weitgehend in „mythologischen" Kategorien. So wird wie
646
Mythos IV
selbstverständlich die Vorstellung übernommen, daß Gott und der ihm zugehörige Bereich oberhalb der Welt, im Himmel (bzw. in den Himmeln) seine Position habe. Indem Mt statt „Reich Gottes" „Reich der Himmel" sagt, ersetzt er - entsprechend jüdischer Redeweise - die Nennung Gottes durch die des Ortes, an dem er sich befindet (vgl. Mt 6,9 u.ö.); der Himmel ist der Ort des -»Heils (z.B. Mt 23,13; Phil 3,20; II Kor 5,1 f) wie der Ausgangspunkt des —» Gerichts (Lk 9,54). Vom Himmel herab kommt der -»Geist bei der Taufe Jesu (Mk 1,10 par.), in den Himmel hinauf fährt der Auferstandene (Lk 24,51; Act 1,9 f). Und dieser ist, weil zu Gott gehörig, zunächst vom Himmel herabgestiegen (Joh 3,13; 6,33-35.38; Eph 4 , 8 - 1 0 ) . Schließlich wird er wieder vom Himmel herabkommen (Mk 14,62; I Thess 1,10). Man muß davon ausgehen, daß sich mit solchen Sätzen wirklich lokale Vorstellungen verbanden. Zugleich aber darf als sicher gelten, daß die räumlichen Kategorien als Träger transzendenter Befindlichkeiten verstanden wurden, die man anders nicht zu benennen vermochte und dies wohl auch nicht für erforderlich hielt. Daß solcher Charakter dieser Sprechweise bewußt blieb, signalisieren einige eigentümliche Ausdrucksweisen. Paulus stellt in Gal 4,25 f in antithetischem Parallelismus das „obere Jerusalem" dem „jetzigen Jerusalem" gegenüber, verbindet also lokale und temporale Kategorien und relativiert sie damit hinsichtlich ihres welthaftvorfindlichen Sinnes. Johannes faßt in dem einen Begriff „erhöhen" (vy/öco) zugleich die räumlich-tatsächliche Erhöhung Jesu am —»Kreuz und die „Erhöhung" in den Himmel zusammen (Joh 3,14 u.ö.). So wird denn auch Gott nicht nur als Schöpfer der Erde bekannt, sondern auch des Himmels (z.B. Act 4,24; Hebr 1,10; Apk 10,6), der wieder vergehen wird (Mk 13,31; Mt 5,18). Gerade die Unausgeglichenheit solcher Sätze legt das Moment der Uneigentlichkeit bloß. Nur ist dieser Tatbestand kein Gegenstand der Reflexion, da die Transzendenz in dimensionalen Kategorien gedacht und dementsprechend dargestellt wird. 3.3. Besondere Bedeutung kommt in diesem Bereich der Kategorie der —»Zeit zu; das zeigt auch die diesbezügliche Diskussion zwischen Bultmann und O. Cullmann (vgl. R. Bultmann, Exegetica, Tübingen 1967, 356—368). Die Frage ist, ob die temporalfuturische Dimension der eschatologischen Erwartung, die dem Neuen Testament in Übereinstimmung mit dem Alten Testament und Frühjudentum selbstverständlich ist, sich dem mythologischen Weltbild verdankt und daher der Entmythologisierung bedarf, um dem modernen Menschen verständlich zu bleiben. Freilich kann eine temporale Heilserwartung, die die Erfüllung erst von der Zukunft erhofft, in strengem Sinne nicht mythisch genannt werden (vgl. Pannenberg 114ff); doch ist sie dem Verdikt ausgesetzt, das Unweltliche weltlich zu definieren. Indessen dient solche temporal gerichtete Erwartung nicht dazu, eine Erfahrung der Wirklichkeit mittels Rückführung auf eine Arche zu deuten, so wie der Wechsel der Jahreszeiten im griechischen Mythos als das Verlassen der Unterwelt durch Persephone und ihre Rückkehr dorthin gedeutet wird. Vielmehr ist es die Erfahrung der Geschichte, daß das Leben in unumkehrbarer zeitlicher Dimension verläuft, die das zu erlebende Nicht des Heils in der Vergangenheit und der Gegenwart notwendig als ein Noch-nicht erscheinen läßt, wenn anders seine Verwirklichung geglaubt wird. Das gilt insbesondere, wenn Heil als heiles Leben begriffen wird, das erfahrbare Leben aber als einzige wirklich gewisse Zukunft den Tod vor sich hat. Andererseits gehört die Zeit zur Erfahrung der Geschichte, die immer erst auf dem Weg zum Heil hin ist, sich mithin in der Welt des Noch-nicht ereignet. Für diese Welt liegt die eschatologische —»Verheißung in der Tat in der temporalen Zukunft. Nur ist das ein Urteil, das in den Kategorien ergeht, in denen Geschichte, d.h. das Noch-nicht, erfahren wird; doch sind andere uns nicht erschwinglich. 4. Mythische
Elemente
im Neuen
Testament
4.1. Da die neutestamentliche Verkündigung die Geschichte Jesu erzählt (oder zumindest voraussetzt) und in ihr die Begegnung Gottes mit der Welt sich end-gültig er-
647
M y t h o s IV e i g n e n s i e h t , ist d i e A u s g e s t a l t u n g d i e s e r G e s c h i c h t e u n d d a n n d e r sie t r a g e n d e n s c h i c h t l i c h e n G e s t a l t ein O r t , a n d e m in h e r v o r g e h o b e n e r W e i s e m y t h i s c h e
ge-
Elemente
b e g e g n e n . E i n B e i s p i e l d a f ü r ist d e r C h r i s t u s - H y m n u s Phil 2 , 6 - 1 1 . A b g e s e h e n v o n d e m umstrittenen
Sätzchen
V.8c darf davon
ausgegangen
werden, daß der
ursprüngliche
Wortlaut, den Paulus geprägt a u f n a h m , vorliegt. D a s Weltbild, das der H y m n u s
vor-
a u s s e t z t , ist - s e l b s t v e r s t ä n d l i c h - m y t h i s c h e r N a t u r . D i e A u f g l i e d e r u n g d e r i h r e r s e l b s t b e w u ß t e n W e l t , d i e s e l b s t v e r a n t w o r t e t z u h a n d e l n f ä h i g i s t , in „ H i m m l i s c h e , und Unterirdische"
(V.10) zeigt das dreistöckige antike Weltbild und rechnet
Irdische fraglos
d a m i t , d a ß neben den M e n s c h e n geistige Wesen unterschiedlicher Art die Welt bevölkern. Freilich liegt a u f s o l c h e r D a r s t e l l u n g s w e i s e für den H y m n u s k e i n b e s o n d e r e r T o n ;
er
w i l l m i t d e r E x h o m o l o g e s e d e r W e l t m ä c h t e in i h r e r G e s a m t h e i t z u m A u s d r u c k b r i n g e n , d a ß die W e l t zu ihrer B e s t i m m u n g g e l a n g t , i n d e m
ihr B e w u ß t s e i n
mit ihrem Sein
in
Ü b e r e i n s t i m m u n g tritt. V o r a u s g e s e t z t ist d a b e i f r e i l i c h , d a ß die W e l t n i c h t d a s P r o d u k t b e l i e b i g e n Z u f a l l s ist, s o n d e r n d a ß sie a u f S i n n hin a u s g e r i c h t e t ist. S o l c h e V o r a u s s e t z u n g ist a l l e r d i n g s k e i n B e s t a n d t e i l d e r „ p h y s i k a l i s c h e n
Ontologie".
D e r W e g J e s u , dessen G e s c h i c h t e G e g e n s t a n d des H y m n u s ist, wird als s o l c h e r nicht in m y t h i s c h e r A n s c h a u l i c h k e i t p r ä s e n t i e r t . D e n n er w i r d , entgegen verbreiteter I n t e r p r e t a t i o n , nicht als A b s t i e g und Aufstieg in r ä u m l i c h e n K a t e g o r i e n b e s c h r i e b e n . D i e Verben „ e n t l e e r e n " (KEVOCO) und „ e r n i e d r i g e n " {xanElvöcu) s o w i e das k o r r e s p o n d i e r e n d e „ e r h ö h e n " (i;y/öto) bezeichnen n i c h t l o k a l e V e r ä n d e r u n g e n , sondern W e r t s e t z u n g e n , die ursprünglich allerdings sich in den G e s t e n des k ö r perlichen N i e d e r b e u g e n s und des Sitzens a u f e r h ö h t e m Platz darstellten (zur Anrithetik „erniedr i g e n " — „ e r h ö h e n " s. z . B . L X X Ps 7 4 , 8 ; 8 7 , 1 6 ; J e s 2 , 1 1 ) . „ V i e l m e h r ist es ein Weg, der n a c h den P a r a m e t e r n von M a c h t und O h n m a c h t b e m e s s e n w i r d " (Walter 2 2 8 ) . D a s Z e n t r u m des T e x t e s bildet die A n s a g e eines geschichtlich e r f a h r e n e n Ereignisses, des T o d e s eines M e n s c h e n . Es wird freilich in einen G e s c h e h e n s a b l a u f w e r t e n d e i n g e b r a c h t . Dessen entscheidende S t a t i o n ist die E r h ö h u n g und in der N a m e n s - die M a c h t v e r l e i h u n g durch G o t t . A u c h sie h a t , jedenfalls n a c h der Ü b e r z e u g u n g derer, die den H y m n u s bildeten und sich zu eigen m a c h t e n , in der g e s c h i c h t l i c h e n E r f a h r u n g ihren G r u n d , n ä m l i c h in der E r f a h r u n g der —»Auferstehung des a m K r e u z G e s t o r b e n e n . I K o r 1 5 , 1 - 1 1 belegt, d a ß für Paulus wie für die a n d e r e n zur V e r k ü n d i g u n g b e a u f t r a g t e n A u f e r s t e h u n g s z e u g e n ( - » „ A p o s t e l " ) und e b e n s o d u r c h sie für ihre G e m e i n d e n die E r f a h r u n g der A u f e r s t e h u n g ein w i r k l i c h g e s c h i c h t l i c h e s Ereignis w a r , d a s die A u f e r s t e h u n g J e s u jedem vernünftigen Z w e i f e l e n t z o g . D a r ü b e r h i n a u s erfuhren die O s t e r z e u g e n den A u f e r s t a n d e n e n o f f e n b a r sogleich als E r h ö h t e n ; Paulus stellt in G a l 1 , 1 6 seine A u f e r s t e h u n g s e r f a h r u n g als eine - • „ O f f e n b a r u n g " des S o h n e s G o t t e s d a r . D e r C h r i s t u s - H y m n u s Phil 2 reflektiert sichtlich ein a n a loges G e s c h e h e n . D i e D a r s t e l l u n g s o l c h e r E r f a h r u n g a r t i k u l i e r t sich natürlich in den ihr z u h a n d e n e n K a t e g o r i e n . W e n n Paulus in G a l 1 , 1 6 vom „ S o h n G o t t e s " redet, so zeigt G a l 3 , 2 6 - 4 , 7 (s. auch R o m 8 , 1 4 - 1 7 ) , d a ß das jedenfalls n i c h t physisch zu verstehen ist. In A u f n a h m e einer S p r a c h e , die von alttestam e n t l i c h - j ü d i s c h e r T r a d i t i o n g e p r ä g t ist, wird mittels a u s d r u c k s s t a r k e r M e t a p h e r ein Verhältnis ausgesagt, das d u r c h engste Z u g e h ö r i g k e i t bei u n b e d i n g t e r U n t e r o r d n u n g k o n s t i t u i e r t ist. D e r P h i l i p p e r - H y m n u s bedient sich einer a n d e r e n Weise, die E r h ö h u n g darzustellen, die freilich gleichfalls m e t a p h o r i s c h e n C h a r a k t e r h a t . Sie k n ü p f t an p r o p h e t i s c h e E r w a r t u n g e n des Alten T e s t a m e n t s a n , b e s o n d e r s bei D e u t e r o j e s a j a . D i e E x h o m o l o g e s e V. 10 f h a t „ e i n e in der S a c h e b e g r ü n d e t e und a l s o für das G a n z e des C h r i s t u s - H y m n u s k o n s t i t u t i v e B e z i e h u n g " zu J e s 4 5 , 2 3 , der A n s a g e der „ u n i v e r s a l e n e s c h a t o l o g i s c h e n H u l d i g u n g v o r J a h w e " ( O . H o f i u s , D e r C h r i s t u s h y m n u s Phil 2 , 6 - 1 1 , T ü b i n g e n 1 9 7 8 , 4 1 ) . D i e B o t s c h a f t des T e x t e s ist: D i e E r w a r t u n g e n und - » H o f f n u n g e n der biblischen - • P r o p h e t e n erfüllen sich in der G e s c h i c h t e , von der hier die R e d e ist. D e r ü b e r k o m m e n e S p r a c h h o r i zont gibt der eigenen Vorstellung den R a h m e n , die —»Schrift stellt die M e t a p h e r der H o f f n u n g bereit. D e r e r s t e Teil des H y m n u s ist aus der E r f a h r u n g , die sein zweiter T e i l a r t i k u l i e r t , herausgew a c h s e n . Begegnet in J e s u s der Sinn und die Z u k u n f t des L e b e n s , die n i c h t in dieser W e l t , s o l a n g e sie dem T o d e n t g e g e n g e h t , e r f a h r b a r sind, d a n n m u ß sein Wesen als ein solches g e d a c h t w e r d e n , das an G o t t e s Sein partizipiert. D i e P r ä e x i s t e n z v o r s t e l l u n g ergibt sich mit g l e i c h s a m „ t h e o - l o g i s c h e r " N o t w e n d i g k e i t aus der von der E r h ö h u n g . Sie wird im H y m n u s vorausgesetzt; im Blick ist die F r a g e , wie der G o t t g l e i c h e ein M e n s c h wird, der den T o d erleidet. G e l ö s t wird diese F r a g e durch den G e d a n k e n der E r n i e d r i g u n g , die der C h r i s t u s a u f sich n a h m . D e s h a l b ist z w a r im zweiten Teil des T e x t e s G o t t S u b j e k t , im ersten indessen J e s u s Christus. In seiner G e s c h i c h t e ist G o t t n i c h t bei sich selbst und d a m i t der Welt fern und f r e m d g e b l i e b e n , s o n d e r n er hat sich in sie h i n e i n b e g e b e n , indem er wie sie selbst w u r d e , und z w a r bis in die T i e f e ihrer W i r k l i c h k e i t , die der T o d ist. In J e s u s begegnet der mit der Welt sich identifizierende G o t t .
648
Mythos IV
Die Weltwerdung Gottes, deren entscheidend „mythologische" Komponente in der Verlagerung der Anwesenheit Gottes in der Geschichte Jesu auf die Person Jesu liegt, wird in dem Text auf eine eigenartige Weise begriffen, die den mythischen Rahmen transzendiert. Es ist eine ethische Kategorie, nämlich die der Entäußerung und der Erniedrigung, der das Geschehen zugeordnet wird. Die in der Auferstehung gesetzte Erhöhung, von der her auch auf dieser Ebene offensichtlich gedacht wird, ist begründet in der Erniedrigung Jesu, die sich in der Ohnmachtsgestalt eines Menschen, in der Hingabe an das menschliche Leben bis zu seiner Grenze im Tode, darstellt. Solche ursächliche Zuordnung von Erhöhung und Erniedrigung, die wesentlicher Glaubensüberzeugung des Alten Testaments und Judentums entspricht (und entstammt), anerkennt eine bestimmte Erfahrung in der Geschichte, nämlich die des Scheiterns gerade des Gerechten, als die gültige Signatur Gottes (vgl. Arist 262 f; IV Esr 8,48 f; TestBenj 5,5). In der Geschichte Jesu ist dieser Weg zu vollendeter Darstellung gelangt, der Heilswille Gottes hat die Gestalt des heillosen Menschen angenommen, um Heil für die Welt zu verwirklichen. Damit ist die Gott-Welt-Beziehung, die mit der Identifizierung der Person Jesu als präexistenter Gott in mythischen Kategorien dargestellt ist, überführt in ethische Strukturen, die vom Lebensvollzug und dessen Folge bestimmt sind. Übrigens regieren auch hier nicht, ebensowenig wie im mythischen Denken, die Kategorien modernen wissenschaftlichen Denkens. Die kausale Zusammengehörigkeit von Erniedrigung und Erhöhung beruht weder auf der Logik der Rationalität noch auf dem Wissen der Erfahrung. Sie entspringt vielmehr der elementaren Entscheidung für die Sinnhaftigkeit des Lebens, die in der Erfahrung der Geschichte Jesu ihre Begründung empfangen zu haben glaubt. Der Christus-Hymnus Phil 2 ist deshalb als Exempel für mythische bzw. „mythologische" Elemente im Neuen Testament gewählt worden, weil er ein frühes, in sich geschlossenes Stück Reflexion auf dasjenige Geschehen darstellt, in dem die christliche Gemeinde ihre Identität fand. Dieser Text war einerseits offenbar selbständig und vollgültig, andererseits der Integration in das theologische Denken des Paulus fähig, so daß er als Modell dienen kann, um die „Semantik" und die „Pragmatik" mythischer Strukturen im Neuen Testament zu erkennen. 4.2. Die Rezeption mythischer Elemente zur Darstellung der Wirklichkeit der Welt angesichts der Christusgeschichte, die als Heilssetzung Gottes begriffen wird, tritt in besonders eindrücklicher Weise im Prolog des Joh hervor. Man darf davon ausgehen, daß ihm ein vorgegebener Text zugrunde liegt. Er dürfte bereits die V . l , 1 4 . 1 6 f eingeschlossen haben; die V . 1 , 6 - 8 . 1 5 (und 12b.13) haben hingegen nicht zum ursprünglichen Bestand gehört. Auch dieser Text ist zweifellos von seinem Zentrum her entworfen: 6 Xöyoc, eyevezo, „der Logos stellte sich als Geschichte dar" (V.14). Er hebt damit auf ein erfahrbares Geschehen ab, das einen konkreten Ort in Zeit und Raum hat: „Wir sahen seine Herrlichkeit" (V.14). O b nun V.17 ursprünglich zum Hymnus hinzugehört oder nicht, in jedem Fall ist die Person Jesu im Blick, natürlich als gedeutete. In ihm hat sich das Heil mit der Welt verbunden, das dieser von der Schöpfung her zugewendet war, von ihr aber abgewiesen wurde. Zugrunde liegt eine Sicht der Welt, die sie als heillos aus sich selbst heraus erkannt hat, die Heil nur als etwas der Welt Zukommendes, nicht von ihr selbst zu Bewirkendes begreift. Und ebenso ist der —»Glaube an den einen Gott für den Text bestimmend; weil es nur einen Gott gibt, gibt es auch nur ein Heil, wie es nur eine Welt gibt. Die Darstellung der Grunderfahrung, daß in Jesus das der Welt zugewandte, von ihr aber abgewiesene Heil welthafte Gestalt angenommen hat, bedient sich eines Musters, das schon länger in dem geistigen Horizont, aus dem und in den der Text spricht, bekannt war (Sir 24; äthHen 42). Natürlich werden dabei mythische Vorstellungen transportiert, aber es wird durch sie keine mythische Geschichte erzählt, die das Unheil und das Heil der Welt so darstellt, daß ihre geschichtliche Verwirklichung die Manifestation eines Ursprungsgeschehens ist. Vielmehr ereignet sich Heil in konkreter Geschichte, die sich nicht wiederholt, deren Wirkung aber durch ihre Vergegenwärtigung in die eigene Geschichte hereingeholt werden kann.
Die poetisch-„mythologischen" Sätze des Textes wollen die Erfahrung von Heil darstellen, die eine sinnabgewandte Welt, die sich dem Tod ausgeliefert hatte, als Sinngebung
Mythos IV
649
durch die Geschichte Jesu Christi erfuhr. Nicht indessen will der Text die Wahrheit des Mythos erweisen, indem diese auch als die Wahrheit der Geschichte Jesu erwiesen wird. Die Geschichte konstituiert die Wirklichkeit, sie ist nicht ihre beispielhafte Darstellung. 4.3. Mythische Elemente finden sich im Neuen Testament auch außerhalb der zentralen, zusammenfassenden christologischen und soteriologischen Texte. Das Motiv des Gottessohnes wurde bereits gestreift. Es hat in der „Sendungsformel" (Rom 8,3 f; Gal 4,4f; Joh 3,16; I Joh 4,9) offenbar einen frühen Haftpunkt; darin zeigt sich besonders deutlich, daß kein wirklich mythisches Denken solches Reden bestimmt, da aller Ton auf der konkreten geschichtlichen Einmaligkeit des Heilshandelns Gottes liegt und dessen Aneignung nicht durch Nachvollzug oder Reproduktion geschieht, sondern in der Intention des Handelns selbst begründet ist. Wesentlich stärker mythisch ist die Entsprechung Adam-Christus, auf die Paulus sich Rom 5 , 1 2 - 2 1 einläßt. Gerade, indem er Rom 5,12 nicht die Folge des Tuns des Einen auf alle künftigen Menschen überträgt, sondern in dem Handeln des Einen das Handeln aller folgenden urgebildet sieht, benutzt er mythische Ontologie, um die Verfaßtheit allen menschlichen Lebens darzustellen. Sie ergibt sich ihm gleichsam empirisch aus der Universalität des Todes (V.13f); denn Tod und -»Sünde gehören kausal zusammen (V.21; 6,23). Diesem Einen, dessen Name „Adam" erst V.14 genannt wird, stellt Paulus den einen anderen, Jesus Christus, gegenüber, durch dessen Tun „alle als Gerechte konstituiert, dargestellt werden" (V.19b oi TtokXoi = „alle" entsprechend V.19a). Die Entsprechung Adam-Christus erfordert eigentlich das mythische Verständnis auch dieses Satzes. Das ist indessen zumindest für Paulus ausgeschlossen; denn es würde - abgesehen von dem Übersprung von dem urgeschichtlichen Adam auf den realgeschichtlichen Jesus - bedeuten, daß Jesus Christus urbildlich das darstellt, was „alle" wirklich tun, daß sie sich nämlich im Gehorsam als Gerechte erweisen. Daß Paulus eine mythische Struktur benutzt, um die Universalität der überbietenden —»Gnade als neue Möglichkeit des Menschen gegenüber der Universalität der Sünde als seiner vorchristlichen Faktizität darzustellen, macht die sachliche Schwierigkeit der Argumentation in Rom 5 , 1 2 - 2 1 aus. Sie zeigt, daß der Mythos in Wahrheit eine unangemessene Weise ist, die Wirklichkeit des Evangeliums zu erfassen. Denn da er Gott und Welt nicht zu scheiden vermag, fehlt ihm die Dimension der Geschichte. 4.4. Es gibt zahlreiche weitere Elemente im Neuen Testament, die im engeren oder weiteren Sinne „mythologisch" genannt werden können. Sie bilden indessen alle keine in sich geschlossene mythische Erzählung, sondern sind Verdeutlichungen von im Glauben als wahr erfahrenen Tatbeständen, die im Wesen auf das Handeln Gottes an der Welt zurückgehen, das nicht nur ein anderer Aspekt der Welt ist, das vielmehr an sie, sie zerstörend oder Heil schaffend, herantritt. Die Mythologeme haben dabei jeweils verdeutlichenden Charakter. Der Mythos ist durchaus von der Metapher zu unterscheiden (Sellin 212). Die mythischen Elemente aber werden im Neuen Testament vornehmlich metaphorisch angewendet (und dann gelegentlich sogar historisiert wie bei der Jungfrauengeburt; -»Jesus Christus; —»Maria). Besonders tritt das in der Sprache der -»Apokalyptik hervor. Apk 12 liegt vermutlich ein verbreiteter antiker Mythos zugrunde. Er ist eingesetzt, um die Geschichte Jesu in ihrer Bedeutsamkeit zu erschließen. In der Apk ist der metaphorische Charakter der Aussageweise durch die deutliche Anlehnung an die Sprache des Alten Testaments und des Judentums signalisiert. Es handelt sich dabei um ein für die Apokalyptik insgesamt weithin gültiges Kennzeichen. 5.
Ergebnis
Obwohl das Neue Testament deutlich am mythischen Weltbild seiner Zeit teilhat, und gerade auch im Zentrum seiner Verkündigung, in der Christologie und der Sote-
650
Mythos V
r i o l o g i e , m y t h i s c h e V o r s t e l l u n g e n ( M y t h o l o g e m e ) in h e r v o r g e h o b e n e r W e i s e b e g e g n e n , ist s e i n e B o t s c h a f t i m K e r n n i c h t m y t h i s c h e r N a t u r . Sie k a n n m i t h i n a u c h n i c h t e i n e r „ E n t m y t h o l o g i s i e r u n g " u n t e r w o r f e n werden. D o c h enthebt das - natürlich - nicht der N o t w e n d i g k e i t , d i e n e u t e s t a m e n t l i c h e B o t s c h a f t in K a t e g o r i e n d a r z u s t e l l e n , d i e d e r jeweiligen Z e i t verständlich und v e r t r a u t sind. D a z u k ö n n e n , wie die E r f a h r u n g
lehrt,
d u r c h a u s a u c h g e g e n w ä r t i g n o c h s o l c h e g e h ö r e n , die „ m y t h o l o g i s c h e n " C h a r a k t e r h a b e n . D o c h m u ß bei d e r V e r w e n d u n g d a s B e w u ß t s e i n i h r e r U n e i g e n t l i c h k e i t i m d i n g l i c h e n Sinne, ihres m e t a p h o r i s c h e n C h a r a k t e r s , offengehalten w e r d e n . Eine restlose U m s e t z u n g d e s M y t h i s c h e n in K a t e g o r i e n d e s g e s c h i c h t l i c h e n E r f a h r u n g s h o r i z o n t e s , a l s o e t w a in eine physikalische o d e r existentiale - » O n t o l o g i e , k a n n ohnehin nicht gelingen.
Denn
d a s N e u e T e s t a m e n t will k ü n d e n v o n d e m H a n d e l n d e s G o t t e s , d e r n i c h t W e l t ist, a u c h w e n n e r sich in s e i n e m s o t e r i o l o g i s c h e n H a n d e l n g e s c h i c h t l i c h m i t d e r W e l t v e r b u n d e n h a t . D e r V e r s u c h , d i e B o t s c h a f t d e s N e u e n T e s t a m e n t s r e s t - l o s in w e l t h a f t - g e s c h i c h t l i c h e K a t e g o r i e n u m z u s e t z e n , f ü h r t e n t w e d e r z u m A t h e i s m u s , weil er a u f G o t t
verzichten
m u ß , o d e r in d e n M y t h o s , w e i l G o t t d a n n n u r a l s ein A s p e k t d e r W e l t e r s c h e i n e n k ö n n t e . Literatur Ian G . B a r b o u r , M y t h s , M o d e l s and Paradigms. T h e N a t u r e o f Scientific and Religious Language, L o n d o n 1974. — H a n s - W e r n e r Bartsch (Hg.), Kerygma u. M y t h o s . Ein theol. Gespräch, 1948 " i 9 6 0 ( T h F 1). - Klaus Berger, Hermeneutik des N T , Gütersloh 1988, 3 6 6 - 3 9 0 . - J o s e f B l a n k , Die überforderte R a t i o n a l i t ä t . Z u r Aktualität des M y t h o s : Kairos 2 9 (1987) 2 9 - 4 4 . - R u d o l f Bultm a n n , N T u. M y t h o l o g i e . D a s Problem der Entmythologisierung der ntl. Verkündigung, hg. v. E b e r h a r d Jüngel, 1988 ( B E v T h 9 6 ) . - Ders., Jesus Christus u. die M y t h o l o g i e . D a s N T im Licht der Bibelkritik, H a m b u r g 1964 ' 1 9 8 4 . - Ingolf U. Dalferth, M y t h o s , Ritual, D o g m a t i k . Strukturen der rel. Text-Welt: E v T h 4 7 (1987) 2 7 2 - 2 9 1 . - Arthur Drews, Die Christusmythe, J e n a 1 9 0 9 / 1 1 ' 1 9 2 4 . — Christian H a r t l i c h / W a l t e r Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffes in der modernen Bibelwiss., 1952 (SSEA 2). — A. H o r s t m a n n , Der Mythosbegriff vom frühen C h r i s t e n t u m bis zur G e g e n w a r t : A B G 23 (1979) 7 - 5 4 . - Bernd J a s p e r t (Hg.), Bibel u. M y t h o s , 1991 ( K V T 1560). - Klaus-Peter J ö r n s , Ödipus u. Christus. T h e o l . Arbeit am M y t h o s : E v T h 4 7 (1987) 2 9 2 - 3 0 8 . - Karl Kertelge (Hg.), M e t a p h o r i k u. M y t h o s im N T , 1990 ( Q D 126). - Werner G e o r g Kümmel, M y t h o s im N T : T h Z 6 (1950) 3 2 1 - 3 3 7 = ders., Heilsgeschehen u. Gesch. G A u f s . 1 9 3 3 - 1 9 6 4 , 1965 ( M T h S t N S 3) 2 1 8 - 2 2 9 . - O t t o M e r k , D a s Problem des M y t h o s zwischen N e o l o g i e u. „religionsgesch. S c h u l e " in der ntl. Wiss.: H . H . Schmid (Hg.), s . u . , 1 7 2 - 1 9 4 . - H a n s - P e t e r M ü l l e r , M y t h o s — Anpassung — Wahrheit. Vom R e c h t mythischer R e d e u. deren A u f h e b u n g : Z T h K 8 0 (1983) 1 - 2 5 . - Ders., M y t h o s u. Kerygma. Anthropologische u. theol. Aspekte: Z T h K 83 (1986) 4 0 5 - 4 3 5 . - Wolfgang N e t h ö f e l , Strukturen existentialer Interpretation. B u l t m a n n s J o h a n n e s k o m m , im Wechsel theol. Paradigmen, Göttingen 1983. — Heinrich O t t , Die hermeneutische P r o b l e m a t i k u. das E n t m y t h o l o g i s i e r u n g s p r o g r a m m : T h Z 4 4 (1988) 2 2 2 - 2 3 8 . - Wolfhart P a n n e n b e r g , Die weltgründende Funktion des M y t h o s u. der christl. Offenbarungsglaube: H . H . S c h m i d (Hg.), s. u., 1 0 8 122. — Kurt R u d o l p h , M y t h o s — M y t h o l o g i e — Entmythologisierung: H . H . Schmid (Hg.), s. u., 268 — 3 8 1 . - H a n s Heinrich Schmid (Hg.), M y t h o s u. R a t i o n a l i t ä t , Gütersloh 1988. - G e r h a r d Sellin, M y t h o l o g e m e u. mythische Z ü g e in der paulinischen T h e o l . : H . H . Schmid (Hg.), s . o . , 209—223. - Fritz Stolz, Der mythische U m g a n g mit der Rationalität u. der rationale U m g a n g mit dem M y t h o s : H . H . Schmid (Hg.), s . o . , 81 — 107. — N i k o l a u s Walter, Gesch. u. M y t h o s in der urchristl. Präexistenzchristologie: H . H . Schmid (Hg.), s . o . , 2 2 4 - 2 3 4 . - H a n s Weder, Ntl. H e r m e n e u t i k , 1986 2 1 9 8 9 ( Z G B ) . — Ders., Der M y t h o s vom L o g o s (Joh 1). Überlegungen zur S a c h p r o b l e m a t i k der E n t m y thologisierung: H . H . S c h m i d (Hg.), s . o . , 4 4 - 7 5 . Traugott
V.
Holtz
Systematisch-theologisch
1. Fragestellung 2 . Z u r neueren Behandlung des T h e m a s 3. Die Aufgabe der Definition des Mythischen 4 . M y t h o s im christlichen G l a u b e n 5. Christlicher G l a u b e im Verhältnis zu Mythen (Literatur S. 661) 1.
Fragestellung
E s sind zwei F r a g e n , die sich der s y s t e m a t i s c h e n T h e o l o g i e im Z u s a m m e n h a n g d e s Mythos
ergeben:
a. Inwiefern
ist d e r c h r i s t l i c h e G l a u b e s e l b s t m y t h i s c h
bzw.
anti-
Mythos V
651
mythisch? b. Wie verhält sich der christliche Glaube zu Mythischem, dem er begegnet? 2. Zur neueren Behandlung
des
Themas
„Mythos" ist kein übliches Thema der systematischen Theologie. Größere Beachtung fand es in neueren Zeiten zunächst innerhalb der Auseinandersetzung mit dem Entmythologisierungsprogramm von R. -»Bultmann bzw. in den 80er Jahren, als eine neue Würdigung des Mythos vertreten wurde. Der Streit um das Programm von R. Bultmann (s. IV.) führte aber nicht eigentlich zu einer Grundsatzdebatte über die Rolle des Mythischen im christlichen Glauben überhaupt. Den Anhängern Bultmanns war ja gerade an der (durch Interpretation zu leistenden) Ausscheidung des Mythischen gelegen und seine Gegner verfochten vor allem, daß bestimmte Inhalte des christlichen Glaubens nicht preiszugeben seien. Auch wurde der Mythosbegriff Bultmanns mehrfach analysiert (so z. B. kritisch von H. Ott, Geschichte und Heilsgeschichte in der Theologie R. Bultmanns, Tübingen 1955), aber solche Bemühungen zielten mehr auf das Verständnis dieses Theologen und seines speziellen Mythosbegriffs, als auf die allgemeine Frage, inwiefern überhaupt das Christliche mit dem Mythischen verbunden sei. Bultmann deutet den „Mythos" als eine Verquickung zweier Elemente: Nicht-Welthaftes wird in ihm als welthaft dargestellt. Was eigentlich gar nicht raumhaft, zeithaft, greifbar sein will und kann, wird hier als leibhaftiges Ereignis, wird hier in den Kategorien unseres Verfügens über die Welt dargestellt. Der damit vorausgesetzte ontologische Gegensatz dürfte zurückgehen auf die entsprechende radikale Entgegensetzung, die Bultmanns Lehrer W. —»Hertmann vornahm. In der Zeit der Jahrhundertwende, als eine rationalistische und kausalmechanistische —»Wissenschaft sich überhaupt des Wirklichen zu bemächtigen schien, suchte Herrmann den Anschluß an die kantianische Philosophie (-»Kant/Kantianismus/Neukantianismus). Von dort übernahm er die These, es gebe zwei Arten von Wirklichkeitserfahrung, das wissenschaftliche Erkennen und die gänzlich andersartige sittliche Erfahrung. Herrmann konnte sogar so weit gehen, daß er eine strikte Trennung der beiden Sphären forderte. Mit der Aufnahme dieser Unterscheidung bezieht sich auch Bultmann auf ein Verständnis von Wissenschaft, wie es dem heute üblichen Selbstverständnis der —» Naturwissenschaften nicht mehr entspricht. Wenn nämlich erkannt ist, daß die naturwissenschaftliche Frage das Wirkliche nur unter dem Aspekt des Feststellbaren erfaßt, dann ist aus ihr kein —»Weltbild abzuleiten. Daß das Neue Testament fast durchgehend mythologisch redet, weiß Bultmann sehr wohl. Auf dem Hintergrund seiner eigenen ontologischen Unterscheidung muß aber das, was im Mythos vereint ist, zerlegt werden. Für uns bedeutsam bleibt das Selbstverständnis, das in derartigen mythologischen Vorstellungen ausgesprochen ist. Damit soll der christliche Glaube, befreit von den Bindungen an das „mythologische" Weltbild einer vergangenen Zeit, dem modernen Menschen erschlossen werden. Gegner Bultmanns (wie z.B. -»Barth) wandten freilich ein, daß bei einer solchen Konzentration auf das Selbstverständnis das neuzeitliche Denken zum Kriterium für die neutestamentliche Botschaft erhoben werde und daß wesentliche Inhalte des Neuen Testaments nicht mehr zum Tragen kommen könnten. Nach W. Pannenberg nimmt R. Bultmann eine Trennung zwischen Selbstverständnis und Weltverständnis vor, die so nicht zu vollziehen sei (Mythos und Rationalität 109f). In einer veränderten Zeit, in der wachsende Kritik an der Wissenschaft laut wird (die Zerstörung unserer Lebensräume erscheint als eine ferne Folge wissenschaftlicher Rationalität) und in der es Mode wird, sich verschiedenen Formen des Irrationalen zu überlassen, ist auch das Thema des Mythischen neu zur Debatte gestellt. So widmete sich auch der 6. Europäische Theologenkongreß (September 1987 in Wien) der Frage „Mythos und Rationalität". H . H . Schmid, der Herausgeber des gleichnamigen Bandes,
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faßt das Ergebnis dieser Zusammenkunft in folgenden Punkten zusammen: Es „zeichnete s i c h . . . - bei allen Differenzen im einzelnen - ein doppeltes Einverständnis ab: Auf der einen Seite war man sich bald darüber einig, daß die Themen ,Mythos' und ,mythisches Denken' für die Bereiche Religion, Theologie und Kirche von erheblicher Aktualität" sind. „Gegenüber der Bultmann-Debatte erfordern neue Bedingungen von Seiten der Erkenntnistheorie, der Mythenforschung, aber auch der Exegese und der Theolog i e . . . eine neue Reflexion dieses Problemkomplexes". „Auf der anderen Seite wurde...klargemacht, daß ,Mythos' und Rationalität' nicht einfach als Gegensätze begriffen werden können." Das mythische Denken verfahre in einer eigenen, spezifischen Rationalität bzw. müsse je und je auch in rationales Denken transponiert werden. Das Christentum dürfe nun allerdings nicht „plötzlich als mythische Religion" begriffen werden, jedoch sei zu seinem Verständnis „ein neues Verhältnis zum Mythischen" zu gewinnen. Überdies bilde das Mythische „ganz offensichtlich eine fundamentale, allgemein-menschliche Wahrnehmungskategorie..., die sich durch die aufgeklärteste Rationalität nicht verdrängen läßt. Neben und hinter der etablierten neuzeitlichen Rationalität leben zahlreiche Mythen der Gegenwart" (lOf). Die damit eröffnete Debatte ist, wie auch die divergierenden Referate des Kongresses zeigen, noch längst nicht zum Abschluß gekommen. 3. Die Aufgabe der Definition des
Mythischen
Jede wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Mythos steht zunächst vor einer kaum zu überwindenden Schwierigkeit: Was Mythos ist, ist schwer zu fassen. Es ist, wie viele Beispiele zeigen, offenbar nicht möglich, Mythos zu definieren. Das rührt vor allem daher, daß mythische Phänomene überaus wandelbar sind und sich auch vielfältig in anderes übersetzen. Daher kann jede Festschreibung meistens schnell durch einen anderen, abweichenden Befund wieder in Frage gestellt werden. Das hat die praktische Folge, daß bei den einzelnen Autoren, die über Mythos schreiben, die Vorstellungen vom Mythischen und seine Deutungen nicht unerheblich voneinander abweichen. Dies zeigt auch die verwirrende Vielfalt der Diskussion über den Mythos. Über die Geschichte der Mythos-Deutung informieren W. Burkert/A. H o r s t m a n n bzw. W. Schmidbauer ( 2 4 - 4 2 ) . Das Mythos-Verständnis der (neueren) Philosophie (insbesondere bei Blumenberg, Lévi-Strauss, Cassirer und Hübner) ist dargestellt und kritisch erörtert bei C . J a m m e ( 7 7 - 1 6 6 ) . Von der psychologischen Mythen-Deutung handelt W. Schmidbauer ( 4 3 - 1 7 1 ) .
In der Mythos-Diskussion kann man im groben drei Richtungen unterscheiden: Einerseits ist ein rein negativer Begriff von Mythos verbreitet. Schon das (deutschlateinische) Lexikon des Dasypodius (Straßburg 1536) erklärt Mythos als „erdichtete Märe, lateinisch fabula" (O. Merk: Mythos und Rationalität 173). Ganz entsprechend aber auch das Grimmsche Wörterbuch (VI, 2848). Insbesondere seit der Aufklärungszeit gelten Mythen als Ausdruck einer primitiven und heute überholten Denkweise. Sie sind teils bloßes Spiel der Phantasie, teils unsachgemäße Versuche, Naturerscheinungen zu deuten. So kann es nicht verwundern, wenn —»Theologie sich mehrfach dagegen verwahrte, mit Mythen verwechselt zu werden. Ein zweiter Typ schließt sich eng hieran an. Es ist das Konzept der Interpretation, das in exemplarischer Weise entwickelt wurde von dem Altphilologen Christian Gottlob Heyne (1729-1812) (vgl. Christian Hartlich/W. Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffs in der modernen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952). Hier wird der Mythos als eigenständige Ausdrucksweise gewürdigt. Zwar gehört diese Denkweise als solche einer vergangenen Zeit an, in der die wirklichen Ursachen der seelischen oder der physischen Vorgänge noch nicht erkannt waren, doch besteht die Aufgabe, zu erheben, was in dieser Ausdrucksform doch an Wahrem gemeint war. Eine solche Sicht der Dinge verbreitete sich in den exegetischen Disziplinen weithin. Man wird in diese Tradition auch noch die Konzeption von R. Bultmann einzureihen haben.
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Endlich wurde von Religionswissenschaftlern, Altphilologen und Philosophen nach und nach ein positiveres Verständnis von Mythos entwickelt. (Eine Übersicht über verschiedene neuere Stellungnahmen gibt die von K. Kerenyi herausgegebene Anthologie: Die Eröffnung des Zugangs zum Mythos, Darmstadt 1967). Malinowski erklärte, „daß es eine spezielle Klasse von Geschichten gibt, die für heilig gehalten werden, in Ritual, Sitte und Gesellschaftsordnung verkörpert sind und einen wesentlichen und machtvollen Anteil der primitiven Kultur bilden. Diese Geschichten... sind für die Eingeborenen die Aussage einer ursprünglichen, größeren und wichtigeren Wirklichkeit, durch die das gegenwärtige Leben, Schicksal und Wirken der Menschheit bestimmt ist und deren Kenntnis den Menschen einerseits mit Motiven zu rituellen und sittlichen Handlungen, andererseits mit Anweisungen zu ihrer Ausführung versieht" (Myth in Primitive Psychology, London 1926, 38 f, dt. von I. Oehler). Durch die Arbeiten vor allem von K. Kerenyi, Walter F. Otto und M. Eliade wurde ein neues Verständnis des Mythischen entfaltet. Die Aufgaben, die der Theologie hieraus erwachsen, sind erkannt in W. Pannenbergs richtungsweisender Studie über „Christentum und Mythos". Der folgende Versuch einer Kennzeichnung stützt sich auf die angegebenen Autoren. Mythen können im groben beschrieben werden als Erzählungen (a) von Göttern (b) über Grundlegendes (c) für die Hörer (d). a. Gewöhnlich werden Mythen erzählt (—»Erzählung). Sie können aber auch durch andere Medien übermittelt werden, durch Handlungen und Riten (-»Ritus), durch —•Bilder und —»Symbole, durch —»Spiel und —»Tanz. Sie können zusammengefaßt werden in einer kurzen Devise oder in einem Zeichen (—»Semiotik). Aber auch solche anderen Weisen der Weitergabe bedürfen in der Regel des erklärenden und deutenden Wortes, eben der mythischen Geschichte. Was solche Erzählungen zu mythischen macht, wird man kaum nur durch formale Kriterien bestimmen können; insofern wird es nicht möglich sein, eine Gattung der mythischen Erzählung herauszuarbeiten. Die Eigentümlichkeiten mythischer Erzählungen werden vielmehr durch die unten zu gebenden Näherbestimmungen ( b - d ) anzugeben sein. Abzugrenzen sind mythische Erzählungen gegenüber Sagen und Legenden sowie gegenüber Märchen. Mythen können zwar auch in solche Erzählweisen übergehen, doch heben sie sich davon ab durch die ihnen eigene grundlegende Bedeutsamkeit. Mythen haben vielfach einen historischen Anlaß oder Anhalt. Sie unterscheiden sich aber vom historischen Bericht darin, daß sie Urbildliches, Verbindliches zum Ausdruck bringen wollen. So lösen sich die Mythen gewöhnlich von ihren historischen Anlässen ab. Die erzählerische Konkretheit der Mythen widerstrebt aber auch dem Begriff, und ihre Besonderheiten sowie ihre Bezogenheit auf je einzelnes grenzen sie ab gegenüber der Allgemeinheit von Ideen. b. Mythische Erzählungen handeln von Göttern (-»Gott), aber auch von Heroen, von Menschen, von Tieren, von Pflanzen oder von Naturgewalten. Es ist aber angebracht, hier zuerst die Götter zu nennen, weil gerade die Götter es sind, die die vorgegebene und vorfindliche Weltordnung setzen bzw. je neu aufrechterhalten. Mythische Vorgänge sind öfter übermenschlich und wunderhaft, unbekümmert um das, was sonst in Raum und Zeit üblich ist. Sie erscheinen auch manchmal verwickelt und widersprüchlich, doch kann gerade darin eine eigentümliche Logik walten. c. Mythen erzählen von Grundlegendem. Nicht irgend etwas Einstiges, sondern das, was von jeher gilt, oder das, was bis heute verbindlich und tragend ist, ist ihr Thema. So berichten Mythen vom Grund oder vom Entstehen des gesamten Wirklichen, von der Weltentstehung, so auch von der Herkunft eines Stammes, der z.B. auf einen Stammvater als Verheißungsträger zurückgeführt wird oder auf eine schützende Gottheit, so überhaupt von der begründenden Entstehung oder der Stiftung einer Einrichtung oder einer Realität. So bewahren Mythen auch Grunderfahrungen des Menschen auf, die sich immer wieder bewähren.
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In diesem Sinne berichten Mythen öfter von dem, was „im Anfang" war. Dies meint nicht eine abliegende Vergangenheit, sondern eine Urzeit, die alles Folgende prägt oder bestimmt, von der alles Heutige immer schon herkommt. Manche Autoren (wie A.E. Jensen, H. Baumann und W. Pannenberg, Mythos und Rationalität 112) wollen Mythos und Ätiologie scharf unterscheiden. Während der Ätiologie an der Erklärung einer jetzt gegebenen Besonderheit gelegen sei, spreche der Mythos von den immer schon alles bestimmenden Urgegebenheiten. Dieses Urteil mag idealtypisch vertretbar sein, doch kann bei den vorhandenen Mythen dieser Unterschied auch verfließen, so daß mit Recht auch von ätiologischen Mythen gesprochen wird. Dasselbe gilt auch von der Entgegensetzung, die F. Stolz zwischen dem Mythos und der Philosophie der Vorsokratiker vornehmen will (Mythos und Rationalität 91). Sowohl Mythen wie philosophisches Denken sind gleichermaßen an der Herkunft des Gegebenen aus dem Uranfang interessiert. Sie unterscheiden sich jedoch im Verständnis der Ursächlichkeit. Die Ursachen, welche die Philosophen benennen, müssen argumentativ zu vertreten sein. d. Ein Mythos wird gewöhnlich dazu erzählt, daß der Hörer, dem die Erzählung bestimmt ist, sich damit identifiziere. Eben deswegen muß Mythos überliefert, dargeboten, erzählt werden. Der Hörer soll darin aufgenommen werden, soll Bergung und Orientierung erfahren. Die Übermittlung des Mythos ist daher ein notwendiger Vorgang. Die Überlieferung des Mythos gewinnt daher nicht selten den Charakter des —»Festes oder gottesdienstlicher Handlungen (—»Gottesdienst). Damit hängt es auch zusammen, daß viele Mythen einen spezifischen Geltungsbereich haben, weil sie eine bestimmte Gruppe von Menschen betreffen. Mit dieser Beziehung der Mythen auf ihre Hörer wird aber auch ein weiteres Kennzeichen des Mythischen zusammenhängen, nämlich seine eminente Wandelbarkeit. Ein Mythos kann in immer neuen Fassungen erzählt werden, er kann auch mit einem anderen Mythos kombiniert bzw. identifiziert werden, so daß ganze Gruppen oder Familien von Mythen entstehen. Dabei können Mythen auch werden und vergehen. Bestehende Mythen können auch entmachtet und verdrängt oder durch andere ersetzt werden. Mythen können unverständlich werden oder herabsinken zum bloßen Unterhaltungsstoff oder zum Märchen. Mythen können in Krisen geraten, sie können aber auch wieder erweckt werden. Einige Beispiele für solche Krisen von Mythen seien erwähnt: die Infragestellung der -»griechischen Religion in der Zeit des Peloponnesischen Krieges und der Sophistik; die Verdrängung der antiken Religionen durch das Christentum; die Kritik des Mythos durch die —»Aufklärung. Diese herausgegriffenen Beispiele zeigen, daß die Motive zur Ablehnung keineswegs einheitlich sind. Während z.B. das frühe Christentum gegen die heidnische Religion vor allem aus inhaltlichen Gründen kämpft, will die Aufklärung das Mythische eliminieren wegen seiner Art und Weise, wegen seiner fehlenden Rationalität. Mythen sind offenkundig geschichtlich und können daher nicht beliebig in Anspruch genommen oder reproduziert werden. Wer etwa für „den" Mythos werben will, wird sich daran machen müssen, einen konkreten Mythos zu erwecken oder zu vermitteln. Nachdem diese Grundzüge des Mythischen benannt sind, ist noch kurz auf einige Interpretationsfragen hinzuweisen: a. Mythos als Struktur. Im Unterschied zur hier gegebenen Erklärung hat C. LéviStrauss versucht zu erheben, was Mythen in all ihren Inhalten, Formen und Funktionen eigentlich zur Sprache bringen, nämlich eine Struktur, deren Grammatik es herauszuarbeiten gilt. Eine solche Strukturanalyse setzt die urbildliche Bedeutung des Mythischen ebenfalls voraus. Sie will allerdings zeigen, daß in ihm vor allem bestimmte Grundgegensätze dargestellt werden, die uns Menschen als handelnde Wesen immer schon bestimmen, wie etwa den von -»Natur und -»Kultur. Der Mythos vermag dabei nur solche Spannungen zu benennen, nicht aber sie zu lösen. I.U. Dalferth spricht daher in diesem Sinne von einem „tragischen Charakter" des Mythischen (280). Bei aller Sachhaltigkeit solcher Analysen dürften sie doch ein allzu enges Verständnis des Mythischen voraussetzen.
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b. Mythos und Rationalität, Ontotogie des Mythischen. Vor allem K. Hübner (Die Wahrheit des Mythos) hat versucht, unter Aufnahme der neueren Mythosforschung eine —»Ontologie des Mythischen herauszuarbeiten. U.a. anhand des Arche-Begriffs, des Raum- und des Zeitverständnisses oder überhaupt der Erfassung des Gegenständlichen zeigt Hübner das mythische Erfassen auf als Weise eines ganzheitlichen Welterkennens. Damit stehe es in scharfem Gegensatz zur Rationalität neuzeitlicher Wissenschaft. Auf die damit gestellten systematischen Fragen wird unten noch einzugehen sein (5.). Was den Mythos anlangt, so enthält er selbst keine Tendenz gegen die Ratio. Seine spezifische —»Logik, seine Weise der Begründung, seine -»„Wahrheit" werden von Hübner treffend herausgearbeitet. Wohl vollzieht die neuere Wissenschaft, welche angetreten ist mit dem Anspruch, genauere und zutreffendere, weil auf Empirie gestützte, Erkenntnis zu liefern, eine Abwendung vom Mythischen, aber nicht etwa umgekehrt. So ist es kein Zufall, daß z.B. in den Texten der Vorsokratiker Mythisches und Wissenschaftliches kaum zu trennen sind. Dasselbe gilt auch von einem Text wie Gen 1. Wenn von einer Ontologie des Mythischen zu sprechen ist, so kann dies jedenfalls nicht gelten im Sinn eines bewußten Programms, sondern allenfalls im Sinn einer impliziten Voraussetzung. Es ist auch zu prüfen, wie weit solche „Ontologie" Geltung hat, worauf sie sich erstreckt und worauf nicht. Nicht selten kommt jedenfalls bei einem Menschen oder innerhalb einer Kultur mythisches Denken zusammen mit andersartigen Denkweisen vor. c. Herkunft der Mythen. Diese Frage ist seit jeher umstritten. Entstammen sie menschlicher Phantasie oder Fabulierlust? Dienen sie bestimmten Bedürfnissen des Menschen, etwa dem nach Schutz und Geborgenheit oder nach Orientierung und Sinngebung? Sollen sie bestehende Einrichtungen legitimieren oder stabilisieren? Man versuchte psychologische Deutungen des Mythos oder man fragte nach seinen subjektiven Konstitutionsbedingungen. Oder andererseits wurde gefragt: Sind Mythen transzendenten Ursprungs? Verdanken sie sich göttlicher Offenbarung? Leidenschaftlichen Protest gegen die Ableitung des Mythischen aus der Psyche erhob W. F. Otto (Theophania). Ob Mythen einen anthropologischen oder einen transzendent-theologischen Ursprung haben oder ob sie sich aus den Gegebenheiten der Welt heraus anbieten, solche Fragen dürften der wissenschaftlichen Erkenntnis ebenso entzogen bleiben, wie die nach dem Ursprung geistiger Bewegungen oder von Religionen. Es ist jedenfalls vor der Illusion zu warnen, als sei für uns die Herkunft derartiger Phänomene leichthin zu durchschauen. 4. Mythos
im christlichen
Glauben
Schon ein erster Blick zeigt, daß der christliche Glaube vielfach und vielfältig von Mythischem durchdrungen ist. Die angegebene Kennzeichnung des Mythischen läßt sich Zug um Zug durch biblische oder durch dogmatische Belege illustrieren. Die Verflechtung mythischer Elemente in das Alte und Neue Testament hat in umfassender Weise W. Pannenberg aufgezeigt (Christentum und Mythos 2 7 - 6 5 ) . Die alttestamentliche Exegese folge noch weithin dem Urteil von H. —»Gunkel, nach dem zwischen der JahweReligion und den Mythen vor allem ein Gegensatz bestehe. Dagegen arbeitet Pannenberg eine Fülle mythischer Elemente im Alten Testament heraus, und zwar im Zusammenhang des altisraelitischen Zeit- und auch des Raumverständnisses, im Bereich des Kultes und des Königtums, im Blick auf die Schöpfungsüberlieferungen (—»Schöpfer/Schöpfung) und in zahlreichen anderen Zusammenhängen. In der neutestamentlichen Exegese hingegen sei die Tendenz verbreitet, „eine sehr erhebliche Einwirkung mythischen Denkens auf das Urchristentum anzunehmen, gleichzeitig jedoch diese mythischen Züge als dem eigentlichen Geist des Evangeliums fremd zu deklarieren" (57). Die Bedeutung des Mythischen zeigt Pannenberg im Zusammenhang der Christologie (—»Jesus Christus): „Die Geschichte Jesu [mußte] archetypische Bedeutung für seine Gemeinde gewinnen" (59). In einer späteren Arbeit nennt Pannenberg in diesem Zusammenhang auch das Verhältnis
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des Herrn zu den Christen, die sich in ihrer ganzen Existenz als Nachfolger seines Urbildes verstehen, und den christlichen Gottesdienst (Mythos und Rationalität 118). Die -»Bibel, das Alte wie das Neue Testament, kann als ganze als Erzählung einer Geschichte aufgefaßt werden. Unser Glaube ist ein „Glaube aus dem Hören heraus". Die Übermittlung seiner Sache durch erzählende Rede ist für ihn konstitutiv. Der gesamte christliche Gottesdienst trägt mythischen Charakter, durch seine Bezogenheit auf das biblische Wort, welches in der -»Predigt die Hörer mit einbeziehen will, indem ihnen die Erlösung vermittelt wird, durch die -»Sakramente, die dem Hörer das -»Heil übermitteln, ja als ganze Veranstaltung überhaupt, in welcher das Heilsgeschehen vergegenwärtigt und den Gläubigen zugeeignet bzw. von ihnen unter Lobpreis und Anbetung empfangen wird. Der Schöpfungsglaube ist mythisch geprägt. Er redet ja von einer immer schon geltenden Bestimmtheit alles Wirklichen durch die Schöpfungsmacht Gottes. Er handelt von Urständ, Fall und Erhaltung, die solche Qualifizierungen bilden, von denen alles Vorhandene immer schon herkommt. Die Christologie hat zu ihrem Kern das Heilsgeschehen insbesondere im Tode Jesu, seinen Tod am —» Kreuz für die —»Sünden der Welt, seine Auferweckung als Anbruch einer neuen Schöpfung. All dies sind Ereignisse, welche eine urbildliche, eine prinzipiell alles bestimmende Kraft besitzen, in die die Hörer sich hineinbergen, aus denen sie Erlösung, Kraft und Orientierung gewinnen können. Nicht von ungefähr ist das Zeichen des Kreuzes zum (zusammenfassenden, mythischen) Symbol unserer Religion geworden. Das von Jesus Christus erworbene Heil, die Sündenvergebung und das neue Leben, werden durch die Kraft des Heiligen —•Geistes an Menschen real. Das dort geschehene Urbildliche wird hier lebendig. Damit trägt auch dieses gesamte Wirken des Heiligen Geistes und damit tragen auch die —»Gemeinde und die —»Kirche und trägt das Sein des einzelnen Christen mythische Züge. Christen erwarten eine Vollendung, in welcher Gott seinen Willen gegenüber allem Wirklichen durchsetzen wird. Auch solche Erwartungen einer künftigen Welt, in welcher die —»Herrschaft Gottes alles durchdringt, sind allumfassende, bergende, mythische Vorstellungen. Muß schließlich nicht auch Gott selbst, Gott, der sich ein Volk erwählte, der seinen -»Namen bekanntgab und der sich einließ auf diese Geschichte, Gott, der endlich selbst Mensch geworden ist, lebte, litt und starb, Gott, der als Geist in den Christen das Glauben und das Hoffen und das Lieben bewirkt, muß nicht auch ein solcher Gott als mythisch bezeichnet werden? Von ihm wird als wesentliche Offenbarung eine Geschichte erzählt, welche an denen, die sie hören, —»Gericht und Erlösung bedeutet und vollziehen will. Auch ein religionsgeschichtlicher Vergleich führt zunächst zu einem ähnlichen Ergebnis. Fragt man nämlich nach dem Anteil des Mythischen in den einzelnen Religionen, so kann jedenfalls nicht das Christentum als die am wenigsten mythische Religion bezeichnet werden. Dies könnte eher gelten von der —»römischen Religion oder von Formen des -»Buddhismus und vor allem vom -»Islam. Dagegen weisen etwa die altgriechische oder die indischen Religionen (-»Hinduismus) in noch weit stärkerem Maße (als die christliche) einen mythischen Charakter auf. Dennoch läge eine unzulässige Vereinfachung darin, wollte man den christlichen bzw. den alttestamentlich-jüdischen Glauben nur einfach als mythisch bezeichnen. Es gibt auch Eigentümlichkeiten dieser Glaubensweisen, die sich aus dem Mythischen herausheben. Hier sind vor allem drei Elemente zu nennen: a. Die Bedeutung des Geschichtlichen (-»Geschichte). - b. Der personale und der sittliche Charakter der Gottesbeziehung. - c. Die Weltüberlegenheit Gottes. a. Eine Besonderheit des biblischen Denkens liegt darin, daß hier das geschichtliche Ereignis maßgeblich wird. Darin unterscheidet sich das hebräische Denken von der zyklischen Denkweise der Ägypter oder der Griechen. Nach ägyptischer Vorstellung bleibt die Weltordnung bestehen, die zwar gefährdet sein mag und die je und je der Weiterführung oder der Erneuerung bedarf, in der es aber nicht eigentlich Neues gibt. Oder nach griechischer Sicht zeigen sich in der Geschichte immer wieder bestimmte Grund-
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muster menschlichen Verhaltens. Nach hebräischer Auffassung kennt dagegen die Geschichte einschneidend neue, das Bisherige umstürzende und Neues schaffende Geschehnisse. Gottes Bundesschluß (-»Bund) ist geschichtliches Ereignis. Gott richtet in geschichtlichen Katastrophen. Seine Rettung vollzieht sich in Vorgängen und Ereignissen. Dies gilt, in zugespitztem Maße, auch vom Neuen Testament. „Als die Zeit erfüllt w a r " , handelte Gott, indem er seinen Sohn sandte. Das Kommen Gottes zur Herrschaft, die Fleischwerdung des Sohnes Gottes, endlich aber der Tod am Kreuz und die Auferwekkung von den Toten, dies alles sind in der Geschichte stattfindende Vorgänge und Ereignisse, durch die weltenwendendes Neues geschieht. An solchen Ereignissen hängt der Glaube. In solchen geschichtlich kontingenten Handlungen zeigt und erweist sich Gott. Dies alles räumt dem geschichtlichen Ereignis eine nicht zu überschätzende Bedeutung ein. b. Beispielsweise knüpfen die biblischen Schöpfungsgeschichten in vieler Hinsicht an die auch sonst erzählten Mythen an. Hinter manchen dieser Geschichten können wir solche Mythen mehr oder weniger deutlich ausmachen. Eine Besonderheit der biblischen Fassung liegt aber darin, daß in ihr die Verantwortung des Menschen vor Gott, daß Gottes —»Gebot und die Sünde des Menschen zentrale Bedeutung erhalten. Die Erschaffungsgeschichte findet ihren eigentlichen dramatischen Höhepunkt erst in der Geschichte vom Sündenfall, die dann das weitere Verhalten Gottes bzw. der Menschen (—»Mensch) bestimmt. Gottes grundlegende Erwählung des Volkes Israel schließt ein die Kundgabe seines Willens. Damit entsteht jenes Gefüge von Gehorsam und göttlichem Segen bzw. vor allem umgekehrt von Ungehorsam und Gericht Gottes, wie es z.B. die prophetische Verkündigung kennzeichnet. Die Gottesbeziehung ist wesentlich durch moralische Kategorien bestimmt. Gott ist ein Gott der liebevollen Zuwendung, die den Menschen herausruft, ihn geradezu als —»Person konstituiert und die ihn voll und ganz beansprucht. All dies findet seine volle Bestätigung im Neuen Testament. Der Tod Jesu ist vor allem Gericht über die Sünde, welches die Vergebung und das neue Leben der Auferstehung ermöglicht. Christen sind herausgerufen zum Glauben, der sich seine Sünde vergeben läßt und der die Kraft zu neuem Leben empfängt. So zielt das geschichtliche Handeln Gottes geradezu darauf ab, eine personale Lebensgemeinschaft zwischen Gott und Mensch zu ermöglichen. c. Gegenüber dem Mythos ist in der Bibel das Verhältnis Gottes zur Welt in anderer Weise bestimmt. Wie W. E Otto (Die Götter Griechenlands), K. Kerenyi (Die Mythologie der Griechen, Die Heroen der Griechen u.a.) oder neuerdings J. Assmann (Ma'at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten) gezeigt haben, sind diese Götter dem Geschehen in der Natur, den Kräften der Natur, ihrem Werden und Vergehen, eng verbunden. Der biblische Gott hingegen steht der Welt prinzipiell gegenüber. Sie verdankt sich seinem souveränen Befehl. Es ist seine freie Tat, wenn er sich mit seiner -»Erwählung seinen Geschöpfen zuwendet. Ebenso bildet Gottes Kommen in Jesus Christus, auch wenn sich in ihm sein Wesen, seine -»-Liebe, erfüllt, dennoch ein freies Eingreifen, ein —»Wunder, durch das er eine neue Welt setzt. Gott ist nicht einfach mit dieser Welt verwachsen, sondern er ist ihr freier Herr, der sie aus Liebe heraus gesetzt hat, um seine Geschöpfe zu partnerschaftlicher Gemeinschaft zu gewinnen. Dieser Weltüberlegenheit Gottes entspricht auch eine vom Mythos grundlegend unterschiedene Weise, wie Menschen von Gottes Walten getroffen werden. M a n könnte sagen: Während der Mythos den Menschen vor allem einbezieht, eingliedert, einbindet, bedeutet die Begegnung mit diesem Gott vor allem ein Herausgerufen werden. Es ergibt sich also einerseits, daß der christliche Glaube entscheidend von Mythischem geprägt ist, andererseits jedoch, daß er sich auch in wesentlichen Zügen vom Mythos abhebt. Dieses Doppelurteil wird seine Geltung beanspruchen können, selbst wenn im einzelnen die Verhältnisbestimmungen zwischen christlichem Glauben und Mythischem noch anders zu treffen sein sollten. Damit ist aber erst die eigentliche Aufgabe gestellt. Wie ist die Existenz von mythischen Elementen im christlichen Glauben zu beurteilen?
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Kann man hier überhaupt zwischen Mythischem und Nichtmythischem trennen? Ist es möglich und geboten, das Mythische zurückzudrängen oder auszusondern? Oder ist es hinzunehmen und zu bejahen? R. Bultmanns Unternehmen einer „Entmythologisierung" des christlichen Glaubens wurde oben schon erwähnt. Im Gegensatz dazu arbeitete W. Pannenberg die Verflochtenheit des M y t h o s in das Christliche heraus. Freilich geschieht dabei eine eigentümliche Umformung des Mythischen. Schon das Alte Testament vollzieht eine „Historisierung des M y t h o s " (Christentum und Mythos 43). Die mythische Vorstellungswelt wird überschritten im typologischen Denken, welches mit einer neuen, das Bisherige überschreitenden Zukunft rechnet. Freilich erhalten dann eben diese eschatologischen Zukunftsbilder (-»Eschatologie) eine „Funktion als Gegenbilder zur gegenwärtigen Erfahrungswirklichkeit" (55), die archetypisch ist. Im Neuen Testament liegt der maßgebliche Ursprung in einem geschichtlichen Geschehen, das unmythisch ist, nämlich in der Lebensgeschichte Jesu von Nazareth. Doch eben diese erhält nun eine grundlegende Bedeutung. „Der christliche ,neue M y t h o s ' entstand als Auslegung des Sinngehalts eines geschichtlichen Geschehens" (58). Jesus selbst verstand die Gottesherrschaft als etwas, was in seinem Auftreten schon im Anbruch ist. „Dadurch wurde die Gestalt Jesu für die Glaubenden als historische zugleich Erscheinung des Absoluten in der Geschichte, Inkarnation G o t t e s . . . D a r u m k o m m t nun für die Menschen alles darauf an, in Verbindung mit ihm zu kommen und zu b l e i b e n . . . D a r u m mußte die Geschichte Jesu archetypische Bedeutung für seine Gemeinde gewinnen" (59). In seinem Wiener Vortrag stellt Pannenberg zwar die Sachverhalte ähnlich dar, doch setzt er nun die Akzente anders. Hier kann er resümieren: Wird der M y t h o s verstanden als „archetypisches Ursprungsgeschehen", so ist „in diesem Sinne des Begriffs M y t h o s . . . d i e christliche Religion im ganzen nicht als mythisch zu bezeichnen". „Die universale Geltung des Heilsgeschehens über den Umkreis jüdischer Traditionen hinaus wird durch die Identität des biblischen Gottes mit dem einen Gott der philosophischen Theologie und Religionskritik verbürgt, nicht durch den M y t h o s " (Mythos und Rationalität 121). Dann wäre aber das Mythische nur eine bildhafte Einkleidung. Dalferth geht davon aus, daß in den religiösen Texten eine spezifische Verbindung von Mythen, Riten und dogmatischen Aussagen vorliege. „In der Tragik des M y t h o s [wird] paradigmatisch die Aporie menschlicher Existenz für die theologische Betrachtungsweise als Heilsbedürftigkeit des Menschen m a n i f e s t . . . in den zentralen Ritualen einer Religion [wird] das Heil paradigmatisch präsentiert und seine Zugänglichkeit prakt i z i e r t . . . [während] die Dogmatik das Heilsverständnis einer Religion über begriffliche Modellbildungen zur Sprache bringt, die sich paradigmatisch immer auch auf solche Ritualstrukturen gründen" (291). Das Mythische ist damit in einer m.E. einseitigen Weise bestimmt, und die Frage nach dem Verhältnis zwischen M y t h o s und christlichem Glauben wird nicht in umfassender Weise gestellt. Offenbar muß die Frage nach der Rolle und der Bedeutung des Mythischen für den christlichen Glauben noch weiter geklärt werden. M a n kann in der Tat die verschiedenen Eigentümlichkeiten des M y t h o s darin zusammenfassen, daß man ihn kurz als archetypisches Urgeschehen bezeichnet. Und man kann andererseits die Besonderheiten des jüdischen und des christlichen Glaubens darin bündeln, daß hier das geschichtliche Ereignis das Entscheidende ist. M a n wird aber bei einer solchen Unterscheidung nicht stehenbleiben können. Vielmehr ist in den biblischen Texten eine spezifische Verschränkung von Mythischem und Geschichtlichem erreicht. Die biblische Botschaft hängt an geschichtlichen Ereignissen, aber diese erhalten eine urbildiche, damit eine mythische Bedeutung und diese Ereignisse werden auf mythische Weise übermittelt. Das Geschichtlich-Kontingente trägt hier das ganze Gewicht der Ewigkeit. Das Ereignis gewinnt mythische Funktion. Weil dabei das Ereignis dominiert, wird jetzt die unendliche Wandlungsfähigkeit, welche sonst den Mythos kennzeichnet, beendet und ersetzt durch definitive Einmaligkeit.
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Diese Analyse muß noch in einigen Punkten verdeutlicht werden. Die Verbindung von Jüdisch-Christlichem mit Mythischem ist nicht so zu verstehen, als seien in einen ursprünglich rein geschichtlichen Glauben von außen her später mythische Elemente eingedrungen. Vielmehr hat in diesen Glaubensweisen, so weit wir sie zurückverfolgen können, immer schon das Geschichtliche eine archetypische Bedeutung. Die Vereinigung des Geschichtlichen mit dem Mythischen, wie sie hier zustandekommt, bedeutet auch nicht, daß damit „das" Mythische überhaupt anerkannt, rezipiert oder unterstützt werde. Es ist ja unübersehbar, mit welcher Schärfe sich das Alte Testament etwa gegen die kanaanäische —• Naturreligion zur Wehr setzt oder mit welcher Kompromißlosigkeit das junge Christentum die heidnischen Religionen ausschließt. Mythen existieren jeweils als konkrete, mit je besonderen Inhalten. Das Verhältnis, das der christliche Glaube zu ihnen einnimmt, richtet sich offenbar in erster Linie nach deren Inhalten. Wenn das Christentum bei seiner Ausbreitung antike Mythologeme okkupiert und adaptiert, so geschieht das schwerlich zum Zwecke der Anknüpfung oder der Beglaubigung, sondern weit eher als Herrschaftsakt oder als Indienstnahme. Durch seine Bindung an Geschichtsereignisse bzw. an den Gott, der zu personaler Gemeinschaft beruft, steht der christliche Glaube den anderen Mythen, die eine derartige Zuspitzung nicht erreichen, kritisch gegenüber. Eine Eliminierung des Mythischen aus dem christlichen Glauben aber ist undurchführbar. Das Mythische ist hier nicht nur eine äußere Einkleidung, sondern es gehört zur Sache selbst. Bultmanns Entmythologisierung zielte nicht derart weit. Er warf nur die Frage auf, die grundsätzlich je neu zu stellen ist, inwiefern ein heutiger Mensch sich die biblische Botschaft, deren Weltbild ein anderes ist, aneignen könne. Eine wirkliche Entmythisierung aber müßte z.B. auch auf die in Christus geschehenen Heilsereignisse verzichten oder müßte auch den Gottesdienst, die Heilsvermittlung durch Wort und Sakrament, aufheben. Dies beseitigte den Glauben selbst. 5. Christlicher
Glaube
im Verhältnis
zu
Mythen
Elemente des Mythischen bestimmen uns in vielfältiger Weise. Unser gesamtes Denken, Handeln und Empfinden ist überhaupt nur möglich unter kollektiven und individuellen Leitvorstellungen. Solche Leitvorstellungen kann man in einem weiteren Sinne als Mythen bezeichnen. Beispiele, die dafür anzuführen wären, sind zahllos. R. Barthes hat versucht, Mythen im modernen Alltag aufzuspüren. Hinweisen könnte man auch auf die Kraft der Mode, welche diktiert, was „ m a n " trägt, oder auf die Phänomene des Sports mit seinen Zeremonien und mit seiner kollektiven Begeisterung für „unsere" Mannschaft. Auch die geistigen Moden des jeweiligen Zeitgeistes wären hier zu nennen. Die —•Kunst ist ein durch und durch mythisches Unternehmen. Jedes einzelne Kunstwerk nimmt eine mythische Welt in Anspruch, bildet seinerseits ein mythisches Ereignis und richtet einen mythischen Kult auf. Das gilt keineswegs nur für solche Werke, bei denen solche Beziehungen zum Mythischen ausdrücklich werden, wie z. B. bei R. Wagner oder bei P. Gauguin. Selbst die "Wissenschaft, die in ihrer eigentlichen Durchführung amythisch ist, wird doch betrieben unter Leitvorstellungen, die man mythisch nennen kann, bzw. richtet durch ihr gesamtes Wirken ihrerseits Mythen auf. Was I. Kant als „regulative Ideen" beschrieben hat, ist notwendige Rahmenbedingung für die wissenschaftliche Erkenntnis. Offenkundig wird das Feld des -»•Staates, der -»Politik und der Gesellschaft in vielfältiger Weise von Mythischem bestimmt. Die Vorstellungen, welche eine bestimmte Menschengruppe vereinen, z.B. zu einem Volk oder zu einer Partei, sind mythischer Art. In den neueren Zeiten, in denen die älteren ständischen Ordnungen zerbrochen sind, bedarf es offenkundig neuer, die Einzelnen zu einem Ganzen verbindender Ideen. So ist es wohl nicht zufällig, daß hier auch Ideologien andrängten, die eine grauenvolle Herrschaft übten. So wenig es möglich sein wird, derartige mythische Elemente über-
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Mythos V
haupt zu beseitigen, so dringlich ist doch der Kampf darum zu führen, welche Mythen uns bestimmen. Diese Sachverhalte selbst sind hier nicht weiter zu analysieren, einzugehen ist aber auf die Frage, welche Aufgaben der Theologie im Blick auf derartige Mythen entstehen. Die verschiedenen Grundsatzfragen, die hier hereinspielen (das Verhältnis des christlichen Glaubens zur Kultur, die Frage der „natürlichen" Offenbarung, die sogenannte —•Zweireichelehre, das Verhältnis von „Christus" und „Schöpfung" usw.) sind umstritten und können hier nur erwähnt werden. Jedenfalls faktisch wird die Theologie im Blick auf derartige Mythen nur eine Kontrollaufgabe wahrnehmen können. Solche Mythologeme werden - entsprechend der Unterscheidung von „Urständ", „Fall" und „Erhaltung" - in einer dreifachen Weise zu würdigen sein. a. Sie bilden ein Mittel, durch das Gott unser Leben in der Welt ermöglicht, ordnet und stabilisiert. Wir bedürfen, als Einzelne wie als Gemeinschaften, bergender und regelnder Leitvorstellungen. Nur so können wir überhaupt unser Leben führen. Insofern ist in solchen Mythen ein Stück von Gottes guter Schöpfung wirksam. b. Unübersehbar sind aber auch die Gefahren, die sich auf diesen Feldern ergeben. Derartige Mythen können verabsolutiert werden. Das aber bildet einerseits einen Eingriff in die Majestätsrechte Gottes, und das führt andererseits zu einer Knechtung und Vergewaltigung des Menschen. Solche Mythen müssen daher relativiert werden, wenn sie dienlich sein sollen. Diese Mythen entfalten sich je nach ihren Lebenszusammenhängen nach eigenen Gesetzen. Dennoch wird Theologie darauf dringen müssen, daß auch für sie letztlich der Wille und das Gebot Gottes als verbindliche Norm gelten. c. Was diese Mythen uns gewähren, ist nur eine vorläufige Ordnung und Bergung, die stets zerbrechlich ist und in sich widersprüchlich bleibt. Dem Mythischen darf nicht ein messianischer Wert oder die Vollkommenheit der Erlösung zugeschrieben werden. Diese Mythen sind nur solange hilfreich, solange ihre Vorläufigkeit erkannt wird. Darin bilden sie aber einen indirekten Hinweis auf die wirkliche Erlösung durch Jesus Christus. Wie hat sich der christliche Glaube zu entscheiden im Streit zwischen „Mythos und Rationalität"? Soll er sich auf die Seite derer schlagen, die der allzu engen Rationalität der Wissenschaft die ganzheitliche und umfassende Weltsicht des Mythos entgegensetzen wollen (wie K. Hübner)? Oder soll er denen beitreten, welche die wissenschaftliche Vernunft aufbieten wollen als Gegenmittel gegen einen heraufziehenden Irrationalismus (wie z.B. E. Topitsch oder R. Barthes)? Diese beiden Devisen stehen übrigens nicht im Verhältnis des Widerspruchs zueinander. Man kann, gerade mit den Erfahrungen, die in unserem Jahrhundert mit Ausbrüchen des Irrationalen zu machen waren, mit gutem Recht dagegen kämpfen. Und man kann ebenfalls mit guten Gründen auf Einseitigkeiten einer nur wissenschaftlichen Welterfassung hinweisen. So drängt eine solche Auseinandersetzung über den Mythos zunächst auf eine Klärung des Vernunft-Begriffs. Die Grundsatzfrage, wie sich christlicher Glaube zu Vernunft oder Wissenschaft (was immer darunter näher zu verstehen ist) verhält, bedarf ebenfalls eigener Erörterung. Die dafür wesentlichen Entscheidungen sind bereits im Neuen Testament gefallen. Dort wird zwar das radikal Neue und Wunderhafte von Gottes Erlösungshandeln betont, aber dennoch wird festgehalten, daß die Neuschöpfung Gottes nicht etwa ein bloß ekstatisches und irrationales Jenseits bildet, sondern daß das Neue sich am Alten erweisen und durchsetzen will. Es ist deswegen auch keineswegs zufällig, wenn sich gerade im Christentum in solchem Maße ein Denken über den Glauben entfaltete. Der christliche Glaube muß sich daher dann, wenn ein prinzipieller Irrationalismus propagiert wird, entschieden verweigern. Er hat aber auch keinen Anlaß, sich einem Rationalismus zu verschreiben, für den nur die feststellbaren Gegebenheiten das Wirkliche ausmachen. Nach allem, was hier ausgeführt wurde, ist es allerdings weder möglich noch sinnvoll, Mythen überhaupt durch bloße Rationalität zu ersetzen. Wir bedürfen vielmehr der rechten, der humanen und der gegenüber Gott offenen Mythen.
Mythos VI
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Friedrich Beißer VI. Praktisch-theologisch 1. Unterschiedliche M y t h o s k o n z e p t i o n e n (Literatur S . 6 6 5 )
2. M y t h o s als T h e m a der Praktischen T h e o l o g i e
Die Praktische Theologie steht vor der Aufgabe, für den Umgang mit Mythologie methodologische Strukturen zu reflektieren und Bearbeitungsraster zu erstellen. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, daß der Begriff „Mythos" vieldeutig ist und in humanwissenschaftlicher Forschung verschieden erfaßt wird. 1. Unterschiedliche
Mythoskonzeptionen
1.1. Als in der Regel märchenhafte und fabulös-phantastische Erzählung scheint er in einem Gegensatz zu logischer Erkenntnismodalität zu stehen, so daß aufgeklärte und empirische Logizität ihm Irrationalismus bescheinigen. Auf der Basis wissenschaftstheo-
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Mythos VI
retischer Erkenntnis der Paradigmen-Relationalität macht K. Hübner jedoch deutlich, daß der Unterschied zwischen Rationalismus und Mythenlogik nicht in der Rationalität als solcher, sondern in der dimensionalen Einbindung der ratio liegt, der Mythos also nicht weniger rational ist als z.B. die Naturwissenschaft. 1.2. Mythen als Geschichten von Göttern, die energetisch Kosmos und Gesellschaft durchwirken und deren Gesetze einschließlich der kulturellen und ethnischen Ordnungen etablieren (B. Malinowski), sind durchweg religiös und kultisch verankert, was die antike Ikonographie als Kondensat religiös-kultischer Vorstellungen etwa von Mesopotamien über Kleinasien bis nach Ägypten belegt, so daß der Mythos in kulturanthropologischer Analyse als religiös besetzte Chiffre für die unbedingte Realität erscheint (Kolakowski). 1.3. Aus seiner Nähe zum Numinosen überführt nach philosophischer Analyse H. Blumenbergs der Mythos mit Nominalisierungsformen die Übermacht des Unheimlichen in die Distanz, wodurch diese gebrochen und abgemildert wird. Die beobachtbare häufige Übereinstimmung mythologischer Grundformen bei distanten Kulturen führt er auf Traditionen zurück. Dem darwinistischen Selektionsprozeß vergleichbar haben sich im diachronischen Prozeß Grundmythen herausgebildet, die sich als brauchbarer Stoff für die Suche nach elementaren Sachverhalten menschlichen Daseins anbieten und zu einem dynamischen Prinzip von Sinnvermittlung werden. 1.4. Zur Beantwortung der Frage nach den kulturübergreifenden mythologischen Analogien bei faktischer Traditions-Differenz geht der —• Strukturalismus von intersubjektiven Denkstrukturen aus, die er topisch im Unbewußten verortet. Dort existieren die Strukturen für —>Sprache, Verwandtschaftsbeziehungen und psychisches Leben, an denen das Individuum partizipiert. Das Unbewußte bildet die Gesamtheit der Strukturen, und demzufolge vollzieht sich bei allen Menschen nach denselben (apriorischen) Gesetzen die symbolische Funktion, die Claude Lévi-Strauss in linguistischer Terminologie als eine Beziehung von Signifikat und Signifikant beschreibt. Wie „Gesprochenes" nur auf der Basis von „ S p r a c h e " mitsamt ihrer unbewußten Gesetze möglich ist, geht auch die über Sprachstil und Syntax vermittelte Substanz des Mythos nicht in diesen auf, sondern es besteht zwischen ihnen eine Differenz. Der Mythos geht in die Sprache ein, doch ist sein Sinn mit dem Sprachgrund nicht identisch. Der Sinn des Mythos ist auch nicht in den isolierten Mythemen (Mythenelemente, die in verschiedenen Variationen begegnen) zu finden, sondern in der Art und Weise, wie diese Elemente zusammengefügt sind. Als wesentliches Merkmal der Mythen hebt er deren Oppositionsstruktur (Antithese/Antiphonie) hervor, die im physiologischen Binarismus wurzelt, denn das Gehirn arbeitet mit Gegensatzpaaren. Auf dem Höhepunkt des Konfliktes der Opposition erzielt eine ,,trickster"-Figur die Lösung in einer Vereinigung (Synthese) der Opponenten. Í . 5 . Wie der Strukturalismus geht auch die semiologische Mythenanalyse auf die linguistische Unterscheidung von „Bedeutendem" und „Bedeutetem" zurück und legt Wert darauf, daß im „ Z e i c h e n " die Verknüpfung von Signifikant und Signifikat zum „ S i n n " geschieht. Im mythischen System wird dieses Sinn-Zeichen (Endstufe im Bereich der Sprache) zum „Bedeutenden", das R . Barthes (Mythen des Alltags 90ff) „ F o r m " nennt und als den Ausgangspunkt des Mythos bezeichnet. Das „Bedeutete" im System der Sprache ist im System des Mythos der „Begriff", und die Verknüpfung von Form und Begriff geschieht in der „Bedeutung", die analoge Funktion wie das Zeichen in der Sprache hat. Der Mythos greift also den Sinn eines Wortes oder Bildes auf, macht ihn zur sinnverarmten Form und benutzt ihn für seinen „Begriff". Dieser Begriff kann sich unbeschränkt vieler Worte und Bilder bedienen und zu seiner Bedeutung zusammenfügen. Der Begriff ist das Motiv, das den Mythos hervorbringt. Er hat eine Tendenz, eine Absicht und ist von einer Situation gefüllt. Er ist nicht abstrakt, sondern auf Geschichte aus, die er in einen Mythos hineinbringt.
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1.6. Die Tiefenpsychologie (-^Psychoanalyse/Psychotherapie) geht gezielt die psychodynamischen und psychosozialen Prozesse in den Mythen an. So erkennt Sigmund -•Freud, daß der Traum einen latenten Gedanken mit einem Bild zu einem manifesten Inhalt verbindet - dem Verhältnis von Signifikat und Signifikant vergleichbar - und sie nach präintellektueller Bildsprache und Syntax in eine Bilderfolge bringt. Auch die Traumgedanken greifen in der Regel ontogenetisch frühe Themen auf und verdichten sie zu typischen Phantasiebildern, deren sich der Träumende immer wieder bedienen kann. Nicht ihrem manifesten Bildinhalt nach, der zudem von Tagesresten überlagert werden kann, wohl aber der Struktur nach gleichen sich die Typen, eben weil gleiche Themen verhandelt werden, so daß gesagt werden kann, daß die Logik typischer Träume in der Logik derjenigen psychosexuellen Phase fundiert, deren Probleme, Konflikte, Wünsche oder Ängste sich im Traum artikulieren. Da nun keine der Entwicklungsphasen verlorengeht, sondern sich alle in der Psyche ablagern, können jederzeit je nach psychischer, biologischer oder sozialer Situation voraufgegangene Phasen wieder dominant werden. Die Entdeckung Freuds, daß die Symbolverbindungen der typischen Träume intersubjektiv analog auftreten, öffnet den Blick für eine tiefenpsychologische Analyse der Mythologie, denn „Mythen und Märchen, das Volk in seinen Sprüchen und Liedern, der gemeine Sprachgebrauch und die dichterische Phantasie" bedienen sich „derselben Symbolik" (Freud, Stud 1,174). Inhaltliche wie strukturelle Homologien zwischen typischen Träumen und Mythen führen daher zu der These, daß jedes Individuum „Stücke von phylogenetischer Herkunft" mitbringt, „eine archaische Erbschaft", die „in bestimmten Dispositionen" besteht (S. Freud, Stud IX,545) und den Instinkten ähnlich sind. Von daher erklärt sich z.B. die zeit- und kulturübergreifend gleichlautende Logik der Ödipal-Mythen. Grund-Dispositionen phylogenetischer Erbschaft, die kollektiv in den Menschen Grund-Prozesse gleicher Art bewirken, nehmen auch bei C . G . -»Jung einen hohen Stellenwert ein. Er nennt sie „Archetypen", mitgeborene programmatische Möglichkeiten psychischen Funktionierens, „typische Lebenssituationen" (GW VIII,141) und „typische Formen des Auffassens" (ebd. 158), die ihres strukturellen und potentiellen Charakters wegen wesentlich unbewußt sind. Über die Symbole bringt die psychische Energie („Libido") diese Archetypen ins Bild, die in Träumen, Visionen, Phantasien, Märchen und Mythen visualisiert bzw. verbalisiert werden. Mythen sind damit als psychische Manifestationen auf der Basis archetypischer dynamischer Vorlagen ausgewiesen. Wie S. Freud ist auch C.G. Jung von der phylogenetisch-ontogenetischen Entsprechung überzeugt, die E. Neumann im einzelnen nachzuweisen sich bemüht hat. Dieses Gesetz kann eine plausible Erklärung für die transkulturell und transhistorisch iterative Produktion analoger Grund-Mythen abgeben und darüber hinaus einen wertvollen Beitrag zur Logik der Abfolge Matriarchat - Heldenzeit »Patriarchat liefern. Die Konstanz mythologischer Thematik geht demnach auf das Konto phylogenetisch vorgegebener Phasenspezifität, die Variabilität des Bild„materials" und die narrative Formgebung dagegen auf das Konto epochaler, kultureller, milieuhafter u.a. Umfelder. Grundlage der Entschlüsselung sind die psychodynamischen Prozesse und deren Logik, die sich in, mit und unter solchen Ausgestaltungen formieren. Die Wahrheit der Mythen liegt in der Anthropogenese/Psychogenese beschlossen und hat ihren Haftpunkt in den Entwicklungsschritten. Korrelativ dazu geht ihre Energie in kultische, kulturelle, soziologische und politische Dimensionen ein und erstellt zeitrelationale, von „Begriffen" geleitete modellhafte Sinnangebote mit inhärenten Handlungsanweisungen. 2. Mythos
als Thema
der Praktischen
Theologie
Für die Praktische Theologie hatte für lange Zeit und bis in die Gegenwart hineinreichend das Entmythologisierungsprogramm R. - * Bultmanns im Kontext der existentialen Interpretation ein erhebliches Gewicht. Wenn AT und N T nicht einer musealen Betrachtung verfallen sollen, die zwar deren historische und wirkungsgeschichtliche
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Kraft zu würdigen weiß, jedoch mit ihrem antiken Weltbild für die Moderne an Bedeutung zu verlieren scheint, gilt es, nach der „ B e d e u t s a m k e i t " biblischer Texte zu fragen, um den „garstigen G r a b e n " der Geschichte zu überwinden. M i t der Intention einer Interpretation, nicht der Elimination, fragt diese Hermeneutik existential nach dem „Eigentlichen". Definitorische Prämisse ist, daß die Mythen das Göttliche welthaft darstellen. Existentiale Interpretation will hinter die welthafte Gestalt der Mythen zurückgehen, um sie als Ausdruck menschlichen Selbstverständnisses zu deuten. Die Trennung von Selbst- und Weltverständnis ist dabei leitendes Kriterium, was dann letztendlich zum dichotomischen Verhältnis von Welt und eigentlicher Existenz im cbg ny („als ob n i c h t " ) und zum „erledigt" (Bultmann, K u M 1,17 ff) antiker Mythologie führt, wobei zu beachten ist, daß bei diesem „erledigt" eine der experimentalen Rationalität verhaftete Logik regieanweisend ist. Dem Ansatz der Suche nach Bedeutsamkeit mythologischer Aussagen weiterhin verpflichtet und das Anliegen einer entmythologisierenden Interpretation aufgreifend, jedoch mit dem Ziel, die Mythen bei ihrem Bild und Wort zu nehmen, um sie zu entschlüsseln, statt ihnen eine für die Gegenwart irrelevante Antiquiertheit zu attestieren, macht sich praktisch-theologischer Umgang mit den Mythen unter dem Stichwort „ M e thodendialogizität" die Pluriformität mythologischer Zugänge zueigen und widerspricht beharrlich monokausalen Interpretationsmodalitäten. Unter Beachtung der Reichweite und des Interesses der verschiedenen Ansätze akzeptiert sie für ihre Praxisfelder - insbesondere für ihre hermeneutische Arbeit in - » H o m i l e t i k , -»Liturgie, ->Religionspädagogik und -»Seelsorge - die historisch-kritische, die strukturalistische, die semiologische und die psychologischen Methoden als grundsätzlich gleichberechtigt. Das N a c h einander ihrer Anwendung meint keine Wertigkeitseinstufung, sondern die Arbeitsabfolge, die je nach Situation anders aussehen kann. Sie stehen in einem Komplementaritätsverhältnis zueinander, da sie auf ihre Weise kompetent Aspekte von Mythen aufzeigen können. Danach gehen in das heuristische Raster ein: a) die historisch-kritische M e t h o d e mit ihrem gefächerten Fragekanon, b) das Herausschälen von Mythemen unter Beachtung der Differenz von Signifikat und Signifikant (E. Güttgemanns) und ihrer textlichen Komposition, c) die semiologische Frage nach „Begriff" und „ B e d e u t u n g " vorliegender M y t h e n , um deren interessegeleiteten Absichten und/oder theologischen T h e o r i e n und damit der Funktion der Signifikanten ansichtig zu werden, d) die Frage nach den in den M y t h e m e n und Mythemkompositionen verhandelten psychodynamischen Prozessen (psychologische Tiefenstruktur) und deren Verortung in den phylogenetisch-ontogenetischen Entwicklungsphasen. Grundsätzlich läßt Praktische Theologie sich mithin von den Mythen zu den in biblischen Texten verhandelten psychodynamischen Prozessen leiten und trachtet, sie methodenplural zu entschlüsseln. Solcher Analyse korrespondiert die „ S y n t h e s e " , welche die „begrifflichen" Bearbeitungen biblischer Autoren kritisch aufgreift, um sie von gegenwärtiger Erfahrung in der Perspektive christlicher Hoffnung erneut zu reflektieren, wobei die rechtmäßige Spanne von Repristination über Reformation bis hin zu einer Re-vision reichen kann. Sie stellt den M y t h o s dabei nicht nur zu psychodynamischen, sondern auch zu „gegenwärtigen gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Konflikten (Sozialisierung)" in Bezug (Hollenweger 161). In der Homiletik tragen die für die Religionspädagogik wichtigen entwicklungspsychologischen Erwägungen ebenfalls viel aus, da Ontogenese sich grundsätzlich bis ins hohe Alter in Veränderungen vollzieht und dabei die psychischen Strukturen und Stufen ( J . W . Fowler) mitsamt ihrer phasenorientierten Mythenlogik je neu gewichtet werden. Auch für die Seelsorge sind Analyse und „ S y n t h e s e " - nicht zu verwechseln mit den Methoden der Seelsorgepraxis — von großer Bedeutung. Denn analog den Symbolen, die in Mythen zu Erzählungen auseinandergezogen werden, bringen privatisierte Symbole, Wortwahl, Körperhaltung, Reaktionen etc. psychische Vorgänge und Konflikte
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der Ratsuchenden ins Bild und Wort. Wenn nun spiegelnde Gesprächsführung und empathischer Nachvollzug zur Verifizierung der bedrängenden Grundkonflikte führen (Scharfenberg 220), können biblisch „verarbeitete" Mythen, Psalmen etc. amplifizierend (Jung) als Klärungshilfe angeboten werden. Daß solche Klärungshilfe nicht als dirigistische Anweisung, sondern als Beratung im evangelischen Sinn zu verstehen ist, ist eine Bestätigung der Notwendigkeit eigener symbolischer Bearbeitung des Mythischen in der Seelsorgepraxis. Literatur Roland Barthes, Mythen des Alltags, Frankfurt 1964. - Peter Biehl, Symbole geben zu lernen, Neukirchen, I 1989. - Hans Blumenberg, Arbeit am M y t h o s , Frankfurt "1986. - Karl Heinz Bohrer (Hg.), Mythos u. Moderne, Frankfurt 1983. - Rudolf Bultmann, N T u. Mythologie: K u M I, H a m burg 1960, 1 5 - 5 3 . - Joseph Campbell, Lebendiger M y t h o s , München 1985. - Ingolf U. Dalferth, Mythos, Ritual, Dogmatik: E v T h 47 (1987) 2 7 2 - 2 9 1 . - M i r c e a Eliade, Die Religionen u. das Heilige, Darmstadt 1966. - Ders., Ewige Bilder u. Sinnbilder, Frankfurt 2 1988. - Alexander Eliot (Hg.), Mythen der Welt, Luzern/Frankfurt 1976. - Heije Faber, Religionspsychologie, Gütersloh 1973. - James W. Fowler, Stufen des Glaubens, Gütersloh 1991. - Hans-Jürgen Fraas, Die Religiosität des Menschen, Göttingen 1990. - Sigmund Freud, Studienausgabe, Bde. I, II, V, V I I - X , Frankfurt 1982. — Erhardt Güttgemanns, fragmenta semiotico-hermeneutica, Bonn 1983. — Helmut Harsch/ Gerhardt Voss (Hg.), Versuche mehrdimensionaler Schriftauslegung, Stuttgart 1972. — G . R . Heyer, Die große Mutter im Seelenleben des heutigen Menschen (ErJb 1938), Zürich 1939. — Walter J . Hollenweger, Umgang mit Mythen, München 1982. - Kurt Hübner, Die Wahrheit des M y t h o s , München 1985. - Jolande J a c o b i , Vom Bilderreich der Seele, Olten/Freiburg 2 1985. - Carl Gustav Jung, GW, hg.v. Marianne Niehus Jung/Lena Hurwitz-Eisner u . a . , Bde. V, V I I I - 1 X / 2 , X I I - X I V / Freiburg 1971. - Ders. (Hg.), Der Mensch u. seine Symbole, Olten/Freiburg 1 0 1979. - Karl Kerényi (Hg.), Die Eröffnung des Zugangs zum M y t h o s , Darmstadt "1989. - Leszek Kolakowski, Die Gegenwärtigkeit des Mythos, München/Zürich 3 1984. - Gerardus van der Leeuw, Einf. in die Phänomenologie der Religion, Darmstadt 2 1961. - Dieter Lenzen, Mythologie der Kindheit, Reinbeck 1985. - Claude Lévi-Strauss, Strukturale Anthropologie I, Frankfurt 1977. - Ders., Mythos u. Bedeutung, Frankfurt 1980. - Bronislaw Malinowski, Die Rolle des M y t h o s im Leben: Karl Kerényi a . a . O . 1 7 7 - 1 9 4 . - Wolfgang Nethöfel, T h e o l . Hermeneutik, Neukirchen 1992. - Erich Neumann, Die große Mutter, Olten/Freiburg 2 1956. - Ders., Das Kind, Zürich 1963. - Ders., Ursprungsgesch. des Bewußtseins, München 2 1974. — Karl Ernst Nipkow/Friedrich Schweitzer/James W. Fowler, Glaubensentwicklung u. Erziehung, Gütersloh 1988. — Fritz Oser/Paul Gmünder, Der Mensch — Stufen seiner rel. Entwicklung, Gütersloh 2 1988. - Walter Raberger, M y t h o s : N H T h G 3 (1985) 4 1 9 - 4 3 0 . - Joachim Scharfenberg, Einf. in die Pastoralpsychologie, Göttingen 2 1990. - Renate Schlesier (Hg.), Faszination des Mythos, Basel/Frankfurt 1985. — Hans Heinrich Schmid (Hg.), Mythos u. Rationalität, Gütersloh 1988. - Henning Schröer, Vom Logos zum Mythos u. zurück?: EvErz 4 0 (1988) 1 9 - 3 7 . - Friedrich Schweitzer, Lebensgesch. u. Religion, München 1987. - Yorick Spiegel (Hg.), Psychoanalytische Interpretationen bibl. Texte, München 1972. - René A. Spitz, Vom Säugling zum Kleinkind, Stuttgart 7 1983. - Uwe Steffen, Das Mysterium von T o d u. Auferstehung, Göttingen 1963. - Ders., Drachenkampf, Stuttgart 1984. - H j a l m a r Sunden, Religionspsychologie, Stuttgart 1982. - Paul Tillich, Mythos u. Mythologie: G W V, Stuttgart 1964, 1 8 7 - 1 9 5 . - Antoine Vergote, Religionspsychologie, Olten/Freiburg 1970. — François Wahl (Hg.), Einf. in den Strukturalismus, Frankfurt 1973. - G e o Widengren, Religionsphänomenologie, Berlin 2 1969. - Dietrich Zillessen, Mythen im Alltagsleben: EvErz 4 0 (1988) 5 9 - 7 6 .
Johannes Loh Mythos und Kunst (Literatur S. 676)
Marcus Varro unterschied in der Götterlehre seiner wohl um 47 v.Chr. entstandenen Antiquitates drei Arten von Theologie (genera theologiae)-. ,Mythisch wird die [erste] Art genannt, die hauptsächlich bei den Dichtern, physisch, die bei den Naturphilosophen, und staatlich oder öffentlich, die unterm Volk in Gebrauch ist' (mythicon appellant, quo maxime utuntur poetae; pbysicon, quo philosophi, civile, quo populi: Fragm. 7). —•Augustin hat sich mit dieser Unterscheidung anläßlich der Erörterung von Varros Schrift eingehend beschäftigt. Er kommt zu dem rigorosen Schluß, daß die ganze heid-
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nische Götterlehre auf einem Gespinst verlogener Fabeleien beruhe (mendacissimis fabulis) und alle drei Theologien dem mythischen Genus zu subsumieren seien. In demselben Zusammenhang definiert er dann den Begriff -»Mythos in für das anbrechende christliche Zeitalter verbindlich gewordener Weise: ,Lateinisch würden wir, wenn es sprachgebräuchlich wäre, die erste von Varro angeführte Art das genus fabulare nennen; wir wollen aber lieber fabulosum, also märchenhaft erfunden, sagen; denn der Ausdruck mythisch ist von erfundenen Geschichten abgeleitet, weil das griechische Wort ßö&oi; im Lateinischen fabula, also erfundene Geschichte, Märchen, Sage, bedeutet' (Latine si usus admitteret, genus, quod primum posuit, fabulare appellaremus; sed fabulosum dicamus; a fabulis enim mythicon dictum est, quoniam ¡ID^OQ Graece fabula dicitur. De Civitate Dei VI,5). Das Christentum der folgenden Jahrhunderte konnte die antike Götterwelt in diesem Sinne als ontologisch nichtig, als von Menschen erfundene Einrichtung {ab hominibus instituta: De Civitate Dei VI,4) und damit eben als fragwürdigen „Mythos" bewerten. Dennoch blieb die praktische Konfrontation auf den beiden anderen von Varro genannten Sektoren paganer Theologie, die Augustinus unter den Stichwörtern genus pbysicon bzw. naturale (gelehrt-naturkundlich) und genus civile bzw. politicon (öffentlichpolitisch) abhandelt, als andauernde Herausforderung zur Auseinandersetzung bestehen. Nach wie vor bildete die überkommene Mythologie einen unablösbaren Bestandteil des sprachlichen und literarischen Stoffes und verlangte in den Bildungsinstitutionen eine gelehrte Beschäftigung mit ihren Inhalten. Die Tradition der dritten paganen, der öffentlichen Theologie trat in den zahlreichen Monumenten und Bildwerken entgegen, die sich über die Zeiten retteten bzw. immer wieder auch bewußt gerettet wurden, etwa wenn -»-Theodosius im 4. Jh. den alten Kultus zwar verbot, aber die Tempel und ihren Bildschmuck zu erhalten befahl (Rahn 14). Zu Beginn des 5. Jh. wird bei —»Prudentius durchaus im Bewußtsein der Überlegenheit des Christentums die Erhaltung der unschätzbaren Denkmäler antiken Schönheitssinns gefordert, die, vom Götzendienst gereinigt, dem ästhetischen Schmuck der römischen Weltkultur dienen sollten; rein von allem Blut werde endlich der Marmor strahlen; schuldlos könnten die bislang für üblen Gebrauch bestimmten Bronzen dastehen (Contra Symmachum I, 501 ff). Im Ansatz ästhetisierende Betrachtungsweisen solcher Art waren aber in der christlichen Spätantike eher selten. Das Wissen um die kultische Funktion und die geradezu erdrückende Fülle heidnischer Bildwerke führte bei vielen Kirchenvätern sogar zu einer am jüdischen Bilderverbot orientierten generellen Ablehnung der bildenden Kunst. Bei —•Clemens von Alexandrien und —»Origenes ist —• Geist nur dem Geist erkennbar. „Kunst in ihrer Verhaftung an die Materie ist lediglich das tote Geschöpf eines Geschöpfes und so auf doppelte Weise von Gott getrennt" (Stutzinger 230). Diese Absage der frühen Kirchenautoritäten an die Kunst macht deutlich, für wie eng man allerorten ihre Bindung an die alte Religion ansah, die am sinnfälligsten im Götterbild (ei'öcoXov) und im heidnischen Tempel hervortrat. Da beim Menschen immer die Gefahr bestehe, daß er an Stelle des Schöpfers sichtbare Geschöpfe verehre, so -»Tertullian, sei jegliche Kunst als materia idololatriae abzulehnen. Konvertierte Künstler sollten ihren Unterhalt anderweitig verdienen: ,Wer ein Götterbild zeichnet, kann noch viel leichter einen Rechentisch anstreichen. Wer aus Lindenholz einen Mars schnitzt, der wird noch viel leichter einen Schrank zusammensetzen' (Qui Signum describit, quanto facilius abacum Unit? Qui de tilia Martern exculpit, quanto citius armarium compingit?: Idol. VIII,3). Diese grundsätzlich bilderfeindliche Einstellung bestand als unterschwellige Strömung bis zur Reformationszeit fort und verdichtete sich in bestimmten Zeiten zu Ikonoklasmus-Bewegungen (-»Bilder). Hier sei nur auf den im 8./9. Jh. vor allem im byzantinischen Raum mit großer Härte ausgetragenen Bilderstreit verwiesen. Die christliche Bilderfeindlichkeit hatte aber von Anfang an in ihrer Ausprägung einen eher theoretischen und in ihrer Wirkung reaktiven Charakter. Man reagierte mit ihr zunächst auf die heidnische Idololatrie, dann aber eben auch auf Bilder christlichen
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Inhalts. Letztere tauchen zuerst im 3. Jh. auf und mehren sich in seinen letzten Jahrzehnten. Die zur Zeit —»Konstantins erlassenen Toleranzedikte (311 und 313) sowie seine Förderung kirchlicher Einrichtungen, die sich auch in der erstmaligen Errichtung großer Sakralbauten ausdrückte, ebneten der Kunst den Weg in die Kirchen. Wichtig wird auch, daß man zu dieser Zeit beginnt, die heiligen Schriften zu illustrieren, so daß sich Konventionen erzählender Bildfolgen entwickeln können. Gegen Ende des 4. Jh. findet Epiphanios, der Bischof von Salamis auf - » Z y p e r n , die Kirchen schon voll mit Darstellungen aus dem christlichen Personeninventar (Stutzinger 234—236). In der Praxis also blieb die bildende Kunst akzeptiert, und auch im christlichen Bereich dominierte die Bilderfreundlichkeit letztlich gegenüber bilderfeindlichen Tendenzen. Die Spätantike (—»Antike und Christentum) ist insgesamt als erste große Phase christlicher Auseinandersetzung mit den zu dieser Zeit noch allgegenwärtigen paganen M y then-Darstellungen anzusehen. Diese Auseinandersetzung wurde einerseits bestimmt von der rigorosen theologischen Ablehnung heidnischer Idololatrie, andererseits von dem offensichtlich vorhandenen Bedürfnis, eine eigene christliche Bildsprache zu entwickeln. Bedeutsam wurde hier in einer Übergangsphase die ideologische Überformung der christlichen Kulträume durch Konstantin im Sinne seines imperialen Weltbildes. Er und seine Nachfolger propagierten und förderten christliche Kirchenbauten mit einer vielfach nachgeahmten „programmatischen Bildausstattung". Für die Kirchen „ w u r d e das gesamte, raumbezogene Bildprogramm vorkonstantinischer Kaiserkulträume im 4. Jh. ,christianisiert'. Das gilt sowohl für die ,historischen' Szenen an den seitlichen Wänden des Kultraums, die auf das Kommen des Herren hinweisen, als auch für die an der Stirnwand, die die Majestät mit höfischem Huldigungszeremoniell feiern, sowie besonders für die Apsis, in der das monumentale Bild des überzeitlichen, das All beherrschenden Gottes erscheint" (Deckers 281). Den Platz des Kaisers hatte hier nun ein recht „kaiserlicher" Christus eingenommen. Diese Kontamination alter und neuer Vorstellungen im Bereich bildender Kunst findet aber auch außerhalb der Kulträume statt. Nach der Schlacht an der milvischen Brücke im Jahre 312 wurde der „christliche" Sieger Konstantin mit einem aus den Resten eines Trajanbogens gefertigten Triumphbogen begrüßt, auf dem er als Kaiser angesprochen wurde, „der auf den W i n k des höchsten und besten Jupiter gesiegt hatte" (Rahn 13). Konstantin selbst ließ sich noch nach seiner „Bekehrung" auf einem Bronzemedaillon als Jupiter darstellen. Dabei sollte der Kaiser von den Christen als Abbild des Kosmokrators Christus, von den Heiden als Inkarnation des Allherrschers Jupiter verstanden werden (Deckers 281). Was sich bei solchen ikonographischen Adaptationen, Kontaminationen und Assimilationen abspielt, kann mit einigen elementaren zeichentheoretischen Überlegungen verdeutlicht werden. Wenn mit christlichen Bildwerken ein unkomplizierter paränetischer oder didaktischer Kommunikationserfolg gewährleistet werden sollte, mußte in der Spätantike eine verständliche', d . h . konventionelle Bildsprache benutzt werden. Es g a b aber noch keinen konventionellen christlich-ikonographischen Kode, abgesehen von einfachen Schrift- oder Bildsymbolen wie Fisch, —>Kreuz oder Christusmonogramm. Die Etablierung eines völlig neuartigen ikonographischen Kodes w ä r e der Einführung einer neuen Sprache mit allen die Verständigung erschwerenden Begleiterscheinungen gleichgekommen. Die christliche Kunst mußte daher immer wieder auf das schon vorhandene pagane Bild-„Lexikon" zurückgreifen. Da die Bilateralität von Zeichen auch für Bildzeichen gilt, bestand die Alternative, entweder auf der Signifikantenseite (Ausdruck) oder aber auf der Signifikatseite (Inhalt) gemäß der eigenen Intention modifizierend einzugreifen. In der Mehrzahl der Fälle beschränkte man sich auf Änderungen der Signifikate und machte so den ikonographischen Aneignungsprozeß lediglich zu einem der Neusemantisierung. Im Fall der genannten Konstantin-Jupiter-Darstellung ließ sich die neue Semantik durch einen entsprechenden hermeneutischen Schlüssel (man weiß, daß es ein christlich gesonnener Kaiser ist) gewinnen. In anderen Fällen bewirkt der christliche Kontext die erweiterte oder neue Semantik. Ein Beispiel ist hier etwa
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der traditionell die Herrscher der Tetrarchie bekränzende Adler Jupiters, der auf christlichen S a r k o p h a g e n des späteren 4. J h . den T r i u m p h k r a n z Christi im Schnabel hält (Eng e m a n n , Imperiale G r u n d l a g e n 265; Greenhalgh, Survival 183ff). Dabei ist der Triu m p h k r a n z durch ein Kreuz als christliches Symbol identifizierbar. Aber auch k o m p l e xere Figurentypen und Figurengruppen werden adaptiert und neu semantisiert. Vor allem an den zahlreichen S a r k o p h a g e n läßt sich das belegen: Aus dem R a u b der Hesperidenäpfel durch H e r k u l e s werden B a u m und Schlange des Sündenfalls; von T r i u m p h s ä u l e n b e k a n n t e Kriegerszenen stellen nunmehr den Durchzug durchs R o t e M e e r dar; Christus thront über dem als bärtigen nackten M a n n dargestellten Caelus, die Sonne erscheint als H e l i o s und der M o n d als L u n a über seinem H a u p t , die Erde ruht als J u n g f r a u neben d e m greisen Flußgott O k e a n o s ; a u s dem Genius mit gestürzter Fackel w i r d der christliche Tod, der T r a u m erscheint als M o r p h e u s (Semper 16f); die Verführung des H i p p o l y t durch Phaedra w i r d zu derjenigen Josefs durch Potiphars Frau; a u s H e r k u l e s ' Kampf mit N e m e a s L ö w e n w i r d S a m s o n s L ö w e n k a m p f ; Telephos und Orestes präfigurieren A b r a h a m s Isaak-Opfer (Weitzmann 58ff); bei dem außerordentlich oft variierten J o n a s T h e m a k a n n Poseidon mit Dreizack und Urne neben dem Schiff des J o n a s sitzen und Helios, prächtig mit seinem Viergespann dahersprengend, den der Sonne ausgesetzten Propheten plagen; auch „ d i e unchristliche Gruppe von Eros und Psyche k a n n , als rahmender Abschluß, gleich z w e i m a l neben Jonasszenen erscheinen, so wie sie e t w a auch römische Erotensarkophage rahmen kann - von ihrer Rolle auf Hippolytos-, Prometheus- und bacchischen S a r k o p h a g e n g a n z zu schweigen (Sichtermann 244). Zu Beginn des 5. J h . stellte man den J o r d a n im Baptisterium der O r t h o d o x e n zu —»Ravenna in der Gestalt eines antiken Flußgottes dar, der mit verhüllten H ä n d e n , einem Demutsgestus des höfischen Zeremoniells, der —»Taufe Christi beiwohnt (Rahn 14). Zu den häufigsten, auf mehr als 400 spätantiken S a r k o p h a g e n belegten Darstellungen gehört der „ G u t e H i r t e " . Lange Zeit hielt m a n den Schafträger für eines der wenigen genuin christlichen M o t i v e . Inzwischen ist gesichert, d a ß dieses Ikon aus der antiken Bukolik s t a m m t und im W i d d e r tragenden H e r m e s ebenfalls präfiguriert w a r (Rahn 13). Das Ikon ließ sich offenbar a u f g r u n d von Lk 15,5 f besonders problemlos und zugleich a u s s a g e k r ä f t i g christlich semantisieren (Engemann, Bukolische Darstellungen 257ff). So entwickelte sich a l l m ä h l i c h und in ständiger Wechselbeziehung von christlicher Text- und antiker Bildtradition eine christliche Bildsprache, w ä h r e n d gleichzeitig traditionelle Darstellungen a u s der antiken M y t h o l o g i e in vielen Kunstgattungen weiterlebten. Im Westen verlief die E n t w i c k l u n g relativ kontinuierlich bis zum L a n g o b a r d e n einfall 568 in - » I t a l i e n , im östlichen - » B y z a n z d a r ü b e r h i n a u s bis zum I k o n o k l a s m u s „ B r u c h " des 8. J h . (Weitzmann 60 u. 6 6 f ; Bildersturm). Im Norden ü b e r n a h m e n es d a n n die Künstler der karolingischen Zeit (8./9. Jh.), „nicht nur die unterbrochene Überlieferung w i e d e r einzusetzen, sondern auch neue Ausflüge ins Reich der griechisch-römischen Bildlichkeit zu u n t e r n e h m e n " (Panofsky 63). Buchillustratoren ü b e r n a h m e n die M i n i a t u r e n , die sie in wissenschaftlichen A b h a n d l u n g e n über Botanik, Z o o l o g i e und M e d i z i n fanden, in den Komödien des Terenz und den Fabeln des Äsop, in Kalendern und Enzyklopädien s o w i e astronomischen Handschriften. Elfenbeinschnitzer, Steinschneider und Goldschmiede verarbeiteten antike Vorbilder aller Art und trugen ebenfalls d a z u bei, d a ß sich die karolingische Kunst „einen reichen und authentischen Worts c h a t z " (Panofsky 63) a u s der antiken Bildsprache erwerben konnte. Die zweite g r o ß e Phase der abendländischen Auseinandersetzung mit antiken M y thosdarstellungen erstreckt sich über d a s ganze M i t t e l a l t e r , einschließlich der g e n a n n t e n karolingischen Epoche. Die Forschung hat in Hinsicht auf diese Auseinandersetzung f ü r den Z e i t r a u m bis zum 15. J h . ein Auf und A b von H i n w e n d u n g e n und Ablehnungen und dabei eine Reihe von (Vor-)Renaissancen konstatieren können (karolingische, ottonische und angelsächsische Renaissance, staufische Renaissance und Protorenaissance des 12. J h . etc. [—»Renaissance]; Schnitzer; Oakeshott; P a n o f s k y ) . Im folgenden können nur einige im R a h m e n dieser Wechselbewegungen auftretenden Grundtendenzen erörtert w e r d e n .
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In der während des ersten Jahrtausends etablierten christlichen Bildsprache erkannte das spätere Mittelalter keine paganen Ursprünge mehr. Dagegen blieben unverwechselbare Elemente der antiken Mythologie in Sprache, Literatur und Werken der bildenden Kunst als eigener und durchaus problematischer Bereich identifizierbar. So erzwang etwa die weiterhin verbindliche Latinität in Schule, —»-Bildung und Gelehrsamkeit immer wieder die Beschäftigung mit der heidnischen Vorstellungswelt. Zwar ließ Papst -> Gregor der Große keinen Zweifel an seiner Verachtung antiker Bildungsgüter - die Renaissance sah in ihm den Zerstörer des antiken Kunstlebens (Buddensieg) - , und auch in den Mönchsorden stand man weltlicher Bildung in antikem Gewand ablehnend gegenüber (Friedlaender 222), doch obsiegte letztlich immer wieder die „Sorge um Erhaltung der abendländischen Weltsprache in einer gewissen Reinheit und Vornehmheit" (Bezold 2) sowie das Interesse an einer Aufrechterhaltung römischer Tradition. Im Rahmen des mittelalterlich-schulischen Artessystems (—*Artes liberales) war die Kenntnisnahme antiker Vorstellungen im Trivium (speziell in Grammatik und Rhetorik) sowohl bei der Erarbeitung von Wortsemantiken als auch bei der Textinterpretation klassischer Autoren unvermeidlich. Fast zwangsläufig erlagen da immer wieder Kleriker der Verlockung, die schulübliche poetische Imitatio auch im mythologischen Gewand zu erproben (Bezold 56 f). Die wenigen erhaltenen illustrierten Epenhandschriften der Spätantike scheinen keine direkte Wirkung gehabt zu haben (Panofsky/Saxl 248), doch könnten sich durch die Lektüre antiker Epen indirekt bestimmte ikonographische Typen verbreitet haben, wenn es sich um Handschriften handelte, die in der Tradition spätantiker weltlicher Epenillustration standen (Weitzmann 46ff). Aus der Beschäftigung mit dem antiken literarischen Erbe werden dann auch seit dem 12. Jh. in der volkssprachlichen Epik, vornehmlich in der tonangebenden französischen, „die alten Götter ziemlich oft zitiert: Jupiter, Apoll, Mars und Venus haben da ihre Ebenbilder und Statuen, bei denen man schwört. Es wird ihrer nicht mehr wie früher kurz Erwähnung getan, sondern höchste Ruhmesworte verkünden z.B. die Pracht der goldenen, mit Email und Edelsteinen besetzten Bildsäule von Mars und Venus oder der von der ,Göttin der Schwarzkunst' geschaffenen Malerei an einer Bettstelle, deren Vorderwand das Bildnis der Juno und des Achill aufweist" (Frey-Sallmann 39; Söhring; Bezold 61 f). Im Quadrivium war es vor allem die mit den alten Göttern verbundene Astronomie/ Astrologie, die eine genaue Kenntnis der Verwandtschaften, Eigenschaften und Wirkungen der Götter verlangte. Besonders „im nordischen Mittelalter" wurzelte ,, dieses eigentümliche Interesse für klassische Bildung" tief. Und immer wieder suchte man sich den alten Götterhimmel anzueignen, so etwa in Frankreich, „wo poetische französische Ovid-Bearbeitungen und lateinische moralisierende Kommentare zu Ovid schon um die Wende des 13. und 14. Jh. den heidnischen Emigranten eine Freistätte gewährten. In Süddeutschland taucht sogar schon im 12. Jh. eine Olympier-Versammlung im Stile des [vatikanischen Mythographen] Albericus auf [clm 14271, fol. l l v ] " (Warbury/Schifanoja, ed. Wuttke 173 f; zu Albericus s. Seznec 127ff). Das ist kein Zufall, sondern hängt mit der zu dieser Zeit neu einsetzenden Rezeption der Astrologie zusammen. Wesentliche Impulse gingen dabei von den seit den -»• Kreuzzügen immer intensiver werdenden Kulturkontakten mit den Arabern aus, wobei sich dem Abendland auch der altgriechische Bildungshorizont neu eröffnete (Panofsky/Saxl 241 ff). Im Umfeld der mittelalterlichen Schulastronomie erhielt die bei Varro/Augustinus erwähnte „naturkundliche" Antiken-Theologie ein sicheres Refugium (Rahn 1872; Bezold 8ff). Dies belegt ein umfangreiches Korpus illustrierter Handschriften (Saxl, La fede negli astri). Auch die enzyklopädische Literatur ist hier zu nennen (Goldschmidt; Panofsky/Saxl 248ff; Seznec 95ff). Noch im Sterngötterglauben humanistischer Reformatoren wie —»Melanchthon, die unvermindert im Bann dieser Tradition standen, bezeugt sich dementsprechend das „Überleben und Eingreifen paganer Kultur" (Warburg, Heidnisch-antike Weissagung, ed. Wuttke 219).
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Die frühesten Kunsthistoriker der Renaissance, z.B. Vasari ( f l 5 7 4 ) , glaubten, die antike Kunsttradition sei erst im Italien des 14./15. Jh. wiederentdeckt worden (Panofsky/Saxl 228). Tatsächlich kann aber davon keine Rede sein. Auch das von den Renaissance-Humanisten verachtete mittlere Zeitalter (-»Mittelalter) hatte seine Kenner, Sammler und Liebhaber alter Kunst, wenngleich wir davon nur beschränkte Kenntnis haben. Immerhin gibt uns die am Anfang des 12. Jh. von Hildebert von Lavardin (t 1135) verfaßte Elegie De Roma einen Eindruck von der nach wie vor auftretenden Begeisterung für die Reste des alten Rom. Die lange für eine spätantike Klage über den Verfall des herrlichen Rom gehaltene Dichtung Hildeberts, eines angesehenen Poeten, zugleich Bischof von Le Mans, war im Mittelalter von großer Wirkung (Bezold 46 f). Sie gilt als Ausdruck des sogen. Proto-Humanismus des 12. Jh. (Panofsky/Saxl, 266; Panofsky 78ff; Seznec 202f). Der Dichter gibt einer tiefen Bewunderung aller sich in den Ruinen zeigenden Götterbilder von unsagbarer Schönheit Ausdruck. Ästhetisches Bewußtsein äußert sich, wenn es heißt, die Kunst überbiete die schaffende Natur. Geradezu heidnisch inspiriert ist die Vorstellung der ihre Abbilder mit Neid betrachtenden Götter: Hic superum formas superi mirantur et ipsi, || Et cupiunt fictis vultibus esse pares. || Nott potuit natura deos hoc ore creare || Quo miranda deum signa creavit homo. || Vultus adest his numirtibus, potiusque coluntur || Artificium studio, quam deitate sua (Migne, PL 171, 1409). Hier bewundern die Götter sogar die Bilder der Götter, || Diesen Werken der Kunst wünschen sie ähnlich zu sein. || Solcher Göttergestalten, wie hier der Mensch sie gebildet, || Hat die Mutter Natur nie zu erschaffen vermocht. || Hoheit strahlt aus den Zügen, und daß Anbetung sie fordern, || Danken sie menschlicher Kunst mehr als der eignen Natur' (Friedlaender 238). Auch vereinzelte Belege früher Sammlertätigkeit gibt es. Trotz Kritik und Spott kaufte etwa um die Mitte des 12. Jh. der Bischof Heinrich von Winchester, Bruder des englischen Königs Stephan, in Rom verschiedene antike Statuen und schickte sie nach England (Bezold 48.50). Zwar war die Neigung zur Zerstörung oder Umarbeitung antiker Statuen groß (Greenhalgh, Survival 202ff), doch scheint es auch in Rom heimliche Sammler gegeben zu haben. An auswärtige Liebhaber und Kenner richtete sich vermutlich ein im 13. Jh. verfaßter Text über römische Mirabilien. Sein Verfasser, ein Magister Gregorius, legt mit geradezu „kunsthistorischem" Interesse Statuenverzeichnisse an und unterteilt sie nach Materialien wie Bronze oder Marmor. Darüberhinaus versenkt er sich immer wieder auf erstaunliche Weise in ästhetische Details, z.B. wenn er angesichts der Reste einer Helios-Kolossalstatue darüber nachdenkt, wie die Kunst des Erzgießers hier die natürliche Weichheit des Haares herausgebracht habe und wie dieses gewaltige Haupt Leben und Sprache zu gewinnen scheine, wenn man den Blick nur recht aufmerksam darauf ruhen lasse (Bezold 51; Haftmann 73ff). Die offensichtlich vorhandene Neigung zu einem an antiken Bildwerken orientierten unchristlichen Schönheitskult äußert sich auch in Gegenbewegungen, wie es sich in einem Gedicht -»-Abaelards an seinen Sohn niederschlägt, wo es heißt, der Gläubige verabscheue die Bilder des heidnischen Ritus, um nicht Gott in einer Lüge zu verehren (Bezold 44). Solche Ablehnung richtete sich vor allem gegen die Großplastik, an die sich von Seiten der Kleriker bisweilen zu Recht der Verdacht heidnischer Kultreste heftete (Friedlaender 397 f; Bezold 32). Dennoch veranlaßte der Aufschwung der bildenden Künste und die damit einhergehende Steigerung ästhetischer Ansprüche die Künstler immer wieder, sich an klassischen Vorbildern zu schulen. Berühmte frühe Beispiele im Bereich der Skulptur sind z.B. die Heimsuchungsgruppen der Kathedrale von Reims und des Bamberger Doms mit ihrer an griechische Vorbilder erinnernden Gestaltung der Obergewänder (Oakeshott 107 ff). Ungeachtet aller Antikenkritik behielt die Kleinkunst aus dem Altertum, Gemmen, Intaglios und Kameen, ihren Wert (Greenhalgh, Survival 219 ff). Man verwendete sie als Siegelstempel, Kleidungsschmuck und Zierat von Evangeliaren oder Reliquienbehältern, und dies trotz ihrer Vorliebe für heidnisch-mythologische Motive. Daß man hier
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die überlegene Kunst der Alten bewunderte, steht außer Zweifel. Dementsprechend sagt Wirnt von Grafenberg um 1210 im Wigalois von einem Juwel, es sei ergraben harte kleine || uz einem edeln steine || mit heidenischem liste (vv. 8 2 1 - 8 2 3 ) . Häufig „christianisierte" man die antiken Bildmotive durch Textzusätze. „Das Bibelzitat Ecce mitto angelum meum um Cupido mit Köcher und verbundenen Augen herum, mit dem der Abt von Caen siegelte, oder Ave Maria gratias plena um den behelmten Minervakopf auf dem Siegel des Kapitels zu Noyon 1296 und dergleichen Dinge mehr waren im Mittelalter an der Tagesordnung" (Frey-Sallmann 36). Aus Angst vor dämonischer Einwirkung unterwarf man allerdings bisweilen alte Gemmen oder Gefäße für christlichen Gebrauch einem förmlichen Exorzismus (Bezold 40; Frey-Sallmann 36). Was läßt sich nun über die Rezeption und eigenständige Weiterentwicklung mythologischer Darstellungen bei den mittelalterlichen bildenden Künstlern sagen? Zunächst einmal ist festzustellen, daß es diese eigenständige Aneignung gegeben hat, weil eben Rückgriffe auf antikes Bildungsgut unvermeidlich waren, besonders wenn es um die genannten naturkundlich-astrologischen Bezüge ging. Insgesamt ist aber die Zahl der erhaltenen Darstellungen gegenüber derjenigen aus der Zeit seit der Renaissance recht gering. Das ergibt sich aus einem Vergleich der mittelalterlichen mit den späteren Überlieferungen. Man hat auf der Basis des Materials von Herbert Hungers ,Lexikon der griechischen und römischen Mythologie' für Plastiken und Gemälde ermittelt, daß 42 mythen-darstellenden Werken des Mittelalters für das 16. Jh. 222 und für das 17. Jh. 292 gegenüberstehen (Krause). Diese Zahlen sind als absolute Werte gewiß viel zu niedrig; wichtige Bereiche, wie etwa die Buchmalerei, wurden bei der Statistik gar nicht berücksichtigt. Die als tiefe Kluft erscheinende zahlenmäßige Relation zwischen dem Mittelalter und den beiden ersten frühneuzeitlichen Jahrhunderten spiegelt die unterschiedlichen Proportionen aber wohl treffend wieder. Für das Mittelalter stehen laut Hungers Material mit mindestens je zwei erhaltenen Werken (Plastik oder Gemälde) folgende antike Figuren voran: Aphrodite, Ares, Herkules, Kentauren, die Musen, Sibyllen (Vöge) und Zeus. Die oben bereits angesprochene Bilaterialität der Bildzeichen stellte den mittelalterlichen Künstler im Blick auf jede der beiden Seiten (Signifikant/Signifikat) vor besondere Probleme. An erster Stelle sind hier alle mit den Quellenabhängigkeiten in Zusammenhang stehenden Fragen zu nennen. Für die Festlegung der Ausdrucksseite (Signifikant) konnten die Künstler in den günstigeren Fällen auf erhaltene antike Bildquellen, häufiger auch auf in antiker Bildtradition stehende Überlieferungen zurückgreifen (Panofsky/Saxl 230: „representational tradition"; Seznec 116: „bildliches Vorbild als Prototyp"). Das Verfahren war im Prinzip das der Imitation, doch entstanden selten wirkliche „Kopien" der Vorlagen, fast immer nahmen die Künstler spezifische Abwandlungen vor (Panofsky/ Saxl 228; Seznec 117ff). Ausschlaggebend waren dabei offenbar mentalitätsgeschichtliche Bedingungen, die u.a. folgende Tendenzen hervorriefen: Desensualisierung (dabei auch Reduzierung der Nacktheit), Annäherung an die etablierte christliche Bildsprache (vor allem konfigurale Annäherung an Bibelszenen), bisweilen habituelle Ekklesiasierung (z.B. Jupiter in Mönchskleidung, vgl. Frey-Sallmann 37 u. Seznec 119; eine Sphinx als Engel, vgl. Weitzmann) und generelle Kontemporaneisierung (zeitgenössisches Ambiente einschließlich Kleidung, vgl. Bezold 52f; Weitzmann 52ff; Kenway; Himmelmann). Letzteres hängt gewiß mit der speziellen Art mittelalterlicher „Geschichtslosigkeit" zusammen, die sich von unserem Bewußtsein von Epochendistanzen unterscheidet (Knape 25 f). Die abendländischen Kopisten beharren deshalb auch auf ihrem Verfahren der Kontemporaneisierung, wenn sie beginnen, auf arabische Bildquellen zurückzugreifen, in denen bemerkenswerterweise häufig die ursprünglichen antik-„exotischen" Gewandungen beibehalten sind (Seznec 118f). Für die Festlegung der Ausdrucksseite ihrer Mythendarstellungen waren die Künstler aber oft auch auf rein sprachliche Quellen angewiesen (Panofsky/Saxl 230: „literary or textual tradition"; Seznec 116: die nur „auf einen beschreibenden Text zurückgehen").
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Die Künstler konnten sich hier an die Hinweise, Angaben und Zitate in den verschiedensten Quellen halten. Wichtig waren vor allem in Texte eingearbeitete Bildbeschreibungen oder eigenständige ekphrastische Werke (dokumentiert von Frey-Sallmann). Es gab aber auch eine spezielle mythographische Literatur aus dem ersten christlichen Jahrtausend, der moralisierende und allegorisierende Götterbeschreibungen zu entnehmen waren: der Aewei's-Kommentar des Servius (4. Jh.), Saturnalia und der Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis von Macrobius (um 400), De nuptiis Mercurii et Philologiae von Martianus Capella (Anf. 5. Jh.), die Mythologiae des Fulgentius (um 500), die Etymologiae von —»Isidor von Sevilla, der Kommentar zu Martianus Capella von Remigius von Auxerre ( f c a . 908); vgl. Panofsky/Saxl 252f; Seznec 125 f. Im Verlauf der langen Rezeptionsgeschichte dieser und anderer Werke verdunkelte sich die Kenntnis der ursprünglichen Mythen immer mehr (Heitmann). Im 12./13. Jh. setzte sich die Mythographentradition mit den sogenannten drei Vaticanischen Mythographen fort. Die Texte der beiden ersten Mythographen könnten noch in die spätantike bzw. karolingische Zeit zurückreichen (Elliot/Elder; Krill). Alle drei fußen auf den genannten älteren christlich inspirierten Quellen, vor allem auf Fulgentius und Martianus Capella (Gruppe 8 ff; Bezold 14ff). „Nur ein als selbständige Schilderung vereinzelt dastehendes Lateingedicht von etwa 1107 scheint, im Gegensatz zu den gewohnten Göttermoralisationen, rein ästhetischen Interessen und antiquarischem Sammelgeist entsprungen zu sein" (FreySallmann 27). Es handelt sich um die Beschreibung der Bildausstattung des Schlafgemachs der Gräfin von Blois, Tochter Wilhelms des Eroberers, aus der Feder des Abtes Baudry von Bourgeuil (Schlosser 218ff). Neben Jupiter und anderen Göttern tauchen allegorische Figuren der freien Künste sowie figürliche Sternbilder und Planeten in der Art auf, „wie sie die Künstler von Blois oder Abt Baudry selbst von Bamberg her kennen konnten, woselbst der 100 Jahre früher aus Sizilien hergebrachte, uns noch heute in Bewunderung versetzende Krönungsmantel Kaiser Heinrichs II. ähnliche Ziermotive aufwies" (Frey-Sallmann 28). Die Künstler, die sich ausschließlich auf solche Verbalüberlieferungen stützen mußten, waren gezwungen, „Rekonstruktion" zu betreiben. Sie beachteten peinlich genau das den Gottheiten zugesprochene Attributinventar, entwickelten aber notgedrungen Ikone, die den oben genannten Darstellungstendenzen unterlagen und weit von den antiken Konventionen entfernt waren (Seznec 126 f). Ohne zugehörigen Text wären viele der ganz von der mittelalterlichen Vorstellungswelt geprägten Bilder heute, nachdem der antike ikonographische Kode wieder präsent ist, nur noch schwer zu identifizieren. Die Festlegung der Inhaltsseite (Signifikat) eines mythologischen Ikons brachte für die ganz dem christlichen Denken verpflichteten Rezipienten ebenfalls Probleme mit sich. Eine umstandslose Beibehaltung der antiken Semantiken war aus Gründen religiöser Konkurrenz ausgeschlossen. Seit der Patristik gab es daher Versuche der Neu- oder Umsemantisierung, die zum Ziel hatten, eine Neutralisierung, negative Ausgrenzung, eine Vereinnahmung oder zweckgerichtete Funktionalisierung zu gewährleisten. Der Neutralisierung dient das schon bei den Kirchenvätern entwickelte inhaltliche Konzept des Euhemerismus als „historische Rationalisierung des Wunderbaren" (Bezold 1922, 4f; Seznec 4). So wie die neuzeitlich-nachaufklärerische Religionskritik in den Gottesvorstellungen bisweilen antropomorphisierende Projektionen sieht (->Feuerbach), so wollten die Kirchenväter pagane Mythen auf menschliche historische Ursprünge zurückführen und ihnen damit die religiöse Aura entziehen. Brücke zur mittelalterlichen Tra-*Isidors von Sevilla. Auch für dition war hier u.a. das achte Buch der Etymologien ihn waren die angeblichen Götter der alten Zeit Menschen, die wegen ihrer Taten und Verdienste von den Ihrigen nach dem Tod verehrt wurden, wie Isis bei den Ägyptern, Faunus bei den Latinern, Quirinus bei den Römern, Minerva in Athen usw. Ihre Verherrlichung bei den Dichtern erhob sie vollends zu den Himmlischen. Diese euhemeristische Grundauffassung, die zumeist den postiven Kern der Göttertradition herausstreicht, findet sich variiert bei bedeutenden späteren Autoren wie -»Otto von Freising
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oder Gottfried von Viterbo ( f c a . 1192) (Bezold 6f, 22 u. 25f). Als Versuch einer Neusemantisierung der Mythen reiht sich diese Tradition in eine ganze Reihe gleichgerichteter Bemühungen ein, zu denen Warburg feststellt: „Die Geschichte des Einflusses der Antike, betrachtet in dem Wandel ihrer überlieferten, verschollenen und wiederentdeckten Götterbilder, enthält unaufgeschlossene Erkenntniswerte zu einer Geschichte der Bedeutung der anthropomorphistischen Denkweise" (Warburg, Heidnisch-antike Weissagung, ed. Wuttke 259). Die Feststellung steht im Zusammenhang mit Überlegungen zum Fortwirken der Götzen- und Dämonenfurcht bei frühneuzeitlichen Köpfen wie —•Luther oder —»Dürer. Noch bei ihnen sind Wirkungen der ebenfalls früh entstandenen Tradition negativer Ausgrenzung zu verspüren, die den alten Idolen dämonische und diabolische Bedeutungen zuspricht. Bereits Origenes hatte die paganen Divinitäten ohne weiteres als Teufel der Hölle erklärt; und viele Autoren des Mittelalters sind ihm hierin gefolgt. Dementsprechend erscheint um die Wende vom 13. zum 14. Jh. im Ovide moralise der lichte Sonnengott Apollo als zottiger Satan und in der Legenda aurea (-»Hagiographie) des Jacobus a Voragine (t 1298) als gräuliches Ungetüm mit flammenden Augen (Frey-Sallmann 25; Bezold 62ff). Dagegen stand eine Richtung, die eine christliche Vereinnahmung intendierte und biblische und heidnische Semantiken zu harmonisieren suchte. Dabei leitete man etwa griechische Mythen und Sagen aus der alttestamentlichen Überlieferung ab (Bezold 106, Nachtrag). Schließlich gab es noch eine breite Tradition, die das überkommene mythologische Inventar zunächst einmal als gegeben aufnahm, um es dann in bestimmten Kontexten funktionalisieren zu können. Hier ist der schon erwähnte Bereich mittelalterlicher Naturkunde zu nennen; den immer wieder abgebildeten Götterfiguren konnte man ohne weiteres als Bedeutung die an sie geknüpften naturkundlichen Sachverhalte zuschreiben. Für Dichtung und bildende Kunst war aber die weit in die Antike zurückreichende Tradition allegorisch-moralisierender Mythendeutung ganz besonders wichtig (Seznec 65ff). Für das Mittelalter wurden die genannten frühen christlichen Mythendeuter des 5 . - 7 . Jh., vor allem Martianus Capeila und Fulgentius, zu ausschlaggebenden Vorbildern und Quellen (Bezold 2.4; Frey-Sallmann 26; Panofsky/Saxl 252 f). Mit Hilfe des allegorischen Verfahrens, das seit dem 12. Jh. zur allgemein verbreiteten interpretatorischen Hauptmethode wird, können den Götterfiguren abstrakte Semantiken (z. B. Tugenden) zugesprochen werden. Venus kann dann, bei positiver Sicht, weibliche Schönheit bedeuten, Amor die Liebe, Mars den Krieg usw. Bei Fulgentius stehen die drei Gratien für das aktive, das kontemplative und das der Liebe gewidmete Leben; die Vereinigung von Leda und dem Schwan bedeutet die Vereinigung von Macht und Unrecht. Bei einem Mythendeuter des 14. Jh. wird Juno zur Gemahlin des Christengottes und bedeutet damit die Kirche (Frey-Sallmann 33). Die Neusemantisierung bezieht sich oft auch nur auf ein ikonographisches Einzelelement. Hier sei nur auf das Merkmal der Nacktheit bei Figuren wie Venus, Cupido oder Bacchus verwiesen. Fulgentius und seine Nachfolger erklären etwa bei Venus, sie werde nackt dargestellt, „weil sie ihre Verehrer nackt und bloß heimschickt oder weil das Verbrechen der Wollust sich nicht verhüllen läßt, Bacchus, weil die Trinker sich ihres Besitzes entäußern oder weil der Berauschte seine heimlichsten Gedanken nicht bei sich behalten kann. Selten findet sich dazwischen eine mildernde Auffassung, wie sie vor allem den drei Grazien zugute gekommen ist. Ihre Nacktheit wird durch die Erwägung gerechtfertigt, daß die Anmut von keinem künstlichen Schmuck etwas wissen wollte" (Bezold 31; zur mittelalterlichen Auffassung der Nacktheit s. Himmelmann 44ff). Derartige Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Es versteht sich, daß man mit dieser Art von Mythensemantisierung etwaigen kirchlichen Eiferern geschickt entgegentreten und damit über das antike Mytheninventar relativ frei verfügen konnte. Seit dem 15. Jh. begann mit der -»Renaissance eine dritte große Periode abendländischer Auseinandersetzung mit dem antik-mythologischen Erbe. Für eine Übergangsphase lassen sich in der bildenden Kunst noch Wirkungen der mittelalterlichen Art von
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Mythenrezeption feststellen (Seznec 175), doch im 16. J h . hat sich dann weitgehend eine neue Sicht der Dinge durchgesetzt. Diese wurde stimuliert vom gleichzeitigen - » H u manismus, für den der Rekurs auf die originalen antiken Zeugnisse ein programmatisches Anliegen war. So setzt denn auch ein Bewußtseinswandel hinsichtlich der antiken Götter zunächst auf literarischem Felde ein, wo sich schon im 14. J h . bei den Frühhumanisten ein neuartiges Interesse an der Mythographie bemerkbar macht. Hier ist zunächst Boccaccio ( f 1375) mit seiner Genealogia deorum zu nennen, die man als Bindeglied zwischen der Mythologie der Renaissance und der des Mittelalters bezeichnet hat (Seznec 176 ff). Boccaccio stützt sich nämlich einerseits auf die genannte ältere christliche mythographische Tradition, andererseits entwickelt er bereits ein unbefangeneres antiquarisches Interesse für das antike Pantheon. Das äußert sich u.a. darin, daß er den Vatikanischen Mythographus tertius heranzieht und für seine eigenen Zwecke auswertet. Dieses Werk, dessen Autorschaft nicht völlig geklärt ist (Alexander Neckam [?], 1 1 2 1 7 ) , ist unter dem Verfassernamen Albericus (Alberich von London [?], 12. Jh.) mit dem Titel Liber ymaginum deorum überliefert. Zwar geht es auch in ihm noch um allegorische Götterdeutung, doch werden zugleich auf bemerkenswerte Weise mehrere Semantikebenen unterschieden: die historische (euhemeristische), die philosophische und die naturkundliche (astronomisch-astrologische). Prometheus ist z . B ein Astronom, dessen Herz vom Adler zerfleischt wird, weil die Sternbeobachtung sehr mühsam ist (10.10), Mars ist die durch den Umgang mit der allegorisch als ,Wollust' gedeuteten Venus befleckte ,Tugend' (11.6) usw. (Gruppe 12). Für die weitere kunstgeschichtliche Entwicklung ist bedeutsam, daß nicht nur Boccaccio aus diesem Vatikanischen Mythographen geschöpft hat, sondern auch der „ V a t e r " des Humanismus, Francesco -»Petrarca. Sein antiquarisches Interesse richtete sich nicht nur auf die antiken Texte, sondern gleichermaßen auf Zeugnisse der Archäologie und altrömischen Kunst (Schmitt 1974). In den dritten Gesang seines lateinischen Epos Africa fügt er die längere Ekphrasis einer Wandmalerei ein, die den antiken Götter-Olymp darstellt (vv. 1 4 0 - 2 6 2 , vgl. Seznec 1 2 7 - 1 3 5 ) . Petrarca übernimmt dabei aus dem Mythographus tertius als seiner Quelle nur die bildnerisch verwertbaren Details. Petrarcas Freund Pierre Bersuire fügt dann diese Götterporträts in die Kapitelanfänge des 15. Buchs seines um 1340 anzusetzenden Ovide moralise ein. Dies Werk wiederum wurde zur direkten Quelle für den um 1400 entstandenen Libellus de imaginibus deorum, der die Renaissancekunst bis zum Ende des 15. J h . ganz wesentlich beeinflußt hat (Warburg, Schifanoja, ed. Wuttke 180f, Frey-Sallmann 34; Panofsky/Saxl 257; Seznec 127ff u. 134f). Wie Petrarca beschränkt sich sein unbekannter Verfasser auf eine Abfolge zumindest tendenziell antik-puristisch gesehener Götterbeschreibungen für ikonographische Zwecke. „Er hat just ein Bilderbuch von 23 Göttern geschaffen, sozusagen ein Vademecum, welches das scheidende Mittelalter der Renaissance mitgeben konnte. Es ist ungeachtet seiner literarischen Vorbilder fast wie ein M a lerhandbuch so formal, und die Erklärung der Bilder, die einiger Planetengottheiten voran, ist - darin besteht die neue Errungenschaft - zur Hauptsache herangewachsen, so daß es später in Oberitalien in Form des selbständigen, mit 34 graziösen Federzeichnungen illustrierten (vatikanischen) Codex Reginensis 1290 seine entscheidende Nachwirkung in die Welt hinaustragen k o n n t e " (Frey-Sallmann 35). Damit ist eine ideologisch neutrale, quasi wissenschaftliche' Distanzhaltung zum Gegenstand erreicht, die über die Renaissance hinaus zum wesentlichen Charakteristikum neuzeitlich-antiquarischer Beschäftigung mit der Antike im allgemeinen wie mit der Mythen-Ikonographie im besonderen werden sollte (Egger). Die seit dem 16. J h . in großer Vielfalt entstandenen mythographischen Handbücher legen davon Zeugnis ab, denn sie sind bis auf wenige Ausnahmen diesem neuen Ideal einer Ursprünglichkeit sichernden Antikenrekonstruktion verpflichtet (Seznec 163 ff; Weisbach, Starnes/Talbert). Das für die weitere Entwicklung der Mythendarstellung in der bildenden Kunst Entscheidende war, daß man sich jetzt ,puristisch' für die Signifikantenseite der mythischen Bildzeichen interessierte und versuchte, die antike Ikonographie zurückzugewin-
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nen. Man kann sagen, daß sich damit ein künstlerisch professionelles Interesse an den graeco-romanischen Formen mit einem humanistisch antiquarischen verband. Infolgedessen begann man jetzt vor allem in Italien, systematisch originale antike Bildwerke, vor allem auch Skulpturen, zu erhalten, zu suchen und zu sammeln. Damit stand den Künstlern ein reiches Anschauungsmaterial zur Verfügung (Busch; Weiss 18 ff; Bober/ Rubinstein). Das mittelalterliche Bemühen, auf der Signifikatsseite die ursprünglichen Bedeutungen soweit wie irgend möglich durch Umsemantisierung zu verdrängen, wich zunehmend einer entgegengesetzten Tendenz. Man bemühte sich jetzt auch um Rückgewinnung der alten Inhalte. Die Zahl bedeutender Künstler, in deren Werk sich diese neue Entwicklung ausdrückt, nimmt im 15. Jh. rasch zu. Hier sei nur auf den von Warburg herausgestellten Sandro Botticelli (1445-1510) verwiesen. Bei ihm zeigt sich auf eindrucksvolle Weise die Abkehr sowohl von „illustrativer Hörigkeit" (Ausdrucksseite), vor allem was den „mittelalterlichen Realismus" (die Kontemporaneisierung) betrifft, als auch von semantischer ,Fesselung' (Inhaltsseite), bedingt durch mittelalterliche „astrologische Praktik". Botticellis beispielhafte Venusbilder, Die Geburt der Venus und der sogenannte Frühling, wollen, so Warburg, „der vom Mittelalter zweifach, mythographisch und astrologisch, gefesselten Göttin die olympische Freiheit wiedererringen" (Warburg, Schifanoja, ed. Wuttke 184 f). Damit ist keineswegs gesagt, daß die Renaissancekünstler mit ihrer neuen, bewußt professionellen Hinwendung zur paganen Bildsprache zugleich notwendig in ihrem Denken Abschied vom Christentum genommen hätten. Für die meisten trifft gewiß zu, was Saxl für Jacopo Zucchi (1541-1604), den Maler eines großen Mythen-Freskos in Rom, festgestellt hat: „Zucchi ist archäologisch korrekt, aber er hat keinerlei Anteil oder Freude am Mythus. Eine Beziehung zwischen seinem eigenen Erleben und dem Symbolwert als Paganen fehlt vollständig. Man müßte fast sagen, Zucchi stellt Pan nur deswegen in jenem Augenblick dar, wo er Luna die Wolle gibt, um Gelegenheit zu haben, ihn in einer Bewegung zu schildern, die ihm gestattet, das Motiv von Michelangelos Erythräischer Sibylle auch an seiner Decke anzubringen" (Saxl, Antike Götter 25). Die Vergewisserung über die alten Bedeutungen ist dementsprechend auch nur eine Seite der Bemühungen um die alten Mythen-Ikone. Gleichzeitig gab es bezüglich der Signifikatsseite eine Kontinuität im Verfahren, mit dem Christentum verträgliche Bedeutungen ins Spiel zu bringen. Es ist bezeichnend, daß Marsilio —»Ficino ausdrücklich die mittelalterliche Methode der Auslegung nach dem vierfachen Schriftsinn für die humanistische Interpretation der alten Götter in Anspruch nimmt (Gombrich 59). Die Möglichkeit der interpretatio christiana bleibt also wesentliches Anliegen. Wenn sich auch an dem traditionellen mittelalterlichen Verfahren nichts geändert hat, so doch an den konkreten Inhalten. Maßgeblich sind jetzt nicht mehr so sehr theologische Einflüsse, sondern solche der humanistischen Philosophie und politischen Programmatik. Unverkennbar ist das Bemühen um eine Harmonisierung von —»Antike und Christentum (Pfeiffer; Wuttke). Die Götter werden mit Zusatzbedeutungen angereichert, die vor allem philosophische Abstraktionen meinen. Apollon etwa wird zum „Repräsentanten der ,veritas"' oder zur „mythologischen Symbolfigur für die seit Urzeiten göttlich gelenkte Geschichte R o m s " (Schröter 235). Auf diese Weise überwindet man die spezifisch mittelalterliche Art der Mythenaneignung. Warburg charakterisiert die jetzt vorherrschende Grundtendenz für den Fall des Saturn wie folgt: „Die fratzenhaften Dämonen sind verschwunden, der finstere Trübsinn des Saturn ist humanistisch vergeistigt in menschliche Nachdenklichkeit" (Warburg, Heidnisch-antike Weissagung, ed. Wuttke 260). Die kunstgeschichtliche Forschung hat inzwischen an Hand vieler Ikone die Entwicklungslinien einer Geschichte der Wiedergewinnung des antiken mythologischen BildL e x i k o n s " erarbeitet (vgl. Krause; Anton; Schröter; Trnek; Kempter; Age of Spirituality; Saxl). Geradezu ,klassisch' ist dabei der Fall des Herkules-Ikons geworden (zu Herkules in christlicher Theologie: Simon), dem sich Panofsky und Saxl in frühen Studien
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gewidmet haben. Sie ermittelten für die spezifische Variante des Sternkonstellations-Herkules, wie er in astronomischen Darstellungen auftaucht, verschiedene Stufen mittelalterlicher ,Dekomposition' (Panofsky/Saxl 237ff). Der karolingische Konstellations-Herkules ist ikonographisch zunächst noch weitgehend den spätantiken Prototypen verpflichtet, indem er Gestalt und mythologische Attribute, wie Keule und Löwenfell, nach klassischem Muster besitzt. Der romanisch-gotische Herkules ist dann kaum mehr mit dem alten Ikon identifizierbar; er könnte für einen hl. Michael im Drachenkampf gehalten werden. Der spätgotische Herkules sieht nicht selten wie eine Figur aus Tausend und einer Nacht aus, weil man inzwischen das ikonographische Modell aus arabischen Quellen bezog: Herkules kann jetzt ein Käppchen und arabisches Gewand tragen; das Löwenfell taucht nicht mehr auf, und die Keule ist durch einen Krummsäbel ersetzt; offenbar verstand man die beiden typischen Attribute im arabischen Raum nicht mehr. Erst im 15. Jh. wird diese Periode der Dekomposition, d.h. mittelalterlich-ikonographischer Entfremdung von der antiken Bildsprache, überwunden. Beim Konstellations-Herkules erreicht -»Dürer dies erst 1515 mit einem astronomischen Holzschnitt. Dieser ist für Panofsky und Saxl „the happy end of the story" (240). Noch bleibt bei Dürer das orientalische Modell erkennbar, aber er restituiert auf eindeutige Weise die entscheidenden antik-ikonographischen Elemente: Er gibt Herkules seinen muskulösen nackten Körper und den „korrekten" Kopfschmuck (Locken und männlichen Bart) sowie die Keule und das Löwenfell wieder. „Thus in his woodcut Dürer achieved a reintegration of the classical type by bringing together again both scientific and mythological antiquity, classical meaning and classical form. This process may be regarded as a general characteristic of what we know as the Renaissance movement" (Panofsky/Saxl 240). Die Leistung der Renaissance für die neuzeitliche Kunst bestand darin, die Konventionen der antiken Bildsprache für beide Seiten der Bildzeichen, für die Ausdrucks- wie die Inhaltsseite, zu rekonstruieren und dann erneut zu etablieren. Der neueren bildenden Kunst steht seitdem für alle die graeco-romanischen Mythen betreffenden Bereiche ein relativ stabiler ikonographischer Kode zu Verfügung. Die Entwicklung seit dem 16. Jh. hat gezeigt, daß man ihn immer, wenn es um mythologische Themen ging, als verbindlich akzeptiert hat. Das gilt im Prinzip auch für nichtklassizistisch ausgerichtete neuzeitliche Künstler, die ihn u.U. nur als Folie für eigene Variationen betrachteten (Der antike Mythos in der neuen Kunst; Götterwelt der Griechen und ihr Nachleben; Agard; Rowland; Vermeule; Dialoge; Pigler; Runge in seiner Zeit; Greenhalgh; Flaxman). Das maßgebliche Forschungsinstitut für den in diesem Artikel berührten Themenkomplex war bis zum Ende der Weimarer Republik die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg. Ende 1933 emigrierte sie nach London, wo sie bis heute als Warburg Institute ihre Tätigkeit fortsetzt (Gombrich; Kany; Kosmopolis der Wissenschaft). Ein weiteres wichtiges Forschungsinstrument ist der Index of Christian Art, der zur Princeton University gehört. Kopien davon werden in der Vatikanischen Bibliothek und an der Universität Utrecht geführt (Cassidy). Literatur Walter R a y m o n d Agard, Classical Myths in Sculpture, Madison 1951. - Age of Sprituality. A Symposium, hg. v. Kurt Weitzmann, Princeton/New York 1980. - Der antike M y t h o s in der neuen Kunst. Ausstellung der Kestner-Gesellschaft vom 24. M a i bis 9. Juli 1950, H a n n o v e r 1950. - Herbert Anton, Der R a u b der Proserpina. Literarische Tradition eines erotischen Sinnbildes u. mythischen Symbols, Heidelberg 1967 (Heidelberger Forschungen 11). - Friedrich von Bezold, Das Fortleben der antiken Götter im ma. Humanismus, Bonn/Leipzig 1922 = Aalen 1962. - Bildersturm. Die Zerstörung des Kunstwerks, hg.v. Martin Warnke, München 1973 = Frankfurt 1977. - Phyllis Pray B o b e r / R u t h Rubinstein, Renaissance Artists and Antique Sculpture, O x f o r d / N e w York 1986. - Tilmann Buddensieg, Gregory the Great, the Destroyer of Pagan Idols. T h e History o f a Medieval Legend concerning the Decline of Ancient Art and Literature: J W C I 28 (1965) 4 4 - 6 5 . - Renate von Busch, Stud, zu dt. Antikensammlungen des 16. Jh., Diss. Tübingen 1973. - Brendan Cassidy, T h e Index of Christian Art. Present Situation and Prospect: Literary and Ling. Computing 6 (1991) 8 - 1 4 . - Ernst Robert Curtius, Europ. Lit. u. lat. M A , Bern 1948. - Nicole D a c o s , Sopravvivenza
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Joachim Knape/Dieter
Naassener/Naassenerhymnus -»
Wuttke
Gnosis/Gnostizismus
N a b a t ä e r -»• A r a b i e n u n d I s r a e l N a b o n i d ->• A r a b i e n u n d I s r a e l , - > D a n i e l / D a n i e l b u c h , - > G e s c h i c h t e I s r a e l s Nachfolge Jesu I.
Neues
II.
Alte Kirche und Mittelalter
Testament
III. V o n der R e f o r m a t i o n
686
bis zur G e g e n w a r t
691
IV. E t h i k
702
V.
710
Religionsgeschichte
I. N e u e s T e s t a m e n t 1. Übersicht 2. Jesus 3. Die nachösterliche Nachfolge der „ W a n d e r r a d i k a l e n " Nachfolgeverständnis der Evangelien 5. Paulus (Literatur S. 686) 1.
4. D a s
Ubersicht
D i e H a u p t s c h w i e r i g k e i t in d e r E r f a s s u n g d e s P h ä n o m e n s „ N a c h f o l g e " b e s t e h t d a r i n , d a ß es e i n e n g e r e s u n d e i n w e i t e r e s V e r s t ä n d n i s v o n N a c h f o l g e z u g e b e n s c h e i n t . e n g e r e n S i n n ist „ N a c h f o l g e " d i e L e b e n s f o r m d e s J ü n g e r k r e i s e s d e s i r d i s c h e n
Im
Jesus:
J e s u s h a t M e n s c h e n b e r u f e n , sein L e b e n zu teilen, und das h e i ß t k o n k r e t : seine W a n d e r s c h a f t , u n d d a m i t v e r b u n d e n , seine - » A r m u t , seine Familienlosigkeit, seinen A u f t r a g z u r V e r k ü n d i g u n g d e r - » H e r r s c h a f t G o t t e s u n d zu - » H e i l u n g e n . I n d e n E v a n g e l i e n , w o
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theologisch prägnantes äKoXoüdeco neutestamentlich sozusagen ausschließlich vorkommt (vgl. nur noch Apk 14,4), gibt es aber eine starke Tendenz zur Ausweitung: „Nachfolge" wird zur Umschreibung der Existenzform aller Christinnen und Christen, auch derjenigen in den seßhaften Gemeinden. Daneben gibt es in den Evangelien einen unspezifischen Sprachgebrauch: aKoXovOeco meint auch bloßes „Hinter-jemandem-Hergehen" bzw. „Begleiten". In den Briefen wird der Gedanke der Christusförmigkeit des Lebens des Apostels bzw. der Christen nie mit dKoXovOeco ausgedrückt. Hingegen taucht dafür bei Paulus am Rande das Substantiv /iißr/ri^Q („Nachahmer") auf. Dieses Wort gewann dann in der alten Kirche (s. u. II.) eine große Bedeutung; auch in der lateinischen Tadition ist imitari!imitatio viel wichtiger als das in den —»Bibelübersetzungen dominierende sequi. Prägend wirkte hier nicht nur der Sprachgebrauch der Briefe, sondern die hier nicht zu besprechende breite griechische Tradition von der ßißtjaig Oeoß (vgl. Kosmala I; Betz). 2. Jesus 2.1. Herkunft des Nachfolgegedankens. Daß -»Jesus Menschen in seine Nachfolge berufen hat, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als historisch gelten (vgl. Mk 1,16-20; 2,14; 10,17-22; in der Q-Tradition Lk 9,59f). Umstrittener, aber m.E. eher wahrscheinlich, ist die Authentizität des Nachfolgelogions Mt 10,38 ( = Mk 8,34). Die Historizität dieser Überlieferungen ergibt sich vor allem daraus, daß die Nachfolge Jesu einerseits im zeitgenössischen Judentum keine direkten Analogien gehabt zu haben scheint, andererseits aber nachösterlich nicht unverändert fortgesetzt werden konnte. Der beliebte Hinweis auf die Rabbinenschüler, die hinter ihren Lehrern hergingen (z.B. Schulz), hilft an wichtigen Punkten nicht weiter. Er erklärt weder, warum in vielen Fällen (Mk 1,16-20; 2,14) die Berufung von Jesus ausging und nicht der Schüler die Initiative ergriff, noch, warum nicht in erster Linie das Lernen, sondern das Leben mit und wie Jesus zur Nachfolge gehörte, noch, daß nirgendwo deutlich ist, daß es das Ziel der Nachfolge sei, die Jünger selbst zu „Lehrern" zu machen. Keine wirkliche Analogie sind auch apokalyptische Endzeitpropheten wie Theudas oder „der Ägypter", denen das Volk in die Wüste „folgt" (Josephus, Ant 20,97.167.188), wie es dies einst gegenüber dem charismatischen Führer und Propheten Mose getan hatte (MekhY 14,15; vgl. ShirR 2,9 §3 vom —»Messias), weil es hier um die Nachfolge des Volkes, nicht einzelner geht. Etwas anderes meint auch der jüdisch und griechisch (vor allem in platonischer und stoischer Tradition) wichtige Gedanke der „Nachahmung Gottes" (vgl. bes. Kosmala), der sich auf das Handeln bzw. die Eigenschaften Gottes bezieht. Er taucht in den Evangelien nur am Rande auf (Lk 6,27 = Mt 5,48; vgl. Eph 5,1) und ist nicht als Wurzel der Jesusnachfolge zu betrachten (gegen Schoeps). Am nächsten kommt der Jesusnachfolge die Nachfolge hinter —»Propheten und Wanderphilosophen: Im hellenistischen Raum ist hier die Gestalt des Wanderphilosophen, Asketen und Wundertäters Apollonius von Tyana und seines Schülers Damis am wichtigsten (vgl. Philostrat, vit. Ap. 1,19; zum Ganzen Hengel 2 7 - 3 0 , vgl. 2 0 - 23). In einem weiteren Sinn ist auf die kynischen Wanderphilosophen hinzuweisen, deren Nähe zum frühen Christentum an vielen Punkten deutlich ist (vgl. Downing): Es entsprechen sich das provozierende Ethos der Bedürfnislosigkeit und die auch bei den Kynikern verbreitete Wanderschaft (vgl. Epictet, diss. 3,22,10). Doch gibt es kaum vergleichbare Berufungsgeschichten (—»Berufung). Im jüdischen Raum sind die Parallelen zwischen der Jesusüberlieferung und der Elia/Elisa-Tradition auffällig (vgl. PsClem, virg. 1,6,5). D a s (zu Q gehörende, aber sekundäre[?]) A p o p h t h e g m a L k 9,61 f überbietet die Berufung - » E l i sas durch - » E l i a in I R e g 1 9 , 1 9 - 2 1 . Auch das alte A p o p h t h e g m a L k 9 , 5 9 f , das einem N a c h f o l gewilligen verbietet, seinen Vater zu begraben, ist eine Überbietung der Elisa-Berufung. N u n fällt überhaupt auf, wie viele synoptische Jesusgeschichten M o t i v e von E l i a / E l i s a - G e s c h i c h t e n aufnehmen (Wundergeschichten: M k 6 , 3 4 - 4 4 par./II R e g 4 , 4 2 - 4 4 ; M k 1 , 4 0 - 4 5 / 1 1 R e g 5; Lk 7 , 1 1 - 1 7 / 1 R e g 1 7 , 1 7 - 2 4 ; II R e g 4 , 1 8 - 3 6 ; andere T e x t e : L k 4 , 2 5 - 27/1 R e g 17,7ff; II R e g 5 ; Lk 9,54/1 R e g
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18,38; II Reg 1 , 1 0 . 1 2 ; Lk 10,4/11 Reg 4 , 2 9 ) . Auch A r m u t (vgl. I Reg 1 7 , 4 - 6 ; II Reg 5,16) und Wanderschaft (vgl. I Reg 1 7 , 3 . 9 f ; II Reg 2 , 1 . 6 . 2 3 u . ö . ) passen gut zu Elia/Elisa. Die Berührungen sind umso auffälliger, als die Elia/Elisa-Überlieferungen in den uns bekannten Gruppen des damaligen J u d e n t u m s keine besondere Rolle zu spielen scheinen und als im späteren Urchristentum —•Johannes der Täufer, nicht Jesus, mit dem wiederkommenden Elia identifiziert wurde (Mk 9 , 1 1 - 1 3 ) . Hingegen überliefert uns M k 6 , 1 5 ; 8,28, daß die Zeitgenossen Jesus für Elia gehalten hätten. W i r stoßen auf eine relativ breite Überlieferungsschicht, die ebenso schlecht in das uns bekannte zeitgenössische Judentum wie in die frühchristliche Christologie paßt. Liegt hier volkstümliche Überlieferung vor? O d e r verstand sich Jesus selbst als charismatischen Propheten wie Elia? H a t er bewußt nach der Weise Elias gelebt? Gerade die breit bezeugte und historisch gut verankerte Nachfolgeüberlieferung könnte dafür sprechen. Auf der anderen Seite aber gilt, daß die Elia/Elisa-Traditionen in den synoptischen -»Evangelien nur selektiv aufgenommen wurden.
Heftig diskutiert ist die Frage, ob das Wanderleben Jesu, seiner Jünger und der frühchristlichen „Wanderradikalen" in einem Zusammenhang mit der unter der römischen Herrschaft zunehmenden Verelendung der selbständigen Kleinbauern Palästinas und ihrer sozialen Entwurzelung steht (so vor allem W. Stegemann). Die spärlichen Nachrichten über die Zusammensetzung des Nachfolgerkreises, zu dem neben dem Handwerkersohn Jesus u. a. Fischer und Zöllner gehörten (vgl. auch Mk 10,17-22!), warnen jedoch davor, diesen Zusammenhang überzubewerten. 2.2. Kennzeichen der Nachfolge Jesu. Das wichtigste Kennzeichen der Jesusnachfolge ist, daß die Jünger und Jüngerinnen Jesu Wanderleben teilen (vgl. Lk 9,58), in der „Art des Herrn" (vgl. Did 11,8) leben. aKoXooOeco bzw. „Gehen hinter (onioco) jemandem" sind in den synoptischen Texten wohl durchweg wörtlich verstanden, obwohl dies von der Wortbedeutung her keineswegs nötig wäre (vgl. u. S. 683). Jesu bzw. der Jünger Wanderleben dürfte mit ihrem Auftrag zu tun haben, an ganz —»Israel die Botschaft vom Gottesreich auszurichten (vgl. Lk 1 0 , 3 - 1 2 Q). Zur Wanderschaft gehörte Verzicht auf Familienleben. Die —»Apostel, die ihre -•Frauen auf Wanderschaft mitnahmen (I Kor 9,5), zeigen aber, daß man im Urchristentum keineswegs einen grundsätzlichen Ehe- und Familienverzicht für Wandermissionare verlangte. Das spricht dafür, daß auch Jesus, der wohl - als ehemaliger Schüler des Asketen Johannes des Täufers — unverheiratet war, in der Ehelosigkeit nicht eine für Nachfolger/innen notwendige Entsprechung zum Gottesreich sah, in dem es keine Ehen mehr geben wird (vgl. M k 12,18-27). Auch die schwierigen Logien vom Hassen der Familie (Lk 14,26 Q) und vom Begraben des Vaters (Lk 9,61 Q) sind dann wohl eher als Hinweise auf den für Nachfolger/innen notwendigen Bruch mit der Familie - denn die Nachfolge Jesu geht allem anderen voran - als im Sinn einer grundsätzlichen Familienfeindlichkeit Jesu zu deuten. Das paßt auch zu Jesu grundsätzlicher Bejahung der -»Ehe und zur Tatsache, daß vermutlich (vgl. vor allem Mk 15,41) auch Frauen Jesus nachfolgten (Schottroff). Der Verzicht auf das Familienleben hatte bei den Wandernden wohl am ehesten praktische Gründe; von einem „afamiliären Ethos" (Theißen, Wanderradikalismus 83) würde ich trotz Lk 9,60f (Q) und Mk 3,35 nicht sprechen. Die Naherwartung verhinderte, daß hier bereits zu Lebzeiten Jesu ein grundsätzlich zu lösendes Problem entstand. Zur Nachfolge gehörte der Verzicht auf Berufsausübung. Auch hier steht nicht eine grundsätzliche Arbeitsfeindlichkeit oder gar eine Ablehnung bestimmter Berufe (was bei den Zöllnern geradezu ausgeschlossen ist!) im Hintergrund (so K. Kautsky, Der Ursprung des Christentums, Stuttgart 1910, 363—365 im Blick auf das Fehlen eines Produktionskommunismus im Urchristentum), sondern praktische Notwendigkeiten: Unterwegs konnte man weder Zölle einnehmen noch fischen, „säen und ernten", „spinnen und weben" (Lk 12,24.27 Q), sondern hatte sich auf die Fürsorge des Vaters (und später der Gemeinden) zu verlassen. Die überraschende Formulierung, daß die Raben nicht „säen und ernten" (wieso sollten sie diese typische Männerarbeit tun?) und die Lilien nicht „spinnen und weben" (die typische Frauenarbeit), zeigt m.E. sowohl, daß der
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berühmte Text vom Nicht-Sorgen Lk 12,22-31 (Q) als einer der ganz wenigen in den Synoptikern wirklich speziell an die Adresse der Wandernden gerichtet ist, als auch, daß zu ihrem Kreis auch Frauen gehörten. Ein drittes Kennzeichen der Nachfolge ist die Armut der Jünger. Vor allem Lukas betont den grundsätzlichen und obligatorischen Charakter des Besitzverzichts der Jünger (vgl. u. 4.4.; -»Eigentum). Gibt er hier eine alte Regelung für die Nachfolger/innen wieder oder radikalisiert er das Modell der Nachfolge sekundär aus paränetischen Gründen? Die Entscheidung ist nicht einfach. Aus der Dreifachüberlieferung steht nur die Geschichte vom reichen Mann mit ihren Anhängen zur Verfügung (Mk 10,17-31). Der (sekundäre) Anhang Mk 1 0 , 2 8 - 3 0 spricht m.E. nicht von der radikalen Absage an „alles", die für die „Wanderradikalen" nötig ist, sondern vom erstmaligen Eintritt in die Gemeinde, in der es neue Familienbeziehungen, aber auch neue Häuser und Äcker geben wird. Das ursprüngliche Apophthegma Mk 1 0 , 1 7 - 2 3 scheint Besitzverzicht und Nachfolge als besondere Forderungen zu verstehen, die Jesus über die zum ewigen Leben notwendigen Gebotserfüllungen hinaus an diesen Reichen stellt. Ein grundsätzlich für alle Jünger/innen notwendiger vollständiger Besitzverzicht kann daraus nicht abgeleitet werden. Auf der anderen Seite weisen nicht nur Texte wie Lk 6,20; M k 10,25, sondern auch der Schluß des Apophthegmas Mk 10,23 auf den grundsätzlichen Widerspruch zwischen Gottesreich und Reichtum. Demonstrative Armut gehört zur „Ausrüstung" der Wandermissionare nach Lk 10,4. Nicht nur bei Lk, sondern auch bei Mt hat die Forderung nach Weggabe des Besitzes einen ganz hohen Stellenwert (vgl. u. 4.2.). Auch wenn Jesus in der kurzen Zeit bis zum Kommen des Gottesreichs in dieser Sache kaum grundsätzliche Regelungen getroffen haben wird - dagegen spricht auch die Vielfalt der Versuche an diesem Punkt in den frühen Gemeinden - so scheinen doch Besitzverzicht und Armut mehr zu sein als nur eine praktisch notwendige Konsequenz aufgrund der Wanderschaft; sie entsprechen dem Gottesreich. 2.3. Der Sinn der Nachfolge. Nachfolge heißt zunächst: Gemeinschaft mit Jesus haben (vgl. M k 3,14). Mk 1,17b und Lk 9,60b (Q?) (vgl. Lk 9,62 = QLk?) sehen den Sinn der Nachfolge in der Beteiligung der Jünger/innen an der Verkündigung des Gottesreichs (Hengel 8 0 - 8 2 ) . Dies entspricht grundsätzlich der Sicht der Aussendungsrede Lk 1 0 , 3 - 1 2 , die von Q nicht zufällig mit den Nachfolgeapophthegmen Lk 9,57 ff verbunden wurde. Die Wanderschaft war dann nötig, weil das Gottesreich ganz Israel verkündet werden mußte Diese Sicht erlaubt es, die Nachfolge nicht als eine an alle gerichtete, zum Leben notwendige Forderung zu verstehen, sondern als einen besonderen Auftrag an einzelne Menschen. Der Kreis der Nachfolger/innen war dabei wohl weiter als der Zwölferkreis, schloß aber jenen ein. Zieht man das Material der Aussendungsrede mit heran, so wird wahrscheinlich, daß nicht nur die Armut der Wandernden, sondern auch andere Züge dem Gottesreich entsprechen. Dazu gehören der Friedensgruß (Lk 10,5 Q), die Wehrlosigkeit (Lk 10,3 Q; vgl. Mt 10,16 Q; kein Stock!: Lk 9,3), die Eile, die das Grüßen unterwegs verbietet (Lk 10,4b Q?), die Heilungen (Lk 10,9 Q; vgl. Lk 11,20 Q) und das Schütteln des Staubs von den Füßen als Gerichtszeichen (Lk 10,11 Q). Alle diese Züge erlauben es, die Nachfolgeexistenz Jesu und der Jünger, ähnlich wie den das ganze Zwölfstämmevolk Israel symbolisierenden Zwölferkreis, als prophetisches Zeichen zu deuten (vgl. Weiser 63). Diese These verstehe ich als eine Gegenthese zur These eines zwischen „Wanderradikalen" und Seßhaften „abgestuften Ethos" (Theißen, Soziologie 23; vgl. auch Schürmann, der die Nachfolgeforderungen bereits von den „evangelischen Räten" her deutet). Es gibt in der Umgebung Jesu nicht zwei Stufen von Jesusjüngern/innen und bloßen Sympathisanten/innen mit unterschiedlichem Verpflichtungsgrad, sondern es gibt nur das zur Gottesherrschaft gerufene Volk Israel und Menschen mit einem besonderen Auftrag. Die Botschaft vom Gottesreich beansprucht offenbar ihre Verkündiger/innen in ähnlicher Weise ganzheitlich und radikal wie die prophetische Botschaft die Propheten.
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Nachfolge Jesu I
Ähnlich entspricht wohl die Gemeinschaft mit Jesus im Zwölfer- und im Nachfolgerkreis, die Zöllner, Frauen, Zeloten usw. einschloß, dem kommenden Gottesreich. Hier wie im Verkündigungsauftrag an die Nachfolger/innen zeigt sich m.E. bereits bei Jesus so etwas wie ein ekklesialer Keim (—»Kirche). 3. Die nachösterliche
Nachfolge
der
„Wanderradikalen"
Sind Theißens Erkenntnisse über den urchristlichen Wanderradikalismus grundsätzlich richtig, so gab es „nach Ostern zwei grundlegend verschiedene Verständnisse von Nachfolge" (Kuhn 130): Die „Wanderradikalen" haben die Nachfolge Jesu nach Ostern in wörtlichem Sinn weitergeführt. In den seßhaften Gemeinden dagegen hat sich ein neues, symbolisches Verständnis von Nachfolge herausgebildet, dessen Zeugen die vier Evangelien sind. Im folgenden soll es darum gehen, diese Grundthese in ständigem stillem Gespräch mit Theißen zu modifizieren und zu differenzieren. „Wanderradikale" sind uns durch die Logienquelle (z.B. Lk 11,49—51), durch das Matthäusevangelium (z.B. 1 0 , 4 0 - 4 2 ; 25,35.43), durch die -»Didache ( 1 1 - 1 3 ) und später die pseudoclementinischen Briefe ad virgines (Kretzschmar 3 2 - 4 1 . 6 3 f) bezeugt, in erweitertem Sinn aber auch durch zahlreiche Notizen der Act (z.B. Agabus, Philippus usw.; Act 1 3 , 1 - 3 ) . „Wanderradikale" im weiteren Sinn des Wortes sind aber auch —»-Paulus und seine Mitarbeiter, seine Gegner in Korinth und anderswo, —»Petrus und andere Apostel, die Abgesandten des Presbyters in II und III Joh. Schon diese unvollständige Aufzählung zeigt, wie vielfältig die Formen des frühchristlichen Wanderradikalismus gewesen sind und wie wenig sich eine schematische Aufteilung des Urchristentums in „Wanderradikale" und „Sympathisanten" nahelegt. Bereits -»Ostern bedeutete wohl einen erheblichen Einschnitt, der einerseits manche „Wanderradikale" in —»Jerusalem seßhaft werden ließ, andererseits die Sympathisanten vor die Frage einer eindeutigeren Definition ihrer Zugehörigkeit zu Jesus stellte (vgl. Schmeller 7 1 - 7 6 ) . Die folgende Geschichte des Wanderradikalismus bestätigt dies: Die Formen des Wanderradikalismus wurden an die Bedürfnisse der Missionssituation angepaßt. Das wird exemplarisch bei Paulus sichtbar, den die größeren Distanzen, die städtische Umgebung, die Bedürfnisse der Mission (länger dauernde Seßhaftigkeit an zentralen Orten), aber auch die Integrität des Evangeliums (Unterhaltsverzicht!) zu einem veränderten Lebensstil zwingen. Aber auch anderswo zeichnen sich Modifikationen ab, z.B. beim Unterhaltsanspruch der „Arbeiter" (Lk 10,7b Q), bei der Differenzierung der Wandernden in Propheten, Gerechte (Asketen?) und gewöhnliche Christen („Kleine") Mt 10,41 f, in Propheten und Lehrer M t 23,34 oder in (Gemeinde-)Apostel und Propheten Did 11,3. Neue Formen des Besitzverzichtes entstanden: der urchristliche freie „Konsumptionskommunismus", die ökumenischen Kollekten, die gemeindliche Armenunterstützung. Durchweg zeigt sich eine ganz enge Verbindung von Wandernden und seßhaften Gemeinden: Diese senden jene als Missionare aus (z.B. Act 13,2f), nehmen sie wieder auf, verpflegen sie oder helfen ihnen beim Seßhaftwerden (Did 12,3 f) und schreiben ihnen Empfehlungsbriefe (II Kor 3,1). Dem entspricht, daß nirgendwo Jesusworte für „Wanderradikale" gesondert überliefert wurden: Bereits die Logienquelle, ein Gemeindedokument, überliefert die wenigen an die Wandernden adressierten Texte (Lk 9 , 5 7 - 1 0 , 1 6 ; 1 1 , 4 9 - 5 1 ; 1 2 , 2 2 - 3 1 ; 13,34f) vermischt mit anderen, und M t zeigt exemplarisch, wie diese Überlieferungen auf die gesamte Kirche bezogen wurden (vgl. u. S . 6 8 3 f ) und alles andere als ein Sonderethos für eine bestimmte Gruppe konstituierten. Für das Verständnis der Nachfolge zeigt das, wie wenig Jesu Anordnungen an seine Jünger als wörtlich zu befolgende Gebote verstanden wurden. Man hat die Lebensform des wandernden Jesus weitergeführt, aber auch modifiziert. Vielleicht ist es nicht ganz zufällig, daß das Wort äKoAouOsco im Zusammenhang mit dem urchristlichen Wanderradikalismus bis hin zu PsClem (virg. 1,5,4; 6,4) nie erscheint. Die Wanderradikalen scheinen nicht beansprucht zu haben, die Nachfolger/innen Jesu zu sein.
Nachfolge Jesu I 4. Das Nachfolgeverständnis
der
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Evangelien
In den Evangelien sind zwei ganz verschiedene Akzentuierungen der Nachfolgetraditionen zu beobachten. Einerseits wurde, ausgehend von der Erfahrung, daß die Nachfolger/innen historisch gesehen die Keimzelle der —»Kirche wurden, das Verständnis von Nachfolge verallgemeinert, und zwar in je unterschiedlicher Weise bei Mk, Mt und Joh. Ähnlich wie „Jünger" zu einem ekklesiologischen Ausdruck wurde, der transparent für die gegenwärtigen Leser und Leserinnen war (vgl. vor allem Tannehill für Mk, Luz für Mt), wurde auch aKoAooOeco für die Gegenwart transparent und zu einem Inbegriff des christlichen Lebens überhaupt. Erleichtert wurde die Verallgemeinerung sprachlich dadurch, daß sowohl das hebräische hälak 'ah"re als auch das griechische d.KoXoudea> im übertragenen Sinn verstanden werden konnten, ersteres vor allem im religiösen Sinn von den heidnischen Göttern, aber auch von Jahwe, letzteres nicht nur in bezug auf Personen (z.B. einen Redner oder einen Philosophen), sondern auch auf Sachen (z.B. die Natur oder eine Meinung). Die Anwesenheit der Person, der man „folgt", ist dabei ebensowenig vorausgesetzt wie bei /ilfisofiai. Insofern ist es sogar erstaunlich, daß der neutestamentliche Gebrauch von AKOXOVOEU) in so hohem Maß auf die Jesusüberlieferungen begrenzt bleibt. „Nachfolge" konnte somit vom konkreten „Hinter-Jesus-Hergehen" gelöst und zu einer Chiffre werden, die das christliche Leben überhaupt umschreibt. Andererseits wurde die Nachfolge historisch situiert und zu einem einmaligen, damaligen Phänomen der Jesuszeit. Das gilt vor allem für Lk (vgl. Betz 40f). 4.1. Markus. Für Mk wurde das Jesuslogion von der Kreuzesnachfolge (Lk 14,27 Q) entscheidend. Ursprünglich machte es wohl die Bereitschaft zum -»Martyrium zur Bedingung der Jüngerschaft: Wie die Verurteilten am Anfang ihres Weges zur Hinrichtung das Kreuz auf sich nehmen, so steht auch der Weg der Jünger mit Jesus unter dem Vorzeichen des Martyriums. In Mk 8,34 ist dieses Logion paränetisch umformuliert: Sich zu Jesus bekennen (vgl. 8 , 2 7 - 3 0 ; 14,66-72) heißt nein sagen zu sich selbst (änapveiaOai, vgl. 14,30.72). Die dreimalige Wiederholung der Sequenz Leidensankündigung-Leidensnachfolge in 8 , 3 1 - 3 8 ; 9 , 3 1 - 3 5 ; 10,(31!).32-45 zeigt nicht nur, wie wichtig das für Mk ist, sondern gibt zugleich Konkretionsmöglichkeiten für die Kreuzesnachfolge: Sie schließt das Martyrium ein (8, 35—37; 10,38 f), aber auch alltägliche Dinge wie Dienst und Sich-selbst-Zurückstellen (9,33-35; 10, 4 2 - 4 5 ) . Da Nachfolge streng an Jesus und damit an der Liebe zum —»Nächsten orientiert bleibt, wird sie nicht zum asketischen Programm. Jedenfalls ist bei Mk Nachfolge nicht mehr an das physische Hinter-Jesus-Hergehen gebunden, sondern das „Leiden wie Jesus" ist der entscheidende Punkt. So kommt es, daß nicht nur wenige, sondern alle Christen Nachfolger/innen Jesu werden können (vgl. Mk 2,15: noXXoi), ohne daß die Nachfolge ihre Radikalität verliert. Ist das Markusevangelium kurz nach den Martyrien des Jahres 64 (in Rom?) entstanden, so wird der kontextuelle Bezug der markinischen Interpretation von Nachfolge augenfällig. Der blinde Bartimäus, der durch Jesus „sehend" geworden ist und ihm „auf dem Weg" nach Jersusalem (d.h. ins Leiden) nachfolgt, wird zur Symbolgestalt für alle Christen und Christinnen. 4.2. Matthäus. Für die matthäische redaktionelle Verwendung von ¿KOXOVOECO fällt zweierlei auf: Häufiger als andere Evangelien spricht Mt vom „Nachfolgen" der Volksmengen (red. 4,25; 8,1; 12,15; 14,13; 19,2; 20,29). Sieht Mt das Volk als potentielle Kirche? Auf der anderen Seite wird das markinische Verständnis von äKoXovOeco als Inbegriff des Lebens der damaligen wie der gegenwärtigen „Jünger" (red. 8,19.29; 9,27; 19,28) und das markinische Verständnis der Leidensnachfolge übernommen. Insbesondere die sog. „Aussendungsrede" Mt 10, ein Grunddokument für matthäische Ekklesiologie (vgl. Luz), zeigt, daß das durch die Verkündigung der Himmelsherrschaft entstehende -»Leiden ein Grundmerkmal der Kirche ist. Weil „ein Knecht" sein soll „wie
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sein Herr" (10,25), heißt Kirche sein: die Lebensform Jesu weiterführen, und dazu gehören seine Sendung, seine Heilungen, Besitzverzicht (10,9) und sein Geschick, insbesondere sein Leiden ( 1 0 , 1 7 - 2 3 . 2 6 - 3 9 ) . Im Unterschied zu Mk kennt die matthäische Gemeinde in -* Syrien noch lebendigen Wanderradikalismus. So integriert Mt in besonderer Weise die ursprünglichen Merkmale der Jesusnachfolge in sein Kirchenverständnis: Die ganze Gemeinde ist zum Besitzverzicht aufgerufen (6,24 mit 2 5 - 3 3 in der Mitte der —• Bergpredigt; 13,22.44-46; 16,26; 19, 19b—21). Zwischen „Wanderradikalen" und Seßhaften wird nicht als zwischen zwei festen kirchlichen Gruppen unterschieden, sondern die ganze Gemeinde, auch die „Kleinen" (10,42), ist zur Verkündigung der Jesusbotschaft und zur Wanderschaft aufgerufen. Wer zu Hause bleiben muß, soll sich mit den Wandernden in aktiver Liebe identifizieren (10,10b.41 f; 2 5 , 3 1 - 4 6 ) . Mt denkt im Modell des „Wegs der -Gerechtigkeit" (21,32) bzw. des Wegs zur Vollkommenheit (vgl. 19,21): Wer nicht das ganze Joch des Herrn tragen kann, soll wenigstens tun, was sie oder er kann (Did 6,2), in der Hoffnung, daß „eure Gerechtigkeit besser ist als die der —> Schriftgelehrten und der Pharisäer" und zum Eingehen in das Himmelreich ausreicht (5,20). Auch der Familien verzieht der Nachfolger/innen taucht in modifizierter Form als Rat für die, „denen es gegeben ist", wieder auf (19,11 f). Mt, dessen Hauptproblem das Erlahmen der Gemeinde auf dem Weg ist, wird so zu einem Vorläufer des mittelalterlichen —•Mönchtums und seiner Ethik. 4.3. Das Johannesevangelium. Das Nachfolgeverständnis des Johannesevangeliums ist am wenigsten klar und auch am wenigsten erforscht. In den überlieferten Nachfolgeapophthegmen werden neue Jünger von bisherigen berufen (1,41 f.45f), und die christologische Frage, wer Jesus ist, steht im Vordergrund (1,36.45.49f). Das sind deutliche Zeichen, daß auch bei Joh „Nachfolge" transparent für die Gegenwart wird. Hinter dem „Licht der Welt" kann man nicht mehr physisch hergehen, wohl aber wird man in seiner Nachfolge „nicht in der Finsternis wandeln" (8,12). Nachfolge beginnt auch bei Joh mit einem ganzheitlichen Sich-auf-Erfahrungen-mit-Jesus-Einlassen („komm und sieh" 1,46; vgl. 4,29). Wie bei Mk und Mt, so führt auch bei Joh Nachfolge ins Leiden (12,24-26) und in den Tod (13,36f)• Dahinter erscheinen - nicht durch aKokovOeiv erreichbar - die 5ö£,a, die Jesus mitten im Leiden zuteil wird (12,28), und die himmlischen Wohnungen, die zu bereiten Jesus weggeht (14,1-4). Jesus ist für die Nachfolgerinnen und Nachfolger bleibend „der Weg", der —»Wahrheit und —»Leben ist (14,6). Wichtig scheint mir sodann der im Nachtrag Joh 21 besonders deutlich ausgedrückte Gedanke, daß das bleibend geringe Verstehen mancher Jünger/innen, ja ihr Versagen im Glauben, keinen Heilsnachteil begründet, sofern sie sich auf Jesus eingelassen haben und bereit sind, dies wieder zu tun: Petrus, dem Verleugner (und bei Joh Repräsentanten der Kirche) wird am Schluß des Evangeliums nichts anderes aufgetragen als das, was der Lieblingsjünger, der die ganze Zeit bei Jesus ist, immer schon tut (vgl. 21,20): „Folge mir nach!" (21,19.22). Auch nach der -»Auferstehung gilt es für alle Jüngerinnen und Jünger, den Weg zu gehen, den sie mit dem Irdischen gegangen sind, den Weg ins Leiden und in den -»Tod (vgl. Schweizer 24f). 4.4. Die historische Situierung der Nachfolge Jesu bei Lukas. Lukas betont den Besitzverzicht im Jüngerkreis Jesu: Die Jünger Jesu verließen „alles", was sie hatten (5,11.28; 12,33; 14,33; 18,22; vgl. 9,6; 10,3). Auch die Forderung nach Bruch mit der Familie (14,26; vgl. 18,29) und nach absoluter Wehrlosigkeit (vgl. 10,3) überliefert er in radikaler, unangepaßter Form. 22,35 f begrenzt er solche Forderung auf die Lebenszeit Jesu. Er wußte z.B., daß die Jüngerinnen und Jünger nach der Auferstehung Jesu nicht mehr herumzogen, sondern in Jerusalem sich niederließen (24,49; Act 1,13 f n.ö.), oder daß z.B. Paulus, obschon er arm war, Geld besaß (vgl. Act 20,34) und auch sein Quartier wechseln konnte (Act 18,7; vgl. Lk 10,7). Er erzählt also von der damaligen Aussendung der Jünger zur Zeit Jesu, der auch die Rückkehr der Jünger und damit das Ende der Aussendung einschloß (Lk 10,17).
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Spätere Aussendungen, etwa die des Petrus (Act 10) oder des Paulus zu den Heiden (Act 22,15; 26,16 f), sind neuartige Aussendungen, befohlen durch den lebendigen Christus oder durch den —»Geist (vgl. Act 13,2f). Die damalige Jesusnachfolge ist also für Lk eine einmalige Sache; es ist ganz folgerichtig, daß er in Act das Wort aKoXooOeco nie mehr im alten Sinn braucht. Die Geschichte von Gottes Handeln geht nach Ostern weiter. Das heißt: Der Heilige Geist bestimmt neu, wie in neuer Situation zu handeln ist. Die -> Gemeinde lebt in Kontinuität gegenüber den Nachfolgegeboten, aber übernimmt sie nicht einfach sklavisch und wörtlich. Das wird beim Besitzverzicht am deutlichsten: Die Losung für sie lautet „Geben ist seliger als Nehmen" (Act 20,35) bzw. „gebt Almosen" aus dem Geld, das im Himmel sowieso ausgehen wird (Lk 12,33; vgl. 16,9). Das radikale Bild der damals Jesus nachfolgenden Jünger wirkt für die lukanische Gemeinde als Spiegel und Modell, d.h. indirekt paränetisch. So schafft Lk mit seiner geschichtlichen Distanzierung der Nachfolge dasselbe, was Mk beanspruchte, indem er im Leiden den neuen, kontextuellen Schwerpunkt der Nachfolge setzte, und was Mt erreichte, indem er die Nachfolgegebote mit dem Weg zur —»Vollkommenheit verband: die Freiheit, „Nachfolge Jesu" in neuer Situation (vielleicht) nicht minder radikal, aber neu zu entwerfen. In beiden Interpretationsweisen der Nachfolge Jesu, der Verallgemeinerung und der Situierung, wird auch sichtbar, daß es nach Ostern nicht mehr einfach um Nachfolge ]esu geht, sondern daß Jesus als Erhöhter die Nachfolge verwandelt und verändert. 5. Paulus In den paulinischen Briefen ist zweimal von der „Nachahmung" Christi bzw. des Herrn durch die Gemeinden bzw. durch Paulus die Rede (I Kor 11,1; I Thess 1,6). Häufiger ist die Aussage, daß die Gemeinden Paulus nachahmen sollen (I Kor 4,16; 11,1; I Thess 1,6; Phil 3,17; vgl. II Thess 3,7.9). Das Fehlen der evangelischen Nachfolgetradition bei Paulus ist ein exemplarischer Fall, an dem die neutestamentliche Grundfrage „Jesus und Paulus" diskutiert werden kann. In der Tat sind die Unterschiede beträchtlich: Schon die für die Nachahmung des Paulus und Christi gleichlautenden Formulierungen mit dem Stamm fii/i- zeigen, daß man I Kor 11,1 und I Thess 1,6 nicht einfach als paulinische Entsprechungen zur evangelischen Nachfolge Jesu interpretieren darf. Man darf sie aber auch nicht isolieren und aufgrund der neuen Formulierungen mit dem Stamm ßiß- und seines überwiegend kultischen Hintergrunds im -»Hellenismus (so Betz) nur den Abstand zwischen Jesus und Paulus betonen (so bes. Betz 1 3 7 - 1 4 0 ; Merk 203-206). Vielmehr gehören I Kor 11,1; I Thess 1,6 hinein in den größeren Zusammenhang der Stellen, die von der Konformität des Christenlebens mit dem menschgewordenen (Phil 2 , 5 - 8 ; II Kor 8,9), irdischen (Rom 15,3.7), gekreuzigten (II Kor 4,10f; 13,4; Rom 8,17; Phil 3,10; vgl. Gal 6,14; Rom 6,4f; 8,17) und auferstandenen Christus sprechen. Gewiß geht es hier um Konformität mit dem Herrn Christus, aber gerade Rom 15,3.7 warnen davor, einen Gegensatz zwischen ihm und dem irdischen Jesus zu konstruieren. Gewiß ist dieser Herr Grundlage des Heils und des Lebens, nicht nur Modell und Vorbild, aber eben auch Vorbild (was gerade die /«/z/;T/;c-Stellen zeigen). Unsere Überlegungen zur Nachfolgeüberlieferung der Evangelien haben gezeigt, wie sehr auch diese nach Ostern umgeprägt worden sind. Die sachliche Konvergenz zwischen der paulinischen Betonung der Konformität mit dem Gekreuzigten und der markinischen Kreuzesnachfolge bleibt m.E. erstaunlich. Und schließlich wird man immerhin fragen müssen, wodurch denn die paulinische Aufnahme nicht nur des Leidens und Sterbens Jesu, sondern insbesondere seines -»„Kreuzes" angestoßen sein könnte, wenn nicht durch Jesu Logion vom Kreuz-Aufnehmen (Mt 10,38). Die explizite Verbindung der evangelischen Nachfolgeüberlieferungen mit dem Gedanken des Vorbildes Christi und der Konformität mit ihm ist im wesentlichen das Werk der alten Kirche (Schulz 13; s.u. II.). Einen neutestamentlichen Vorblick auf diese Entwicklung finden wir in I Petr 2,21—25.
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II. A l t e K i r c h e u n d M i t t e l a l t e r 1. Allgemein 2. D a s Martyrium 3. Askese als Nachfolge Jesu 4. Nachfolge im täglichen Christenleben 5. Typen mittelalterlicher Nachfolge Jesu (Literatur S. 691) 1.
Allgemein
Die N a c h f o l g e J e s u / C h r i s t i bleibt im Z e n t r u m christlicher Frömmigkeit und Lebensg e s t a l t u n g . G r u n d l e g e n d e E r w ä g u n g e n , d i e b i s h e u t e w e i t e r w i r k e n , w u r d e n in d e r V ä terzeit formuliert. D i e V ä t e r entfalteten ihre Vorstellungen im g r i e c h i s c h - r ö m i s c h e n M i l i e u , in d e m d e r G e d a n k e a n e i n e N a c h a h m u n g / N a c h f o l g e G o t t e s v e r t r a u t u n d g e l ä u f i g w a r . D a s V o k a b u l a r g e h ö r t in d e n Z u s a m m e n h a n g d e r a n t i k e n V o r s t e l l u n g e n v o n B i l d u n d A b b i l d {eixcbv), T e i l h a b e {/nerovaia,
Ä h n l i c h k e i t (ofioicocnq), /xe9e£ig),
V e r w a n d t s c h a f t (auyyeveia,
oiKeicoaic,)
und
die k o s m o l o g i s c h , ethisch und religiös verstanden w e r d e n .
In der christlichen T h e o l o g i e wird der m e n s c h g e w o r d e n e L o g o s zum M o d e l l jeder N a c h f o l g e / N a c h a h m u n g G o t t e s . D e s h a l b k o n z e n t r i e r t sie sich z u n e h m e n d a u f die N a c h f o l g e J e s u und deutet sein L e b e n als bindendes E x e m p e l für jedes C h r i s t e n l e b e n . I m A n s c h l u ß
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an die antike Wertschätzung des Exemplums ließ sich dieses reich ausgestalten und variieren. Auf der Grundlage des neutestamentlichen Nachfolgerufes und verschiedener Einzeltexte (z.B. Joh 8,12; 13,15; Rom 13,14; I Kor 11,1; Phil 2,5; Eph 4,13; Kol 3,12; 1 Petr 2,21 u.a.) werden die Nachahmung des Lebens und der Eigenschaften Jesu und das Einswerden mit ihm eingefordert. Zum zentralen Thema wird die Nachfolge Christi mit jeweils unterschiedlicher Nuancierung erstmals bei -»Clemens von Alexandrien, —•Origenes und —»Cyprian von Karthago. Clemens zitiert in diesem Zusammenhang häufig Theaitet 176b: „Gott ähnlich zu werden, so weit das nur möglich ist" und rezipiert auch das pythagoreische Axiom: „Folge G o t t " (Clemens, str. 11,70,1). Origenes deutet das ganze Christenleben als Nachfolge; allerdings ist unverkennbar, daß er sie bei den Pneumatikern in vollkommener Weise verwirklicht sieht und damit verschiedene Stufen der Nachfolge voraussetzt. 2. Das
—»Martyrium
Die Nachfolge verdichtet sich in der Leidens- und Kreuzesnachfolge. Die Märtyrer gehen buchstäblich in den Spuren ihres leidenden Herrn und werden im gewaltsamen Tod gleich mit ihm. Kein persönlicher Heroismus befähigt zu dieser Nachfolge, sondern das Wirken Christi in seinen leidensbereiten Jüngern. -»Ignatius von Antiochien hat angesichts des eigenen Todes diese Sicht des Martyriums thematisiert: „Laßt mich ein Nachahmer {ßißrjxriQ) des Leidens meines Gottes sein" (IgnRöm 6,3). In der Leidensnachfolge wird er zum wahren Jünger Christi {fia&tjTriQ-. 4,2). Durch den Tod, den er mit Christus leidet, wird er überhaupt erst Mensch sein ( 6 , 1 - 2 ) . Ignatius bestimmt die Christen grundsätzlich als „Nachahmer des Herrn" (IgnEph 10,3; IgnPhld 7,2) und nennt verschiedene Weisen der Nachahmung, die zum Einssein mit Christus führen (IgnEph 3,2; 15,2). Was Ignatius aus eigenem Erleben und mit seinem eigenen theologischen Hintergrund zum Ausdruck gebracht hat, findet sich nach ihm durchgängig in der altkirchlichen Vorstellung vom Martyrium. Älteste Zeugnisse sind die Märtyrerakten. Das Martyrium Polycarpi scheint (trotz der Kontroverse um eine Urfassung und spätere Bearbeitung) den Tod des Blutzeugen zum ersten Mal als „evangeliumsgemäßes Martyrium" (MartPol 19,1: SC 10) aufgefaßt zu haben. Die Überzeugung, daß der Märtyrer in seinem Leiden Christus nachfolgt und Christus ihn in seinem Leiden trägt, wird mit den Mitteln der historischen Imitation vorgetragen (z. B. MartPol 6 , 1 - 2 ; 7,1). Der Bericht will in den Lesern das Verlangen nach einem Martyrium gemäß dem Evangelium wecken, um in dieser Weise den Märtyrer Polykarp nachzuahmen (19,1). Im wenig jüngeren Bericht über die Märtyrer von Lyon sind die Märtyrer wieder eifrige Nachahmer {ßißtjtai) Christi (Eusebius, h.e. 5,2,2 mit Phil 2,6). Gleichzeitig wird betont, daß es Christus selbst ist, der in ihnen leidet (Eusebius, h.e. 5 , 1 , 2 3 . 3 0 - 3 1 : GCS 9,1; vgl. auch Passio Perpetuae 15,3, ed. J . van Beek, Nijmegen 1936). Deshalb wollten sie auch nicht als Märtyrer angeredet werden, sondern den Titel allein Christus überlassen, dem treuen und wahren Märtyrer (Eusebius, h.e. 5 , 2 , 2 - 3 ) . Die Erfahrung des Martyriums interpretiert den „Zeugen (fiaQZVQ) Jesus Christus" (Apk 1,5; 3,14) selbst martyrologisch. Das Martyrium vollendet die Nachahmung Christi und die Konformität mit ihm. Auch die christusgleichen Märtyrer und Märtyrerinnen können zu Exempeln der Nachfolge werden. Die Berichte über ihr Leiden und Sterben gehören zu „den neuen Beweisstücken" (tiova documentä), die zur Auferbauung der Kirche gelesen werden (Pass. Perp. 21,5). Die Grundgedanken der ältesten Märtyrerakten gehen in die späteren Berichte und ebenso in die theoretischen Schriften zum Martyrium ein, z.B. Origenes, mart. 37: GCS 2 (Märtyrer als imitator Christi)-, Cyprian, ad Fort.; ep. 58, 1 , 2 - 3 ; 3,1; 6,3 (Martyrium als imitatio Christi: Correspondance, hg. u. übers, v. L. Bayard, Paris 1961/62). Die vollkommene Nachahmung Christi im Martyrium konnte und kann nie Sache aller Christen sein. Zum Kampf des Martyriums wird man durch die göttliche Vorsehung geführt (Origenes mart. 34). Das Zeugnisgeben ist jedoch von allen Christen gefordert. An die Seite des Blutzeugnisses wurde deshalb das unblutige Lebenszeugnis gestellt (Cle-
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mens, str. IV,14,3; 73,5; Origenes, mart. 11; hom. 10,2 in Num: GCS 30). Bei Cyprian ist das Blutzeugnis Sache des Kampfes (militia), das unblutige Zeugnis Sache des Gewissens (conscientia; ad Fort. 13). Am Ende der Väterzeit wird die Anschauung systematisiert: „Es gibt zwei Arten von Martyrien; das eine im öffentlichen Leiden, das andere in der verborgenen Kraft des Geistes" (Isidor von Sevilla, etymol. VII 11: PL 82). Weil für das unblutige Martyrium unter Berufung auf Mt 10,37; 19,21 deutliche Beweise verlangt werden (Origenes, hom. 8 , 8 - 1 0 in Gen.: GCS 29; hom. 5,2 in Ex.: ebd.; comm. ser. 1 5 , 1 8 - 1 9 in Mt.: GCS 40; u.a.), wird mehr und mehr die asketische Weltentsagung zum qualifizierten Zeugnis für die Nachfolge: „Deine Mutter (Paula) ist nach einem langen Martyrium gekrönt worden" (Hieronymus, ep. 108,31: CSEL 55). 3. Askese als Nachfolge
Jesu
Seit dem späten 2. Jh. gewann der Enkratismus, befördert durch eine weltflüchtige und weltentsagende Philosophie, an Einfluß (—»Askese IV.). Dementsprechend wurde die Gestalt Jesu asketisch interpretiert und ein asketischer Evangelismus formuliert, in dem der neutestamentliche Nachfolgeruf mühelos die vielfältige asketische Praxis legitimierte. 3.1. Frühes östliches
—>Mönchtum
In der programmatischen Antoniusvita des Athanasius (geschrieben ca. 356/7: PG 26; lat. Text ed. Christine Mohrmann u.a., 1974) wird der Auszug des jungen Mannes in die Wüste mit Mt 4,20 und 19,21 begründet. Schon hier wird deutlich, daß die Wüstenaskese die Exegese bestimmt. Deshalb kann auch Act 4,35 hinzugesetzt werden. Wie die Apostel dem Erlöser nachfolgten {^KoXoü&tjaav; lat.: secuti sunt), so will es auch Antonius in seiner Askese tun. Das Thema wird in der Vita zwar nicht weiter entfaltet; aber das kräftige Initium bleibt doch über der gesamten Lebensgeschichte stehen: weitabgewandte Askese als Weg der Nachfolge Jesu! — Bei Pachomius wird darüber hinaus mit dem Eintritt in das Koinobion Lk 14,26—27 erfüllt (Bohair. Vita Pachomii 23 [CSCO 89] zitiert nur V. 26; die 1. griech. Vita Pachomii 15 fügt V. 27, die Kreuzesnachfolge, hinzu). Die Nachfolge ist jedoch nicht mit der äußeren Weltentsagung erreicht: „Ich habe die städtischen Beschäftigungen, die Ursachen unzähliger Übel aufgegeben, vermochte aber noch nicht von mir selbst abzulassen" (Basilius, ep. 2,1: S. Basile, Lettres, ed. Y. Courtonne, Paris, I 1957). Das bleibt Aufgabe ständiger innerer, geistiger Askese. Erst in ihrer Praxis folgt der Asket den „Spuren des Herrn" (I Petr 2,21) und geht ihm in der Kreuzesnachfolge (Mt 16,24) nach (Basilius, ebd.; vgl. ep. 22). Auf diese innere Askese legt die monastische Unterweisung besonderen Wert. In den Apophthegmata Patrum (Apopht. Patr., Ammonas 11) wird Mt 19,27 erklärt: „Seinen Gedanken Gewalt antun und um Gottes Willen dem eigenen Willen entsagen" (wohl die einzige Stelle der alphabetischen Apophthegmata-Sammlung, die auf diesen wichtigen Nachfolgetext verweist). — „Was hätte Petrus, der doch sicher nicht reich war, verlassen können, um dem Herrn nachzufolgen (Mt 19,27), wenn nicht die natürlichen Begierden?" (Apopht. Patr., Barsanuphius und Johannes von Gaza, Briefe Nr. 124.254; übers, v. L. Regnault u.a., Abbaye Saint-Pierre de Solesme 1972). Zu solcher Leidens- und Kreuzesnachfolge vgl. Apopht. Patr., Isaias von Gaza/Sketis (Logos 8,25; vgl. 8,55; 68; Regnault). Nach Logos 38,3 führt die intensive Betrachtung des Leidens des Gekreuzigten - Galle, Essig, Anspeien, Dornenkrone usw. - zur Leidenschaftslosigkeit {anä&eia). In diesem Zustand kann der Mönch mit Jesus auf das Kreuz steigen. Kreuzesnachfolge in diesem Sinne stellt das Leitmotiv der monastischen Nachfolgekonzeption dar. Die grundsätzliche Weltabkehr ist dabei vorausgesetzt und gilt als erste Bedingung jeder Nachfolge; dann geschieht das Kreuztragen im Gehorsam, in der Demut, Sanftmut und Leidenschaftslosigkeit. Wer auf diesem Wege zum Ziel kommt, ist vollkommener Nachfolger, ja Nachahmer des Herrn. Dabei bleibt stets bewußt, daß der
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menschgewordene Gottessohn nicht nur Vorbild und Wegweiser ist, sondern derjenige, der allein diese Nachfolge ermöglicht. 3.2. Westliches
Mönchtum
Für das westliche, lateinische Mönchtum gilt grundsätzlich das gleiche. Für Johannes —»Cassian erweist sich die wahre Kreuzesnachfolge in der äußeren und inneren Weltentsagung: abrenuntiatio prima und secunda bzw. cordis (Inst. 4 , 3 4 - 4 3 : SC 109; Coli. 3: SC 42.54.64). Im einzelnen ahmt der Mönch Christi Gehorsam, seine Demut und Armut, sein Beten und auch sein Sohnsein (Coli. 11,7.10) nach. Mt 19,21 wird von Cassian als Rat (consilium) gedeutet (Coli. 24,24), der zur „evangelischen Vollkommenheit" führt (Coli. 21,34). Cassian reflektiert auch über direkte und vermittelte Nachfolge und findet zu drei Arten von Ruf in die Nachfolge: unmittelbar durch Gott, durch Menschen (Worte und Beispiele), durch besondere Lebensumstände oder durch Schicksalsschläge (Coli. 3,4—5; vgl. Antonius, ep. 1: PG 40). Die -»Benediktusregel stellt das Leben im Kloster „unter die Führung des Evangeliums" (Reg. Ben., prol. 21: CSEL 75). Als Ziel dieses Lebens gilt: „Dem Herrn in seine Herrlichkeit folgen" (Reg. Ben., prol. 7), und zwar durch die Selbstverleugnung (Reg. Ben. 4,10 mit Mt 16,24). Im einzelnen wird auf den exemplarischen Gehorsam Christi (Reg. Ben. 5,13 mit Joh 6,38; Reg. Ben. 7,34 mit Phil 2,8) und seine Demut (Reg. Ben. 7,32 wieder mit Joh 6,38) verwiesen. Der Abt muß die barmherzige Liebe des guten Hirten nachahmen (Reg. Ben. 27,8 mit Lk 15,4-5). Alle angeführten Stellen finden sich auch in der Magisterregel (SC 105-107). Beide Regeln sehen den Abt an „Christi Stelle" im Kloster (Reg. Mag. 2,2: Christi enim agere vices in monasterio). Dabei wird Christus (mit Berufung auf Rom 8,15) als Vater gesehen (Reg. Mag. 2,3). Die Regeln folgen hier alter patristischer Tradition, die eine „Vaterschaft Christi" kennt, die mit mütterlichen Zügen verbunden ist (z.B. Clemens, paed. I 42,3: SC 70; Origenes, comm. in Prov. 6: PG 17; Evagrius Ponticus, Prov. 20,9: SC 340; Reg. Mag. 2,31: SC 105). Mit der christologisch begründeten Stellung des Abtes ist in beiden Regeln auch die vermittelte Nachfolge Christi gegeben. „Die Glieder (die Mönche) müssen dem Haupt (dem Abt) folgen" (Reg. Mag. 2,47). In der Parallelstelle bei Benedikt (Reg. Ben. 3,7) heißt es: „In allem sollen alle der Regel als Lehrmeisterin folgen" (magistram sequantur regulam), womit die Regel zur Vermittlerin der Nachfolge Christi wird. Die asketisch bestimmte Nachfolge Jesu läßt sich hier nicht weiter ausführen. Aus der reichen monastischen Literatur muß —»Hieronymus mit einer für die Folgezeit einflußreichen Formel genannt werden: „Wenn ich Nahrung und Kleidung habe, werde ich zufrieden sein und nackt dem nackten Kreuz folgen" (ep. 52,5: CSEL 54; vgl. ep. 58,2; 120,1 jeweils mit Mt 19,21; in 120,1 auch Mk 10,28; Mt 19,12). 4. Nachfolge
im täglichen
Christenleben
Mit der Erinnerung an die asketisch-monastische Nachfolge darf nicht übersehen werden, daß die Nachfolge Christi unerläßlich bleibt für jedes Christenleben. Die Nachfolgegeschichte zeigt zwar zwei Wege (vgl. Eusebius, d.e. I 8 [GCS 23]: „Gott hat zwei Lebensformen für die Kirche festgesetzt"), aber über beiden steht das gebieterische „Folge mir!". -»Basilius von Caesarea hat in seinen Moralia (PG 31) ein evangeliumsgemäßes Leben in der Nachfolge Christi für alle Christen beschrieben. —»Johannes Chrysostomus sieht trotz seiner vorbehaltlosen Begeisterung für das asketisch-monastische Leben „Christus als Vorbild für die ganze Welt" (hom. 5,4 in Hebr.: PG 63). Die Exemplarität des menschgewordenen Gottessohnes wird von ihm unüberhörbar für alle verkündet: „Du bist Christ, um Christus nachzuahmen und seinen Geboten zu gehorchen. Schau deshalb auf das, was das göttliche Vorbild getan hat" (Jud. 8,9: PG 48). Die Aufforderung zur Nachfolge und Nachahmung wird in zahlreichen Variationen vorgetragen (z. B. hom. 14,4 in Act.: PG 60; Hom. in Mt. 78,4: PG 57) und zur Grundlage einer christlichen Ethik. Ermöglicht wird sie wiederum durch Christus selbst, den „die Christen angezogen
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haben" (Gal 3,27) und dessen Glieder sie sind (vgl. die Homilien zu den Paulusbriefen: PG 6 0 - 6 2 ) . In gleicher Weise drängen die lateinischen Kirchenväter auf die allgemeine Verbindlichkeit der Nachfolge. Für Ambrosius von Mailand ist seine ausgeprägte Jesusfrömmigkeit Beweggrund der Nachfolge. Jesus ruft die Menschen auf den Weg, den er selbst gegangen ist (Ambrosius, Psal. 118,7,2 [CSEL 62]: „Folgen wir also dem rufenden Herrn Jesus"; fug. 2,6: CSEL 32,2). Seine Haltungen und Handlungen sind „Beispiele, Vorbilder göttlicher Taten" (Ambrosius, Psal. 38,1), die nachgeahmt werden sollen. Die ethische Nachfolge ist begründet in der sakramentalen Einheit mit Christus und wird zur Vollendung geführt im kontemplativen Einswerden mit ihm. -»Augustinus will nach seinem stilisierten Selbstzeugnis in der Bekehrung Christus allein folgen und hinter ihm hergehen (Conf. VIII, 7,18 [CChr.SL 27]: te solum sequi-, post te ire\ vgl. XIII, 19,24-25: dies wird mit Mt 19,16-21.27 für alle Gläubigen gesagt). Bewegende Beispiele auf dem Weg in die Nachfolge sind in Conf. VIII, 4,9; 6,15 geschildert; in XIII, 21,31 verallgemeinert („nach dem Beispiel der Nachfolger Deines Christus - imitando imitatores Christi tui" mit Rom 12,2; Gal 4,12). Diese Texte der Confessiones sind eingebunden in das Gesamtdenken Augustins, das die vita christiana unter den Gedanken der Nachfolge stellt. Sie nimmt sich den ganzen Christus zum Vorbild (vgl. die Aufschlüsselung der imitatio Christi anhand der Seligpreisungen Mt 5 , 3 - 1 2 in Augustin, virg. 28,28: BAug 3). Sie ist nur eine andere Seite der Liebe: „Wenn wir (Christus) wahrhaft lieben, laßt uns ihn nachahmen. Wir werden ja keine bessere Frucht der Liebe erstatten können als das Beispiel der Nachahmung" (Augustin, Sermo 304,2,2). Grundgedanken der Augustinischen Nachfolgevorstellung sind in seiner Lehre von Christus als exemplum humilitatis gegeben, besonders durch seine Bestimmung der ganzen Kirche als Nachfolgegemeinschaft (z.B. Sermo 96,7,9: PL 38). Der Ruf in die Nachfolge geht von Christus, dem „inneren Lehrer" (z.B. Tract. in ep. Joh. 3,13: PL 35), aus (neben allen äußeren Rufen). Der freudige Gehorsam ist Geschenk der Gnade: „Du gibst und wirst mir geben, daß ich gerne dir folge" (Conf. X , 35,56). - De s. virginitate 27 ist beachtlich für die Terminologie: „Quid est ettim sequi, nisi imitare?" - „Was ist denn nachfolgen anderes als nachahmen?" 5. Typen mittelalterlicher 5.1. Peregrinatio
propter
Nachfolge
Jesu
Christum
Im Altertum unter dem Ideal der asketischen Heimatlosigkeit praktiziert, wird sie vom Frühmittelalter an zu einer besonderen Form der Nachfolge. Mt 16,24; 19,29 werden mit Gen 12,1 (Abraham) verbunden (vgl. Hebr 11,9; I Petr 2,11). In der freiwilligen Exilierung in eine ferne Einsamkeit oder auf einen endlosen Weg wird die Wanderexistenz Jesu und seiner ersten Jünger wieder aufgenommen. 5.2. Vita apostolica
des mittelalterlichen
Reformmönchtums
Sie verbindet die Wanderaskese unter Betonung der Armut mit der Predigt. Sie will die apostolische Jesusnachfolge buchstäblich aufnehmen, wobei sie die Apostel monastisch interpretiert. Im Petruswort Mt 19,27 sieht sie eine „Apostolische Profeß" (Bernhard von Clairvaux, Sermo de diversis 37,7; u.a.: S. Bernardi Opera VI. 1, ed. Jean Leclerq/H. Rochais, Rom 1970). 5.3. -+Franciscus
von Assisi
Eingebunden in die urbane Armuts- und Bußbewegung seiner Zeit, verinnerlicht er sich deren Anliegen so, daß er sie als unmittelbare persönliche Berufung erlebt: „Der Herr hat es mir geoffenbart, daß ich nach der Weise des hl. Evangeliums leben sollte" (Testament 14: SC 285). In den jesuanischen Nachfolgerufen (dazu bes. I Petr 2,21) sah er die Kernsätze des evangelischen Lebens. Die oft betonte äußere Nachahmung des Lebens Jesu (vgl. die Franziskusbiographien von Celano bis heute) darf deren eigentliche
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Wurzeln nicht übersehen: die Nachahmung der Kenosis Christi, gipfelnd in seinem Leiden. In ihr folgt er den „Fußspuren Christi" und verwirklicht die Nachfolge in Armut, Gehorsam, Demut, Feindesliebe, Buße und Abtötung, Kirchentreue. - 1 3 8 5 - 1 3 9 0 schrieb der Franziskaner Bartholomäus de Rinonico (von Pisa) De conformitate vitae b. Francisci ad vitam Domini Jesu (AFranc I V - V , 1906-12) und malte darin die äußere Nachfolge erbaulich aus. Der Heilige als Cbristiformis ist vielfach Leitmotiv der mittelalterlichen Hagiographie und Ikonographie. Die Nachfolge Jesu im Mittelalter mag den Eindruck einer primär äußerlichen und ethischen Nachahmung erwecken. Die Theologie freilich wußte immer, daß Nachfolge Gnadengeschenk ist und aus der sakramentalen Heilsvermittlung nur ermöglicht wird, daß Imitatio und Conftguratio Frucht der sakramentalen Begegnung mit Christus sind. Ebenso ist noch einmal daran zu erinnern, daß Nachfolge, so sehr sie vom asketisch-monastischen Paradigma bestimmt ist, doch allen Christen, Frauen und Männern, aufgegeben ist. Das bekannte spätmittelalterliche Werk De imitatione Christi (Nachfolge Christi und vier andere Schriften, hg., eingel. u. übers, v. Friedrich Eichler, München 1966) des -»Thomas von Kempen, im Geist der -+Devotio moderna geschrieben, war zunächst an Ordensleute gerichtet; aber in der Rezeption wurde es von dieser Bindung entschränkt und zur weitverbreiteten Anleitung eines Christenlebens in der Nachfolge Jesu. — Die Nachfolge Jesu bleibt durchgängig eine unerläßliche Forderung an jedes Christenleben. Ihre konkrete Gestalt wandelt sich mit dem Kirchenverständnis, mit den Frömmigkeitsformen und mit der verschiedenen ständischen Beanspruchung. In schöpferischer Erinnerung werden Gestalt und Inhalt des biblischen Jesusbildes und Christuszeugnisses für die je aktuelle Nachfolge fruchtbar gemacht. Literatur T h e o f r i e d Baumeister, Die Anfänge der T h e o l . des M a r t y r i u m s , M ü n s t e r 1980. - Guerric Couill e a u / J e a n L e c l e r q / T h a d d ä u s M a t u r a , Art. Sequela Christi e imitazione: D i z i o n a r i o degli istituti di perfezione 8 (1991) 1300—1314. — Henri Crouzel, L'imitation et la ,suite' de Dieu et du Christ dans les premiers siècles chrétiens, ainsi que leurs sources gréco-romaines et hébraïques: J A C 2 1 (1978) 7 - 4 1 . - Ernst D a s s m a n n , Die F r ö m m i g k e i t des Kirchenvaters A m b r o s i u s v. M a i l a n d , M u n ster 1965. - Simone Deléani, Christum sequi. Étude d'un thème dans l'oeuvre de S. C y p r i e n , Paris 1979. - R u d o l f T h . M . van D i j k , Art. T h o m a s H e m e r k e n a Kempis: D S p 15 (1991) 8 1 7 - 8 2 6 . W i l h e l m Geerlings, Christus E x e m p l u m . Stud. zur Christologie u. Christusverkündigung Augustins, 1978 ( T T S 13). - Réginald G r é g o i r e / A i m é Solignac, Art. Nudité: D S p 11 (1982) 5 0 8 - 5 1 7 . - J e a n G r i b o m o n t , Suivre le Christ dans les écrits ascétiques de S. Basile: Parola, Spirito e Vita 2 (1980) 2 1 5 - 2 3 0 . - M a r i a Ko H a F o n g , C r u c e m tollendo Christum sequi. Unters, zum Verständnis eines Logions Jesu in der Alten Kirche, 1984 ( M B T h 5 2 ) . - R a d b e r t K o h l h a a s , D a s M o t i v der I m i t a t i o in der S a k r a m e n t e n t h e o l . : A L W 8.1 (1963) 4 7 - 5 7 . - Etienne Ledeur, Art. Imitation du Christ I I . 1 - 3 : D S p 7 (1971) 1 5 6 2 - 1 5 7 7 . - Peter Nagel, Die M o t i v i e r u n g der Askese in der Alten Kirche u. der Ursprung des M ö n c h s t u m s , 1966 ( T U 9 5 ) . - J i 11 R a i t t (Hg.), Christian Spirituality I, L o n d o n 1987, 1 8 9 - 1 9 3 . - Dietrich R o l o f f , G o t t ä h n l i c h k e i t , Vergöttlichung u. E r h ö h u n g zu seligem L e b e n . Unters, zur H e r k u n f t der platonischen Angleichung an G o t t , 1970. - O t t o Schaffner, Christliche D e m u t . Des H l . Augustinus Lehre von der H u m i l i t a s , 1959 (Cass. 17). - André Vauchez, L a sainteté en O c c i d e n t a u x derniers siècles du M o y e n Age, R o m 1981.
Karl Suso Frank III. Von der Reformation bis zur Gegenwart 1. Luther, M ü n t z e r und Calvin 2 . Die Pietisten: Spener, F r a n c k e und Arnold 3 . Kierkegaard. Leben-Jesu-Forschung 4 . Schweitzer und Bultmann 5 . N e u a u f n a h m e des N a c h f o l g e m o t i v s durch Bonhoeffer und Barth 6. T h e o l o g i e der Befreiung (Literatur S. 7 0 8 )
Man kann nicht sagen, daß der Gedanke der Nachfolge als solcher in der christlichen Theologie eine lange Geschichte gehabt habe. Andere Gedanken wie etwa die der Nachahmung Christi und der Gleichförmigkeit mit Christus sind sehr viel einflußreicher gewesen. Erst in -»Bonhoeffers Abhandlung aus den 30er Jahren des 20. Jh. spielt der Gedanke der Nachfolge in Diskussionen um die christliche Ethik und Spiritualität eine
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zentrale R o l l e . Im folgenden wird uns d a h e r m e h r an einer U n t e r s u c h u n g der Vorgeschichte von B o n h o e f f e r s W e r k gelegen sein, als an dem einfachen Versuch einer D o k u m e n t a t i o n der verschiedenen Bedeutungen, in denen der Begriff „ N a c h f o l g e " in der theologischen Überlieferung g e b r a u c h t wurde.
1. Luther, Müntzer und Calvin 1.1. M . Luther vollzieht mit den mittelalterlichen Vorstellungen von der N a c h f o l g e Christi einen radikalen B r u c h . Für ihn ist der G l a u b e vor allen D i n g e n ein innerer A k t des menschlichen W i l l e n s , der nicht das Ergebnis dessen sein k a n n , w a s a u ß e r h a l b seiner selbst liegt (De libertate christiana: W A 7 , 5 0 , 5 - 3 0 ) . Diese U n t e r s c h e i d u n g zwischen dem Bereich des Inneren einerseits und den äußeren Situationen und H a n d l u n g e n der G l ä u b i g e n andererseits bedeutet ganz klar, d a ß G e d a n k e n einer N a c h a h m u n g Christi, die von der M e d i t a t i o n und N a c h a h m u n g seines Lebens und seiner H a n d l u n g e n ausgehen, in Luthers G l a u b e n s v e r s t ä n d n i s keinen Platz h a b e n k ö n n e n . T a t s ä c h l i c h führt L u t h e r jedoch die Vorstellung der G l e i c h f ö r m i g k e i t mit Christus a u f eine sehr neuartige Weise wieder in seine T h e o l o g i e ein. E r spricht von dem Verhältnis zwischen dem G l ä u bigen und Christus in a l t h e r g e b r a c h t e n Begriffen als dem Verhältnis zwischen B r a u t und B r ä u t i g a m ; doch hier wird die B r a u t als eine H u r e dargestellt, deren S ü n d e n , T o d und V e r d a m m n i s von C h r i s t u s aufgehoben werden, w ä h r e n d er sie mit all seiner G ü t e s c h m ü c k t . Im G l a u b e n und durch den G l a u b e n findet hier ein A u s t a u s c h der Sünden des G l ä u b i g e n und der G ü t e Christi dergestalt statt, d a ß innerhalb dieses Verhältnisses der G l ä u b i g e G o t t d a n k e n und ihn preisen und seine Befreiung e r f a h r e n k a n n . Für L u t h e r bedeutet diese Freiheit des Christen in erster Linie, d a ß der G l ä u b i g e von allen kirchlichen und geistlichen B a n d e n befreit ist: D e r G l a u b e wird weder an religiösen Handlungen und Übungen noch am Leben der Heiligen gemessen, sondern allein im H i n b l i c k auf das Verhältnis der Seele zu Christus: „ D e r B e s c h l u ß steht fest bei G o t t , d a ß alle Heiligen in demselben G l a u b e n leben und getrieben und gelenkt werden sollen von demselben G e i s t , a b e r in dem Äußeren verschiedene W e r k e ausführen s o l l e n " ( W A 8 , 5 8 8 , 1 5 f). Dies bedeutet, d a ß der einzelne Christ o h n e R ü c k s i c h t auf seine Stellung innerhalb der kirchlichen Stände- und Weiheordnung beurteilt wird, und m a c h t jede unterschiedliche W e r t s c h ä t z u n g der verschiedenen F o r m e n des gesellschaftlichen L e b e n s , innerhalb deren der Christ seiner Berufung zu folgen hat, u n m ö g l i c h . Eine solche Betonung des innerlichen Glaubensaktes könnte leicht den Gedanken nahelegen, den äußerlichen Handlungen des Gläubigen komme an sich keine Bedeutung zu. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Gehorsam des Christen gegenüber den Geboten Gottes, wie er sich aus seinem Verhältnis zu Christus ergibt. Dies bedeutet vor allen Dingen, daß er seinem Nächsten dienen sollte. „So wie unser Nächster in Not ist und dessen, woran wir Überfluß haben, b e d a r f , . . . so sollten wir unserem Nächsten auch freigiebig durch unseren Leib und seine Werke Hilfe leisten, . . . daß wir einander Christusse seien und Christus derselbe in allen sei; das heißt, daß wir wahrhaft Christen seien" (De libertate christiana: WA 7,66,23—28). Im Grunde genommen sollte der Christ seiner vocatio an jeder beliebigen Stelle im Leben, an die er sich gestellt sieht, folgen und sich dabei seines von Gott gegebenen Verstandes dafür bedienen. Allen Gefahren des Libertinismus suchte Luther in seiner Auslegung der -»Bergpredigt entgegenzutreten. Aber diese Einführung des Gedankens der göttlichen Gebote zwang ihn dazu, seinen eigenen Standpunkt von dem zu unterscheiden, den er als römischen Legalismus ansah. Insbesondere griff er die Lehre von den Evangelischen Räten ( - * C o n s i l i a evangelica) an, derzufolge die Gebote der Bergpredigt nicht allen Menschen auferlegt worden sind, sondern nur denen, die einen Stand der Vollkommenheit jenseits dessen der gewöhnlichen Christen zu erreichen suchten. Für Luther gilt Christi Gebot jedem Menschen, aber es richtet sich an jeden in der besonderen Lage, in der er sich befindet. Gleichzeitig mußte sich Luther gegen die Schwärmer verteidigen, „die uns schuld geben das wir das Euangelium nicht recht predigen, weil wir haus und hoff behalten, bey weib und kind bleiben" (WA 32,309,7—9). Luthers Antwort auf eine solche Anschuldigung ist eine abermalige Berufung auf das Inwendigsein des Glaubens. „Nein, solcher toller heiligen wil er nicht haben, Sondern es heist also: wer mit dem hertzen haus, hoff, weib und kind lassen kan, ob er gleich darinne sitzet und dabey bleibt, sich mit jn neeret und aus der liebe dienet, wie Gott gebotten hat, Und doch dahin setzet, wo es die not foddert, das ers könne umb Gottes willen alle stunde faren lassen"
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(ebd. 9 - 1 4 ) . Überdies ist die Liebe zur Familie und zum Heim ebensosehr gefordert wie die Bereitschaft, letzten Endes alles fahren zu lassen. Eine solche Aufspaltung führt dann zu Luthers Erörterungen über die zwei Reiche (-»Zweireichelehre), in denen er einerseits für die Befreiung des sozialen und politischen Lebens von kirchlicher Kontrolle eintritt und andererseits auf Gottes letztendlicher Gewalt über beide Reiche beharren will. Der Christ soll seine Verantwortung in beiden Reichen ernst nehmen. Letztendlich muß er G o t t die Treue halten.
2.2. Th. -»Müntzer wandte sich gegen Luther mit der Begründung, er lehre einen Glauben, der an der Oberfläche bleibe und den Gläubigen nicht von Grund auf wandle, dergestalt, daß er ,, christusförmig" werde. Der Christus des Katechismus sei ein „honigsüßer Christus" im Gegensatz zu dem bitteren Christus am Kreuz, der die Sünden der Gläubigen ausjätet. Dies ist ein Vorgang, den der Gläubige ebenso ertragen muß, wie Christus sein Leiden ertrug. „Nein, lieber mensch, du must erdulden und wissen, wie dir Got selbem dein unkraut, disteln und dorner aus deinem fruchtbaren Lande, das ist aus deinem hertzen, reutet" (QFRG 33, 233, 29—31). In dieser Hinsicht schöpfte Müntzer aus der Überlieferung der mittelalterlichen -»Mystik, doch glaubte er, daß der Umwandlungsprozeß nicht auf das innere Leben der Seele beschränkt sei, sondern auf das Leben der Welt und der Kirche ausgedehnt werden müsse. Denn „Gott verachtet die grossen hansen, alls den Herodem und Caipham, Hannam, und nam auff zu seynem dienst die kleynen, als Mariam, Zachariam und Elysabeth. Denn das ist Gottes werck; er thut auff den heutigen tag nit änderst" (QFRG 33, 299,9-15). In diesem gesellschaftlichen Umwandlungsprozeß sah Müntzer sich als den Propheten der Endzeit, der die Pläne Gottes verkündet, und er sah seine Anhänger als die apostolische Kirche, Gottes Werkzeug beim Angriff auf die Verderbtheit der Welt und der Kirche und der Errichtung seines Reiches. Als die Fürsten seinem Ruf nach Unterstützung bei der gesellschaftlichen Umwandlung nicht folgten, schloß er sich der im Gang befindlichen Volkserhebung an. Müntzer steht selbstverständlich nur für eine von vielen verschiedenen Strömungen der radikalen Reformation. Andere Strömungen waren wiederum radikal pazifistisch und sahen solch eine wörtliche Befolgung der Gebote Jesu in der Bergpredigt als ein deutliches Kennzeichen der Kirche an. „Wem Gottes gebot schwär seind, der hat Got nit lieb und kennet in nit, wie gut er ist. . . . Der bund Gottes und das joch seines suns ist niemannt schwäre denn dem, der es nye getragen hat. Ye mer der außerwölt in Gottes Weingarten arbeytet, ye minder wird er müde, sonder auch die arbayt ist im in Gott ain ruw" (Hans Denck, Vom Gesetz Gottes: ders., Schriften II. Religiöse Schriften, hg. v. W. Fellmann, 1956 [QFRG 24] 62). 1.3. Für J. —>Calvin „beruht der Glaube nicht auf Unwissenheit, sondern auf Erkenntnis, und dies ist nicht nur die Erkenntnis Gottes, sondern auch die des göttlichen Willens" (Inst. 111,2,2: Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio christianae religionis, übers, u. bearb. v. Otto Weber, Neukirchen-Vluyn s 1988). Eine solche Erkenntnis muß jedoch in der Seele des Gläubigen Wurzeln schlagen und „in der innersten Regung seines Herzens einen Sitz und Ruheplatz" finden (Inst. III, 6,4). So besteht die vom Heiligen Geist bewirkte Wiedergeburt der Christen erstens darin, daß das Herz der Gläubigen von der Liebe zur Rechtschaffenheit erfüllt wird, und zweitens, daß ihnen eine Regel vorgegeben wird, so daß sie nicht vom rechten Wege abweichen. Dabei geht Calvin von der Vorstellung aus, daß der Gläubige an der Heiligkeit Gottes Anteil hat. Gläubige sollten ihm anhangen, „so daß wir, erfüllt von seiner Heiligkeit, ihm folgen mögen, wohin immer er uns ruft" (Inst. 111,6,2). Nichts von ihrem früheren Schmutz und ihrer früheren Unreinheit sollte das heilige Jerusalem beflecken, in dem zu wohnen die Gläubigen berufen sind. (Man vergleiche im Gegensatz dazu das ganz unterschiedliche Bild von der Vereinigung der sündigen Braut mit ihrem Bräutigam Christus bei Luther und seine Vorstellung vom Gläubigen als simul justus et peccator.) Der Hauptantrieb für das christliche Leben besteht im Beispiel Christi, „dessen Gestalt wir in unserem Leben zur Abbildung bringen müssen" (Inst. 111,6,3). Dies ist nicht so sehr in einem moralischen Sinn zu verstehen: Christus, durch den wir mit Gott versöhnt
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werden, ist uns als ein Beispiel gegeben, dessen besonderem Wesen wir in unserem Leben Ausdruck verleihen müssen. Ein solches Leben wird in der Forderung zusammengefaßt, daß wir unsere Leiber Gott zum Opfer darbringen (Rom 12,1). Wir sind Gottes, und deshalb „besteht der einzige Hafen der Rettung darin, in nichts weise zu sein und nichts aus uns selbst heraus zu wollen, sondern allein der Führung des Herrn zu folgen" (Inst. 111,7,1). In diesem Zusammenhang wird Jüngerschaft in erster Linie als Gehorsam und Selbstverleugnung aufgefaßt. Das Ziel solcher Jüngerschaft ist die geistliche, inwendige Vereinigung des Gläubigen mit Christus, die zur wahren Liebe der Rechtschaffenheit führt. Die Selbstverleugnung äußert sich im Verhalten des Christen gegenüber seinen Mitmenschen und gegenüber Gott. Konflikte zwischen Eigenliebe und Nächstenliebe werden dadurch überwunden, daß man alle Gedanken an sich selbst zurückstellt. Güter soll man als Gaben zum Wohl der Allgemeinheit betrachten, und indem die Gläubigen sie in dieser Weise verwalten, sollten sie „die Sorge um ihren eigenen Vorteil dem Eifer um das Wohl des Nächsten" unterordnen (Inst. 111,7,5). Christen sollten sich nicht auf ihre eigenen Anstrengungen verlassen, sondern danach streben, allein durch den Segen des Herrn Wohlstand zu erlangen (Inst. 111,7,8). Ein wesentlicher Teil dieser Selbstverleugnung besteht im Tragen des Kreuzes, das sich unmittelbar aus der Gemeinschaft des Gläubigen mit seinem Herrn ableitet. Ein solches Tragen des Kreuzes bringt ein Leben voller Prüfungen mit sich. So wie Jesus durch sein Leiden Gehorsam lernen mußte, so werden auch seine Anhänger in Versuchung geführt werden. Dennoch gilt: Je mehr „wir in Widrigkeiten verstrickt sind, desto mehr wird zweifellos unsere Gemeinschaft mit Christus gestärkt" (Inst. 111,8,1). Auch hier wird also christliche Jüngerschaft in erster Linie als ein Kennzeichen christlicher Innerlichkeit, als Gehorsam und geistliche Disziplin verstanden. Dennoch ist sie ebenso wie bei Luther in der Vereinigung des Gläubigen mit Christus gegründet und ist offensichtlich nicht ohne Bezug zur äußeren Welt. Die Prüfungen des Gläubigen entstehen durch äußere Umstände. Er übt seine Berufung unter ganz bestimmten gesellschaftlichen Umständen aus. Das bedeutet jedoch nicht, daß dem Gläubigen die Aufgabe zufällt, die Gesellschaft umzuwandeln. Für Calvin besteht die Berufung des Christen darin, daß er an einen bestimmten Platz der bestehenden Gesellschaftsordnung gestellt ist. Dadurch wird er eingebunden, und seine angeborene Ruhelosigkeit und Unbeständigkeit werden gezügelt. Er soll mit seinem Platz innerhalb der Gesellschaft zufrieden sein, wie bescheiden er auch sei, und in dem Wissen Trost finden, daß ihm dieser Platz von Gott angewiesen wurde. 2. Die Pietisten: Spener, Francke
und
Arnold
2.1. Die Ursprünge des -»Pietismus liegen in einer Gegenbewegung innerhalb des Luthertums des 17. Jh. gegen den geistigen Verfall der Kirche nach dem —»Dreißigjährigen Krieg. Ph.J. -»Spener kritisierte in seiner Schrift Pia Desideria die Träger der kirchlichen und politischen Gewalt seiner Zeit und machte Vorschläge für die Reform sowohl der Ausbildung der Geistlichen als auch des Lebens der kirchlichen Gemeinden und der Laien. Ebenso wie Luther betonte er das -»Priestertum aller Gläubigen, verband es aber mit Vorschlägen zur Förderung des öffentlichen und privaten Lesens der Heiligen Schrift sowie zu Versammlungen kleinerer Gruppen (vgl. I Kor 14,26-40), bei der alle ihre Meinung äußern konnten, auch wenn diese Meinungen immer noch dem Urteil der berufenen Amtsträger unterliegen sollten. Diese praktischen Vorschläge zur Reform waren mit einer besonderen Betonung der Notwendigkeit einer geistlichen Wiedergeburt und Erneuerung aller Christen verbunden. Hier bewegte sich Spener im Rahmen der orthodoxen Lehre des -+ordo salutis, also der christlichen electio, vocatio, illuminatio, conversio, regeneratio, justificatio, unio mystica, renovatio, conservatio und glorificatio. Wichtig für ihn war die innere, psychologische Aneignung der Erlösung durch den Gläubigen, seine Erleuchtung und Bekehrung also, die dann in seine Erneuerung und
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Heiligung einmünden. Seine Gedanken wurden weithin aufgegriffen sowohl von denen, die die bestehende evangelische Kirche zu reformieren suchten, als auch von denen, die es für notwendig hielten, außerhalb der offiziellen Kirche zu agieren, um Freiheit für die Entwicklung ihres Glaubens zu finden (die kirchlichen und die radikalen Pietisten). 2.2. Unter den ersteren war A. H. -»Francke überaus einflußreich, nicht zuletzt durch sein Wirken an der Universität -»Halle. Ebenso wie Spener ging Francke der subjektiven Seite der christlichen Erfahrung nach. Dabei betonte er sehr stark den Bußkampf, der der christlichen -» Wiedergeburt vorausgeht, die wiederum - in einer der mittelalterlichen Mystik entlehnten Sprache - als ein Durchbruch erfahren wird. Francke lehrte, daß jenseits der Rechtfertigung ein Leben liege, das aus einem Wachsen hin zur Vollkommenheit bestehe. Durch die Rechtfertigung sei der Christ bereits vollkommen, insofern, als seine Sünden Christus und Christi Rechtschaffenheit ihm angerechnet würden. Gleichzeitig liege er nun jedoch im Kampf mit seinen alten sündigen Gewohnheiten, der in diesem Leben niemals abgeschlossen sein werde, auch wenn man danach trachten sollte, Fortschritte zu machen oder gar die Oberhand zu gewinnen. Einen solchen Lebensstil konnte Francke als Nachfolge Christi beschreiben (Predigten über die Sonnund Festtags-Episteln, Halle 1741, 6 2 7 - 6 4 7 : Erb 135ff). Die Nachfolge Christi bedeute, „das Zöllnerhäuschen des Unglaubens, die Lust der Augen und des Fleisches und den Hochmut des Lebens hinter sich zu lassen und unserem Meister und Erlöser Jesus Christus nachzufolgen". Eine solche Nachfolge konnte man sowohl von ihrer äußeren wie auch von ihrer inneren Seite betrachten, doch „man darf den Anfang nicht mit der äußerlichen Nachfolge Christi oder mit der Nachahmung seiner äußerlichen Werke beginnen. Vielmehr muß die Grundlage in einer inwendigen Nachfolge Christi gelegt werden" (vgl. Phil 2,5). Äußerlich sollen wir also Christi Beispiel und die Art und Weise seines Lebens und Sterbens nachahmen, innerlich „wird Christus in uns Gestalt gewinnen (Gal 4,19), so daß dieselbe Form, dieselben Gedanken und dieselben Kennzeichen in uns Gestalt gewinnen könnten, die man bei Christus Jesus unserem Erlöser fand" (a.a.O. 138). 2.3. Die Nähe zu den Gedanken der spanischen Karmeliter —»Johannes vom Kreuz und -»Teresa von Avila von der Gleichförmigkeit der Seele mit Christus, ihrem Geliebten, sind bemerkenswert. Wahrscheinlich führt von hier der Weg zu einer großen Aufnahmebereitschaft von seiten der Pietisten für die Gedanken von Mystikern wie J . -»Böhme und von Quietisten wie Madame de Guyon (-»Quietismus). Solche Entwicklungen findet man im Werk G. -»Arnolds, der die unio mystica betont und unter Rückgriff auf Motive der Sophia den Glauben innerhalb der verborgenen persönlichen mystischen Beziehung zwischen Christus und dem Gläubigen ansiedelt. Dieser Vorrang des Inneren gegenüber dem Äußeren kommt auch zum Ausdruck in Franckes Betonung der Nachfolge Christi als einer „wahren Berufung, die sehr viel edler ist als jede äußere Berufung" (a.a.O. 138f). Dennoch wäre es ein Fehler zu glauben, die Pietisten hätten ihre Aufmerksamkeit ausschließlich auf das inwendige Seelenleben gerichtet. Die Herrnhuter, die sich vor allem auf Nikolaus Ludwig Graf von —»Zinzendorf bezogen, schenkten der Form des gemeinsamen Lebens, das sie führten, große Aufmerksamkeit. Dennoch waren solche Gemeinschaften - zumindest anfänglich - von der sie umgebenden Gesellschaft klar abgegrenzt. 3. Kierkegaard.
Leben-Jesu-Forschung
Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen der Gedankenwelt S. -»Kierkegaards und der der Pietisten sind ungeachtet aller nicht zu verkennenden Unterschiede bemerkenswert. Tatsächlich wuchs Kierkegaard unter dem Einfluß der Herrnhuter auf. Ebenso wie die Pietisten befaßte er sich intensiv mit der Analyse des menschlichen Innenlebens. Man muß jedoch hinzufügen, daß dies nicht aus einem rein abstrakten oder theoretischen
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Interesse geschah, sondern zu seiner Suche nach w a h r e r Individualität g e h ö r t e . Auch suchte K i e r k e g a a r d e b e n s o wie die Pietisten, der offiziellen dänischen K i r c h e seiner Z e i t neues L e b e n e i n z u h a u c h e n . Dies f a n d seinen H ö h e p u n k t in seinem Angriff a u f B i s c h o f M y n s t e r , den m a n bei seinem B e g r ä b n i s als einen wahren Zeugen der W a h r h e i t gepriesen hatte. Es gibt weitere Ä h n l i c h k e i t e n . Beharrlich weist Kierkegaard d a r a u f hin, d a ß der Weg zum G l a u b e n durch eine A n e r k e n n u n g der eigenen Sündhaftigkeit führe. E r sieht das christliche L e b e n als eine Wiederherstellung, „ W i e d e r h o l u n g " , der gefallenen M e n s c h h e i t und in dieser Wiederherstellung zu wahrer M e n s c h l i c h k e i t die G r u n d l a g e jeder wahren G e s e l l s c h a f t . Die Art und Weise, in der Kierkegaard diese Themen entfaltet, ist jedoch völlig neuartig. Zunächst ist seine Analyse der verschiedenen Existenzstadien sowohl dem Stil als auch dem Inhalt nach völlig verschieden von der der Pietisten. Wenn sie es vorzogen, die unterschiedlichen Stadien des christlichen Lebens vor und nach der Bekehrung in einer bekenntnishaften, autobiographischen Art und Weise darzustellen, so bediente sich Kierkegaard systematisch der Pseudonymität, die es ihm erlaubte, eine ironische, „sokratische" Untersuchung der verschiedenen Arten menschlicher Existenz zu verfolgen. Während die Pietisten wiederum für ihre Darstellung der Lebensstadien in erheblichem Umfang auf die orthodoxe Lehre des ordo salutis zurückgriffen, brach Kierkegaard weitgehend mit dieser Überlieferung und trat stattdessen in einen Dialog mit der Kultur und Philosophie seiner Zeit. In Entweder-Oder stellte er die ästhetische Existenzform der ethischen und religiösen gegenüber. Das ästhetische Stadium beinhaltet Zustände „unmittelbarer Lebenseinheit (des Glückes, der Jugend, des Erotischen, des Genies)" und deren Gegenteil. Je mehr es offensichtlich wird, daß „der Genießende in seinem Erlebnis nicht aufgeht, weil er nicht in der gefühlten Einheit mit seinem Gegenstande bleibt, umso mehr gerät er in Angst" (Anz 1268). Solch eine Angst kann nur dann überwunden werden, wenn der einzelne sich dafür entscheidet, er selbst zu sein, seine eigene wahre Individualität zu entdecken (das ethische Stadium). Solche Individualität liegt in der Freiheit des menschlichen Geistes, sich über seine Furcht zu erheben und seine ethische Verantwortlichkeit anzunehmen. Dieses Stadium hängt eng mit dem religiösen Stadium zusammen, in dem das Bewußtsein der Sünde den Zugang zur Vergebung eröffnet, die durch den Gott-Menschen Jesus gebracht wird. Nur diese Vergebung ermöglicht die „Wiederholung" der menschlichen Existenz, durch welche die Individuen — im Glauben - ihre wahren Möglichkeiten verwirklichen können. Die christliche Existenz, die wahre individuelle Existenz, die ihre universale Bedeutung hat, besteht nicht einfach darin, daß man das alte Selbst beiseite legt, sondern vielmehr darin, daß das wahre Selbst einer Person verwirklicht wird. Pietisten wie F r a n c k e hatten die N a c h f o l g e Jesu so verstanden, d a ß sie sich in erster Linie a u f den Weg zur V e r v o l l k o m m n u n g derer beziehe, die zum G l a u b e n an Jesus gefunden hatten. Für K i e r k e g a a r d j e d o c h hängt die N a c h f o l g e J e s u sehr viel enger mit d e m G l a u b e n s a k t selbst z u s a m m e n . D e r G l a u b e an Jesus, den G o t t - M e n s c h e n , ist streng v o m geschichtlichen W i s s e n um J e s u s zu unterscheiden. D e r G l a u b e ist nur denen m ö g lich, die „ g l e i c h z e i t i g " mit Jesus w e r d e n , für die also, die 1800 J a h r e , die K i e r k e g a a r d s Z e i t g e n o s s e n von J e s u s trennten, ganz einfach als bedeutungslos z u s a m m e n s c h m e l z e n . D i e w a h r e J ü n g e r s c h a f t besteht darin, d a ß m a n Jesus in „deiner w a h r e n G e s t a l t , von der W i r k l i c h k e i t u m s c h l o s s e n , so wie du hier gingest auf E r d e n " (S. K i e r k e g a a r d , Einü b u n g im C h r i s t e n t u m , übers, v. E . H i r s c h [ G W 2 6 ] , D ü s s e l d o r f / K ö l n 1 9 6 2 , 5) sieht. Eine solche G e s t a l t ist die G e s t a l t der Erniedrigung, die nur von den G l ä u b i g e n w a h r g e n o m m e n wird und den menschlichen Verstand beleidigt. Von ihr zu unterscheiden ist der e s c h a t o l o g i s c h e Z u s t a n d der H e r r l i c h k e i t , in dem Jesus wiederkehren wird. I m G e g e n s a t z dazu beruhen historische Sichtweisen ( d . h . solche, die die G e s c h i c h t e der A u s w i r k u n g e n J e s u a u f das L e b e n der K i r c h e ins Auge fassen) auf der A n n a h m e , d a ß die Folgen eines M e n s c h e n l e b e n s von g r ö ß e r e r Bedeutung sind als dieses L e b e n selbst, da m a n erst dann ein wirkliches Urteil über seinen Wert fällen k ö n n e , wenn m a n die A u s w i r k u n g e n seines Lebens in der G e s c h i c h t e betrachte. Es ist müßig, sich vorzustellen, m a n k ö n n e einen Beweis der G ö t t l i c h k e i t J e s u erb r i n g e n , indem m a n den Folgen des L e b e n s J e s u durch die G e s c h i c h t e der Christenheit n a c h s p ü r t . Die G e s c h i c h t e , die in seinem Leben ihren Ursprung h a t , ist von keinerlei B e d e u t u n g Im Vergleich zum g o t t m e n s c h l i c h e n Wesen J e s u , mit d e m er uns in seiner
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Erniedrigung gegenübertritt. Tatsächlich ist dies ein qualitativer Unterschied, und eine Vermischung der beiden Ebenen kann nur dazu führen, daß man das wahre Wesen des Glaubens nicht erfaßt und das Urteil wie die Einladung, die der erniedrigte Christus an alle Aufnahmebereiten ergehen läßt, nicht hört. Für Kierkegaard ist daher Christi Aufforderung, ihm zu folgen, eine Aufforderung, mit ihm zu leiden. Und so wie Christi Leiden in seiner Wahrhaftigkeit seinen Ursprung hatte, so wird auch das Leiden der Christen aus ihrer Wahrhaftigkeit entspringen. Denn aus solcher Wahrheit zu leben, besteht nicht nur in einer Anerkennung bestimmter Lehren: Jüngerschaft bedeutet, ein Leben der Erniedrigung und des Leidens zu leben. Hier (und nicht etwa in den vorgeblichen Auswirkungen des Lebens Jesu in der Geschichte der Kirche) findet man den Gott-Menschen. Kierkegaards Polemik gegen historische Betrachtungsweisen Jesu hängt eng mit seiner Polemik gegen den zeitgenössischen Zustand der Kirche zusammen. Historische Betrachtungsweisen des Christentums, die sich auf die geschichtlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Lehre Jesu konzentrierten und im 19. Jh. in der Synthese der Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft ihren Höhepunkt fanden, nahmen dem Evangelium seine Schärfe. Die radikale Forderung, zuerst nach dem Reich Gottes zu streben, wird durch das Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung und Sicherheit beiseite geschoben. In seinen letzten Lebensjahren sind Kierkegaards Schriften von einer grimmigen Ironie geprägt: „Das Christentum läßt sich vervollkommnen (ist perfektibel); es schreitet vorwärts; jetzt ist es erreicht, das Vollkommene. Was als Ideal erstrebt wurde, was aber selbst die erste Zeit doch nur annäherungsweise erreichte, daß die Christen ein Volk von Priestern seien, das ist jetzt vollkommen erreicht, besonders im Protestantismus in Dänemark. Falls nämlich das, was wir Pfarrer nennen, wirklich Priester sein ist - ja, dann sind wir alle Priester!" (S. Kierkegaard, Der Augenblick. Aufs. u. Sehr, des letzten Streits, übers, v. H. Gerdes [GW 34], Düsseldorf/Köln 1959, 201) Das Leiden des wahren Jüngers entspringt nicht zuletzt seinem Bemühen, seinem Herrn in einer Kirche, die ihn verlassen hat, treu zu bleiben. 4. Schweitzer
und
Bultmann
4.1. A. —»Schweitzer hat sowohl die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung als auch ihre Grabrede verfaßt. In dieser Hinsicht teilt er Kierkegaards Gespür dafür, daß Jesus für die Kirche seiner Zeit ein Fremder ist. Es ist keineswegs der Fall (wie man dies zuweilen behauptet hat), daß er an dem Versuch, mit historischen Methoden so viel wie möglich über Jesus zu erfahren, Anstoß nimmt, oder daß er historisches Wissen über Jesus für unvereinbar mit dem Glauben an Christus hält. Er ist vielmehr der Überzeugung, daß die historische Forschung sowohl den alexandrinischen Spielarten der Christologie als auch der liberalen Sicht Jesu, wie sie von Gelehrten wie A. -»-Ritschl und A. v. —>Harnack vertreten wurde, vollständig den Boden entziehe. Die Leben-Jesu-Forschung „löste die Bande, mit denen er seit Jahrhunderten an den Felsen der Kirchenlehre gefesselt war, und freute sich, als wieder Leben und Bewegung in die Gestalt kam und sie den historischen Menschen Jesus auf sich zukommen sah. Aber er blieb nicht stehen, sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige zurück" (Schweitzer 620). Die gründliche historische Forschung erweist Jesus als eine Gestalt, die für die Welt des späten 19. Jh. ein Fremder ist: ein „fehlgeleiteter Apokalyptiker", der dieser Welt entsagt und nach einer anderen trachtet. Zwischen der weltbejahenden Ethik der liberalen Theologie, die den historischen Jesus in ihren Dienst stellen zu können glaubte, und der „Weltverneinung in Jesu Lehre" besteht also ein fundamentaler Widerspruch. Es bestand die Gefahr, daß die moderne Theologie „um des lieben Friedens willen" dieses Element der Weltverneinung leugnen „und so den Bogen entspannen und aus dem Protestantismus eine bloße soziologische statt einer religiösen Kraft machen" würde.
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Das Verdienst der historischen Forschung besteht darin, daß sie das in Wirklichkeit nur halb historische moderne Jesusbild beseitigte und stattdessen der Welt eine Gestalt zeigte, die kein Lehrer, sondern ein „gebieterischer Herrscher" ist. Wenn er sich als den Menschensohn verstand, ist „dies ein zeitlich bedingter Ausdruck dafür, daß er sich als einen Gebieter und Herrscher erfaßte" (ebd. 630). Diese unumschränkte Vollmacht ist in seinen Worten, wie man sie im Neuen Testament findet, noch immer gegenwärtig. Daher ist Jüngerschaft für Schweitzer die Antwort auf die radikale, weltverneinende Vollmacht der Worte Jesu, wie sie den Menschen über die Zeiten hinweg entgegentreten: „Als ein Unbekannter und Namenloser kommt er zu uns, wie er am Gestade des Sees an jene Männer, die nicht wußten, wer er war, herantrat. Er sagt dasselbe Wort: Du aber folge mir nach! und stellt uns vor die Aufgaben, die er in unserer Zeit lösen muß. Er gebietet. Und denjenigen, welche ihm gehorchen, Weisen und Unweisen, wird er sich offenbaren in dem, was sie in seiner Gemeinschaft an Frieden, Wirken, Kämpfen und Leiden erleben dürfen, und als ein unaussprechliches Geheimnis werden sie erfahren, wer er i s t . . . " (ebd.). Im Gehorsam gegenüber Jesu Worten, die dem Wunsch der Menschen nach einer Bestätigung ihrer eigenen „Welten" kraß zuwiderlaufen, können die Menschen nicht nur seine Vollmacht erkennen: sie können auch das Wesen jener Vollmacht erkennen, die die Normen ihrer eigenen Kultur übersteigt und in jenem Sinne „religiös" und „das ganz Andere" ist. 4.2. Solche Gedanken befinden sich in einer gewissen Nähe zu dem Geist, aus dem heraus R. —>Bultmann sein Buch Jesus (1926) schrieb. Für ihn war es zweifellos die Wechselwirkung zwischen dem Gläubigen und dem Wort Jesu, welche die Möglichkeit des Verstehens eröffnete. Was man über die Persönlichkeit Jesu oder gar über Jesu Glauben (wie verstand er seinen eigenen Tod?) wissen konnte, war für den eigenen Glauben ohne jede Bedeutung. Sofern seine Worte dieselben fundamentalen existenziellen Fragen ansprachen, denen auch die Menschen der Zeit Bultmanns gegenüberstanden, kam ihnen Vollmacht zu und konnten sie neue Möglichkeiten der Existenz und Sinnfindung eröffnen. In Jesu Verkündigung des Gottesreiches werden seine Zuhörer mit dem Gericht und der Gnade Gottes konfrontiert, und von ihrer Entscheidung, diese Aufforderung anzunehmen oder abzulehnen, hängt es ab, ob sie Gott als einen nahen oder fernen Gott erfahren. In ähnlicher Weise bietet Jesus in seinen ethischen Forderungen keine Rechtsordnung oder ein Programm gesellschaftlichen Handelns. Vielmehr konfrontiert er die Menschen mit einer Herausforderung, radikalen Gehorsam zu leisten und sich dem Willen Gottes mit ganzem Herzen zu ergeben. Das Gebot an den reichen Jüngling, all seine Habe zu verkaufen, ist nicht eine allgemeine Aufforderung an alle Menschen, ihre Besitztümer aufzugeben, sondern vielmehr ein ganz besonderer Aufruf an einen ganz bestimmten Menschen, den Willen Gottes ohne Vorbehalt anzunehmen. Für den reichen Jüngling besteht die Schärfe dieses Gebots darin, daß es ihn herausfordert, das, was ihm am teuersten ist, aufzugeben, und dadurch die Grenzen seines formal korrekten Gehorsams gegenüber dem übrigen Gesetz anzeigt. Diese besondere Aufforderung offenbart also, „ob in jenem korrekten Verhalten wirklich der ganze Mensch steckte, ob jenes Tun dessen, was recht ist, wirklich auf der Entscheidung für das Gute beruhte" (Bultmann 70). Ein solcher Gehorsam ist also nicht als eine formale Unterwerfung unter eine höhere Gewalt zu verstehen. Es ist eine auf das Urteilsvermögen des Gläubigen gegründete Entscheidung für das Gute und gegen das Böse, die durch die Worte Jesu herbeigeführt wird. Auf diese Weise nimmt der Gläubige ein leichtes Joch auf sich, insofern, als es ihm nicht von einer äußeren Gewalt auferlegt wird. Zugleich ist es jedoch auch schwerer, insofern, als Jesus die Menschen lehrt, sich selbst „als in die Entscheidung gestellt, und zwar in die Entscheidung zwischen Gut und Böse als die Entscheidung für Gottes Willen oder für den eigenen Willen" (ebd. 60) zu sehen.
Nachfolge Jesu III 5. Neuaufnahme
des Nachfolgemotivs
durch Bonhoeffer
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Barth
5.1. D. -»Bonhoeffers Nachfolge erschien 1937, in demselben Jahr, als das Seminar, das er in Finkenwalde geleitet hatte, von der Gestapo aufgelöst wurde. Die Ursprünge des Werkes gehen jedoch zurück auf Bonhoeffers frühere Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Ideologie und seine Auseinandersetzung mit der Bewegung der —»Deutschen Christen in den frühen 30er Jahren. Ebenso wie Kierkegaard wendet sich auch Bonhoeffer gegen eine Kirche, die sich zu sehr mit der bestehenden Gesellschaft identifiziert hat - oder doch Gefahr läuft, sich zu sehr mit ihr zu identifizieren und infolgedessen ihre eigene christliche Identität zu verlieren. Bonhoeffer glaubt, daß die Wurzel des Übels in einer Verfälschung der Gnadenlehre liegt. Wo die Gnade vom Gebot Gottes und vom Kreuz geschieden wird, dort wird sie wohlfeil und bequem und gestattet der „Welt", sich das Christentum anzueignen, ohne Anstoß zu nehmen. Die Gläubigen können Vergebung, die Sakramente und die kirchliche Lehre empfangen und sich aneignen, ohne daß ihnen schwerwiegende Forderungen gestellt würden. Rechtfertigung ist nicht länger die Rechtfertigung, d.h. Umwandlung des Sünders, sondern lediglich eine Lehre über die Rechtfertigung der Sünde. Bonhoeffer glaubt, daß die Ausbreitung des Christentums zu einer solchen Verarmung der Gnadenlehre geführt habe. Nur die Bejahung der radikalen Forderungen des Evangeliums durch das ->Mönchtum (s.o. III.) habe ihr entgegengewirkt. Als Luther jedoch mit dem Mönchtum brach, mußte „der vollkommene Gehorsam gegen das Gebot Jesu . . . im täglichen Berufsleben geleistet werden" (Bonhoeffer, Nachfolge 35). Was Bonhoeffer mit seinem Buch wiederbeleben will, ist Luthers Gespür für die Dringlichkeit der christlichen Berufung in der Welt und für die Rechtfertigung des Sünders, das im -*Kulturprotestantismus zunehmend an Bedeutung verloren hatte und nun durch die teilweise Identifikation der Kirche in Deutschland mit der nationalsozialistischen Ideologie zusätzlich bedroht war. Bonhoeffers Buch ist eher der Erbauungsliteratur als der analytischen Theologie zuzurechnen. Zu seinen Grundthesen gehört, daß der christliche Glaube keine Philosophie oder Lehre darstellt, die man sich nach Belieben aneignen kann. Er ist vielmehr „eine Neuschöpfung der Existenz" (ebd. 50), die sich immer dann ereignet, wenn ein Einzelner Jesu Ruf gehorsam Folge leistet. Eben weil er eine Berufung in eine neue Existenz darstellt, erfordert er Gehorsam und die Bereitschaft, Jesu Ruf zu folgen. Der reiche Jüngling will mit Jesus das rechte Verständnis des Gesetzes erörtern. Jesus aber erinnert ihn daran, daß sich seine Frage in Wahrheit auf den radikalen Willen Gottes bezieht, der seinen uneingeschränkten Gehorsam einfordern will, was bei Bonhoeffer als „der konkrete Ruf Jesu und der einfältige Gehorsam" (ebd. 73) bezeichnet wird. Der reiche Jüngling sieht sich also einer Forderung gegenüber, die seine eigene Sicherheit in Frage stellt. Gleichzeitig erhält er jedoch die Einladung zu einem neuen Leben in Gemeinschaft mit Jesus. Hier legt Bonhoeffer einigen Wert darauf, sich selbst von solchen Ausdeutungen dieses Abschnitts innerhalb des Luthertums abzusetzen, die — wie wir gesehen haben — sich sehr wohl mit einiger Berechtigung auf Luther berufen können. Er wendet sich gegen Deutungen der Perikope vom reichen Jüngling, die lediglich von einer inneren Freiheit von Besitztümern sprechen. Der konkrete Ruf bestand darin, alles fahren zu lassen und Jesus nachzufolgen, und der reiche Jüngling wußte zumindest, daß seine Weigerung eine Verweigerung des einfachen Gehorsams war, dem „die Gemeinschaft mit Jesus" (ebd. 71) verheißen ist. Gleichzeitig ist Bonhoeffer jedoch darauf bedacht, Jesu Ruf nicht in ein Gesetz umzuwandeln. Es ist ein Ruf „in die konkrete Situation, in der ihm geglaubt werden kann" (ebd. 73). In diesem Sinne ist Bonhoeffer bereit, der Sichtweise Luthers eine gewisse Berechtigung zuzugestehen. Das Entscheidende an Jesu Ruf ist, daß es ein Ruf zur„Gemeinschaft mit ihm" und zum Glauben an ihn „als den Sohn Gottes und Mittler" (ebd. 72) ist. Er ist also denen möglich, die bereits den konkreten Schritt zur Jüngerschaft getan und den Geboten Jesu gegenüber Gehorsam geleistet haben. Ebenso wie Bultmann
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betont Bonhoeffer den konkreten Vollzug des Gehorsams im Gegensatz zum spezifischen ethischen Gehalt des Gebots. Eben wegen dieser Indifferenz gegenüber dem ethischen Gehalt ergibt sich dann jedoch auch eine implizite Indifferenz gegenüber dem Wesen des Handelns des Christen in der Welt, das Bonhoeffer später in seiner Ethik konkret aufgriff. Der Ruf zur Jüngerschaft hat einen Bruch mit all dem zur Folge, was den Menschen an diese Welt bindet: Familie, Volk, Geschichte, Natur. Auch wenn diese „Unmittelbarkeiten" möglicherweise von Gott reden, so ist dennoch ein Bruch mit ihnen erforderlich, durch den der Gläubige in die Lage versetzt wird, wirklich ein Individuum zu werden (vgl. Kierkegaard), so daß er dann in eine neue Gemeinschaft eintreten kann, die auf Jesus als dem Mittler gegründet ist (ebd. 89). Ebenso wie Abraham (ebd. 9 2 - 9 4 ) muß der Gläubige alle natürlichen Bande ablegen, um in radikalem Gehorsam gegenüber Gott sich selbst zu entdecken. Aber wer sich auf diese Weise absondert, um sich selbst in Gemeinschaft mit Jesus zu finden, bleibt nicht allein. Denn in jener Gemeinschaft empfängt er die Gabe der „Gemeinschaft der Gemeinde" (ebd. 95). Eine solche Jüngerschaft ist kein Rückzug aus der Welt, sondern ein „Angriff auf die Welt". Christen sind in eine Gemeinschaft von Jüngern berufen, die die Forderungen des Evangeliums in der Welt und nicht außerhalb von ihr ernst nimmt. Dies bedeutet nicht, daß christliche Jüngerschaft mit einem ganz bestimmten Aktionsprogramm verbunden ist. Christen sind berufen, ihr Leben in Gemeinschaft mit Christus in ihrer besonderen geschichtlichen Situation zu gestalten, die zwangsläufig unterschiedliche Formen annimmt. Dennoch wird von ihnen verlangt, mit allem Ernst auf die Gebote Gottes, wie sie durch die Worte Jesu vermittelt werden, zu hören. 5.2. K. -»Barth behandelt das Thema der Nachfolge Jesu zuerst unter der Überschrift „Des Menschen Heiligung" (KD IV/2, 603ff). Er erkennt seine Abhängigkeit von Bonhoeffer in vollem Maße dankbar an, und es gibt in der Tat wenig in diesem Abschnitt, was man nicht zumindest ansatzweise zu Bonhoeffer zurückverfolgen kann. „Der Ruf in die Nachfolge ist die besondere Form des Aufrufs, durch welchen sich Jesus einem Menschen erschließt und offenbart, um ihn damit als den Seinigen, als seinen Zeugen in der Welt in Anspruch zu nehmen und also zu heiligen" (ebd. 605). Eben weil dieser Ruf der Ruf in ein Verhältnis der Nachfolge ist, ist er in die Form eines Gebotes gekleidet. Die Gnade, die die Menschen erreicht, ist eine „gebieterische Gnade". Sie bindet die Menschen an den Rufenden, nicht an eine Idee oder ein gedankliches System, geschweige denn an die vermeintlich christliche Vorstellung eines Vatergottes. Jesus verlangt von den Menschen keinen „Dienst", sondern nur, daß sie Gott vertrauen und so den ersten Schritt auf ihn zu machen sollen. „Die Nachfolge entsteht im Glauben, um sofort in der Tat des Jesus geleisteten Gehorsams zu bestehen" (ebd. 607). Ein solcher erster Schritt beinhaltet jedoch eine Entscheidung von Seiten des Gläubigen, sich von seiner alten Existenz abzuwenden, sich zu verleugnen und zu handeln! Darüber hinaus beinhaltet ein solcher Schritt einen Bruch mit den konkreten „Lebensordnungen" dieser Welt. Verlangt wird ein Bruch mit weltlichen Formen des Besitzes, der Ehre und der Macht, mit der Familie und sogar mit dem „absolut gesetzten Nomos der Religion, der frommen Welt" (ebd. 623). In einem späteren Abschnitt „Des Menschen Berufung" (KD IV/3, 615ff) kommt Barth auf das Thema der Jüngerschaft zurück, zunächst, um die Unterordnung der Gläubigen unter Christus innerhalb der Gemeinschaft mit ihm festzustellen. Eine solche Unterordnung beeinträchtigt die Freiheit des Christen nicht: Der Ruf ist in Gottes unumschränkter Gnade gegründet und wird vom Gläubigen in Freiheit angenommen. Als zweites legt Barth Wert auf die Feststellung, daß eine solche Beziehung dennoch eine vollkommene communio, eine Vereinigung darstellt. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Art von Aufgehen des Gläubigen in Christus, sondern um eine echte Vereinigung, wodurch der Christ zum Zeugen der Erlösung wird, die Christus für ihn gewirkt hat. Darüber hinaus ist eine solche Vereinigung nicht einfach das letztendliche Ziel des
Nachfolge Jesu III
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christlichen Lebens, da sich dessen letztendliche Wirklichkeit erst enthüllen muß. Sie festigt vielmehr eben die Form christlichen Lebens, die Gemeinschaft, die dem Gläubigen durch Gottes gnädigen Ruf bereits angeboten wird. 6. Theologie
der
Befreiung
Die Theologie der Befreiung gründet sich auf den Glauben, daß die wahre Theologie die Dienerin befreienden Tuns in der Kirche sein müsse. Dies wiederum drückt sich in einem Verständnis Jesu Christi als des Befreiers aus, der sich selbst entäußerte und Knechtsgestalt annahm (Phil 2,6ff), der in seinem irdischen Leben sich mit den Armen solidarisierte und von den politischen Machthabern als ein Umstürzler zum Tode verurteilt wurde. Dies bedeutet, daß es ihm nicht einfach um die Schuld und die Sünde des einzelnen zu tun ist, sondern um die gemeinschaftliche, gesellschaftliche Sünde, die ganze Gesellschaftsschichten in menschenunwürdiger Abhängigkeit hält und erniedrigt. In Christus stellt sich Gott auf die Seite der Armen, und die Kirche muß sich ebenfalls für die Armen aussprechen, wenn sie ihm in Wahrheit folgen soll. Die Liebe Gottes, die in Jesus sichtbar wurde, sucht die Welt zu erlösen und „läßt die Morgendämmerung eines neuen Menschen in einer neuen Welt vorausahnen. Die Liebe gibt den Kleinen, den Schwachen, den Armen Vorrang So fordert Jesus . . . die völlige Nachfolge, die den ganzen Menschen, alle Menschen, umfaßt und die ganze Welt und den ganzen Kosmos einschließt. Die Radikalität dieser Forderung führt dazu, daß weder die Umkehr des einzelnen noch die der Gesellschaft jemals abgeschlossen sein kann. Denn wenn auch das Reich Gottes sich in geschichtlichen Taten verwirklicht, so erschöpft es sich doch nicht in ihnen, noch identifiziert es sich mit ihnen" (Dokument der III. Generalkonferenz 46 f). In theologischer Hinsicht sollte man in diesem Zusammenhang eine Reihe bedeutender Entwicklungen zur Kenntnis nehmen. Jesu Ruf, die Forderungen, die er seinen Anhängern stellt, werden hier mit einem ganz bestimmten Inhalt gefüllt, der natürlich keine bestimmten Handlungsweisen vorschreibt, aber doch sicherlich die Kirche als Gemeinschaft der Anhänger Jesu auf dem Gebiet sozialer Gerechtigkeit und Befreiung zu genau umgrenzbaren Zielen führt. Abgeleitet wird ein solcher Inhalt jedoch nicht einfach aus einer historischen Betrachtungsweise Jesu als eines Propheten des 1. J h . , der gegen das Unrecht an seinem Volk Einspruch erhebt, sondern von einer christologischen Perspektive, die seine Handlungen als konkrete Veranschaulichungen der universalen Liebe Gottes gegenüber den Armen betrachtet (vgl. Boff: Gibellini 102). In dieser Perspektive bieten nicht nur Jesu Leben und Sterben ein bedeutendes Vorbild für seine Anhänger, sondern auch seine Auferstehung ist von großer Bedeutung. Denn nur weil seine „Auferstehung die volle Inthronisierung der leib-seelischen Wirklichkeit des Menschen im Bereich des Göttlichen bedeutet", wird der Tod überwunden und das menschliche Leben nicht länger von den mechanischen Gesetzen des Todes und der Auflösung beherrscht (ebd. 122). Ist diese Perspektive in umfassender Weise theologisch, so ist sie dennoch gleichzeitig konkret und handlungsorientiert. Bekehrung und Jüngerschaft bedeuten einen Bruch mit unserer Kultur und unserer Gesellschaftsschicht, „d.h. mit allem, was eine wirkliche und tiefgreifende Solidarität mit all denen unmöglich macht, die leiden, und zwar besonders die an einer Situation des Elends und der Ungerechtigkeit leiden" (Gutierrez 193). In ekklesiologischer Hinsicht hat dies für die lateinamerikanischen Kirchen mit ihrem kolonialen Erbe weitreichende Folgen nach sich gezogen. Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen, die auch für die Weltkirche nicht ohne Folgen blieb, war die Entstehung kirchlicher Basisgemeinden. Dabei handelt es sich um Gruppen, die zusammen die Bibel lesen und in ihren eigenen Gemeinden ein befreiendes Tun zu verwirklichen suchen, wobei die Leitung dieser Gruppen oft zum überwiegenden Teil in den Händen von Laien liegt. Im Laufe der Jahre bezahlten viele Christen in -»Lateinamerika ihre Teilnahme am Kampf für Gerechtigkeit und -»Menschenrechte mit dem Leben. (Literatur S . 7 0 8 )
John K. Riehes
Nachfolge Jesu IV
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IV. Ethik 1. Der Ort der Nachfolge Jesu in der Dogmatik: Protestantische imitatio Christi oder subversive Metapher? 2. Nachfolge und Heiligung 3. Christliche Jüngerschaft in der Kirche und in der Welt (Literatur S. 708)
1. Der Ort der Nachfolge oder subversive Metapher?
Jesu in der Dogmatik:
Protestantische
imitatio
Christi
Es läßt sich k a u m b e h a u p t e n , d a ß die N a c h f o l g e J e s u - wenigstens in der protestantischen T h e o l o g i e - zu einem Begriff mit e i n e m k l a r und deutlich a n e r k a n n t e n Platz innerhalb der d o g m a t i s c h e n o d e r systematischen T h e o l o g i e geworden ist. B o n h o e f f e r s W e r k ist eher eine e r b a u l i c h e o d e r biblische M e d i t a t i o n als eine systematische A b h a n d lung. Barth greift es a u f und verarbeitet es in seiner Lehre von der Heiligung. In den früheren Schriften spielt der Begriff bestenfalls eine untergeordnete R o l l e . M a n h a t zuweilen b e h a u p t e t , die N a c h f o l g e sei eine protestantische Alternative zur eher traditionellen Lehre der imitatio Christi mit ihrer - wenigstens für Protestanten - u n a n n e h m baren Verlagerung des S c h w e r p u n k t e s von der G n a d e auf die W e r k e . S p r i c h t m a n von N a c h f o l g e , mit der B e t o n u n g a u f der k o n k r e t e n , ganz spezifischen und d e s h a l b unwidersprechlichen F o r d e r u n g , die Jesus seinen J ü n g e r n stellt, so vermeidet m a n den Anschein, d a ß J e s u s d e m G l ä u b i g e n ein neues Gesetz auferlegt, w ä h r e n d der T h e o l o g e gleichzeitig Gelegenheit zur Prüfung der Forderungen erhält, die ein solcher A u f r u f in der T a t mit sich bringt. D a s hat z w a r einiges für sich, doch wenn es d a r a n geht, den C h a r a k t e r jener F o r d e r u n g zu b e s t i m m e n oder anzugeben, worin das Wesen des neuen Lebens besteht, an dem der G l ä u b i g e i n n e r h a l b der durch jenen gnädigen R u f geschaffenen neuen G e m e i n s c h a f t Anteil hat - dann spielt die Vorstellung der N a c h f o l g e in der Praxis meist eine eher untergeordnete R o l l e , w ä h r e n d sich die E r ö r t e r u n g in den B a h n e n der eher traditionellen Vorstellungen der Berufung und der S c h ö p f u n g s o r d n u n gen auf der einen Seite und der Heiligung, unio mystica und G l e i c h f ö r m i g k e i t mit Christus auf der anderen Seite bewegt. K . B a r t h k a m es zweifellos d a r a u f an, ein L e h r g e b ä u d e zu errichten, das zu einem g r o ß e n Teil die traditionellen Kategorien der r e f o r m a t o r i s c h e n Lehre voraussetzte und vielleicht deshalb B o n h o e f f e r s E r ö r t e r u n g ganz selbstverständlich in seine eigene Perspektive miteinbezog. I n n e r h a l b dieses R a h m e n s hat der Begriff der N a c h f o l g e als eine M e t a p h e r dazu gedient, traditionellere reformierte Verstehensweisen, i n s b e s o n d e r e der Kategorien von G e s e t z und E v a n g e l i u m , zu verunsichern. I n n e r h a l b der r ö m i s c h - k a t h o lischen T h e o l o g i e bestand die T e n d e n z , den Begriff der N a c h f o l g e anstelle der Vorstellung von der imitatio Christi zu v e r w e n d e n , die allzusehr an b e s t i m m t e F o r m e n der individualistischen F r ö m m i g k e i t erinnerte. Z w e i Fragen sind es, die der Begriff der N a c h f o l g e J e s u mit besonderem N a c h d r u c k aufwirft: (1) Inwieweit k a n n die Vorstellung der J ü n gerschaft ethische N o r m e n und R i c h t l i n i e n für das christliche H a n d e l n h e r v o r b r i n g e n ? (2) Inwieweit führt die Vorstellung von der J ü n g e r s c h a f t Christi zu einer N e u f o r m u lierung des Verhältnisses der K i r c h e zur Welt und zu ihrer U m w a n d l u n g ?
2. Nachfolge
und
Heiligung
D i e enge Verbindung, die wir bei Calvin, den Pietisten und B a r t h zwischen J ü n g e r schaft und Heiligung b e o b a c h t e t h a b e n , k ö n n t e sehr w o h l den G e d a n k e n nahelegen, die primäre ethische B e d e u t u n g des G e d a n k e n s der J ü n g e r s c h a f t stehe in Beziehung zu den moralischen Qualitäten, die in d e m J ü n g e r durch seine N a c h f o l g e Christi hervorgebracht werden sollten. J e n e , die Christi R u f zur N a c h f o l g e g e h o r c h e n , sind ihm in G e m e i n s c h a f t verbunden und werden dadurch im Verlaufe eines lebenslangen gehorsamen Dienstes gestärkt und geheiligt. H i e r m u ß m a n j e d o c h , wie dies J . G u s t a f s o n im 5. Kapitel seines B u c h e s Christ and the Moral Life mit g r o ß e r K l a r h e i t getan h a t , zwi-
Nachfolge Jesu IV
703
sehen den verschiedenen Arten unterscheiden, in denen die Vorstellung von Christus als einem Vorbild benutzt wird. Es versteht sich von selbst, d a ß Jesus nicht einfach als ein Vorbild für menschliches Handeln gilt, sei dies nun in seinem menschlichen ethischen Verhalten oder sei es in dem vorbildlichen Verhalten des unter uns Gestalt gewordenen Gottmenschen. Die Vorstellung von Christus als einem moralischen Ideal, die sich im liberalen Christentum großer Beliebtheit erfreute, wird scharf zurückgewiesen von denen, die der Meinung sind, d a ß der Ruf zur Jüngerschaft mit allen moralischen Satzungen, Legalismen und politischen Programmen bricht, indem er den einzelnen zu einem einfachen Gehorsam gegenüber dem Ruf Christi aufruft. Aus diesem Grunde hob Bonhoeffer hervor, daß der Ruf zur Jüngerschaft in erster Linie ein Ruf zur Gemeinschaft mit Jesus sei, wobei der näheren Form des Gebotes letztlich keine Bedeutung zukomme, und zwar auch dann, wenn der Ruf in Gestalt des konkreten Gebotes ergeht, seine Habe zu verkaufen und sich aus menschlichen und irdischen Bindungen zu lösen. Auch dort, w o der Ruf zur Nachfolge Jesu sich als Ruf zur Nachahmung seines Lebens in Gehorsam, Leiden und Demut darstellt, gilt es unbedingt festzustellen, daß er damit keineswegs im Hinblick auf mögliche moralische Auswirkungen auf den Gläubigen erhoben wird. Vielmehr „gehen der Glaube an und das Vertrauen auf Christus der Sorge um das zeitliche und irdische Wohl voran. . . . Für Kierkegaard und Bonhoeffer . . . ist die Gleichförmigkeit mit Christus die Gleichförmigkeit mit einem, dessen Gehorsam, Niedrigkeit, Demut und Leiden die Gegenwart und M a c h t Gottes erweisen" (Gustafson 169). Hier gibt es also keine Beziehung zur weltlichen M o r a l , sondern viel mehr eine Abkehr von ihr und ein Ergreifen der Wahrheit, der Welt und ihren ethischen Normen zum Trotz. Tatsächlich ist das, w a s dem Jünger geboten wird, bar jeden moralischen Gehalts. Er soll ganz einfach nicht von der Wahrheit ablassen und die Folgen auf sich nehmen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Leiden nach sich ziehen werden. Dieselben Beobachtungen über den Primat der religiösen über die ethische Motivation in der christlichen Jüngerschaft sind wiederum dort festzustellen, w o - wie bei Luther und einigen seiner Anhänger - die Gestalt des göttlichen Handelns in der Welt das Ziel der Nachfolge bildet. Für Luther läßt sich das Leben der Jüngerschaft im Bild darstellen als die Vereinigung zwischen Braut und Bräutigam, in der die Sünden der Braut abgewaschen werden und sie selbst verwandelt wird, während sie der vergebenden Liebe Christi der Welt gegenüber gleichförmig wird. In der Taufe erfahren die Christen ihren Tod und ihre Auferstehung mit Christus, um die Verwandlung des Lebens als Ganzes sichtbar zu machen (Wingren). Der Schwerpunkt liegt wiederum auf dem religiösen Motiv der Vereinigung mit Gott in Christus. Läßt sich also allenthalben ein klarer Vorrang des religiösen Aspekts vor dem ethischen feststellen, so bedeutet dies doch keineswegs, daß es innerhalb der christlichen Jüngerschaft keine ethische Ausrichtung und keinen Sinn für die rechte Lebensführung des Jüngers in der Welt gebe. Das christliche Leben bedeutet Gleichförmigkeit mit dem Handeln Christi, das die Welt verwandelt; insofern w i r d auch das christliche Leben zweifellos in das Erlösungswerk einbezogen, wenn auch die Konfessionen darüber streiten mögen, ob als wirkendes M o m e n t oder als Zeugnis. Auch ist christliche Jüngerschaft insofern, als sie das Tragen des Kreuzes zur Folge hat, „ein Aufsichnehmen der Welt mit all ihren Sorgen und Sehnsüchten, ihrem Leiden und ihrer Heilung, ihrer Ungerechtigkeit und ihren Siegen. Sie ist eine inwendige Identifikation mit den Unterdrückten und Enterbten in ihrem Kampf um Gerechtigkeit und ein besseres Leben, mit denen, die um des Evangeliums und der menschlichen Freiheit willen Gefangenschaft leiden, mit der Leere und der Einsamkeit der Menschen, die dem Leben durch Selbstmord, Alkohol oder auf andere Weise zu entfliehen versuchen. Das Tragen des Kreuzes ist Liebe zum Nächsten durch innere Anteilnahme an seinem konkreten Leiden und seiner Not. Es besteht darin, die Verantwortung für die Ursachen und für die Behebung verschiedener Formen des Leidens auf sich zu nehmen" (Gustafson 185).
704 3. Christliche
Nachfolge Jesu IV Jüngerschaft
in der Kirche und in der Welt
Es fällt auf, daß die frühen Entfaltungen des Gedankens der Nachfolge häufig in einem engen Zusammenhang mit Versuchen der Kirchenreform stehen. Dies gilt natürlich für Luther und die Reformatoren, aber ebenso auch für die Pietisten und Kierkegaard. Ihr Widerspruch richtet sich gegen eine Kirche, die es sich allzu bequem gemacht und sich durch ihr Bündnis mit der Welt in Form einer Staatskirche den weltlichen Normen allzusehr angepaßt hat. Christliche Jüngerschaft erfordert nun, daß man seine Loyalität und sein Zeugnis für Christus erneuert und durch Absage an die Weltlichkeit der Kirche den wahren christlichen Glauben wiederentdeckt. Das kann leicht dazu führen, daß man die Kirche in einem schroffen Gegensatz zur Welt sieht und dazu neigt, innerhalb der Kirche eine weitabgewandte Form des Gemeinschaftslebens anzustreben. Andererseits legt die ethische Ausrichtung, die der Gedanke der Nachfolge beinhaltet (Betroffensein vom Leiden der Welt und Aufsichnehmen der Verantwortung für seine Ursachen und seine Linderung), es dem christlichen Jünger nahe, sich moralisch und politisch zu engagieren und der Neigung zum Rückzug in einen sicheren geistlichen Hafen zu widerstehen. Diese innere Dynamik wird in der Entwicklung von Bonhoeffers Werk sichtbar. In seiner Nachfolge legt Bonhoeffer den Schwerpunkt auf die christologische Mitte des christlichen Lebens. Das findet in dem Versuch einer christologischen Erneuerung der Kirche seinen Ausdruck. In seinen nachgelassenen Schriften jedoch, insbesondere der unvollendeten Ethik und in Widerstand und Ergebung, findet man sehr viel tieferschürfende Überlegungen zum Verhältnis zwischen der christlichen Jüngerschaft und der Welt, die teils in seiner wachsenden Einsicht in die Eigenständigkeit der Welt, teils in seiner persönlichen Erfahrung der Jüngerschaft im Kampf mit dem Nationalsozialismus ihren Ursprung haben. Für den inhaftierten Bonhoeffer ist „das Mündigwerden der Welt" ein historisches Phänomen, eine Entwicklung in der Geschichte des Abendlandes, die am Ausgang des Mittelalters ihren Anfang nimmt. Es ist ein gottgewolltes Phänomen, das die Christen ermutigt, zu leben etsi Deus non daretur, indem sie sich weder auf die Hilfe oder das Eingreifen Gottes bei der Lösung der unausweichlichen Probleme des gesellschaftlichen Zusammenlebens verlassen noch eine göttliche Sanktionierung alter - oder auch neuer - W e g e der Ordnung und Überwachung solchen Zusammenlebens anstreben. Das Mündigwerden der Welt erfordert also von dem Jünger, daß er ohne Einschränkung am Leben der Welt Anteil nimmt: er muß „das irdische Leben wie Christus ganz auskosten" (Widerstand 227). Es erfordert auch „Widerstand" gegenüber den weltlichen Mächten, die Gott entgegenstehen - „auch wenn" der Jünger keine göttliche Hilfe ihnen gegenüber anrufen kann. Es bedeutet also eine Annahme der Wirklichkeit und Unabhängigkeit der Welt als des Ortes der Jüngerschaft, des „Kampfplatzes". Gleichzeitig obliegt es dem Jünger, die Herrschaft Gottes über seine Welt zu bejahen und sie in seinem Leben zu verwirklichen. Aus Bonhoeffers Ethik geht deutlich hervor, in welch hohem Maß er Luther verpflichtet ist. Luthers Lehre von den beiden Regimenten hatte eine „polemische Einheit" (64). Sie sollte Gottes Herrschaft über die gesamte Wirklichkeit, gleichzeitig aber auch die - relative — Unabhängigkeit des weltlichen Regiments bejahen. Spätere Ausdeutungen der Lehre unterschieden zwei „Reiche" und zerstörten damit die Einheit, die Luther erreicht hatte. Bonhoeffer beschreibt eine solche Denkweise als „Denken in zwei Räumen". In seinem Bemühen, sie zu überwinden, strebt er danach, räumliche Kategorien durch zeitliche zu ersetzen und die letzten Dinge von den vorletzten zu unterscheiden. Man soll das christliche Leben und seine Handlungsweisen um ihrer selbst willen nach Kräften verfolgen, doch stets unter dem Vorbehalt, daß sie unter dem Zeichen des Kreuzes und des göttlichen Gerichts stehen. In ähnlicher Weise soll man von Menschen geschaffene Einrichtungen wie den Staat, die Familie und die Nation nicht als Schöpfungs-
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Ordnungen betrachten, denen in der äußeren Welt - ganz im Gegensatz zur inneren - eine nicht hinterfragbare Autorität zukommt, sondern vielmehr als Instanzen, denen Gott einen begrenzten (zeitlich befristeten) Auftrag verliehen hat und die er jederzeit nach Belieben zur Rechenschaft fordern kann. Solche zeitlichen Kategorisierungen haben eine gewisse Ähnlichkeit mit biblischen, apokalyptischen Weisen der Erfassung des Verhältnisses zwischen dem Zeitlichen und dem Ewigen: Gott wird kommen, um seine Herrschaft über die Erde aufzurichten. Die Reiche dieser Welt werden gerichtet werden und der größeren Herrlichkeit, die offenbart werden soll, huldigen. In der Folge suchten Theologen wie J . Moltmann, eine Synthese zwischen utopischen Entwürfen wie etwa dem E. Blochs und der eschatologischen Sprache der Bibel zu schaffen. Utopische Visionen von Gerechtigkeit und Frieden dienen dazu, das Herz und den Verstand zum Kampf um mehr Gerechtigkeit gegenüber den Unterdrückten und um ein Ende von Krieg und Gewalt im Zusammenleben der Menschen zu bewegen. Gleichzeitig versehen sie alle menschlichen Anstrengungen mit einem Fragezeichen, einem „eschatologischen Vorbehalt". „Denn wenn auch das Reich Gottes sich in geschichtlichen Taten verwirklicht, so erschöpft es sich doch nicht in ihnen, noch identifiziert es sich mit ihnen" (Dokument der III. Generalkonferenz 47). Eine solche Verschmelzung weltlicher, marxistischer und biblischer Denkweisen ermöglicht ein gewisses Verständnis von Geschichte, birgt jedoch auch Gefahren. Weltliches Utopiedenken gerät dort in Gefahr, wo man die utopische Vision beherrschen und verabsolutieren will. Damit wird natürlich das eigentliche Wesen utopischen Denkens und Handelns völlig mißverstanden. Die Geschichte solcher Mißverständnisse ist jedoch zu finster, um sie außer acht zu lassen. Darüber hinaus ergeben sich aus dem Übergang von der biblischen und insbesondere der neutestamentlichen Eschatologie zum modernen Denken noch ganz andere Probleme, die A. Schweitzer und - von einem anderen Standpunkt aus - R . Bultmann eindringlich erörtert haben. Für A. Schweitzer bestand die Schwierigkeit, die sich aus J e s u eschatologischer Verkündigung des Evangeliums ergab, darin, daß sie die Gestalt J e s u der Neuzeit entrückte und es H i s t o r i k e r n ermöglichte, Jesus als einen M e n s c h e n seiner Zeit zu b e t r a c h t e n , der sich von den Bildern, welche die liberale L e b e n - J e s u - F o r s c h u n g so oft von ihm gezeichnet hatte, grundlegend unterschied. D a s ließ sich im Hinblick auf den weltverneinenden C h a r a k t e r des D e n k e n s J e s u zur Geltung bringen, d a ß er nämlich ein Ende dieser Welt und die Eröffnung eines von G o t t heraufgeführten neuen und völlig andersgearteten Zeitalters erwartete. F ü r viele schien dies jeden Versuch, überhaupt eine christliche Sozialethik zu formulieren, zum Scheitern zu verurteilen. D e n n o c h , so Schweitzer, hatten J e s u Worte immer noch die M a c h t , M e n s c h e n anzusprechen. Befreit von aller überlieferten C h r i stologie und nun auch genau unterschieden von allen Versuchen, ihn im neuzeitlichen G e w a n d darzustellen, konnte Jesus mit erneuerter Autorität sein Wort an die M e n s c h e n richten. So wie er einst mit der überweltlichen Autorität des M e n s c h e n s o h n e s zu M e n s c h e n gesprochen hatte, für die er ein völlig Fremder war, so konnten seine Worte auch M e n s c h e n des 2 0 . J h . ansprechen und sie zum gehorsamen Handeln aufrufen. Ein beredtes Zeugnis dafür w a r Schweitzers eigenes L e b e n .
Es gibt jedoch noch eine andere Seite des Problems, deren sich A. Schweitzer natürlich bewußt war: Jesus irrte in seiner Überzeugung, das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor. Wir können daher seine Lehre vom Gottesreich nicht einfach übernehmen, indem wir den zeitlichen Rahmen seiner Erwartungen modifizieren. Vielmehr müssen wir solche Endzeitvorstellungen in einer Weise erklären, die ihren Sinn innerhalb des jeweiligen kulturellen und politischen Umfelds zum Ausdruck bringt und so deutlich macht, welche Rolle ihnen in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft und Kultur möglicherweise zukommt. Andernfalls verwandelt sich der „eschatologische Vorbehalt" möglicherweise in einen bis zum Ende der Zeit aufgeschobenen „deus ex machina". Denkbar wäre z.B., daß solche Endzeitvorstellungen auch dann eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion erfüllen, wenn sie dem Wortsinn nach auf einem Irrtum beruhen. Sie ermöglichen es Menschen, die in politischer Hinsicht am Rande des Geschehens stehen, ihr Gefühl der Entfremdung zu bündeln und auszudrücken, ihrer eigenen Vision der Zukunft Ausdruck zu verleihen und dadurch kraftvolle Emotionen und
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Energien freizusetzen, die indirekt zu einem gesellschaftlichen und politischen Wandel führen können. Die prophetischen Gestalten, die solchen Visionen ihre Stimme leihen und - so wie Jesus - andere zu ihrer Nachfolge aufrufen, sind Gestalten auf der Grenze, die an der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen. Sie sind „besessen vom Geist der Veränderung, bevor Veränderungen in der öffentlichen Arena sichtbar werden" (Turner 28). Sie sind, mit Percy B. Shelley zu sprechen, „die heimlichen Gesetzgeber der Menschheit" insofern, als sie nicht tatsächlich die Gesetze und Regeln für das neue Zeitalter festschreiben, sondern vielmehr neue Metaphern prägen, die einer von Grund auf neuen Schau der Gesellschaft Ausdruck verleihen und die folgende Arbeit der Gesetzgebung ermöglichen, nachdem diese Metaphern ihren Zweck erfüllt haben. Darüber hinaus können solche Metaphern auch weiterhin Menschen dazu anspornen, nach Wegen zu ihrer Verwirklichung im sozialen Leben zu suchen. Diese Sicht der Jüngerschaft und der Eschatologie Jesu eröffnet möglicherweise alternative Ansätze zur Beantwortung der Fragen, die im Zusammenhang mit dem Gedanken der Jüngerschaft im Hinblick auf den Begriff der Gnade und auf die Ethik gestellt worden sind. Auch ergeben sich daraus tiefschürfende Fragen über unser Verständnis von Geschichte und den Beitrag religiöser, insbesondere christlicher Glaubensvorstellungen dazu. Ein solches Verständnis des gnädigen Rufs Gottes als eines Aufrufs, im gemeinschaftlichen Leben eine neue Schau der Wirklichkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens zu verwirklichen, ist an sich nicht eben neu. Wenn K. Barth von der „gebieterischen G n a d e " spricht, verleiht er genau solch einer Vorstellung Ausdruck. Auch ist gewiß das Verständnis des Rufs zur Jüngerschaft in beiden Fällen mit den Worten Jesu verbunden, wie sie uns durch das Neue Testament vermittelt werden. Was die beiden Ansätze unterscheidet, ist möglicherweise die unterschiedliche Einschätzung der Situation, in der sich die Hörer des Wortes befinden. Die Schwierigkeit, die das traditionelle reformatorische Verständnis von der Beziehung zwischen Wort und Glauben aufwirft, besteht darin, daß es den Hörer in einer eher mythologischen als historischen Begrifflichkeit erfaßt. Das Wirken des Wortes wird also im Hinblick auf den Mythos vom Sündenfall interpretiert, der als eine zeitlose Wirklichkeit alle Menschen überall in gleichem M a ß e betrifft. Der Zweck des Wortes besteht darin, Menschen von der Sünde freizumachen und die gefallene Natur zu ihrer einstigen Vollkommenheit zurückzuführen. Aber dieser Vorgang der Erneuerung, der Heiligung, vollzieht sich ohne den Vorgang der Erneuerung der Welt, der Suche nach Gerechtigkeit und Frieden in zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Beziehungen. Vielmehr handelt es sich darum, den einzelnen zum Heil zu führen. Natürlich mag jemand, der erlöst wurde, durch das Wort dazu befreit sein, sich umso umfassender und ungebundener in den Dienst der Menschheit zu stellen. In diesem Fall kann die christliche diakonia ein bedeutendes Werkzeug in den Händen Gottes zur Verwirklichung seiner Absichten werden: Die Jüngerschaft des einzelnen kann ihn oder sie also dazu führen, die Welt mitzugestalten. Eine solche Sicht der Beziehung des in der Gnade stehenden einzelnen Menschen zur Welt ist deutlich von jenem „Denken in zwei R ä u m e n " beeinflußt, dem Bonhoeffer entgegenzutreten suchte. Sie steht auch im Zusammenhang mit einer pessimistischen (manche würden sagen, realistischen) Einschätzung des Laufs der Welt, für die die Welt immer noch wesenhaft eine gefallene Welt ist und nicht — oder jedenfalls noch nicht — unter dem Einfluß der göttlichen Gnade steht und dem göttlichen Wirken höchstens ihre Bewahrung verdankt. Eine solche Sicht wird wiederum durch diejenigen Interpretationen der biblischen Eschatologie gestützt, die in der Nachfolge von J . Weiß das Kommen des Gottesreichs als einen Einbruch des göttlichen Gerichts und der göttlichen Gnade verstehen, der die menschliche Geschichte beendet und alle menschlichen Anstrengungen richtet. Für eine solche Sichtweise ist jeder Versuch, Aktionsprogramme und eine evangeliumskonforme Sozialpolitik zu entwickeln, im wesentlichen müßig. Die einzige Aufgabe des Christen besteht darin, in Erwartung des bevorstehenden Endes zu leben.
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Bonhoeffers Rede vom „Angriff der Gnade auf die Welt" (Nachfolge 5f) ist als eine unmittelbare Entgegnung auf solche Sichtweisen zu verstehen. Die Gnade wendet sich nicht einfach an den einzelnen, sondern durch ihn oder sie an die Welt. Die berufen sind, sind nicht als Sünder schlechthin berufen, sondern als jene, die, noch bevor sie der Ruf erreicht, in einer Welt stehen, auf die das gnädige Wort Gottes wirkt, das ihre Unzulänglichkeiten richtet und sie an ihr wahres Sein erinnert. Diese Welt hat daher eine Geschichte, die ihrem Wesen nach auf Gottes Gnade bezogen ist. Das bedeutet, daß eine solche Geschichte nicht nur ein Kontinuum ist, in das Gottes Wort zwar fällt, das aber nicht merklich von ihm verändert wird. Mit Bezug auf den Streit zwischen Luther und Müntzer könnte man sagen, daß Müntzer recht hatte, als er darauf beharrte, daß der von der Gnade bewirkte Umwandlungsprozeß nicht nur den inneren Menschen betrifft. Vielmehr wendet sich die Gnade an bestimmte Menschen in ihren schädlichen und zerstörerischen Verstrickungen, die unsere gegenwärtige Welt kennzeichnen - in ihrer „empirischen Schuld" also, die als ein abstraktes, gefallenes inwendiges Reich des Geistes gilt, an dem alle teilhaben. Man möchte jedoch hinzufügen, daß Luthers Bild der Dirne, die durch ihren Geliebten verwandelt wird, das Wesen dieser Verwandlung in angemessenerer Weise zum Ausdruck bringt als das von Müntzer bevorzugte Bild vom Unkraut und den Dornen, die aus der Seele des Menschen ausgejätet werden. Versteht man Gnade als die Verwandlung von Menschen, die in den zerstörerischen und unterdrückenden Strukturen einer gefallenen Welt gefangen sind, so bedeutet dies wiederum, daß Theologen eine sehr viel größere Bereitschaft als bisher aufbringen müssen, den unterschiedlichen Standort derer wahrzunehmen, die von Gottes Wort getroffen werden. Das Wort, das an die Armen in den Wohnsilos am Rande westeuropäischer Großstädte gerichtet ist, ergeht an Menschen, deren Erwartungen und Möglichkeiten sich von denen der Bewohner mittelständischer Wohngebiete sehr stark unterscheiden. Ähnlich äußern sich auch Theologen aus Lateinamerika. Als Opfer der Gesellschaft sind die Armen möglicherweise in der Lage, die Unaufrichtigkeit vieler Theologien zu durchschauen. D a s Evangelium wendet sich an die Armen in einer anderen Weise als an die Reichen, denn es redet von einem Gott, der „ a u f der Seite der A r m e n " (D. Tutu) ist und sich mit denen, die a m R a n d e der Gesellschaft stehen, identifiziert. D a s legt ein Verständnis des Rufes zur Jüngerschaft nahe, d a s sich von den bisherigen Ansätzen in bedeutungsvoller Weise unterscheidet. Dieser R u f zur Jüngerschaft kann nicht einfach mehr als Aufruf verstanden werden, alle nationalen, institutionellen, schichtspezifischen und familiären Bande zu lösen und sich sozusagen außerhalb des Ablaufs menschlicher Geschichte zu stellen. Gewiß durchkreuzt der R u f alle nationalen, gesellschaftlichen und familiären Bindungen. Er fordert die Menschen jedoch gleichzeitig dazu auf, sich den Armen und Unterdrückten zuzugesellen und sich mit denen zu solidarisieren, die ungerechten Machtverhältnissen, wie sie in den Einrichtungen dieser Welt allenthalben anzutreffen sind, zum Opfer gefallen sind. Eine solche Solidarisierung mit den Armen ist jedoch keine ausschließlich negative Gesellschaftskritik. Jesus propagiert eine „charismatische Wertrevolution" (G. Theißen, Jesusbewegung als charismatische Wertrevolution: N T S 35 [1989] 343 - 360), in der die Werte der Reichen - Weisheit und Großzügigkeit gegenüber den eigenen Feinden - von den Armen ausgesagt und dadurch verwandelt werden. Diese neuen Werte sollen in neue Formen der Gesellschaft eingehen, die aus dieser neuen Schau und dem K a m p f um ihre Verwirklichung hervorgehen werden. Die „ s a n f t e R a c h e " der Unterdrückten besteht darin, „eine neue Gesellschaft zu s c h a f f e n " (A. Sachs). Darüber hinaus wird, wie bereits Luthers Bildersprache nahelegt, eine solche U m w a n d l u n g nur in einem langen und schmerzhaften Prozeß gegenseitigen Austausches gelingen, der gewiß den uneingeschränkten G e h o r s a m eines jeden der in ihn Einbezogenen erfordert und auf die Probe stellt.
In dieser Hinsicht hat Bultmann recht, wenn er den Ruf zur Jüngerschaft als einen Aufruf zum uneingeschränkten Gehorsam gegenüber Gott versteht, der ganz konkret an jeden einzelnen ergeht. In seiner Beschreibung dieses Rufs als eines Aufrufs zur Entscheidung für das Gute und gegen das Böse trägt Bultmann jedoch dem gesellschaftlichen Aspekt solcher Entscheidungen in unzureichender Weise Rechnung. Möglicherweise trägt diese Erörterung auch dazu bei, neue Wege zum Verständnis der Beziehung zwischen dem Jünger und Christus, der unio mystica, zu eröffnen. Barth
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betont in seiner Erörterung (KD IV/2) sowohl die Freiheit des Gläubigen, den Ruf anzunehmen, als auch die Wirklichkeit der Vereinigung zwischen dem Gläubigen und Christus, die nicht nur das Ziel seiner Berufung, sondern die Grundlage des christlichen Lebens darstelle. Beide Aussagen können im Licht der oben skizzierten historischen Perspektive in unterschiedlicher Weise weiterentwickelt werden. Die Freiheit, welche die ausüben, die sich für den Weg der christlichen Jüngerschaft entscheiden, ist in dieser Sicht die Weiterführung der Freiheit derer, die in allen Bereichen des Lebens nach Wahrheit, Frieden und Gerechtigkeit suchen. Jüngerschaft beinhaltet die Entscheidung, Christus nachzufolgen und in die Gemeinschaft derer einzutreten, die unter seiner Führung und in seiner Gesellschaft danach trachten, Unterdrückung zu überwinden und geduldig für Frieden, Menschenwürde und Freiheit zu arbeiten. Gewiß ist es eine Entscheidung dafür, sich in dieser Art und Weise schulen und ausrichten zu lassen und aus der Kraft und den Einsichten derer zu schöpfen, die seine Zielvorstellungen im Leben ihrer je eigenen Gruppierung und Gesellschaft zu verwirklichen suchten. Doch es ist eine freie und aufrichtige Entscheidung dafür, auf diese Weise menschlichem Streben zu folgen. Auch ist dies eine Jüngerschaft, die in der Gemeinschaft mit denen ausgeübt wird, mit denen sich Christus solidarisiert hat und denen in seiner Auferstehung in Vorwegnahme der Zukunft ihr Recht widerfährt. Mit Recht betont Barth, daß die Vereinigung mit Christus nicht etwas lediglich Erwartetes, das Ziel christlicher Jüngerschaft ist, daß sie vielmehr die Grundlage dieser Jüngerschaft bildet. Für ihn findet die Vereinigung mit Christus ihren Ausdruck im wesentlichen darin, daß der Jünger von der durch Christus gewirkten Erlösung Zeugnis ablegt. Der eben skizzierten Auffassung zufolge wird Gemeinschaft nicht als Gemeinschaft allein mit Christus verstanden, sondern vielmehr als Gemeinschaft mit der Gemeinde des Gottesvolkes, mit der sich Christus identifizierte: der Armen und derer, die am Rande der Gesellschaft stehen. Eine Kirche, die nicht mehr eine Kirche der Armen ist oder die Armen lediglich als einen kolonisierungsbedürftigen Teil der Gesellschaft betrachtet, ist nicht mehr apostolisch. Eine Kirche, die ihren Antrieb nicht mehr aus der Wahrnehmung der Not der Armen der Welt schöpft und an dem Kampf zur Überwindung der Ungerechtigkeit aktiv Anteil nimmt, ist kein getreuer Zeuge des Evangeliums mehr. Man kann sich also nicht mit Barths Behauptung zufrieden geben, die wesentliche Form des Ausdrucks der Beziehung zwischen dem Gläubigen und Christus sei die der Zeugenschaft. In eben dem Ausmaß, in dem der Jünger zur Solidarität mit der Gemeinde der Gläubigen gerufen ist, muß er dieser Solidarität auch durch sein Handeln Ausdruck verleihen. Freilich mag dies zur Folge haben, daß er in prophetischer Weise Zeugnis für die Wahrheit des göttlichen Gerichts und der göttlichen Erlösung ablegt. Es wird aber auch zu einem Leben aktiver Mitwirkung am Kampf um Gerechtigkeit führen, ohne den die Zeugenschaft nichtig ist. So verstanden sind Theorie und Praxis ohne Verzerrung oder einen Verlust an Substanz nicht voneinander zu trennen. Literatur Kurt Aland (Hg.), Pietismus u. moderne Welt, Witten 1974. - Wilhelm Anz, Art. Kierkegaard: R G G 3 3 (1959) 1 2 6 5 - 1 2 7 1 . - Karl Barth, Die Kirchliche Dogmatik (KD) IV/2, Zürich 1955, 6 0 3 - 6 2 6 ; IV/3, Zürich 1959, 6 1 5 - 6 3 6 . - Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. T h e o l o g e - Christ - Zeitgenosse. Eine Biographie, München 1967 ' 1 9 8 6 . - Ders., Bonhoeffer. Exile and M a r t y r , London 1975. - Ders., Dietrich Bonhoeffer u. die theol. Begründung seines politischen Widerstandes: Theol. und Kirchenleitung. FS Martin Fischer, hg. v. Wolfgang Erk/Yorick Spiegel, München 1976, 5 8 - 7 2 . - Erich Beyreuther, August H e r m a n n Francke, 1 6 6 3 - 1 7 2 7 , H a m b u r g 1958. - André Biéler, La pensée économique et sociale de Calvin, Genf 1959. - Ders., L'humanisme social de Calvin, Genf 1961. - Dietrich Blaufuß, Reichsstadt u. Pietismus. Philipp J a c o b Spener u. Gottlieb Spizel aus Augsburg, Neustadt a . d . Aisch 1977. - Ernst Bloch, T h o m a s Münzer als T h e o l o g e der Revolution, Frankfurt 1962. - L e o n a r d o Boff, Jesus Christ Liberator, London 1980. - Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, München 1937 = 1989 ( D B W 4). - Ders., Ethik, München 1948 = 1992 ( D B W 6). - Ders., Widerstand u. Ergebung, München 1951 = N A 1970 3 1 9 8 5 . - Heinrich B o r n k a m m , Luthers Lehre von den zwei Reichen im Z u s a m m e n h a n g seiner Theol., Gütersloh 1958 3 1 9 6 9 .
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John K. Riehes V. Religionsgeschichte 1. Jesus im Manichäismus (Literatur S . 7 1 3 )
1. Jesus im
2. Jesus im Judentum und Islam
3. Jesus im Neo-Hinduismus
Manichäismus
Wenn man den -»Manichäismus als eigenständige Religion und nicht nur als Zweig des gnostischen Christentums betrachtet, so wird man sagen können, daß Jesus in keiner außerchristlichen Glaubensform so zentral ist wie hier. Der Gründer Mani (216-277) bezeichnete sich selbst in seinem „Lebendigen Evangelium" als „Apostel Jesu Christi". Freilich glaubte er, die ursprüngliche, im Laufe der Zeit verderbte Lehre Jesu in seiner eigenen Verkündigung wieder zur Geltung zu bringen. Diese aber nahm jüdische, gnostische, babylonische und vor allem iranische Elemente auf und verband sie zu einer neuen Synthese. Später kamen im östlichen Manichäismus, in Zentralasien und China, starke buddhistische Elemente hinzu. Dennoch blieb die Gestalt Jesu auch in der östlichen Religionsform zentral, wovon jene Jesus-Hymnen zeugen, die vor allem auf Mittelpersisch und Parthisch erhalten sind und die ihre Parallele in den Jesus-Psalmen des koptisch-manichäischen Psalmenbuches haben. Freilich ist der hier besungene Jesus nicht der historische Jesus von Nazareth, sondern der Gnosis-Vermittler Jesus, eine Lichtgestalt, die in verschiedenen alttestamentlichen Heilsgestalten wie auch in den Religionsstiftern Zarathustra und Buddha Gestalt angenommen hat, und der letztlich eine überhistorische Heilsgestalt ist, die „Jesus der Glanz" genannt wird. Natürlich gibt es auch Hymnen und Texte über den historischen Jesus, „Jesus der Messias" genannt. Zu diesen zählen Berichte über Leiden und Tod und geistliche Auferstehung Jesu, ferner die Gattung der sog. „Kreuzigungs-Hymnen", die dieselbe Thematik beinhalten. Diese Texte basieren vielfach auf syrischen Evangelienharmonien, denen auch apokryphe Evangelien zugrundeliegen. Nach Augustin wird das in der Welt verstreute, leidende Licht der „Jesus patibilis" genannt. Die Leiden des historischen Jesus veranschaulichen nach diesem Verständnis das Leiden einer jeden unerlösten Seele. Auch auf Chinesisch sind einige Jesus-Hymnen erhalten, die ebenfalls von der Bedeutung Jesu in der untergegangenen gnostischen Weltreligion zeugen. 2. Jesus im Judentum
und
Islam
2.1. Während die Gestalt Jesu im neueren -»-Judentum nach einer langen Geschichte der Absetzung vom Begründer des Christentums neu entdeckt und geradezu als „Bruder Jesus" (Ben Chorin) apostrophiert und somit als einer unter den Juden seiner Zeit gesehen werden kann (P. Lapide, F. Mußner, S. Talmon; vgl. W. Vogler 1988), ist diese vor allem im jüdisch-christlichen Dialog zu findende Haltung wohl doch nicht als „Nachfolge Jesu" zu bezeichnen.
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2.2. Auch die islamische Hochschätzung (—»Islam) Jesu als eines großen Propheten in der Reihe der mit Mohammed abschließenden Propheten, der auf übernatürliche Weise geboren wurde und Wunder wirkte, aber nicht am Kreuze starb, ist kaum im Sinne einer „ N a c h f o l g e " zu kennzeichnen. Bei den Vertretern der Sufi-Mystik (-»Mystik) wird Jesus allerdings als Lehrer verstanden, dessen Lehren die Weisheit, die von Gott ausgeht und die den Suchenden auf den rechten Weg bringt, widerspiegeln. Die Freiheit von irdischen Bedingungen und Bedürfnissen, die vom Sufi gefordert wird, sei von Jesus vorgelebt worden. „Als Vorbild der Asketen übertrifft Jesus noch M o h a m m e d . Ist für die Muslime M o h a m m e d das ,Siegel der Propheten', so ist für die Süfis Jesus das ,Siegel der Heiligkeit'" (Schumann 1975, 107). Er hat sich besonders durch seine Barmherzigkeit den schwachen und Verachteten gegenüber ausgezeichnet (vgl. Schuman ebd.). Christuslegenden, die in diesem Zusammenhang stehen, stammen meist nicht aus dem Neuen Testament, erinnern aber stark daran, vor allem an die Bergpredigt. „Das Postulat des verantwortlichen und selbstlosen Verhaltens gegenüber dem Mitmenschen ist in keinem anderen Bereich der islamischen Literatur so nachdrücklich herausgestellt worden wie bei den Süfis. Sie leiten dieses Postulat zwar keineswegs ausschließlich aus der Verkündigung Christi ab. Dennoch ist . . . Christus für sie in dieser Hinsicht das Vorbild und die Autorität, die mit der Autorität, die Mohammed hinsichtlich der legislativen Konstitution der islamischen Gemeinde genießt, vergleichbar ist" (Schumann 108). Unter den neueren Schriftstellern ist es Muhammed 'Abduh, der Gründer der im Ägypten der Kolonialzeit blühenden Manvär-Schule, der bei der Auseinandersetzung vor allem mit der Trinitätslehre versöhnlichere T ö n e anschlägt, ohne freilich zu einer Nachfolge aufzurufen. Auch bei den Schülern 'Abduhs kann die Gestalt Jesu hochgeschätzt werden, wobei sich dies allerdings mit der Ablehnung christlicher Lehren verbindet. Auch bei anderen arabischen (zumal ägyptischen) Autoren wie al-'Aqqäd und Fathi 'Utmän ist ein durchaus lebhaftes Interesse an der Gestalt und Ethik Jesu zu konstatieren, ohne daß dadurch christologische Lehren akzeptiert würden. Auch im kolonialen Indien beobachten wir bei den Vertretern des Reform-Islam (z.B. Sayyid Ahmad Khan) durchaus ein erstaunlich positives Jesus-Bild. Eine Sonderstellung nimmt in diesem Zusammenhang freilich Mirza Ghulam Ahmad (gest. 1908), der Gründer der Ahmadiyya-Schule, ein. Auf ihn geht maßgeblich die Legende von der Wanderung Jesu nach Indien (Kashmir) nach seinem angeblich scheinbaren Kreuzestod zurück. Mirza Ghulam Ahmad sah sich als wiedergekommener Jesus und zugleich als der im shiitischen Islam erwartete Mahdi, was zur Abgrenzung des Islam von seiner Gruppe Anlaß gegeben hat. 3. Jesus im
Neo-Hinduismus
Der Begründer einer neo-hinduistischen Bewegung (—»Hinduismus), des Brahma-Samäj (später Brahmo-Samäj), der vor allem im Bengalen des 19. J h . unter den anglisierten Landsleuten der Städte (vor allem Kalkuttas) eine gewisse Anhängerschaft finden sollte, war R a m M o h a n Roy ( 1 7 7 2 - 1 8 8 3 ) . Er wurde später mit dem Ehrentitel „ R a j a " ausgezeichnet. Er stand als Beamter im britischen Dienst und kam durch seine Ausbildung wie auch durch seine berufliche Tätigkeit in engen Kontakt mit dem westlichen Christentum. Da er eine klassische Ausbildung genossen hatte, waren ihm auch die Bildungsinhalte des indischen Islam geläufig. Wenn R o y den Hinduismus nach den Maßstäben eines bildlosen Monotheismus reformieren wollte, so ist dieser geistige Hintergrund miteinzubeziehen. Es war aber vor allem der englische Deismus und die Ethik Jesu, die ihn in besonderer Weise anzogen. Jesus als Lehrer wurde für Roy geradezu zu einem Vorbild für einen ethisch und kultisch „gereinigten" Hinduismus, wie schon aus dem Titel eines seiner Hauptwerke hervorgeht: „ T h e Precepts o f Jesus. T h e Guide to Peace and Happiness". Roys Jesus-Verehrung, die nicht gekoppelt war mit einem Übertritt zum Christentum, führte zu Auseinandersetzungen mit christlichen Missionaren in
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Nachfolge Jesu V
Serampore bei Kalkutta, und diese spiegeln sich in der zweiten Auflage seines Werkes wider. Für Roy wurden Gestalt und Lehre Jesu als eines ethischen Lehrers so bedeutend, daß O. Wolff feststellen kann: „Die überraschende Tatsache ist, daß die Neuzeit Indiens mit einer bewußten Christus-Rezeption seitens des hinduistischen ,Vaters des modernen Indien' einsetzt" (Wolff, Mahatma 12). Bedeutend ist Roys Werk nicht zuletzt deshalb, weil er sich für konkrete Reformen, speziell für das Verbot der Witwenverbrennung und der Kinderehe, einsetzte. Nach langjährigen Bemühungen konnte er es noch erleben, daß 1829 das Verbot der Witwenverbrennung durch Lord Bentinck erlassen wurde. Bekannt ist Roy vor allem für die Gründung des Brahma-Samäj („Theistische Gesellschaft") 1828 in Kalkutta. Die neo-hinduistische Gemeinde gab sich eine Gottesdienst-Ordnung, die praktisch eine Übernahme des christlichen Gottesdienstes war, wobei allerdings anläßlich der wöchentlichen Zusammenkünfte neben Predigt und Hymnengesang die Lesung aus den heiligen Schriften der Hindus, speziell aus den Upanishaden, im Mittelpunkt des Gottesdienstes stand. Die Gesellschaft setzte sich für einen absoluten Monotheismus ein und wandte sich gegen jede Form von „Götzendienst" und „Vielgötterei". War Roys ethischer Monotheismus auch von einer rationalistischen Geisteshaltung bestimmt, so griff sein Nachfolger in der Führung der Bewegung, Keshab Chandra Sen (1838-1884), stärker auf indische Vorbilder zurück, und zwar auf vedantisch-mystische Lehren mit ihrer Idee vom Göttlichen im Menschen und auf solche der klassischen Bhakti, also der glühenden Gottesliebe. Aus dem ersten Ansatz ging „die Lehre von der göttlichen Menschlichkeit in Christus" ( M . M . Thomas) hervor, aus dem zweiten eine innige Jesus-Liebe, die sich in ihrer Emotionalität ganz aus der Tradition der bengalischen Bhakti speiste. Für Keshab war Jesus der größte Prophet aller Zeiten und das Kreuz das Symbol höchster Selbstverleugnung. In Christus dem „Gottessohn" sah er geradezu die Erfüllung des Hinduismus. Vor allem aber seine These von Christus dem Asiaten hat große Faszination ausgelöst. Als Asiate stehe Christus dem asiatischen Menschen näher als dem Europäer. Der Charakter Jesu, der durch Demut, Milde und Sanftmut ausgezeichnet war, entspreche der Wesensart der Hindus. Es ist allerdings hervorzuheben, daß Keshab trotz der Lehre von „der göttlichen Menschlichkeit in Christus" die Gottheit Christi ablehnte. Zu jenen im Brahmo-Samäj, die die Gestalt Jesu rezipierten, ohne formell zum Christentum überzutreten, gehört auch Protap Chandra Mazoomdar (1840-1905). Stark angeregt von Keshab Chandra Sen führte er die These von Christus dem Asiaten fort und verfaßte ein Buch mit dem Titel „The Oriental Christ" (1883). Die drei hier besprochenen Gestalten zusammenfassend betont O. Wolff: „Ram Mob i l Roy wurde durch seine gelehrten Studien dem Evangelium Jesu näher geführt. Bei Keshab Candra Sen handelt es sich ebenfalls um eine fortschreitende Entwicklungslinie. Bei Mozoomdar aber gibt es so etwas wie ein christlich bestimmtes Grunderlebnis" (Christus 87). Die mit Ram Mohan Roy beginnende Linie, die in Jesus den großen ethischen Lehrer sieht, sollte sich bis in die Gegenwart in mannigfacher Weise fortsetzen. So verfaßte Svami Ranganathananda, einer der Führer der Ramakrishna-Mission, ein Büchlein mit dem Titel „The Christ We Adore" (Kalkutta 1960), in dem er gerade die ethischen Lehren Jesu als universalgültig hinstellt. Freilich ist in diesem Zusammenhang auch Mahatma Gandhis (1869-1948) zu gedenken, der in den Prinzipien der Bergpredigt Grundsätze sah, die auch für den Hinduismus gültig sind, und die mit seinen Prinzipien der Gewaltlosigkeit (ahimsa), der Selbstbeherrschung (brahmacarya) und des „Festhaltens an der Wahrheit" (satyagrahä) korrespondierten. Jesus war für ihm vor allem der „Fürst der SatyägrahT", jener also, die an der Wahrheit festhalten und zugleich gewaltlos überlegen sind.
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Nächster I Literatur
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Altes Testament Judentum . . . Neues Testament Ethisch
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I. Altes Testament 1. Die Wurzel teratur S.715) 1. Die
2. Das Bedeutungsfeld des Begriffes „Nächster"
3. Die Entwicklung
(Li-
Wurzel
Die alttestamentlichen Äquivalente für den Mitmenschen, der nach biblischem Sprachgebrauch als „ N ä c h s t e r " bezeichnet wird, sind zuerst re" ' „ N a c h b a r " (Prov 3,29), „Kollege" (Jon 1,7), „Stammverwandter" (Ex 2,13), „ F r e u n d " (I Sam 20,41), „Geliebter" (Cant 5,16), „Anderer" (pronominale Bedeutung in Korrelation zu 'is, Gen 11,3) und 'äh „Bruder" (v.a. Dtn und Heiligkeitsgesetz). re"'wird gewöhnlich von r'h II „sich einlassen m i t " abgeleitet. Kellermann 549 hält es für wahrscheinlich, daß nur eine innerhebräische Spezifizierung von r'h I „weiden" vorliegt. Die Synonyme selbst: 'ämlt „ M i t b ü r g e r " , „ G e f ä h r t e " (nur Lev 5; 18 f; 2 4 f ) , häber „ F r e u n d " , „Geselle" (Koh 4,10), qaröb „Nahestehender" (Ex 32,27) sind von geringerer Bedeutung. 2. Bedeutungsfeld
des Begriffes
„Nächster"
Die Deutung der alttestamentlichen Texte ist durch die Wirkungsgeschichte stark beeinflußt worden. Die Frage nach dem Nächsten (Lk 10,29) und die Antwort Jesu haben die Suche nach dem Gefälle zwischen dem alttestamentlichen Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18aa) und dem neutestamentlichen Gebot der Feindesliebe verschärft und damit auch die Deutung des Begriffes „Nächster" eingeengt. Die oft betonte Einschränkung des Nächsten auf den Volksgenossen im Gegensatz zu dem „Fremden" läßt sich nur in Einzelfällen nachweisen. Der Begriff „Nächster" im Alten Testament ist wesentlich vielfältiger. Die alttestamentlichen Aussagen erscheinen in drei Variationstypen: 1. Sie gehen über den Raum des Volksgenossen hinaus (Ex 11,2 vgl. Ex 12,35) und intendieren eine Allgemeingültigkeit (Ex 33,11). 2. Sie zielen nicht auf die Abgrenzung zwischen
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Nächster I
Volksgenossen und Fremden hin, fallen aber situationsbedingt de facto mit dem Begriff des Volksgenossen zusammen (Prov 27,10). 3. Sie intendieren eine bewußte Abgrenzung mit dem Ziel, das Gebot zu betonen. Ihr Geltungsbereich ist der eigene sozial-religiöse Kreis (Lev 19,18a/?/18aa; Dtn 15,2b). Obwohl gewisse Entwicklungslinien aufgezeigt werden können, kann von einer generellen trichterförmigen Einengung nicht die Rede sein. Weite und Abgrenzung sind jeweils situationsbedingt. Im Gegensatz zu Kellermann (549) soll die ursprüngliche Bedeutung von re"' im Alten Testament nicht mit dem Stammverwandten und Bundesgenossen wiedergegeben werden, sondern mit dem Mitmenschen in räumlicher Nähe, mit dem man de facto in eine soziale Gemeinschaft eingebunden ist. 3. Die
Entwicklung
Längst nicht alle Belege lassen sich in einer begrifflichen E n t w i c k l u n g s l i n i e unterbringen. D o r t , w o eine solche Linie w o h l n a c h w e i s b a r ist, ergibt sich folgendes Bild. I m - » B u n d e s b u c h ist re"'Ex 2 1 , 1 4 . 1 8 . 3 5 ; 2 2 , 6 . 7 . 8 . 9 . 1 0 . 1 3 . 2 5 belegt. D i e in unterschiedlicher Direktheit ( r e ' c e k ä ; Ts - re'ehü) formulierten B e s t i m m u n g e n zu T ö t u n g s d e l i k t e n , Schadensersatzregelungen und zum P f a n d r e c h t (Ex 2 2 , 2 5 ; vgl. T U A T 1/3, 2 4 9 f) fallen unter Variationstyp 2 . D e r N ä c h s t e ist hier der M i t m e n s c h in der sozialen G e m e i n s c h a f t o h n e Ab- oder Ausgrenzung. Auch für E x 2 2 , 2 5 f begrenzt die n a c h t r ä g l i c h e Ü b e r f ü h r u n g „ d e r R e c h t s b e g r ü n d u n g aus sozialer Identität in den theologischen H o r i z o n t einer Begründung aus d e m G o t t e s w i l l e n " ( O t t o 39) in E x 2 2 , 2 4 a den Begriff des N ä c h s t e n nicht, sondern verstärkt das V e r b o t . N o c h n a c h d r ü c k l i c h e r findet sich diese T e n d e n z in den d i a c h r o n abzusetzenden beiden Fassungen des D e k a l o g s (Ex 2 0 , 2 f f ; D t n 5 , 6 f f ) . Die überwiegend o h n e O b j e k t s b e s t i m m u n g formulierten G e - und Verbotsreihen nennen den re"' als O b j e k t in dem V e r b o t , als Lügenzeuge aufzutreten ( E x 2 0 , 1 6 ; D t n 5 , 2 0 ) und in d e m Verbot des Begehrens ( E x 2 0 , 1 7 ; D t n 5 , 2 1 ) . H i e r stehen sich die im P r o l o g b e n a n n t e n Adressaten als „ d a s aus Ägyptens K n e c h t s c h a f t befreite und d a m i t für J a h w e s Dienst beanspruchte V o l k " (Fichtner 100), näher definiert als die rechts- und kultfähigen M ä n ner, und die intendierte Allgemeingültigkeit der G e b o t e gegenüber. D a s bedeutet, d a ß auch hier die Alternative, r e " ' h e i ß e e n t w e d e r allgemein der M i t b ü r g e r o d e r „ n u r " das M i t g l i e d des J H W H - B u n d e s , der Volksgenosse, eine von außen h e r a n g e t r a g e n e Fragestellung ist. D i e Tendenz zielt auf Allgemeingültigkeit, zugleich werden a b e r die Adressaten durch den P r o l o g und durch die G e b o t s b e g r ü n d u n g e n n ä h e r definiert. Dieser näheren Spezifizierung fehlt jedoch jede Intention, Adressatengruppen auszugrenzen. D a ß re"' im B u n d e s b u c h und in den - > D e k a l o g e n als w e i t g e f a ß t e r , neutraler Begriff verwendet wird, zeigt auch die M ö g l i c h k e i t einer N ä h e r b e s t i m m u n g d u r c h 'äh „ B r u d e r " in der D e u t e r o n o m i s t i k (—>Deuteronomium). Perlitt hat gezeigt, wie n e b e n der gelegentlichen Verwendung des re"' als d e m zum engsten Lebenskreis g e h ö r e n d e n F r e u n d (Dtn 13,7) - darin der S p r a c h e der Proverbia parallel - 'äh in D t n 15 als I n t e r p r e t a m e n t für r e " ' b e n u t z t wird: „ I n D t n 15 ist der Bruder also nicht der B l u t s v e r w a n d t e , F r e u n d oder Kollege, sondern der N ä c h s t e , der A r m e , der H e b r ä e r , kurz: der M i t m e n s c h " (Perlitt 3 4 ) . D t n 15,3 führt aber einen Gegensatz ein zwischen dem Bruder und d e m Ausländer (weiter noch D t n 14,21; 1 7 , 1 5 b ; 2 3 , 2 1 ) . D a d u r c h „ b e k o m m t die fast pietistische B r u derterminologie ihre soziale K o n k r e t i o n und freilich auch S c h ä r f e . " - „ D i e s e r Bruder ist kein B l u t s v e r w a n d t e r - und ist es, gemessen a m Ausländer, eben d o c h ! " (Perlitt 3 4 f ) . H i e r ist der N ä c h s t e als re"'und als 'äh der M i t i s r a e l i t in Abgrenzung zu d e m Ausländer. D a m i t gehört D t n 15 zum Variationstyp 3. G l e i c h w o h l m u ß hier gesagt werden, d a ß der P r i m a t bei der B e t o n u n g der M i t m e n s c h l i c h k e i t liegt, nicht bei der Abgrenzung. D i e Abgrenzung ist F o l g e der N ä h e r b e s t i m m u n g der Identität. D i e s e R e i n t e r p r e t a t i o n des Bundesbuches durch D t n 15 findet seine Fortsetzung im - * Heiligkeitsgesetz. In d e m k o m p e n d i u m a r t i g e n A b s c h n i t t Lev 1 9 , 1 1 ff wird eine R e i h e von Begriffen für den N ä c h sten verwendet, die je in sich eine eigene F ä r b u n g hatten, hier j e d o c h w e i t g e h e n d parallel eingesetzt werden, r e " ' f i n d e t sich in den Prohibitivreihen des A u s b e u t u n g s v e r b o t e s (V. 13a), im zweiten Teil des Verleumdungsgebotes mit tödlicher Folge (V. 16a/?) und im L i e b e s g e b o t (V. 18a/J). 'äh erscheint nur einmal: „ D u sollst in deinem H e r z e n keinen
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Haß gegen deinen Bruder hegen" (V. 17a), ebenso bene 'ammœkâ „Volksgenossen" beim R a c h e v e r b o t (V. 18a). Schließlich vervollständigt 'ämit „ M i t b ü r g e r " V. 1 5 b und 17b das Quartett. Bezeichnenderweise werden hier nicht nur objektive Rechtsregeln geboten, vielmehr wird in einer (auch literarischen) Erweiterung die innere Haltung „dem/der A n d e r e n " gegenüber betont (V. 1 7 f ) . So kann in letzter Konsequenz auch der ger, „der Fremde", in V. 3 4 in das Liebesgebot eingeschlossen werden. Die Entstehungsgeschichte von Lev 19 ist umstritten. Der weit verbreitete Ansatz, die Grundlage von Lev 19 werde von überarbeiteten (Do)dekalogen gebildet (Elliger, Morgenstern u . a ) , hat keine überzeugende Grundform ans Tageslicht gebracht. Ein Konsens ist hier nicht zustande gekommen (Mathys 77). Auch der auffällige Wechsel zwischen singularisch und pluralisch formulierten Verbotsreihen bietet keine Handhabe, ursprüngliche Dekaloge zu rekonstruieren (so schon Noth 120). Deswegen muß mit einem Zusammenwachsen kleinerer apodiktischer Reihen, die einen längeren Redaktionsprozeß durchlaufen haben, gerechnet werden. Dabei verbindet Jagersma seinen Grundbestand 3 f. 11 f; 1 3 - 1 8 ; 1 9 . 2 6 - 3 2 . 3 5 - 3 6 a . 3 7 a mit einer Bearbeitung, die im Rahmen einer Landtheologie die Identität sichert, sich J H W H s Befreiungstat erinnert und auf Lebensregeln für die Gemeinschaft setzt (Jagersma 126-132). M a t h y s nimmt diesen Ansatz auf und formuliert im Anschluß an Jagersma: „Lev 19 bildet das Programm der spätexilischen Gemeinde; das Kapitel enthält alles, w a s sie als für ihr Zusammenleben in der Diaspora und ihr zukünftiges Leben in Israel grundsätzlich ansah." (Mathys 79) In der Diskussion mit Nissen betont Mathys, daß das Gebot der Nächstenliebe sich ursprünglich auf die Bestimmungen von V. 17 f bezog und deswegen „eine Antwort bietet auf die Frage, wie man sich dem Nächsten gegenüber, der einem etwas angetan hat, zu verhalten h a t . " Darum sei V.18 zuerst ein Gebot der Feindesliebe, das nach Loslösung aus dem Kontext zu einem allgemeinen Liebesgebot geworden ist (Mathys 81). So zeichnen sich in der Zuspitzung in Lev 1 9 , 1 1 - 1 8 durch das G e b o t der Nächstenliebe zwei Linien ab. Durch die Parallelität re" 'II b'ne 'ammcekä w i r d gezielt eine näher bestimmte G r u p p e , die spätexilische Gemeinde, angesprochen. Insoweit liegt eine Begrenzung vor. Andererseits ist der inhaltliche Bezug v o n V. 18a/? auf V. 1 7 f nicht zu leugnen. D o r t w i r d der Bruder, der Volksgenosse, der Nächste situativ beschrieben als der, der dem Subjekt des Gebotes gegenüber nachteilig handelt. In dieser Situation ergeht das Liebesgebot. O b dies schon als G e b o t zur Feindesliebe charakterisiert werden darf (Mathys), scheint - o b w o h l als Gegenzug durch die einseitige Fragerichtung der W i r kungsgeschichte verständlich - fraglich. Trotzdem ist mit diesem situativ bestimmten G e b o t der Nächstenliebe die tendenzielle Richtung vorgezeichnet. Literatur G.Barbiero, L'asino del nemico, 1991 (AnBib 128). - H. Becker, Qui est mon prochain? (Luc 10,29) rèa' dans Lévitique 19,18 et son interprétation dans la littérature biblique et dans la pensée juive, Diss. Strasbourg 1987. - Klaus Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu. Ihr hist. Hintergrund im Judentum u. im AT I: M a r k u s u. Parallelen, 1972 ( W M A N T 40) 8 0 - 1 1 2 . - Alfred Bertholet, Die Stellung der Israeliten u. der Juden zu den Fremden, Freiburg/Leipzig 1896. - Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950 = ders., Werke I. Sehr, zur Phil., München/Heidelberg 1962, 6 5 1 - 7 8 2 . - Ronald Lee Cook, The Neighbor Concept in the OT, Diss. The Southern Baptist Theological Seminary 1980. - Joseph Coppens, La doctrine biblique sur l'amour de Dieu et du prochain: EThL 40 (1964) 2 5 2 - 299. - Frank Crüsemann, Bewahrung der Freiheit. 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Nächster II
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Edward Noort
II. Judentum 1. Einleitung 3. Der Mitbürger
1.
2. Der Nächste und das von Lev 19,18 ihm gegenüber geforderte Liebesgebot 4. Der Mitmensch (Literatur S . 7 1 9 )
Einleitung
Zum Thema Nächster/Nächstenliebe gibt es eine umfangreiche Literatur, deren Tendenz häufig polemisch-apologetisch war und z.T. immer noch ist. Es ist an der Zeit, sich davon freizumachen. Andererseits muß man sich davor hüten, Auffassungen einer anderen Zeit und Situation nach den heutigen Maßstäben zu beurteilen. 2. Der Nächste
und das von Lev 19,18 ihm gegenüber
geforderte
Liebesgebot
2.1. Nach den rabbinischen Auslegungen von Lev 19,18 ist mit dem Nächsten (re" "), von dem das Liebesgebot spricht, der Mitjude gemeint. Mit diesem Verständnis stimmt auch der sonstige rabbinische Sprachgebrauch von re"' so gut wie ausnahmslos überein (vgl. Billerbeck 354f; Simon 31). Auch die mittelalterlichen Kommentatoren sowie die meisten der modernen Zeit vertreten diese Auffassung, und es scheint, daß die heutige historisch'kritische Exegese des Alten Testaments diese Interpretation bestätigt (s.o. I.). Häufiger Parallelbegriff ist haber; daneben findet sich auch 'ah (Bruder) und 'amit (Volksgenosse; Nächster). Heute sehen viele Juden in dem Nächsten des Liebesgebots jeden Mitmenschen. Ob bereits -»Hillel, Rabbi ->Akiba, Ben Azzai und andere frührabbinische Lehrer eine solche universale Auffassung vertreten haben, läßt sich aus den Quellen zu Lev 19,18 nicht beweisen, ist aber im Lichte anderer von ihnen stammender Äußerungen durchaus denkbar. Unter denen, die den Nächsten von Lev 19,18 auch heute noch auf den Mitjuden einschränken, vertritt z.B. Fisch (57-61) die Ansicht, daß die —»Liebe einer Kategorie angehöre, in der sich „die partikularistische Dimension des Judentums" ausdrücke; das Verhalten Nichtjuden gegenüber sei dem Bereich anderer Formen der zwischenmenschlichen Beziehungen zuzuordnen und könnte etwa durch den Begriff hcesced, der eine Beziehung gegenseitiger Verpflichtungen beinhaltet, ausgedrückt werden. - Was die nicht-pharisäisch/rabbinischen Richtungen des antiken Judentums betrifft, so dürften diese in der Frage nach dem Nächsten von Lev 19,18 mit dem rabbinischen Judentum übereinstimmen (vgl. Nissen 285, Anm. 854; für Philo: ebd. 478ff; anders Fichtner 4 5 - 4 7 ) . 2.2. In den Begriff des Nächsten von Lev 19,18 ist aufgrund von Lev 19,34 der Proselyt (ger nach rabbinischem Verständnis) eingeschlossen (Sifra, Qedoshim 8). Die —>Samaritaner, die in den frührabbinischen (tannaitischen) Quellen nie schlechtweg als „Fremde" galten (Schürer 22 f), wurden von einigen Autoritäten als wahre Proselyten (Rabbi Akiba: bQid 75b) oder als den Juden gleich (Rabban Simeon ben Gamaliel: yKet 3,1 [27a]) angesehen, so daß unter dieser Voraussetzung das Gebot der Nächstenliebe wohl auch sie umfaßte.
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2.3. Nach verschiedenen Zeugnissen ist allerdings, vielleicht aufgrund einer sehr hohen Auffassung von Liebe, mit dem Nächsten von Lev 19,18 nicht uneingeschränkt jeder Mitjude gemeint. In ARN A 16 heißt es: „Liebe sie alle (die Gelehrten, die Jünger, das gemeine Volk), aber hasse die Häretiker, die Apostaten und die Denunzianten. So hat auch David gesagt: ,Die dich hassen, Herr, will ich hassen, und die sich gegen dich erheben, will ich verabscheuen. Mit vollendetem Haß hasse ich sie, als Feinde gelten sie mir' (Ps 139,21 f). Aber sagt die Schrift nicht: ,Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst...' (Lev 19,18)? ...Wenn er wie dein Volk handelt, sollst du ihn lieben, wenn aber nicht, sollst du ihn nicht lieben." Auch Mt 5,43 weist in seiner auf das Zitat Lev 19,18 folgenden Bemerkung, die eine pharisäische Interpretation der Stelle wiedergeben soll, auf Unterscheidungen im Begriff des Nächsten hin: Wer, vermutlich aufgrund eines sündigen Verhaltens, als Feind gilt, ist nicht Nächster. 2.4. Obwohl man als Liebesgebot oft nur Lev 19,18b betrachtet hat, fehlt es nicht an Zeugnissen, vor allem aus der nachtalmudischen Zeit, daß Lev 19,(17-) 18 als Einheit aufgefaßt wurde (Neudecker 509—511). Danach ist der Nächste der schuldig gewordene Mitjude, und Lev 19,18 verbietet es, sich an ihm zu rächen und ihm etwas nachzutragen, gebietet vielmehr, ihn (also den „Feind") wie sich selbst zu lieben. 2.5. Die rabbinische Schriftauslegung sucht durch eine vielfältige Deutung den Reichtum und die Tiefe einer biblischen Stelle zu ergründen (vgl. auch Mt 13,52). In diesem Sinn lassen sich die jüdischen Interpretationen von Lev 19,18b, die zugleich den Begriff des Nächsten weiter erhellen und vertiefen, anhand der einzelnen Worte des Gebots, nämlich 'ahäb le („jemanden lieben") oder „für jemanden lieben") (2.6.), kamoka („wie dich selbst") (2.7.) und '"rti JHWH („ich bin der Herr") (2.8.) folgendermaßen zusammenfassen: 2.6.1. In der Verbindung 'ahäb le wird das eher ungewöhnliche Lamed meist als Bezeichnung des direkten Objekts (nota accusativi) verstanden, im Sinn der uns vertrauten Übersetzung: „Liebe deinen Nächsten...". 2.6.2. Andererseits haben viele Kommentatoren das Lamed als Bezeichnung des dativus commodi aufgefaßt. Dieser Tatsache dürfte es zuzuschreiben sein, daß das Gebot der Nächstenliebe oft durch die -»Goldene Regel umschrieben wird: „Liebe für deinen Nächsten, was du von seiner Seite für dich liebst, und hasse für ihn, was du von seiner Seite für dich haßt." Die Interpretation des Lamed als Bezeichnung des dativus commodi löst auch den oft vorgebrachten Einwand (z.B. von —»Mose ben Nachman, Malbim u.a.), daß ein Gebot, den Nächsten so zu lieben wie sich selbst, über das menschlich Mögliche hinausgehe; Lieben sei außerdem der menschlichen Kontrolle entzogen, so daß man es überhaupt nicht befehlen könne. 2.7.1. Nach dem üblichen Verständnis bezieht sich kamoka auf das Prädikat des Satzes und gibt Art und Maß des Liebens an: „Liebe deinen Nächsten so, wie du dich selbst liebst" (so Moses -»Mendelssohn). 2.7.2. Eine zweite Deutung zieht kamoka als Apposition zu re"\ Dieses Verständnis, das sich auf verschiedene biblische Stellen stützen kann (vgl. Mathys 8; Leibowitz 196), ist in Tg. Neofiti I (ed. Diez Macho 131) durch eine Variante/Randglosse belegt („Und ihr sollt euren Freund lieben, der [so] ist, wie ihr seid"); es liegt einer R. Hanina, dem Vorsteher der Priesterschaft (1. Jh. n. Chr.) zugeschriebenen Paraphrase von Lev 19,18 zugrunde (ARN B 26) und ist seit Naphtali Herz Wessely (1725-1805) häufiger anzutreffen. Wessely schreibt: „Und du sollst deinen Nächsten lieben, denn er ist wie du, dir gleich und dir ähnlich; denn auch er wurde im Bild —• Gottes erschaffen, und siehe, er ist ein Mensch wie du" (N'tibot ha-Shalom z. St.). Der Gedanke der Gottebenbildlichkeit des Menschen wurde schon von Ben Azzai zu Beginn des 2. Jh. n. Chr. betont; in einer Auseinandersetzung mit seinem Lehrer und Kollegen Rabbi Akiba hielt er diese in Gen 5,1 ausgedrückte Idee für ein höheres Prinzip der Tora als das Liebesgebot von
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Lev 19,18 (Sifra, Qedoshim 4). Auch für einige moderne ->Bibelübersetzungen ist kamoka mehr als ein adverbialer Ausdruck, z.B. M. Buber/F. Rosenzweig: „Halte lieb deinen Genossen, dir gleich"; The New English Bible: „You shall love your neighbour as a man like yourself". 2.7.3. Andere Quellen betrachten kamoka ebenfalls als Apposition zu reai und interpretieren das Wort im finalen bzw. konsekutiven Sinn: „,Und du sollst deinen Nächsten lieben, [damit/so daß er wird] wie du selbst.'< Aufgrund der Tatsache, daß du deinen Nächsten liebst, wird er wie du selbst" (Kalla Rbti 4). 2.7.4. Auch in konditionalem Sinn ist kamoka verstanden worden: ,,,Und du sollst deinen Nächsten lieben - wie du selbst': sofern er ein Sohn des Bundes (Jude) ist wie du selbst" (Ma'yan Gannim: Torah Shelemah, Bd. 32, 71, Nr. 277). „,Und du sollst deinen Nächsten lieben — wie du selbst': sofern er in der Gesinnung ist wie du selbst" (Midrash ha-Hefes: Torah Shelemah a . a . O . Nr. 276). Die beiden Texte besagen, daß man seinen Nächsten nur dann richtig lieben kann, wenn man mit ihm in seinen Grundauffassungen übereinstimmt (vgl. Sallust, Cat. 20,4: ¡dem velle atque idem nolle, ea demum firma amicitia est). 2.7.5. In der —»Kabbala und im Chasidismus (—»Judentum) begegnen wir einer mystischen Auslegung, die kamoka und den ganzen Satz Lev 19,18b aufgrund der Überzeugung der All-Einheit so interpretiert: „Und du sollst deinen Nächsten lieben als dein eigenes Selbst" (z.B. Mose ben Jakob Cordovero: T R E 21, 133, 1 2 - 1 4 ; Jakob Joseph von Polna: Neudecker 5 1 4 - 5 1 7 ) . 2.8. Auch die Worte „ich bin der Herr", die das Liebesgebot in Gott verankern, sind verschieden interpretiert worden: a) Sie sind Hinweis auf die göttliche Autorität, mit der das Liebesgebot verkündet wurde; b) Gott stellt sich mit diesen Worten als Schöpfer des Nächsten vor, wodurch das Liebesgebot eine besonders tiefe Begründung erhält; c) die Worte sind Teil eines mächtigen Schwurs, mit dem Gott Bestrafung für die Übertretung und Belohnung für die Beobachtung des Gebots ankündigt; d) sie weisen auf Gottes eigenes Handeln hin und rufen zur Nachahmung Gottes auf; e) sie sind dem Vorausgehenden gegenübergestellt („Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst - [jedoch] ich bin der Herr"), wodurch ein qualitativer Unterschied zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten hervorgehoben wird, den es vor allem in Konfliktsfällen zu beachten gilt; f) die mystische Deutung sieht aufgrund der Einsicht, daß alle menschlichen Taten einen Einfluß auch auf Gott ausüben, den Zusammenhang so: „Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst - (dann) bin ich der Herr." 2.9. Das Liebesgebot von Lev 19,18 wird im Talmud für verschiedene moralische Regeln als Begründung herangezogen: Ein Mann darf eine Frau nicht heiraten, ohne sie vorher gesehen zu haben (er könnte nämlich an ihr etwas finden, was ihn abstößt, und so das Liebesgebot übertreten) (bQid 41a); man darf nicht bei Tage oder in einem beleuchteten Raum ehelich verkehren (ähnliche Begründung) (bNid 17a); für die zur Hinrichtung Verurteilten soll man einen Tod wählen, der mit möglichst wenig Schmerz und öffentlicher Erniedrigung verbunden ist (bSan 45a, 52b); einem Sohn ist es erlaubt, seinen Vater zur Ader zu lassen (bSan 84b). Das Liebesgebot konkretisiert sich vor allem aber in guten Werken im mitmenschlichen Bereich. Von dem „Erweis von Liebeswerken" (g e milüt h"sadim) — z.B. Kranke besuchen, Trauernde trösten, sich um die Beerdigung der Toten kümmern, zur Mitgift einer Braut beitragen, an der Hochzeit Neuvermählter freudig Anteil nehmen, scheidenden Gästen das Geleit geben — sagt Maimonides (-»Mose ben Maimon) ausdrücklich, daß sie im Gebot der Nächstenliebe dem Mitjuden gegenüber eingeschlossen sind (Misne Tora, Hilkot 'Abel 14,1). Auch die von der —»Halacha vorgeschriebene Wohltätigkeit (s e daqä) wird im Idealfall aus Liebe zu den Armen und Bedürftigen und nicht nur aus Pflichterfüllung ausgeübt (zum Auslösen von Gefangenen vgl. Maimonides, Hilkot Matfnöt 'Anijjtm 8,10).
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Mitbürger
In einem abgeschwächten Sinn ist „Nächster" auch der nichtjüdische Mitbürger und überhaupt der Mitmensch. „Um der Wege des Friedens willen", also im Interesse des friedlichen Zusammenlebens, sind auch nichtjüdische Mitbürger Empfänger von Wohltätigkeit und Liebeswerken (bGit 61a; Maimonides, Hilkot Matt'nöt 'Anijjim 7,7). Daß dabei das Motiv oft nicht nur Erfüllung einer Pflicht, sondern echtes Wohlwollen dem Nichtjuden gegenüber war, ist in den Quellen bezeugt; für die rabbinischen Schriften vgl. z.B. Sem 1,9: Rabbi Jehuda; bBer 17a: Rabban Jochanan ben Zakkai. 4. Der
Mitmensch
Die Überzeugung von Gott als dem —»Schöpfer und Erhalter aller Menschen, die Lehre von der Abstammung aller von einem einzigen Menschenpaar und die Endzeiterwartung (-»Eschatologie III.6.) bilden im wesentlichen die Grundlage der Lehre von dem anderen als Mitmensch. Unter vielen und unterschiedlichen Stimmen (—»Heidentum II., —»Mensch III.1.3., —»Noachitische Gebote) sei zu jedem dieser drei Punkte ein sprechendes Zeugnis (zwei aus frührabbinischer Zeit und eines aus der Gegenwart) angeführt: 1) Von Rabbi Akiba wird das Wort überliefert: „Geliebt (von Gott) ist der Mensch, denn er ist im Bild (Gottes) erschaffen worden" (Av 3,14). 2) Rabbi Jehuda ben Shammua (2. Jh. n. Chr.) und seine Gefährten sollen in Rom durch folgende Worte die Aufhebung religionsfeindlicher Erlasse erreicht haben: „O Himmel, sind wir nicht eure Brüder, sind wir nicht Kinder eines Vaters, sind wir nicht Kinder einer Mutter (vgl. Mal 2,10)?" (bRHSh 19a). 3) Im Gebetbuch des Reformjudentums, das ebenso wie andere Zweige des modernen Judentums um positive Aussagen über Nichtjuden bemüht ist, heißt es in bezug auf die Endzeit: „Wir bitten inständig, daß der Tag komme, da sich alle dir in Liebe zuwenden..., da alle, die auf Erden wohnen, erkennen, daß du allein Gott bist. Möchten doch alle, die nach deinem Bild erschaffen sind, eins werden im Geist und in der Freundschaft, in deinem Dienst vereint für immer. Dann wird dein Reich auf Erden errichtet werden und das Wort deines Propheten sich erfüllen: ,Der Herr wird herrschen für immer und ewig'" (Gates of Prayer 617). Literatur (Hermann Leberecht Strack/) Paul Billerbeck, Komm, zum N T aus Talmud u. Midrasch, München, I 1922. - Joseph S. Bloch, Israel u. die Völker nach jüd. Lehre, Berlin 1922. - Hermann Cohen, Die Nächstenliebe im Talmud, Marburg 1888 = ders., Jüd. Sehr., hg. v. Bruno Strauß, Berlin, I 1924, 1 4 5 - 1 7 4 . - Ders., Der Nächste. Bibelexegese u. Literaturgesch. (1. Fassung: Berlin 1914): Jüd. Sehr. I (s.o), 1 8 2 - 1 9 5 . - David Farbstein, Die Nächstenliebe nach jüd. Lehre: Jud. 5 (1949) 2 0 3 - 2 2 8 . 2 4 1 - 2 6 2 . - Johannes Fichtner, Der Begriff des „Nächsten" im A T mit einem Ausblick auf Spätjudentum u. N T : WuD 4 (1955) 2 3 - 5 2 = ders., Gottes Weisheit, 1965 (AzTh II/3) 8 8 - 1 1 4 . - Harold Fisch, A Response to Ernst Simon: Modern Jewish Ethics, hg. v. Marvin Fox, Columbus 1975, 5 7 - 6 1 . - Gates of Prayer. T h e New Union Prayerbook, hg. v. Central Conference of American Rabbis, New York 1975. - Kurt Hruby, L'amour du prochain dans la pensee juive: N R T h 91 (1969) 4 9 3 - 5 1 6 . - Samuel E. Karff, T h e Perception of Christians in Jewish Liturgy - Then and Now: T h e Changing Face of Jewish and Christian Worship in North America, hg. v. Paul F. Bradshaw/Lawrence A. Hoffman, Notre Dame 1991, 3 1 - 4 5 . - Menahem M . Kasher, Creation and Human Brotherhood: ders., Encyclopedia of Biblical Interpretation, übers, u. hg. v. Harry Freedman, New York, I 1953, 2 4 5 - 2 5 1 . - M a x Katten, Um das Gebot der Nächstenliebe: M G W J 79 (1935) 2 0 9 - 2 2 3 . - Kaufmann Kohler, Die Nächstenliebe im Judentum: Judaica. FS Hermann Cohen, Berlin 1912, 4 6 9 - 4 8 0 . - Hans Kosmala, Gedanken zur Kontroverse FarbsteinHoch: Jud. 4 (1948) 2 4 1 - 2 5 8 . - Nehama Leibowitz, Studies in Vayikra (Leviticus), Jerusalem 1983. - Hans-Peter Mathys, Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Unters, zum atl. Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18), 1986 ( O B O 71). - Reinhard Neudecker, „And You Shall Love Your Neighbor as Yourself-1 Am the Lord" (Lev 19, 18) in Jewish Interpretation: Bib. 73 (1992) 4 9 6 - 5 1 7 . - Andreas Nissen, Gott u. der Nächste im antiken Judentum, 1974 ( W U N T 15) (Lit.). - Emil Schürer, Gesch. des jüd. Volkes im Zeitalter Jesu Christi, Leipzig (1. Aufl.: Lb. der ntl. Zeitgesch. 1874), II "1907. - Ernst Simon, T h e Neighbor ( R e ° ' ) Whom We Shall Love: Modern Jewish Ethics, hg. v. Marvin Fox, Columbus 1975, 2 9 - 5 6 . Reinhard Neudecker
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III. Neues Testament 1. Die neutestamentlichen Aussagen
1. Die neutestamentlichen
2. Z u m Verständnis der Nächstenliebe
(Literatur S. 722)
Aussagen
1.1. Das griechische Äquivalent des deutschen substantivierten Superlativs „der Nächste" ist T R E 21,181). Für das erste Teilproblem kann man Bujo weiter folgen; es geht um die naturbedingte Caritas bei T h o m a s von Aquin. Zwar können, erläutert Bujo, unter Umständen die Belange anderer Gemeinschaften wie Freundschaft, Mitbürgerschaft, Kriegskameradschaft und dergleichen vorgehen, doch müsse an sich und objektiv gesehen jener Bindung, die der Natur entstamme, namentlich der Blutsverwandtschaft, der Vorrang vor jeder anderer Verbindung eingeräumt werden. Beispielsweise solle der M a n n wegen der
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größeren Nähe in der ehelichen Verbindung aufgrund des Schriftwortes die Gattin mehr lieben als die Eltern. Betrachte man nun aber die Ursprungsbeziehung, dann sei die Liebe zu den Eltern erstrangig, dergestalt, daß man in der Notlage letztere der Gattin vorzuziehen habe (Bujo 146 f). Es liegt auf der Hand, daß diese Urteile kulturbedingt sind. Heute werden die lebensgeschichtlichen Zuordnungen ebendeshalb meistens funktionaler als Angewiesenheiten aufgrund von Graden der Vertrautheit und Bedürftigkeit beschrieben, wozu in der deutschen Literatur nach dem Nationalsozialismus insbesondere eine Zurückhaltung gegenüber der Blutsverwandtschaft als objektivem Vorzugsgrund zu beobachten ist; aber am Kernproblem ändert das nichts. Man sollte indessen hinzufügen, daß jede Auswahl zwischen „Nächsten", die in einem Notfall getroffen werden muß, auch eine Bereitschaft zur Schuldübernahme verlangt. Das macht die vergleichende Abwägung nicht vermeidbar; auch wer sie unterläßt, wird schuldig, das Schulbuchbeispiel von der Rettung Schiffbrüchiger lehrt das. Auch für solchen Fall abrufbare Konventionen („Frauen und Kinder zuerst!") können zwar, sofern es sie überhaupt noch gibt, hilfreich sein, das Gewissen ganz entlasten können und dürfen sie hingegen nicht. Für das zweite Teilproblem kann man wieder Outka anführen. Vorausgesetzt bleibt stets: „Nächstenschaft geht quer durch die gewachsenen Ordnungen hindurch" (Trillhaas 296). Ausgangspunkt aller Vergleiche ist also, wie Outka formulierte, die Grundlinie der Gleichheit. Das bedeutet, wie Outka fortfährt, daß es nicht erlaubt ist, von vornherein unterschiedliche Werturteile in einen Handlungszusammenhang, der das Wohlergehen mehrerer betrifft, einzubringen. Aber eben: unter dieser Voraussetzung kann und muß eine unterschiedliche Beurteilung dessen, was vordringlich ist, erfolgen, schon deshalb, weil jeder Nächste nun doch nicht nur von sich her zu sehen ist, sondern als Teil der „moral landscape" anderer erscheint (Outka 13). Das heißt, der Nächste „tritt nicht als abstrakte Figur auf, sondern begegnet in konkreten Medien, wirklich als ,Nächster in räumlicher Nähe', eingeschlossen in lauter Nähe-Bezüge: als Glied meiner engeren und weiteren Familie, als Nachbar, als Heimatgenosse in den verschiedensten Varianten" (Thielicke III, 110). Auch Wendland ordnet seiner Aussage, daß Gott mich einem Menschen zum Nächsten machen könne, den ich nicht innerhalb meiner sozialen Bindungen antreffe, eine solche über den Bezug der Nächstenschaft auf die mit -»Familie, -»Staat und -»Gesellschaft gegebenen sozialen Relationen vor: Die Nächstenliebe trete in diese ein und mache dort schon jeweils aufeinander bezogene Menschen zu Nächsten füreinander. In der Familie, unter Arbeitskollegen, soll ich als der Nächste des mir begegnenden anderen handeln (Wendland, Person 86 f). Brunner drückt das etwas überbetont in der Sprache der älteren protestantischen Ethik aus, wenn er sagt, der Begriff „der Nächste" bekomme erst durch den Berufsgedanken seine Bestimmtheit; im „Beruf" sei uns der Nächste gegeben (Brunner 192). Tatsächlich verhindert aber gerade der Hinweis auf die normalen menschlichen Bezüge, in denen unsere Lebensgeschichte ihren Ort hat, daß die Rede von dem spontan und kontingent begegnenden Nächsten abstrakt und ideologisch wird, zum Alibi für nicht übernommene alltägliche Verpflichtungen. Dagegen eben richtet sich die, in der personalistischen Ethik nur besonders betonte, Kritik an „einem Abgleiten von der Nächstenrelation mit ihrer mich fesselnden Dringlichkeit in eine allgemeine Menschenliebe"'. Die Relation von Person zu Person werde dabei nicht überboten, sondern gesprengt. „Denn die umschlungenen Millionen Schillers sind anonym, sie zu lieben kostet nichts. Das Gemeinmenschliche, das uns allerdings mit dem Nächsten verbindet, wird auf diese Weise zu einem Nebel, in dem und hinter dem wir uns vor dem Nächsten in Sicherheit bringen" (Eiert 69; so auch Brunner 290). Konkrete geschichtliche Zuordnung bedeutet aber des weiteren, daß nicht nur ich etwas für den Nächsten bedeute, er also meiner bedürftig ist, sondern daß dieses Verhältnis auch umgekehrt gilt und damit erst die zwischenmenschliche Relation konstituiert. Und daß ich mir helfen lasse, führt Eiert aus, sei zwar das Schwerere, bezeichne
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aber keinen Ausnahmefall, sondern die Regel. Eiert weist von daher sehr pointiert -»Nietzsches „Fernstenliebe" zurück. Diese Formel polemisiere nur vermeintlich gegen die Nächsten/i'efce, in Wirklichkeit jedoch gegen den Nächsten überhaupt. „Wäre der Nächste immer nur der Hilfsbedürftige, so wäre nicht einzusehen, inwiefern er, der Schwache, den Herrenmenschen als den Starken beeinträchtigen sollte. Er wird aber verabscheut, weil der Herrenmensch sozusagen keinen Augenzeugen bei seinem Tun ertragen kann" (Eiert 70f). Diese Überlegung führt auch zu der Feststellung, daß die Nächstenschaft, wie sie in der durch Christus begründeten Bruderschaft ihren Ursprung hat, in der Bruderschaft auch wieder ihr Ziel habe (Eiert 357). Etwas anders gewendet, kann man auch, mit einem Bezug auf Rotter (69ff) sagen: Wie man einerseits gegenüber Nahestehenden zunächst eine tiefergreifende Verpflichtung als gegenüber Fernstehenden hat - Rotter erwähnt die Begegnung Jesu mit der Syrophönizierin nach Mk 7 , 2 4 - 3 0 ; Jesus weiß sich zunächst zu den Juden gesandt - , so stellen sich andererseits neue, lebensgeschichtlich begründete Verpflichtungen: Flüchtlingen zum Beispiel ist erst wirklich geholfen, wenn sie in ihre neue Umgebung so integriert werden, daß sie persönliche Beziehungen aufbauen können; „wenn sich hier eine Beziehung entwickelt, dann kann man sich nicht mehr einfach vom andern zurückziehen". Diese Thematik wird von K. ->Barth in einen konsequent ekklesiologischen Kontext gestellt. Jesus Christus, damit setzt der Gedankengang ein, ist des Nächsten barmherziger Nächster, sein Heiland, und weil das einen Sachverhalt von ontologischer Natur bezeichnet, ist jeder Mensch als solcher der Mitmensch Jesu (III/2, 250 f. 159). Als der also, der eigentlich der barmherzige Samariter ist, ist der Mensch Jesus, der (eigentlich) die gebotene Tat der Liebe tut, als Nächster der Zeuge für Gottes Liebe. In seiner Nachfolge wird dann unter den Seinen nun auch einer dem anderen zum Zeugen, Bürgen, Nächsten, Bruder, Samariter. Der Nächste ist mir Zeuge (IV/2, 921), und das geschieht da, wo der „Nächste" mir im Zusammenhang der Heilsgeschichte begegnet und als Glied des Volkes Gottes mit mir verbunden ist (IV/2, 916.92.1.934f). Auch Barth befindet, Nächstenliebe sei keine allgemeine Menschenliebe, nicht abstraktes, sondern konkretes Lieben eines nicht abstrakten, sondern konkreten Geliebten und daher auch nicht ohne Abgrenzung und Beschränkung ihres Gegenstandes. Der „Nächste" sei nicht der Mitmensch als solcher. Er sei wohl „Mitmensch", aber dieses Wort sei gerade kein Begriff der biblischen Sprache. Diese hebe mit ihren Wendungen für „Nächster" vielmehr auf die besondere Nähe ab, ohne die es Liebe zwischen Menschen nicht gibt. „Konkret" heißt infolgedessen nach Barth: bestimmt durch einen Rahmen, der, anders als in der Vorstellung einer unbegrenzten Liebe, Mitmenschlichkeit als eine durch Nähe qualifizierte, wechselseitige Beziehung ordnet. Der Nächste ist Mitmensch - nicht „der", sondern „dieser" - in einem bestimmten geschichtlichen Zusammenhang (IV/2, 910ff). Betont man noch einmal, daß dieser als ein heilsgeschichtlicher Zusammenhang gemeint ist, entsteht allerdings der Eindruck einer ekklesiologischen Verengung, die zwar, wie es scheint, außerordentlich realistisch, aber doch auch ethisch außerordentlich riskant die Beziehungsform der Nächstenliebe bloß als „Bruderliebe" in der —»Gemeinde Jesu Christi umschreibt. Bei einem solchen „bloß" beläßt Barth es allerdings nicht. Zwar sei der Kreis der christlichen Gemeinde (aus Juden und Heiden), auf dessen Angehörige sich das Liebesgebot im Neuen Testament beziehe, ein geschlossener Kreis; die Christen lieben sich „untereinander". Deshalb könne auch der Mitmensch faktisch nur in der Gestalt des durch die Liebe Gottes und Jesu Christi dem Christen zugeordneten anderen Christen geliebt werden. Aber es könnten ja an sich alle Menschen hinzukommen. Mehr noch: Das Neue Testament fordert eine Haltung der Humanität gegenüber allen Menschen, sozusagen eine latente Liebe. Gemeint ist damit die Bereitschaft des Christen, jeden Menschen zu lieben. Und noch einmal mehr und weiter: Es gibt (nur) einen Punkt, an dem sich der geschlossene Kreis der Gemeinde auf alle Fälle öffnen muß, und zwar
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gerade und überraschenderweise zum Feind (der nach Barth im Gebot der Feindesliebe ebenfalls ganz konkret, nämlich als Verfolger der Gemeinde, zu verstehen ist). Ihm wendet sich die Gemeinde in der Fürbitte zu; er, der entschiedene Nicht-Christ, wird proleptisch in die Gemeinde hineingenommen (IV/2, 912f). Das ist also eine symbolische Öffnung. Und wie es keine prinzipielle Erweiterung der Nächstenschaft auf alle Menschen geben kann, so umgekehrt auch keine prinzipielle und definitive Beschränkung. Die Beschränkung der christlichen Liebe auf den Kreis der mir als solche bekannten „Brüder" kann nur eine praktische und provisorische sein, denn die im Neuen Testament gebotene Menschenfreundlichkeit kündigt die Nächstenliebe in einer Art Vorwegnahme an. In ihr drückt sich die Haltung der Aufgeschlossenheit, Erwartung und Hoffnung, der Bereitschaft also, aus, in welcher der Christ dem Nächsten, dem Bruder von morgen in der Gestalt des Mitmenschen bis hin zum Feind des Volkes und der Gemeinde entgegengeht (IV/2, 916 f). Das leitet zum folgenden Abschnitt über. 4. Erweiterung
der
Nächstenschaft
Aufgeschlossenheit, Erwartung und Hoffnung, Bereitschaft also: Es ist zu fragen, ob sich nicht eine aktivere Sprache und Einstellung aufdrängt, ohne dabei die Wahrheitsmomente der Kritik an einer unanschaulichen Abstraktion vom Nächsten zugunsten der Fernsten preiszugeben. Es ist nicht nur biblisch gerechtfertigt, sondern auch philosophisch und psychologisch richtig, zuerst den situationsethischen Standpunkt im Nahbereich einzunehmen, bevor man ihn mit weiter ausgreifenden „Taten der Liebe" überschreitet. Die gegenwärtige Weltlage ermöglicht uns aber eine andere Einschätzung des Verhältnisses von nah und fern, als sie früheren Zeiten unmittelbar einleuchten konnte. Das kommt in H . - G . Gadamers Begriff des Horizontes gut zum Ausdruck. W. Schulz, der Gadamer zitiert, nimmt die damit gegebene Erweiterung des Situationsbegriffs auf und spricht infolgedessen von Nahhorizont und Fernhorizont. Nach Gadamer ist der Begriff der Situation dadurch bestimmt, daß sie einen Standort darstellt, der die Möglichkeiten des Sehens beschränkt. Zum Begriff der Situation gehöre daher wesenhaft der Begriff des Horizontes. Horizont sei der Gesichtskreis, der all das umfaßt und umschließt, was von einem Punkt aus sichtbar wird. Daran ist wichtig, daß sich die Horizonte ständig verschieben. Der Fernhorizont und der Nahhorizont sind zwar (was der „geschlossenere" Begriff des Bereichs hervorhebt) voneinander getrennt und verschieden, aber sie verschränken sich doch miteinander und wirken aufeinander ein (Schulz 318 ff mit Bezug auf Gadamer 286). Und eben: Wir „sehen" heute von unserem geschichtlichen Standort aus auch noch die Fernsten als Nächste, das heißt, als unsere Hilfe beanspruchende Menschen. Ihre Not geht uns nahe; sie rückt uns, besonders durch das Fernsehen, auf den Leib. Und umgekehrt weiß jeder, der mit Entwicklungshilfe und kirchlichem Weltdienst vertraut ist, daß die Bereitschaft, fernen Notleidenden zu Hilfe zu kommen, „ e r w e c k t " werden muß: dadurch nämlich, daß uns die sonst anonym bleibende, massenhafte Elendssituation, die „ F r e m d e " , durch das beispielhafte Vorzeigen von einzelnen Menschen mit ihren nachvollziehbaren Schicksalen nahegebracht wird. Es erläutert diesen Begriff des Horizontes, wenn W. Kluxen von einer Perspektive globaler Mitmenschlichkeit spricht. Auch wenn es sich so verhalte, daß „ M i t m e n s c h " zuerst der „ N ä c h s t e " sei, der mir im wörtlichen Sinne nahe ist, so daß ich unmittelbar und konkret von seinem Anspruch betroffen bin und auch konkret Fürsorge leisten kann, seien die Erdbewohner einander doch ebenfalls im globalen Sinne „ N ä c h s t e " geworden. Diese Mitmenschlichkeit habe unter den Bedingungen der technischen Welt mit ihren Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten aufgehört, ein bloß abstraktallgemeines Prinzip zu sein. Weil das so ist, stimmt auch Kluxens Folgerung: Es gehöre zu den grundlegenden und nicht diskussionsfähigen ethischen Erkenntnissen unseres Ethos, daß „ M i t m e n s c h " prinzipiell jeder sei, der Menschenantlitz trage; jeder könne mein Nächster werden (Kluxen 383 f). Auch Schulz kommt (mit dem gleichen Hinweis auf die Tatsache, daß fremdes und räumlich entferntes Elend heute durch die Massen-
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medien in Bild und Ton unmittelbar wahrzunehmen ist) zu dem Schluß, es sei nicht (mehr) ganz und gar utopisch, Mitleid zur Ferntugend zu erweitern und zu erheben. M i t A. Gehlen sieht er das Ethos einer Fernethik sich ausbilden, „ein tatbereites Gefühl der Verantwortlichkeit für abstrakte Partner" (Schulz 327 mit Bezug auf Gehlen 3 2 7 f ) . Das ist der entscheidende Punkt: Globale Nächstenschaft muß „hergestellt" werden. In einer Formulierung P. - » T i l l i c h s drückt sich diese Möglichkeit schon in der Wortwahl aus, wenn er sagt, der „Nächste" sei jeder, zu dem eine konkrete Beziehung technisch möglich sei (Tillich, Systematische Theologie I, 322). Tillich vermag auch zu zeigen, w a s die Qualifikation der Mitmenschlichkeit zur Nächstenschaft für die Rechtsgemeinschaft bedeutet. Es erweise sich nämlich - noch einmal: vom Beispiel des barmherzigen Samariters aus - , daß die abstrakte Formel „Anerkennung des anderen als Person" nicht ausreiche, sondern erst im Akt der „Teilnahme am anderen" konkret werde. Die Liebe gibt dem Unbedingtheitscharakter des moralischen Imperativs die Konkretheit, durch welche beide, man selbst und der andere, zur Person werden (ebd. III, 59). Das konnte in der Geschichte des Christentums vor der Moderne noch nicht mit der heutigen Klarheit auf ein soziales und rechtliches Gleichheitspostulat bezogen werden. Die „Horizonte" feudalistischer und patriarchalischer Ordnungen schränkten den Blick ein. Z w a r wird, führt Tillich aus (Fundament 78), im Christusgeschehen „die Liebe offenbar in ihrer Universalität und zugleich in ihrer Konkretheit: der Nächste ist der unmittelbare Liebesgegenstand, und jeder kann Nächster werden. Alle Ungleichheiten unter den Menschen werden insoweit überwunden, als die Menschen potentiell Kinder Gottes sind". Aber das bleibt für das ältere Empfinden und Denken mit den sozialen und psychologischen Ungleichheiten der vormodernen Gesellschaft vereinbar. Heute erscheint es hingegen als einleuchtend und unzweifelhaft geboten, jedem und jeder, die potentiell Person ist, auch zu helfen, ihre Personalität zu verwirklichen (Fundament 32). Es ist dabei auch klar, daß das heißt: jeden Menschen, der Hilfe zu solcher Selbstverwirklichung braucht, in seinem Anderssein, seiner Besonderheit anzuerkennen und zu fördern. Und noch weiter ausgreifend stellt sich die Frage, ob zu denen, die potentiell Person sind, nicht ebenfalls Tiere gehören. In einem bestimmten Tier einen „ N ä c h s t e n " zu sehen, das erscheint nicht mehr als ganz absurde Vorstellung, wobei man allerdings unter veränderten Vorzeichen wieder warnen muß vor einer Sentimentalität, die in der Tierliebe ein Alibi für mangelnde Zuwendung zum menschlichen Nächsten findet. Wichtiger bleibt indessen die Bedeutung der spezifisch christlich verstandenen Nächstenschaft als religiöse Fundierung (wennschon nicht eigentliche Begründung) der M e n schenrechte. Diese werden dadurch zu einem Anspruch auf Partnerschaft über alle Grenzen hinweg. Die politische und soziale Universalität der Nächstenschaft steht nicht a m Anfang der Christentumsgeschichte, kann aber als ihr Ziel betrachtet werden. Nächstenschaft, formuliert A. Schwan, beinhalte eine verpflichtende Zuordnung von M e n schen (und Völkern) zueinander jenseits von subjektiver Sympathie und Antipathie. „Der Nächste, der mir gleich ist und mich gleich viel angeht, ist potentiell und prinzipiell jeder Mensch, sofern er mir in einer bestimmten Konstellation nahekommt. Nächstenschaft ist Partnerschaft in konkreter Begegnung" (Schwan 59). Schwan sagt auch, der Fremde werde zu meinem Nächsten gleichsam umgeschaffen. Er nennt das den „Geist der Nächstenschaft". Von ihm sei kein gesellschaftliches Verhältnis ausgenommen, und bei aller Betonung des konkreten Begegnungscharakters erstrecke sich die Dimension der Nächstenschaft von der mikrosozialen bis zur universalen Mitmenschlichkeit (Schwan 58 f). M a n könnte wohl auch sagen: Das Ziel, wie es sich nach Barth proleptisch in der ökumenischen Gemeinschaft der Christen zu zeigen vermag, ist eine zugleich globale und konkrete Geschwisterschaft der Menschen - wobei zum Schluß und wenigstens einmal auch gesagt sein soll, daß das traditionelle Stichwort „der Nächste" nicht mehr ohne Erweiterung auf „die Nächste" auskommen kann und zum Bruder nun einmal die Schwester gehört.
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3. Die Bedeutung
4. Probleme der
Erschließung
Fund
N a c h der oberägyptischen Stadt N a g H a m m a d i wird ein bedeutender Z u f a l l s f u n d k o p t i s c h e r Papyrushandschriften mit hauptsächlich g n o s t i s c h e m I n h a l t , v o m D e z e m b e r 1 9 4 5 , b e n a n n t . D e r F u n d o r t liegt auf dem rechten Nilufer a m F u ß e des Gebet et-Tarif, 10 k m nordöstlich der N i l b r ü c k e von N a g H a m m a d i . D e r F u n d bestand aus 13 C o d i c e s (bzw. den Resten von s o l c h e n ) , die in e i n e m g r o ß e n Krug vergraben gewesen seien und sich jetzt im Besitz des Koptischen M u s e u m s zu K a i r o befinden. (Zu den F u n d u m s t ä n d e n im einzelnen sowie dem komplizierten W e g , auf d e m die C o d i c e s schließlich E i g e n t u m des Koptischen M u s e u m s g e w o r d e n sind, vgl. vor allem Facsimile E d i t i o n , I n t r o d u c t i o n 3 - 1 4 . ) D e r k o p t i s c h e D i a l e k t , in dem die M e h r z a h l der in den P a p y r u s b ü c h e r n e n t h a l tenen T e x t e geschrieben sind, ist ein oberägyptisches Sahidisch, w ä h r e n d eine k l e i n e r e Anzahl von T e x t e n in einer c h a r a k t e r i s t i s c h e n Spielart des L y k o p o l i t a n i s c h e n vorliegt. In allen Fällen aber handelt es sich u m Übersetzungen, und z w a r , wie für fast alle S c h r i f ten einmütig a n g e n o m m e n wird, aus d e m G r i e c h i s c h e n . N u r für die eine oder a n d e r e Schrift wird gelegentlich Syrisch als eigentliche U r s p r a c h e e r w o g e n ( E V ; E v T h o m ) . N a c h den Kriterien der P a l ä o g r a p h i e und den Indizien, die die U r k u n d e n liefern, die sich als M a k u l a t u r in der K a r t o n a g e der L e d e r e i n b ä n d e fanden, s t a m m e n die N a g H a m m a d i Codices e t w a aus der ersten H ä l f t e des 4 . J h . W i e alt die durch sie bezeugten 'Werke sind, ist d a m i t n o c h nicht gesagt. A b e r für deren Entstehungszeit gibt es k a u m ä u ß e r e Indizien, so d a ß m a n also in fast allen Fällen auf (vage) innere Kriterien angewiesen ist. Auch m u ß der E n t s t e h u n g s o r i keineswegs Ägypten gewesen sein. Für einzelne T e x t e weisen die Spuren vielmehr eindeutig nach Syrien (z. B . E v T h o m ; EvPhil). W i e die S a m m -
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Nag Hammadi
lung der 13 Codices zustande g e k o m m e n ist, bleibt unbekannt. Die Verschiedenheit im Dialekt, im Format und in der Einbandmanufaktur macht jedenfalls die Herstellung der einzelnen Codices am gleichen Ort und zur selben Zeit ziemlich unwahrscheinlich. M a n kann nicht einmal voraussetzen, daß diese Sammlung schließlich wirklich die Bibliothek, sei es einer Institution, sei es einer Person oder Personengruppe, war. Im Dunkeln bleibt auch, w a r u m und w a n n die Bücher vergraben worden sind. 2. Der
Bestand
Einen ersten Überblick über den Bestand des Gefundenen gibt die folgende Liste, in der die N a g Hammadi-Schriften in der Reihenfolge aufgeführt sind, wie sie in den C o dices erscheinen.
Die Kairoer Sammlung v o n N a g Hammadi-Papyri Codex, Traktat
Seiten, Zeilen
Titel
Abkürzung
1,2
A, [1]-B,8 (+ B,9-10) 1,1-16,30 16,31-43,24 43,25 -50,18 51,1-138,27 1,1-32,9 32,10-51,28 51,29-86,19 86,20-97,23 97,24-127,17 127,18-137,27 138,1-145,19
Gebet des Apostels Paulus (+ Kolophon) Epistula Jacobi apocrypha Evangelium Veritatis Der Brief an Rheginus über die Auferstehung Tractatus Tripartitus Das Apokryphon des Johannes Das Evangelium nach Thomas Das Evangelium nach Philippus Die Hypostase der Archonten Vom Ursprung der Welt Die Exegese über die Seele Das Buch des Thomas. (Der Athlet schreibt Vollkommenen.) an die (+ Kolophon) Das Apokryphon des Johannes Das Ägypter-Evangelium Der Brief des Eugnostos Die Sophia Jesu Christi Der Dialog des Erlösers Das Apokryphon des Johannes Das Ägypter-Evangelium Der Brief des Eugnostos Die Apokalypse des Paulus Die erste Apokalypse des Jakobus Die zweite Apokalypse des Jakobus Die Apokalypse des Adam Die Taten des Petrus und der zwölf Apostel Die Bronte - Vollkommener Verstand Authentikos Logos Der Gedanke unserer großen Kraft Piaton, Politeia 588B-589B De Ogdoade et Enneade Hermetisches Gebet (+ Schreibernotiz) Asklepios Die Paraphrase des Seem Der zweite Logos des großen Seth Die Apokalypse des Petrus
PrecPl
1,2 1,3 1,4 1,5 11,1 11,2 11,3 II ,4 11,5 11,6 11,7
111,2 111,2 111,3 111,4 111,5 IV, 1 IV,2 V,2 V,2 V,3 V,4 V,5 VI,1 VI,2 VI,3 VI,4 VI,5 VI,6 VI,7 VI,8 VII,2 VII,2 VII,3
(+ 145,20-23) 1,1-40,11 40,12-69,20 70,1-90,13 90,14-119,18 120,1-147,23 1,1-49,28 50,1-81,2 1,1-17,18 17,19-24,9 24,10-44,10 44,11-63,32 64,1-85,32 1,1-12,22 13,1-21,32 22,[1]-35,24 36,1-48,15 48,16-51,23 52,1-63,32 63,33-65,7 (+65,8-14) 65,15-78,43 1,1-49,9 49,10-70,12 70,13-84,14
Epjac EV Rheg TractTrip AJ EvThom EvPhil HA UW ExAn LibThom
AJ ÄgEv Eug SJC Dial AJ ÄgEv Eug ApcPl lApcJac 2ApcJac ApcAd ActPt Bronte AuthLog Noema N H C VI,5 OgdEnn PrecHerm Askl ParSem 2LogSeth ApcPt
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Nag Hammadi
Codex, Traktat
Seiten, Zeilen
Titel
Abkürzung
VII,4
84,15-118,7 (+ 118,8-9) 118,10-127,27 (+ 127,28-32) 1,1-132,6 (+ 132,7-9) 132,10-140,27 1,1-27,10 27,11-29,5 29,6-74,30 1,[1]-68*,18 1,[1]-21,35 22,1-39,39 40,[l]-29 "i 40,30-41,38 42,[1] —43,19 > 43,20-38 44,[l]-37 J 45,[1]-69,20 69,21-72,33 15*, 1 - 3 4 * ,28 53*,19-60*,30 35*,1-50*,24 50*,25-34
Die Lehren des Silvanas ( + Kolophon) Die drei Stelen des Seth ( + Kolophon) Zostrianos ( + Kryptogramm) Der Brief des Petrus an Philippus Melchisedek Ode über Norea Testimonium Veritatis Marsanes Die Interpretation der Gnosis Valentinianische Abhandlung
Silv
VII,5 VIII,1 VIII,2 IX,2 IX,2 IX,3 X XI,1 XI,2 XI,2 a XI, 2b XI ,2c XI,2 d XI,2 e XI, 3 XI ,4 XII,1 XII,2 XIII,2 XIII,2
Fünf valentinianische Gebete (Zur Salbung; zur Taufe [A]; zur Taufe [B]; zur Eucharistie [A]; zur Eucharistie [B]) Allogenes Hypsiphrone Sextussprüche Evangelium Veritatis Die dreigestaltige Protennoia Vom Ursprung der Welt
) 1 j J
StelSeth Zostr EpPt Melch OdNor TestVer Mar Inter ExpVal
PrecVal
Allog Hyps Sextus EV Protennoia UW
Bei einer A n z a h l dieser T e x t e ist in der betreffenden H a n d s c h r i f t gar kein T i t e l angegeben oder e r h a l t e n . Es sind das diejenigen, deren (an sich b e k a n n t e r oder neu geprägter) N a m e nicht kursiv gedruckt ist. In dieser S a m m l u n g sind einige T e x t e m e h r f a c h vertreten ( A J d r e i m a l ; EV, UW, Ä g E v , Eug je zweimal [bei E V und U W ist diese zweite Version aber n u r in kleinen R e s t e n erhalten]). F ü r einige T e x t e existieren n o c h Parallelen a n d e r s w o : für A J und S J C je eine im Pap. Berolinensis 8 5 0 2 ; für 1 A p c j a c and E p P t je eine in einem P a p y r u s - C o d e x , der sich n o c h a u f dem A n t i q u i t ä t e n - M a r k t befindet ( F a c símile Edition, I n t r o d u c t i o n 2 1 ) ; für U W eine (fragmentarische) in L o n d o n ( B M O r . 4 9 2 6 [1]); für ein Kapitel von Silv ebenfalls eine in L o n d o n ( B M O r . 6 0 0 3 ) . Z w i s c h e n einzelnen Schriften der S a m m l u n g bestehen deutliche literarische Beziehungen ( z . B . ist Eug die [Prosa-]Vorlage für [den D i a l o g ] S J C und dürften H A und U W z . T . von ein und derselben Q u e l l e a b h ä n g e n ) . Von einigen T e x t e n der S a m m l u n g ist das griechische O r i g i n a l w o h l b e k a n n t ( N H C V I , 5 ; P r e c H e r m ; Sextus) oder w e n i g s t e n s dessen lateinische Übersetzung (Askl). Von anderen g a b es bisher nur griechische F r a g m e n t e ( E v T h o m ; S J C ) . W i e d e r andere w a r e n praktisch nur dem N a m e n nach b e k a n n t , sei es aus der a n t i h ä r e t i s c h e n christlichen L i t e r a t u r ( E V ; EvPhil), sei es aus n e u p l a t o nischer P o l e m i k ( Z o s t r ; Allog). Bei den weitaus meisten w a r j e d o c h vor dem F u n d n i c h t einmal ihre E x i s t e n z b e k a n n t . D i e T e x t e gruppieren sich, je nach Perspektive, in vielfältiger Weise. F ü r die f o r m a l e Gruppierung n a c h T e x t g a t t u n g e n sind allerdings die T i t e l m a n c h m a l wenig hilfreich. D i e mehrfach v o r k o m m e n d e n , k l a r e r k e n n - und definierbaren T e x t s o r t e n sind: —> G e b e t , Brief, D i a l o g , S p r u c h s a m m l u n g , Weisheitslehre ( - • Weisheitsliteratur), H o m i l i e ( - » H o miletik), A b h a n d l u n g , H i m m e l s r e i s e ( - » E n t r ü c k u n g ) , O f f e n b a r u n g s r e d e . Bei dem Versuch sachlicher G r u p p i e r u n g k o m m t m a n k a u m o h n e ein variables Einteilungsprinzip aus. In dieser T e x t s a m m l u n g , die ja wegen ihrer gnostischen Inhalte b e r ü h m t g e w o r d e n ist, gibt es nun k e i n e s w e g s nur gnostische T e x t e (—>Gnosis). Von den n i c h t - g n o s t i s c h e n T e x t e n sind einige auch nicht christlich ( N H C V I , 5 ; E u g ; S e x t u s ) , w ä h r e n d a n d e r e ein
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Nag Hammadi
nicht-gnostisches Christentum verschiedener Prägung vertreten (ActPt; AuthLog; Silv). Eine weitere auffällige Randerscheinung ist der Block der drei hermetischen Texte (OgdEnn; PrecHerm; Askl; —•Hermetica). Aus der großen Gruppe der allgemein christlichgnostischen Texte heben sich die deutlich valentinianischen Texte heraus (PrecPl; TractTrip; EvPhil; lApcJac; ExpVal; PrecVal; -*Valentin). Das Evangelium Veritatis steht vielleicht an der Grenze, weil es vermutlich bei den Valentinianern zwar in Gebrauch war (TractTrip scheint es zu kommentieren), aber kaum valentinianischer Herkunft ist. Mit den christlich-gnostischen Texten berührt sich eine weitere, in sich sehr geschlossene Gruppe eindeutig gnostischer Texte, insofern als einige von ihnen deutliche christliche Züge aufweisen, während die anderen demgegenüber eine nicht-christliche Gnosis repräsentieren (die ganze Gruppe umfaßt: AJ; HA; ÄgEv; ApcAd; StelSeth; Zostr; Melch; OdNor; Mar; Allog; Protennoia). Nach der Rolle, die der Adamsohn Seth in ihnen spielt, und unter kritischer Aufnahme einer alten häresiologischen Bezeichnung nennt man sie „sethianisch". Es bleiben bei dieser Einteilung schließlich vier Texte übrig, die aus ganz verschiedenen Gründen sich keiner der genannten Gruppen zuordnen lassen (Bronte; Noema; ParSem; Hyps). 3. Die
Bedeutung
Die Hauptbedeutung des Nag Hammadi-Fundes liegt auf dem Feld der Religionsgeschichte und besteht in der zutage getretenen ungeahnten Fülle gnostischer Originaltexte als wiederauferstandener Zeugen einer epochalen, aber von der werdenden Großkirche dann verfolgten und ausgerotteten religiösen Bewegung der Spätantike. Der wissenschaftliche Wert geht jedoch weit darüber hinaus, betrifft auch andere Bereiche (z.B. die koptische Linguistik, die Papyrus-Kodikologie und die frühchristliche Literaturgeschichte) und spezifiziert sich auf dem Gebiet der Gnosisforschung. Andererseits ist nicht alles Gefundene von gleichem Wert. Man würde gern auf manche Himmelsbeschreibung verzichten, wenn dadurch z.B. die nur trümmerhaft erhaltene Schrift Die Interpretation der Gnosis, in der es um die Ordnung irdischer Gemeindeverhältnisse im Geiste weitergedachter paulinischer Theologie geht, wiederhergestellt werden könnte. Auch bietet der Fund vieles von dem nicht, was man auch gern wiederhätte (also z.B. keine Originalwerke der großen gnostischen Schulhäupter). Der Fund stammt eben nicht aus -»Rom oder Alexandrien, sondern aus der ägyptischen Provinz (—»Ägypten). Dennoch ist der Fund reich genug, und seine wirkliche Auswertung wird noch lange Zeit in Anspruch nehmen. Von dem, was im einzelnen schon jetzt sichtbar geworden ist, sei hier das Folgende hervorgehoben. Ob gnostisch oder nicht, zunächst einmal bereichern und ergänzen die Nag Hammadi-Schriften einfach schon das Dossier der neutestamentlichen —»Apokryphen in erheblichem Maße (vgl. NTApo 5 ; in Bd. I [1987] voll aufgenommen: EvThom; EvPhil; LibThom; Epjac; Dial; lApcJac; 2ApcJac; EpPt; in Bd. II [1989]: ActPt; ApcPl; ApcPt). Der Nag Hammadi-Fund hat auch die Kenntnis von der Geschichte der Weisheitstradition ganz wesentlich erweitert. Es gibt eine ganze Reihe nicht-gnostischer und gnostischer Nag Hammadi-Schriften von wesenhaft weisheitlicher Bestimmtheit (vor allem EvThom; LibThom; Bronte; AuthLog; Silv), die uns nicht nur die gnostischen Metamorphosen der jüdischen (und christlichen) —»Weisheit studieren lassen, sondern auch (bes. in Silv) den Typus von Christentum, der Jesus primär als die Weisheit Gottes versteht, in einer Reinheit wie nirgends sonst zeigen (vgl. H.-M. Schenke: ZÄS 102 [1975] 1 3 3 - 1 3 6 ; ders.: Gnosis. FS Jonas, 3 5 1 - 3 7 2 ; ders.: VF 32 [1987] 1 7 - 2 1 ) . Was die Vexierfrage nach dem Ursprung der Gnosis anbelangt, so hat der neue Fund zwar keine endgültige und unbezweifelbare Entscheidung gebracht; einen gnostischen Originaltext aus eindeutig vorchristlicher Zeit enthält der Nag Hammadi-Fund nicht. Aber er hat doch bewiesen, daß die Gnosis in ihrem Wesen ein „for-christliches" Phänomen ist. Und zwar ergibt sich diese Erkentnis vor allem aus der Analyse der Gruppe der „sethianischen" Texte. Außerdem sind diese Texte wichtig für die Geschichte der
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Gnosis. Sie führten zur Entdeckung einer ganz bestimmten Spielart der Gnosis, die ein Phänomen darstellt, das man dem Valentinianismus hinsichtlich der Größenordnung und Relevanz sehr wohl an die Seite stellen kann. Sie zeigt uns eine in den Sog der Gnosis geratene (ursprünglich vielleicht samaritanische) Taufbewegung in vorchristlicher Form und sowohl ihre sekundäre Begegnung mit dem Christentum als auch ihre Interaktion mit der neuplatonischen Philosophie (—• Neuplatonismus; vgl. H.-M. Schenke: Rediscovery II, 5 8 8 - 6 1 6 ; ders.: VF 32 [1987] 7 - 1 1 ; J . D . Turner: Nag Hammadi, Gnosticism... 5 5 - 8 6 ) . Auch über den Valentinianismus als einen anderen Strang von Gnosis, dessen Geschichte wir verfolgen können, vermittelt die Gruppe der valentinianischen Nag Hammadi-Texte einen erheblichen Zuwachs an Wissen. Besonders bemerkenswert ist dabei, daß man durch den sog. Tractatus Tripartitus, der in Wirklichkeit trotz seiner Länge doch nur ein Exzerpt eines noch größeren Werkes darstellt, erstmals von der Existenz eines, wohl zum Zwecke der Anpassung an die Kirchenlehre, revidierten Valentinianismus' erfährt, an dem das Auffälligste die Delegierung der ganz verschiedenen Funktionen von Sophia, Achamoth, Christus und Soter an ein und dieselbe Gestalt ist, die Logos genannt wird (vgl. H.-M. Schenke: ZÄS 105 [1978] 1 3 3 - 1 4 1 ) . Neue Aspekte für das Verständnis des gnostischen Simonianismus (—»Simon Magus) ergeben sich möglicherweise aus der synoptischen Betrachtung von drei Schriften, die eng miteinander verwandt sind und doch einander insofern ergänzen, als ein und derselbe Seelenmythus in der ersten dialektisch, in der zweiten ethisch und in der dritten mythologisch und exegetisch zur Sprache kommt (Bronte; AuthLog; ExAn). Die Analyse hat zu der Arbeitshypothese geführt, daß diese Schriften vielleicht viel simonianischer sind als der Simonianismus bei den Kirchenvätern. Dabei könnte der mehr oder weniger berechtigte Zweifel am gnostischen Charakter von Texten dieser Dreiergruppen denen, die den historischen Simon noch nicht für einen Gnostiker halten können, sehr entgegenkommen (vgl. H.-M. Schenke: VF 32 [1987] 1 1 - 1 7 ) . Übrigens werden die Berichte der altkirchlichen Bestreiter der Gnosis durch die neuen Texte keineswegs nur korrigiert und ergänzt, sondern an entscheidenden Punkten auch bestätigt (vgl. H.-M. Schenke: Korpus 2 0 9 - 2 1 8 ) . 4. Probleme
der
Erschließung
Die Erschließung der Nag Hammadi-Texte ist noch in vollem Gange, und die eigentliche Fruchtbarmachung hat kaum erst begonnen. Dabei vollzieht sich schon die Editionsarbeit, die doch nur den Anfang der Erschließung darstellt, ungleichmäßig - nicht nur in dem Sinne, daß manche Texte mehrfach und manche bis vor kurzem noch gar nicht ediert waren, sondern auch hinsichtlich des Wertes der einzelnen Ausgaben. Und es geht in dem Prozeß nicht nur vorwärts. Bei vielen Neu-Editionen kommt z.B. der objektiv inzwischen erreichte Fortschritt in der Lesung der Texte durch eine unerklärliche Nachlässigkeit bei der Drucklegung kaum zum Zug. Und das liegt nur zum Teil daran, daß in den kleinen Gruppen von Koptologen, die die Nag Hammadi-Forschung betreiben, die nachwachsenden Interessenten gleich mit in die Forschung einbezogen werden müssen. Zugleich erweist es sich offenbar als fast unmöglich, bestimmte, dem Kundigen evidente, Mißverständnisse und Fehler aus dem Anfang der Forschung zu korrigieren. Bei der Affiliation von Nag Hammadi-Texten untereinander und nach außen hat sich bei den „sethianischen" und den valentinianischen je ein beherrschendes Problem ergeben. Bei der „sethianischen" Textgruppe geht es um die Frage, ob die Verwandtschaft der betreffenden Texte untereinander etwa nur ein rein literarisches Phänomen ist, oder ob sie, wie oben vorausgesetzt, doch eine soziologische Basis in einer bestimmten gnostischen Menschengruppe hat. Die Entscheidung hängt wesentlich von der Deutung der -»Taufe in diesen Texten ab, und die Untersuchung des sethianischen Taufdossiers durch J.-M. Sevrin dürfte das Einschwenken der Forschung in die zweite Richtung gesichert haben. Beim Phänomen des Valentinianismus in den Nag Hammadi-Schriften ist die
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Nag Hammadi
B e s t i m m u n g des valentinianischen C h a r a k t e r s einzelner Schriften umstritten. Vor allem beim Evangelium Veritatis ist die g r o ß e M e h r h e i t der F o r s c h e r , im Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung, v o m valentinianischen Ursprung überzeugt. Vielen gilt auch der Brief an Rheginus als valentinianisch. D i e ersten H e r a u s g e b e r der Schriften des C o d e x I (damals „ C o d e x J u n g " g e n a n n t ) , die das g e s a m t e B u c h für valentinianisch hielten, h a b e n - wenn auch nicht einmütig - valentinianischen C h a r a k t e r sogar der Epistula Jacobi apocrypha z u e r k a n n t . K . K o s c h o r k e hält schließlich auch n o c h Die Interpretation der Gnosis für eine valentinianische Schrift (s. Z T h K 7 6 [1979] 3 1 ) . Die Bestimmung des wirklichen Wertes von solch neuen Textgruppen und Einzeltexten ist allerdings nicht allein von Arbeit und Fleiß abhängig. Sie hängt vielmehr ganz entscheidend von den richtigen „Augen" ab, und die haben nicht alle; und die sie haben, haben sie nicht für jeden Text. Selbst beim Evangelium nach Thomas, über das schon so viel, und so viel wirklich Gutes, geschrieben worden war, bedurfte es erst der Sicht von H. Köster, um seine wirkliche Relevanz als ostsyrische Variante des gleichen Spruchevangeliums, das Mt und Lk als zweite Quelle diente, zu erkennen (Entwicklungslinien 1 1 8 - 1 3 4 . 1 5 5 - 1 7 3 . 2 0 4 - 2 0 8 ) . Oder, um noch zwei andere wichtige Beispiele zu nennen: Es gab nur einen Mann, der den richtigen Blick für den Brief an Rheginus hatte und auch noch das Rätsel von Brontë lösen konnte, nämlich B. Layton (Nag Hammadi, Gnosticism . . . 3 7 - 5 4 ) . Und die Erschließung des wahren Wertes bestimmter christlich-gnostischer Nag Hammadi-Schriften (ApcPt; EpPt; TestVer; Inter) wird insbesondere K. Koschorke verdankt. Quellen/Literatur BCNH.T, Bde. 1 - 1 9 , Québec 1 9 7 7 - 1 9 8 9 (fortges.). - Régine Charron, Concordance des textes de Nag Hammadi. Le codex VII, Sainte-Foy/Québec 1992 (BCNH.C 1). - Colloque international sur les Textes de Nag Hammadi, hg. v. Bernard Bare, Québec/Louvain 1981 (BCNH.E 1). - Carsten Colpe, Heidnische, jüd. u. christl. Überlieferung in den Sehr, aus Nag Hammadi I - X : J A C 15 (1972) 5 - 1 8 ; 16 (1973) 1 0 6 - 1 2 6 ; 17 (1974) 1 0 9 - 1 2 5 ; 18 (1975) 1 4 4 - 1 6 5 ; 19 (1976) 1 2 0 - 1 3 8 ; 20 (1977) 1 4 9 - 1 7 0 ; 21 (1978) 1 2 5 - 1 4 6 ; 22 (1979) 9 8 - 1 2 2 ; 23 (1980) 108-127; 25 (1982) 6 5 - 1 0 1 . - The Coptic Gnostic Library, Leiden 1 9 7 5 - 1 9 9 1 (NHS 4.9.11.13.15.16.22.23.26.27.28.31) (fortges.). — Stephen Emmel, The Nag Hammadi Codices Editing Project. A Final Report: Newsletter of the American Research Center in Egypt 104 (Spring 1978) 10—32. — Essays on the Nag Hammadi Texts. FS Pahor Labib, hg. v. Martin Krause, Leiden 1975 (NHS 6). - The Facsimile Ed. of the Nag Hammadi Codices, 12 Bde., Leiden 1972-1984. - Gnosis. FS Hans Jonas, hg. v. Barbara Aland, Göttingen 1978. - Helmut Köster/James M. Robinson, Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen 1971. — Das Korpus der griech. christl. Schriftsteller. Historie, Gegenwart, Zukunft, hg. v. Johannes Irmscher/Kurt Treu, Berlin 1977 (TU 120). - Klaus Koschorke, Die Polemik der Gnostiker gegen das kirchl. Christentum, Leiden 1978 (NHS 12). - Bentley Layton, The Gnostic Treatise on Resurrection from Nag Hammadi, Missoula 1979 (HDR 12). — Ders., The Gnostic Scriptures. A New Transi, with Annotations and Intr., Garden City 1987. - Nag Hammadi, Gnosticism, and Early Christianity, hg.v. Charles W. Hedrick/Robert Hodgson, Peabody 1986. - The Nag Hammadi Library in English, transi, and introduced by Members of the Coptic Gnostic Library Project of the Institute for Antiquity and Christianity, hg.v. James M . Robinson u.a., Leiden 1977 3 1988. - Nag-Hammadi Reg. Wb. zur Erfassung der Begriffe in den kopt.-gnost. Sehr, von Nag-Hammadi mit einem dt. Index, hg.v. Folkert Siegert, 1982 (WUNT 26). - The N T and Gnosis. FS Robert McL. Wilson, hg.v. A . H . B . Logan/A.J.M. Wedderburn, Edinburgh 1983. - The Rediscovery of Gnosticism, hg.v. Bentley Layton, 2Bde., 1980/81 (SHR 41). - Kurt Rudolph, Die Nag Hammadi-Texte u. ihre Bedeutung für die Gnosisforschung: T h R 50 (1985) 1 - 4 0 (Lit.) (fortges.). - David M . Scholer, Nag Hammadi Bibliography 1948-1969, Leiden 1971 (NHS 1) (jährliche Erg.: N T 13ff [1971 ff, außer 1976]). - Jean-Marie Sevrin, Le dossier baptismal séthien, Québec 1986 (BCNH.E 2). - Sources Gnostiques et Manichéennes 1 - 2 , Paris 1984-1985 (fortges.). - Textausgaben des Berliner Arbeitskreises für kopt.-gnost. Sehr.: Wolf-Peter Funk, Die zweite Apokalypse des Jakobus, 1976 (TU 119); Gesine Schenke (Robinson), Die dreigestaltige Protennoia, 1984 (TU 132); Dankwart Kirchner, Epistula Jacobi Apocrypha, 1989 (TU 136); Hans-Martin Schenke, Das Thomas-Buch, 1989 (TU 138) (fortges.). Hans-Martin Schenke Naherwartung -»Eschatologie
Nahum/Nahumbuch
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1. Inhalt und Intention des Buches 2. Analyse des Buches 2.1. Redaktion 2.2. Der T h e o phaniepsalm 2.3. Komposition 3. Der Prophet und seine Zeit 3 . 1 . N a m e und Herkunft 3.2. Zeit und Botschaft 3.3. Theologie 4. Wirkungsgeschichte 4 . 1 . In der Bibel 4.2. I n Q u m ran (Literatur S. 7 4 1 )
1. Inhalt und Intention
des
Buches
„Lastspruch über Ninive. Buch der Schauung Nahums des Elqoschiters" (1,1)- Von der Doppelüberschrift dieses siebten Büchleins im Dodekapropheton gehört der erste Teil zu den gegen Ninive, die Hauptstadt Assyriens (-»Assyrien und Israel), gerichteten 10 Gedichten 2 , 4 - 3 , 1 9 , während der zweite auch den Einleitungsteil 1 , 2 - 2 , 3 mit seiner Theophanieschilderung einbezieht. Was „schaut" Nahum (zu hazön vgl. etwa I Sam 3,1; Hab 2,2f), und welche „Last" (zu massa' vgl. etwa II Reg 9,25; Jes 13,1) erlegt er auf? Zuerst schaut er den „eifernden und rächenden Gott", hymnisch besungen als der, vor dem die Schöpfung erzittert (1,3b—6), der unnachsichtig ist gegen seine Feinde, aber 15 langmütig gegen die Seinen (l,2.3a.7f); sein Kommen ist der einen Ende und der anderen Rettung (1,9-2,3). Darauf folgen die Ninive-Worte - in denen es nach der jetzigen Textfolge weniger um historische Vorgänge und politisch-militärische Entscheidungen geht, als um Gottes Einsatz für eine gerechte Weltordnung. Vierfach wird Ninives Ende beschrieben: in einem großen Schlachtgemälde (2,4-11), im Bild von der Löwenjagd 20 (2,12-14), im „Wehe über die Blutstadt" (3,1-7) und in einer Satire auf die Entmachtung der Machtmetropole (3,8 — 19). Wirkt die Sprache des Hymnus noch einigermaßen konventionell, so ist die der Ninive-Lieder von einer einmalig wilden Schönheit, büqah üm'büqah ümebullaqah („Leere, Entleerung, Verheerung") reimt der Poet auf das geplünderte Ninive (2,11); fast expres2.s sionistisch malt er Szenen aus der Entscheidungsschlacht: „Peitschenknall und Räderrasseln, jagende Rosse und tanzende Wagen, flammende Schwerter und blitzende Spieße, so viele Durchbohrte und eine Menge von Leichen" (3,2f); bitterer Hohn klingt aus der Klage: „Jeder, der dich sieht, weicht zurück vor dir und ruft: Verwüstet ist Ninive. Wer klagt um sie? Ich finde keinen, der dich trösten mag" (3,7). ?o Die Härte schockiert. Sie ist indes nur Widerhall der Härte, mit der Ninive die Welt beherrscht hat. „The empire had been built by blood and torture, cruelty and massacre, destruction and devastation, sacking und plundering" (Maier 103). Eher noch beredter als das Nahumbuch (z.B. 2,12f; 3,1.4.19) bezeugen assyrische Quellen die oft barbarische Grausamkeit dieses Eroberervolkes (vgl. etwa ANET 276f. 288.299). So ist es der „Auf35 schrei des mit anderen Völkern zertretenen Judenvolkes, der das Buch durchzittert" (Kleinert 518). 2. Analyse des
Buches
2.1. Redaktion. Der zweite Buchteil, wiewohl aus mehreren sprachlichen Einheiten bestehend, ist doch zu einem zusammenhängenden Ganzen verwoben. Refrainartig ant40 worten Spottklagen auf die Untergangsvisionen (2,12-14; 3,7.18 f); der Abschluß von 2 , 4 - 1 1 ist hineinverlagert in die übernächste Einheit (3,2f); die sog. Herausforderungsformel begegnet in 2,12 und 3,5. Diese Verknüpfungen heben sich in Sprache und Aussage kaum vom Kontext ab, liegen also auf oder nahe an der ältesten Textebene. Anders der Abschnitt 1 , 9 - 2 , 3 . Hier geht „alles wie Kraut und Rüben durcheinander" 45 (Duhm). Es läßt sich, so scheint es, eine ältere, drohende Schicht (1,11.14; 2,2f) von einer jüngeren, tröstlichen unterscheiden (l,9f,12f; 2,1). Die letztere ist unverkennbar von (deutero)jesajanischer Tradition beeinflußt (-»Deuterojesaja).
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Am deutlichsten ist das Wort von den Füßen des Freudenboten 2,1 Z i t a t aus Jes 5 2 , 1 . 7 . Doch gemahnt auch cnn und gzz in 1,12 an Jes 5 3 , 7 sowie sbr mattceh in 1,13 an Jes 9,3; 1 0 , 1 5 ; 14,5. Wohl hängen die bezeichneten Verse thematisch zusammen - Heil für J u d a , Unheil für die Feinde - ,
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Nahum / Nahumbuch
nicht aber formal. Sie dienen offensichtlich der Verbindung und Deutung der älteren Bestandteile: 2,1 nimmt mit krt (Nif.) 1,14; 2,14; 3,15 auf (dort jeweils Hif.), mit cbr 1,8 und 3,19, mit belijjacal 1,11 - so wie 1,9 in hsb auf 1,11 und in klh auf 1,7 anspielt).
Die ältere Textschicht besteht aus zwei Droh Worten. Das erste (1,11.14) richtet sich gegen zwei verschiedene Größen: eine feminine (wohl Jerusalem), die den „Berater Belials" hervorgebracht habe, und eine maskuline, vermutlich eben diesen „Berater" (wohl der König in Jerusalem). Das zweite Drohwort (2,2t) kündigt einem Femininum (wohl wieder Jerusalem) einen Zerstörer an, gegen den sich zu wappnen vergeblich sei, weil J H W H den Stolz Jakobs ( = Judas) genauso beseitigen wolle wie den Israels. Dieses von Jeremias begründete Verständnis der beiden Passagen ist nicht unbestritten. Gern sieht man in 1,14 nicht den judäischen, sondern den assyrischen König angeredet, und in 1,11 nicht Jerusalem, sondern Ninive (oder falls Jerusalem, dann nicht das bedrohte, sondern das 701 gerettete: so Renaud); entsprechend wird süb in 2,3 dann nicht als „ W e g n e h m e n " , sondern als „Wiedergeben" aufgefaßt (was aber die Streichung des „Stolzes Israels" bedingt) und der einsam übrigbleibende Vers 2,2 zu 2,4 gezogen (obwohl dorthin die 2. Pers. fem. sing, nicht paßt). Ist man geneigt, in diesem Punkt Jeremias zu folgen, so doch nicht seiner These, 3,1 ff und 3,8 ff seien ursprünglich Anti-Jerusalem-Lieder gewesen und erst nach 612 gegen Ninive umgebogen worden. Für solch eine Abänderung bieten die Texte keinerlei Hinweise; sie lassen sich auch, sogar besser, als von Anfang an gegen Ninive gerichtet verstehen.
2.2. Der Theophaniepsalm. Die in Nah 1 greifbare nachexilische Redaktion hat den für Juda bedrohlichen Tönen der Nahum-Überlieferung solche des Heils beigemischt - und sie hat der Gesamtkomposition den Theophaniehymnus 1,2ff vorangestellt. Wie treffend dieser Psalm vom machtvoll einherkommenden Gott die nachfolgenden Bilder von Gericht und Rettung präludiert, darauf ist man erst in neuerer Zeit verstärkt aufmerksam geworden. Die ältere Kritik untersuchte ihn meist als isoliertes Stück. O b er freilich mit dem Buchkorpus durch eine gleichartige Stilistik (Allis) oder Poetik (Christensen) fest verbunden ist, scheint fraglich. Von der älteren Schicht in 1,9ff und erst recht von den Ninive-Liedern ist er nach Sprache und Thematik doch derart verschieden, daß er nach wie vor besser als redaktionelle Zutat betrachtet wird. Dafür spricht auch, daß er in seiner äußeren Gestalt - als sog. Akrostichon - bei der Einarbeitung ins Nahumbuch erheblich verletzt worden ist. Nach Seybold hätten schon die biblischen Tradenten die alphabetische Reihenfolge wie deren Störungen wahrgenommen und in (jetzt in den Text geratenen) Randglossen vermerkt. Jedenfalls die Wissenschaft der letzten hundert J a h r e hat sich des Phänomens mit Fleiß und Akribie angenommen. Auf eher beiläufige Bemerkungen älterer Forscher hin haben Bickell, - » G u n k e l und Arnold versucht, einen das gesamte Alphabet abdeckenden und darum bis 2,4 reichenden Psalm zu rekonstruieren. Ihre Bemühungen waren kaum weniger gewaltsam als gelehrt, und so hat sich der beanspruchte Textumfang mehr und mehr reduziert: bis zum Buchstaben samek (Lipiner, auch Seybold), bis nun (Allen), seit Humbert (1926), der mit der inneren Struktur wie mit äußeren Analogien (Ps 9) argumentierte, meist nur mehr bis kaph, auf das halbe Alphabet also und die Verse 1 , 2 - 8 . Auch so noch liegt freilich kein reines Akrostichon vor. Das aleph nimmt drei volle Distichen in Anspruch (V. 2.3a), die Zeilenanfänge mit dalet, zajin und jod müssen erst wiederhergestellt werden. Offensichtlich hatte der Redaktor weniger Interesse an der Kunstform als vielmehr an der Verständlichkeit und vor allem der theologischen Eindeutigkeit der mit dem Psalm zu machenden Aussage. Wohl kaum hat er in den Abweichungen vom Alphabet einen theologischen Geheimcode versteckt (so van der Woude, Christensen), eher schon in V. 2.3 Anklänge an „ N i n i v e " (Allis) oder an die Namen von V. 1 geschaffen (Schulz — allerdings mit der gewagten Folgerung, die Namen seien auf diesem Weg erfunden worden). Jedenfalls lag ihm an der Einfügung der berühmten Gottesdefinition aus E x 3 4 , 6 f in V. 3: In ihr erkannte er den Schlüssel zu N a h u m s Schau vom Untergang des gottlosen Ninive und der Rettung der auf G o t t Vertrauenden.
2.3. Komposition. Bei ihrer Neugestaltung des Anfangs der Nahum-Überlieferung hat die Redaktion anscheinend in einer Art Reißverschluß-Verfahren älteres und jüngeres Material ineinander verzahnt: neue Überschrift (1,1a) - ältere Überschrift (1,1b) — erweiterter Psalm ( 1 , 2 - 1 0 ) - Drohwort (1,11) - Heilswort (l,12f) - Drohwort (1,14) Heilswort (2,1) - Drohwort (2,2f) - und schließlich die Ninive-Lieder 2,4ff. Soll man
Nahum/Nahumbuch
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an eine mechanische Erklärung denken (daß etwa der Schluß einer vorangesetzten ,Heilskolumne' hineingeschrieben worden wäre in den Beginn der ersten nachfolgenden ,Unheilskolumne', vgl. Seybold), oder liegt nicht doch eine theologische nahe (daß eben JHWHs „Rache" an den Feinden ihren Grund hat in seinem „Eifer" für sein Volk)? Durch den jetzigen Eingang des Nahumbuches gerät der Leser nicht mehr in eine Welt voll Krieg und Gewalt, sondern wird Zeuge eines gigantischen Ringens um eine gerechte Welt: Auf der einen Seite steht J H W H , im Psalm nach uralten Vorbildern geschildert als gewaltiger Krieger (Cathcart), auf der anderen Seite „Belial" und „Ninive". Das konkrete Ninive mit seinen Herrschern ist längst untergegangen; im Nahumbuch ist es zur Chiffre geworden für jegliche Macht, die sich Gottes Weltordnung entgegenstellt. Kein Tyrann, Gott behält den Sieg. Die Text- und Gedankenfolge im Nahumbuch wird von den Auslegern gern kultisch erklärt: Es handele sich um eine gottesdienstliche Liturgie - etwa für den Nikanortag am 13. Adar des Jahres 161 v. Chr. (so Haupt; dagegen schon J . M . R Smith mit dem einleuchtenden Argument, das Zwölfprophetenbuch werde in Sir 49,12, d.h. auf jeden Fall vormakkabäisch, als abgeschlossen vorausgesetzt) oder für das Neujahrsfest 612 zur Feier des Unterganges Ninives (so Humbert, ähnlich Fohrer u.a.). Auf diese Weise erklärten sich die häufigen Perspektiv- bzw. Sprecherwechsel, der einleitende Psalm und die eingestreuten kollektiven Klagen. Doch was für ein Gottesdienst wäre das gewesen, für den das Nahumbuch die Agende abgegeben hätte, welch intensiver „Brand- und Leichengeruch" (Lamparter 214) hätte ihn durchzogen! Schulz zieht es denn auch vor, nicht von einer wirklichen Liturgie, sondern von einem an liturgischen M u s t e r n orientierten, rein literarischen Kunstprodukt zu reden. Ein spätnachexilischer Schriftsteller habe aus ihm vorgegebenen Traditionselementen zuallererst , P r o p h e t e n w o r t e ' und aus diesen eine ,Prophetenschrift' g e f o r m t ; deren T e x t b e s t a n d freilich sei erheblich gestört und müsse erst m ü h s a m wieder rekonstruiert werden ( z . B . ein „ S c h l a c h t g e s a n g " aus 3 , 1 ; 1,11.14; 2 , 2 . 6 a a . 5 b . * 4 . 5 a ; 3 , 2 . 3 a . b a a ; 2 , 6 a ß . b a . 9 b ß . 8 a a l . 6 b ß . 4 a ß 2 . 8 a a 2 . b a l . 7 . 9 a b a . l 0 ) . Festzustellen sei ein fortgeschritten apokalyptischer Geist mit fixer Einteilung in G u t und B ö s e , Heil und Unheil. Z u solchen Einschätzungen führt eine allzu kühne literarkritische Wiederherstellung, Ü b e r b e t o n u n g und einseitige Wertung der vermuteten R e d a k t i o n s t ä t i g k e i t . Die R e d a k t i o n und erst recht die von ihr verarbeitete Tradition hat viel mehr geschichtliche Erfahrung verarbeitet, als Schulz zugestehen mag.
3. Der Prophet
und seine
Zeit
3.1. Name und Herkunft. Unser Buch wird zugeschrieben „Nahum dem Elqoschiter". Die Namensbildung entspricht derjenigen von rahün und hanün, besitzt Nebenformen in nehcemja und m"nahcem und bedeutet „Trostreich, Tröster". Elqosch ist kaum der Name des Vaters, sondern der des Geburtsortes. Dieser ist freilich kaum mehr sicher zu lokalisieren. Es gibt drei Ansetzungen: eine im Z w e i s t r o m l a n d , unweit M o s s u l bzw. Ninive, w o M u s l i m e nahe dem G r a b des J o n a dasjenige N a h u m s verehren; eine in G a l i l ä a , w o dem H i e r o n y m u s ein einheimischer Führer einen O r t jenes N a m e n s zeigte; und eine, von Pseudo-Epiphanius (etwas unklar) gegebene im südlichen J u d a , auf halbem Wege zwischen H e b r o n und G a z a , nahe Bèt D s c h i b rin, w o noch um die J a h r h u n d e r t w e n d e ein Brunnen bei verfallener O r t s c h a f t E l - Q a u s und ein R u i n e n p l a t z Qessijeh geheißen haben soll (Nestle). Die judäische Variante hat die meiste Wahrscheinlichkeit für sich, es sei denn, man suche N a h u m bei der nordisraelitischen G o l a in M e s o p o t a m i e n (so E w a l d , van der Woude). Vergleicht man jedoch die tiefen Spuren, welche die Exilssituation bei Ezechiel hinterlassen hat, dann erscheinen N a h u m s Kenntnisse Ninives (etwa 2 , 7 ) , des assyrischen Herrschaftssystems (3,15 ff) und einzelner akkadischer W ö r t e r (3,17) als wenig spezifisch und jedem wachen judäischen Zeitgenossen zuzutrauen.
3.2. Zeit und Botschaft. Für Nahums Wirkungszeit bildet den terminus ad quem das Jahr 612. Um die Ninive-Lieder in Nah 2 f sämtlich als vaticinia ex eventu zu betrachten, muß man in der Idee einer liturgischen Siegesfeier vorbefangen sein - und die prophetische Fähigkeit zur Antizipation gerade des Unwahrscheinlichen verkennen. Auch der terminus a quo steht fest: In 3,8 kündigt Nahum Ninive das Schicksal der
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Nahum /Nahumbuch
ägyptischen Stadt No Amon an. Obwohl Dorslaer (mit L X X und Hieronymus) sie mit Alexandria gleichsetzen will, handelt es sich mit hoher Sicherheit um das oberägyptische Theben, das 663 von Assurbanipal erobert wurde. Zwischen 663 und 612 eröffnen sich hauptsächlich zwei Möglichkeiten einer genaueren Datierung: die Regierungszeiten Josias (639-609) und Manasses (696-641). Steht Josia für die Loslösung von Assyrien, so Manasse für die Unterwerfung. Nahums Botschaft wäre das eine Mal gewissermaßen regierungskonform, das andere Mal oppositionell. Die Befürworter der ersten Lösung verweisen auf die verbreitete These von Nahum als Kultpropheten, dessen Aufgabe eben die Bedrohung des Landesfeindes gewesen sei, und der womöglich Josia zu seiner assurfeindlichen Politik ermutigt habe. Wären dann aber nicht Bezüge zur spezifisch Jerusalemer Zions- und Davidstheologie und zur deuteronomischen Reform zu erwarten? Auch scheint Assurs Macht ja keineswegs im Sinken begriffen, sondern gerade auf dem Zenith angelangt. So neigt sich die Waage deutlich zugunsten einer Früherdatierung: wohl nicht gleich auf 660 (so Maier mit Verweis auf die Befreiung Thebens schon um 655), wohl aber ab 650 (wobei an den damaligen Bruderkrieg zwischen Assurbanipal und Samas-sumukln zu erinnern ist, der das Imperium erschütterte). Nahum wäre dann Oppositionsprophet gewesen: nicht nur gegen die omnipräsente Großmacht (2,4ff), sondern auch gegen deren Handlanger im eigenen Land (1,11.14; 2,2f). Der scharfe Angriff auf den „Berater Belials", aus dessen Gotteshaus (!) die Götterbilder „ausgehauen" werden, aus dessen Linie kein Herrscher mehr auf den Thron kommen und der selbst kein ordentliches Begräbnis finden soll, kann kaum gegen Josia, sehr wohl aber gegen Manasse gerichtet sein (vgl. II Reg 21,10—15 - aber auch 21,18). Das Bild Nahums wird so wesentlich differenzierter und innerhalb der biblischen Prophetie viel weniger isoliert, als lange Zeit angenommen. Freilich bleibt die Glut seines Zorn gegen Ninive immer noch einzig. In grellen Farben schildert er die Eroberung der stolzen Weltbeherrscherin (2,4— 11 u. 3,2f; in 2,7f bemerkenswerte historische Einzelheiten); voll Drastik ist das Bild von der Entehrung der schamlosen Hure (3,1.4-6; im Hintergrund vermutlich Ischtar, die Göttin des Kriegs und der Liebe); paradox wirkt die Gleichstellung der Siegerin mit der Besiegten, die beide befallen sind von blinder Machtgläubigkeit (3,8-15a; die Schilderung Thebens in V. 8 durchaus sachgemäß, vgl. Schneider); bissig wird schließlich das Heuschreckenheer der assyrischen Besatzer, Verwalter und Geschäftemacher parodiert, die allesamt faul und feige sind und nur darauf aus, sich vollzufressen (3,15b-17). Was dazu gehört haben mag, solche Ansichten im Juda des Assur-Lakaien Manasse zu entwickeln und gar zu verbreiten, läßt sich ahnen. 3.3. Theologie. Theologisch erhielt Nahum oft schlechte Noten, meinte man in ihm doch einen jener nationalistischen Heilspropheten vor sich zu haben, die einem Jeremia das Leben schwer machten. Namens der ,echten Prophetie' warf man ihm seine (vermeintliche) Blindheit gegen Sünden des eigenen Volkes und seine (angeblich) blutrünstige Rachgier gegen das Feindvolk vor - wobei zuweilen unverkennbar antikultische oder gar antijüdische Vorurteile mitschwangen (J.M.P. Smith, Staerk, Sellin, Fohrer u.a.). Andere wollten aus der Kultgebundenheit gerade eine theologische Tugend (Haldar, Coggins) oder umgekehrt Nahum zum nahezu profanen Bänkelsänger machen (Seybold). Entscheidend ist etwas anderes: In einer Zeit brutaler äußerer und innerer Unterdrückung meldet sich eine prophetische Stimme zu Wort, die wider alle Zweifel Gott die Überlegenheit über ,Belial' und dessen ,Berater' und wider allen Augenschein den Sieg über Ninive zutraut. Der wahre Weltenherr wird die selbstherrliche Weltmacht in die Schranken fordern, wird statt der Macht wieder das Recht zum Prinzip der Weltordnung machen. Er ist kein ferner und gleichgültiger, sondern ein naher und anteilnehmender Gott. Die Mächtigen müssen mit ihm rechnen, die Machtlosen dürfen auf ihn rechnen. Gegen gängige Verharmlosungen des Gottes- und Vergeistigungen des Weltbildes ist Nahums Sicht von Gott und Welt wohl am Platze, ja unentbehrlich.
Nahum/Nahumbuch 4. 4.1.
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Wirkungsgeschichte In der Bibel.
Die biblische Wirkungsgeschichte schützt wiederum N a h u m s Bot-
s c h a f t v o r m ö g l i c h e r Vereinseitigung und V e r z e r r u n g . D i e n a c h e x i l i s c h e R e d a k t i o n des B ü c h l e i n s , die es n i c h t m e h r m i t M a n a s s e und A s s u r zu tun h a t t e , d a f ü r a b e r a u f den U n t e r g a n g n i c h t n u r N i n i v e s , s o n d e r n B a b y l o n s s o w i e a u f d a s Ü b e r l e b e n des eigenen V o l k e s u n d G l a u b e n s z u r ü c k b l i c k t e , f o r d e r t e z u m L o b p r e i s des T r i u m p h a t o r s
JHWH
a u f und lehrte die R e t t u n g J u d a s und den Z u s a m m e n b r u c h d e r W e l t m a c h t als sein W o l l e n und W i r k e n v e r s t e h e n . D a s J o n a b u c h s c h e i n t in stiller Z w i e s p r a c h e mit d e m N a h u m b u c h begriffen. I m P r o p h e t e n k a n o n geht es i h m v o r a u s und signalisiert s o , d a ß selbst N i n i v e seine C h a n c e h a t t e , d a ß es sie t a t s ä c h l i c h ergriff, d a n n a b e r o f f e n b a r in alter H y b r i s und G r a u s a m k e i t wieder verspielte. D a s N a h u m b u c h endet m i t einer g r i m m i g e n F r a g e , d a s J o n a b u c h m i t einer s a n f t e n (vgl. G l a s s o n ) ; d a s G l a u b e n s b e k e n n t n i s aus E x 3 4 , 6 f w i r d in N a h 1,3 voll a u f g e r u f e n , in J o n 4 , 2 nur n a c h seiner gütigen Seite. Ist e t w a G o t t d o c h n i c h t der „ R ä c h e n d e " und „ E i f e r n d e " ? F i n d e t er n o c h in N i n i v e das G u t e ? K a n n sich ein P r o p h e t ins U n r e c h t setzen - o d e r g a r G o t t ? D i e s e F r a g e n b l e i b e n m i t d e m J o n a b u c h s t e h e n , a u c h w e n n N a h u m das letzte W o r t ü b e r N i n i v e zu s p r e c h e n h a t . 4.2. In Qumran. Im Neuen Testament hat das Nahumbuch kaum sichtbare Spuren hinterlassen - außer vielleicht in dem Bild von der großen „ H u r e " Apk 17. Aus Qumram hingegen ist ein kommentarartiger Pescher zu Nahum erhalten. Den Essenern ist Ninive Chiffre für ihre pharisäischen Widersacher (wobei durchaus zwischen den Anführern und der breiten Mitläuferschaft unterschieden wird, auf deren Bekehrung man hofft), No Amon steht für die Sadduzäer. Diese sind schon besiegt, jene laufen ins göttliche Gericht, Juda hingegen — der eigenen Sekte natürlich — gilt der fürsorgliche Eifer Gottes. Der Löwe von 2,12 ist Alexander Jannäus, sein Wüten meint eine Massenkreuzigung nach einem pharisäisch-seleukidischen Putschversuch gegen ihn (vgl. Josephus, Ant 13, 5. 14,1 f). So birgt das Nahumbuch die geheimnisvolle Ankündigung der endzeitlichen Gegenwart - es gilt sie nur zu entschlüsseln. Literatur Kommentare: Heinrich Ewald, Die Propheten des Alten Bundes, Stuttgart, I 1840 2 1967. - Julius Wellhausen, Die kleinen Propheten, Berlin 1892 3 1898 4 1963. - Karl Marti, Dodekapropheton, Tübingen/Leipzig, II 1904 (KHC 13,2). - Bernhard Duhm, Die zwölf Propheten. In den Versmaßen der Urschr., Tübingen 1910. - John M . P . S m i t h , A Criticai and Exegetical Comm. on Micah, Zephaniah, Nahum, Habakuk, Obadiah and Joel, 1911 (ICC 30). - Hans Schmidt, Die großen Propheten übers, u. erkl., 1915 2 1923 (SAT 2,2). - Ernst Sellin, Das Zwölfprophetenbuch übers, u. erkl., 1922 3 1930 (KAT 12). - Friedrich Horst, Die Zwölf Kleinen Propheten, 1936 3 1964 (HAT I,14). - A . H . Edelkoort, Nahum-Habakuk-Zephanja, Amsterdam 1937. - Friedrich Nötscher, Zwölfprophetenbuch oder Kleine Propheten, 1948 (EB.AT 4). - Karl Elliger, Das Buch der zwölf Kleinen Propheten. II. Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi, übers, u. erkl., 1949 8 1982 (ATD 25). - Jacques Leclercq, Nahum: Ph. Béguerie/Jacques Leclercq/ J . Steinmann, Études sur les prophètes d'Israël, 1954 (LeDiv 14). - Charles L. Taylor/James T. Cleland, The Book of Nahum: IntB 6 (1956) 9 5 1 - 9 6 9 . - Walter A. Maier, T h e Book of Nahum, Saint Louis 1959. - Helmut Lamparter, Der Prophet Nahum, übers, u. ausgelegt: Rolf Freiherr v. Ungern-Sternberg/Helmut Lamparter, Der Tag des Gerichtes Gottes. Habakuk, Zephanja, Jona, Nahum, 1960 (BAT 23,4) - John H. Eaton, Obadja, Nahum, Habakkuk and Zephaniah. Intr. and Comm., 1961 ( T B C 22). - Carl-A. Keller, Nahoum: René Vuilleumier/Carl-A. Keller, Michée, Nahoum, Habacuc, Sophonie, 1971 (CAT I I b ) 9 9 - 1 3 4 . - John D.W. Watts, T h e Books of Nahum, Habakkuk and Zephaniah, 1975 (CNEB 23,3). - Helen Schüngel-Straumann, Israel, u. die andern? Zefanja, Nahum, Habakuk, Obadja, J o n a , Stuttgart 1975 (SKK. A T 15). - Wilhelm Rudolph, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, 1975 (KAT 13,4). - Alfons Deissler, Zwölf Propheten. II. Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, 1984 (NEB 4,8). - Ralph L. Smith, Micah-Malachi, 1984 (WBC 32). - Richard J . Coggins, In Wrath Remember Mercy. A Comm. on the Book of Nahum: ders./S. Paul Re'emi, Israel among the Nations. A Comm. on the Books of Nahum and Obadiah and Esther, Grand Rapids/Edinburgh 1985 (Int. Theol. Comm.) 1 - 6 3 . - Peter C. Craigie, Twelve Prophets II, 1985 (Daily Study Bible). - Elizabeth Achtemeier, Nahum-Malachi, 1986 (Interpretation: A Bible Comm.). - Leslie Allen, Hosea-Malachi, 1987 (Bible Study Comm.). - Bernard Renaud, Michée, Sophonie, Nahum, Paris 1987 (SBi). - Klaus Seybold, Nahum, Habakuk, Zephanja, 1991 (ZBK 24,2).
742
Nahum /Nahumbuch
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Name/Namengebung I
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Name Gottes - » G o t t , - > J a h w e Name/Namengebung I. II. III. IV. V. VI.
Religionsgeschichtlich Philosophisch . . . Biblisch Kirchengeschichtlich Praktisch-theologisch Systematisch-theologisch
747 749 754 758 761
I. Religionsgeschichtlich 1. Der N a m e ist die Person 2. Namengebung 3. Gottesnamen 3.1. Der Gottesname in den indischen Religionen 3.2. Der Gottesname im Islam 4. Namenlosigkeit und Unnennbarkeit (Literatur S . 7 4 6 )
1. Der Name ist die Person „Ohne Namen sind die Dinge nicht" (Gladigow 16). Dieser sprachtheoretische Grundsatz bedarf der kulturanthropologischen Ergänzung: Ohne Namen sind weder Menschen noch Götter. Der Name ist ihre Seele und konstituiert ihr Personsein. Wer mit seinem Namen genannt, angeredet oder angebetet wird, tritt aus der Anonymität heraus und wird berechenbar. Der Name ist magisch aufgeladen und unterliegt bestimmten Tabus. Wer ihn kennt, eignet sich geheime Kräfte an, mit denen er über den Namensträger - einen Menschen oder die Gottheit — verfügt. Wer genannt ist, ist „gebannt". Wer ein Kultbild anruft, der belebt es („redende Kultbilder"; vgl. Demokrit, fr. 142: Hermann Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker, Berlin 5 1922, 1,170,9). Wer den Namen seines Gottes niederschreibt und ihn gar während des Schreibens rezitiert, kann sich den Gott dienstbar machen („geschriebene M a g i e " ) . Wenn man den Namen eines Dämons kennt, kann man sich gegen ihn wehren. Andererseits kann ein Dämon einem Menschen nichts Böses antun, dessen Namen er nicht kennt. Aus diesem Grunde gibt man z.B. kleinen Kindern noch keinen Namen oder ändert den Namen eines Kranken, um den Krankheitsdämon zu täuschen. Namenswechsel ist ferner üblich bei fast allen rites de passage: zu Beginn der Pubertät, anläßlich der Initiationsriten und des ersten Sieges über einen Feind (Stammesname), bei der ersten Mutterschaft oder Vaterschaft, beim Tode eines Menschen, dessen Name auf ein neu geborenes Kind übergeht (Reinkarnation). Der neue Name wird dabei dem Medizinmann/Schamanen im Traum geoffenbart oder erfolgt durch Orakelspruch. Die enge Beziehung zwischen der Kenntnis eines Namens und der Teilhabe an seiner numinosen Kraft hat also eine magisch-apotropäische Instrumentalisierung zur Folge. Das sogenannte pi'i auf Tahiti macht das am Brauch der Namenstabuisierung deutlich: Bei der Thronbesteigung des Häuptlings wurden sämtliche Wörter aus der Umgangssprache, die mit dem Zeremonialnamen des Herrschers in Verbindung standen oder auch nur durch Ideenassoziation an ihn erinnerten, eliminiert. 2.
Namengebung
In Stammeskulturen grenzen die Totemnamen (Tiernamen, Pflanzennamen) die Großfamilien bzw. Klane voneinander ab. Sie sind konstant (wie die Kastennamen in Indien) im Gegensatz zu den Geburtsnamen der Familienmitglieder, die die Mutter in dem Augenblick entdeckt, in dem sie sich — z . B . angesichts eines Naturobjekts — ihrer Schwangerschaft bewußt wird (so bei den Aranda). Theophore Namen stehen sowohl im Alten Orient als auch in den indo-europäischen Kulturen an der Spitze: Ibni-marduk ( = Marduk hat erschaffen) heißt ein männlicher babylonischer Name, der aus zwei, Asur-bäni-apal ( = Assur erschafft sich einen Sohn), der aus drei, und Sin-mär-sarri-usur
744
Name/Namengebung I
( = O Sin, schütze den Sohn des Königs), der aus vier Worteinheiten zusammengesetzt ist. In Sumer hat der Magna-Mater-Kult die Onomatologie in besonderer Weise beeinflußt: Nin-ses-ra-ki-ag ( = die Königin liebt den Bruder [Tammuz]), Bau-ama-mu ( = Bau ist meine Mutter) heißen zwei weibliche Namen. Devadatta ( = von Gott gegeben), Devaräja ( = Gott ist König), Devadäsa ( = Knecht Gottes) sind geläufige Hindunamen, Abd-Allah ( = Knecht Gottes) und 'Abd-ar-Rahmän ( = Knecht des Barmherzigen) bekannte muslimische Namen. Andere Namen beziehen sich auf berühmte Vorfahren, Götterworte, heilige Stätten, Kultobjekte, astrologische Phänomene usw. Die Gläubigen benutzen die Namen ihrer Götter, um sich ihrer Allgegenwart zu versichern oder um an ihrer Substanz zu partizipieren. Der beschworene Name ist die Gottheit selbst. 3.
Gottesnamen
Wer den Gottesnamen kennt, kennt Gott und darf seines Schutzes gewiß sein. Die schützende Allmachtsfunktion kommt auch etymologisch zum Ausdruck: Die Yoruba nennen ihren Hochgott Olorun, „Herr des H i m m e l s " , die australischen Aborigines kennen einen Gott Baiame, was soviel wie „Himmelsheld" heißt, die ostafrikanischen Nuer verwenden den Terminus kwoth, „ G e i s t " , für ihre Numina, und die Dinka sagen einfach nhialac, „ d r o b e n " , „über u n s " , wenn sie von Gott sprechen. Desgleichen bedient sich der Konfuzianismus eines nicht-personalen, aber onomatologisch besetzten Gottesbegriffs, wenn er den Ausdruck T'ien, „ H i m m e l " , gebraucht. Auch die Namen der großen Götter der Religionsgeschichte verweisen bereits etymologisch auf ihre Funktionen: Brahman, die letzte Realität, das absolute Sein der Upanishaden, bezeichnete ursprünglich den Vorgang der Ausdehnung und des Wachsens, der vedische Gott Agni deutet bereits onomatologisch die Funktionen des Feuers an, und schließlich trägt Allah, der islamische Gott schlechthin, Beinamen wie ar-Rabb, „der H e r r " , oder ar-Rahmän, „der Barmherzige". Mit ihrem Namen bzw. den Hieroglyphen und Buchstaben ihres Namens beginnt die Kraft der Gottheit wirksam zu werden. 3.1. Der Gottesname
in den indischen
Religionen
Die Fülle der Götternamen im hinduistischen Pantheon (—»Hinduismus) ist das Ergebnis der Manifestationen und Funktionen, die die Götter übernommen haben. Ein Gott oder eine Göttin kann sich dem Menschen in seinem oder ihrem barmherzigen oder grauenvollen (Kall), seinem oder ihrem welterschaffenden oder weltzerstörenden Aspekt (Siva) zeigen und sich ihm deshalb unter anderem Namen und anderer Gestalt offenbaren, aber der dahinter stehende Gott bleibt ein und derselbe; d.h. eine Gottheit kann sich in viele Erscheinungen auflösen und darum viele Namen tragen, aber jeder Name (näman) bezeichnet nur einen Teil ihres Wesens. Dabei haben Assimilations- und Integrationsprozesse, wie sie z.B. nach der Invasion der vedischen Arier einsetzten, eine wichtige Rolle gespielt (interpretatio indica). Die Unterschiede und Gegensätze, die im Pantheon herrschen, finden in dem sie alle einigenden Absoluten ihr Ziel. In dieser Einheit „konvergieren alle Namen und Erscheinungsformen" (v. Stietencron 53): Das Neutrum Brahman bezeichnet darum das Unbegreifbare, in welchem sat, Sein, cit, Bewußtsein, und änanda, Glückseligkeit, zusammenfallen. Die zahlreichen göttlichen Namen werden in Lobliedern besungen, rhythmisch rezitiert, „gechantet", wie man in den neohinduistischen Bewegungen des Westens sagt. Am bekanntesten ist die Rezitation der heiligen Silbe O M , die zum integralen Bestandteil des Mantras O M mani padme hüm („O Kleinod in der Lotusblüte") geworden ist, das der Buddha Avalokitesvara verkündet haben soll. Im Hinduismus wird insbesondere der Name Krsna rezitiert; denn Krsna gilt als der barmherzige Aspekt des Gottes Visnu. „Demütiger als ein Grashalm, ausdauernder als ein B a u m . . . , so soll man immerdar den Namen Haris ( = Krsnas) singen", hatte Caitanya empfohlen (Eidlitz 179), und er pflegte dabei seinen Jüngern vorzusingen: „Außer dem Namen Haris,/außer dem Namen Haris,/wahrlich außer dem Namen Haris/gibt es keine Zuflucht,/gibt es wahrlich keine
Name/Namengebung I
745
Zuflucht im Kaliyuga" (aus dem Brhäd-Naradiya-Purana; Eidlitz 187). Alle Kräfte der Gottheit sind in ihren Namen eingegangen; darum bewirkt der Name Erlösung. Er soll so oft und so hingebungsvoll wiederholt werden, bis er das ganze Bewußtsein ausfüllt und den Gläubigen Gott gleich macht. „Da Gott von Seinem Namen nicht verschieden ist, können wir direkt, durch das Singen und Sagen Seines heiligen Namens, mit Ihm in Verbindung treten", verkündet Bhaktivedänta Swami Prabhupäda (1896-1977), der Begründer der Internationalen Gesellschaft für Krsna-Bewußtsein, in seiner Sri Tsopanisad (Bhaktivedanta Booktrust, Frankfurt/M./London/Bombay 7 1971, 122f). Insbesondere erlebt der gläubige Jünger beim Rezitieren des sogenannten „Mahämantra" das Einssein mit Gott. Wenn er das „Hare Krsna, Hare Krsna, Krsna, Krsna, Hare, Hare/Hare Räma, Hare Räma, Räma Räma, Hare Hare" chantet, werden Krsna und Räma zu „Namen des lebendigen Gottes, der . . . von Seinem Namen . . . nicht verschieden ist" (ebd. 122). Der Formel „Namu Amida Butsu", „Anbetung dem Amida Buddha", wie sie im chinesischen und japanischen Amida-Buddhismus gebräuchlich ist, wird ebenfalls Heilswirkung zugeschrieben: Um die Wiedergeburt im Reinen Land zu erlangen, empfiehlt Hönen (1133-1212) Mönchen wie Laien die rituelle Nennung des Buddhanamens (nembutsu) - bis zu siebzigtausendmal am Tag! Und auch das „Namu Myöhö renge-kyö", „Anbetung dem Lotussutra vom Wundervollen Gesetz", das in den sogenannten „Lotusbewegungen" des heutigen japanischen Buddhismus rezitiert wird, gilt als ein solches „Mahämantra", durch welches sich der Gläubige mit Buddha Sakyamuni vereint (-»-Neue Religionen). Nichiren (1232-1282) hatte es einst als Geistestraining eingeführt, nachdem er sich durch die unaufhörliche Rezitation der Formel in Ekstase versetzt und Erleuchtung erlangt hatte. 3.2. Der Gottesname
im Islam
Ein in vielerlei Hinsicht ähnlicher Prozeß, wie ihn die Verehrung des Gottesnamens in den indischen Religionen durchläuft, läßt sich auch im —•Islam feststellen. Zunächst ist freilich der Gottesname durch den Qur'än bestimmt: Alle Suren bis auf Surah 9 beginnen mit der Basmala, die - nach opinio communis der Forschung - Bestandteil der Offenbarung gewesen ist: „Im Namen Gottes, des Barmherzigen (ar-Rahmän), des Gnädigen". Alles, was Muhammad sagt, verkündigt er im Namen Gottes. Nichts geschieht ohne Allahs Namen. Er ist die Legitimation für jedes Wort, das Muhammad weitergibt. Der Name Allah ist Allah selbst. Wenn Allah ar-Rahmän, der Erbarmer, genannt wird, so handelt es sich um ein Epitheton, das die Erscheinungsweise des einen und einzigen Gottes beschreibt. Genauso verhält es sich mit den anderen Namen, die der Qur'än auf Gott anwendet. Surah 5 9 , 2 2 - 2 4 faßt sie zusammen: „Er ist Allah, außer dem es keinen Gott gibt, der Barmherzige, der Gütige,... der König, der Hochheilige, der Friedensstifter, der Stützer, der Beschützer, der Mächtige, der Gewaltige, der Stolze, der Schöpfer, der Erschaffer, der Gestalter... Gott stehen die schönsten Namen zu" (W. Montgomery Watt/Alford T. Welch, Der Islam I, übers, v. Silvia Höfer, Stuttgart u.a. 1980, 221; vgl. Surah 7,180; 17,110; 20,8; 59,24). Der Begriff al-asmä' al-husnä, „Besitzer der schönsten Namen", wurde zur Grundlage für eine ganze Theologie, die schließlich 99 Namen umfaßte, 100 weniger einen, den allerhöchsten Namen nämlich, der verborgen ist. Im dikr, dem „Gottesgedenken", den die Süfis schweigend oder den Rosenkranz betend vollziehen, spielt die Namenverehrung eine bedeutende Rolle. Der dikr beginnt mit yä Rahmän, yä Rahim und endet mit yä Sabür, „O Geduldiger". Man glaubte, die falsche Anwendung eines Gottesnamens könnte für den Betenden schlimme Folgen haben (Namensmagie); darum mußte der Schüler zuvor von einem sayh sorgfältig angeleitet und auf den dikr vorbereitet werden. Dazu gehörte natürlich auch die Instruktion, daß es sich bei den „schönsten Namen" nur um Epitheta des einen und einzigen Gottes handelt, nicht aber um Erscheinungsweisen wie etwa im Hinduismus. Tatsächlich hat sich aber der islamische Volksglaube immer wieder an einer „Aspekt-Theologie" ausgerichtet.
746 4. Ñámenlo
Name/Namengebung I
s igkeit
und
Unnennbarkeit
Namenlos können Götter aus verschiedenen Gründen sein: Es kann an bestimmten Tabus liegen, die dem Frommen das Aussprechen des Gottesnamens verbieten, am numinosen Ort, an der Furcht, das Numinose zu benennen, oder - wie beim Brahman - an der Tendenz zur Abstraktion bzw. Reduktion auf ein letztes und ursprüngliches Sein. Oft ist die oberste Gottheit otios und namenlos und wird nicht angebetet. Die Zulu kennen einen „Herrn der H ö h e " , die Inuit (Eskimo) eine „Mutter, die unter dem Meere wohnt", die Naga in Nordost-Indien zeigen auf eine Grotte, in der ein Wesen lebt, dessen Gestalt und Eigenschaften niemand gesehen hat, bei den Aranda in Australien kennen nur einige wenige das Geheimnis der churinga. Auch die Alten Ägypter führten die Geheimhaltung eines Gottesnamens auf bestimmte Tabus zurück. Amun heißt geradezu „der Verborgene", und Amun-renef ist „der, dessen Name verborgen ist". Ein Hymnus aus dem Papyrus Leiden beschreibt diesen Deus absconditus so: „Der einzigartige Amun, der sich vor Menschen und Göttern verbirgt. Man kennt sein Wesen nicht. Er ist höher als der Himmel und tiefer als die Unterwelt. Kein Gott kennt sein wahres Aussehen . . . Er ist zu geheimnisvoll, als daß man seine Herrlichkeit enthüllen könnte, er ist zu groß, als daß man ihn erforschen, und zu gewaltig, als daß man ihn erkennen könnte. Sofort fällt wie tot nieder, wer seinen verborgenen Namen bewußt oder unbewußt ausspricht" (H. Brunner 46) (-»Pseudonymität). Namenlosigkeit und Unnennbarkeit können aber auch das Ergebnis religiöser Reflexion sein und das Eingeständnis beinhalten, daß kein Mensch in der Lage ist, das Geheimnis des Numinosen und damit Ursprung, Sinn und Ziel des Daseins zu begreifen, weil es sich immer wieder dem menschlichen Zugriff entzieht. Aus einer solchen Reflexion ist das zen-buddhistische MU, das absolute Nichts, hervorgegangen, und in eben diesem Sinne beginnt Lao Tse das Tao-tê-ching mit den Worten: „Das Tao, das sich aussprechen läßt, ist nicht der ewige Sinn ( = das dauernde und unveränderliche Tao). Der Name, der sich nennen läßt, ist nicht der ewige Name. ,Nichtsein' nenne ich den Anfang von Himmel und Erde" (Tao te king, Kap. 1,1; Übers, von Richard Wilhelm, München 1978,41). Literatur Michel Allard, Le problème des attributs divins dans la doctrine d'al-As ' a n et de ses premiers disciples, Beirut 1965. - Wolfgang Aly, Art. N a m e , namenlos, Namensänderung u . s . w . : H W D A 6 (Nachdr. 1987) 9 5 0 - 9 6 5 . - Georges C. Anawati, Un traité des noms divins de Fakhr al-DTn al-Râzï: Arabie Studies in H o n o u r of Hamilton A. R . G i b b , Leiden 1965, 3 6 - 5 1 . - Ders., Le nom suprême de Dieu: Atti del Terzo Congresso di Studi Arabi e Islamici, Ravello 1966, Neapel 1967, 7ff. - Alfred Bertholet, Götterspaltung u. Göttervereinigung, Tübingen 1933. - Peter Beyerhaus, Der Name Gottes in den afrikanischen Sprachen u. das Problem der missionarischen Übers.: Der N a m e Gottes, hg. v. Heinrich v. Stietencron, Düsseldorf 1975, 1 9 1 - 2 0 8 . - Hans Bietenhard, Art. ö v o n a , ôvonàÇco: T h W N T 5 (1954) 2 4 2 - 2 5 1 (Lit. bes. zu Griechentum u. Hellenismus) . - Alexander Böhling, Der N a m e Gottes im Gnostizismus u. Manichäismus: Der N a m e Gottes a . a . O . 1 3 1 - 1 5 5 . - Hellmut Brunner, N a m e , Namen u. Namenlosigkeit Gottes im Alten Ägypten: ebd. 3 3 - 4 9 . - E m m a Brunner-Traut, Altäg. M ä r c h e n , Düsseldorf/Köln 3 1 9 7 3 . - Dies., Art. Anonymität der Götter: LÄ 1 (1973) 2 8 1 - 2 9 1 . - M . Le C o e u r / C . Baron, Rites de la naissance et de l'imposition du nom chez les Azza du M a n g a (Niger): Africa 4 (1974) 3 6 1 - 3 7 0 . - Frederick M . Denny, Art. Ñames and Naming: EncRel (E) 10 (1987) 3 0 0 - 3 0 7 . - Werner Eichhorn, Der „ N a m e G o t t e s " in rel. Strömungen des alten China: Der N a m e Gottes a . a . O . 66—74. — Barbara Eisenbeiss, Homerische Namenstudien, Frankfurt / M . 1987 (BKP; Lit.). - J o s e f van Ess, Der N a m e Gottes im Islam: Der N a m e Gottes a. a. O . 1 5 6 - 1 7 5 (Lit.). - August Fick, Die griech. Personennamen nach ihrer Bildung erkl. u. syst, geordnet, Göttingen 2 1894. - August Fischer, Vergöttlichung u. Tabuisierung der Namen M u h a m m a d ' s bei den Muslimen: Stud. zur Arabistik, Semitistik u. Islamkunde, hg. v. Richard H a r t m a n n / H e l m u t h Scheel, Leipzig 1944, 3 0 7 - 3 3 9 . - Ernst Wilhelm Förstemann, Altdt. Namenbuch, Bonn 2 3 1 9 0 0 - 1 9 1 6 . - Ernst Fraenkel, Art. Namenwesen: R E C A 16,2 (1935) 1 6 1 1 - 1 6 7 0 . - R . Gessain, N o m et réincarnation chez les Ammassalimiut (Grönland): Boréales 1 5 / 1 6 (1979/80) 4 0 7 - 4 1 9 (Lit.). - Burkhard Gladigow, Götternamen u. N a m e Gottes: Der N a m e Gottes a . a . O . 1 3 - 3 2 (Lit.). - Ders., Z u r Konkurrenz v. Bild u. Namen im Aufbau theistischer
N a m e / N a m e n g e b u n g II
747
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II. P h i l o s o p h i s c h (Quellen/Literatur S . 7 4 9 ) M i t d e m B e g i n n des p h i l o s o p h i s c h e n N a c h d e n k e n s bei den G r i e c h e n über das, w a s ist, setzt a u c h e i n e R e f l e x i o n
über die S p r a c h e ein. D e n n das Seiende, mit d e m
der
M e n s c h s t ä n d i g a u f vielfältige W e i s e u m g e h t , w i r d als dieses o d e r jenes S e i e n d e g l e i c h s a m a n g e s p r o c h e n , d . h . benannt.
In der F o l g e dieser E r f a h r u n g richtet sich die p h i l o s o p h i s c h e
F r a g e n a c h der S p r a c h e v o r n e h m l i c h a u f das P r o b l e m des N a m e n s ( ö v o n a ) und des Benennens
(òvo|i.à^siv). " O v o ^ a
meint deshalb nicht nur „ ( E i g e n - ) N a m e " ,
sondern:
„Wort". D i e ersten p h i l o s o p h i s c h e n V e r s u c h e , d a s V e r h ä l t n i s v o n N a m e und B e n a n n t e m zu e n t s c h l ü s s e l n , d e c k e n die F r a g w ü r d i g k e i t d e r d a s m y t h i s c h - a r c h a i s c h e B e w u ß t s e i n leitenden Einheit von N a m e und Sache auf. D i e W a r n u n g vor d e m täuschenden der bloßen Meinungen
Schein
( 6 ó ^ a i ) g e h t einher m i t einer K r i t i k an den N a m e n , die das
Wesen der Dinge nicht nur offenbaren, sondern auch verstellen k ö n n e n (Heraklit, F r g m . B 2 3 , B 3 2 , B 4 8 , B 6 7 ; P a r m e n i d e s , F r g m . B 8, 3 8 f, 5 3 f, B 9 , B 19). S c h l i e ß l i c h
spitzt
sich die D i s k u s s i o n ü b e r die Z u v e r l ä s s i g k e i t d e r B e n e n n u n g e n a u f die F r a g e zu, o b die Namensetzung auf einer natürlichen Übereinstimmung zwischen Wort und Sache beruhe
748
Name/Namengebung II
((puaei) oder in Brauch und Gesetz der menschlichen Gemeinschaft gründe (VÖ^CO; wohl seit Epikur: &eaei). —»Piatos Kratylos spielt diese Alternative durch und weist die Unzulänglichkeit beider Positionen auf. Die These von der durch Vertrag und Gewohnheit gesetzten Richtigkeit, für die die willkürliche Namengebung der Sklaven und die Verschiedenheit der Sprachen ins Feld geführt werden, scheitert an der Bestimmung des Namens als Werkzeug (öpyavov: 388 a 8). Der Name als Werkzeug des Wortbildners zur Scheidung und Unterscheidung des Wesens (388 b 13 - c 1) kann nicht - ebensowenig wie das Werkzeug des Handwerkers — willkürlich gebildet sein; vielmehr werden die Dinge benannt, wie es ihnen von Natur aus zukommt. Aber auch der Versuch, diese Gegenthese durch etymologische Herleitungen und eine Lautnachahmungstheorie der Stammwörter zu beweisen, bleibt unbefriedigend. Die sich nahelegende Vermittlung der extremen Positionen wird im Kratylos nicht durchgeführt. - Mit der im Sophistes fixierten Unterscheidung zwischen Nennwort (ÖvO|ia) und Zeitwort (fvrjua), die erst durch ihre Zusammenfügung einen sinnvollen (wahren oder falschen) Satz (Xöyog) ergeben, legt Plato den ersten Grundstein für die das europäische Denken leitende Grammatik und Logik. »Aristoteles bestimmt in De interpretatione den Namen, der als Oberbegriff das Zeitwort einschließt, als stimmliche Verlautbarung, die etwas gemäß Übereinkunft (Kaxä truv9f|KT|V: 16al9) bezeichnet. Mit dieser Kennzeichnung wird das menschliche Sprechen von den unartikulierten Lautäußerungen der Tiere, die auf natürliche Weise etwas offenbaren, abgehoben. Aristoteles betont - gegen die Organon-These des Kratylos (17al) daß die Bedeutung den Namen (und dem Sprechen überhaupt) nicht von Natur aus zukommt; vielmehr ist die Bedeutung gestiftet gemäß Übereinkunft und Übung: Wir können uns verständigen, weil wir in der Bedeutung der Wörter seit langem übereingekommen sind. (-»Boethius übersetzt Kaxä auvi>T)K:T|V mit secundum placitum und prägt damit das zum Topos sich nivellierende Wesensprädikat der Sprache, das mit der Formel .willkürlicher Gedankenausdruck durch Zeichen' in der Sprachphilosophie der Neuzeit fortgeschrieben wird.)
Gegen Aristoteles (und Epikur) greifen die Stoiker (—»Stoa/Stoizismus) auf die von Piatos Kratylos vertretene Position zurück: Zwar sind die Namen gesetzt, aber dennoch von Natur, sofern sie ursprünglich das Benannte lautlich nachahmen (FDS 643). Die von Aristoteles überlieferte Gliederung der Redeteile ( P o e t i k 20, 1456b20ff) wird in der Stoa aufgenommen und bei Chrysippos durch die Unterscheidung zwischen ,Eigenname' (övo|id) und ,Allgemeinname' (7tp00T|Y0pia) differenziert (FDS 536, 538). Die von den Stoikern entfaltete Sprachlehre und Logik steht unter dem Leitbegriff des Xektöv, des Sagbaren bzw. Gesagten, das als etwas Unkörperliches zwischen dem psychischen Eindruck und der Sache vermittelt (FDS 67, 699, 702, 720). „ N a m e " wird zwar zunehmend auf die Bezeichnung einer grammatischen Kategorie eingegrenzt, dennoch bleibt die weite Bedeutung („Wort") erhalten. —»Augustin gibt in De magistro eine ausführliche Begründung dafür, daß nomen und verbum denselben Bedeutungsumfang haben (V, 1 2 f ) . Seine sprachphilosophischen Überlegungen konzentrieren sich jedoch ganz auf das Wort, zumal im Zusammenhang der Trinitätsspekulation, die sich an die Übersetzung von XöyOC, durch verbum (Joh 1,1 ff) zu halten hat. - Das bereits bei Aristoteles und den Stoikern greifbare logische Interesse leitet auch die in der Scholastik aufbrechende Auseinandersetzung über den ontologischen Status der Gattungs- und Artnamen (-»Universalienstreit). Der sich immer deutlicher durchsetzende -»Nominalismus bestreitet eine inhaltlich-abbildhafte Entsprechung zwischen Begriff und Sache; nur der Name verbürgt die Einheit des Allgemeinen. - In ldiota de mente versucht —»Nikolaus von Kues, die Auseinandersetzung zwischen nominalistischer Metaphysikkritik und theologischer (Trinitäts-) Spekulation, zwischen willkürlicher und natürlicher Namensetzung, zu überwinden: Der natürliche Name ( n o m e n naturale) ist der Verstandesbegriff, der in den willkürlich gesetzten Benennungen zurückstrahlt und ihre partielle Sachangemessenheit begründet. Der natürliche Name wiederum ist Abbild des einzig präzisen Namens (nomen praecisum), der als Wort Gottes (verbum Dei) für uns unaussprechlich ist, sich jedoch in der unendlichen Benennbarkeit und sprachlichen Ausdrucksmöglichkeit offenbart. Auch noch in Lockes ausführlicher Sprachanalyse (An Essay concerning Human Understanding, Buch III) werden „ N a m e " und „ W o r t " synonym gebraucht. Die Namen
N a m e / N a m e n g e b u n g III
749
sind nach L o c k e willkürlich gesetzte Z e i c h e n für die auf innere und ä u ß e r e E r f a h r u n g gründenden Ideen unseres Verstandes. D i e für die m e n s c h l i c h e E r k e n n t n i s zentrale R o l l e der Sprache wird besonders bei den k o m p l e x e n Ideen deutlich, weil der N a m e gleichsam der K n o t e n ist, der die Teile dieser Ideen z u s a m m e n h ä l t (III, C h a p . 5 , § 10). Gilt in der Tradition die Setzung des Namens lange Zeit als Paradigma für Theorien über den Ursprung und die Funktion von Sprache überhaupt, so dringt die moderne Logik (und Sprachanalyse) auf die strenge Trennung zwischen Wort und (Eigen-) Name. Die Diskussion über die spezielle Verwendungsweise der Eigennamen (singulare Termini), in der die Auseinandersetzung mit Frege (das Problem erkenntniserweiternder Identitätsaussagen) und Russell (das Problem negativer Existenzaussagen) eine zentrale Rolle spielt, erhielt neue Impulse durch Saul A. Kripkes Naming and Necessity (1972 zuerst veröffentlicht). Kripke kritisiert alle Theorien, nach denen Eigennamen (Vor-, Familien-, Götter-, Ortsnamen, aber auch fiktionale Namen wie Sherlock Holmes) als (verkürzte) Beschreibungen bzw. Kennzeichnungen aufzufassen sind. Er legt dar (John Stuart Mill folgend), daß Namen auf einen ,Gegenstand' verweisen, aber selbst keine Bedeutung (keinen Sinn) haben. Kripke legt seine These am Modell der Taufe dar. In der ursprünglichen Taufsituation wird das Objekt benannt, indem man es aufzeigt oder beschreibt. Der Name wird dann von Sprecher zu Sprecher weitergegeben, so daß eine kontinuierliche Kommunikationskette entsteht. Die Referenz des Namens ist durch diese Kette bestimmt; deshalb kann der Name auch dann sinnvoll verwendet werden, wenn der Sprecher das Benannte nicht durch eine eindeutige Beschreibung identifizieren kann. - Zuletzt hat Ursula Wolf darauf hingewiesen, daß diese kausale Namentheorie Kripkes das entscheidende Problem der raumzeitlichen Lokalisierung (die Verwendungsweise der anderen Arten singulärer Termini) nicht ausreichend berücksichtigt. „Daß ein Eigenname einem Gegenstand zugeordnet wird, heißt [...], daß er dem Gegenstand als einem Einzelding zugeordnet wird, das eine bestimmte Lokalisierung unter allen Dingen in Raum und Zeit hat, das einen kontinuierlichen Weg in Raum und Zeit zurücklegt und das unter ein bestimmtes sortales Prädikat fällt, mittels dessen es sich in der Taufsituation ausgrenzen und auf seinem Weg durch Raum und Zeit als identisches festhalten läßt" (Wolf 40f). Quellen Aristotelis Categoriae et Liber de interpretatione. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit L. Minio-Paluello, Oxford 1949 = 1978. - Aristotelis De arte poetica liber. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit Rudolfus Kassel, Oxford 1965 = 1982. - Aurelii Augustini opera, p. 11,2, 1970 (CChr.Sl. 29). - Boethius, In librum Aristotelis de interpretatione: PL 64 (1847) 301 f. - Hermann Diels (ab 5 1934)/Walter Kranz (Hg.), Die Frgm. der Vorsokratiker, o . O . , I 1903 '1951 = 1974. - Karlheinz Hülser (Hg.), Die Frgm. zur Dialektik der Stoiker (FDS). Neue Sammlung der Texte mit dt. Übers, u. Komm., 4 Bde., Stuttgart 1987/88. - Saul A. Kripke, Naming and Neccessity, Dordrecht 1972 Oxford 2 1980; dt.: Name u. Notwendigkeit, übers, v. Ursula Wolf, Frankfurt/ M. 1981 . - John Locke, An Essay concerning Human Understanding, ed. with an Intr. by Peter H. Nidditch, Oxford 1975 5 1985. - Nicolai de Cusa Opera omnia, Hamburg, V 1983. - Piaton, Werke in acht Bänden, griech. u. dt., hg. v. Gunther Eigler. III. Phaidon, Das Gastmahl, Kratylos, Darmstadt 1974 = 1988; VI. Theaitetos, Sophistes, Politikos, Darmstadt 1970. - Ursula Wolf (Hg.), Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse, Frankfurt/M. 1985 (Lit.). Literatur T. Borsche/A. de Libera/B. Mojsisch/Th. Zimmermann/H. Gipper, Art. Name: HWP 6 (1984) 3 6 4 - 3 8 9 (Lit.). - Ernst Cassirer, Phil, der symbolischen Formen. I. Die Sprache, Berlin 1923 Darmstadt 2 1953 = '1988. - Eugenio Coseriu, Die Gesch. der Sprachphil. v. der Antike bis zur Gegenwart, Tübingen, I 1969 M975. - Hans-Georg Gadamer, Wahrheit u. Methode, Tübingen 1960 *1972. - Felix Heinimann, Nomos and Physis, Basel 1965 (Lit.). - F. Hoffmann/H. J . Schneider, Art. Nominalismus: HWP 6 (1984) 8 7 4 - 8 8 8 (Lit.). - Manfred Kraus, Name u. Sache. Ein Problem im frühgriech. Denken, Amsterdam 1987 (Lit.). - Burkhard Mojsisch (Hg.), Sprachphil, in Antike u. MA, Amsterdam 1986 (Lit.). - John R. Searle, Art. Proper Names and Descriptions: EncPh 5 - 6 (1967) 4 8 7 - 4 9 1 . J o c h e m Hennigfeld
III. Biblisch 1. Allgemeines mentliche Aspekte
2. Namensformen (Literatur S.753)
3. Geschichte, Funktion und Bedeutung
4. Neutesta-
N a m e / N a m e n g e b u n g III
750 1.
Allgemeines
Die biblische O n o m a s t i k h a t eine philologische, a n t h r o p o l o g i s c h e und theologische Bedeutung. Sie e r f o r s c h t die Bildung der E i g e n n a m e n und deren Verständnis im R a h m e n gesellschaftlicher u n d religiöser Bedingungen. S e i t - > H i e r o n y m u s werden den N a m e n der Bibel Untersuchungen gewidmet (Cazelles 734f), die in neuerer Zeit (bahnbrechend N o t h ) einen gesamtsemitischen Z u s a m m e n h a n g beachten, außerbiblische Quellen berücksichtigen und in onomatologischen Arbeiten zu anderen semitischen und nichtsemitischen Sprachbereichen des alten Orients E r g ä n z u n g und Anregung finden (vgl. Lipinski).
2.
Namensformen
G r u n d l e g e n d f ü r biblische F o r m b i l d u n g e n sind die alttestamentlichen N a m e n . Bei den A n t h r o p o n y m e n w e r d e n nach Gestalt und G e h a l t zwei G r u p p e n unterschieden: die Wort- (Bezeichnungs-) und die S a t z n a m e n , die jeweils einen t h e o p h o r e n oder p r o f a n e n Bezug h a b e n k ö n n e n . Unter den p r o f a n e n W o r t n a m e n ( N o t h 2 2 1 - 2 3 2 ) häufig sind H i n weise auf die Tier- (Debora [d'börä] „Biene") u n d Pflanzenwelt (Tamar [tämär] „Palm e " ) und z u m Erscheinungsbild des N a m e n s t r ä g e r s (Laban [läbän] „ d e r Weiße"). T h e o p h o r e W o r t n a m e n (—»Obadja [ ' ö b a d j ä ] „ d e r Diener J a h w e s " ) sind nicht stark vertreten ( N o t h 1 3 5 - 1 3 8 ) , der T y p u s „ S o h n / T o c h t e r der G o t t h e i t " fehlt als israelitischer N a m e ganz (vgl. dagegen I Reg 15,18.20 u.ö.). Bei den Satznamen sind n o m i n a l e und verbale F o r m e n zu unterscheiden. Aus theop h o r e m Element und A p p e l l a t i v u m zusammengesetzt sind B e k e n n t n i s n a m e n (-»Joel [jo'el] „ J a h w e ist E l / G o t t " ) , mit t h e o p h o r e m Teil und einer „ P e r f e k t " f o r m gebildet werden D a n k n a m e n (Nethanel [n'tan'el] u n d in u m g e k e h r t e r Folge: E l n a t h a n ['aelnätän] „ E l / G o t t hat gegeben"). N i c h t sicher ist, o b die , , I m p e r f e k t " - B i l d u n g e n (Jechonja \jekönejä] und in u m g e k e h r t e r Folge: —>Jojachin [¡"höjäkin]) a u s n a h m s l o s W u n s c h n a m e n sind (so N o t h 1 9 5 - 2 1 3 ) , denn die F u n k t i o n e n dieses „ T e m p u s " sind mehrdeutig. Für eine präteritale D e u t u n g spricht z.B. der mit der L a n g f o r m des „ I m p e r f e k t s " gebildete N a m e —»Jojakim [ j o j ä k i m ] bzw. Eljakim ['aeljäkim] „ J a h w e bzw. E l / G o t t hat (wieder) erstehen lassen", f ü r eine jussivische etwa die Kurzform Jehiel {j'ki'el}/Jehija [j'bijjä] „ m ö g e er leben, E l / G o t t bzw. J a h w e " . Neuerdings ist f ü r die ältere N a m e n g e b u n g eine indikativische D e u t u n g vorausgesetzt und für die jüngere eine m o d a l e erwogen w o r d e n (Stamm 62—64).
Eine Besonderheit der S a t z n a m e n sind die V e r w a n d t s c h a f t s b e z e i c h n u n g e n (Vater, Bruder u . a . ; N o t 66—82), die z.T. einen t h e o p h o r e n Sinn h a b e n und den vergöttlichten, in Israel mit J a h w e identifizierten Familienangehörigen im Blick h a b e n k ö n n e n (Abimelech ['"bimaelaek] „ m e i n Vater ist König"), z. T. als p r o f a n e E r s a t z n a m e n zu verstehen sind, nach denen der N a m e n s t r ä g e r einen verstorbenen V e r w a n d t e n ersetzt ( J a s c h o b a m [jäsob'äm] „ d e r O n k e l ist w i e d e r g e k e h r t " ; Einzelheiten bei S t a m m 5 9 - 7 9 ) . In beiden G r u p p e n k o m m e n verkürzte F o r m e n vor. O f t fehlt d a n n das t h e o p h o r e Element (Fowler 1 4 9 - 1 6 9 ) , das d u r c h - » J a h w e (in den F o r m e n fbo-ljou n d -jäbü/-jä, -»-Ahas) oder andere G o t t h e i t e n besetzt w ä r e . Auffällig selten h a b e n die F r a u e n n a m e n , die z u m größten Teil keine eigentliche F e m i n i n f o r m aufweisen, einen t h e o p h o r e n Teil (Stamm 9 7 - 1 3 5 ) . Die T o p o n y m e sind in einigen Fällen P e r s o n e n n a m e n , die in einem Genitiv-Verhältnis auf p a t r o n y m i s c h e Verbindungen anspielen (Bene-Berak [bene-berak] „ S ö h n e des Ber a k " ) . N e b e n den W o r t n a m e n , zu denen auch W e n d u n g e n g e h ö r e n , in denen eine kanaanäische G o t t h e i t mit ihrer Kultstätte auf einen vorisraelitischen O r t schließen läßt (—•Bethel [bet'el] „ H a u s E i s / G o t t e s " ) , stehen wie bei den A n t h r o p o n y m e n Satznamen, derert t h e o p h o r e r Bestand mit einer V e r b f o r m k o m b i n i e r t w i r d (Jesreel [jizrg'ce'l] „El/ G o t t m ö g e s ä e n / h a t gesät"). Viele O r t s n a m e n bringen die Lage u n d die U m g e b u n g bzw. Lebensbedingungen der Siedlung auf den Begriff (Keel/Küchler/Uehlinger 294-297).
Name/Namengebung III 3. Geschichte,
Funktion
und
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Bedeutung
Zentrale Fragen der O n o m a s t i k werden vor allem mit den Personennamen verknüpft. Grundsätzlich sind im gesamtsemitischen Bereich kategoriale und substantielle Differenzierungen der N a m e n g e b u n g geschichtlich begründet (Noth 4 1 - 5 5 ) . B e m e r k e n s w e r t ist z.B. der h o h e Anteil El-haltiger N a m e n in T e x t e n , die von d e r vorstaatlichen Zeit h a n d e l n , w ä h r e n d die mit „ J a h w e " gebildeten N a m e n , die ihrerseits zeitlich bedingt je nach T e x t k o m p l e x unterschiedliche Bildungen a u f w e i s e n ( N o r i n ) , erst in der Königszeit deutlich z u n a h men u n d d a n n in der exilisch-nachexilischen Zeit, als die E l - N a m e n wieder a u f k a m e n , klar dominierten (Fowler 3 2 - 4 4 , Tabellen 3 6 8 - 3 7 3 ) . Allerdings m a h n e n die zeit- u n d o r t s u n a b h ä n g i g e n p r ä d i k a t i v e n Aussagen, die bei den t h e o p h o r e n N a m e n weder G r u p p e n t r a d i t i o n e n (Exodus, Sinai, L a n d n a h m e ) noch theologische Reflexionen (Sünde, Z o r n , Strafe), s o n d e r n e l e m e n t a r e Lebensbed ü r f n i s s e (Schutz u n d Beistand der Gottheit) k e n n e n u n d w o h l aus einer v o m G r o ß k u l t getrennten F a m i l i e n f r ö m m i g k e i t resultieren (Albertz 4 9 - 7 2 ) , zu einer b e h u t s a m e n religionsgeschichtlichen A u s w e r t u n g der unterschiedlichen G o t t e s b e z e i c h n u n g e n .
Der N a m e ist im alten Israel offenbar w ä h r e n d oder kurz nach der Geburt dem Kind gegeben worden; erst für die neutestamentliche Zeit ist ausdrücklich als Anlaß die Beschneidung am 8. Tag genannt (Lk 1,59; 2,21). Aus der recht häufigen N a m e n gebung durch die M u t t e r (Gen 4,25; 16,11; 19,37f; 2 9 , 3 1 - 3 0 , 2 4 u.a.) ist nicht ein ursprüngliches M a t r i a r c h a t zu erschließen (anders Sven Herner, Athaeja. Ein Beitrag zur Frage nach dem Alter des Jahvisten und des Elohisten: B Z A W 41 [1925] 137-141). Auch der Vater konnte das Kind benennen (Gen 4,26; 5,3.28 f; 16,15 u.ö.; Ex 2,22; Jdc 8,31; Hi 42,14; I C h r 7,23; Lk 1,13.60 u.a., vgl. vor allem Gen 35,18), unter besonderen Umständen sogar jemand, der nicht zur Familie gehörte (Ex 2,10; II Sam 12,25; Ruth 4,17f), schließlich J a h w e selbst (Gen 5,1 f; 16,11; 17,19; vgl. Lk 1,31; 2,21). Präzisierend kann in den Texten zusätzlich der N a m e des Vaters erwähnt werden („X, Sohn/Tochter des Y " , Gen 11,29; II Sam 2,14ff u.a.), der auch allein steht, wenn ein unehrenhafter Sohn gekennzeichnet werden soll („Sohn des Y " , I Sam 22,12) oder ein Namensträger mit einem erblichen Amt am Königshof genannt wird (A. Alt, Menschen ohne Namen: KS III, 1959, 198-213). Eine bedeutungsbezogene N a m e n g e b u n g ging in der nachexilischen Zeit zurück, als man zunächst im Ausland, später auch im M u t t e r l a n d , papponymischem Brauch folgte und das Kind nach einem nahen Verwandten, besonders nach dem Großvater, benannte (s.o. 2; vgl. Lk 1,59). Auch Fremdnamen wurden jetzt vermehrt angenommen, am häufigsten aramäische N a m e n (Ran Z a d o k , Die nichthebräischen N a m e n der Israeliten vor dem hellenistischen Zeitalter: UF 17 [1986] 3 8 7 - 3 9 8 ) . In hellenistischer und römischer Zeit konnte man zugleich einen jüdischen und einen griechischen bzw. römischen N a m e n haben, oder man übersetzte oder gräzisierte die semitische N a m e n s f o r m (R. de Vaux, Das A T und seine Lebensordnungen, Freiburg/Basel/Wien, I 2 1964, 85). Für die Frage der N a m e n s f u n k t i o n e n und -bedeutungen sind Umnennungen von besonderem Interesse. Sie sind zwar insgesamt als Herrschaftsakt interpretierbar, im einzelnen aber nach unterschiedlichen Aspekten (beherrschen, beschützen, ehren) zu differenzieren (Eißfeldt, Umnennungen 69). Das gilt für N a m e n ä n d e r u n g e n von Personen (vgl. II Reg 23,34; 24,17 mit Gen 41,45 und Dan 1,6 f; durch Jahwe: Gen 17,5.15; 32,29) ebenso wie für O r t s n a m e n - U m n e n n u n g e n , die als Praxis des Eroberers (Jdc 18,29; s. auch II Reg 14,7), aber auch im Zuge hellenistischer Neugründungen bzw. herodianischer Namenwechsel erfolgten (Keel/Küchler/Uehlinger 3 0 1 - 3 1 2 ) . Das in der Forschung stark strapazierte antike Verständnis der M a c h t über das Benannte (Hirzel 2 2 - 2 4 ; vgl. das Märchen vom Rumpelstilzchen) ist alttestamentlich nicht umfassend anzuwenden. Wenn der Mensch den Tieren (Gen 2,19f) und seiner Frau (Gen 3,20) einen N a m e n gibt, identifiziert er sie und ordnet sie in die Lebenswelt ein, aber unterwirft sie nicht seiner Herrschaft. Der Eroberer benennt nicht eine Stadt, um sein Recht zu demonstrieren; dazu ruft er seinen N a m e n über sie aus (II Sam 12,28). So bringt auch J a h w e seinen Anspruch auf Israel, Jerusalem, Tempel und Lade durch
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Name/Namengebung III
seinen eigenen Namen zum Ausdruck (II Sam 6,2; Jer 7,10f; Dan 9,18; II Chr 7,14). Die rechtsverbindliche Deklaration, die ein Herrschafts- und Eigentumsrecht erhebt (Jes 40,26; 43,1, vgl. Joh 10,3 und zur Praxis von Beinamen Mk 3,16 f), verändert freilich die Wirklichkeit, indem das Neue erst durch einen neuen Namen (Jes 62,6; 65,15; Apk 2,17) Gestalt annimmt. Die Macht des Namens ist allerdings weniger im Namen selbst als in der seines Trägers begründet (van der Woude 938), auch beim Zauber mit Namen (vgl. Act 19,13-19). Ein weiteres Problem biblischer Onomastik ist das Verständnis der Einheit von Name und Wesen des Namenträgers. Der Name kann für die Person stehen (Num 1 , 2 - 4 2 ; Cant 1,3; Act 1,15; Apk 3,4; 11,13) und als ein Zeichen für Ansehen und Ruhm aufgefaßt werden (Gen 6,4; 11,3f; 12,2; Num 16,2; I Sam 18,30 u.a.; Mk 6,14; Apk 3,1), im höchsten Grad der königsideologisch bezeugte „große Name" (II Sam 7,9; 8,13; I Reg 1,47). Umgekehrt wird ein „schlechter Name" (Dtn 22,14.19; Neh 6,13) bzw. gar kein Name (Hi 30,8) mit einem schlechten und verächtlichen Ruf gleichgesetzt. Name und Existenz sind so miteinander verbunden (Koh 6,4; vgl. schon Enuma elis 1,1). Die Existenz wird aufgelöst, wenn der Name zerstört wird (Dtn 7,24; 9,14; Jos 7,9; I Sam 24,22; II Reg 14,27 u.ö.), sie kann andererseits über die Individuation hinaus weiterwirken (Ps 72,17; Prov 10,7), etwa in den Nachkommen (Gen 48,16; Jes 66,22; vgl. Dtn 2 5 , 5 - 1 0 und II Sam 14,7), oder durch Erinnerungsmale im Gedächtnis der Nachgeborenen bleiben (II Sam 18,18; Jes 56,5). Damit erhält die Bedeutung der Namen, denen durch zahlreiche etymologische Ätiologien herausragender Personen und Orte (Fichtner) eine wesentliche Funktion in der Lebenswelt zuerkannt wird, erhebliches Gewicht. Gegen die verbreitete Meinung, die den antiken Namen ausschließlich als Spiegel der Persönlichkeit des Namensträgers, seines Wesens, Charakters und Schicksals begreift (vgl. dagegen Apk 3,1), ist stärker auf die Aufgabe der Kennzeichnung hinzuweisen (Hirzel 36) und dabei zu bedenken, daß euphonische und ästhetische Gründe die Wahl eines Namens mitbestimmt haben können. „Kosenamen" und „Modenamen" sprechen gegen eine allumfassende und einseitige nomen est omen-Theorie (Schult 170-173). Das klassische Beispiel des Nabal (I Sam 25,25: „denn wie sein Name, so ist er, Nabal ist sein Name und nebälä ist bei ihm") sperrt sich gegen einen ursprünglich wesenhaften Zusammenhang, der dem Namensträger ein dem Namen entsprechendes Verhalten aufzwingt. Wenn man nicht annehmen will, daß die Eltern Nabais — unter der Voraussetzung, daß Nabal „ T o r " bedeutet - sein torhaftes Verhalten präjudizierten und Nabais kluge Ehefrau sich der Gefahr einer mißlingenden Gemeinschaft aussetzte, bleibt die Möglichkeit eines Spottnamens (vgl. Noth 2 2 4 - 2 2 9 ) . Dem N a m e n Nabal könnte andererseits etymologisch eine andere Bedeutung zugrundeliegen, die durch ein homonymes Wortspiel ( n ä b ä l / n ' b ä l ä ) narrativ verfremdet wurde (Barr
21-28).
Theologisch von besonderer Bedeutung ist der Gottesname im Alten und Neuen Testament. Jahwe und sein Name sind in exilisch-nachexilischen Texten, in denen es in kultischer Sprache um Verehrung und Verachtung Gottes geht (Grether 3 5 - 4 3 ) , auswechselbar (Lev 18,21; 19,12; 20,3 u.ö.; II Sam 22,50; I Reg 8,33.35.43 u.a.; Jes 24,15; 25,1; 26,13 u.ö.). In Analogie zu den anthropologischen Aussagen steht auch der Name Jahwes in jüngeren Texten für dessen Ruf und Ruhm (Jos 9,9; I Reg 8,41; Jes 55,13; 59,19; Ps 48,11 u.a.). Ein verdinglichtes Verständnis des Jahwenamens als einer Hypostase (vgl. vor allem Ps 54,3), etwa anstelle eines Kultbilds in anderen Religionen, ist kaum im Recht (van der Woude 956f); strenggenommen auch nicht im Blick auf die deuteronomisch-deuteronomistische Vorstellung von der Stätte, die Jahwe erwählt, „um dort seinen Namen wohnen zu lassen" (Dtn 12,11; 14,23; 16,2.6.11; 26,2) bzw. „um dort seinen Namen zu setzen" (Dtn 12,5.21; 14,24). Diese Wendungen betonen zugleich Gottes Transzendenz wie seine Gegenwart am erwählten Ort und helfen, den (drohenden) Verlust des Tempels zu verkraften (Mettinger 3 8 - 7 9 ) . Sie korrespondieren mit der
Name/Namengebung III
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Tradition, nach der Jahwe selbst seinen Namen den Menschen geoffenbart hat (Ex 3,14f; 6,2; 34,5ff; vgl. dagegen Gen 32,30f; Jdc 13,17f), damit er anrufbar und bekennbar ist (Gen 4,26; 12,8; 13,4 u.ö.). „Im Namen Jahwes" kann jemand autorisiert und legitimiert werden zu sprechen (Ex 5,22 f) und zu handeln (I Sam 17,45; Ps 20,8); im Namen Jahwes kann gesegnet (im priesterlichen Kontext Num 6,27; Dtn 10,8; 21,5 u.a.) oder verflucht (II Reg 2,24), und bei seinem Namen kann geschworen werden (Lev 19,12; Dtn 6,13; 10,20 u.a.). Ganz allgemein vor Mißbrauch beim Schwören (Lev 19,12), Fluchen (Lev 24,15f) und bei „Nichtigem" (Ex 20,7; Dtn 5,11) wird gewarnt, weil der Jahwename dadurch entweiht wird (Lev 19,12). Es war konsequent, daß zum Ende der alttestamentlichen Zeit hin der Name Jahwe (zu anderen Gottesnamen vgl. T R E 13,608-611) aus Furcht vor Profanierung nicht mehr ausgesprochen und später in der jüdischen Tradition oft durch hebr. bassem („der Name") umschrieben wurde (vgl. T R E 13,628—635). 4. Neutestamentlicbe
Aspekte
In neutestamentlichen Schriften bezeichnet die Wendung „der Name Gottes", die vor allem in alttestamentlichen Zitaten oder Anspielungen steht (Nachweise bei Hartman 1270f), die von —>Jesus Christus realisierte (Joh 17,6.26) und den —»Aposteln verkündigte göttliche Offenbarung (Rom 9,17). Richtung und Ziel findet die Kundgabe des Gottesnamens nach dem Johannesevangelium in der Liebe, die der Vater zum Sohn hat und die auch in den Glaubenden ist (Joh 17,26). Jesus kommt und handelt im Namen, d.h. im Auftrag Gottes (Mk 11,9f; Joh 5,43; 10,24f), so auch bei seiner Parusie (Mt 23,39). Im Herrengebet erbittet er mit der Heiligung des Vaternamens von Gott die Aufrichtung seines Herrschaftsanspruchs (Mt 6,9). Wie im Alten Testament steht der Name (griech. övofia) für Gott selbst (vgl. Rom 10,13; 15,9 u.a.), dessen Rechtshoheit, auch hier alttestamentlichem Verständnis entsprechend, durch das Ausrufen seines Namens über Völker zum Ausdruck kommt (Act 15,17; vgl. 15,14). Auch „der Name Jesu" wird oft im Wechsel mit Jesus und seinem Werk genannt (Joh 2,23; 5,43; Act 8,12 u.a.), an deren Stelle allein „der Name" stehen kann (Act 5,41; III Joh 7), in dem für die Menschen das Heil liegt (Act 4,12; I Kor 6,11), der aber auch zum Leiden führen kann (Mt 19,29 u.a.). Viele Namensbezüge, die im Alten Testament mit Jahwe/Gott verbunden sind, werden in neutestamentlichen Texten von Jesus ausgesagt (Hartman 1271-1273). Ihm als dem Erhöhten gibt Gott den KyriosNamen, den die L X X für Jahwe verwendet, „den Namen, der größer ist als alle Namen" (Phil 2,9f). Nach Hebr l , 4 f ist sein Sohnes-Name erhabener als die Namen der Engel. Er ist der „Herr aller Herren" und „der König aller Könige" (Apk 17,14). Umstritten ist das Verhältnis der Taufformulierungen („auf den [im] Namen Jesu": Act 2,38; 8,16 u.a.). Sie sind in der Forschung unter anderem als Kennzeichnung einer Eigentumsdeklaration, einer Zueignung des Heilsgeschehens oder eines Taufritus verstanden worden (Hartman 1275-1277; Taufe). Jedenfalls könnte Jak 2,7 ein Hinweis darauf sein, daß während der Taufe der Name Jesu genannt wurde, der „schöne Name", dem die Christen ihren Namen verdanken (vgl. Act 11,26). Literatur Rainer Albertz, Persönliche Frömmigkeit u. offizielle Religion, 1978 ( C T h M A.9). - James Barr, The Symbolism of Names in the O T : B J R L 5 2 (1969) 1 1 - 2 9 . - Hans Bietenhard, Art. övofia, dvofj.äCco, EJtovofiäCü}, y/evScbvufiog: T h W N T 5 (1954) 2 4 2 - 2 8 3 . - Henri Cazelles, Art. Onomastique: DBS 6 (1960) 7 3 2 - 7 4 4 . - Otto Eißfeldt, Gottesnamen in Personennamen als Symbole menschlicher Qualitäten: FS Walter Baethe, Weimar 1966, 1 1 0 - 1 1 7 = ders., KS IV, Tübingen 1968, 2 7 6 - 2 8 4 . - Ders., Umnennungen im A T : KS V, Tübingen 1973, 6 8 - 7 6 . - Johannes Fichtner, Die etymologische Ätiologie in den Namengebungen der gesch. Bücher des A T : V T 6 (1956) 3 7 2 - 3 9 6 . - Jeaneane Fowler, Theophoric Personal Names in Ancient Hebrew. A Comparative Study, 1988 (JSOT.S 49) (Lit.). - Richard A.Freund, Naming Names. Some Observations on „Nameless Wom e n " Traditions in the MT, L X X and Hellenistic Literature: S J O T 6 (1992) 2 1 3 - 2 3 2 . - Kurt
Name/Namengebung IV
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Rüdiger Liwak IV. Kirchengeschichtlich 1. Alte Kirche 2. Mittelalter (ab 1789) (Literatur S. 7 5 8 )
3. Reformationszeit
4 . Neuzeit ( 1 5 7 7 - 1 7 8 9 )
5 . Neuzeit
Die Geschichte der Namengebung ist ein höchst abwechslungsreicher, sehr differenzierter Aspekt der allgemeinen Kulturgeschichte und umfaßt viele Lebensbereiche in regional sehr unterschiedlicher Ausprägung. Hier können - auf dem Fundament einer großen Zahl einzelner, meist kleine Gebiete und enge Zeiträume untersuchender Studien - nur einige wichtige Zusammenhänge von Christentum und Namengebung für Personen dargestellt werden, wobei die westliche Kirche und später der deutschsprachige Raum im Vordergrund stehen. Grundsätzlich ist zu beachten, daß - nach Ansätzen im 17. Jh. - erst die fiskalischen, polizeilichen und militärischen Interessen des Staates im 19. Jh. zu einer die Namensänderung erschwerenden Gesetzgebung führten (Klippel 42 f). Bis dahin galt - für das altrömische (212 von Caracalla aufgehobene) System der tria nomina,
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die nachfolgende Reduktion auf einen Namen und das sich in einem jahrhundertelangen Prozeß seit dem 12. Jh. im germanischen Raum durchsetzende, bei uns heute noch übliche Zwei-Namen-System — der Grundsatz des römischen Rechts, daß der Name eine Privatangelegenheit sei und nicht der öffentlichen Kontrolle unterliege. 1. Alte
Kirche
Hier begegnet ein erstaunliches Desinteresse an Personennamen (v. Harnack). Auch Bischöfe behielten an heidnische Götter erinnernde Namen, wie die Synodalakten bis weit ins 4. Jh. zeigen. Ausschlaggebend hierfür war wohl das Bewußtsein, daß die in der Taufe vollzogene Eingliederung in den Leib Christi das entscheidende, eine neue Identität stiftende Ereignis sei, neben dem ein aus nichtchristlicher Tradition stammender Name wenig Bedeutung habe. So antwortete nach den Akten des Märtyrers Carpus der Angeklagte auf die Frage seiner Richter nach dem Namen: „Als ersten und vorzüglichen Namen führe ich den Namen ,Christ'" (nach v. Harnack 439). Nach gelegentlich überlieferten (damals allgemein üblichen) Namenserweiterungen wird erst bei der Taufe der Frau des Kaisers Theodosius II. (aus Athenais wird Eudokia) von einer Namensänderung berichtet. Nicht zuletzt der auch bei christlichen Theologen in anderem Zusammenhang (etwa bei der Formulierung von Exorzismen) zu Tage tretende, antike Namenglaube förderte bei gleichzeitiger Zunahme von Kindertaufen die Verchristlichung der Namengebung. In der Ostkirche war diese Entwicklung schon seit dem 4. Jh. deutlich ausgeprägt. Nach der Mahnung des -»Johannes Chrysostomus (Genes. hom. 21, n. 3: PG 53,175-185), die Namen „heiliger Männer" als Vorbild zu geben, fügte der Bischof von Kyros, —»Theodoret (t ca. 460), einige Jahrzehnte später hinzu, daß Märtyrernamen der Sicherheit und dem Schutz der so Benannten dienten (De grae. affect. curat, sermo 8: SC 57). Allmählich verbreiteten sich die Namen alttestamentlicher Personen (z.T. in ihrer lateinischen oder griechischen Fassung) und neue Namen, die wichtige Erfahrungen christlichen Glaubens formulierten (z.B. bezüglich der Herrschaft Christi: Cyrillus; christlicher Tugenden: Fides; der Taufe: Renatus; der christlichen Hoffnung: Anastasis). Entgegen früheren Vermutungen ergeben die Quellen in dieser Zeit aber keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Namengebung und Taufe. 2.
Mittelalter
Auf germanischem Boden vollzog sich — trotz der Bemühungen irischer und fränkischer Missionare im 8./9. Jh., alttestamentliche Namen einzuführen - die Christianisierung des Namenschatzes erst in der zweiten Hälfte des Mittelalters. Allerdings gab es vorher durchaus christlich motivierte Gründe zur Namensänderung: bei —»Konversionen (etwa vom Arianismus zum Katholizismus, vom Judentum zum Christentum und umgekehrt); bei der Aussendung zur -»-Mission (aus Winfried wird z. B. Bonifatius); bei der Weihe von Bischöfen und Äbten und auch bei der —»Firmung (s. Beispiele bei Thoma). In fürstlichen Kreisen konnte die Krönung (und bei Frauen die Heirat) zu neuen Namen führen. Dieser Vorgang unterschied sich durch die immer im Hintergrund stehende Familienbindung der (neuen) Namensgebung von der Namensänderung der Päpste. Als erster vollzog sie Mercurius (Papstname: Johannes II., 5 3 3 - 5 3 5 ) . Offensichtlich hielt er seinen heidnischen Namen für unpassend. Erst im 11. Jh. kam es aber zu regelmäßiger Namensänderung der zum Papst Gewählten, wobei neben politischen und programmatischen Gründen auch eher Zufälliges und Persönliches ausschlaggebend sein konnten. Insgesamt fällt auf, daß sich die Wahl der Papstnamen nur auf schon von früheren Amtsträgern gebrauchte beschränkt. Dadurch wird die Abgeschlossenheit und Besonderheit des Petrusamtes betont. Unsicher ist, ob bei Erwachsenentaufen (so Littger 248; dagegen Thoma 54) und in welchem Umfang bei Klerikern und beim Eintritt in einen Orden Namensänderung üblich war. Meist muß auf Grund der Quellenlage offen
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bleiben, ob es sich um allgemein anerkannte Namensänderungen oder um Zweinamigkeit handelt. Im allgemeinen ist erst ab der Mitte des 12. Jh. ein Ansteigen christlicher Namen zu beobachten, wobei der hierfür traditionell verwendete Begriff der Heiligennamengebung nur teilweise zutrifft. Zwar begegnen damals erste, wieder auf die Vorbild- und Schutzfunktion hinweisende Mahnungen, Kinder nach -»Heiligen zu benennen; und auch das Aufkommen neuer Namen (z.B. Johannes, Elisabeth) spricht auf dem Hintergrund des damaligen religiösen Aufbruchs (und der Einflüsse im Gefolge der Kreuzzüge) hierfür. Doch darf man nicht übersehen, daß zum einen viele Heiligennamen heidnischen Namen lautlich sehr ähnlich waren und zum anderen wohl oft die Benennung nach einem Verwandten (besonders häufig vielerorts nach dem Großvater) den Ausschlag gab. Ab dem 13. Jh. rückten dann —»Taufe und Namengebung enger zusammen. Bis dahin stand das in kirchlichen Verlautbarungen wiederholt greifbare Festhalten der traditionellen Tauftermine einer solchen Verbindung entgegen. Jetzt setzte sich allmählich die Praxis möglichst frühzeitiger Taufen durch. Allerdings ist nicht genau feststellbar, wann und wo es zur Namengebung bei der Taufe kam. Wichtig ist hier die Interpretation des Quis vocaris o.ä. in den Taufformularen, das entweder als Relikt aus dem Erwachsenentauf-Ritus (so die Tendenz bei Simon 23) oder als Erfragung des bereits gegebenen Namens gedeutet wird (so Dürig). 3.
Reformationszeit
Erst im 16. Jh. mehren sich die deutlichen Hinweise (Schleswiger Agende von 1512; Tagebucheintragungen des K. v. Fürstenberg, s. Simon 6 7 - 7 8 ) , daß - wohl mancherorts von den Paten bestimmt - der Name in der Taufe gegeben wurde. Inwieweit bei dieser Praxis Relikte des germanischen, ebenfalls mit Wasser vollzogenen Namengebungsritus eine Rolle spielten und der noch heute anzutreffende Glaube, ein ungetauftes Kind sei durch Namenzauber besonders gefährdet (Aly 954f), im Hintergrund stand, ist nicht mehr genau auszumachen und dürfte regional differieren. Auch die zunehmende Sitte, die Kinder nach dem Paten zu nennen, weist auf den engen Zusammenhang von Taufe und Namengebung im Bewußtsein der Bevölkerung hin. Entgegen der methodisch aus dem einseitigen Rekurs auf offizielle kirchliche Verlautbarungen resultierenden Ansicht, Reformation und Gegenreformation stellten einen Wendepunkt auf dem Gebiet der Namengebung dar, zeigt die Analyse von Kirchenbüchern, die Aufschluß über die tatsächliche Praxis geben, daß hier höchstens ein sich über Jahrhunderte hinziehender Prozeß eingeleitet wurde. Mancherorts lassen sich erst in der Mitte des 18. Jh. bei der Namengebung konfessionelle Unterschiede feststellen (s. Ammermüller). Von den drei großen Reformatoren versuchte allein -»Calvin in Genf, biblische Namen einzuführen. Er konnte sich im Rat jedoch nur mit dem Verbot von Namen der Heiligen durchsetzen, die bisher in Genf besonders verehrt wurden. Aus Calvins Genfer Taufordnung (1543) geht hervor, daß auch hier der Name unmittelbar vor der Taufe gegeben wurde. Auf Seiten der römischen Kirche versuchte man — im Gegenzug zur reformatorischen Kritik am Heiligenkult - erstmals im Catechismus Romanus (1566; Pars II Caput II Quaestio LXXIII), der die Verwendung von Heiligennamen empfiehlt und die heidnischer Namen kritisiert, Einfluß auf die Namengebung zu nehmen. Praktisch unterstützte man den aufkommenden Brauch der Feier des Namenstages, also des dies natalis des Heiligen, nach dem man benannt ist (s. Dürig). 4. Neuzeit
(1577-1789)
Das Rituale Romanum (1614) (—»Agende) verpflichtet dann die Priester, bei der Taufe auf die Erteilung eines Namens von Heiligen zu achten, „durch den die Gläubigen zu gleicher Heiligkeit ermutigt und durch deren Fürsprache sie beschirmt werden können"
Name/Namengebung IV
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(Übers, nach M . A . Mickel, Das Ritual der katholischen Kirche, Mainz 1839, 22). Unehrbare oder lächerliche Namen sollen in der Taufe zurückgewiesen werden, bzw. später (im CIC, c. 761 von 1918) wird gefordert, das Fehlen eines christlichen Namens durch einen zweiten, einem Heiligen folgenden Namen im Kirchenbuch zu ergänzen. In der altprotestantischen —»Orthodoxie beachtete man aus tauftheologischen Gründen die Namengebung zunehmend. Der Name kann - nach Johann —»Gerhard — ein „stetiges Denckmal und Zeugnis der heiligen Tauffe jederzeit und sonderlich in Anfechtung" sein (Ausführliche Erklärung der beiden Artikel von der Taufe und dem heiligen Abendmahl, Jena 1610, 196). Ritueller Hintergrund hierfür ist das jetzt übliche, oft innerhalb eines oder zweier Tage vollzogene Nacheinander von Geburt und Taufe. Inhaltlich entspricht dem das Aufkommen neuer, appellativer Namen wie Christlieb, Fürchtegott usw. im 17./18. Jh., wobei allerdings die hier zum Ausdruck kommende, in pietistischen Kreisen gepflegte Betonung der frommen Entscheidung letztlich zu einer Marginalisierung der Taufe führte. Die (zumindest seit dem 16. Jh.) vielerorts dominierende Namengebung nach dem Paten (Simon; Welti 100-103) zog oft Gleichnamigkeit nach sich. Erst die im 17. Jh. zuerst in der Oberschicht anzutreffende und sich dann ausbreitende Sitte der mehrfachen Vornamen schuf die Grundlage zur Verbesserung dieser Situation, ohne alte Traditionen aufgeben zu müssen. 5. Neuzeit
(ab 1789)
Hatte in der Vergangenheit der (meist viele Jahrzehnte dauernde) Wechsel von „Namenmoden" zu einer nur langsamen Vergrößerung des Namenschatzes geführt, wuchs dieser im 19. Jh. stetig an. Damit begann eine Entwicklung, die sich im 20. Jh. beschleunigte und immer noch anhält, ohne daß die beiden Diktaturen auf deutschem Boden Grundlegendes verändert hätten. Allerdings versuchte man im Dritten Reich in mehrfacher Weise, auf die Namengebung Einfluß zu nehmen. Während ein Runderlaß (vom 14.4.1937) mit der Forderung, „deutsche Volksgenossen" mit „deutschen Vornamen" zu benennen, recht weit ausgelegt wurde und wenig Wirkung zeigte, war die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (vom 17.8.1938) für Juden sehr einschneidend. Sie war durch seit langem kursierende Verunglimpfungen (angeblich) jüdischer Namen in der Öffentlichkeit vorbereitet (s. Bering) und erlaubte Juden nur noch die Verwendung von „jüdischen", auf einer Liste des Reichsministeriums des Inneren zusammengestellten Namen und verfügte, daß alle jüdischen Männer mit „deutschen Vornamen" ihrem Namen „Israel" und die jüdischen Frauen „Sara" hinzufügen mußten. Des weiteren versuchte man im Zuge der zuerst von der Deutschen Glaubensbewegung (vgl. T R E 8, 553, 23 ff) initiierten, später in der SS weiterverfolgten, von Goebbels nur nebenbei betriebenen und schließlich von Rosenberg forcierten Einführung nationalsozialistischer Lebensfeiern (Vondung 9 7 - 1 0 1 ) sog. Geburtsfeiern (mit Namenweihe; im Volksmund: „braune Taufen") zu gestalten (zum agendarischen Ablauf s. Söhngen 26). Doch fand man damit nur wenig Resonanz in der Bevölkerung. Ähnlich geringer Erfolg war in der DDR dem Versuch der SED beschieden, eine Sozialistische Namengebungsfeier einzurichten (Richter 184—187). Trotz massiver Anreize (z.B. Geldgeschenk) brachten nur wenige Eltern ihre Kinder zu dem in bewußter Konkurrenz zur Taufe gestalteten Ritus. Wie auch sonst entspricht der heute zu beobachtenden Differenzierung in der Namengebung ein Rückgang von Traditionsleitung, wie der Patennamengebung, der konfessionellen, standesmäßigen oder regionalen Prägung von Namen. Auch die rituelle Verbindung zwischen Taufe und Namengebung löst sich auf, wiewohl sie umgangssprachlich noch heute tief verwurzelt ist. Die seit etwa zwanzig Jahren zu beobachtende Tendenz zu späteren Taufterminen (—>Taufe) verändert zudem die äußere Grundlage, auf der sich im Mittelalter der Zusammenhang von Taufe und Namengebung herausbilden konnte. Neue, allgemeiner anerkannte Prinzipien in der Namengebung sind bisher
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Name/Namengebung V
weder zu erkennen n o c h angesichts der anhaltenden Ausdifferenzierung der Lebensstile zu e r w a r t e n . D e m Kundigen fällt aber die bei vielen g e b r ä u c h l i c h e n V o r n a m e n bestehende christliche Prägung auf. Allerdings ist sie w o h l vielen, m e h r an K l a n g und aktuellen Vorbildern interessierten Eltern k a u m oder nicht b e w u ß t . Literatur
(in Auswahl)
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von Namen
2. Kirchliches Handeln
(Literatur S. 760)
heute
Auch heute h a b e n N a m e n g r o ß e Bedeutung. D a r a u f weisen nicht zuletzt die zahllosen Auseinandersetzungen u m N a m e n in der G e g e n w a r t hin (Diederichsen). D i e F r a g e e t w a , wessen N a m e bei der Eheschließung zum F a m i l i e n n a m e n wird bzw. o b dies ü b e r h a u p t gefordert werden d a r f , beschäftigte wiederholt die G e r i c h t e . Streitigkeiten um von S t a n desbeamten abgelehnte V o r n a m e n sind eine nicht versiegende Q u e l l e von Prozessen. Nicht nur Personennamen sind Gegenstand erbitterter Auseinandersetzungen. Die D D R existierte noch, da begann schon die Diskussion über Umbenennung von Städten, Straßen, Plätzen und öffentlichen Einrichtungen, die nach Vorbildern der früheren Machthaber genannt waren. Die bei solchen Konflikten zu T a g e tretenden Aufgeregtheiten lassen sich verstehen, wenn m a n die grundsätzliche, in der Kulturgeschichte ständig b e o b a c h t b a r e B e d e u t u n g
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von Namen für Menschen und ihre Kommunikation bedenkt: Es geht um die Identität von Personen, Gruppen, Institutionen, Tieren, Dingen u. ä. So verwundert es auch nicht, daß die beiden totalitären deutschen Regime im 20. Jh. auf die Vornamengebung Einfluß nehmen wollten, allerdings ohne großen Erfolg (s.o. IV.). Inzwischen führen Veränderungen der Taufpraxis in Deutschland (Grethlein 4 1 - 5 5 ) , die Tendenz zu immer späteren Taufterminen und - vor allem in östlichen Regionen und in Großstädten - der völlige Wegfall des Taufbegehrens dazu, daß die Namengebung ohne Zusammenhang mit einem Ritus stattfindet. Dies ist eine kulturgeschichtlich auffällige Besonderheit heutiger Gesellschaft, die zusammen mit dem gleichzeitigen Wegfall eines Rituals am Übergang im Lebenslauf anläßlich einer Geburt vielleicht ein Indiz für einen sich anbahnenden, grundlegenden Wandel bei der Bewertung von menschlichem Leben und der Persönlichkeit des einzelnen (abgesehen von seinen Funktionen und Aktivitäten) ist. Allerdings verrät die starke Nachfrage nach sogenannten Namenbüchern (Koß, Namenforschung 78) das nach wie vor große Interesse junger Eltern an der Namensgebung. Auch die Sorgfalt moderner Schriftsteller bei der Benennung ihrer Figuren weist darauf hin, daß zumindest sie noch um die Bedeutung von Namen wissen (Thies; Rajec). 2. Kirchliches
Handeln
Praktisch-theologische Reflexion im Sinne der kritischen Begleitung und handlungsorientierenden Anregung kirchlicher Praxis hat heute vor allem über die mögliche Bedeutung von Personennamen für kirchliches Handeln nachzudenken, wobei die Brisanz dieses Themas überhaupt noch nicht erkannt ist. Die sich ebenfalls stellende Aufgabe, kirchliche G e b ä u d e , K i r c h e n , Gemeindehäuser u . ä . zu benennen, tritt angesichts der geringen N e u b a u t ä t i g k e i t der Kirchen gegenwärtig zurück. Hier legen die Turbulenzen um politisch motivierte Bezeichnungen im staatlichen Bereich den Grundsatz nahe, nicht wegen scheinbarer Erfordernisse des Tages die C h a n c e n zu verspielen, mit theologisch reflektierter N a m e n g e b u n g einen R a u m zu langfristiger Identitätsfindung für G e m e i n d e n zu eröffnen.
Bei den Personennamen ziehen, wenngleich auch Familiennamen keineswegs nichtssagend sind (s. Eis), die Vornamen aus rechtlichen und psychologischen Gründen die Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind zum einen im Gegensatz zu den Familiennamen Wahlnamen, wobei ein Blick in die Geschichte den teilweise nachhaltigen Einfluß des Christentums zeigt (s.o. IV. zur Heiligen-, Patennamengebung). Zum anderen haben wir im allgemeinen zu unserem Vornamen ein intimeres Verhältnis (Katz 8). Wir werden mit ihm seit Beginn unseres Lebens angesprochen, bilden unsere Identität im Zusammenhang mit ihm und behalten ihn gewöhnlich unser ganzes Leben (Möglichkeit der Vornamenänderung allein bei Adoption und Transsexualität). Empirische Untersuchungen ergaben, daß (explizit) religiöse Motive bei der Namenwahl nur noch sehr selten anzutreffen sind (Koß, Motivationen 170ff). Und auch in den gesetzlichen Bestimmungen zur Wahl des Vornamens (keine Anstößigkeit und grundsätzlich kein Familienname, Erkennbarkeit des Geschlechts) findet sich nur noch ein Relikt früheren religiösen Einflusses, nämlich das (in Deutschland bestehende) Verbot, ein Kind Jesus oder Christus zu nennen. Doch ist die seit Ende des II. Weltkriegs beobachtbare, sich schubweise vollziehende „Wiederbelebung christlicher und antiker Namen hebräisch-griechisch-lateinischen Ursprungs" bemerkenswert (Seibicke, Personennamen 144). Sie bieten, da bei den meisten Menschen ein grundsätzliches, tiefes Interesse am eigenen Namen besteht, dessen ursprüngliche oder auch geschichtlich durch einen vorbildlichen Namensträger zugewachsene Bedeutung aber oft unbekannt ist, einen viel zu wenig beachteten Anknüpfungspunkt, um das verborgene Handeln Gottes mit einem Menschen zu veranschaulichen und auf die eventuell im Namen angebotene Lebensorientierung aufmerksam zu machen (s. im Rahmen eines Taufelternseminars Gäbler/Schmid/Siber 98ff).
Name/Namengebung
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V
In indirekter Weise verdeutlichen dies z. B. die N a m e n der Hauptpersonen in M . Frischs „ H o m o F a b e r " , die letztlich verzweifelt um Sinn in einer gottlosen Welt k ä m p f e n . Walter F a b e r (ins D e u t s c h e übertragen: der „herrschende M a c h e r " ) benennt seine G e l i e b t e / T o c h t e r Elisabeth in S a b e t h um, streicht also den Bezug zu G o t t , den ihre M u t t e r H a n n a (vgl. I Sam 1 f) mit der Anrede Elsbeth wenigstens in der unpersönlichen F o r m noch aufrechterhält. Auch die N a m e n anderer Personen in diesem R o m a n , J o a c h i m (Henke) und H a n n a , stoßen direkt auf die für Frisch offensichtlich nur im Rückgriff auf biblische N a m e n formulierbare, tiefe D r a m a t i k eines Opfers o h n e G o t t . Bei (der z u n e h m e n d e n Z a h l von) T a u f e n älterer K i n d e r k a n n die E r k l ä r u n g des christlichen G e h a l t s eines N a m e n s s o w o h l für die Eltern als a u c h die K i n d e r
homiletisch,
p o i m e n i s c h und p ä d a g o g i s c h sehr f r u c h t b a r sein. P r a k t i s c h - t h e o l o g i s c h i n t e r e s s a n t ist a u c h d i e B e o b a c h t u n g , d a ß s i c h j u n g e M e n s c h e n in d e r P u b e r t ä t h ä u f i g i n t e n s i v m i t i h r e m N a m e n a u s e i n a n d e r s e t z e n ( S e i b i c k e ,
Perso-
n e n n a m e n 8 3 ) . I h r e a l t e r s s p e z i f i s c h e K r i s e s p i e g e l t s i c h d a n n in e i n e r k r i t i s c h e n B e s c h ä f tigung mit dem eigenen N a m e n . Solche Fragen bieten z . B . im K o n f i r m a n d e n - b z w . R e ligionsunterricht eine gute K o n k r e t i o n für die B e a r b e i t u n g des w i c h t i g e n Identitätsthem a s (vgl. zur N a m e n k u n d e i m s c h u l i s c h e n D e u t s c h u n t e r r i c h t die Ü b e r s i c h t bei Namenforschung
Koß,
107-111).
S c h l i e ß l i c h k ö n n t e z u k ü n f t i g d i e in d e r A l t e n K i r c h e b e g e g n e n d e P r a x i s ,
„Christ"
a l s Ü b e r n a m e n zu v e r s t e h e n , n e u e B e d e u t u n g b e k o m m e n . A u f d e m G e b i e t d e r f r ü h e r e n D D R ist d i e s e r e n g m i t d e m B e w u ß t s e i n d e r M i n o r i t ä t u n d d e r e t h i s c h e n
Besonderheit
v e r b u n d e n e S p r a c h g e b r a u c h s c h o n s e i t e i n i g e r Z e i t z u b e o b a c h t e n . N i m m t m a n d e n in den alten Bundesländern sich abzeichnenden R ü c k g a n g der Selbstverständlichkeit
von
Kirchenmitgliedschaft und die sich auch hier vertiefende S p a n n u n g zwischen allgemein gesellschaftlich akzeptierten Werten und H a n d l u n g e n , deren lebensfeindliche
Tendenz
i m m e r unverhüllter hervortritt, und d e m Evangelium, das neues L e b e n eröffnet, hinzu, k ö n n t e „ C h r i s t " in D e u t s c h l a n d w i e d e r z u e i n e m b e w u ß t g e b r a u c h t e n N a m e n w e r d e n . A n a l o g z u r E n t w i c k l u n g in d e r A l t e n K i r c h e d ü r f t e d a n n v e r m u t l i c h in d e r G e m e i n d e w i e d e r die F r a g e n a c h N a m e n aktuell w e r d e n , die ihren T r ä g e r n V o r b i l d u n d T r o s t sein können. Literatur
(in
Auswahl)
R i c h a r d D . Alford, N a m i n g and Identity. A Cross-Cultural Study of Personal N a m i n g Practices, N e w Heaven 1988 (Lit.) — Friedhelm D e b u s , Personennamengebung der G e g e n w a r t im hist. Vergleich: Z s . für Lit.wiss. u. Linguistik 17 (1987) H . 6 7 , 52—73. — Uwe Diederichsen, R e c h t s p r o b l e m e bei Vornamengebung, N a c h n a m e n s e r w e r b u. Namensänderungen: ebd. 7 4 - 8 5 . - G e r h a r d Eis, R u f namen der T i e r e : ders., V o m Z a u b e r der N a m e n , Berlin 1970, 2 9 - 5 8 . - D e r s . , Test über suggestive Personennamen in der modernen Lit. u. im Alltag: ebd. 9 - 2 8 . - Christa G ä b l e r / C h r i s t o p h S c h m i d / Peter Siber, Kinder christl. erziehen. Gruppengespräche mit Eltern zum T h e m a T a u f e , G e l n h a u s e n / Berlin 2 1 9 7 9 , 9 8 - 1 1 2 . - Christian Grethlein, T a u f p r a x i s heute, Gütersloh 1988. - R o s a Katz, Psychologie des Vornamens, B e r n / S t u t t g a r t 1964 (Beihefte zur Schweizerischen Z s . für Psychologie u. ihre Anwendungen 4 8 ) . - G e r h a r d K o ß , M o t i v a t i o n e n bei der Wahl von R u f n a m e n : B N F N . F . 7 (1972) 1 5 9 - 1 7 5 . - Ders., N a m e n f o r s c h u n g , T ü b i n g e n 1990 (Germanistische Arbeitshefte 34) (Lit.). - R e i n h a r d Krien, N a m e n p h y s i o g n o m i k . Unters, zur sprachlichen Expressivität a m Beispiel von Personennamen, Appellationen u. P h ä n o m e n e n des Deutschen, T ü b i n g e n 1973. - N a m e n f o r schung heute. Ihre Ergebnisse u. Aufgaben in der D D R , Autorenkollektiv, Berlin 1 9 7 1 . - Elizabeth R a j e c , N a m e n u. ihre Bedeutungen im Werke Franz Kafkas, B e r n / F r a n k f u r t / L a s Vegas 1977 ( E H S . D S 186). - Frieder Schulz, D a s G e d ä c h t n i s der Zeugen. Vorgesch., Gestaltung u. Bedeutung des Ev. N a m e n k a l e n d e r s : J L H 19 (1975) 6 9 - 1 0 4 . - Wilfried Seibicke, V o r n a m e n , W i e s b a d e n 1977 (Beihefte zur M u t t e r s p r a c h e 2) (Lit.). - D e r . , Die Personennamen im D e u t s c h e n , 1982 (SG 2218) (Lit.). - Friedrich Stählin, Kraft u. Sinn der N a m e n g e b u n g , U t t i n g / A m m e r s e e 1977 (Quadriga-Schriften 1). - Fulbert Steffensky, Der N a m e - Schlüssel zur Freiheit: P T h 81 (1992) 2 1 0 - 2 2 3 . - Henning T h i e s , N a m e n im K o n t e x t von D r a m e n . Stud. zur Funktion von Personennamen im engl., amerik. u. dt. D r a m a , F r a n k f u r t / B e r n / L a s Vegas 1978 (Sprache u. Lit. Regensburger Arbeiten zur Anglistik u. Amerikanistik 13). Christian
Grethlein
Name/Namengebung VI
761
VI. Systematisch-theologisch 1. D e r N a m e als G a b e 2. N a m e n g e b u n g und T a u f e 3. N a m e n t l i c h k e i t im G e g e n ü b e r 3.1. D e r göttliche R u f 3.2. Anerkennung durch andere 3 . 3 . Bruchlose Einheit mit sich selbst? (Literatur S . 7 6 3 )
1. Der Name als
Gabe
Der (Personen-)Name wird gegeben und angenommen. Auch für den Fall, daß einer sich den Namen selbst gibt (!), heißt es bezeichnenderweise doch, daß er den gegebenen (Herrscher-, Ordens-, Künstler-)Namen „annimmt" - nicht ohne Rücksicht auf das Herkommen der Sprachgemeinschaft, die ihn mit diesem Namen anreden soll. Wird ein willentlicher Namenswechsel vollzogen, muß der erwünschte neue Name erst recht streng als Gabe verstanden werden. Alle Willkür ist hier auszuschließen! In —»Luthers Polemik gegen Papsttum und Mönchsorden wird die Veränderung des Namens, insofern sie Verachtung der Gabe des Taufnamens ist, zum Abfall von der Taufe: Absurde Wahl des Stiefvaters anstelle des natürlichen Vaters! (WA 44,213,3-11) Der Name, ein - wenngleich wenig beachtetes (vgl. aber —»Rosenzweig, Rosenstock-Huessy) - Grunddatum theologischer Anthropologie (-»Mensch), setzt, ob nun theophor oder nicht, den Menschen von vornherein in Relation zu dem „Geber aller guten Gabe" (Jak l,17f), der den Menschen nicht anonym (Hi 30,8) sein läßt, und so auch in Relation zu den anderen und zu sich selbst (s.u. 3.). Im Namen wird der einzelne gemeinschaftsfähig und gerade darin als einzelner ansprechbar. Werden die Relationen recht gesehen, muß es auch nicht als Zeichen von Hybris (Gen 11,4; vgl. mit 12,2) gelten, sich selbst einen Namen zu machen, verlangt doch die Gabe des Namens nach tätig-leidender Anerkennung, nach Arbeit an der zwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft hin- und herlaufenden Brücke (II Sam 7,9; 8,13f; vgl. mit I Kor 15,8ff). Der von außen zukommende Eigenname zeigt das Wesen des Menschen in seiner eigentümlichen Extrovertiertheit, in seiner Zu-Künftigkeit (Luther: pura materia Dei ad futurae formae suae vitam; WA 39/1, 177, 3f), wobei zu dieser Äußerlichkeit des Namens —»Goethes gegen —»Herders Namensspott („Kot") gerichtete scharfsinnige Bemerkung zu beachten ist: „ . . . d e r Eigenname eines Menschen ist nicht etwa wie ein Mantel, der bloß um ihn her hängt und an dem man allenfalls noch zupfen und zerren kann, sondern ein vollkommen passendes Kleid, ja wie die Haut selbst ihm über und über angewachsen, an der man nicht schaben und schinden darf, ohne ihn selbst zu verletzen" (Dichtung und Wahrheit 11,10: Goethes Werke-Hamburger Ausg., Hamburg, IX '1967, 407, 2 0 - 2 5 ) . „Der Name als Stigma" (Bering) bestätigt das Verständnis des Namens als Gabe; des Menschen Auszeichnung im Namen pointiert seine extreme Verletzlichkeit. 2. Namengebung
und
Taufe
Fungiert - nicht von Haus aus, sondern nicht zuletzt auf Grund der Einrichtung der Kindertaufe (vgl. Harnack 440) - im heutigen Bewußtsein -»Taufe als Synonym für Namengebung (vgl. nur Kripke 112f. 184), so wirft das ein kritisches Licht auf beide: Die Taufe mag zum Maßstab der Namengebung werden, und umgekehrt weist das Verständnis der Namengebung womöglich auf Defizite im Taufverständnis hin. Das von -»Nietzsche entgegen dem genauen Sinn von Gen 2,19 f (vgl. C. Westermann, Genesis 1, 1974 [BK.AT I] 311 f) proklamierte „Herrenrecht, Namen zu geben" im Sinne einer „Machtäusserung der Herrschenden" („sie siegeln jegliches Ding und Geschehen mit einem Laute ab und nehmen es dadurch gleichsam in Besitz": Zur Genealogie der Moral 1,2: F. Nietzsche, Werke. Krit. GA, hg. v. G. Colli/M. Montinari, VI, 2, 224) macht auf gewaltsame Züge der christlichen Taufpraxis aufmerksam, wie sie beispielhaft an der Namengebung in der Situation der -»Mission erscheinen. Die (von bedeutenden Missionaren wie B. -»Ziegenbalg und B. Gutmann, von Missionsleuten wie L. -»Harms und G. —»Warneck bekämpfte [vgl. Lehmann 174f.l79f]) Neigung, fremden Kulturen
762
Name/Namengebung VI
biblische und europäische Namen aufzuzwingen, korrespondiert mit der bemerkenswerten Tatsache, daß erst von der Mitte des 3. Jh. an biblische Namen, Namen von -»Heiligen und Märtyrern (—»Martyrium) in der Kirche heimisch wurden (Harnack 4 3 9 - 4 4 5 , Lehmann 173). Der wahre Christenname ist der Name „Christ" (Harnack 424-428.439). Die Idee von als spezifisch „christlich" auszusondernden und zu fixierenden Eigennamen muß von daher als fragwürdig gelten (vgl. dazu auch das Trauerspiel um die Namengebung der Juden im Deutschland des 19. Jh. bei Bering 6 3 - 1 0 5 und passim). Die unter das Licht der mit der Taufe gegebenen -»Verheißung des Endes aller bösen Gewalt(en) gerückte Namengebung läßt dagegen nicht nur den Namen des Täuflings („ja den Namen, den wir geben, / schreib ins Lebensbuch zum Leben": Benjamin Schmolck, EG 206,5), sondern alles, die ganze -»Schöpfung von der kommenden Gottesherrschaft her aufleuchten. -»Freude ist die diesem Vorgang angemessene „Stimmung" (Lk 10,17-20!). Namensmanipulationen und Namenglaube sind davon weit entfernt. Sprachphantasie, Wortspiel und -witz, von biblischem Geist inspiriert, lassen womöglich, wie die Erfahrungen der Mission zeigen, neue, zeugniskräftige Namen in einheimischen Kulturen entstehen (Fritze, Lehmann) als Elemente der Verwandlung der Sprache aus einer Sprache der das Bestehende fixierenden Herrschaft in die Sprache der alles ins Offene wendenden —» Liebe. Wie die Taufe nach reformatorischem Verständnis das ganze ins Lebensbuch Gottes einzuschreibende (Ex 32,32f; Ps 69,29; Jes 4,3; Dan 12,1; Phil 4,3; Apk 3,5 u.ö.) Leben meint, so ist das biblische Phänomen des „neuen Namens" (Jes 62,2; 65,15; Apk 2,17; 3,12) nicht mit einem einmaligen Akt der Namengebung abgegolten: Es geht um die progressive Aufdeckung und Verwandlung des von der —»Sünde entstellten menschlichen Antlitzes in der Freiheit des Geistes (II Kor 3,18; Apk 14,1). „Eigennamen, deren ,Aussage' ein Gesicht bedeutet" erlauben uns vielleicht, „hinter brüchigen Aussagen zwar das Ende der einen Verstehbarkeit (Intelligibilität), aber auch den Morgen einer anderen zu erahnen" (Lévinas 9). 3. Namentlichkeit
im
Gegenüber
Die unter 1. genannten Relationen setzen den namentlichen Menschen ins Gegenüber - angesichts Gottes, der anderen und seiner selbst. 3.1. Der göttliche Ruf. Der Ruf Gottes an den Menschen ergeht namentlich (vgl. Ex 31,2 mit Joh 10,3). Er ist konkretes, adressiertes -»Gebot (I Kor 7,17ff) und als solches schöpferisch (Jes 43,1; vgl. mit 49,1), wie denn auch das Schreiben ins Lebensbuch ein schöpferischer Vorgang ist. Der Ruf gehört dem Gott zu, der das Nichtseiende ruft, daß es sei (Jes 40,26; vgl. mit Rom 4,17). Wird der Menschenname im Ruf zum Inhalt des —»Wortes Gottes, bekommt er unbedingt verheißungsvollen Charakter (Gen 17,5; 32,29f; Mt 16,17ff). Mit ihrem Namen wird der Gott -»Abrahams, -»Isaaks und -»Jakobs, der kein Gott der Toten, sondern der Lebendigen ist (Mk 12,26 f), die Toten rufen (Joh 5,25; 11,43; 20,16) und so ihrer gedenken (Hi 14,3ff). Verbindet Gott auf Weltzeit seinen heiligen Namen mit dem Namen Jakob-Israel (Jes 43,1.7; 44,5), bedeutet das für -»Israel die Pflicht zu schöpferischer Imitatio Dei in —»Barmherzigkeit, —»Gerechtigkeit und Güte, wie der —»Midrasch weiß (Yalq II, 795 Nr. 452). Für die heidnischen „Mitbürger der Heiligen" (Eph 2,19) wird, bei radikalem Bruch mit der heidnischen Machtatmosphäre (Eph 2,2; 6,12) und ihrem Anspruch auf jedweden Namen (Eph 1,21; 5,3), Analoges gelten (Eph 5,1), soll die mit dem Namen Christi ausgesprochene Berufung zur —»Hoffnung durch den Einen Gott, den Gott Israels (Eph 1,18; 2,12; 4,4ff), nicht vergeblich ergangen sein. 3.2. Anerkennung durch andere. Gleichgültig kann es niemandem sein, mit welchem Namen ihn die anderen nennen (Dtn 22,14.19; Neh 6,13; Jes 65,15; Ez 23,10; Lk 6,22; Jak 2,7; vgl. mit Prov 22,1), bildet sich doch (s.o. unter 1.) der Name des Menschen im Wechselspiel zwischen dem einzelnen und der Gemeinschaft. Eindeutigkeit wird es hier freilich nicht geben (II Kor 6,8), solange der Mensch als Sünder nicht nur der „pri-
Name/Namengebung VI
763
vaten" -»Rechtfertigung vor Gott, sondern der öffentlichen Rechtfertigung vor den Menschen bedürftig ist (Luther: WA 39/1,130 ff zu Lk 7,47) und als Träger des Gottesnamens der -»Anfechtung durch die Gott feindlichen Weltmächte unterliegt. Eindeutigkeit wird es erst „vor dem Vater und seinen Engeln" geben, wo der Sohn den Namen jedes einzelnen, der zu ihm gehört, in Wahrheit und Liebe nennen wird (Apk 3,5 vgl. mit V. 1). Das schließt nicht aus, sondern ein, daß die Gemeinde Gottes (—»Kirche) und jedes einzelne ihrer Glieder um des ihnen aufgetragenen Zeugnisses willen auf einen guten Namen bei den Leuten, auf Anerkennung sogar bei Feinden bedacht sind - keinesfalls durch Anpassung, sondern durch Tun des Gerechten (I Petr 2,1 l f ) , nicht zuletzt durch Leiden (Act 9,16; vgl. mit II Kor 4 , 7 - 1 5 ; I Petr 3 , 1 3 - 1 7 ; 4,14ff). Unabhängigkeit von der Meinung der Leute (I Thess 2,6) meint nicht Gleichgültigkeit! Umgekehrt wird ja der von Gott mit Namen Gerufene die -»Ehre der anderen sich angelegen sein lassen (Rom 12,10; Phil 2,3) und die Namen der Toten im Gedächtnis halten (Ps 112,6; Prov 10,7; Hebr 13,7; Apk 2,13). So bleiben -»Apostel und Gemeinde noch am Tage des -•Gerichtes in der gegenseitigen Rühmung aufeinander angewiesen (II Kor 1, 14). 3.3. Bruchlose Einheit mit sich selbst? Dem als Glied der Gemeinschaft der Berufenen glaubenden und so auf Gott und den Anderen bezogenen Menschen wird die Frage nach seiner Ich-Identität (—»Identität) je und dann im Namen zur Ruhe kommen (Rom 16,1-16; III Joh 15). Der Name bezeichnet den „roten Faden" der unverwechselbar eigenen Lebensgeschichte mit ihren Brüchen, ihrer Schuld, ihren Entscheidungen und unverhofften Begegnungen (vgl. nur Gen 32,28f; Ex 2,10; Ruth 1,20f; Joh 21,15ff). Er weist sogar über mentale Zusammenbrüche und den —»Tod hinaus (I Sam 24,22; II Sam 18,18; vgl. mit Jes 56,5; 66,22), wie er ja auch verheißungsvoll hinter die Geburt zurückgreift (Jes 8,1 ff; Lk 1,13). Herkunft will hier ganz im Licht von Zukunft bedacht werden, was im übrigen das Beieinander von Familiennamen (surname) und Vornamen (Christian name!) andeutet. Mag sich das Ich „im Überfall von Trauerstunden" als „kaum verzweigt, im Tiefen unverbunden" erleben und so meinen: „es hat schon seinen Namen überwunden" (G. Benn, März. Brief nach Meran: ders., Destillationen, Wiesbaden 1953, 29), bleibt dennoch der Name über ihm genannt. Kann also ,Identität' angesichts des Todes und des Gerichtes des Menschen Sorge nicht sein (vgl. Th. Wilder, Und das Meer wird seine Toten herausgeben: ders., Einakter und Dreiminutenspiele, Frankfurt/M. 1960,43—47), ist ihm doch im „Namen" die Wahrnehmung seiner Integrität aufgetragen (vgl. Hi 12,4; 33,9; Phil 2,15; I Thess 3,13; 5,23; Jud 24 u.ö.). Nicht im trotzigen Bestehen auf dem Eigenen, sondern im Bruch mit dem Bestehenden, in der beständigen Umkehr, im reditus ad baptismum geschieht das. Dabei wird das Ich nicht ausgelöscht (Gal 2,20). Im Gegenteil! In der Antwort auf den namentlichen Anruf durch Gott und den Anderen erscheint es unvertretbar: „Da bin ich" (vgl. nur Gen 22,1.7 mit Act 9,10; 10,21). Literatur Wolfgang Aly, Art. N a m e : H W D A 6 (1935 = 1986) 9 5 0 - 9 6 1 . - Dietz Bering, Der N a m e als Stigma. Antisemitismus im dt. Alltag 1 8 1 2 - 1 9 3 3 , Stuttgart 1987 = 2 1 9 8 8 (Lit.). - Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse, hg. v. Ursula Wolf, F r a n k f u r t / M . 1985. - Georg Fritze, Der neue N a m e . Das neue Leben der Dschaggachristen im Lichte ihrer Taufnamen, Leipzig o. J. - Ernst Fuchs, Über die Selbstbeherrschung als Bedingung einer christl. Existenz im Selbstverständnis des Apostels Paulus: ders., Glaube u. Erfahrung. GAufs III, Tübingen 1965, 3 1 4 - 3 3 3 . - Adolf v. H a r nack, Die Mission u. Ausbreitung des Christentums in den ersten drei J h . , Leipzig *1924, 410—445. - Jan Heller, Namengebung u. Namendeutung. Grundzüge der atl. Onomatologie u. ihre Folgen für die bibl. Hermeneutik: E v T h 2 7 (1967) 2 5 5 - 2 6 6 . - Matthäus Hiller, O n o m a s t i c o n Sacrum, Tübingen 1706. - Saul A. Kripke, N a m i n g and Necessity, O x f o r d 1980; dt.: N a m e u. Notwendigkeit, übers, v. Ursula Wolf, F r a n k f u r t / M . 1981. - Arno Lehmann, Der neue N a m e : Kalima na Dini - W o r t u. Religion. FS Ernst D a m m a n n , Stuttgart 1969, 1 7 3 - 1 8 1 . - Emmanuel Lévinas, N o m s Propres, Montpellier 1976; dt.: Eigennamen. Meditationen über Sprache u. Lit., übers, v. Frank Miething, M ü n c h e n / W i e n 1988. - David J . de Levita, Der Begriff der Identität, F r a n k f u r t / M . 1971. - Eugen Rosenstock-Huessy, Die Sprache des Menschengeschlechts. Eine leibhaftige G r a m -
764
Name/Namengebung VI
matik in vier Teilen, Heidelberg, I 1963 II 1964. — Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Heidelberg "1976 = Frankfurt/M. 1988. - Ders., Das Büchlein vom gesunden u. kranken Menschenverstand, hg. v. Nahum Norbert Glatzer, Königstein/Ts. 1984. - Gunda Schneider-Flume, Die Identität des Sünders, Göttingen 1985. j
Kristlieb Adloff
Anhang 1. Register 2.2. Übersetzer 5. Bildquellen
1.1. Bibelstellen 1.2. Namen/Orte/Sachen 2.3. Registerbearbeiter 3. Artikel und
2. Mitarbeiter 2.1. Autoren Verweisstichwörter 4. Karten
1. Register
1.1.
Bibelstellen
(bearbeitet von Hannelore Hollstein) Es werden nur die Bibelstellen aufgeführt, zu denen sich im Text nähere Ausführungen finden. Zur Vororientierung wird zunächst der Artikel genannt, in dem die registrierte Bibelstelle vorkommt. — Nach der Seitenangabe wird (durch Komma getrennt) in der Regel die Zeile genannt, in welcher eine Bibelstelle vorkommt bzw. ein Bibelzitat beginnt, in Einzelfällen die Zeile, in welcher Darlegungen über eine Bibelstelle einsetzen. Gen
1 1,1 1,1 1,2 1,3 1,11.24 1,16 ff 1,26 1,26 1,27 1,27
1,27 2,7 ff 2,18 2,18ff 2,19f 3 3,1 3,6 3,20 3,21 3,21 4,17.20 ff 4,19-22 4,22 4,25
Mythos Monotheismus Mose ben Nachman Mythos Mythos Mythos Mythos Monotheismus Mystik Mission Mose/-lied/ -segen/ •Schriften Müntzer Monotheismus Mönchtum Mythos Name/ Namengebung Mythos Mythos Müntzer Name/ Namengebung Monotheismus Mythos Mythos Musik und Religion Mythos Name/ Namengebung
655,14
4,26
239,20 363,54 631,41 631,41 631,44 631,36 239,29 552,37 60,34
342,39 422,38
5,1 5,1 f 6,1-4 6,1-5 6,1-4 6,4 6,5 6,6 6,7 8,22
242,23 152,27 615,52
9,20 ff 11,3 11,4
751,49; 761,43 634,21 632,2 427,4
11,29
751,50 242,25 630,43 630,46 444,4 630,45 751,18
12,1 12,5 14,5 16,7a.11 ff 16,12 17,5 18
Name/ Namengebung Nächster Name/ Namengebung Mischehe Mythos Mythos Name/ Namengebung Mythos Mormonen Monotheismus Monotheismus Mythos Nächster Name/ Namengebung Name/ Namengebung Nachfolge Jesu Mission Moab und Israel Monotheismus Monotheismus Name/ Namengebung Monotheismus
751,21; 753,3 717,51 751,24 4,12 621,40 632,4 752,11 632,15 313,13 242,26 242,24 630,48 713,36 761,21 751,26 690,35 20,41 125,26 242,25 242,10 762,35 252,45
766
Bibelstellen 19,32.37 22,1.7 24,3 26,34 31 31,27f 32,38 f 34 34,14 48,16 49 49,16f 49,19 49,26 l,15f 2,1-10 2,10b 2,10 2,13 2,16.18 2,21 2,22 3 3,1 3,2-6 3,13-15 3,14 3,14f 3,14f
Moab und Israel 125,6 Name/ Namengebung 763,38 Mischehe 4,16 Mischehe 4,18 Mizpa 121,40.46.51 Musik und Religion 442,2 Name/ Namengebung 763,21 Mischehe 3,32; 4,21 Mischehe 4,20 Name/ Namengebung 752,18 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 338,23.33 Mormonen 315,52 Moab und 125,41 Israel Nasiräer 773,37 Mose/-lied /-segen/ -Schriften 351,5 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 332,52 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,4 Name/ Namengebung 751,23 Nächster 713,35 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,27 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,29 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,29 Monotheismus 242,29 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,26 Mystik 554,32 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 335,23; 338,18 Monotheismus 251,17 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 335,40 Name/ Namengebung 753,1
4,24 4,24-26 5,22 f 6,2-8 6,8 8,14f 11,2 12,11 12,12 12,13 12,23 12,24 ff 12,35.36 12,38 14f 15 15 15,1 b—18 15,18 15,20 f 15,21 18,1-12 18,3 18,12 19 19,6 19,16 ff 19,16-25 20,2 f 20,2ff 20,3
Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 348,51 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,17 Name/ Namengebung 753,5 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 336,32; 338,18 Mose ben Nach363,39 man Monotheismus 239,36 Nächster 713,50 633,41 Mythos Monotheis239,32 mus 631,49 Mythos 631,47 Mythos Mythos 633,43 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 350,32 21,9 Mission Monotheismus 242,29 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 330,45 Mystik 553,5 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 337,20 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 337,40 Musik und Religion 441,45 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 334,7; 337,35 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,15 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 333,30 Monotheismus 242,46 Musik und Religion 442,42 Mischehe 5,9 Monotheis242,30 mus 554,32 Mystik Monotheis249,9 mus 714,21 Nächster Monotheis236,38; 242,1 mus
767
Bibelstellen 20,7
Lev
Name/ Namengebung 20,11 Mythos 21,14.18.35 Nächster 22,19 Monotheismus 22,20 Mission 22,25 Nächster 22,27 Monotheismus 23,13 Monotheismus 23,24f Nächster 24,12 Mönchtum 28,30 Mormonen 31,2 Name/ Namengebung 32,8 Monotheismus 32,17-19 Musik und Religion 32,18 Musik und Religion 32,32 f Name/ Namengebung 33,11 Nächster 3.3,17-23 Mystik 33,19 Monotheismus 34 Monotheismus 34,6 f Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 34,6 f Nahum/Na humbuch 34,15 Mischehe Mose/-lied/ 34,29-35 -segen/ -Schriften Mose/-lied/ 34,33-35 -segen/ -Schriften 12,8 Nasiräer Mythos 16 Name/ 18,21 Namengebung Mischehe 18,23 Nächster 19 Monotheis 19,4 mus Nächster 19.11 ff Nächster 19,11-18 Name/ 19.12 Namengebung Nächster 19,18
753,9 605,14 714,13 19,33 f 19,34 21,13-15 23
241,38 20,46 714,15.17 251,43
24,10 24,10f 24,15 f
241,51 721,48 161,53 311,24
25,9 762,31 25,9 a 242,50 Num
1,2-42
441,34 443,4 762,19 713,51 554,33
6,1-21 6,27 10,1-10 10,29
242,9 241,41
12
338,18
12,1
738,49; 741,13 4,23
12,6 15,37-41
335,47 344,40 774,41 605,40
20,1 21,17 f. 27-30 22-24
752,42 4,14 715,7.8.17 250,44 714,49 715,24 753,7.8.10 713,45; 714,53; 715,2.22.27; 716,21.31.32. 39.42;
22,28 23,19 25,1-9 29 31,6 31,18 4,35.39 5,6-21
Nächster Nächster Mischehe Musik und Religion Mischehe Mischehe Name/ Namengebung Musik und Religion Musik und Religion Name/ Namengebung Nasiräer Name/ Namengebung M u s i k und Religion Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften M o s e ben Nachman Monotheismus M u s i k und Religion Mose/-lied/ -segen/ -Schriften M o a b und Israel Mythos Monotheismus Mischehe M u s i k und Religion M u s i k und Religion Mischehe Monotheismus Mose/-lied/ -segen/ -Schriften
717,2.8.10.13. 14.16.20.44; 718,1.18.35; 720,12.22.32; 721,28. 37.19 721,52 715,6; 716,42 4,46 442,49; 443,21 5,48 5,23 753,8 442,50 443,33 752,9 774,22 753,6 443,32 333,27 333,19 351,18 364,36 249,44 441,44 330,45 125,48 632,1 252,36 5,34 443,21 443,32 3,42 240.2 335,29
768
Bibelstellen Monotheismus 2 3 6 , 3 9 ; 239,48 49.51; 243,30; 249, 15.30; 250, 3.9.14; 252,38.45.52; 253,3.6.43 Monotheis6,4-9 mus 249, 32.43 Monotheis6,4.5 mus 258,47 Mischehe 6,6 7,4 Name/ 7.24 Namengebung 752,16 Monotheis7.25 f mus 250,45 Monotheis11,13-20 mus 249,43 Name/ 12,5.21 Namengebung 752,50 Name/ 12,11 Namen752,49 gebung Mystik 552,19 13.4 Nächster 714,37 13.7 Nächster 714,37.38.45. 15 48 Nächster 714,40 15,3 Mose/-lied/ 18.15 -segen/ -Schriften 343,8; 344,8 24,17 Mission 18,15-22 Mischehe 3,43 21,14 Monotheis21.16 mus 242,10 M ö n c h t u m 154,33 22.5 Name/ 22,14.19 Namengebung 752,13 23,3-7 Mischehe 4,31 Mischehe 3,39 23.8 Mose/-lied/ 24,1-3 -segen/ -Schriften 3 4 2 , 4 0 31,19.21.30 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 337,43 Mose/-lied/ 32,1-43 -segen/ -Schriften 337,41 Monotheis32,38 mus 252,9 Mose/-lied/ 32,44 -segen/ -Schriften 337,43.45 Mose/-lied/ 33,1-29 -segen/ -Schriften 338,21 Mose/-lied/ 33,2 -segen/ -Schriften 3 3 4 , 2 0 Mose/-lied/ 33,5 -segen/ -Schriften 351,43
33,6
6,4
33,16 33,20 f 34.5
34.6 34,10 Jos
6 8,31 9,9 11,3 11,8 13,8-23 15,38 18,21-28 18,26 22,22
Jdc
1,16 3,6 3,12-30 3,13-30 5 5,4f 6-9 10,6-12,6 11,12-28
13,4.7 13,14 13,25 14,6ff 14, lOff 16,17 16,31 20,21 S a m 1,11 2,18 f 3,1-21 7,2-17 10,5 10,17-27 14,47 16,16 f
M o a b und Israel Nasiräer M o a b und Israel Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften M o s e ben Nachman M u s i k und Religion Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Name/ Namengebung Mizpa Mizpa M o a b und Israel Mizpa Mizpa Mizpa Monotheismus Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mischehe M o a b und Israel M o a b und Israel M u s i k und Religion Monotheismus Müntzer Mizpa M o a b und Israel Nasiräer Nasiräer Nasiräer Nasiräer Nasiräer Nasiräer Nasiräer Mizpa Nasiräer Nasiräer Nasiräer Mizpa M u s i k und Religion Mizpa M o a b und Israel M u s i k und Religion
125,41 773,38 125,41 3 3 5 , 5 1 ; 336,6 336,1; 348,40 364,36 4 4 1 , 3 6 ; 44 336,46 752,44 121,25 121,26 125,43 121,27 122,3 122,46.54 252,38 333,27 3,44; 5,2 125,52 125,18.33 442,13 242,54 422,9 121,35 127,16 774,3 774,3 773, 46 773,48 773,49 773,50 773,45 122,26 774,7 774,10 774,10 122,20 442,5 122,23 126,5 443,49
Bibelstellen Name/ Namengebung 18,6-7 Musik und Religion Nächster 20,41 22,3 f Mizpa 22,3 f M o a b und Israel Name/ 22,12 Namengebung Name/ 24,22 Namengebung Name/ 25,25 Namengebung Mischehe II Sam 3,3 6,2 Name/ Namengebung Musik und 6,5 Religion Name/ 7,9 Namengebung 7,12-14 Mission 8,2 M o a b und Israel Mischehe 11,3 Name/ 12,28 Namengebung 15,10 Musik und Religion 18,18 Name/ Namengebung M o a b und 24,5 Israel Mose/-lied/ I Reg 2,3 -segen/ -Schriften Mischehe 3,1 Musik 10,12 und Religion 11,7 M o a b und Israel 12,24 L X X Mischehe 15,22 Mizpa 16,31 Mischehe 18 f Müntzer 19,19-21 Nachfolge Jesu MonotheisII Reg 1,3.6 mus 2,24 Name/ Namengebung 3,4-27 M o a b und Israel 24, 1 - 4 M o a b und Israel 25,22-26 Mizpa 17,45
753,5 442,10 713,35 121,24 126,8
769 2,2 f
Mission
2,2-4 2,2-4 2,12-17 2,17
Mission Mythos Mythos Monotheismus Monotheismus Mose ben Maimon Monotheismus
6,1 6,1 ff
751,27
6,3
763,22
8,1 ff
752,30 3,47; 5,25
9,3
752,1 442,25; 445,3' 752,12; 761,2' 26,17 126,11 3,48 751,52 443,52
14,11 14,12ff 15 f 18,3 27,1 32,18 38,20 40,26 40,28 f 41,22f
752,19
41,24
126,10
41,24.29
336,46 4,1 445,8 127,24 5,26 122,4; 122,48 4,2 422,6 679,48 241,24
43,1 43.1.7 43,10 43,10 43,11 44,6 44,24 45,6
753,6
45,7
126,29
45,23 46,1
127,3 122,11
49,6
Name/ Namengebung Nahum/ Nahumbuch Musik und Religion Mythos M o a b und Israel Musik und Religion Mythos Muße Musik und Religion Name/ Namengebung Monotheismus Monotheismus Monotheismus Monotheismus Name/ Namengebung Name/ Namengebung Monotheismus Mythos Monotheismus Monotheismus Monotheismus Monotheismus Monotheismus Mythos Monotheismus Mission
25,17.42; 27,30; 29,24 21,15 635,19 634,10 240,24 240,23 358,11 241,13; 252,38.45 763,24 737,49 443,51 632,25 126,34.36 443,54 634,45 496,44 445,16 752,2; 762,34 239,15 238,53 239,3 239,1 762,32 762,40 238,46 630,13 239,7; 240,37 238,47; 252,11; 258,43 239,17 252,4 249,49 647,44 239,9 21,15.21
770
Bibelstellen 51,9 51,9f 51,10 52,1.7 53 53,7 55,8 f 55,10f 58,2 60,19 62,2 62,6 63,9 63,11-14
Jer
65,17 2,13 15,11 23,29 27,3 35 40,6 40,11 41,1-10 44,15 8 17,24 23,3 28,12-17 29 31,2-9 34 39 40 ff 44,22 5,1-7 5,8 8,4 ff 12,10 12,14
Am
3,1 f 1,3 ff 2,11 f
Mythos 633,33 600,17 Mythos Mythos 633,29 Nahum/ Nahumbuch 737,48 Mission 25,27; 26,11.35 Nahum/ Nahumbuch 737,49 636,24 Mythos 636,27 Mythos Müntzer 421,49 635,21 Mythos Name/ Namengebung 762,21 Name/ Namengebung 752,4 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 348,47 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 337,8 Mythos 635,12 Monotheismus 240,13.36 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 337,7 421,49 Müntzer M o a b und 127,4 Israel Nasiräer 774,15.16 122,12 Mizpa M o a b und Israel 127.6 Mizpa 122,16 Mischehe 4,4 Müntzer 421,53 634,39 Mythos Mischehe 3,35 Mythos 634,23 ff 634,27 Mythos Mythos 634,27 Müntzer 426,19 426,19 Müntzer Mythos 605,28 Mischehe 4,46.50 Mizpa 121,29 Musik und Religion 443,53 Monotheismus 240,26 Monotheismus 240,33 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 337,6 Müntzer 425,2 Monotheismus 240,41 Nasiräer 774,11
5,23 6,4 f 8,2 9 9,1.4 9,2 f
Jon
9,2 f 9,4 9,11 1,7 2,1 4,2
Mi
6,4
Nah
1,1 1,2-2,3 1,2 ff 1,3 1,9-2,3 1,9 ff 1,11.14 2f 2,2 f 2,4-3,19 2,4-11
2,4 ff 2,7 2,11 2,12
M u s i k und Religion M u s i k und Religion Mythos Mythos Mythos Monotheismus Mythos Mythos Mission Nächster Mythos Nahum/ Nahumbuch Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch
443,3 443,46 628,11 630,33 628,22 240,44 628,25 628,52 27,25.29 713,35 628,49 741,14 337,9 737,7 737,10 738,22 741,13 737,16.4 738,27 738,4.11; 739,50 738,7 737,10 737,19.4 740,26 740,18 739,46 737,24 737,42;
Bibelstellen 2,12-14 3,1-7
3,1 ff 3,1.4-6 3,2 f 3,7 3,8 ff 3,8-19 3,8-15 a 3,8 3,15 ff 3,15b-17 3,7 2,11 3,22-24 7,18 18 21,14 29,1.10 33,2 34,9 42-49 45,9 47,2 47,3.8 47,6 54,3 68,7
Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Nahum/ Nahumbuch Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mischehe Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Musik und Religion Mythos Musik und Religion Mythos Musik und Religion Mystik M u s i k und Religion M u s i k und Religion Musik und Religion Monotheismus M u s i k und Religion Name/ Namengebung Mönchtum
771 68,25 - 2
737,20.40 72,5 737,20
72,17
738,16
73 74,12 74,13 74,14 77 77,12 77,14f 77,21
740,28 737,27.41 737,29
81,2-5 738,17
87,4 90 90,3
737,21 90,4 740,30 95,3 98 739,53 103,11 f 103,19.2 103,20 ff
739,47
106,32 740,33 112,6 333,20 5,3 125,1 137 336,52 139 139,2 139,15f 139,21 147
442,40 635,42 442,37 631,6
148,2 149
445,14 553,36
150 443,5 445,17
Hi
1,6 1,11
442,29 241,12
7,12 12,4
442,31 14,3 ff 752,46 152,28
15,7
Musik und Religion Monotheismus Name/ Namengebung Mythos Mythos Mythos Mythos Mythos Mythos Mythos Mose/-lied/ -segen/ -Schriften M u s i k und Religion Mythos Mythos Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Musik und Religion Mythos M u s i k und Religion Mythos Mythos Monotheismus Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Name/ Namengebung Mythos M u s i k und Religion Mythos Mythos Mythos Nächster M u s i k und Religion Mythos M u s i k und Religion Musik und Religion Mythos Monotheismus Mythos Name/ Namengebung Name/ Namengebung Mythos
442,33 249,49 752,17 635,27 633,35 633,7 600,17 632,47 633,31 633,17 337,17 443,19 634,49 630,14 337,12 445,15 631,9 443,21 636,18 631,13 239,28 336,14 763,13 636,16 442,51 629,1; 630,33 636,32 630,22 717,7 443,16 631,20 443,18 443,24 632,7 242,11 636,9 763,33 762,38 636,11
III
Bibelstellen 30,8
Name/ Namengebung 752,14; 761,18 38,7 Musik und Religion 460,43 Prov 3,29 Nächster 713,34 8,22 Mose ben Nachman 363,54 27,10 Nächster 714,2 Cant 5,16 Nächster 713,36 Koh 6,4 Name/ Namengebung 752,15 Thr 4,7 Nasiräer 773,41 5,14 Musik und Religion 442,54 Est 2,5 Monotheismus 251,49.50 8,17 Mission 21,16 Dan 2 Mythos 635,2 2,34 Müntzer 425,31 2,44 Monotheismus 250,50 3,5.7.10.15 Musik und Religion 444,28 7 Müntzer 426,19 7 Mythos 635,5 7,26 f Müntzer 426,11 7,27 f 417,41 Müntzer Esr 2,41 Musik und Religion 442,55 9,1-14 Mischehe 5,50 9,1-4 Mission 21,19 9,2 Mischehe 5,11.17 9,12 Mischehe 5,13 10,44 Mischehe 6,1 Neh 3,1-32 Mizpa 122,34 3,15.19 Mizpa 122,33 4,12.14 Musik und Religion 444,3 8-10 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 337,4 12,31.37f Musik und Religion 443,15 13,4.28 Mischehe 5,27 13,23f Mischehe 6,3 4,47 13,23-29 Mischehe 13,27 f Mischehe 4,6 I Chr 6,22 Musik und Religion 443,10 9,19 Musik und Religion 443,8 15,16ff Musik und Religion 443,37 II Chr 2,16f Mission 21,11 5,11-13 Musik und Religion 443,40 24,26 Mischehe 5,23 Ass 11,16 Mose/-lied/ Mos -segen/ -Schriften 349,44 IV Esr 1 4 , 3 - 6 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 349,42
Jdt 5,5-21 I M a k k l , l l - 15 2,23-28 3,46 3,54 f Sir
13,15 32,1-13 39,13 ff
Weish 13 13,1.3 14,15.23
Mt
4,20 4,23 4,25 5,3-12 5,13 f 5,16 5,17-19 5,20 5,43 par. 5,43 5,45 ff 5,48 6,9 6,24 6,25-34 8,1-4 8,5-13 8,10 8,11 f 8,1822 par. 8,19.29 9,27 10 10,5-8 10,5-14 10,6 10,25 10,37 10,38 10,40-42
Mischehe 4,35 Mischehe 4,7 Mischehe 5,36 Mizpa 122,36 Musik und Religion 444,26 Nächster 721,33 Musik und Religion 444,30 Musik und Religion 444,13 Monotheismus 251,8 Monotheismus 251,11 Mysterien/ Mysterienreligionen 520,5 Nachfolge Jesu 688,20 Mission 24,41 Nachfolge Jesu 683,45 Nachfolge Jesu 690,19 Mission 25,16 Mission 25,19 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 342,20.47 Nachfolge Jesu 684,16 Nächster 722,22 Nächster 717,9; 720,20 Nächster 722,25 M ö n c h t u m 163,19; 175,2 Name/ Namengebung 753,23 Nachfolge 684,7 Jesu M ö n c h t u m 154,9 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 342,46 Mission 25,4 25,7 Mission Mission 25,11 Mönchtum Nachfolge Jesu Mönchtum Nachfolge Jesu Mission Mönchtum Mission Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Mission
151,45 683,47 156,23 683,49 24,50 172,36 25,3 684,1 688,6 679,18; 685,48 24,53
773
Bibelstellen 10,42 12,28 f 13,33 ff 15,24 15,31 16,24 19 19,11 19,16par. 19,1626 par. 19,19 19,21 19,27
Nachfolge Jesu Mission Mission Mission Monotheismus Nachfolge Jesu
684,10 24,40 59,34 24,35 258,49
688,33; 689,16; 690,34 Mönchtum 172,29.36 Nachfolge Jesu 684,18 Mönchtum 175,2 Mönchtum Nächster Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu
154.5; 163,39 720,16 689,8; 689,36
688,36.40; 690,41 19,27-30 Mönchtum 172,8 21,32 Nachfolge Jesu 684,12 22,30 Mönchtum 154,31 23 Mönchtum 175,50 23,1-36 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 343,14 23,15 Mission 24,21 23,34 Nachfolge Jesu 682,34 23,39 Name/ Namengebung 753,21 24 Müntzer 425,3 28,19 Mission 46,43 28,19 Missionswissenschaft 89,34 28,19f Mission 25,32; 32,30 l,10par. 646,7 Mythos l,14f Mission 24,42 1,14-20 Mission 24,37 1,16-20 Nachfolge Jesu 679,17.24 l,17par. Mission 24,45 1,35 par. Mönchtum 156,19 1,40Mose/-lied/ 45 par. -segen/ -Schriften 342,44 l,44par. Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 342,16 3,14 Mission 24,44 3,15 f Mission 24,46 5,18par. Mönchtum 160,9 6,15 Nachfolge Jesu 680,6 7 , 1 - 2 3 par. Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 342,24 ff 7,15.18 f Mission 25,22 7,2430par. Mission 25,5
7,24-30 8,28 par. 8,31-38 8,34 9 , 2 - 8 par.
Nächster Mission Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Mose/-lied/ -segen/
728,13 24,15 683,29 683,26
-Schriften 343,4 Nachfolge Jesu 680,5 10,2-9 par. Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 342,37 10,6 Mission 25,24 10,17-31 Nachfolge Jesu 681,9 10,41 Nachfolge Jesu 682,33 10,45 Mission 25,29 11,9f Name/ Namengebung 753,21 11,15-18 Mönchtum 175,49 11,17 Mission 25,20 12,19par. Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 343,1 12,26 par. Mose/ -lied/ -segen/ -Schriften 343,4 12,26 f Name/ Namen762,37 gebung 720,24 12,28 f Nächster 12,28-32 Mission 25,25 12,29 Monotheis258,47 mus 12,31.33 Nächster 720,15 12,32 Monotheismus 240,3 13,10 Mission 25,31; 26,9 646,22 13,31 Mythos 13,32 Monophysiten 229,36 646,10 14,62 Mythos 15,38 Nachfolge Jesu 680,38 1,59 Name/ Namengebung 751,17.33 2,21 f Mose/ -lied/ -segen/ -Schriften 342,50 2,37 Montanis273,24 mus 4,24-27 Mission 24,16 5,11.28 Nachfolge 684,44 Jesu 6,13 Mission 24,53 6,20 Nachfolge 681,17 Jesu 6,27 Nachfolge 679,35 Jesu 9,11-13
774
Bibelstellen Name/ Namengebung 9,54 Mythos 9,57-10,16 Nachfolge Jesu 9,57 ff Nachfolge Jesu 9,58 Nachfolge Jesu 9,59 f Nachfolge Jesu 9,60 f Nachfolge Jesu 9,61 Nachfolge Jesu 9,61 f Nachfolge Jesu 10,1 ff Mönchtum 10,3-12 Nachfolge Jesu 10,4 Nachfolge Jesu 10,16 Mönchtum 10,17-20 Name/ Namengebung 10,25 Nächster 10,25-37 Nächster 10,29 Nächster 10,29 ff Nächster 10,36 Mission 10,42 Mönchtum
Joh
7,47
10,7 b 11,49-51 12,22-31 12,24.27 12,33 12,35 14,23 14,26 14,26-27 14,27 15,4-5 15,5f 18,13 22,35 f 23,43 24,46 f 24,49 24,49 24,51
Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Mönchtum Mission Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Mythos und Kunst Mönchtum Nachfolge Jesu Mystik Mission Mission Nachfolge Jesu Mythos
763,2 646,6 682,43 681,31 680,21 679,48 680,41 680,34 679,47 159,37 680,26; 681,31 681,20 161,28 762,13 720,26 723,45 713,44; 720,32 720,26 25,9 153,49; 154,2; 159,34 682,32 682,13 681,1 680,50 685,10 152,38 25,13 680,34; 684,45 688,26 683,22 689,20 668,29 156,23 684,46 549,22 26,39 26,3 684,48 646,7
1,1-18
Musik und Religion I , 4 f . l 4 a . l 8 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 1,6-8 Mission 1,7.12 Mission l,14.16f Mythos 1,14-18 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 1,36.45.49f Nachfolge Jesu 1.41 f. 45 f Nachfolge Jesu 1.45 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 1.46 Nachfolge Jesu 2,23 Name/ Namengebung 3.13 Mythos 3.14 Mythos 3,17.34 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 4.42 Mission 5,18 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 5,25 Name/ Namengebung 5,39 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 5.45 f Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 5.46 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 5,56 Mystik 6,32 Mose/-lied/ -segen/
6,38 8,12 8,56 9,29 12,31 12,31 f 13,16 13,34 (f) 14,6 14,16-18 15,1 ff 15,5
-Schriften Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Mystik Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mönchtum Mission Mission Nächster Nachfolge Jesu Montanismus Mystik Mystik
444,39 343,36 30,32 30,27 648,35 343,22 684,23 684,22 343,28.40 684,28 753,28 646,9 646,20 434,29 30,23 343,42 762,38 343,26 343,43 343,39 548,43 343,32 689,17.18 684,26; 687,3 548,52 343,20 154,27 30,26 30,28 721,12 684,32 273,12 587,35 548,41
775
Bibelstellen 15,26 f 17,3 17,6.26 17,20-26 20,28 21 l,4.13f 1,8 1,21 f 1,25 2,1-47 2,4 ff 2,30 2,38 2,46 f 3,13 3,22f 4,12 4,30 4,32ff 4,35 5,41 6,11 6,11.13 6,13f 7,2-53 7,17-43 7,27 7,54-60 7,55 f 7,56 8,1-3 8,4 8,5-24 8,25 8,32-35 9,16 9,22 9,31 10
Mission Monotheismus Name/ Namengebung Mystik Monotheismus Nachfolge Jesu Mission Mission Mission Mission Mission Mönchtum Mission Name/ Namengebung Mission Monotheismus Mission Name/ Namengebung Mission Mönchtum Nachfolge Jesu Name/ Namengebung Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mission Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Nächster Mission Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mystik Mission Mission Mission Mission Mission Name/ Namengebung Mission Mission Nachfolge Jesu
10,10-16. 28.44-46 10,15 10,43 10,44-46 11,19-21 11,26 11,26
30,28 259,8 753,17.20 548,37 259,5 684,33 25,44 28,25; 30,32 25,45 24,3 25,44 161,6 26,17 753,37 25,50 258,49 24,17 753,29 26,14 172,8 688,21 753,28 343,50 26,43 343,50 343,48 344,18 720,38.40 26,44 344,17 549,24 26,45 26,23 26,29 26,4 26,35 763,10 28,11 26,29 685,1
Rom
Mission Mission Mission Mission Mission Mission Name/ Namengebung 13,1-3 Nachfolge Jesu 1 3 , 2 - 1 4 , 2 8 Mission 15 Mission 15,1.5 Mission 15,2 Mission 15,7 Mission 15,7-11. 13-21 Mission 15,8 Mission 15,8 f Mission 1 5 , 8 . 1 5 - 1 7 Mission 15,9 Mission 15,11 Mission 15,12.19 Mission 1 5 , 1 4 . 1 6 - 1 9 Mission 15,16-18 Mission 15,17 Name/ Namengebung 15,37-41 Mission 15,4018,22 Mission 16,14 Mission 17,1-9 Mission 18,11 Mission 18,18 Nasiräer 18,23-21,17 Mission 20,35 Nachfolge Jesu 21,23 - 27 Nasiräer 1,5.14-17 Mission 1,18-3,20 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften l,19f Mission 1,21 Moraltheologie 3,9ff Mystik 3,23 Mönchtum 3,29 f Monotheismus 4,23 f Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 5,3-5 Mystik Mission 5,11 ff 5,12-21 Mission 5,12-21 Mythos 6,1-11 Mysterien/ Mysterienreligionen 6,3 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften
27,13 27,18 26,16 27,21 26,30 26,46 753,41 682,17 28,12 27,43 27,3 28,14 27,39 27,7 27,22 27,40 27,14 27,20.23 27,38.39 27,5 27,11 27,25 753,26 28,15 28,17 26,24 28,18 28,19 775,5 28,19 685,9 775,2 28,35 344,35 60,20 299,40 586,15 154,11 258,52 345,12 549,33 59,15 28,38 649,14.
520,32 345,7
776
Bibelstellen 6,4a
6,6 7,14.17.20 8,3 f 8,15 8,26 f 9,1-5 9,15 9,16 9,17 10,13 11,1 11, l f 11,7f 11,11 f 11,13 11,15 11,25-27 11,25 11,25 f 11,26 11,29 11,32 12,1 12,2 12,2 12,5 12,10 13 13,3f 13,8 13,9 13,9.(10) 13,10 13,11 15,2 15,3.7 15,8 15,9-17 15,16 15,19 15,21 15,23 f.28 16,1-16 1,18
Mysterien/ Mysterienreli520,44; 521,24; gionen 522,43 M ö n c h t u m 154,22 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 344,34 649,7 Mythos Nachfolge Jesu 689,22 Missionswissenschaft 96,49 Mission 29,5 Mose/-lied/ -segen/ -Schriften 344,46 M o r m o n e n 314,43 Name/ Namengebung 753,18 Name/ Namengebung 753,24 Mission 29,6 Mission 29,11 Mission 29,16 Mission 29,18 28,4 Mission Mission 29,21 Mission 29,14 Mission 47,41 Mission 28,51 Mission 29,20 Mission 29,23 Mission 29,26 Nachfolge Jesu 694,3 Mission 690,16 Nächster 722,19 Mystik 587,34 Name/ Namengebung 763,13 Müntzer 425,26 Müntzer 417,40 Nächster 721,8.9 Mission 27,54 Nächster 720,13.19 Nächster 721,9; 722,17 Mission 59,39 Nächster 720,38.41.46 Nachfolge Jesu 685,36.39 Mission 25,4; 28,24 Mission 28,48 Mission 30,9 Mission 28,22 Mission 28,33 Mission 28,22 Name/ Namengebung 763,18 Mission 28,27; 61,12
1,18.24 1,22-25 1,23 2,6 ff
3,5.9 3,12-15 4,1 6,11
7,1 7,2-16 7,17ff 7,21 f 8,4 f 8,5 f 9,4-18 9,5 9,18 9,19-22 10,1-10 10,2 10,16 11,1 11,24 ff
11,26
12,10.30 13,12 14,26 14,26-40 15
15,1-11 15,5-8 15,25-27 15,29 15,29
15,41
Mission Mission Mission Mysterien/ Mysterienreligionen Mission Mission Mission Mysterien/ Mysterienreligionen Modrzewsk Mischehe Name/ Namengebung Mission Monotheismus Monotheismus Mission Nachfolge Jesu Mission Mission Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mystik Nachfolge Jesu Mysterien/ Mysterienreligionen Mysterien/ Mysterienreligionen Montanismus Mystik M u s i k und Religion Nachfolge Jesu Mysterien/ Mysterienreligionen Mythos Mission Mission Mormonen Mysterien/ Mysterienreligionen Mormonen
29,48 29,47 29,43
519,43 29,41 28,47 60,6
521,5 139,9 8,46 762,31 32,18 258,51 235,48 29,54 680,28 29,55 30,2 345,3 344,47 548,41 685,23.
522,43
522,25 275,15 549,10 444,34 694,44
520,49 647,29 25,1 28,45 315,7
521,33 317,26
777
Bibelstellen 1,14 2,15 3,1-3 3,1 3,4 ff
3,4-18 3,7-11 3,13 f 3,14f 3,18 3,18 4,8-18 4,10f 5,14f
5,15f 5,16.21 5,19 5,20 6,8 12,2 12,9 1,15 f 1,16 1,17 f 1,21-23 2,6 2,8 2,10 2,20 2,20 2,21 3
3,11 f 3,17 3,19f
Name/Namengebung Mission Mission Nachfolge Jesu Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mystik Name/Namengebung Mission Nachfolge Jesu Mysterien/ Mysterienreligionen Mission Mission Mission Mission Name/Namengebung Mystik Mission Mission Mythos Mission Mission Mission Mission Mission Mystik Name/Namengebung Mystik Mysterien/ Mysterienreligionen Mormonen Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/ -lied/ -segen/ -Schriften
3,20 763,15 61,12 30,8 682,40
3,26-4,7 3,27
345,1
3,28 3,28 4,8
344,21
4,19 4,19
344,26 344,39 344,40 549,8 762,23 30,4 6 8 5 ,3 6
520,43 28,32 28,30 28,28 30,6; 5 9 , 2 ' 762,51 5 4 8 ,4 6 29,50 28,5 6 4 7 ,3 3 .3 7 28,10 28,12 27,45 26,8 29,33 548,39 7 6 3 ,3 6 586,14
521,28 314,43 344,18
344,47.51
4,25 f 5,6 5,25 6,2 1,18 1,21 2,2 2,19 4,13 4,25 5,1 5,25-32 5,32 1,27 ff 2 2,5 2,5-8 2,6-11 2,6 ff 2,9 f 2,12f 2,17 2,25 3,10f 3,20 4,12
1,6.23 1,16 1,26 2,13-15 2,18
Monotheismus Mythos Mysterien/ Mysterienreligionen Mission Mormonen Monotheismus Mission Nachfolge Jesu Mythos Nächster Nächster Mission Name/Namengebung Name/Namengebung Name/Namengebung Name/Namengebung Mönchtum Nächster Name/Namengebung Mystik Mission Mission Mythos Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Mythos Nachfolge Jesu Name/Namengebung Mönchtum Mission Mission Mission Mönchtum Mysterien/ Mysterienreligionen Mission Mission Mystik Mission Mysterien/ Mysterienreligionen
259,1 647,37
521, 26 28,42 316,5 259,3 71,1 695,27 646,15 722,15 722,14 27,54 762,46 762,44 762,43 762,42 163,21 720,38.42.47 762,44 552,52 60,2 59,30 6 4 7 , 3 4 ; 648,24 695,25 685, 36 647,3.45 701,8 753,34 153,19 30,10 29,34 30,5 160,16
520,4 32,23 30,24 551,51 30,24
522,38
778
Bibelstellen
2,20 3,3 3,3 I Thessl,6 1,8 2,6 2,14.16 3,12 4,9 4,14
5,17 5,17 I T i m 1,5
6,15 II T i m 3 , 1 - 9 3,8 Hebr
1,2-14
l,4f 3,2 3,5 4,2 4,9 9,19 9,22 11,2-40 ll,25f 12,1
12,2 13,13 f 13,22
Mission Mission Mystik Nachfolge Jesu Mission Name/Namengebung Mission Nächster Nächster Mysterien/ Mysterienreligionen Mönchtum Mystik Moralische Aufrüstung Monotheismus Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-!ied/ -segen/ -Schriften Name/Namengebung Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Muße Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mormonen Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mission Mose/-lied/ -segen/ -Schriften
30,26 60,3 5 4 8 ,3 6
Jak
685,23.25.29.34 32,21 763,11 29,3 721,14 721,6.15; 722,15
2,7 2,8 4,12 I Petr 2,9 2,11 f 2,17 2,21
520,53 156,20 577,33 292,37
2,21-25 I Joh
342,8; 3 4 5 , 4 2 345,28 753,34
3,19 2,18 3,2
259,2 345,46
1,15 l,17f
Jud
3,2-3 3,11.23 9
Apk
1,5 1,9 3,1 3,5
345,18 345,21 345,38 496,44 345,17 316,3 345,30 345,32 345,21 3 4 5 .3 3 .4 0 59,48 3 4 5 ,2 6
4,1 5,8 6,2-4 7,2 7,9 7,14 11 12 12 12,11
13 13,8 14,1 15,3
Mormonen Name/Namengebung Name/Namengebung Nächster Nächster Mission Name/Namengebung Nächster Nachfolge Jesu Nachfolge Jesu Mormonen Montanismus Missionswissenschaft Mystik Nächster Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Nachfolge Jesu Mystik Name/Namengebung Name/Namengebung Mystik M u s i k und Religion Müntzer Mormonen Mystik Mystik Müntzer Montanismus Mythos Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften Mose/-lied/ -segen/ -Schriften
315,17 761,17 753,39 720,14 720,39.48 59,32 763,9 721,5 687,4; 6 8 8 , 3 3 ; 690,48 685,52 317,32 277,40 95,46 549,6 721,13 342,8 687,40 549,26 752,11.25 763,5 549,25 444,52 425,4 316,1 549,28 549,30 427,32 277,41 649,43 346,1 345,51 346,2 345,50
342,8; 3 4 5 , 5 3 ; 346,4
779
Namen/Orte/Sachen 17 17,14
1.2.
Nahum/ Nahumbuch Name/Namengebung
741,19
18 f 21,1-10
Müntzer Montanismus
426,19 273,26
753,35
Namen/Orte/Sachen
(bearbeitet von Klaus Breuer) Das TRE-Register enthält alle Sachbegriffe, Personen- und Ortsnamen, zu denen sich an den angegebenen Stellen registrierwürdige Informationen finden. - Fettdruck von Registerwörtern und Seitenzahlen weisen auf einen eigenen Artikel hin. - Die Verweisung nennt zur Vororientierung durchgängig zuerst den Artikel, in dem das registrierte Wort vorkommt, danach Seite und Zeile. Mit f f ist ein für das Registerwort relevanter längerer Zusammenhang gekennzeichnet. Auf systematische Zu- und Unterordnungen ist verzichtet; man findet daher systematische Unterbegriffe an ihrem alphabetischen Ort. - Sammelregistrierungen sind vorgenommen für Agenden, Kirchenordnungen, Klöster und Stifte, Missionsgesellschaften, Ökumenische Versammlungen und Konferenzen, Päpste, Päpstliche Bullen, Enzykliken und Breven, Reichstage der Reformationszeit, Religionsgespräche, Synoden und Universitäten. Die gesuchten Agenden, Kirchenordnungen, Klöster und Stifte usw. findet man bei diesen Registerwörtern nach alphabetischer Ordnung. Abaelard, Petrus: Mythos und Kunst 670,40 'Abduh, Muhammed: Nachfolge Jesu 711,21 Abendland: Mission 36,46f; Mönchtum 163,1 f; 169,1 f Abendmahl: Müntzer 423,49; Mysterien/Mysterienreligionen 521,39 f Abert, Hermann: Musik und Religion 452,47 Abgeschiedenheit: Mystik 567,45 Ablaß: Mittelalter 118,26 Abraham: Mischehe 4,15; Mission 20,39f; Mose ben Nachman 364,16; Mystik und Kunst 594,21 Abraham Abulafia: Mission 22,45 Abraham ibn Daud: Mose ben Maimon 358,35 Absolute Musik: Musik und Religion 473,30 Abstammungsgruppen: Mischehe 6,11 Abt: Mönchtum 161,23 f; Nachfolge Jesu 689,19 Abu Bekr: Mission 19,29 Acacius v. Konstantinopel: Monophysiten 226,8 Adam: Mission 28,37; Mose ben Nachman 364,15 Adam-Christus-Typologie: Mythos 649,13 Adel: Mittelalter 116,26 Adiabene: Mission 21,34 Ägypten: Mönchtum 157,27; 183,48; Monophysiten 225,21: Mose/Moselied/ Mosesegen/Moseschriften 332,6 ff; 334,22 f; Moulton 383,36; Mythos 618,49; Nag Hammadi 731,34 Ägyptische Religion: Muttergottheiten 499,19 f; Mysterien/Mysterienreligionen 511,31 ff; Name/Namengebung 746,10 Aerophone: Musik und Religion 445,21 Ästhetik: Mystik 590,33; Nachfolge Jesu 696,19 Äthiopien: Mission 22,21; 41,33 Ätiologie: Mythos 616,3; 654,5 Afrahat: Mönchtum 152,45 Afrika: Mission 43,37 Agenden: Georgsagende 1549: Moritz von Sachsen 306,21 Pennsylvania 1748: Mühlenberg 390,44 Rituale Romanum 1614: Name/
Namengebung 756,49 Schleswig 1512: Name/Namengebung 756,22 Agnostizismus: Modernismus 134,3 Agobard von Lyon: Mission 22,29 Ahmad, Mirza Ghulam: Mission 19,48; Nachfolge Jesu 711,31 Ahmadiya: Mission 19,47 f Akbar: Mission 44,18 Akiba ben Josef: Nächster 716,29; 719,16 Akoimeten: Monophysiten 225,44 Alanus ab Insulis: Mystik und Kunst 593,25 Albericus: Mythos und Kunst 674,14 Albert der Große: Mystik 566,34 Alberti, Leon Battista: Mittelalter 112,5 Albrecht Alkibiades: Moritz von Sachsen 308,3 Albrecht von Preußen: Mörlin 193,51 f Albright, William Foxwell: Monotheismus 238,8 Aleksij, Metropolit von Moskau: Moskau 368,16 'Alenu-Gebet: Mission 21,48 Alexander I., Zar: Mission 41,6 Alexandrien: Monophysiten 225,31 Alfasi, Isaak: Musik und Religion 449,34 Allah: Name/Namengebung 745,31 Allen, Roland: Mission 52,5 Allier, Raoul: M o « 379,46 Allstedt: Müntzer 417,6 Allversöhnungslehre: Mystik 585,9 al-Malik al-Kamil: Mission 38,43 al Mundir: Monophysiten 231,18 Alphabetisierung: Mission 71,34 Altes Testament: Mowinckel 385,27 f; Mythos 621,2; 656,48 f; Nächster 713,33; Name/Namengebung 750,10 f Ambrosius v. Mailand: Mönchtum 165,24; Musik und Religion 454,16; Nachfolge Jesu 690,4 Amenophis IV. (Echnaton): Monotheismus 236,23 Amerikanische Religionen: Mission 47,43; Mormonen 313,39ff
780
Namen/Orte/Sachen
Amida-Buddhismus: Name/Namengebung 745,14 Amos: Monotheismus 240,38; Mythos 628,10 f Anachorese: Mönchtum 152,8 Anamnese: Mysterien/Mysterienreligionen 522,17 Anastasius I., byz. Kaiser: Monophysiten 226,44 ff Anastasius II., byz. Kaiser: Monenergetischmonotheletischer Streit 208,6 Anastasios Apokrisiarios: Monenergetischmonotheletischer Streit 207,20 Anastasios Monachos: Monenergetischmonotheletischer Streit 207,20 Anastasius Sinaites: Monophysiten 219,19 Anatolius, Patriarch v. Konstantinopel: Monophysiten 225,32 Anderson, Rufus: Mission 51,48 Anfechtung: Name/Namengebung 763,3 Anglikanische Kirchengemeinschaft: Mönchtum 183,4 Anglikanismus: Mission 47,50 Anglokatholizismus: Mönchtum 183,5 Animismus: Monotheismus 234,10 Anonymität: Name/Namengebung 746,2 Anselm von Canterbury: Mysterienspiele 527,17 Anthimus v. Konstantinopel: Monophysiten 229,14 Anthropologie: Möhler 142,40 Antike und Christentum: Mythos und Kunst 667,11; 675,40 Antimodernisteneid: Modernismus 130,11 Antiochien: Monophysiten 225,42 Antiochus III.: Musik und Religion 444,11 Antisemitismus: Mysterienspiele 530,26 Antitrinitarier: Monotheismus 252,32ff Antonius d. Gr.: Mönchtum 153,5; 157,43 Vita Antonii: Nachfolge Jesu 688,18 Apion: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 353,21 Apokalyptik: Montanismus 273,22 f; Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 347,16f; Müntzer 420,13f; 424,48; Mythos 649,43 Apokryphen: N a g Hammadi 734,36 Apollonius v. Tyana: Nachfolge Jesu 679,39 Apollos: Mission 29,37 Apologetik: Minucius Felix 1,8; Mission 34,8; Modernismus 131,10; 133,43; Monotheismus 259,45 Apophthegmata Patrum: Mönchtum 153,lOf; Nachfolge Jesu 688,36 Apostel: Mission 24,3; 25,44ff; 32,19; Nachfolge Jesu 680,27; Name/Namengebung 753,17 Aposteldekret: Mission 27,46 Apostelgeschichte: Mission 25,37 ff; Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 343,46 f Apostelkonzil: Mission 27,7ff Apostolat: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 344,22 Apostolische Väter: Monotheismus 259,34 Aquila: Mission 29,37 Arabien: Mission 22,20 Arabisch: Mission 38,45
Arbeit: Mitbestimmung 102,54; Mönchtum 156,26; 162,23; M u ß e 495,29 Arbeitnehmer: Mitbestimmung 99,33 f Arbeitswertlehre: Mitbestimmung 101,40 Archäi: Mythos 600,32f; 601,6; 602,19 Arianismus: Monotheismus 260,27ff Aristobulos: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 354,4 Aristoteles/Aristotelismus: Mittelalter 119,6; Mitleid 105,21; Muße 495,15; Name/ Namengebung 748,15 Arius: Monotheismus 260,35 f Arkandisziplin: Mysterien/Mysterienreligionen 504,7 Armut: Mönchtum 172,18; Nachfolge Jesu 678,48; 681,4; 707,29 Arnauld, Antoine: Montaigne 268,12 Arnold, Gottfried: Nachfolge Jesu 695,35 Artapanos: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 353,26; 354,4 Artes liberales: Musik und Religion 454,38; Mythos und Kunst 669,13 f Aschkenasim: Musik und Religion 450,26 Aschtar: M o a b und Israel 127,27 Askese: Mönchtum 144,9; 152,22; Mystik 552,41; Nachfolge Jesu 688,13 f Asoka: Mission 18,39 Assemani, Giuseppe Simone: Monophysiten 219,46 Assurbanipal: M o a b und Israel 126,50 Assyrien und Israel: M o a b und Israel 126,39; N a h u m / N a h u m b u c h 737,9 Astrachan: Mission 74,20 Astralgötter: Mysterien/Mysterienreligionen 514,26 Astrologie: Mythos und Kunst 669,32 Astronomie: Mythos und Kunst 669,31 Athanasius v. Alexandrien: Mönchtum 153,5; Monotheismus 260,46; Mystik 554,2 f; Nachfolge Jesu 688,18 Athanasius vom Athos: Mönchtum 168,25 Athen: Mysterien/Mysterienreligionen 504,39 Athos: Mönchtum 168,25 f; Mystik 562,27; 576,39 Attis: Mysterien/Mysterienreligionen 510,19 Auferstehung: Minucius Felix 2,16; Musik und Religion 466,22; Mystik 584,28 Aufklärung: Mittelalter 113,47, Mönchtum 180,48; Montaigne 268,26; Montesquieu 280,1; Moraltheologie 296,4; München 403,18; Musik und Religion 463,31; 465,32; 466,6 f; Mystik und Kunst 595,14; Mythos 597,45, 623,6; 652,37; 653,35 Augsburg: Musculus 439,22.40 Augsburger Bekenntnis: Mönchtum 176,44 Augsburger Religionsfrieden: Mörlin 194,33 Augustin: Mission 34,46f; 38,4; Mittelalter 119,5; Mönchtum 164,31; 165,27 f; Musik und Religion 454,26; Mysterienspiele 529,26; Mystik 557,30 f; 564,23; Mythos und Kunst 665,54; Nachfolge Jesu 690,11; Nächster 726,23; Name/Namengebung 748,36 Augustiner-Eremiten: Mönchtum 173,46 Augustinusregel: Mittelalter 119,16 Aukrust, Tor: Mitbestimmung 103,27 Australien: Mythos 617,24
Namen/Orte/Sachen Autonomie: Moraltheologie 296,12 Avalokitesvara: Muttergottheiten 501,19 Azor, Juan: Moraltheologie 295,25 Baader, Franz von: Moraltheologie 296,44 Baal schem Tov, Israel: Musik und Religion 451,23 Ba'als-Mythos: Mythos 614,36 Bach, Carl Philipp Emanuel: Musik und Religion 471,5 Bach, Johann Sebastian: Musik und Religion 455,52; 462,40; 465,17 Bachja ben Josef ibn Paquada: Monotheismus 253,20 Bachofen, Johann J a k o b : Mythos 598,12 Baiguy, John: M o r a l Sense 290,40 Baltikum: Mission 37,12; 41,36 Banez, Dominikus: Molina/Molinismus 200,9 f Barlaam von Calabrien: Mystik 562,38 Barmherzigkeit: Muttergottheiten 501,24 Barnabas: Mission 28,11; 29,35 Barnabiten: Mönchtum 178,34 Barnes, Ernest William: Modernismus 137,1 Barrett, David B.: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 81,14 Barth, Karl: Monotheismus 258,25; Nachfolge Jesu 700,23f; Nächster 728,19f Bartholomäus de Rinonico: Nachfolge Jesu 691,4 Basiliskus, byz. Kaiser: Monophysiten 225,53 f Basilius v. Caesarea: Mönchtum 163,2ff; Monotheismus 261,3; Musculus 440,4; Nachfolge Jesu 689,42 Batak-Kirche: Mission 52,26 Baudry v. Bourgeuil: Mythos und Kunst 672,22 Bauernkrieg: Müntzer 418,53 ff; 426,10 Baur, Ferdinand Christian: Mittelalter 114,18; Möhler 141,29 Bautin, Louis Eugène Marie: Modernismus 132,40 Bâville, Lamoignon de: Montpellier 283,17 Bayern: München 403,12ff Becker, Christopherus E.: Mission 79,15 Beckmann, M a x : Mystik und Kunst 595,30 Beginen: Mystik 570,4 Bekehrung: Mission 61,10 Bellarmini, Roberto: Mission 46,37; Molina/Molinismus 201,30 Ben Maccabee: Mission 23,12 Benê Israel: Mischehe 6,28 Benedikt von Aniane: Mönchtum 169,12 Benedikt von Nursia: Mönchtum 166,41; Mystik 558,46 Benediktusregel: Mittelalter 119,14; Mönchtum 166,40; 169,8; Nachfolge Jesu 689,13; 684,7 Benjamin (Stamm): Mizpa 122,1 Bergie, Nicolas-Sylvestre: Monotheismus 234,14 Bergpredigt: Nachfolge Jesu 692,42 Bergson, Henri: Mystik 591,14 Bernhard v. Clairvaux: Mönchtum 171,26; Musik und Religion 456,35; Mysterienspiele 527,17; Mystik 564,15; 565,10; 566,46; Mystik und Kunst 593,22; 594,2 Bernhardin v. Siena: Mystik und Kunst 594,19 Bernini, Gian Lorenzo: Mystik und Kunst 595,4
781
Bersuire (Berchorius), Pierre: Mythos und Kunst 674,29 Beruf: Motivation 375,40; Mythos 630,40; Nachfolge Jesu 680,44 Berufung: Mission 24,44; Nachfolge Jesu 679,44 Beschi, Giuseppe: Mission 44,39 Beschneidung: Mission 31,41 Bethä Israel: Mischehe 6,28 Bethune-Baker, J a m e s Franklin: Modernismus 136,50 Betriebsverfassungsgesetz: Mitbestimmung 100,28 Bettelorden: Mission 38,40; Mittelalter 119,20; Mönchtum 172,33 ff Bhagavädglta: Mystik 535,27 Bibel/Bibelwissenschaft: Modernismus 132,5 l f ; 134,13 f; Mönchtum 160,34; Moffatt 197,31; Mormonen 313,9; M o s e ben Maimon 359,19; Müntzer 421,13.47 f; Musculus 440,8; Muße 496,42 f; Mythos 656,3 Bibeldrama: Mysterienspiele 530,33 Bibelübersetzung: Münster, Seb. 407,47 Bild Gottes: M o s e ben M a i m o n 358,10; Mystik 551,8; 552,34; 554,8; 558,4 Bilder: Mythos 635,36; Mythos und Kunst 666,22 ff Bildung: Mission 71,18 f; Musik und Religion 466,40 Bileam: M o a b und Israel 125,48 Birgitta/Birgittenorden: Mönchtum 179,13; Mystik und Kunst 594,5 Bischof: Mönchtum 163,14 Bischofskloster: Mönchtum 165,20 Bistum: Mittelalter 117,50 Blake, William: Mystik und Kunst 595,21 Blondel, Maurice: Modernismus 131,23; 135,39 Blumhardt, Christian Gottlieb: Missionswissenschaft 91,33 Boccaccio, Giovanni: Mythos und Kunst 674,7 Böhme, J a k o b : Mystik 575,42; 581,40; 590,14; Mystik und Kunst 595,20; Nachfolge Jesu 695,33 Bölsche, Wilhelm: Monismus/Monistenbund 215,12 Böse, Das: Mormonen 314,34; Müller, J. 396,35; Mystik 543,12; 556,15; 557,13; 583,25 Boethius: Musik und Religion 454,53; N a m e / N a m e n g e b u n g 748,22 Bolingbroke, Henry St. John Viscount: Monotheismus 257,14 Bonaventura: Mystik 566,3f; Mystik und Kunst 593.24 Bonhoeffer, Dietrich: Nachfolge Jesu 691,52; 699,2f; 704,17 Bonifatius: Mittelalter 119,43 Bordeaux: Montaigne 262,49 f Bortnjanskij, Dimitri: Musik und Religion 476,1 Bossuet, Jacques-Benigne: Mittelalter 112,33; Montaigne 268,11; Mystik 574,42 Botticelli, Sandro: Mythos und Kunst 675,12 Brahmanen/Brahmanismus: Mission 44,48; Mönchtum 146,9 Brahms, Johannes: Musik und Religion 471,33; 473.25 Brama Samaj: Nachfolge Jesu 711,38; 712,10 Brasilien: Mission 43,36
782
Namen/Orte/Sachen
Braunschweig: M ö r l i n 1 9 4 , 2 9 f Brenz, J o h a n n e s : M ö r l i n 194,18 Briancaninov, Ignatij: M y s t i k 5 7 7 , 4 . 2 5 Birtto, J o ä o de: Mission 4 4 , 6 B r o a d C h u r c h : M o d e r n i s m u s 136,45 Brosse, Charles de: M o n o t h e i s m u s 2 3 4 , 2 4 Bruderschaften/Schwesternschaften/ K o m m u n i t ä t e n : M ö n c h t u m 185,28 Brüder des freien Geistes: M y s t i k 5 6 9 , 2 5 Brüderunität/Brüdergemeine: M i s s i o n 4 0 , 1 9 ; 74,14; 77,27 Brügge: M u s i k und Religion 4 5 6 , 1 8 Brunner, E m i l : M i t b e s t i m m u n g 1 0 3 , 3 7 ; M o r a l i s c h e Aufrüstung 2 9 3 , 1 6 ; N ä c h s t e r 725,42; 737,36 Brunnholtz, Peter: M ü h l e n b e r g 3 8 9 , 4 5 B r u n o von Köln: M ö n c h t u m 170,54 Buber, M a r t i n : M o n o t h e i s m u s 2 5 4 , 4 3 Bucceroni, G e n n a r o : M o r a l t h e o l o g i e 2 9 6 , 5 1 Bucer, M a r t i n : Musculus 4 3 9 , 1 9 B u c h m a n , F r a n k N a t h a n Daniel: M o r a l i s c h e Aufrüstung 2 9 1 , 4 7 ff Buddha: M ö n c h t u m 1 4 6 , 3 6 ff Buddhismus: M i s s i o n 18,38 ff; 4 3 , 3 9 ; M ö n c h t u m 146,36 ff; M ü l l e r , F . M . 3 9 4 , 1 ; Muttergottheiten 5 0 1 , 1 3 f; M y s t i k 5 2 5 , 2 3 f f ; 538,49 Bürgertum: Mittelalter 1 1 6 , 4 0 Bulgakov, Sergej Nikolajevic: M y s t i k 5 7 8 , 3 7 B u l t m a n n , R u d o l f : M u s i k und Religion 4 8 5 , 5 3 ; M y t h o s 6 0 7 , 3 ; 6 2 7 , 4 3 ; 6 4 4 , 1 7 ff; 6 5 1 , 6 f; Nachfolge Jesu 698,22; 707,49 Bund: M u s c u l u s 4 4 0 , 1 0 f Bundesbuch: N ä c h s t e r 7 1 4 , 1 3 Buonaiuti, E r n e s t o : M o d e r n i s m u s 131,51 B u r m a : M i s s i o n 19,2 Burmeister, J o a c h i m : M u s i k und Religion 462,33 Burnet, G i l b e r t d . J . : M o r a l Sense 2 9 0 , 3 9 Busenbaum, Hermann: Moraltheologie 295,27 Buße: M i s s i o n 2 4 , 3 7 Bussi, G i o v a n n i Andrea dei: Mittelalter 111,5 Butler, J o s e p h : M o r a l Sense 2 9 0 , 2 8 B u x t e h u d e , Dietrich: M u s i k und Religion 4 6 4 , 3 6 B u x t o n , T h o m a s Powell: M i s s i o n 5 0 , 1 9 Byzanz: M i s s i o n 3 7 , 1 9 f ; M y s t i k 5 6 0 , 1 3 f f Cabrières, F r a n ç o i s M a r i e Anatole de: Montpellier 284,11 Cäcilianismus: M u s i k und Religion 4 7 6 , 4 Caesarius von Arles: M ö n c h t u m 1 6 6 , 1 5 Calvin, J o h a n n e s : M o l i n a / M o l i n i s m u s 2 0 0 , 5 ; M u s i k und Religion 4 6 3 , 3 9 f ; N a c h f o l g e Jesu 6 9 3 , 3 5 f; N a m e / N a m e n g e b u n g 7 5 6 , 3 7 Calvinismus: M o r d z e w s k i 139,48 C a m d e n , W i l l i a m : Mittelalter 111,51 Campanella, Tommaso: M i s s i o n s g e s e l l s c h a f t e n / M i s s i o n s w e r k e 81,47 Canisius, Heinrich: Mittelalter 1 1 2 , 4 4 Carey, W i l l i a m : M i s s i o n 4 8 , 4 5 C a r u s , Paul: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 2 1 4 , 1 2 C a s a u b o n , Isaac: Mittelalter 1 1 3 , 4 4 Cassianus, J o h a n n e s : M ö n c h t u m 1 5 2 , 5 1 ; 166,2; Mystik 5 5 8 , 2 0 f ; Nachfolge Jesu 689,4 C a s s i o d o r : M u s i k und Religion 4 5 4 , 4 9 Cassirer, Ernst: M y t h o s 5 9 8 , 3 4
Casteller R i n g , K o m m u n i t ä t : M ö n c h t u m 1 8 6 , 1 0 C a s t r o M a h a l o , M a t e o de: M i s s i o n 4 5 , 1 4 Catechismus R o m a n u s : N a m e / N a m e n g e b u n g 756,43 Caussade, Jean-Pierre de: M y s t i k 5 7 5 , 1 C a u x - s u r - M o n t r e u x : M o r a l i s c h e Aufrüstung 293,36 Cellarius, Christoph: Mittelalter 113,16 Chagall, M a r c : Mystik und Kunst 5 9 5 , 2 9 C h a n s o n : M u s i k und Religion 4 8 6 , 1 9 C h a p t a l , J e a n Antoine: Montpellier 2 8 2 , 3 6 C h a r r o n , Pierre: M o n t a i g n e 2 6 7 , 5 2 Chasaren: M i s s i o n 2 2 , 2 2 Chasdaj Crescas: M o n o t h e i s m u s 2 5 3 , 2 2 Chasidismus: M u s i k und Religion 4 5 1 , 2 2 ; Nächster 7 1 8 , 1 7 Chemnitz, M a r t i n : M ö r l i n 194,32; 195,40 Chiliasmus: M o n t a n i s m u s 2 7 2 , 9 ; M ü n t z e r 426,30 C h i n a : M i s s i o n 19,5; 4 4 , 2 3 ; 4 9 , 4 8 ; 7 5 , 3 6 ; M ö n c h t u m 147,4; 1 8 1 , 5 2 C h o r a l : M u s i k und Religion 4 6 3 , 3 ; 4 8 6 , 5 2 C h o r d o p h o n e : M u s i k und Religion 4 4 5 , 6 Chorfrauenstift: M ö n c h t u m 169,23 Chorherrenstift: M ö n c h t u m 169,23 Christenverfolgungen: M i s s i o n 34,27; Moskau 370,2 Christiani, Pablo: M o s e ben N a c h m a n 3 6 5 , 6 Christlicher Studentenweltbund: M o t t 3 7 9 , 4 7 Christlieb, T h e o d o r : M i s s i o n 7 6 , 1 2 Chronistisches Geschichtswerk: M o w i n c k e l 3 8 5 , 3 6 ; M u s i k und Religion 4 4 3 , 1 3 ff Chthonische Gottheiten: Muttergottheiten 499,43 Cicero: Minucius Felix 2,1 C l a p h a m Sect: M i s s i o n 4 9 , 2 2 C l a r a von Assisi: M ö n c h t u m 1 7 2 , 4 9 Clarentiner: M ö n c h t u m 1 8 2 , 2 3 Claudius Apollinaris: M o n t a n i s m u s 2 7 2 , 2 3 Clemens v. Alexandrien: M i s s i o n 6 2 , 1 5 ; Montanismus 272,30; Mysterien/ Mysterienreligionen 5 0 5 , 1 0 ; 5 0 9 , 2 7 ; M y s t i k 5 5 1 , 3 6 f; M y t h o s und Kunst 6 6 6 , 3 5 ; N a c h f o l g e Jesu 6 8 7 , 6 C o d e x Iuris Canonici (1917): M i s c h e h e 9 , 3 7 C o d e x Iuris Canonici (1983): M i s c h e h e 10,3 C o h e n , H e r m a n n : Mitleid 106,38; Monotheismus 254,26 C o l e , G e o r g e Douglas H o w a r d : M i t b e s t i m m u n g 100,17 Collegium U r b a n u m : M i s s i o n 4 6 , 1 4 C o l u m b a n u s : Mittelalter 1 1 5 , 3 9 ; M ö n c h t u m 166,24 C o m e n i u s , J o h a n Arnos; Missionsgesellschaften/Missionswerke 8 2 , 3 0 Confessio S a x o n i c a : M o r i t z von Sachsen 307,24 C o n g r e g a t i o de Propaganda Fide: Mission 4 6 , 5 f; 6 9 , 1 3 ; Missionsgesellschaften/ M i s s i o n s w e r k e 81,36; 87,3 Consilia Evangelica: M ö n c h t u m 176,12; N a c h f o l g e Jesu 6 9 2 , 4 5 Contarini, Gasparo: M o r o n e 319,42 C o w d e r y , Oliver: M o r m o n e n 3 1 1 , 2 4 Cromwell, Thomas: Morus 325,52 C r o w t h e r , Samuel Adjai: M i s s i o n 5 1 , 5 3
Namen/Orte/Sachen Cyprian v. Karthago: Montanismus 272,44; Nachfolge Jesu 687,7.47 Cyrillus von Alexandrien: Monophysiten 219,15 ff Dämonen: Mönchtum 155,49; Mystik 555,24; Mythos und Kunst 673,8; Name/Namengebung 743,25 Dänemark: Mischehe 10,41 Dahlke, Paul: Mission 19,15 Dali, Salvador: Mystik und Kunst 595,32 Damis: Nachfolge Jesu 679,39 Daniel/Danielbuch: Mythos 635,1 Danilovic, Jurij: Moskau 368,1 Dante Alighieri: Mystik 566,43 Darwin, Charles: Modernismus 133,12; Monismus/Monistenbund 213,39 Dasypodius, Conradus: Mythos 652,35 David: M o a b und Israel 126,7 David, Johann Nepomuk: Musik und Religion 482,34 Deismus: Montaigne 268,8; Montesquieu 280,49 Deißmann, Adolf: Moulton 383,24 f Dekalog: Monotheismus 249,5; Moraltheologie 295,29; Mose ben Nachman 364,46; Nächster 714,21; 726,7 Demeter: Mysterien/Mysterienreligionen 504,31 ff Denck, Hans: Müntzer 427,49; Nachfolge Jesu 693,33 Dendriten: Mönchtum 156,40 Dernburg, Bernhard: Mission 76,23 Deuterojesaja: Monotheismus 238,45f Deuteronomium/Deuteronomistisches Geschichtswerk: Monotheismus 239,38 f; Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 335,49 f; Musik und Religion 442,20 f; Nächster 714,35 Deutsche Christen: Moralische Aufrüstung 293,8; Nachfolge Jesu 699,5 Deutsche Christliche Studentenvereinigung: Mott 379,52 Deutscher Monistenbund: Monismus/ Monistenbund 215,54 ff Deutschland: Mission 76,11; Musik und Religion 451,34; Mysterienspiele 529,8 f Devotio moderna: Mönchtum 174,37; Nachfolge Jesu 691,16 Dharma: Mönchtum 146,42 Diadochus von Photice: Mystik 557,5 Diakonie: Mönchtum 182,45 Diakoniewissenschaft/Diakonik: Motivation 377,11 Diakonissen: Mönchtum 182,43 f Dialektische Theologie: Musik und Religion 486,7 Dialog: Mission 62,6 ff; 65,18; 70,24 Diaspora: Mission 24,21 Didymus von Alexandrien: Montanismus 272,45; 277,19 Didymus, Gabriel: Moritz von Sachsen 306,24 Dionysius Areopagita: Mönchtum 174,50; Mystik 559,16f; 563,37; 564,11; 565,12; 569,48; 573,4; 583,33; Mystik und Kunst 592,19 Dionysius Exiguus: Mittelalter 112,20
783
Dionysus: Mysterien/Mysterienreligionen 507,18f Distler, Hugo: Musik und Religion 482,34 Döllinger, Johann Joseph Ignaz: München 404,46 Dogmatik: Müller, J . 396,26; Musculus 440,19 Dolgorukij, Jurij: Moskau 367,50 Dom: Musik und Religion 455,44 Dominicus: Mystik und Kunst 594,31 Dominikaner: Mission 37,13; 44,14; Mönchtum 173,16f Domkapitel: Mönchtum 169,31 Dowkontt, George D.: Mission 75,15 Drews, Arthur: Monismus/Monistenbund 215,13; Mythos 644,20 Drummond, Henry: Moralische Aufrüstung 292,16 Dschingis Khan: Mongolische Religion 210,30 f Dualismus: Monismus/Monistenbund 212,8 Dürer, Albrecht: Mystik und Kunst 594,39; Mythos und Kunst 676,15 Dufay, Guillaume: Musik und Religion 456,22 Duff, Alexander: Mission 53,4; Missionswissenschaft 91,55 Dunkelheit: Mystik 554,25; 571,8; 573,3 Durga: Muttergottheiten 500,50 Dury, John: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 82,30 Ebner, Margarete: Mystik und Kunst 593,11 Eccard, Johannes: Motette 272,12 Eckhart, Meister: Mystik 567,5; 568,13.28; 569,33; 581,47; 584,21 Ehe: Nachfolge Jesu 680,29 Ehre: Name/Namengebung 763,12 Ehrenfeuchter, Friedrich August Eduard: Missionswissenschaft 91,27 Eigenkirchenwesen: Mittelalter 117,51 Eigentum: Mitbestimmung 99,24; 101,5 Einsiedlerkolonien: Mönchtum 155,26 Ekstase: Mystik 561,13; 570,21 Elche: Mysterienspiele 531,35 Eleusis: Mysterien/Mysterienreligionen 504,33 ff Elia: Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 336,38; Nachfolge Jesu 679,48 Eliade, Mircea: Mythos 599,4; 653,13 Eliot, Thomas: Mission 47,29 f Eliot, Thomas Stearns: Mysterienspiele 533,6 Elisa: Nachfolge Jesu 679,47 Elkind, David: Motivation 375,2 Elsaß: Murner 437,6; Musculus 439,17 Emanzipation: Mission 22,50 Emiter: M o a b und Israel 125,26 Emmeram: Mönchtum 165,8 Empirie: Mythos 603,5 Engel: Mythos 631,47 Engelehe: Mythos 632,4 Engert, Thaddäus: Modernismus 132,25 England: Mission 47,13; Mittelalter 119,40; Montaigne 268,5; Mysterienspiele 530,lOf; Mystik 570,43 Englische Fräulein: Mönchtum 179,36 Enomiya-Lasalle, Hugo M.: Mönchtum 185,33 Enthaltsamkeit: Mönchtum 156,17 Entkolonisierung: Mission 40,39 Entmythologisierung: Mythos 644,36 f
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Namen/Orte/Sachen
Entwicklung: Mission 65,46 ff; Modernismus 133,9 Enuma Elis: Mythos 619,11 Ephraem Syrus: Mönchtura 152,45; Mystik 556.31 Epikie: Moraltheologie 301,14 Epiphanius v. Salamis: Montanismus 277,16; Mythos und Kunst 667,7 Epos: Mythos und Kunst 669,18 Erasmus von Rotterdam: Morus 325,19 Erastus, Thomas: Musculus 440,42 Erbsünde: Mythos 605,31 Erdmann, Johann Eduard: Monismus/ Monistenbund 213,35 Eremiten: Mönchtum 152,18; 170,37; 179,47; 185,14 Erfahrung: Musik und Religion 465,10; Mystik 548,7; 554,33; 561,39; 581,11 Erhard: Mönchtum 165,8 Erkenntnis/Erkenntnistheorie: Moraltheologie 299,5; Mystik 565,5.43; Nachfolge Jesu 693,35 Erleuchtung: Mönchtum 144,22 Erlösung: Mormonen 314,34 Ernst von Mansfeld: Müntzer 417,38 f Erwählung: Mythos 657,38 Erweckung/Erweckungsbewegung: Mission 40,21; 48,23; Missionsgesellschaften/ Missionswerke 83,43 f; Müller, J . 394,44 Erzählung: Mythos 612,21 ff; 653,19; 661,53 Eschatologie: Mormonen 317,16; Muße 496,45; Mythos 618,10; 634,3; Nachfolge Jesu 705,42 Esraschriften: Mischehe 5,8 ff Essener: Mönchtum 158,45 Etheria: Musik und Religion 454,11 Ethik: Mitleid 105,6; Mystik 542,22; 587,12; Nachfolge Jesu 702,44 f; Nächster 723,54 f Ethnographie: Mythos 617,3 Eucharistie: Mysterien/Mysterienreligionen 521,39f Eugenius von Seleukia: Monophysiten 230,43 Eu(h)emeros v. Messene/Euhemerismus: Mythos 597,43 Eulogius von Alexandrien: Monophysiten 229,45 Euphemius von Konstantinopel: Monophysiten 227,3 Eupolemus: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 354,6 Europa: Mittelalter 114,54 Eusebius von Cäsarea: Mission 32,33; Mönchtum 152,31; 160,9; Montanismus 272,21 f Eustathius von Sebaste: Mönchtum 163,30 Eutyches/Eutychianischer Streit: Monophysiten 219.32 Evagrius Ponticus: Mönchtum 155,42; Mystik 555,14f; 561,3; 562,2 Evagrius Scholasticus: Monophysiten 226,49 Evangelien, synoptische: Mose/Moselied/ Mosesegen/Moseschriften 342,14 f; Nachfolge Jesu 683,2 Evangelikaie Mission: Mission 69,33; 70,39 Evangelium Veritatis: Mystik 550,34 Evfrosinja von Polozk: Mönchtum 171,14 Evolution: Modernismus 133,10; Monismus/ Monistenbund 213,39
Ewigkeit: Mystik 584,37 Exil: Musik und Religion 442,46 Existenz: Nachfolge Jesu 696,10 Exodusbuch: Monotheismus 242,28 f Ezechiel (Tragiker): Mose/Moselied/ Mosesegen/Moseschriften 355,1 Faber Stapulensis: Mittelalter 111,13 Fabri, Friedrich: Mission 53,11 Fabricius, Johann Albert: Missionsgesellschaften/Missionswerke 82,4 Familie: Nachfolge Jesu 680,29; Nächster 727,32 Familienaskese: Mönchtum 164,26 Farquhar, John Nicol: Mission 55,5 Fasten: Montanismus 273,22 Fegfeuer: Mittelalter 118,26; Müntzer 423,26 Feindesliebe: Nächster 721,46 Fénelon, François de: Mystik 574,39 Feofan der Klausner: Mystik 577,4.25 Ferdinand I., Kaiser: Moritz von Sachsen 305,3 f; 307,35; Morone 319,28; 322,7 Fernandez, A.: Missionswissenschaft 91,6 Feste und Feiertage: Muße 497,4; Mythos 601,42 Feuer: Mongolische Religion 210,5 Feuerbach, Ludwig: Musik und Religion 475,1 Fezer, Karl: Moralische Aufrüstung 293,1 Ficino, Marsilio: Mythos und Kunst 675,33 Fiebig, M a x : Mission 77,51 Filaret, Metropolit v. Moskau: Moskau 368,53 Filofej von Pskov: Moskau 368,45 Fingerlos, Matthäus: München 403,36 Finnland: Mischehe 10,41 Firmicus Maternus: Mysterien/Mysterienreligionen 510,41 Firmilian von Cäsarea: Montanismus 272,43; 276,24 Firmung: Name/Namengebung 755,38 Flacius, Matthias: Mittelalter 112,38; Mörlin 194,41 Fliedner, Theodor: Mönchtum 182,44 Florenz: Mysterienspiele 531,15 Fogazzaro, Antonio: Modernismus 132,9 Formgeschichte/Formenkritik: Mowinckel 387,1 Foucauld, Charles de: Mönchtum 185,22 Franciscus v. Assisi: Mission 38,42; Mönchtum 172,34f; Müller, K. 400,52; Mystik 566,21; Nachfolge Jesu 690,45 Franck, Sebastian: Müntzer 427,50 Francke, August Hermann: Missionswissenschaft 91,17; Nachfolge Jesu 695,6 f Francke, Gotthilf August: Mission 73,53; Mühlenberg 389,8 Franken: Mittelalter 115,3 Frankreich: Mysterienspiele 528,25 f Franz v. Sales: Mystik und Kunst 594,50 Franziskaner: Mission 37,13; 44,14; Mönchtum 172,50f; Münster, S. 407,6; Murner 436,49; Mysterienspiele 527,22; Mystik 566,21 Französische Revolution: Mission 22,50; Mönchtum 181,26; Montesquieu 281,10 Frauen: Mönchtum 164,42; 174,4; 179,9 f Frauenmission: Mission 75,33; 76,3 Frauenmystik: Mystik 543,29 f; 570,1 f Freidenker: Monismus/Monistenbund 216,1
Namen/Orte/Sachen Freiheit: Mitbestimmung 101,8; M ö n c h t u m 176,9; Montaigne 2 6 6 , 3 6 f; M o n t a l e m b e r t 270,39; Moraltheologie 295,43; Nachfolge Jesu 692,22 Freikirchen: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 84,25 Freimaurer: Mystik und Kunst 595,18 Freireligiöse Bewegungen: M o n i s m u s / Monistenbund 2 1 6 , 4 4 Freizeit: M u ß e 495,36; 496,28 Fremdlinge: Mission 21,11 Fremdlingschaft: M ö n c h t u m 156,48 Freud, Sigmund: Motivation 374,28; M y t h o s 598,24; 663,2 Fries, Karl: M o t t 379,46 Frisch, M a x : Name/Namengebung 760,1 Frömmigkeit: Mittelalter 118,8; Musik und Religion 464,51 f Fronleichnamsspiele: Mysterienspiele 529,11 Fronmüller, G.F. E.: Nächster 724,8 Fruchtbarkeit: Muttergottheiten 498,48; Mysterien/Mysterienreligionen 5 0 6 , 3 2 Fürsten: Mönchtum 177,22 Fürstenberg, Franz Frhr. v.: Münster, Univ. 410,5 Fulgentius, Fabius Planciades: Mythos und Kunst 672,8; 673,28 Fundamentalismus: Modernismus 131,9 Gabrieli, Andrea: M o t e t t e 3 7 2 , 2 0 Gadamer, Hans-Georg: Nächster 729,23 Gaius (Presbyter): Montanismus 273,49 Gallikanismus: M ö n c h t u m 181,13 Galut: Mission 21,39 G a m s , Pius Bonifatius: Mittelalter 114,13 Gandhi, M a h a t m a : Nachfolge Jesu 7 1 2 , 4 6 Gante, Pedro de: Mission 42,16 Gardner, Percy: Modernismus 136,47 Gatterer, J o h a n n Christoph: Mittelalter 111,35 Gebert, Karl: Modernismus 132,24 Gebet: Mönchtum 156,18; Mystik 5 5 5 , 1 4 f ; 5 5 6 , 2 ; 558,25.45 f; 560,30; 562,31; 572,9; 574,5 Gebot: Monotheismus 241,31 f; Mythos 657,17; Name/Namengebung 762,31 Gefühl: Musik und Religion 469,49; 472,5 Gegenreformation: Mysterienspiele 531,21; Mystik und Kunst 5 9 4 , 4 4 Gehorsam: M ö n c h t u m 161,20 Geishüttner, J . : Moraltheologie 296,28 Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben: Mystik 5 5 6 , 6 ; Mythos 606,22; 656,21; Nachfolge Jesu 685,3 Geister: Mongolische Religion 210,46 Geißler: Mysterienspiele 5 3 1 , 2 Gelassenheit: Mystik 567,43 Gelübde: Mönchtum 176,10 Gemeinde: Mythos 656,23; Nachfolge Jesu 685,7 Gemeindeaufbau: Mission 6 1 , 3 0 Gensichen, Hans-Werner: Mission 62,47 Genua: M o r o n e 323,11 Georg von Anhalt: M o r i t z von Sachsen 3 0 3 , 5 0 f f Georg von Sachsen: M o r i t z von Sachsen 303,3 Gerechtigkeit: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 344,53; Nachfolge Jesu 6 8 4 , 1 2 Gerhard, Johann: Mission 46,42; Name/Namengebung 757,6
785
Gerhardt, Paul: Musik und Religion 465,1 Gericht Gottes: Musik und Religion 466,27; Mystik 585,37 Germanisierung des Christentums: Mittelalter 117,27 Gerson, Johannes: Mystik 569,16 Geschichte: Mythos 611,30; 616,12; 632,18ff; 645,50; 656,48 f Geschichtsschreibung: Mittelalter 112,14 Gesellschaft: Mittelalter 116,25; Modrzewski 139,27; Montesquieu 280,30; Musik und Religion 470,34; M y t h o s 611,23; 659,46; Nachfolge Jesu 694,30; Nächster 727,32 Geser Khan: Mongolische Religion 210,26 Gesetz: Moraltheologie 295,42; M o s e / M o s e lied/ Mosesegen/Moseschriften 342,20 Gesetz und Evangelium: M ö n c h t u m 176,9 Gestirne: Mythos 631,28 Gewerkschaftsbewegung: Mitbestimmung 102,12 Gewissen: Moralthologie 295,33; 301,27 Giberti, Gian M a t t e o : M o r o n e 319,14; 3 2 0 , 5 0 Gilead: Mizpa 121,36 Gilgamesch-Epos: M y t h o s 6 1 4 , 3 2 Giustiniano, ] . : Modrzewski 139,22 Glaube: Mission 23,51; Moraltheologie 2 9 8 , 1 2 f; Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 345,32; Motivation 377,18; Müntzer 421,15; 424,31; Mystik 586,28; Mythos 6 0 6 , 3 0 f ; 630,5; 655,36 ff; Nachfolge Jesu 692,7; 696,37 Glaubensmissionen: Mission 61,26; Missionsgesellschaften/Missionswerke 84,28 Glueck, Nelson: M o a b und Israel 127,46 Gnade: M o l i n a / M o l i n i s m u s 199,49 ff; Mystik 557,41; Nachfolge Jesu 6 9 9 , 1 0 Gnesiolutheraner: Mörlin 194,42 Gnosis: Mystik 550,26; 551,38; Mythos 622,17; Nag Hammadi 7 3 4 , 1 9 f G o a : Mission 44,2 Görres, Joseph v.: München 4 0 3 , 4 6 Goes, Hugo van der: Mystik und Kunst 5 9 4 , 3 9 Göschel, Carl Friedrich: M o n i s m u s / M o n i s t e n bund 213,19 Goethe, J o h a n n Wolfgang v.: M y t h o s 597,47; Name/Namengebung 761,28 Goldene Regel: Nächster 717,30; 7 2 1 , 3 6 Goldküste: Mission 5 2 , 2 2 G o l d m a n , Ronald: Motivation 375,1 Gore, Charles: Modernismus 137,23; M o t t 380,25 Gossec, François-Joseph: Musik und Religion 470,53 Götterwelt: Muttergottheiten 4 9 8 , 2 ff Gott: Monotheismus 233,52ff; M o r m o n e n 314,26; M o s e ben M a i m o n 358,2; Musik und Religion 460,39; 471,45; Mystik 5 3 4 , 4 9 f ; 548,3.28; 5 5 4 , 3 ; 5 5 9 , 3 0 f ; 562,49; 563,49; 582,11; Mythos 599,6; 600,9; 602,3; 626,25 f; 627,42; 630,8; 653,39; Nächster 719,10; Name/Namengebung 744,12; 7 6 2 , 3 0 Gottesdienst: M o r m o n e n 316,46; Motivation 376,41; Müntzer 4 1 7 , 1 5 ; Musik und Religion 444,33 ff; 4 5 3 , 2 2 ff; 457,52; 4 6 0 , 2 4 f; 462,8 f; 466,14; 476,32; 481,38; 487,25 Gotteserkenntnis: M o s e ben M a i m o n 359,32; Mystik 564,21; 566,35
786
Namen/Orte/Sachen
Gottesgeburt: M y s t i k 5 6 7 , 3 6 ; 5 6 8 , 3 3 Gotteslicht: M y s t i k 5 6 3 , 9 Gottesliebe: Mystik 5 7 0 , 3 4 ; 5 7 2 , 4 3 ; 5 7 4 , 8 Gottesname: Name/Namengebung 744,12; 752,39 Gottesschau: Mystik 5 5 4 , 3 7 ; 5 6 9 , 4 2 Gottfried v. V i t e r b o : M y t h o s und Kunst 6 7 3 , 1 G r a t i a n von B o l o g n a : M i s c h e h e 9 , 4 G r a t r y , Auguste J o s e p h Alphonse: Modernismus 132,40 G r a u l , Karl: Missionswissenschaft 9 2 , 2 4 G r e g o r von Nazianz: M ö n c h t u m 163,3; Monotheismus 261,3 G r e g o r von Nyssa: M o n o t h e i s m u s 2 6 1 , 4 ; Mystik 5 5 4 , 2 1 G r e g o r der Wundertäter: M i s s i o n 3 2 , 4 2 Gregorianik: M o t e t t e 3 7 1 , 1 7 f; M u s i k und Religion 4 5 5 , 6 Gregorius, M a g i s t e r : M y t h o s und Kunst 6 7 0 , 3 0 Gregorios Palamas: M y s t i k 5 6 2 , 2 9 f Gregorios Sinaites: M y s t i k 5 6 3 , 2 8 Griechenland: M u ß e 4 9 5 , 1 2 Griechisch, neutestamentliches: M o u l t o n 383,16f Griechische Religion: Muttergottheiten 4 9 9 , 4 3 ; Mysterien/Mysterienreligionen 5 0 4 , 3 1 ff; Mythos 619,27 G r o ß b r i t a n n i e n : M i s c h e h e 10,46; M i s s i o n 4 9 , 1 2 ; 74,41 G r o ß g e b a u e r , T h e o p h i l : M u s i k und Religion 465,21 G r o t h a u s , Wilhelm: M i s s i o n 7 4 , 1 5 G r o t i u s , H u g o : M o r a l Sense 2 8 5 , 1 4 G r ü n e w a l d , M a t t h i a s : M y s t i k und Kunst 5 9 4 , 3 9 Grundherrschaft: Mittelalter 1 1 6 , 3 0 Guise, Charles: M o r o n e 3 2 2 , 1 2 Gunkel, H e r m a n n : M y t h o s 6 2 6 , 2 4 ; 6 2 9 , 4 5 ; 655,41 Gustafson, James: Nachfolge Jesu 702,48 G u t m a n n , Bruno: M i s s i o n 5 2 , 1 0 ; 6 1 , 1 ; Name/Namengebung 761,50 G u y o n , J e a n n e M a r i e v.: M y s t i k 5 7 4 , 3 3 ; N a c h f o l g e Jesu 6 9 5 , 3 4 H a c k e r , Paul: M i s s i o n 6 3 , 5 0 H a d r i a n , r ö m . Kaiser: M i s s i o n 2 1 , 2 8 H a e c k e l , Ernst: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 2 1 3 , 4 3 ; 2 1 4 , 2 1 ff Häresie: M o s h e i m 3 6 7 , 1 0 ; M y s t i k 5 4 3 , 1 Hakluyt, Richard: Mission 47,14 Halacha: Mischehe 3,23; Nächster 718,49 Halle: M ü h l e n b e r g 3 8 9 , 4 H a m m e r s c h m i d t , Andreas: M o t e t t e 3 7 2 , 2 8 Handeln/Handlungen: Moraltheologie 3 0 0 , 3 3 ff; M o t i v a t i o n 3 7 3 , 1 7 Hannover: Mosheim 366,6 Hanslick, Eduard: M u s i k und Religion 4 7 4 , 3 Harfe: M u s i k und Religion 4 4 5 , 1 5 H a r m o n i e : M u s i k und Religion 4 6 9 , 2 5 H a r m s , Ludwig: N a m e / N a m e n g e b u n g 7 6 1 , 5 0 H a r n a c k , Adolf v.: M o d e r n i s m u s 134,18; M o f f a t t 197,20; N a c h f o l g e J e s u 6 9 7 , 3 8 H a r n a c k , T h e o d o s i u s , M u s i k und Religion 475,27 Harris, W i l l i a m Wade: M i s s i o n 5 2 , 2 3 Harrison, Jane: Mythos 610,41
H a r t l i b , Samuel: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 82,30 H a r t m a n n , Eduard v.: M o n i s m u s / M o n i s t e n bund 2 1 5 , 1 1 H a s e , Karl v.: Mittelalter 114,9 Hasse, Friedrich R u d o l f : Mittelalter 1 1 4 , 2 0 H a t h o r : Muttergottheiten 4 9 9 , 2 9 H a u p t m a n n , Karl: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 216,30 H a y d n , J o s e p h : M u s i k und Religion 4 7 0 , 5 1 Hebräerbrief: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 345,15 Hebräisch: M i s c h n a 16,17 Hebraistik: M ü n s t e r , S. 4 0 7 , 4 4 Hegel, G e o r g Wilhelm Friedrich: Monismus/Monistenbund 213,18 Heidegger, M a r t i n : M y s t i k 5 9 1 , 3 2 ; M y t h o s 645,10 Heidelberg: Mysterienspiele 5 2 9 , 2 7 Heidentum: M i s s i o n 2 6 , 2 0 Heil: M i s s i o n 3 0 , 2 5 ; M i t t e l a l t e r 118,23; M o s e ben M a i m o n 3 5 9 , 4 8 ; M y s t e r i e n / Mysterienreligionen 5 0 6 , 2 6 ; 5 1 8 , 4 2 f; M y s t i k 582,39; Mythos 656,8 Heilige, D a s : M u s i k und Religion 4 5 7 , 5 5 f; 4 6 3 , 9 Heilige/Heiligenverehrung: Mysterienspiele 5 2 8 , 2 7 ; Mystik und Kunst 5 9 4 , 2 4 f ; Name/Namengebung 756,7; 762,2 Heiligkeitsgesetz: N ä c h s t e r 7 1 4 , 4 8 Heiligtum: M u s i k und Religion 4 4 1 , 3 2 ff Heiligung: M ö r l i n 195,6; N a c h f o l g e Jesu 7 0 2 , 4 3 Heilsgewißheit: Mystik 5 8 7 , 2 f Heilung/Heilungen: N a c h f o l g e Jesu 6 7 8 , 4 9 Heinrich V I I I . , Kg. v. England: M o r u s 3 2 5 , 3 0 f ; Murner 437,46 Heinrich II., Kg. v. Frankreich: M o r i t z von Sachsen 3 0 7 , 1 3 Heinrich III., Kg. v. F r a n k r e i c h : M o n t a i g n e 263,18 Heinrich von Sachsen: M o r i t z von Sachsen 303,25 Heinrich v. Winchester: M y t h o s und Kunst 670,25 H e k a t e i o s von Abdera: M o s e / M o s e l i e d / Mosesegen/Moseschriften 352,31 Hellenismus: M ö n c h t u m 158,23; M o n o t h e i s m u s 236,10; Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 3 4 9 , 5 0 f f ; Muttergottheiten 4 9 9 , 5 0 Hellenisten (in der Urgemeinde): Mission 2 6 , 2 1 f; N a c h f o l g e J e s u 6 7 9 , 3 8 ; 6 8 5 , 3 2 Henotikon: Monophysiten 226,23 Hensel, Walther: M u s i k und Religion 4 8 0 , 1 3 H e n s o n , H e r b e r t Hensly: M o r a l i s c h e Aufrüstung 2 9 2 , 4 0 H e n z e , H a n s Werner: M u s i k und Religion 485,22; 490,36 f Herakleios, Kaiser: M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 6 , 2 9 Herkules: M y t h o s und Kunst 6 7 5 , 5 2 Hermeneutik: Mission 60,29; Missionswissenschaft 9 6 , 4 ; M o r a l t h e o l o g i e 299,36; Mythos 644,39 Herrmann, Wilhelm: Mythos 651,23 H e r r s c h a f t G o t t e s / R e i c h G o t t e s : Mission 24,36f, 62,6; Mystik 583,50; Mythos 656,27; N a c h f o l g e Jesu 6 7 8 , 4 9 ; 6 8 1 , 2 9 f
Namen/Orte/Sachen Herzogenberg, Heinrich von: M u s i k und Religion 4 7 6 , 5 3 Heschel, A b r a h a m J o s h u a : M o n o t h e i s m u s 255,25 Hesiod: M y t h o s 6 1 4 , 3 7 Hesychasmus: M ö n c h t u m 168,37; Mystik 5 6 2 , 2 4 f; 5 7 6 , 3 7 Heurnius, Justus: M i s s i o n 4 7 , 7 Heussi, Karl: M i t t e l a l t e r 114,23 f Heyne, Christian G o t t l o b : M y t h o s 6 1 0 , 3 2 ; 652.43 Hick, John: Mission 63,47 Hierarchie, himmlische: M y s t i k 5 6 5 , 2 1 f; 5 6 6 , 4 Hieronymus: M ö n c h t u m 164,32; N a c h f o l g e Jesu 6 8 9 , 3 3 ; N a m e / N a m e n g e b u n g 7 5 0 , 5 Hilarien: Mysterien/Mysterienreligionen 5 1 0 , 2 9 Hildebert v. Lavardin: M y t h o s und Kunst 670,6 Hildegard von Bingen: Mysterienspiele 5 2 8 , 8 ; M y s t i k und Kunst 5 9 3 , 3 3 Hillel: N ä c h s t e r 7 1 6 , 2 9 H i l t o n , Walter: M y s t i k 5 7 1 , 1 f H i m m e l f a h r t des M o s e : M o s e / M o s e l i e d / Mosesegen/Moseschriften 347,20ff Himmelsleiter: M y s t i k 5 6 0 , 1 8 ; Mystik und Kunst 5 9 4 , 3 2 Hindemith, Paul: M u s i k und Religion 4 7 8 , 3 1 Hinduismus: M i s s i o n 2 0 , 2 f ; 4 3 , 3 9 ; Muttergottheiten 5 0 0 , 2 6 f; Mystik 5 3 5 , 2 4 ; 5 9 0 , 1 9 ; N a c h f o l g e Jesu 7 1 1 , 3 8 ; Name/Namengebung 744,28 f Hinrichs, H e r m a n n Friedrich Wilhelm: Monismus/Monistenbund 213,34 Hiob/Hiobbuch: Mythos 636,8 Hippolyt von R o m : M o n t a n i s m u s 2 7 2 , 3 6 Hirscher, J o h a n n Baptist: M o r a l t h e o l o g i e 296,37 H o b b e s , T h o m a s : M o r a l Sense 2 8 5 , 2 9 f H o c h g o t t g l a u b e : M o n g o l i s c h e Religion 2 0 9 , 1 8 H o c k i n g , W i l l i a m Ernest: M i s s i o n 5 4 , 1 3 H o e k e n d i j k , J o h a n n e s Christian: Missions Wissenschaft 9 3 , 8 ; 9 6 , 3 1 H o f f m a n n , E r n s t T h e o d o r Amadeus: M u s i k und Religion 4 7 7 , 4 Hoffnung: N a m e / N a m e n g e b u n g 7 6 2 , 4 5 H o f m a n n s t h a l , H u g o von: Mysterienspiele 533,4 Hoheslied: M y s t i k 5 5 2 , 4 8 ; 5 6 4 , 3 5 ; M y s t i k und Kunst 5 9 4 , 3 3 H o l d h e i m , Samuel: M i s c h e h e 6 , 3 9 H o m e , Henry: M o r a l Sense 2 8 4 , 3 6 H o m e r : Muttergottheiten 5 0 0 , 7 ; M y t h o s 6 1 9 , 3 4 Homiletik: Motivation 376,48; Mythos 664,46 H o r n : M u s i k und Religion 4 4 5 , 2 1 H o r n , G e o r g : Mittelalter 113,5 Hosea: Monotheismus 240,26 Hospitalorden: M ö n c h t u m 174,3 Hostie: Mysterienspiele 5 3 0 , 2 3 H o w a r d , Peter: M o r a l i s c h e Aufrüstung 2 9 4 , 4 Hügel, Friedrich von: M o d e r n i s m u s 131,34; 1 3 4 . 4 4 f; M y s t i k 5 7 7 , 4 9 Hugenotten: Montpellier 282,44 f H u g o von St. V i k t o r : Mysterienspiele 5 2 7 , 1 9 : Mystik 564,52 H u m a n i s m u s : M i s s i o n 4 4 , 8 ; Mittelalter 110,51 f; M y t h o s und Kunst 6 7 4 , 3
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H u m e , David: M o n o t h e i s m u s 2 3 4 , 2 3 ; 2 5 7 , 1 7 ; M o r a l Sense 2 8 8 , 4 7 ff Hus, J o h a n n / H u s s i t e n : M ü n t z e r 4 1 6 , 2 6 Hut, Hans: Müntzer 418,34; 427,31 H u t c h e s o n , Francis: M o r a l Sense 2 8 7 , 1 2 f f Hutterische Brüder: M ü n t z e r 4 2 7 , 3 9 H y m n e n : M u s i k und Religion 4 4 4 , 3 9 ; 4 5 3 , 4 7 ; Mythos 647,3 f Ibn Rusd: M o s e ben M a i m o n 3 5 8 , 3 9 Idealismus: M ü l l e r , J . 3 9 6 , 4 4 Identifikationstheorie: M y s t i k 5 4 3 , 9 Identität: N a m e / N a m e n g e b u n g 7 6 3 , 1 8 Idiophone: M u s i k und Religion 4 4 5 , 3 0 Idiorhythmie: M ö n c h t u m 168,45 Ignatius v. Antiochien: M y s t i k 5 4 9 , 4 3 f; N a c h f o l g e Jesu 6 8 7 , 1 7 Ignatius v. L o y o l a : M ö n c h t u m 178,40; M y s t i k und Kunst 5 9 4 , 5 1 Imbshausen, K o m m u n i t ä t : M ö n c h t u m 186,9 Imitatio Christi: M y s t i k 5 6 8 , 2 5 Immanentismus: M o d e r n i s m u s 131,38 Immessen, Arnold: Mysterienspiele 5 2 9 , 4 0 Imperialismus: M i s s i o n 4 0 , 3 5 ; 4 9 , 4 4 Inanna: Muttergottheiten 4 9 8 , 4 0 Indianer: M i s s i o n 4 7 , 2 7 ; M o r m o n e n 3 1 3 , 3 9 f f Indien: M i s c h e h e 8,2; M i s s i o n 18,43 ff; 19,7; 4 1 , 3 3 ; 4 5 , 1 6 ; 7 5 , 2 7 ; M ö n c h t u m 146,21; Müller; F.M. 393,17ff; Mythos 618,23; Nachfolge Jesu 711,29 Individuum/Individualismus: M u s i k und Religion 4 8 4 , 3 2 ; N a c h f o l g e J e s u 6 9 6 , 2 5 Indonesien: M i s s i o n 5 2 , 2 6 Industrialisierung: M u ß e 4 9 5 , 3 4 Inge, William R a l p h : M o d e r n i s m u s 1 3 6 , 4 9 Initiationsriten: M y s t e r i e n / M y s t e r i e n r e l i g i o n e n 5 0 4 , 1 8 ; 5 1 6 , 2 8 f; M y s t i k 5 3 8 , 4 2 Inkarnation: Mission 59,12; Mystik 561,19 Inklusen: M ö n c h t u m 171,8 Innere M i s s i o n : M ö n c h t u m 174,24 Inquisition: M i s s i o n 4 5 , 2 6 ; M ö n c h t u m 173,35; Molinos 203,29; M o r o n e 321,25 Intellekt: M o s e ben M a i m o n 3 5 8 , 2 0 f Interim: M o r i t z von Sachsen 3 0 6 , 8 f; M u s c u l u s 439,28 International Review o f M i s s i o n s : M i s s i o n 5 3 , 4 9 Internationaler Missionsrat: M i s s i o n 5 2 , 2 9 ; 5 3 , 4 7 ff; M o t t 3 8 1 , 1 2 Irenaus von L y o n : M i s s i o n 6 2 , 1 4 ; M o n o t h e i s m u s 2 6 0 , 6 ; Mystik 5 5 1 , 4 f Irland: Mittelalter 115,33; M ö n c h t u m 165,11 Iselin, Isaak: M i t t e l a l t e r 1 1 3 , 4 9 Isidor, M e t r o p o l i t von M o s k a u : M o s k a u 3 6 8 , 3 7 Isidor v. Sevilla: M u s i k und Religion 4 5 4 , 5 3 ; M y t h o s und Kunst 6 7 2 , 9 . 4 7 Isis: Muttergottheiten 4 9 9 , 1 9 f; M y s t e r i e n / Mysterienreligionen 5 1 1 , 2 6 ff; 5 1 3 , 3 2 f Islam: M i s c h e h e 11,33; M i s s i o n 1 9 , 2 7 f f ; 3 8 , 3 1 f; 4 1 , 2 1 ; 4 3 , 3 9 ; M ö n c h t u m 149,7 f; M o n g o l i s c h e Religion 2 1 1 , 1 1 ; M o n o t h e i s m u s 2 3 6 , 4 4 ; M y s t i k 5 3 8 , 3 0 f; M y t h o s 6 2 2 , 3 9 ; N a c h f o l g e Jesu 711,1; Name/Namengebung 7 4 5 , 2 6 f Island: M i s c h e h e 10,41 Israel: M i s s i o n 2 4 , 5 0 f; 2 8 , 5 0 f; M u s i k und Religion 4 4 1 , 3 0 f f ; M y t h o s 6 2 1 , 2 ; Name/Namengebung 762,40
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Namen/Orte/Sachen
Israel Ben Ze'ev: Mission 23,11 Istar: Muttergottheiten 499,7 Italien: Mischehe 11,3; Modernismus 131,47; Musik und Religion 450,40 f; Mysterienspiele 531,1 f Ivan III., Zar: Moskau 368,25 f Jacobus de Voragine: Mythos und Kunst 673,15 Jahwe: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 333,42ff; 336,16; Name/Namengebung 750,38; 752,40 Jahwist: Monotheismus 242,21 Jainismus: Mönchtum 146,8 f Jakob: Mischehe 4,18 J a k o b Baradaeus: Monophysiten 229,51 f; 231,17 Jakobusrede: Mission 27,25 Jan van Ruusbroec: Mystik 568,38 Jansenismus: Montaigne 268,8 Japan: Mission 44,31; Mönchtum 146,51 Jaricot, Marie-Pauline: Mission 51,21 Javouhey, Anne-Marie: Mission 51,19 Jazz: Musik und Religion 479,7; 486,19 Jedin, Hubert: Mittelalter 114,32 Jehangir: Mission 44,22 Jehuda Hallevi: Mission 22,26; Monotheismus 253,21 Jehuda ben Shammua: Nächster 719,17 Jeremia: Monotheismus 240,11 Jerusalem: Mission 25,39f; Mönchtum 164,15; Nachfolge Jesu 682,23; Nahum/Nahumbuch 738,5 Jesaja/Jesajabuch: Monotheismus 240,22; Mythos 634,lOf Jesira: Mose ben Nachman 364,1 Jesuiten: Mission 42,39 ff; Mönchtum 178,39; 181,3; 44,11 f; Molina/Molinismus 199,30; Molinos 203,25; Moraltheologie 295,23; Münster, Univ. 409,49; Mystik und Kunst 595,1 Jesus Christus: Mission 24,33 ff; 33,45; 59,22f; Monenergetisch-monotheletischer Streit 206,10; Monophysiten 219,15 ff; 220,28 ff; Monotheismus 258,46 f; Mose/ Moselied/Mosesegen/Moseschriften 342,12 ff; 343,28; Müntzer 423,11; Musik und Religion 459,33; 465,27; 475,31 f; Mysterien/Mysterienreligionen 519,36 f; Mystik 548,27 f; 564,37; Mystik und Kunst 594,6; Mythos 605, 43; 645,31; 655,50; Nachfolge Jesu 679,15 ff; Name/Namengebung 753,17 Jodl, Friedrich: Monismus/Monistenbund 216,29 Johann von Küstrin: Moritz von Sachsen 306,39; 307,3 Johann Friedrich von Sachsen: Moritz von Sachsen 303,31 ff Johanna von Orleans: Mysterienspiele 528,33 Johannes Askozanges: Monophysiten 230,33 Johannes Chrysostomus: Nachfolge Jesu 689,43; Name/Namengebung 755,20 Johannes Climacus: Mystik 5 6 0 , 2 0 f Johannes von Ephesus: Montanismus 277,26 Johannes Gualbert: Mönchtum 170,52
Johannes vom Kreuz: Mönchtum 179,7; Mystik 568,22; 572,51 f; Nachfolge Jesu 695,30 Johannes von Nikiu: Monophysiten 227,25 Johannes Philoponus: Monophysiten 219,41; 220,16 ff; 230,37 Johannes Rufus: Monophysiten 225,14 Johannes Scottus Eriugena: Mystik 563,37 f; Mystik und Kunst 592,19 Johannes der Täufer: Mysterienspiele 531,12 Johannes von Telia: Monophysiten 228,48 Johannesapokalypse: Mystik 549,25; Mystik und Kunst 594,23 Johannesevangelium: Mose/Moselied/ Mosesegen/Moseschriften 343,20f; Mystik 548,32f; Mythos 648,33f; Nachfolge Jesu 684,20 f Jona/Jonabuch: Nahum/Nahumbuch 741,9 Jose ben Joeser: Mischna 16,23 Josef Albo: Monotheismus 253,23 Joseph II., Kaiser: Mönchtum 181,18 Josephus Flavius: Mischna 14,44; Mönchtum 158,44; Monotheismus 251,34; Mose/ Moselied/Mosesegen/Moseschriften 350,51; 352,42 Josia: Nahum/Nahumbuch 740,4 Josua/Josuabuch: Mose/Moselied/ Mosesegen/Moseschriften 347,46 Jubiläenbuch: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 347,19 Juden: Mysterienspiele 529,18; 530,22 532,6f Judenmission: Mission 38,1 f Judentum: Mission 20,36ff; 24,19; 35,52f; Monotheismus 236,36; 249,1 ff; Mose ben Maimon 357,48 ff; Musik und Religion 446,52 ff; Nachfolge Jesu 679,20; 710,47; Nächster 716,21 f (hellenistisches): Monotheismus 250,28 f; Nächster 721,17 (rabbinisches): Monotheismus 251,47f Jünger Jesu: Mission 24,44; 26,3 Juhannan Barbur: Monophysiten 231,33 Julian v. Halikarnaß: Monophysiten 219,41; 220,16ff; 228,31 f Juliana v. Norwich: Mönchtum 171,10; Mystik 570,32; 571,20 Jung, Carl Gustav: Mythos 598,25; 663,26 Jurte: Monogolische Religion 210,9 Justin I., byz. Kaiser: Monophysiten 228,9 Justin II., byz. Kaiser: Monophysiten 230,19 Justin der Märtyrer: Mission 62,14; Monotheismus 260,1 Justinian, Kaiser: Mission 35,4; Monophysiten 228,15f Juvenal v. Jerusalem: Monophysiten 225,8 Kabbala: Monotheismus 254,8; Mose ben Maimon 360,47; Mose ben Nachman 364,9; Nächster 718,17 Kabirenkulte: Mysterien/Mysterienreligionen 506,37 Kahler, Martin: Missionswissenschaft 92,40 Kaisertum und Papsttum: Mittelalter 117,12 Kaiandion von Antiochien: Monophysiten 226,37 Kali: Muttergottheiten 500,50
Namen/Orte/Sachen Kalthoff, Albert: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 216,5 K a m b o d s c h a : M i s s i o n 19,3 K a m o s c h : M o a b und Israel 127,14 Kandinsky, Wassily: M y s t i k und Kunst 5 9 5 , 3 8 K a n n o n : Muttergottheiten 5 0 1 , 3 1 K a n o n von Tarsos: M o n o p h y s i t e n 2 3 0 , 4 3 Kanonistik: M o r u s 3 2 7 , 4 4 K a n t , Immanuel: Mitleid 106,52; M o r a l Sense 2 9 0 , 5 2 ; M o r a l t h e o l o g i e 2 9 6 , 2 5 ; M u s i k und Religion 4 6 8 , 3 7 ; 4 7 1 , 4 9 ; M y t h o s 5 9 8 , 3 4 ; 651,26; 659,44 Kantate: M u s i k und Religion 4 6 5 , 1 7 Kapelle: M u s i k und Religion 4 5 5 , 4 9 Kapital: M i t b e s t i m m u n g 101,31 Kapuziner: M i s s i o n 4 4 , 1 3 ; M ö n c h t u m 179,4 Karäer: M i s c h e h e 6 , 2 6 Karl V., Kaiser: M o r i t z von Sachsen 3 0 5 , 3 f; M o r o n e 321,18 Karl der G r o ß e : M u s i k und Religion 4 5 5 , 1 4 Karl M a r t e l l : M i s s i o n 19,35 Karmeliter: M i s s i o n 4 4 , 1 3 ; M ö n c h t u m 173,38; 179,5: Mystik 5 7 2 , 5 Kartäuser: Mystik und Kunst 5 9 2 , 3 5 Katalonien: Mysterienspiele 5 3 1 , 2 5 Katechumenat: Mission 34,43 Katharer: M i s c h e h e 9,3; M ö n c h t u m 173,21; Montpellier 2 8 3 , 5 0 Katharina von Siena: M y s t i k 5 7 0 , 3 2 Katholische R e f o r m : M i s s i o n 4 4 , 8 ; M ö n c h t u m 178,26; Mystik 5 7 2 , 3 Keplerbund: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 2 1 6 , 3 8 Kerala: Mission 4 5 , 1 7 Kerenyi, Karl: M y t h o s 5 9 9 , 4 ; 6 5 3 , 1 2 Ketschua: M i s s i o n 4 2 , 1 8 f Ketzer: M ö n c h t u m 173,34 Keyserling, G r a f H e r m a n n : M y s t i k 5 9 1 , 9 Keyßer, Christian: M i s s i o n 5 2 , 1 0 ; 6 1 , 2 Kiefer, Anselm: M y s t i k und Kunst 5 9 5 , 3 3 Kierkegaard, Sören Aaby: N a c h f o l g e Jesu 6 9 5 , 4 7 f; N ä c h s t e r 725,1 Kilian: M ö n c h t u m 165,7 Kirche: M i s s i o n 2 8 , 3 9 ; 5 9 , 3 0 f f ; 6 8 , 2 1 ; M i t t e l a l t e r 118,33; M ö h l e r 142,18; M ö n c h t u m 172,4; M o r u s 3 2 7 , 1 2 f; M ü n t z e r 4 2 1 , 3 ; M u s i k und Religion 4 7 9 , 1 8 ; 4 8 8 , 3 6 f; M u ß e 4 9 6 , 3 7 f; M y t h o s 6 5 6 , 2 4 ; N a c h f o l g e Jesu 683,4; 704,5; Name/Namengebung 763,6 K i r c h e von England: M o d e r n i s m u s 1 3 6 , 4 2 f; Musculus 440,44 K i r c h e n b a u : M y t h o s und Kunst 6 6 7 , 1 8 Kirchengeschichte: Missionswissenschaft 9 0 , 1 ; M ö h l e r 141,5 Kirchengeschichtsschreibung: M i t t e l a l t e r 114,5 f; M ö h l e r 141,5 f; M o s h e i m 3 6 6 , 3 7 f; M ü l l e r , K. 4 0 0 , 3 8 K i r c h e n j a h r : Mysterienspiele 5 3 1 , 3 Kirchenkritik: M i s s i o n 6 8 , 4 3 Kirchenmusik: M o t e t t e 3 7 1 , 4 4 ; M u s i k und Religion 4 6 0 , 2 3 f; 4 9 1 , 3 9 f Kirchenordnung: M ü h l e n b e r g 3 9 0 , 4 0 Kirchenordnungen: Philadelphia 1762: M ü h l e n b e r g 3 9 1 , 6 Sachsen, H e r z o g t u m 1543: M o r i t z von Sachsen 3 0 4 , 1 3 Kirchenrecht: M ö n c h t u m 1 7 1 , 3 4 , 176,5
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Kirchenreform: Nachfolge Jesu 704,3 Kirchenregiment: Musculus 4 4 0 , 2 6 Kirchenregiment, Landesherrliches: M ü l l e r , K. 402,4 Kirchentage: M ü l l e r , J . 3 9 6 , 5 Kirchenväter: N a c h f o l g e J e s u 6 8 6 , 4 7 Kirchenverfassung: M ü l l e r , K. 4 0 1 , 5 4 Klee, Paul: M y s t i k und Kunst 5 9 5 , 3 1 Kleine Brüder von Bethlehem: M ö n c h t u m 185,12 Kleine Schwestern von Bethlehem und der A u f n a h m e M a r i a s in den H i m m e l : M ö n c h t u m 185,3 Klönne, F.: M ö n c h t u m 182,44 Klöster und Stifte: C a m a l d o l i : M ö n c h t u m 170,51 Citeaux: Mönchtum 171,25 Cluny: M ö n c h t u m 1 7 0 , 2 8 ; M u s i k und Religion 4 5 5 , 2 6 G r a n d e Chartreuse: M ö n c h t u m 171,1 Konstantinopel, Studios-Kloster: M ö n c h t u m 168,4 Limoges, St. M a r t i a l : Mysterienspiele 5 2 8 , 4 Port R o y a l : M ö n c h t u m 180,34 Sankt V i k t o r : M y s t i k 5 6 4 , 4 9 V a l l o m b r o s a : M ö n c h t u m 170,53 Kloster: M ö n c h t u m 144,15 Knitter, Paul: M i s s i o n 6 3 , 4 7 Koelle, Sigismund W i l h e l m : M i s s i o n 5 5 , 6 König: M y t h o s 6 3 1 , 4 Königsberg: M ö r l i n 1 9 3 , 5 4 f f Königsberger Bund: M o r i t z von Sachsen 3 0 6 , 4 4 Königtum: M i t t e l a l t e r 117,1 Koinobiten: M ö n c h t u m 160,45 ff Kollyvades: M y s t i k 5 7 6 , 4 0 Kolonialismus: M i s s i o n 4 3 , 1 3 Konfessionalismus: M ö h l e r 141,31 Kongregation für die Evangelisierung der Völker: Mission 65,20 Kongregationalismus: M i s s i o n 4 7 , 2 4 Konsistorium: M ü l l e r , K. 4 0 2 , 1 0 Konstans II., r ö m . Kaiser: M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 6 , 5 0 Konstantin I., d. G r . : M i s s i o n 3 1 , 3 9 ; 3 4 , 2 9 ; M y t h o s und Kunst 6 6 7 , 2 f Konstantin IV., Kaiser: M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 7 , 2 1 Konstantinopel: M o n o p h y s i t e n 2 2 4 , 5 1 ; 2 2 7 , 3 3 f Konstantius, r ö m . Kaiser: M i s s i o n 3 4 , 3 9 Kontemplation: Mystik 553,18; 554,45; 555,33; 559,5; 565,41; 569,38 Kontextualisierung: Missionswissenschaft 96,5 Kontextuelle T h e o l o g i e : M i s s i o n 7 0 , 4 4 f Kontingenz: M y t h o s 6 0 1 , 3 0 Konversen: M ö n c h t u m 171,5 Konversion: M i s s i o n 2 0 , 3 8 f; N a m e / Namengebung 755,35 Konzert: M u s i k und Religion 4 7 1 , 3 2 Konzil: M o r u s 3 2 8 , 5 f Koptische Kirche: M ö n c h t u m 157,51 Koptische Literatur: N a g H a m m a d i 7 3 1 , 3 5 ff Korachiten: M u s i k und Religion 4 4 3 , 5 Koran: Name/Namengebung 745,27 Korbinian von Freising: M ö n c h t u m 165,9 Korea: M i s s i o n 19,6 Kosmographie: M ü n s t e r , Seb. 4 0 7 , 2 7
790
Namen/Orte/Sachen
Kosmologie: M y t h o s 6 0 5 , 6 Kraemer, Hendrik: Mission 54,14 Kraus, Franz X a v e r : M o d e r n i s m u s 132,18 K r e t s c h m a r , G e o r g : M ö n c h t u m 159,33 Kreuz: M i s s i o n 26,11; 2 9 , 4 3 ; M y t h o s 6 5 6 , 1 5 ; Nachfolge J e s u 6 8 5 , 4 7 ; 6 9 4 , 1 8 Kreuzzüge: M i s s i o n 19,37; 3 7 , 1 0 ; 3 8 , 3 5 ; 4 1 , 2 9 Kublai K h a n : M i s s i o n 3 8 , 4 4 Künneth, Walter: M i t b e s t i m m u n g 103,45 Kuhn, J o h a n n e s Evangelist: M o r a l t h e o l o g i e 296,43 Kult: M o r m o n e n 3 1 4 , 4 8 ; M u s i k und Religion 4 7 9 , 4 4 ; Muttergottheiten 4 9 8 , 1 3 ; Mysterien/Mysterienreligionen 5 0 4 , 1 0 ff; Nahum/Nahumbuch 739,12 Kultmusik: M u s i k und Religion 4 4 1 , 3 1 ff; 442,19ff Kultur: M i s s i o n 7 2 , 1 ; N a c h f o l g e Jesu 6 9 6 , 1 8 Kulturanthropologie: M i s s i o n 7 2 , 4 Kulturkampf: M i s c h e h e 9 , 3 2 ; M ü n s t e r , Univ. 410,45 Kulturmythos: M y t h o s 6 3 0 , 3 9 Kunst: M y s t i k und Kunst 5 9 2 , 6 ff; M y t h o s 602,45; 659,37 Kurtz, J o h a n n Nikolaus: M ü h l e n b e r g 3 9 0 , 2 Kybele: M u t t e r g o t t h e i t e n 5 0 0 , 3 ; M y s t e r i e n / Mysterienreligionen 5 0 9 , 4 5 Kyniker: N a c h f o l g e Jesu 6 7 9 , 4 1 Kyrill v. Skythopolis: M o n o p h y s i t e n 2 2 5 , 1 5 ; 229,27 Kyros v. Alexandrien: M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 6 , 1 8 Kyros v. Phasis: M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 6 , 3 L a b e r t h o n n i e r e , Lucien: M o d e r n i s m u s 131,40; 135,43 Laien: M i t t e l a l t e r 116,43 Laienbrüder: M ö n c h t u m 171,5 Lainez, J a k o b : M o r o n e 3 2 1 , 1 0 L a k e , Kirsopp: M o d e r n i s m u s 137,1 L a m a i s m u s : M ö n c h t u m 147,4; M o n g o l i s c h e Religion 2 0 9 , 1 6 ; 2 1 1 , 1 4 ; Muttergottheiten 501,23 L a m a r c k , J e a n Baptiste de: M o d e r n i s m u s 133,11 Lang, Andrew: Monotheismus 234,34 L a n g h a n s , Ernst Friedrich: Missionswissenschaft 9 0 , 2 7 L a n g m a n n , Adelheid: Mystik und Kunst 5 9 3 , 1 7 L a o s : M i s s i o n 19,3 Laski, J o h a n n : Modrzewski 138,26 L a s s o , O r l a n d o di: M o t e t t e 3 7 2 , 6 Latein: M i t t e l a l t e r 118,33 Lateinamerika: Nachfolge Jesu 701,44 L a u n , Justus Ferdinand: M o r a l i s c h e Aufrüstung 292,48 L a u r a : M ö n c h t u m 168,25 Lavelle, Louis: Mystik 5 9 1 , 2 8 Lavigerie, Charles M a r t i a l Allemand: M i s s i o n 51,27; 79,5 L a w , W i l l i a m : Mystik 5 7 5 , 4 9 L a y m a n n , Paul: M o r a l t h o l o g i e 2 9 5 , 2 6 Leben: M u ß e 496,23; Mystik 567,30 Lebensphilosophie: M y s t i k 5 9 1 , 7 Lebon, Joseph: Monophysiten 220,11 Lechler, Paul: M i s s i o n 7 7 , 4 0
Lechner, Leonhard: M o t e t t e 3 7 2 , 1 2 Legenda aurea: M y t h o s und Kunst 6 7 3 , 1 4 Legge, J a m e s : M i s s i o n 5 5 , 4 Lehnswesen: Mittelalter 1 1 6 , 3 6 Lehrer: M y s t i k 5 3 8 , 4 ff Leib: M y s t i k 5 5 3 , 2 9 Leibniz, Gottfried Wilhelm: Missionsgesellschaften/Missionswerke 8 2 , 5 ; Mittelalter 113,9 Leibowitz, Yeshayahu: M o n o t h e i s m u s 2 5 5 , 1 5 Leiden: Mitleid 105,5; M ü n t z e r 4 2 2 , 3 1 ; 4 2 3 , 1 7 f ; Nachfolge Jesu 687,14 Leier: M u s i k und Religion 4 4 5 , 6 Leipzig: M o r i t z von Sachsen 3 0 3 , 5 0 ff Leon I., byz. Kaiser: M o n o p h y s i t e n 2 2 5 , 3 1 Leonin: M u s i k und Religion 4 5 6 , 4 Leontius von Byzanz: M o n o p h y s i t e n 2 2 9 , 2 7 Lernen: M o t i v a t i o n 3 7 3 , 3 4 f f Le R o y , Edouard: M o d e r n i s m u s 131,42; 135,53 L e S a u x , D o m Henri: M ö n c h t u m 185,29 Levi ben G e r s o n : M o n o t h e i s m u s 2 5 3 , 2 1 Lévi-Strauss, Claude: M y t h o s 5 9 8 , 4 4 ; 6 1 0 , 4 3 ; 612,16; 654,44; 662,25 Lévinas, E m m a n u e l : M o n o t h e i s m u s 2 5 5 , 9 Liberale T h e o l o g i e : M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 215,31 Liberaler Katholizismus: M o n t a l e m b e r t 2 7 0 , 3 7 f Liberatus: M o n o p h y s i t e n 2 2 9 , 4 5 Liberia: Mission 4 9 , 3 5 L i b e r m a n n , Fran^ois-Marie-Paul: Mission 5 1 , 3 0 Licht: Mystik 5 4 1 , 6 ; 5 6 1 , 4 4 Lichtenberg, J o s e p h D.: M o t i v a t i o n 3 7 4 , 3 9 Liebe: M i b e s t i m m u n g 103,13; Mitleid 105,11; Muttergottheiten 4 9 8 , 4 1 ; 5 0 1 , 3 4 ; Mystik 537,14; 540,8; 564,21; Mythos 657,40; Nächster 716,22.34 Liebesgebot: Nächster 7 1 3 , 4 5 f; 7 2 0 , 1 2 Liguori, Alfons M a r i a von: M o r a l t h e o l o g i e 296,1 L i n s e n m a n n , Franz X a v e r : M o r a l t h e o l o g i e 296,37 Lippe: M ü n s t e r , Univ. 4 1 3 , 3 2 Lipsius, Justus: Mittelalter 1 1 2 , 4 9 Liszt, Franz: M u s i k und Religion 4 7 4 , 3 3 Literaturwissenschaft: M o f f a t t 197,52 Liturgie: M u s i k und Religion 4 5 3 , 2 7 ff; 4 6 2 , 1 2 ; Mysterienspiele 5 2 7 , 2 9 ; M y s t i k 5 5 9 , 2 1 ; 561,18; Nahum/Nahumbuch 739,12 Liturgik: M u s i k und Religion 4 6 6 , 4 4 ; 4 7 9 , 3 4 ; 481,35 Liturgische Spiele: Mysterienspiele 5 2 7 , 2 8 f Liutizen: M i s s i o n 37,11 Livingstone, David: M i s s i o n 4 9 , 4 7 L o c k e , J o h n : M o n t e s q u i e u 2 8 0 , 2 7 ; M o r a l Sense 286,9; Name/Namengebung 748,54 Logstrup, Knud E.: N ä c h s t e r 7 2 5 , 2 L ö h e , W i l h e l m : Missionsgesellschaften/ Missionswerke 84,4 Logik: M y t h o s 6 0 4 , 1 0 ; 6 5 5 , 9 ; N a m e / Namengebung 749,6 Logos: M u s i k und Religion 4 6 1 , 2 4 ; Mystik 553,20 Loisy, Alfred Firmin: M o d e r n i s m u s 130,34; 131,26; 133,33; 134,23 f Lopez, G r e g o r i o (Gregor L o Wentsao): Mission 45,12
Namen/Orte/Sachen Lossky, Vladimir: Mystik 578,49 Loyalität: M i t b e s t i m m u n g 102,3 Ludewig, J o h a n n Peter: Mittelalter 111,31 Ludwig I., Kg. v. Bayern: München 403,42 Lukasevangelium: N a c h f o l g e Jesu 684,42f Lullus, R a i m u n d u s : Missionswissenschaft 90,52 Luther, Martin: M i s s i o n 46,28; Mittelalter 113,41; M ö n c h t u m 175,42ff; Mörlin 195,31; M o l i n a / M o l i n i s m u s 200,5; Münster, Seb. 407,17 f; Müntzer 415,49 ff; 427,20; Murner 437,29f; M u s i k und Religion 461,4ff; Mystik 571,40; 586,8; N a c h f o l g e Jesu 692,6 f; 703,28; 704,41; N a m e / N a m e n g e b u n g 761,11 Lutherische Kirchen: Mühlenberg 388,49 ff Luzern: Mysterienspiele 529,32 Lyon: M o n t a n i s m u s 273,31 M a c a u : Mission 44,2 M a c h a u t , G u i l l a u m e de: Musik und Religion 456,14 Macht: Mitbestimmung 99,11 M a c r o b i u s : M y t h o s und Kunst 672,7 M a d r a s : Mission 44,44 M ä n a d e n : Mysterien/Mysterienreligionen 506,51 Märtyrer: N a m e / N a m e n g e b u n g 762,3 Märtyrerakten: N a c h f o l g e Jesu 687,26 M a g n a M a t e r : Muttergottheiten 498,9ff; 500,3; Mysterien/Mysterienreligionen 510,15 Mahavira: M ö n c h t u m 146,18 Mahler, Gustav: M u s i k und Religion 478,46 M a i m o n i d e s s. M o s e ben M a i m o n M a j o r , Henry D . A . : M o d e r n i s m u s 137,2 M a k a r i u s (Symeon von M e s o p o t a m i e n ) : Mystik 555,51 M a k a r i u s der Ägypter: M ö n c h t u m 180,29 M a k a r i u s von Antiochien: Monenergetischmonotheletischer Streit 207,36 M a k a r i u s von Korinth: Mystik 576,43 M a l b i m : Nächster 717,33 Malebranche, N i c o l a s : M o n t a i g n e 268,14 Malinowski, Bronislaw: M y t h o s 653,4 M a n a s s e : N a h u m / N a h u m b u c h 740,5 Manethon: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 352,50 Mani: M ö n c h t u m 148,28; N a c h f o l g e J e s u 710,23 Manichäismus: M ö n c h t u m 148,27 f; N a c h f o l g e Jesu 710,21 f Marburger Kreis: Moralische Aufrüstung 294,10 Maresius, Samuel: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 82,4 M a r i a : Mysterienspiele 528,35; 531,34; Mystik und Kunst 594,11 M a r i a Theresia, Kaiserin: M ö n c h t u m 181,16 Marianen: M i s s i o n 41,47 Marienschwesternschaft: M ö n c h t u m 186,9 Marillac, Louise de: M ö n c h t u m 179,41 Maritain, J a c q u e s : Moraltheologie 297,24 M a r k i a n , Kaiser: Monophysiten 225,5 Markusevangelium: N a c h f o l g e Jesu 683,22 Marranen: Mission 22,39 M a r s d e n , Samuel: Mission 50,10 M a r t i a n u s Capella: M y t h o s und Kunst 672,7; 673,28 Martin v. Tours: Mission 32,44; M ö n c h t u m 165,3
791
Martyrium: Mission 30,11; 34,2; M o n t a n i s m u s 275,1; Mystik 540,42; 549,12ff; N a c h f o l g e Jesu 683,23 f; 687,14 f M a r x / M a r x i s m u s : Mittelalter 114,48; M y t h o s 623,33 M a s l o w , A b r a h a m H.: Motivation 374,48 Massenmedien: Mission 71,32f M a t h e m a t i k : M u s i k und Religion 461,16 M a t t ä al-Miskin (Matthäus der Arme): M ö n c h t u m 184,2 Matthäusevangelium: N a c h f o l g e J e s u 683,43f Maurenbrecher, M a x : M o n i s m u s / M o n i s t e n bund 215,44 Mauricius, byz. Kaiser: Monophysiten 231,27 M a u s b a c h , Josef: Moraltheologie 297,17; Münster, Univ. 412,2 Maximilian II., Kg. v. Bayern: München 404,2 M a x i m i l l a : M o n t a n i s m u s 272,14; 273,28; 274,23 M a x i m u s Confessor: Monenergetischmonotheletischer Streit 205,40ff; Mystik 560,46 f M a y h e w , T h o m a s : Mission 47,28 M a z o o m d a r , Protap Chancra: N a c h f o l g e Jesu 712,33 M c K a y , David O.: M o r m o n e n 312,43 Mechthild von M a g d e b u r g : Mystik 570,31 Meer: Mystik 541,29 Meerlied: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 337,20 f Meister: Mystik 538,5 ff Mel, Konrad: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 82,5 Melanchthon, Philipp: Mörlin 194,40; 195,6 f; Moritz von Sachsen 305,53 f; M y t h o s und Kunst 669,49 Melito von Sardes: M o n t a n i s m u s 272,25 M e m b r a p h o n e : M u s i k und Religion 445,18 M e n a s : Monenergetisch-monotheletischer Streit 206,4 Mendelssohn, Arnold: M u s i k und Religion 476,53 Mendelssohn-Bartholdy, Felix: Motette 372,41; Musik und Religion 471,32; 476,1 Mensch: M o s e ben M a i m o n 358,9; Müntzer 422,50; Mystik 548,3; 582,1; M y t h o s 598,29; 615,36 f; 657,20; N a m e / N a m e n g e b u n g 761,16; 763,17 Menschenbild: Mystik 543,8 Merici, Angela: M ö n c h t u m 179,16 Merseburg (Bistum): M o r i t z von Sachsen 304,30 M e r t o n , T h o m a s : M ö n c h t u m 185,32; Mystik 578,21 Mesa c -Stele: M o a b und Israel 127,39 M e s o p o t a m i e n : Muttergottheiten 498,39; M y t h o s 619,5 Messalianer: Mystik 556,1 Messe: Murner 437,36; M u s i k und Religion 460,28; 462,8 f Messiaen, Olivier: M u s i k und Religion 479,8 Messias: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 343,11; M o s e ben N a c h m a n 364,20 Metapher: Mystik 540,7 Methodistische Kirchen: M o u l t o n 382,36 M e x i k o : Mission 41,46; 42,15
792
Namen/Orte/Sachen
M i c h a e l (Erzengel): M o s e / M o s e l i e d / Mosesegen/Moseschriften 348,39 M i c h e e l s e n , H a n s Friedrich: M u s i k und Religion 4 8 2 , 3 4 Midian: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 333,9 Midrasch: Name/Namengebung 762,41 M i l h a u d , Darius: M u s i k und Religion 4 7 9 , 7 M i l l a r , R . : Missionswissenschaft 9 1 , 2 1 Miltiades: M o n t a n i s m u s 2 7 2 , 1 3 minhag: M i s c h e h e 3 , 2 2 M i n o c c h i , Salvatore: M o d e r n i s m u s 132,4 M i n u c i u s Felix: 1 - 3 Mirakelspiele: Mysterienspiele 5 2 8 , 2 7 ; 5 2 9 , 1 0 M i r j a m : M u s i k und Religion 4 4 1 , 4 4 Mirjamlied: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 334,7 Mischehe: 3 - 1 3 M i s c h n a : 1 3 - 1 8 ; M i s c h e h e 4 , 3 7 ; M o s e ben Maimon 357,22 M i s s i o n : 1 8 - 8 0 ; M ö n c h t u m 173,4; 174,25; 181,5; M o t t 3 7 9 , 4 4 ff; N a c h f o l g e J e s u 6 8 2 , 2 7 ; Name/Namengebung 755,37; 761,49 f M i s s i o n a r : M i s s i o n 6 9 , 2 2 ff Missionary Register: M i s s i o n 5 2 , 4 7 Missionary Review o f the World: M i s s i o n 5 3 , 2 5 Missionsgesellschaften/Missionswerke: 8 1 - 8 8 American B o a r d o f C o m m i s s i o n e r s for Foreign Missions: M i s s i o n 4 8 , 5 1 American C o l o n i z a t i o n Society: M i s s i o n 49,34 American M e d i c a l M i s s i o n a r y College: Mission 75,20 Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler M i s s i o n e n : Missionsgesellschaften/ Missionswerke 85,43 Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Missionsgesellschaften in der D D R : Missionsgesellschaften/Missionswerke 85,45 Basler M i s s i o n : M i s s i o n 7 4 , 2 4 Berliner Verein für ärztliche M i s s i o n : M i s s i o n 77,9 Berner Verein für ärztliche M i s s i o n : M i s s i o n 76,50 B r e m e r Verein für ärztliche M i s s i o n : Mission 77,18 British and Foreign Bible Society: M i s s i o n 49,3 Brüdermission: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 83,31 Childrens M e d i c a l M i s s i o n a r y Society: Mission 75,6 China Inland M i s s i o n : M i s s i o n 4 9 , 4 9 ; 51,14 C h u r c h M i s s i o n a r y Society: M i s s i o n 4 9 , 1 9 C o m m u n a u t é Evangélique d'Action Apostolique: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 85,53 Council for Worlds M i s s i o n : Missionsgesellschaften/Missionswerke 86,6 Dänisch-hallische M i s s i o n : M i s s i o n 4 0 , 2 0 ; 7 3 , 5 2 ; Missionsgesellschaften/ Missionswerke 83,27 Delhi M e d i c a l M i s s i o n t o W o m e n and Children: M i s s i o n 7 5 , 3 2
Deutscher Evangelischer M i s s i o n s b u n d : Missionsgesellschaften/Missionswerke 85.25 Deutscher Evangelischer M i s s i o n s t a g : Missionsgesellschaften/Missionswerke 85.26 Deutsches Institut für ärztliche M i s s i o n : M i s s i o n 7 7 , 4 2 f; 7 8 , 2 2 f Divine Life Society: M i s s i o n 2 0 , 1 8 Edinburgh M e d i c a l M i s s i o n a r y Society: Mission 74,43 Evangelical Missions Association: M i s s i o n 54,28 Evangelisch-lutherische Missionsgesellschaft in Sachsen: Missionsgesellschaften/ M i s s i o n s w e r k e 84,13 Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Weltmission: Missionsgesellschaften/ M i s s i o n s w e r k e 85,27 Evangelische Missionsgesellschaft in Basel: Mission 49,6; 50,24; 74,24 Evangelisches M i s s i o n s w e r k : Missionsgesellschaften/Missionswerke 85,36 G e m e i n s c h a f t der Missionshelferinnen: Mission 79,25 Gesellschaft der Weißen V ä t e r : M i s s i o n 5 1 , 2 6 Gesellschaft des G ö t t l i c h e n Wortes: Missionsgesellschaften/Missionswerke 82,18; M ö n c h t u m 182,24 Gesellschaft für die afrikanische M i s s i o n : Mission 51,25 G o ß n e r s c h e r Hilfsverein für Krankenpflege auf den M i s s i o n s s t a t i o n e n : M i s s i o n 7 7 , 2 G w a t t - P r o z e ß : Missionsgesellschaften/ M i s s i o n s w e r k e 87,33 H e r m a n n s b u r g e r - H a n n o v e r s c h e r Verein für ärztliche M i s s i o n : M i s s i o n 7 7 , 1 7 H o m e Medical Mission: Mission 74,45 Interdenominational Foreign M i s s i o n s Association: M i s s i o n 5 4 , 2 7 International M e d i c a l M i s s i o n a r y Society: Mission 75,14 Kongregation v o m Hl. Geist: M i s s i o n 5 1 , 2 8 L a u s a n n e r Komitee für Weltevangelisation: Mission 54,31 Leipziger M i s s i o n : M i s s i o n 5 1 , 7 ; Missionsgesellschaften/Missionswerke 87,35 Les amis du bouddhisme: M i s s i o n 1 9 , 1 4 Livingstone M e m o r i a l M e d i c a l Missionary Training Institution: M i s s i o n 7 4 , 5 1 L o n d o n M e d i c a l M i s s i o n a r y Association: Mission 75,2 L o n d o n M i s s i o n a r y Society: M i s s i o n 4 8 , 4 6 ; Missionsgesellschaften/Missionswerke 83 L 44; 8 6 , 6 M a h a b o d h i - G e s e l l s c h a f t : M i s s i o n 19,9 M e d i c a l Missionary Society in C h i n a : Mission 75,38 M i s s i o n to Lepers: M i s s i o n 5 1 , 1 5 M i s s i o n a r i n n e n der Nächstenliebe: M ö n c h t u m 184,41 M i s s i o n a r i s c h e Brüder der Nächstenliebe: Mönchtum 184,49 M i s s i o n a r y Society: M i s s i o n 4 8 , 4 5
Namen/Orte/Sachen Missionskongregation vom Hl. Herzen Mariens: Mission 51,29 Ostfriesischer Verein für ärztliche Mission: Mission 77,19 Rheinischer Verein für ärztliche Mission: Mission 77,3 Schwestern vom hl. Josef von Cluny: Mission 51,20 Société des Missions Etrangères de Paris: Mission 46,18; Missionsgesellschaften/Missionswerke 82,13 Société Evangélique des Missions de Paris: Mission 49,8 Society for Promoting Christian Knowledge: Mission 47,52; Missionsgesellschaften/ Missionswerke 83,22 Society for the Propagation of the Gospel in Foreign Parts: Mission 47,53; Missionsgesellschaften/Missionswerke 83,23 Student Volunteer Mission Union: Mission 53,18 United in Mission: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 87,29 United Society: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 83,37 Universities' Mission: Mission 50,49 Väter vom Hl. Geist: Mönchtum 182,24 Verband der deutschen Vereine für ärztliche Mission: Mission 77,13 Verein für ärztliche Mission: Mission 76,34 Weiße Väter: Mission 79,5; Mönchtum 182,24 Werk der Glaubensverbreitung: Mission 51,22 Würzburger Institut für Missionsärztliche Fürsorge: Mission 79,14 Zenana Bible and Médical Mission: Mission 75,12 Missionskonferenzen: Mission 52,52 ff; Edinburgh 1910: Mott 380,15 Missionsorden: Mission 51,18 f Missionstheorie: Mission 51,41 f Missionswissenschaft: 8 8 - 9 8 Mitbestimmung: 9 9 - 1 0 4 Mithraskult: Mysterien/Mysterienreligionen 514,13 f¥ Mitleid: 1 0 5 - 1 1 0 ; Mystik 590,30 Mitmensch: Nächster 719,13 Mitmenschlichkeit: Nächster 728,22 f Mittelalter: 1 1 0 - 1 2 1 ; Mythos und Kunst 668,47 Mizpa: 1 2 1 - 1 2 4 M o a b und Israel: 1 2 4 - 1 2 9 Modena: Morone 319,7; 322,40 Modena, Leon: Musik und Religion 449,53 Modernismus: 1 2 9 - 1 3 8 Modrzewski, Andrzej Frycz: 1 3 8 - 1 4 0 Möhler, Johann Adam: 1 4 0 - 1 4 3 ; Mittelalter 114.10 Mönchsregeln: Mönchtum 162,6f; 165,41 f; 166.11 f Mönchsvita: Mönchtum 165,54 Mönchtum: 1 4 3 - 1 9 3 ; Mission 35,13 f; Mittelalter 114,39; 116,43; 119,21 f; Musik und Religion 454,2 ff; Mystik 542,40; 555,10; 558,20; 562,25; Mythos und Kunst 669,9; Nachfolge Jesu 684,19; 688,17ff Mörlin, Joachim: 1 9 3 - 1 9 6
793
Moffatt, James: 1 9 6 - 1 9 9 Molcho, Schlomo: Mission 22,47 Molina/Molinismus: 1 9 9 - 2 0 3 Molinos, Miguel de: 203 - 2 9 5 ; Mystik 574,32 Moltmann, Jürgen: Monotheismus 258,27 Monarchianismus: Monotheismus 260,21 Monarchie: Montesquieu 280,37 Monenergetisch-monotheletischer Streit: 205 - 2 0 9 Mongolen: Mission 37,15 Mongolische Religion: 2 0 9 - 2 1 1 Monismus/Monistenbund: 2 1 2 - 2 1 9 Monolatrie: Monotheismus 237,52 Monophysiten: 2 1 9 - 2 3 3 : Monenergetischmonotheletischer Streit 205,31 Monotheismus: 2 3 3 - 2 6 2 Monotheletismus: Monenergetischmonotheletischer Streit 205,39 ff Montaigne, Michel-Eyquem de: 2 6 2 - 2 7 0 Montalembert, Charles de: 2 7 0 - 2 7 1 Montanismus: 2 7 1 - 2 7 9 Montanus: Montanismus 273,3 f Montesquieu, Charles-Louis de Secondat: 279-282 Montgelas, Maximilian Joseph v.: München 403,13 Montpellier: 2 8 2 - 2 8 4 Moody, Dwight Lyman: Mission 53,17; Mott 379,34 Moral: Nachfolge Jesu 702,45 f Moral Sense: 2 8 4 - 2 9 1 Moralische Aufrüstung: 2 9 1 - 2 9 4 Moralphilosophie: Moral Sense 284,44 ff Moraltheologie: 2 9 5 - 3 0 2 More, Henry: Monotheismus 257,12 Morhof, Daniel Georg: Mittelalter 111,30 Moritz von Sachsen: 3 0 3 - 3 1 1 Mormonen: 3 1 1 - 3 1 8 Morone, Giovanni: 3 1 8 - 3 2 4 Morus, Thomas: 325—330 Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 3 3 0 - 3 5 7 ; Mystik 554,30; Mystik und Kunst 594,21 Mose ben Maimon: 357—362; Mischna 13,19; 16,35; Monotheismus 253,3 f; Mose ben Nachman 362,49 f; Musik und Religion 449,36; Nächster 718,47 Mose ben Nachman: 3 6 2 - 3 6 5 ; Nächster 717,33 Mosheim, Johann Lorenz von: 365 - 3 6 7 Moskau: 3 6 7 - 3 7 1 Motette: 3 7 1 - 3 7 3 ; Musik und Religion 456,11; 458,12; 461,32 Motivation: 3 7 3 - 3 7 9 Mott, John R . : 3 7 9 - 3 8 2 ; Mission 53,22; Moralische Aufrüstung 291,49 Moulton, James Hope: 3 8 2 - 3 8 4 Mowinckel, Sigmund: 3 8 4 - 3 8 8 Mozart, Wolfgang Amadeus: Musik und Religion 469,9 Mühlenberg, Heinrich Melchior: 3 8 8 - 3 9 3 Mühlhausen: Müntzer 418,19 Müller, Friedrich M a x : 3 9 3 - 3 9 4 Müller, Georg Friedrich: Mission 74,31 Müller, Julius: 3 9 4 - 3 9 9 Müller, Karl: 3 9 9 - 4 0 3 München, Universität: 403 - 4 0 6
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Namen/Orte/Sachen
Münster, Sebastian: 4 0 7 - 4 0 9 Münster, Universität: 4 0 9 - 4 1 4 Müntzer, T h o m a s : 4 1 4 - 4 3 6 ; N a c h f o l g e J e s u 693,7 M u h a m m e d : M ö n c h t u m 149,8; N a m e / Namengebung 745,30 Murner, Thomas: 4 3 6 - 4 3 8 M u r r i , R o m o l o : M o d e r n i s m u s 132,6 M u s c u l u s , Wolfgang: 4 3 9 - 4 4 1 M u s i k und Religion: 4 4 1 - 4 9 5 Musikinstrumente: M u s i k und Religion 4 4 5 , 2 M u s i k , Alois: M o a b und Israel 127,43 Muße: 495 - 4 9 7 Mutschelle, Sebastian: M o r a l t h e o l o g i e 2 9 6 , 2 7 Muttergottheiten: 4 9 7 - 5 0 3 M u t t e r r e c h t : Muttergottheiten 5 0 1 , 3 9 f Mysterien/Mysterienreligionen: 5 0 4 - 5 2 6 ; Muttergottheiten 4 9 8 , 1 5 Mysterienspiele: 5 2 7 - 5 3 3 Mystik: 5 3 3 - 5 9 2 ; Mission 63,34; Mönchtum 174,27; M o l i n o s 2 0 3 , 1 4 f; M ü n t z e r 4 2 0 , 1 0 ; M u s i k und Religion 4 6 5 , 4 1 ; 4 8 0 , 6 ; N a c h f o l g e Jesu 693,15; 695,33 M y s t i k und Kunst: 5 9 2 - 5 9 7 Mythologie: Mythos 602,27 f Mythos: 5 9 7 - 6 6 5 M y t h o s und Kunst: 6 6 5 - 6 7 8 N a b a t ä e r : M o a b und Israel 1 2 7 , 1 0 Nachfolge Jesu 6 7 8 - 7 1 3 ; M i s s i o n 2 4 , 3 7 ; M y s t i k 549,14 Nachmanides s. M o s e ben N a c h m a n N a c h t : Mystik 5 4 1 , 2 5 ; 5 7 3 , 9 Nadal, Jeronimo: Morone 321,10 Nächstenliebe: N ä c h s t e r 7 1 3 , 4 5 f ; 7 2 0 , 1 2 ; 721,16f Nächster: 7 1 3 - 7 3 1 Nag Hammadi: 7 3 1 - 7 3 6 Nahum/Nahumbuch: 7 3 7 - 7 4 2 Name/Namengebung: 7 4 3 - 7 6 4 Name Gottes: Mystik 556,40 N a n t e s , Edikt von: M o n t p e l l i e r 2 8 3 , 2 f Napoleon: Mischehe 6,32 Narrheit: Mystik 5 4 3 , 1 7 Nationalismus: M y t h o s 6 2 3 , 4 6 Nationalkirche: M i s s i o n 3 5 , 1 6 Nationalsozialismus: N a m e / N a m e n g e b u n g 757,25 Nationalsozialismus und Kirchen: M ü n s t e r , Univ. 4 1 2 , 7 . 4 7 f; N a c h f o l g e Jesu 6 9 9 , 4 Natürliche Religion: M u s i k und Religion 465,51 Natur: Monismus/Monistenbund 212,22; M u s i k und Religion 4 6 8 , 4 ; M y t h o s 5 9 7 , 4 9 ; 611,17 Naturerleben: M u ß e 4 9 5 , 4 3 Naturmystik: Mystik 5 3 5 , 4 1 Naturphilosophie: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 214,32 Naturrecht: Mitleid 1 0 5 , 4 1 ; M o r a l t h e o l o g i e 296,7 Naturwissenschaft: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 214,8; M y t h o s 6 5 1 , 3 1 Nebukadnezar: M o a b und Israel 127,3 N e h e m i a b u c h : M i s c h e h e 5,8 ff Neolithikum: Muttergottheiten 4 9 8 , 2 8
N e r i , Filippo: M ö n c h t u m 178,38; Mystik und Kunst 5 9 4 , 5 0 N e s t o r i a n i s c h e Kirche: M i s s i o n 37,31 f; M o n g o l i s c h e Religion 2 1 1 , 7 Neuchalkedonismus: Monophysiten 229,31 Neudeutsche Schule: M u s i k und Religion 4 7 3 , 3 5 N e u e Prophetie: M o n t a n i s m u s 2 7 5 , 4 f N e u e Religionen: M y s t i k 5 4 4 , 1 8 Neues T e s t a m e n t : Mystik 5 4 8 , 2 4 ff; M y t h o s 621,42; 644,15ff; Nächster 720,4f; Name/Namengebung 753,15 N e u l u t h e r t u m : M u s i k und Religion 4 7 5 , 2 5 ; 479.45 Neuplatonismus: Mystik 557,30; 559,17; 563,51 Neuscholastik: M o r a l t h e o l o g i e 2 9 6 , 4 7 N e u ß , W i l h e l m : Mittelalter 117,24 Neuzeit: Mittelalter 115,50; M y t h o s 6 2 3 , 2 9 New-Age-Bewegung: M y s t i k 5 4 4 , 1 9 ; M y t h o s 607,27 N e w m a n , J o h n Henry: M o d e r n i s m u s 132,41; 133,15 Nicetas Stethatos: Mystik 5 6 2 , 1 0 Nicetas von R e m e s i a n a : M u s i k und Religion 454,21 Nicolai, Otto: Motette 372,41 N i c o l a i , Philipp: M i s s i o n 4 6 , 3 9 ; M u s i k und Religion 4 6 5 , 2 7 Nicole, Pierre: M o n t a i g n e 2 6 8 , 1 3 Niebuhr, Richard: Mission 72,7 Niederlande: M i s s i o n 4 7 , 1 : Mysterienspiele 529,42 f Nietzsche, Friedrich: Mitleid 107,24; M o n t a i g n e 268,45; Mystik 590,41; Mythos 598,15; Name/Namengebung 761,43 Nigermission: M i s s i o n 5 1 , 5 3 N i k e p h o r u s der Hesychiast: Mystik 5 6 2 , 3 5 N i k e p h o r u s Phokas: M ö n c h t u m 168,20 N i k o d e m u s Hagiorites: M y s t i k 5 7 6 , 4 3 N i k o l a u s Kabasilas: M y s t i k 5 6 3 , 3 1 N i k o l a u s v. Flüe: Mystik und Kunst 5 9 4 , 1 9 N i k o l a u s v. Kues: M i s s i o n 3 9 , 5 ; Mittelalter 111,6; M y s t i k 5 6 9 , 3 0 ; 5 8 6 , 4 ; 5 9 0 , 1 3 ; M y s t i k und Kunst 5 9 2 , 3 2 ; N a m e / N a m e n g e b u n g 748.46 N i k o n , Patriarch von M o s k a u : M o s k a u 3 6 9 , 3 Ninive: N a h u m / N a h u m b u c h 7 3 7 , 7 Nirväna: M y s t i k 5 4 1 , 3 9 Nitzsch, Carl Immanuel: M u s i k und Religion 472,24 N o b i l i , R o b e r t o de: M i s s i o n 4 4 , 4 4 f Noldin, Hieronymus: Moraltheologie 297,1 Nominalismus: Name/Namengebung 748,44 N o r b e r t von X a n t e n : M ö n c h t u m 171,19 Nordafrika: Montanismus 272,33; 275,33 f Nordamerika: Mühlenberg 388,50ff; 390,31 N o r m e n : M o r a l t h e o l o g i e 2 9 7 , 4 ; 3 0 0 , 1 3 ff N o r w e g e n : M i s c h e h e 10,41 N o t a t i o n : M u s i k und R e l i g i o n 4 5 5 , 1 9 Noth, Martin: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 3 3 1 , 3 Nouvelle T h e o l o g i e : M o r a l t h e o l o g i e 2 9 7 , 2 8 Novara: Morone 320,44 Nubien: M i s s i o n 4 1 , 3 2 Nuth: Muttergottheiten 4 9 9 , 3 4 O b e r a m m e r g a u : Mysterienspiele 5 2 9 , 3 3 ; 5 3 2 , 2 ff
Namen/Orte/Sachen O b o : M o n g o l i s c h e Religion 209,52 Obotriten: M i s s i o n 37,11 O c k h a m / O c k h a m i s m u s : Mittelalter 116,22 Ökumene: M i s s i o n 54,18; Missionswissenschaft 93,29 Ökumenische Versammlungen und Konferenzen: Nairobi 1975: Mission 66,47 Uppsala 1968: Mission 64,41; 66,42 Vancouver 1983: Mission 66,48 Ökumenischer R a t der Kirchen: M o t t 381,20 Oesterley, H . : M u s i k und Religion 475,28 Offenbarung: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 347,18; Musik und Religion 459,32; 465,29; 475,30 f; Mystik 559,23; M y t h o s 599,22 O k k a s i o n a l i s m u s : Montesquieu 279,37 O l d h a m , J o s e p h H.: Mission 53,34 O m a j j a d e n : M i s s i o n 932 O m a r : Mission 19,31 Ontologie: M y t h o s 599,32 ff; 655,3 Opfer: Mission 30,8; M o s e ben N a c h m a n 364,52 Oratorianer: M ö n c h t u m 178,38 Oratorium: M u s i k und Religion 458,13; 465,17 Orden: Missionsgesellschaften/Missionswerke 86,41 f; M ö n c h t u m 171,23; Mystik 570,8 Orden, dritte: M ö n c h t u m 174,16; 182,26 Ordensregeln: Mystik 542,43 Ordnung: M i t b e s t i m m u n g 103,37; Müntzer 422,32 f O r d o salutis: N a c h f o l g e J e s u 694,49 Orgel: Musik und Religion 478,20 Origenes: Mission 32,32; M o n o t h e i s m u s 260,18; Mystik 552,39 f; M y t h o s und Kunst 666,35; N a c h f o l g e Jesu 687,7.46 Orphik: Mysterien/Mysterienreligionen 507,18 f O r t h o d o x e Kirchen: Mischehe 11,18; M ö n c h t u m 168,2f; 183,lOf O r t h o d o x e Mission: Missionsgesellschaften/ Missionswerke 86,17 f Orthodoxie, altlutherische: Musik und Religion 464,29 f; N a m e / N a m e n g b u n g 757,5 Oshida, Shigeto: M ö n c h t u m 185,32 Osiander, Andreas: Mörlin 193,56 ff Osiris: Muttergottheiten 499,19; Mysterien/ Mysterienreligionen 511,32ff Ostern/Osterfest: M o n t a n i s m u s 277,36; N a c h f o l g e J e s u 682,22 Osterspiele: Mysterienspiele 527,42; 529,11 O s t w a l d , Wilhelm: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 215,18 O t t o v. Freising: M y t h o s und Kunst 672,53 O t t o , Rudolf: M u s i k und Religion 479,46 f; 481,38; Mystik 534,14 O t t o , Walter F.: M y t h o s 599,4; 653,13 O x f o r d b e w e g u n g : Mission 50,48; M ö n c h t u m 183,5; Moralische Aufrüstung 292,39 Pachomius v. Tabennëse: M ö n c h t u m 160,46 ff; N a c h f o l g e Jesu 688,25 Pacian von Barcelona: M o n t a n i s m u s 272,44; 277,13 Päpste: Agatho: Monenergetisch-monotheletischer Streit 207,27 Benedikt XII.: Mystik 569,17
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Benedikt XIV.: Mischehe 9,19 Benedikt XV.: Mission 51,36 Clemens X I . : Mission 45,39 Clemens XIV.: M ö n c h t u m 181,10 Gregor I., d. Gr.: M ö n c h t u m 166,49; Monophysiten 229,45 f; M u s i k und Religion 455,3; Mystik 558,43; M y t h o s und Kunst 669,6 Gregor II.: M u s i k und Religion 455,6 Gregor III.: M u s i k und Religion 455,6 Gregor XIII.: M o r o n e 323,8 Gregor XV.: Mission 46,4 Gregor X V I . : Mission 51,22 H o n o r i u s I.: Monenergetisch-monotheletischer Streit 206,3 H o r m i s d a s : Monophysiten 227,51; 228,41 Innozenz XI.: M o l i n o s 203,21 Johannes II.: N a m e / N a m e n g e b u n g 755,43 Johannes IV.: Monenergetischmonotheletischer Streit 206,37 Johannes X X I I . : M u s i k und Religion 458,33; Mystik 567,8 Johannes X X I I I . : Mitbestimmung 104,2 Johannes Paul II.: Mischehe 10,25; Mitbestimmung 104,14 Julius III.: M o r o n e 321,6 Leo I., d. Gr.: Monophysiten 223,24; 225,38 Leo XIII.: M o d e r n i s m u s 131,16; 133,25 Martin I.: Monenergetisch-monotheletischer Streit 207,4 Paul IV.: M o r o n e 321,15 Paul VI.: Mischehe 9,52 Pius IV.: M o r o n e 321,44; 322,4f Pius V.: M o r o n e 321,46; 322,52 Pius IX.: Montalembert 270,50 Pius X . : M o d e r n i s m u s 130,8; 133,30 Pius XI.: Mitbestimmung 103,53 Pius XII.: M i t b e s t i m m u n g 104,2; M ö n c h t u m 182,37; Moraltheologie 297,22 Urban VIII.: Mission 46,15 Vigilius: Monophysiten 229,23 Päpstliche Bullen, Enzykliken und Breven: Aeterni Patris 1879: Moraltheologie 296,48 Coelestis Pastor 1685: M o l i n o s 203,31 E supremi apostolatus 1903: M o d e r n i s m u s 133,31 In agro dominico 1329: Mystik 567,8 L a b o r e m Exercens 1981: Mitbestimmung 104,14 M a t e r et M a g i s t r a 1961: Mitbestimmung 104,3 M a x i m u m illud 1919: Mission 51,36 Mirari vos 1832: Montalembert 271,10 Pascendi dominici gregis 1907: M o d e r n i s m u s 130,25 ff Q u a d r a g e s i m o anno 1931: Mitbestimmung 104,1 Redemptoris M i s s i o 1991: Mission 61,44 Syllabus errorum 1864: Montalembert 270,51 Päpstlicher R a t für den interreligiösen Dialog: Mission 65,19 Palestrina, Giovanni Pierluigi da: Motette 372,4 Palladius von Helenopolis: M ö n c h t u m 153,8 Pallu, François: Mission 46,18 Panentheismus: Mystik 582,33
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Namen/Orte/Sachen
Panikkar, R a i m o n d o : M ö n c h t u m 185,31 Pannenberg, Wolfhart: M y t h o s 653,14; 655,40, 658,5 Pantheismus: Mystik 582,33 Papias von Hierapolis: M o n t a n i s m u s 272,7 Papst: M o r u s 328,6 f Papsttum: Mittelalter 116,16; 119,46; N a m e / N a m e n g e b u n g 755,42 Paradies: Mystik 549,19; M y t h o s 613,13 Paradox: Mystik 567,25 Paraguay: Mission 42,46 Paris: Musik und Religion 456,3 Parker, Peter: Mission 75,38 Pärsva: M ö n c h t u m 146,15 Partikularisierung: Mittelalter 119,30 Pascal, Blaise: M ö n c h t u m 180,39; M o n t a i g n e 268,16 Passauer Vertrag: Moritz von Sachsen 307,40 Passionsfrömmigkeit: Mystik und Kunst 593,8 Passionsspiele: Mysterienspiele 528,41 f; 529,11; 531,8; 532,1 ff Patristik: Musculus 440,3 Paulus (Apostel): Mission 28,4ff; 32,14; 62,10; Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 344,20 f; Mysterien/Mysterienreligionen 520,32; Mystik 548,33 f; Mystik und Kunst 594,23; M y t h o s 647,5; Nachfolge Jesu 682,17; 685,22 f Paulus v. Antiochien: M o n o p h y s i t e n 230,42 Paulus v. Bet Ukkäme: M o n o p h y s i t e n 230,11 Paulus v. Ephesus: M o n o p h y s i t e n 226,13 Pazifismus: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 217,8 f Pennsylvania: M ü h l e n b e r g 389,37; 390,34 Pentateuch: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 331,1 f; 335,27 Pepping, Ernst: Musik und Religion 482,34 Pepuza: M o n t a n i s m u s 277,28 Pergola, Bartolomeo della: M o r o n e 320,3 Persönlichkeit: Motivation 373,38 Person: M y t h o s 657,25; N a m e / N a m e n g e b u n g 743,16 Peru: Mission 41,47 Peter d . G r . , Z a r : Mission 41,4; M ö n c h t u m 182,2; M o s k a u 369,9 Petr, Metropolit von Kiev: M o s k a u 368,4 Petrarca, Francesco: Mittelalter 110,37; M y t h o s und Kunst 674,23 Petrus (Apostel): Nachfolge Jesu 682,18 Petrus der Iberer: M o n o p h y s i t e n 225,20 Petrus Mongus: M o n o p h y s i t e n 226,16 f Petrus Venerabiiis: Mission 38,37 Petrus der Walker: M o n o p h y s i t e n 225,43 f Petrusrede: Mission 27,7 Pettazzoni, Raffaele: M o n o t h e i s m u s 235,8 Pfaff, Christoph M a t t h ä u s : Musik und Religion 467,7 Pfalz: Musculus 440,42 Pfarrei: Mittelalter 118,1 Pfarrer: Motivation 375,40 Pfeiffer, Heinrich: M ü n t z e r 418,24f Philip, John: Mission 49,31 Philipp II., Kaiser: M o r o n e 321,34 Philipp von Hessen: M o r i t z von Sachsen 303,9ff Philippikos, Kaiser: Monenergetischmonotheletischer Streit 208,2 Philippinen: Mission 41,47
Philo von Alexandrien: M ö n c h t u m 158,44; M o n o t h e i s m u s 251,12; M o s e / M o s e l i e d / Mosesegen/Moseschriften 350,14 f; 354,49; Mystik 551,1 Philokalia: Mystik 576, 45 Philosophie: Mission 34,7; M o d e r n i s m u s 132,37; 135,37 f; M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 212,29; Mystik 552,17; 590,3 f; M y t h o s 619,52; Nachfolge Jesu 696,18 griechische: N a m e / N a m e n g e b u n g 747,42 Philoxenus von M a b b u g : M o n o p h y s i t e n 219,40; 220,15 ff; 227,11 Phönizier: Mission 21,31 Phrygien: M o n t a n i s m u s 272,2 ff; 274,1; 276,21 ff; Mysterien/Mysterienreligionen 509,46 Piaget, Jean: Motivation 374,3 Pierson, A.T.: Mission 53,26 Pietismus: Mission 51,5; M ö n c h t u m 180,22: M ü h l e n b e r g 389,3 ff; Musik und Religion 465,2.35; Mystik 575,31; Mystik und Kunst 595,11; Nachfolge Jesu 694,37ff Pippin d . J . : Musik und Religion 455,13 Pithou, Pierre: Mittelalter 111,48 Plath, Carl H . C . : Missionswissenschaft 92,30 Plato: Mystik 550,523; 552,18, 590,8; N a m e / N a m e n g e b u n g 748,2 Plotin: Mystik 548,12; 557,34; 590,9 Pluralismus: Mission 64,17; M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 212,8 Plutarch: M y t h o s 614,49 Poiret, Pierre: Musik und Religion 465,38 Pole, Reginald: M o r o n e 320,17 f Polen: M o d r z e w s k i 138,18 f; M ö n c h t u m 183,41 Politik: M y t h o s 659,46 Politik und Kirche: Müller, J. 395,47 Polykarp von Smyrna: Mystik 550,13 Porsuk (Tembrios): M o n t a n i s m u s 276,33 Portugal: Mission 43,27ff Poseidonios: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 353,43 Prädestination: M o l i n a / M o l i n i s m u s 199,49ff; Mystik 570,35 Praetorius, Michael: M o t e t t e 372,21 Praktische Theologie: Missionswissenschaft 89,45; M o t i v a t i o n 376,28; M y t h o s 663,49 Praxis: M o t i v a t i o n 375,23 Predigt: M ö n c h t u m 174,23; M o f f a t t 197,47; M o t i v a t i o n 376,41; Musik und Religion 467,9; M y t h o s 656,7 Pres, j . de: M o t e t t e 371,41 Preußen: Müller, J. 395,36 f; 397,23 f; M ü n s t e r , Univ. 410,17 Price, Richard: M o r a l Sense 290,47 Priester/Priestertum: Mischehe 4,46; Mittelalter 116,43; M ö n c h t u m 165,32; M ü n t z e r 421,27; Mysterien/Mysterienreligionen 516,19 Priesterschrift: M o n o t h e i s m u s 239,19 f Priestertum aller Gläubigen: Nachfolge Jesu 694,42 Prisca: Mission 29,37; M o n t a n i s m u s 272,14; 273,28; 274,35 Privilegien, kirchliche: Mittelalter 116,49 Proba: M o n o p h y s i t e n 231,33 Probabilismus: Moraltheologie 295,47 Proclus der Philosoph: Mystik 559,18; 590,9 Profeß: M ö n c h t u m 171,42
Namen/Orte/Sachen Propheten und Prophetinnen (altkirchl.): Montanismus 272,11 ff Propheten/Prophetie: Mose ben Maimon 359,7; Mose ben Nachman 364,32; Nachfolge Jesu 679,37 atl.: Mischehe 5,3; Mission 24,14; 26,15; Monotheismus 240,4; Mose/Moselied/ Mosesegen/Moseschriften 336,51; 342,21; Mowinckel 385,30; Mystik und Kunst 594,22; Mythos 628,lOf; N a h u m / N a h u m b u c h 737,7 ff Proselyten: Mischehe 6,16; Mission 20,38f; Nächster 716,42 Proske, Karl: Musik und Religion 476,4 Proterius v. Alexandrien: Monophysiten 225,22 Protestantismus: Mönchtum 182,40; 185,44; Musik und Religion 460,20 f Providenz: Mose ben Maimon 360,9 f Prudentius Clemens, Aurelius: Mythos und Kunst 666,25 Psalmen: Monotheismus 241,4 f; Mowinckel 385,46; Musik und Religion 442,20f; 443,17f; 453,28 ff; Mythos 629,1 Pseudo-Philo: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 354,19; 355,39 Psychoanalyse: Motivation 374,15; Mythos 598,22 Psychologie: Motivation 373,14 Ptolemäus I.: Mysterien/Mysterienreligionen 511,27 Pückler, Eduard v.: Mott 379,52 Puritanismus: Mission 40,19; Musculus 440,48 Pyrrhos, Patriarch: Monenergetischmonotheletischer Streit 206,38 Quäker: Mosheim 367,15 Quasten, Johannes: Musik und Religion 453,7 Quietismus: Molinos 203,15 f; Mystik 574,32 f; 575,4; Nachfolge Jesu 695,34 Qumran: Mission 24,25; Mönchtum 158,48; Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften 347,19; Musik und Religion 444,14; N a h u m / N a h u m b u c h 741,19 Rabbinismus: Mischna 13,13; 15,10; Musik und Religion 449,1 f; Nächster 717,18 Raffael (Raffaelo Santi): Mystik und Kunst 594,40 Rahner, Karl: Mission 64,5 Raimund von Sabunde (Raimond Sebond): Montaigne 263,3 Rama: Mizpa 122,5 Ramakrishna: Mission 20,8 Rämänuya: Mystik 535,26 Ranganathananda, Swämi: Nachfolge Jesu 712,43 Rashdall, Hastings: Modernismus 136,48 Rathenau, Walter: Mitbestimmung 100,19 Rationalität: Mythos 660,29 Ratschow, Carl-Heinz: Mission 64,39 Raum: Mystik 539,40; Mythos 601,14 Rauschenbusch, Walter: Mitbestimmung 103,3 Rauschmittel: Mystik 543,44 Recht/Rechtswesen: Moral Sense 285,17; Morus 327,44; Mose ben Maimon 357,20 atl.-. Monotheismus 241,31 f
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Recht, kanonisches: Mittelalter 118,17 Rechtfertigung: Mönchtum 176,43; Mörlin 193,56; 195,6; Müntzer 421,9; Mystik 571,46; 585,27; Nachfolge Jesu 695,11; 699,14; Name/Namengebung 763,1 Rechtstheorie: Montesquieu 280,18 Redon, Odilon: Mystik und Kunst 595,24 Reduktionen: Mission 42,49 Reformation: Mission 46,27; Mittelalter 113,38; 116,6; Moritz von Sachsen 303,1 ff; Morone 319,49; Motette 371,47; Murner 437,25; Musculus 439,18 ff; Musik und Religion 460,19; 462,1 ff; Name/Namengebung 756,21 Reformierte Kirchen: Musculus 440,39 Reformkatholizismus: Modernismus 132,18 Reger, Max: Musik und Religion 476, 53 Regula Magistri: Mönchtum 166,31; Nachfolge Jesu 689,20 Reich Gottes s. Herrschaft Gottes/Reich Gottes Reichardt, Johann Friedrich: Musik und Religion 467,44 ff Reichskloster: Mönchtum 169,36 Reichstage der Reformationszeit: Augsburg 1550/51: Moritz von Sachsen 307,20 Augsburg 1555: M o r o n e 321,8 Regensburg 1576: Morone 323,20 Speyer 1542: Morone 319,46 Reinigung: Müntzer 425,5; Mysterien/ Mysterienreligionen 517,27 Religion: Mission 63,4 f; Montesquieu 280,47; Motivation 374,55 ff; Musik und Religion 457,41 f; 487,49 f; 489,8 f; Mythos 606,35 f; 627.53 Religionsgeschichte: Monismus/Monistenbund 212,17; Nag H a m m a d i 734,18 Religionsgespräche: Hagenau 1540: M o r o n e 319,36 Regensburg 1541: M o r o n e 319,37; Musculus 439,26 Worms 1540: Morone 319,36; Musculus 439,26 Religionspädagogik: Motivation 376,32 Religionsphilosophie: Modernismus 130,52 Religionsunterricht: Motivation 376,8 Religionswissenschaft: Müller, F. M . 393,12 Remigius v. Auxerre: Mythos und Kunst 672,9 Renaissance: Mittelalter 111,56; Mythos und Kunst 670,1; 673,51 ff Rendtorff, Heinrich: Moralische Aufrüstung 292.54 Rezeption: Musik und Religion 488,22 Rhetorik: Mysterienspiele 529,48 Ricci, Matteo: Mission 44,23 f Rieh, Arthur: Mitbestimmung 103,13 Rieh, Richard: Morus 326,20 Richard v. St. Viktor: Mystik 565,1 Richter, Julius: M o t t 380,25 Ricoldus de Monte Croce: Mission 39,4 Riemann, Fritz: Motivation 374,31 Riess, Carl: Monismus/Monistenbund 217,31 Rigveda: Müller, F.M. 393,26 Riten/Kultmuster: Mythos 610,35 Ritsehl, Albrecht: Nachfolge Jesu 697,37 Ritterorden: Mittelalter 119,20
798
Namen/Orte/Sachen
R ö m i s c h - k a t h o l i s c h e Kirche: M o d e r n i s m u s 130,2; M ö n c h t u m 1 8 4 , 1 2 f f ; M o r u s 3 2 7 , 4 f R ö m i s c h e Religion: M u t t e r g o t t h e i t e n 5 0 0 , 1 5 ; Mysterien/Mysterienreligionen 5 1 0 , 1 6 ; 5 1 2 , 6 0 ff; M y t h o s 6 2 0 , 1 9 R o g e r s , M u r r a y : M ö n c h t u m 185,31 R o l e v i n c k , Werner: Mittelalter 1 1 2 , 2 4 Rolle, Richard: Mystik 570,44 R o m : M i s s i o n 4 5 , 4 9 f; Mittelalter 1 1 9 , 4 6 ; M ö n c h t u m 164,25; M o n t a n i s m u s 2 7 3 , 4 6 ; M u ß e 4 9 5 , 1 7 ; Mysterienspiele 5 3 1 , 8 R o m (Imperium R o m a n u m ) : M i s s i o n 2 1 , 2 f f ; 31,44 R o m a n t i k : M ö n c h t u m 182,16; M ü n c h e n 4 0 3 , 1 8 ; M u s i k und Religion 4 7 1 , 2 7 ; M y s t i k und Kunst 595,15 R o m u a l d von R a v e n n a : M ö n c h t u m 1 7 0 , 4 9 R o s a v. Lima: M y s t i k und Kunst 5 9 4 , 5 1 R o s e n k r a n z , Karl: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 213.35 Rosenzweig, Franz: M o n o t h e i s m u s 2 5 5 , 1 R o s s i , Salamone: M u s i k und Religion 4 5 1 , 1 1 R o u s s e a u , J e a n - J a c q u e s : Mitleid 105,34; Monotheismus 234,23; Montaigne 268,33 Roy, R a m M o h a n : Nachfolge Jesu 711,41 Rufin v. Aquileia: M ö n c h t u m 1 6 4 , 3 2 Ruhe: Muße 495,42 R u n g e , Philipp O t t o : M y s t i k und Kunst 5 9 5 , 2 1 Rupert von Worms: M ö n c h t u m 165,9 R u ß l a n d : Mission 2 3 , 1 9 ; M ö n c h t u m 181,51; Moskau 367,45ff; Mystik 5 7 8 , 3 2 f Saadja ben J o s e f ( G a o n ) : M o n o t h e i s m u s 2 5 2 , 4 7 Sabazios: Mysterien/Mysterienreligionen 5 0 9 , 4 Sachsen, H e r z o g t u m : M o r i t z von Sachsen 3 0 2 , 4 9 ff Sachsen, Kurfürstentum: M ü n t z e r 4 1 7 , 3 8 f Säkularisierung: M i s s i o n 6 1 , 5 1 ; M ö n c h t u m 150,47; 1 8 1 , 1 5 . 4 3 Sailer, J o h a n n M i c h a e l : M o r a l t h e o l o g i e 2 9 6 , 3 7 ; München 403,32 Saint-Cyran (Jean Duvergier de H a u r a n n e ) : M ö n c h t u m 180,35 Sakramente: M o r m o n e n 3 1 6 , 4 6 ; M y t h o s 6 0 6 , 1 6 ; 656,8 Sakti: Muttergottheiten 5 0 0 , 3 7 Säktismus: Mystik 5 3 5 , 1 7 Salbung: Mittelalter 117,3 Sales, François de: M y s t i k 5 7 4 , 2 Salesianer: M ö n c h t u m 182,23 Salignac, François de: M y s t i k 5 7 4 , 3 8 S a l m e r o n , Alfonso: M o r o n e 3 2 0 , 7 S a l o m o ibn G a b i r o l : M o n o t h e i s m u s 2 5 3 , 4 6 Salutati, C o l u c c i o : M i t t e l a l t e r 1 1 1 , 2 Salvatorianer: M ö n c h t u m 182,23 Samaritaner: N ä c h s t e r 7 1 6 , 4 3 Samgha: M ö n c h t u m 1 4 6 , 4 2 Samland, Bistum: M ö r l i n 1 9 4 , 5 2 S a m o t h r a k e : Mysterien/Mysterienreligionen 506.36 Sanherib: M o a b und Israel 1 2 6 , 4 8 S a n t o T o m a s , D o m i n g o de: M i s s i o n 4 2 , 1 8 Santori, A n t o n i o : M i s s i o n 4 5 , 5 2 Sarkophagplastik: M y t h o s und Kunst 6 6 8 , 6 Satire: M u r n e r 4 3 7 , 8 Saul: M o a b und Israel 126,5
S c h a m a n i s m u s : M o n g o l i s c h e Religion 2 1 1 , 3 Schasu: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / M o s e s c h r i f t e n 3 3 3 , 4 2 ff; 3 3 4 , 3 2 Schauspiel: Mysterienspiele 5 2 7 , 7 Schedel, H a r t m a n n : M i t t e l a l t e r 111,12 Scheffler, J o h a n n e s : M y s t i k 5 7 6 , 6 Scheidt, Samuel: M o t e t t e 3 7 2 , 2 8 Schein, J o h a n n e s H e r m a n n : M o t e t t e 3 7 2 , 2 8 Scheler, M a x : Mitleid 1 0 6 , 1 7 Schell, H e r m a n n : M o d e r n i s m u s 132,20 Schelling, Friedrich W i l h e l m J o s e p h : M y t h o s 598,1 schema: Monotheismus 249,14ff; 258,47 Schindler, Alexander: M i s s i o n 2 3 , 1 2 Schlager: M u s i k und Religion 4 8 6 , 1 9 Schleicher, August: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 213,41 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Missionswissenschaft 9 1 , 2 9 ; M o n o t h e i s m u s 2 5 7 , 2 3 f; M u s i k und Religion 4 7 1 , 3 9 ; 4 7 5 , 2 8 Schlesien: M ü l l e r , J . 3 9 5 , 1 3 Schmalkaldischer Bund: M o r i t z von Sachsen 305,13f Schmidlin, J o s e f : Missionswissenschaft 9 2 , 5 9 Schmidt, Kurt Dietrich: M i t t e l a l t e r 117,25 Schmidt, W i l h e l m : M o n o t h e i s m u s 2 3 4 , 4 1 f Schnebel, Dieter: M u s i k und Religion 4 8 6 , 5 2 Schnitzer, J o s e f : M o d e r n i s m u s 132,25 Schöberlein, Ludwig Friedrich: M u s i k und Religion 4 7 5 , 2 7 ; 4 7 6 , 2 0 S c h ö n b e r g , Arnold: M u s i k und Religion 4 7 9 , 6 Schöpfer/Schöpfung: Monotheismus 260,3; M o s e ben M a i m o n 3 6 0 , 2 7 ; M o s e ben N a c h m a n 3 6 3 , 4 4 f; M u s i k und Religion 460,38; Muttergottheiten 500,37; Mystik 553,51; 554,29; 559,26; Mythos 615,30ff; 655,45; 657,13; Name/Namengebung 762,11 Scholastik: Mittelalter 116,18; 119,2; Name/Namengebung 748,42 S c h o p e n h a u e r , Arthur: M i t l e i d 105,45; M y s t i k 590,20 f Schottland: M i s s i o n 4 8 , 5 0 ; M ö n c h t u m 1 6 5 , 1 4 Schrempf, C h r i s t o p h : M o n i s m u s / M o n i s t e n bund 2 1 5 , 3 3 Schrift: M y t h o s 6 1 4 , 4 3 Schubart, Christian Friedrich Daniel: M u s i k und Religion 4 6 8 , 1 5 Schütz, Heinrich: M o t e t t e 3 7 2 , 2 1 ; M u s i k und Religion 4 6 5 , 1 6 Schuld: M o r a l t h e o l o g i e 3 0 1 , 2 7 Schule/Schulwesen: M i s s i o n 6 5 , 4 8 ; M o r i t z von Sachsen 3 0 4 , 1 9 ; M ü h l e n b e r g 3 9 0 , 5 2 Schweden: M i s c h e h e 10,41; M i s s i o n 4 6 , 3 2 Schweitzer, Albert: N a c h f o l g e J e s u 6 9 7 , 3 0 f; 705,27 Schwenckfeld, Kaspar von: M ü n t z e r 4 2 7 , 5 2 Seele: M o s e ben M a i m o n 3 5 8 , 1 6 ; M u s i k und Religion 4 6 1 , 3 8 ; M y s t i k 5 4 8 , 1 1 ; 5 5 3 , 2 9 ; 557,18; 565,6; 566,2; 567,37; 573,11; 582,26 Seelsorge: M ö n c h t u m 1 7 4 , 2 6 ; M y t h o s 6 6 4 , 5 0 Segen: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 338,21 Seiden, J o h n : M i t t e l a l t e r 111,53 Semeria, G i o v a n n i : M o d e r n i s m u s 132,1 Semiten: M o n o t h e i s m u s 2 3 6 , 1 7 Sen, Keshab C h a n d r a : N a c h f o l g e Jesu 7 1 2 , 1 8
Namen/Orte/Sachen Septuaginta: M i s s i o n 3 3 , 1 2 Serafim von Sarov: M y s t i k 5 7 7 , 8 Sergius v. Konstantinopel: M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 6 , 2 f Serviten: M ö n c h t u m 174,2 Servius: M y t h o s und Kunst 6 7 2 , 6 Seuse, Heinrich: M y s t i k 5 6 8 , 2 8 ; M y s t i k und Kunst 5 9 3 , 2 7 Severus von Antiochien: M o n o p h y s i t e n 2 1 9 , 4 0 ; 2 2 0 , 1 6 ff; 2 2 7 , 1 8 ; 2 2 8 , 3 1 Sextus Julius Africanus: M i s s i o n 3 2 , 3 2 Shaftesbury, Anthony 3 r d Earl of: M o r a l Sense 2 8 6 , 5 ff Sibony, Daniel: M o n o t h e i s m u s 2 5 5 , 3 6 Sibylle: Mysterienspiele 5 3 1 , 2 9 Sichemiten: M i s c h e h e 4 , 1 9 Sierra Leone: M i s s i o n 4 9 , 2 4 Sigismund II. August, Kg. v. Polen: M o d r z e w s k i 139,52 Silas: Mission 2 8 , 1 6 ; 2 9 , 3 6 Siluan: Mystik 5 7 9 , 1 0 Simon Magus: Nag Hammadi 735,18 Singbewegung: M u s i k und Religion 4 7 8 , 7 ; 481,48 Sinne: Mystik 5 5 3 , 3 5 Sitte/Sittlichkeit: M o n t a i g n e 2 6 5 , 3 0 ; M o r a l t h e o l o g i e 2 9 6 , 3 9 ; 2 9 7 , 4 7 ff; 2 9 9 , 2 9 Situationsethik: M o r a l t h e o l o g i e 2 9 7 , 2 2 Sivänanda, S w i m i : M i s s i o n 2 0 , 1 8 Skeptizismus: M o n t a i g n e 2 6 6 , 2 8 ; M o r a l Sense 285,12; 286,18 Sklaverei: M i s s i o n 4 9 , 2 2 f; 5 0 , 1 6 SIeidanus, J o h a n n e s : Mittelalter 1 1 2 , 3 2 Smend, Julius: M u s i k und Religion 4 7 6 , 2 9 Smith, A d a m : M o r a l Sense 2 8 4 , 3 7 Smith, J o s e p h J r . : M o r m o n e n 3 1 1 , 8 Smith, W. R o b e r t s o n : M y t h o s 6 1 0 , 3 9 Söderblom, Nathan: Monotheismus 234,46f; Mott 380,51 Söhngen, O s k a r : M u s i k und Religion 4 7 9 , 4 5 ; 4 8 0 , 4 5 ff S o f r o n i j : Mystik 5 7 9 , 1 3 Solovjev, Vladimir Sergejevic: M y s t i k 5 7 8 , 3 3 Sonntag: M u ß e 497,4 S o p h r o n i o s v. Jerusalem: M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 6 , 2 4 Sorge-um-sich: M o n t a i g n e 2 6 4 , 4 f Sozialethik: M i t b e s t i m m u n g 102,54 Sozomenus: M o n t a n i s m u s 2 7 2 , 4 6 ; 2 7 7 , 2 0 Spanien: M i s c h e h e 11,8; M i s s i o n 4 1 , 4 5 ff; Mysterienspiele 5 3 1 , 2 2 f Spekulative T h e o l o g i e : M o n i s m u s / Monistenbund 213,25; Müller, J . 396,44 Spener, Philipp J a k o b : N a c h f o l g e J e s u 6 9 4 , 3 9 f Spinoza, Baruch: Mitleid 105,18; 1 0 6 , 5 2 Spiritualismus: M ü n t z e r 4 2 0 , 1 0 ; 4 2 7 , 4 8 Spitta, Friedrich: M u s i k und Religion 4 7 6 , 2 9 S p o h r , Louis: M u s i k und Religion 4 7 1 , 3 3 Sport: M y t h o s 6 5 9 , 3 4 Sprache: M u s i k und Religion 4 6 1 , 2 8 ; M y s t i k 586,32 Staat: M i s s i o n 3 4 , 2 6 ; M y t h o s 6 5 9 , 4 6 ; N ä c h s t e r 727,32 Staatskirche: Musculus 4 4 0 , 4 9 Stabilitas loci: M ö n c h t u m 1 6 9 , 4 6 Stadt: M ö n c h t u m 172,11; M u s i k und Religion
799
455,43 Stadtkloster: M ö n c h t u m 1 6 5 , 1 9 Stammesreligionen: M o n o t h e i s m u s 2 3 4 , 3 5 f Stattler, Benedikt: M o r a l t h e o l o g i e 2 9 6 , 3 2 Steiner, R u d o l f : M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 215,14 Stephanus, A b t : M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 7 , 3 6 Stephanus: M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften 3 4 3 , 4 8 Sterben: M o n t a i g n e 2 6 4 , 4 6 f Steudel, Friedrich: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 215,13 Stift: M ö n c h t u m 169,31 Stoa/Stoizismus: M y t h o s 5 9 7 , 4 1 ; N a m e / Namengebung 748,26 Strauß, David Friedrich: M o n i s m u s / Monistenbund 215,14 Strawinskij, Igor: M u s i k und Religion 4 7 8 , 5 3 Streeter, Burnet H i l l m a n : M o r a l i s c h e Aufrüstung 2 9 2 , 4 2 Strukturalismus: M y t h o s 5 9 8 , 4 3 ; 6 1 0 , 4 9 ; 6 6 2 , 2 0 Student Volunteer M o v e m e n t : M i s s i o n 5 3 , 1 7 ; Mott 379,41 Stufenlehre: Mystik 5 3 7 , 2 7 ; 5 6 8 , 4 3 ; 5 7 0 , 4 7 ; 572,30; 583,2 Stundengebet: M ö n c h t u m 164,45; M u s i k und Religion 4 5 4 , 1 0 Sühne: M y t h o s 6 0 5 , 3 1 Sühnopfer: M y s t e r i e n / M y s t e r i e n r e l i g i o n e n 517,28 f Sünde: M ü l l e r , J . 3 9 6 , 3 0 ; Mystik 5 8 3 , 2 5 ; M y t h o s 605,16; 656,15 Sündenfall: M y t h o s 6 5 7 , 1 9 Sufismus: M y s t i k 5 3 6 , 1 0 ff; N a c h f o l g e J e s u 711,5; Name/Namengebung 745,44 Suger v. St. Denis: M y s t i k und Kunst 5 9 2 , 1 8 Sulzer, S a l o m o n : M u s i k und Religion 4 5 1 , 4 2 Sumerische Religion: M u t t e r g o t t h e i t e n 4 9 8 , 3 9 S y m b o l : M u s i k und Religion 4 7 2 , 1 2 ; 4 8 6 , 1 ; Mythos 598,9 S y m b o l i k : M ö h l e r 141,26 Symeon der neue T h e o l o g e : M y s t i k 5 6 1 , 3 7 f Symeon Stylites: M ö n c h t u m 1 5 6 , 3 3 S y m m a c h u s : M ö n c h t u m 152,26 Synagoge: M i s s i o n 3 3 , 1 3 ; M u s i k und Religion 4 4 7 , 4 6 ff Synergismus: M y s t i k 5 8 5 , 3 4 Synkretismus: Muttergottheiten 4 9 9 , 5 0 Synodalverfassung: M ü h l e n b e r g 3 9 1 , 1 4 Synode: M i s s i o n 3 7 , 4 5 Synoden: Agde 5 0 6 : M i s c h e h e 8,53 Chalcedon 451: Mission 35,34; Monophysiten 219,14ff; 224,47ff D i a m p e r 1599: M i s s i o n 4 5 , 2 3 Elvira (ca. 3 0 0 - c a . 313): M i s c h e h e 8,51 Ephesus 4 3 1 : M i s s i o n 3 5 , 3 4 Karthago 397: Mischehe 8,52 Konstantinopel 3 8 1 : M o n o t h e i s m u s 2 6 0 , 3 3 f Konstantinopel 5 5 3 : M o n o p h y s i t e n 2 3 0 , 7 Konstantinopel 6 8 0 / 8 1 : M o n e n e r g e t i s c h monotheletischer Streit 2 0 5 , 4 8 ff; 2 0 7 , 3 1 ff Konstantinopel 1341: M y s t i k 5 6 2 , 2 9 Konstantinopel 1347: Mystik 5 6 2 , 2 9 Konstantinopel 1351: Mystik 5 6 2 , 2 9
800
Namen/Orte/Sachen
Laodicea ca. 360: Mischehe 8,52 Lateran 1215: Mission 22,31 Lima 1580: Mission 42,22 Nicäa 325: Mission 35,33; M o n o t h e i s m u s 260,32 f R o m s. Lateran Sidon 511: Monophysiten 227,27 Tridentinum 1 5 4 5 - 6 3 : Mischehe 9,14f; Mission 42,29; M ö n c h t u m 177,49 f; Molina/Molinismus 201,4; M o r i t z von Sachsen 307,22; M o r o n e 320,19; 321,51 f Vatikanum I 1869/70: München 405,20 Vatikanum II 1 9 6 2 - 6 5 : Mischehe 9,51; Mission 51,39; 61,34; 69,15; Missionsgesellschaften/Missionswerke 86,44; Missionswissenschaft 93,31; Mitbestimmung 104,10; M ö n c h t u m 184,14; Moraltheologie 297,39 Vienne 1311/13: Missionswissenschaft 91,1 Synusiasten: Monophysiten 223,16 Syrien: Mystik 556,30; Nachfolge Jesu 684,4 Tacitus: Monotheismus 250,37 Täufer: Müntzer 427,28 Tahiti: Mission 51,42; Name/Namengebung 743,36 Taizé: Mönchtum 186,13 Talmud: Mischna 13,14; M u s i k und Religion 449.21 f; Nächster 718,35 Tametsi (Dekret 1563): Mischehe 9,15 f Tantrismus: Mystik 535,17 Taoismus: Mönchtum 148,8 f Tärä: Muttergottheiten 501,16 Tatian: Monotheismus 260,2 Tatsachen: M y t h o s 603,5 Taufe: Mose/Moselied/Mosesegen/ Moseschriften 345,6; Müntzer 420,50; Mysterien/Mysterienreligionen 521,4 f; M y s t i k 553,4; 557,8; Nag H a m m a d i 735,50; Name/Namengebung 753,36; 755,9; 756,13,24; 759,5; 761,39f; 762,18 Tauler, Johannes: M y s t i k 568,12; 573,6; M y s t i k und Kunst 592,27 Taut, Bruno: M y s t i k und Kunst 595,35 Taylor, James Hudson: Mission 51,13 Telemann, Georg Philipp: M u s i k und Religion 465,17 Teil en-Nasbe: M i z p a 122,40 f Tempel (Jerusalem): M u s i k und Religion 442.22 f; 447,46 Tengri: Mongolische Religion 209,20f Teresa v. Avila: M ö n c h t u m 179,6; M y s t i k 570,32; 572,4 f; M y s t i k und Kunst 592,36; 595,4; Nachfolge Jesu 695,31 Teresa, M u t t e r (Agnes Gonxha Bejaxhiu): Mönchtum 184,42 f Tertiarier: Mystik 570,11 Tertullian: Minucius Felix 1,20; Mission 34,3; Montanismus 272,33; 275,1.41 f; Mysterienspiele 527,9; M y t h o s und Kunst 666,41 Testamente der 12 Patriarchen: M ö n c h t u m 159,13 Teufel: Mysterienspiele 528,10 Thailand: Mission 19,3 Theatiner: Mönchtum 178,34
Theiner, Johann Anton: Müller, J . 395,9 Theismus: Monotheismus 250,17 Themistius: Monophysiten 229,34 Theodor von Arabien: Monophysiten 229,52 Theodora, Kaiserin: Monophysiten 228,46f Theodoret v. Kyros: Name/Namengebung 755,22 Theodosius I., d . G r . : Mission 34,44; M y t h o s und Kunst 666,24 Theodosius von Alexandrien: Monophysiten 229.40 Theologie der Befreiung: Nachfolge Jesu 701,5 Theologie, Feministische: M y t h o s 607,28 Theologie der Religionen: Mission 63,44 Theologiestudium: Motivation 375,44 Theophanie: Nahum/Nahumbuch 738,20 Theophilus von Antiochien: Monotheismus 260,2 Theosophie: Mystik und Kunst 595,19 Theraväda-Buddhismus: Mission 19,1 Theresa v. Lisieux: M y s t i k 570,33; 575,19 Thielicke, Helmut: Mitbestimmung 103,20 T h o m a s v. Aquino: Mission 38,48; Mitleid 105,17; Mönchtum 174,46; Molina/ Molinismus 200,9f; Moraltheologie 295,16f; M u ß e 495,27; Mysterienspiele 527,20; M y s t i k 566,29; Nächster 726,23 f T h o m a s Gallus: Mystik 565,17; 569,49 T h o m a s a Jesu: Mission 46,3 T h o m a s v. Kempen: Nachfolge Jesu 691,16 Thomaschristen: Mission 45,18 Thomasevangelium: Mönchtum 152,49 Thompson, Thomas: Mission 48,6 Tiberius, byz. Kaiser: Monophysiten 231,13 Tibet: Mission 19,6; 19,9 Tiefenpsychologie: M y t h o s 663,1 Tillich, Paul: Monotheismus 258,11; Nächster 730,6 Timotheus Aelurus: Monophysiten 219,40; 220,15 ff; 225,26 ff Timotheus Salophakiolus: Monophysiten 225.41 Timotheus: Mission 29,36 Titus: Mission 29,36 Tod: M o n t a i g n e 264,46 f; Mysterien/ Mysterienreligionen 518,26; M y t h o s 635,23 Tod Jesu: Mysterien/Mysterienreligionen 520,11 T o k u g a w a : Mission 44,6 Toleranz: Montaigne 266,1 f Tomus Leonis: Monophysiten 223,24 Tora: Mischna 15,11; Mose/Moselied/ Mosesegen/Moseschriften 336,44; 342,16 f; 344,33; M o s e ben Nachman 363,16f; Nächster 722,3 Tosefta: Mischna 13,14 Totennamen: Name/Namengebung 743,41 Tournon, M a i l l a r d de: Mission 45,41 Traditionskritik/Traditionsgeschichte: M o w i n c k e l 386,58 Traherne, T h o m a s : Mystik 576,23 Tranquebar: Mission 74,5 Transzendenz: Musik und Religion 489,22 Traum: M y t h o s 663,3 Trauung: Mischehe 9,12 Triaden: Mystik 568,42
Namen/Orte/Sachen Trinität: M o n o t h e i s m u s 260,47 ff; Mystik 555,38; 558,3 Tropen: M u s i k und Religion 455,29 Tschudi, Gilg: Mittelalter 111,23 Tugend: M o r a l Sense 286,23ff Turnbull, George: M o r a l Sense 284,35 Tutiorismus: Moraltheologie 295,48 Tylor, E d w a r d Burnett: M o n o t h e i s m u s 234,15 Typikon: M ö n c h t u m 168,8 Tyrrell, George: M o d e r n i s m u s 130,38; 135,3 f Underhill, Evelyn: Mystik 578,9 Unio mystica: Mystik 535,19ff; 536,45; 539,27ff; 542,3 f. 20; 581,13; Mystik und Kunst 595,3 Union Missionary Convention: Mission 53,2 Unionen, Kirchliche: Müller, J . 395,36; 397,11 Universalienstreit: N a m e / N a m e n g e b u n g 748,43 Universitäten: Basel: M ü n s t e r , Seb. 407,30 Bern: M u s c u l u s 439,30 C o i m b r a : M i s s i o n 44,12; M o l i n a / M o l i n i s m u s 199,32 Evora: M o l i n a / M o l i n i s m u s 199,33 Frankfurt/Oder: Müntzer 415,42 G l a s g o w : M o f f a t t 196,39 Göttingen: M o s h e i m 366,10 Halle: Müller, J . 395,35 Heidelberg: Münster, Seb. 407,20 Helmstedt: M o s h e i m 366,4 Kiel: M o s h e i m 365,45 Landshut: München 403,11 f Leiden: Missionswissenschaft 91,12 Montpellier: Montpellier 282,31 ff München: 403 - 4 0 6 Münster: 4 0 9 - 4 1 4 N e w York (Union Theological Seminary): M o f f a t t 197,3 Oslo: Mowinckel 384,42 Prag: Müntzer 416,27 Tübingen: M ö h l e r 140,41 f Wittenberg: Missionswissenschaft 91,10; Moritz von Sachsen 305,52; Müntzer 415,48 Upanishaden: Mystik 535,6; 536,24; 537,27; 538,13; 590,19 f Urmaterie: M o s e ben N a c h m a n 363,51 Ursinus, Z a c h a r i a s : Mission 46,47 Ursulinen: M ö n c h t u m 179,23 Urzeit: M y t h o s 616,24 Utah: M o r m o n e n 312,2 Vadian, J o a c h i m : Mittelalter 111,26 Valdes, J u a n de: M o r o n e 320,23 Valentinian III., Kaiser: Monophysiten 225,5 Valentinianismus: N a g H a m m a d i 735,9 Valla, Laurentius: Mittelalter 112,6; M ö n c h t u m 175,27 Varro, M a r c u s : M y t h o s und Kunst 665,49 Vasari, Giorgio: M y t h o s und Kunst 670,1 Vatikanische Mythographen: M y t h o s und Kunst 672,13 Vaughan, Henry: Mystik 576,20 Vedänta: Mystik 535,14 Veden: M y t h o s 598,7 Velickovskij, Paisij: Mystik 577,3 Venn, Henry: Mission 51,47
801
Vereinigte Staaten von Amerika: Mission 23,7; 47,20; 75,13; Montesquieu 281,9; Mühlenberg 390,17 Verfassung: Mischna 14,44 Verfassungstheorie: Montesquieu 280,18 Verheißung: Mission 29,7; N a m e / N a m e n g e b u n g 762,8 Verkündigung: M y t h o s 606,20 Verlöbnis, geistliches: Mystik 573,47 Vernunft: Moraltheologie 297,45 f; Mystik 566,39; M y t h o s 660,39 Versuchung: Mystik 555,23 Vettius Epagathus: M o n t a n i s m u s 273,35 Vico, Gianbattista: M y t h o s 610,1 Vielweiberei: M o r m o n e n 315,16 Vinzentinerinnen: M ö n c h t u m 179,39 Vinzenz v. Aggsbach: Mystik 569,50 Vinzenz von Paul: M ö n c h t u m 179,41 Vision: Mystik 571,23; Mystik und Kunst 593,34 ff Vitalian: Monophysiten 227,46 Vivekänanda, S w ä m i : Mission 20,5 f Voetius, Gisbert: Mission 47,4; Mittelalter 112,52 Volk: Mittelalter 117,21 Volkssprache: Mysterienspiele 528,14; 529,15 Vollkommenheit: Mystik 549,31; N a c h f o l g e Jesu 684,13; 685,15 Voltaire: M o n t a i g n e 268,28 Voluntarismus: M o d e r n i s m u s 131,38 Wagner, Richard: M u s i k und Religion 471,33; 474,33 Wallfahrten: M ö n c h t u m 164,13 Wanderapostel: N a c h f o l g e Jesu 680,21 Wanderphilosophen: N a c h f o l g e Jesu 679,38 Wanderradikale: N a c h f o l g e Jesu 681,11; 682,6f Wanker, G.F.: Moraltheologie 296,28 Ward, M a r i a : M ö n c h t u m 179,27 Warneck, Gustav: Mission 53,12; 60,44; Missionsgesellschaften/Missionswerke 84,33; Missionswissenschaft 90,30; 92,37; N a m e / N a m e n g e b u n g 761,51 Weihe: Mysterien/Mysterienreligionen 506,52 Weihnachtsspiele: Mysterienspiele 527,42 Weise, Johannes: M o t t 381,5 Weisheit: M o n t a i g n e 267,10 Weisheitsliteratur: N a g H a m m a d i 734,39 Weisse, Christian H e r m a n n : M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 213,26 Weiß, Johannes: N a c h f o l g e Jesu 706,48 Weizsäcker, Karl Friedrich: Müller, K. 399,47 Wellhausen, Julius: M o n o t h e i s m u s 238,5 Welt: M o s e ben M a i m o n 358,5; M u s i k und Religion 465,43; 470,31 f; 471,42ff; 489,17; M y t h o s 613,14; 615,6 f; 651,18; 657,32; N a c h f o l g e Jesu 699,23; 707,1; 704,10 Weltanschauung: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 212,7 Welz, Justinian v.: Mission 46,45; Missionsgesellschaften/Missionswerke 82,49 f Wesley, J o h n : Missionsgesellschaften/Missionswerke 83,34 Widderhorn: M u s i k und Religion 445,21 Widengren, G e o : M o n o t h e i s m u s 235,18
802
Mitarbeiter
Wiedergeburt: Mystik 575,37; N a c h f o l g e Jesu 693,41; 695,9 Wilhelm v. C h a m p e a u x : M y s t i k 5 6 4 , 4 8 Wilhelm v. R u b r o e k : M i s s i o n 3 8 , 4 3 Wilhelm v. S t . - T h i e r r y : M y s t i k 5 6 4 , 2 2 Wilhelm v. Tripolis: M i s s i o n 3 8 , 4 8 Wille/Willensfreiheit: M o l i n a / M o l i n i s m u s 199,49 ff Wille, Bruno: M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d 2 1 6 , 3 0 Wirklichkeit: M y s t i k 5 6 3 , 4 5 W i r n t v. Grafenberg: M y t h o s und Kunst 6 7 1 , 2 Wirtschaft: M ö n c h t u m 1 6 7 , 2 0 Wissenschaft: M ö n c h t u m 167,26; M y t h o s 659,42 Wissenschaftstheorie: M y t h o s 5 9 9 , 3 5 W i t t , Franz X a v e r : M u s i k und Religion 4 7 6 , 4 Wittenberger Konkordie: M u s c u l u s 4 3 9 , 2 5 Wittgenstein, Ludwig: M y t h o s 6 0 3 , 4 6 Wolff, Christian: Mitleid 105,18; Monismus/Monistenbund 213,3 Wolsey, T h o m a s : M o r u s 3 2 5 , 2 7 Woodruff, W i l f o r d : M o r m o n e n 3 1 2 , 1 3 Wortgottesdienst: M i s s i o n 3 3 , 1 7 Wüste: M ö n c h t u m 152,14 Wunder: M o s e ben N a c h m a n 3 6 4 , 2 6 Wyclif, J o h n : M ö n c h t u m 175,28 f
Young, Brigham: M o r m o n e n 3 1 1 , 4 5 Zacharias Rhetor: Monophysiten 225,14 Z a h n , Franz M i c h a e l : Mission 5 3 , 1 1 ; Missionswissenschaft 9 0 , 3 0 ; 9 2 , 3 2 Zarathustra: Monotheismus 236,29 Zeit: M y s t i k 5 3 9 , 3 4 ; 5 8 4 , 4 6 ; M y t h o s 5 9 9 , 3 9 ; 6 0 0 , 5 0 f; 6 1 6 , 2 3 ; 6 4 6 , 2 6 Zen-Buddhismus: M ö n c h t u m 147,1; M y s t i k 539,11 f Z e n o , byz. Kaiser: M o n o p h y s i t e n 2 2 5 , 5 1 f Zeuge: M i s s i o n 6 0 , 2 8 Ziegenbalg, B a r t h o l o m ä u s : M i s s i o n 4 0 , 2 0 ; Missionswissenschaft 9 1 , 1 8 ; Name/Namengebung 761,50 Ziegenhagen, Friedrich M i c h a e l : M ü h l e n b e r g 389,19 Z i m b e l : M u s i k und Religion 4 4 5 , 3 0 Z i m m e r , Patriz Benedikt: M ü n c h e n 4 0 3 , 3 1 Z i n z e n d o r f , N i k o l a u s Ludwig G r a f v.: M i s s i o n 74,14; Missionsgesellschaften/Missionswerke 83,31; M ü h l e n b e r g 3 8 9 , 1 3 ; N a c h f o l g e Jesu 695,42 Zionismus: Mission 23,21 Zisterzienser: M ö n c h t u m 171,22; 172,7 Zivilehe: M i s c h e h e 9,19; 9 , 3 2 Zivilisation: Mission 5 0 , 6 Zoroastrismus: Moulton 382,44 f Z u c c h i , J a c o p o : M y t h o s und Kunst 6 7 5 , 2 3 Z u r b a r ä n , Alonso: Mystik und Kunst 5 9 5 , 7 Zweinaturenlehre: M o n o p h y s i t e n 2 1 9 , 1 7 f f Zweireichelehre: M i t b e s t i m m u n g 103,46; N a c h f o l g e J e s u 693,3 Zwickau: Müntzer 416,14 Zwingli, Ulrich: M u s i k und Religion 4 6 4 , 7
X a v i e r , Franz: Mission 4 4 , 1 0 Xenophanes: Mythos 620,15 Yehoshua' ben C h a n a n y a : M i s c h e h e 4,41 Yoga: Mystik 5 4 4 , 2 2 Young M e n ' s Christian Association: M o t t 379,37
2. Mitarbeiter
2.1.
Autoren
Prof. Dr. Günter Abel, Berlin
(Montaigne)
P r o f . D r . I s r a e l A d l e r , J e r u s a l e m / I s r a e l ( M u s i k u n d R e l i g i o n II) Prof. Dr. Kristlieb Adloff, Hermannsburg ( N a m e / N a m e n g e b u n g
VI)
Prof. Dr. Karl Albert, Wuppertal (Mystik IV) D r . Pauline Allen, Mitchelton/Australien
(Monophysiten)
T h e Rev. Prof. Hugh Anderson, Edinburgh/Schottland Dr. Edward Balakier, Warschau/Polen
(Moffat)
(Modrzewski)
P r o f . D r . H o r s t B a l z , B o c h u m ( N ä c h s t e r III) Prof. Dr. Friedrich Beißer, M a i n z ( M y t h o s / M y t h o l o g i e
V)
P r o f . D r . O t t o B e t z , T ü b i n g e n ( M i s s i o n III) Prof. Dr. H o r s t Bürkle, M ü n c h e n (Mission VII) Prof. D r . D r . Karl H e i n z B u r m e i s t e r , B r e g e n z / Ö s t e r r e i c h ( M ü n s t e r , S.) Dr. Göran Collste, Linköping/Schweden
(Mitbestimmung)
Prof. Dr. Clifford Davidson, K a l a m a z o o / U S A Prof. Dr. Rudolf Dellsperger, Bern/Schweiz Prof. Dr. Klaus D e m m e r , Rom/Italien
(Mysterienspiele)
(Musculus)
(Moraltheologie)
Prof. Dr. Walter Dietrich, Rüfenach/Schweiz
(Nahum/Nahumbuch)
Mitarbeiter
803
Daniela Dunkel, Tübingen (Monismus/Monistenbund) Prof. D r . Wolfgang U. Eckart, Heidelberg (Mission I X ) T h e Rev. Francis Edwards S . J . , London/England (Molina/Molinismus) Prof. D r . Zeev W. Falk, Jerusalem/Israel (Mischehe I) Prof. D r . Karl Christian Felmy, Erlangen (Moskau) Dr. Reinhard Flender, H a m b u r g (Musik und Religion II) Prof. D r . Karl Suso Frank, Freiburg (Nachfolge Jesu II) Prof. William H. C. Frend, Glasgow/Schottland (Montanismus) Prof. Dr. Hans-Werner Gensichen, Heidelberg (Missionsgesellschaften/Missionswerke) P D o z . Dr. Peter Gerlitz, Bremen (Muttergottheiten; Mystik I; N a m e / N a m e n g e b u n g I) Prof. Dr. André Gounelle, Montpellier/Frankreich (Montpellier) Prof. Dr. Christian Grethlein, Halle/S. (Name/Namengebung IV; V) Prof. Dr. Henneke Gülzow, H a m b u r g (Mission I V / V ) Prof. Dr. J o h n Guy, St. Andrews/Schottland (Morus) Dr. J o a c h i m H a h n , Stuttgart ( M o a b und Israel) Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild, Münster (Münster, Univ.) Prof. Dr. Hans-Günter H e i m b r o c k , Frankfurt (Motivation) Prof. Dr. J o c h e m Hennigfeld, Düsseldorf (Name/Namengebung II) Prof. Dr. Traugott Holtz, Halle/S. ( M y t h o s / M y t h o l o g i e IV) Prof. Dr. Kurt Hübner, Kiel ( M y t h o s / M y t h o l o g i e I) Dr. Wassilios Klein, Bonn ( M ö n c h t u m I) Prof. Dr. H a n s - J o a c h i m Klimkeit, Bonn (Müller, Friedrich M a x ; Nachfolge Jesu V) Prof. Dr. J o a c h i m Knape, Tübingen (Mythos und Kunst) Dr. Jutta Krauß-Siemann, Bad Kreuznach (Muße) Prof. Dr. Leonard Kravitz, N e w York/USA (Mose ben N a c h m a n ) Prof. Dr. Gustav Adolf Krieg, Düsseldorf (Musik und Religion IV) Prof. Dr. Siegfried Kross, Bonn (Motette) Prof. Dr. Bernhard Kytzler, Berlin (Minucius Felix) t Prof. Dr. Günter Lanczkowski (Mongolische Religion) t Prof. Dr. J o a c h i m Lell (Mischehe II) Prof. Dr. M a r c Lienhard, Straßburg/Frankreich (Murner) Prof. Dr. Fairy von Lilienfeld, Erlangen ( M ö n c h t u m II) Prof. Dr. Rüdiger Liwak, Berlin (Mizpa; N a m e / N a m e n g e b u n g III) Pfarrer Dr. Johannes Loh, Köln ( M y t h o s / M y t h o l o g i e VI) Prof. Dr. Andrew Louth, London/England (Mystik Ii) Prof. Dr. Ulrich Luz, Laupen/Schweiz (Nachfolge Jesu I) Prof. Dr. J o h a n n M a i e r , Köln (Mose ben M a i m o n ) Prof. Dr. Günter M a y e r , M a i n z (Mischna) Prof. Dr. U m b e r t o M a z z o n e , Bologna/Italien (Morone) Prof. Dr. J a m e s W. M c K i n n o n , Chapel Hill/USA (Musik und Religion III) Prof. Dr. J o a c h i m Mehlhausen, Tübingen (Monismus/Monistenbund; Müller, Julius) Dr. Stuart M e w s , Cheltenham/England ( M o t t ; Moralische Aufrüstung) Prof. Dr. Niels-Peter Moritzen, Erlangen (Mission VIII) Prof. Dr. D r . Reinhard Neudecker, R o m / I t a l i e n (Nächster II) Prof. Dr. Edward N o o r t , Meerwijck/Niederlande (Nächster I) Prof. David F. N o r t o n , M o n t r e a l / K a n a d a (Moral Sense) Dr. Gabrielle Oberhänsli-Widmer, Dietikon/Schweiz ( M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / Moseschriften III) Prof. D r . J o h n S. Oyer, G o s h e n / U S A (Mosheim) Prof. D r . Hayim Goren Perelmuter, Chicago/USA (Mission II) T h e Rev. Dr. Bernhard M . G . R e a r d o n , Newcastle upon Tyne/England (Modernismus) Dr. Eckhard Reichert, H a m b u r g (Mission IV; V) T h e Rev. Prof. J o h n Riehes, Glasgow/Schottland (Nachfolge Jesu III; IV)
804
Mitarbeiter
Prof. Dr. Hermann Ringeling, Bern/Schweiz (Nächster IV) PDoz. Dr. Hartmut Rosenau, Wuppertal (Mystik III) Prof. Dr. Magne Sasb0, Sandvika/Norwegen (Mowinckel) Prof. Dr. Dieter Sänger, Gießen (Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften II) Prof. Dr. James L. Schaaf, Columbus/USA (Mühlenberg) Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Mittelalter) Prof. Dr. Klaus Schatz S . J . , Frankfurt/M. (Montalembert) Prof. Dr. Dr. Hans-Martin Schenke, Berlin (Nag Hammadi) Prof. Dr. Werner H. Schmidt, Bonn (Monotheismus II; Mythos/Mythologie III) Prof. Dr. Georg Schwaiger, München (München, Univ.) Prof. Dr. Christoph Schwöbel, Kiel (Monotheismus IV) Prof. Dr. Gottfried Seebaß, Heidelberg (Müntzer) Prof. Dr. Hans Seidel, Markkleeberg (Musik und Religion I) Dr. Esther Starobinski-Safran, Genf/Schweiz (Monotheismus III) Prof. Dr. Fritz Stolz, Zürich/Schweiz (Mythos/Mythologie II) Prof. Dr. Ake V. Ström, Lund/Schweden (Mission I; Monotheismus I; Mormonen) Oberstudiendirektor Dr. Martin Stupperich, Hannover (Mörlin) Prof. Dr. Robert Suckale, Berlin (Mystik und Kunst) Prof. Samuel S.B. Taylor, St. Andrews/Schottland (Montesquieu) Prof. Dr. Jose I. Tellechea-Idigoras, San Sebastian/Spanien (Molinos) f T h e Rev. Prof. Dr. Nigel Turner (Moulton) Prof. Dr. Werner Ustorf, Birmingham/England (Missionswissenschaft) Prof. Dr. Falk Wagner, Wien/Österreich (Mitleid) Prof. Dr. Harald Wagner, Marburg (Möhler) Prof. Dr. Andrew F. Walls, Edinburgh/Schottland (Mission VI) Prof. Dr. Dr. Günther Wartenberg, Leipzig (Moritz von Sachsen) Prof. Dr. Wilfrid Werbeck, Tübingen (Müller, Karl) Prof. Dr. Friedhelm Winkelmann, Berlin (Monenergetisch-monotheletischer Streit) Prof. Dr. Dieter Wuttke, Bamberg (Mythos und Kunst) Prof. Dr. Dieter Zeller, Mainz (Mysterien/Mysterienreligionen) Prof. Dr. Erich Zenger, Münster (Mose/Moselied/Mosesegen/Moseschriften I)
2.2. Übersetzer Aus dem
Englischen:
Prof. Dr. Horst Balz, Bochum (Moffat; Moulton) Dr. Bernhard Maier, Bonn (Nachfolge Jesu II) Prof. Dr. Joachim Mehlhausen, Tübingen (Moralische Aufrüstung) Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Mission VI; Monophysiten; Montanismus; Montesquieu; Mysterienspiele; Mystik II) Prof. Dr. Thaddäus A. Schnittker, Münster (Mosheim; Mott; Mühlenberg; Musik und Religion III) Prof. Dr. Clemens Thoma, Luzern/Schweiz (Mose ben Nachman) Rüdiger Thurm, Münster (Morus) Gerald Wittke, Pegnitz (Moral Sense) Dr. Gerhard Ph. Wolf, Pegnitz-Buchau (Molina/Molinismus)
Aus dem
Französischen:
Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Montpellier) Prof. Dr. Clemens Thoma, Luzern/Schweiz (Monotheismus III)
Artikel und Verweisstichwörter
Aus dem
805
Italienischen:
Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Morone)
Aus dem
Schwedischen:
Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Mitbestimmung)
Aus dem
Spanischen:
Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Molinos)
2.3.
Registerbearbeiter
Dr. Klaus Breuer, Heidelberg ( N a m e n / O r t e / S a c h e n ) Pfarrerin Hannelore Hollstein, Unna (Bibelstellen) 3. Artikel und Verweisstichwörter Minucius Felix (B. Kytzler) 1 M i r j a m / M i r j a m l i e d - » M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / M o s e s c h r i f t e n , -»Pentateuch Mischehe ( Z . W . F a l k / f J . Lell) 3 Mischna (G. Mayer) 13 Missale R o m a n u m -»Agende Mission (ÄV. S t r ö m / H . G . Perelmuter/O. B e t z / H . G ü l z o w / E . Reichert/A.F. Walls/ H. Bürkle/N.-P. Moritzen/W. U. Eckart) 18 Mission, Innere —»Innere Mission Missionsgesellschaften/Missionswerke (H.-W. Gensichen) 81 Missionsorden und -kongregationen - » O r d e n , Neuere katholische Missionswissenschaft (W. Ustorf) 88 Missouri-Synode —»Lutherische Kirchen Mitarbeiter, Kirchliche -»Kirchliche Berufe Mitbestimmung (G. Collste) 99 Mithraskult -»Mysterien/Mysterienreligionen Mitleid (F. Wagner) 105 M i t t e der Schrift —»Bibelwissenschaft, —»Biblische Theologie, —»Kanon Mittelalter (K. Schäferdiek) 110 Mittelamerika - » L a t e i n a m e r i k a , - » M e x i k o Mizpa (R. Liwak) 121 Mizrachi - » Z i o n i s m u s M o a b und Israel (J. Hahn) 124 Modalismus —»Jesus Christus, —»Trinität Modernismus ( B . M . G . Reardon) 129 Modrzewski, Andreas (E. Balakier) 138 Möhler, J o h a n n Adam (H. Wagner) 140 M ö n c h t u m (Wassilios Klein/F. v. Lilienfeld) 143 Mörlin, J o a c h i m ( M . Stupperich) 193 Moffat, J a m e s (H. Anderson) 196 M o g i l a , Petrus -»Petrus M o g i l a M o l i n a / M o l i n i s m u s (F. Edwards) 199 Molinos, Miguel de ( J . I . Tellechea-Idigoras) 203 Monarchianismus - » J e s u s Christus, - » T r i n i t ä t M o n a r c h o m a c h e n -»Widerstandsrecht Monenergetisch-monotheletischer Streit (F. Winkelmann) 205 Mongolische Religion ( f G . Lanczkowski) 209 M o n i s m u s / M o n i s t e n b u n d (J. M e h l h a u s e n / D . Dunkel) 212 Monolatrie —»Monotheismus
806
Artikel und Verweisstichwörter
Monophysiten (P. Allen) Monotheismus (Ä.V. Ström/W. H . Schmidt/E. Starobinski-Safran/Ch. Schwöbel) Monstranz - » Geräte, Liturgische Montaigne, Michel-Eyquem de (G. Abel) M o n t a l e m b e r t , Charles de (K. Schatz) Montanismus (W. H . C . Frend) Montesquieu, Charles-Louis de Secondat ( S . S . B . Taylor) Montpellier (A. Gounelle) M o r a l -»Sitte M o r a l Sense (D.F. Norton) Moralische Aufrüstung (S. Mews) Moralpredigt - » H o m i l e t i k Moraltheologie (K. Demmer) M o r i t z von Sachsen (G. Wartenberg) M o r m o n e n (Ä.V. Ström) M o r o n e , Giovanni (U. Mazzone) M o r u s , T h o m a s (J. Guy) Mosaikkunst -»Künste, Bildende M o s e / M o s e l i e d / M o s e s e g e n / M o s e s c h r i f t e n (E. Z e n g e r / D . Sänger/G. OberhänsliWidmer) M o s e ben M a i m o n (J. Maier) M o s e ben N a c h m a n (L. Kravitz) M o s h e i m , J o h a n n L. von (J. S. Oyer) M o s k a u ( K . C . Felmy) M o t e t t e (S. Kross) Motivation (H.-G. Heimbrock) M o t t , J o h n R . (S. Mews) M o u l t o n , J a m e s H. ( f N . Turner) M o w i n c k e l , Sigmund (M. Saebo) Mühlenberg, Heinrich ( J . L . Schaaf) Müller, Friedrich M a x ( H . - J . Klimkeit) Müller, Julius (J. Mehlhausen) Müller, Karl (W. Werbeck) Müller, M a x —»Müller, Friedrich M a x M ü n c h e n , Universität (G. Schwaiger) Münster, Reich Christi zu —»Täufer Münster, Sebastian ( K . H . Burmeister) Münster, Universität (W.-D. Hauschild) Müntzer, T h o m a s (G. Seebaß) Muhammed -»Islam M u r n e r , T h o m a s (M. Lienhard) Musäus - » O r t h o d o x i e , Lutherische Musculus, Wolfgang (R. Dellsperger) M u s i k und Religion (H. Seidel/I. A d l e r / R . Flender/J. M c K i n n o n / G . A. Krieg) . . M u ß e (J. Krauß-Siemann) Muttergottheiten (R Gerlitz) Mysterien/Mysterienreligionen (D. Zeller) Mysterienspiele (C. Davidson) Mystik (P. Gerlitz/A. L o u t h / H . R o s e n a u / K . Albert) Mystik und Kunst (R. Suckale) Mythos/Mythologie (K. Hübner/F. Stolz/W. H. Schmidt/T. Holtz/F. Beißer/J. Loh) M y t h o s und Kunst (J. K n a p e / D . Wuttke) Naassener/Naassenerhymnus -»Gnosis/Gnostizismus
219 233 262 270 271 279 282 284 291 295 302 311 318 325
330 357 362 365 367 371 373 379 382 384 388 393 394 399 403 407 409 414 436 439 441 495 497 504 527 533 592 597 665
Karten/Bildquellen N a b a t ä e r -> Arabien und Israel N a b o n i d -»Arabien und Israel, -»Daniel/Danielbuch, -»Geschichte Israels Nachfolge Jesu (U. Luz/K.S. Frank/J. Riches/H.-J. Klimkeit) Nächster (E. N o o r t / R . N e u d e c k e r / H . Balz/H. Ringeling) N a g H a m m a d i (H.-M. Schenke) N a h e r w a r t u n g —»Eschatologie N a h u m / N a h u m b u c h (W. Dietrich) N a m e / N a m e n g e b u n g (P. Gerlitz/J. Hennigfeld/R. L i w a k / C . Grethlein/K. Adloff) N a m e Gottes - » G o t t , —»Jahwe
807
678 713 731 737 743
4. Karten Stadtplan von Teil el-Nashe (Quelle: Helga Weippert, Palästina in vorhellenistischer Zeit, M ü n c h e n 1988, Abb. 4.53) S. 123 5. Bildquellen Art. Mystik und Kunst: Abb. 1: T h e Conway Library, Courtauld Institute of Art, L o n d o n . - Abb. 2: Bildarchiv Foto M a r b u r g . - Abb. 3: M ü n c h e n , Bayerische Staatsbibliothek.
ZEITSCHRIFT FÜR NEUERE THEOLOGIEGESCHICHTE JOURNAL FOR THE HISTORY OF MODERN THEOLOGY Herausgegeben von R I C H A R D E. C R O U T E R F R I E D R I C H W I L H E L M G R A F GÜNTER MECKENSTOCK Die Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte ist eine akademische Fachzeitschrift. Sie wendet sich an Theologen, Historiker, Philosophen, Religionswissenschaftler und Vertreter anderer kulturwissenschaftlicher Disziplinen. Die Zeitschrift enthält Beiträge zur Geschichte der Theologie seit der Aufklärung. Neben den verschiedenen Richtungen protestantischer Theologie und Religionsphilosophie finden auch die theologischen und religionsphilosophischen Strömungen im römischen Katholizismus und im Judentum Berücksichtigung. Die Zeitschrift ist dabei nicht auf die Theologiegeschichte im deutschen Sprachraum beschränkt. Sie wird auch Beiträge zu den theologiegeschichtlichen Transformationsprozessen in anderen europäischen Ländern sowie in Nordamerika enthalten. Die Beiträge sind in deutscher oder englischer Sprache verfaßt. Eine Zusammenfassung (abstract) in der jeweils anderen Sprache ermöglicht einen raschen Überblick.
Band 1, 1994 Pro Jahr zwei Hefte im Gesamtumfang von etwa 320 Seiten. Komplett D M 1 6 2 , - / s F r 1 5 6 , - / ö S 1 2 6 4 , Einzelheft D M 8 8 , - / s F r 8 5 , - / ö S 6 8 7 , ISSN 0943-7592 Kostenloses Freiexemplar auf Anfrage
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