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German Pages [355] Year 2017
Florian Grafl
Terroristas, Pistoleros, Atracadores Akteure, Praktiken und Topographien kollektiver Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit 1918–1936
Mit 73 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0770-2 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (LE 556/10-1). Dissertation an der Justus-Liebig-UniversitÐt Gießen, Fachbereich 04 Geschichts- und Kulturwissenschaften. 2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Allegorie der Gewalt, Die Versuchung des Menschen, Skulptur im Rosenkranz-Portal der Sagrada Familia von Antoni Gaudi, Florian Grafl.
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kurzfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Einfluss der geographischen Lage auf die Gewaltsamkeit in der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wechselwirkungen zwischen Barcelona und seiner unmittelbaren Peripherie hinsichtlich der Gewaltakteure und -praktiken . . . . 2.3 Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Typische urbane Gewaltorte und deren Funktion im Hinblick auf die Realisation kollektiver Gewaltakte . . . . . . . . . . . . . . .
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3 Ursprung, Entwicklung und Dynamik spezifischer Gewaltpraktiken in Barcelona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Kampf um den urbanen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Typische Kampfszenarien bei der Besetzung der Ramblas und anderer Orte städtischer Öffentlichkeit . . . . . . . . . . 3.1.2 Gewalträume während der (General-)Streiks und ihre Bedeutung für die Entwicklung der spezifischen Gewaltpraktiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Dimensionen der Zerstörung – Gewalt gegen Sachen und ihre kontextspezifische Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Der gewaltspezifische Wandel einer Waffe am Beispiel von Sprengsätzen in der »Stadt der Bomben« . . . . . . . . . . .
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Inhalt
3.2.2 Symbolik der Gewalt und ihrer Zielobjekte – Brandanschläge in der Zweiten Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Einfluss von Schusswaffen auf die Gewaltspezifik der Stadt – die Zeit der »Pistoleros« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Der Pistolerismo als das typische Gewaltphänomen in der Endphase der Restaurationsmonarchie . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Der Wandel vom »Pistolero« zum »Atracador« – bewaffnete Raubüberfälle als dominante Gewaltpraktik im »Chicago Europas« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Reaktionen des spanischen Zentralstaates auf die Herausforderung seines Gewaltmonopols in Barcelona . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Wirken und Wahrnehmung typischer Gewaltakteure Barcelonas und deren Vergemeinschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Gewalt als gemeinschaftsstiftendes Element . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Kooperationen und Konflikte staatlicher und staatsnaher Gewaltgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Strukturen und Funktionsweisen beispielhafter staatsferner Gewaltgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gewaltaffinität der für die Gewaltsamkeit Barcelonas bedeutendsten sozialen Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Jugendliche Gewaltakteure und ihr Beitrag zur hohen Gewaltsamkeit während der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . 4.2.2 Die Rolle der Frauen und die Bedeutung von Männlichkeitsritualen bei kollektiven Gewaltpraktiken . . . . 4.2.3 Fremde Gewaltakteure und ihr Anteil an der Gewaltsamkeit in Barcelona . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Wahrnehmung der Gewaltgemeinschaften durch die Bevölkerung Barcelonas und ihre Reaktion auf die kollektiven Gewaltakte . . . . 4.3.1 Darstellung von Gewaltpraktiken und Gewaltgemeinschaften in der Lokalpresse und ihre Funktion als Gewaltkatalysator . 4.3.2 Typische Verhaltensweisen der Bürger Barcelonas in spezifischen Gewaltsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6 Anhang . . . . . . . . . . . 6.1 Abkürzungsverzeichnis 6.2 Bildnachweise . . . . . 6.3 Quellenverzeichnis . . . 6.4 Literaturverzeichnis . .
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Danksagung
Mein besonderer Dank gilt vor allem meinem Doktorvater Prof. Dr. Friedrich Lenger, der mir über den gesamten Entstehungszeitraum der Arbeit stets mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch ohne die finanzielle Unterstützung durch die DFG im Rahmen des Forschungsprojekts »Gewaltgemeinschaften« wäre sie in dieser Form nicht realisierbar gewesen. Von der stets regen Diskussion innerhalb dieser Forschergruppe, besonders mit Sharon Bäcker-Wilke und Dr. Michael Schellenberger, die ebenfalls im Teilprojekt Stadtgeschichte tätig waren, hat diese Arbeit sicherlich genauso profitiert wie von den zahlreichen Anregungen, die ich während der Konferenzen und Tagungen erhalten habe, in denen ich mein Forschungsprojekt oder Teilaspekte meiner Arbeit vorstellen durfte. Von großer Hilfe waren Prof. Dr. Martin Baumeister, Prof. Dr. Chris Ealham, Prof. Dr. Eduardo Gonz#lez Calleja, Prof. Dr. Klaus-Jürgen Nagel und Prof. Dr. Angel Smith nicht nur durch ihre Vorarbeiten zur Thematik dieser Arbeit, sondern auch, weil sie mich stets mit ihren Ratschlägen unterstützten, was besonders bei der Erschließung und dem Umgang mit den Quellen sehr hilfreich war. Dies gilt ebenso für die Archivare und deren Mitarbeiter in den zahlreichen Archiven, die ich im Verlauf meines Projekts besucht habe und die mich stets freundlich und sehr hilfsbereit unterstützt haben. Ganz herzlich danke ich Tobias Bärwinkel, Sebastian Bravo Lutz, Stefan Bromberger, Dr. Tilman Heisterhagen, Günther Orend, Samuel Situmorang und Helena Wilkens, die mir bei den abschließenden Korrekturen in der Endphase der Arbeit sehr geholfen haben. Nicht zuletzt möchte ich mich auch bei allen Freunden und Bekannten in Barcelona bedanken, die ihren Teil dazu beigetragen haben, dass ich meine Aufenthalte in dieser Stadt in wesentlich angenehmerer Atmosphäre verbringen konnte als vermutlich die überwiegende Mehrzahl der Personen, um die es im Folgenden gehen wird.
Kurzfassung
Schon vor dem Beginn des Spanischen Bürgerkriegs im Juli 1936 durchlebte die katalanische Metropole Barcelona eine der gewaltsamsten Epochen ihrer Geschichte. Diesen Befund haben bereits zahlreiche historische Untersuchungen zu erklären versucht, wobei sie sich im Allgemeinen größtenteils auf die Ursachenforschung beschränkten. Dabei zogen sie vor allem die in Spanien zu jener Zeit vorherrschenden Konflikte heran, die fast alle auch in Barcelona ausgetragen wurden. Doch besonders die jüngeren Erkenntnisse der Gewaltsoziologie lassen einen solchen, lediglich auf Ursachen fokussierten Erklärungsansatz fraglich erscheinen. Aus diesem Grund nimmt die vorliegende Arbeit die städtische Gewalt in Barcelona in der Zwischenkriegszeit aus drei etwas anders orientierten Perspektiven in den Blick. So werden zuerst die Gewalttopographien Barcelonas untersucht. Dabei stellt sich zunächst heraus, dass sowohl die besondere geographische Lage der Stadt als auch ihre unmittelbare Peripherie großen Einfluss auf die Gewaltsamkeit in Barcelona hatten. Der direkte Blick auf die Stadt zeigt anschließend, dass demographische und soziale Unterschiede, die bereits zu dieser Zeit innerhalb bestimmter Stadtgebiete bestehen, sich auch auf deren Gewaltspezifik auswirken. Schließlich lassen sich mit Straßen, Kneipen und Bars typische urbane Gewaltorte identifizieren, die auch für die Gewaltgeschichte Barcelonas von zentraler Bedeutung waren. Bei der anschließenden Betrachtung der während der Zwischenkriegszeit in Barcelona dominierenden Gewaltpraktiken stellt sich heraus, dass es zunächst die zu dieser Zeit zahlreichen (General-) Streiks sind, die Gewalträume eröffnen. In diesen etablieren sich mit Sprengstoffanschlägen, Attentaten und bewaffneten Raubüberfällen die Gewaltpraktiken, die den städtischen Alltag dann über einen längeren Zeitraum dominieren. Begünstigt werden diese durch technische Entwicklungen im Waffenbereich und darüber hinaus auch durch die Modernisierung der städtischen Infrastruktur, die es unter anderem den Gewaltakteuren erleichtert, sich im Stadtraum zu bewegen. Nicht zuletzt trägt der spa-
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Kurzfassung
nische Zentralstaat zur hohen Gewaltsamkeit in der Stadt bei, da es ihm nur unzureichend gelingt, sein Gewaltmonopol durchzusetzen. Schließlich wendet sich die Arbeit den Gewaltakteuren zu. Dazu rückt sie zunächst Gruppierungen in den Mittelpunkt, deren konstituierendes Element in der gemeinsamen Gewaltausübung bestand. Auch wenn sich diese Gewaltgemeinschaften aufgrund der Quellenarmut insgesamt nur unvollständig rekonstruieren lassen, bestätigt sich, dass bestimmte soziale Gruppen, insbesondere junge Männer, eine sehr hohe Gewaltaffinität besitzen. Abschließend wird nach der Wahrnehmung der Gewaltpraktiken und –akteure durch die unbeteiligten Stadtbewohner gefragt, wobei vor allem die besondere Rolle der lokalen Presse als Gewaltkatalysator herausgearbeitet wird. Insgesamt gelingt es der Arbeit dadurch, eine Vielzahl von Aspekten aufzuzeigen, die neben den bereits bekannten Gründen für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit ebenfalls von zentraler Bedeutung waren und die dazu beitragen, die städtische Gewalt in Barcelona im Untersuchungszeitraum besser zu verstehen.
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Einleitung
Als unmittelbare Reaktion auf einen der insgesamt drei anarchistischen Aufstandsversuche während der Zweiten Spanischen Republik, der auch Barcelona betraf, konstatierte der katalanische Journalist Agust& Calvet Pascual unter dem Pseudonym »Gaziel« in einem Artikel in der Tageszeitung La Vanguardia (dt.: Die Avantgarde) am 13. Januar 1933 frustriert:1 »Als ich mich vor Jahren einmal in der Nähe von Warschau aufhielt, war es mir unmöglich, einigen meiner dortigen Bekannten aus gutbürgerlichem Milieu zu erklären, von welchem Schlage die Bevölkerung Barcelonas ist, bis schließlich einer von ihnen ausrief: ›Ah, jetzt ist der Groschen gefallen: Die Stadt der Bomben.‹ Wir sind, genau wie die Bettler oder die Zigeuner, in der ganzen Welt als schmutzig verschrien […]. Barcelona ist die Stadt der Bomben, […] seit vierzig Jahren lebe ich hier und ich kann nicht leugnen, dass Bomben die ganze Zeit über ein permanenter Bestandteil des städtischen Alltags waren: Von der Bombe in der Calle de Cambios Nuevos auf Mart&nez Campos bis zu der Anschlagsserie von Rull und seinen Komplizen, in jener Zeit der Explosionen in dunklen Treppenhäusern und dem Einsammeln von Straßenbomben mit gepanzerten Fahrzeugen. Und wenn gerade keine Bomben die Stadt erschütterten, dann trieben die Pistoleros ihr Unwesen, und wenn diese verschwanden, dann dominierten die Raubüberfälle und manchmal, wie gerade zurzeit, erleben wir Bomben, Überfälle und Pistoleros, also alles gleichzeitig. Und wenn uns aufgrund irgendeines äußerst seltenen Zufalls nichts von alledem zu schaffen macht und eine trügerische Ruhe eintritt, dann nur, weil wir gerade von einer Diktatur beherrscht werden.«2
Agust& Calvet Pascual war als kleiner Junge mit seinen Eltern nach Barcelona gezogen und hatte kurz nach seiner Ankunft in der Stadt das in dem Zitat 1 Für eine ausführliche Darstellung der Ereignisse des anarchistischen Aufstands vom Januar 1933, auf die sich Agust& Calvet Pascual in dem hier zitierten Artikel unmittelbar bezieht, siehe Kapitel 3.1.2. 2 Dieser hier in einem kurzen Auszug zitierte und vom Verfasser dieser Arbeit übersetzte Artikel findet sich in der von Jordi Amat herausgegebenen Edition von Artikeln, die Agust& Calvet Pascual zwischen 1919 und 1933 verfasst hat, vgl. Gaziel, Barcelona, S. 161f. Auch die weiteren fremdsprachigen Zitate in dieser Arbeit wurden, wenn nicht anders angemerkt, vom Verfasser dieser Arbeit übersetzt.
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Einleitung
erwähnte Attentat auf General Mart&nez Campos aus nächster Nähe miterlebt.3 Auch das zweite aus dieser ersten Reihe von spektakulären Anschlägen in Barcelona muss auf ihn einen großen Eindruck gemacht haben, hätte er dabei doch fast seine Eltern verloren. Sein Vater hatte im Liceu-Theater Plätze reserviert, die nicht weit von der Sitzreihe entfernt waren, in die der Anarchist Santiago Salvador am 7. November 1893 eine Orsini-Bombe warf. Lediglich ein Zufall – so schildert es zumindest Agust& Calvet Pascual in seiner Autobiographie – habe seine Eltern an jenem Abend davon abgehalten, ins Theater zu gehen, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatten.4 Dass es sich bei dem Eingangszitat nicht nur um eine rein individuelle Wahrnehmung handelt, sondern die Gewaltsamkeit in Barcelona vor Beginn des Bürgerkrieges auch tatsächlich außerordentlich hoch war, veranschaulicht die Grafik (Abb. 1), in der die Ergebnisse der eigenen Untersuchungen für die Gewaltakte dargestellt sind, die Agust& Calvet Pascual in dem zitierten Artikel erwähnte.5 Das Diagramm lässt deutlich erkennen, dass in den unmittelbaren Nachkriegsjahren von 1918 bis zum Ende der spanischen Restaurationsmonarchie 1923 zahlreiche Menschen vor allem den von »Pistoleros« verübten Attentaten zum Opfer fielen. In der im April 1931 beginnenden Zweiten Republik überwogen dann Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle, die 1933, in dem Jahr, als Agust& Calvet Pascual den Artikel verfasste, ihren Höhepunkt erreichten und schließlich bis zum Beginn des spanischen Bürgerkrieges den städtischen Alltag Barcelonas nicht mehr zur Ruhe kommen lassen sollten. Lediglich während der von 1923 bis 1930 andauernden Diktatur Primo de Riveras blieb die Stadt von den genannten Gewaltformen weitestgehend verschont, was sich ebenfalls in der im Zitat formulierten Wahrnehmung des Zeitgenossen widerspiegelt. Neben den von Agust& Calvet Pascual genannten Delikten häuften sich in Barcelona im selben Zeitraum auch Brandstiftungen und Sachschäden durch Vandalismus. Darüber hinaus boten die drei Aufstandsversuche vonseiten der Anarchisten und die Erhebung der Katalanen während der Zweiten Republik sowie die zahlreichen Streiks besondere »Gewalträume«. Diesen Begriff hat vor allem der Osteuropa-Historiker Jörg Baberowski geprägt, allerdings wird er von diesem, wie Friedrich Lenger in einer aktuellen und kritischen Rezension zu Baberowskis neuestem Buch »Räume der Gewalt« anmerkt, etwas diffus gebraucht.6 In 3 Vgl. Gaziel, Camins, S. 40f. 4 Vgl. Gaziel, Camins, S. 56. 5 Die dieser Grafik zugrunde liegenden Zahlen basieren auf der vom Verfasser dieser Arbeit vorgenommenen Auswertung aller Gewalttaten, die in den ausgewählten Lokalzeitungen dokumentiert sind. Eine genauere Erklärung, wie die ermittelten statistischen Werte zustande gekommen sind, wird im weiteren Verlauf der Einleitung noch gegeben. 6 Vgl. Lenger, Räume, S. 103.
Einleitung
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Abb. 1: Anzahl typischer kollektiver Gewaltakte in der Zwischenkriegszeit
Abgrenzung dazu wird dieser Begriff in der hier vorliegenden Arbeit enger gefasst, indem unter »Gewalträumen« Situationen verstanden werden, in denen eine Gewaltanwendung erfolgen kann, ohne dass die Täter mit Konsequenzen rechnen müssen bzw. Konsequenzen wesentlich unwahrscheinlicher sind als unter »normalen« Umständen. Dies war in Barcelona meistens dann der Fall, wenn durch die bereits erwähnten Streiks oder Aufstände bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Wie im Verlauf der Arbeit noch zu zeigen sein wird, konnten solche Gewalträume jedoch auch in Zeitabschnitten entstehen, in denen die städtische Ordnung zwar gerade nicht durch Unruhen stark beeinträchtigt war, aber der Staat es aus anderen Gründen nicht vermochte, sein Gewaltmonopol vollständig auszuüben. Auf der anderen Seite trug der spanische Zentralstaat aber auch selbst in nicht unerheblicher Weise zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona bei, etwa in Form von willkürlichen Razzien, massenhaften Verhaftungen und Folterungen sowie dem gefürchteten »Ley de Fugas«, einem Gesetz, das es Polizisten erlaubte, festgenommene Verdächtige ohne Vorwarnung auf der Flucht zu erschießen.7 Dieser hier kurz skizzierte Befund überrascht in zweierlei Hinsicht: So hat die Geschichtsschreibung die europäische Zwischenkriegszeit zwar unlängst als eine Epoche herausgestellt, in der die Gewalt vor allem bei den kriegsführenden Nationen ein Kontinuum bildete, das an den Ersten Weltkrieg anknüpfte und 7 Da sämtliche hier genannten Gewaltformen im weiteren Verlauf der Arbeit noch ausführlich erörtert werden, wird hier auf entsprechende Belege verzichtet.
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dann auf noch verheerendere Weise im Zweiten Weltkrieg fortgesetzt wurde. Spanien aber, das aufgrund seiner Neutralität in beiden Weltkriegen und durch seinen Bürgerkrieg eine scheinbar ganz andere Entwicklung genommen hatte, blieb dabei bisher meist ausgeklammert.8 In der Stadtgeschichte galt die Stadt im Allgemeinen lange Zeit als ein Ort, an dem Konflikte friedlich ausgetragen wurden und Gewalt, wenn überhaupt, in erster Linie von außen – etwa in Form von Bombardierungen während der Weltkriege – in die städtische Lebenswelt hineingetragen wurde.9 Konsequenterweise versuchten bereits die Zeitgenossen Agust& Calvet Pascuals, Erklärungen für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit zu finden. Er und viele andere Angehörige der Mittel- und Oberschicht Barcelonas sahen die Ursachen dafür zum einen in der Arbeiterklasse und den ärmeren Bevölkerungsschichten Barcelonas sowie zum anderen im Staat, der sie nicht ausreichend vor der großen Mehrheit der Bevölkerung Barcelonas schützte, die von ihnen pauschal als »gefährliche Klasse« wahrgenommen wurde. Diese dagegen rechtfertigten die von ihnen ausgehende Gewalt als Gegenreaktion auf den Staatsterrorismus und die Ausbeutung durch die Oberschicht, welche die Arbeiter ihrer Lebensgrundlagen berauben und ihnen deshalb keine andere Wahl lassen würde, als ihre Existenzgrundlage mit kriminellen und teilweise auch gewaltsamen Mitteln sicherzustellen. Darüber hinaus lässt sich als Erklärungsgrundlage für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona auch anführen, dass diese Stadt eine Bühne für viele der innerspanischen Konflikte bot, die später von Historikern als Ursachen für den Spanischen Bürgerkrieg herausgearbeitet wurden. Dabei sind zunächst die schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen eines Großteils der spanischen Bevölkerung zu nennen, die sich, wie bereits angedeutet, auch in Barcelona manifestierten. So lag Anfang des 20. Jahrhunderts die durchschnittliche Lebenserwartung der insgesamt 18,6 Millionen Einwohner Spaniens bei nur 35 Jahren und damit deutlich niedriger als in den meisten Ländern Europas.10 Auch 8 Als aktuelles Beispiel sei hier nur der Sammelband von Gerwarth/Horne genannt, der sich mit paramilitärischen Verbänden in der Zwischenkriegszeit befasst. Die dort untersuchten länderspezifischen Fallstudien umfassen geografisch ein außerordentlich großes Gebiet und erstrecken sich über die mitteleuropäischen Staaten bis nach Irland und Finnland im Norden sowie Russland, das Baltikum und die Ukraine im Osten und Italien, das Osmanische Reich und den Balkan im Süden. Doch Spanien bleibt bemerkenswerterweise ohne nähere Begründung von der Untersuchung ausgenommen, vgl. Gerwarth/Horne, Krieg. 9 Vgl. Scheutz, Stadt, sowie Lenger, Stadtgeschichten, S. 316. Aktuelle Beispiele hierfür finden sich sowohl in Gesamtdarstellungen wie Pinol, Histoire, als auch in vielen Stadtbiographien wie zum Beispiel White, London. Das Hereinbrechen kriegerischer Gewalt hat Chickering am Beispiel von Freiburg exemplarisch untersucht, vgl. Chickering, Freiburg. 10 Dagegen war in Schweden die durchschnittliche Lebenserwartung mit 54 Jahren um fast 20 Jahre höher, vgl. Livi Bacci, Europa, S. 174ff.
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wenn dies vor allem auf das marode Gesundheitssystem und die daraus resultierende hohe Kindersterblichkeit zurückzuführen sein dürfte, scheinen die Lebensbedingungen in Spanien in dieser Zeit im Allgemeinen sehr schlecht gewesen zu sein.11 Ein soziales Sicherungssystem, wie es sich zu dieser Zeit bereits in anderen europäischen Ländern – wie zum Beispiel Deutschland – entwickelt hatte, war in Spanien, wo die Armenfürsorge traditionell die Aufgabe der katholischen Kirche war und nur sporadisch und punktuell stattfand, weit weniger ausgeprägt.12 Der spanische Staat unternahm auch sehr wenig, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Zwar wurden um 1900 in Spanien die ersten Arbeitsgesetze erlassen, die unter anderem Arbeitsunfällen vorbeugten, Frauenarbeit einschränkten und Kinderarbeit verboten, doch dauerte es lange bis diese Bestimmungen in der Praxis umgesetzt wurden.13 Da vom Staat keinerlei Hilfe zu erwarten war, verzeichneten die Gewerkschaften in Spanien einen großen Zulauf. Nicht zuletzt durch die besonders dramatische Situation der Arbeiter in Barcelona konnte die gemäßigte Gewerkschaft »Unijn General de Trabajadores« (dt.: Allgemeine Vereinigung der Arbeiter, im weiteren Verlauf der Arbeit als UGTabgekürzt), im Gegensatz zu anderen Städten wie Madrid, nie wirklich Fuß fassen.14 Stattdessen verbuchte die wesentlich radikalere, anarchistisch geprägte Gewerkschaft »Confederacijn Nacional del Trabajo« (dt.: Nationale Konföderation der Arbeit, im weiteren Verlauf als CNT abgekürzt) seit ihrer Gründung 1910 ständig steigende Mitgliederzahlen, sodass der englische Historiker Chris Ealham sicherlich nicht zu Unrecht behauptete, Barcelona sei Ende 1918 die Stadt gewesen, in der am meisten Arbeiter in einer Gewerkschaft organisiert waren.15 Das politische Fundament für den Widerstand gegen den Staat bot der Anarchismus. Die historische Forschung hat komplexe Erklärungsansätze für die weite Verbreitung des Anarchismus in Spanien gefunden, die hier nicht ausführlich diskutiert werden können, da der Schwerpunkt dieser Arbeit, wie sich im weiteren Verlauf zeigen wird, eine gänzlich andere Zielrichtung verfolgt. Ein wesentlicher Faktor ist aber zweifelsohne, dass vor allem den Menschen der unteren Gesellschaftsschichten nahezu keinerlei politisches Mitspracherecht 11 Vgl. Casanova/Gil, Historia, S. 19. Walther Bernecker weist allerdings darauf hin, dass die Lebenserwartung bis 1930 auf 50 Jahre und damit deutlich anstieg, was er auf den Rückgang der Kindersterblichkeit zurückführt, vgl. ders., 20. Jahrhundert, S. 93f. 12 Die Armenfürsorge untersuchte Callahan, Catholic Church, S. 230ff. und kommt dabei zum Ergebnis, dass diese erst 1875 aufgrund der Stabilisierung der politischen Verhältnisse durch die Restaurationsmonarchie etwas besser wurde, die dafür eingesetzten Mittel aber auch dann bei Weitem nicht ausreichten, um die Versorgung der Armen sicherzustellen. 13 Vgl. Balcells, Catalunya Contempor/nea, S. 665. 14 Vgl. Smith, Anarchism, S. 127. 15 Vgl. Ealham, Class and the City, S. 37.
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zugebilligt wurde. Dies war vor allem auf den sogenannten »turno pac&fico« (dt.: friedlicher Wechsel) zurückzuführen, der einen friedlichen Wechsel zwischen den beiden konkurrierenden Parteien im spanischen Parlament durch Manipulation der Wahlergebnisse vorsah. Dies wurde ermöglicht durch den auf lokaler Ebene herrschenden »Caciquismo« (dt.: Kazikentum), ein Klientelsystem, bei dem einflussreiche Personen, etwa durch Ausübung von Druck, die Wahlergebnisse manipulierten und dafür von den Autoritäten mit Privilegien ausgestattet wurden.16 Dass die anarchistischen Ideen besonders in Barcelona auf fruchtbaren Boden fielen, dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass dort in den vorangegangenen Jahrzehnten ein großes Proletariat entstanden war. Dies war dadurch bedingt, dass sich Katalonien, wie der spanische Wirtschaftshistoriker Jordi Nadal gezeigt hat, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur bedeutendsten Industrieregion Spaniens entwickelte hatte, während in den meisten anderen Regionen Spaniens kaum eine Industrialisierung stattfand.17 Die gehobenen Gesellschaftsschichten sahen im Anarchismus eine Bedrohung und Störung der öffentlichen Ordnung und verurteilen ihn deshalb scharf. Durch eine Serie anarchistischer Terroranschläge in Barcelona im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurden sie dann in ihren Vorbehalten bestätigt.18 Der Anarchismus blieb bis zum spanischen Bürgerkrieg in Barcelona ein prägendes Element. So gewann während der Zeit der Zweiten Republik in Barcelona neben der CNT mit der Federacijn Anarquista Ib8rica (dt.: Iberische Föderation der Anarchisten, im weiteren Verlauf der Arbeit mit FAI abgekürzt), die sich während der Diktatur Primo de Riveras im Jahr 1927 gegründet hatte, eine weitere anarchistische Organisation an Einfluss.19 Außerdem war einer der Gründe, warum der Militärputsch Francos im Juli 1936 in Barcelona scheiterte, die große Zahl bewaffneter Anarchisten, die sich in Barcelona mit den putschenden Soldaten blutige Straßenkämpfe lieferten, und so verhindern konnten, dass diese, wie geplant, die strategisch wichtigen Punkte in der Stadt besetzen konnten.20
16 Vgl. Moreno Luzjn, Government, S. 35f. 17 Zur wirtschaftlichen Sonderstellung Kataloniens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu den Gründen für die sich nur sehr langsam vollziehende Industrialisierung in vielen anderen Regionen Spaniens vgl. Nadal, Fehlschlag. 18 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 221. Auf die im Text erwähnten anarchistischen Terroranschläge in Barcelona während der 1890er Jahre wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch ausführlicher eingegangen, weshalb hier auf entsprechende Literaturbelege zunächst verzichtet wird. 19 Einen allerdings eher wohlwollenden Überblick über die Geschichte der FAI bietet Christie, Anarchists. 20 Wie der Militärputsch im Juli 1936 in Barcelona konkret ablief, wird in dieser Arbeit im
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Dass eines der Ziele der anarchistischen Terroranschläge der 1890er Jahre – neben den bereits erwähnten Attentaten auf General Mart&nez Campos während einer Militärparade und der Bombe im Liceu-Theater, einem der wichtigsten Treffpunkte der Oberschicht Barcelonas – auch eine Prozession der katholischen Kirche war, deutet auf einen weiteren Konflikt in der damaligen spanischen Gesellschaft hin, der im radikalen Antiklerikalismus bestand.21 Dieser trat noch deutlicher in Erscheinung, als in Barcelona der Protest gegen die Einberufung katalanischer Reservisten für den Krieg in Marokko Ende Juli 1909 einen blutigen Aufstand auslöste, der später unter der Bezeichnung »Semana Tr#gica« (dt.: Tragische Woche) in die Geschichte eingehen sollte. Dabei wurden in Barcelona zahlreiche Kirchen und Klöster in Brand gesteckt.22 An diesen kollektiven Gewaltakten sollen auch viele Mitglieder der Republikanischen Partei von Alejandro Lerroux beteiligt gewesen sein, der nach diesen Ereignissen aus Barcelona floh, um einer Verhaftung zu entgehen. Seine liberal ausgerichtete Partei hatte das Ziel, in Spanien wieder ein republikanisches System zu etablieren, nachdem die Erste Spanische Republik Ende 1874 nach nur knapp zwei Jahren durch das Militär beendet worden war und anschließend die spanische Restaurationsmonarchie unter Alfons XII. und später unter seinem Sohn Alfons XIII. entstand. Ähnlich wie die Anarchisten sahen auch die von Lerroux angeführten Republikaner nicht nur den spanischen Zentralstaat, sondern auch die katholische Kirche als Feind an, zum einen, weil diese für sie als Sinnbild für eine in ihren Augen rückständige Gesellschaft galt und zum anderen, weil sie eng mit dem Staat verbunden war und andere Religionen in Spanien nie wirklich Fuß fassen konnten.23 Die Abkehr vom spanischen Zentralstaat wurde auf regionaler Ebene zusätzlich durch den aufkommenden katalanischen Nationalismus verstärkt. Einer der Auslöser dafür war der Verlust der letzten wichtigen spanischen Kolonien Kapitel 3.1.2 noch genauer besprochen, in dem unter anderem die Auswirkungen der zahlreichen Aufstände während der Zweiten Republik auf Barcelona erörtert werden. 21 Auch hier erhebt die vorliegende Arbeit nicht den Anspruch, dieses äußerst komplexe Phänomen umfassend darstellen zu können und begnügt sich lediglich mit dem Hinweis, dass der Katholizismus in Spanien nach der Vertreibung der Juden und Muslime in der Frühen Neuzeit zur Staatsreligion wurde und auch der Protestantismus in Spanien nie richtig Fuß fassen konnte, wodurch Staat und Kirche stets eng miteinander verbunden blieben. Einen Überblick zum Antiklerikalismus in Spanien bieten etwa Delgado, Ira und la Parra Ljpez / Su#rez Cortina, Anticlericalismo. Als klassische Studie zur antiklerikalen Gewalt während der Tragischen Woche sei hier auf das Werk von Connelly Ullman, Tragic Week, verwiesen. Für eine aktuelle Untersuchung zur antiklerikalen Gewalt in Spanien während der Zweiten Republik und des Bürgerkrieges vgl. Thomas, Faith. 22 Auch dieses Ereignis wird im Kapitel 3.1.2 der Arbeit noch genauer dargestellt. 23 Bezüglich des Einflusses von Alejandro Lerroux und seiner republikanischen Partei in Barcelona siehe Kapitel 3.1.1.
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Kuba und der Philippinen, was im Jahr 1898 zu einer ersten größeren Krise der spanischen Restaurationsmonarchie führte. In den nachfolgenden Jahren postulierte der Katalanismus, der seit seiner Entstehung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst ein kulturelles Phänomen gewesen war, nun verstärkt auch politische Forderungen, die zur Bildung der »Lliga Regionalista« (dt.: Partei der Regionalisten) führten, einer Partei, die sich für die Autonomie Kataloniens einsetzte.24 Die wichtigste und zugleich auch radikalste Gegenbewegung zu den drei genannten politischen Strömungen, die den spanischen Zentralstaat bekämpften, war der Karlismus. Diese Bewegung hatte ihren Ursprung im Tod des damaligen spanischen Königs Ferdinand VII. im Jahr 1833. Da die Nachfolgeregelung nicht eindeutig geklärt war, kam es zu einem Bürgerkrieg zwischen den als Karlisten bezeichneten Anhängern von Ferdinands Bruder Karl, der für einen extrem konservativen Absolutismus stand und den Anhängern von Ferdinands Tochter Isabella, deren Interessen von ihrer Mutter Maria Cristina wahrgenommen wurden, da Isabella noch minderjährig war. Diese verbündeten sich mit den gemäßigten liberalen Kräften und die Auseinandersetzung endete schließlich 1840 mit der Niederlage der Karlisten.25 In den folgenden Jahrzehnten kam es zu zwei weiteren Karlistenkriegen, in denen die Staatsmacht zwar jeweils die Oberhand behielt, diese Bewegung aber nicht vollständig unterdrücken konnte.26 Trotz Spaniens Neutralität hatte der Erste Weltkrieg auch dort gravierende Auswirkungen. So argumentiert etwa der spanische Historiker Eduardo Gonz#lez Calleja, einer der größten Experten hinsichtlich der politischen Gewalt in Spanien während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in einer seiner zahlreichen richtungsweisenden Untersuchungen, dass man für Spanien zwar nur sehr schwer konkrete Anzeichen einer »Brutalisierung« durch den Ersten Weltkrieg feststellen könne, es sich aber eindeutig nachweisen lasse, dass sich die in Spanien bereits bestehenden, hier kurz skizzierten Konflikte dadurch deutlich verschärften.27 Dies galt im besonderen Maße für das unmittelbar an Frankreich angrenzende Katalonien, auch wenn der katalanische Historiker David Mart&nez Fiol in einer umfangreichen Studie überzeugend nachgewiesen 24 Für eine aktuelle Darstellung zum Ursprung des Katalanismus siehe Smith, Origins. Für die Politisierung des Katalanismus siehe zum Beispiel Nagel, Arbeiterschaft und Termes, Catalanisme. 25 Eine aktuelle, umfangreiche Studie zum Karlismus bietet Canal, Banderas. Für einen Überblick zu den Grundzügen und der Entstehung des Karlismus siehe Arjstegui, Carlismo und ders., Or&gines. Bezüglich des ersten Karlistenkrieges vgl. Gonz#lez Calleja, Primera guerra. 26 Vgl. dazu etwa die Darstellung bei Arjstegui, Crisis. 27 Vgl. Gonz#lez Calleja, Brutalizacijn, S. 30.
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hat, dass es sich bei der Behauptung, dass Zehntausende von katalanischen Freiwilligen für die Alliierten gekämpft hätten, nur um einen lange nachwirkenden, vermutlich auf katalanische Nationalisten zurückgehenden Mythos handelt.28 Von den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges war besonders Barcelona als die wichtigste spanische Industriestadt betroffen. So profitierten viele Industrielle in Barcelona von der spanischen Neutralität während des Ersten Weltkrieges, weil sie mit beiden Konfliktparteien ertragreiche Geschäfte machen konnten.29 Während diese dadurch oft ihren Reichtum beträchtlich steigern konnten, verschlechterte die Inflation als Folge des Krieges die Lage der ärmeren Bevölkerung dramatisch, da die Lebenshaltungskosten aus diesem Grund in den unmittelbaren Nachkriegsjahren auf 180 % des Vorkriegsniveaus angestiegen waren.30 Darüber hinaus setzte in dieser Zeit eine »zweite industrielle Revolution« ein, in der die Arbeiterklasse von Barcelona durch zahlreiche Migranten, vor allem aus anderen spanischen Provinzen, endgültig zu einer Massengesellschaft wurde, wobei es sich meistens um zugewanderte ungelernte Arbeiter handelte.31 In dieser Zeit erlebte die Gewerkschaft CNTeine Radikalisierung, die sich im Bekenntnis zur »direkten Aktion« und in der Neudefinierung ihrer Ziele niederschlug, die nicht mehr lediglich im Kampf gegen die steigenden Lebenshaltungskosten, sondern in der sozialen Revolution bestehen sollte, was sie unweigerlich in Konflikt nicht nur mit der Staatsmacht, sondern auch mit den Industriellen brachte. Dazu wurden ab dem Sommer 1918 die sogenannten »Sindicatos 5nicos« (dt.: Einheitssyndikate) gegründet, wobei es sich um Gewerkschaftssyndikate handelte, in denen die Arbeitervereinigungen nun nicht mehr nur innerhalb einer Berufsgruppe, sondern innerhalb eines gesamten Industriezweiges zusammengefasst wurden, um so ihre Effektivität zu erhöhen.32 Den Sindicatos 5nicos erwuchs mit den »Sindicatos Libres« (dt. Freie Syndikate) bald eine Konkurrenzgewerkschaft, die in den Arbeitskämpfen wesentlich gemäßigter auftrat und deshalb oft als »gelbe Gewerkschaft« beschrieben wurde, die aber in ihrer Gewaltanwendung im Kampf gegen die Sindicatos 5nicos deren Radikalität in nichts nachstand.33 Ein Grund hierfür war ver28 29 30 31 32
Vgl. Mart&nez i Fiol, Voluntaris, S. 146. Vgl. Smith, Barcelona, S. 9. Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 20. Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 25. Einen Überblick zur Entwicklung der CNT gibt zum Beispiel Biberauer, Anarchismus. Eine aktuelle und umfangreichere, allerdings auch etwas wohlwollende Darstellung zur Geschichte dieser Gewerkschaft bietet Aisa P/mpols, CNT. 33 Vgl. die ausführliche Studie zu den Sindicatos Libres, Winston, Workers. In dieser relativiert der Autor überzeugend das bis dahin bestehende Vorurteil, bei dieser Organisation habe es sich nur um eine »gelbe« Gewerkschaft gehandelt.
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mutlich, dass sich unter den Mitgliedern der Sindicatos Libres viele Karlisten befanden. Der Karlismus war im 19. Jahrhundert vor allem in ländlichen Gegenden verbreitet gewesen, wurde ab Beginn des 20. Jahrhunderts aber dann nach und nach auch zu einem städtischen Phänomen, im Zuge dessen in Barcelona und seiner unmittelbaren Umgebung zwischen 1915 und 1920 mehr als 20 karlistische Zentren entstanden.34 Dabei knüpften die Karlisten an ihre militärische Tradition an, die sich in den drei Karlistenkriegen etabliert hatte, was sich neben einer gewaltsamen Rhetorik auch praktisch in paramilitärischem Training widerspiegelte.35 Auch wenn das hier nur äußerst knapp skizzierte Konfliktpotenzial zweifellos beträchtlich erscheint und sich, wie hier zunächst nur kurz angedeutet, im Zuge des Ersten Weltkriegs noch einmal deutlich intensivierte, scheint es doch fraglich, ob sich die Gewalt in Barcelona unter Beibehaltung dieser auf die Ursachen der Gewalt verengten Sichtweise vollständig erklären lässt, oder ob dabei nicht lediglich die bereits von den Zeitgenossen postulierten Schuldzuweisungen und Rechtfertigungsstrategien tradiert werden. Im Bewusstsein, dass die bestehenden Konfliktlinien zweifellos für das Verstehen von Gewalt unerlässlich sind und stets mitbedacht werden müssen, soll der Schwerpunkt dieser Arbeit jedoch etwas anders gesetzt werden mit dem konkreten Ziel, durch den Perspektivenwechsel einen Beitrag zum besseren Verständnis der hohen Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit leisten zu wollen. Ohne die in der historischen Forschung bisher postulierten Erklärungen außer Acht zu lassen, soll die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit aus drei anderen Blickwinkeln betrachtet werden, um aufzuzeigen, dass die Gründe dafür zu komplex und zu umfassend sind, um sie alleine auf einzelne Ursachen zurückzuführen. So soll zunächst Barcelona als Gewaltort in den Blick genommen werden. Dieser Ansatz basiert auf der Theorie des »spatial turn« in den Kulturwissenschaften.36 Während dies für die Geschichtswissenschaft im Allgemeinen eine Annäherung an die Geographie und deren Arbeitsmethoden bedeutete, stand in der jüngeren Stadtgeschichtsforschung nicht so sehr die architektonische und bauliche Entwicklung der Stadt im Mittelpunkt, sondern die Frage, wie einzelne Stadträume durch ihre Bewohner genutzt wurden.37 Eine weitere aktuelle Tendenz der Stadtgeschichtsschreibung besteht in der vor allem von Friedrich Lenger angestoßenen Wende, Städte nicht mehr a priori als Orte des friedlichen Zusammenlebens zu betrachten, sondern der Tatsache Rechnung zu tragen, dass 34 Vgl. Gabriel, Red Barcelona, S. 58f. 35 Für eine überzeugende Analyse des Gewaltrepertoires der Karlisten, vgl. Gonz#lez Calleja, La violencia y la pol&tica. 36 Siehe dazu etwa Bachmann-Medick, Spatial Turn sowie Löw, Raumsoziologie. 37 Vgl. Morscher/Scheutz/Schuster, Ort, S. 12ff.
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Städte besonders in der Moderne Bühne für eine Vielzahl von ganz unterschiedlich ausgeprägten Gewaltarten waren.38 Dass es sich hierbei offenbar um einen umfassenderen Trend handelt, unterstreicht die Tatsache, dass neben den Arbeiten von Friedrich Lenger in jüngster Zeit auch weitere Untersuchungen das Phänomen der »städtischen Gewalt« in den Blick nehmen.39 Diese beiden Tendenzen verknüpfend soll in dieser Arbeit deshalb zunächst Barcelona und seine Peripherie untersucht werden hinsichtlich der Frage, wie die geographische Lage der Stadt und ihre topographischen Besonderheiten zu der besonderen Gewaltsamkeit in dieser Stadt beitrugen (Kapitel 2). Anschließend werden die für Barcelona im Untersuchungszeitraum typischen Gewaltpraktiken und Gewaltsituationen betrachtet. Dieser Ansatz geht auf die von der Gewaltsoziologie wiederholt postulierte Forderung zurück, die vorherrschenden Gewaltsituationen genauer zu untersuchen, anstatt nur eine reine Ursachendiagnose durchzuführen.40 Der deutsche Soziologe Ferdinand Sutterlüty hat in einem aktuellen Aufsatz über »Kollektive Gewalt und urbane Riots« gefordert, dass eine solche Betrachtung von Gewaltsituationen unabhängig von den beteiligten Akteuren erfolgen müsse und sich nicht auf die Analyse der vorherrschenden Konflikte, aus denen diese Situationen hervorgegangen sind, sowie ihren historischen Ablauf beschränken dürfe.41 Auch wenn die Geschichtswissenschaft zunehmend erkannt hat, dass es nicht ausreicht, nach den Ursachen von Gewalt zu fragen, scheint hier der Einwand von Friedrich Lenger berechtigt, dass die Motive dabei nicht ganz unberücksichtigt bleiben dürfen, wenn Gewaltsituationen in ihrer Spezifität vollständig erfassen werden sollen.42 Demzufolge soll in dieser Arbeit bei der Untersuchung der Gewaltsituationen ihr Kontext nicht völlig außer Acht gelassen werden, der Schwerpunkt in diesem Kapitel soll jedoch darauf liegen, zunächst herauszuarbeiten, welche Gewaltpraktiken in Barcelona im Untersuchungszeitraum dominierend waren. Daraus ergibt sich die Frage, wann und warum ausgerechnet diese gehäuft auftraten. Schließlich ist nach der Dynamik dieser Gewaltsituationen zu fragen, 38 Siehe hierzu, Lenger, Metropolen sowie ders. Kollektive Gewalt. 39 So widmete etwa die Zeitschrift »Informationen zur modernen Stadtgeschichte« eine aktuelle Ausgabe dem Themenschwerpunkt »Stadt, Raum und Gewalt«. Darüber hinaus erschien vor Kurzem ein von Elisabeth Gruber und Andreas Weigl herausgegebener Sammelband »Stadt und Gewalt«. 40 Hierzu grundlegend: Trotha, Soziologie. Dass sich diese Sichtweise durchaus etabliert hat, zeigt sich etwa bei Collins, Dynamik, S. 11. Ein bedeutender Verfechter der Forderung, dies auch auf historische Untersuchungen zu übertragen, findet sich in Jörg Baberowski, vgl. etwa ders. Ermöglichungsräume. S. 18 und ders., Räume der Gewalt S. 11. 41 Vgl. Sutterlüty, Kollektive Gewalt, S. 223f. 42 Vgl. Lenger, Räume, S. 102. Einer von zahlreichen Historikern, der sich jüngst gegen eine reine Ursachenanalyse bei der Erforschung von Gewalt ausgesprochen hat, ist Habbo Knoch, siehe ders. Einleitung, S. 44.
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also wie und durch welche Umstände sich die Gewaltpraktiken im Untersuchungszeitraum veränderten (Kapitel 3). Dagegen sollen die Gewaltakteure, die – der Forderung Sutterlütys Rechnung tragend – zunächst bei der Untersuchung der Gewaltsituationen ausgeklammert bleiben, nun stattdessen in dem dritten und letzten Hauptkapitel dieser Arbeit separat in den Blick genommen werden. Hierbei ist die vorliegende Arbeit vor allem zunächst dadurch geprägt, dass sie im Rahmen des von der DFG geförderten Forschungsprojekts »Gewaltgemeinschaften« entstanden ist. Darunter sind nach Winfried Speitkamp, dem Sprecher dieser Forschergruppe, Netzwerke zu verstehen, »für die physische Gewalt einen wesentlichen Teil ihrer Existenz ausmacht, sei es, dass sie ihren Lebensunterhalt mit Einsatz von Gewalt erwerben, sei es, dass ihr Zusammenhalt und ihre Identität auf gemeinsamer Gewaltausübung beruhen.«43 Die beiden Historiker Horst Carl und Hans-Jürgen Bömelburg, ebenfalls Mitglieder dieser Forschergruppe, haben in der Einleitung zum Sammelband »Beute« auf die Tradition hingewiesen, welche die Untersuchung von Gruppen als Gewaltakteure in der Militärsoziologie und in der Militärgeschichte aufweist.44 Für die Untersuchung solcher Gruppierungen in der Zwischenkriegszeit bietet neben den Forschungsergebnissen der Chicago School, die sich vor allem mit den Straßengangs in Chicago in den 1920er Jahren befasste, die vergleichende Studie über die faschistischen Kampfbünde in Italien und Deutschland von Sven Reichardt ein bemerkenswertes Beispiel, an dem sich diese Arbeit verstärkt orientiert.45 Demzufolge soll in diesem Kapitel vor allem das Verhältnis von Gewalt und Gemeinschaft in den Blick genommen werden und dabei nicht nur nach den konkreten Gewaltakteuren und sozialen Gruppen, die hier unmittelbar involviert waren, sondern auch nach ihrer Wirkung auf den großen Rest der scheinbar unbeteiligten Stadtbevölkerung Barcelonas und deren Reaktionen darauf gefragt werden (Kapitel 4). Nachdem das Ziel der Arbeit dargelegt und anschließend beschrieben wurde, wie sich diesem methodisch genährt werden soll, scheint es angebracht, den Untersuchungsgegenstand, die kollektive Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit, eingehender zu erläutern. Hier ist zunächst anzumerken, dass, wie bereits erwähnt, der Erste Weltkrieg trotz der Neutralität Spaniens besonders im Fall von Barcelona einen bedeutenden Einschnitt darstellte, sodass es nicht verwundert, dass sich die Zwischenkriegszeit in der spanischen Geschichtsschreibung und vor allem in der Stadtgeschichtsschreibung Barcelonas in den letzten Jahren zunehmend als eigenständige Epoche etabliert hat. So 43 Vgl. Speitkamp, Gewaltgemeinschaften, S. 184. 44 Vgl. Bömelburg/Carl, Einleitung, S. 23. 45 Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde. Die Untersuchungen der Chicago School beschreiben etwa Kühnel, Gruppen, S. 1447 und Schmidt, Jugendkriminalität, S. 44f.
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widmete Ayer (dt.: Gestern), eine der renommiertesten spanischen historischen Zeitschriften, eine vor Kurzem erschienene Ausgabe dem Thema Gewalt in der Zwischenkriegszeit, wobei der spanische Historiker Fernando del Rey in seinem einleitenden Artikel überzeugend deutlich machte, dass man nicht nur aus europäischer Perspektive, sondern auch konkret auf Spanien bezogen, die Zwischenkriegszeit hinsichtlich ihrer spezifischen Gewaltgeschichte durchaus als eine eigenständige Epoche betrachten kann.46 Bereits einige Jahre zuvor hatte Jos8 Luis Oyjn, einer der bekanntesten Stadthistoriker Barcelonas, in seiner Untersuchung über den Zusammenhang von städtischem Raum, Immigration und Anarchismus in Barcelona den ursprünglichen, klassischen Untersuchungszeitraum der Stadtgeschichte Barcelonas, der die Zeitspanne von der ersten Weltausstellung 1888 bis zum Beginn des Bürgerkrieges 1936 umfasste, aufgegeben und stattdessen 1918 als Ausgangsjahr seiner Untersuchung gewählt.47 Im Gegensatz zur europäischen Zwischenkriegszeit, die sich vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Kriegsbeginn im September 1939 erstreckte, liegt es nahe, das Ende der Zwischenkriegszeit im Falle Spaniens mit dem bereits im Juli 1936 beginnenden Bürgerkrieg festzusetzen, da dieser das vielleicht einschneidendste Ereignis in der gesamten Spanischen Geschichte darstellte und die bestehenden Verhältnisse gravierend veränderte. Dennoch umfasst der Untersuchungszeitraum von 1918 bis 1936 knapp 18 Jahre und damit eine relativ große Zeitspanne. Diese ganze Epoche in den Blick zu nehmen, scheint aber dennoch sinnvoll. Zum einen, weil der Untersuchungszeitraum damit mit der Endphase der Spanischen Restaurationsmonarchie, der Diktatur Primo de Riveras und der Zweiten Republik drei völlig unterschiedliche politische Systeme umfasst, wobei zu untersuchen sein wird, wie diese jeweils auf die Infragestellung ihres staatlichen Gewaltmonopols in Barcelona reagierten (siehe Abb. 2). Zum anderen kann auf diese Weise bei der Betrachtung der Gewaltakteure gezeigt werden, wie diese teilweise mehr als ein Jahrzehnt lang in verschiedenen Gewaltmilieus hin- und herwechselten. Abgesehen von der bereits beschriebenen hohen Gewaltsamkeit in der Stadt und dem großen Einfluss, den der Ersten Weltkrieg auf sie ausübte, bot sich Barcelona auch deshalb als Untersuchungsgegenstand an, weil es in dieser Zeit einen rasanten Bevölkerungszuwachs erlebte, wie die Grafik zur Bevölkerungsentwicklung in Barcelona (Abb. 3) veranschaulicht. Damit gehörte die katalanische Metropole um 1930 neben Birmingham, Glasgow, Hamburg und
46 Vgl. del Rey, Presentacijn, S. 16ff. 47 Vgl. Oyjn, Quiebra, S. 9. Für die Bedeutung der beiden Weltausstellungen für Barcelona vgl. Baumeister, Alteuropäische Städte.
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Mailand zu den wenigen Millionenstädten, die trotz der großen Einwohnerzahl keine Hauptstädte waren.48
Abb. 2: Regierungsformen in der Zwischenkriegszeit
Abb. 3: Einwohnerzahlen in Barcelona um die Jahrhundertwende
Dagegen bedarf es einer genaueren Erklärung, was in dieser Arbeit unter »kollektiver Gewalt« verstanden werden soll, da sich bisher noch keine klare Definition dieses Begriffs durchsetzen konnte.49 Das ist unter anderem dadurch begründet, dass das Wort »Gewalt« im Deutschen, wie der deutsche Historiker Rolf Peter Sieferle es ausdrückt, eine »merkwürdige Ambivalenz« aufweist, während andere europäische Sprachen wie das Englische (power/violence) oder das Französische (pouvoir/violence) die ursprüngliche Unterscheidung des lateinischen »potestas« als ordnende und regulierende Gewalt und »violentia« als
48 Vgl. Gabriel, Red Barcelona, S.44. Dass Barcelona wesentlich gewaltsamer als Madrid war, das zur selben Zeit als einzige spanische Stadt eine vergleichbare Einwohnerzahl aufwies, verdeutlicht die Statistik der spanischen Generalstaatsanwaltschaft. So wurden zum Beispiel im Jahr 1920 in Barcelona 73 Prozesse wegen Sprengstoffdelikten eröffnet, in Madrid hingegen kein einziger. Im Jahr 1933 waren es in Barcelona 237 und in Madrid nur 91. Ähnliches gilt auch für andere Straftaten, etwa die Eigentumsdelikte. Wegen solcher Vergehen wurden im Jahr 1932 in Barcelona 8572 Verfahren in die Wege geleitet und in Madrid nur 5338, vgl. FGE, Memoria de la Fiscal&a General del Estado 1921 (4), S. 2, Memoria de la Fiscal&a General del Estado 1933 (5), S. 2 und Memoria de la Fiscal&a General del Estado 1934 (6), S. 2. 49 Vgl. dazu etwa Hugger, Elemente, S. 20f.
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verletzende und zerstörende Gewalt beibehalten haben.50 Im Deutschen umfasst der Begriff Gewalt dagegen vier Begriffsvarianten und kann neben der bereits angesprochenen öffentlichen Herrschaft und physischen Gewaltanwendung ebenso wertneutral die konkreten Träger der Staatsgewalt meinen und schließlich auch ein Verfügungs- oder tatsächliches Besitzverhältnis ausdrücken.51 In der aktuellen soziologischen Forschung scheint sich dagegen immer mehr eine sehr enge Definition von Gewalt durchzusetzen, die in Anlehnung an die Definition von Heinrich Popitz den Begriff auf physische körperliche Gewalt, oder, wie der langjährige Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, es ausgedrückt hat, den »Übergriff auf den Körper eines anderen ohne dessen Zustimmung« beschränkt.52 Dieser sehr engen Definition stehen zahlreiche Versuche gegenüber, den Gewaltbegriff weiter zu fassen. Zu den größten Kontroversen hat hierbei der Begriff der »strukturellen Gewalt« von Johan Galtung geführt, mit dem eine indirekte Gewaltform bezeichnet wird, bei der Gewalt in ein System eingebaut ist und sich in ungleichen Machtverhältnissen äußert, was zu Armut und Unterdrückung führt.53 Für die vorliegende Arbeit scheint dieses Konzept jedoch weniger geeignet, zum einen, weil dieser Begriff in den letzten Jahren immer mehr in die Kritik geraten ist und zum anderen, weil er vor allem auf eine Ursachenerklärung abzielt, die in dieser Arbeit gerade nicht im Vordergrund stehen soll.54 Eine bedeutsame Erweiterung erhält der Gewaltbegriff in dieser Arbeit aber dadurch, dass darunter nicht nur die Schädigung von Menschen, sondern auch die (größtenteils) vorsätzliche Zerstörung von Gegenständen verstanden werden soll, da ohne diese Erweiterung des Gewaltbegriffs viele typische Formen städtischer Gewalt, wie beispielsweise gezielter Vandalismus, ausgeklammert bleiben würden.55 Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten zur spanischen Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts wird hier ganz bewusst vermieden, sich nur auf die politische Gewalt zu beschränken. Eine solche Fokussierung würde der grundsätzlichen Konzeption der Arbeit widersprechen, in der es möglichst vermieden werden soll, die beobachteten Gewaltphänomene vornehmlich unter dem As50 Vgl. Sieferle, Einleitung, S. 10. 51 Vgl. Imbusch, Gewaltbegriff, S. 30. 52 Dieser enge Gewaltbegriff wird z. B. sowohl bei Imbusch, Gewaltbegriff, S. 38, als auch bei Reemtsma, Vertrauen, S. 104, verwendet. 53 Vgl. Nunner-Winkler, Überlegungen, S. 23. 54 Für eine aktuelle und reflektierte Auseinandersetzung eines deutschen Historikers mit Galtungs Begriff der »strukturellen Gewalt« siehe Schumann, Hoffnung. 55 So etablierte sich etwa in Frankreich der Begriff der »städtischen Gewalt« (»violences urbaines«) für ein breit gefächertes Repertoire, bestehend aus Vandalismus, Eigentumsdelikten und krimineller Gewalt in Form von Raubüberfällen, vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 9.
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pekt ihrer möglichen Ursachen zu untersuchen. Darüber hinaus haben aktuelle Studien gezeigt, dass eine solche von vornherein verengte Sichtweise problematisch ist.56 Dies gilt besonders für die Stadt als Gewaltort, wo kriminelle Gewalt in Form von genuin städtischer Devianz sowie Delinquenz und politische Gewalt, für die die Stadt in erster Linie als »Bühne für Dramen, die anderswo geschrieben werden« fungiert, parallel existieren und oftmals ineinander übergehen.57 Um aber dennoch bereits im Titel eine gewisse Fokussierung vorzunehmen und einen Schwerpunkt dieser Arbeit hervorzuheben, erfolgt eine Beschränkung auf »kollektive« Gewalt. Darunter sind nach dem deutschen Soziologen Peter Imbusch solche Gewaltformen zu verstehen, die von einer größeren Gruppe begangen werden und eine gewisse Lenkung und Organisiertheit beinhalten. Als typische Beispiele nennt Imbusch hier unter anderem Aufstände und gewaltsame Massenproteste.58 Während diese von einer meist anonym bleibenden Masse begangen werden, wird in der Arbeit der Begriff der kollektiven Gewalt insofern etwas weiter gefasst, dass auch Taten kleinerer, dafür aber leichter zu identifizierenden Gruppierungen noch als Form kollektiver Gewalt angesehen werden. Damit orientiert sich die Arbeit eher an der von dem amerikanischen Historiker Charles Tilly propagierten, etwas weiter gefassten Definition dieses Begriffs, derzufolge unter kollektiver Gewalt eine von mindestens zwei Tätern in Koordination begangene Handlung zu verstehen ist.59 In Anbetracht der Tatsache, dass in der vorliegenden Arbeit versucht wird, die kollektive Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit aus einem etwas anderem Blickwinkel zu betrachten als dies in den bisherigen diesbezüglichen Untersuchungen der Fall war, soll die teilweise bereits angesprochene Forschungslage hier nur sehr rudimentär umrissen werden. So war es mit Albert Balcells zunächst ein katalanischer Historiker, der sich mit der kollektiven Gewalt in Barcelona vor allem im Hinblick auf die Konflikte zwischen Arbeiternehmern und Arbeitgebern befasst hat. Er stieß eine ganze Reihe weiterer Arbeiten an, wobei deren jüngster Vertreter der in Barcelona ansässige Historiker Juan Cristjbal Marinello Bonnefoy ist, der vor Kurzem seine Dissertation über den Zusammenhang zwischen Syndikalismus und Gewalt in Katalonien von 56 So musste beispielsweise Robert Gerwarth in seinem zweifellos richtungsweisenden Sammelband zur politischen Gewalt im Europa des 20. Jahrhunderts in seinem eigenen, zusammen mit Martin Conway verfassten Beitrag einräumen, dass »vieles, was scheinbar politisch motiviert war, in Wahrheit andere Ursachen hatte«, vgl. Conway/Gerwarth, Revolution, S. 140. 57 Vgl. Lenger, Stadtgeschichten, S. 318. Auch Dieter Keim räumt bei seinem Versuch, »Gewalt« zu definieren ein, dass Überschneidungen zwischen Kriminalität und Gewalt bestehen, vgl. Keim, Gewalt, S. 69. 58 Vgl. Imbusch, Gewaltbegriff, S. 46. 59 Vgl. Tilly, Politics, S. 3f.
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1902 bis 1919 eingereicht hat. Auch wenn diese Untersuchungen nicht ausschließlich auf Barcelona zugeschnitten sind, konnte die hier vorliegende Arbeit, wie in ihrem weiteren Verlauf noch deutlich wird, doch verstärkt auf diesen Vorarbeiten aufbauen. Dies gilt in besonderem Maße auch für die Untersuchungen des bereits erwähnten spanischen Historikers Eduardo Gonz#lez Calleja und für die Arbeiten des an der Universität Bristol lehrenden Spaniers Francisco Romero Salvadj, dessen Forschungsschwerpunkt, ähnlich wie der von Gonz#lez Calleja, auf den sozio-politischen Konflikten während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Spanien liegt. Ausschließlich mit der Geschichte Barcelonas setzt sich dagegen Jos8 Luis Oyjn auseinander, der sich aber in erster Linie mit traditionellen Themen wie Stadtentwicklung befasst und dessen Arbeiten deshalb hier nur am Rande eine Rolle spielen. Dagegen macht sich das starke Interesse anglo-amerikanischer Historiker an Spanien auch in der Historiographie bezüglich der Gewaltgeschichte Barcelonas deutlich bemerkbar, wofür unter anderem Stanley Payne und Paul Preston mit ihren Werken den Grundstein gelegt haben. So sind mit Temma Kaplan, Angel Smith und vor allem Chris Ealham drei Historiker zu nennen, die bedeutende Werke zur Stadtgeschichte Barcelonas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfasst haben. Während Temma Kaplan ihre Schwerpunkte hier vor allem auf die Jahrhundertwende sowie die Frauengeschichte und Angel Smith auf den Katalanismus gelegt haben, sind es vor allem die Arbeiten von Chris Ealham, die für die hier vorliegende Untersuchung grundlegend waren. Im Gegensatz zu Ealham, der seinen Fokus vor allem auf die vom Staat ausgehende Gewalt richtete, soll in der vorliegenden Arbeit, wie bereits erwähnt, möglichst vermieden werden, die in Barcelona vorherrschenden Gewaltpraktiken und die agierenden Gewaltakteure einem bestimmten Lager zuzuordnen. Das mit der Annäherung Spaniens an die EU nach dem Tod des Diktators Franco einsetzende Interesse deutscher Historiker an der spanischen Geschichte hat inzwischen wieder nachgelassen, was auch dadurch begründet sein mag, dass sich die auf diesem Gebiet führenden Historiker teilweise neue Schwerpunkte gesetzt haben. Zu nennen sind hier beispielsweise Walther Bernecker, der allerdings mittlerweile emeritiert ist, Martin Baumeister, der sich als Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom nun eher mit der italienischen Geschichte befasst und Klaus-Jürgen Nagel, der sich der Politikwissenschaft zugewandt hat. Vor allem seine Untersuchungen waren für die vorliegende Arbeit sehr hilfreich, weil er sich im Gegensatz zu Martin Baumeister und Walther Bernecker vor allem mit der katalanischen Arbeiterbewegung befasste und somit die Geschichte Barcelonas in seinem Werk einen großen Platz einnimmt. Während aus den genannten Gründen keine aktuelle Studie eines deutschen Historikers zur Geschichte Barcelonas vorliegt, boten die Arbeiten von Jörg
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Baberowski zur Gewaltgeschichte im Allgemeinen sowie die neueren Studien zu paramilitärischen Gruppierungen während der Zwischenkriegszeit von Sven Reichardt, Dirk Schumann und Robert Gerwarth für diese Arbeit eine wichtige Orientierung. Bezüglich der Gewalt im urbanen Kontext knüpft diese Arbeit, wie bereits erwähnt, in erster Linie an die Arbeiten von Friedrich Lenger an. Darüber hinaus erwiesen sich die Untersuchungen von Klaus Weinhauer zur Jugendgewalt in deutschen Städten sowie die Arbeit von Bettina Schmidt zur Jugendkriminalität in Paris um die Jahrhundertwende als sehr hilfreich. Neben den genannten Historikern waren für die hier vorliegende Studie vor allem auch die Erkenntnisse der Gewaltsoziologie von großer Bedeutung. Hier sind zunächst vor allem die Arbeiten von Trutz von Trotha zu nennen, der ebenfalls Mitglied der Forschergruppe Gewaltgemeinschaften war. Darüber hinaus waren vor allem die Überlegungen Jan Philipp Reemtsmas und Wolfgang Sofskys zur Gewalt sehr anregend. Schließlich ist hier noch der amerikanische Soziologe Randall Collins zu erwähnen. Dessen Werk »Dynamik der Gewalt« nimmt zwar eher alltägliche Gewalt in den Blick, trotzdem ließen sich viele der von Collins herausgearbeiteten Erkenntnisse in vielfältiger Weise auf die in der vorliegenden Arbeit interessierenden Gewaltsituationen übertragen. Hinsichtlich der Quellen liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit, ähnlich wie bei den bisherigen Untersuchungen anderer Historiker bezüglich der Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit, auf den zeitgenössischen Zeitungen.60 In Anbetracht der meist subjektiven Darstellung in Zeitungen, gerade bei einem so stark polarisierenden Thema wie dem der Gewalt, mag diese Schwerpunktsetzung zunächst befremdlich erscheinen. Allerdings basiert beispielsweise auch Reichardts Studie zu den faschistischen Kampfbünden neben den Selbstaussagen ihrer Mitglieder und staatlichen Berichten vor allem auf der Auswertung von Presseartikeln.61 In der vorliegenden Arbeit ist diese Vorgehensweise vor allem der Tatsache geschuldet, dass nahezu alle Polizei-, Gerichtsund Verwaltungsakten, die Aufschluss über die Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit geben könnten, zerstört worden sind.62 So finden sich Gerichtsakten nur in Form der »Libros de sentencia« im Arxiu del Tribunal Superior de Justicia de Catalunya (dt.: Archiv der höchsten Gerichtskammer in Katalonien, im weiteren Verlauf der Arbeit mit ATSJC abgekürzt). Diese Akten 60 Ein aktuelles Beispiel ist Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, dessen zeitlicher Schwerpunkt, wie bereits erwähnt, etwas früher liegt. Seine Ausführungen zur Quellenlage gelten aber größtenteils auch für die vorliegende Arbeit, vgl. ders., S. 8ff. 61 Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 47. 62 Ein Beispiel dafür, dass es während der zahlreichen Aufstände, die Barcelona in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebte, ein zentrales Anliegen der Aufständischen war, die Polizeistationen zu stürmen und die Polizeiakten zu vernichten, ist etwa im Rahmen der Semana Tr#gica dokumentiert, vgl. Connelly Ullman, The Tragic Week, S. 214f.
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beinhalten bis auf sehr wenige Ausnahmefälle lediglich das Urteil des jeweiligen Prozesses und die persönlichen Daten der Verurteilten, wobei es sich in der überwiegenden Anzahl der Fälle um kleinere Strafdelikte von Einzelpersonen handelt. Die dort vorgefundenen Informationen waren deshalb in Anbetracht der Zielsetzung der Arbeit kaum verwertbar. Schwerere Delikte im Untersuchungszeitraum fielen teilweise unter die Militärgerichtsbarkeit und aus diesem Grund wurden auch die Akten des Archivo General Militar (dt.: Generalarchiv des Militärs) in Segovia ausgewertet, die allerdings ebenfalls nur eine sehr geringe Relevanz für das hier bearbeitete Thema besaßen. Die für diese Arbeit wesentlich bedeutenderen Polizei- und Verwaltungsakten waren für den Untersuchungszeitraum leider ausgesprochen lückenhaft und befinden sich im Archivo de la Delegacijn del Gobierno (dt.: Archiv der Vertretung der Regierung) in Barcelona, den beiden offiziellen Staatsarchiven, dem Archivo Histjrico Nacional in Madrid (dt.: Nationalarchiv, im weiteren Verlauf der Arbeit mit AHN abgekürzt), dem Archivo General de la Administracijn (dt.: Generalarchiv der Administration, im weiteren Verlauf der Arbeit mit AGA abgekürzt) in Alcal# de Henares sowie in der Hinterlassenschaft bedeutender zeitgenössischer Staatsmänner wie dem Grafen von Romanones im Archiv der Real Academia de la Historia (dt.: Königliche Akademie der Geschichte) und Antonio Maura im Archiv der gleichnamigen Stiftung, Fundacijn Antonio Maura (im weiteren Verlauf der Arbeit mit FAM abgekürzt). Wenig ergiebig war auch der Besuch des katalanischen Nationalarchivs in Sant Cugat de Valles, der Archive der einzelnen Stadtteile Barcelona sowie des Arxiu General de la Diputacij Provincial (dt.: Generalarchiv der Provinzialabteilung) von Barcelona, weil in diesen Archiven fast ausschließlich Material zu finden ist, das lediglich Auskunft über die Zeit nach bzw. im letzten Fall vor dem hier interessierenden Untersuchungszeitraum gibt. Dass es sich dabei nicht um ein für Barcelona spezifisches Problem handelt, zeigt die Tatsache, dass sich auch in den Archiven der Nachbarstädte Barcelonas, Badalona, Sant Adri/ de Besks, L’Hospitalet de Llobregat sowie Santa Coloma de Gramenet sowie in weiteren katalanischen Städten wie Tarragona, Sabadell und Terrassa nur sehr wenige aussagekräftige Quellen finden ließen. Verwertbare zeitgenössische Quellen aus Unternehmersicht gab es, abgesehen von den Memoiren einzelner Industrieller, lediglich in Form von Jahresrückblicken im Archivo del Fomento del Trabajo Nacional (dt.: Archiv der nationalen Wirtschaftsförderung, im weiteren Verlauf mit FTN abgekürzt), dem Archiv des damals einflussreichsten Interessenverbandes der katalanischen Bourgeoisie.63 Aus diesen Gründen mussten – trotz aller methodischen Bedenken – zeitgenössische Zeitungen als Hauptquellen für diese Arbeit herangezogen werden. 63 Zur Bedeutung der FTN, vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 70f.
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Diese haben jedoch für die gewählte Zielsetzung der Arbeit, die auch die Wahrnehmung der kollektiven Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit beinhaltet, sogar einen gewissen Vorteil, weil sich diese insbesondere im Hinblick auf die Bewohner Barcelonas in den Zeitungsartikeln sicherlich realistischer widerspiegeln dürfte als in den offiziellen staatlichen Quellen. Die analysierten Quellen bestanden zum großen Teil aus Lokalzeitungen, die sich im Stadtarchiv Barcelonas einsehen ließen. Vor dem Hintergrund, dass es die Zensur, die – wie später noch genauer ausgeführt wird – den Lokalzeitungen in Barcelona teilweise erschwerte, über bestimmte Arten von Gewaltdelikten in der Stadt zu berichten, wurden darüber hinaus einige in Madrid ansässige überregionale Zeitungen ausgewertet. Diese lassen sich in der dortigen »Hemeroteca« einsehen, einer Einrichtung zur Digitalisierung besonders von zeitgenössischen Zeitungen und Zeitschriften, oder in digitaler Form über das Internet abrufen, ähnlich wie dies bereits bei manchen Lokalzeitungen Barcelonas der Fall ist. Zunächst wurden aber mit El Noticiero Universal (dt.: Der universelle Berichterstatter), El Diario de Barcelona (dt.: Die Tageszeitung von Barcelona) und El Diluvio (dt.: Die Sintflut) drei der auflagenstärksten Tageszeitungen in Barcelona untersucht. Deren Ausgaben wurden vom Januar 1918 bis zum Juli 1936 im Stadtarchiv in Barcelona in Hinblick auf Berichte über Gewaltdelikte ausgewertet. Die dabei gefundenen annähernd 8000 Artikel zu dieser Thematik bieten eine gute und relativ solide Datenbasis bezüglich der Art der Delikte, Tatorte, Tatzeiten, ggf. der angerichteten Schäden und auch über Täter sowie Opfer, wenn deren Namen bekannt waren, denn sie sind bei diesen Angaben relativ objektiv, was sich daran erkennen lässt, dass sie bei den unterschiedlichen Zeitungen weitgehend übereinstimmen. Eine größere Schwierigkeit bestand hier allerdings darin, dass die Zeitungen die Namen der Personen, teilweise sogar im selben Artikel, unterschiedlich schrieben, entweder beide oder nur einen der Nachnamen der Personen nannten und zudem teilweise auch diese wechselweise in katalanisierter oder kastillisierter Form wiedergaben. Für die in den Zeitungsartikeln gefundenen Berichte über die Gewaltdelikte wurden Deliktart, Tatdatum und -zeit, Tatort, Namen der Täter und Opfer (soweit bekannt), angerichteter Schaden sowie andere für diese Arbeit relevante Details katalogisiert und anschließend statistisch ausgewertet. Die registrierten Gewaltdelikte wurden dazu den Deliktarten Attentate, Bombenfunde, Einbrüche, Sprengstoffanschläge, Körperverletzungen, Schlägereien, Schießereien, Raubüberfälle, Brandstiftungen, Vandalismus und Morde zugeordnet. Eindeutig politische Morde wurden dabei unter der Kategorie Attentate registriert. Bei Kombinationen von Taten, also zum Beispiel Schlägerei verbunden mit Körperverletzung, wurde die Tat dem schwerwiegenderen Tatbestand (hier also der
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Körperverletzung) zugerechnet, um zu vermeiden, dass die Tat bei der statistischen Auswertung doppelt gezählt wird. Bei den Tatorten waren in den Zeitungsartikeln normalerweise die Namen der Straßen, meist mit den Hausnummern, der Gassen oder der Plätze angegeben. Diese Angaben waren zwar für ihre Verortung im Stadtgebiet brauchbar, allerdings ließen sich die Straßen nicht direkt miteinander vergleichen, da manche Straßen sehr lang sind und teilweise durch mehrere Stadtteile führen, die eine ganz unterschiedliche Bevölkerungsstruktur aufwiesen. Wesentlich interessanter für die Arbeit war hingegen, in welchem Bezirk bzw. »Barrio«, einer noch kleineren Ordnungseinheit als die einzelnen Stadtviertel, eine Tat stattfand, um eine Aussage darüber machen zu können, ob sie zum Beispiel im berüchtigten Hafenviertel, in einem der Arbeiterviertel oder in einem Viertel ausgeübt wurde, das in erster Linie von der gehobenen Gesellschaftsschicht bewohnt wurde. Deshalb mussten die Tatorte den einzelnen Stadtbezirken oder Barrios zugeordnet werden, was sich jedoch aus mehreren Gründen unerwartet schwierig gestaltete. In dem im Verhältnis zur Geschichte der Stadt eigentlich recht kurzen Untersuchungszeitraum änderten sich die Namen der Straßen und vor allem der kleinen Gassen in den älteren, verwinkelten Vierteln häufig und nicht selten verschwanden sie völlig aus den Stadtplänen, vermutlich durch Baumaßnahmen, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Weltausstellung. Deshalb musste bei der Recherche auf Stadtpläne aus verschiedenen Jahren des Untersuchungszeitraumes zurückgegriffen werden, deren Detailgenauigkeit bzw. Qualität vor allen bei den verwinkelten kleinen Altstadtgassen oft zu wünschen übrig ließ. Da die Verfasser der ausgewerteten Artikel bei der Nennung der Straßen, Plätze und Orte teils spanische und teils katalanische Namen verwendeten, wurde für deren Bezeichnung in dieser Arbeit folgender Kompromiss gefunden: Größere Plätze wie der PlaÅa de Catalunya, der PlaÅa de Universitat oder der PlaÅa de Espanya, die bekanntesten Straßen wie etwa der Passeig de Gr/cia und die Gran Via de les Corts Catalanes, Stadtviertel wie Sant Andreu oder Sant Gervasi und umliegende Ortschaften wie L’Hospitalet de Llobregat oder Sant Adri/ de Besks werden in ihrer heutigen, katalanisierten Schreibweise aufgeführt, um dem Leser dieser Arbeit die Orientierung zu erleichtern. Kleinere Straßen und weniger bekannte Plätze und Orte werden dagegen mit dem im zitierten Artikel verwendeten Namen bezeichnet. Neben den wechselnden Straßennamen bestand ein weiteres Problem bei der Zuordnung der Tatorte zu den Stadtvierteln darin, dass – wie schon erwähnt – vor allem in den neueren Vierteln Barcelonas die Straßen oft sehr lang sind und sich über mehrere Bezirke erstrecken. Nur über die Hausnummern konnte deshalb ermittelt werden, in welchem Bezirk die Tat ausgeführt wurde. Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es, fast alle der über 7000 im Untersuchungs-
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zeitraum dokumentierten Gewalttaten den einzelnen Bezirken oder sogar Barrios zuzuordnen. Die wenigen noch verbliebenen spielten bei der allgemeinen Auswertung wegen ihrer geringen Anzahl statistisch gesehen keine bedeutende Rolle. Die durch diese statistische Auswertung gewonnen Daten konnten dazu genutzt werden, bestimmte Arten von Verbrechen sowohl zeitlich als auch räumlich meist relativ genau zu verorten. Dass die Ergebnisse dieser Datenerhebung von den bisherigen Statistiken zu den Gewaltpraktiken in Barcelona während der Zwischenkriegszeit teilweise abweichen, ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass dort Gewaltdelikte oft anderen Kategorien zugeordnet wurden. Während in der vorliegenden Arbeit etwa zwischen Attentaten und Schießereien unterschieden wird, werden in anderen Untersuchungen beide Gewaltakte häufig unter dem Begriff »soziale Attentate« zusammengefasst, weshalb die Zahl der »Attentate« dann dort deutlich höher ist. Trotz der großen Zahl der Gewaltdelikte in den ausgewerteten Artikeln ist nicht sicher, ob tatsächlich jede einzelne Straftat erfasst werden konnte. Dies lässt sich mangels verlässlicher Statistiken auch nicht überprüfen. Es spielt für die vorliegende Arbeit jedoch keine große Rolle, da deren Anliegen nicht darin besteht, bei den jeweiligen Gewaltpraktiken im Untersuchungszeitraum die exakte Anzahl der Taten zu eruieren, denn dass die Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit beträchtliche Ausmaße erreichte, war – wie eingangs gezeigt – bereits den Zeitgenossen bekannt und ist heute auch unter Historikern eine unbestrittene Tatsache. Vielmehr ging es vor allem darum, herauszufinden, zu welchem Zeitpunkt welche Gewaltpraktik in Barcelona vorherrschend war, wo sich diese hauptsächlich im urbanen Raum verorten ließ und wer dabei die Hauptakteure waren. Für diesen Zweck bietet der erarbeitete große Datensatz eine ausgezeichnete Ausgangsbasis. Um neben den quantitativen auch qualitative Aussagen über Gewaltorte und Gewaltpraktiken in Barcelona während der Zwischenkriegszeit treffen zu können, wurden nicht nur kleinere Meldungen ausgewertet, sondern auch alle in diesem Zeitraum in den drei erwähnten Zeitungen publizierten umfangreicheren Artikel über Gewaltverbrechen. Da besonders bei der Darstellung von Gewaltdelikten die bereits angesprochene Subjektivität von Zeitungen in Betracht gezogen werden muss, wurde bei den für diese Arbeit relevanten Berichten über Gewaltorte, Gewaltpraktiken und Gewaltgemeinschaften versucht, bei deren Auswertung möglichst viele diesbezügliche Artikel von Zeitungen unterschiedlicher politischer Richtungen heranzuziehen. Dabei reichte das Spektrum vom anarchistischen Sprachrohr Tierra y Libertad (dt.: Erde und Freiheit) über die Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera (dt.: Arbeitersolidarität) bis zu erzkonservativen unternehmernahen Zeitungen wie La Publicidad (dt.: Die Öffentlichkeit) oder El Correo Catal#n (dt.: Der katalanische Kurier). Besonders hilfreich waren hier vor allem
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die Milieustudien, die meist von zeitgenössischen Journalisten, von Schriftstellern in Lokalzeitungen oder als eigenständige Bücher veröffentlich wurden. Um den Wahrheitsgehalt der Darstellungen in den zeitgenössischen Zeitungen besser einschätzen zu können, wurden deren Aussagen zunächst mit den vorliegenden Statistiken abgeglichen, die sich zum einen im Archivo de la Fiscal&a General (dt.: Archiv der Generalstaatsanwaltschaft, in der Arbeit mit FGE abgekürzt) in Madrid und in Form der statistischen Jahrbücher der Stadt Barcelona im Arxiu Municipal Contemporani (dt.: Zeitgenössisches Gemeindearchiv) finden ließen. Darüber hinaus wurde zum einen anhand von (auto-)biografischen Zeugnissen der zur damaligen Zeit in Barcelona lebenden Stadtbewohner und zum anderen mithilfe der Berichte ausländischer Botschafter überprüft, inwieweit die statistischen Werte tatsächlich der Wahrnehmung der Zeitzeugen entsprachen. Das meiste Quellenmaterial fand sich hinsichtlich der Berichte von ausländischen Beobachtern über die damalige Lage in Barcelona im unmittelbaren Nachbarland Frankreich, wo in Paris insgesamt drei Archive gesichtet wurden, nämlich das Archiv des französischen Außenministeriums, Centre de Archives diplomatiques (dt.: Zentrum der diplomatischen Archive, im weiteren Verlauf der Arbeit mit CAD abgekürzt) im Pariser Vorort La Courneuve, das französische Nationalarchiv »Archives Nationales« (im weiteren Verlauf der Arbeit mit AH abgekürzt) und das Archiv des Polizeipräsidiums von Paris, Archives de la Pr8fecture de Police. In Letzterem fanden sich zwar Quellen zu in Paris agierenden spanischen Anarchisten, diese waren allerdings für den hier angestrebten Untersuchungszeitraum wenig ergiebig. Darüber hinaus wurden im englischen Kew bei London die Akten des britischen Außenministeriums im britischen Nationalarchiv, The National Archives (im weiteren Verlauf der Arbeit mit NA abgekürzt), in Berlin die des deutschen Außenministeriums im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (im weiteren Verlauf der Arbeit mit PA AA abgekürzt) sowie in Rom die Akten des italienischen Außenministeriums im Archivio Storico Diplomatico del Ministerio degli Affari Esteri (dt.: Historisches diplomatisches Archiv des Außenministeriums, im weiteren Verlauf der Arbeit mit ASD abgekürzt) gesichtet. Auch wenn sich aufgrund des Quellenmaterials besonders die Identifizierung von Gewaltgemeinschaften als schwierig erwies und deshalb auf einige meist durch Zufall gut dokumentierte Fälle beschränkt bleiben musste, ergänzten sich die gewählten Quellengattungen insgesamt sehr gut.64 Dies zeigte sich zum einen 64 Die hier beschriebene Quellenarmut hat sich aber, wie Speitkamp, Gewaltgemeinschaften S. 185 einräumt, als ein generelles Problem bei der Untersuchung von historischen Gewaltgemeinschaften erwiesen, da diese im Allgemeinen nur selten schriftliche Zeugnisse hinterlassen, sodass sie in der überwiegenden Zahl der Quellen nur durch die Außenperspektive betrachtet werden, was dazu führen würde, so die Argumentation Speitkamps, dass sie entweder als illegitime Phänomene, kriminelle Banden und Außenseiter betrachtet oder umgekehrt idealisiert und in romantische Bilder eingefügt werden.
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darin, dass die Ego-Dokumente von Zeitzeugen ganz unterschiedliche Blickweisen auf das Geschehen in Barcelona wiedergaben und es somit erlaubten, der Darstellung der Gewaltpraktiken in den Lokalzeitungen teilweise konträre Deutungsweisen gegenüberzustellen. Zum anderen bestätigten die Selbstzeugnisse teilweise auch die Berichterstattungen in den Lokalzeitungen. Das macht deutlich, dass diese nicht so stark durch Zensur oder subjektive Darstellungen in Zeitungsartikeln geprägt waren, wie man annehmen könnte. Als Beispiel hierfür kann etwa das Eingangszitat dienen, welches bestätigt, dass der Rückgang der Gewaltpraktiken während der Diktatur Primo de Riveras, auf den im Kapitel 3 noch genauer eingegangen wird, tatsächlich so erfolgt ist und von den Zeitgenossen auch so wahrgenommen wurde und sich nicht einfach dadurch erklären lässt, dass durch die Zensur unter Primo de Rivera wesentlich weniger über kollektive Gewalt in Barcelona berichtet wurde bzw. berichtet werden konnte. Neben den schriftlichen Quellen wurden in dieser Arbeit auch zahlreiche zeitgenössische Fotografien und Karten ausgewertet, um sich ein Bild von den damaligen räumlichen Gegebenheiten machen zu können. Hinsichtlich der Fotografien konnte auf die äußerst umfangreiche Sammlung des Arxiu Fotogr/fic de Barcelona (dt.: Fotografisches Archiv von Barcelona, im weiteren Verlauf mit AFB abgekürzt) zurückgegriffen werden, während die zeitgenössischen Karten im bereits genannten Stadtarchiv Barcelonas und im Institut Cartogr/fic i Geolkgic de Catalunya (dt.: kartografisches und geologisches Institut von Katalonien) zu finden waren. Nachdem die Themenstellung für diese Arbeit begründet, ihr Rahmen abgesteckt und die angewandte Methodik erläutert wurden, beginnt das nun folgende erste Hauptkapitel zur Untersuchung der kollektiven Gewalt in Barcelona zunächst damit, die Stadt selbst sowie ihre unmittelbare Umgebung zu analysieren und damit den Ort, an dem sich die später zu untersuchenden Gewaltpraktiken ereigneten und die Gewaltakteure agierten.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
»Die Städte aber wollen nur das Ihre und reißen alles mit in ihren Lauf. Wie hohles Holz zerbrechen sie die Tiere und brauchen viele Völker brennend auf.«65 Mit diesen düsteren Versen deutete Rainer Maria Rilke bereits 1903 ein Unbehagen gegenüber der Großstadt an, das später in der Nachkriegsliteratur vor allem von Alfred Döblin in Form des Protagonisten Franz Biberkopf in »Berlin Alexanderplatz« und im Werk Berthold Brechts erneut aufgegriffen wurde.66 In der spanischen Literaturgeschichte waren es mit der unter dem Pseudonym »Fern#n Caballero« schreibenden Cecilia Böhl de Faber und Jos8 Mar&a de Pereda zwei Vertreter des kostumbristischen Romans, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen, die Bedrohlichkeit der Großstadt in ihren Werken zu thematisieren.67 So ist der Fischerstochter Marisalada, Hauptfigur von Böhl de Fabers Roman »La Gaviota« (dt.: Die Möwe), dank ihres Gesangstalents in der Stadt zunächst ein gewisser Erfolg beschieden, doch bleibt ihr am Ende nichts anderes übrig, als in ihr Heimatdorf zurückzukehren, um sich so dem verderblichen Einfluss der Stadt zu entziehen.68 Marcelo, der Protagonist von »PeÇas arriba« (dt.: Steilhänge hinauf), einem der bekanntesten Romane von Jos8 Mar&a de Pereda, der knapp ein halbes Jahrhundert später erschien, geht den umgekehrten Weg. Nur widerwillig folgt der als Großstadtmensch aufgewachsene Madrilene dem Ruf seines Onkels nach Kantabrien, ändert dort aber rasch seine ablehnende Haltung zum Landleben und bleibt schließlich für immer in dieser ländlichen Idylle.69 65 Zitiert nach Rilke, Gedichte, S. 277. Zum konkreten Entstehungskontext des zitierten Gedichts siehe Neumeyer, Flaneur, S. 215f. Einen allgemeinen Überblick zum Bild der Großstadt bei Rilke bietet Pleister, Bild, S. 98ff. Rilkes städtische Erfahrung beschreibt etwa Becker, Urbanität, S. 73ff. 66 Vgl. hierzu den Aufsatz von Hüppauf, Stadt, bes. S. 324f. 67 Zu den Charakteristika der Romane von Cecilia Böhl de Faber und Jos8 Mar&a de Pereda siehe etwa Wolfzettel, Spanischer Roman, S. 63ff. und S. 244ff. 68 Eine ausführliche, wenn auch etwas eigenwillige Analyse von Marisalada, der Hauptfigur in »La Gaviota«, bietet zum Beispiel Weich, Gaviota. 69 Vgl. etwa die Darstellung des Werkes de Peredas von Dorca, Volver#s, S. 71ff. und S. 244ff.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Für das Barcelona der Zwischenkriegszeit hat der Journalist und Literat Sebasti/ Gasch i Carreras in einem in der Zeitschrift Mirador (dt.: Aussichtspunkt) im Dezember 1930 – also in der Übergangsphase von der Diktatur zur Zweiten Republik – erschienenen Artikel die bedrohlichsten Orte der Großstadt ganz konkret lokalisiert: »Heutzutage regt alles zur Gewalt an. Die Gewalt erhebt sich bedrohlich aus ihrer Umgebung. Wir riechen die Gewalt. Wir ertasten die Gewalt. Wir schmecken die Gewalt. Die Gewalt ist in der Luft, die wir einatmen. Die Gewalt verfolgt uns, unerbittlich, unablässig, überall hin. Die Straße, die Straßenbahn, die Metro, wo die Nerven angespannt sind und man sie zu jeder Gelegenheit lebhaft spürt. Wir atmen die Gewalt, den Mund geschlossen, die Nasenlöcher ausgedehnt, bis sie uns die Lungen füllt. Das Fußballstadion, wo die Zuschauer und die Spieler in einer tiefen Sehnsucht nach Gewalt zusammenkommen. Im Boxring, wo die Bestialität die Seile des Ringes überspringt und sich der verrückt gewordenen Zuschauer bemächtigt. In der Bar, wo die Stärke der anregenden Mixgetränke sich mit der stimulierenden Aggressivität schwarzer Rhythmen vereint.«70
In diesem Kapitel soll mit Barcelona jener Ort, an dem sich die in der Einleitung bereits kurz skizzierten Gewaltpraktiken ereigneten und an dem die im Kapitel 4.1 beschriebenen Gewaltakteure agierten, in den Blick genommen werden. Dies erfolgt unter der Fragestellung, wie die von Sebasti/ Gasch i Carreras teilweise bereits genannten, für eine Großstadt typischen Gewaltorte im Allgemeinen und die für Barcelona charakteristische Topographie im Besonderen die spezifische Gewaltsamkeit in der Stadt möglich machten bzw. erleichterten. Ausgehend von der in der Einleitung ausgeführten Feststellung, dass sich Barcelona nicht auf seine unmittelbaren Stadtgrenzen beschränken lässt, soll das betrachtete Gebiet hier bewusst zunächst sehr weit gefasst werden und erst danach schrittweise zu den von Sebasti/ Gasch i Carreras konkret angesprochenen stadtspezifischen Gewaltorten führen. So werden in einem ersten Schritt zunächst die Besonderheiten der geographischen Lage Barcelonas herausgestellt, um zu zeigen, wie sich diese auf die für die Stadt spezifische Gewaltsamkeit auswirkten (Kapitel 2.1). Danach richtet sich der Blick auf die unmittelbare Peripherie Barcelonas und damit auf die Ränder der Stadt, wobei es nicht nur darum geht, die Wechselwirkung der topographischen Besonderheiten dieser Stadt mit seiner unmittelbaren Umgebung zu beschreiben, sondern auch darum, herauszuarbeiten, welche Gewaltpraktiken für diese Räume typisch waren (Kapitel 2.2). 70 Der hier in einem kurzen Auszug zitierte und vom Verfasser dieser Arbeit übersetzte Artikel, der ursprünglich in der Zeitschrift »Mirador«, Ausgabe 75, am 3. Dezember 1930 erschien, findet sich in der von Joan M. Minguet i Batllori herausgegebenen Edition von Artikeln und Aufsätzen, die Sebasti/ Gasch i Carreras zwischen 1925 und 1938 verfasst hat, vgl. Minguet i Batllori, Gasch, S. 161f. Eine Analyse des zitierten Artikels bietet Davidson, Jazz, S. 85ff.
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Erst im Anschluss daran wird die Stadt selbst in den Blick genommen. Dabei werden zunächst die einzelnen Viertel bzw. bestimmte Stadtbereiche auf ihre gewaltspezifischen Besonderheiten und Unterschiede hin untersucht (Kapitel 2.3). Erst zum Abschluss dieses Kapitels werden schließlich städtische Gewaltorte hinsichtlich der Frage näher betrachtet, wie sich diese konkret in Barcelona manifestierten und welchen Beitrag sie zur hohen Gewaltsamkeit in der Stadt leisteten (Kapitel 2.4).
2.1
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Der amerikanische Kunsthistoriker und -kritiker Robert Hughes, einer der ersten Ausländer, der durch sein 1992 erschienenes Buch »Barcelona« die Geschichte Barcelonas einer breiteren internationalen Öffentlichkeit zugänglich machte, erklärt die Abneigung des spanischen Diktators Francisco Franco gegenüber der katalanischen Metropole wie folgt: »Dem Caudillo missfiel Barcelona nicht nur deswegen, weil es ihm im Bürgerkrieg Widerstand geleistet hatte, sondern auch, weil Zaren, Herrscher und Diktatoren, egal ob sie rechts oder links des politischen Spektrums stehen, generell dazu neigen, Häfen mit Argwohn zu betrachten. In der Zeit der Schifffahrt standen Hafenstädte unter dem Einfluss von Ausländern, von fremden und neuartigen Ideen – es waren wandelbare und unbeständige Orte, die das Kommen und Gehen mit einer Leichtigkeit ermöglichten, die in einer im Binnenland gelegenen Hauptstadt undenkbar gewesen wäre. Der Hafen ist der Ort, an dem die Authentizität und die Essenz eines Landes, so wie es sich die Zentralgewalten vorstellen, zu zerfasern beginnen. Dies ist der Grund, warum die Nachfolger Peter des Großen die Hauptstadt des Russischen Reiches von St. Petersburg nach Moskau verlagerten, warum Kemal Atatürk, der mit Istanbul eine der weltweit bedeutendsten Häfen als Hauptstadt erbte, sich dazu entschied, in Ankara ein neues Verwaltungszentrum aufzubauen und warum das abwegige und künstliche Brasilia und nicht Rio de Janeiro die Hauptstadt von Brasilien ist. Dies mag auch zum Verständnis dazu beitragen, warum es Franco so wichtig war, der Bevölkerung Barcelonas klar zu machen, dass sie nicht länger das Recht hatte, sich als die Hauptstadt von irgendetwas zu betrachten.«71
Auch wenn bisher nur wenige wissenschaftliche Arbeiten den Versuch unternommen haben, zu charakterisieren, was eine Hafenstadt im Allgemeinen ausmacht, lassen sich dennoch – anknüpfend an die Ausführungen von Robert Hughes – einige spezifische Merkmale feststellen.72 So hat er sicherlich recht mit 71 Hughes, Barcelona, S. 9. 72 Wolfgang Rudolf hebt in einem der wenigen Werke, die sich explizit mit dem Stadttypus Hafenstadt befassen, deren strukturelle Ähnlichkeit hervor und argumentiert, dass sich
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seiner These, dass Hafenstädte im Allgemeinen durch ihre Fluktuation an Seeleuten, aber auch durch Einwanderer und Flüchtlinge eine wesentlich heterogenere Bevölkerungszusammensetzung aufweisen als Städte im Binnenland und dadurch oft Kulminationspunkte von Neuerungen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur darstellten.73 Nicht zuletzt aus diesem Grund hat der deutsche Historiker Jürgen Osterhammel in seiner Geschichte des 19. Jahrhunderts, die er als »Die Verwandlung der Welt« beschreibt, den Hafenstädten bei diesem Prozess eine zentrale Rolle eingeräumt.74 In den Jahrzehnten der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden die Häfen dann zu einem »Motor« der Globalisierung, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begonnen hatte.75 Dass Hafenstädte aber nicht nur bei den von Robert Hughes erwähnten Herrschern, sondern teilweise sogar bei der einheimischen Bevölkerung verrufen waren, dürfte unter anderem dadurch begründet sein, dass beispielsweise in Frankreich auch Drogen wie etwa das Opium aus Indochina zuerst in den Häfen im Mittelmeer, danach in Brest und schließlich im ganzen Land konsumiert worden sein sollen.76 Die Zwielichtigkeit der Hafenstädte manifestierte sich auch topographisch durch die Entstehung von typischen Hafenvierteln. Dass auch diese international durchaus vergleichbar waren, verdeutlicht die Bezeichnung »China Town« bzw. in spanischsprachigen Ländern »Barrio Chino« für die meist unmittelbar an den Hafen angrenzenden und durch dessen Einfluss geprägten Stadtgebiete. Dieser Begriff sollte zum einen – wie auch im Falle Barcelonas zu zeigen sein wird – deren Andersartigkeit herausstellen, zum anderen siedelten sich aber in vielen Hafenstädten tatsächlich chinesische Migranten in bestimmten hafennahen Stadtbereichen an.77 Dass die Hafenviertel oft verrufen waren, lag nicht zuletzt daran, dass sich dort sowohl in Hamburg als auch in London, um nur zwei besonders typische Beispiele zu nennen, bald Prostituierte ansiedelten, die nicht nur bei den Seeleuten eine breite Kundschaft fanden.78 Die hier nur knapp skizzierten Eigenarten von Hafenstädten treffen größ-
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unschwer in ihrer Topographie sowohl ökonomische als auch soziale Schemata erkennen lassen, vgl. Rudolf, Hafenstadt, S. 31. Ein späterer Sammelband analysierte den Zusammenhang zwischen demographischem Wandel und der Entwicklung von Häfen, vgl. Lawton/ Lee, Population. Zuletzt betonten etwa auch Lars Amenda und Malte Fuhrmann in der Einleitung zu ihrem Sammelband, der Hafenstädte in den Blick nimmt, deren Besonderheiten, vgl. dies., Hafenstädte. Dies zeigen an konkreten Beispielen etwa die beiden Aufsätze Fuhrmann, Meeresanrainer und Amenda, Einfallstore. Vgl. Osterhammel, Verwandlung, S. 402ff. Vgl. Schubert, Seehäfenstädte, S. 107. Einen Überblick zur Geschichte der Globalisierung geben Kocka, Kapitalismus, S. 78ff sowie Osterhammel/Petersson, Globalisierung, S. 63ff. Vgl. Rudolf, Hafenstadt, S. 64. Vgl. Amenda, Chinesenviertel, S. 37ff. Vgl. Schubert, Seehäfenstädte, S. 119ff.
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tenteils auch auf Barcelona zu, wobei zunächst die ökonomische Bedeutung des Hafens zu nennen ist. So waren die dank der Nähe zum Wasser stark florierende Textilindustrie und die mit ihr verbundenen Arbeitsplätze wesentliche Faktoren für das rapide Anwachsen der Bevölkerung Barcelonas und anderer katalanischer Städte wie Matarj, Badalona, Manresa und Sabadell.79 Während katalanische Unternehmer und Industrielle im 19. Jahrhundert in erster Linie durch die bis dahin verbliebenen spanischen Kolonien in Übersee beträchtliche Vermögen anhäuften, war es nach dem Verlust dieser Kolonien vor allem der Handel mit den beiden Kriegsparteien während des Ersten Weltkrieges, der Mitgliedern der Oberschicht Barcelonas beachtlichen Reichtum bescherte und dazu führte, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Barcelona immer größer wurden.80 Darüber hinaus wurde das Stadtbild Barcelonas, wie in anderen Hafenstädten auch, im Vergleich zu anderen spanischen Städten wesentlich stärker durch Immigranten aus anderen spanischen Regionen und dem Ausland geprägt. So war Barcelona bereits um die Jahrhundertwende ein beliebter Zufluchtsort für Anarchisten, denen in ihren Heimatländern Verfolgung drohte. Im Laufe des Ersten Weltkriegs kamen dann verstärkt Spione und Kriegsflüchtlinge in die Stadt, die vor allem die sogenannte »Unterwelt« maßgeblich prägten. Während Ausländer aber zunächst eher selten in Erscheinung traten, stieg ihre Zahl später während der Zweiten Republik deutlich an. Genauso wie diese ab den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet hatten, dass Barcelona zum internationalen Zentrum des Anarchismus wurde, gab es nun von deutscher wie von italienischer Seite aus Versuche, die faschistische Ideologie nach Barcelona zu tragen, ein Unterfangen, das allerdings nur wenig Erfolg hatte.81 Wie in anderen vergleichbaren Städten hatte auch der Hafen in Barcelona bedeutende Auswirkungen auf die Topographie der Stadt. So entstand mit Barceloneta, wie auf dem Foto (Abb. 4) zu sehen, zunächst in unmittelbarer Hafennähe ein Viertel, in dem vor allem die heimischen Fischer wohnten. Zu Barcelonas »Barrio Chino« entwickelte sich allerdings nicht Barceloneta, sondern der südliche Teil des heutigen, zwischen den beiden Prachtstraßen Paral·lel und den Ramblas gelegene Stadtteil Raval. Im Gegensatz etwa zu London bezog sich diese Bezeichnung jedoch nicht auf die Bewohner dieses Stadtbereiches. So stellte etwa Ilya Erenburg, ein russischer Journalist und Korrespondent im Jahr 1932 fest: »Chinesen gibt es dort nicht. 79 Vgl. O’Flanagan, Port Cities, S. 18. 80 Für eine umfangreiche Studie zur Entstehung der städtischen Elite Barcelonas vgl. McDonough, Good families. 81 Der hier nur sehr kurz skizzierte Anteil der Ausländer an der Gewaltsamkeit in Barcelona wird ausführlich im Kapitel 4.2.3 in den Blick genommen.
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Abb. 4: Der Hafenbereich von Barcelona (ca. 1930)
Das Barrio Chino von Barcelona ist bevölkert von Vagabunden, Bettlern, Taschendieben und billigen Prostituierten.«82 Tatsächlich war der Begriff »Barrio Chino« in Barcelona in der Mitte der 1920er Jahre eine Erfindung von Lokaljournalisten gewesen.83 Bereits zuvor war die erste Baracken-Siedlung im späteren Arbeiterviertel Poblenou als »Peking« bezeichnet worden, was Chris Ealham als Zeichen dafür sieht, dass somit urbane Probleme in Barcelona externalisiert werden sollten.84 Das als Barrio Chino bezeichnete Gebiet war ursprünglich eine der ersten Arbeitersiedlungen Barcelonas gewesen. Doch mit dem Ersten Weltkrieg nahm die wirtschaftliche Bedeutung des hafennahen Stadtteils Raval ab, da die Fabriken zunehmend von der Innenstadt in die Außenbezirke verlagert wurden und als Folge davon auch die Arbeiter dorthin zogen. Aus den nun leer stehenden Fabriken wurden Bars und Tanzlokale und das Raval entwickelte sich, begünstigt durch seine Nähe zum Hafen, die es zur Anlaufstelle der Matrosen machte, nach und nach zum Vergnügungsviertel. Um 1930 war das Raval mit 230 000 Bewohnern und einer Einwohnerdichte von 103 060 Bewohnern pro Qua82 Zitiert nach Permanyer, Cites, S. 170. 83 Nach Resina, Vocation, S. 104 war es der Journalist Francisco Madrid, der in der ersten Ausgabe des von ihm herausgegebenen Wochenblattes »El Esc#ndalo« (dt.: Der Skandal) am 22. Oktober 1925 erklärte, dass der fünfte Distrikt Barcelonas, genau wie New York, Buenos Aires und Moskau, sein eigenes »Barrio Chino« habe. 84 Vgl. Ealham, Anarchism an the City, S. 13f.
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dratkilometer nicht nur etwa zehnmal so dicht bevölkert wie die meisten anderen Viertel der Stadt, sondern auch eines der am dichtesten bevölkerten Gebiete Europas, was zahlreiche humanitäre Probleme mit sich brachte.85 Der schlechte Ruf des Barrio Chino war darüber hinaus der hohen Gewaltsamkeit geschuldet sowie der Tatsache, dass es sich, ähnlich wie hafennahe Bereiche in anderen europäischen Hafenstädten, zum Zentrum des Drogenhandels und der Prostitution entwickelte.86 Bis zum Ersten Weltkrieg war Kokain noch nahezu unbekannt gewesen und wurde erst in dessen Verlauf auch in Barcelona verbreitet. Bereits 1915 konnte man in vielen Kabaretts Kokain, Morphium und andere Drogen legal erwerben, wobei es oftmals Frauen waren, die diese Ware den Kunden aushändigten. Zwar stellte bereits 1918 ein Gesetz den Handel mit narkotisierenden Mitteln unter Strafe, doch wurde erst während der 1923 beginnenden Diktatur Primo de Riveras der Kampf gegen den Drogenhandel in Barcelona ernsthaft aufgenommen.87 In einer Reportage der Zeitschrift El Esc#ndalo (dt.: Der Skandal) im Jahr 1925 bezeichnete Francisco Madrid das Kokain, welches man angeblich in Bars auf Nachfrage kaufen könne, als größte und Morphium als zweitgrößte Plage, während Opium in Barcelona seinen Recherchen zufolge nicht so verbreitet sei.88 In dieser Zeit stieg die Zahl der Drogentoten in Barcelona beträchtlich an.89 Auch der Journalist Arturo Bono bezeichnete 1928 den Drogenkonsum in Barcelona als »ernste Gefahr« und behauptete, es gäbe bereits mehrere Tausend Drogenabhängige in der Stadt. Im Februar 1927 war deshalb ein spezielles Drogendezernat eingerichtet worden, das innerhalb eines Jahres bereits 74 Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte.90 Vier Jahre später wurde Barcelona von der Lokalzeitung La Noche (dt.: Die Nacht) neben Madrid und Valencia als eine der »Hauptstädte des Drogenhandels« in Spanien angeprangert und als einer der bedeutendsten Umschlagplätze für den internationalen Drogenhandel zwischen 85 Für einen ausführlichen Überblick zur Geschichte von Barcelonas »Barrio Chino«, vgl. Ealham, Imagined Geography, bes. S. 374ff. 86 Während hier nur die für Hafenviertel im Allgemeinen typischen Strafdelikte wie Drogenhandel und Prostitution in den Blick genommen werden, wird im Rahmen des Kapitels 2.3 noch einmal ausführlich auf die spezifische Gewaltsamkeit dieses Viertels eingegangen. 87 Zur Geschichte des Drogenhandels in Barcelonas Barrio Chino siehe Villar, Barrio Chino, bes. S. 113ff. 88 Vgl. El Esc#ndalo, 26. 11. 1925, S. 4f. 89 So berichtete El Diluvio am 1. 4. 1924, S. 15 von zwei Drogentoten in der Ronda de Sant Antoni. Die gleiche Zeitung berichtete einige Jahre später, am 3. 3. 1927, S. 11, von einer 19Jährigen, die vermutlich während einer Tanzveranstaltung in der Calle de la Paloma Kokain konsumiert hatte und deshalb mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Bereits ein Jahr zuvor hatte sich ein Arzt dazu genötigt gesehen, öffentlich vor Drogen zu warnen, die seiner Meinung nach einen »ähnlich schlechten Einfluss wie Alkohol« hätten, vgl. El Diario de Barcelona, 12. 6. 1926, S. 10. 90 Vgl. La Noche, 4. 2. 1928, S. 3.
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Amerika und Europa bezeichnet.91 1935 wurden nach einer in El Noticiero Universal veröffentlichten Statistik insgesamt 94 Personen wegen Drogendelikten festgenommen.92 Im selben Jahr gelang ein entscheidender Schlag gegen den Drogenhandel in Barcelona, bei dem insgesamt mehr als 14 kg Kokain beschlagnahmt wurden. Der bedeutendste Drogenfund wurde dabei am 29. September bei einer Hausdurchsuchung in der Calle del Arco del Teatro gemacht, einer Straße im Barrio Chino, was als Indiz dafür angesehen werden kann, dass dieses über den gesamten Untersuchungszeitraum das Zentrum des Drogenhandels in Barcelona geblieben war.93 Schon Francisco Madrid hatte in seinem Buch »Sangre en Atarazanas« (dt.: Blut in den Werften) die Behauptung aufgestellt, die Drogen würden in Schiffen aus Genua oder Marseilles nach Barcelona geliefert und dann dort über Mittelsmänner verkauft werden.94 Darüber hinaus scheint Kokain in größeren Mengen auch über den Landweg von Frankreich nach Barcelona gelangt zu sein.95 Obwohl der damalige Zivilgouverneur bereits 1922 in einem Rund91 Vgl. La Noche, 27. 1. 1932, S. 7. 92 Vgl. El Noticiero Universal, 1. 1. 1936, S. 7. 93 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 121. Dies lässt sich auch anhand von zahlreichen Artikeln in den Lokalzeitungen belegen, die regelmäßig über Kokainfunde oder beim Handel mit Kokain festgenommene Personen im Barrio Chino berichteten, siehe dazu etwa El Diluvio, 1. 4. 1928, S. 24 und 9. 2. 1933, S. 6 sowie El Noticiero Universal, 10. 12. 1934, S. 7. Auch in anderen Stadtteilen Barcelonas kam es zu ähnlichen Vorfällen, allerdings wesentlich seltener. So wurden am 26. August 1931 1,4 kg Kokain in einer Wohnung in Barceloneta gefunden, vgl. El Noticiero Universal, 27. 8. 1931, S. 12. Am 16. März 1933 wurde Salvador Gimeno Centella festgenommen, der in dem Barrio Sant Mart& in großem Stil mit Drogen gehandelt haben soll, vgl. El Noticiero Universal, 17. 3. 1933, S. 10. 1935 häuften sich auch Fälle, in denen direkt auf den Ramblas Drogen angeboten wurden, siehe El Diluvio, 16. 2. 1935, S. 8 und El Noticiero Universal, 15. 2. 1935, S. 2. Ein anderes Beispiel ist in El Diluvio, 26. 12. 1935, S. 13 dokumentiert. 94 Vgl. Madrid, Sangre, S. 134. Dass dies durchaus auf realen Tatsachen beruhte, belegen verschiedene Fälle. So wurden etwa 1925 bei zwei Personen fünf Kilo Opium gefunden, das sie nach eigenen Angaben von einem Seemann im Hafen gekauft hatten und dann an einen Kubaner, der sich gerade in Barcelona aufhielt, weiterverkaufen wollten, vgl. El Diluvio, 5. 7. 1925, S. 11. Im Januar 1936 wurden zwei Seeleute bei dem Versuch verhaftet, ein halbes Kilo Kokain zum Preis von 13 Peseten pro Gramm zu verkaufen, wobei das Kokain aus Frankreich gestammt haben soll, vgl. El Noticiero Universal, 3. 1. 1936, S. 8. Dagegen hatte El D&a Gr#fico bereits einige Jahre zuvor in einem der ersten Berichte über den Drogenhandel in Barcelona die Behauptung aufgestellt, dass das in Barcelona gehandelte Kokain fast ausschließlich aus einer Fabrik in Darmstadt stammen würde, siehe El D&a Gr#fico, 26. 7. 1922, S. 5. 95 Siehe dazu den Bericht der französischen Botschaft in Madrid vom 30. Oktober 1931 (CAD, Espagne 258, Z 267–1/268–2), der sich auf einen am selben Tag erschienen Artikel in der madrilenischen Zeitung El Sol bezieht. Auch in den Lokalzeitungen Barcelonas finden sich einige Berichte, die darauf hindeuten, dass die Drogen aus Frankreich auf dem Landweg nach Barcelona gelangten. So wurden im August 1935 in Barcelona zwei Drogenhändler festgenommen, von denen einer angab, das Kokain bei seinen Reisen nach Marseilles erworben zu haben, vgl. La Noche, 16. 8. 1935, S. 14. Kurz danach ereignete sich ein ganz ähnlicher Fall, wobei der festgenommene Drogenhändler in diesem Fall aussagte, dass es in der nahe der
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schreiben angeordnet hatte, dass Kokain, Morphium und andere Drogen nur in Apotheken mit Lizenz verkauft werden dürften und für den Fall des Missbrauchs hohe Strafen androhte, häuften sich im Untersuchungszeitraum trotzdem die Fälle, in denen Apotheker oder deren Angestellte illegal Kokain oder andere Drogen in größerem Mengen veräußerten.96 Eng verbunden mit dem Drogenhandel war die Prostitution, deren Anfänge in Barcelona bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen und die sich ähnlich wie in anderen Hafenstädten auch in Barcelona mehr und mehr im Barrio Chino und damit in unmittelbarer Hafennähe ansiedelte.97 Für viele Frauen aus der Arbeiterklasse war Prostitution die einzige Möglichkeit, während einer Zeit ohne Arbeit finanziell über die Runden zu kommen. Deshalb ist es wahrscheinlich, dass eine relativ große Anzahl von Frauen in Barcelona irgendwann in ihrem Leben der Prostitution nachgehen musste.98 Es gibt beispielsweise für 1911 Berechnungen aufgrund offizieller Registrierungen, die von etwa zehntausend Frauen ausgehen, die als Prostituierte tätig waren. Angesichts der Tatsache, dass die öffentliche Präsenz von Prostituierten in der Stadt selbst den Zeitzeugen ins Auge fiel, dürften die realen Zahlen wesentlich höher gewesen sein.99 Zur Zeit des Ersten Weltkriegs und in den unmittelbaren Jahren danach gehörten Prostituierte in Barcelona immer mehr zum öffentlichen Erschei-
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französischen Grenze gelegenen spanischen Kleinstadt Figueres eine Drogenbande gäbe, die das Kokain aus Frankreich besorgen würde, vgl. El Noticiero Universal, 26. 12. 1935, S. 16. Der Rundbrief des Zivilgouverneurs findet sich abgedruckt in El Diluvio, 28. 6. 1922, S. 12. Fälle von illegalem Handel mit Betäubungsmitteln durch Personal von Apotheken sind bereits für die Zeit Primo de Riveras dokumentiert, siehe etwa El Noticiero Universal, 22. 6. 1925, S. 14 und 21. 4. 1926, S. 10, El Diluvio, 10. 2. 1927, S. 13 sowie 18. 12. 1927, S. 22. Sie treten dann während der Zeit der Zweiten Republik gehäuft auf, siehe El Diario de Barcelona, 29. 5. 1932, S. 36, Las Noticias, 9. 2. 1933, S. 1 und La Noche, 21. 10. 1933, S. 6. Über denselben Fall berichten auch El Diluvio, 22. 10. 1933, S. 1, El Correo Catal#n, 3. 2. 1935, S. 2 sowie El Diario de Barcelona, 5. 2. 1935, S. 15. Ramjn Draper Miralles bezeichnet außerdem die unmittelbare Umgebung des Parque de la Ciutadella als eines der Zentren der Straßenprostitution in Barcelona, vgl. ders., Gu&a, S. 21. Damit bestätigt er Abel Paz, der in seiner Autobiographie beschreibt, dass sich der Bereich, in dem die Prostituierten hauptsächlich anzutreffen waren, vom Campo de Sidral, dem heutigen PlaÅa de les Glories Catalanes entlang der Calle de Luchana bis zur Brücke Pont de Marina (dt.: Marinabrücke) erstreckt habe, einem Gelände, welches damals fast ausschließlich aus unbebautem Ackerland bestand, vgl. Paz, Feigenkakteen, S. 81. Insgesamt scheint die Entwicklung der Prostitution in Barcelona durchaus etwa mit der in Philadelphia vergleichbar zu sein, wo sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend zentrumsnahe »vice districts« herausgebildet hatten, vgl. Altenburg, Machtraum, S. 234. Vgl. Kaplan, Red City, S. 85f. Auch in Paris stieg die Zahl der Prostituierten um die Jahrhundertwende deutlich an und nahm organisierte Strukturen an. So hatte es 1878 noch 3991 Prostituierte gegeben, die in entsprechenden Etablissements arbeiteten. 1902 dagegen war die Zahl bereits auf 6639 angestiegen, wobei die meisten nun in Begleitung eines Zuhälters auftraten, vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 326f. Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 105. Er bezieht sich dabei auf einen Bericht von Juan Paulis aus dem Jahr 1913.
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nungsbild, weil sie nun nicht mehr nur in den Bordellen arbeiteten, sondern offen auf der Straße ihre Kunden anwarben.100 Während der Zweiten Republik, zu deren Beginn es schätzungsweise 70 000 Prostituierte in Barcelona gegeben haben soll, wurde dann versucht, mit einer Kampagne zur »Moralisierung« des öffentlichen Lebens die Prostitution durch die Schließung von Bordellen einzudämmen.101 Die zahlreichen zeitgenössischen Berichte über die Prostitution in Barcelona in der Zweiten Republik im Barrio Chino legen aber die Vermutung nahe, dass dieser Initiative nur ein sehr mäßiger Erfolg beschieden war. Auch wenn die unmittelbare Lage am Mittelmeer also sicherlich das bedeutsamste topographische Charakteristikum Barcelonas darstellt, soll zumindest noch auf zwei weitere geographische Besonderheiten hingewiesen werden. Dies ist zunächst die relativ große Entfernung zu Madrid, der Hauptstadt und dem Regierungszentrum Spaniens, die vermutlich wesentlich dazu beigetragen haben mag, dass in Barcelona die Präsenz des spanischen Zentralstaates relativ gering war, zumindest in den Augen der höheren Gesellschaftsschichten, die auf dessen Schutz vertrauten. Dieser Umstand erleichterte es den zu jener Zeit in Barcelona agierenden Gewaltakteuren höchstwahrscheinlich auch, das staatliche Gewaltmonopol herauszufordern.102 Selbst Zeitgenossen, die nicht aus der Stadt stammten, fiel auf, dass Barcelona sich im Vergleich zu anderen Städten eine außergewöhnlich hohe Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von der spanischen Hauptstadt Madrid bewahrt hatte. So stellte zum Beispiel bereits 1889, also gut ein Jahrzehnt vor Beginn des politischen Katalanismus, der unter dem Pseudonym »Clar&n« schreibende spanische Schriftsteller und Journalist Leopoldo Alas fest: »Barcelona scheint kein Teil von Spanien zu sein«.103 Auch der italienische Schriftsteller Edmondo de Amicis hatte etwa zur gleichen Zeit angemerkt: »Barcelona ist von seiner Erscheinung her die am wenigsten spanische Stadt Spaniens«.104 Weiterhin auffallend ist im Gegensatz zur großen Entfernung von Madrid die relative Nähe Barcelonas zu Frankreich. Diese hatte nicht nur kulturelle Auswirkungen und führte dazu, dass die Franzosen die größte Gruppe von Ausländern in Barcelona ausmachten, sondern beeinflusste auch die Gewaltsamkeit in der Stadt auf maßgebliche Weise. Zum einen vereinfachte die Nähe zur französischen Grenze den Waffenhandel, dem damit neben dem Seeweg noch eine zweite Route offen stand. Dies hat vermutlich entscheidend dazu beigetragen, dass in Barcelona, wie in anderen Ländern Europas, auch die Zahl der 100 Vgl. Draper Miralles, Gu&a, S. 22. Die Prostitution in Paris nahm eine ähnliche Entwicklung, vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 326f. 101 Vgl. GuereÇa, Prostitucijn, S. 387f. und S. 392. 102 Dies wird in den Kapiteln 3.4 sowie 4.1.1 noch genauer ausgeführt. 103 Zitiert nach Permanyer, Cites, S. 114. 104 Zitiert nach Resina, Vocation, S. 237.
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Schusswaffen in Privatbesitz als Folge des Ersten Weltkriegs deutlich anstieg.105 Pistolen wie etwa die »Star«, wurden während des Ersten Weltkriegs in großen Mengen für das französische Heer produziert und gelangten entweder über die nicht allzu ferne französisch-spanische Grenze oder auf dem Seeweg nach Barcelona, wo sie auf dem Schwarzmarkt relativ billig erworben werden konnten.106 Auch während der Zweiten Republik bezogen die in Barcelona agierenden Gewaltakteure weiterhin einen Teil ihrer Waffen aus Frankreich. So schreibt Chris Ealham in seiner kürzlich erschienenen Biographie über Jos8 Peirats, dass dieser als Sekretär der FAI den Waffenschmuggel über die katalanische Kleinstadt Puigcerd/ in der Provinz Girona über die französische Grenze organisiert habe.107 Zum anderen erleichterte dieser Umstand politischen Aktivisten und Kriminellen, von Frankreich nach Barcelona zu gelangen und umgekehrt. Dies war besonders dann wichtig, wenn es darum ging, sich so schnell wie möglich dem Zugriff der Polizei zu entziehen. Nach einem Bericht in La Publicidad (dt.: Die Öffentlichkeit) vom Juli 1920 soll dabei ebenfalls Puigcerd/ als Zwischenstation gedient haben.108 Besonders nach der Machtergreifung Primo de Riveras im September 1923 machten viele Anarchisten von der Möglichkeit Gebrauch, sich über die Grenze nach Frankreich abzusetzen. Darüber hinaus erleichterte die Grenznähe – so zumindest die Befürchtung der Behörden – Konspirationen spanischer und französischer Anarchisten.109 Nachdem sich also gezeigt hat, dass die geographische Lage in einem nicht unerheblichen Maß zur spezifischen Gewaltsamkeit Barcelonas beigetragen hat, soll im folgenden Unterkapitel nun der Blick etwas konkreter auf Barcelona und seine unmittelbare Umgebung gerichtet werden. Allgemein ist den »Rändern der Stadt« in der Stadtgeschichtsschreibung bezüglich ihrer Devianz stets eine besondere Rolle zugesprochen worden.110 Dies liegt vor allem daran, dass dort – im Gegensatz zu den Innenstädten – Polizeiposten meistens eine wesentlich geringere Dichte aufwiesen und dass die Straßenbeleuchtung im Allgemeinen lange Zeit auf eher zentrale Bereiche des städtischen Raumes begrenzt blieb. Die 105 Sven Reichardt erklärt diese Tatsache für Deutschland und Italien dadurch, dass der Staat in den unmittelbaren Nachkriegsjahren noch keine umfassende Kontrolle über den Verbleib seiner Kriegsgeräte erlangt hatte, vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 82. 106 So sollen 1919 etwa 12 000 Sindikalisten mit Pistolen der Marke Browning zum Preis von 45 Peseten das Stück ausgestattet worden sein, vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 231. 107 Vgl. Ealham, Living, S. 69. Der Brief eines Polizisten im Dienste der spanischen Botschaft in Paris vom 12. April 1932 an den Geschäftsführer der Botschaft zeigt, dass dies den spanischen Behörden offensichtlich bekannt war, ohne dass sie es unterbinden konnten (AGA, 54/11016 (14/424). 108 Vgl. La Publicidad, 22. 7. 1920, S. 6. 109 Ein Beispiel hierfür ist der Brief des französischen Innenministers an den Präfekten der westlichen Pyrenäen in Perpignan vom 13. Februar 1924, der ein Treffen von spanischen und französischen Anarchisten dokumentiert (AN, F/7 13442). 110 Vgl. etwa den von Hartmut Häußermann herausgegebenen Sammelband, Ränder.
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in den städtischen Außengebieten entstehenden Siedlungen wurden in dieser Hinsicht weitgehend sich selbst überlassen. Folglich war die Straßenbeleuchtung dort wesentlich schlechter, weshalb diese Bereiche wegen ihrer Dunkelheit nachts relativ unsicher waren.111 Neben der Frage, welche Wechselwirkungen es zwischen Barcelona und seinen unmittelbaren Vorstädten bezüglich der Gewalt gab, soll es im folgenden Unterkapitel auch darum gehen, zu untersuchen, wie sich die unmittelbaren topographischen Besonderheiten Barcelonas auf die in der Stadt vorherrschenden Gewaltpraktiken und die agierenden Gewaltakteure auswirkten. Diese sind, abgesehen vom Mittelmeer im Osten, vor allem die unmittelbaren Berge und Hügel, die die Stadt im Süden und im Westen begrenzen.
2.2
Wechselwirkungen zwischen Barcelona und seiner unmittelbaren Peripherie hinsichtlich der Gewaltakteure und -praktiken
Der russische links-radikale Journalist und Schriftsteller Victor Serge, der im Februar 1917 nach Barcelona gekommen war und dort einige Monate später den landesweiten Generalstreik miterlebte, beginnt sein autobiographisches Buch »Geburt unserer Macht« mit einer Beschreibung des im Süden von Barcelona gelegenen Stadtberges Montju"c. Wie die zeitgenössische Fotografie (Abb. 5) verdeutlicht, prägte dieser (auf dem Foto links unten) das Stadtbild maßgeblich. »Eine zerklüftete Masse reinen Felsens zerschneidet den schönsten aller Horizonte, reckt sich empor über der Stadt. Gekrönt durch einen ungewöhnlichen Stern, gezackten Zinnen gleich, vor Jahrhunderten in den braunen Stein geschnitten, birgt der Fels geheime Anlagen unter der Unschuld grasbewachsener Erdhügel. Zwischen dem klaren Blau des Himmels, dem tieferen Blau des Meeres, den grünen Wiesen des Llobregat und der Stadt, einem seltsamen Uredelstein ähnelnd, wird dem Fels durch die geheime Zitadelle darunter ein bösartiges Aussehen verliehen … Hart, mächtig, in Stein eingeschlossener Aufruhr, behauptet er sich seit Beginn der Zeiten … […] Wir würden diesen Felsen geliebt haben, der manchmal die Stadt zu schützen scheint, aufsteigend am Abend, ein Vorgebirge über dem Meer (wie ein Vorposten Europas, der sich tropischen Ländern entgegenstreckt, gebadet in Ozeane, die man sich unerbittlich blau vorstellt) – dieser Felsen, von dem man bis in die unendliche Ferne sehen kann …Wir hätten ihn geliebt, wären dort nicht jene versteckten Wälle gewesen, jene alten Kanonen mit ihren Lafetten, auf die Stadt gerichtet, jener Mast mit seiner Spottfahne, jene schweigenden Wachtposten in olivfarbenem Khaki, Masken, an jeder Ecke postiert. Der Berg war ein 111 Vgl. Lenger, Metropolen, S. 175 sowie Rolf, Metropolen, S. 35. Schloer, Nachts, S. 72 weist darauf hin, dass sich das Thema der nächtlichen Unsicherheit aufgrund der unbeleuchteten Straßen als ein Leitmotiv durch die zeitgenössischen Texte zieht.
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Abb. 5: Luftaufnahme des Montju"c (1927)
Knast – er unterwarf die Stadt, schüchterte sie ein, riegelte ihren Horizont unter der schönsten aller Sonnen mit seiner dunklen Massigkeit ab.«112
Der von Victor Serge ebenso verklärend wie verbittert beschriebene, 183 Meter hohe Berg im Süden prägte nicht nur das Stadtbild Barcelonas, sondern auch dessen Geschichte. Dass besonders dem Anarchismus nahestehende Zeitgenossen wie Victor Serge ein recht zwiespältiges Verhältnis zu dem Stadtberg hatten, lag an dem auf dem Gipfel des Berges gelegenen Fort, das schon der Journalist und Schriftsteller Ignasi Bo y Singla in einer der ersten Monographien über den Montju"c als »katalanische Bastille« bezeichnete.113 Nach der Revolte von 1640 wurde in Barcelona zunächst die Festung »Ciutadella« im Stadtzentrum errichtet, welcher eine zentrale Funktion bei der Verteidigung vor Aggressionen von innen und von außen zukam. Da diese Festung alleine aber den Aufständen nicht standhalten konnte, wurde auf dem Montju"c zusätzlich ein Fort erbaut. Von dort wurde die Stadt während der Unruhen in den Jahren 1842 und 1843 beschossen, wobei sich die Festung durch ihre strategisch günstige Lage in beiden, für die Regierung äußerst kritischen Momenten, als entscheidender Vorteil erwies. Für die Anarchisten wurde das Fort auf dem Montju"c ab den 1870er Jahren zum Symbol der Unterdrückung, der sie sich durch den spanischen Zentralstaat 112 Vgl. Serge, Geburt, S. 5. Susan Weissman hat vor Kurzem eine umfangreiche Biographie über Victor Serge vorgelegt. Diese beginnt allerdings erst mit dessen Abreise aus Spanien, weshalb seine Zeit in Barcelona nur sehr kurz angerissen ist, vgl. Weissman, Victor Serge, S. 12. 113 Vgl. Bo y Sigla, Montjuich, S. 219.
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ausgesetzt sahen.114 Dadurch, dass die Ciutadella im Zuge der Weltausstellung 1888 abgerissen und in einen Park umgewandelt worden war, verstärkte sich die Sonderstellung des am Montju"c gelegenen Forts und seine repressive Wirkung. Durch die in diesem Fort und seiner unmittelbaren Umgebung stattfindenden Repressionsmaßnahmen in Form von Folterungen und Hinrichtungen als Reaktion auf die anarchistischen Terroranschläge in den 1890er Jahren und auf die Tragischen Woche im Sommer 1909 erreichte der repressive Charakter des Forts schließlich seinen Höhepunkt.115 Auch im Untersuchungszeitraum diente die Festung auf dem Montju"c als Gefängnis, etwa für die im Zuge des Canadenca-Streiks von 1919 verhafteten Arbeiter. Hinrichtungen und Vorwürfe von Folterungen innerhalb der Festungsmauern wurden dagegen seltener.116 Dennoch blieben der Berg und seine Festung gefürchtet. So beschreibt etwa auch Ricardo Sanz, der später eines der führenden Mitglieder von »Los Solidarios« (dt.: Die Solidarischen) wurde, seine Empfindung, als er nach seiner Ankunft in Barcelona im Jahr 1914 den Berg zum ersten Mal sah, ganz ähnlich wie der eingangs zitierte Victor Serge: »Beim Hören des Namen Montju"c zuckte ich am ganzen Körper zusammen. Ich kannte die schwarze Legende der unheilbringenden Festung, wo sie Männer gefoltert hatten und in dessen Burggraben sie den Gründer der ›Escuela Moderna‹ [dt.: Moderne Schule, Anmerkung F.G.], Francisco Ferrer Guardia, und andere erschossen hatten.«117
Parallel zur militärischen Nutzung hatte sich auch die wirtschaftliche Bedeutung des Montju"c vergrößert. Während der Berg im 18. und 19. Jahrhundert in erster Linie ein Ausflugsort für Wanderer gewesen war, wurde er ab 1869 zunehmend auch als Steinbruch genutzt. Durch die Expansion der Stadt mit Eingliederung der Viertel Gr/cia, Sants, Sant Mart& und vor allem aber durch den Bau des neuen Stadtteils Eixample (dt.: Erweiterung) gewann er deshalb in dieser Funktion eine immer größere Bedeutung.118 Dennoch blieb der Berg lange Zeit von der Urbanisierung ausgeschlossen. Die einzige weitere Ausnahme stellten hierbei die ärmlichen Barackensiedlungen am Fuße des Montju"c dar, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden waren und einen 114 Vgl. Smith, Barcelona, S. 7. 115 Diese werden im Kapitel 3.4 noch eingehend als Formen der Reaktionen des spanischen Zentralstaates auf die Infragestellung seines Gewaltmonopols untersucht. 116 Eine der wenigen Hinrichtungen am Montju"c im Untersuchungszeitraum ereignete sich am 30. Mai 1920, als vier junge Männer für den Mord an zwei Polizisten im Jahr zuvor erschossen wurden, vgl. Voltes Bou, Montjuich, S. 184f. Auch Abel Paz berichtet in seiner Autobiographie, dass die Gräben des Montju"c den Ruf eines düsteren Ortes gehabt hätten, wo man Arbeiter erschoss, vgl. Paz, Feigenkakteen, S. 84. 117 Vgl. Sanz, El sindicalismo espaÇol, S. 97f. 118 Zur wirtschaftlichen Bedeutung des Montju"c siehe Huertas Claveria, Montju"c, S. 105 sowie Mar&n Corbera, Segona Part, S. 145.
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starken Gegensatz zu dem gut ausgebauten, symbolträchtigen Fort auf dem Gipfel bildeten. Die Zahl der Baracken war bis zum Jahr 1929 auf insgesamt 6478 angestiegen. Diese wurden vor allem von Menschen bewohnt, die die Einheimischen als »Gitanos« (dt.: Zigeuner) bezeichneten. Dies hat den zeitgenössischen Schriftsteller Juli Vallmitjana dazu veranlasst, in einer seiner zahlreichen Novellen und Dramen, die in diesem Stadtbereich spielten, anzumerken, dass den Personen, die die Ronda de Sant Pau passierten, der Anblick der vielen Zigeuner befremdlich vorgekommen sei und sie unweigerlich an ein marokkanisches Viertel erinnert habe.119 Doch auch wenn die Urbanisierung des Montju"c schon einige Jahre zuvor eingesetzt hatte, begann der Berg seine geheimnisvolle Aura erst durch seine Erschließung während der Vorbereitung der Weltausstellung von 1929 nach und nach zu verlieren.120 Diese speziellen Gegebenheiten waren auch die Ursachen für die Gewaltspezifik des Berges. Der Montju"c trat besonders in der ersten Epoche des Untersuchungsraums bis zu seiner Urbanisierung im Zuge der Weltausstellung, aber auch noch später, als Gewaltort permanent in Erscheinung. So galt der Berg dadurch, dass er schwer zugänglich und sein Gelände ausgesprochen unübersichtlich war, bei gesuchten Verbrechern als beliebter Zufluchtsort. Dies blieb er auch noch nach der Weltausstellung von 1929 in der Zeit der Zweiten Republik. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass etwa Mart&n Serrarols Treserra, einer der in der Anfangszeit der Zweiten Republik meistgesuchten Straßenräuber Barcelonas, im Juni 1933 zusammen mit drei weiteren Verdächtigen, die zu seiner Bande gehört haben sollen, am Montju"c festgenommen wurde.121 Die Abgeschiedenheit dieses stadtnahen Berges wurde auch dazu genutzt, um Morde an vermeintlichen oder tatsächlichen Denunzianten oder Polizeispitzeln durchzuführen. Diese wurden entweder direkt am Montju"c oder in dessen unmittelbarer Umgebung umgebracht oder man versteckte dort zumindest ihre Leichen, nachdem man sie zuvor an einem anderen Ort ermordet hatte.122 Au119 Vgl. Vallmitjana, Sota Montju"c, S. 125. 120 Vgl. Huertas Claveria, Montju"c, S. 55f. Einen aktuellen Überblick über die Geschichte des Montju"c gibt Risques Corbella, Primera Part. 121 Der Bericht über die Festnahme von Serrarols Treserra und seiner mutmaßlichen Komplizen findet sich in El Correo Catal#n, 6. 6. 1933, S. 2. Zum Wirken von Serrarols Treserra in den staatsfernen Gewaltgemeinschaften Barcelonas während der Zwischenkriegszeit siehe Kapitel 4.1.2. Schon einige Tage zuvor waren mehrere mutmaßliche Mitglieder einer anderen Bande von Straßenräubern am Montju"c festgenommen worden, siehe La Noche, 30. 5. 1933, S. 1. Bereits Anfang des Jahres 1932 berichtete El Diario de Barcelona, 25. 2. 1932, S. 26 über die Ergreifung eines bekannten Straßenräubers, den die Polizei am Fuße des Berges bei einer Kartenrunde überraschte und festnehmen konnte, vgl. El Diario de Barcelona, 25. 2. 1932, S. 26. 122 So berichtete El Noticiero Universal zum Beispiel sehr ausführlich über Juan Blas Moll, der
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ßerdem wurden die am Montju"c gelegenen Steinbrüche dazu benutzt, um Diebesgut zu verstecken oder um Bomben zu deponieren, die später für Anschläge in der Stadt verwendet wurden.123 Wie das Kreisdiagramm zu allen untersuchten Gewaltdelikten (Abb. 6) und die hinter den Deliktformen angegeben Zahlen belegen, ist hinsichtlich der am Montju"c im Untersuchungszeitraum dokumentierten Gewaltdelikte nicht nur die große Zahl von Bombenfunden, sondern auch die verhältnismäßig hohe Anzahl an Raubüberfällen und Körperverletzungen auffällig.
Abb. 6: Übersicht über alle untersuchten Gewaltdelikte auf dem Montju"c
Diese lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass einerseits die Straßenräuber am Montju"c wegen dessen Abgeschiedenheit wesentlich seltener Gefahr liefen, von Polizisten auf frischer Tat ertappt zu werden. Andererseits war der Berg besonders an den Wochenenden ein beliebtes Ausflugsziel der Stadtbevölkerung vermutlich im kriminellen Milieu agierte und am 1. August 1927 tot am Montju"c aufgefunden wurde, siehe El Noticiero Universal, 2. 8. 1927, S. 9, 3. 8. 1927, S. 5, 5. 8. 1927, S. 9, 9. 8. 1927, S. 7, 12. 8. 1927, S. 11 und 26. 8. 1927, S. 3. Auch in der Zeit der Zweiten Republik, als der Berg schon weitgehend urbanisiert war, wurden dort immer noch regelmäßig die Leichen von Mordopfern versteckt. Ein gut dokumentiertes Beispiel dafür ist der Mord an dem Syndikalisten Manuel Blasco Iranzo am 16. Juli 1934, siehe El Diario de Barcelona, 17. 7. 1934, S. 16, 19. 7. 1934, S. 29 und 25. 7. 1934, S. 32. Bereits einige Tage zuvor hatte Las Noticias über einen Leichenfund am Montju"c berichtet, vgl. Las Noticias, 20. 3. 1934, S. 2. 123 Über die Nutzung der Höhlen auf dem Montju"c als Versteck für Diebesgut berichtete bereits Vallmitjana, vgl. ders., Sota Montju"c, S. 181. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums soll zum Beispiel eine von Francisco Mart&nez Valles angeführte Anarchistengruppe, auf die im Kapitel 4.1.2. noch genauer eingegangen wird, die Bomben, die sie später für Anschläge in der Innenstadt verwendete, in einem Steinbruch am Montju"c gelagert haben. Dafür, dass der Montu"c auch noch nach der Weltaustellung von 1929 als Versteck für Bomben genutzt wurde, findet sich ein Beleg in El Diluvio, 28. 11. 1933, S. 8.
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sowie von auswärtigen Besuchern, die aufgrund der beschriebenen Gegebenheiten ein leichtes Ziel für Raubüberfälle boten.124 Nicht nur im Osten durch das Meer und im Süden durch den Montju"c, sondern auch im Nordwesten hat Barcelona in Form der Bergkette Serra de Collserola eine natürliche Grenze.125 Auch wenn es sich bei diesem Mittelgebirge um ein flächenmäßig wesentlich größeres Gebiet handelt und dessen höchster Berg, der Tibidabo, den Montju"c mit 512 Metern an Höhe deutlich überragt, spielten er sowie die anderen Hügel und Berge am nordwestlichen Rand von Barcelona sowohl im Allgemeinen als auch hinsichtlich ihres Beitrags zur Gewaltsamkeit in der Stadt eine deutlich geringere Rolle. Trotzdem kam es auch dort vereinzelt zu verschiedenen Gewaltdelikten. So rückte zum Beispiel der Berg Coll bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts für kurze Zeit ins Rampenlicht, als hier im Mai 1905 einige Sprengsätze gefunden wurden, mit denen die anarchistische Gruppierung Joventut Llibert/ria (dt.: libertäre Jugend) vermutlich einen Anschlag im Stadtzentrum Barcelonas begehen wollte.126 Im Untersuchungszeitraum kam dem Mont Camelo von dieser Bergkette die größte Bedeutung zu, für den im Jahr 1924 ein Überfall dokumentiert ist.127 In der Zweiten Republik wurde auf diesem Berg zunächst eine illegale Zusammenkunft von der Polizei entdeckt und einige Wochen später wurden an derselben Stelle 26 Bomben gefunden.128 Zwei Jahre später diente der Berg David Sariego Rodriguez, der später bei einem seiner zahlreichen Raubüberfälle im Stadtteil Sant Andreu bei dem Versuch zu fliehen erschossen wurde, als Treffpunkt, um gemeinsam mit anderen Kriminellen mehrere Raubüberfälle zu planen.129 Auf dem Tibidabo kam es im Jahr 1933 zu einer Auseinandersetzung von Arbeitern der verfeindeten Gewerkschaften UGT und CNT, bei der ein Arbeiter getötet wurde.130 Ein Jahr später wurden dort drei Verdächtige festgenommen, die zuvor an Brandanschlägen auf Straßenbahnen beteiligt gewesen sein sollen.131 Hinsichtlich der Betrachtung der sich am Rande von Barcelona befindlichen 124 Die Nutzung des Berges als Ausflugsziel und für andere Freizeitaktivitäten beschreibt Aisa P/mpols, Montju"c, S. 87ff. und S. 173ff. 125 Deshalb beschreibt der in der Einleitung zitierte Gaziel in seinen Lebenserinnerungen Barcelona um die Jahrhundertwende als eine, bedingt durch ihre natürliche Grenzen, sehr beengte Stadt, vgl. Gaziel, Camins, S. 30. 126 Vgl. Dalmau, Cas, S. 139. 127 Der daraus resultierende Prozess wird geschildert in La Noche, 21. 1. 1931, S. 1. 128 Vgl. El Diario de Barcelona, 24. 1. 1933, S. 39. 129 Vgl. El Correo Catal#n, 15. 3. 1935, S. 6, El Diario de Barcelona, 16. 3. 1935, S. 14 und El Noticiero Universal, 15. 3. 1935, S. 10. 130 Vgl. El Telegrafo, 13. 11. 1934, S. 6. 131 Zur Festnahme der mutmaßlichen Bande von Brandstiftern siehe die Berichte in El Diario de Barcelona, 29. 7. 1934, S. 41 sowie El Diario de Barcelona, 31. 7. 1934, S. 32 und 1. 8. 1934, S. 7f.
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Berge und Hügel lässt sich somit festhalten, dass diese den in der Stadt agierenden Gewaltakteuren oftmals einen beliebten Rückzugsort boten, wobei dem Montju"c mit Abstand die größte Bedeutung zukam.
Die Nachbarstädte Barcelonas Im Gegensatz zu den Bergen stellten die Flüsse Llobregat im Südwesten und Besks im Nordosten Barcelonas zumindest im Untersuchungszeitraum kein natürliches Hindernis mehr dar, sodass zwischen Barcelona und seinen Nachbarstädten L’Hospitalet de Llobregat im Westen, sowie den im Osten direkt an Barcelona angrenzenden Städten Santa Coloma de Gramenet und Sant Adri/ de Besks und dem in deren unmittelbarer Nähe gelegenen Badalona (siehe Abb. 7) ein reger Austausch stattfand.
Abb. 7: Barcelona und seine Nachbarstädte (Karte von 1927)
Dass diese Wechselbeziehungen im Untersuchungszeitraum deutlich zunahmen und wie zu zeigen sein wird, auch für die spezifische Gewaltsamkeit in Barcelona eine nicht unerhebliche Relevanz hatten, lag vor allem daran, dass zu jener Zeit die öffentlichen Transportwege zwischen Barcelona und seiner unmittelbaren Umgebung zunehmend ausgebaut wurden. In den beiden größten Nachbarstädten Barcelonas, L’Hospitalet de Llobregat und Badalona entstanden darüber hinaus, vor allem im Zuge des durch den Ersten Weltkrieg bedingten wirt-
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schaftlichen Aufschwungs, zahlreiche Fabriken.132 Dies führte dazu, dass sich viele, vor allem aus anderen Regionen Spaniens stammende Menschen auf der Suche nach Arbeit in den Nachbarstädten Barcelonas ansiedelten, wodurch deren Bevölkerungszahlen im Untersuchungszeitraum stark anstiegen. So erhöhte sich zum Beispiel die Einwohnerzahl von L’Hospitalet de Llobregat von 12 360 im Jahr 1920 innerhalb eines Jahrzehnts auf 37 650, was vor allem durch die Immigration aus dem Inland bedingt war.133 Badalona wuchs bis 1930 mit 44 241 Einwohnern zur drittgrößten Stadt Kataloniens nach Barcelona und Sabadell heran.134 Sant Adri/ de Besks und Santa Coloma de Gramenet, die bis dahin eher ländlich geprägte Dörfer waren, erlangten erst im Untersuchungszeitraum eine gewisse Bedeutung.135 Der Urbanisierungsprozess konnte dabei nicht annähernd mit dem schnellen Anstieg der Bevölkerungszahl mithalten, was dazu führte, dass viele Menschen in Baracken ohne Strom- und Wasserversorgung leben mussten und auch viele Straßen in sehr schlechtem Zustand waren.136 Da die Urbanisierung der Gebiete zwischen Barcelona und seinen Nachbarstädten abgesehen vom Ausbau der Landstraßen, die diese durchquerten, aber nur sehr langsam voranschritt, war auch die öffentliche Kontrolle dieses Raumes nur sehr eingeschränkt möglich, was sie, vergleichbar mit dem Montju"c, zu einem bevorzugten Terrain der in Barcelona in der Zwischenkriegszeit agierenden Gewaltakteure machte. So kam es in diesem städtischen Randgebiet vor allem zu zwei Formen von kollektiven Gewaltpraktiken, die beide ihren Höhepunkt während der Zweiten Republik erreichten, also zu dem Zeitpunkt, als der Ausbau der Landstraßen nahezu abgeschlossen und der Verkehr zwischen Barcelona und seinen Nachbarstädten im Vergleich zu den vorangegangenen Jahrzehnten deutlich angestiegen war. Diese Gewaltpraktiken bestanden an erster Stelle darin, dass anlässlich des Streiks im Transportgewerbe 1933 und 1934 gerade in diesem Stadtbereich viele Straßenbahnen und Busse angezündet wurden.137 Auch die zweite, diesen 132 133 134 135
Vgl. Ajuntament, L’Hospitalet, S. 141 sowie Garc&a Almagro, Demograf&a, S. 147. Vgl. Ajuntament, L’Hospitalet, S. 139ff. Vgl. Garc&a Almagro, Demograf&a, S. 145. So hatte sich die Einwohnerzahl von Sant Adri/ de Besks von 1914 bis 1936 von 715 Einwohnern verzehnfacht, vgl. Andreassi Cieri, Libertad, S. 25 und M#rquez i Berrocal, Histkria, S. 159. Eine ähnliche Entwicklung nahm auch Santa Coloma de Gramenet, das sich im Untersuchungszeitraum von einem kleinen ländlichen Dorf zu einer Arbeiter- und Industriestadt entwickelte. So stieg die Einwohnerzahl von 5789 im Jahr 1923 innerhalb von sieben Jahren auf 12 930 an. Dies lag vor allem daran, dass dort 1200 Sozialwohnungen errichtet worden waren, um etwa 6000 Menschen umzusiedeln, die zuvor in Baracken am Berg des Montju"c gewohnt hatten, vgl. Gallardo Romero/M#rquez Rodr&guez, Revolucijn, S. 23ff. und Berruezo Silvente, Sendero, S. 27. 136 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 24 und Rider, New City, S. 75. 137 Diese für die Zweite Republik durchaus prägende Gewaltpraktik wird im Kapitel 3.2.2 ausführlich untersucht.
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Stadtbereich bestimmende Gewaltpraktik hatte den Personenverkehr zwischen Barcelona und seinen Nachbarstädten zum Ziel, doch waren die Täter hier nicht Saboteure, sondern Straßenräuber. Diese lauerten in kleineren Gruppen mit Pistolen bewaffnet an den abgelegenen Landstraßen Reisenden auf, die im Auto unterwegs waren. Die Opfer wurden gezwungen, auszusteigen und anschließend ihrer Habseligkeiten beraubt.138 Da das Auto zu dieser Zeit noch ein relativ exklusives Luxusgut war, stammten die Opfer dieser Raubüberfälle meistens aus der reichen Oberschicht Barcelonas.139 Für den Untersuchungszeitraum sind insgesamt 15 solcher Raubüberfälle dokumentiert. In Anbetracht der Tatsache, dass offensichtlich viele dieser Verbrechen von den Opfern aus Angst vor Repressalien nicht angezeigt wurden, dürfte die tatsächliche Zahl aber bedeutend höher gewesen sein.140 Ob und in welchem Umfang sich auch in den Nachbarstädten Barcelonas die dort charakteristischen kollektiven Gewaltpraktiken ereigneten, hat bisher zu selten im Blickpunkt einer wissenschaftlichen historischen Untersuchung gestanden, als dass sich darauf aufbauend die bestehenden Wechselwirkungen zwischen Barcelona und seinen Nachbarstädten sowohl hinsichtlich der Gewaltpraktiken als auch der agierenden Gewaltakteure genauer nachverfolgen ließen.141 So kann im Rahmen dieser Arbeit nur an einzelnen Beispielen gezeigt werden, dass eine derartige Wechselwirkung tatsächlich bestand und dass diese die Gewaltsamkeit in Barcelona zu einem gewissen Grad durchaus mit beeinflusst hat. Am deutlichsten lässt sich das anhand des vorliegenden Materials an Barcelonas Nachbarstadt im Westen, L’Hospitalet de Llobregat zeigen, wo es zu Beginn des Untersuchungszeitraums etwa 20 Fabriken gab.142 Die beiden konfliktträchtigsten Gebiete der Stadt waren zum einen das Viertel Santa Eul/lia. Dieses war um 1850 entstanden und bedingt durch seine sehr ähnliche Bevölkerungs- und Infrastruktur, die aus vielen Arbeiterwohnungen und Fabriken, vor allem des Textilsektors, bestand und wegen seiner geographischen Nähe eine Art »Erweiterung« von Sants, dem bedeutendsten Arbeiterviertel von Barcelo138 Beispiele für diese besondere Art von Überfällen sind beispielsweise dokumentiert in Las Noticias, 4. 3. 1932, S. 2 und El D&a Gr#fico, 6. 3. 1932, S. 8. 139 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 104. Auch Gaziel beschreibt das Auto in jener Zeit als Statussymbol des gehobenen Bürgertums, das sie unter anderem für ihren sonntäglichen Ausflug nutzten, vgl. Gaziel, Barcelona S. 80. 140 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 104. 141 So ist hier im Prinzip lediglich der jüngst publizierte Aufsatz von Manuel Dom&nguez über den Pistolerismo in L’Hospitalet zu nennen, vgl. Dom&nguez, Pistolerisme. Wesentlich zahlreicher sind dagegen die Monographien zur Geschichte der einzelnen Nachbarstädte Barcelonas, die das Thema der kollektiven Gewalt allerdings bestenfalls am Rande behandeln. 142 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 91.
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na.143 Auch Collblanc-La Torrassa, das zweite Gebiet, in dem sich im Untersuchungszeitraum die sozialen Konflikte häuften, lag in der unmittelbaren Umgebung von Sants und entwickelte sich im Untersuchungszeitraum zu dem am dichtesten besiedelten Gebiet in L’Hospitalet de Llobregat.144 Obwohl dieser Ort bereits in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine stark industriell geprägte Kleinstadt war, bildete sich, bedingt durch den Einfluss von Sants, erst Ende des Jahres 1919 eine lokale Vertretung der CNT.145 Eine erste Welle der Gewalt hatte L’Hospitalet de Llobregat bereits zwischen 1837 und 1862 erfasst, als es vermehrt zu Brandanschlägen und anderen Gewaltakten gegen wohlhabende Bürger und deren Besitzungen kam.146 1914 bildete sich eine Vereinigung Industrieller aus den Textilsektoren von Sants und L’Hospitalet de Llobregat, die dem der CNT-nahestehenden Schriftsteller Bajatierra zufolge die erste Bande von Pistoleros engagiert haben soll, deren Aufgabe es angeblich war, Gewerkschaftsmitglieder auszuschalten, ähnlich wie die später im Kapitel 4.1.1 beschriebene »Banda Negra« (dt.: Schwarze Bande) in Barcelona.147 Während sich diese Behauptung weder durch Primärquellen noch Sekundärliteratur weiter belegen lässt, zeigt sich am Beispiel von Pedro Vandelljs, der mit etlichen Attentaten auf Arbeitgeber zur Zeit des Pistolerismo in Verbindung gebracht wurde und zum Zeitpunkt seiner Verhaftung im Juni 1921 in Santa Eul/lia wohnte, dass es bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraums Verbindungen zwischen Barcelona und seinen Nachbarstädten hinsichtlich der Gewaltpraktiken und Gewaltakteure gab.148 Auch in L’Hospitalet de Llobregat kam es wie in Barcelona während der Zeit des Pistolerismo zu Attentaten und Schießereien.149 Diese ereigneten sich vor allem in den bereits erwähnten Vierteln in unmittelbarer Nähe von Sants.150 Bereits am 4. Januar 1918 geschah eines der ersten Attentate des Pistolerismo in L’Hospitalet de Llobregat, bei dem Jerjnimo Figueras verletzt wurde, der Direktor verschiedener Abteilungen einer Fabrik in L’Hospitalet de Llobregat.151 Ein Attentat, über das auch überregional berichtet wurde, geschah am 11. August 1920, als der Arbeitgeber Juan Coll Vilagrau und eine Begleitperson von 143 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 91. 144 Für eine ausführliche Darstellung der Geschichte dieses Stadtteils, siehe Salmerjn Vargas, Histkries, die allerdings in nur sehr geringem Umfang auf die in der vorliegenden Arbeit interessierenden Konflikte und Gewaltpraktiken eingeht, vgl. 249ff. 145 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 92ff. 146 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 95. 147 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 96. 148 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 112. 149 Für einen umfassenden Überblick über die Gewaltakte, die sich in dieser Zeit in L’Hospitalet de Llobregat ereigneten, vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 108ff. 150 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 120. 151 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 99.
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einer Gruppe von Arbeitern erschossen wurden, nachdem er zuvor schon mehrfach Drohungen durch die Sindicatos 5nicos erhalten hatte.152 Insgesamt starben bei derartigen Attentaten in L’Hospitalet de Llobregat acht Personen und damit zwar wesentlich weniger als in Barcelona, doch im Vergleich zu anderen katalanischen Städten von ähnlicher Größe war L’Hospitalet de Llobregat sicherlich ein Ort von hoher Gewaltsamkeit.153 Am 29. Juli 1921 wurde eine Gruppe Straßenräuber in der Nähe der Bahnstation von L’Hospitalet de Llobregat festgenommen, nachdem sie sich zuvor eine blutige Schießerei mit der Polizei geliefert hatte.154 Weiterhin ereigneten sich in der Endphase der Restaurationsmonarchie in dieser Stadt des Öfteren Raubüberfälle, die den Zivilgouverneur von Barcelona zu der Befürchtung veranlassten, die Serie von Raubüberfällen in Barcelona könnte auch auf die umliegenden Nachbarstädte übergreifen.155 Ähnlich wie in Barcelona waren auch in L’Hospitalet de Llobregat diese beiden Gewaltpraktiken während der Diktatur Primo de Riveras zunächst aus dem städtischen Alltag weitgehend verschwunden. Der Kontakt zwischen den Aktivisten der CNT in Sants und L’Hospitalet de Llobregat blieb aber auch während der Diktatur bestehen.156 Wie in Barcelona begannen auch in L’Hospitalet de Llobregat die kollektiven Gewaltakte bereits in der Übergangsphase von der Diktatur zur Republik wieder anzusteigen.157 Bereits im Januar 1931 ereignete sich in L’Hospitalet de Llobregat ein spektakulärer Raubüberfall, bei dem die Besitzerin des überfallenen Ladens erschossen wurde.158 Einer der mutmaßlichen Täter, Blas Zambullo Torres, wurde im März 1933 schließlich dort festgenommen, nachdem er schon längere Zeit in Barcelona gesucht wor-
152 Diesem Vorfall widmete die führende madrilenische Zeitung ABC am 13. August eine ganze Seite, vgl. ABC, 13. 8. 1920, S. 13. Über den im März 1922 stattfindenden Prozess berichtete die in Barcelona ansässige Lokalzeitung El Diluvio am 11. 3. 1922, S. 15 und 12. 3. 1922, S. 15. 153 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 118, demzufolge es beispielweise in Terrassa zwischen 1918 und 1920 zu insgesamt 30 Attentaten gekommen war, bei denen sieben Personen getötet und 15 verletzt wurden. 154 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 112. Auf diese Bande wird im Kapitel 4.1.2 noch genauer eingegangen. 155 Vgl. das Telegramm des Zivilgouverneurs von Barcelona an den spanischen Innenminister vom 19. Juli 1923 (AHN, 39 A(6)/5). 156 So beschreibt Severino Campos, einer der späteren Führungsfiguren der FAI in seinen Memoiren, dass er nach seiner Ankunft in Barcelona im Jahr 1924 zunächst in Sants gewohnt und sehr schnell Kontakt zu Anarchisten in La Torrassa, Collblanc-la Torrassa und Santa Eul/lia geknüpft habe, wobei er unter anderem Josep Peirats kennenlernte, vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 120. 157 Vgl. Ajuntament, L’Hospitalet, S. 173, genauer : Camjs i Cabeceran, L’Hospitalet, S. 76. 158 Siehe die umfangreiche Berichterstattung über diesen Fall in Las Noticias, 13. 1. 1931, S. 9, 14. 1. 1931, S. 2, 15. 1. 1931, S. 2, 16. 1. 1931, S. 2, 17. 1. 1931, S. 2, 18. 1. 1931, S. 1 und S. 4 sowie 20. 1. 1931, S. 2.
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den war.159 Ein Jahr später wurde er erneut in L’Hospitalet de Llobregat verhaftet, nachdem er zuvor aus dem Gefängnis geflohen war.160 Schließlich wurde er im Februar 1935 bei einem Überfall in dieser Stadt getötet.161 Auch die Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern forderten in der Zweiten Republik dort wie schon zur Zeit des Pistolerismo mehrere Opfer. So ermordeten zum Beispiel sechs maskierte Täter am 13. Januar 1932 einen Arbeiter, der in einer Ziegelei gearbeitet hatte, in der es schon seit mehreren Monaten einen Streik gab.162 Inwieweit L’Hospitalet de Llobregat und besonders dessen Stadtteil Collblanc-La Torrassa im Laufe der Zweiten Republik, wie in einigen Lokalzeitungen Barcelonas dargestellt, bedingt durch den hohen Migrantenanteil und die in Anbetracht der sprunghaft ansteigenden Bevölkerung viel zu geringen Polizeipräsenz zu einem »Ort der Gesetzlosen« wurde, lässt sich hier nicht vollständig klären. Möglicherweise handelte es sich dabei, wie in den Diskursen in anderen Städten auch, nur um ein unbegründetes Vorurteil der bürgerlichen Eliten, wonach sich in den Vorstädten die in Kriminalität und Unruhen verstrickten Unterschichten ansammelten.163 Unbestritten ist dagegen, dass die CNT in L’Hospitalet de Llobregat, vor allem in Collblanc-La Torrassa, einen starken Rückhalt hatte, sodass Jos8 Peirats dieses Viertel später rückblickend als »anarchistische Festung« bezeichnete.164 Vermutlich ist es daher kein Zufall, dass mit »Los Novatos« (dt.: Die Neulinge), mindestens eine der führenden anarchistischen Aktionsgruppen in L’Hospitalet de Llobregat beheimatet war.165 Auch Badalona war von sozialen Konflikten geprägt. Der blutigste ereignete sich noch während des Ersten Weltkriegs im August 1918 anlässlich eines Streiks in einer Fabrik mit 2000 Beschäftigten, als die Polizei am 26. August auf etwa tausend protestierende Arbeiter das Feuer eröffnete. Dabei wurden vier Arbeiter getötet und 50 verletzt, woraufhin es zu einem örtlichen Generalstreik kam, der
159 160 161 162 163
Vgl. El Diluvio, 28. 3. 1933, S. 5. Vgl. El Diluvio, 13. 3. 1934, S. 9. Vgl. El Diluvio, 28. 2. 1935, S. 20. Vgl. El Correo Catal#n, 14. 1. 1932, S. 2, 15. 1. 1932, S. 6 und 17. 1. 1932, S. 6. Vgl. Scheutz, Stadt, S. 45. Die äußerst negative Darstellung besonders von Collblanc-la Torrassa in den Lokalzeitungen Barcelonas betonen Ealham, Anarchism and the City, S. 22 sowie ders., Living, S. 29 und Rider, New City, S. 76. Eine sehr ausführliche zeitgenössische Darstellung eben genau dieser Sichtweise findet sich bei Sent&s, Viatge, der beispielsweise argumentiert, dass in Torrassa im Moment, also zwischen Oktober 1932 und Januar 1933, von den 22 000 Einwohnern 20 000 aus Murcia zugewandert seien und dass viele von ihnen illegal Waffen mit sich führen würden, vgl. Sent&s, Viatge, S. 65 und S. 80. 164 Vgl. Ealham, Living, S. 29. 165 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 121. Chris Ealham beschreibt »Los Novatos« als die am besten bewaffnete »grupo de afinidad« in Barcelona und dessen unmittelbarer Umgebung, vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 137.
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bis Ende Januar 1919 andauerte.166 Wie in Barcelona und L’Hospitalet de Llobregat kam es auch in Badalona zur Zeit des Pistolerismo zu Attentaten und vereinzelten Sprengstoffanschlägen.167 Auch hier ereigneten sich ab 1923 mehrere Raubüberfälle, zum Beispiel am 27. April 1923 auf die Sparkasse, wobei fast 75 000 Peseten erbeutete wurden, und später auf das Caf8 EspaÇa.168 Ähnlich wie in Barcelona gab es bereits in der Übergangsphase von der Diktatur zur Zweiten Republik gewaltsame Arbeitskämpfe.169 Später kam es auch in Badalona zu Raubüberfällen.170 Außerdem finden sich Beispiele für Gewaltakteure, die zwar in einer der beiden Städte wohnten, aber gelegentlich auch in der anderen agierten.171 Dabei rückte Badalona vor allem im Oktober 1933 in den Blickpunkt, als dort eine Gruppe von Straßenräubern festgenommen wurde, die zuvor sowohl in Barcelona als auch in anderen Städten in der unmittelbaren Umgebung mehrere spektakuläre Raubüberfälle begangen haben soll.172 Auch in den im Vergleich zu L’Hospitalet de Llobregat und Badalona wesentlich kleineren Nachbarstädten Barcelonas, Sant Adri/ de Besks und Santa 166 Vgl. Smith, Anarchism, S. 242 sowie Nagel, Arbeiterschaft, S. 445. Zeitgenössische Berichte finden sich in El Radical, 28. 8. 1918, S. 2. Aus Arbeitersicht berichteten dagegen Solidaridad Obrera, 26. 8. 1918, S. 1 und 28. 8. 1918, S. 1. 167 Vgl. Abras Pou, Fets, S. 194. So berichtete etwa bereits der Zivilgouverneur von Barcelona in einem Telegramm an den spanischen Innenminister vom 4. Dezember 1919 über ein Attentat in Badalona auf einen Arbeitgeber (AHN, 45 A(13)). Als ein weiteres Beispiel ist der Mord an einem Mitglied der Gewerkschaft Sindicatos Libres am 29. März 1921 in Badalona durch einen Bericht über die spätere Gerichtsverhandlung gut dokumentiert, siehe El Diluvio, 14. 12. 1922, S. 15 sowie El Noticiero Universal, 13. 12. 1922, S. 7. Ein Beispiel für einen Sprengstoffanschlag in Badalona findet sich in El Correo Catal#n, 25. 8. 1920, S. 2. 168 Wegen des Überfalls auf die Sparkasse in Badalona wurde später der 24-jährige Jos8 Aracil Cort8s angeklagt, der schon wegen eines ähnlichen Delikts in Terrassa verurteilt worden war, vgl. El Diario de Barcelona, 26. 6. 1925, S. 16. Der Überfall auf das Caf8 EspaÇa wurde erst 1930 verhandelt und ist dokumentiert in El Noticiero Universal, 15. 2. 1930, S. 22 und 17. 2. 1930, S. 7. 169 So soll es nach Berichten von Solidaridad Obrera vom 31. Oktober und 1. November 1930 im Zuge eines Streiks zu einer Demonstration von Arbeitern gekommen sein, der von der Polizei blutig niedergeschlagen wurde, wobei ein angeblich in Diensten der Sindicatos Libres stehender Pistolero zwei Arbeiter erschoss, um das repressive Vorgehen der Autoritäten zu rechtfertigen. 170 Ein Beispiel für einen Überfall in Badalona, der ein Todesopfer forderte, ist dokumentiert in El D&a Gr#fico, 20. 12. 1931, S. 6. 171 So berichtete La Noche, 8.4.1930, S. 7 von einer angeblich gut organisierten Räuberbande, die in Badalona Einbrüche begehen würde und von deren vier Mitgliedern zwei in Barcelona wohnhaft wären. Umgekehrt wurden im Januar 1932 in der Calle del Cid in Barcelons Barrio Chino zwei Männer festgenommen, die einen Monat zuvor einen Überfall in Badalona begangen haben sollen, wobei einer der beiden Verdächtigen allerdings bald schon wieder freigelassen wurde, vgl. dazu den Bericht in El Diario de Barcelona, 12. 1.1932, S. 27. 172 Über diese wurde auch in den Lokalzeitungen Barcelonas umfangreich berichtet, vgl. El Diluvio, 19. 10. 1933, S. 9, El Diario de Barcelona, 19. 10. 1933, S. 6f., 19. 10. 1933, S. 40, 20. 10. 1933, S. 39, 22. 10. 1933, S. 20 und 25. 10. 1933, S. 27 sowie El Noticiero Universal, 18. 10. 1933, S. 13, 19. 10. 1933, S. 2, 23. 10. 1933, S. 17 und 24. 10. 1933, S. 16.
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Coloma de Gramenet lassen sich ähnliche Beispiele finden, wenn auch in vergleichsweise wesentlich geringerer Zahl, die die Wechselwirkung zwischen Gewaltpraktiken und Gewaltakteuren von Barcelona und seinen Nachbarstädten dokumentieren. So sollen etwa einige Anarchisten aus Sant Adr'a de Besks und Santa Coloma de Gramenet zur Zeit der Zweiten Republik an Brandanschlägen auf Straßenbahnen beteiligt gewesen sein, die zwischen den beiden Städten verkehrten.173 Bereits im Jahr 1921 berichtete El Correo Catal#n über einen mutmaßlichen Straßenräuber, der bei einer Schießerei mit einer Polizeipatrouille in Santa Coloma de Gramenet getötet wurde und zuvor an vielen Raubüberfällen auf den Landstraßen beteiligt gewesen sein soll.174 1935, also kurz vor Ende des Untersuchungszeitraums, meldete La Noche einen ähnlichen Fall, wonach der in Santa Coloma de Gramenet wohnhafte und aus Oviedo stammende David Sariego Rodr&guez bei der Durchführung eines Überfalls in Sant Andreu von der Polizei erschossen wurde.175 Außerdem wurde in Santa Coloma de Gramenet im Jahr 1926, also zur Zeit der Diktatur Primo de Riveras, ein größeres Bombenlager entdeckt.176 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die unmittelbaren Randgebiete Barcelonas aufgrund ihrer noch nicht sonderlich fortgeschrittenen Urbanisierung häufig zu Gewaltorten wurden. Vor allem dem Montju"c kam in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu, der zudem noch den in Barcelona agierenden Gewaltakteuren als wichtiger temporärer Rückzugsort diente. Eine dauerhafte Wechselwirkung ließ sich dagegen zwischen Barcelona und seinen unmittelbaren Nachbarstädten nachweisen, vor allem mit L’Hospitalet de Llobregat und Badalona. Sicherlich ist der Einfluss, den Barcelona auf diese beiden Städte ausübte, wesentlich größer als umgekehrt, doch konnte zumindest anhand einiger Beispiele gezeigt werden, dass Gewaltakteure, die in diesen beiden Nachbarstädten wohnten, auch in Barcelona aktiv waren. Nachdem der Einfluss der Nachbarstädte und Ränder Barcelonas auf die Organisation und Durchführung kollektiver Gewaltakte herausgearbeitet worden ist, richtet sich der Blick nun auf die Stadt selbst. Dabei soll zunächst untersucht werden, ob bzw. inwieweit es innerhalb Barcelonas Unterschiede hinsichtlich der spezifischen Gewaltsamkeit einzelner Stadtgebiete gab.
173 Vgl. Andreassi Cieri, Libertad, S. 72. Eine Gruppe von Brandstiftern, die in der Endphase der Zweiten Republik in Santa Coloma de Gramenet festgenommen wurde, wird später im Kapitel 4.1.2 noch ausführlicher betrachtet. 174 Vgl. El Correo Catal#n, 9. 10. 1921, S. 4. 175 Vgl. La Noche, 14. 3. 1935, S. 2. 176 Darüber berichtete der Zivilgouverneur von Barcelona dem spanischen Innenminister in einem Telegramm vom 6. August 1926 (AHN 17 A(7)/15).
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
2.3
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
»Die Rotzlümmel, die in der Armut von Poblenou aufwuchsen, waren dazu bestimmt, erniedrigte oder rebellische Erwachsene zu werden. Undenkbar, dass es hätte anders sein können, denn wenn sie sich an einem Sommertag einmal auf einen Sprung in die Viertel des Großbürgertums – Bonanova, Sant Gervasi, Vallcarca, Sarri/, Pedralbes – flüchteten, wurde ihnen ihre jämmerliche Existenz nur noch stärker bewusst. Sie selbst mussten unter miserablen Umständen zerlumpt in Behausungen leben, denen es an Sonne und Wasser fehlte. Und auf einen Schlag befanden sie sich vor den prächtigen Palästen der eleganten Viertel, mit parfümierten Damen und herausgeputzten Herren, die mit großer Prahlerei durch die schönen Schattenecken unter den kräftigen Bäumen spazierten. Und jene Kinder betrachteten mit offenem Mund Springbrunnen mit farbigen Fischen, die zahmen Tauben, die Grasteppiche, wo die Kinder der Reichen und die Zuchthunde spielten, die besser genährt waren als die jungen Leute in Poblenou, Sants oder La Bordeta.«
So beschrieb Pere Foix i Cases, ein der CNT nahestehender Schriftsteller in seinem Buch »Apkstols i mercaders. Quaranta anys de lluita social a Catalunya« (dt.: Apostel und Geschäftemacher. Vierzig Jahre Klassenkampf in Katalonien) die sozialen Unterschiede zwischen den reichen Stadtvierteln im Norden und den ärmlichen Arbeitervierteln Poblenou im Osten und Sants und La Bordeta im Westen Barcelonas.177 Dass es sich hierbei keineswegs lediglich um subjektive Eindrücke eines Anarchisten handelte, haben die Untersuchungen zahlreicher Historiker im Nachhinein bereits bestätigt. So hat der katalanische Historiker Borja de Riquer i Permanyer ausgehend von der Einteilung Barcelonas in zehn Distrikte zwischen einem proletarischen (Distrikte 1, 7, 9 und 10), einem bürgerlichen (3, 4 und 6) und einem kleinbürgerlichen Barcelona (2, 5, und 8) unterschieden (siehe Abb. 8).178 Klaus-Jürgen Nagel hat später vor allem auf der Basis von städtischen statistischen Jahrbüchern diese Angaben für die Jahre 1900 bis 1920 dahin gehend spezifiziert, dass er zum einen de Riquer i Permanyer bei der Einteilung der proletarischen und bürgerlichen Distrikte bestätigte, dessen Klassifizierung der kleinbürgerlichen Distrikte aber als problematisch ansah, da diese eine teilweise
177 Vgl. Foix, Apkstols, S. 210f. Ein vergleichbares Bild ergab sich zur selben Zeit für die Besucher Berlins. So zitiert zum Beispiel die Historikerin Pamela Swett die ihrer Meinung nach sehr genau zutreffenden Beobachtungen eines amerikanischen Reporters, der im Jahr 1932 nach Berlin fuhr, um herauszufinden, warum sich Deutschland am Rande eines Bürgerkrieges befand und die Stadt dabei als zutiefst gespalten zwischen »reich und arm, Kommunisten und Nazis, Dekadenz und harter Arbeit« beschrieb, vgl. Swett, Neighbors, S. 24. 178 Vgl. de Riquer i Permanyer, Eleccions.
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
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Abb. 8: Zeitgenössischer Stadtplan mit den zehn Distrikten
ausgesprochen heterogene Bevölkerungsstruktur aufwiesen.179 Auch Jos8 Luis Oyjn kommt in der jüngsten und umfangreichsten Studie zur Bevölkerungszusammensetzung Barcelonas, die er anhand einer Reihe von Faktoren für das Jahr 1930 untersucht, zu dem Ergebnis, dass die Arbeiterviertel Barcelonas im Westen und im Osten der Stadt lagen. Die wohlhabendsten Gegenden sollen sich demzufolge, wie auch bei Klaus-Jürgen Nagel und de Riquer i Permanyer beschrieben, in Ciutat Vella (dt.: Altstadt) und Teilen des Eixample befunden haben. Doch betont Jos8 Luis Oyjn darüber hinaus, dass ähnlich wie von Pere Foix im Eingangszitat angedeutet, auch der Norden Barcelonas, von Gr/cia über Sant Gervasi bis nach Pedralbes sehr wohlhabend war.180 Während die Arbeiter und die Bourgeoisie im 19. Jahrhundert zunächst zusammen im alten Stadtkern der Stadt gewohnt hatten, setzte mit der Erweiterung der Stadt durch den Cerd/-Plan in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine soziale Segregation ein. Besonders die Ereignisse des Generalstreiks von 1902 und der Tragischen Woche 1909 nahmen die wohlhabenderen Familien zum Anlass, das Stadtzentrum zu verlassen und in das neu entstehende Viertel Eixample oder noch weiter in den Norden der Stadt zu ziehen.181 Ausschlaggeben hierfür war vermutlich auch die Tatsache, dass sich in dieser Epoche die meisten kollektiven Gewaltakte direkt im Zentrum von Barcelona ereigneten, wie die beiden entsprechenden Karten beispielhaft hinsichtlich der 179 Vgl. Nagel, Multikulturelle Gesellschaft, S. 9ff. 180 Vgl. Oyjn, Barcelona, S. 172f. 181 Vgl. Ealham, Anarchism and the city, S. 10f.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Sprengstoffanschläge um die Jahrhundertwende (siehe Abb. 9) sowie der Brandanschläge auf kirchliche Einrichtungen im Zuge der Tragischen Woche (siehe Abb. 10) veranschaulichen.
Abb. 9: Sprengstoffanschläge in den 1890er Jahren
Abb. 10: Anschläge auf kirchliche Einrichtungen während der Tragischen Woche
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
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Da die Stadtverwaltung Barcelonas Mitte des 19. Jahrhunderts verboten hatte, Fabriken in der Innenstadt zu bauen, verlagerten sich diese immer mehr an die Stadtränder, nach Sants im Westen und Poblenou sowie El Clot im Osten.182 Auch die Arbeiter siedelten sich immer mehr – wie in anderen spanischen Städten auch – verstärkt in der Nähe der neuen Fabrikstandorte in den Außenbezirken der Stadt an.183 Diese Abgrenzung intensivierte sich in den folgenden Jahrzehnten und so hatten sich, ähnlich wie auch in anderen europäischen Industriestädten wie beispielsweise Manchester oder Mailand, in Barcelona bis in die 1920er Jahre allmählich Proletarier- und Bürgerviertel herausgebildet.184 Um eine Antwort auf die Frage zu finden, inwiefern es auch bezüglich der dominierenden Gewaltpraktiken in Barcelona lokale Unterschiede gab, wurden in dieser Arbeit ausgehend von den bisherigen Untersuchungen drei Bereiche exemplarisch genauer in den Blick genommen, die eine relativ homogene Bevölkerungsstruktur aufwiesen. Es handelt sich dabei um die Gebiete, die in der vorliegenden Arbeit als »Reichenviertel« (grün) bezeichnet werden sowie die wichtigsten Arbeiterviertel (rot) und das Hafengebiet (blau), die im Wesentlichen der im Eingangszitat von Pere Foix vorgenommenen Einteilung entsprechen (siehe Abb. 11). Die Identifizierung der Arbeiterviertel bedarf hier keiner näheren Ausführung, werden doch die von Pere Foix genannten Sants und Poblenou in allen herangeführten Untersuchungen eindeutig als solche charakterisiert. Schwieriger ist die konkrete Verortung der Gebiete, in denen vor allem die wohlhabenden Bürger Barcelonas wohnten, zumal diese – wie die Untersuchungen ergaben – im Verlauf des Untersuchungszeitraums sukzessive in den Norden der Stadt zogen. Dies wird auch in einem anderen Artikel des in der Einleitung dieser Arbeit bereits zitierten Gaziel deutlich, in dem er schreibt: »Als die Leute aus dem Bürgertum, die heute um die 40 sind, Kinder waren, wurden sie von ihren Müttern von zwölf bis ein Uhr zu einem Spaziergang über die Ramblas und die Calle de Fernando oder manchmal auch zum PlaÅa Reial mitgenommen. Als verliebte Studenten stellten sie später dann zur selben Stunde den Schönheiten jener Zeit, kühl und verehrt, am Passeig de Gr/cia nach. Heute, schwach und korpulent, mit der Ehefrau im Arm, die nicht mehr die Schönheit von damals ist, machen sie langsame Spaziergängchen unter der sengenden Sonne der Diagonal.«185
182 Vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 14f. 183 Vgl. Bengoechea, Organitzacij, S. 41f. Zur städtischen Entwicklung in Spanien im Allgemeinen siehe Casanova, Spanish Republic, S. 11. 184 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 9f. Für den Bezug zu anderen europäischen Industriestädten siehe Vincent, Spain, S. 59. 185 Gaziel, Barcelona, S. 96. Der zitierte Artikel wurde zum ersten Mal veröffentlicht in La Vanguardia, 5. 11. 1926.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Abb. 11: Zeitgenössische Karte Barcelonas mit den exemplarischen Untersuchungsgebieten
Als »Reichenviertel« wurden deshalb in dieser Arbeit San Gervasi und Gr/cia gewählt. Dass in der hier durchgeführten Analyse ausgerechnet diese beiden Stadtteile betrachtet werden, hat in erster Linie den Grund, dass sich dort aufgrund der Struktur dieser Viertel die Straftaten wesentlich leichter zuordnen ließen als beispielsweise im Stadtteil Eixample, der zum großen Teil aus Straßen besteht, die sich durch die gesamte oder zumindest große Teile der Stadt ziehen, weil bei den in den Zeitungen dokumentierten Straftaten in vielen Fällen nur die Straßennamen und nicht die genaueren Orte der Delikte angegeben sind. Neben exemplarischen Arbeiter- und Reichenvierteln wird außerdem in der hier vorgenommenen Analyse auch das Hafenviertel genauer in den Blick genommen. Dabei wird von der im Kapitel 2.1 gewonnenen Erkenntnis ausgegangen, dass in Barcelona wie auch in anderen Hafenstädten in unmittelbarer Nähe des Meers ein Hafenviertel entstand, welches eine ganz spezifische Struktur aufwies. Die Untersuchung der prozentualen Verteilung der wichtigsten Gewaltdelikte während des Untersuchungszeitraums führte unter den beschriebenen Prämissen zu den in Abbildung 12 dargestellten Ergebnissen. Während in den Arbeitervierteln vor allem die durch die Spannungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern hervorgerufene Gewalt in Form von Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Schießereien dominierte, gehörte im Hafen-
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Abb. 12: Prozentuale Verteilung der Gewaltdelikte in den beschriebenen Vierteln
bereich die Gewalt in Form von Schlägereien und Körperverletzungen zum festen Bestandteil des Alltags. Die Tatsache, dass die häufigste Form von Gewaltdelikten in den Reichenvierteln Einbrüche waren, zeigt, dass Gewalt dort eher als Randphänomen wahrgenommen wurde. Inwieweit diese statistische Erhebung, deren Aussagekraft aufgrund der Quellenlage sicherlich gewissen Einschränkungen unterworfen ist, die tatsächlichen Gegebenheiten im Untersuchungszeitraum widerspiegelt, soll nun geprüft werden, indem die drei unterschiedlichen Stadtbereiche genauer im Hinblick auf ihre gewaltspezifischen Besonderheiten untersucht werden. Die »Reichenviertel« Sant Gervasi und Gràcia Wie die Statistik nahelegt, dürften sich die Bewohner der Reichenviertel zumindest in ihrem unmittelbaren Umfeld in erster Linie wegen der Einbrüche und weniger wegen schwerer Gewaltdelikte und Verbrechen Sorgen gemacht haben. Dies bestätigt ein zeitgenössischer Artikel der Lokalzeitung El Diluvio unter der Überschrift »Para el jefe de polic&a« (dt.: Für den Polizeichef) in dem zu lesen war, dass sich die Viertel Sant Gervasi und Bonanova zur »Operationsbasis für Einbrecher« entwickelt hätten.186 Wenige Monate später meldete die gleiche Zeitung, dass nun sogar die »friedliebenden Nachbarn« im südlich an Sant Gervasi angrenzenden Les Corts wegen der steigenden Zahl von Einbrüchen 186 Vgl. El Diluvio, 9. 2. 1933, S. 1.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
besorgt seien.187 Eine Erklärung hierfür ist vermutlich, neben der Tatsache, dass sich in diesen Gegenden offensichtlich wegen des Reichtums ihrer Bewohner wesentlich wertvolleres Diebesgut finden ließ, dass in diesen Stadtteilen, die erst im Untersuchungszeitraum Schritt für Schritt in die Stadt eingegliedert wurden, die Straßenbeleuchtung noch sehr spärlich war und dieser Umstand Einbrüche sicherlich begünstigte.188 Bezüglich der Frage, inwieweit die Reichenviertel während des Untersuchungszeitraums auch Schauplatz für andere in dieser Arbeit genauer untersuchten Gewaltpraktiken waren, gibt das Diagramm zu den Gewaltdelikten in den Reichenvierteln (Abb. 13) näheren Aufschluss, wobei die Zahlen hinter den Delikten deren Anzahl entsprechen.
Abb. 13: Übersicht über alle untersuchten Gewaltdelikte in den ausgewählten Reichenvierteln
Wie zu erwarten, spielen in diesen Vierteln Raubüberfälle, die wie Einbrüche ebenfalls die Erzielung eines möglichst hohen materiellen Wertes zum Ziel haben, eine nicht unerhebliche Rolle und sind nach den eher alltäglichen Gewaltakten wie Schlägereien und Körperverletzungen die vierthäufigste Gewaltform. Auch wenn aus dem eingangs abgebildeten Säulendiagramm zu ersehen ist, dass Raubüberfälle in den Reichenvierteln nicht annähernd so häufig vorkamen wie in den anderen Stadtbereichen, trugen sie auch hier maßgeblich zur Gewaltsamkeit bei. So fand zum Beispiel der Raubüberfall, bei dem im Untersuchungszeitraum mit 150 000 Peseten die größte Geldsumme erbeutet wurde, in Gr/cia statt, wie sich der Karte mit den Raubüberfällen (Abb. 14) und der 187 Vgl. El Diluvio, 17. 5. 1933, S. 5. 188 So hatte bereits einige Jahre zuvor die Lokalzeitung La Noche die völlig unzureichende Beleuchtung auf der linken Seite der Diagonal angeprangert, weil sie Einbrüche erleichtern würde, vgl. La Noche, 5. 3. 1925, S. 1.
67
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
entsprechenden Tabelle 1 entnehmen lässt. Außerdem kam es in einigen Fällen zu bewaffneten Raubüberfällen auf Wohnungen, Villen und Wochenendhäuser der Reichen, wobei die Beute allerdings wesentlich geringer war.189 Deshalb wurden sie in dieser Karte nicht eingetragen, weil dort nur dokumentierte Raubüberfälle verortet wurden, bei die Beute mindestens 20 000 Peseten betrug.
Abb. 14: Raubüberfälle, bei denen im Untersuchungszeitraum hohe Geldsummen erbeutet wurden (geordnet nach Höhe der Beute)
Tab. 1: Raubüberfälle, bei denen hohe Geldsummen erbeutet wurden Beute (Pts.)
Nr. Datum
Ort
Ziele
1 2 3 4
10. 04. 1931 31. 08. 1922 11. 12. 1930 08. 08. 1923
C. Salmerjn 111 Poblenou (Bahnstrecke) C. Comercio C. Escudillers 52
150.000 140.000 100.000 100.000
5
07. 08. 1923 Pas. Aduana 13
6
23. 03. 1933 C. Salmerjn 56 C. Diputacijn (Nähe 04. 08. 1920 Universität) 30. 01. 1931 C. San Andr8s 146
Bank Geldbote (im Zug) Geldbote Öffentliches Gebäude Gaststätte Ferrocarriles Juwelier Juwelier
52.000
Bank
40.000
7 8
189 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 103f.
100.000 70.000
68
Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
((Fortsetzung)) Nr. Datum 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Ort
30. 07. 1934 Pl. EspaÇa 05. 05. 1934 C. Salv# 18 C. Provenza (Ecke Pas. 25. 03. 1934 Mercade) 30. 06. 1922 Pl. Santa Ana 18 17. 09. 1932 C. Constitucijn 25. 07. 1933 C. Diputacijn 114 01. 07. 1923 C. Lauria 04. 06. 1923 Crt. Sarri/ (Nähe Palacio Real) 14. 12. 1923 Crt. Bordeta (Ecke C. Badal) 03. 11. 1934 Gran Via de las Cortes C. 755 17. 11. 1933 C. Villaroel 60
Geldbote Gaststätte
Beute (Pts.) 35.000 35.000
Kino
35.000
Juwelier Fabrik Fabrik Hotel Geldbote Geldbote Geldbote Schusterei
31.555 30.000 27.500 25.250 25.000 20.000 20.000 20.000
Ziele
Die Verortung der ertragreichsten Raubüberfälle in der Karte, der die obenstehende Tabelle zugrundeliegt, zeigt zudem deutlich, dass auch das Eixample – im Stadtplan an den quadratischen Häuserblocks und dem Raster breiter Straßen gut erkennbar – zu jener Zeit, wie bereits angedeutet, eine eher wohlhabende Gegend war, denn es fällt auf, dass mehrere der hier aufgeführten Raubüberfälle, die ein Gebäude oder eine Einrichtung zum Ziel hatten, in diesem Stadtbereich Barcelonas stattfanden. In quantitativer Hinsicht ist aber der Anteil, den diese wohlhabenderen Stadtviertel, abgesehen von Einbrüchen und Raubüberfällen, insgesamt an der Gewaltsamkeit Barcelonas hatten, sicherlich eher als marginal anzusehen, weshalb in diesem Unterkapitel in erster Linie die Arbeiterviertel und der Hafenbereich im Zentrum der Untersuchung stehen sollen. Während das hier als »Reichenviertel« klassifizierte Stadtgebiet Barcelonas für die Gewaltsamkeit der Stadt nur eine sehr geringe Rolle spielte, scheint sich bei einer genaueren Analyse der Arbeiterviertel zu bestätigen, dass diese, wie bei der Auswertung der Statistik bereits angedeutet, wesentlich stärker von den in Barcelona während der Zwischenkriegszeit vorherrschenden Gewaltpraktiken betroffen waren. Die Arbeiterviertel Sants, Poblenou und Sant Martí »Wir können es sagen, als wäre es eine Gewohnheit: Gestern ereignete sich eine Schießerei in Sants«, schrieb am 20. April 1923, in den letzten Monaten des Pistolerismo, die Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera, nachdem sie bereits genau
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
69
eine Woche zuvor auf der Titelseite über zwei ähnliche Vorfälle berichtet hatte.190 Dass es sich hierbei nicht lediglich um eine subjektive Wahrnehmung handelte, wies die katalanische Historikerin Maria Am#lia Pradas Baena später in einem Aufsatz überzeugend nach, indem sie versuchte, die sozialen Attentate den jeweiligen Distrikten und Straßen zuzuordnen. Neben der Altstadt, wo die Sindicatos Libres ihren Sitz hatten und dem Eixample, wo sich die PistoleroBande von Pere M/rtir Homs, auf die im Kapitel 4.1.1 noch genauer eingegangen wird, regelmäßig getroffen haben soll, ereigneten sich die meisten sozialen Attentate in den Arbeitervierteln Poblenou, Sant Mart& und Sants.191 Im zuletzt genannten Viertel befanden sich mit der Carretera de Sants und der Carretera de la Bordeta die beiden Straßen, auf denen laut der Untersuchung von Pradas Baena am meisten Personen durch soziale Attentate getötet wurden.192 Dass dieses Viertel zu jenem Zeitpunkt bereits auf eine lange und gewaltsame, von Arbeitskämpfen geprägte Geschichte zurückblickte, deutet sich bereits in der Darstellung des Lokalhistorikers Agust& Giralt Anales an, auch wenn sich dieser auf die Zeit der Zweiten Republik und den Bürgerkrieg fokussierte und die Gewaltgeschichte dieses Viertels dabei nur am Rande streifte. Seinen Ausführungen zufolge kam es in Sants bereits im 19. Jahrhundert vereinzelt zu gewaltsamen Zwischenfällen in Fabriken, als die Arbeiter versuchten, die neu eingeführten Spinnmaschinen zu verbrennen, weil sie Angst um ihre Arbeitsplätze hatten. 1855 wurde im Zuge eines Streiks der Direktor von Vapor Vell, einer der größten Fabriken in Sants, ermordet, was dessen Besitzer Eusebio Güell später dazu veranlasste, 15 km von Barcelona entfernt die sogenannte »Colknia Güell« (dt.: Die Kolonie Güell) zu gründen und die Fabrik dorthin zu verlagern.193 Mit dem Anschlag auf Antonio Trinxet, der am 30. November 1917 beim Verlassen seiner Fabrik in der Carretera de la Bordeta erschossen wurde, ereignete sich eines der ersten Attentate in Barcelona in diesem Viertel.194 Zu Beginn des Untersuchungszeitraums kam es in Sants häufiger zu Schießereien zwischen verfeindeten Gewerkschaftern.195 Der Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen war der Plaza de Malaga, der zentrale Platz des ehemaligen Dorfes Sants, der in dieser Zeit als »Plaza de las bombas« bekannt gewesen sein soll, was auf die große Zahl von Attentaten und Auseinandersetzungen hindeutet, die dort stattfanden.196 Im Februar 1936 wurde außerdem die an diesem Platz gelegene Kirche Santa Maria von Arbeitern angezündet. Während 190 191 192 193 194 195 196
Vgl. Solidaridad Obrera, 13. 4. 1923, S. 1 und 20. 4. 1923, S. 2. Vgl. Pradas Baena, Pistoles, S. 15. Vgl. Pradas Baena, Pistoles, S. 14. Vgl. Giralt Anales, Somni, S. 42. Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 98. Vgl. Giralt Anales, Somni, S. 47. Vgl. Giralt Anales, Somni, S. 41.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
dieser Versuch zunächst scheiterte, brannte die Kirche dann wenig später, am 20. Juli 1936, also kurz nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges, endgültig nieder.197 Diese hier am Beispiel von Sants nur sehr grob umrissene Gewaltträchtigkeit der Arbeiterviertel Barcelonas lässt sich anhand der näheren Betrachtung von einzelnen Aspekten noch genauer belegen. Dazu bietet sich zunächst ein Blick auf das Diagramm (Abb.15) an, das alle untersuchten Gewaltdelikte im Untersuchungszeitraum in den ausgewählten Arbeitervierteln enthält, wobei auch hier die Zahlen hinter den Deliktformen deren Anzahl wiedergeben.
Abb. 15: Übersicht über alle untersuchten Gewaltdelikte in den ausgewählten Arbeitervierteln
Wie zu erwarten, waren diese Stadtgebiete außerordentlich gewaltsam, was die zahlreichen Schlägereien und Auseinandersetzungen, bei denen es nicht selten auch zu Körperverletzungen kam, deutlich belegen. Doch auch Raubüberfälle gehörten schon fast zum Alltag. Da Sprengstoffanschläge sich nicht selten gegen Einrichtungen von Arbeitgebern richteten, ist auch deren häufiges Vorkommen nicht sonderlich überraschend. Bemerkenswert ist jedoch die auch von Pradas Baena beschriebene recht hohe Anzahl der Attentate, die deshalb nun im Vergleich zum gesamten Stadtgebiet genauer in den Blick genommen werden sollen. Wie die folgende Karte zeigt, in der alle in den ausgewerteten Zeitungen dokumentierten Attentate verortet sind, die in Barcelona zwischen Januar 1924 und dem Beginn des Bürgerkriegs stattfanden und bei denen Personen entweder verletzt oder sogar getötet wurden, traten Attentate nicht nur während des Pistolerismo, wie bereits Pradas Baena ebenfalls festgestellt hat, sondern auch im 197 Vgl. Giralt Anales, Somni, S. 53.
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
71
weiteren Verlauf des Untersuchungszeitraums hauptsächlich in Sants auf. In geringerem Umfang war auch das Arbeiterviertel Poblenou davon betroffen, während die übrigen Attentate relativ gleichmäßig über das gesamte Stadtgebiet verteilt waren, wie sich auf der Karte mit den Attentaten (Abb. 16) gut erkennen lässt.
Abb. 16: Attentate zwischen 1932 und 1936 (chronologische Reihenfolge)
Dies ist sicherlich zunächst vor allem darauf zurückzuführen, dass sich in diesen Vierteln die Fabriken befanden, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch die Mitglieder von verfeindeten Gewerkschaften aufeinandertrafen. Bei genauerer Betrachtung der Opfer, die in der Tabelle 2 aufgeführt sind, bei denen – wenn bekannt – auch Beruf oder Funktion angegeben wurden, bestätigt sich diese Vermutung, denn darunter befinden sich viele Unternehmer, aber auch leitende Angestellte staatlicher Einrichtungen und politisch aktive Personen. Tab. 2: Attentate, bei denen Personen verletzt oder getötet wurden (1932–1936) Nr. Datum 1 2 3 4
Ort
19. 01. 1932 C. Planteria 50 Pas. Gr/cia (Ecke C. Caspe) C. Provenza (Ecke 06. 06. 1932 C. Calabria) 28. 09. 1932 C. Morales 31. 03. 1932
Opfer Jaime Prats CasaÇas (Technischer Direktor Fundacijn Girona) Luis Pascual Tora (Direktor Banco de Bilbao) Alfonso de Rojas (Gefängnisdirektor) Juan UreÇa Camarasa
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
((Fortsetzung)) Nr. Datum
Opfer
5
Jos8 Monfill Ortiz
6
Ort C. Selva de Mar (Ecke 22. 02. 1933 C. Pedro IV) C. Puigguriqu8 (Ecke 11. 03. 1933 C. Vila y Vila)
7
11. 03. 1933 C. de Pav&a
8
23. 03. 1933
9 10 11 12 13
Pas. Nacional (Nähe Muelle Rebaix) C. Rey Martin (Ecke 07. 07. 1933 C. Cros) 09. 07. 1933 C. Fresser C. Massini (Ecke C. Miguel Angel) 30. 10. 1934 C. Parrissas 62 C. Urgel (Ecke 23. 11. 1934 C. Floridablanca) 03. 08. 1934
14
10. 02. 1935
15
16. 04. 1935
16
26. 08. 1935
17 18
22. 10. 1935 04. 01. 1936
19
12. 03. 1936
20
28. 04. 1936
21
02. 07. 1936
Francisco Albalat Gil (Leiter Transportgesellschaft Comas y Ribas) Miguel Andr8s Campos (Leiter Möbelfabrik Lorenzo Casas) Agapito Blasco (ehem. Präs. der Versorgungskasse San Pedro Pescador) Francisco Llangostero (Arbeitervertreter) Manuel Gjmez Cuevas (Präsident der Kuhbauern Kataloniens) Juan Minguell Calix (Leiter Appreturfabrik)
Rene Baungartuer Hug und zwei Angestellte Enrique Velga (Leiter der Straßenbahngesellschaft) Federico MuÇoz Contreras (Henker der C. Eduardo Tubau Stadt) Joaquin Serra Barber# (Leiter Fabrik C. Pedro IV 280 Toldas) und zwei seiner Arbeiter Carlos Guti8rrez (Leiter der C. Fernando el Catjlico Straßengesellschaft) C. de Aragjn 67 Drei Gefängniswärter C. de Vilasar 8 Jaime Queraltj Vivj (Fabrikdirektor) Jim8nez de Asffla (sozialistischer C. Goya 24 Abgeordneter) C. Muntaner (Ecke Brüder Miguel und Jos8 Badia Capell C. Diputacijn) C. Almog#vares (Ecke Jos8 Mitchell (Fabrikdirektor) C. Dos de Mayo)
Um ein genaueres Bild zu erhalten, wurden Mordanschläge auf Polizisten gesondert von den anderen Attentaten in einer eigenen Karte (Abb. 17) verortet. Wie sich dabei herausstellte, ereigneten sich nicht nur die Attentate auf Zivilpersonen, sondern auch die in den Zeitungen aufgeführten Mordanschläge auf Polizisten (siehe Tab. 3) verstärkt in den Arbeitervierteln – in diesem Fall vor allem in Sant Andreu – während die übrigen Anschläge auf Polizisten, wie auch schon die anderen Attentate, relativ gleichmäßig über das gesamte Stadtgebiet verstreut liegen.
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
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Abb. 17: Mordanschläge auf Polizisten im Untersuchungszeitraum (chronologische Reihenfolge)
Tab. 3: Mordanschläge auf Polizisten im Untersuchungszeitraum Nr.
Datum
Ort
Opfer
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
05. 09. 1919 16. 12. 1919 23. 04. 1920 19. 01. 1921 19. 07. 1922 13. 09. 1922 18. 10. 1922 11. 03. 1923 07. 06. 1923 10. 07. 1930 14. 01. 1933 25. 03. 1933
C. Cjrcega Diagonal Ronda de San Pablo C. Ancha Riera de Horta C. de Balmes Pl. Malaga C. la Riereta C. Vil# y Vil# C. Sjcrates C. Municio Montju"c
Manuel Bravo Portillo Marcelino Peromingo und Francisco Gozalo Luis Lejn Antonio Espejo Aguilar Ossorio Ingl8s Garcia Quiza Pedro Lucio Guzman Silvano Navarro N#jera Juan Escartin Bartolome Florit Vidal Eugenio Mart&n Bueno Antonio Campos Ram&rez
Dies legt die Annahme nahe, dass die anarchistischen Aktionsgruppen, die, wie im Kapitel 4 noch zu zeigen sein wird, hauptsächlich für die Mordanschläge auf Polizisten und Arbeitgeber verantwortlich waren, in den Arbeitervierteln einen breiten Rückhalt hatten. Deshalb lässt sich vermuten, dass sie dort weniger Denunziation zu befürchten hatten und sich freier bewegen konnten.198 Insge198 So betont Susana Tavera die Verbindung zwischen den Anarchistengruppen und den in diesen Stadtvierteln lebenden Personen, vgl. dies., Anarchism, S. 104f.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
samt scheint es innerhalb dieser Arbeiterviertel offensichtlich einen großen Zusammenhalt gegeben zu haben, wobei sich in Nachbarschaften oder Betrieben Netzwerke bildeten, die sich beispielsweise im Krankheitsfalle gegenseitig unterstützten.199 Diese Netzwerke machte sich auch die CNT zunutze, um diese Viertel mit ihrer Ideologie zu durchdringen.200 So konstatierte etwa Josep Soler i Vidal, der seine Jugend in dem zwischen Poblenou und Sant Andreu gelegenen Arbeiterviertel Sant Mart& verbrachte, rückblickend: »Ich kann mich an niemand in diesem Viertel erinnern, der gegen die Mordanschläge auf Arbeitgeber gewesen wäre.«201 Während sich dies vor allem auf die Zeit der Repression durch den Zivilgouverneur Mart&nez Anido bezieht, argumentiert Chris Ealham, dass auch während der Zweiten Republik die militanten Gewerkschafter unter den Arbeitern großes Ansehen genossen hätten und zitiert als Beleg Manuel Vicente Alcjn, demzufolge »die von der CNT die besten waren. […] Sie hatten am meisten Verständnis für die Lage der Arbeiter.«202 Inwieweit es sich hierbei um Einzelmeinungen handelt oder ob dies tatsächlich der Realität entsprach, lässt sich aufgrund der wenigen Selbstzeugnisse der Arbeiterschaft Barcelonas nicht eindeutig feststellen. Was sich aber anhand von Beispielen aussagekräftig belegen lässt, ist die Tatsache, dass viele der in der Zwischenkriegszeit in Barcelona agierenden Gewaltakteure in den Arbeitervierteln beheimatet waren, ähnlich wie schon im vorangegangenen Kapitel am Beispiel von L’Hospitalet de Llobregat gezeigt. Agust& Giralt nennt hier als Beispiel Dionis Eroles Batlle, der bereits zur Zeit des Pistolerismo durch Gewaltdelikte im Zusammenhang mit den sozialen Konflikten in Erscheinung getreten war. Die Zeit der Diktatur Primo de Riveras verbrachte er im Gefängnis und wurde dann im Zuge der anarchistischen Aufstände von 1932 und 1933 erneut festgenommen.203 Der Journalist Josep Maria Planes versuchte 1934 in einer Reportage, auf die im Kapitel 4.1.2 noch genauer eingegangen wird, die Verbindungen zwischen den Anarchisten und den zu jener Zeit in Barcelona besonders aktiven Banden von Straßenräubern nachzuweisen und behauptete dabei, dass die »Verhandlungen« zwischen beiden Parteien unter dem Dach der Glasergewerkschaft stattfanden, die ihren Sitz in der Calle de Galileo 69 in Sants hatte.204 199 Vgl. Ealham, Class and the City, S. 41. Kaplan beschreibt dies explizit am Beispiel der Frauen in der Arbeiterklasse, vgl. Kaplan, Red City, S. 112. 200 Zur Organisation der CNT in den einzelnen Barrios, siehe Ealham, Anarchism and the City, S. 41ff. 201 Zitiert nach Nagel, Arbeiterschaft, S. 462, der weiterhin auf die Erinnerungen des Arbeiters Pedra und des Arbeitgebers Reg/s verweist. 202 Vgl. Ealham, S. 42. Das von Ealham angeführte Zitat findet sich in Monjo, Barrio, S. 148. 203 Vgl. Giralt Anales, Somni, S. 48f. Auf die hier nur kurz skizzierte Gewaltbiographie von Eroles Batlle wird im Kapitel 4.1.1 noch ausführlicher eingegangen. 204 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 47f., der weiter ausführt, dass dieses Lokal schließlich ge-
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
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Das eindringlichste Beispiel für die Bedeutung von Sants als Rückzugsgebiet der in Barcelona agierenden Gewaltgemeinschaften ist eine anarchistische Aktionsgruppe, die sich im Mai 1921 in der in Sants gelegenen Calle de Toledo beim Versuch, Bomben für Anschläge herzustellen, selbst in die Luft sprengte.205 Sieben der mutmaßlichen Mitglieder und somit ein großer Teil dieser Bande wohnten in Sants. Bei diesen sieben Anarchisten handelt es sich um Vicente Sales (1), seinen Sohn Vicente Sales Molinero (2), Juan Elias Saturnino (3), Juan Avante Pich (4), Rosario Benavente Reyes (5), Domingo Altibau Mella (6) und Juan Bautista Cuchart (7). Die Lage ihrer Wohnungen im Stadtgebiet wurde auf der Abbildung 18 eingezeichnet, wobei die Angabe in Klammern hinter dem Namen jeweils die Nummer der Wohnung angibt.
Abb. 18: Wohnungen der Anarchistengruppe von Sants
Dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfall handelte, sondern dass Bombenfabriken und Bombenverstecke häufig in der Nähe von Arbeitervierteln entdeckt wurden und außerdem in den unwegsamen Randgebieten der Stadt, zu denen auch der bereits erwähnte Montju"c zählt, verdeutlicht die Abbildung 19, wo die in der Tabelle 4 verzeichneten Bombenfunde verortet sind.
schlossen wurde, woraufhin die Treffen zwischen Anarchisten und Straßenräubern nach Clot, einem anderen Arbeiterviertel im Osten der Stadt, verlegt worden seien. 205 Diese wird auch von Giralt erwähnt, vgl. Giralt, Somni, S. 47 und wird im Zuge dieser Arbeit im Kapitel 4.1.1 noch ausführlicher erörtert.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Abb. 19: Entdeckte Bombenverstecke und -fabriken (chronologische Reihenfolge)
Tab. 4: Größere Bombenfunde im Untersuchungszeitraum Nr.
Datum
Ort
Anzahl
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
14. 02. 1921 24. 02. 1921 09. 09. 1921 28. 09. 1921 11. 07. 1923 29. 12. 1932 03. 01. 1933 24. 01. 1933 31. 01. 1933 09. 03. 1933 30. 06. 1933 04. 07. 1933 27. 11. 1933 24. 01. 1934 13. 03. 1936
Tor. Marine 27 C. Magallanes 27 C. Garrotxa C. Garrotxa 80 C. Aragjn (Ecke Pas. San Juan) C. Mallorca 633 C. Milagro 29 Font del Cuento C. Pallars 498 C. Aragjn (Ecke C. Merdiana) C. San Jos8 16 C. Tapias Montju"c Turj de la PeÇa Via Carlos III
20 12 »viele« »viele« 9 1.400 176 22 30 8 25 8 »viele« 9 10
Der Hafenbereich – Das Barrio Chino Von zentraler Bedeutung für die Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit war, wie bereits angedeutet, außer den Arbeitervierteln vor
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
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allem das als »Barrio Chino« bekannte unmittelbare Hafengebiet. Anfang 1936 führte die Tageszeitung La Noche Umfragen durch, in der sie von den Bürgern Barcelonas wissen wollte, was ihnen am besten und am schlechtesten an ihrer Stadt gefalle. Zwei veröffentlichte Antworten gleichen sich dabei auf auffällige Weise. Ljpez de Haro antwortete: »Am wenigsten gefällt mir der Hafen, weil man das Meer nicht sehen kann, und das Barrio Chino, welches dringend eine Reform nötig hat. […] Es ist nicht so, dass mir die Existenz eines Barrio Chinos missfällt, […] aber es sollte weiter entfernt sein und nicht im Herzen der Stadt«.206 Einige Tage später gab Pedro Casas Abarca eine ganz ähnliche Antwort: »Mir missfällt ganz besonders das Barrio Chino, so schmutzig und ekelerregend wie es ist. […] Es ist furchtbar, den ganzen Tag über den Müll auf der Straße zu sehen.«207 Das Barrio Chino galt in der öffentlichen Debatte über innere Sicherheit, die in Barcelona genauso geführt wurde wie in London, Paris und Berlin, bald als Schandfleck für die ganze Stadt. Auch die Verbrecherwelt, die über den Zeitraum von fast hundert Jahren die Beschreibungen der Großstädte im Allgemeinen und die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse innerhalb der Städte im Besonderen geprägt hat, soll in Barcelona ihren Sitz in diesem Viertel gehabt haben.208 Zu dieser negativen Etikettierung dürfte die Lokalpresse – wie in anderen Hafenstädten auch – sicherlich nicht unerheblich beigetragen haben.209 Bereits 1920 behauptete die Zeitung El Diluvio, im fünften Distrikt, zu dem auch das Barrio Chino gehörte, gebe es »mehr Waffen, als eine Waffenfabrik produzieren könne«.210, Während der Diktatur Primo de Riveras verfasste das Wochenblatt El Esc#ndalo regelmäßig Reportagen über die Strukturen der im Barrio Chino ansässigen Unterwelt.211 Jaume Aiguader i Mirj schrieb in einem Artikel im Mirador vom 23. Mai 1929, es gebe dort »nichts als Schmutz und Armut«.212 Selbst die Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera bediente sich einige Jahre später dieser Rhetorik, als sie Personen, die anlässlich eines Arbeitskonflikts im Hafen
206 Vgl. La Noche, 27. 1. 1936, S. 11. 207 Vgl. La Noche, 1. 2. 1936, S. 11. 208 Zu den Debatten über die öffentliche Sicherheit und vermeintliche Verbrecherwelten in den Großstädten siehe Schloer, Nachts, S. 85f. und S. 131. 209 Vgl. Schubert, Seehäfenstädte, S. 128, der dies am Beispiel von London und Hamburg zeigt. 210 Vgl. El Diluvio, 27. 8. 1920, S. 7. Auch in Philadelphia war es der fünfte Bezirk, der nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Schlägertrupps zweier konkurrierender republikanischer Kandidaten als »Bloody Fifth« in Verruf kam, vgl. Altenburg, Machtraum, S. 111. 211 So beschreibt etwa Angel M. Becquer in einem im Januar 1926 erschienenen Artikel den »Unterricht« an einer »Schule für Diebe«, vgl. El Esc#ndalo 21. 1. 1926, S. 4f. 212 Vgl. Madrid, Sangre, S. 9 und El Mirador 17, 23. 5. 1929, S. 3.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
als Streikbrecher eingesetzt wurden, als Gauner bezeichnete, die »alle aus der im Barrio Chino ansässigen Unterwelt stammten«.213 Doch es existieren auch andere zeitgenössische Stimmen, wie etwa die des französischen Schriftstellers Pierre Mac Orlan, der in seinen 1934 erschienenen Reisebeschreibungen berichtete, dass er sich, nach allem, was er im Vorfeld vom Barrio Chino Barcelonas gehört hatte, bei seinem Besuch dort gewundert habe, wie wenig bedeutsam es doch sei.214 Insgesamt spricht deshalb sicherlich einiges dafür, Chris Ealham Recht zu geben, der als Hauptursache für den zweifelhaften Ruf des Barrio Chino einen von den »anständigen Bürgern« Barcelonas initiierten Diskurs ausmacht.215 Allerdings zeigen die Grafik (Abb. 20) und die entsprechenden Karten (Abb. 21 und 22), dass sich acht der insgesamt zwölf Straßen, in denen sich während des Untersuchungszeitraums jeweils mehr als 40 der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Gewaltdelikte ereigneten, im Barrio Chino befanden (graue Diagrammsäulen) und nur vier in anderen Stadtbereichen (schwarze Diagrammsäulen). Dabei sei darauf hingewiesen, dass der südöstliche Teil der Paral·lel damals auch als »Calle del Marqu8s del Duero« bezeichnet wurde und das Barrio Chino im Südwesten begrenzte. Sicherlich ist die Interpretation dieser Statistik nicht unproblematisch, war das Barrio Chino doch, wie bereits erwähnt, das am dichtesten bevölkerte Gebiet der Stadt und zudem ein beliebtes Ausgehviertel. In Anbetracht der Tatsache, dass die drei Straßen mit den meisten Verbrechen aber wesentlich kürzer waren als die blau markierten, zu denen zum Beispiel die damals als Calle de las Cortes bezeichnete Gran Via de les Corts Catalans gehört, die fast das gesamte Stadtgebiet durchquerte, erstaunt das Ergebnis aber dennoch. So war beispielsweise die im Barrio Chino gelegene Calle del Mediod&a (Nr. 1), auf der es im Untersuchungszeitraum zu 116 Gewaltdelikten kam, nur 125 m lang. Im Gegensatz dazu hatte die Calle de las Cortes (Nr. 4), auf der sich 84 und damit die meisten Gewaltverbrechen außerhalb des Barrio Chino ereigneten, eine Länge von über 8 km, wie auf den nachstehenden Karten zu ersehen ist. Auch wenn sich ein direkter Vergleich so unterschiedlicher Straßen eigentlich verbietet, veranschaulicht er doch drastisch, wie außerordentlich hoch die Ge213 Vgl. Ibarz Gelabert, Esquirols, S. 256. 214 Zitiert nach Permanyer, Cites, S. 168. Weitere Beispiele dafür, dass die negative Darstellung dieses Viertels bereits von den Zeitgenossen hinterfragt wurde, zeigt Fern#ndez Gonz#lez, Intervencijn, S. 27f. Am bezeichnendsten ist hierbei, dass Josep Maria Planes, auf dessen Reportagen zum Verbrechertum Barcelonas im Kapitel 4.1.2 noch ausführlicher eingegangen wird, zusammen mit seinem Fotografen am 11. Juni 1930 einen Artikel mit der Überschrift »Die Legende des fünften Distrikts« in der Zeitschrift Images (dt.: Eindrücke) veröffentlichte, in dem er argumentierte, dass das Barrio Chino zu Unrecht so einen schlechten Ruf habe, vgl. Images, 11. 6. 1930, S. 12ff. Für eine ausführliche Analyse dieses Artikels vgl. Davidson, Jazz, S. 156ff. 215 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 12.
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
Abb. 20: Straßen mit den meisten untersuchten Gewaltdelikten
Abb. 21: Straßen mit den meisten untersuchten Gewaltdelikten
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Abb. 22: Straßen mit den meisten untersuchten Gewaltdelikten im Barrio Chino
waltsamkeit im Barrio Chino im Verhältnis zum übrigen Stadtgebiet war. So lag die Gewaltverbrechensrate in der Zwischenkriegszeit auf der Calle del Mediod&a mit etwa 0,9 Taten/m annähernd 100-mal höher als auf der Calle de las Cortes mit ca. 0,09 Taten/m. Insgesamt ist also fraglich, ob die von den kritischen Zeitgenossen vorgebrachten Vorbehalte sich vollständig von der Hand weisen lassen und man das Barrio Chino zu jener Zeit nicht doch, als eine Art »Ghetto« von Barcelona mit einer sehr hohen Kriminalitätsrate ansehen kann. Wie der amerikanische Soziologe William Julius Wilson bei seinen Untersuchungen über das Chicagoer Ghetto herausfand, sind schlechte Wohnverhältnisse, eine unzureichende Infrastruktur und vor allem die negative Etikettierung als »schlechte« Adresse, die sich für dessen Bewohner als Teufelskreis erweist, charakteristische Eigenheiten eines solchen Gebiets.216 Die genannten Merkmale trafen durchaus auch auf das Barrio Chino Barcelonas zu. Besonders kennzeichnend war dort die bereits im Kapitel 2.1 erwähnte äußerst beengte Wohnsituation und deren Einfluss auf die Sozialisations- und Lebensbedingungen der unter derartigen Verhältnissen lebenden Bevölkerung, die schon in den klassischen Untersuchungen von Shaw und McKay Ende der 1920er Jahre am Beispiel von Chicago beschrieben wurden.217 216 Vgl. Häußermann/Kronauer/Siebel, Stadt am Rand, S. 26. 217 Vgl. Keim, Gewalt, S. 72f. Dass diese Studien auch in Spanien rezipiert wurden, zeigt eine zeitgenössische spanische Studie zur Jugendkriminalität, die Bezug auf die Untersuchungen in Chicago nimmt und die dort beschriebenen Ghettos im Barrio Chino Barcelonas wiederzuerkennen glaubt, vgl. Cuello Caljn, Criminalidad, S. 32ff.
Gewaltspezifische Besonderheiten charakteristischer Stadtgebiete Barcelonas
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So fand das Leben aufgrund der beengten Wohnverhältnisse in diesem Viertel Barcelonas vor allem auf der Straße statt.218 Schon über die Straßen von Paris hatte Honor8 de Balzac in »Ferragus – Das Haupt der Zerstörer«, der ersten Erzählung seines Werkes »Geschichte der Dreizehn«, das zwischen März 1834 und April 1835 entstand, bemerkt: »In Paris gibt es Straßen, die ebenso entehrt sind wie schändliche Menschen. Es gibt vornehme, adlige Straßen und einfache bürgerliche Straßen. Es gibt junge Straßen, über deren Gesittung sich die Allgemeinheit noch kein Urteil bilden konnte, und Straßen, die älter sind als die ältesten Stiftsdamen. Es gibt Straßen, die immer sauber, und Straßen, die immer schmutzig sind. Es gibt Verbrecherstraßen, Arbeiterstraßen, Fabrikstraßen, Geschäftsstraßen. Kurz, die Pariser Straßen haben menschliche Eigenschaften, und ihr Aussehen ruft in uns gewisse Vorstellungen wach, gegen die wir völlig wehrlos sind.«219
Daran anknüpfend argumentiert der amerikanische Literaturwissenschaftler Joan Ramjn Resina, dass die sehr engen und unübersichtlichen Straßen sowie die ärmlichen Wohnverhältnisse im Barrio Chino einer der Hauptgründe dafür waren, warum sich die Prostitution gerade dort ansiedelte.220 Darauf, dass die Prostitution und der Drogenhandel feste Bestandteile des Barrio Chino waren, wurde bereits hingewiesen. Dies führte dazu, dass dieses Viertel, wie von vielen Zeitzeugen befürchtet, Kriminelle anzog. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts begannen »Pinxos« (dt.: Zuhälter) die Prostitution gewerblich für sich zu nutzen, entwickelten ihren eigenen Kleidungsstil, ihren eigenen Jargon und ihre eigene Lebensweise. Anfangs waren sie zunächst mit Messern und später dann mit Pistolen bewaffnet.221 Außerdem verfügten sie über eigene Banden, die sich untereinander nicht selten bekriegten.222 Auch die Prostituierten waren teilweise in kollektive Gewaltakte involviert. So führte etwa Maria Llopis Berges während der Tragischen Woche eine Gruppe von Männern und Frauen an, die auf der »Paral·lel«, der im Westen an das Barrio Chino angrenzenden Allee, die Scheiben von zahlreichen Caf8s zertrümmerten, deren Besitzer sich geweigert hatten, am Generalstreik teilzunehmen. Außerdem stürzten sie eine Straßenbahn um und griffen eine Polizeistreife an. Auch von 218 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 32. 219 De Balzac, Geschichte, S. 15. Zum Entstehungskontext dieses Werkes, vgl. etwa CorbineauHoffmann, Kleine Literaturgeschichte, S. 62f. Zur literarischen Bedeutung von Paris als Stadt im Werk von Honor8 de Balzac vgl. Schüle, Paris, S. 234ff. sowie Stierle, Mythos, S. 339ff. 220 Vgl. Resina, Vocation, S. 102. So beschrieb etwa der bereits zitierte Sebasti/ Gasch die im Barrio Chino gelegene Calle de Tapias als eine Straße, die in den 1920er Jahren »intensiv nach Verbrechen« gerochen hätte, vgl. Villar, Barrio Chino, S. 195. 221 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 61ff. 222 So erregte beispielsweise der Mord an dem Zuhälter L’Aragones durch seinen Konkurrenten Nelo und dessen Bande am 8. März 1904 großes Aufsehen, vgl. Badenas i Rico, Miquel, Paral·lel, S. 243.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
einer weiteren Prostituierten, Josefa Prieto SaldaÇa, ist dokumentiert, dass sie aktiv an den Geschehnissen der Semana Tr#gica teilnahm und mithalf, Barrikaden zu errichten.223 Die im Barrio Chino agierenden Gewaltakteure machten es sich dabei zu Nutze, dass, wie der französische Soziologe FranÅois Dubet in seinen Untersuchungen zur Jugendkriminalität hervorgehoben hat, ein Stadtviertel durch die Verschwiegenheit seiner Bewohner ein mehr oder weniger geschütztes Territorium bietet, welches die Entwicklung von kriminellen Aktivitäten begünstigen würde.224 Dass auch die Bewohner des Barrio Chino in Barcelona sich nicht besonders kooperativ gegenüber der Polizei verhielten, deutet sich bereits in den Werken von Juli Vallmitjanana an.225 Im Untersuchungszeitraum wird das etwa durch einen Vorfall im September 1931 deutlich, als Polizisten im Barrio Chino einen »gewöhnlichen Kriminellen« festnehmen wollten und dabei von den Anwohnern von den Balkonen aus mit Flaschen, Dosen und Steinen beworfen wurden. Einige sollen die Polizisten sogar direkt attackiert haben.226 Dubet bezeichnet den Drogenhandel und den Verkauf von Diebesgut als für solche Viertel charakteristische Straftaten, was für das Barrio Chino Barcelonas ebenso zutrifft.227 Wie Dubet weiter aufführt, sind diese Delikte aber nur in sehr geringem Maße mit Gewalt verbunden. Wie das Kreisdiagramm (Abb. 23) zu den Gewaltdelikten im Hafenviertel und die hinter den Deliktformen angegeben Zahlen zeigen, gilt dies auch für das Barrio Chino, wobei jedoch schwerere Gewalttaten wie bewaffnete Raubüberfälle oder Attentate hier eher selten vorkamen, Schlägereien und Körperverletzung dagegen sehr häufig. Insgesamt ergibt sich also bei der Untersuchung der Stadtgebiete Barcelonas bezüglich ihres Beitrags zur Gewaltsamkeit in der Stadt, dass die hier als »Reichenviertel« charakterisierten Bereiche im Nordwesten der Stadt daran einen sehr geringen Anteil hatten und hauptsächlich durch Einbrüche und allenfalls vereinzelt als Bühne für bewaffnete Raubüberfälle in Erscheinung traten. Wesentlich stärker waren die Arbeiterviertel, wie am Beispiel von Sants aufgezeigt, 223 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 39. 224 Vgl. Dubet, Jugendgewalt, S. 1184. 225 So beschreibt Juli Vallmitjana in »Sota Montju"c«, dass die Polizei zwar regelmäßig Präsenz zeigte und wusste, welche Personen Straftäter waren, diese aber nicht überführen konnte, vgl. Vallmitjana, Sota Montju"c, S. 178. In »La Xava« beschreibt er einen Mord, bei dem das ganze Viertel gewusst habe, wer der Täter war, der Polizei gegenüber jedoch geschwiegen habe, vgl. Vallmitjana, Xava, S. 29. 226 Den Vorfall beschreibt Ealham, Anarchism and the City, S. 111. 227 Vgl. Dubet, Jugendgewalt und Stadt, S. 1184. Darauf, dass neben dem Drogenhandel auch der Verkauf von Diebesgut ein vorherrschendes Strafdelikt war, deuten neben Madrid, Sangre, S. 69 auch die zahlreichen Berichte in den Lokalzeitungen hin, siehe etwa El Noticiero Universal, 13. 12. 1928, S. 3 sowie zum selben Vorfall El Noticiero Universal, 16. 11. 1931, S. 6, El Diario de Barcelona, 20. 11. 1931, S. 8 und El Diluvio, 23. 12. 1932, S. 14.
Typische urbane Gewaltorte und deren Funktion
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Abb. 23: Übersicht über alle untersuchten Gewaltdelikte im Hafenviertel im Untersuchungszeitraum
von den die Stadt während der Zwischenkriegszeit dominierenden Gewaltpraktiken geprägt. Diese waren dort hauptsächlich auf die sozialen Konflikte zwischen Arbeitern und Arbeitgebern zurückzuführen. Außerdem stellte sich am Beispiel von Sants heraus, dass dieses ähnlich wie L’Hospitalet de Llobregat ein Rückzugsgebiet für die in Barcelona während der Zwischenkriegszeit agierenden Gewaltakteure war. Während es sich hierbei vor allem um Personen handelte, die im Kontext der sozialen Konflikte in Erscheinung traten, scheint die damals weit verbreitete Meinung, die Kriminellen stammten vor allem aus dem im Hafengebiet gelegenen Barrio Chino, nicht völlig abwegig zu sein. Deshalb ist es naheliegend, dass auch die abschließende Betrachtung der bedeutendsten von Sebasti/ Gasch im Eingangszitat angesprochenen, typischen städtischen Gewaltorte, die im letzten Unterkapitel erfolgen wird, mit den Kneipen im Hafenviertel beginnt, die der amerikanische Anthropologe Gary Wray McDonough in einem Aufsatz über das Chinesenviertel als einer ihrer zentralen Bestandteile ausgemacht hat.228
2.4
Typische urbane Gewaltorte und deren Funktion im Hinblick auf die Realisation kollektiver Gewaltakte
Wie der österreichische Stadthistoriker Martin Scheutz in seinem einleitenden Aufsatz zu dem bereits erwähnten Sammelband »Stadt und Gewalt« sicherlich richtig konstatiert, ist das Haus »der vermutlich gängigste Gewaltort in der 228 Vgl. McDonough, Bars, S. 267.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Geschichte«. Dass dieser dennoch in diesem Kapitel ausgeklammert bleibt und auch in der Arbeit insgesamt nur am Rande eine Rolle spielt, ist zum einen dadurch begründet, dass er sich aufgrund seiner Privatheit quellentechnisch nur sehr bruchstückhaft erschließen lässt. Zum anderen sind die für das Haus charakteristischen Gewaltformen vor allem familiären oder alltäglichen Bereichen zuzuordnen, die für diese Arbeit nur sehr bedingt relevant sind. Stattdessen sollen in diesem Kapitel mit Kneipen und Straßen die Stadträume in den Blick genommen werden, die Martin Scheutz neben dem Haus als weitere typische städtische Gewaltorte charakterisiert.229 Eben dort hatte bereits Jos8 Ruiz Rodr&guez, ein Cousin Pablo Picassos der unter dem Pseudonym »Max Bembo« im Jahr 1913 mit »La mala vida de Barcelona. Anormalidad, miseria y vicio« (dt.: Das schlechte Leben von Barcelona. Anomalie, Elend und Laster) eine der ersten zeitgenössischen Milieustudien Barcelonas verfasste, das »städtische Gaunertum« lokalisiert: »Von jenen Kneipen, die ihr in den Arbeitervierteln seht, ist es einfach, in das Zentrum der Kriminalität von Barcelona hinabzusteigen. Jene Calle del Mediod&a, stumme Zeugin solcher Ehrlosigkeit, jene Calle de Peracamps, wortlose Betrachterin solchen Elends, die Straße Calle del Arco del Teatro, die Calle del Cid, Calle del Olmo, Calle del Conde del Asalto, Calle de San Ramjn usw. schlichte Zuschauer einer zügellosen Welt. Es ist angebracht, hinabzusteigen und einzutreten in den schmutzigen Mittelpunkt, der ›La Mina‹ heißt. Stellt euch einen sehr langen und geräumigen Laden vor, der den Anschein eines Durchgangs macht, denn er hat zwei Ausgänge. Unter den Gaunern erfreut sich die Kneipe großer Beliebtheit. Wie oft wurde hier schon ein Einbruch, ein Mord oder eine Vergewaltigung geplant! Gegen 20 Uhr gehen wir dort hinein. Alle Tische sind besetzt von Gestalten mit bedrohlichem Gesichtsausdruck, eine wenig nahrhafte Mahlzeit verschlingend, mit einem Porrjn an ihrer Seite und viele von ihnen auch mit der obligatorischen Prostituierten. […] Ihr habt den Eindruck, in einer Strafanstalt zu sein. Ihr erkennt Gesichter wieder, die ihr dort gesehen habt. In eurer Vorstellung erscheinen Erinnerungen wahrhaft krimineller Art und euch erstickt diese Atmosphäre und ihr wollt nur wieder hinaus.«230
»La Mina« (dt.: Die Mine), an der Calle del Arco del Teatro 63 und damit laut Francisco Madrid im »Herzen des Barrio Chino« gelegen, war eine der zu jener Zeit bekanntesten Kneipen Barcelonas, was sich unter anderem darin manifestiert, dass sie Juli Vallmitjana in seinen Stücken mehrfach erwähnte und dabei, ähnlich wie in dem Eingangszitat und bei Francisco Madrid, deren zweifelhafter Ruf betonte.231 Im Laufe des Untersuchungszeitraums entwickelte sich »La 229 Vgl. Scheutz, Stadt, S. 43f. 230 Bembo, Mala Vida, S. 156f. Zu dessen wahrer Identität siehe Termes, Anarquismo, S. 202. Bei einem Porrjn handelt es sich um einen Glas- oder Tonbehälter, aus dem vor allem Wein getrunken wird. 231 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 45. Für die erwähnten zeitgenössischen Beschreibungen siehe Madrid, Sangre, S. 57 sowie Vallmitajana, Xava, S. 15ff. und ders. Sota Montjuic, S. 44f.
Typische urbane Gewaltorte und deren Funktion
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Criolla« (dt.: Die Kreolin) nach und nach zur beliebtesten Bar, die die Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera im April 1933 als einen Ort beschrieb, an dem sich der »moralische Ruin derjenigen manifestierte, die im Leben Schiffbruch erlitten hatten«.232 Die Kneipe befand sich in der Calle del Cid 10 und damit in unmittelbarer Nähe zu La Mina. 1925 war sie, genau wie La Mina aus einer ehemaligen Fabrik hervorgegangen, und bot somit ebenfalls einer großen Menschenmenge Platz.233 Nicht nur für die Kriminellen, sondern auch für die Arbeiter in Barcelona waren die Caf8s und Bars, die Chris Ealham als die »Wohnzimmer der Armen« bezeichnet hat, neben den Straßen wichtige Versammlungsorte.234 Diese trafen sich außer in den bereits erwähnten Kneipen im Barrio Chino vor allem in zwei Lokalitäten, die an der Paral·lel gelegen waren. Hier ist zum einen das an der Paral·lel 64 und 66 gelegene »Caf8 EspaÇol« (dt.: Spanisches Caf8) zu nennen, das 1895 eröffnet hatte und dann bald zum größten Caf8 Barcelonas und zu einem beliebten und stark frequentierten Treffpunkt geworden war (siehe Abb. 24), wo beispielsweise der gemäßigte Arbeiterführer Salvador Segui, der früher eher La Mina besucht hatte, regelmäßig mit Gleichgesinnten verkehrte.235 Nicht weit davon entfernt entstand aus dem ehemaligen Theater Victoria an der Paral·lel 69 die Bar »La Tranquilidad« (dt.: Die Geruhsamkeit), die im Widerspruch zu ihrem Namen besonders während der Zeit der Republik, wie es später der Anarchist Jos8 Peirats in seinen Memoiren beschrieb, die »am allerwenigsten ruhige« Lokalität an der Paral·lel gewesen sei, wo sich unter anderem regelmäßig die Anarchisten Durruti, Ascaso und Garc&a Oliver trafen, die 1923 als »Los Solidarios« einige der spektakulärsten Raubüberfälle und Attentate in Spanien verübten.236 Die Abbildung 25 vermittelt einen Überblick über die Lage 232 Vgl. die Titelseite der Morgenausgabe von Solidaridad Obrera, 9. 4. 1933. 233 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 32 und S. 167f. Auch »La Criolla« wird in zahlreichen zeitgenössischen Quellen beschrieben, vgl. neben Madrid, Sangre, S. 71ff. vor allem die ausführliche Darstellung in Planes, Nits, S. 66f. Jean Genet war einer von mehreren Autoren, die dafür sorgten, dass diese Kneipe auch einem größeren (Leser-)Publikum bekannt wurde, vgl. Genet, Tagebuch, S. 51, S. 62 und S. 80. 234 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 28. 235 Vgl. Badenas i Rico, Paral·lel, S. 211ff. und Nagel, Arbeiterschaft, S. 103. Die bekannte Anarchistin Frederica Montseny schrieb später rückblickend, dass sie dort zum ersten Mal im Leben sowohl Salvador Segu& als auch den späteren katalanischen Ministerpräsidenten Llu&s Companys gehen habe, vgl. Montseny, Primeros, S. 27. Dass Segu& in früheren Jahren häufiger in die Kneipe »La Mina« ging, um dort anarchistische Flugblätter zu verteilen, beschreibt Madrid, Sangre, S. 46. 236 Vgl. Badenas i Rico, Paral·lel, S. 175 und Enzensberger, Sommer, S. 84. Die zitierte bzw. paraphrasierte Passage aus den Erinnerungen von Jos8 Peirats Valls, findet sich in ders., Paso, S. 224. Auch Garc&a Oliver selbst beschreibt in seinen Erinnerungen, wie er mit Durruti in der Bar »La Tranquilidad« einen Kaffee trank, vgl. Garc&a Oliver, Eco, S. 125f. Die Gruppe »Los Solidarios« wird im Kapitel 4.1.2 noch genauer untersucht.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Abb. 24: Das Caf8 EspaÇol
der in der Arbeit erwähnten Bars und Caf8s. Es handelt sich um die Bar »Bruselas« (1), »Canigj« (2), »Ciclista« (3), »El8ctrico« (4), »La Criolla« (5), »La Mina« (6) und »Tranquilidad« (7) sowie um das »Caf8 EspaÇol« (8) und das »Caf8 Lion d’Or« (9).
Abb. 25: Verortung der erwähnten Bars und Caf8s
Typische urbane Gewaltorte und deren Funktion
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Im Allgemeinen blieben die Kneipen nahezu ausschließlich den männlichen Arbeitern vorbehalten.237 Die Frauen trafen sich dagegen eher in Läden und Märkten, wo sie untereinander Neuigkeiten austauschten und diese Orte dadurch zu den zentralen Bereichen einer expliziten Frauenöffentlichkeit machten.238 Ausgehend von der These des Kultursoziologen Pierre Bourdieu, der das proletarische Caf8 als einen Ort bezeichnete, dessen Besucher sich in eine Gesellschaft integrieren würden, hat Sven Reichardt genauso gründlich wie überzeugend dessen Bedeutung für die Bildung männlicher Vergemeinschaftung und Vertiefung sozialer Kontakte am Beispiel der Berliner Sturmlokale und der italienischen Squadrenbars nachgewiesen.239 Das machte sie sowohl zu Planungszentralen als auch zu Ausgangspunkten kollektiver Gewaltakte. So beschreibt Sven Reichardt, dass sich dort in der Regel gewaltbereite Squadristen wie SA-Männer aufhielten und damit etwa für die sogenannten »Strafexpeditionen« auf Abruf bereitstanden, die am gleichen Ort von den SquadristenKommandanten bzw. Sturmführern geplant wurden und die demzufolge dort schnell entsprechendes Personal für die Durchführung rekrutieren konnten. Auch die Tatsache, dass die Kneipen darüber hinaus nicht selten als Waffenlager dienten, erlaubte ein schnelles Ausführen der Gewaltakte. Möglich gemacht wurde dies auch dadurch, dass Kneipen nicht nur Orte der Vergemeinschaftung, sondern oft auch der Verschwiegenheit waren, wo deren Besucher unter sich waren.240 Die wenigen belastbaren Quellen, die in diesem Kontext für Barcelona herangezogen werden können, lassen zumindest erahnen, dass die Bars und Kneipen auch in der Zwischenkriegszeit eine vergleichbare Funktion erfüllten. So hatten einzelne Bars und Caf8s bereits während der Zeit der ersten anarchistischen Anschlagswelle in den 1890er Jahren in Barcelona im Verdacht gestanden, von den Anarchisten zur Konspiration und zur Vorbereitung der Anschläge benutzt worden zu sein.241 Der bereits im Kapitel 2.2 zitierte Victor Serge, der den spanischen Generalstreik von 1917 in Barcelona erlebte, erinnerte sich später, wie die Anarchisten im Caf8 EspaÇol am Vorabend dem Arbeiterkampf entgegengefiebert hätten, während an den Nachbartischen Polizeispitzel versuchten, diese zu beschatten.242 Zur Zeit des Pistolerismo sollen sich im Caf8 »Lion d’Or« (dt.: Goldener Löwe) regelmäßig Pistoleros getroffen und dort beispielsweise den geglückten Mord an dem CNT-Anwalt Francesc Layret ge237 Vgl. Schloer, Nachts, S. 97. 238 Vgl. Hagemann, Frauenprotest, S. 205 und S. 217. 239 Vgl. Bourdieu, Feine Unterschiede, S. 297f. und Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 435ff. 240 Vgl. Swett, Neighbors, S. 32. 241 Vgl. Kaplan, Red City, S. 31ff. 242 Vgl. Serge, Geburt, S. 17.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
feiert haben, dessen Begräbnis im Kapitel 3.1.1 als Beispiel für eine Massendemonstration noch genauer beschrieben wird.243 Einer der im Zuge des anarchistischen Aufstandes vom Januar 1933 verhafteten Anarchisten sagte aus, er habe in einem Taxi Bomben zur Bar La Criolla bringen sollen, wo etwa 80 Personen warteten, die planten, die in unmittelbarer Nähe gelegene Kaserne zu stürmen.244 Gut einen Monat später wurden in der Bar La Tranquilidad bei einer extremistischen Versammlung zwölf Pistolen sichergestellt.245 Auch Einbrecher- und Diebesbanden nutzen Kneipen und Bars als Treffpunkte und dazu, ihre Beute aufzuteilen.246 Josep Maria Planes nennt in seiner Reportage über die zur Zeit der Zweiten Republik agierenden »Gangster von Barcelona«, auf die später noch genauer eingegangen wird, sowohl das Caf8 EspaÇol als auch die Bar La Tranquilidad als Treffpunkte der zu jener Zeit in Barcelona agierenden Straßenräuber.247 Tatsächlich sind für diese Zeit einige Fälle dokumentiert, die belegen, dass Straßenräuber in Kneipen gefasst wurden.248 Im November 1931 kam es bei dem Versuch der Polizei, in der Bar »Bruselas« (dt.: Brüssel) vier mutmaßliche Straßenräuber festzunehmen, zu einer Schießerei, bei der ein Polizist, ein Täter und die Frau des Wirtes getötet und außerdem mehrere Personen verletzt wurden, wobei zwei der Täter entkommen konnten.249 Wie in anderen Städten waren die Bars und Kneipen auch in Barcelona der Schauplatz für alltägliche Gewalt wie Schlägereien und Körperverletzungen, die
243 Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 131f. Die erwähnte angebliche »Feier« beschreibt Madrid, Horas, S. 67. Für eine ausführliche Beschreibung des Caf8 Lior, vgl. Villar, Barcelona, S. 211ff. 244 Vgl. El Diario de Barcelona, 10. 1. 1933, S. 13. 245 Vgl. El Diluvio, 22. 2. 1933, S. 16. 246 Beispiele hierfür sind etwa dokumentiert in El Diluvio, 4. 12. 1927, S. 30 und El Noticiero Universal, 20. 11. 1935, S. 14. 247 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 54. Auch Pallares Personat beschreibt »La Tranquilidad« als Treffpunkt von gewaltbereiten Anarchisten, wo man angeblich bereits »für 45 Peseten eine stattliche Pistole erwerben könne«, vgl. Pallares Personat, Victimes, S. 147. 248 So wurde einige Monate nach der Artikelserie von Planas der mutmaßliche anarchistische Straßenräuber Jos8 Redondez Fern#ndez in der Bar »La Tranquilidad« festgenommen, der auch im Verdacht stand, an den Anschlägen auf Straßenbahnen beteiligt gewesen zu sein, vgl. El Diario de Barcelona, 7. 7. 1934, S. 32. Anfang desselben Jahres wurden in der Kneipe »La Mina pequeÇa« (dt.: »Die kleine Mine«), die, wie auch »La Mina«, im Barrio Chino gelegen war und ebenfalls von Francisco Madrid in seiner bereits erwähnten Reportage über dieses Viertel erwähnt wurde, drei Personen festgenommen, die zuvor in Vilassar del Dalt, einer Stadt nordöstlich von Barcelona, einen Überfall auf eine Fabrik begangen haben sollen, vgl. Madrid, Sangre, S. 45. Über die Festnahme berichtete La Noche, 13. 1. 1934, S. 14. 249 Vgl. etwa die umfangreiche Berichterstattung in El Correo Catal#n, 19. 11. 1931, S. 3, 20. 11. 1931, S. 3, 21. 11. 1931, S. 3, 22. 11. 1931, S. 3, 24. 11. 1931, S. 4, 26. 11. 1931, S. 6 sowie La Noche, 18. 11. 1931, S. 1, 19. 11. 1931, S.1 und 3.
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Wirtshäusern im Allgemeinen zugeschrieben werden.250 Einen Vorfall, wie er damals in ähnlicher Form vermutlich sehr oft vorkam, hat Jean Genet in seinem autobiographisch geprägten »Tagebuch eines Diebes« ausführlich geschildert: »P8p8 wählte eine Gruppe aus. Er verlor. Er verlor alles, was er besaß. Ich versuchte, ihn zurückzuhalten, aber es war zu spät. Wie es üblich war, bat er den Spielleiter um einen Einsatz aus der Bank für die folgende Partie. Der Mann weigerte sich. Da schien es mir, als ob das, was die Liebenswürdigkeit des Zigeuners ausmachte, plötzlich – wie Milch – sauer wurde und sich in die unbändigste Wut verwandelte, die ich je gesehen hatte. Mit einer Handbewegung stahl er die Bank. Der Mann sprang in einem Satz auf und wollte ihm einen Tritt versetzen. P8p8 wich ihm aus. Er schob mir das Geld zu, aber kaum hatte ich es eingesteckt, da blitzte schon sein geöffnetes Messer. Er stieß es dem Spanier direkt ins Herz. Der große braungebrannte Kerl stürzte zu Boden, wurde bleich, trotz seiner Sonnenbräune, verkrampfte sich, wand sich und verschied. Zum ersten Mal sah ich jemand den Geist aufgeben.«251
Wie das Diagramm zu den Gewaltdelikten (Abb.26) veranschaulicht, kam es in den Bars und Kneipen Barcelonas hauptsächlich zu Gewaltpraktiken, die für die Stadt in dieser Epoche typisch waren. Zwar wäre es übertrieben, von einem Kampf um die Bars und Kneipen zu sprechen, wie er sich nach der Darstellung von Sven Reichardt sowohl zwischen den SA-Männern und den Kommunisten in Berlin sowie zwischen den Squadristen und ihren politischen Gegnern in Italien ereignete, doch hielten dafür in Barcelona die Konflikte der beiden verfeindeten Gewerkschaften auch in den Bars und Kneipen Einzug.252 So wurden in der am Plaza de Buensuceso in der Nähe der Ramblas gelegenen Bar »Ciclista« (dt.: Randfahrer) innerhalb weniger Monate zwei Gewerkschafter erschossen.253 In der Bar »El8ctrico« (dt.: Elektro) an der Calle de Sants fand eine Schießerei zwischen Pistoleros der beiden verfeindeten Gewerkschaften statt, bei der fünf Personen verletzt wurden und eine unbeteiligte Frau zu Tode kam.254 Auch in dem bereits erwähnten Caf8 EspaÇol erfolgte kurz darauf ein tödliches Attentat.255 Darüber hinaus wurden Bars und Kneipen vereinzelt Ziele von Raubüberfällen. So gab es beispielsweise am 250 So bezeichnet Scheutz, Stadt, S. 26 die Kneipe als wichtigen städtischen Konfliktort, in der unter Einfluss von Alkohol Auseinandersetzungen schnell gewaltsam wurden und nennt als Beispiel das spätmittelalterlichen Köln, wo etwa ein Fünftel aller Gewalttaten im Wirtshaus verübt wurde, vgl. ebd., S. 43. 251 Genet, Tagebuch, S. 44f. Die Gerichtsverhandlung über einen vergleichbaren Mord wegen eines Glücksspiel-Streits ist in El Diario de Barcelona, 23. 3. 1928, S. 17 dokumentiert. 252 Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 126. 253 Vgl. El Noticiero Universal, 21. 1. 1921, S. 4 und 22. 1. 1921, S. 5. 254 Vgl. Dom&nguez, Pistolerisme, S. 112. Über diese Schießerei berichteten El Diluvio, 3. 6. 1921, S. 10 und El Noticiero Universal, 2. 6. 1921, S. 5 sowie später rückblickend Solidaridad Obrera, Solidaridad Obrera, 29. 9. 1923, S. 2. 255 Vgl. El Noticiero Universal, 20. 8. 1921, S. 3.
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Gewalttopographien Barcelonas im Kontext spezifisch urbaner Gewaltorte
Abb. 26: Übersicht über alle untersuchten Gewaltdelikte in Bars, Kneipen und Caf8s im Untersuchungszeitraum
10. Januar 1934 einen Überfall auf die Bar »Canigj«, wobei die Täter die sich in der Bar aufhaltenden 35 bis 70 Gäste unter Waffengewalt zwangen, in die Küche zu gehen, um ihnen dann das Geld, das sie bei sich trugen – insgesamt etwa 3000 Peseten – abzunehmen.256 Neben den Bars und Kneipen waren in Barcelona wie auch in anderen europäischen Städten die Straßen wichtige Orte des städtischen Zusammenlebens und der Sozialisation. In Barcelona traf dies, wie bereits im vorangegangenen Unterkapitel angedeutet, vor allem auf die ärmeren, dicht besiedelten Viertel zu, wo die beengte Wohnsituation dazu führte, dass die Bewohner die meiste Zeit des Tages auf der Straße verbrachten.257 Dass eine der Hauptursachen für die Jugendkriminalität in Spanien, wie der Professor für Strafrecht an der Universität Barcelona und ehemaliger Präsident des Jugendgerichts in Barcelona Eugenio Cuello Caljn in seiner zeitgenössischen Untersuchung behauptet, der »höchst verderbliche Einfluss der Straße« gewesen sein soll, lässt sich anhand der vorhandenen Quellen jedoch nicht verifizieren.258 Dagegen war die Straße sicherlich auch ein zentraler städtischer Gewaltort. Zwar gab es hier, wie auch in den Kneipen und Bars, gewaltsame Auseinandersetzungen von Einzelpersonen und kleineren Gruppen. Als deren Protagonisten sind in Barcelona während des Untersuchungszeitraums vor allem die 256 Über diesen Raubüberfall berichtete El Diario de Barcelona ausführlich, vgl. 9. 1. 1934, S. 8 und 40 sowie 11. 1. 1934, S. 35. Dieser Überfall ist ebenfalls dokumentiert in La Noche, 8. 1. 1934, S. 15 und El Diluvio, 9. 1. 1934, S. 8. Über einen vergleichbaren Vorfall, der sich wenige Monate später ereignete, berichtete El Diluvio, 6. 5. 1934, S. 9. 257 Vgl. Oyon, Quiebra, S. 320. 258 Vgl. Cuello Caljn, Criminalidad, S. 31f.
Typische urbane Gewaltorte und deren Funktion
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ambulanten Straßenverkäufer zu nennen, die zum Ärgernis der Ladenbesitzer illegal Waren auf offener Straße verkauften, eine Praxis, die besonders häufig in der von Wirtschaftskrisen erschütterten Zweiten Republik anzutreffen war.259 Wie auch in anderen europäischen Städten, waren es aber vor allem Massenproteste und Demonstrationen, die die Straßen Barcelonas zu den wichtigsten städtischen Gewaltorten werden ließen.260 Aus diesen Gründen wird der Gewaltort Straße mit den damit verbundenen Gewaltpraktiken erst im folgenden Kapitel genauer betrachtet. Hinsichtlich der in diesem Unterkapitel aufgeworfenen Frage nach der Bedeutung von städtischen Gewaltorten auf die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona lässt sich hier zusammenfassend festhalten, dass dabei den Bars und Kneipen eine große Bedeutung, sowohl als Plan- als auch als Rekrutierungsstelle für die nun im folgenden Kapitel 3.1.1 betrachteten Gewaltpraktiken zukommt. Nachdem somit also Barcelona als »Bühne« der Gewalt in all seinen Facetten beschrieben wurde, wird es im folgenden Kapitel darum gehen, welche Arten von »Dramen« sich dort abspielten und welche typischen Akte kollektiver Gewalt diese hervorbrachten.
259 Vgl. Oyon, Quiebra, S. 321 sowie Rider, New City, S. 76. 260 So führt etwa Scheutz aus, dass die Straße gegen Ende des 19. Jahrhunderts »zum wichtigsten Gewaltort der Moderne und zur politischen Gewaltarena in der Stadt schlechthin« wurde, vgl. ders., Stadt, S. 44.
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Am 19. Juli 1921, mitten in der Hochphase der Attentate in Barcelona, schilderte der britische Botschafter Charles Wingfield in seinem Bericht an den britischen Außenminister die anhaltende Gewalt in Spanien und besonders in Barcelona wie folgt: »Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass für alle geschilderten Verbrechen die beiden konkurrierenden Gewerkschaften, Sindicatos 5nicos und Sindicatos Libres, verantwortlich sind oder dass die soziale Situation aufgrund derer es zu einer derartigen Menge von mörderischen Auseinandersetzungen kommt, so schlimm ist, dass eine ähnliche Lage auch in England zu solchem Blutvergießen führen würde. Der Gebrauch der Pistole und des Messers mit dem Vorsatz, jemanden zu töten ist eine Besonderheit in diesem Land der Zwistigkeiten, die unter nördlicheren und nicht-südländischen Menschen zu einer unbewaffneten Auseinandersetzung von mehr oder weniger gewaltsamem Charakter führen würden und einige der geschilderten Verbrechen haben zweifellos einen persönlichen und keinen politischen Ursprung.«261
Auch wenn es den Anschein haben muss, dass der Erklärungsansatz Wingfields hinsichtlich der angeblichen Gewaltaffinität der Spanier in den damals geltenden Stereotypen verhaftet bleibt, ist dieser dennoch bemerkenswert, da er sich in seiner Vielschichtigkeit nicht nur von den vielen Begründungsargumenten seiner Zeitgenossen, sondern auch von den teilweise eindimensionalen Ursachendiagnosen mancher Historiker deutlich abhebt. So bezeichnet Wingfield zwar die Auseinandersetzungen zwischen den beiden verfeindeten Gewerkschaften Sindicatos 5nicos und Sindicatos Libres als Ausgangspunkt für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona zu jener Zeit, stellt aber gleichzeitig fest, dass es zu oberflächlich wäre, den Ursprung aller Gewalttaten darauf zu reduzieren. Stattdessen seien es eher auf der Mikroebene anzusiedelnde Motive, die den Ausschlag für manche der Attentate geben würden. Interessant ist auch die Bemerkung Wingfields, die Attentate in Zusammenhang mit der angeblichen Waffenaffinität der Spanier zu bringen, stimmt doch die daraus resultierende 261 Dieser Bericht findet sich in NA, FO 371/7120 W8079, Blatt 298–301.
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Schlussfolgerung, dass die Wahl der Waffen in einem ganz entscheidenden Maß die Gewaltpraktiken bestimmt, doch mit den wesentlich später von der Gewaltsoziologie postulierten Erklärungsansätzen für Gewalt überein.262 An die Beobachtungen Wingfields anknüpfend, soll in diesem Kapitel die für Barcelona in der Zwischenkriegszeit spezifischen Gewaltsituationen herausgearbeitet werden.263 Im Gegensatz zum vorangegangenen Kapitel, bei dem ein relativ weiter Gewaltbegriff verwendet wurde, erscheint es nun angebracht, den Gewaltbegriff etwas enger zu fassen, um sich auf diese Weise zum einen auf die für den Untersuchungszeitraum typischen urbanen Gewaltformen und zum anderen auf die für Barcelona spezifischen Gewaltpraktiken zu konzentrieren und diese hinsichtlich ihrer Evolution, ihres konkreten Entstehungskontextes sowie ihrer Dynamik genauer beschreiben und untersuchen zu können. Dazu wird zunächst der Fokus auf Gewaltpraktiken gerichtet, bei denen in Form von Straßenprotesten, (General-)Streiks und Aufständen der Kampf um den städtischen Raum im Vordergrund steht (Kapitel 3.1). Diese Vorgehensweise begründet sich zunächst damit, dass es sich hierbei um die wahrscheinlich ursprünglichste Form städtischer Gewalt handelt, was sich nicht zuletzt dadurch erklärt, dass Waffen in diesem Kontext nicht notwendigerweise konstitutiv sind. Darüber hinaus führten diese Gewaltpraktiken, wie zu zeigen sein wird, in Barcelona teilweise zu bürgerkriegsartigen Zuständen, in denen viele der speziell für Barcelona typischen Gewaltphänomene ihren Ursprung haben, die danach in den beiden folgenden Unterkapiteln untersucht werden.264 Anschließend werden für Barcelona typische, mit Waffen verübte Gewaltpraktiken in den Blick genommen. An die Erkenntnisse Wingfields und der Gewaltsoziologie anknüpfend, werden die hier betrachteten Gewaltphänomene wegen der dabei verwendeten unterschiedlichen Waffen zwei Unterkapiteln zugeordnet. So wird zunächst der Tatsache Rechnung getragen, dass Barcelona, wie im Eingangszitat der Arbeit bereits deutlich wurde, unter den Zeitgenossen weit über die Landesgrenzen hinweg als »Stadt der Bomben« bekannt war. Während die Bomben den anarchistischen Terroristen bei ihrer Anschlagsserie in den 1890er Jahren noch als Tötungswerkzeug gedient hatten, erfährt diese Waffe im Untersuchungszeitraum einen fundamentalen Wandel. »Bombas« (dt:. 262 Zur Bedeutung von Waffen für die jeweiligen Gewaltpraktiken siehe Sofsky, Traktat, S. 328f. 263 Der französische Politikwissenschaftler Jacques S8melin spricht hier von einer »Gewaltgrammatik«, die es zu erfassen gelte, vgl. ders., Elemente. Eine praktische Vorlage bietet ein Aufsatz von Malte Rolf, in dem der deutsche Osteuropa-Historiker dieses Konzept überzeugend am Beispiel der Städte des russischen Zarenreiches umsetzte, vgl. ders., Metropolen, S. 27ff. 264 Dass es sich bei den hier behandelten Gewaltformen um Gewaltphänomene handelt, die in Barcelona im Vergleich zu anderen europäischen Städten im Untersuchungszeitraum wesentlich häufiger vorkamen, bestätigt etwa Seidman in seinem Vergleich Barcelonas mit Paris, vgl. Seidman, Workers, S. 24.
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Bomben) verschwinden mehr und mehr aus dem Waffenarsenal der Gewaltakteure und werden durch »Petardos« (dt.: Sprengsätze) ersetzt, die zwar eine deutlich kleinere Sprengkraft besitzen, aber dafür wesentlich handlicher sind. Dadurch werden sie zur idealen Waffe für Sabotageakte, sodass sich mit der Waffe auch die Zielrichtung der Gewaltakte – statt gegen Menschen richtet sie sich nun gegen Sachen – verändert. Sprengstoffanschläge werden deshalb hier in dem zweiten Unterkapitel neben Brandanschlägen und Vandalismus als eine Gewaltform betrachtet, bei der die Schädigung bzw. Zerstörung von städtischem bzw. privatem Eigentum im Vordergrund steht (Kapitel 3.2). Was dagegen die gegen Menschen gerichtete Gewalt angeht, setzt sich in Barcelona und auch in anderen Städten Europas – auch wenn Wingfield das für nördliche und nicht-südländische Orte bestreitet – eine Entwicklung fort, die schon in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hatte und in Barcelona im Untersuchungszeitraum ihre Vollendung findet. Sie besteht darin, dass Schusswaffen besonders in Form von Pistolen sowohl die bereits erwähnten Bomben als auch Stichwaffen als Tötungswerkzeuge ablösen. Diese neue Waffe gewinnt in Barcelona eine derart große Bedeutung, dass sie sogar eine neue Gewaltfigur – den »Pistolero« – hervorgebracht hat. Diese prägt in den Jahren der auslaufenden Restaurationsmonarchie von 1918 bis 1923 nicht nur eine ganze Epoche der Stadtgeschichte Barcelonas, sondern tritt darüber hinaus auch in den Jahren der Zweiten Spanischen Republik wieder verstärkt in Erscheinung. Grund genug, die mit dieser Figur einhergehenden Gewaltformen in einem separaten Unterkapitel zu untersuchen (3.3). An dem Auszug aus dem Bericht Wingfields fällt weiterhin auf, dass dort ein ganz wesentlicher Akteur unerwähnt bleibt, der sowohl aus der Perspektive vieler Zeitgenossen als auch nach Meinung der meisten Historiker erheblich zur Gewaltsamkeit in Barcelona beitrug, nämlich der spanische Zentralstaat. So wäre eine Betrachtung der in Barcelona vorherrschenden Gewaltpraktiken unvollständig, ohne abschließend zu untersuchen, wie der Staat und seine Ordnungsorgane auf die permanente Herausforderung des staatlichen Gewaltmonopols reagierten. Dieser Aspekt scheint auch deswegen besonders interessant, weil Spanien im Untersuchungszeitraum mit der auslaufenden Restaurationsmonarchie Alfons XIII., der Militärdiktatur Primo de Riveras sowie der Zweiten Republik drei gänzlich unterschiedliche Regierungssysteme durchlief, die auch jeweils auf andere Maßnahmen und Ordnungsinstanzen zurückgriffen, um die Gewalträume in Barcelona zu begrenzen und der Gewaltsamkeit Herr zu werden (Kapitel 3.4).
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3.1
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Kampf um den urbanen Raum
In seiner Denkschrift »Die Bakunisten an der Arbeit« über den Aufstand in Spanien im Sommer des Jahres 1873 konstatiert Friedrich Engels, dass die Geschichte Barcelonas »mehr Barrikadenschlachten aufzuweisen hat als irgendeine andere Stadt der Welt«.265 Knapp vier Jahrzehnte danach erklärte ]ngel Ossorio y Gallardo, der während der Tragischen Woche im Juli 1909 als Zivilgouverneur für die öffentliche Ordnung in der Stadt verantwortlich war, warum er den Aufstand nicht hatte verhindert können: »Jemand, der sagt, dass eine Staatsgewalt mit etwas Scharfsinn eine Revolution, die vorbereitet wird, aufdecken könne, der weiß entweder nicht, was er sagt, oder er tut dies, ohne selbst wirklich daran zu glauben. In Barcelona, bereitet man eine Revolution nicht vor aus dem einfachen Grund, weil sie immer kurz bevorsteht.«266 Als wiederum ein gutes Vierteljahrhundert später der englische Literat George Orwell im Zuge des Spanischen Bürgerkrieges nach Barcelona kam, machte er folgende Beobachtung: »Die Straßen Barcelonas sind mit viereckigen Kopfsteinen gepflastert, mit denen man leicht eine Mauer bauen kann. Unter den Pflastersteinen liegt ein grober Kies, der sich gut zum Füllen von Sandsäcken eignet«, um anschließend zu bemerken, dass ein befreundeter italienischer Journalist einmal vorgeschlagen habe, man solle die Pflastersteine in Barcelona nummerieren, denn so könne man sich beim Auf- und Abbau der Barrikaden große Mühen ersparen.267 Im Folgenden sollen allerdings weniger die Materialität des Kampfes um den städtischen Raum im Mittelpunkt stehen, sondern die Gewaltpraktiken, die sich aus diesem Kontext heraus etablierten. Dazu sollen zunächst die einfachsten und auch ursprünglichsten Formen des Straßenprotestes, Massendemonstrationen und Protestmärsche, in den Blick genommen werden (Kapitel 3.1.1). Während diese sowohl zeitlich als auch lokal begrenzt waren und sich im Falle von Barcelona vor allem auf den Ramblas verorten lassen, betrafen die anschließend zu untersuchenden (General-)Streiks und die sich in der Zweiten Republik häufenden Aufstände einen wesentlich größeren Personenkreis und wirkten sich darüber hinaus auf weite Bereiche des städtischen Lebens aus (Kapitel 3.1.2).
265 Vgl. Marx/Engels, Gesammelte Werke, S. 681. 266 Vgl. Ossorio y Gallardo, Barcelona, S. 13f. 267 Vgl. Orwell, Mein Katalonien, S. 167ff.
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3.1.1 Typische Kampfszenarien bei der Besetzung der Ramblas und anderer Orte städtischer Öffentlichkeit Francisco Madrid beschreibt in »Las fflltimas veinticuatro horas de Francisco Layret« (dt.: Die letzten 24 Stunden von Francisco Layret) nicht nur rückblickend das Leben des Anwalts, der viele Mitglieder der CNTvor Gericht verteidigt hatte und die Umstände des Attentats, bei dem er am 30. November 1920 beim Verlassen seines Hauses in der Calle de Balmes getötet wurde, sondern auch dessen Beerdigung: »Aus den rauen Hälsen drang ein Schrei: ›Zu den Ramblas!‹. Nach Meinung der Katalanen brauchten Beerdigungen, Prozessionen und Demonstrationen von Bedeutung den grünen und liebenswürdigen Rahmen ihrer Via Sacra, der Ramblas. ›Zu den Ramblas!‹ hallte es kräftig. Sie setzten sich in Bewegung. Die Polizei ließ ihre Kräfte ausschwärmen. Die Kavallerie stürmte gegen die Volksmenge an und die Hörner ertönten, was bedeutete, dass die Polizei den Befehl hatte, beim kleinsten Anzeichen von Ungehorsam das Feuer auf die Menge zu eröffnen. Die Menge beachtete die Drohung nicht. ›Zu den Ramblas!‹ Und sie nahm den Leichnam wie eine Kriegsfahne und trug ihn die Calle de Balmes hinab. Als sie an die Kreuzung zur Calle de Cortes kam, gab der Anführer der Polizei schließlich den Befehl zum Angriff … und die Pferde der Polizisten fielen über die Arbeiter her … Diese rannten in alle Richtungen davon … . […] Trillerpfeifen, Steinwürfe, Mützen, die bei der Jagd verloren gegangen waren, Eingangstore, die gewaltsam zugeschlagen wurden, um denjenigen, die in den nahegelegenen Häusern Zuflucht suchen wollten, den Zutritt zu verweigern … Und immer noch tönte es ›Zu den Ramblas!‹«268
Dass die Ramblas tatsächlich, wie von Francisco Madrid argumentiert, die wichtigste öffentliche Bühne Barcelonas waren, hat die amerikanische Historikerin Temma Kaplan später sehr anschaulich gezeigt, indem sie die Routen der ihrer Meinung nach bedeutsamsten Prozessionen, Paraden und Demonstrationen in Barcelona zwischen 1808 und 1920 nachzeichnete, die in den meisten Fällen über die Ramblas führten, wie die beiden Schaubilder (Abb. 27 und Abb. 28) erkennen lassen, in denen die Ramblas grau unterlegt wurden, um sie besser sichtbar zu machen.269
268 Madrid, Horas, S. 68f. Für eine ausführlichere Biographie über Francisco Layret siehe Ferrer, L&der. 269 Die beiden Abbildungen sind dem Anhang aus Kaplans Buch »Red City, Blue Period. Social Movemens in Picasso’s Barcelona« entnommen, vgl. Kaplan, Red City, S. 202f. Ergänzend sei hier lediglich erwähnt, dass auch, wie Sala beschreibt, der FC Barcelona 1922 bei der Feier des damals aus katalanischer Meisterschaft und der Copa del Rey bestehenden Doubles den Weg über den PlaÅa de Catalunya über die Ramblas nahm, vgl. Sala, Vida, S. 194. Auch eine Demonstration im Zuge des Mietstreiks zu Beginn der Zweiten Republik führte über die Ramblas, vgl. Aisa P/mpols, Huelga, S. 59.
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Abb. 27: Prozessionen, Paraden und Demonstrationen 1808–1902
Dies begründet Temma Kaplan damit, dass die Ramblas im Zentrum der Stadt liegen und dabei zentrale Treffpunkte wie den großen und viel besuchten Markt »Mercat de la Boqueria«, wo die Hausfrauen täglich ihre Einkäufe verrichteten, das Liceu-Theater, den beliebten Treffpunkt der Oberschicht von Barcelona, und den PlaÅa Reial, wo der Zivilgouverneur seinen Sitz hatte, miteinander verbanden.270 Sie verliefen vom Hafen zum PlaÅa de Catalunya, der, auch wenn dort kein bedeutendes Gebäude stand und er auch sonst keinerlei strategische Bedeutung hatte, das symbolische Zentrum der Stadt darstellte, wo die Straßenbahn- und später auch die Buslinien zusammenliefen und die Neuigkeiten des Tages ausgetauscht wurden.271 Auf beiden Seiten der Ramblas befanden sich die
270 Vgl. Kaplan, Red City, S. 2. Die Geschichte dieser Allee nimmt Vila, Breu histkria in den Blick. 271 Vgl. Kaplan, Red City, S. 3. Die historische Bedeutung dieses Platzes manifestiert sich
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Abb. 28: Prozessionen, Paraden und Demonstrationen 1905–1920
besten Hotels, Restaurants, Caf8s und Theater von Barcelona, doch Anfang des Jahrhunderts begannen die Ramblas, einen Teil ihres ursprünglich exklusiven Glanzes zu verlieren und wurden nach und nach zum Sammelpunkt aller gesellschaftlichen Klassen.272 Wie sich angesichts eines zeitgenössischen Fotos der Ramblas (Abb. 29) unschwer nachempfinden lässt, müssen sie auf die Zeitgenossen einen großen Eindruck gemacht haben, was etwa den katalanischen Schriftsteller DomHnec de Bellmunt dazu veranlasste, in seinem 1930 veröffentlichten Buch »Les Catacumbes de Barcelona« (dt.: Die Katakomben von Barcelona) zu schreiben: »Die Rambla ist einzigartig in Barcelona, vielleicht sogar einzigartig in der Welt. Sie hat eine Dynamik, einen lokalen Anmut, eine Vielfalt an Farben und verschiedenen Aspekten, die einem Reporter eine objektive, detaillierte und fotografische Beschreibung erschweren.«273 zudem darin, dass der im Dienst der Tageszeitung La Vanguardia tätige Stadtchronist Llu&s Permanyer ihm eine ganze »Biografie« gewidmet hat, vgl. Permanyer, Biografia. 272 Vgl. Gabriel, Barcelona obrera, S. 99. 273 Vgl. De Bellmunt, Catacumbes, S. 20.
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Abb. 29: Das rege Treiben auf den Ramblas (1915)
Lediglich Alejandro Lerroux wählte für die Aufmärsche der Anhänger seiner republikanischen Partei die zweite größere, senkrecht vom PlaÅa de Espanya zum Hafen verlaufende Allee, die »Paral·lel«. Der Grund hierfür bestand vermutlich vor allem darin, dass diese etwa durch ihre Flamenco-Aufführungen im Gegensatz zu den Ramblas das spanische Zentrum der Stadt war, was Lerroux entgegenkam, der dem politischen Katalanismus sehr kritisch gegenüberstand. Auch wenn ihm dabei ein gewisser Erfolg beschieden war, der nicht nur viele seiner Zeitgenossen, sondern auch den spanischen Historiker Jos8 ]lvarez Junco, der eine umfangreiche Biographie über Lerroux verfasste, dazu veranlasste, ihn als »Kaiser der Paral·lel« zu bezeichnen, blieb die zweite größere Allee im Zentrum Barcelonas, zumindest in ihrer Bedeutung für öffentliche Kundgebungen im Untersuchungszeitraum deutlich hinter den Ramblas zurück.274 Dies lag zunächst daran, dass die Paral·lel zum einen erst 1894 entstand und erst im folgenden Jahrzehnt an Bedeutung gewann und deshalb eine nicht annähernd so lange Tradition von Kundgebungen aufweisen konnte wie die Ramblas, die darüber hinaus auch noch den Vorteil hatten, dass sie wesentlich zentraler gelegen waren. Außerdem lagen an der Paral·lel zwar zahlreiche Kneipen und Theater, die sie zu einem Mittelpunkt des Nachtlebens machten, aber im Gegensatz zu den Ramblas gab es dort keine wichtigen oder symbol-
274 Vgl. ]lvarez Junco, Emperador. Dass Lerroux nicht nur für seinen Biographen, sondern auch für seine Zeitgenossen der »Kaiser der Paral·lel« war, zeigt etwa Ballerster i Peris, Memkries, S. 23.
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trächtigen Gebäude.275 Auch der fünfzig Meter breiten, von Südwest nach Nordost verlaufenden Hauptachse Barcelonas, der Gran Via de les Corts Catalanes, die immerhin die drei wichtigsten Plätze Barcelonas, den PlaÅa de Espanya, den PlaÅa de la Universitat und den PlaÅa de Catalunya miteinander verband, kam als Auflaufplatz für Massenkundgebungen nicht ansatzweise die Bedeutung der Ramblas zu.276 Versucht man den Straßenprotest nun zunächst allgemein in die Geschichte der modernen politischen Öffentlichkeitsformen einzuordnen, könnte man ihn als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gestalt annehmenden Gegenentwurf zur spätabsolutistischen Repräsentations- und Festkultur der Obrigkeit – beispielsweise in Form von Festzügen anlässlich von Regierungsjubiläen und Königsgeburtstagen – sehen.277 In den folgenden Jahrzehnten etablierte sich nach übereinstimmender Meinung in der Geschichtswissenschaft der Straßenprotest im Repertoire kollektiver Aktionsformen.278 Weil dabei die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen zum Ausdruck kam, müssen diese Massenkundgebungen sowohl auf Akteure als auch auf Beobachter einen großen Eindruck gemacht haben und stellten für die herrschenden Lokalmächte stets eine Herausforderung dar.279 Die Hauptform des sozialen Aufbegehrens bildeten zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst die Nahrungsproteste, die dann später aufgrund der schlechten Versorgungslage während des Ersten Weltkrieges noch einmal verstärkt in Erscheinung traten.280 Dies trifft auch auf Spanien zu, wie Martin Baumeister in seiner ausführlichen Untersuchung der Nahrungsproteste am Beispiel der Kleinstadt Badajoz in der Extremadura gezeigt hat. Dabei identifiziert er als Höhepunkte der Unruhen zum einen das Jahr 1898, in dem es infolge des Verlustes der letzten Kolonien im Krieg gegen die USA zu einer nationalen Destabilisierung kam und zum anderen – bedingt durch die zunehmende Inflation – die Jahre des Ersten Weltkrieges.281 Darüber hinaus kommt er zu dem Ergebnis, dass das Handlungsrepertoire 275 Zur Bedeutung der Paral·lel vgl. Kaplan, Red City, S. 3, Abellj/Termes, Conflictivitat, S. 143 und Gabriel, Barcelona obrera, S. 100f. 276 Vgl. Hall, Planung, S. 142. Die Bedeutung dieser drei Plätze betont de Torres i Capell, L’estructura, S. 61. 277 Vgl. Kaschuba, Rotte, S. 69f. 278 Vgl. Robert, Metamorphosen, S. 49. 279 Vgl. Pigenet, Räume, S. 39. 280 Vgl. Gailus/Volkmann, Nahrungsmangel, S. 13ff. In einem aktuellen Überblick über die Teuerungsunruhen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestätigt Heinz-Gerhard Haupt die These, dass diese nicht, wie lange Zeit von der historischen Protestforschung angenommen, Mitte des 19. Jahrhunderts zu Ende gingen, sondern durch die verschlechterte Versorgungslage während des Ersten Weltkriegs noch einmal neuen Auftrieb erhielten, vgl. Haupt, Gewalt in Teuerungsunruhen. 281 Vgl. Baumeister, Am Rande, S. 80f.
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der Protestierenden eng begrenzt war und neben dem Versuch, die Einfuhr von Getreide zu verhindern, in Demonstrationszügen bestand, die sich mit der Forderung nach Herabsetzung des Brotpreises und der Sicherstellung der örtlichen Versorgung an die Behörden wandten. Dabei spielte Gewalt nur eine sehr untergeordnete Rolle und trat, wenn überhaupt, dann nur sporadisch in Gestalt von Plünderungen von Bäckereien oder Angriffen auf die Steuerhäuschen und gelegentlichen Steinwürfen auf das Rathaus oder die Ordnungskräfte in Erscheinung.282 Ähnlich wie in anderen europäischen Städten knüpfte der Straßenprotest in Barcelona an eine lange Fest- und Umzugstradition an, die in dieser Stadt seit jeher ein Gemeinschaftsgefühl vor allem bei den ärmeren Bevölkerungsschichten erzeugte, da sich Adel und gehobene Gesellschaftsschichten diesen Feierlichkeiten meist fernhielten.283 Bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehörten die Straßenumzüge – besonders in Form von religiösen Prozessionen – zum festen Bestandteil des öffentlichen Lebens der Bevölkerung Barcelonas, die größtenteils weder lesen noch schreiben konnte.284 Die Entwicklung von bürgerlichen Ritualen zu einer neuen Form von Widerstand beginnt Temma Kaplans Argumentation zufolge um die Jahrhundertwende, wobei sie vor allem zwei Ereignisse besonders hervorhebt. Dies ist zum einen die erste Maifeier in Barcelona 1890, die zunächst in einem friedlichen Marsch von etwa 25 000 Menschen vom Tivoli Theater am PlaÅa de Catalunya über die Ramblas zum Sitz des Zivilgouverneurs bestand, um diesem die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag zu übermitteln. Allerdings boykottierten die militanten Anarchisten diese friedliche Demonstration, wählten stattdessen einen anderen Weg, der vom PlaÅa de Tetuan ebenfalls zu den Ramblas verlief, wo sie ihren Forderungen nach einem Generalstreik Ausdruck verliehen, was zu einem Konflikt mit der Guardia Civil führte.285 Fünfzehn Jahre später war es ein gänzlich anderer Anlass, der die Menge auf die Straße trieb.286 Unter den Opfern der Explosion eines Sprengsatzes in der Nähe der Ramblas am 3. September 1905 befanden sich auch zwei junge Frauen. Der Trauerzug begann in der Calle de Hospital, bog von dort in die Ramblas ein und setze sich dann in Richtung des neuen Friedhofs fort. Der Marsch wurde neben den Familienangehörigen der beiden Opfer vom Zivilgouverneur und
282 283 284 285 286
Vgl. Baumeister, Am Rande, S. 68. Vgl. Amelang, Public Ceremonies, S. 21ff. Vgl. Kaplan, Red City, S. 13f. Vgl. Kaplan, Civic Rituals, S. 175ff. In ihrem späteren Werk Red City, S. 83, führt Kaplan aus, dass es bereits 1896 als Folge des Attentats auf die Fronleichnams-Prozession, zu einem vergleichbaren Trauermarsch gekommen war.
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anderen hohen Funktionären angeführt.287 Im folgenden Jahrzehnt waren es dann Nahrungsproteste, die wie in dem von Baumeister untersuchten Badajoz und anderen Städten Spaniens im Verlauf des Ersten Weltkriegs ihren Höhepunkt hatten.288 In Barcelona erreichten die Nahrungsproteste im Januar 1918 ihr größtes Ausmaß, als sich insgesamt mehr als 12 000 Frauen in der Innenstadt versammelten, zum Sitz des Stadtparlaments zogen und dort einen festen Brotpreis forderten.289 Im Untersuchungszeitraum spielten Nahrungsproteste als Form des Straßenprotestes aber keine Rolle mehr. Stattdessen waren es zunächst die Proteste der Katalanisten, die ihre Forderungen nach einem eigenen Staat im Zuge der Neugestaltung Europas unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg auf der Straße zum Ausdruck brachten. Bedingt durch die Vielzahl von Opfern erlangten danach in der Zeit des Pistolerismo, die bereits erwähnten Trauermärsche eine größere Bedeutung, während es in der Zweiten Spanischen Republik vor allem die in den Medien als »Los sin trabajo« (dt.: Die ohne Arbeit) bezeichneten Arbeitslosen waren, die sich auf diese Weise öffentlich Gehör verschaffen wollten.290 Im Zentrum dieses Unterkapitels stehen aber vor allem die Demonstrationen der Katalanisten in den ersten Monaten nach dem ersten Weltkrieg, die im Gegensatz zu den beiden anderen genannten Anlässen für Massendemonstrationen in Barcelona während der Zwischenkriegszeit insgesamt wesentlich gewaltsamer waren, wovon die folgende zeitgenössische Schilderung einen beispielhaften Eindruck vermittelt: »Wie zu erwarten war, wiederholten sich gestern Abend auf den Ramblas und auf dem PlaÅa de Catalunya die Demonstrationen vom Vortag. Um 20 Uhr boten die Ramblas einen imposanten Anblick. Eine große Menschenmenge drängte sich auf dieser zentralen Allee und machte von ihrem absolut legitimen Recht Gebrauch, die Unabhängigkeit Kataloniens zu fordern. Die Polizei, die zur selben Zeit schon den PlaÅa de Catalunya, die Ramblas sowie die anliegenden Straßen militärisch besetzt hatte, ging mit gezücktem Säbel gegen die Demonstration vor und löste sie auf. Die Aktion der Polizei war so unerwartet wie brutal. […] Insgesamt wurden neun Personen vorübergehend festgenommen, während die zahlreichen Verletzten in den umliegenden Apotheken versorgt wurden.« 287 Vgl. Kaplan, Civic Rituals, S. 181. 288 So wurden z. B. dabei etwa in Malaga zwei Frauen von der Kavallerie getötet. Zu den Nahrungsprotesten in Spanien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts siehe Radcliff, Women’s Politics. 289 Siehe dazu den zeitgenössischen Bericht von Solidaridad Obrera, vom 15. Januar 1918, S. 1. Eine ausführlichere Darstellung der Ereignisse findet sich bei Smith, Anarchism, S. 266. 290 Dass Trauermärsche in Barcelona bis in den Bürgerkrieg hinein eine große Bedeutung hatten, beobachtete Orwell bei seiner Ankunft in Barcelona im April 1937, siehe Orwell, Mein Katalonien, S. 150.
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Dieser Bericht aus El Diluvio vom 14. Dezember 1918, der in auffälliger Weise der Beschreibung Francisco Madrids über die Ausschreitungen im Zuge der Beerdigung von Francisco Layret knapp zwei Jahre später gleicht, wobei in diesem Fall sogar von mehreren Verletzten die Rede ist, zeigt die Intensität, mit der in den ersten Nachkriegsmonaten um die Ramblas gekämpft wurde.291 Derartige Auseinandersetzungen waren typisch für diese Zeit und standen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kriegsende. Dieses hatte dazu geführt, dass, wie etwa der Zeitgenosse Rafael Tasis später berichtete, die Menschen in Barcelona am 11. November auf die Straßen geströmt waren, um den Sieg der Alliierten zu feiern.292 Sie verbanden die nun anstehende Neuordnung Europas mit der Hoffnung, dass jetzt auch Katalonien, wie verschiedene andere Regionen, ein eigener Staat werden würde. Ein entsprechender Antrag der Mancomunitat, des katalanischen Parlaments, wurde dann aber am 12. Dezember 1918 von der Regierung in Madrid abgelehnt und auch die erhoffte Intervention der Alliierten blieb aus. Die meisten der katalanischen Abgeordneten verließen nach der Ablehnung ihres Antrags aus Protest das spanische Parlament und die anfängliche Euphorie schlug in Katalonien schnell in Frustration um.293 Während junge Katalanisten schon im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts durch Straßenproteste gegen die von Alejandro Lerroux angeführten Republikaner in Erscheinung getreten waren, kam es dann in der Endphase des Krieges im Zusammenhang mit dem aufkeimenden Katalanismus vermehrt zu kleineren, aber zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei.294 Doch erst nachdem die politischen Mittel mit dem Austritt der katalanischen Abgeordneten aus dem spanischen Parlament offensichtlich ausgeschöpft waren, wurden die politischen Forderungen zunehmend in größerem Rahmen auf den Straßen erhoben. Noch 20 Jahre zuvor hatten sich Ende April 1898 in Anbetracht des sich bereits andeutenden Kriegs mit den USA jeden Abend vom 20. bis zum 25. April Tausende von Menschen auf den Ramblas versammelt und dabei mit Rufen wie 291 Vgl. El Diluvio, 14. 12. 1918, S. 9. Einen ähnlichen Vorfall beschreibt etwa der Historiker Josep Benet in seiner Biographie über DomHnec Latorre, der in jener Zeit zusammen mit anderen Jugendlichen an einer dieser Demonstrationen teilnahm und anschließend festgenommen wurde, nachdem die Polizei, ähnlich wie im hier beschriebenen Fall, die Menge gewaltsam auseinandergetrieben hatte, vgl. Benet, DomHnec Latorre, S. 21f. 292 Vgl. Tasis, Barcelona, S. 457f. 293 Für eine zeitgenössische Darstellung aus Sicht eines Katalanisten vgl. Poblet, Moviment. Eine distanzierte und neutralere Sicht auf die Ereignisse bieten Nagel, Arbeiterschaft, bes. S. 428 und Smith, Counter-revolutionary Coalition, S. 13. 294 Für die Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Katalanisten zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 388. Ein Beispiel für einen Zusammenstoß zwischen Katalanisten und der Polizei in den letzten Monaten vor Kriegsende beschreiben Balcells/Pujol/Sabater, Mancomunitat, S. 102.
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»Lang lebe Spanien« und »Nieder mit den Yankee-Schweinen« ihren spanischen Patriotismus zum Ausdruck gebracht.295 Während dies ganz im Sinne des zu dieser Zeit herrschenden Regimes war, kam es im Zuge der Tragischen Woche Ende Juli 1909 auf den Ramblas mehrfach zu Menschenansammlungen unterschiedlicher Zusammensetzung. Diese forderten ein Ende des Krieges in Marokko. Dabei kam es zum ersten Mal zu blutigen Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften.296 Nachdem die Forderungen nach Autonomie vom spanischen Parlament abgelehnt worden waren, zogen dann Ende 1918, regelmäßig an den Werktagen ab 20 Uhr Katalanisten durch die Ramblas und skandierten ihre Unabhängigkeitsparolen.297 Vergleichbar mit den vom Dirk Schumann untersuchten Protesten im Vorfeld zur Wahl der Nationalversammlung in Deutschland während der Weimarer Republik und den von Reichardt analysierten Straßenumzügen deutscher und italienischer Faschisten gab es auch bei den Protestmärschen der Katalanisten in Barcelona ein festes Repertoire an Liedern und Symbolen, die zur Provokation der Gegenseite genutzt wurden.298 Dies war zum einen die »Senyera«, die waagerecht rot-gelb gestreifte katalanische Flagge, die sich seit den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als Symbol des militanten Katalanismus etabliert hatte und während den ersten Jahren des folgenden Jahrhunderts immer mehr zu einem Sinnbild nationaler Identität und auch des Kampfes geworden war.299 Zum anderen provozierten die Katalanisten häufig durch das Singen des Liedes »Els Segadors« (dt.: Die Schnitter). Dieses Lied, das an einen katalanischen Aufstand gegen die spanische Monarchie im Jahr 1640 erinnert, war Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Art inoffizieller Nationalhymne Kataloniens geworden. Von den Gegnern des katalanischen Nationalismus wurde es häufig als »Lied des Hasses« gebrandmarkt, weil es angeblich aktiv zur Gewalt auffordern würde.300 Als Reaktion darauf bildeten sich anti-katalanistische Gegendemonstratio295 Vgl. Smith, Origins, S. 211. 296 Zwei solcher Vorfälle beschreibt Connelly Ullman in ihrer ausführlichen Studie zur Tragischen Woche. Während es beim ersten Vorfall lediglich zu einigen Festnahmen kam, eröffneten die Polizisten beim zweiten Mal das Feuer auf die Menge, was drei Tote zur Folge hatte, vgl. Connelly Ullman, Tragic Week, S. 142 bzw. S. 182. 297 Vgl. Ucelay da Cal, Diputacij, S. 98. 298 Vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik, S. 51 sowie Reichardt, Faschistische Kampfbünde , S. 114ff. 299 Zur Bedeutung der katalanische Senyera vgl. Alberti, Bandera, bes. S. 133 und S. 160 sowie Anguerra i Nolla, Quatre Barres, bes. S. 47. 300 So zogen am 23. Dezember 1918 nach einer Massenkundgebung in einem Theater etwa 100 Personen mit katalanischen Flaggen und »Els Segadors« singend über die Ramblas, vgl. El Diluvio, 24.12. 1918, S. 10. Einige Wochen später, am 13. Januar 1919, berichtete dieselbe Zeitung über einen ganz ähnlichen Vorfall. Anguera, Segadors, S. 53. Konkret zur Rolle des Liedes bei den Ausschreitungen auf den Ramblas siehe Grafl, Erinnerte Gewalt.
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nen, die am 12. Januar 1919 in die Gründung der Liga Patrijtica (dt.: Patriotische Liga) mündeten. Ihre etwa 4000 Mitglieder waren meist junge Migranten aus den ländlichen Gegenden Kataloniens, die dem gewalttätigen, militaristischen Karlismus nahestanden.301 Diese waren nun zunehmend auch in die Zusammenstöße zwischen den Katalanisten und der Polizei involviert, die in den letzten Monaten des Jahres 1918 regelmäßig stattfanden und besonders im Januar 1919 immer gewaltsamer wurden.302 Nachdem es drei Monate lang regelmäßig zu Ausschreitungen gekommen war, erreichten diese in der zweiten Januarhälfte 1919 ihren Höhepunkt.303 Gegen die Darstellung von Balcells, Pujol und Sabater, nach denen die Gewalt hierbei nur von der Polizei und den spanischen Patrioten ausgegangen sein soll, die dort als eine Art Hilfspolizei beschrieben werden, spricht die Aussage eines jungen Katalanisten, derzufolge die Anwendung von Gewalt ein neues Phänomen innerhalb des politischen Katalanismus in der Zwischenkriegszeit gewesen sein soll.304 Die Eskalation der Gewalt führte in ganz Spanien zu Protesten, wodurch die Regierung stark unter Druck geriet und schließlich am 28. Januar katalanistische Symbole verbot.305 Schließlich wurde diese Form des Protestes, wie im folgenden Unterkapitel noch genauer ausgeführt wird, durch den Canadenca-Streik völlig in den Hintergrund gedrängt und auch die Liga Patrijtica löste sich bald darauf wieder auf.306 Bedingt durch die vielen Opfer des Pistolerismo gaben dann ab dem Jahr 1920 zunächst Trauermärsche regelmäßig Anlass zum Gang auf die Straße.307 Diese
301 Vgl. Smith, Catalan Counter-revolutionary Coalition, S. 13f. 302 Dazu trugen unter anderem die im Januar 1919 stattfindenden Aufführungen der Komödie »Fuerzas inffltiles« (dt.: Unnütze Kräfte) mit der Sängerin Mary Focela bei, die von der Liga Patrijtica zu einem Symbol des spanischen Nationalismus erhoben worden war, vgl. Balcells/Pujol/Sabater, Mancomunitat, S. 153. Außerdem fielen am 15. Januar mehrere Schüsse im Teatro de Novedades, weil bei einer Tanzveranstaltung der traditionelle katalanische Tanz Sardana getanzt wurde, was dazu führte, dass eine Gruppe von 80 spanischen Nationalisten versuchte, ins Theater einzudringen. Bei dieser Schießerei gab es mehrere Verletzte, wie aus den Berichten in El Diluvio, 16. 1. 1919, S. 444 und El Noticiero Universal, 18. 1. 1919, S. 4 hervorgeht. 303 So wurden am 19. Januar zwei junge Katalanisten ermordet, worauf es an den folgenden Tagen zu mehreren schweren Zusammenstößen mit Verletzten kam, vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 437. Über den Tod eines der beiden Katalanisten berichtete El Noticiero Universal, 20. 1. 1919, S. 5. 304 Vgl. Balcells/Pujol/Sabater, Mancomunitat, S. 159 bzw. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 344, der sich auf die Memoiren von Abelard Tona bezieht. 305 Ein sehr detaillierter Überblick über die Ereignisse findet sich bei Gonz#lez Calleja, M#user, S. 346ff. 306 Vgl. Balcells/Pujol/Sabater, Mancomunitat, S. 159. 307 Zu einem ersten größeren Protestmarsch kam es als Folge des Attentatsversuchs auf den Präsidenten des Arbeitgeberverbandes FHlix Graupera am 5. Januar 1920, bei dem ein mit dem Begleitschutz von Graupera beauftragter Polizist getötet worden war, vgl. etwa den Bericht in der Morgenausgabe von La Publicidad, 7. 1. 1920, S. 1 sowie Romero Salvadj,
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boten, wie das Eingangszitat Francisco Madrids bereits erahnen läßt, vermutlich oftmals einen ebenso imposanten Anblick wie die zuvor beschriebenen Protestmärsche der Katalanisten. Für Temma Kaplan stellten die Trauermärsche in Barcelona vor allem den Versuch dar, die öffentliche Ordnung in der Stadt wieder herzustellen, die durch das vorangegangene Attentat anscheinend zeitweise aus den Fugen geraten war.308 Der deutsche Historiker Alf Lüdtke, der die Trauermärsche im Deutschen Kaiserreich untersucht hat, sieht in ihnen zwei Funktionen, zum einen den öffentlichen Ausdruck der Gemeinsamkeit und Bekräftigung dessen, wofür der Tote gestanden hat und zum anderen den Versuch, durch die Gemeinsamkeit den Schock und Schrecken des Todes für sich selbst erträglich zu machen. Aufgrund ihres besonderen Anlasses boten sie den politischen Gegnern sowie der Polizei im Vergleich zu anderen Aufmärschen weniger Anlass, gewaltsam einzugreifen.309 Auch in Barcelona blieben Trauermärsche, von dem eingangs beschriebenen Fall abgesehen, im Vergleich zu den zuvor geschilderten Manifestationen der Katalanisten relativ friedlich. Temma Kaplan hat am Beispiel der Beerdigung des im März 1923 zusammen mit seinem Kollegen Francisco Comas ermordeten Arbeiterführers Salvador Segui gezeigt, wie die Arbeiterklasse diesen Anlass nutzte, um ihre Opposition gegen den Staat zum Ausdruck zu bringen. Obwohl die Polizei die Leiche von Segui heimlich vom Leichenschauhaus zum neuen Friedhof gebracht hatte, wo er in Abwesenheit seiner Familie bestattet wurde, versammelte sich eine große Menschenmenge auf dem PlaÅa de Catalunya, um gegen die Ermordung Seguis zu demonstrieren. Ein solches Begräbnis mit Trauerzug, wie es die Polizei im Falle von Segui gerade noch vereiteln konnte, erhielt wenige Tage danach Francisco Comas, der inzwischen ebenfalls seinen Verletzungen erlegen war. 20 000 Menschen versammelten sich auf den Straßen, um der Prozession beizuwohnen, die sich über den PlaÅa de Espanya bis zum Friedhof in Sants bewegte.310 Zwar gab es auch zur Zeit der Zweiten Republik weiterhin Begräbnisse, die groß inszeniert wurden, doch waren es nun vor allem die Proteste der Erwerbslosen, die das öffentliche Leben bestimmten.311 Diese traten verstärkt zum ersten Mal in den unmittelbaren Tagen nach Verkündung der Republik und
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Dirty War, S. 184f. Eine vergleichbare Reaktion rief der Bombenanschlag auf das Variet8 »Pompeya« im September desselben Jahres hervor, vgl. Kaplan, Civic Rituals, S. 182. Vgl. Kaplan, Red City, S. 34. Vgl. Lüdtke, Trauerritual, S. 130. Vgl. Kaplan, Civic Rituals, S. 181ff. Ein Beispiel hierfür ist das Begräbnis des Juweliers Gonzalez, der bei einem Überfall auf sein Geschäft von Straßenräubern getötet wurde. Dessen Begräbnis beschreibt der Jahresbericht des FTN von 1933, S. 7f.
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damit etwa zur gleichen Zeit wie in Deutschland in Erscheinung.312 Die Zahl der Erwerbslosen hatte sich mit dem Ende der ambitionierten Bauprojekte von Primo de Riveras und dem Ende der Weltausstellung zunächst besonders im Baugewerbe gravierend erhöht.313 Die einzige Möglichkeit der Arbeitslosen, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen, bestand im Gang auf die Straße. Sie versammelten sich dazu regelmäßig am Plaza de la Repfflblica im Stadtzentrum, wo die Generalitat und das Rathaus ihren Sitz hatten. Am 31. April kam es dabei zum ersten Mal zu Ausschreitungen, als die Demonstranten zunächst einige der nahegelegenen Geschäfte plünderten und dann zu den Ramblas weiterzogen, wo sie im Boqueria-Markt ebenfalls Lebensmittel gestohlen haben sollen. Ähnliche Vorfälle wiederholten sich in den folgenden Monaten, wobei die Polizei mehr und mehr bestrebt war, die Arbeitslosen von der Besetzung des öffentlichen Raums abzuhalten.314 Insgesamt war der Anteil der in diesem Unterkapitel beschriebenen Straßenproteste an der Gewaltsamkeit Barcelonas aber äußerst marginal, was neben ihrer eingangs bereits betonten lokalen und zeitlichen Beschränktheit vor allem daran lag, dass sie – wie die hier näher betrachteten Beispiele gezeigt haben – insgesamt nicht sehr gewaltsam waren und abgesehen von einigen Schießereien zwischen Katalanisten und ihren Gegnern sowie einigen Plünderungen von Geschäften durch Arbeitslose im Zuge ihrer Demonstrationen, im Gegensatz etwa zu den Zusammenstößen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten in Berlin, relativ friedlich blieben. Von einem »Kampf um die Straße«, wie zum Beispiel in Berlin während der Zwischenkriegszeit, kann also in Barcelona keine Rede sein. So ist der Ursprung der hohen Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit nicht so sehr in den Straßenprotesten, sondern vor allem in den Arbeitskämpfen und Streiks zu suchen, die im folgenden Unterkapitel untersucht werden und als typisch urbane Konflikte eine ähnlich lange Tradition aufweisen wie die gerade beschriebenen Protestmärsche.315
312 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 102. In seiner Untersuchung zur Gewalt in der Weimarer Republik datiert Schumann deren Beginn auf Anfang März 1930 auf Initiative der KPD, vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik, S. 302f. 313 So stieg die Zahl der Arbeitslosen laut Nick Rider im Bausektor von 2,2 % zu Beginn des Jahres 1929 innerhalb von zwei Jahren auf 11,4 %, vgl. Rider, New City, S. 75. 314 Für eine umfassende Darstellung der Arbeitslosen-Proteste in der Anfangszeit der Zweiten Republik in Barcelona, vgl. Ealham, Anarchism S. 107ff. Für einen zeitgenössischen Bericht siehe Las Noticias 27. 6. 1931, S. 3 sowie 25. 8. 1932, S. 2 und S. 4. Allerdings wäre es falsch, die von den Arbeitslosen ausgehende Gewalt auf die Auseinandersetzungen mit der Polizei zu beschränken. So kam es etwa am 13. Juli 1931 zu einer Messerstechereien in einer Einrichtung für Arbeitslose, bei der ein Insasse und ein Angestellter verletzt wurden, vgl. El Noticiero Universal, 14. 7. 1931, S. 10. 315 So führt Martin Scheutz aus, dass sich beispielsweise allein für das Heilige Römische Reich im 18. Jahrhundert 541 Streiks nachweisen lassen, bei denen die Hauptakteure Schuhma-
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3.1.2 Gewalträume während der (General-)Streiks und ihre Bedeutung für die Entwicklung der spezifischen Gewaltpraktiken Dass Streiks in Barcelona im Untersuchungszeitraum den städtischen Alltag in einer wesentlich umfassenderen Art und Weise beeinträchtigten als die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Auseinandersetzungen auf den Straßen, machen etwa die Erinnerungen des Industriellen Pedro Gual Villalb& an den Canadenca-Streik deutlich, der im Februar 1919 ausbrach und die bis dahin vorherrschenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen spanischen und katalanischen Nationalisten augenblicklich in den Hintergrund drängte: »Die Stadt lag völlig im Dunkeln, und die Straßen waren so gut wie verlassen. Von meiner Wohnung aus ging ich über die Calle de Launa, den PlaÅa d’Urquinaona und die Calle de Fontanella zum PlaÅa de Catalunya. Mich überraschte vollkommen die Stille der Straßen, auf denen man kaum einen Passanten traf. Nur dann und wann vermutete man die Silhouette eines Mannes erkennen zu können, der wie ein Schatten eiligst an den Wänden der Häuser entlang zu gleiten schien. Waren das Polizisten? Waren es welche von der Gewerkschaft, die damit beschäftigt waren, quer durch die Stadt ihre Befehle zu erteilen? Waren es womöglich einfach nur Neugierige so wie ich, die erschreckt von dem beunruhigenden Anblick der öffentlichen Wege sich beeilten, möglichst schnell nach Hause zurückzukehren? Ich weiß es nicht. Es war so, dass ich weder einen Polizisten, einen Soldaten oder irgendjemand anderen in Uniform gesehen hätte, der mich hätte beruhigen und mir das Gefühl hätte geben können, dass die Stadt bewacht sei. Ich wollte zu den Ramblas gelangen, aber als ich mich am Eingang der Avenida Fivaller befand und den großen PlaÅa de Catalunya und die Ansätze des Passeig de Gr/cia betrachtete, so verlassen und dunkel mit einem Aspekt der Verlassenheit, wie ich ihn selbst in den spätesten Stunden der Nacht und den rauesten Wintertagen in Barcelona noch nie gesehen hatte, fühlte ich mich von einem Gefühl solcher Angst und Unruhe überwältigt, dass ich bei jedem Schritt erwartete, irgendeine Detonation zu hören, die der Auftakt zu einem Kampf wäre, der in den Schatten stattfand. Ich drehte mich um und kehrte fluchtartig nach Hause zurück, wobei ich mich ebenfalls an die Wände drückte, um so wenig sichtbar wie möglich zu sein, trotz jener vorherrschenden Dunkelheit. So begann jener kolossale Streik, der sich so sehr von den vorherigen unterschied, in dem die Taktik der Gewerkschaft wie ein äußerst kompliziertes Rätsel war, zu dem niemand eine angemessene Lösung geben konnte.«316
Das Gefühl Gual Villalbis und vieler seiner Zeitgenossen, mit dem am 5. Februar 1919 beginnendem Streik im Elektrizitätswerk La Canadenca den Anbruch einer neuen Epoche der Arbeitskämpfe in Barcelona erlebt zu haben, resultierte aus cher, Schneider, Schlosser und Schreiner waren und somit dem »armen« Handwerk entstammten, vgl. Scheutz, Stadt, S. 32. 316 Gual Villalb&, Memorias, S. 162f. Dass Gual Villalb& nicht der einzige Zeitzeuge war, auf den dieser Streik einen bleibenden Eindruck machte, zeigen etwa die Erinnerungen von Pere Coromines, der darüber in ganz ähnlicher Weise berichtet hat, vgl. Coromines, Cartes, S. 218f.
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der Bedeutung, die dieses Unternehmen für die Stadt zu jener Zeit hatte. Diese manifestierte sich zunächst symbolisch durch seine drei Türme, die das Stadtbild nachhaltig prägten.317 Darüber hinaus war dieses Elektrizitätswerk deshalb für Barcelona praktisch unverzichtbar, weil es etwa 60 % des benötigten Stroms lieferte und die Stadt, die in den vorangegangenen Jahrzehnten eine zunehmende Elektrifizierung erfahren hatte, nun sehr stark abhängig von diesem Unternehmen war.318 So brach als Folge des Streiks bald darauf die Stromversorgung Barcelonas völlig zusammen, Straßenbahnen standen still und konnten nicht mehr in das Depot zurückkehren.319 Weiterhin wurde hier zum ersten Mal in vollem Umfang deutlich, wie groß die Macht der immer mehr in Gewerkschaften organisierten Arbeiter war, denen es nun offensichtlich möglich war, große Teile der Industrie und des öffentlichen Lebens lahmzulegen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.320 Insgesamt sollen etwa 100 000 Arbeiter an diesem Streik beteiligt gewesen sein, die sich auch nicht davon einschüchtern ließen, dass teilweise Arbeiter, die sich weigerten, die Arbeit wieder aufzunehmen, auf dem Montju"c inhaftiert wurden. So endete der Streik schließlich nach 44 Tagen mit einem Sieg für die Gewerkschaft, der zur Folge hatte, dass die zuvor entlassenen Arbeiter wieder eingestellt und ihrer Forderung nach einer Erhöhung der Löhne und der Einführung des 8-Stunden-Tages zunächst nachgegeben wurde.321 Auch wenn der Canadenca-Streik in seiner Dimension im Untersuchungszeitraum einzigartig bleiben sollte, lässt die durch das Diagramm (Abb. 30) veranschaulichte Anzahl erahnen, dass die Streiks in den vorangegangenen Jahren bereits deutlich angestiegen waren und zu Beginn des Untersuchungszeitraums in Barcelona ein konstantes Phänomen darstellten.322
317 Zur symbolischen Bedeutung der drei Schornsteine, vgl. Calvo, Frank Pearson, S. 58. Diese werden bereits von Juli Vallmitjana in La Xava beschrieben, vgl. Vallmitjana, Xava, S. 76. Auch der bereits im Kapitel 2 zitierte Sebasti/ Gasch war von diesem Bauwerk beeindruckt, vgl. Davidson, Jazz, S. 75. 318 Die Bedeutung dieses Unternehmens für Barcelona beschreibt Sundri/, L’electrificacik, bes. S. 43ff. Die Elektrifizierung der Stadt wird in Arroyo Huguet, Alumbrado und Calvo, Electrificacijn dargestellt. 319 Zur Elektrifizierung des innerstädtischen Transportsystems von Barcelona, vgl. Armengol Ferrer, L’experiHncia. 320 Vgl. Smith, Anarchism, S. 246. Joaquim Maluquer schreibt in seiner Autobiographie, dass dies die »erste und gewaltigste Demonstration der Macht des Syndikalismus gewesen sei, der nie wieder eine solche Kraft entfaltet habe«, vgl. ders., AÇos, S. 58. 321 Für einen umfangreichen Bericht über den Streik vgl. Balcells, Sindicalisme, S. 78ff. 322 Diese Wahrnehmung entspricht auch der der Bürger Barcelonas. So spricht Reg/s i ArdHvol rückblickend von dieser Zeit als einer chaotischen Situation, in der ein Konflikt dem anderen folgte, vgl. ders. Generacij, S. 89f.
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Abb. 30: Anzahl der Streiks in Barcelona
Während der Militärdiktatur Primo de Riveras ließen die Streiks in Barcelona sowohl hinsichtlich ihrer Anzahl als auch ihres Ausmaßes deutlich nach.323 Der Streikstatistik des spanischen Arbeitsministeriums zufolge soll es zwischen 1924 und 1926 insgesamt zu 442 Streiks gekommen sein, von denen sich jedoch nur 27 in Barcelona ereigneten, was vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Sindicatos 5nicos verboten wurden.324 Nachdem bereits 1927 die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft Barcelonas wieder wuchs, entstand aus dem Protest gegen die Ausdehnung der Einkommenssteuerpflicht auf Arbeiter Anfang Februar 1928 ein Streik, der zwar auf Barcelona beschränkt blieb, aber annähernd zwei Drittel der Arbeiterschaft umfasst haben soll.325 Allerdings konnte dieser Streik durch die repressiven Maßnahmen des Staates in Grenzen gehalten werden.326 Doch schon in der Übergangsphase von der Diktatur Primo de Riveras zur Zweiten Republik gab es im November 1930 in Barcelona einen von der wiedererstarkten Gewerkschaft Sindicatos 5nicos organisierten Generalstreik.327 Während es sich hierbei noch um eine räumlich und zeitlich begrenzte Aktion 323 Da sich aufgrund der starken Zensur der Presse während der Diktatur Primo de Riveras nur sehr wenige Berichte über Streiks finden lassen, werden hier als Hauptquelle die Berichte des deutschen Generalkonsulats in Barcelona herangezogen, die allerdings vermutlich auch nur ein unvollständiges Bild geben. 324 Vgl. den Bericht des deutschen Generalkonsulats in Barcelona an das Auswärtige Amt in Berlin vom 28. 4. 1928 (PA AA R 71985). 325 Für einen Bericht zur Lage der Arbeiterschaft Barcelonas im Jahr 1927 siehe den Bericht des deutschen Generalkonsulats in Barcelona an das Auswärtige Amt in Berlin vom 27. Juli 1927 (PA AA R 71984). 326 Über den Streik in Barcelona im Februar 1928 berichtete das deutsche Generalkonsulat in Barcelona an das Auswärtige Amt Berlin am 4. und 7. Februar 1928 (PA AA R 71985). 327 Vgl. den Bericht des deutschen Generalkonsulats in Barcelona an das Auswärtige Amt Berlin vom 29. 11. 1930 zum Generalstreik in Barcelona (PA AA R 71985).
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handelte, nahmen die Konflikte zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Barcelona bereits wenige Monate nach Beginn der Zweiten Republik wieder stark zu und erreichten im August mit insgesamt 41 Streiks ihren Höhepunkt.328 Chris Ealham erklärt dies zum einen damit, dass die Arbeiter nun Forderungen stellten, die während der Jahre der Diktatur unterdrückt worden waren, zum anderen waren es die hohen Erwartungen an die neu entstandene Republik, die sich für die Arbeiter nicht zu erfüllen schienen.329 Wie die Statistik zeigt, stieg vor allem die Anzahl der streikenden Arbeiter sowohl in Gesamtspanien als auch in Barcelona bis zum Jahr 1933 deutlich an. Zwar gab es, wie den beiden Diagrammen zu den Streiks (Abb. 31 und Abb. 32) zu entnehmen ist, in diesem Jahr weniger Streiks in Barcelona als zwei Jahre zuvor, jedoch war die Anzahl der Streikenden insgesamt deutlich höher und wirkte sich wesentlich stärker auf den städtischen Alltag aus, was sich auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen widerspiegelte.330
Abb. 31: Anzahl der Streiks (1929–1933)
Abb. 32: Streikende Arbeiter (1929–1933)
Nach dem Sieg der Rechten bei den Parlamentswahlen 1934 waren die Voraussetzungen für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter bedeutend schlechter, da die Arbeitgeber nun verstärkt auf Rückhalt in der Regierung hoffen konnten. Die hier nur kurz skizzierte Streikgeschichte Barcelonas während der Zwischenkriegszeit macht deutlich, dass es den Rahmen dieser Arbeit deutlich sprengen würde, die Streiks im Einzelnen genauer zu untersuchen. Stattdessen soll im weiteren Verlauf dieses Kapitels gezeigt werden, dass der Großteil an 328 Ein weiterer Konflikt war der von Rider ausführlich untersuchte Mietstreik, der am 4. Mai 1931 seinen Anfang nahm, als eine Gruppe von Arbeitern eine Familie, die aus ihrem Haus im Süden von Barcelona hinausgeworfen worden war, wieder dorthin zurückbrachte. Im August desselben Jahres soll er bis zu 100 000 Personen betroffen haben, siehe Rider, Rent Strike. 329 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 91f. Für eine zeitgenössische Darstellung der Ereignisse siehe Madrid, Ocho meses, S. 177. 330 Ein Beispiel hierfür ist Ballester i Peris, der sich an das Jahr 1933 zurückerinnernd anmerkt, es habe jeden Tag mehr Streiks gegeben, vgl. ders., Memkries, S. 119.
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Gewaltformen, die in den beiden folgenden Kapiteln (3.2 und 3.3) näher betrachtet werden, ihren Ursprung in den Ausnahmezuständen hatten, die von den Streiks in der Stadt verursacht worden waren. Der französische Vordenker der Arbeiterbewegung, Georges Sorel, der nicht nur auf den französischen und italienischen Syndikalismus großen Einfluss hatte, sondern auch in Spanien breit rezipiert wurde, schrieb in seinem Traktat der Apologie der Gewalt: »Der Streik ist eine Erscheinung des Krieges, und wer sagt, dass die Gewalt ein Zwischenfall sei, der bestimmt sei, aus den Streiks zu verschwinden, macht sich mithin einer schweren Lüge schuldig.«331 Die theoretischen Ausführungen Sorels sollten sich vor allem in Barcelona bestätigen, was sich unter anderem in der Bemerkung des gemäßigten Gewerkschaftsführers Angel PestaÇa widerspiegelt, der feststellte, dass es typisch für Barcelona wäre, dass es dort bei Streiks auch zu Blutvergießen kommen würde.332 Tatsächlich hatte mit dem ersten Generalstreik 1902 in Barcelona eine neue Form der gewerkschaftlichen Radikalität Einzug gehalten. Das blieb auch den Zeitgenossen nicht verborgen. So beklagte sich ein konservativer katalanischer Abgeordneter unmittelbar nach dem Ende des Generalstreiks im Parlament: »Ich kenne Barcelona nun schon seit vielen Jahren, ich habe die tragischsten Momente miterlebt, politische Revolten, Aufstände […], aber ich muss sagen, dass ich noch nie so ein Spektakel wie in den letzten Tagen erlebt habe.«333 Dieser Streik hatte am 17. Februar damit begonnen, dass mehrere tausend Menschen im Bereich der Paral·lel Straßenbahnen am Weiterfahren hinderten. Der Ausstand dauerte über eine Woche. Dabei kam es zu mehreren Zusammenstößen mit den Ordnungskräften, die mit Messern und Steinen, vereinzelt auch mit Pistolen und Gewehren angegriffen wurden.334 Einen noch einmal um einige Dimensionen größeren Rahmen für die Eska331 Der Artikel erschien zunächst auf Französisch unter dem Titel »Apologie de la violence« im »Matin« am 18. Mai 1908. Die hier zitierte Übersetzung findet sich bei Sorel, Gewalt, S. 339. Zum Einfluss des Werkes von Georges Sorel auf den französischen und italienischen Syndikalismus siehe Lenk, Problem. Ein Beispiel für die zeitgenössische Rezeption in Spanien findet sich etwa in einer der ersten Untersuchungen zu den Attentaten in Barcelona während des Pistolerismo von Farr8 Moreno, vgl. ders., Atentados, S. IX. 332 Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 98. Im Vergleich dazu waren Streiks in Frankreich eher selten gewalttätig, vgl. Tilly/Tilly/Tilly, Rebellious, S. 248f., denen zufolge es dort zwischen 1915 und 1935 insgesamt etwa 17 000 Streiks gab, von denen nur 40 bis 50 gewaltsam geführt wurden. 333 Zitiert nach Domenech, Institutional Change, S. 435. 334 Eine genauere Beschreibung dieses Streiks findet sich etwa bei Kaplan, Red City, S. 62ff., weshalb im Rahmen dieser Arbeit auf eine ausführlichere Darstellung verzichtet wird. Nach Termes, Anarquismo, S. 209, sollen von der zu dieser Zeit etwa 150 000 Mann starken Arbeiterschaft Barcelonas etwa 60 000 bis 100 000 am Streik beteiligt gewesen sein und es gab vermutlich mindestens ein Dutzend Tote und Hunderte Verletzte sowie zahlreiche Festnahmen.
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lation der Gewalt stellten die bereits angesprochenen Ereignisse der Tragischen Woche Ende Juli des Jahres 1909 dar, die Angel Smith als einen der größten Volksaufstände in Mitteleuropa vor dem Ersten Weltkrieg bezeichnet hat.335 Dieser begann ebenfalls mit einem Generalstreik, der sich über eine Woche hinzog und im Zuge dessen es neben den bereits erwähnten exzessiven Brandstiftungen zu zahlreichen weiteren kollektiven Gewalttaten kam.336 Wie eine jüngere Studie der katalanischen Historikerin Gemma Rub& gezeigt hat, richteten sich diese in Form von gezielten Sabotageakten vor allem gegen Brücken, das Eisenbahnnetz, Telefonkabel und Elektrizitätsleitungen, um auf diese Weise ganz bewusst vor allem das staatliche Verkehrs- und Kommunikationssystem zu schädigen.337 Im Vergleich zu den Auseinandersetzungen von 1902 und 1909 waren die Streiks im folgenden Jahrzehnt, abgesehen vom landesweiten Generalstreik von 1917, der in Barcelona aber keine allzu große Wirkung zeigte, zwar vom Ausmaß her begrenzt, doch wurden sie zunehmend gewalttätiger und bei den Zusammenstößen der Streikenden mit der Polizei und mit Streikbrechern kamen nun immer häufiger Schusswaffen zum Einsatz. Juan Cristjbal Marinello Bonnefoy, der in einer neueren Dissertation die Gewalt zwischen Arbeitern und Arbeitgebern in Barcelona bis 1919 untersuchte, sieht bereits in dem Streik der Metallarbeiter 1910 mit fast 9000 Streikenden einen Bruch mit dem traditionell während Streiks angewendeten Gewaltrepertoire, da hier mehr als 110 Personen Opfer von gewaltsamen Übergriffen wurden, bei denen nun verstärkt auch Pistolen zum Einsatz kamen. Selbst wenn die Opferzahlen – insgesamt gab es nur zwei Tote – gering blieben, was Marinello darauf zurückführt, dass die benutzten Schusswaffen veraltet waren und deshalb eher dazu dienten, Schrecken zu verbreiten als jemanden umzubringen, sieht er diesen Streik als den Beginn einer Form von Attentaten an, die im Untersuchungszeitraum für Barcelona charakteristisch werden sollte und auf die später noch genauer eingegangen wird.338 Angel Smith kommt bei einem Vergleich der Streiks von 1910 bis 1914 und von 1915 bis 1918 zu dem Ergebnis, dass die Anzahl von Übergriffen zwar insgesamt von 341 auf 104 sank, dabei jedoch weit mehr Arbeiter erschossen wurden und auch die Attentate auf Arbeitgeber und Vorarbeiter deutlich zunahmen, was er dahin gehend interpretiert, dass sich die Gewalt zunehmend 335 Vgl. Smith, Semana Tr#gica, S. 13. 336 Da anlässlich des hundertsten Jahrestages dieses Ereignisses zahlreiche neue Untersuchungen zur Tragischen Woche erschienen, wird auch in diesem Fall in der vorliegenden Arbeit auf eine umfangreiche Darstellung verzichtet, vgl. etwa Dalmau, Set dies und Mart&nez Fiol, Setmana. 337 Vgl. Rub&, Protesta, S. 257ff. 338 Vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, bes. S. 257, der darauf hinweist, dass es anlässlich des gleichen Streiks auch zu zwei Sprengstoffanschlägen kam, S. 281.
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individualisierte.339 Darüber hinaus richtet sich die Gewalt verstärkt auch gegen Streikbrecher, wobei der Übergang von Drohungen zu konkreten Übergriffen fließend war.340 Beim eingangs beschriebenen Canadenca-Streik im Februar 1919 blieben die Schüsse, die der zitierte Pedro Gual Villalbi erwartete, zunächst aus und auch der weitere Verlauf dieses Arbeitskampfes verlief verhältnismäßig gewaltfrei. So gab es beispielsweise insgesamt nur einen einzigen Sprengstoffanschlag, der allerdings am 9. März 1919 gegen 22 Uhr in der Nähe eines Geschäftes in der Calle de Cjrsega einen Toten und mehrere Verletzte zur Folge hatte.341 Im November desselben Jahres wurde die Stadt erneut in einen Ausnahmezustand versetzt, denn im Oktober hatte der Arbeitgeberverband beschlossen, als Reaktion auf die Streiks zurückzuschlagen in der Absicht, die Arbeitergewerkschaft zu zerschlagen. Dies sollte durch umfassende Aussperrungen geschehen, die am 3. November 1919 begannen. Nun waren es die Arbeitgeber, die Fabriken, Werkstätten und Läden zwangen, zu schließen. Aussperrungen gehörten bereits seit Ende 1916 zu den Kampfmitteln bei Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern, waren aber bis dahin niemals in einem solchen Ausmaß durchgeführt worden. Am 14. November 1919 wurden insgesamt 48 473 Arbeiter von bewaffneten Arbeitgebern und der bewaffneten Bürgerwehr Somat8n, die auf der Seite der Unternehmer stand, daran gehindert, ihre Arbeit aufzunehmen. Da die Arbeitgeber mit dem Ergebnis dieser Aussperrungen aber nicht zufrieden waren, kam es am 1. Dezember, beginnend in der Textilindustrie, zu erneuten Aussperrungen, von denen mehr als 63 000 Arbeiter betroffen waren. Da die Arbeiter für die Zeit der Aussperrungen keinen Lohn erhielten, gerieten die Gewerkschaften unter großen Druck. Das Ziel, die Gewerkschaften zu zerschlagen, scheiterte zwar, hatte aber zur Folge, dass die Regierung am 9. Dezember zurücktreten musste. Die Aussperrungen, die insgesamt etwa 250 000 Arbeiter betrafen und sie an den Rand ihrer Existenz brachten, dauerten noch bis zum 26. Januar 1920 an. Schließlich mussten die Arbeitgeber die Aussperrungen auf Druck der Regierung hin beenden. Obwohl während der Aussperrungen militante Gewerkschafter zur gewaltsamen Übernahme der Fabriken und zur Ermordung der Vorsitzenden der Arbeitgebervereinigung Mirj y Trepat und FHlix Graupera aufgerufen hatten, hielt sich die 339 Vgl. Smith, Anarchism, S. 232. Marinello bestätigt die Ergebnisse insofern, dass er das Jahr 1917 als Wendepunkt ansieht, in der sich die Gewaltformen während der Streiks nun endgültig ändern, vgl. Marinllo Bonnefoy, Sindicalismo, S. 343. 340 So argumentiert Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 133f. Derselbe Autor hat in einem Aufsatz explizit die Gewalt gegen Streikbrecher in den Blick genommen, die von den Gewerkschaften als legitim und notwendig angesehen wurde, vgl. Marinello Bonnefoy, Traidores, S. 188f. 341 Vgl. El Noticiero Universal, 10. 3. 1919, S. 4.
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Gewalt insgesamt in Grenzen. Die Behauptung von Ricardo Sanz, wonach es vonseiten der Arbeiter zu keinerlei Gewalttaten gekommen sei, ist aber zu korrigieren.342 So gab es mehrere Sprengstoffanschläge, wobei die Sprengsätze meistens an Straßen oder in der Nähe von Geschäften platziert wurden und damit vor allem die Arbeitgeber und die Sicherheitskräfte treffen sollten. Insgesamt wurden vier Polizisten und drei Soldaten durch Explosionen leicht verletzt. Anfang Januar kam es zu mehreren Attentaten.343 Das spektakulärste davon wurde am 4. Januar auf Graupera verübt und wird im folgenden Unterkapitel 3.3. noch genauer beschrieben. Bedingt durch die hohe Anzahl von Streiks einerseits, und die zahlreichen Attentate andererseits, ist es für die folgenden Jahre unmöglich, sämtliche Gewaltdelikte dieser Art auf ihren Kontext hin genauer zu untersuchen. Deshalb sei an dieser Stelle lediglich noch der Streik im Transportgewerbe im Mai 1923 erwähnt, der zumindest annähernd mit dem Canadenca-Streik von 1919 vergleichbare Dimensionen erreichte.344 Hatte sich der Canadenca-Streik vor allem dadurch auf den Alltag der meisten Stadtbewohner ausgewirkt, dass die Stadt phasenweise ohne Strom blieb, war eine der Folgen des Streiks im Transportgewerbe, dass sich nun der Müll in den Straßen stapelte.345 Außerdem kam es im Verlauf dieses Streiks zu einer Welle von Attentaten mit insgesamt 22 Toten und 32 Verletzten, die den letzten gewaltsamen Höhepunkt der Epoche des Pistolerismo darstellte.346 Auch die hohe Anzahl der Streiks während der Zweiten Republik macht eine systematische Untersuchung bezüglich der jeweiligen Gewaltintensität zumindest im Rahmen dieser Arbeit unmöglich, weshalb auch für diese Epoche nur einige Beispiele herausgegriffen werden sollen, die im weiteren Verlauf der Arbeit noch von Bedeutung sind. Der erste Streik, der während der Zweiten Republik durch seine Gewaltsamkeit auffiel, ereignete sich im Sommer 1931 bei dem Unternehmen CompaÇ&a Nacional de Tel8fonos (dt.: Nationale Telefongesellschaft), das während der Diktatur Primo de Riveras durch Verkauf in amerikanische Hände gelangt war. Dass diese Tatsache dazu beigetragen haben mag, dass das Unternehmen bei den Gewerkschaftern besonders verhasst war, lassen die Memoiren von Ricardo Sanz erahnen. Dieser führte aus, dass das Unternehmen im Widerspruch zu seinem Namen nicht »national« war, sondern von amerikanischen Kapitalisten ausgebeutet wurde und diese die spanischen Arbeiter des Unter-
342 343 344 345 346
Vgl. Sanz, El sindicalismo espaÇol, S. 141. Vgl. die umfangreiche Darstellung der Ereignisse in Bengochea, Locout. Vgl. Smith, Anarchism, S. 350. Vgl. Serrano, Ciudad, S. 239. Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 223.
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nehmens »schlechter behandeln würden als die afrikanischen Neger in ihrem eigenen Land.«347 Spanienweit traten 6200 der insgesamt 7000 Arbeiter dieses Unternehmens in den Streik. In Barcelona, wo dieser Arbeitskampf, ähnlich wie auch in Sevilla, fast die gesamte Belegschaft umfasste, explodierte bald darauf eine Bombe. Im weiteren Verlauf des Streiks kam es immer wieder zu Sprengstoffanschlägen auf Telefonmasten und Stromleitungen.348 Diese Art der Sabotage war deswegen ein höchst effektives Mittel, weil sich zum einen diese Anschlagsziele kaum schützen ließen und deshalb besonders verwundbar waren und zum anderen ein zerstörter Telefonmast oder eine beschädigte Stromleitung das Kommunikationssystem stark beeinträchtigen konnten und der Schaden somit verhältnismäßig hoch war.349 Auch nach einer Sitzung des katalanischen Regionalkomitees der CNT am 11. Oktober 1931, bei der man sich mit der Lösung des Problems befasste, wurden die Streiks ebenso fortgesetzt wie die Anschläge auf Telegrafenmasten.350 ]ngel Galarza, der damalige Chef der spanischen Generalstaatsanwaltschaft, wies Polizei und Armee an, mit äußerster Härte gegen die Saboteure vorzugehen. Diese unnachgiebige Haltung provozierte laut Chris Ealham gewaltsame Auseinandersetzungen mit den Streikenden und führte dazu, dass die Arbeiter sich schon bald von dem neuen Staat, von dem sie sich viel erhofft hatten, distanzierten.351 Weitere gewaltsame Streiks ereigneten sich im Jahr 1933, in der die Streikaktivität, wie bereits ausgeführt, allgemein am höchsten war. So kam es zwischen dem 17. April und dem 16. August 1933 im Baugewerbe zu dem gewaltsamsten Konflikt dieser Periode, bei dem die Streikenden vor allem bessere Arbeitsbedingungen forderten. Im Juni betraf der Streik, dessen gewaltsamer Höhepunkt in einer Schießerei auf dem PlaÅa de la Universitat mit einem Toten und 12 Verletzten gipfelte, 40 000 Arbeiter, die ihre Forderungen aber letztlich nicht durchsetzen konnten. Auch bei den Hafenarbeitern gab es einen größeren Streik. Die Arbeiter dort galten traditionell als besonders radikal, weil sie aus den 347 Vgl. Sanz, Figuras, S. 240. 348 Über einen solchen Anschlag informierte Las Noticias, 23. 7. 1931, S. 3. Wenige Tage später berichtete dieselbe Zeitung von einer Schießerei in Clot und der Calle de Mercaders, die sich auch im Zuge des Streiks ereignet haben sollen, vgl. Las Noticias, 28. 7. 1931, S. 4. sowie 30. 7. 1931, S. 4. 349 Vgl. Sanz, Figuras, S. 241. 350 Vgl. Brademas, Anarcosindicalismo, S. 70ff. Eine eher subjektive Sicht bietet Abel Paz in seiner Durruti-Biographie, S. 224ff. sowie in seiner Autobiografie Paz, Feigenkakteen, S. 59f., in der er schildert, dass er als Kind selbst mitbekommen habe, wie an einem Wintertag 1932 an der Kreuzung San Juan de Malta und Verneda ein elektrischer Transformator in die Luft flog und er die Explosion sehr gut hören und später die Schäden auch sehen konnte. 351 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 97ff.
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verschiedensten Beschäftigungsbereichen kamen und wegen dieser unterschiedlichen Herkunft keine gewachsene Bindung zu ihrem Betrieb hatten. Im Kontext dieses Streiks kam es zu mehreren Attentaten und Sabotageakten, wogegen die Arbeitgeberschaft scharf protestierte.352 Der bedeutendste Streik, der die Gewaltsamkeit Barcelonas während der Zweiten Republik wie kein anderer Konflikt in dieser Zeit prägen sollte, begann am 24. April desselben Jahres und betraf das Transportgewerbe, was dazu führte, dass Taxis, Busse, und Straßenbahnen stillstanden und damit der öffentliche Nahverkehr weitgehend lahmgelegt war.353 Nach kurzer Unterbrechung wurde der Streik im November fortgesetzt. Im März 1934 streikten im Transportgewerbe die Arbeiter erneut, wobei sich die Staatsautorität nun eindeutig auf Seite der Arbeitgeber stellte und den Streik für illegal erklärte, woraufhin alle beteiligten Arbeiter entlassen wurden. Obwohl später einige davon wieder eingestellt wurden, blieben viele ohne Arbeit, weshalb es zu Racheakten kam, die vor allem im Anzünden von Bussen und Straßenbahnen ihren Ausdruck fanden. Erst am 16. März 1936 fand dieser Konflikt schließlich sein endgültiges Ende.354 Abgesehen von den Streiks gab es in der krisengeschüttelten Republik auch mehrere Aufstände, von denen einige auch in Barcelona ausgefochten wurden. Zur ersten anarchistischen Erhebung kam es im Januar 1932 im Zusammenhang mit einem bewaffneten Aufstand der Minenarbeiter in F&gols, knapp 100 km nördlich von Barcelona. Da es aber einen ganzen Tag dauerte, bis die CNT in Barcelona über diesen Aufstand informiert wurde, blieb er für die Stadt nahezu ohne Auswirkungen.355 Auch einem weiteren anarchistischen Aufstand im Januar des folgenden Jahres fehlte es an einer straffen Organisation.356 In Barcelona begann dieser Aufstand damit, dass Ende Dezember 1932 eine Bombenfabrik in der Calle de Mallorca entdeckt wurde, woraufhin die Anarchisten ihren für später geplanten Aufstand vorzogen.357 Trotz der ungenügend vorbereiteten Aktion gelang es den Anarchisten, am 9. Januar 1933 für einige Stunden die Ramblas zu besetzen. Im weiteren Verlauf des Tages kam es abends ab 19 Uhr zu einzelnen Schießereien zwischen der Polizei und den Aufständischen mit Toten auf beiden Seiten. Au352 Eine Übersicht über die Streiks während der Zweiten Republik in Barcelona gibt Bengochea, Organitzacij, S. 115ff. 353 Vgl. Brademas, Anarcosindicalismo, S. 105. 354 Vgl. Brademas, Anarcosindicalismo, S. 165. 355 Dies räumt auch Paz in seiner Autobiografie ein, siehe Paz, Feigenkakteen, S. 90. 356 Vgl. Ealham, Crisis, S. 96. 357 Über die Entdeckung der Bombenfabrik in der Calle de Mallorca und das vermeintliche Komplott berichten El Diluvio, 30. 12. 1932, S. 16 und 31. 12. 1932, S. 18, El Noticiero Universal, 30. 12. 1932, S. 12 und der Kommentar dazu findet sich in El Noticiero Univesal 3. 1. 1933, S. 17. Die Ausmaße des Bombenfundes in der Calle de Mallorca beschreibt El Diluvio, 14. 1. 1933, S. 6.
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ßerdem versuchten etwa 50 in Kleingruppen agierende Angreifer, das Gefängnis de San Agust&n in der Calle del Comercio zu stürmen, doch dies scheiterte ebenso wie die versuchte Besetzung des Justizpalastes. Auch auf dem Plaza de Clot und der Paseo de Pujadas kam es zu Schießereien zwischen Aufständischen und der Polizei. Darüber hinaus wurden von der Polizei zahlreiche Schusswaffen und Bomben sichergestellt.358 Bis auf einen weiteren Versuch, das Gefängnis von San Agust&n zu stürmen, bei dem aber keine Opfer zu beklagen waren, kehrte jedoch bald schon wieder Ruhe ein.359 Lediglich der letzte der drei anarchistischen Aufstände, der im Dezember 1933 in Barcelona als Antwort auf den Wahlsieg der Rechten im vorangegangenen Monat stattfand, war besser organisiert. Bereits am 1. Dezember warf der Aufstand in Barcelona seine Schatten voraus, als sich in der Stadt zwei Explosionen ereigneten, woraufhin das Kriegsrecht verhängt wurde und Sicherheitskräfte an den Hauptverkehrspunkten der Stadt Stellung bezogen. Der eigentliche Aufstand begann allerdings erst eine Woche später, am 8. Dezember. Wiederum kam es in verschiedenen Stadtteilen zur Explosion von Sprengsätzen. Darüber hinaus wurden im Grenzbereich zu L’Hospitalet de Llobregat mehrere Geschäfte überfallen. Außerdem starben zwei Angestellte der U-Bahn-Station Bordeta, die zunächst von Anarchisten mit Waffen bedroht worden waren, bei den anschließenden Schusswechseln zwischen diesen und der Polizei.360 Auch in den folgenden Tagen blieb L’Hospitalet de Llobregat der Schwerpunkt des Aufstandes, wobei es zu mehreren Schießereien kam.361 Im Zuge dieses Aufstandes gelang es den Anarchisten, kurzzeitig einige Gebäude zu besetzen, das Stadtarchiv zu zerstören und die Elektrizitätszentrale von Collblanc-la Torrassa in die Luft zu sprengen. Abgesehen von einem spektakulären Gefängnisausbruch war die anarchistische Erhebung in Barcelona damit gescheitert und schon am 12. Dezember war wieder völlige Normalität eingekehrt.362 Zehn Monate später wurde die Stadt abermals zum Schauplatz politischer 358 Vgl. die umfangreiche Berichterstattung in der Lokalpresse: El Diluvio, 10. 1. 1933, S. 7ff., El Diario de Barcelona, 10. 1. 1933, S. 11ff. und S. 41, 11. 1. 1933, S. 7f., 12. 1. 1933, S. 7ff., 13. 1. 1933, S. 8f., 14. 1. 1933, S. 16, 15. 1. 1933, S. 44, 18. 1. 1933, S. 11, 20. 1. 1933, S. 12, 24. 1. 1933, S. 13 und 28. 1. 1933, S. 15, El Noticiero Universal, 10. 1. 1933, S. 12f., 11. 1. 1933, S. 12f., 12. 1. 1933, S. 10, 13. 1. 1933, S. 19, 14. 1. 1933, S. 12 und 16. 1. 1933, S. 17, El Noticiero Universal, 18. 1. 1933, S. 17, 19. 1. 1933, S. 12 sowie 20. 1. 1933, S. 7. 359 Siehe El Diluvio, 11. 1. 1933, S. 10ff. und 12. 1. 1933, S. 7. Über den zweiten Angriff auf das Gefängnis de San Agust&n siehe El Diluvio, 12. 1. 1933, S. 6 und 13. 1. 1933, S. 16. 360 Auch dieser Aufstand lässt sich anhand der Lokalpresse relativ gut nachvollziehen, vgl. El Diluvio, 10. 12. 1933, S. 6ff., El Diario de Barcelona, 10. 12. 1933, S. 11ff., 11. 12. 1933, S. 8ff., 15. 12. 1933, S. 13, 16. 12. 1933, S. 13f. und 21. 12. 1933, S. 11 sowie El Noticiero Universal, 11. 12. 1933, S. 6ff., 12. 12. 1933, S. 11, 13. 12. 1933, S. 11, 16. 12. 1933, S. 14, 19. 12. 1933, S. 12 und 20. 12. 1933, S. 12. 361 Vgl. El Diluvio, 12. 12. 1933, S. 4ff. 362 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 135ff.
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Auseinandersetzungen, nachdem Llu&s Companys am Abend des 5. Oktober 1934 die Unabhängigkeit des katalanischen Staates erklärt hatte. Dabei hoffte er auf die Unterstützung des Befehlshabers der Garnison, General Batet, der ebenfalls Katalane war. Dieser aber schloss sich dem Aufstand nicht an und so wurde das katalanische Parlament wenige Stunden später von Truppen gestürmt und eingenommen. Insgesamt wurden in dieser Nacht in Barcelona bei den Kämpfen 78 Menschen getötet. Auch in anderen Teilen Kataloniens gab es einige kleinere Aufstände, die aber bald von Polizei und Armee unter Kontrolle gebracht wurden, nachdem die Aufständischen mehrere Morde verübt hatten, unter anderem an mindestens einem Priester.363 Dem Putschversuch der Katalanisten schloss sich ein Streik an. Am 8. Oktober wurden in der Ronda de Sant Antonio Barrikaden errichtet und in der Nähe der Ramblas und dem PlaÅa de Catalunya gab es mehrere Versuche, Straßenbahnen in Brand zu stecken. Ebenfalls im Stadtzentrum ereigneten sich mehrere Schießereien, bei denen es Tote und Verletzte gab.364 Doch bereits am folgenden Tag war die Normalität dann aber wieder eingekehrt.365 Auch Francos Militärputsch im Juli 1936 scheiterte in Barcelona. Am frühen Morgen des 19. Juli rückten Einheiten der in der Stadt stationierten Armee aus den Kasernen aus, um wichtige Verkehrsknotenpunkte und Gebäude zu besetzen. Doch bewaffneten Kämpfern der CNT, die schon länger mit einem Staatsstreich gerechnet hatte, gelang es zusammen mit Einheiten der Guardia Civil, die der Republik treu blieb, den Aufstand niederzuschlagen.366 Dennoch entstand nach diesem Putschversuch im Gegensatz zu den anderen hier kurz skizzierten Aufständen ein Gewaltraum in einem bis dahin nicht für möglich gehaltenen Ausmaß, dessen Untersuchung hier aber aus den in der Einleitung genannten Gründen zu weit führen würde.367 Für die in diesem Kapitel untersuchten Gewalträume, die in Barcelona vor 363 Die Ereignisse des Oktober 1934 in Katalonien wurden zuletzt durch Ljpez Esteve, Fets sowie Barrull, Fets umfassend analysiert, weshalb im Rahmen dieser Arbeit nicht ausführlicher darauf eingegangen werden soll. Ein zeitgenössischer Bericht über den katalanischen Aufstand aus Sicht der Industriellen findet sich im Archiv Fomento de Trabajo, Memoria de la Junta Directiva del Fomento del Trabajo Nacional, correspondiente al ejercicio de 1934, S. 14f. 364 Vgl. El Diluvio, 9. 10. 1934, S. 3ff., El Diario de Barcelona, 9. 10. 1934, S. 15ff., 10. 10. 1934, S. 8f., El Noticiero Universal, 2. 11. 1934, S. 4, 3. 11. 1934, S. 4, 9. 11. 1934, S. 12, 12. 11. 1934, S. 20, 14. 11. 1934, S. 5, 15. 11. 1934, S. 4, 24. 11. 1934, S. 4, 29. 11. 1934, S. 5, 3. 12. 1934, S. 6, 6. 12. 1934, S. 4, 17. 12. 1934, S. 6, 18. 12. 1934, S. 4, 27. 12. 1934, S. 5, 28. 12. 1934, S. 5, 29. 12. 1934, S. 2 und 31. 12. 1934, S. 4. 365 Vgl. El Diluvio, 10. 10. 1934, S. 5f. 366 Für eine Darstellung der Ereignisse in Barcelona während des Putschversuchs am 19. Juli 1936, vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 170ff. 367 Für eine aktuelle Untersuchung zu Gewaltexzessen in Barcelona in den ersten Monaten nach dem Beginn des Bürgerkrieges vgl. Preston, Holocaust, S. 223ff. sowie Diez, VenjanÅa.
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allem durch (General-)Streiks entstanden, lässt sich zusammenfassend festhalten, dass bereits anhand der untersuchten Beispiele gezeigt werden konnte, dass ein Großteil der die Zwischenkriegszeit in Barcelona prägenden Gewaltpraktiken ihren Ursprung in den Aufständen, Streiks und Generalstreiks hatte, die sich teilweise schon in den Jahren vor Beginn des Untersuchungszeitraums ereignet hatten. Im Untersuchungszeitraum boten dann besonders der Canadenca-Streik und die Aussperrungen als Reaktion darauf, sowie vor allem die Streiks im Bauund Transportgewerbe während der Zweiten Republik – hier scheint in Anbetracht der einleitenden, zeitgenössischen Schilderung der Vergleich mit einem Bürgerkrieg nicht völlig übertrieben – den Anlass und den Rahmen für die Gewaltpraktiken, die es nun in den beiden folgenden Kapiteln zu untersuchen gilt.
3.2
Dimensionen der Zerstörung – Gewalt gegen Sachen und ihre kontextspezifische Realisierung
Das Zerstören, so führt Wolfgang Sofsky in seinem »Traktat über die Gewalt« aus, sei eine Handlungsweise besonderer Art, denn »das Zerstören annulliert das Gegebene. Es will nicht verändern, es will abschaffen. Was ist, soll nicht sein. Die Destruktion ist die radikalste Umkehrung der Produktion, des Herstellens. […]. Ihr Werk ist erst vollendet, wenn sie nichts mehr zu tun hat, weil alles, was sie aufhalten könnte, verwüstet ist.«368 Die Gewalt gegen Sachen hatte schon während der Nahrungsproteste zum Handlungsrepertoire der Akteure gehört.369 Der dem Anarchismus nahestehende Siegfried Nacht lieferte in seiner 1903 unter dem Pseudonym Arnold Roller herausgegebenen Broschüre »Die direkte Aktion« eine erste Erklärung des Wortes »Sabot«, das als Kennzeichnung für die Gewalt gegen Sachen um die Jahrhundertwende eingedeutscht worden war. Demzufolge bezeichnet er damit »die Beschädigung des Eigentums, des Materials und der Produktionsmittel der Unternehmer.«370 Wenn auch in Barcelona während der Zwischenkriegszeit die meisten Akte des Zerstörens, die hier anhand ihrer drei Hauptformen, Sprengstoffattentaten, Brandanschlägen und kollektivem Vandalismus betrachtet werden sollen, wie im vorangegangenen Unterkapitel bereits angedeutet, aus dem Kontext der Auseinandersetzungen 368 Vgl. Sofsky, Traktat, S. 193. Allerdings relativiert er diese Aussage anschließend dahingehend, dass totale Zerstörung eher selten sei, da sowohl die Objekte selbst durch ihr Format, ihr Gewicht oder die Härte des Materials als auch andere Umstände die vollständige Durchführung des Gewaltaktes erschweren oder gar unmöglich machen würden, ebd. S. 196. 369 Vgl. Baumeister, Arenen, S. 144. 370 Vgl. Linse, Propaganda, S. 254.
122
Ursprung, Entwicklung und Dynamik spezifischer Gewaltpraktiken in Barcelona
zwischen Arbeitgebern und Arbeitern entstanden, sollen in Erweiterung der ursprünglichen von Siegfried Nacht angebotenen Definition in Anlehnung an Wolfgang Sofsky unter diesem Begriff alle kollektiven Zerstörungsakte unabhängig von ihrem Ursprung verstanden werden. Die Abbildung 33 veranschaulicht wie sich diese drei Hauptformen der Sabotage chronologisch über den Untersuchungszeitraum verteilen.
Abb. 33: Formen der Sabotage (Anzahl an Delikten)
Es zeigt sich, dass in Barcelona während der Zwischenkriegszeit Sabotageakte fast ausschließlich in Form von Sprengstoffanschlägen durchgeführt wurden und diese auch im weiteren Verlauf des Untersuchungszeitraums die mit Abstand häufigste Form der Zerstörung blieben. Demzufolge liegt es nahe, diese Gewaltpraktik auch in diesem Kapitel als Erstes in den Blick zu nehmen (Kapitel 3.2.1). Brandanschläge und – wenn auch in geringerem Maße – Vandalismus traten vor allem 1933 und 1934, also in den Krisenjahren der Zweiten Spanischen Republik in Erscheinung, weshalb es sinnvoll scheint, diese auch hier in dem folgenden Unterkapitel gemeinsam und vergleichend zu betrachten (Kapitel 3.2.2).
Gewalt gegen Sachen und ihre kontextspezifische Realisierung
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3.2.1 Der gewaltspezifische Wandel einer Waffe am Beispiel von Sprengsätzen in der »Stadt der Bomben« Bereits dem in der Einleitung zitierten Artikel Gaziels war zu entnehmen, dass Barcelona als »Stadt der Bomben« in jener Zeit über die Landesgrenzen hinaus einen zwiespältigen Ruf hatte. Dass diesen die Zeitgenossen wie Gaziel auch während der Zweiten Spanischen Republik bestätigt sahen, liegt aufgrund der eingangs vorgestellten Statistik nahe. Den Entstehungskontext eines solchen Sprengstoffanschlags zu jener Zeit beschreibt beispielhaft der anarchistische Aktivist Jos8 Peirats rückblickend in seinen Memoiren: »Ich erinnere mich, dass es eine kühle Nacht war, denn ich trug einen langen Mantel und hatte eine Mütze auf, die bis zu den Ohren ging. An dieser Aktion waren mindestens sechs oder sieben Personen beteiligt. Zwei Frauen kümmerten sich darum, ›das Kind‹ über die Grenze zu bringen, indem sie es handelsüblich in einen Korb, der zwei Henkel hatte, zusammen mit Kleidern der beiden verpackten. Vier mit Pistolen bewaffnete Männer hatten in unmittelbarer Umgebung des Gebäudes Position bezogen und taten so, als würden sie sich unterhalten oder auf ihre Freundin warten. Wir warteten auf die Frauen hundert Meter vor dem Zielobjekt entfernt und als sie dort auftauchten, nahmen wir den Korb an uns und setzen unseren Weg Richtung des Zielortes fort, mit lauter Stimme redend und lauthals lachend. Als wir vor der Tür ankamen, setzten wir den Korb auf dem Boden ab und ohne aufzuhören zu reden und zu lachen ergriffen wir den Schlüssel und öffneten mit Leichtigkeit die metallene Rollladentür. Wir drangen in das Gebäude ein und ließen den Rollladen hinter uns komplett herunter. Wir schalteten die elektrische Lampe ein, nachdem wir den Lichtschalter betätigt hatten. Ohne eine Sekunde zu zögern gingen wir direkt zum Arbeitsraum. Wir öffneten die Klappe des Ofens, warfen den Sprengsatz hinein, setzten den Zünder in Gang und öffneten vorsichtig die Klappe der Anlage. Im zweiten Akt schlossen wir den Deckel der Öffnung des Ofens und ließen ihn etwa einen Zentimeter weit auf, damit die Auflage nicht den Zünder abschaltete.«371
Die beiden zeitgenössischen Fotografien (Abb. 34 und Abb. 35) demonstrieren beispielhaft, dass der Schaden, den Sprengstoffanschläge verursachten, meistens eher gering war, wie auch der von Peirats eingangs beschriebene. Das zeigt deutlich, dass die Gewaltpraktik, die der »Stadt der Bomben« ihren Namen verdankte, einem fundamentalen Wandel unterlegen war. Urheber dieser Bezeichnung war das katalanische Satireblatt L’Esquella de la Torratxa (dt: Die Kuhglocke des Aussichtsturms), das am 12. Januar 1906 zu ihrer Karikatur auf der Titelseite (siehe Abb. 36) schrieb: »Der neue Name von Barcelona: die Stadt der Bomben«.
371 Peirats Valls, Paso, S. 212.
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Ursprung, Entwicklung und Dynamik spezifischer Gewaltpraktiken in Barcelona
Abb. 34: Durch einen Sprengsatz zerstörte Fensterscheiben (1933)
Abb. 35: Sprengsatz-Schaden in einer Appreturenfabrik (1934)
Damit nahm das Blatt Bezug auf eine Anschlagsserie, die 1904 begann und die bis zur Tragischen Woche im Juli 1909 andauern sollte. Insgesamt gab es in dieser Phase 66 Bombenanschläge mit 11 Todesopfern und 71 Verletzten.372 Im Gegensatz zu anderen europäischen Städten setzte sich damit scheinbar die Welle von anarchistischen Terroranschlägen fort, die Barcelona in den
372 Für eine aktuelle Darstellung zu den anarchistischen Anschlägen in Barcelona um die Jahrhundertwende siehe Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 129ff.
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Abb. 36: Karikatur »La ciutat de las bombas« (Die Stadt der Bomben)
1890er Jahren erfasst hatte. Doch wenn man beide Anschlagsserien genauer miteinander vergleicht, lassen sich einige bedeutende Unterschiede feststellen. So hatten die drei anarchistischen Terroranschläge, die General Mart&nez Campos als Repräsentanten des Militärs, dem Liceu-Theater als Treffpunkt der Oberschicht Barcelonas sowie der Fronleichnamsprozession der katholischen Kirche galten, jeweils ein konkretes, sehr symbolträchtiges Ziel. Dieses lag darüber hinaus – vergleichbar etwa mit den Terroranschlägen im russischen Zarenreich – medienwirksam im Zentrum der Stadt.373 Im Gegensatz dazu explodierten zu Beginn des neuen Jahrhunderts in Barcelona die Sprengsätze scheinbar wahllos an unterschiedlichen Orten. Außerdem wurden bei den Anschlägen in den 1890er Jahren, also im Jahrzehnt davor, Bomben mit einer deutlich höheren Sprengkraft verwendet, was zu einer wesentlich größeren Zahl an Opfern führte. So forderte allein der Anschlag auf das Liceu-Theater, obwohl nur eine von den beiden verwendeten Orsini-Bomben explodierte, fast doppelt so viele Todesopfer wie die gesamte Anschlagsserie zwischen 1904 und 1909 zusammen. Auch wenn der verheerendste Anschlag dieser Phase am 3. September 1905 auf den Ramblas, der bereits in Kapitel 3.1.1 kurz erwähnt wurde, vier Tote und 373 Vgl. Rolf, Metropolen, S. 28 und 38f.
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60 Verletzte zur Folge hatte und damit sowohl was das Ausmaß als auch den Ort des Anschlags betrifft eher vergleichbar mit den Anschlägen aus dem vorangegangenen Jahrzehnt zu sein scheint, machen es diese Beobachtungen erforderlich, hier zwei verschiedene Gewaltformen zu unterscheiden, bei denen zwar jeweils Explosivstoffe zum Einsatz kamen, die aber ganz unterschiedliche Ziele verfolgten.374 Bei der ersten Form handelt es sich um Bombenattentate, bei denen sich die Gewalt ganz gezielt und bewusst gegen Menschen richtete. Im Gegensatz dazu hatte die zweite Form, die Sprengstoffanschläge, auch wenn durch unglückliche Umstände in manchen Fällen hierbei auch Menschen zu Schaden kamen, das Ziel, materielle Zerstörungen anzurichten, um auf diese Weise Angst und Schrecken zu verbreiten. Da, wie zu zeigen sein wird, beide Gewaltformen auch im Untersuchungszeitraum anzutreffen waren, soll diese Unterscheidung auch in dieser Arbeit gemacht werden, was zur Konsequenz hat, dass hier zunächst nur die als Sabotageakte durchgeführten Sprengstoffanschläge betrachtet werden sollen, während in einem späteren Unterkapitel (3.3.1) Bombenanschläge, die Personen galten, dann zusammen mit den wesentlich häufigeren mit Pistolen durchgeführten Attentaten in den Fokus genommen werden, weil diese sich ebenfalls bewusst gegen Menschen richteten. Um die hier im Mittelpunkt stehende Form der Anschläge auch begrifflich von den anarchistischen Terroranschlägen der 1890er Jahre abgrenzen zu können, bei denen Bomben zum Einsatz kamen, hat der spanische Historiker Josep Termes den Begriff des »Petardismo« geprägt.375 Auf der zeitgenössischen Fotografie (Abb. 37) lässt sich erkennen, wie solche typischen »Petardos« zur Zeit der Zweiten Republik aussahen. Josep Termes hat den Begriff des Petardismo ursprünglich geprägt, um Anschläge zu beschreiben, die sich noch in den Jahren vor den spektakulären Terroranschlägen der 1890er Jahre ereignet hatten. Schon der Zeitgenosse Eduardo Carqu8 de la Parra hatte in einer der ersten Darstellungen der Anschläge in Barcelona um die Jahrhundertwende festgestellt, dass anfänglich die Explosionen, die die Stadt erschütterten, durch Sprengsätze verursacht wurden. Diese seien meist in der Nähe einer Werkstatt detoniert und deshalb in den Kontext der Konflikte zwischen Arbeitern und Arbeitgebern einzuordnen. Diese Anschläge seien aber insgesamt nicht annähernd so gravierend gewesen wie die späteren Bombenattentate, die sich in den 1890er Jahren im städtischen Alltag ereigneten und zahlreiche Opfer – auch unter der Arbeiterschaft – forderten.376
374 Vgl. Kaplan, Red City, S. 81. 375 Vgl. Termes, Anarquismo, S. 136. 376 Vgl. Carque de la Parra, Terrorismo, S. 19f.
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Abb. 37: Beschlagnahme illegaler Sprengsätze (1932)
Sie entsprachen somit eher den späteren Sprengstoffanschlägen während des Untersuchungszeitraums im Zusammenhang mit Sabotageakten. Diese Einschätzung erweist sich bei genauerer Betrachtung auch gut hundert Jahre später noch als richtig. Obwohl bei einem der ersten Anschläge am 5. Juni 1884 vor dem Lagerhaus eines Unternehmens ein Passant zu Tode kam, war es für diese erste Phase charakteristisch, dass sich die Zahl an menschlichen Opfern in Grenzen hielt. Der schwerste Anschlag ereignete sich am 1. September 1886, als ein Sprengsatz im Sitz der Arbeitgebervereinigung explodierte, wobei fünf Personen verletzt wurden.377 Zu einem weiteren Anschlag kam es im Zuge des Streiks im Januar 1889, als an der Tür einer bestreikten Fabrik ein Sprengsatz detonierte.378 Auch bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraums war es in den letzten Monaten des Jahres 1918 anlässlich kleinerer Streiks zu mehreren Sprengstoffanschlägen gekommen.379 Im Laufe des Jahres 1919 nahmen diese Anschläge 377 Vgl. Termes, Anarquismo, S. 136ff. 378 Eine umfangreiche Darstellung dieser ersten Epoche von Sprengstoffanschlägen in Barcelona findet sich bei Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 269ff. Dalmau, Proc8s, S. 41f. liefert eine Liste aller Bombenanschläge von 1884 bis 1900. 379 Der erste Fall, der größeres Aufsehen erregte, war die Explosion eines Sprengsatzes am Morgen des 3. Oktober 1918 in der Holzverarbeitungsfabrik von Francisco Salazar in der Calle de Amalia 33, dessen Arbeiter sich gerade im Streik befanden. Dieser Anschlag, bei
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derart zu, dass die unternehmernahe Tageszeitung El Correo Catal#n nach den am Anfang des Kapitels beschriebenen Vorfällen feststellte, dass die Bevölkerung langsam in Panik gerate.380 Die Anzahl der Sprengstoffanschläge erhöhte sich in den nächsten beiden Jahren noch weiter, um danach aber merklich an Bedeutung zu verlieren, was vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass mit den Pistoleros eine neue Gewaltform in den Vordergrund trat und die von ihnen durchgeführten Attentate und Raubüberfälle die Bomben- und Sprengstoffanschläge vorübergehend als die vorherrschende Gewaltpraktik im Zusammenhang mit sozialen Auseinandersetzungen verdrängte.381 Während die Sprengstoffanschläge in der Zeit des Pistolerismo zwar durchaus häufig waren, aber im Vergleich zu den Attentaten und ab 1921 auch im Verhältnis zu den Raubüberfällen eher ein Randphänomen darstellten, waren sie in der Zweiten Republik die vorherrschende Gewaltpraktik. Diese nahm an ihrem Höhepunkt in den Jahren 1933 und 1934 wieder solche Dimensionen an, dass die Tageszeitung El Diluvio von »la Bomba diaria« (dt.: die tägliche Bombe) sprach, weil Sprengstoffexplosionen in Barcelona wegen ihrer Häufigkeit in dieser Zeit geradezu als Alltagsphänomen wahrgenommen wurden.382 Ähnlich wie die Attentate in der Zeit des Pistolerismo, die im folgenden Unterkapitel genauer betrachten werden, handelte es sich hierbei um ein für Barcelona typisches Gewaltphänomen. Bezeichnend dafür ist die Tatsache, dass etwa im Jahr 1933 in Madrid nur 91 Strafverfahren wegen Delikten im Zusammenhang mit Sprengstoffen eingeleitet wurden, in Barcelona hingegen 237.383 Die Sprengstoffanschläge hatten mit Beginn der beschriebenen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern 1931 wieder verstärkt eingesetzt. So ereignete sich ein erster größerer Anschlag, wie bereits erwähnt,
380 381 382 383
dem die beiden einzigen Personen, die noch in der Fabrik arbeiteten, der 17-jährige Sohn des Eigentümers sowie ein Arbeiter, verletzt wurden, löste Proteste des Arbeitgeberverbandes Holzverarbeitung aus und führte zu einer Verhaftungswelle bei der verantwortlichen Gewerkschaft. Siehe dazu die Berichte in El Noticiero Universal, 3. 10. 1918, S. 4, El Correo Catal#n, 4. 10. 1918, S. 2, El Diluvio, 5. 10. 1918, S. 8 und El Radical, 8. 10. 1918, S. 3. Pallares Personat, Victimes, S. 141, beschreibt eine weitere Bombenexplosion am 7. November vor dem Haus der Familie Girona, der eine gleichnamige Werkstatt gehörte, deren Arbeiter sich gerade im Streik befanden. Vgl. El Correo Catal#n, 27. 11. 1919, S. 2. Auch Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 46, kommt zu dem Ergebnis, dass Sprengstoffanschläge ab 1919 nun verstärkt in den Arbeitskämpfen eingesetzt wurden. Beispiele hierfür sind etwa dokumentiert in El Noticiero Universal, 15. 3. 1920, S. 5, El Correo Catal#n, 24. 8. 1920, S. 2 und 17. 10. 1920, S. 2. Vl. El Diluvio, 28. 11. 1933, S. 1. Auch der Jahresbericht des FTN betont rückblickend auf das Jahr 1933, dass kein Tag vergangen sei, an dem nicht mindestens eine Bombe in Barcelona explodierte, vgl. ders. S. 9. Vgl. Gonz#lez Calleja, Nombre, S. 242f.
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im Rahmen des Streiks der Telefongesellschaft.384 In den frühen Morgenstunden des 22. Juli tauchten drei Autos auf dem Passeig de Gr/cia auf, aus denen mehrere mit Pistolen bewaffnete Personen stiegen. Diese bedrohten den Wachmann und vertrieben die Passanten, um dann einen Sprengsatz in einem Schacht zu deponieren, dessen Explosion das wichtigste Kabel der Telefongesellschaft zerstörte und dadurch einen Schaden von etwa 60 000 Peseten verursacht haben soll.385 Im weiteren Verlauf der Zweiten Republik liefen die Sprengstoffanschläge aber meist weit weniger spektakulär ab. Ähnlich wie in dem zu Beginn dieses Unterkapitels beschriebenen Fall wurden die Sprengsätze oft nachts an Fenstern oder Türen angebracht.386 Auch wenn es durch unglückliche Umstände teilweise manchmal Verletzte oder in seltenen Fällen sogar Tote gab, bestand ihre Hauptfunktion jedoch darin, Schrecken zu verbreiten und dabei höchstens Sachschaden anzurichten. In den meisten Fällen lassen sich die Anschläge auf konkrete Konflikte in einzelnen Fabriken zurückführen, bei denen sich Arbeiter entweder gerade im Streik befanden oder entlassen worden waren.387 Ziel von Sprengstoffanschlägen waren aber nicht nur größere Fabriken, sondern auch kleinere Läden und Geschäfte.388 384 Siehe dazu die Berichte in Las Noticias vom 9. Juli 1931, S. 5 sowie vom 23. Juli 1931, S. 3. 385 Über diesen Vorfall berichten etwa El Diario de Barcelona vom 23. 7. 1931, auf den Seiten 5, 6 und 32, sowie in der Ausgabe am folgenden Tag auf S. 7 sowie El Noticiero Universal vom 23. 7. 1931, S. 3. Solidaridad Obrera erwähnt den Vorfall ebenfalls und merkt an, dass es fragwürdig sei, wie ein solcher Vorfall an einem so zentralen und von der Polizei so gut bewachten Ort passieren konnte und äußert den Verdacht, dass dadurch die Repression gegen die CNT gerechtfertigt werden sollte, vgl. Solidaridad Obrera, 23. 7. 1931, S 1. 386 Auch Ricardo Sanz beschrieb später, dass sich die Sabotageakte in überwiegender Zahl in den ersten Stunden der Nacht ereigneten, vgl. Sanz, El sindicalismo espaÇol, S. 295. 387 Ein anschauliches Beispiel hierfür sind die Ereignisse in der Karton- und Papierfabrik Casanovas, die nach einem Streik geschlossen wurde, sodass die 350 Beschäftigten ohne Arbeit waren. Als Reaktion darauf wurden zwischen Mitte September und Mitte Oktober 1933 mehrere Anschläge auf die Häuser der Besitzer, die Gebrüder Casanovas, verübt und in einem Fenster der Fabrik ein Sprengsatz deponiert, vgl. El Diario de Barcelona 19. 9. 1933, S. 31 und 3. 10. 1933, S. 20 sowie El Noticiero Universal, 19. 9. 1933, S. 3 und El Diluvio 15. 10. 1933, S. 1. Ein ähnlicher Vorfall, bei dem sowohl das Privathaus als auch die Fabrik eines Industriellen Ziel von Sprengstoffanschlägen waren, ereignete sich am 25. Dezember 1934, als um 19 Uhr ein Sprengsatz, angebracht am Fenster des Wohnhauses von Jos8 CaÇameras explodierte, in dessen Fabrik es einige Tage zuvor ebenfalls zu einem Sprengstoffanschlag gekommen war, vgl. El Diluvio, 26. 12. 1934, S. 17 und El Diario de Barcelona, 27. 12. 1934, S. 15. 388 So explodierte zum Beispiel am 15. September 1932 in der Bäckerei von Julio Vifano, der kurz zuvor zwei Arbeiter entlassen hatte, ebenfalls ein Sprengsatz, vgl. El Diluvio, 16. 9. 1932, S. 4. Zu einer weiteren Explosion kam es am 14. Januar 1935, als um 20.30 Uhr ein Sprengsatz in der Toilette des Kinos »Arnau« an der Paral·lel detonierte, wobei vier Personen verletzt wurden. Der Eigentümer des Kinos war bereits kurz zuvor durch Flugblätter angefeindet worden, weil er angeblich plante, Arbeiter zu entlassen, vgl. El Correo Catal#n, 15. 1. 1935, S. 3, El Diluvio, 15. 1. 1935, S. 25 und El Diario de Barcelona, 15. 1. 1935, S. 49.
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Neben diesen eher betriebsinternen Auseinandersetzungen lassen sich drei größere Konflikte identifizieren. Der erste davon begann im Zuge des Boykotts des Bieres der in Barcelona ansässigen größten Brauerei Kataloniens »Damm« und dauerte von Juni bis September 1933. Den Grund für diesen Boykott sieht Abel Paz in seiner Durruti-Biographie darin, dass sich dieser auf der Suche nach Arbeit dort als Saisonarbeiter beworben hatte, doch im Gegensatz zu allen anderen Bewerbern abgelehnt worden war. Daraufhin schlug er der Gewerkschaft vor, die Produkte der Firma zu boykottieren.389 Bars und Caf8s, die sich diesem Boykott nicht anschlossen, wurden Ziele von Sprengstoffanschlägen. Der erste Vorfall in diesem Zusammenhang ereignete sich am 20. Juni 1933 im Tanzlokal »Ball Musset«, in dem gegen 22 Uhr ein Sprengsatz explodierte.390 Nachdem es in den folgenden Wochen zu weiteren Vorfällen dieser Art gekommen war, wobei die Sprengsätze meist in den Toiletten der Lokale deponiert wurden, ereignete sich am 12. September der letzte Vorfall dieser Art, als es einem Angestellten der Bar »Roselas« an der Paral·lel gerade noch gelang, einen Sprengsatz vor die Türe zu befördern, sodass dieser auf der Straße und nicht im Lokal explodierte.391 Die anderen beiden Konflikte betrafen das Verkehrswesen und den Industriesektor der Holzverarbeitung. Da aber im ersten Fall die Brandanschläge und im zweiten Fall die Vandalismusaktionen überwogen, bei denen Geschäfte verwüstet wurden, wird darauf erst im folgenden Unterkapitel eingegangen. Hinsichtlich der hier betrachteten Sprengstoffanschläge lässt sich festhalten, dass diese im Untersuchungszeitraum im Gegensatz besonders zu der Welle von terroristischen Terroranschlägen in den 1890er Jahren zwar weiterhin die Funktion hatten, Schrecken zu verbreiten, aber die Täter sich dabei fast immer darauf beschränkten, Sachschaden anzurichten und Menschen, wenn überhaupt, dann nur durch unglückliche Umstände zu Schaden kamen. So handelte es sich bei den Sabotageakten im Untersuchungszeitraum hauptsächlich um Sprengstoffanschläge. Diese traten in manchen Fällen teilweise in Verbindung mit den beiden anderen Sabotageformen auf, die es nun zu betrachten gilt.
389 Vgl. Paz, Durruti, S. 337f. 390 Vgl. El Diluvio, 21. 6. 1933, S. 16. Dasselbe Lokal wurde am 30. Juli erneut Ziel eines derartigen Anschlags. Am selben Tag kam es zu einem weiteren Anschlag im Kabarett »El Tropezjn«, der ebenfalls mit dem Bierboykott in Verbindung gebracht wurde, vgl. El Diluvio, 30. 7. 1933, S. 16. 391 Vgl. El Diluvio, 13. 9. 1933, S. 1 und El Diario de Barcelona, 18. 9. 1933, S. 40. Zwei weitere Beispiele für solche Vorfälle sind dokumentiert in El Diario de Barcelona, 6. 8. 1933, S. 32 sowie El Diluvio, 6. 8. 1933, S. 15 und El Diluvio, 15. 8. 1933, S. 4 sowie El Diario de Barcelona, 15. 8. 1933, S. 12.
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3.2.2 Symbolik der Gewalt und ihrer Zielobjekte – Brandanschläge in der Zweiten Republik Am 21. Januar 1934, nach einem der ersten Brandanschläge, die sich im Untersuchungszeitraum in Barcelona auf eine Straßenbahn ereigneten, veröffentlichte La Vanguardia auf Seite 3 zwei Fotos des Vorfalls, eines vom zerstörten Innenraum sowie eines vom Waggon, das vermutlich ganz ähnlich ausgesehen hat wie auf Abbildung 38 zu sehen.
Abb. 38: Ausgebrannter Straßenbahnwaggon (1934)
Darunter wird beschrieben, wie es dazu gekommen war : »Mehrere Personen bestiegen die Straßenbahn der Linie von Badalona, die Pistole in der Hand. Sie zwangen die Passagiere, auszusteigen. Dann warfen sie eine entflammbare Flüssigkeit in den Wagen und zündeten ihn an«.392 Vorfälle dieser Art wiederholten sich in den folgenden Monaten und Jahren im Zuge des Streiks im Transportgewerbe regelmäßig, was zur Folge hatte, dass Straßenbahnen im Untersuchungszeitraum mit Abstand das häufigste Ziel von Brandstiftungen darstellten, wie die Übersicht (Abb. 39) zu den von Brandstiftungen betroffenen Einrichtungen belegt. Nach der Inbetriebnahme der ersten elektrischen Straßenbahn in Barcelona am 23. Januar 1899 hatte der zeitgenössische Beobachter Tomas Caball8 y Clos angemerkt, dass dieses neue Transportmittel von der Bevölkerung mit bewundernswerter Aufgeschlossenheit – was für die traditionsbewussten Spanier nicht 392 La Vanguardia, 21. 1. 1934, S. 3. Die zitierte Ausgabe kann auf der Homepage der Seite abgerufen werden, die Fotos dort sind allerdings leider so schlecht, dass es keinen Sinn gemacht hätte, diese hier zu präsentieren.
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Abb. 39: Anzahl der von Brandstiftung betroffenen Einrichtungen im Untersuchungszeitraum
eben typisch sei – angenommen wurde, dass sich aber Gerüchte hartnäckig hielten, dass von den Stromkabeln eine große Gefahr ausginge.393 Wie sich im Laufe der Zeit zeigte, stellten nicht diese, sondern die Straßenbahnen selbst eine weitaus größere Gefahr dar, weil durch sie immer wieder Fußgänger verletzt oder gar getötet wurden.394 Selbst zur Zeit der Zweiten Republik kam es noch regelmäßig zu Unfällen, was nicht selten zur Folge hatte, dass sich danach eine Menge zusammenfand, die ihre Wut darüber an den Straßenbahnen ausließ.395 Wesentlich größeres Konfliktpotenzial bot jedoch die Tatsache, dass es sich, ähnlich wie schon bei den geschilderten Fällen des Stromkonzerns La Canadenca und der Telefongesellschaft La Telefjnica auch bei den Eigentümern des Straßenbahnnetzes um ausländische Unternehmen handelte, die das öffentliche Transportsystem der Stadt dominierten.396 Wie bereits erwähnt, hatte die Stilllegung des öffentlichen Nahverkehrs durch das Anhalten der Straßenbahnen bei dem Generalstreik von 1902 und während der Tragischen Woche im Juli 1909 im Vordergrund gestanden und stets schwere Ausschreitungen nach sich gezogen. Weil der funktionierende Straßenbahnverkehr bereits vor der Tragischen Woche geradezu als Symbol für die öffentliche Ordnung galt, wurde er nun zu einem 393 Vgl. Caball8 y Clos, Evocaciones, S. 108f. 394 Prominentestes Beispiel hierfür ist der weltbekannte Architekt Antoni Gaud&, der durch seine Bauten wie kaum ein anderer die Stadt bis heute geprägt hat. Er wurde am 7. Juni 1926 von einer Straßenbahn erfasst und erlag kurze Zeit später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Eine genaue Schilderung des Vorfalls findet sich in Hughes, Barcelona, S. 464. 395 So schildert Ealham einen Fall, wo eine Straßenbahn in Barceloneta mit zwei Arbeitern kollidierte, wodurch einer der beiden verletzt und der andere getötet wurde. Unmittelbar danach hatte sich eine wütende Menge versammelt, die drei Straßenbahnwaggons umwarf und einen davon in Brand steckte, vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 111. 396 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 14f.
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zentralen Kampfobjekt, weshalb die Autoritäten bemüht waren, angehaltene Straßenbahnen möglichst bald wieder zum Fahren zu bekommen, während die protestierenden Arbeiter dies durch gezielte Angriffe zu verhindern versuchten.397 Die Anschläge auf Straßenbahnen und Busse während der Zweiten Republik erfolgten aber nicht nur im Zusammenhang mit den umfassenden Aufständen oder Generalstreiks, die die gesamte Stadt betrafen, sondern hauptsächlich anlässlich von Streiks im Transportsektor selbst. Die Radikalität dieser Konflikte lässt sich dadurch belegen, dass es in diesem Kontext einige der wenigen Attentate in diesem Zeitraum gab, die sonst im Vergleich zu der Zeit des Pistolerismo während der Zweiten Republik in Barcelona erheblich seltener in Erscheinung traten, worauf im Kapitel 3.3.1 noch genauer eingegangen wird. Ab dem 16. November 1933 kam es im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs zunächst vermehrt zu Sprengstoffanschlägen. Während direkte Angriffe auf die Straßenbahnen dabei eher die Ausnahme blieben, richteten sich die Anschläge in der ersten Phase von November 1933 bis März 1934 vor allem gegen ElektroTransformatoren und in der zweiten Phase insbesondere zwischen August und September auf die Leitungsmasten. Die letzten Sprengstoffanschläge dieser Art ereigneten sich zeitlich isoliert davon am 21. August 1935.398 Doch nach und nach wurden in diesem Konflikt die Sprengstoffanschläge von Brandanschlägen als dominierende Gewaltpraktik abgelöst. Da sich viele Arbeiter die Fahrt mit der Straßenbahn nicht leisten konnten und deshalb zu Fuß gingen, scheint das vornehmliche Ziel dieser Brandanschläge weniger die Behinderung des Nahverkehrs, sondern eher die gezielte Beschädigung und Zerstörung des Eigentums des verhassten Unternehmens gewesen zu sein.399 Zum ersten Anschlag dieser Art kam es am 30. November 1933, als in den frühen Abendstunden zwei Personen einen Bus in der Gran Via de les Corts Catalanes (zwischen Calle de Muntaner und Calle de Casanovas) bestiegen und diesen durch zwei Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit in Brand setzten, wobei es zwei Verletzte gab.400 Die Brandanschläge, die die Sprengstoffanschläge ab Januar 1934 als dominierende Gewaltpraktik gegen die öffentlichen Transportmittel ablösten, hatten im Gegensatz zu diesen in erster Linie Straßenbahnen und Busse im Visier. Sie wurden bis auf wenige Ausnahmen jeweils von kleinen Gruppen bewaffneter Personen durchgeführt und liefen nach dem oben beschriebenen Muster ab, bis auf den Unterschied, dass die Täter die Passagiere normalerweise zwangen auszusteigen, bevor sie das Fahrzeug anzündeten. Be397 Vgl. Connelly Ullman, Tragic Week, S. 163ff. 398 Vgl. El Diluvio, 21. 8. 1935, S. 1 und El Noticiero Universal, 21. 8. 1935, S. 2. 399 Der Hinweis, dass die Arbeiter meist zu Fuß gingen, findet sich bei Ealham, Anarchism and the City, S. 28. 400 Vgl. El Diario de Barcelona, 1. 12. 1933, S. 39.
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reits Anfang Januar stellte der Minister Joan Selves i Carrer in einen Interview Überlegungen an, die öffentlichen Verkehrsmittel, die bis dahin ein leichtes Ziel abgaben, von Polizisten bewachen zu lassen.401 Am 16. Februar gelang es der Polizei zum ersten Mal, einen solchen Sabotageakt zu verhindern. Die Täter wurden in eine Schießerei verwickelt, bei der einer von ihnen starb.402 Im März reagierte die Straßenbahngesellschaft auf diese Anschläge, indem sie ihre Fahrzeuge gegen Brandstiftung versicherte.403 Die Anschläge setzten sich bis September 1934 fort und traten dann noch einmal in der Zeit von Dezember 1934 bis März 1935 gehäuft auf. Der letzte Anschlag dieser Art ereignete sich am 17. Juli 1935, wobei dabei auf der Brücke über den Fluss Besjs im Osten der Stadt ein Bus beschädigt wurde.404 Bevor die Brandanschläge auf öffentliche Verkehrsmittel begannen, waren hauptsächlich kirchliche Einrichtungen das Ziel von Brandanschlägen gewesen. Im Gegensatz zu den Brandanschlägen auf Straßenbahnen, die das öffentliche Nahverkehrssystem zum Erliegen bringen sollten, waren nach Mary Thomas, die die jüngste Untersuchung zur antiklerikalen Gewalt in Spanien durchgeführt hat, Brandanschläge auf Kirchen ein ausgesprochen symbolischer und öffentlicher Akt, um die Manifestationen von kirchlicher und kapitalistischer Repression aus der lokalen Topographie zu tilgen.405 Schon in den 1830er Jahren waren Kirchen im Zuge der Karlistenkriege Ziel von zahlreichen Übergriffen gewesen. Während einer Choleraepidemie im Jahr 1834 in Madrid hatte sich das Gerücht verbreitet, dass Mönche und Jesuiten die Brunnen vergiftet hätten, worauf es zur Ermordung einiger Mönche und zu Brandanschlägen auf Konvente und Jesuitenkirchen kam. Im darauffolgenden Jahr ereigneten sich in ganz Spanien ähnliche Vorfälle, wobei die Täter meistens aus dem einfachen Volk stammten.406 Auch in Barcelona kam es im Rahmen von antiklerikalen Ausschreitungen im Sommer 1835 zum ersten Mal zu Brandanschlägen auf kirchliches Eigentum, die sich aber bis zur Tragischen Woche von 1909 in diesem Umfang nicht wiederholen sollten. Zwar hatte es im Zuge der antiklerikalen Ausschreitungen anlässlich der Revision des Montju"c-Prozesses und während des Generalstreiks von 1902 einzelne Versuche von Übergriffen auf kirchliches Eigentum gegeben, doch konnten diese durch das Eingreifen der Polizei verhindert werden.407 Stattdessen setzten sie sich im 19. Jahrhundert dergestalt fort, dass es bis zur tragischen Woche laut Klaus-Jürgen Nagel zur »Tradition« wurde, 401 402 403 404 405 406 407
Dieses Interview ist nachzulesen in El Correo Catal#n, 9. 1. 1934, S. 2. Eine ausführliche Beschreibung dieses Vorfalls findet sich in Kapitel 4.1.2. Vgl. El Noticiero Universal, 9. 3. 1934, S. 2. Vgl. El Diario de Barcelona, 18. 7. 1935, S. 11 und El Noticiero Universal, 18. 7. 1935, S. 17. Vgl. Thomas, Faith, S. 70. Vgl. Brenan, Labyrinth, S. 43. Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 142.
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vor allem die Häuschen der verhassten Steuereintreiber an den Stadttoren in Brand zu stecken.408 Im Vergleich zur Tragischen Woche, in der viele Kirchen brannten, und den ersten Monaten des Bürgerkriegs hielten sich Übergriffe gegenüber Kirchen in Barcelona im Untersuchungszeitraum jedoch sehr stark in Grenzen.409 Dieser Befund ist besonders für die Zeit der Zweiten Republik überraschend, weil es vor allem unmittelbar nach Beginn der Zweiten Republik im Mai 1931 sowie am Vorabend des Spanischen Bürgerkriegs im Frühjahr 1936 in ganz Spanien vermehrt zu Brandanschlägen auf Kirchengüter gekommen war.410 Dabei ähnelten die Brandanschläge in Madrid im Mai 1931, die von einigen Hundert Demonstranten durchgeführt wurden während Tausende Zuschauer applaudierten, den Ereignissen der Tragischen Woche in Barcelona Ende Juli 1909.411 In Katalonien blieben die Kirchen aber während der ersten Anschlagsserien im Mai 1931 weitgehend unbehelligt und auch im weiteren Verlauf der Zweiten Republik kam es nur zu zwei weiteren Brandanschlägen auf Kirchen.412 Im Übrigen wurden die Kirchen, abgesehen von einigen wenigen Einbrüchen und zwei Sprengstoffanschlägen im Untersuchungszeitraum nicht in Mitleidenschaft gezogen.413 Auch während der Unruhen im Oktober 1934, in deren Verlauf es in Spanien zum ersten Mal seit knapp 100 Jahren nicht nur zu Übergriffen auf kirchliches Eigentum, sondern zu gezielten Mordanschlägen auf Priester gekommen war, waren in Barcelona Priester nur vereinzelt körperlichen Angriffen ausgesetzt.414 Angesichts der Bedeutung der sozialen Konflikte in Barcelona wäre anzunehmen, dass auch viele Brandanschläge auf Fabriken verübt wurden. In der Tat war die erste Fabrik Barcelonas, die im Stadtteil Sants errichtet wurde, von ihren Arbeitern wie im Kapitel 2.4 bereits beschrieben, in Brand gesetzt worden.415 408 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 610. 409 Nach de la Cueva Merino, Asalto, S. 56, sollen während des Bürgerkrieges in Katalonien mehr als 2000 Geistliche ermordet worden sein, über 70 % davon in den ersten drei Monaten des Bürgerkrieges. 410 Vgl. de la Cueva Merino, Asalto, S. 53ff. 411 Vgl. Callahan, Catholic Church, S. 285. 412 So wurde Ende August 1933 eine Kirche in der Calle de Calabria durch Brandstiftung zerstört, vgl. Las Noticias, 31. 8. 1933, S. 2. Dagegen konnte am 19. Juni 1935 der Versuch vereitelt werden, den Konvent der Padres Trinitarios anzuzünden, vgl. El Diluvio, 19. 6. 1935, S. 9. 413 So war es in der Kirche Santa Mar&a in Sants im November 1931 zu einem Einbruch gekommen, vgl. El Noticiero Universal, 9. 11. 1931, S. 9. Ein weiterer Einbruch in die Kirche von San Agust&n ist in El Correo Catal#n am 16. 12. 1932, S. 3. dokumentiert. Über einen Sprengstoffanschlag in einem Kloster berichtete El Diluvio, 10. 12. 1933, S. 17 und einen weiteren vereitelten Sprengstoffanschlag beschreibt El Noticiero Universal, 21. 12. 1934, S. 5. 414 Vgl. Callahan, Catholic Church, S. 321. Preston führt dagegen aus, in Barcelona habe es nur einige isolierte körperliche Übergriffe auf Priester gegeben, vgl. Preston, Holocaust, S. 233. 415 Dass es sich hierbei um ein bedeutendes Ereignis handelte, zeigt sich etwa bei Salut, der
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Zwar gingen auch während des Untersuchungszeitraums viele Gebäude in Flammen auf, doch lässt sich anhand der vorliegenden Berichte darüber in der Mehrzahl der Fälle nicht zweifelsfrei feststellen, ob es sich dabei tatsächlich um Brandstiftung oder nur um Unfälle oder sogar um Versicherungsbetrug handelte, wofür ebenfalls einige Beispiele dokumentiert sind.416 Die Vorfälle dagegen, von denen eindeutig belegt ist, dass es sich um Brandanschläge handelte, haben aufgrund ihrer geringeren Anzahl keinerlei allgemeine Aussagekraft und können deshalb hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Gewaltsamkeit in der Stadt vernachlässigt werden. Die einzige Ausnahme bildet der Brandanschlag am 5. September 1934 auf das katalanische Agrarinstitut, in dem der Unternehmerverband des Agrarsektors, der das damalige katalanische Pächtergesetz mithilfe des spanischen Staates durchsetzte, seinen Sitz hatte.417 Dieses in fast allen Tageszeitungen ausführlich beschriebene Ereignis erinnert an die Brandanschläge während der Tragischen Woche: Zunächst bewarf eine Gruppe – nach Zeugenaussagen fröhlicher Jugendlicher – das Gebäude mit Steinen, dann drangen die Täter mit Pistolen bewaffnet in das Gebäude ein, zerstörten die Möbel und steckten es schließlich in Brand.418 Die Feuerwehr konnte die Flammen zwar schließlich eindämmen, die Täter wurden jedoch nicht gefasst.419 Eine ganz andere Gewaltpraktik, deren Ziel ebenfalls darin bestand, Sachschäden anzurichten, hatte sich bereits Anfang 1933 und damit gut ein Jahr vor den Brandanschlägen auf Straßenbahnen etabliert. Ein typischer Vorfall dieser Art ereignete sich am 18. Januar 1933. Eine Gruppe von fünf bewaffneten Männern drang in eine Schreinerei an der Calle de Gerona 181 ein. Obwohl sie auch etwas Geld mitnahmen, galt ihr Hauptinteresse dem Mobiliar des Geschäftes, das sie zerstörten. Wie die Zeitung El Noticiero Universal in ihrem
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beschreibt, dass dieses Vorkommnis innerhalb seiner Familie durch Erzählungen weitergegeben wurde, vgl. Salut, Vivers, S. 94f. Ein ausführlich dokumentiertes Beispiel, bei dem die mutmaßlichen Täter später auch vor Gericht gestellt wurden, war die Brandstiftung in einer Glasfabrik im April 1921. Diese ist dokumentiert in El Diluvio 8. 4. 1921, S. 28, 9. 4. 1921, S. 12 und 10. 4. 1921, S. 11 sowie in El Noticiero Universal, 8. 4. 1921, S. 4. Über die Gerichtsverhandlung berichtete El Diluvio, 26. 5. 1922, S. 26 und 30. 5. 1922, S. 20. Ein Fall von vorsätzlicher Brandstiftung im Zusammenhang mit einem Versicherungsbetrug findet sich in El Diario de Barcelona, 24. 2. 1928, S. 18f. Einige Jahre später soll auch das an den Ramblas befindliche Geschäft El Siglo vom Eigentümer selbst angezündet worden sein, um an die Versicherungsprämie zu gelangen, vgl. Paz, Feigenkakteen, S. 57. Eine ausführliche Beschreibung dieser Einrichtung findet sich bei Planas, L’Institut, S. 351ff. Vgl. El Diluvio, 6. 9. 1934, S. 19, El Noticiero Universal, 6. 9. 1934, S. 7, S. 9 und S. 16, 8. 9. 1934, S. 5, El Correo Catal#n, 6. 9. 1934, S. 3 und La Noche, 6. 9. 1934, S. 3. Dass diese Tat durchaus eine wichtige Bedeutung hatte, zeigt die Tatsache, dass beispielsweise auch Andreu Hurtado darüber in seinen Erinnerungen berichtete, vgl. Hurtado, Octubre, S. 189f. Vgl. Planas, L’Institut, S. 358.
Gewalt gegen Sachen und ihre kontextspezifische Realisierung
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Bericht darüber erwähnte, war es in den vorangegangenen Tagen schon zu mehreren ähnlichen Fällen von Vandalismus in anderen Schreinereien gekommen.420 Vandalismus hatte es in Form von Verwüstungen und Zerstörungen von Firmeneigentum schon während der Streiks in den 1910er Jahren gegeben, wozu zum Beispiel das Umwerfen von Fahrzeugen gehörte. Nachdem diese Deliktform bis 1920 zunächst zugenommen hatte, ließ sie in den folgenden Jahren wieder stark nach.421 Erst nach dem Ende der Diktatur kam es wieder vermehrt zu Vandalismusvorfällen. Gehäuft traten sie allerdings lediglich während der Arbeitskämpfe im Holzverarbeitungsgewerbe auf, wie das entsprechende Diagramm (Abb. 40) erkennen lässt.
Abb. 40: Anzahl der von Vandalismus betroffenen Betriebe im Untersuchungszeitraum
Dabei kamen bei den Vandalismustaten mehrmals kleinere Sprengsätze zum Einsatz, wobei sich der erste Vorfall dieser Art am 24. März 1932 in der Schreinerei der Brüder Cucurella in der Calle del Conde del Asalto 128 ereignete, wo sich die Arbeiter seit mehr als zehn Tagen im Streik befanden und der Eigentümer der Schreinerei sich geweigert hatte, sie wieder einzustellen.422 Vandalismusdelikte bei denen Gruppen in Geschäfte eindrangen und Sprengsätze zündeten, um die Einrichtung zu verwüsten, häuften sich gegen Ende November 1932 und setzten sich bis Ende Februar 1933 fort. Danach gab es nur noch wenige derartige Vorfälle. Parallel dazu ereigneten sich die meisten Fälle
420 Über diese wird berichtet in El Noticiero Universal, 19. 1. 1933, S. 8, El Diario de Barcelona, 19. 1. 1933, S. 13 und El Correo Catal#n, 20. 1. 1933, S. 6. 421 Vgl. Balcells, ViolHncia Social, S. 33. 422 Darüber berichteten El Diluvio, 25. 3. 1932, S. 4, 25. 3. 1932, S. 12, El Noticiero Universal, 25. 3. 1932, S. 7 und El Diario de Barcelona, 26. 3. 1932, S. 28.
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Ursprung, Entwicklung und Dynamik spezifischer Gewaltpraktiken in Barcelona
von Vandalismus ohne Sprengstoffeinsatz von Januar bis März 1933.423 Danach kam es nur noch sporadisch zu Vandalismusdelikten.424 Insgesamt lässt sich festhalten, dass es sowohl Brandanschläge als auch Vandalismusdelikte in Barcelona als kollektive Gewaltakte schon vor Beginn des Untersuchungszeitraums gegeben hatte, wenn im Falle der Brandanschläge auch in einem etwas anderen Kontext. Im Untersuchungszeitraum traten sie dann allerdings nur noch sehr punktuell in Erscheinung. Doch auch wenn die Sprengstoffanschläge als Sabotageform quantitativ deutlich überwogen, müssen trotzdem besonders die Brandanschläge auf Straßenbahnen und Busse aufgrund ihrer meist spektakulären Ausführung auf die Zeitgenossen einen großen Eindruck gemacht haben. Das mag eine Erklärung dafür sein, weshalb die Gewaltakteure während des Konfliktes im Transportsektor von den Sprengstoffanschlägen zu den Brandanschlägen wechselten, obwohl diese von ihrer Ausführung her wesentlich riskanter waren. Während die hier betrachteten kollektiven Gewaltpraktiken, so unterschiedlich sie in ihrer Ausführung auch sein mochten, darin übereinstimmen, dass ihr Ziel vor allem in der Zerstörung von materiellen Dingen bestand, sollen im folgenden Kapitel in Abgrenzung dazu die in Barcelona dominierenden Gewaltpraktiken untersucht werden, die sich ganz gezielt gegen Personen richteten.
3.3
Einfluss von Schusswaffen auf die Gewaltspezifik der Stadt – die Zeit der »Pistoleros«
»Seit 30 Jahren, kurz nach der Weltausstellung von 1888, ist Barcelona das Ziel von Terroranschlägen, die mit der Bombe, die Pall#s auf Mart&nez Campos warf, begannen und die dann zu den noch grässlicheren Tragödien im Liceu-Theater und während der Prozession von Santa Maria del Mar führten. Die niederträchtigen Instrumente des Terrors haben sich geändert, nicht aber seine Auswirkungen. Gestern benutzten sie Sprengsätze, heute die ›Star‹. Die Straßen Barcelonas, die öffentlichen Gebäude und manchmal sogar die Wohnungen der Opfer werden immer wieder aufs Neue blutbefleckt in einer regelmäßigen, konstanten, fast methodischen Weise […]«.425
In diesem Schreiben des Verbandes der katalanischen Arbeitgeber an die Regierung vom 4. Juni 1923 werden die beiden zentralen Merkmale der gegen Menschen gerichteten Gewalt in Barcelona auf den Punkt gebracht, die dazu 423 Derartige Vorfälle sind etwa dokumentiert in El Diario de Barcelona, 9. 2. 1933, S. 13, 15. 2. 1933, S. 11, 12. 3. 1933, S. 14 sowie El Noticiero Universal, 18. 2. 1933, S. 8 und 11. 3. 1933, S. 9. 424 Beispiele finden sich in El Diario de Barcelona, 22. 6. 1933. S. 14, El Diluvio, 8. 2. 1934, S. 18 sowie El Noticiero Universal, 29. 2. 1936, S. 14 und 10. 4. 1936, S. 6. 425 Dieses Schreiben findet sich im Bericht des FTN der Jahre 1923 und 1924, S. 51f.
Einfluss von Schusswaffen auf die Gewaltspezifik der Stadt
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führten, dass die unmittelbaren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bis hin zum Ende der Restaurationsmonarchie als Zeit des »Pistorismo« bekannt wurden: Die Attentäter fingen an, statt Bomben nun Pistolen zu benutzen – wobei die im Text genannte »Star« und die »Browning« die beliebtesten Marken waren – und die durch sie verübten Morde nahmen in Barcelona Dimensionen an, die mit keiner anderen Stadt vergleichbar waren.426 So wurden die meist in Kleingruppen agierenden Pistoleros in der Zwischenkriegszeit zu einer alltäglichen Erscheinung im Stadtbild Barcelonas, die die Tradition des Straßenprotestes in Form der Besetzung des öffentlichen urbanen Raums durch größere Menschenmassen, wie im Kapitel 3.1.1 beschrieben, zunehmend an Bedeutung verlieren ließen.427 Möglich wurde dies erst durch die in dieser Epoche erfolgten Entwicklungen bezüglich der Schusswaffen. Wie die deutsche Historikerin Dagmar Ellerbrock festgestellt hat, fanden Pistolen in ganz Europa ab den 1880er Jahren vermehrt Verbreitung. Zwar waren Schusswaffen schon seit dem 15. Jahrhundert bekannt, aber dadurch, dass sie relativ umständlich zu laden und somit langsam in ihrer Handhabung waren sowie auch ihre Zielgenauigkeit sehr zu wünschen übrig ließ, blieben sie hinsichtlich ihrer Effizienz lange Zeit selbst hinter gewöhnlichen Messern zurück. Dies änderte sich erst durch die technische Weiterentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die durch die Erfindung von modernen Explosivstoffen, Zündblättchen und Patronen sowie die standardisierte industrielle Produktion unter Verwendung neuer Maschinen und Materialien eine hochpräzise Massenproduktion erst möglich machte. Dadurch konnten moderne Handfeuerwaffen hergestellt werden, die über eine wesentlich stärkere Feuerkraft, eine größere Reichweite und eine deutlich höhere Treffgenauigkeit verfügten. Durch geschickte Vermarktung und den moderaten Preis wurden Pistolen bald zu einem Kassenschlager und schnell zu einem alltäglichen Gegenstand.428 Während Lehrlinge bis dahin von ihrem ersten Gehalt irgendeine Art von Messer gekauft hatten, begannen sie um die Jahrhundertwende, sich stattdessen Pistolen anzuschaffen. Die Gewaltsituationen, in denen früher Messer zum Einsatz gekommen waren, blieben größtenteils dieselben, doch nun wurden die Konflikte unter Verwendung von Pistolen ausgetragen und dementsprechend waren die Auswirkungen meist wesentlich verheerender. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Pistolen in der Regel größere Verletzungen verursachen als Messer, zum anderen darauf, dass nun zwischen einer Drohung und 426 Nach Albert Balcells, bei dem sich die wahrscheinlich exaktesten Zahlen finden lassen, sollen in Barcelona zwischen Januar 1917 und September 1923 insgesamt 981 Personen Opfer von dieser Art von Gewalt geworden sein, vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 620. 427 Vgl. Baumeister, Arenen, S. 132. 428 Vgl. Ellerbrock, Gun Violence, S. 193f.
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Ursprung, Entwicklung und Dynamik spezifischer Gewaltpraktiken in Barcelona
dem Abfeuern des Schusses nur noch wenige Sekunden lagen, wohingegen das Zustoßen mit einem Messer wesentlich länger dauerte und außerdem eine wesentlich größere Nähe zum Widersacher erforderte.429 Auch in Spanien und besonders in Barcelona waren Schusswaffen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu einem festen Bestandteil des Alltags geworden. So räumte der damalige Ministerpräsident Eduardo Dato, der später selbst Opfer eines Attentats werden sollte, bereits im Februar 1914 ein, dass die Browning-Pistole »die Herrin der Straßen von Barcelona« sei.430 Wie im Kapitel 2.1 bereits erwähnt, stieg die Zahl der sich in Barcelona im Umlauf befindlichen Waffen nach dem Ersten Weltkrieg noch einmal deutlich an, was vor allem daran lag, dass diese nach Kriegsende nun vermehrt illegal aus Frankreich nach Barcelona gelangten und dort günstig erworben werden konnten. Die beiden halbautomatischen Pistolen der Marken »Star« und »Browning« zählten ähnlich wie bei den Anarchisten in Frankreich und Italien auch in Spanien zu den beliebtesten Waffen und hatten sich dabei zu einer Art Männlichkeitssymbol entwickelt.431 Victor Serge hat in seiner bereits zitierten Schilderung Barcelonas über die Zeit des Generalstreiks von 1917 sehr eindrücklich das Gefühl der Stärke beschrieben, das der Besitz von Waffen dabei vermittelt haben mag. Dieses erläutert er am Beispiel der Arbeiter, die als Vorbereitung auf den Arbeiterkampf von der Gewerkschaft gerade Gewehre erhalten hatten, folgendermaßen: »Arbeiter strömen durch die blendende Stadt zu ihren Wohnungen in den Armenvierteln leichten Schrittes, die Schultern zurückgeworfen in einem neuen Gefühl ihrer Macht. Ihre Hände werden nicht müde, den schwarzen Stahl der Waffen zu liebkosen. Und Wellen von Stolz und Kraft fließen von diesem Stahl in ihre muskulösen Arme, durch die Wirbelsäule in jene Bezirke des Gehirns, wo durch eine geheimnisvolle Chemie diese wichtige Lebenskraft destilliert wird, die wir ›Willen‹ nennen. Ein Mann, der eine Waffe trägt (besonders, wenn er sehr lang entwaffnet gewesen, und besonders in einer modernen Großstadt, wo der Besitz einer Waffe, heimlich und gefährlich, immer fasttragische Folgen nach sich zieht), ist beflügelt von jenem doppelten Wissen: Gefahr mit sich zu tragen – und Gefahr zu laufen. Die Waffe, die ein uraltes Recht wiederherstellt, stellt ihn außerhalb des geschriebenen Gesetztes – des Gesetzes der anderen«.432
Auch wenn diese Schilderung sicherlich etwas verklärend sein mag, lassen sich doch einige der dort mit dem Besitz einer Waffe verbundenen Aspekte nachvollziehen und sind auch in anderen Quellen zu finden. So waren zur Zeit der gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den beiden konkurrierenden Gewerkschaften Sindicatos 5nicos und Sindicatos Libres neben den Pistoleros 429 430 431 432
Vgl. Ellerbrock, Gun Violence, S. 195ff. Vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 508. Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 233. Serge, Geburt, S. 26.
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auch der Großteil der anderen Mitglieder bewaffnet, weil sie stets in der Gefahr lebten, einem Attentat zum Opfer zu fallen.433 Dass der Besitz einer Waffe den Gewaltakteuren, wie ebenfalls in dem Zitat von Victor Serge angedeutet, das Gefühl gegeben haben mag, sie könnten sich über das Gesetz stellen, bestätigt sich etwa in der Aussage des Anführers einer Bande von Straßenräubern, Jos8 Antich, der erklärte, mit einer Pistole fühle er sich zu allem in der Lage, denn im Anblick der Pistole würden die Leute alles tun, was man befiehlt.434 Dies entspricht durchaus der Funktion der Waffe, die sie auch für die Mitglieder der faschistischen Kampfbünde in Italien und dem Deutschen Reich gehabt haben mag, wie Sven Reichardt in seiner Untersuchung ausführt. So hatten Waffen dort vor allem einen großen symbolischen Wert, der einerseits in einer Drohgebärde bestand, die den Gegner einschüchtern sollte. Andererseits diente die Waffe gegenüber den Kameraden als Statussymbol und erhöhte das Ansehen ihres Besitzers. Darüber hinaus drückte das Zurschaustellen der Waffen den Ernst des Anliegens aus und betonte die eigene Entschlossenheit.435 Das zeitgenössische Foto, das die Waffen dokumentiert (Abb. 41), die bei einer Bande von Straßenräubern beschlagnahmt wurden, lässt das Ausmaß der Bewaffnung der Gewaltakteure in Barcelona während der Zweiten Republik erahnen. Im weiteren Verlauf des Untersuchungszeitraums blieben Versuche, den Besitz von Waffen durch entsprechende Gesetze einzudämmen, weitgehend erfolglos und als die Regierung im Mai 1937 inmitten des Bürgerkrieges schließlich versuchte, die Anarchisten in Barcelona gewaltsam zu entwaffnen, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen, die George Orwell miterlebte und später in seinem Buch »Mein Katalonien« eindrucksvoll geschildert hat.436 Dass dies eine permanente Infragestellung des Gewaltmonopols des spanischen Zentralstaates bedeutete, wird in Anbetracht der Tatsache deutlich, dass, wie der Neuzeithistoriker Karl Heinz Metz in seiner Geschichte der Gewalt feststellt, das Wesen des modernen Staates in der Entwaffnung aller Einwohner bestehen würde im Gegensatz zum Feudalismus, wo das Waffentragen und damit die Berechtigung zur Gewalt das Recht aller freien Männer gewesen war.437 433 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 598. Auch der von Magnus Enzensberger zitierte V. de Rol erklärte, dass zu jener Zeit kein militanter Arbeiter das Haus verlassen konnte, ohne sich zu bewaffnen, vgl. Enzensberger, Sommer, S. 43. 434 Vgl. La Noche, 2. 1. 1934, S. 5. 435 Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 83f. 436 Vgl. Orwell, Mein Katalonien, S. 150. Eine ausführliche Analyse dieser Unruhen bietet Gallego, Barcelona. 437 Vgl. Metz, Gewalt, S. 22. Auch Baberowski, Räume der Gewalt, S. 94, führt aus, dass in einem modernen Staat die Bürger den Hoheitsträgern des Staates die Kontrolle über die Waffen im Vertrauen darauf überlassen würden, dass der illegale Gebrauch von Waffen bestraft würde.
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Ursprung, Entwicklung und Dynamik spezifischer Gewaltpraktiken in Barcelona
Abb. 41: Waffen einer Straßenräuberbande (1934)
So blieben die Pistoleros über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg ein fester Bestandteil des städtischen Lebens in Barcelona und stellten somit neben den permanenten Bomben- und Sprengstoffanschlägen, die Barcelona als »Stadt der Bomben« bekannt gemacht hatten, das zweite gewaltspezifische Phänomen der katalanischen Hafenstadt dar, das es genauer zu analysieren gilt. Ein Blick auf die mit Pistolen verübten Gewaltdelikte, also hauptsächlich Attentate und Raubüberfälle, lässt erkennen, dass sich diese im Laufe des Untersuchungszeitraums deutlich veränderten, wie das Diagramm (Abb. 42) veranschaulicht. Wie im Eingangszitat dieses Kapitels beschrieben, stellten zunächst Attentate die vorherrschende mit Pistolen verübte Gewaltpraktik in Barcelona dar und sollen deshalb auch hier den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden (Kapitel 3.3.1). Allerdings blieben diese – abgesehen von einigen vereinzelten Fällen während der Zeit der Zweiten Republik – hauptsächlich auf die Endphase der Restaurationsmonarchie beschränkt.438 Im Gegensatz dazu traten zunächst in den unmittelbaren Monaten vor dem Beginn der Diktatur Primo de Riveras im Sommer 1923 und später während der gesamten Zweiten Republik bewaffnete Raubüberfälle als Gewaltpraktik immer mehr in den Vordergrund, wie aus der vorstehenden Grafik hervorgeht. Dazu äußerte sich etwa ]ngel PestaÇa rückblickend folgendermaßen: »So wie das systematische Attentat die gut bekannte Figur des ›Pistolero‹ erschuf, ließ der Überfall, […] diese schnell zum profes438 Der Rückgang der Opferzahlen während der Diktatur Primo de Riveras und die vergleichsweise niedrigen Opferzahlen während der Republik blieben auch den Zeitzeugen nicht verborgen, siehe Seidman, Workers, S. 26 und den Jahresbericht des FTN von 1934, S. 219f.
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Abb. 42: Anzahl der Attentate und Raubüberfälle
sionellen Atracador werden«.439 Dieser Begriff bezeichnet im Spanischen eine Person, die »atracos« (dt.: Raubüberfälle) durchführt (Kapitel 3.3.2). Aus diesem Grund soll im folgenden Kapitel deshalb die Frage im Mittelpunkt stehen, auf welche Ursachen der Wandel von Attentaten zu Raubüberfällen als dominierende, mit Waffen verübte Gewaltpraktik in Barcelona während der Zwischenkriegszeit zurückzuführen ist.
3.3.1 Der Pistolerismo als das typische Gewaltphänomen in der Endphase der Restaurationsmonarchie Am 9. Januar 1918 war in der Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera Folgendes zu lesen: »Barret, wie wir erfuhren, wurde schwer verletzt. Dieser Herr, Präsident der Arbeitgeber des Metallsektors in Katalonien und Generalsekretär der Eisenhütten- und Metallindustrie in Spanien, war einer der tyrannischsten Arbeitgeber dieser Region. Er war schuld daran, dass einige Streiks im Metallsektor scheiterten und er trägt durch sein Handeln die Verantwortung dafür, dass viele von uns im Gefängnis sitzen. Deshalb sagen wir : ›Für jedes Schwein kommt irgendwann der St. Martinstag‹«.440 439 Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 185. 440 Solidaridad Obrera, 9. 1. 1918. Am St. Martinstag werden in Spanien üblicherweise Schweine geschlachtet, weshalb die im Zitat verwendete Formulierung im Sprachgebrauch häufig benutzt wird, um auszudrücken, dass jemand seine gerechte Strafe bekommen hat.
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Jos8 Albert Barret, auf den am Tag zuvor ein Mordanschlag verübt worden war, an dessen Folge er starb, war eines der ersten Opfer des »Pistolerismo«.441 Dieser Begriff beschreibt in diesem Kontext die Häufung von Vorfällen wie dem oben beschriebenen zu jener Zeit in Barcelona. Diese Gewaltpraktik wurde in der zeitgenössischen Presse sehr häufig als »Atentado social« (dt.: Soziales Attentat) bezeichnet, einem Begriff, den später auch die Historiker übernahmen. Auch wenn es nicht einfach ist, diesen Terminus adäquat ins Deutsche zu übersetzten, scheint zumindest die Bezeichnung »Attentat« in diesem Fall sinnvoll und hilfreich. Das deutsche Wort »Attentat« geht auf das lateinische Verb »attemptare« zurück, das laut dem deutschen Althistoriker Alexander Demandt »versuchen, anpacken, angreifen« in einem überraschenden, gewagten und tendenziell illegitimen Sinne meint. Als Hauptmotive nennt er neben der Rache vor allem den Hass »des Kleinen auf den Großen«, der sich häufig als Gegenwehr gegen den vermeintlichen »Tyrannen« versteht.442 Damit entspricht der eingangs geschilderte Mord an Barret diesen Kriterien ebenso wie den von dem deutschen Historiker Sven Felix Kellerhoff herausgearbeiteten vier zentralen Merkmalen von Attentaten. Dessen Ausführungen zufolge stellt ein Attentat den gezielten Einsatz von Gewalt gegen eine im Voraus festgelegte Person dar, die in einer gewissen sozialen Distanz zu den Tätern steht. Es erfolgt unerwartet und in einer für das Opfer nicht lebensbedrohlichen Situation und soll dazu dienen, eine als drückend empfundene Situation zu beenden, Schlimmerem vorzubeugen oder die Öffentlichkeit auf ein Problem aufmerksam zu machen.443 Es liegt also nahe, den Ursprung der Gewaltpraktik der »sozialen« Attentate in den politischen Attentaten zu suchen, die sich in Spanien in den Jahrzehnten um die Jahrhundertwende ähnlich häuften wie in anderen Ländern Europas.444 Dabei passt es ins Bild, dass man angeblich auch dem Opfer des ersten bedeutenden politischen Attentats in Spanien der Moderne, dem damaligen Ministerpräsidenten Juan Prim, der am 30. Dezember 1870 nach einer Parlamentssitzung in seiner Kutsche von einer Gruppe Bewaffneter erschossen wurde, 441 Vgl. Gabriel, Red Barcelona, S.58f. Dass über den Mord an Barret vor allem in der bürgerlichen Presse auch ganz anders berichtet wurde, zeigen etwa El Diluvio, 9.1.918, S. 8, La Publicidad, 9. 1. 1918, S. 4 sowie die Morgenausgabe von El Noticiero Universal, 9. 1. 1918, S. 1. Eine kurze Biographie Barrets findet sich in Bengoechea, Organitzacij, S. 327f. 442 Vgl. Demandt, Attentat, S. 449ff. 443 Vgl. Kellerhoff, Attentat, S. 105. 444 So merkt Scheffler, Königsmord, S. 192, an, dass in den 125 Jahren zwischen der Hinrichtung Ludwigs XVI, die er als Auftakt der gezielten Beseitigung von Staatsoberhäuptern ansieht und der Ermordung der Romanows die Staatsoberhäupter in Europa weit gefährlicher als in den Jahrhunderten danach lebten, was er vor allem darauf zurückführt, dass mit dem Ende zahlreicher Monarchien am Ende des Ersten Weltkrieges viele klassische Ziele für einen »Königsmord« von der politischen Bühne verschwanden.
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vorher angekündigt haben soll, dass »für jedes Schwein irgendwann der St. Martinstag kommen würde«.445 Zwei weitere spanische Ministerpräsidenten wurden in den folgenden Jahrzehnten Opfer von Attentaten. Am 8. August 1897 ermordete der ursprünglich aus Italien stammende Anarchist Michelle Angiolillo den damaligen Ministerpräsidenten C#novas del Castillo während dessen Kuraufenthaltes in Mondragjn im Baskenland.446 Am 1. November 1912 starb in Madrid mit Jos8 Canalejas ein weiterer Ministerpräsident durch ein Attentat, wobei sich der Täter – der Anarchist Manuel PardiÇas – nach dem Attentat selbst das Leben nahm. Eigentlich hatte er Alfonso XIII töten wollen, weil er hoffte, durch dessen Ermordung in Spanien einen Volksaufstand entfesseln zu können.447 Außer auf die Ministerpräsidenten wurden mit Beginn der Restaurationsmonarchie zahlreiche Attentate auf Mitglieder der Königsfamilie unternommen, die aber alle scheiterten. So wurden zum Beispiel in Madrid innerhalb von gut einem Jahr, am 25. Oktober 1878 und am 30. Dezember 1879, zwei Attentate auf Alfons XII. verübt, die er aber beide unverletzt überstand.448 Auch sein Sohn und Nachfolger, Alfons XIII. kam weder am 31. Mai 1905 bei einem Bombenattentat in Paris noch bei einem weiteren Bombenattentat genau ein Jahr später in Madrid zu Schaden.449 In Barcelona gab es vergleichbare Attentate auf so hohe Staatsträger selbst in der Hochphase der terroristischen Terrorwelle nur sehr selten. Lediglich am 25. Januar 1894 erfolgte ein Attentatsversuch auf den Zivilgouverneur Ramjn Larroca durch den Anarchisten Ramjn Murull, der seinem Opfer vorwarf, für die vorangegangenen mutmaßlichen Folterungen von Gefangenen verantwortlich gewesen zu sein, die verdächtigt wurden, den Bombenanschlag auf das Liceu-Theater begangen zu haben.450 Der spanische König vermied bereits seit 1888 aus Angst vor einem Attentat, Barcelona zu besuchen. Dass diese Vorsicht begründet war, zeigt die Tatsache, dass der damalige amtierende Ministerpräsident Antoni Maura während seines ersten Besuchs in Barcelona nach fast zwei Jahrzehnten am 12. April 1904 von dem 19-jährigen Anarchisten Joaqu&n Artal mit einem Messer schwer verletzt wurde.451 Am 18. April 1907 erfolgte ein wei-
445 Dies behauptet zumindest Sanchez Ferrera, Cinco Asesinatos, S. 27. Zum Attentat auf Juan Prim siehe Anguera i Nolla, General Prim. Mit der Frage nach den mutmaßlichen Tätern beschäftigt sich Montjn de Lama, Qui8n. 446 Vgl. dazu Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 158ff. 447 Vgl. Termes, Anarquismo, S. 247f. 448 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 46f. 449 Für die Attentate auf Alfons XIII. vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 217ff. 450 Vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 277. 451 Vgl. Romero-Maura, Terrorism, S. 135.
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teres politisches Attentat, bei dem auf Nicol#s Salmerjn geschossen wurde, einen der Mitbegründer der Republikanischen Partei.452 Während politische Attentate in Barcelona um die Jahrhundertwende also die Ausnahme blieben, war die in dieser Arbeit bereits mehrfach erwähnte anarchistische Anschlagsserie der 1890er Jahre, die in Barcelona Dutzende von Todesopfern forderte, beispiellos. Am 24. September 1893 wurde bei einer Militärparade ein Anschlag auf den Generalkapitän von Barcelona, General Arsenio Mart&nez Campos verübt. Am 7. November desselben Jahres ereignete sich ein Anschlag auf das Liceu-Theater, den Treffpunkt der höheren Gesellschaft von Barcelona, bei dem es mehrere Tote und Verletzte gab. Wie in anderen europäischen Städten zur selben Zeit richtete sich auch dieser Anschlag gegen einen symbolischen Ort im städtischen Raum.453 Der letzte größere Bombenanschlag wurde am 7. Juni 1896 auf die Fronleichnamsprozession verübt. Ziel war hier die katholische Kirche, während die beiden zuvor genannten Anschläge im Jahr 1893 dem Militär beziehungsweise der Bourgeoisie gegolten hatten. Dass diese Bombenanschläge im Vergleich zu den Sprengstoffanschlägen bei den Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die – wie bereits ausgeführt – einige Jahre zuvor eingesetzt hatten, eine wesentlich größere Wirkung zeigten, war vor allem auf die technische Entwicklung zurückzuführen. Neben der Erfindung des Nitroglyzerins 1846 und des Dynamits durch Alfred Nobel im Mai 1862 war es vor allem die Entwicklung der OrsiniBomben in den 1850er Jahren, die den Transport sowie die Benutzung von Bomben mit größerer Sprengkraft wesentlich erleichterte.454 Die Abbildung 43 zeigt ein Exemplar dieser Bombenart, wobei sich die 24 Druckzünder gut erkennen lassen, die bei Berührung die Explosion auslösten. Der italienische Nationalist Felice Orsini verwendete diese Art von Bombe, die durch Quecksilber zur Explosion gebracht wurde, zum ersten Mal bei seinem Attentat auf Napoleon III. 1858 in Paris. Unter falschem Namen hatte er dazu die Bomben, die später nach ihm benannt wurden, von einem Metallspezialisten in Birmingham produzieren und sich nach Frankreich schicken lassen.455 In Barcelona war eine Orsini-Bombe zum ersten Mal bei dem Anschlag auf das Warenlager Batllj am 17. Januar 1888 benutzt worden, bei der eine Person getötet wurde.456 Gefürchtet wurde diese Art von Bomben aber erst, nachdem sie
452 Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 99. 453 Zur europäischen Dimension, siehe Lenger, Metropolen, S. 268. 454 Vgl. Gonz#lez Calleja, Laboratorio, S. 98f. Zur Bedeutung der Entdeckung des Dynamits für den Terrorismus siehe Jensen, Daggers, S. 129f. 455 Vgl. Ford, Mord, S. 313. 456 Vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 268 sowie Dalmau, Rull, S. 91ff.
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Abb. 43: Orsini-Bombe
bei den Terroranschlägen der 1890er Jahre häufig verwendet wurde.457 Während in der zweiten Hochphase von Bombenanschlägen in Barcelona im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts fast ausschließlich kleinere Sprengsätze zum Einsatz kamen und die Opferzahlen deutlich zurückgingen, verlor diese Gewaltform, die zum Ziel hatte, Menschen durch Bomben zu töten, in dieser Zeit nahezu völlig an Bedeutung.458 Dass dies nicht nur der eingangs aufgezeigten Wahrnehmung des Arbeitgeberverbandes entsprach, verdeutlicht eine im Februar 1921 in der Zeitung La Tribuna (dt.: Die Tribüne) erschienene Statistik. Gemäß dieser Übersicht hatten die Attentate in Barcelona in den beiden vorangegangenen Jahren insgesamt 103 Todesopfer gefordert, von denen allerdings nur fünf auf Bombenanschläge zurückgingen.459 Insgesamt lassen sich über den gesamten Untersuchungszeitraum nur sehr wenige derartige, größere Bombenanschläge verzeichnen, die sich darüber hinaus außerdem auf die Anfangszeit des Pistolerismo beschränken. Am 6. August 1919 explodierte um die Mittagszeit eine Bombe auf dem Passeig de Gr/cia in Nähe des Palastes des Marqu8s del Mariano, bei dem insgesamt acht Personen verletzt wurden.460 Wesentlich spektakulärer war der Bombenanschlag im »Pompeya« am 12. September 1920, einem Sonntag, an dem dieses Tanzlokal 457 Vgl. Dalmau, Rull, S. 91ff., der weiterhin ausführt, dass auch bei dem verheerenden Attentat auf Alfonso XIII. im Jahr 1906 in Madrid eine Orsini-Bombe verwendet wurde. 458 Wie etwa bei Heinz-Georg Haupt, Gewalt und Politik, S. 77, ausgeführt, gingen in den meisten europäischen Ländern die anarchistischen Gewalttäter dazu über, statt des Dynamits Revolver zu benutzen, um ihre Aktionen möglichst gezielt gegen die vermeintlichen Feinde des Volkes und der Arbeiterklasse richten zu können. 459 Zitiert nach Soldevilla, AÇo, S. 68. 460 Siehe dazu beispielsweise den Bericht in El Diluvio, 7. 8. 1919, S. 7.
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bis zum letzten Platz gefüllt war.461 Dabei wurden drei Personen getötet und 20 weitere zum Teil erheblich verletzt.462 Das Pompeya war eines von vielen Tanzlokalen an der Paral·lel, die in den Jahren des Ersten Weltkrieges zu großer Popularität gelangt waren und vor allem von Studenten und Arbeitern frequentiert wurden.463 Dementsprechend kamen auch die meisten der Opfer des Anschlags aus der Arbeiterschicht, sodass dieser Anschlag im Gegensatz zu den anderen hier aufgeführten Bombenattentaten vermutlich auf Auseinandersetzungen der beiden rivalisierenden Gewerkschaften Sindicatos 5nicos und Sindicatos Libres zurückzuführen sein dürfte. Ähnlich wie Anschläge auf Personen, bei denen Bomben verwendet wurden, waren mit Pistolen durchgeführte Attentate auf politische Repräsentanten des Staates in Barcelona im Untersuchungszeitraum äußerst selten. Für die Zeit des Pistolerismo ist hier lediglich das Attentat auf den Bürgermeister der Stadt, Mart&nez Domingo, am 17. Juni 1921 zu nennen, der dabei verletzt wurde. Wie Diego Abad de Santall#n, eine der bekanntesten Figuren des spanischen Anarchismus, später behauptete, bestand der Grund für dieses Attentat darin, dass der in der Arbeiterschaft und bei den Anarchisten verhasste Zivilgouverneur Mart&nez Anido ein enger Freund des Bürgermeisters war. Deshalb gingen die Täter davon aus, dass dieser das Opfer im Krankenhaus besuchen würde. Bei dieser Gelegenheit sollte er dann umgebracht werden. Die geplante Aktion scheiterte aber daran, dass einer der Täter vorher festgenommen wurde und den Plan verraten haben soll.464 Ähnlich undurchsichtig sind die Umstände eines mutmaßlichen zweiten Attentats auf Mart&nez Anido Ende Oktober 1922, das er angeblich selbst inszeniert haben soll, um so weitere Repressalien gegen die Gewerkschaften und ihre Akteure zu rechtfertigen.465 Dagegen gilt es als erwiesen, dass das Attentat, dem 8. März 1921 in Madrid der amtierende Ministerpräsident Eduardo Dato zum Opfer fiel, womit er innerhalb eines halben Jahrhunderts bereits der vierte Ministerpräsident in Spanien war, der gewaltsam zu Tode kam, von Barcelona aus geplant wurde und auch 461 Vgl. Leon Ignacio, AÇos de Pistolerismo, S. 139. 462 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 169. Für einen zeitgenössischen Bericht, siehe etwa El D&a Gr#fico, 14. 9. 1920, S. 9. 463 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 138 sowie Badenas i Rico, Paral·lel, S. 196. Auch der zeitgenössische Journalist Josep Maria Planes, der dieses Lokal in seinem Buch »Nits de Barcelona« ausführlich beschrieben hat, behauptet, das Pompeya sei eine Zeit lang sehr gefragt, überall bekannt und besonders bei jungen Menschen sehr beliebt gewesen, vgl. Planes, Nits, S. 132ff. 464 Vgl. Abad de Santall#n, Contribucijn, S. 251f. Von den drei mutmaßlichen Tätern wurde später nur Salvador Salsench Sala wegen des Attentates auf den Bürgermeister Barcelonas angeklagt, letztlich aber freigesprochen, da ihn die Zeugen nicht eindeutig als Täter identifizieren konnten, vgl. El Diluvio, 27. 5. 1922, S. 22. 465 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 212.
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die Anarchistengruppe, die den Mord ausführte, aus dieser Stadt stammte.466 In den folgenden Jahren kam es in anderen spanischen Städten ebenfalls zu politischen Attentaten, die von Barcelona ausgingen. So ermordeten Mitglieder der in dieser Stadt ansässigen anarchistischen Gruppe »Los Solidarios« (dt.: Die Solidarischen), auf die im Kapitel 4.1.2 noch genauer eingegangen wird, am 17. Mai in Leon zunächst den ehemaligen Gouverneur der baskischen Stadt Vizcaya und am 4. Juni 1923 den Kardinal und Erzbischof von Saragossa, Kardinal Juan Soldevila y Romero, weil sie ihn für die Unterdrückung der Arbeiter durch von ihm angeheuerte Pistolero-Banden verantwortlich machten.467 In Barcelona selbst gab es im Gegensatz dazu in der Epoche, die später als Pistolerismo bekannt wurde, fast ausschließlich mit Pistolen verübte Morde im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Dass es sich dabei um ein für Barcelona ganz typisches Gewaltphänomen handelte, wird durch die entsprechende Grafik (Abb. 44) belegt.468
Abb. 44: Opfer des Pistolerismo in Spanien
Das Phänomen des Pistolerismo lässt sich vielleicht am ehesten vergleichen mit den Gewaltpraktiken, die etwa zeitgleich von den in Amerika agierenden Gangs ausging. Allerdings weist Marinello in diesem Zusammenhang auf zwei wesentliche Unterschiede hin. Während sich die amerikanischen Gangs in einer Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs zu formieren begannen, ist der Ursprung des Pistolerismo in der schweren Wirtschaftskrise der Nachkriegsjahre und den 466 Vgl. Gabriel, Red Barcelona, S. 58f. 467 So die Rechtfertigung von Paz, Durruti, S. 58. 468 Dass dies auch den ausländischen Beobachtern nicht verborgen blieb, deutet etwa der Brief des französischen Botschafters in Madrid vom 18. Dezember 1919 an das französische Außenministerium in Paris an (CAD, Z 267–1). El Noticiero Universal gab abweichend von der hier aufgeführten Statistik bereits im Oktober 1922 die Zahl der Opfer in Barcelona mit 255 Toten etwas höher an, während es im Vergleich dazu beispielsweise in Bilbao nur 24 Todesopfer gegeben hätte, vgl. El Noticiero Universal, 28. 10. 1922, S. 10.
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sich dadurch intensivierenden Spannungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu suchen. Ein zweiter wesentlicher Unterschied besteht darin, dass der Pistolerismo in Barcelona mit dem Bandolerismo, d. h. einer in der Frühen Neuzeit besonders in Katalonien weitverbreiteten Form des Räubertums, auf die im Kapitel 4.1.2 noch genauer eingegangen wird, einen Vorgänger hatte, an dessen Traditionen er anknüpfen konnte.469 Wie bereits zu Beginn des Kapitels angedeutet, lässt sich der Pistolerismo nicht nur geographisch, sondern auch zeitlich relativ eindeutig verorten. Während im Jahr 1923 bewaffnete Raubüberfälle die durch Pistoleros verübten Attentate als die häufigste mit Schusswaffen verübte Straftat ablösten und diese dann mit Beginn der Diktatur Primo de Riveras deutlich zurückgingen, lässt sich auch der Beginn des Pistolerismo relativ klar bestimmen, wie ein Blick auf die Abbildung 45 erkennen lässt.
Abb. 45: Opfer des Pistolerismo in Barcelona
Dass dies auch die Zeitgenossen so wahrnahmen, zeigt sich etwa daran, dass der zeitgenössische katalanische Autor Joan Oller i Rabassa seinem bekanntesten Roman, der in Barcelona zu jener Zeit spielt, den Titel »Quan mataven pels carrers« (dt.: Als sie auf den Straßen töteten) gab. So war es bis etwa 1916 lediglich vereinzelt zu Attentaten gekommen, während diese ab 1917 mehr und mehr zu einer gängigen Gewaltpraktik im Konflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitern wurden.470 Wie die Statistik belegt, die in Abbildung 46 graphisch
469 Vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 406. 470 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 471 und PestaÇa, Terrorismo, S. 99. Eine Auflistung aller Attentate zwischen 1912 und 1918 sowie die noch ausstehenden Gerichtsverfahren findet
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veranschaulicht ist, erhöhten sich die Opferzahlen ab 1917. Das dürfte, wie bereits im Kapitel 3.1.2 angedeutet, nicht nur darauf zurückzuführen sein, dass die Zahl der Attentate zunahm, sondern auch darauf, dass immer mehr dieser Gewaltakte einen tödlichen Ausgang nahmen, was unter anderem auf die zu Anfang dieses Kapitels beschriebene Entwicklung der Waffen zurückzuführen sein dürfte, die immer effektiver wurden.
Abb. 46: Opfer der »sozialen Attentate« in Barcelona
Erst nachdem die Fronten zwischen den beiden Konfliktparteien nach dem Canadenca-Streik und den Aussperrungen Anfang 1920 endgültig verhärtet waren, erreichten die Attentate ihren Höhepunkt.471 Wegen der starken Repression durch Mart&nez Anido verzeichneten die Attentate dann ab der zweiten Hälfte des Jahres 1921 zunächst einen deutlichen Rückgang, um dann wenige Monate, nachdem Mart&nez Anido von seinem Amt als Zivilgouverneur entbunden worden war, noch einmal deutlich anzusteigen.472 Es überrascht nicht, dass diese kurze Epoche zwischen 1918 und 1923 nicht nur das Leben der Zeitgenossen prägte und den Romanautoren viel Stoff bot, sondern auch von den Historikern bereits ausgiebig untersucht worden ist. So entstand ein breites Spektrum von Ursachenerklärungen, die neben den bereits sich in einem Brief des Ministers für Infrastruktur und öffentliche Bauprojekte, Francisco Cambj an Antonio Maura vom 4. April 1918 (FAM, Leg 210/12). 471 Vgl. Gabriel, Red Barcelona, S. 58f. 472 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 548.
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in der Einleitung skizzierten Besonderheiten Barcelonas vor allem die Krise der spanischen Restaurationsmonarchie in den unmittelbaren Nachkriegsjahren und den Einfluss des Ersten Weltkrieges für den Pistolerismo verantwortlich machen.473 Auch in diesem besonderen Fall ist es nicht der Anspruch dieser Arbeit, ausführlich die Ursachen für dieses Gewaltphänomen zu ergründen oder – überspitzt formuliert – der Frage nachzugehen, ob es die Arbeiter oder die Arbeitgeber waren, die den ersten Schuss abfeuerten. Angesichts der Zielsetzung der Arbeit soll der Fokus vielmehr verstärkt darauf gerichtet werden, welche einzelnen Gewaltpraktiken sich hierbei identifizieren lassen. Bei genauerer Betrachtung lassen sich dabei insgesamt drei Formen der sogenannten »sozialen Attentate« unterscheiden, auf die im Folgenden genauer eingegangen werden soll. Zunächst fielen vor allem Repräsentanten der Arbeitgeberseite wie Jos8 Albert Barret den Attentaten zum Opfer.474 »Das kann so nicht weiter gehen«, schrieb der konservative arbeitgeberfreundliche El Correo Catal#n am 16. November 1918 aus Anlass eines Attentats auf den Schraubenfabrikanten Pedro MaÇach. Attentate gegen Arbeitgeber seien an der Tagesordnung und die Verantwortlichen täten nichts, um die persönliche Sicherheit zu garantieren.475 Diese scheinbare Untätigkeit des Staates veranlasste den Arbeitgeberverband Federacijn Patronal (dt.: Arbeitgebervereinigung) nicht nur dazu, eine Versicherungsgemeinschaft zur Unterstützung von Arbeitgebern zu gründen, die Opfer von Attentaten geworden waren, sondern auch dazu, die sogenannte »Banda Negra«, auf die im Kapitel 4.1.1 noch genauer eingegangen wird, aufzubauen, um die Attentate der Gewerkschafter in gleicher Weise zu vergelten.476 Das spektakulärste Attentat auf einen führenden Repräsentanten der Arbeitgeberseite ereignete sich, wie bereits im Kapitel 3.2.2 kurz erwähnt, im Zuge der Aussperrungen zu Beginn des Jahres 1920 auf FHlix Graupera. Dieser Bauunternehmer war 1902 im Alter von 29 Jahren in die Vorstandsriege des »Zentrums der Bauunternehmer und Maurermeister« aufgestiegen, woraus sich später die Federacijn Patronal bildete, dessen Präsident Graupera am 15. März 1919 wurde. Er organisierte und leitete den zweiten spanischen Arbeitergeberkongress, der vom 20. bis zum 26. Oktober in Barcelona stattfand und auf dem 473 Vgl. hierzu etwa Gonz#lez Calleja / del Rey, ViolHncia pol&tica i pistolerime. 474 Während in vielen Darstellungen der Mord an dem Industriellen Joan Tapias am 7. Oktober 1917 als Beginn der Attentate auf Repräsentanten der Arbeitgeberseite gilt, (vgl. etwa Leon Ignacio, AÇos, S. 13) argumentiert Marinello, dass es bereits 1912 zu einem ähnlichen Vorfall kam, als der Industrielle Carles Bargallj, dessen Arbeiter sich gerade im Streik befanden, am 28. April 1912 von einer Gruppe Unbekannter vor seinem Haus erschossen wurde, vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 307ff. 475 Vgl. El Correo Catal#n, 16. 11. 1918, S. 2. 476 Die Gründung dieser Versicherungsgemeinschaft beschreibt Pradas Baena, L’Anarquisme, S. 118.
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die Teilnehmer die umfassenden Aussperrungen beschlossen, die im Kapitel 3.1.2 beschrieben wurden. Aufgrund mehrerer Drohungen gegen Graupera ging die Polizei davon aus, dass ein Attentat auf den Arbeitgeberpräsidenten Barcelonas geplant wurde, und verstärkte daraufhin dessen Personenschutz. Gerüchteweise war Graupera ein Ultimatum gestellt worden, in dem er dazu aufgefordert wurde, innerhalb von 24 Stunden die Aussperrungen aufzuheben. Eine halbe Stunde vor Ablauf dieses Ultimatums kam es schließlich zu dem Attentat. Etwa ein Dutzend Pistoleros eröffnete das Feuer auf den Wagen Grauperas. Graupera und sein Begleiter, Modest Batlle, ebenfalls ein Vorstandsmitglied der Federacijn Patronal, erlitten dabei jedoch nur Verletzungen, während einer der beiden Polizisten, die zu Grauperas Schutz mit im Auto saßen, getötet wurde.477 Während es, wie eingangs ausgeführt, schon in den Monaten vor diesem Vorfall verstärkt zu Attentaten gekommen war, stellte die Serie von Attentaten, die sich zum Jahreswechsel ereignete, eine neue Dimension dar, weil hier Pistoleros erstmals Personen in fahrenden Autos attackierten.478 So war beispielsweise wenige Tage zuvor auch der Sohn eines Textilfabrikanten, Juan Serra M#s, Ziel eines solchen Angriffs geworden, als er mit dem Auto von Matarj nach Barcelona zurückkehrte.479 Die Tatsache, dass auch Ministerpräsident Eduardo Dato etwas mehr als ein Jahr später bei einem vom Ablauf her sehr ähnlichen Attentat ums Leben kam, unterstreicht noch einmal die Parallelen zwischen dieser Form der »sozialen Attentate« und den politischen Attentaten.480 Auch wenn es neben den eingangs dargestellten Attentaten auf FHlix Graupera noch einige weitere Anschläge auf Repräsentanten der Arbeitgeber gab, fielen dieser Art von sozialen Attentaten von nun an vor allem Arbeiterführer zum Opfer.481 So erlitt zum Beispiel Angel PestaÇa bei einem Attentat in Manresa schwere Verletzungen, an denen er Jahre später verstarb. Ein weiterer schwerer Schlag für die Arbeiterbewegung war der Mord an ihrem gemäßigten Vorsitzenden Sal-
477 Den konkreten Ablauf des Attentats auf Graupera beschreibt Bengochea, Lockout, S. 144, für dessen Bedeutung als Arbeitgeber siehe dies., Hombres, S. 81ff. 478 Vgl. Smith, Anarchism, S. 316f. 479 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 108. Eine zeitgenössische Beschreibung dieses Vorfalls findet sich in El Correo Catal#n, 5. 1. 1920, S. 2. Die Gerichtsverhandlung, die im November desselben Jahres stattfand, ist dokumentiert in El Correo Catal#n, 19. 11. 1920, S. 2, La Publicidad, 19. 11. 1920, S. 7 und El Diluvio, 19. 11. 1920, S.10f. Ein Beispiel für ein vom Ablauf her sehr ähnliches Attentat, das sich mehr als ein Jahr später ereignete, beschreiben El Noticiero Universal, 23. 04. 1921, S. 9 und El Diluvio, 24. 04. 1921, S. 18. 480 Vgl. zum Mord an Eduardo Dato etwa Gonz#lez Calleja, M#user, S. 191f. 481 So waren es nach Gabriel, Red Barcelona, S. 58f. die Gewerkschaftsführer der CNT, die zwischen 1919 und 1923 mit 98 Toten und 33 Schwerverletzten die meisten Opfer zu beklagen hatten.
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vador Segui im März 1923, nachdem er bereits einen früheren Attentatsversuch unverletzt überstanden hatte.482 Ein weiteres Ziel dieser Form der Attentate waren Anwälte, die zuvor Gewerkschafter vor Gericht verteidigt hatten.483 Prominentestes Opfer war Francesc Layret, dessen Leben, die Umstände seines Todes und sein Begräbnis bereits im Kapitel 3.1. beschrieben wurden. Einige Monate später wurde Jos8 Lastra Gonz#lez am 15. April in seinem Haus von einem Mann niedergeschossen. Dieser soll ihm zuvor gesagt haben, dass er Pedro Ruiz Mart& zehn Tage zuvor »so gut vor Gericht vertreten habe, dass dies sein letzter Fall gewesen sei«.484 Pedro Ruiz Mart&, den der Anwalt Lastra Gonz#lez so erfolgreich verteidigt hatte, dass dieser letztlich freigesprochen werden musste, war angeklagt worden, weil er am 24. März 1920 den Bäckermeister Jaume Raurell erschossen haben soll. Zuvor war er, nachdem er sieben Jahre lang für das Opfer gearbeitet hatte, entlassen worden und Raurell hatte sich geweigert, ihm ein Zeugnis auszustellen.485 Somit ist der Mord an Raurell bereits ein Beispiel für die eine von zwei weiteren Formen von sozialen Attentaten, die gemäß Randall Collins charakteristisch für die mit Schusswaffen verübte Gewalt seien, mit der ursprünglichen Bedeutung des Wortes »Attentat« allerdings nur noch sehr bedingt in Einklang zu bringen sind.486 Bei der ersten der beiden von Randall Collins erwähnten Formen handelt es sich um Streitigkeiten unter Einzelpersonen, die in eine Schießerei ausarten. Während der Zeit des Pistolerismo äußerten sich diese, wie im oben zuletzt beschriebenen Fall, oft dergestalt, dass Arbeiter von Kleinbetrieben, in denen eine persönliche Beziehung zu ihrem Chef bestand, diesen erschossen, weil er sie entlassen hatte.487 Schon Ende 1919, also noch kurz vor
482 Das Attentat, das Segui unverletzt überstand, ereignete sich am 4. Januar 1920, weshalb etwa Albert Balcells und später auch Leon Ignacio die Vermutung äußerten, dass das Attentat auf FHlix Graupera, das nur einen Tag später geschah, eine Vergeltung dafür gewesen sein könnte, vgl. Balcells, Sindicalisme, S. 125 und Leon Ignacio, AÇos, S. 108f. 483 Vgl. Gabriel, Red Barcelona, S. 58f. sowie PestaÇa, Terrorismo, S. 145. 484 Siehe dazu den Bericht in El Diluvio, 15. 4. 1921, S. 16, El D&a Gr#fico, 15. 4. 1921, S. 4 sowie El Correo Catal#n, 15. 4. 1921, S. 1 und 3. Auch der englische Botschafter in Madrid erwähnte die Vorfälle in seinem Bericht vom 16. April 1921 an den englischen Außenminister (FO371 7121 W4178 Blatt 249–255). Ein weiterer Fall ist dokumentiert in einem Telegramm des Zivilgouverneurs von Barcelona an den Innenminster in Madrid vom 22. Juli 1923 (AHN 58/13). 485 Der Bericht über die Gerichtsverhandlung findet sich in El Correo Catal#n vom 6. 5. 1921, S. 1f., El Noticiero Universal, 5. 4. 1921, S. 4 und 6. 4. 1921, S. 5 sowie El Diluvio, 7. 4. 1921, S. 14. 486 So schloss für Scheffler, Königsmord, S. 193, in Anlehnung an Franklin Ford, der Begriff des »Attentats« nur Fälle mit ein, die die absichtliche Tötung von politisch relevanten Persönlichkeiten betrafen, vgl. Ford, Mord, S. 358. 487 Weitere Beispiele hierfür sind dokumentiert in La Publicidad, 16. 11. 1918, S. 4, El Noticiero Universal, 14. 1. 1922, S. 8 sowie El Diluvio, 27. 10. 1922, S. 10. Eine ausführliche Beschrei-
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dem Attentat auf Graupera, hatte die madrilenische Zeitung EspaÇa Nueva (dt.: Neues Spanien) bei ihrer Darstellung der Ereignisse von Barcelona betont, dass viele der Attentate auf persönliche Konflikte zurückgingen.488 Ebenso zutreffend ist sicherlich ein Kommentar, der in La Publicidad anlässlich eines späteren Attentats am 21. Juni 1921 publiziert wurde, in dem argumentiert wird, dass Attentate bei denen »ein geheimes Gericht Urteile spricht, die dann von den Aktionsgruppen ausgeführt werden würden« – gemeint sind die sozialen Attentate des ersten Typs an Arbeitgebern – zwar typisch für Barcelona zu dem damaligen Zeitpunkt seien, dass es Attentate aus Rache dagegen aber schon immer gegeben habe.489 Die Tatsache, dass diese persönlichen Konflikte aber in Barcelona in dieser Zeit wesentlich öfter als in anderen Städten oder in anderen Epochen derart gewaltsam ausgetragen wurden, bedarf aber dennoch einer Erklärung. Diese ist sicherlich nicht zuletzt, wie zu Beginn des Kapitels ausgeführt, im Aufkommen einfach zu handhabender Schusswaffen zu finden, die dazu beitrugen, dass persönliche Streitigkeiten nun wesentlich schneller einen fatalen Ausgang nahmen. Darüber hinaus bedingte aber auch die besondere Struktur der Fabriken in Katalonien, die sehr zahlreich aber dafür meist relativ klein waren, dass zwischen den Arbeitern und Fabrikbesitzern oft ein persönliches Verhältnis bestand.490 Über Entlassungen und Einstellungen entschied dort meistens der Fabrikbesitzer selbst, während in größeren Betrieben diese Aufgabe sowie die Verteilung und Überwachung der Arbeit Werksmeister oder Aufseher übernahmen, die teilweise das Fünffache eines normalen Fabrikarbeiterlohns verdienten und zudem auch das Recht hatten, Sanktionen gegen Arbeiter beispielsweise wegen Zuspätkommens oder anderweitigen Fehlverhaltens zu verhängen.491 Aus diesen Gründen waren außer den Fabrikbesitzern auch diese oft Ziele von Racheaktionen von Arbeitern. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen überrascht es, dass die überwiegende Mehrheit der Opfer des Pistolerismo in Barcelona Arbeiter waren und nicht etwa Arbeitgeber (siehe Abb. 47). Trotzdem scheint es voreilig, aufgrund dieser Zahlen die Täterrolle einzig den Arbeitgebern zuzuschreiben, wie das viele der CNT nahestehenden Zeitgenossen taten. Stattdessen scheint dafür vor allem eine dritte Form von sozialen Attentaten verantwortlich zu sein, die Collins als »Vendetten« bezeichnet. Dar-
488 489 490 491
bung eines solchen Vorfalls findet sich außerdem in ATSJC, Libro de Sentencia 1921, Varias, t4791396, 9. 2. 1921. Vgl. EspaÇa Nueva, 18. 9. 1919, S. 1 und 27. 12. 1919, S. 1. Vgl. La Publicidad, Abendausgabe, 21. 6. 1921, S. 1. So führt Kaplan aus, dass es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Barcelona 742 Textilfabriken gegeben habe und selbst die meisten Industriearbeiter in Betrieben mit weniger als 25 Angestellten arbeiteten, vgl. Kaplan, Red City, S. 8. Vgl. Althammer, Textilarbeiterinnen S. 87f. sowie Smith, Anarchism, S. 41.
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Abb. 47: Sozialer Stand der Opfer des Pistolerismo in Barcelona
unter versteht er »einen überraschenden Angriff auf einen unvorbereiteten Gegner in einer für diesen nachteiligen Situation«, bei dem die Auswahl der einzelnen Opfer keine Rolle spielen würde, solange sie nur zur verfeindeten Gruppe gehörten.492 In diesen Fällen gehe es darum, zu demonstrieren, dass man in der Lage sei, sich zu rächen und dem Gegner deutlich zu machen, dass er stets mit Vergeltung rechnen müsse.493 Diese Gewaltform der »Vendetta« war in Barcelona verstärkt ab 1921 anzutreffen, als den bis dahin dominierenden Sindicatos 5nicos mit den Sindicatos Libres ein ebenbürtiger Konkurrent erwuchs und es unter den Mitgliedern der beiden Gewerkschaften bald zu gewaltsamen Übergriffen kam, wobei, im Gegensatz zu den beiden ersten Formen und in Bestätigung der Theorie von Collins, die jeweiligen Opfer scheinbar zufällig ausgewählt wurden.494 Diese Attentate liefen dabei meist so ab, dass zunächst eine Person das Opfer »markierte«, d. h. den Tätern zeigte, wer das Opfer sein sollte. Diese kundschafteten dessen Gewohnheiten aus, um dann in einem günstigen Augenblick, meist im Dunkeln oder an einer abgelegenen Straßenecke zuzuschlagen, wobei sie sich oft mit Schals maskierten, um nicht erkannt zu werden.495 492 Vgl. Collins, Dynamik, S. 329ff. 493 Vgl. Pinker, Gewalt, S. 71. 494 In den zeitgenössischen Zeitungen gut dokumentierte Fälle finden sich beispielsweise in El Diluvio, 8. 2. 1921, S. 28, 9. 2. 1921, S. 9, 21. 4. 1922, S. 12 sowie El Noticiero Universal, 20. 4. 1922, S. 14 21. 9. 1922, S. 14 und 23. 9. 1922, S. 7. 495 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 233.
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Bei den ersten größeren Streiks Anfang des 20. Jahrhunderts waren von diesen gewalttätigen Übergriffen innerhalb der Arbeiterschaft vor allem »Esquiroles« (dt. Streikbrecher) betroffen, worunter nach Ansicht der militanten Arbeiter sowohl die Arbeiter fielen, die sich nicht am Streik beteiligen wollten als auch Personen, die speziell angeworben wurden, um die Streikenden zu ersetzen.496 Während diese Form der Gewalt nur in Zusammenhang mit Streiks auftrat, wurde sie mit dem Aufkommen der Gewerkschaften institutionalisiert und erfasste auch diejenigen Arbeitnehmer, die nicht in die Gewerkschaft eintreten wollten und sich deshalb immer öfter Drohungen ausgesetzt sahen, die sich teilweise bis zu körperlichen Angriffen steigern konnten. Nicht selten wurden auch Arbeiter, die sich anderen Gewerkschaften anschließen wollten, Opfer von Übergriffen. Ein Beispiel hierfür ist der Arbeiter Camil Pique, der am 4. Dezember 1913 ermordet wurde, weil er aus der CNTausgetreten war, um sich der katholischen Gewerkschaft anzuschließen.497 Die katholischen Gewerkschaften verzeichneten damals zwar einen gewissen Zulauf, stellten in Barcelona aber niemals eine ernsthafte Alternative zu der radikalen CNT dar.498 Zu einem regelrechten Krieg zwischen den Gewerkschaften kam es jedoch erst, als den durch die CNT anarchistisch geprägten Sindicatos 5nicos mit der Gründung der Sindicatos Libres am 19. Oktober 1919, wie in der Einleitung bereits erwähnt, ein ebenbürtiger Konkurrent erwuchs, der bereits gut zwei Jahre später von sich behauptete, über 150 000 Mitglieder zu verfügen. Diesen Anstieg begründete Angel Smith vor allem mit der Unterstützung des Zivilgouverneurs Mart&nez Anido und dadurch, dass sie, ähnlich wie auch die Sindicatos 5nicos, massiven Druck auf Arbeiter ausübten, um diese zum Beitritt in ihre Gewerkschaft zu bewegen.499 Was den Arbeitskampf angeht, pflegte die neue Gewerkschaft einen wesentlich friedfertigeren Umgang mit den Arbeitgebern als ihre anarchistischen Gegenspieler. Diese gemäßigte Haltung brachte den Sindicatos Libres, wie in der Einleitung bereits beschrieben, in der historischen Forschung lange Zeit den Ruf ein, eine arbeitgeberfreundliche »gelbe« Gewerkschaft gewesen zu sein. Die Tatsache, dass sie in der ersten Phase von den Arbeitgebern unterstützt wurde, indem diese den Mitgliedern der Sindicatos Libres zulasten der CNT-Aktivisten Arbeit gaben, machte es der CNTeinfach, die Sindicatos Libres als »gelbe« Gewerkschaft zu brandmarken.500 Während sich die neue Gewerkschaft gegenüber den Arbeitgebern relativ gemäßigt verhielt, trat sie gegenüber der konkurrierenden Gewerkschaft Sindicatos 5nicos dagegen äußerst aggressiv auf. Ideologisch entwickelten die 496 497 498 499 500
Vgl. Marinello Bonnefoy, Traidores, S. 177. Vgl. Balcells, ViolHncia Social, S. 23. Vgl. Bengoechea, Barcelona bourgeoisie, S. 177. Vgl. Smith, Anarchism, S. 338. Siehe hierzu etwa Abad de Santill#n, Contribucijn, S. 245.
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Sindicatos Libres eine Apologie der Gewalt, die durch Ehre, Männlichkeit und Heroismus geprägt war, wobei sie aber stets ihre rein defensive Natur hervorhoben.501 Ihr Vorsitzender Ramjn Sales war früher wie viele anderen Mitglieder dieser neuen Gewerkschaft selbst einmal Mitglied der Sindicatos 5nicos gewesen und soll darüber hinaus auch zu der im Kapitel 3.1.1 erwähnten Liga Patrijtica gehört haben.502 Die Führer der Sindicatos Libres wurden von den Mitgliedern der Sindicatos 5nicos dagegen ähnlich wie die Streikbrecher als Verräter angesehen, die es zu bekämpfen galt.503 Der Hass zwischen den beiden Gewerkschaften führte dazu, dass der Konflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Hintergrund trat und nun von einem regelrechten Krieg zwischen diesen Gewerkschaften abgelöst wurde.504 Dieser gipfelte darin, dass im April 1920 Tomas Vives, eines der Gründungsmitglieder der Sindatos Libres und in den folgenden drei Monaten noch vier weitere Mitglieder dieser Gewerkschaft ermordet wurden.505 Insgesamt fielen den Auseinandersetzungen mit den Sindicatos 5nicos in den ersten beiden Jahren ihres Bestehens 40 Mitglieder der Sindicatos Libres zum Opfer. In den Folgejahren bis zur Machtergreifung Primo de Riveras hatte diese Gewerkschaft insgesamt noch 13 weitere Opfer zu beklagen.506 Erst durch die Unterstützung des Zivilgouverneurs von Barcelona, Mart&nez Anido, gewannen die Sindicatos Libres die Oberhand, während die Sindicatos 5nicos nun mehr und mehr Verluste in ihren Reihen zu verzeichnen hatten.507 Nach der Entlassung von Mart&nez Anido im November 1922 kam es zunächst zu einem Waffenstillstand zwischen den beiden Gewerkschaften.508 Dieser war jedoch nur von kurzer Dauer und so gab es zwischen Dezember 1922 und Mai 1923 noch einmal 34 Tote und 76 Verletzte bei Auseinandersetzungen zwischen den beiden Gewerkschaften.509 Insgesamt blieben die Attentate des Jahres 1923, also der letzten
501 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 201. 502 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 174. Weitere Beispiele für Mitglieder der Libres, die zuvor den Sindicatos 5nicos angehört hatten, nennt Winston, vgl. Winston, Workers, S. 116f. 503 Vgl. Meaker, Anarchists, S. 51. 504 Vgl. Winston, Workers, S. 136. 505 Vgl. Smith, Anachism, S. 325f. 506 Diese Zahlen finden sich bei Winston, Workers, S. 127, der sich dabei auf La Razjn vom 1. April 1932 bezieht. 507 Vgl. Balcells, ViolHncia, S. 41 und Del Rey, Proprietarios, S. 591. 508 Dass dies auch ausländische Beobachter so wahrnahmen, zeigt etwa der Bericht des deutschen Botschafters in Madrid vom 27. März 1923 an das Auswärtige Amt in Berlin (PA AA R 71985). 509 Vgl. Meaker, Anarchists, S. 59.
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Hochphase dieser Gewaltpraktik, fast ausschließlich auf die Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeiterklasse beschränkt.510 Nach der Machtergreifung Primo de Riveras gingen die Atentados Sociales drastisch zurück. Dies war vor allem auf die bedingungslose Anwendung des Kriegsrechts und die militärische Repression in den Anfangsjahren der Diktatur zurückzuführen. So wurden einige Pistoleros gleich in den ersten Wochen nach dem Machtwechsel hingerichtet, woraufhin viele der prominentesten Mitglieder der Aktionsgruppen in den Untergrund abtauchten oder sich ins Exil absetzten. Die CNT wurde aufgelöst und war durch die Auseinandersetzung mit den Sindicatos Libres so geschwächt, dass sie sich dagegen nicht mehr wehren konnte. So konnte ein von ihr durchgeführter Generalstreik am Tag nach dem Regimewechsel durch das Militär ohne Probleme beendet werden.511 Aber auch die Sindicatos Libres waren unter Primo de Rivera Repressalien ausgesetzt. So wurde zum Beispiel ihr Präsident Ramjn Sales festgenommen und für kurze Zeit ins Gefängnis gebracht. Daraufhin versprach er in einem Brief an General Arlegui vom 18. Dezember 1923, sämtliche Aggressionen gegen Mitglieder der Sindicatos 5nicos einzustellen.512 Auch Attentate auf Repräsentanten des Staates waren zur Zeit der Diktatur in Barcelona sehr selten. Deren einziges Opfer war Rogelio P8rez Cicario, der Henker der Stadt, der unter anderem die vermeintlichen Mörder von zwei Polizisten Ende 1919 und die für den Überfall auf das »Caf8 EspaÇa« am 12. Mai 1924 in Badalona verurteilten Täter hingerichtet hatte. Er wurde am Abend des 28. Mai 1924 auf dem Nachhauseweg erschossen.513 Dagegen scheiterte der Mordanschlag eines anarchistischen Attentäters auf den Diktator Primo de Rivera, als dieser im August 1926 Barcelona besuchte.514 Der Übergang zur Zweiten Republik gestaltete sich, wie der katalanische Historiker Juli/ Rodr&guez C#mara in einer neueren Studie belegt hat, keinesfalls so friedlich, wie dies in der bisherigen Forschung dargestellt wurde.515 Allein in den ersten anderthalb Monaten gab es in Barcelona 14 Tote und 58 Verletzte. Dabei resultierten die meisten Opfer aus Zusammenstößen zwischen Anarchisten und der Polizei und vor allem aus den wieder aufflammenden Ausein510 So waren zwischen Januar und September 1923 97 der 117 Opfer von Attentaten in Barcelona Arbeiter, vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 614. 511 Vgl. Winston, Workers, S. 174. 512 Vgl. Balcells, ViolHncia Social, S. 100. 513 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 307ff. 514 Zum Anschlag auf Primo de Rivera siehe die Dokumente in AHN 7 A, (40). Laut einem Brief des deutschen Generalkonsulats in Barcelona an das Außenministerium in Berlin vom 6. Juni 1925 soll beim Besuch des spanischen Königs in Barcelona in letzter Minute ein Attentat auf diesen vereitelt worden sein, wozu sich aber keinerlei weitere Quellen finden lassen (PA AA R 72005). 515 Vgl. Rodr&guez C#mera, II Repfflblica, S. 45ff.
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andersetzungen zwischen den Sindicatos 5nicos und den Sindicatos Libres. Diese waren zum einen auf persönliche Racheakte zurückzuführen, die noch auf Konflikte aus der Zeit des Pistolerismo zurückgingen, zum anderen auf den erneuten Anspruch der Sindicatos 5nicos, als einzige Gewerkschaft die Arbeiterinteressen in Barcelona zu vertreten. Während die Sindicatos Libres besonders unter dem Zivilgouverneur Mart&nez Anido von den Machthabern bevorzugt worden waren, wurden nun die Sindicatos 5nicos von Llu&s Companys, dem ersten Bürgermeister Barcelonas während der Zweiten Republik favorisiert, der während der Zeit des Pistolerismo als Anwalt viele CNT-Mitglieder vor Gericht vertreten hatte und ein enger Freund des ermordeten Francisco Layret gewesen war.516 Insgesamt wurden in der Anfangszeit der Republik sieben Mitglieder der Sindicatos Libres getötet und 15 verwundet. Am 15. April wurden bei einer Durchsuchung des Hauptquartiers der Sindicatos Libres 14 Bomben und über 100 Pistolen beschlagnahmt, woraufhin die Organisation verboten wurde. Ihr Anführer Ramjn Sales floh nach Frankreich, während andere bekannte Mitglieder wie Anselmo Roig und Jos8 Bru ins Gefängnis kamen.517 Viele ehemalige Mitglieder der Sindicatos Libres schlossen sich nun der eher gemäßigten Gewerkschaft UGT an, die zur stärksten Konkurrenz für die Sindicatos 5nicos wurde und sich mit deren Mitgliedern zahlreiche Schießereien lieferte.518 Dabei kam es vereinzelt auch zu Attentaten, die ähnlich abliefen wie die Morde zwischen den Sindicatos 5nicos und den Sindicatos Libres zur Zeit des Pistolerismo.519 Die Tatsache, dass nicht nur Ramjn Sales, sondern auch der ehemalige Präsident der Hafensektion der UGT, Desiderio Trillas Main8, in der Anfangszeit des Bürgerkrieges von Anhängern der CNTermordet wurde, macht deutlich, wie
516 So beschreibt Joaquim Maluquer, dass sowohl die Sindicatos 5nicos, als auch Llu&s Companys durch seinen Sekretär Grau Jassans Druck auf die Arbeitgeber ausgeübt habe, um diese dazu zu bewegen, sämtliche Mitglieder der Sindicatos Libres zu entlassen, was in einigen Industriezweigen dann auch geschehen sein soll, ders., AÇos, S. 93ff. 517 Vgl. Winston, Workers, S. 291. 518 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 94f. und S. 141f. Über eine Schießerei zwischen Anhängern der CNTund der UGT berichtete beispielsweise Solidaridad Obrera, 10. 6. 1931, S. 1 und 4 sowie 12. 6. 1931, S. 1. Ein Arbeiterkonflikt, in dem die Rivalitäten zwischen UGT und CNT offen zum Ausbruch kamen, war zum Beispiel der Streik der Hafenarbeiter im Herbst 1931, vgl. Ibarz Gelabert, Esquirols. 519 Ein Beispiel hierfür ist der Mord an dem führenden UGT-Mitglied Francisco Llagostero Farr8 am Abend des 7. Juli 1933 in Sants, wobei seine Mörder vermutlich der CNT angehörten, vgl. dazu die umfangreiche Berichterstattung in El Diluvio, 8. 7. 1933, S. 15, 9. 7. 1933, S. 21, 24. 10. 1933, S. 6 und 12. 11. 1933, S. 6, sowie El Diario de Barcelona, 9. 6. 1933, S. 39 und 9. 7. 1933, S. 39, El Noticiero Universal, 23. 10. 1933, S. 22 und El Correo Catal#n, 25. 10. 1933, S. 10.
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tief der Hass zwischen den konkurrierenden Gewerkschaften sogar noch über den Untersuchungszeitraum und den Beginn des Bürgerkrieges hinaus war.520 Auch wenn die Auseinandersetzungen zwischen der CNT und der UGT während der Zweiten Republik in Barcelona der Konflikt war, der die meisten Opfer der sogenannten »sozialen Attentate« forderte, gab es wie auch schon im Pistolerismo Morde, die auf persönliche Racheakte zurückzuführen waren. Der erste Vorfall dieser Art während der Zeit der Zweiten Republik ereignete sich am 31. März 1932, als der Direktor der Bilbao-Bank, Luis Pascual Tora, auf offener Straße am Passeig de Gr/cia erschossen wurde. Der Täter, Guillermo Livesey Soler, hatte das Opfer zuvor um ein Empfehlungsschreiben gebeten, das ihm dieser aber verweigerte.521 Neben solchen persönlichen Racheakten gab es auch während der Zweiten Republik die zu Beginn dieses Unterkapitels beschriebenen, mit »politischen« Attentaten vergleichbare Anschläge, bei denen bestimmte Repräsentanten von Gewerkschaften bzw. Arbeitgeberverbänden gezielt ausgeschaltet werden sollten. Deren erstes Opfer während der Zweiten Republik in Barcelona war der technische Direktor des Unternehmens Girona Jaime Prats CasaÇas, der zuvor bereits mehrere Drohungen erhalten haben soll. Die Täter sollen ihm am Morgen des 29. Januar 1932 vor seinem Haus aufgelauert haben, ihm dann gefolgt sein und ihn schließlich, wie die Lokalzeitung El Correo Catal#n schrieb, »am helllichten Tag und auf offener Straße erschossen haben«.522 Gleich mehrere Attentate ereigneten sich im Rahmen des Streiks im Transportgewerbe. Das spektakulärste davon war der Mordanschlag auf den Leiter der Straßenbahngesellschaft Enrique Velga, der dabei verletzt wurde. Wie das Foto seines Autos (Abb. 48) erahnen lässt, hatte die Tat starke Ähnlichkeit mit dem bereits aus520 Ramjn Sales, der 1935 aus dem Exil in Frankreich zurückgekommen war und sich nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges bei einem seiner Schwäger versteckt hielt, soll nach seiner Entdeckung durch Mitglieder der CNT auf barbarische Weise getötet worden sein, vgl. Pallares Personat, Victimes, S. 154. Bezüglich der Umstände des Mordes an Desiderio Trillas Main8, siehe Preston, Holocaust, S. 247. 521 Vgl. El Diluvio, 1. 4. 1932, S. 1, sowie El Noticiero Universal, 31. 03. 1932, S. 13 und 1. 4. 1932, S. 14f. Über die Gerichtsverhandlung berichtete La Noche, 2. 7. 1934, S. 9, 3. 7. 1934, S. 6, 4. 7. 1934, S. 6, 5. 7. 1934, S. 3, 6. 7. 1934, S. 3 und 7. 7. 1934, S. 7. Weitere Beispiele für diese Art der sozialen Attentate während der Zweiten Republik sind der Mord an Agapito Blasco, dem ehemaligen Präsidenten der Versorgungskasse San Pedro Pescador durch Juan Freixas Morero, der das Opfer dafür verantwortlich machte, dass er keine Arbeit finden konnte, vgl. El Diluvio, 24. 3. 1933, S. 7, El Diario de Barcelona, 28. 3. 1933, S. 11 und El Noticiero Universal, 24. 3. 1933, S. 16 sowie der Mord am Eigentümer einer Werkstatt, Don Vincente Roque Comelles, durch Jos8 Pastor Castillo, der für das Opfer sieben Jahre gearbeitet hatte und am Samstag vor der Tat entlassen worden war, vgl. El Diluvio, 5. 9. 1934, S. 4. 522 Vgl. El Correo Catal#n, 31. 1. 1932, S. 6. Auch andere Lokalzeitungen berichten ausführlich über das Attentat, vgl. etwa El Noticiero Universal, 30. 01. 1932, S. 4 und La Noche, 30. 1. 1932, S. 3.
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führlich beschriebenen Attentat auf Felix Graupera im Januar 1920.523 Die Abbildung 49 zeigt den Mord an dem Geschäftsführer einer Textilfabrik und kann eine Vorstellung davon vermitteln, welches Bild sich den Stadtbewohnern Barcelonas zur Zeit des Pistolerismo regelmäßig geboten haben mag, »als sie auf der Straße töteten«.524
Abb. 48: Attentat auf den Direktor der Straßenbahngesellschaft (1934)
Insgesamt ist aber festzuhalten, dass es in Barcelona zur Zeit der Zweiten Republik deutlich weniger sogenannte »soziale Attentate« gab als in der Endphase der Restaurationsmonarchie, die ebenfalls etwa eine Zeitspanne von fünf Jahre umfasste.525 Auch zu Auseinandersetzungen zwischen rechtsgerichteten Konservativen und linksgerichteten Liberalen während der Zweiten Spanischen Republik, die 523 Der Attentatsversuch auf den Direktor der Straßenbahngesellschaft ist dokumentiert in El Diluvio, 24. 11. 1934, S. 26, El Noticiero Universal, 24. 11. 1934, S. 11 und La Noche, 24. 11. 1934, S. 2. Einem weiteren Attentat im Zusammenhang mit dem Streik der Transportgesellschaft war bereits der leitende Angestellte der Transportgesellschaft Comas y Ribas, Francisco Albalat Gil, am 11. März 1933 zum Opfer gefallen, vgl. El Diluvio, 12. 3. 1933, S. 5 und El Noticiero Universal, 11. 03. 1933, S. 19. Im Sommer 1935 ereignete sich ein weiteres Attentat im Zuge dieses Arbeitskampfes auf einen leitenden Angestellten der Straßenbahngesellschaft, vgl. El Noticiero Universal, 27. 08. 1935, S. 19. Dieselbe Zeitung berichtete später auch vom Prozess gegen die mutmaßlichen Attentäter, vgl. El Noticiero Universal, 4. 9. 1935, S. 20. 524 Den Tathergang zu diesem Attentat beschreiben El Diluvio, 4. 12. 1934, S. 1, El Diario de Barcelona, 4. 12. 1934, S. 6 und El Noticiero Universal, 4. 12. 1934, S. 5. 525 Eine Auflistung aller tödlichen Attentate während der Zweiten Republik in Barcelona findet sich im Kapitel 2.3. Sie umfasst nur ca. etwas mehr als 20 Personen, d. h. das zur Zeit des Pistolerismo etwa zehnmal so viele Menschen ums Leben gekommen waren wie in der Zweiten Republik.
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Abb. 49: Mord an dem Geschäftsführer einer Textilfabrik (1934)
in anderen Städten – besonders in der Hauptstadt Madrid als politischem Zentrum Spaniens – zahlreiche politische Attentate zur Folge hatten, kam es in Barcelona nur ausgesprochen selten.526 So ereignete sich Ende Oktober 1934 ein Mord an einem militanten Mitglied der Falange und am 12. März 1936 wurden der sozialistische Abgeordnete Jim8nez de Asffla und ein Polizist, der zu seinem Schutz abgestellt war, weil Jim8nez de Asffla, der 1933 wegen der Verabschiedung des in den Unterschichten verhassten »Gesetzes gegen Arbeitsscheue und Übeltäter« bereits seit geraumer Zeit bedroht worden war, erschossen.527 Das spektakulärste Attentat während der Zweiten Republik ereignete sich am 28. April 1936, als die Brüder Miguel und Jos8 Badia in der Nähe ihres Wohnhauses in der Calle de Muntaner durch Schüsse ums Leben kamen.528 Der Mord auf den zu Beginn des Kapitels 4.3.1 noch genauer eingegangen wird, war vermutlich ein Racheakt für die Unterdrückung, die Miguel Badia in seiner Funktion als Polizeichef auf die Anarchisten ausgeübt hatte.529 526 Einen aktuellen Überblick zur politischen Gewalt in Spanien geben Payne, Collapse, bes. S. 264ff. und Gonz#lez Calleja, Contrarevolucionarios, S. 200ff. 527 Berichte zum Mord an dem Mitglied der Falange im Jahr 1934 finden sich etwa in La Noche, 29. 10. 1934, S. 14 sowie El Correo Catal#n, 30. 10. 1934, S. 3. Das Attentat auf den sozialistischen Abgeordneten Jim8nez de Asffla im Jahr 1936 ist dokumentiert in El Noticiero Universal, 12. 3. 1936, S. 21 sowie 13. 3. 1936, S. 21. Zu dessen Beteiligung an der Entstehung des Gesetzes gegen »Arbeitsscheue und Übeltäter« siehe Ealham, Anarchism and the City, S. 78f. 528 Eine detaillierte Beschreibung des Ablaufs des Attentats findet sich bei Pallares, Victimes, S. 176ff. Eine sehr ausführliche, allerdings auch sehr wohlwohlende Biographie von Miguel Badia, dem das Attentat vermutlich in erster Linie galt, verfasste Ros i Serra, Miguel Badia. 529 So wird das Attentat gerechtfertigt bei Paz, Durruti, S. 292. Planes, G/ngsters, S. 24, berichtet von einer Versammlung, bei der beschlossen wurde, wieder zu der Taktik der Attentate zurückzukehren, wobei auch Miguel Badia »zum Tode verurteilt worden sein« soll.
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Mit Federico MuÇoz Contreras wurde in Barcelona am 10. Februar 1935 ein weiterer Henker der Stadt ermordet, vermutlich von Freunden des bekannten Straßenräubers Andr8s Aranda Ortiz, den er kurz zuvor hingerichtet hatte.530 Zwei weitere Attentate auf Vertreter des Staates richten sich am 10. Juni 1932 gegen den Gefängnisdirektor Alfonso de Rojas und am 20. Oktober 1935 gegen weiteres Gefängnispersonal.531 Dabei handelte es sich vermutlich um Racheaktionen für die schlechten Haftbedingungen in den Gefängnissen.532 Die vorstehenden Untersuchungsergebnisse belegen somit, dass es zwar auch in der Zweiten Republik sowohl »soziale« als auch politische Attentate gab, doch geht aus ihnen eindeutig hervor, dass sich diese in Barcelona fast ausschließlich in der Endphase der Restaurationsmonarchie ereigneten. Auch wenn ein Teil dieser Attentate, die in dieser Stadt vor allem im Kontext mit Arbeitskämpfen durchgeführt wurden, starke Ähnlichkeit mit politischen Attentaten aufwies, scheint der Begriff »Attentat« doch angesichts der Tatsache, dass viele der Morde persönliche Racheakte oder Vergeltungstaten im Zusammenhang mit den blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Gewerkschaften waren, deshalb nicht in allen Fällen völlig zutreffend zu sein. Während sich somit bereits während des Pistolerismo bei dieser Gewaltpraktik ein gewisser Wandel abzeichnete, wurde sie dann schließlich spätestens in der Anfangszeit der Zweiten Republik als dominierende Gewaltpraktik, bei denen Schusswaffen zum Einsatz kamen, von den bewaffneten Raubüberfällen abgelöst, die nun im folgenden Unterkapitel genauer analysiert werden sollen.
3.3.2 Der Wandel vom »Pistolero« zum »Atracador« – bewaffnete Raubüberfälle als dominante Gewaltpraktik im »Chicago Europas« Im Sommer 1921 traten neben den gerade beschriebenen sozialen Attentaten zum ersten Mal vermehrt bewaffnete Raubüberfälle in Erscheinung, wobei es die »Atracadores« jeweils auf die Löhne der Arbeiter abgesehen hatten. So wurde am 25. Juni 1921, einem Samstag, um die Mittagszeit der Besitzer der Mehlfabrik 530 Vgl. Ealham, Crime and Punishment, S. 37. Eine zeitgenössische Darstellung des Mordes findet sich in El Noticiero Universal, 11. 2. 1935, S. 26 und 16. 2. 1935, S. 8, La Noche, 11. 2. 1935, S. 3 und El Correo Catal#n, 10. 2. 1935, S. 5. 531 Das Attentat auf den Gefängnisdirektor de Rojas ist dokumentiert in La Noche, 7. 6. 1932, S. 11 und 10. 6. 1932, S. 1, El Correo Catal#n, 8. 6. 1932, S. 3, 8. 6. 1932, S. 5, 11. 6. 1932, S. 3 und 15. 6. 1932, S. 6, El Diario de Barcelona, 10. 6. 1932, S. 8, 11. 6. 1932, S. 39, 14. 6. 1932, S. 7, 17. 6. 1932, S. 39 und 19. 6. 1932, S. 39. Über das Attentat auf drei Gefängniswärter im Jahr 1935 berichteten El Diario de Barcelona, 23. 10. 1935, S. 9, El Noticiero Universal, 22. 10. 1935, S. 2, 23. 10. 1935, S. 7, 24. 10. 1935, S. 10, 26. 10. 1935, S. 22, 31. 10. 1935, S. 2 und 16. 11. 1935, S. 12. 532 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 140.
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»La Esperanza«, Mart&n Cehuet Sangu8s, von drei bewaffneten Männern überfallen, als er in Begleitung seines Geschäftsführers die Tageslöhne der Arbeiter zu seiner Fabrik bringen wollte.533 Der ehemalige militante Arbeiterführer Joan Ferrer i Fariol erklärte dem Journalisten Baltasar Porcel in einem etwa 50 Jahre später geführten Interview den Hintergrund dieser damals neuen Gewaltpraktik: »Die Gewerkschaft, die bereits 75 % ihrer Mitglieder verloren hatte, wurde verboten und aufgelöst. Deshalb wendeten wir zunächst die Methode an, Mitgliedsbeiträge in den Fabriken und auf der Straße einzutreiben […]. Doch häufig kam es dabei zu blutigen Zusammenstößen mit den Pistoleros der Sindicatos Libres und den Banden von Bravo Portillo und dem Baron von Koening [sic] mit Toten auf beiden Seiten. Es war eine Tragödie. Um 500 Peseten an Mitgliedsbeiträgen in einer Fabrik in Sant Andreu einzutreiben, verlierst du einen Kameraden. […] Zu jener Zeit kamen einige Kameraden aus Valencia, die sich mit einer Reihe militanter Gewerkschafter trafen und ihnen erklärten, es gebe eine andere, weniger leidvolle aber effektivere Möglichkeit, um die finanziellen Probleme zu lösen. Sie sagten: ›Warum um Gottes Willen das Leben für ein paar lausige Peseten aufs Spiel setzen? Vor allem am Samstag, wenn der Lohn ausgezahlt wird, ist von der Polizei und den feindlichen Banden nichts zu sehen. Was spricht dagegen, eine Bank zu überfallen? Ein gut vorbereiteter Coup, und du machst mehr Geld als an vier Samstagen mit Beitragszahlungen und Morden.‹ Dieser Vorschlag wurde begeistert aufgenommen, denn das, was vorher 500 Kameraden mit einer Pistole machen mussten, konnten nun vier oder fünf machen, ohne dass es Konsequenzen hatte, denn natürlicherweise würden die Pistoleros der Bourgoisie und die Polizisten nichts von unseren Plänen wissen. […]. Es wird Leute geben, die sagen werden, dass dieses Vorgehen Diebstahl wäre. Aber in Wahrheit kann man es mit einem Krieg vergleichen: Wenn sich der Feind einem Dorf nährt und es schließlich erstürmt, beschlagnahmt er alle Reichtümer, die sich darin befinden. Eine Bank zu überfallen war nichts weiter als eine Episode des sozialen Krieges. Der einzige Unterschied war, dass eine militärische Kampfgruppe 50 000 Männer hat, unsere aber nur fünf.«534
Dieses Zitat ist in mehrerlei Hinsicht aufschlussreich. So lässt sich zunächst bezüglich des Ursprungs dieser Gewaltpraktik festhalten, dass sie aus der Eintreibung von Beitragsgeldern hervorgegangen ist, die – wie von Ferrer i Fariol beschrieben – zumindest in dieser Zeit meist ebenfalls von bewaffneten militanten Arbeitern durchgeführt wurde und dass auch dieses Vorgehen oftmals 533 Vgl. El Diluvio, 26. 6. 1921, S. 11 sowie El Noticiero Universal, 25. 6. 1921, S. 7 und 27. 6. 1921, S. 8. Für Albert Balcells stellt dieser Überfall den Beginn dieser Gewaltpraktik in Barcelona dar, vgl. Balcells, Pistolerisme, S. 165ff. Zwei Tage später überfielen sieben bewaffnete Männer eine Mosaikfabrik in der Calle de Gasjmetro 22 und entwendeten 3000 Peseten, die ebenfalls für die Bezahlung der Arbeiter vorgesehen waren, vgl. El Noticiero Universal, 28. 6. 1921, S. 5. 534 Baltasar Porcel, der noch weitere Interviews mit Joan Ferrer i Fariol führte, veröffentlichte diese später mit diesem zusammen in dem Buch »La Revulta permanente« (dt.: Die dauerhafte Revolte). Für die hier zitierte Textpassage siehe Porcel, Revuelta, S. 118ff.
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mit der Anwendung von Gewalt verbunden war.535 Die Bagatellisierung von Banküberfällen erscheint aber trotzdem befremdlich angesichts der Tatsache, dass die Pistoleros in Barcelona in dieser Zeit offensichtlich mehr oder weniger frei agieren konnten. So bezeichnet Randall Collins bewaffnete Raubüberfälle als »unmittelbarsten situationsbedingten Angriff auf den Schwachen«.536 Im Gegensatz zu einfachem Straßenraub wie etwa Diebstahl sind bewaffnete Raubüberfälle – so führt Collins weiter aus – mit einem deutlich höheren Maß an Konfrontation und interaktiver Kommunikation verbunden, weil die Opfer die Waffe zu sehen bekommen und zu erkennen geben, dass es ihnen bewusst ist, dass sie bei Nichterfüllung der Forderungen mit deren Einsatz rechnen müssen.537 Ein in dem Zitat von Ferrer i Fariol zentrales Argument für die Durchführung von Raubüberfällen war, dass samstags, wenn die Arbeiter normalerweise ihren Lohn ausgezahlt bekommen würden, mit wenig Polizeipräsenz zu rechnen sei. Auch Randell Collins führt aus, dass bewaffnete Straßenräuber bevorzugt in Momenten kontextueller Schwäche zuschlagen. Deshalb wird Straßenraub – so Collins weiter – meist nachts durchgeführt, weil sich die Opfer dann fremd und unbehaglich fühlen, während Raubüberfälle auf Bankfilialen oder Juweliergeschäfte vor allem in der Mittagszeit stattfinden, weil zu dieser Zeit normalerweise am wenigsten Kunden anwesend sind.538 So aufschlussreich die hier zitierten Ausführungen von Joan Ferrer i Fariol auch sind, bedürften sie zunächst einer historischen Einordnung und zum Teil auch einer chronologischer Richtigstellung. So hatte sich die allgemein als »Banda Negra« bezeichnete Bande von Bravo Portillo, die nach dessen Tod im September 1919, wie im Kapitel 4.1.2 noch genauer ausgeführt wird, von dem deutschstämmigen Rudolf Stallmann alias »Baron von König« geleitet wurde, bereits im Mai 1920 aufgelöst, nachdem dieser aus Spanien ausgewiesen worden war, und konnte dementsprechend nicht, wie von Ferrer i Fariol behauptet, als Grund dafür geltend gemacht werden, statt durch das Eintreiben von Mitgliedsbeiträgen nun besser durch Raubüberfälle an Geld zu kommen. Die von Ferrer i Fariol am Anfang des Zitats erwähnte Unterdrückung der Sindicatos 5nicos und deren massiver Mitgliederschwund ist zum einen auf das 535 So sollen unter den Opfern des Pistolerismo vor allem im Jahr 1920 auch viele Arbeiter gewesen sein, die sich geweigert hatten, den Mitgliedsbeitrag an die CNT zu entrichten, vgl. Smith, Anarchism, S. 324. Ein Beispiel hierfür ist dokumentiert in El Correo Catal#n, 5. 11. 1920, S. 2. Über eine gewaltsame Auseinandersetzung von Pistoleros der verfeindeten Gewerkschaften anlässlich der Eintreibung von Mitgliedsbeiträgen berichtete beispielsweise El Diluvio, 7. 5. 1922, S. 25. 536 Vgl. Collins, Dynamik, S. 258. 537 Vgl. Collins, Dynamik, S. 260f. 538 Vgl. Collins, Dynamik, S. 260f.
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bereits im ersten Teil dieses Unterkapitels beschriebene Erstarken der Sindicatos Libres und zum anderen auf die Repression durch den seit Herbst 1920 im Amt befindlichen Zivilgouverneur Mart&nez Anido zurückzuführen und fällt damit genau in die Zeit der zu Beginn des Kapitels beschriebenen ersten Raubüberfälle. Ferrer i Fariol dagegen bezeichnet in seinen Memoiren im Anschluss an die oben zitierte Textpassage einen Überfall auf die Büros der öffentlichen Gebührenstelle in der Nähe der Capitan&a General als Beginn dieser Gewaltpraktik.539 Dieser Überfall, bei dem die Täter mehr als 100 000 Peseten erbeuteten, fand jedoch erst am 8. August 1923 statt.540 Er war Teil einer Serie von Raubüberfällen, die bereits in der ersten Hälfte des Jahres 1923 begonnen hatte, in der sich insgesamt 23 Raubüberfälle ereigneten. Schon am 19. Juni hatte deshalb El Correo Catal#n moniert, dass Raubüberfälle inzwischen an der Tagesordnung wären und die Polizei ihnen hilf- und tatenlos gegenüberstünde.541 Während diese Feststellung für die Monate Juni und Juli noch übertrieben erscheinen mag, wurden die spektakulären Raubüberfälle im August 1923 dann tatsächlich zu einem nahezu alltäglichen Phänomen.542 So überfielen bereits einige Tage vor dem von Ferrer i Fariol erwähnten Überfall auf die Büros der Gebührenstelle sieben mit Pistolen bewaffnete Personen in Sant Andreu den Kassierer der Firma der Fabrik Serra y Roca und raubten ihm 7000 Peseten, die als Löhne für die Arbeiter der Fabrik bestimmt waren. Da das Opfer im Auto unterwegs war, simulierten die Täter einen Fahrradunfall, um das Opfer zum Anhalten zu veranlassen.543 Am Vortag des von Ferrer i Fariol erwähnten Überfalls drangen zur Mittagszeit etwa ein Dutzend bewaffnete Männer in die in der Nähe der Gobierno Civil gelegene Eisenbahngaststätte ein und raubten die Gäste aus.544 Zu einem letzten großen Überfall vor der Machtübernahme Primo de Riveras kam es am 29. August 1923. Betroffen war die Casa Salisachs in der Calle de Diputacijn 310, wobei die Täter mehr als 8800 Peseten erbeuteten und den Kassierer tödlich verletzten.545 Joan Ferrer i Fariol setzt seine Erzählung dagegen mit der ausführlichen 539 Vgl. Porcel, Revuelta, S. 120. 540 Vgl. El Diluvio, 9. 8. 1923, S. 8. 541 Vgl. El Correo Catal#n, 19. 6. 1923, S. 1. Zur Anzahl der Überfälle in der ersten Hälfte des Jahres 1923, vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 222. 542 So führt Balcells, ViolHncia Social, S. 34 aus, dass Überfälle im Juni und Juli 1923 nur Einzelerscheinungen waren. 543 Vgl. El Noticiero Universal, 6. 8. 1923, S. 9. 544 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 296ff. Über das Ereignis berichtete El Noticiero Universal, 7. 8. 1923, S. 11. Über den Prozess gegen Jos8 Trillas, der an diesem Überfall beteiligt gewesen sein und den Ausgang bewacht haben soll, informierte El Diario de Barcelona, 2. 6. 1927, S. 17. 545 Vgl. El Diluvio, 30. 8. 1923, S. 9, El Diario de Barcelona, 30. 8. 1923, S. 5436 und 31. 8. 1923, S. 5477.
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Beschreibung des Überfalls in Poblenou auf einen Zug fort, in dem die Bahngesellschaft die Löhne für ihre Arbeiter in der Bahnstation Sant Andreu transportierte.546 Dieser hatte sich allerdings schon am 31. August 1922 ereignet und in der Lokalpresse für große Empörung gesorgt, was neben der hohen Summe an gestohlenem Geld – insgesamt etwa 140 000 Peseten – auch daran lag, dass es bei diesem Überfall auch zwei Tote und mehrere Verletzte gegeben hatte.547 Diese Tat stellte sowohl einen Höhepunkt als auch den Abschluss der ersten Phase von Raubüberfällen dar, nachdem diese Gewaltpraktik beginnend mit dem eingangs erwähnten Überfall auf den Besitzer einer Mehlfabrik Ende Juni 1921 immer häufiger aufgetreten war und es innerhalb eines Jahres bis Juli 1922 zu vier weiteren bewaffneten Raubüberfällen dieser Art gekommen war.548 Die nicht ganz eindeutige Chronologie der Raubüberfälle ist aber nicht alleine der scheinbar etwas verwirrenden Darstellung von Ferrer i Fariol geschuldet. Neben den bisher beschriebenen Raubüberfällen, die von militanten Gewerkschaftern durchgeführt wurden und deren Ertrag der Gewerkschaft zukommen und damit hauptsächlich der Unterstützung der sich in Haft befindenden Gewerkschafter und deren Familien dienen sollte, begannen etwa zur selben Zeit auch bewaffnete Raubüberfälle, bei denen in erster Linie die finanzielle Bereicherung der Täter das Hauptmotiv gewesen sein dürfte.549 In diesen Kontext lassen sich vermutlich zwei kleinere Raubüberfälle einordnen, die sich bereits in den ersten Monaten des Jahres 1919 ereignet hatten und bei denen die Täter zum ersten Mal Schusswaffen benutzten.550 Auch die Umstände des ersten größeren Überfalls in Barcelona, der sich am Abend des 4. August 1920 auf den Juwelier Ramjn Vall8s ereignete, dem fünf mit Pistolen bewaffnete Männer einen Koffer voller Schmuck im Wert von etwa 52 000 Peseten entwendeten, den die Täter 546 Vgl. Porcel, Revuelta, S. 120. 547 Diese Empörung äußerte sich etwa in Artikeln des El Correo Catal#n, 3. 9. 1922, S. 1 und von El Diluvio, 22. 9. 1922, S. 13. Die Gerichtsverhandlung zu diesem Vorfall fand vier Jahre später statt. Berichte darüber finden sich in El Diluvio, 1. 9. 1926, S. 7f., El Diario de Barcelona, 1. 9. 1926, S. 7f. und El Noticiero Universal, 31. 8. 1926, S. 11. 548 So berichtete El Diluvio am 1. 3. 1922, S. 16, dass acht bewaffnete Männer in der Fabrik von Bertrand und Serra in der Calle de Parcerisas 62 im Hafenviertel Stoffballen im Wert von 14 000 Peseten erbeuteten. Am 3. Juni 1922 wurde ein Geldtransporter in der Calle de Industria Ecke Calle de Urgell überfallen, wobei die Beute insgesamt ca. 25 000 Peseten betrug, die als Lohn für die Arbeiter am Palacio Real bestimmt waren, vgl. El Diluvio, 4. 6. 1922, S. 18 und Balcells, ViolHncia Social, S. 34. 549 Den Geldmangel der »Comit8s Pro-presos« (dt.: Komitees für die Gefangenen), die sich um die finanzielle Unterstützung der inhaftierten Arbeiter kümmerten, beschreibt de Lera, ]ngel PestaÇa, S. 205. 550 Über den ersten derartigen Überfall am 8. März 1919 berichtete El Noticiero Universal, 9. 3. 1919, S. 4. Bei dem zweiten am 14. Juni 1919 wurde zum ersten Mal eine Person in Gestalt eines Polizisten verletzt, der dem Opfer, das von vier Tätern bedroht wurde, zur Hilfe kommen wollte, vgl. El Correo Catal#n, 15. 6. 1919, S. 3.
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anschließend in einer Bar in der Ronda de Sant Antonio unter sich aufgeteilt haben sollen, lässt darauf schließen, dass es sich hier offensichtlich um Kriminelle handelte.551 Auch wenn im Jahr 1921 dann vermutlich die Raubüberfälle überwogen, die von militanten Gewerkschaftern durchgeführt wurden, gab es in den folgenden Jahren auch weiterhin Raubüberfälle, die sich nicht in diesen Kontext einordnen lassen. Nachdem sich die Raubüberfälle, wie bereits dargelegt, schon zur Zeit des Pistolerismo neben den sozialen Attentaten als die zweite in Barcelona dominierende Gewaltpraktik etabliert hatten, begannen sie diese zumindest in den letzten Monaten der Restaurationsmonarchie nach und nach als die vorherrschende Gewaltpraktik in Barcelona abzulösen. Dabei stellte die Diktatur Primo de Riveras auch hier zunächst eine einschneidende Zäsur dar, wie die Grafik zur Überfallstatistik (Abb. 50) verdeutlicht.
Abb. 50: Anzahl der Raubüberfälle im Untersuchungszeitraum
Doch zumindest in deren Anfangsjahren kam es auch weiterhin vereinzelt zu derartigen Gewalttaten, die allerdings, was ihre Ausmaße anbetrifft, nicht annähernd mit den Raubüberfällen während der letzten Monate der Restaurationsmonarchie zu vergleichen sind. Beispielsweise wurde im Januar 1924 ein Kassierer der Bank »Zürich« von drei bewaffneten Männern überfallen, die von 551 Über die Tat berichtete etwa El Noticiero Universal, 10. 8. 1920, S. 5, 11. 8. 1920, S. 4 und 12. 8. 1920, S. 5. Berichte über die Gerichtsverhandlung finden sich in El Diluvio, 28. 9. 1922, S. 8 und 30. 9. 1922, S. 10 sowie El Noticierio Universal, 27. 9. 1922, S. 9.
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ihm 3000 Peseten erbeuteten und ihn schwer verwundeten, als er versuchte, Widerstand zu leisten.552 Nach einigen kleineren bewaffneten Übergriffen auf Einzelpersonen, bei denen aber nur sehr geringe Geldmengen geraubt wurden, kam es in der zweiten Jahreshälfte zu zwei weiteren Raubüberfällen, bei denen jeweils Lebensmittelgeschäfte betroffen waren.553 Während sich auch im folgenden Jahr nur zwei größere Raubüberfälle ereigneten, gab es in den folgenden Jahren fast bis zum Ende der Diktatur zunächst keine nennenswerten Gewaltdelikte dieser Art mehr.554 Deshalb vertrat die Tageszeitung El Diario de Barcelona noch Anfang November 1930 die Ansicht, dass die sozialen Verhältnisse im Moment geordnet seien.555 Nachdem Raubüberfälle während der Diktatur Primo de Riveras nur sehr selten in Erscheinung traten, begannen sie in der Umbruchphase zwischen Diktatur und Republik wieder an Bedeutung zu gewinnen. Ein erster spektakulärer Überfall geschah am 11. Dezember 1930, als der Kassierer einer Bank von zwei mit Pistolen bewaffneten Tätern dazu gezwungen wurde, ihnen insgesamt etwa 100 000 Peseten auszuhändigen.556 Etwas mehr als einen Monat später ereignete sich am frühen Abend des 30. Januar 1931 der erste von insgesamt drei Banküberfällen, die innerhalb kürzester Zeit in Barcelona stattfanden. Zwei Männer betraten die Filiale der »Banco de CataluÇa« in der Calle de San Andr8s 146 und gaben vor, ihr spanisches in französisches Geld umtauschen zu wollen. Kurz darauf kamen fünf weitere Männer in den Raum, die mit Pistolen bewaffnet waren. Sie raubten annähernd 40 000 Peseten aus der Kasse, während die anderen beiden Männer die Tür bewachten und darauf achteten, dass niemand das Gebäude verließ. Außerdem machten sie das Telefon unbrauchbar, um zu verhindern, dass jemand Hilfe herbeirufen konnte. Die Täter trugen Mützen und verdeckten einen Teil ihres Körpers mit Schals. Der Überfall dauerte insgesamt nur etwa drei Minuten und die Täter konnten anschließend problemlos
552 Vgl. El Diario de Barcelona, 18. 1. 1924, S. 534. 553 Bei den zwei größeren Überfällen handelte es sich zum einen um einen Überfall auf eine Molkerei am 4. August 1924, der in Berichten in El Noticiero Universal, 4. 8. 1924, S. 14, 5. 8. 1924, S. 16, 9. 8. 1924, S. 10 und 13. 8. 1924, S. 7, El Diario de Barcelona, 5. 8. 1924, S. 6 und El Diluvio, 7. 8. 1924, S. 18 ausführlich dokumentiert ist. Der zweite Überfall ereignete sich am 28. Dezember 1924 auf ein Lebensmittelgeschäft, wobei der Eigentümer und ein Angestellter verletzt wurden, als sie versuchten, die Täter zu überwältigen, vgl. La Noche, 1. 1. 1925, S. 5. 554 Der erste der beiden Überfälle 1925 ereignete sich am 7. Mai 1925 in einer Schreinerei, wobei die Täter 4000 Peseten erbeuteten, vgl. El Diluvio, 25. 7. 1925, S. 14 und El Noticiero Universal, 24. 7. 1925, S. 7. Am 10. Oktober 1925 wurden dem Eigentümer eines Juweliergeschäftes von drei bewaffneten Tätern 16 000 Peseten geraubt, vgl. El Diario de Barcelona, 6. 10. 1925, S. 17. 555 Vgl. El Diario de Barcelona, 5. 11. 1930, S. 1f. 556 Vgl. El Noticiero Universal, 12. 12. 1930, S. 7.
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entkommen, obwohl es sich um eine belebte Straße handelte und sich eine Polizeistation in unmittelbarer Nähe befand.557 Noch im gleichen Jahr kam es zu zwei weiteren Banküberfälle in Barcelona, die vom Ablauf her sehr ähnlich waren. Am 10. April, also wenige Tage vor Ausrufung der Republik, wurde eine weitere Filiale der Banco de CataluÇa in der Calle de Salmeron 111 überfallen und etwa 150 000 Peseten erbeutet.558 Ein dritter Überfall dieser Art ereignete sich ein halbes Jahr später am 24. Oktober 1931, als fünf bewaffnete Männer eine Filiale der Banco de Bilbao in der Calle de Bailen 48 überfielen. Im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Raubüberfällen kam es hierbei zu einer Schießerei mit einem Wachmann, den die Täter schwer verwundeten, um danach ohne Beute zu flüchten.559 Vermutlich waren es diese drei spektakulären Banküberfälle, die dazu führten, dass die Überfälle nun auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen die Attentate als dominierende, mit Schusswaffen durchgeführte Gewaltpraktik ablösten. Diese Vermutung wird etwa durch den zeitgenössischen Journalisten Francisco Madrid bestätigt, der, wie bereits mehrfach in dieser Arbeit angedeutet, während dieser Zeit einer der aufmerksamsten Beobachter des städtischen Alltags in Barcelona war. In der Anfangszeit der Zweiten Republik, als Llu&s Companys gerade das Amt des Zivilgouverneurs in Barcelona übernommen hatte, war Francisco Madrid dessen Sekretär geworden und veröffentlichte später ein Buch, in dem er über seine Erfahrungen aus dieser Zeit berichtete. Hinsichtlich der in der Stadt vorherrschenden Gewaltphänomene machte er dabei auf folgenden Wandel aufmerksam: »Barcelona wurde zum Chicago Europas. Der heutige Terrorismus ist nicht mehr derselbe wie noch vor zwölf oder vierzehn Jahren. Heute ermordet man keine Arbeitgeber mehr, denn man hat verstanden, dass das Ermorden von Arbeitgebern kein kapitalistisches System stürzen kann. […] Aber das, was den heutigen Terrorismus, der stets aus der Unterwelt hervorgeht, im Moment ausmacht, sind organisierte Banden, deren einziges Ziel es ist, Banken, Sparkassen oder Fabriken, in denen gerade Zahltag ist, usw. zu überfallen.«560
Neben den bereits beschriebenen Banküberfällen kam es 1931 noch zu zwei weiteren größeren Raubüberfällen.561 Insgesamt zeigen die Statistiken des Jus557 Siehe dazu die Berichte in El Diluvio, 31. 1. 1931, S. 37, El Diario de Barcelona, 31. 1. 1931, S. 24, El Noticiero Universal, 31. 1. 1931, S. 7 und Las Noticias, 31. 1. 1931, S. 2. 558 Zum Überfall am 10. April vgl. die Berichte in El Diluvio, 11. 4. 1931, S. 19f., El Noticiero Universal, 10. 4. 1931, S. 6 und 11. 4. 1931, S. 8. 559 Darüber berichtete etwa El Correo Catal#n, 24. 10. 1931, S. 3. 560 Madrid, Ocho meses, S. 265. Dieser Vergleich wird ebenfalls angestellt in El Correo Catal#n, 13. 12. 1932, S. 6. Vgl. dazu auch Ealham, Anarchism and Illegality, S. 133. 561 So berichtete El Correo Catal#n am 6. 3. 1931, S. 1 von einem Überfall auf einen Juwelier. Dagegen konnte Anfang November ein Überfall auf das Kino Avenida vereitelt werden,
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tizpalastes 1931 einen deutlichen Anstieg von Raubüberfällen im Vergleich zum Vorjahr. Dagegen kam es im folgenden Jahr nur zu zwei derartigen Gewaltverbrechen. Ihren Höhepunkt erreichten die Raubüberfälle dann in den Jahren 1933 und 1934, als die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in vollem Umfang auch Barcelona erfassten.562 In den beiden folgenden Jahren gingen die Raubüberfälle zwar wieder etwas zurück, blieben aber dennoch bis zum Bürgerkrieg die häufigste Form kollektiver Gewalt in Barcelona. In der Abbildung 51 sind die Ziele aller in Barcelona während des Untersuchungszeitraums erfolgten Raubüberfälle aufgeführt, bei denen die Beute mindestens 20 000 Peseten betrug.
Abb. 51: Ziele der größeren Raubüberfälle im Untersuchungszeitraum
Allerdings waren es über den gesamten Untersuchungszeitraum betrachtet nicht vornehmlich die Raubüberfälle auf die von Francisco Madrid genannten Institutionen, die Barcelona zum »Chicago Europas« machten. Stattdessen war das Hauptziel von Raubüberfällen, bei denen hohe Geldsummen erbeutet wurden, Personen, die in dieser Statistik als »Geldboten« zusammengefasst werden. Neben Bankkurieren handelte es sich dabei vor allem um Personen, die Kredite oder Mieten eintrieben.563 Diese eigneten sich vermutlich deshalb besonders gut wobei ein Nachtwächter zu Tode kam, vgl. El Diluvio, 3. 11. 1931, S. 4, El Diario de Barcelona, 3. 11. 1931, S. 13f., El Noticiero Universal, 2. 11. 1931, S. 13 und 22. 12. 1931, S. 6. 562 Vgl. Ealham, Anarchism and Illegality, S. 143. 563 Ein Raubüberfall auf einen Bankkurier ist etwa dokumentiert in El Diluvio, 27. 6. 1933, S. 1 und El Diario de Barcelona, 27. 6. 1933, S. 18. Wesentlich häufiger scheinen aber Raubüberfälle auf Mieteintreiber gewesen zu sein, ein Beispiel hierfür ist der Überfall auf den
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als Opfer von Raubüberfällen, weil sie meist alleine unterwegs waren, obwohl sie oft größere Geldsummen transportierten, und darüber hinaus laut Chris Ealham wegen ihrer Tätigkeit generell unbeliebt waren und deshalb ein »legitimes« Ziel boten.564 Dass das Opfer eines der ersten größeren Raubüberfälle in Barcelona im Jahr 1920 ein Juwelier war und Juwelierläden auch im weiteren Verlauf des Öfteren zum Ziel von Raubüberfällen wurden, wie die Grafik veranschaulicht, liegt nahe, waren dies doch die Geschäfte, bei denen es die teuersten Wertsachen zu erbeuten gab. Während der Zweiten Republik in Barcelona waren es vor allem italienische Straßenräuber, die Juwelierläden überfielen, weshalb darauf im Kapitel 4.1.2 noch einmal genauer eingegangen wird. Was die Überfälle auf Einrichtungen angeht, ist zudem auffällig, dass viele Fabriken Ziele von Überfällen wurden. Das mag zunächst etwas befremdlich erscheinen, da man nicht vermuten sollte, dass es dort höhere Geldbeträge zu erbeuten gäbe. Wie im Eingangszitat angedeutet, war es aber damals so, dass in den Fabriken samstags der Lohn ausgezahlt wurde und es die Straßenräuber auf diese Gelder abgesehen hatten. So hatte etwa der bereits erwähnte spektakuläre Raubüberfall auf einen Zug im September 1922 den Löhnen der Arbeiter der Eisenbahngesellschaft MZA gegolten. Dass sich diese Art von Raubüberfällen dann während der Zweiten Republik regelmäßig ereignete, zeigt sich etwa in der Berichterstattung der Lokalpresse, die dazu überging, solche Überfälle ab Sommer 1933 unter der Überschrift »El Atraco de todos los s#bados« (dt.: Der allsamstägliche Überfall) aufzulisten.565 Abgesehen von diesen größeren Raubüberfällen ist bezüglich dieser Gewaltpraktik in Barcelona während der Zwischenkriegszeit insgesamt bemerkenswert, dass sehr häufig Taxifahrer, die sich gerade im Dienst befanden, Opfer von Raubüberfällen wurden. Insgesamt ereigneten sich im Untersuchungszeitraum 143 Raubüberfälle auf Taxifahrer, die damit mehr als doppelt so häufig Opfer von Überfällen waren wie die Geldboten. Allerdings wurden sie im Gegensatz zu diesen in der Grafik nicht aufgeführt, weil ihnen jeweils nur kleinere Geldbeträge entwendet wurden. Doch trug diese Form von Raubüberfällen aber Besitzverwalter Jaime Horta. Dieser wird ausführlich beschrieben in El Diluvio, 4. 8. 1933, S. 4, El Diario de Barcelona, 4. 8. 1933, S. 9f. und El Noticiero Universal, 4. 8. 1933, S. 16. Ein anderer Besitzverwalter, Ramjn Perramjn wurde gleich zweimal überfallen, zunächst am 14. Mai 1934, vgl. El Correo Catalan, 15. 5. 1934, S. 1ff. Etwas mehr als zwei Jahre später wurde Ramjn Perramjn erneut Opfer eines Überfalls, obwohl er sich nach den Berichten der Lokalzeitungen in Begleitung eines Boxers befand, den er vermutlich zu seinem Schutz engagiert hatte, vgl. El Noticiero Universal, 10. 6. 1936, S. 28 und El Diluvio, 11. 6. 1936, S. 6. 564 Vgl. Ealham, Anarchism and Illegality, S. 144. 565 Beispiele hierfür finden sich in El Diario de Barcelona, 11. 6. 1933, S. 15, El Diluvio, 19. 8. 1933, S. 9 und El Diario de Barcelona, 19. 8. 1933, S. 32, El Diluvio, 26. 11. 1933, S. 5 und El Diario de Barcelona, 26. 11. 1933, S. 24.
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in bedeutendem Maße dazu bei, dass die Zahl von Raubüberfällen in Barcelona während der Zweiten Republik insgesamt deutlich anstieg. Bei den Taxis handelte es sich um eine relativ neue Erscheinung im städtischen Alltag von Barcelona. 1894 war zum ersten Mal ein Auto durch die Straßen Barcelonas gefahren.566 Im Laufe der ersten beiden Jahrzehnte stieg die Anzahl von Fahrzeugen deutlich an.567 Diese Entwicklung setzte sich auch in den folgenden Jahren fort. Während nach Angaben des zeitgenössischen Journalisten Tom#s Caball8 y Clos im Jahr 1914 tagsüber pro Stunde 62 Autos den PlaÅa de Catalunya passierten, waren es 1931 bereits 895.568 Dies war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Anzahl von Taxis in Barcelona während dieses Zeitraums stark angestiegen war. Bereits im September 1926 hatte Francisco Madrid in El Esc#ndalo einen umfangreichen Bericht über die Taxis in Barcelona veröffentlicht, in dem er die Taxifahrer als einen »äußerst bedeutsamen Faktor für das Leben in der Stadt beschrieb«.569 Während es 1909 in der Stadt nur 25 davon gegeben hatte, war deren Zahl bis zur Weltausstellung 1929 bereits auf 3000 angestiegen.570 In diesem Jahr ereignete sich der erste Überfall auf einen Taxifahrer in der Nacht des 24. Juni. Drei Personen mieteten das Taxi von Buenaventura Vila und wiesen ihn an, sie zur Carretera de Montcada zu fahren, einer Landstraße, die etwas außerhalb des Stadtgebietes liegt.571 Am Ziel angekommen, bedrohten sie ihn mit Pistolen und nahmen ihm die 60 Peseten ab, die er bei sich trug. Die Täter fuhren mit dem Auto davon, nachdem sie ihrem Opfer mitgeteilt hatten, dass er sein Auto später auf dem Plaza de San Antonio wiederfinden könnte. Noch in derselben Nacht begingen die gleichen Täter einen ähnlichen Überfall auf einen anderen Taxifahrer, bei dem sie 125 Peseten erbeuteten.572 1931 hatten diese Raubüberfälle ein solches Ausmaß erreicht, dass zahlreiche Zeitungen öffentlich dagegen protestierten und sich die Taxifahrer schließlich im November 1931 dazu gezwungen sahen, deshalb in Streik zu treten.573 Auch Albert Figuerola, der 566 Vgl. Resina, Modernity, S. 22. 567 So gab es nach dem Jahresbericht der Stadt Barcelona von 1920 im Jahr 1916 1281 Autos und vier Jahre später bereits etwas mehr als doppelt so viele, vgl. S. 575. Dies entspricht den Ausführungen Friedrich Lengers, der das Automobil zu jener Zeit als »hochmodernes Industrieprodukt« beschreibt, dass erst nach dem Ersten Weltkrieg in West- und Mitteleuropa größere Verbreitung gefunden habe, vgl. Lenger, Metropolen, S. 326. 568 Vgl. Caball8 y Clos, Evocaciones, S. 114. 569 Vgl. El Esc#ndalo, 2. 9. 1926, S. 1. Für eine Analyse dieses Artikels siehe Davidson, Jazz, S. 48. 570 Vgl. La Noche, 18. 4. 1929, S. 1. 571 Vermutlich aus diesem Grund wurde dort auch der Arbeiterführer Pablo Sabater ermordet. Die Umstände seines Todes werden im Kapitel 4.1.1 noch genauer beschrieben. 572 Darüber berichtete El Diluvio am 25. 6. 1929, S. 15. Ein Bericht über die Gerichtsverhandlung findet sich in El Noticiero Universal, 23. 2. 1933, S. 7. 573 Für die in den Medien artikulierten Proteste gegen die Überfälle auf Taxifahrer siehe Las
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in jener Zeit in Barcelona als Taxifahrer tätig war, beschreibt die Straßenräuber als eine »permanente Plage«, die es sowohl auf ihre Tageseinnahmen als auch auf ihr Fahrzeug abgesehen hätten, und erklärt die Tatsache, dass hauptsächlich Taxifahrer Opfer von Raubüberfällen wurden, in seinen Memoiren wie folgt: »Der Straßenräuber will straffrei davonkommen und dies ist viel einfacher beim Überfall auf einen Taxifahrer als auf eine Bank. Die Taxiräuber können nur schwer überführt werden. Wenn sie ein Taxi stehlen, benutzen sie es für ihre ›Arbeit‹ und lassen es danach stehen. Einen Freund von mir haben sie ausgeraubt. Den ganzen Weg vom Modelo-Gefängnis aus war er gegenüber den drei Passagieren argwöhnisch. Sie baten ihn, einen Gang herunterzuschalten und er fühlte einen kühlen Gegenstand im Genick. ›Halten sie an, wir verstehen mehr von Autos als Sie‹ sagten sie ihm. Sie zogen sich einen Schal und einen Arbeitskittel an (damals benutzten sie Arbeitskittel) und empfahlen ihm, den Vorfall nicht vor Ablauf einer Stunde der Polizei zu melden, damit sie Zeit hatten, ihre ›Arbeit‹ zu erledigen. Der Mann zögerte aus Angst vor Repressalien der Straßenräuber eine gute Weile, bevor er zur Polizei ging um den Fall zu melden. Der Ford von L. wurde an einem Samstag beim Überfall auf den Wagen der Wasserwerksgesellschaft benutzt, in dem der Wochenlohn der Arbeiter transportiert wurde. Er erhielt sein Auto zurück, die Windschutzscheibe von drei Schüssen durchlöchert«.574
Der Überfall auf den Wagen der Wasserwerksgesellschaft, der in diesem Zitat erwähnt wurde, geschah am 23. Februar 1934 und lief so ab, dass etwa sechs bis acht Personen aus dem erwähnten Taxi stiegen und den Fahrer des Wagens der Wasserwerksgesellschaft, der die Löhne der Arbeiter transportierte, mit Pistolen bedrohten und so insgesamt 20 000 Peseten erbeuteten. Es gab eine Verfolgungsjagd durch die Polizei, bei der die Täter mehrere Schüsse abgaben, wobei ein Polizist verletzt wurde und die Täter entkommen konnten.575 Einige Zeit später konnten die mutmaßlichen Täter dann allerdings doch verhaftet werden. In der anschließenden Gerichtsverhandlung, die mit ihrer Verurteilung endete, wurden sie nicht nur beschuldigt, an diesem Überfall beteiligt gewesen zu sein, sondern auch, zuvor einem Taxifahrer dessen Auto entwendet zu haben, um den Überfall begehen zu können.576 Während das »motorisierte Verbrechen« wie es der deutsche Schriftsteller Justus Franz Wittkop nannte, bereits 1911 von der Bonnot-Bande in Paris »erfunden« wurde, etablierte sich diese Sonderform von Raubüberfällen in BarceNoticias, 25. 1. 1931, S. 5 und Solidaridad Obrera, 24. 6. 1931, S. 2. Über den Streik der Taxifahrer berichtete Las Noticias am 4. 11. 1931, S. 2. 574 Figuerola, Memkries, S. 106f. 575 Über den Raubüberfall berichteten El Diario de Barcelona, 24. 2. 1934, S. 7 und 24. 2. 1934, S. 46 sowie El Diluvio, 24. 2. 1934, S. 20 und 25. 2. 1934, S. 8. 576 Die Gerichtsverhandlung ist dokumentiert in El Noticiero Universal, 18. 5. 1934, S. 2 und El Diario de Barcelona, 19. 5. 1934, S. 2. Der Taxifahrer, von dem das Auto gestohlen wurde, hieß demnach Santiago Aparici.
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lona erst in den Anfangsjahren der Zweiten Republik.577 Bereits Ende 1931 protestierte die Vereinigung der Taxifahrer, dass immer mehr Taxis von Straßenräubern für Raubüberfälle missbraucht wurden.578 Ein erster spektakulärer Raubüberfall dieser Art ereignete sich Mitte September 1932 auf eine Fabrik in Sants.579 Diese Vorgehensweise der Straßenräuber entwickelte sich in den weiteren Jahren zu einer gängigen Praxis, der die Taxifahrer schutzlos ausgeliefert waren. Die Anzahl dieser Taxidiebstähle erhöhte sich parallel zur Zahl der Raubüberfälle in den Jahren 1933 und 1934. In dieser Zeit erreichte diese Art von Raubüberfällen geradezu »mystische« Dimensionen, was vor allem an der Lokalpresse lag, die wochenlang über ein angebliches »Geisterauto« berichtete, womit ein Fahrzeug gemeint war, das von den Straßenräubern bei ihren Überfällen benutzt wurde. Dieses »Geisterauto« konnte dann letztendlich sichergestellt werden (siehe Abb. 52).580 Die von den Taxifahrern erbeuteten Autos waren denen der Polizei meist weit überlegen. Dies war neben der guten Bewaffnung der Straßenräuber, die es ihnen ermöglichte, sich im Notfall, wie es Chris Ealham beschreibt, »den Weg freischießen« zu können, einer der beiden Hauptgründe dafür, warum es den Tätern meist gelang zu entkommen, selbst wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden.581 Erst um die Jahreswende 1935/1936, als spektakuläre Raubüberfälle in Barcelona zunehmend seltener wurden, traten nun wieder vermehrt die Fälle in den Vordergrund, bei denen es die Täter nur auf die Einnahmen der Taxifahrer abgesehen hatten.582 Diese Tatsache ist vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass neben den Berufskriminellen und den militanten Gewerkschaftern während der Zweiten Republik eine weitere Personengruppe vermehrt zu »Atracadores« wurde. So häuften sich zu jener Zeit Raubüberfälle, wobei die Täter angaben, aus finan577 Vgl. Wittkop, Fahne, S. 179. Für einen ausführlichen Überblick über die Verbrechen der Bonnot-Bande siehe Schmidt, Jugendkriminalität, S. 237. Weitere Überfälle in Barcelona während der Zweiten Republik, bei denen die Täter zuvor Taxis gestohlen hatten, um diese dann anschließend als Fluchtfahrzeugt zu benutzen sind etwa dokumentiert in El Diluvio, 17. 8. 1932, S. 5, El Diluvio, 17. 3. 1933 und El Diario de Barcelona, 11. 1. 1934. 578 Vgl. El Diluvio, 25. 10. 1931. S. 6. 579 Dieser Überfall ist in der Lokalpresse ausführlich dokumentiert, siehe El Diario de Barcelona, 18. 9. 1932, S. 9, 18. 9. 1932, S. 36, 21. 9. 1932, S. 5, 9. 10. 1932, S. 40 und 22. 10. 1932, S. 40 sowie El Noticiero Universal, 17. 9. 1932, S. 7, 19. 9. 1932, S. 17, 20. 9. 1932, S. 1, 25. 9. 1932, S. 20, 28. 9. 1932, S. 1 und 11. 10. 1932, S. 15. 580 Für Berichte über das sogenannte »Geisterauto« vgl. El Correo Catal#n, 29. 3. 1934, S. 1 und 4. 4. 1934, S. 3, La Noche, 28. 3. 1934, S. 2, 30. 3. 1934, S. 3, 31. 3. 1934, S. 3, 7. 4. 1934, S. 14 und 11. 5. 1934, S. 3, Diluvio, 4. 4. 1934, S. 1, 7. 4. 1934, S. 5, 11. 5. 1934, S. 17 und 12. 5. 1934, S. 20, sowie El Noticiero Universal, 3. 4. 1934, S. 13 und 6. 4. 1934, S. 14. 581 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 146. 582 Beispiele hierfür sind dokumentiert in El Diluvio, 25. 12. 1935, S. 8, El Noticiero Universal, 1. 1. 1936, S. 7 und La Noche, 1. 1. 1936, S. 4.
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Abb. 52: Konfisziertes »Geisterauto«, das bei Raubüberfällen benutzt worden war (1934)
zieller Not gehandelt zu haben. Inwieweit diese Aussagen immer zutreffend waren, kann aufgrund der Vielzahl von Raubüberfällen und der schlechten Quellenlage, die eine genaue Rekonstruktion der Umstände nicht zulässt, hier nicht geklärt werden. Aber es spricht vieles für die Argumentation von Chris Ealham, dass sich die Praktiken zur Lebensmittelbeschaffung radikalisierten und nach und nach die Form von bewaffneten Raubüberfällen annahmen. So kam es häufig vor, dass einzelnen Personen oder ganze Gruppen in einem Restaurant oder einer Bar speisten, das Lokal anschließend aber verließen, ohne zu bezahlen. Auch Lebensmittelgeschäfte oder Apotheken wurden regelmäßig geplündert. Eine typische Vorgehensweise hierbei war, dass zunächst eine Frau das Geschäft betrat und so tat, als würde sie ihren täglichen Einkauf verrichten. Nachdem sie die scheinbar benötigen Lebensmittel ausgesucht hatte, drangen mehrere Personen in das Geschäft ein und sorgten dafür, dass diese Lebensmittel mitgenommen werden konnten ohne dafür zu bezahlen, wobei meist die bloße Androhung physischer Gewalt völlig ausreichte. Darüber hinaus unternahmen größere Gruppen von Arbeitslosen gut organisierte Plünderungen von Warenhäusern, die meistens nachts stattfanden. Die Tatsache, dass auf dem Schwarzmarkt Pistolen relativ günstig erworben werden konnten, lässt vermuten, dass diese auch von Arbeitslosen gekauft und dazu verwendet wurden, um neben den genannten Formen von Diebstahl auch bewaffnete Raubüberfälle durchführen und so ihren Lebensunterhalt sichern zu können.583 Schon Mitte Januar 1931, nachdem es innerhalb weniger Tage zu zwei Raubüberfällen gekommen war, warnte die Tageszeitung El Correo Catal#n vor einer Rückkehr zum Pistolerismo und machte für die Zunahme der Raubüber583 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 102ff.
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fälle ebenfalls vor allem die kursierende Arbeitslosigkeit und den Hunger in großen Bevölkerungsschichten verantwortlich.584 Bei der Tageszeitung Las Noticias (dt.: Die Nachrichten) sorgte man sich Anfang Februar aus diesen Gründen ebenfalls um die Sicherheit in der Stadt.585 Auch im weiteren Verlauf der Zweiten Republik scheint Armut weiterhin ein wichtiger Grund für die Raubüberfälle gewesen zu sein. So behauptete das anarchistische Blatt Tierra y Libertad (dt.: Erde und Freiheit) in einem Artikel, der einige Jahre später erschien und sich mit dem Phänomen der Raubüberfälle befasste, es gäbe zwar Straßenräuber, für die »wie für Börsenspekulanten nur das Geld zählen würde«, aber auch solche, die aus Notsituationen heraus handeln würden.586 Dieselbe Zeitung stellte Ende 1935, also kurz vor Ende des Untersuchungszeitraums, die recht einseitige These auf, dass es in Spanien keine professionellen Räuber gäbe, sondern nur Leute, die es aus Verzweiflung zu den Raubüberfällen getrieben habe.587 Dass es sich hierbei nicht um reine Propaganda handelte, zeigt die Tatsache, dass auch die eher bürgerliche Zeitung Noticiero Universal im Januar 1935 aufgrund einer Statistik zu den Raubüberfällen des vorangegangenen Jahres, aus der hervorging, dass mehr als 80 % der Täter keine Vorstrafen hatten, wohl zurecht folgerte, es würde sich bei den Tätern meistens nicht um Berufsverbrecher handeln.588 Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass es bewaffnete Raubüberfälle waren, die in Barcelona während der Zweiten Republik zur dominierenden Gewaltpraktik wurden. Wie Francisco Madrid bereits zu Beginn der Republik feststellte, mag dies zum einen daran gelegen haben, dass die Gewerkschaften erkannt hatten, dass sich mit Attentaten ihre angestrebten Ziele nicht erreichen ließen und sie deshalb zu einer anderen Kampfmethode wechselten, die sich bereits in der Endphase der Restaurationsmonarchie als sehr effektiv erwiesen hatte. Doch hatte sich bereits damals angedeutet, dass die bewaffneten Raubüberfälle nicht nur von Gewerkschaftern als »Episode des sozialen Krieges« durchgeführt wurden, sondern zunehmend auch von Kriminellen, die sich bereichern wollten. Zu der Gruppe der bewaffneten Straßenräuber gesellten sich besonders im Zuge der Wirtschaftskrise während der Zweiten Republik offensichtlich auch zunehmend Arbeitslose, die darin die einzige Möglichkeit sahen, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Während die sozialen Attentate also vor allem im Kontext mit den Arbeitskämpfen gestanden hatten, waren aus ökonomischen Gründen bewaffnete Raubüberfälle als Gewaltpraktik bei einer wesentlich größeren und heterogeneren Personengruppe anzutreffen. Inwieweit es bei diesen 584 585 586 587 588
Vgl. El Correo Catal#n, 15. 1. 1931, S. 1. Vgl. Las Noticias, 1. 2. 1931, S. 2. Vgl. Tierra y Libertad, 4. 5. 1934, S. 4. Vgl. Tierra y Libertad, 10. 12. 1935, S. 4. Vgl. El Noticiero Universal, 14. 1. 1935, S. 25.
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Gewalttaten dann zu Überschneidungen zwischen Gewerkschaftern und Kriminellen kam, wird im Artikel 4.1.2 zu prüfen sein. Vorher stellt sich aber im folgenden Unterkapitel zunächst noch die Frage, wieso sich den Gewaltakteuren in Barcelona zur Zwischenkriegszeit überhaupt so große Gewalträume boten und auf welche Weise die Staatsmacht versuchte, diese möglichst gering zu halten.
3.4
Reaktionen des spanischen Zentralstaates auf die Herausforderung seines Gewaltmonopols in Barcelona
Auch wenn sich die bewaffneten Raubüberfälle, wie gerade gezeigt, während der Zweiten Republik zur eindeutig dominierenden Gewaltpraktik in Barcelona entwickelt hatten, war der letzte mit Schusswaffen verübte Gewaltakt, der in Barcelona vor dem Bürgerkrieg verübt wurde, ein Attentat. Es handelt sich um den Mord an dem schottischen Direktor einer Textilfabrik, Joseph Mitchell am 2. Juli 1936, der damals für großes Aufsehen sorgte.589 Der Journalist Josep Maria Planes kommentierte diese Tat in der Lokalzeitung La Publicidad am folgenden Tag so: »Gestern sprach der für die öffentliche Ordnung zuständige Hauptkommissar mit den Journalisten und behauptete, dass es unmöglich sei, ein Verbrechen, wie das, welches das Leben von Herrn Mitchell gekostet hat, zu verhindern. Entschuldigen Sie, Herr Escofet. Es mag sein, dass die Realisierung eines Verbrechens unvermeidbar ist, aber es ist im Gegensatz dazu nicht unmöglich, dass die Polizei in Erfahrung bringt, wer und welchen Schlags die Dutzenden von Pistoleros sind, die die Stadt unsicher machen, wo sie wohnen und wie sie leben. […] Man kann mir entgegnen, dass vorbeugende Maßnahmen der Polizei alleine nicht genügen. Natürlich reichen sie nicht aus ohne eine weitreichende Zusammenarbeit mit der Justiz. Und wenn man sieht, dass gerade vor vier Tagen großzügig einige Männer auf freien Fuß gesetzt wurden, die im dringenden Tatverdacht standen, an dem Mord auf die Brüder Badia beteiligt gewesen zu sein, und wenn man sieht, dass vorgestern das Gericht drei am Überfall auf das Restaurant ›Or del Rhin‹ beteiligte bewaffnete Straßenräuber, der das Leben eines Mitbürgers gekostet hatte, zu VIER MONATEN ARREST (sic) verurteilt wurden, wenn man diese wirkungslose Justiz sieht, zögerlich, parteiisch, ohne dass wir wissen, warum, dann ist dies wahrhaft eine hoffnungslose Lage.«590 589 Eine ausführlicher Bericht über dieses Attentat findet sich etwa in La Vanguardia, 3. 7. 1936, S. 6. 590 Vgl. La Publicidad, 3. 7. 1936, S. 1. Bei dem Restaurant »Or del Rhin« (dt.: Reingold) handelte es sich um ein bekanntes Restaurant in der Nähe des PlaÅa de Catalunya, vgl. Ealham, Living, S. 117. Auf dieses hatte sich bereits am 12. August 1933 ein Überfall ereignet, wobei einer der Angestellten, von den Tätern durch Schüsse verletzt wurde, weil er um Hilfe rief, vgl. El Correo Catal#n, 13. 8. 1933, S. 3, La Noche, 12. 8. 1933, S. 7, El Diluvio, 13. 8. 1933, S. 9
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Die hier von Planes sehr vehement vertretene Meinung, das staatliche Gewaltmonopol würde in Barcelona durch seine unmittelbaren Vertreter, die Polizei und die Justiz, völlig unzureichend ausgeübt, teilten viele seiner Zeitgenossen, vor allem diejenigen, die aus der Mittel- und Oberschicht stammten.591 Deshalb machten sie diese für die gewaltsamen Zustände in der Stadt verantwortlich. Dem steht allerdings die dazu gänzlich konträre Argumentation der Anarchisten und großer Teile der damaligen Arbeiterklasse gegenüber, derzufolge es gerade die nach ihrer Ansicht völlig überzogenen Reaktionen des spanischen Zentralstaats waren, die eine gewaltsame Gegenreaktion provoziert hätten. Ein Beispiel hierfür ist das Schicksal der Anarchistenfamlie Archs. So schrieb etwa Manuel Archs, der wegen seiner angeblichen Beteiligung am Attentat auf General Mart&nez Campos am 18. Mai 1894 hingerichtet wurde, einen Tag vor der Vollstreckung des Todesurteils in einem Brief an seinen Sohn, der etwas mehr als ein Vierteljahrhundert später ebenfalls, wie in Kapitel 4.1.2 noch beschrieben wird, von Vertretern der Staatsmacht – in diesem Fall durch Polizisten – misshandelt wurde und dabei zu Tode kam: »[…] Mein Sohn, uns hat man einen absurden Prozess gemacht, so absurd, dass sie es nicht gewagt haben den Prozess öffentlich abzuhalten wie es die Gerichte machen, wenn sie glauben, dass das Recht auf ihrer Seite ist. […]. Man wird uns ermorden. Du sollst wissen, dass dein Vater zufrieden sterben wird in dem Glauben, dass er im Leben seine Fähigkeiten zur Verteidigung einer großen und gerechten Idee eingesetzt hat. Sein Tod und der seiner Kameraden werden die Verbrechen, die die Autoritäten unter Umgehung des Gesetzes begehen, ans Licht bringen. Vielleicht erzählt dir morgen jemand, dass dein Vater ein Krimineller war oder ich werde gar als verrückt hingestellt. Sag ihnen immer wieder mit lauter Stimme, dass ich unschuldig war hinsichtlich des Verbrechens dessen sie mich beschuldigen, dass man mich umbrachte, weil ich Anarchist war und eine Idee propagierte, die ich für edel und gerecht hielt, ohne dass es jemandem gelungen wäre, mir das Gegenteil zu beweisen, obwohl ich mich immer auf Streitgespräche eingelassen habe.«592
Auch wenn in diesem Fall Manuel Archs vermutlich zu Unrecht die Beteiligung an den anarchistischen Attentaten in Barcelona im Jahr 1893 vorgeworfen wurde, handelte es sich zu einem gewissen Teil bei den Vorwürfen des Staatsund El Diario de Barcelona, 13. 8. 1933, S. 11f. Über die Gerichtsverhandlung, die erst Ende Juni 1936 stattfand, berichteten El Diario de Barcelona 28. 6. 1936, S. 26f, El Noticiero Universal, 26. 6. 1936, S. 2 und 29. 6. 1936, S. 2 sowie La Noche, 26. 6. 1936, S. 1f und 27. 6. 1936, S. 5. 591 So erschien etwa einen Tag nach dem in der Einleitung zitierten Artikel von Gaziel ein Kommentar, dessen Verfasser ähnlich wie später auch Planes argumentierte, dass die Pistoleros in Barcelona praktisch straffrei agieren könnten und ihnen deshalb nicht beizukommen sei, vgl. La Vanguardia, 13. 1. 1933, S. 1. 592 Zitiert in Dalmau, Proc8s, S. 214f. Einen Überblick über die Biographie von Manuel Archs gibt Dalmau, Manuel Archs.
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terrorismus in Spanien ebenso wie zur selben Zeit in anderen Ländern um eine Rechtfertigungsstrategie, mit der die Anarchisten ihre Gewaltmaßnahmen legitimieren wollten.593 Dennoch scheint diese Argumentation im Falle des spanischen Zentralstaates nicht völlig abwegig zu sein, lassen sich doch zahlreiche historische Beispiele finden, in denen Staaten, gerade weil sie aufgrund fehlender Akzeptanz oder der Schwäche des Staatsapparates nicht in der Lage waren, ihr Gewaltmonopol vollständig auszuüben, besonders gewaltsam und brutal gegen ihre Bürger vorgingen.594 Ähnlich wie es im vorangegangenen Kapitel nicht beabsichtigt war, zu klären, wer für die Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern verantwortlich war oder mit ihnen begonnen hat und auf diese Weise für die vielen Opfer des Pistolerismo verantwortlich ist, soll es in Anbetracht der Zielsetzung der Arbeit in diesem Unterkapitel nicht darum gehen, herauszufinden, welche der beiden oben nur kurz skizzierten völlig gegensätzlichen Positionen der Wahrheit näher kommt. Stattdessen soll der Blick auch hier in erster Linie auf die angewandten Gewaltpraktiken gerichtet werden. Deren Identifizierung fällt im Vergleich zu den vorangegangenen Unterkapiteln jedoch schon alleine deswegen etwas schwerer, weil die Definition von als illegitim empfundener Gewalt meist davon abhängt, was nach dem Gesetz – also durch den Staat – nicht erlaubt ist.595 Als Orientierungshilfe dient hier deshalb die Frage, wie der spanische Zentralstaat in seinen verschiedenen Ausprägungen – also der Restaurationsmonarchie bis 1923, der daran anschließenden Militärdiktatur und schließlich der Zweiten Republik ab April 1931 – konkret auf die Infragestellung seines Gewaltmonopols durch die Gewaltakteure in Barcelona reagierte. Um aufzuzeigen, welche Art von Gewaltpraktiken diese staatlichen Maßnahmen zur Folge hatten und welche gewaltsamen Gegenreaktionen sie zum Teil hervorriefen, scheint es unumgänglich, zunächst die beiden ausführenden Staatsorgane, die im Untersuchungszeitraum maßgeblich das staatliche Gewaltmonopol repräsentierten, also das Militär und die Polizei, genauer in den Blick zu nehmen. Sicherlich hätte vieles auch dafür gesprochen, diese als staatliche Gewaltgemeinschaften zusammen mit den staatsnahen und staatsfernen Gewaltgemeinschaften im an593 Vgl. Bernecker, Strategien, S. 133. Haupt, Gewalt und Politik, S. 74, führt aus, dass schon die russische Narodnaja Volja zu Beginn des Jahrhunderts ihre Gewalt ausschließlich als Reaktion auf die des Staates rechtfertigte. 594 Nach Baberowski, Räume der Gewalt, S. 103, hätten auch frühneuzeitliche Staaten Gewalt nicht eingeschränkt, sondern durch Anwendung von Folter und öffentliche Hinrichtungen eher ausgeweitet. Das Gewaltmonopol sei nicht durchgesetzt worden, weshalb es zu einer so hohen Brutalität gekommen sei. Auch im 20. Jahrhundert wurden in Diktaturen Millionen von Menschen ermordet, nicht, weil der Staatsapparat allmächtig war, sondern weil er schwach war, vgl. Baberowski, Räume der Gewalt, S. 103. 595 Vgl. Hobsbawm , Politische Gewalt S. 30.
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schließenden vierten Kapitel, in dem der Fokus stärker auf die agierenden Personen gelenkt werden soll, vergleichend zu betrachten. Dass von einem solchen Vergleich aber letztendlich abgesehen wurde, liegt in der Sonderstellung der Polizei und des Militärs begründet, die sich von den anderen in dieser Arbeit betrachteten Gewaltgemeinschaften vor allem dadurch grundlegend unterscheiden, dass sie in Form der Polizisten bzw. der Soldaten wesentlich mehr Mitglieder als alle anderen Gewaltgemeinschaften haben und dass sich diese von allen anderen Personen, die als Gewaltakteure agieren, insofern abheben, dass sie eine umfassende gesetzlich legitimierte Ermächtigung zum Einsatz von Gewalt haben.596 In Spanien übernahm die Sicherung der inneren Ordnung zunächst das Militär, das bis ins 19. Jahrhundert in erster Linie zur Bekämpfung von äußeren Feinden eingesetzt worden war, doch im Zuge des Unabhängigkeitskrieges gegen Napoleon zum ersten Mal auch zur Bekämpfung innerer Konflikte herangezogen wurde. So gab es wie in anderen modernen europäischen Staaten auch in Spanien zunächst keine klare Trennung zwischen innerem und äußerem Gewaltmonopol.597 Darüber hinaus trug die Einmischung des Militärs in innere Angelegenheiten durch sogenannte »Pronunciamientos«, (dt.: Verkündungen) die von verbalen politischen Forderungen bis hin zur offenen Rebellion der Armee gegen den Staat reichten, bis zum Spanischen Bürgerkrieg 1936 erheblich zur Destabilisierung der politischen Systeme in Spanien bei.598 Durch ein bis 1933 geltendes, mehr als 60 Jahre altes Gesetz zur öffentlichen Ordnung war die Regierung dazu legitimiert, das Militär zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung einzusetzen, wenn die zivile Autorität nicht dazu in der Lage war.599 Angesichts fehlender äußerer Bedrohungen wurde das Militär verstärkt zur Bekämpfung von vermeintlichen inneren Feinden herangezogen.600 Die äußeren Konflikte Spaniens beschränkten sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf den Erhalt der letzten verbliebenen Kolonien, vor allem von Kuba und den Philippinen, und als diese 1898 infolge des spanisch-amerikanischen Krieges endgültig verloren gingen, auf die Intervention in Marokko. In diesem Zusammenhang ist eine Tendenz der historischen Gewaltforschung zu erwähnen, welche die ursprünglich von den Gewalterfahrungen im Ersten Weltkrieg ausgehende Brutalisierungsthese auf die Kolonialkriege des auslaufenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ausdehnt. Dieser These zufolge stellte der entgrenzte und unkalkulierbare Gewalteinsatz ein zentrales Element
596 597 598 599 600
Vgl. Brodeur, Gewalt, S. 268. Vgl. Dams, Polizei, S. 50. Vgl. Payne, Politics and Military, S. 5ff. Vgl. Gonz#lez Calleja, Ej8rcito, S. 62. Vgl. Gonz#lez Calleja, EspaÇa, S. 18.
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von Herrschaft im kolonialen Alltag dar und wurde dann auf die Klassenkonflikte im eigenen Land übertragen.601 Dass auch die in den spanischen Kolonien stationierten Soldaten und Offiziere die exzessive Gewaltanwendung dort als etwas völlig Normales wahrnahmen, zeigt beispielsweise ein Tagebucheintrag Francos von 1922, in dem er zunächst begeistert die Zerstörung marokkanischer Dörfer und das Köpfen der Widerständler schildert, um dann ohne Skrupel zu beschreiben, wie einem Gefangenen ein Ohr abgeschnitten wurde.602 Bei der Niederschlagung der Unruhen während der Zweiten Republik waren es vor allem die als »Africanistas« bezeichneten ehemaligen Kolonialsoldaten, die am gewaltsamsten gegen die Aufständischen vorgingen.603 Diese rechtfertigten ihren hohen Gewalteinsatz damit, dass sie ihre vermeintlichen Gegner in den innerspanischen Klassenkonflikten mit den ehemaligen Feinden in den Kolonien gleichsetzten, gegen die ein solches Maß an Gewalt für legitim erachtet wurde. Der spanische General Jos8 Sanjurjo, der später zusammen mit Franco und Emilio Mola für den Militärputsch verantwortlich war, der zum Spanischen Bürgerkrieg führte, verglich die Arbeiter von Castilblanco, die vier Polizisten gelyncht hatten, mit marokkanischen Stammeskriegern.604 In der Arbeiterschaft war das Militär vor allem deswegen verhasst, weil sich dank eines 1855 erlassenen Gesetzes Reiche vom Militärdienst freikaufen konnten.605 Oft stellte die Verweigerung des Militärdienstes für Anarchisten die erste Konfrontation mit dem Staat dar. So erklärte etwa der spätere Anarchistenführer Buenaventura Durruti in einem Brief an seine Schwester : »Ich hatte wenig Lust, dem Vaterland zu dienen, aber selbst diese wenige Lust nahm mir ein Unteroffizier, der die Gemusterten herumkommandierte, als wären sie schon in der Kaserne. Als ich das Musterungsbüro verließ, sagte ich mir, jetzt hat Alfons XIII. mit einem Soldaten weniger zu rechnen und mit einem Revolutionär mehr«.606
In die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Barcelona während der Zwischenkriegszeit war das Militär nur zu einem sehr geringen Teil involviert, was vermutlich an den strategischen Bedenken sowohl der Militärbefehlshaber als 601 Vgl. Lüdtke/Sturm, Polizei, S. 18ff. 602 Vgl. Preston, Holocaust, S. XIII. Einen Überblick über die Brutalität der Kolonialkriege gibt Balfour, Making, bes. S. 270. 603 Vgl. Preston, Holocaust, S. 34. Gonz#lez Calleja nennt als ein konkretes Beispiel das Massaker von Casas Viejas, vgl. ders., Nombre, S. 152. 604 Vgl. Preston, Holocaust, S. 21. 605 Vgl. Mar&n, Semana Tr#gica, S. 59. So erinnert sich etwa Ballerster i Peris daran, dass der Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt gewesen sei von den »Gemetzeln« des Kriegs in Afrika und der Angst, dort hingeschickt zu werden, einer Gefahr, der sich nur die Söhne der reichen Familien entziehen konnten, indem sie durch Geld vom Militärdienst freigekauft wurden, vgl. Ballerster i Peris, Memkries, S. 18. 606 Vgl. Paz, Durruti, S. 25.
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auch der politischen Entscheidungsträger lag, die diese davon abhielten, Soldaten auf den Straßen einzusetzen.607 Es kam aber öfter vor, dass Soldaten während der Arbeitskämpfe dazu herangezogen wurden, die streikenden Arbeiter in den Betrieben zu ersetzen.608 Trotzdem hatte der als »Generalkapitän« bezeichnete militärische Oberbefehlshaber der Region Katalonien großen Einfluss auf die staatlichen Maßnahmen, die konkret gegen die Herausforderung des staatlichen Gewaltmonopols in Barcelona angewandt wurden. Jede spanische Provinz wie Barcelona hatte einen Zivilgouverneur, der vom Premierminister ernannt wurde und einen Generalkapitän, den der Innenminister bestimmte. Normalerweise war der Zivilgouverneur für die Umsetzung des Gesetzes in der jeweiligen Region verantwortlich, doch wenn die öffentliche Ordnung bedroht war und das Kriegsrecht erlassen wurde, lag alle zivile und militärische Macht beim Generalkapitän.609 Auch das Amt des Zivilgouverneurs war in Barcelona während der Restaurationsmonarchie mehrmals von Militärs besetzt.610 Nachdem unter dem als moderat geltenden Zivilgouverneur Federico Carlos Bas Vasallo, der von Beruf Ingenieur war, die Attentate deutlich zugenommen hatten, wurde schließlich mit General Severiano Mart&nez Anido am 8. November 1920 ein Militär als Zivilgouverneur eingesetzt und außerdem mit Miguel Arlegui Bayones ein weiterer ehemaliger Soldat zum Polizeichef ernannt.611 Severiano Mart&nez Anido erklärte bei seinem Amtsantritt: »Ich war auf Kuba und auf den Philippinen. Ich hätte in Afrika sein sollen. Aber die Regierung hat entschieden, mich stattdessen nach Barcelona zu schicken und ich werde auch dort nicht anders handeln als zuvor im aktiven Militärdienst.«612 Auch Miguel Arlegui Bayones, der zwischen 1920 und 1922 Polizeichef von Barcelona war und dabei zahlreiche Anarchisten gefoltert haben soll, war zunächst als Soldat an den Karlistenkriegen beteiligt und anschließend auf Puerto Rico stationiert, wo er gegen die Aufständischen kämpfte.613 Unter Mart&nez Anido und Arlegui Bayones erlebte Barcelona die bis dahin schlimmsten Repressionsmaßnahmen seit der Verfolgung der Anarchisten im Zuge der Anschlagswelle der 1890er Jahre, an die sie mit massenweisen Verhaftungen, Deportationen und Folter anknüpften, wie später noch genauer 607 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 19. 608 So berichtet etwa Joaquim Maluquer, er sei während seines Militärdienstes wegen des Streiks im Transportwesen als Straßenbahnfahrer eingesetzt worden, vgl. ders., AÇos, S. 45. 609 Vgl. Kaplan, Red City, S. 7. 610 Einen ausführlichen Überblick über die Zivilgouverneure Barcelonas und deren Einfluss auf die öffentliche Ordnung in der Stadt bietet Risques Corbella, L’Estat. 611 Vgl. Romero Salvadj, Dirty War, S. 185f. 612 Zitiert nach Angel Smith, Anarchism, S. 331. Eine ausführliche, allerdings sehr wohlwollende Biographie von Mart&nez Anido findet sich bei Cola, Hombre, bes. S. 122ff. 613 Vgl. Pallares Personat,Victimes, S. 150.
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auszuführen sein wird.614 Dass diese Maßnahmen Wirkung zeigten, wird deutlich, wenn man die Attentate in den Amtszeiten der einzelnen Zivilgouverneure betrachtet (siehe Abb. 53). Um hierbei vergleichbare Werte zu erhalten, musste allerdings die Anzahl der Attentate auf die Anzahl der Regierungstage bezogen werden, weil Mart&nez Anido mit 715 Tagen wesentlich länger im Amt war als die anderen aufgeführten Zivilgouverneure.615
Abb. 53: Attentate pro Regierungstag verschiedener Zivilgouverneure in Barcelona in chronologischer Reihenfolge (1918–1923)
Deutlich lässt sich erkennen, dass bei den Vorgängern von Mart&nez Anido die Zahl der Attentate drastisch zunahm und seine Repressionen diese merklich zurückdrängten. Dass diese Maßnahmen bei den Arbeitgebern auf breite Unterstützung stießen, verwundert nicht, aber auch die ausländischen Beobachter mussten anerkennen, dass es auf diese Weise zumindest ansatzweise gelang, die Gewalt einzudämmen.616 Diese entflammte nach der Entlassung von Mart&nez Anido, wie bereits beschrieben, vor allem in den Anfangsmonaten des Jahres 1923 unter dem Zivilgouverneur S. Raventjs Clivill8s wieder aufs Neue. Auch wenn Juan Marinello Bonnefoy durchaus nachvollziehbar argumentiert, dass die Gewalt der militanten Arbeiter gegen Streikbrecher und die Konflikte 614 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 460f. 615 Der Zivilgouverneur C. Anchorena war nur zwei Tage im Amt und wurde nicht berücksichtigt. 616 Zur Unterstützung von Mart&nez Anido durch die Arbeitgeberschaft siehe Nagel, Arbeiterschaft und nationale Frage, S. 463. Dass auch ausländische Beobachter anerkannten, dass es Mart&nez Anido durch seine repressiven Maßnahmen gelungen war, die Gewalt in der Stadt einzudämmen, zeigt etwa der Brief des französischen Generalkonsuls in Barcelona an den französischen Botschafter in Madrid vom 3. März 1923 (CAD, Espagne 124, Z 267–1).
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zwischen Arbeitgebern und Arbeitern oftmals die öffentliche Ordnung bedrohten und es den staatlichen Autoritäten so unmöglich machte, sich bei diesen Konflikten neutral zu verhalten, sahen die Arbeiter die staatlichen Autoritären oft als ihre Feinde an, die es zu bekämpfen galt.617 Dies trifft sicherlich auf Mart&nez Anido zu, auf den, wie im Kapitel 3.3.1 ausgeführt, vermutlich mehrmals ein Mordanschlag geplant bzw. verübt wurde. Doch auch der erste größere Bombenanschlag im Jahr 1893 hatte beispielsweise mit General Arsenio Mart&nez Campos den amtierenden Generalkapitän Barcelonas zum Ziel. Miguel Primo de Rivera selbst war ab März 1922 Generalkapitän von Barcelona, bis er im September des folgenden Jahres durch einen Militärputsch die Macht in ganz Spanien übernahm.618 Der militärische Einfluss wurde erst im Zuge der Veränderungen während der Zweiten Republik deutlich zurückgedrängt, in der die militärische Administration in Form der Generalkapitäne abgeschafft wurde. Damit wurden die Zivilgouverneure zur alleinigen staatlichen Autorität außerhalb Madrids, doch für dieses Amt wurden im Gegensatz zur Restaurationsmonarchie auch nur noch selten Militärs ernannt.619 Während Militärs also zumindest in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraums bis zum Beginn der Zweiten Republik in Barcelona öfters leitende Positionen innehatten, in denen sie einen gewissen Einfluss auf die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols in der Stadt nehmen konnten, lag diese Aufgabe während des gesamten Untersuchungszeitraums vor allem in den Händen der Polizei, die zunächst aus der Guardia Civil (dt.: Zivilgarde) bestand. Trotz ihrer großen Bedeutung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Spanien wurde deren Geschichte bisher eher stiefmütterlich behandelt, weshalb die meisten Ausführungen darüber bisher von Personen stammen, die der Zivilgarde nahestehen oder auch von polizeiinternen Historikern und daher relativ unkritisch sind.620 Es kann nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit sein, diese Forschungslücke zu schließen, deshalb soll im Folgenden die Geschichte der Zivilgarde im Allgemeinen nur kurz skizziert werden, um deren konkrete Entwicklung in Barcelona dann ausführlicher darzustellen. 617 Vgl. Marinello Bonnefoy, Traidors, S. 184f. 618 Indalecio Prieto beschrieb den als »Capitan&a general de CataluÇa« bezeichneten militärischen Verwaltungsbereich als »Vizekönigreich«, wo es wie Primo de Rivera einige Aspiranten auf eine Dikatatur gab, zitiert nach Angosto V8lez, Alfonso XIII, S. 237. Das Wirken Primo de Riveras als Generalkapitän von Barcelona beschreibt Ben-Ami, Cirujano, S. 56ff. 619 Vgl. Blaney, Defensa, S. 109. 620 Einen Überblick über die Historiografie der Guardia Civil gibt Blaney, Historiograf&a. Als ein Beispiel einer von wenigen kritischen Darstellungen nennt er Ljpez Garrido, Guardia Civil, der sich allerdings auf das 19. Jahrhundert beschränkt und darüber hinaus auch schon etwas älteren Datums ist.
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Die Zivilgarde wurde in Spanien 1844 von General Narvaez gegründet und sollte ursprünglich der Bekämpfung des Banditentums im Süden Spaniens und dem Schutz des Eigentums dienen.621 Im Laufe des 19. Jahrhunderts erlangte die Zivilgarde eine immer größere Bedeutung, was sich darin manifestierte, dass sich die Zahl dieser Polizisten von 5500 Mann im Jahr 1844 auf 20 000 im Jahr 1900 erhöhte. Wie auch in Deutschland, insbesondere in Preußen, orientierte sich die Polizei zunächst sehr stark am militärischen Vorbild.622 So verlieh der erste Oberbefehlshaber der Zivilgarde, der Herzog von Ahumada, ihr durch Uniformen mit charakteristischen Umhängen und Lederhüten (siehe Abb. 54) sowie durch militärische Disziplin und einen Ehrenkodex militärische Züge.623
Abb. 54: Polizisten der Zivilgarde in Barcelona (1933)
Neben der Ausübung der Staatsgewalt sollte die Zivilgarde aber auch humanitäre Hilfe bei Feuer, Flut oder anderen Naturkatastrophen leisten.624 Dennoch betrachtete sie die Zivilbevölkerung meist mit Misstrauen, da die Polizisten häufig aus anderen Teilen Spaniens zu ihrem Dienstort kamen, abgeschieden von der 621 622 623 624
Vgl. Payne, Politics and Military, S. 24. Vgl. Dams, Polizei, S. 51. Vgl. Vincent, Spain, S. 31. Vgl. Vincent, Spain, S. 31f.
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Bevölkerung lebten und, wie für Polizisten damals üblich, meist unter sich blieben.625 Zur Unbeliebtheit der Polizei besonders innerhalb der Arbeiterklasse trug außerdem sicherlich bei, dass sie als Symbol der monarchistischen Unterdrückung und einer als ungerecht empfundenen sozialen Ordnung angesehen wurde.626 Darüber hinaus lassen sich die Autoritätsprobleme, die der österreichische Historiker Helmut Gebhardt in seiner Untersuchung den zur selben Zeit in Deutschland agierenden Polizisten attestiert hat und die dazu führten, dass einzelne Polizisten oft nicht dazu in der Lage waren, Verhaftungen oder andere Amtshandlungen durchzuführen, sodass sie nur in Gruppen agieren konnten, genau wie deren Anfälligkeit für Bestechungen sicherlich in vielen Fällen auch bei der spanischen Zivilgarde feststellen.627 Der Hass auf die Polizei kam in Barcelona anlässlich der Auseinandersetzungen während der Unruhen zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich zum Ausdruck. So bewarf man zum Beispiel die Zivilgarde von Wohnungen und Balkonen aus mit Wurfgeschossen, als sie während des Generalstreiks 1902 in die betroffenen Viertel vorrückte, um die Straßenproteste aufzulösen. Auch während der Tragischen Woche kam es zu Vorfällen, bei denen sich die Menge gegenüber der Polizei feindselig verhielt, »Tod der Polizei« rufend durch die Straßen zog und mehrere Polizisten attackierte.628 Die Polizisten der Zivilgarde gingen aus Furcht vor Übergriffen immer mindestens zu zweit auf Streife und griffen schnell zur Waffe, wenn sie sich bedroht fühlten.629 Dieses Gefühl der Angst setzte sich bis in die Zeit der Zweiten 625 So verweist Collins auf soziologische Studien, nach der Polizisten im Allgemeinen ihre Freizeit gerne mit Kollegen verbringen, während sie gegenüber anderen misstrauisch wären, was zu einer gewissen Polarisierung und kulturellen Isolation führen würde, vgl. Collins, Dynamik, S. 571. Über die spanische Zivilgarde äußert sich Diego Mart&nez Barrio, der während der Zweiten Republik längere Zeit das Amt des Ministerpräsidenten innehatte, folgendermaßen: »Der Polizei, moralisch verfallen von den Grundzügen an, war nicht zu trauen. Wir wussten aus unmittelbaren Erfahrungen von ihrer Unfähigkeit und Lustlosigkeit«, zitiert nach Gonz#lez Calleja, Nombre, S. 159. Dass Polizisten auch in anderen Ländern nicht besonders beliebt waren, hat zum Beispiel Schmidt am Beispiel von Frankreich gezeigt, vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 229. 626 Vgl. Blaney, Keeping, S. 37. Manuel AzaÇa, ein weiterer Politiker, der während der Zweiten Republik längere Zeit Ministerpräsident war, schrieb in seinem Tagebuch, dass die öffentliche Meinung über die Polizei in Spanien zweigeteilt sei, die einen hassten sie und die anderen sahen in ihr die letzten Verteidiger der sozialen Ordnung, vgl. Preston, Holocaust, S. 23. 627 Vgl. Gebhardt, Rolle, S. 47. 628 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 37. 629 Vgl. Brenan, Labyrinth, S. 157. Collins vergleicht die Polizisten mit einer kleinen Militärpatrouille, die von einer großen Anzahl potenzieller Feinde umgeben ist, wodurch jeder Polizist einer besonderen Spannung ausgesetzt sei und den Drang entwickeln würde, Situationen von Anfang an zu kontrollieren und keinerlei Schwäche zu zeigen, denn das könnte dazu führen, dass er überwältigt werden würde, vgl. Collins, Dynamik, S. 571.
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Republik fort, wo es durch die Aufstände, bei denen auch zahlreiche Polizisten ums Leben kamen, noch einmal intensiviert wurde und eine der Hauptursachen für die hohe Gewaltsamkeit der Polizisten war.630 Außerdem kam hinzu, dass durch den Regimewechsel nun viele ehemalige Feinde der Zivilgarde wie etwa Llu&s Companys in Barcelona in führende Positionen gekommen waren, deren Autorität für die Polizisten nur schwer zu akzeptieren war.631 Der Polizei in Barcelona attestierte ein französischer Kommissar in den 1890er Jahren sowohl quantitativ – es gab nur 184 Polizisten für 400 000 Bürger – als auch qualitativ große Mängel.632 Auch wenn sich die Ausbildung der Polizisten nach und nach verbesserte, blieb die Unterbesetzung angesichts der stark wachsenden Bevölkerungszahl Barcelonas auch im Untersuchungszeitraum ein großes Problem.633 So sollen nach Angaben von Federico Carlos Bas, der im Sommer 1920 in Barcelona Zivilgouverneur war, auf einen Polizisten 5000 Einwohner gekommen sein, also deutlich mehr als in anderen Städten Spaniens.634 Die geringe Anzahl der Polizisten in Barcelona blieb zumindest bis zum Beginn der Diktatur Primo de Riveras ein großes Problem, das auch den Zeitgenossen nicht verborgen blieb. So schrieb bereits Ende 1918 Luis Colbert in einem Kommentar in der Zeitung El Diluvio, dass die Polizisten in Barcelona nur dazu da seien, »unschuldige Passanten zu verprügeln und anständige Bürger zu belästigen, die die Naivität besäßen, sich an sie zu wenden« und dass, während Taschendiebe in den Straßenbahnen ihr Unwesen trieben, deren Opfer Ewigkeiten auf die Polizei warten müssten.635 In einem 1922 erschienen Artikel im El Correo Catal#n, in dem die Ursachen für den »Terrorismus« in Barcelona erörtert werden, berichtet der Verfasser, man könne in Barcelona kilometerweit laufen, ohne einen einzigen Polizisten zu sehen.636 Auch in den letzten Monaten der auslaufenden Restaurationsmonarchie bemühte man sich angesichts der wieder zunehmenden Attentate und der bewaffneten Raubüberfälle, die zum ersten Mal bedrohliche Ausmaße annahmen, in Madrid vergeblich um eine 630 Vgl. Blaney, Defensa, S. 118. 631 Vgl. Blaney, Keeping, S. 48. 632 Vgl. Dalmau, Proc8s, S. 29. Allerdings hat Bettina Schmidt in ihrer Untersuchung zur Jugendkriminalität und Gesellschaftskrisen in Frankreich während der Dritten Republik gezeigt, dass die Polizei dort mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte, vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 368 und S. 545. 633 Vgl. Turrado Vidal, Polic&a, S. 161, demzufolge die Polizei in Spanien zwischen 1905 und 1911 modernisiert wurde. 634 Zitiert nach Del Rey, Proprietarios, S. 453. So sollen etwa zur gleichen Zeit in Valencia auf 251 258 Einwohner 174 Polizisten, in Sevilla auf 205 529 Einwohner 119 Polizisten und in Bilbao auf 112 819 Einwohner 106 Polizisten gekommen sein. 635 Vgl. El Diluvio, 29. 12. 1918, S. 12. 636 Vgl. El Correo Catal#n, 29. 8. 1922, S. 3.
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Verstärkung der Polizei in Barcelona.637 Die Tatsache, dass die Täter einen Überfall unbehelligt durchführen konnten, obwohl sich nur etwa zehn Meter davon entfernt Polizisten befunden hätten, erklärte der Zivilgouverneur Barcelonas unmittelbar nach der Tat in einem Telegramm vom 13. August an den Innenminister in Madrid damit, dass die Opfer keine Hilferufe wagten und sich die Täter auf den Überraschungseffekt und die Furcht der Opfer verlassen hätten.638 In einem anderen Schreiben einige Tage zuvor, am 7. August, hatte er bereits erklärt, dass die Raubüberfälle hauptsächlich darauf zurückzuführen seien, dass von den insgesamt 1409 Polizisten nur 816 einsatzfähig seien.639 Auch wenn der Polizeiapparat zu Beginn des Jahrhunderts reformiert worden war, wurde die Polizei weiterhin wegen ihrer mangelhaften Organisationsstruktur und ihrer schlechten Bezahlung kritisiert, die dazu führte, dass es immer noch häufig vorkam, dass Polizisten demoralisiert und für Korruption empfänglich waren und teilweise auch noch anderen Arbeiten nachgingen, wodurch sie ihre Pflichten als Polizisten vernachlässigten.640 Nachdem mit dem Militär und der Polizei die beiden zentralen staatlichen Ordnungsorgane skizziert wurden, soll nun untersucht werden, wie der spanische Zentralstaat in seinen unterschiedlichen politischen Ausprägungen während des Untersuchungszeitraums auf die Infragestellung seines Gewaltmonopols reagierte. Die erste Herausforderung für die Restaurationsmonarchie stellten die anarchistischen Terroranschläge in den 1890er Jahren dar. Auch wenn in der Forschung weitgehend Konsens darüber besteht, dass Terrorismus den Staat in einer solch aggressiven Weise provoziert, dass diese nicht ignoriert oder toleriert werden kann, ist man sich im Fall Spaniens doch mehrheitlich einig darüber, dass es sich hier um eine Überreaktion der Staatsmacht handelte.641 So wurden als Reaktion auf die anarchistischen Terroranschläge in Barcelona in den 1890er Jahren Hunderte von meist unschuldigen Anarchisten
637 So konnte der angeforderten Verstärkung der Guardia Civil nicht nachgekommen werden, weshalb in Erwägung gezogen wurde, dafür Kräfte des Heeres heranzuziehen, vgl. dazu den Briefwechsel des Zivilgouverneurs von Barcelona mit dem Innenminister in Madrid vom 22. Juni 1923 (AHN 39 A(6)/5). Knapp zwei Monate später wandte sich der Zivilgouverneur in einem Telegramm vom 5. August 1923 allerdings erneut an die Regierung mit der Forderung nach 800 Polizisten und 50 Reitern, die wegen des Bevölkerungswachstums und der Eingliederung von Sarri/ notwendig seien. (AHN 39 A(6)/5). 638 Vgl. AHN, 3 A(4). 639 Vgl. AHN 54 A(8). 640 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 17. 641 Vgl. Neidhardt, Terrorism, S. 432f. Für eine aktuelle Untersuchung, die zeigt, dass der spanische Staat im Vergleich zu anderen Staaten offensichtlich wesentlich größere Probleme damit hatte, dem anarchistischen Terrorismus in angemessener Weise entgegenzutreten, vgl. Bach Jensen, Battle, S. 108ff.
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verhaftet.642 Viele ausländische Anarchisten, teilweise aber sogar auch Spanier, wurden des Landes verwiesen.643 Weil man sowohl bei dem Attentat auf das Liceu-Theater als auch bei dem Anschlag auf die Fronleichnamsprozession die Täter nicht sofort fassen konnte, führte das dazu, dass Unschuldige gefoltert und manchmal sogar auch zum Tode verurteilt wurden.644 Die Erzählungen über diese Verbrechen wurden an die folgenden Generationen weitergegeben, was zu deren Radikalisierung beigetragen haben mag.645 So setzt etwa Victor Serge seine zu Beginn von Kapitel 2 zitierte Beschreibung des Montju"c und dessen Fort am Gipfel des Berges mit den Worten fort: »Irgendwo innerhalb dieser Befestigungsanlage waren Männer wie wir – mit denen jeder von uns sich zu irgendeiner Zeit identifizierte – Männer, deren Namen wir nicht mehr kannten, vor nicht allzu langer Zeit zu Tode gefoltert worden. Mit welcher Folter? Wir wussten es nicht genau; und der völlige Mangel an exakten Bildern, die Namenlosigkeit der Opfer, die Jahre (zwanzig), die vergangen waren, ließen das Erinnerungsvermögen völlig leer : nichts blieb außer einem brennenden, verworrenen Gefühl der Beleidigung und des Schimpfes, erlitten im Namen des Rechts. Manchmal dachte ich, wir erinnern uns der Qual, die jene Männer erlitten, wie man sich an etwas erinnert, das man selber erduldet, nach vielen Jahren und vielen Erfahrungen. Und von dieser Vorstellung bekam ich ein noch größeres Gefühl der Gemeinsamkeit zwischen ihrem Leben und unserem.«646
Alle diese staatlichen Gewaltpraktiken kamen dann später, vor allem in der Zeit des Pistolerismo, aber auch in der Zeit der Zweiten Republik vermehrt wieder zur Anwendung. So ließ Mart&nez Anido kurz nach seinem Amtsantritt als Zivilgouverneur von Barcelona im November 1920 insgesamt 65 Gewerkschaftsführer verhaften und 36 von ihnen zusammen mit vielen anderen linksgerichteten Politikern auf die Festung La Mola in Menorca bringen.647 Insgesamt sollen in der Amtszeit des Zivilgouverneurs Severiano Mart&nez Anido Tausende von Personen ohne Anklage verhaftet und dann teilweise monatelange im Gefängnis festgehalten worden sein.648 Dass die Anzahl der Personen im Gefängnis von 642 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 133, demzufolge insgesamt 424 Anarchisten verhaftet worden sein sollen. 643 Vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 276f. 644 So wurden beispielsweise im Zuge der Ermittlungen zum Attentat auf das Liceo-Theater sechs Anarchisten gefoltert und hingerichtet, die sich im Nachhinein als unschuldig erwiesen, vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 276f. 645 Vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 290. 646 Serge, Geburt, S. 7. 647 Vgl. Gabriel, Red Barcelona, S. 58f. Dass es schon vor der Zeit Mart&nez Anidos zu willkürlichen Verhaftungen in Barcelona kam, dokumentiert ein Telegramm, das Antonio Maura am 3. April 1920 von seinem politischen Sekretär Prudencio Rovira Pita aus Barcelona erhielt (FAM Leg.225/2). 648 Der Arbeiterführer Angel PestaÇa führt aus, dass es im Gefängnis in Barcelona normalerweise etwa 600 Insassen gegeben habe, von denen etwa ein Drittel wegen der Arbeiter-
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Barcelona von 571 am 14. August 1920 über 465 am 15. Oktober 1920 auf nur noch ca. 350 bis 400 im Jahr 1921 sank, lag in erster Linie daran, dass viele Gefangene unter Polizeiaufsicht in andere Städte verlegt wurden.649 Jeden Dienstagmorgen wurde eine aus Kriminellen und inhaftierten Gewerkschaftern bestehende Gruppe von etwa 40 Gefangenen vom Modelo-Gefängnis in Barcelona aus zu Fuß über die Landstraßen in andere Teile Spaniens gebracht.650 Insgesamt sollen zu jener Zeit alleine 1500 Gewerkschafter in andere Städte deportiert worden sein.651 Beide Praktiken, die Verhaftung ohne Verurteilung sowie die Ausweisung kamen auch zur Zeit der Zweiten Republik noch zur Anwendung. So gab es oft Razzien innerhalb der Stadtviertel durch die Polizei, die von Haus zu Haus ging und alle Personen festnahm, die verdächtig aussahen oder sich an Plätzen wie etwa Kneipen aufhielten, die als Treffpunkte für »Übeltäter« galten.652 In den Gefängnissen soll es auch regelmäßig zu Folterungen gekommen sein. So berichtete etwa EspaÇa Nueva Anfang Januar 1920 über Misshandlungen im Gefängnis von Barcelona.653 Ob sich die Darstellungen von Anarchisten, die sich bei der Schilderung der im Zuge der Folter erlittenen Grausamkeiten überboten, der Wirklichkeit oder eher der Fantasie der Autoren entsprachen, lässt sich nicht überprüfen. Mehr als zehn Jahre später am 27. November 1931, also bereits zur Zeit der Zweiten Republik, berichtete El Luchador (dt.: Der Kämpfer) auf seiner Titelseite von einem »Drama im Polizeipräsidium« und druckte Fotos von vier Anarchisten ab, denen offensichtlich bei Misshandlungen in Polizeigewahrsam Verletzungen zugefügt worden waren.654 Inwieweit dies im Einzelfall den Tat-
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konflikte Haftstrafen verbüßen musste, dass es aber zu Zeiten der Repression durch Mart&nez Anido niemals weniger als 1000 Häftlinge, teilweise sogar 1200 gewesen sein sollen, vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 154. Vgl. den monatlichen Report des britische Außenministers in Madrid an das britischen Außenministerium zur allgemeinen industriellen Situation in Spanien (NA, FO 371/7120, W12889 Blatt 325–332). Vgl. Junqueras, Presj, S. 106. Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 155. Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 76f. So berichtet etwa EspaÇa Nueva, 5. 1. 1920, S. 1 und 7. 1. 1920, S. 1 über Folterungen. Auch PestaÇa, Terrorismo, S. 135, beschreibt, wie der damalige Polizeichef Arlegui einen Syndikalisten brutal gefoltert haben soll. Von einer ähnlich grausamen Folterung berichten Abad de Santall#n, Contribucijn, S. 253, sowie Sebasti/ Vera in seinem Artikel »Ich klage Severiano Mart&nez Anido als Kriminellen und Mörder an« vom 27. 9. 1930 im anarchistischen Wochenblatt »Accijn«. Der gesamte Artikel findet sich bei Huertas Claveria, Obrers, S. 203. Vgl. El Luchador, 27. 11. 1931, S. 1. Auch Ricardo Sanz beschreibt einen Fall, bei dem drei Gewerkschafter auf der Polizeiwache schwer misshandelt worden sein sollen, vgl. Sanz, Figuras, S. 104. Weitere Vorfälle, in denen Polizisten in Barcelona während der Zweiten Republik auf der Polizeiwache Gefangene misshandelt haben sollen, hat Chris Ealham dokumentiert, vgl. ders., Anarchism and the City, S. 75.
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sachen entsprach, lässt sich schwer nachvollziehen, da seit Beginn der Prozesse gegen Anarchisten im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts diese regelmäßig Beschwerden über angebliche oder tatsächlich erfolgte Folterungen vorbrachten.655 Damit knüpften sie an eine lange, alte Tradition an, derzufolge es schon – wie der Althistoriker Martin Zimmermann gezeigt hat – seit der frühen Antike üblich war, Machthabern besonders grausame Folter- und Hinrichtungsmethoden anzulasten, um diese so als Tyrannen zu brandmarken.656 Dass diese Vorwürfe aber trotzdem nicht völlig von der Hand zu weisen sein dürften, beweist die Tatsache, dass Folter auch in anderen Ländern, nachdem sie im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert zunächst nicht mehr zum Einsatz kam, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts noch einmal erneut breitere Anwendung fand, wofür zum einen die Entstehung von totalitären Staaten und zum anderen die dringende Erfordernis militärisch-politischer Aufklärungsaktivitäten verantwortlich waren, nicht zuletzt verursacht durch den anarchistischen Terrorismus.657 Während etwa Santiago Salvador, der für das Attentat im Liceu-Theater verantwortlich war 1894 unter Beisein einer großen Menschenmenge auf einem öffentlichen Platz in Barcelona hingerichtet wurde und somit noch Teil einer, wie Martin Scheutz es ausdrückt, »ritualisierten Liturgie des gewaltsamen Sterbens« im Zuge eines »städtischen Reinigungsprozesses« war, wurden die Hinrichtungen bereits in diesem Zeitraum zunehmend, wie in anderen europäischen Städten auch, hinter die Gefängnismauern verlegt.658 So wurden die meisten Todesurteile bereits um die Jahrhundertwende entweder, wie bereits erwähnt, im Fort auf dem Montju"c oder später auch im Gefängnis vollstreckt.659 Auch im Untersuchungszeitraum kam die Todesstrafe in Barcelona in allen drei Regierungssystemen zur Anwendung. Während sie in der Endphase der Restaurationsmonarchie abgesehen von gewöhnlichen Mördern nur bei dem mutmaßlichen Mörder der beiden Ende 1919 ermordeten Polizisten durchgeführt wurde, erfolgte ihre Vollstreckung während der Anfangszeit der Diktatur Primo de Riveras häufiger und trug damit vermutlich auch dazu bei, dass die 655 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 77. 656 Vgl. Zimmermann, Gewalt, S. 210ff. 657 Vgl. Crelinsten, Gewalt, S. 240. Für eine ausführliche Darstellung zur Geschichte der Folter vgl. Peters, Folter, S. 25ff. 658 Vgl. Scheutz, Stadt, S. 37. 659 Neben den Anarchisten, die im Zuge der anarchistischen Terroranschläge im Gegensatz zu Santiago Salvador auf dem Montju"c hingerichtet wurden, war das prominenteste Opfer der Anarchist und Gründer der Escuela Moderna, Francisco Ferrer y Guardia, der wegen seiner angeblichen Beteiligung an dem Aufstand der Tragischen Woche im Juli 1909 am 13. Oktober desselben Jahres ebenfalls auf dem Montju"c erschossen wurde, vgl. Avil8s Farr8, Francisco Ferrer, S. 240ff. Dagegen war Juan Rull der Erste, der im Modelo-Gefängnis hingerichtet wurde, vgl. CaÇellas/Toran, Model, S. 70f.
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Pistoleros zunächst die Stadt verließen oder untertauchten. Auch in der Zweiten Republik gab es Hinrichtungen. Eine davon betraf den mutmaßlichen Straßenräuber Andr8s Aranda Ortiz, auf den im Kapitel 4.1.2 noch genauer eingegangen wird. Eine für den Untersuchungszeitraum neue und im weiteren Verlauf sehr umstrittene Maßnahme stellt das im Januar 1921 erlassene Gesetz »Ley de Fugas« dar, das Polizisten dazu legitimierte, festgenommene Verdächtige oder Häftlinge zu erschießen, wenn sie versuchten zu fliehen. Diese sollen davon in zwölf Fällen Gebrauch gemacht haben.660 Einer der ersten Fälle ereignete sich bereits in der Nacht vom 20. zum 21. Januar 1921, wobei vier Gewerkschafter von der Polizei getötet wurden. Nach der offiziellen Version hatte sich dabei Folgendes ereignet: »Um 2.15 Uhr, als der Gewerkschafter Jos8 P8rez Esp&n von einem Polizeioffizier und zwei Polizisten zur Hauptwache gefahren werden sollte, versuchte er […] zu fliehen. Daraufhin eröffnete die Polizei das Feuer und er wurde tödlich getroffen. Bei Jos8 P8rez hatte man eine geladene Pistole der Marke ›Star‹ sowie drei weitere Magazine gefunden. Die Polizei, die erfahren hatte, dass die gleichen Personen, die in der Calle de Ancha den Polizeiinspektor Antonio Espejo erschossen hatten, planten, eine bestimmte aus Valencia kommende Person, die die Straßenbahn von Sant Andreu zum Arc de Triomf nehmen musste, zu ermorden, ergriff die entsprechenden Maßnahmen, um dies zu verhindern. […] Als diese Gestalten um vier Uhr morgens von der Delegacijn de la Audiencia zur Hauptwache gefahren wurden, begann in der Calle de Bilbao auf Höhe der Granv&a Layetana eine Gruppe auf die Polizisten das Feuer zu eröffnen, die aber unverletzt blieben. Als die Gefangenen versuchten zu fliehen, eröffnete die Polizei das Feuer und alle drei Gewerkschafter wurden getötet.«661
Nachdem die Anwendung des »Ley de Fugas« innerhalb kurzer Zeit noch weitere Opfer forderte, führten die Proteste der linken Abgeordneten im Kongress schließlich dazu, dass dieses Gesetz kaum mehr umgesetzt wurde. So kam es bis zur Entlassung von Mart&nez Anido nur noch in drei weiteren Fällen zur Anwendung.662 Dagegen lässt es sich nur schwer eindeutig belegen, inwieweit auch während der Zweiten Republik vom »Ley de Fugas« Gebrauch gemacht wurde oder ob es sich hierbei nur um unbegründete Vorwürfe der Anarchisten handelte.663 660 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 541. 661 Diese offizielle Version vom Tod der vier Gewerkschafter findet sich in El Diluvio, 22. 1. 1921, S. 13. Die gleiche Zeitung beschreibt etwas mehr als eine Woche später einen ganz ähnlichen Fall, bei dem drei Gewerkschafter getötet wurden, vgl. El Diluvio, 31. 1. 1921, S. 11. 662 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 541. 663 Nach Payne, Political Violence during the Spanish Second Republic, S. 273, geschah dies schon bei den ersten Unruhen während der Zweiter Republik. So sollen anlässlich eines Generalstreiks vier Kommunisten am 23. Juli 1931 dieser Praxis zum Opfer gefallen sein.
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Dass der spanische Zentralstaat sich dazu genötigt sah, auf eine Gewalttaktik zurückzugreifen, die sich nicht allzu sehr von der der Pistoleros unterschied, zeigt, dass zumindest in dieser Phase die staatlichen Institutionen – vor allem die Gerichte – bei der Ahndung der Gewalttaten an ihre Grenzen gestoßen waren. Die Aufgabe eines Gerichts wird von Karl Heinz Metz in seiner Geschichte der Gewalt so definiert: »Es lenkt die Vergeltung in den Kanal der politisch geregelten Gewalt, verhindert die wilde Gewalt und zeigt dem Übeltäter wie dem Geschädigten, dass in der Gesellschaft ›Ordnung‹ herrscht, weil es Strafe gibt. Entscheidend ist, einen Kreislauf der Gewalt zu verhindern, jene Ewigkeit der Blutrache, die nicht mehr zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden vermag. Das Recht setzt Endlichkeit und es vermag dies deshalb, weil sie von der Herrschaft und ihrem Monopol der Gewalt getragen wird«.664
Dass dies in Barcelona nicht nur, wie im Eingangszitat von Josep Maria Planes beschrieben, in der Endphase der Zweiten Republik sondern bereits auch besonders während des Pistolerismo nicht richtig funktionierte, zeigte bereits eine zeitgenössische Statistik, nach der für die 197 Attentate in den Jahren 1919 und 1920, insgesamt nur acht Personen verurteilt worden waren und selbst dabei wurden nur in zwei Fällen schwere Strafen verhängt.665 Zu ähnlichen Ergebnissen kam später auch der katalanische Historiker Albert Balcells, der die in der Lokalzeitung La Vanguardia vom Juli 1922 bis Dezember 1923 dokumentierten Prozessberichte ausgewertet hat, in denen Angeklagten die Beteiligung an sozialen Attentaten vorgeworfen wurde. Dabei kam Balcells zu dem Ergebnis, dass in den 26 dort erwähnten Gerichtsverhandlungen insgesamt 70 Personen angeklagt wurden, wobei es lediglich elf Verurteilungen gab.666 Dies lag zum einen sicherlich daran, dass es generell schwierig war, die Pistoleros festzunehmen, die in den verwinkelten Gassen Barcelonas schnell zuschlagen und dann relativ leicht unerkannt verschwinden konnten. Zum anderen ist dies vor allem auch darauf zurückzuführen, dass oftmals auch in Fällen, in denen man der vermeintlichen Täter habhaft werden und sie vor Gericht stellen konnte, letztlich keine Bestrafung erfolgte, weil – wie verschiedene Zeitzeugen berichteten – teilweise Richter, aber vor allem auch mögliche Zeugen bedroht Ealham beschreibt einen Fall zu Beginn der Zweiten Republik in Barcelona, bei dem drei verhaftete Arbeiter auf dem Weg zur Polizeistation von Polizisten getötet wurden, angeblich, weil auf die Polizisten zuvor das Feuer eröffnet worden sein soll, vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 75. Nach Paz, Feigenkakteen, S. 103f., wurde diese Vorgehensweise auch in Barcelona weiter fortgesetzt und soll unter anderem dem italienische Anarchisten Bruno Alpini zum Verhängnis geworden sein. 664 Vgl. Metz, Gewalt, S. 10. 665 Vgl. Soldevilla, AÇo, S. 69. 666 Vgl. Balcells, Pistolerisme, S. 109f., demzufolge 56 Personen freigesprochen wurden, während in drei Fällen das Ergebnis der Verhandlungen nicht bekannt ist.
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wurden, weshalb diese nicht bereit waren, vor Gericht verwertbare Aussagen zu machen.667 Auf die zunehmenden Raubüberfälle in den letzten Monaten der Restaurationsmonarchie reagierte Primo de Rivera, zu dieser Zeit noch Generalkapitän von Barcelona, indem er tagsüber das Militär in den Straßen und vor den Banken patrouillieren ließ, während die Soldaten nachts von den Somat8n abgelöst wurden.668 Während seiner Diktatur fielen Raubüberfälle dann unter die Militärgerichtsbarkeit, was vermutlich erklärt, warum viele der verurteilten Straßenräuber in der Anfangszeit der Diktatur zum Tode verurteilt wurden.669 Zu Beginn der Zweiten Republik entstand mit der »Guardia de Asalto« (dt.: Sturmgarde) eine neue, motorisierte Polizeieinheit, die dunkelblaue Uniformen trug und anstellte der Mausergewehre, deren Einsatz zu hohen Verlusten in der Bevölkerung geführt hatte, nun mit Pistolen und Schlagstöcken ausgerüstet wurde.670 Wie bereits die Zivilgarde, die trotz einigen Widerstands weiterhin bestehen blieb, wurden auch die Polizisten der Sturmgarde zum größten Teil aus dem Militär rekrutiert und entstammten aus anderen Provinzen als ihrem Einsatzort.671 Gut ein halbes Jahr nach Aufstellung dieser Einheit konstatierte die Tageszeitung El Noticiero Universal, die Einführung der Sturmgarde, die in Barcelona aus 150 Männern bestünde und in drei Gruppen von jeweils 50 Personen eingeteilt wäre, wobei jeweils eine Gruppe im Einsatz sei, die zweite üben und die dritte sich ausruhen würde, wäre bereits ein Erfolg, da sie in weniger als fünf Monaten schon insgesamt 1200 Einsätze gehabt habe.672 Trotzdem hatte die Polizei auch in den folgenden Jahren weiterhin große Probleme, die bewaffneten Raubüberfälle in den Griff zu bekommen. Als etwa in der Anfangszeit der Republik ein Reporter den Polizeichef Barcelonas fragte, 667 Del Rey, Proprietarios, S. 533f. Auf die Tatsache, dass Zeugen bedroht wurden, weist beispielsweise Puig i Ferreter, Servitud, S. 175f. hin. Auch ausländische Beobachter waren dieser Auffassung, vgl. dazu etwa dem Bericht des britischen Botschafters in Madrid an das britische Außenministerium vom 15. April 1921 (NA, FO371/7121 W4173, Blatt 240–246). Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 245 beschreibt, dass bereits in den ersten Gerichtsprozessen gegen vermeintliche anarchistische Terroristen Zeugen bedroht worden seien. 668 Vgl. Balcells, ViolHncia Social, S. 96. 669 So meldete El Diluvio Anfang Februar 1931, dass die Überfälle, nachdem sie seit 1924 unter die Militärgerichtsbarkeit gefallen wären, nun wieder vor zivilen Gerichten verhandelt werden sollten, vgl. El Diluvio, 4. 2. 1931, S. 11. 670 So hatte beispielsweise El Correo Catal#n bereits Ende August 1922 Kritik an der Bewaffnung der Polizei geäußert und gefordert, dass diese, statt mit Gewehren, die in den Straßen nicht effektiv seien, mit Revolvern ausgestattet werden sollten, vgl. El Correo Catal#n, 29. 8. 1922, S. 3. 671 Diese neue Polizeieinheit wird ausführlich beschrieben von Ealham, Anarchism and the City, S. 72ff. sowie Blaney, Defensa, S. 107ff. Siehe dazu auch den zu Beginn des Kapitels 4.4.2 zitierten Bericht einer zeitgenössischen Journalistin. 672 Vgl. El Noticiero Universal, 24. 11. 1931, S. 5.
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welche Maßnahmen er zu ergreifen gedenke, um den Raubüberfällen auf Fabriken Einhalt zu gebieten, antwortete dieser : »Keine! Die sollen auf der Hut sein und sich selbst verteidigen. Ich bin nicht dazu in der Lage, in jede Fabrik Polizisten zu schicken. Das würde dazu führen, dass viele Herren darum bitten würden, dass man vor der Tür ihres Hauses einen Polizisten aufstellen möge, und wir könnten zusehen, wer alles Übrige bewacht. Genau wie in den Fabriken sollen sich die, die auf den Landstraßen überfallen werden, zur Wehr setzen. Wenn jemand Geld in einem Karren transportieren muss, stelle ich ihm natürlich zwei Polizisten zur Verfügung. Aber es ist notwendig, dass die Leute sich daran gewöhnen, sich selbst zu verteidigen.«673
Auch die spätere Maßnahme, die Stadt in verschiedene Zonen einzuteilen, in denen Polizisten mit Autos patrouillierten, konnten die Raubüberfälle nicht eindämmen.674 Ein großes Problem bestand allerdings darin, dass die Polizisten im Gegensatz zu den Straßenräubern, die wie im vorangegangenen Unterkapitel beschrieben, die Überfälle meist in zuvor entwendeten Taxis durchführten, nur unzureichend motorisiert waren. So sollen zum Beispiel Anfang 1935 von 40 vorhandenen Fahrzeugen nur drei einsatzfähig gewesen sein.675 Erst in den letzten Monaten der Zweiten Republik erhielt die Polizei mehrere Dutzend neue Autos.676 Außer der Gründung der Guardia de Asalto gab es noch eine weitere grundlegende Änderung, die die Zweite Republik hinsichtlich der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols mit sich brachte. Trotz des heftigen Widerstands der Militärs wurden die polizeilichen Kompetenzen auf die katalanische Provinzverwaltung übertragen, wodurch Katalonien mehr Autonomie erhalten sollte und nun selbst für die Wahrung der öffentlichen Ordnung verantwortlich war.677 Diese Maßnahme geriet in Anbetracht der steigenden Bombenanschläge und Raubüberfälle aber bald in die Kritik, sodass sich der Innenminister der Generalitat, Josep Denc/s i Puigdollers, dazu genötigt sah, die Polizei von Barcelona zu reformieren. Er ernannte Miguel Badia i Capell zum Polizeichef und erhöhte die Strafen für Attentate und Sprengstoffanschläge drastisch.678 Bis 1935 wurde die Zahl der Guardia de Asalto auf 1200 Mann erhöht, um die alltäglichen Raubüberfälle unter Kontrolle zu bekommen.679 Tatsächlich ging die Zahl der 673 Dieses Interview gibt Francisco Madrid in seinem bereits erwähnten Erfahrungsbericht über seine Zeit als Sektretär von Llu&s Companys in der Anfangsphase der Zweiten Republik wieder, siehe Madrid, Ocho meses, S. 115. 674 Vgl. El Diario de Barcelona, 29. 7. 1933, S. 39. 675 Vgl. El Noticiero Universal, 16. 1. 1935, S. 2. 676 Darüber wird berichtet in El Diluvio, 14. 7. 1935, S. 7, El Diario de Barcelona, 14. 7. 1935, S. 13, La Noche, 13. 7. 1935, S. 7 und 10. 1. 1936, S. 3. 677 Vgl. Blaney, Defensa, S. 113. 678 Vgl. Gonz#lez Calleja, Nombre, S. 180ff. 679 Vgl. El Noticiero Universal, 11. 2. 1935, S. 11.
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Raubüberfälle, wie bereits im Kapitel 3.3.2 ausgeführt, nach 1934 spürbar zurück. Neben den beschriebenen staatlichen Maßnahmen ist nun zu untersuchen, inwieweit seine ausführenden Organe, also vor allem die Polizei, selbst zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit beitrugen, wobei der Blick auch hier auf einzelne Gewaltsituationen gerichtet werden soll.680 In der Forschungsliteratur wird oftmals der Vorwurf erhoben, die Polizei in Barcelona habe ihre Unfähigkeit, für geordnete Verhältnisse zu sorgen, durch ein Übermaß an Brutalität kompensiert. Tatsächlich gab es nicht selten Beschwerden über das brutale Vorgehen der Polizei.681 Laut Randall Collins ist Polizeigewalt dagegen generell ein eher seltenes Phänomen, das meist nur dann in Erscheinung tritt, wenn die Polizisten auf körperlichen Widerstand treffen.682 Als Gewalt verstärkend beschreibt er das Phänomen der »Vorwärtspanik«. Diese würde mit der Anspannung oder Angst in einer Konfliktsituation wie bei jedem anderen Konflikt beginnen, sich aber aufgrund einer relativ passiven Situation des Abwartens und Zurückhaltens steigern und einem dramatischen Höhepunkt zustreben, bis man endlich dazu in der Lage sei, den Konflikt zu entscheiden und schließlich zuletzt in bedingungslose Aktivität umschlagen. So würden sich Anspannung und Angst auf einen Schlag Luft machen, sich in einem übermächtigen emotionalen Rhythmus bewegen, der die Akteure zu Handlungen antreibt, die sie in ruhigen, überlegten Augenblicken nicht gutheißen würden.683 Voraussetzungen für eine Vorwärtspanik sieht Collins vor allem im Guerillakrieg gegeben, in dem reguläre Armeen Gefühle der Anspannung und Angst empfinden in Verbindung mit einem verborgenen Feind und dem Verdacht, die normale Umgebung und die Zivilbevölkerung könnten Angreifern bei plötzlichen Überfällen Deckung geben. Dabei würden sich Frustrationen und gleichzeitig die Erwartung aufbauen, den Feind endlich zu stellen. Diese gipfeln schließlich in einer überdimensionalen Zerstörungswut, wenn der lang gesuchte 680 So führen Lüdtke/Sturm aus, dass die Analyse von »Polizei« sich ebenso wie die von »Gewalt« auf die Praktiken der historischen Akteure konzentrieren solle und der Blick auf Verhalten und Handeln von Individuen oder Gruppen zugleich die Konzentration auf einzelne Situationen erfordern würde, vgl. Lüdtke/Sturm, Polizei, S. 20. Brodeur sieht dies ebenfalls als einen für die Fragestellung, die sich mit der Anwendung von Gewalt durch die Polizei befasst, zentralen Aspekt an, dem er allerdings einen weiteren gegenüberstellt, der sich mit dem Problem der Rechtfertigung befasst, also eher normativer Natur ist. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass es – wie auch schon zu Beginn dieses Kapitels erwähnt – ein großes Problem sei, zu entscheiden, wann polizeiliche Gewaltanwendung gerechtfertigt ist und in welchem Fall nicht, da es dafür bisher kein anerkanntes Kriterium gibt, welches als Maßstab dienen könnte, vgl. Brodeur, Gewalt, S. 260f. 681 Vgl. Ealham, Class, Anarchism and the City, S. 17. Konkrete Beispiele finden sich etwa in El Diluvio, 7. 7. 1919, S. 18, 7. 9. 1920, S. 10, 6. 3. 1919, S. 9, 12. 9. 1924, S. 8 und 6. 8. 1932, S. 1. 682 Vgl. Collins, Dynamik, S. 567. 683 Vgl. Collins, Dynamik, S. 133.
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Feind endlich gefasst ist und die Ungleichheit der Waffen für einen leichten Sieg sorgt.684 Aus diesem Grund sei die Vorwärtspanik eine nicht zu stoppende Gewalt, die weit über das für einen Sieg notwendige Maß hinausgehen und dazu führen würde, dass die Akteure in solchen Situationen zum Beispiel weit mehr Kugeln verschießen als notwendig.685 Insgesamt gibt es vor allem zwei typische Gewaltsituationen, bei der Polizeigewalt in verstärktem Maße zum Einsatz kommt und diese beiden führten auch in Barcelona während der Zwischenkriegszeit regelmäßig zu Toten und Verletzen. Dies sind zum einen die oft gewaltsamen Auseinandersetzungen mit protestierenden Menschenmassen. Diese können vor allem dann zu Gewaltexzessen führen, wenn sich im Zuge der Konfrontation ganz bestimmte Konstellationen ergeben. So üben Demonstranten schwere Gewalt hauptsächlich dann aus, wenn sie einzelne Polizisten oder Soldaten abseits von deren geschlossener Formation zu fassen bekommen und ihnen in einem Verhältnis von etwa vier zu eins bis acht zu eins überlegen sind. Opfer von ausufernder Polizeigewalt werden aber auch Demonstranten und zwar in erster Linie, wenn sich eine Demonstration in kleine Gruppen aufgelöst hat, was normalerweise dann der Fall ist, wenn die Demonstranten vor einem Polizeiangriff flüchten.686 Beispiele hierfür sind etwa die in Kapitel 3.1.1 bereits beschriebenen Proteste, vor allem die der Katalanisten in den unmittelbaren Nachkriegsmonaten. Größere Ausschreitungen, bei denen es zu solchen Zwischenfällen kam, waren während der Zweiten Republik neben den Protesten der Arbeitslosen etwa die Kundgebungen der Arbeiter am 1. Mai.687 Außer den Zusammenstößen zwischen der Polizei und der Menge bei den beschriebenen bürgerkriegsähnlichen Szenarien gibt es eine weitere Situation, bei der die Polizei manchmal in Gewalttaten verstrickt wurde, nämlich die Verhaftung mutmaßlicher Straftäter. Bei Festnahmen einzelner Personen oder bei Razzien gingen die Polizisten auch in Barcelona oft sehr gewaltsam vor, weshalb in manchen Fällen vermeintliche Straftäter, die eigentlich unschuldig waren, erschossen wurden. Häufig kam es dabei auch vor, dass sogar völlig unbeteiligte Passanten durch Schüsse verletzt oder sogar getötet wurden.688 Dem ist allerdings entgegenzuhalten, dass viele der Verdächtigen mit Pistolen be684 685 686 687
Vgl. Collins, Dynamik, S. 137. Vgl. Collins, Dynamik, S. 145. Vgl. Collins, Dynamik, S. 191. Vgl. hierzu etwa den Bericht von Solidaridad Obrera zu den gewaltsamen Zusammenstößen am 1. Mai 1931, über die die Zeitung in ihrer Ausgabe vom 3. 5. 1931, S. 1 berichtete. 688 Ein solches Vorkommnis während der Endphase der Restaurationsmonarchie wird ausführlich beschrieben bei PestaÇa, Terrorismo, S. 137. Für die Zeit der Zweiten Republik nennt Ealham, Anarchism, S. 75 zahlreiche Beispiele, in denen Unschuldige durch Polizeigewalt zu Schaden kamen oder sogar getötet wurde.
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waffnet waren und es deshalb nicht selten vorkam, dass diese sich ihrer Verhaftung nicht nur durch Flucht zu entziehen versuchten, sondern auch, indem sie auf die Polizisten das Feuer eröffneten. So stellten Festnahmen in vielen Fällen eine Gewaltsituation dar, in der auch die Polizisten dem Risiko ausgesetzt waren, verletzt oder sogar getötet zu werden.689 Bezüglich der von Polizisten ausgehenden Gewalt finden sich neben den beschriebenen Anlässen, also gewalttätigen Auseinandersetzungen im Zuge von Demonstrationen sowie bei Festnahmen verdächtiger Personen, bei denen Polizisten teilweise unverhältnismäßig hohe Gewalt bei ihren Einsätzen ausübte, in Zeitungen auch noch zahlreiche Berichte, wo Polizisten – meist in betrunkenem Zustand – durchdrehten und unschuldige Personen erschossen oder zumindest verwundeten.690 Außerdem sind auch einige Fälle dokumentiert, wo Polizisten sich im Dienst gegenseitig Gewalt antaten.691 Während die Polizisten in diesen Fällen sowie bei Festnahmen und gewaltsamen Auseinandersetzungen bei Demonstrationen und Massenprotesten sowohl Täter als auch Opfer sein konnten, kam es in Barcelona im Untersuchungszeitraum weiterhin nicht selten zur Ermordung von Polizisten. Der erste Fall, der großes Aufsehen erregte, ereignete sich am späten Abend des 16. Dezember 1919, als zwei Polizisten, die nahe der Diagonal in der Calle de Cjrcega 48, vor dem Regen Schutz suchten, von einer Gruppe von acht bis zehn Personen hinterrücks ermordet wurden.692 Die große Anteilnahme der Bevölkerung unmittelbar nach der Tat und die Tatsache, dass man Kindern noch Jahre später davon erzählte, deuten darauf hin, dass es sich hier um eine Gewalttat handelte,
689 So starben etwa im Juli 1919 ein Polizist und ein Nachtwächter bei dem Versuch, einen anarchistischen Extremisten festzunehmen. Über diesen Vorfall berichtete der Zivilgouverneur Barcelonas in einem Telegramm vom 12. Juli 1919 an den Innenminister in Madrid, vgl. AHN, 2 A (16). Die Gerichtsverhandlung, die mehr als anderthalb Jahre später im April 1921 stattfand, ist dokumentiert in El Correo Catal#n, 20. 4. 1921, S. 2. Ein weiteren Fall aus der Zeit des Pistolerismo beschreiben El Diluvio, 20. 10. 1922, S. 14 und El Noticiero Universal, 20. 10. 1922, S. 8. Auch in der Zweiten Republik wurden Polizisten im Dienst getötet. Neben der bereits erwähnten Schießerei in der Bar Brüssel im November 1931 sorgte vor allem ein Fall für Aufsehen, bei dem zwei Polizisten bei einer Verfolgungsjagd getötet wurden, bei der die Verdächtigen nicht nur mit Pistolen auf ihre Verfolger schossen, sondern auch eine Bombe warfen, wofür später zwei der mutmaßlichen Täter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, vgl. El Diluvio, 20. 7. 1935, S. 8. 690 So gibt es zahlreiche Berichte von Gewaltexzessen betrunkener Polizisten, vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 75. 691 Ein Beispiel, das in den lokalen Zeitungen großes Aufsehen erregte, geschah am 8. Mai 1925, als ein Polizist in der Polizeistation von Barceloneta seinen Vorgesetzten tötete und einen weiteren Polizisten schwer verletzte, vgl. El Diario de Barcelona, 8. 5. 1925, S. 5, El Noticiero Universal, 7. 5. 1925, S. 15, 8. 5. 1925, S. 10 sowie 9. 5. 1925, S. 12. 692 Vgl. etwa den Bericht in der Morgenausgabe von La Publicidad, 17. 12. 1919, S. 10. Auf die Tat wird außerdem im Kapitel 4.2.3 noch genauer eingegangen.
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die in dieser Form offensichtlich noch nie da gewesen war.693 In den folgenden beiden Jahren stiegen die Attentate auf Polizisten dann stark an (siehe Abb. 55).
Abb. 55: Anzahl von Polizisten, die Opfer von gewaltsamen Übergriffen wurden
So wie bereits die ersten Attentate zu Beginn des Jahrhunderts auf Polizisten in Barcelona vermutlich unmittelbare Vergeltungsakte für die Folterungen im Zuge der Ermittlungen wegen der anarchistischen Terroranschläge gewesen waren, scheint auch der in der Grafik verzeichnete Anstieg von Übergriffen auf Polizisten in Zusammenhang mit einer staatlichen Repressionsmaßnahme, in diesem Fall dem »Ley de Fugas« zu stehen.694 So wurde am 19. Januar 1921, unmittelbar bevor das Ley de Fugas zum ersten Mal angewendet wurde, der Polizeiinspektor Espejo ermordet, der von Mart&nez Anido persönlich ernannt wurde und darüber hinaus ein enger Vertrauter des Polizeichefs Arlegui war und an Folterungen von Gefangenen auf der Polizeiwache beteiligt gewesen sein soll.695 Noch im Mai 1923, also Monate nachdem sich der letzte Fall der Anwendung des Ley de Fugas ereignet hatte, wurde in Barcelona noch ein Polizist
693 So beschreibt etwa der Historiker Josep Termes in seiner Überblicksdarstellung zum Anarchismus, dass man ihm von dieser Tat erzählt habe, als er noch klein war, vgl. Termes, Anarquismo, S. 316. Über die Anteilnahme in der Bevölkerung berichtete Noticiero Universal, 18. 12. 1919, S. 5 und 20. 12. 1919, S. 4. 694 Beispiele für Attentate auf Polizisten um die Jahrhundertwende sind der Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus von Inspektor Tressols im Oktober 1903 und die Schüsse auf den Polizisten Antonio Ram&rez im August 1905, vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 236. 695 Vgl. Porcel, Revuelta. Auch dieser Mord sorgte in den Lokalzeitungen für großes Aufsehen, vgl. El Noticiero Universal, 20. 1. 1921, S. 5, 21. 1. 1921, S. 4, 22. 1. 1921, S. 5 und 24. 1. 1921, S. 3.
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erschossen, vermutlich, weil man ihn verdächtigte, an der Ermordung eines Arbeiter unter Anwendung des Ley de Fugas beteiligt gewesen zu sein.696 Auch in der Zweiten Republik ereigneten sich in Barcelona noch regelmäßig Polizistenmorde, wenn auch diese zu jener Zeit wesentlich seltener waren als noch während des Pistolerismo.697 So wurde etwa der 22-jährige Polizist Antonio Campos Ram&rez am Abend des 25. März 1933 in Zivil und unbewaffnet im Beisein seiner Freundin erschossen, nachdem die beiden von zwei Dieben überfallen worden waren und das Opfer sich als Polizist zu erkennen gab.698 Auch wenn in diesem Fall der Mord vermutlich auch deshalb geschah, weil die Täter unerkannt bleiben wollten, hat Chris Ealham vermutlich recht mit der These, dass auch zur Zeit der Zweiten Republik die Polizei als Vertreter des Staates generell sehr unbeliebt und deshalb oft Widerstand und Aggressionen ausgesetzt war.699 Insgesamt lässt sich hinsichtlich der Reaktion des spanischen Zentralstaates auf die Herausforderung seines Gewaltmonopols in Barcelona festhalten, dass diese in doppelter Weise zu der hohen Gewaltsamkeit in der Stadt beitrug. Zum einen waren Josep Maria Planes und viele seiner Zeitgenossen sicherlich nicht völlig zu Unrecht der Meinung, dass die Staatsorgane, also hauptsächlich die Polizei und die Justiz, nicht genügend unternahmen, um gegen die offensichtliche Herausforderung ihres Gewaltmonopols vorzugehen und so die kollektiven Gewaltakte in Barcelona einzudämmen. Zum anderen trug der spanische Zentralstaat auch dadurch zur Eskalation der Gewalt bei, indem er, wenn er überhaupt reagierte, dies mit einer Radikalität, wie zum Beispiel dem Ley de Fugas tat, die dann wiederum gewaltsame Gegenreaktionen provozierte. Diese hatten dann meist Personen zum Ziel, die mit dem Vollzug der Staatsgewalt beauftragt waren, vor allem also Polizisten, aber auch Justizvollzugsbeamte und Henker, von denen zwei im Untersuchungszeitraum ermordet wurden. Man könnte also, wie etwa der zu Beginn dieses Kapitels zitierte ehemalige Zivilgouverneur Ossorio y Gallardo argumentieren, dass die in Barcelona herrschenden Zustände es dem Staat sehr schwer machten, für Recht und Ordnung zu sorgen. Während der Diktatur Primo de Riveras stellte es sich jedoch heraus, dass es, wenn auch mit stark repressiven Maßnahmen durchaus möglich war, die 696 So zumindest wird seine Ermordung in Solidaridad Obrera, 9. 5. 1923, S. 1 gerechtfertigt. Später wurden wegen dieser Tat drei Arbeiter angeklagt, von denen zwei Mitglieder der Sindicatos 5nicos waren, die allerdings alle freigesprochen wurden, vgl. El D&a Gr#fico, 21. 11. 1924, S. 8, El Diluvio, 21. 11. 1924, S. 10, 23. 11. 1924, S. 10f., und 26. 11. 1924, S. 10, El Diario de Barcelona, 21. 11. 1924, S. 5 und 22. 11. 1924, S. 9, sowie El Noticiero Universal, 20. 11. 1924, S. 18. 697 Vergleiche dazu die Übersicht in Kapitel 2.3. 698 Vgl. dazu El Diluvio, 26. 3. 1933, S. 22, 28. 3. 1933, S. 6 und 2. 4. 1933, S. 17, El Diario de Barcelona, 29. 3. 1933, S. 15, 30. 3. 1933, S. 39 und 31. 3. 1933, S. 3. 699 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 32.
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kollektive Gewalt und ihre Akteure über einen längeren Zeitraum weitgehend aus dem städtischen Alltag Barcelonas zu verbannen. Nachdem neben den Gewaltpraktiken in diesem Unterkapitel mit der Polizei bereits eine Gruppe von Gewaltakteuren untersucht wurde, wendet sich das folgende Kapitel nun vor allem den Personen zu, die in die hier behandelten Gewaltakte als Täter, Opfer oder auch als unbeteiligte Zuschauer involviert waren.
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Wirken und Wahrnehmung typischer Gewaltakteure Barcelonas und deren Vergemeinschaftung
Der englische Historiker Eric Hobsbawm beschreibt in seiner bemerkenswerten Untersuchung des historischen Banditentums als typisches Beispiel für einen »Expropriatoren« den 1915 in L’Hospitalet de Llobregat geborenen Francisco Sabat8 Llopart folgendermaßen: »Untersetzt, schien er kleiner zu sein, als er tatsächlich war, obwohl er nicht ganz so muskulös war, wie es eigentlich den Anschein hatte, mit starkem Kiefer und buschigen Augenbrauen. Untätigkeit machte ihn unbeholfen und nervös. Er vermochte kaum, in einem Lehnsessel zu sitzen und sich dabei noch wohl zu fühlen, geschweige denn, es in einem Caf8 auszuhalten, wo er nach Art eines Revolverhelden automatisch einen Platz mit Rückendeckung aufsuchte, von wo aus man die Eingangstür im Auge behalten konnte und wo es zum Hinterausgang nicht weit war. Sobald er aber mit seiner Schusswaffe an einer Straßenecke stand, wurde er gelöst, entspannt und auf eine mürrische Weise geradezu strahlend. ›Muy sereno‹ [dt.: sehr gelassen, Anmerkung F.G.] soll er nach Aussage eines Kameraden in solchen Augenblicken gewesen sein, sich seiner Instinkte und Reflexe völlig sicher sowie mit einer Witterung für Kommendes begabt, die durch Erfahrung zwar perfektioniert, nicht jedoch erlernt werden kann; vor allem war er sich aber seines Mutes und seines guten Sterns sicher. Ohne solche natürliche Begabung hätte Sabat8 denn auch nicht als Outlaw leben können: fast zweiundzwanzig Jahre, die nur durch Haft unterbrochen wurden.«700
Der so beschriebene Francisco Llopart Sabat8 hatte bereits als 18-jähriger am anarchistischen Aufstand im Dezember 1933 in Barcelona teilgenommen. Außerdem gehörte er den bereits in Kapitel 2.2 erwähnten, in L’Hospitalet de Llobregat ansässigen »Los Novatos« an. Nachdem er bereits in der Endphase der Zweiten Republik an einem Raubüberfall auf eine Bank in Gav#, einer Stadt im Südwesten von Barcelona, beteiligt gewesen war, kämpfte er im Spanischen Bürgerkrieg in der Kolonne Durruti an der Aragonfront. Später, im französischen Exil, schloss er sich zunächst nach der Besetzung Frankreichs dem Wi-
700 Hobsbawm, Banditen, S. 139f.
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Wirken und Wahrnehmung typischer Gewaltakteure Barcelonas
derstand gegen das Hitlerregime an und war dann später an zahlreichen Raubüberfällen und Attentaten im franquistischen Spanien beteiligt.701 Auch Jan Philipp Reemtsma, der 1996 selbst Opfer einer Entführung wurde, argumentiert, dass nicht nur die Realisierung von Gewalttaten, sondern auch deren Spezifik von den Personen abhängen, die sie verüben, wenn er schreibt: »Jede Tat ist auch eine Auskunft über den Täter, der uns sagt, wer er ist und wer er sein will. Ein Bankräuber, der eine Abneigung gegen das Waffentragen und das Anbrüllen verschreckter Personen hat, ist schwer vorstellbar. Eine erpresserische Geiselnahme ist zwar einerseits problemlos instrumentell zu verstehen – der Entführte wird bedroht, um andere dazu zu bringen, dem Entführer Geld zu bezahlen, aber niemand wird sich auf eine so komplizierte und riskante Angelegenheit, wie sie, wenigstens in unseren Breiten, eine Entführung nun einmal darstellt, einlassen, wenn es nicht Aspekte der Tat gibt, die den Täter unmittelbar befriedigen, zum Beispiel die Möglichkeit, Macht auszuüben, andere zu tyrannisieren oder nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.«702
Dagegen hat Friedrich Lenger in seiner bereits erwähnten Rezension zu dem kürzlich erschienenen Buch von Jörg Baberowski zu bedenken gegeben, »dass sehr viele Menschen, die diesem Typus ähneln, ganz andere Wege wählen, während umgekehrt unter den Kämpfern und Attentätern auch solche zu finden sind, die diesem Typus nicht entsprechen« und auch Rolf Peter Sieferle warnte vor der Gefahr, Täter- und Opferrollen ausschließlich bestimmten sozialen Kategorien zuzuordnen.703 Diese Bedenken aufgreifend, scheint es ingesamt zu eindimensional, den Blick nur auf die Täter und dort auf bestimmte Tätertypen zu richten, so dass in dieser Arbeit die klassische Täter-Opfer-Dichotomie soweit wie möglich aufgebrochen werden soll. In Anlehnung an Wolfgang Sofsky, demzufolge die physische Doppelexistenz des Menschen, die zum einen im Handeln des Körpers und zum anderen im Erleiden durch den Leib besteht, dessen Verhältnis zur Gewalt bestimmen würde und er dementsprechend einerseits zur Gewalt fähig, ihr anderseits auch ausgeliefert sei, wird auch hier eine klare Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern vermieden.704 Stattdessen soll – soweit möglich – versucht werden, den in Barcelona während der Zwischenkriegszeit agierenden Gewaltakteuren sowohl ihren Beitrag zur hohen Gewaltsamkeit in der Stadt nachzuweisen, als auch aufzuzeigen, wie und in welchen Gewaltsituationen sie auch selbst zu Opfern wurden. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, sollen hier zunächst Gewaltgemeinschaften ins Zentrum der Untersuchung gerückt werden (Kapitel 4.1). Da diese aber meist im Geheimen agierten und deshalb in vielen Fällen nur sehr schwer zu 701 Vgl. Hobsbawm, Banditen, S. 139ff. Für eine ausführliche, allerdings auch sehr wohlwollende Biographie von Francesc Llopart Sabat8, siehe T8llez Sol#, Sabat8, bes. S. 21ff. 702 Reemtsma, Vertrauen, S. 107. 703 Vgl. Lenger, Räume, S. 102 und Sieferle, Einleitung, S. 18. 704 Vgl. Sofsky, Traktat, S. 31.
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rekonstruieren sind, soll im daran anschließenden Unterkapitel dann auf etwas abstrakterer Ebene untersucht werden, inwieweit unterschiedliche soziale Gruppen an der kollektiven Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit beteiligt waren (Kapitel 4.2). Der Tatsache Rechnung tragend, dass die neuere Gewaltforschung durch die Miteinbeziehung von scheinbar unbeteiligten Personen wie etwa von Zuschauern das klassische Zweierverhältnis von Täter und Opfer auf eine Dreierkonstellation erweitert hat, soll zum Abschluss dieses Kapitels erörtert werden, wie die städtische Gemeinschaft Barcelonas die zuvor beschriebenen Gewaltpraktiken und deren Protagonisten wahrnahm und wie sie darauf reagierte (Kapitel 4.3).705
4.1
Gewalt als gemeinschaftsstiftendes Element
Der damalige Archivar des Stadtarchivs von Girona, Miquel Mir Serra, beschrieb in seinem »Diario de un pistolero anarquista« (dt.: Tagebuch eines Pistoleros der Anarchisten) basierend auf den autobiographischen Aufzeichnungen eines als »Jos8 S.« bezeichneten jungen Mannes, der nach der Ableistung seines dreijährigen Militärdienstes in Marokko nach Barcelona zurückkehrte und dort zu einem anarchistischen Aktivisten wurde, dessen ersten Mord als Pistolero in den Reihen der CNT wie folgt: »Er ging mit Cairj [eigentlich Mateo Cendra, ein Aktivist der CNT, den der Protagonist während des Generalstreiks von 1917 kennengelernt hatte und der ihm später beigebracht haben soll, wie man eine Star-Pistole benutzt, Anmerkung F.G.] Richtung Calle de Sants. Nachdem sie die Straßenkontrollen auf der Paral·lel und in Les Corts überwunden hatten, kamen sie in die Bar El8ctrico, wo sich gewöhnlich die Anarchisten trafen. Dort tranken sie Wein, bis ein Mann mit sehr bleichem Gesicht kam, der mit Cairj zu sprechen begann. Später begaben sich die drei nach Vapor Vell, einer der größten Fabriken in Sants. Dort hatten sie den Auftrag, den Schichtwechsel um fünf Uhr morgens abwarten. Jener Mann sollte ihnen zeigen, wer der Geschäftsführer war, der gegen die CNT gehetzt hatte und als Spitzel für die Arbeitgeber und die Polizei tätig war. Es verging eine halbe Stunde, bis dieser schließlich in Begleitung von zwei weiteren Personen die Fabrik verließ. Cairj zog seine Pistole, schoss und der Mann stürzte zu Boden, unmittelbar, nachdem der Schuss zu hören war. Cairj näherte sich ihm, zielte, drückte den Abzug, doch die Pistole funktionierte nicht. Der Mann versuchte zu fliehen, da zog Jos8 seine Pistole und schoss ihn in den Kopf.«706
Diese im oben beschriebenen Fall mortale Symbiose scheinbar fundamentaler Gegensätze – auf der einen Seite das konstruktive Element der Gemeinschaft und auf der anderen Seite die destruktive Gewalt – wurde im Rahmen des For705 Vgl. Nedelmann, Gewaltsoziologie, S. 66f. und Lüdtke, Akteure, S. 181. 706 Mir Serra, Diario, S. 25f.
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schungsprojekts »Gewaltgemeinschaften« von gotischen Kriegerverbänden über frühneuzeitliche Söldner und afrikanische Stammeskrieger bis zu der paramilitärischen Organisation »Eiserner Wolf« im Litauen der Zwischenkriegszeit anhand von zahlreichen zeitlich und geographisch völlig unterschiedlich gelagerten Gruppierungen eingehend untersucht.707 Ein Vorreiter hinsichtlich der Erforschung des Zusammenspiels von Gewalt und Gemeinschaft im städtischen Kontext findet sich in dem späteren Literaturnobelpreisträger Elias Canetti. So entstand unter dem unmittelbaren Einfluss des von Arbeitern verursachten Brandes des Wiener Justizpalastes am 15. Juli 1927, den Canetti als Zeitzeuge unmittelbar miterlebt hatte, dessen Hauptwerk »Masse und Macht«, in dem er die Dynamik von Menschenmassen analysiert.708 Während Psychologen diesen scheinbaren Widerspruch mit der Entindividualisierung und dem damit verbundenen Verlust jeglichen Verantwortungsgefühls erklären, betont der Soziologe Randall Collins im Gegensatz dazu die Bedeutung des Solidaritätsgefühls in der Gruppe und hält die Beteiligung des Einzelnen an den kollektiven Gewaltakten – wie in diesem Fall den tödlichen Schuss von Jos8 – deshalb für so unwiderstehlich, weil diese ein Höchstmaß an Solidarität bedeutet.709 In einem gerade erschienenen Sammelband »Massengewalt« beschreibt der deutsche Soziologe Axel Paul in seinem einleitenden Aufsatz die gewaltsame Konfrontation als ein »Medium«, das eine »zunächst aus vielen Einzelnen bestehende Gruppe in eine Gemeinschaft« beziehungsweise in eine »Gewaltmasse«, das heißt, einen besonderen Typ von Gemeinschaft verwandelt.710 So hatte etwa kein geringerer als William Shakespeare dem Protagonisten seines Stückes Heinrich V (IV,3) anlässlich seiner Ansprache zum Auftakt der Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1425, die zu einem der größten Triumpfe der Engländer über die Franzosen im Hundertjährigen Krieg werden sollte, die folgenden Worte in den Mund gelegt: »We few, we happy few, we band of brothers, for he today that sheds his blood with me, shall be my brother ; be he never so vile, this day shall gentle his condition«711 Hinsichtlich der konkreten Wech707 Für einen Überblick über die von dieser Forschergruppe untersuchten Gewaltgemeinschaften vgl. Speitkamp, Gewaltgemeinschaften. Umfangreiche Untersuchungen, die bereits in Form von Monographien vorliegen, sind etwa bei Reif, Generationalität und Xenakis, Gewalt zu finden. 708 Für eine aktuelle Interpretation dieses Werkes im Bezug zur Erklärung von Gewalt siehe Morat, Tiernatur, S. 261ff. 709 Vgl. Collins, Dynamik, S. 197 sowie ausführlich dazu McPhail, Myth. 710 Vgl. Paul, Masse, S. 49. 711 Das Originalzitat findet sich etwa in Shakespeare, Complete Works, S. 615. Shakespeare, Sämtliche Werke, S. 609 bietet folgende Übersetzung: »Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder: Denn welcher heut sein Blut mit mir vergießt, der wird mein Bruder! Sei er noch so niedrig: Der heut’ge Tag wird adeln seinen Stand«.
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selwirkungen von Masse und Gewalt hat Axel Paul im weiteren Verlauf seines Aufsatzes insgesamt vier Aspekte herausgearbeitet. So seien zunächst sowohl das Massenerlebnis wie auch die meisten Formen von Gewalt affektiv aufgeladen und stünden außerhalb des normalen Alltags und an der Grenze von Ordnung und Unordnung. Zudem beeiflussten schließlich sowohl das Massen- als auch das Gewalthandeln nicht nur die Situation an sich, sondern auch die an ihr beteiligten Akteure.712 Im selben Sammelband stellt der kanadische Philosoph Paul Domouchel die ganz ähnlich gelagerte These auf, derzufolge Gewalt »mimetisch, das heißt, nachahmend und ansteckend« sei, wofür das in diesem Kapitel gewählte Eingangsbeispiel, welches beschreibt, wie Jos8 zum ersten Mal auf einen Menschen schießt, nachdem dies unmittelbar zuvor sein Kumpel Cairj ebenfalls getan hat, ein treffender Beleg ist.713 Vor diesem Hintergrund soll in diesem Unterkapitel zunächst untersucht werden, inwieweit einzelne Gewaltgemeinschaften für die im vorangegangenen Kapitel dargestellten Gewaltpraktiken verantwortlich waren. In Anlehnung an eine von der Soziologie angebotenen Definition des Begriffs der Gruppe wird darunter ein durch persönliche Beziehungen konstituiertes mikrosoziales Gebilde verstanden, das durch die Kollektivität des Handelns und Erlebens – in diesem Fall hauptsächlich in Form kollektiver Gewaltakte – bestimmt ist.714 Auch wenn es sicherlich naheliegend wäre, diese gemäß Winfried Speitkamp nach Dauer, Größe, sozialem Ort und Funktion zu differenzieren, soll hier ein etwas anderer Weg beschritten werden.715 Geht man davon aus, dass die Gruppierungen, die normalerweise kollektive Gewalt ausüben, vom Staat legitimiert sind und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder zur Bekämpfung von äußeren Feinden dienen, scheint es hier bei der Untersuchung der Gewaltgemeinschaften angebracht, zu unterscheiden, inwieweit sie staatlich oder zumindest staatsnah und somit berechtigt waren, Gewalt auszuüben und sie von den Gruppierungen abzugrenzen, die auf der Gegenseite standen und das staatliche Gewaltmonopol herausforderten. Da die staatlichen Gewaltgemeinschaften in Form des Militärs und der Polizei im vorangegangenen Unterkapitel hinsichtlich der Frage untersucht wurden, wie der Staat auf die Infragestellung seines Gewaltmonopols reagierte, scheint es angebracht, zunächst die staatsnahen Gewaltgemeinschaften in den Blick zu nehmen (Kapitel 4.1.1). Darunter werden Gruppierungen verstanden, die zwar von den staatlichen Autoritäten anerkannt oder zumindest über einen be712 713 714 715
Vgl. Paul, Masse, S. 58f. Vgl. Dumouchel, Massengewalt, S. 110. Vgl. Kühnel, Gruppen, S. 1441. Vgl. Speitkamp, Gewaltgemeinschaften, S. 185.
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stimmten Zeitraum toleriert wurden und teilweise auch mit den staatlichen Gewaltgemeinschaften kooperierten, sich aber dennoch einen gewissen Grad an Autonomie und Unabhängigkeit vom Staat bewahrten. Diese geht, wie zu zeigen sein wird, soweit, dass sie sich teilweise auch die Freiheit nahmen, sich über Gesetze hinwegzusetzen. Deshalb stellt sich bei der Untersuchung der staatsnahen Gewaltgemeinschaften neben ihrem Entstehungskontext und ihrem Aufbau zum einen die Frage, in welchem Maße sie Gewalt anwendeten und inwieweit diese gerechtfertigt oder übertrieben war. Zum anderen gilt es zu untersuchen, in welchem Maße Mitglieder dieser Gruppen selbst Opfer von Gewalt wurden und inwieweit die Übergriffe auf sie im Zusammenhang mit ihrer Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols standen. Darüber hinaus ist von Interesse, wie sie mit den staatlichen Institutionen kooperierten und ob sie absichtlich bestehende Gesetze übertraten und missachteten. Dabei stellt sich auch die Frage, inwieweit staatsnahe Gewaltgemeinschaften gerade deshalb ins Leben gerufen bzw. toleriert wurden, weil sie sich nicht wie die offiziellen staatlichen Organe an Gesetze halten mussten. Den staatlichen und den staatsnahen Gewaltgemeinschaften stehen die staatsfernen Gewaltgemeinschaften gegenüber, also Gruppierungen, die keinerlei Legitimation hatten und nicht selten vorsätzlich durch ihr Agieren das staatliche Gewaltmonopol herausforderten oder sogar den Staat selbst als ihren direkten Feind betrachteten, den es zu bekämpfen galt (Kapitel 4.1.2). Während bei den staatsnahen Gewaltgemeinschaften der Grund ihres Bestehens klar ist, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten, weil sie glaubten, dass das staatliche Gewaltmonopol dazu nicht in der Lage sei, gilt es bei den staatsfernen Gewaltgemeinschaften vor allem zu fragen, weshalb sie sich bildeten, aus welchen individuellen Beweggründen – soweit sich diese noch rekonstruieren lassen – sich Personen ihnen anschlossen und weshalb sich diese Gewaltgemeinschaften später dann wieder auflösten.
4.1.1 Kooperationen und Konflikte staatlicher und staatsnaher Gewaltgemeinschaften Gerardo Doval, ein zu jener Zeit berühmter Kriminologe, der im März 1919 von dem damaligen spanischen Ministerpräsidenten ]lvaro Figuero y Torres Mendieta, bekannt als Graf von Romanones, nach Barcelona abgeordnet worden war, um dort das Amt des Polizeichefs zu übernehmen, berichtete diesem kurz nach seiner Ankunft in der katalanischen Metropole in einem Brief vom 8. April 1919 über seine ersten Eindrücke:
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»Bei meiner Ankunft litt die Polizei an Auflösungserscheinungen, die dadurch hervorgerufen worden waren, dass sie vier Jahre lang völlig vernachlässigt wurde. Während dieser Zeit formierten sich verschiedene Polizeieinheiten innerhalb und außerhalb dieser Körperschaft, die der offiziellen Polizei des Staates im Wege standen. Die Capitan&a General gründete ihre eigene Polizei. Sie rekrutierte ihre Mitglieder aus Polizisten, die zuvor im Dienste der deutschen Spionage gestanden hatten. Hochstehende Funktionäre dieser Einrichtung riefen sich Bravo Portillo als Person ihres absoluten Vertrauens an ihre Seite. Dieser Polizist, abgesehen von einigen guten Eigenschaften, wird von impulsiven Kräften getrieben, freigesetzt durch ein nervöses, verstimmtes System, die es ihm unmöglich machen, eine nüchterne und unparteiische Untersuchung zu garantieren. Heute auf den Thron der Capitan&a gesetzt, nutzt er seine Straffreiheit, um ungerechtfertigte Anschuldigungen gegen Bürger vorzubringen, die offensichtlich unschuldig sind. Aufgrund dieses Wissens habe ich seine Eingliederung in unsere Polizei zurückgewiesen, trotz der Fürsprache seitens der Capitan&a General in dieser Angelegenheit.«716
Der in dem Brief erwähnte und vom Chef der offiziellen Polizei in Barcelona zu jener Zeit offensichtlich sehr skeptisch gesehene Manuel Bravo Portillo wurde 1878 in Manila auf den Philippinen geboren, die damals noch spanische Kolonie waren, und kam 1909 nach Barcelona, wo er zunächst in den offiziellen Polizeidienst eintrat.717 Dort war er viele Jahre im fünften Distrikt eingesetzt, zu dem auch das Barrio Chino gehörte.718 Anfang 1913 war er zum Chef der »Sondereinheit der Polizei zur Unterdrückung von Anarchismus und Syndikalismus« ernannt worden und hatte dabei Francisco Martorell abgelöst.719 Er blieb bis Anfang 1918 unauffällig, als ihm vor allem vonseiten der Anarchisten vorgeworfen wurde, für den deutschen Geheimdienst zu arbeiten und in dessen Auftrag den in der Einleitung des Kapitels 3.3.1 beschriebenen Mord an dem Fabrikanten Jos8 Alberto Barret organisiert zu haben.720 Während es im Vorfeld schon mehrmals Gerüchte über eine Zusammenarbeit von Bravo Portillo mit dem deutschen Geheimdienst gegeben hatte, veröffentlichte Solidaridad Obrera am 9. Juni 1918 Dokumente, die beweisen sollten, dass Bravo Portillo dem deutschen Geheimdienst Informationen über das spanische Schiff »Mumbrffl« übermittelt hatte, welches infolgedessen von der deutschen Marine versenkt wurde. Daraufhin sah sich die Justiz schließlich genötigt, zu intervenieren.721 Bravo Portillo wurde vom Dienst suspendiert und musste von Juni bis Dezember
716 Zitiert in del Rey, Proprietarios, S. 489f. Zum politischen Wirken des Grafen von Romanones, siehe etwa Moreno Luzjn, Conde. 717 Vgl. del Rey, Proprietarios, S. 479. 718 Vgl. Garc&a Sanz, EspaÇa, S. 209f. 719 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 122f. 720 Vgl. del Rey, Proprietarios, S. 480. 721 Vgl. Garc&a Sanz, EspaÇa, S. 316f.
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1918 in Untersuchungshaft, kam dann aber gegen Kaution frei.722 Später wurde die Anklage gegen ihn aufgrund der unzureichenden Beweislage fallen gelassen.723 Wenig später bot er seine Dienste dem kurz vorher zum Generalkapitän ernannten Milans del Bosch an. Bravo Portillo wurde Chef einer auf Initiative der Arbeitgebervereinigung Federacijn Patronal gegründeten parapolizeilichen Gruppe, die in der Lokalpresse später als »Banda Negra« (dt.: Schwarze Bande) bezeichnet wurde.724 Auf diese wird im Verlaufe dieses Kapitels noch genauer eingegangen. Der Anlass für die Aufstellung dieser parapolizeilichen Einheit war vor allem das geringe Vertrauen, das die Arbeitgeber Barcelonas in die offizielle Polizei hatten. Die Gründe, warum ausgerechnet die Federacijn Patronal diese polizeiähnliche Gruppe ins Leben rief, sieht Del Rey vor allem darin, dass in ihr hauptsächlich diejenigen Arbeitgeber vertreten waren, in deren Sektoren die CNT am aktivsten war und die bislang von den Attentaten auf Arbeitgeber am stärksten betroffen waren.725 Wie im Kapitel 3.4 beschrieben, befand sich die offizielle Polizei in Barcelona nicht nur in den Jahren vor der Ankunft Dovals, wie von diesem in dem eingangs zitierten Brief diagnostiziert, sondern auch bereits in den Jahrzehnten zuvor in einem schlechten Zustand, der es ihr erschwerte, die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols in Barcelona in vollem Umfang zu garantieren. So verwundert es nicht, dass sich vor allem die höheren Gesellschaftsschichten Barcelonas, die das größte Interesse daran hatten, den Status quo in der Stadt zu bewahren, bereits anlässlich der beiden Anschlagsserien um die Jahrhundertwende genötigt sahen, neben den staatlichen Ordnungsorganen weitere Instanzen zu etablieren, um die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in der Stadt zu gewährleisten. Deshalb formierten sich zwei Typen von staatsnahen Gewaltgemeinschaften, die bereits in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts konkret Gestalt annahmen und dann auch im Untersuchungszeitraum einen nicht unerheblichen Beitrag zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona leisteten. Die erste Form resultiert aus dem Versuch des zu Beginn des Jahrhunderts neu aufkommenden politischen Katalanismus, ergänzend zur staatlichen Polizei 722 Vgl. Smith, Anarchism, S. 298. 723 Vgl. del Rey, Proprietarios, S. 484. 724 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 146, demgemäß diese Gruppe am 9. April 1919 und damit einen Tag nach dem Brief von Doval an den Grafen von Romanones gegründet worden sein soll. Der französische Botschafter in Madrid berichtete am 7. Juli 1919 in einem Schreiben an das französische Außenministerium in Paris, Bravo Portillo sei der Chef einer geheimen Polizei der Capitan&a und soll von der Federacijn Patronal im Monat 3000 Peseten dafür erhalten haben (AN, F/7 13440). 725 Vgl. del Rey, Proprietarios, S. 496. Allerdings weist derselbe Autor darauf hin, dass insgesamt nur ein einziges Dokument existiere, in dem die Federacijn Patronal ihre Verbindung zu Bravo Portillo ausdrücklich zugibt, vgl. ders. S. 494.
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eine weitere offizielle Ordnungsmacht zu etablieren, die aber den lokalen Behörden unterstellt sein sollte. Der Wortführer der Katalanisten, Enrich Prat de la Riba, äußerte sich über die Gründe dafür in einem Artikel der katalanistischen Tageszeitung La Veu de Catalunya (dt.: Die Stimme Kataloniens) vom 27. Dezember 1906 folgendermaßen: »Die spanische Polizei, wie alle Organe des Staates, sind in unserer heutigen Zeit unwirksam geworden. Ein primitiver Apparat, ein ausgedientes Fossil. Mit ihr den Terrorismus in Barcelona bekämpfen zu wollen, ist wie mit Lanzen und Steinen gegen eine schwerbewaffnete Armee anzutreten«.726 Im Juli 1907 engagierte man deshalb, beeinflusst durch das von Arthur Conan Doyles’ Romanen weltweit entfachte Sherlock-Holmes-Fieber, den 46-jährigen Chefinspektor von Scotland Yard, Charles Arrow, der in Barcelona eine eigene Polizeieinheit aufbauen und leiten sollte, speziell mit dem Auftrag, die anarchistischen Bombenanschläge aufzuklären und weitere möglichst zu verhindern. Doch da Arrow weder spanisch noch katalanisch sprach und sich seine Methoden der Verbrechensbekämpfung deutlich von denen der spanischen Polizei unterschieden und auf Barcelona, wie Arrow nach und nach selbst feststellen musste, überhaupt nicht übertragbar waren, war sein Engagement bald zum Scheitern verurteilt.727 Neben der Aufstellung dieser offiziellen Sondereinheit der Polizei wurde etwa zur gleichen Zeit versucht, unter Führung von Joan Rull, der wegen seiner angeblichen Beteiligung an einem Sprengstoffanschlag im September 1904 für 15 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, eine Gruppe von Polizeispitzeln zusammenzustellen, die ihr Insiderwissen über das kriminelle Milieu, aus dem sie selbst überwiegend stammten, zum Sammeln von Informationen über bevorstehende Attentate nutzen sollten, um diese möglichst schon im Vorfeld zu verhindern. Weil die Polizisten in Barcelona in der Regel aus anderen Regionen Spaniens stammten und somit ihr Einsatzgebiet sowie die dort herrschenden Verhältnisse nur unzureichend kannten, war die Polizei auf den Einsatz von Spitzeln angewiesen. Diese Praxis soll in jener Zeit ein solches Ausmaß erreicht haben, dass jeder Polizist mit einer Vielzahl von Spitzeln zusammenarbeitete und es Gerichtsprozesse gab, in denen die Polizei Partei für ihre auf der Anklagebank sitzenden Spitzel ergreifen musste, um diese vor einer Verurteilung zu bewahren.728 Auch im Untersuchungszeitraum war der Einsatz von Spitzeln 726 Zitiert nach Gonz#lez Calleja, CataluÇa ingobernable, S. 50. 727 Für eine ausführliche Darstellung des Wirkens von Charles Arrow in Barcelona vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 259 sowie Gonz#lez Calleja, CataluÇa ingobernable, S. 54ff. 728 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 265f. Dass Spitzel auch noch zu Beginn des Untersuchungszeitraums für die Polizei in Barcelona eine wichtige Funktion bei der Verbrechensbekämpfung erfüllten, beschrieb bereits Brenan, Labyrinth, S. 72f. Dass dies auch den Zeitgenossen bekannt war, verdeutlichen die Ausführungen von PestaÇa, Terrorismo, S. 80.
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noch weit verbreitet, was zur Folge hatte, dass diese nicht selten, wenn sie enttarnt wurden, wie bereits erwähnt, am Montju"c oder in dessen Umgebung ermordet wurden.729 Eine erste organisierte Form einer Parallelpolizei hatte der damalige Zivilgouverneur Ventura Diaz bereits 1847 ins Leben gerufen. Diese Gruppe, die sich hauptsächlich aus ehemaligen Sträflingen, Mördern, Gaunern und professionellen Fälschern zusammensetzte und zahlreiche Verbrechen beging, stand zwar offiziell unter dem Befehl des Polizeichefs, ihr eigentlicher Anführer war jedoch ein Krimineller.730 Auch die etwa 60 Jahre später agierende, mit dieser Vorgängerorganisation in den Grundzügen aber durchaus vergleichbare Gruppe von Joan Rull brachte zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht den gewünschten Erfolg bei der Bekämpfung der Attentate und endete in einem Desaster. Nachdem es vom 24. Dezember 1906 bis zum 8. April 1907 eine neue Anschlagsserie mit einem Toten und elf Verletzten gegeben hatte, wurde Joan Rull im Juni 1907 zusammen mit seinem Bruder Hermenegildo und seinen Eltern unter dem Verdacht verhaftet, selbst für diese neue Anschlagsserien verantwortlich zu sein. Nach dem Prozess, der sich über ein Jahr hinzog, wurde Rull schließlich am 8. August 1908 hingerichtet.731 Fünf Jahre nach der Exekution Joan Rulls wurde der bereits kurz erwähnte Vorgänger Bravo Portillos als Chef der Sondereinheit der Polizei von Barcelona im Kampf gegen den Anarchismus, Francisco Martorell, während eines Streiks im Jahr 1913 vom republikanischen Blatt El Progreso (dt.: Der Fortschritt) beschuldigt, eine Bande von Spitzeln engagiert zu haben.732 Diese soll zunächst mit Llu&s Mas Terrades, Frederic Roig8 Navero, Amadeu Camprub& Soler und Mariano Sanz insgesamt nur aus vier Mitgliedern bestanden haben, die aber in 729 So soll etwa auch Mart&nez Anido auf Spitzel zurückgegriffen haben, vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 541. Josep Mar&a Planes beschreibt im ersten Artikel seiner Reportage zum Gangstertum in Barcelona, auf die im nächsten Unterkapitel noch genauer eingegangen wird, dass ein Informant von der Polizei gewarnt wurde, er solle seine Aussagen lieber nicht öffentlich auf dem Polizeirevier machen. Dieser wurde dann später am Montju"c tot aufgefunden, vgl. Planes, G/ngsters, S. 15. 730 Vgl. Villar, Barrio Chino, S. 64. 731 Für eine ausführliche Biographie von Joan Rull, siehe Dalmau, Cas. 732 Vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 315. Die Anschuldigungen wurden auch später von Gewerkschaftern fortgesetzt. Siehe zum Beispiel PestaÇa, Terrorismo, S. 81f., der ausführt, dass dieser Versuch, der ebenfalls von der Federacijn Patronal ausgegangen sein soll, zwar scheiterte, trotzdem aber an dieser Idee festgehalten wurde, die dann später in Form der Banda Negra realisiert wurde. Sowohl Marinello als auch del Rey kommen zu dem Ergebnis, dass sich aufgrund der Quellenlage nicht eindeutig nachweisen lässt, dass es schon 1913 eine der Banda Negra vergleichbare Gruppierung unter Führung des damaligen Polizeichefs Francisco Martorell gegeben habe. Dies sei jedoch, darin sind beide einig, auch nicht völlig auszuschließen, vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 321f. sowie del Rey, Proprietarios, S. 476.
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zahlreiche Gewaltaktivitäten verstrickt waren und dem kriminellen Milieu entstammten.733 Falls es die Bande tatsächlich in dieser Form gegeben haben sollte, war sie offensichtlich wenig erfolgreich. Llu&s Mas Terrades wurde am 10. Februar 1914 durch Schüsse von Unbekannten schwer verletzt. Aus Rache dafür soll Mariano Sanz einen Mann angeschossen haben, wofür er ins Gefängnis kam.734 Roig8 wurde zusammen mit Epifanio Casas, der zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zur Gruppe von Martorell gehört haben soll, von der Leitung der Fabrik EspaÇa Industrial in Sants als Streikbrecher angeworben und fiel am 31. Mai 1917 einem Attentat zum Opfer.735 Die unter Führung von Martorell und vorher von Rull verübten Anschläge und Attentate boten der arbeiternahen Presse einen willkommenen Anlass, auch Gewalttaten, hinter denen man normalerweise eher militante Gewerkschafter vermuten würde, den im Auftrag des Staates handelnden Spitzeln oder direkt Polizisten zuzuschreiben. Dass dies auch im Untersuchungszeitraum noch geschah, verdeutlicht beispielsweise der Bericht von EspaÇa Nueva vom 11. März 1920 über einen Sprengstoffanschlag in Barcelona in der Calle de Cjrcega, für den laut der madrilenischen Zeitung nicht die Streikenden, sondern Francisco Martorell verantwortlich gewesen sein soll und der Artikel schließt mit den Worten: »Erinnert euch an Rull!«736 Auch wenn die beiden hier kurz skizzierten Formen von staatsnahen Gewaltgemeinschaften gewisse Unterschiede aufweisen, lassen sie sich beide zunächst nach der Definition des amerikanischen Politikwissenschaftlers David Kowalewski der Kategorie »kollektive Vigilanten« zuordnen, wobei er unter Vigilantismus Aktivitäten versteht, die zur Unterdrückung von Devianz, also Überzeugungen und Verhaltensweisen dienen, die in signifikanter Weise von 733 Mas und Camprub& wurden zusammen mit fünf weiteren Personen beim Versuch festgenommen, das Streikkomitee aufzulösen, wohingegen Roig8 wegen eines gewaltsamen Übergriffs auf einen Streikbrecher während des Metaller-Streiks 1910 vier Monate im Gefängnis gesessen hatte. Auch Maria Sanz Pau war 1910 zum ersten Mal wegen Körperverletzung verhaftet worden und kam für drei Monate ins Gefängnis. 1913 wurde er für zwei weitere Monate inhaftiert, nachdem er in betrunkenem Zustand Mitglieder seiner Familie mit einem Messer bedroht und anschließend den Polizisten beleidigt hatte, der ihn festnehmen sollte. Mas und Camprub& schlossen sich mit zwei weiteren Kriminellen zu einer Bande von Straßenräubern zusammen und wurden nach einer kurzen Serie von Eigentumsdelikten 1915 verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt, vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 316ff. 734 Vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 318. 735 Vgl. Marinello Bonnefoy, Sindicalismo, S. 363. 736 Vgl. EspaÇa Nueva, 11. 3. 1920, S.1. Dass diese Anschuldigungen offensichtlich nicht völlig haltlos waren, zeigt die Tatsache, dass auch Antonio Soler, der, wie später noch genauer ausgeführt wird, eine zentrale Figur der bereits erwähnten Banda Negra war, Sprengstoffanschläge durchführte, die der Arbeiterbewegung angelastet wurden und zu deren Unterdrückung beitragen sollten, vgl. Madrid, Ocho meses, S. 71. Auch Leon Ignacio übernahm später diese Darstellung, vgl. ders., AÇos, S. 98.
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den etablierten sozialen Normen einer Gemeinschaft abweichen. Doch sei es nicht, so Kowalewski weiter, deviantes Verhalten an sich, sondern erst dessen rasches Anwachsen und die dadurch bedingte Überforderung der Rechtsdurchsetzungsinstanzen bei seiner Eindämmung und die damit einhergehende gefühlte Bedrohung der eigenen Lebenssituation, die das plötzliche Auftreten von Vigilantismus als Gegenreaktion darauf provozieren würde. Diese theoretischen Überlegungen lassen sich durchaus auch auf Barcelona in der Zwischenkriegszeit sowie die beiden vorhergehenden Jahrzehnte übertragen, in denen es wegen der hohen Gewaltsamkeit sowie der bereits beschriebenen Überforderung der staatlichen Ordnungsinstanzen zum ersten Mal zur Bildung von vergleichbaren staatsnahen Gewaltgemeinschaften kam. Wie Kowalewski weiter ausführt, haben vigilantische Gruppierungen sowohl hinsichtlich ihrer Akzeptanz durch den Staat als auch innerhalb der Gesellschaft eine ausgesprochen ambivalente Stellung. So würden Regierungen diese zwar zum Beispiel durch die Bereitstellung von Waffen, Unterkünften oder logistischen Informationen unterstützen, um auf diese Weise Gewalt gegen Devianz einsetzen zu können, ohne darin selbst offiziell involviert zu sein. Allerdings kann das gemeinsame Interesse dieser beiden Akteure an der Eindämmung von Devianz auch schnell erlöschen und dann zu gewaltsamen Rivalitäten zwischen den Vigilanten und den staatlichen Ordnungsinstanzen in Form der Polizei führen. Auch in der Gesellschaft ist die Akzeptanz vigilantischer Gruppen ambivalent, denn einerseits tragen sie zwar dazu bei, Devianz einzudämmen, anderseits beruhen ihre Erfolge aber nicht selten gerade darauf, dass sie sich über Gesetze hinwegsetzen, womit sie sich außerhalb der gesellschaftlichen Normen begeben und damit selbst deviant handeln.737 Das scheinbare Paradoxon, in diesen vigilanten Gruppierungen, wie zum Beispiel im beschriebenen Fall von Joan Rull und seinen Komplizen, ganz bewusst Kriminelle einzusetzen, ergibt bei genauerem Hinsehen eine Situation, von der beide Seiten profitieren. Der Einsatz von Kriminellen erweist sich für die Staatsseite deshalb als besonders effektiv, weil diese zum einen ihren Förderern, vor allem aufseiten der Polizei, meist gut bekannt und zum anderen üblicherweise mit dem Einsatz von Gewalt und Waffen bestens vertraut sind und deshalb in dieser Hinsicht kaum Hemmungen haben. Für die in den staatsnahen Gewaltgemeinschaften agierenden Kriminellen selbst ist eine Beteiligung an vigilanten Aktivitäten deshalb attraktiv, weil sie so ihr antisoziales Verhalten fortsetzen können und trotzdem nicht nur Strafnachlässe, sondern darüber hinaus sogar soziale Anerkennung erhalten. Dass Vigilanten aber in vielen Fällen nicht so sehr zur Eindämmung der Gewalt, sondern eher zu deren Eskalation beitragen, wie im Folgenden auch für Barcelona in der Zwischenkriegszeit gezeigt 737 Vgl. Kowalewski, Vigilantismus, S. 426ff.
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werden soll, liegt zunächst daran, dass sie, indem sie die Gewalt mit Gewalt bekämpfen, sozusagen zu einem Spiegelbild der devianten Bewegungen werden. Bedingt durch die Tatsache, dass sowohl der staatliche Schutz, der sie vor Verfolgung bewahrt, als auch die staatliche Kontrolle ihrer Aktivitäten meist begrenzt sind, führt dazu, dass ihre Gewaltanwendung oft zunehmend außer Kontrolle gerät, was sich daran erkennen lässt, dass sich ihre Gewalt zunehmend auch gegen Unschuldige richtet und die Wahl ihrer Opfer immer willkürlichere Züge annimmt. Am gewaltbereitesten seien Vigilanten dabei nicht so sehr gegenüber Kriminellen, sondern vor allem gegenüber Andersdenkenden – im Fall von Barcelona in der Zwischenkriegszeit wären dies also die Anarchisten und Gewerkschafter –, weil diese in ihren Augen eine direkte und unmittelbare Bedrohung von Normen, Eigentum und Machtpositionen darstellten.738 Auch wenn die ersten Versuche, staatsnahe Gruppierungen zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen, in Barcelona zunächst kläglich gescheitert waren, sollten staatsnahe Gewaltgemeinschaften auch im Untersuchungszeitraum noch eine beträchtliche Rolle spielen. So etablierte sich mit den »Somat8n« neben der Polizei zumindest bis zum Ende der Diktatur Primo de Riveras längerfristig eine weitere offizielle Ordnungskraft. Im Gegensatz dazu war die Wirkungszeit der bereits erwähnten »Banda Negra«, deren Anführer zunächst Bravo Portillo war, die es anschließend als das bedeutendste Beispiel für die Gründung einer Parallelpolizei durch Kooperation von Staatsmacht und Kriminellen zu untersuchen gilt, wesentlich kürzer und blieb auf die Zeit von April 1919 bis Mai 1920 begrenzt. Die Bürgerwehr Somatén Am 19. August 1921 berichtete die Zeitschrift El Diluvio von einer Schießerei zwischen Arbeitern und einer Gruppe Somat8n in der Calle del Hort de la Bomba im Barrio Chino, die am Abend des Vortags stattgefunden haben soll: »Nach offiziellen Quellen erschienen Minuten vor der genannten Uhrzeit [19 Uhr] in der erwähnten Straße vier Arbeiter, die von den Arbeitern der Fabrik von Herrn Blay Beiträge eintreiben wollten. Kurze Zeit später tauchten dort einige Mitglieder der Somat8n auf (so weiter die offizielle Version) und verlangten von denen, die versuchten, die Beiträge einzutreiben, jene Straße zu verlassen. Einer der Syndikalisten gab einen Schuss mit seinem Revolver auf die Gruppe Somat8n ab und diese erwiderten diesen Angriff mit einer Serie von Schüssen, die unter den Anwohnern und Passanten zu einer Panik führten. Durch die Schüsse wurden Hilario Felipe Lazano, 34 Jahre alt, Witwer, ohne festen Wohnsitz und ein achtjähriges Mädchen mit Namen Mar&a Tar&n, wohnhaft
738 Vgl. Kowalewski, Vigilantismus, S. 431ff.
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in der Calle de Amalia, das in jenem Augenblick gerade die Calle del Hort de la Bomba passierte, verletzt.«739
Bei den im obenstehenden Artikel genannten Somat8n handelte es sich um eine Art Bürgerwehr, deren Tradition bis ins Mittelalter zurückreichte. Die Somat8n wurden zuerst im Inland Kataloniens gegründet, um die dort lebenden Menschen vor Räubern zu schützen. Wie viele katalanische Sitten und Bräuche waren auch die Somat8n nach 1640 Repressalien ausgesetzt und ihre Bedeutung nahm erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wieder zu, als sie versuchten, durch Patrouillen den Schutz des Eigentums sicherzustellen. In der Restaurationsmonarchie übernahmen sie zunächst die Aufgabe, die staatliche Ordnung in den ländlichen Gegenden Kataloniens aufrechtzuerhalten. Doch mit Beginn der Generalstreiks in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Barcelona entstand der Wunsch, die Somat8n auch in Städten einzusetzen.740 Eine entscheidende Rolle sollten sie aber erst während des Canadenca-Streiks 1919 spielen.741 So patrouillierten am 27. März 1919 etwa 8000 Somat8n – insgesamt soll es zu dieser Zeit 9414 von ihnen in Barcelona gegeben haben – ausgestattet mit Gewehren und roten Armbändern als Erkennungsmerkmal durch die Straßen.742 Sie übernahmen die Aufgabe, vor allem durch die Bewachung der Straßenbahnen die Aufrechterhaltung des innerstädtischen Transportsystems sicherzustellen. Außerdem kontrollierten sie Verdächtige und zwangen Läden und Caf8s, die wegen der Streiks geschlossen hatten, wieder zu öffnen.743 Somit setzt das Auftreten der Somat8n etwa zeitgleich mit dem von Bürgerwehren in anderen europäischen Ländern ein. So bildeten sich in Frankreich mit den »Unions Civiques« (dt.: Bürgervereinigungen) und in Großbritannien mit den »Citizen’s Guards« (dt.: Bürgerwächter) ähnliche bürgerliche Selbstschutzformationen als Reaktion auf die großen Streikbewegungen in den unmittelbaren Nachkriegsjahren.744 Auch in Deutschland entstanden bereits kurz 739 Vgl. El Diluvio, 19. 4. 1921, S. 16. Die Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera, die in einer Artikelserie rückblickend eine »Chronologie des weißen Terrors« veröffentlichte, beschrieb den Vorfall dagegen als einem Hinterhalt, in den die Somat8n eine Kommission der Sindicatos 5nicos gelockt hätten. Nach dieser Darstellung soll der erwähnte Hilario Lazano später seinen Verletzungen erlegen sein, vgl. Solidaridad Obrera, 11. 8. 1923, S. 2. Nur wenige Tage später berichtete dieselbe Zeitung von einem weiteren gewaltsamen Übergriff der Somat8n, bei dem ein Arbeiter in Sants von zwei ihrer Mitglieder brutal zusammengeschlagen worden sei, vgl. Solidaridad Obrera, 15. 8. 1923, S. 4. 740 Vgl. Gonz#lez Calleja/Del Rey, Defensa, S. 72. 741 Vgl. Romero Salvadj, Dirty War, S. 180f. sowie Ealham, Anarchism and the City, S. 20. 742 Für die Anzahl an Somat8n in Barcelona im Jahr 1919, vgl. Huertas Claveria, Obrers, S. 189. Zum Einsatz der Somat8n im Frühjahr 1919 auf den Straßen Barcelonas, vgl. Gonz#lez Calleja, Ej8rcito, S. 82. 743 Vgl. Smith, Anarchism, S. 298. 744 Vgl. Schumann, Gewalterfahrungen, S. 12f.
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nach Kriegsende sogenannte »Einwohnerwehren«, die Mitte 1919 in ihren Verbänden etwa 400 000 Mann unter Waffen organisiert haben sollen. Diesen attestiert Dirk Schuhmann ein sehr eingeschränktes Sozialprofil, das er daran festmacht, dass diese Gruppen fast ausschließlich aus Landwirten, Gutsbesitzern, Lehrern und anderen Beamten, Handwerksmeistern, Kaufleuten und Gastwirten sowie Amts- und Gemeindevorstehern bestanden und sich unter den lokalen Führern nur äußerst selten Personen aus der Arbeiterklasse befanden.745 Die Mitglieder der Somat8n kamen anfangs vor allem aus der Oberschicht, später rekrutierten sie sich aber immer mehr aus der Mittelschicht. Aufnahmebedingungen waren die spanische Staatsbürgerschaft, ein Alter von mindestens 22 Jahren sowie der Nachweis darüber, einen Beruf auszuüben oder Eigentümer zu sein und zumindest ein Jahr in Barcelona gelebt zu haben. Darüber hinaus war es erforderlich, ein »Mann von anerkannter Moralität und guten Sitten« zu sein.746 In Barcelona waren die Somat8n den verschiedenen Distrikten und dort wiederum einzelnen kleineren Einheiten, den Barrios, zugeteilt, die jeweils einen eigenen Anführer hatten.747 Jedes Mitglied musste sich um sein eigenes Gewehr kümmern und nur die Befehlshaber durften Pistolen tragen.748 Während des Pistolerismo traten die Somat8n noch einmal in Erscheinung, als sie, wie bereits erwähnt, im Sommer 1923 regelmäßige Patrouillen durchführten, um die sich häufenden Raubüberfälle einzudämmen.749 Primo de Rivera sah in ihnen auch nach seinem Staatsstreich das geeignete Werkzeug, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu gewährleisten und dehnte das System der Somat8n auf ganz Spanien aus.750 Auch wenn ihre Mitgliederzahlen dann in der Endphase der Diktatur zurückgingen, gab es am Vorabend der Zweiten Republik insgesamt immer noch 22 000 Somat8n.751 Zu Beginn der Zweiten Republik wurden die Somat8n in Barcelona aufgelöst und blieben nur in den ländlichen Gegenden bestehen.752 Eine ansatzweise vergleichbare Funktion
745 746 747 748 749
Vgl. Schumann, Politische Gewalt in der Weimarer Republik, S. 74. Vgl. Gonz#lez Calleja/Del Rey, Defensa, S. 91. Vgl. Gonz#lez Calleja/Del Rey, Defensa, S. 83. Vgl. Gonz#lez Calleja/Del Rey, Defensa, S. 86. Vgl. El Diluvio, 11. 8. 1923, S. 8f. Ein Beispiel für die Vereitlung eines Überfalls durch einen Somat8n findet sich in El Diluvio, 21. 10. 1923, S. 15 sowie El Noticiero Universal, 23. 8. 1923, S. 6 und 22. 10. 1923, S. 15. 750 Zur Bedeutung der Somat8n während der Diktatur Primo de Riveras, vgl. Ben-Ami, Cirujano, S. 160ff. 751 Vgl. Blaney, Keeping, S. 40. 752 Vgl. Rodr&guez C#mera, II Repfflblica, S. 43. Im Jahr 1934 berichtete El Diario de Barcelona in zwei Artikeln von einer möglichen Wiedereinführung der Somat8n. Diese scheint aber nicht erfolgt zu sein, vgl. El Diario de Barcelona, 17. 5. 1934, S. 6 und 14. 10. 1934, S. 13f.
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wie die Somat8n hatte in einigen Fällen in der Endphase der Zweiten Republik in Barcelona die »Accij Ciudadana« (dt.: Bürgeraktion).753 Was die Beteiligung der Somat8n an der kollektiven Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit angeht, dürfte diese sicherlich weit weniger groß gewesen sein als die der offiziellen staatlichen Ordnungsmacht, der Zivilgarde. Doch ist die Art und Weise, wie die Somat8n in Gewaltakte verwickelt waren, durchaus mit denen der Polizei vergleichbar. Außerdem gab es auch eine Vielzahl von Vorfällen, bei denen Somat8n aus Versehen Personen töteten, die sie für Räuber hielten.754 Wegen ihrer Rolle während der Streiks und den damit verbundenen Anfeindungen durch die Menge wurden auch die Somat8n selbst des Öfteren Opfer von Gewalt, vor allem, wenn sie jemanden festnehmen wollten. Außerdem fielen Somat8n wegen ihrer Mitgliedschaft bei den Sindicatos Libres oder aufgrund ihrer führenden Stellung in Fabriken nicht selten Gewalttaten zum Opfer.755 Die Banda Negra Manuel Casal Gjmez, der zur Zeit des Pistolerismo in Barcelona als Polizeikommissar tätig war, veröffentlichte einige Jahre später ein Buch, mit dem er vor allem die Machenschaften der »Banda Negra« aufdecken wollte.756 Deren vermutlich erstes Opfer war Pablo Sabater, genannt »Tero«, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Färber, deren Mitglieder sich gerade im Streik um höhere Löhne befanden.757 Manuel Casal Gjmez beschreibt den Mord an Sabater, der sich am 17. Juli 1919 ereignete, wie folgt: »Ungefähr um 2.30 Uhr, vielleicht auch um 3 Uhr morgens, taucht ein luxuriöses, wie Lack glänzendes Auto in der Calle de Mallorca auf, hält vor der Bierfabrik ›Bohemia‹ und drei Gestalten steigen aus, die aussehen wie Henker. Einer von ihnen, großwüchsig, elegant gekleidet […] ruft: ›Wir sind schon da‹, wendet sich den anderen beiden Personen zu und befiehlt ihnen gebieterisch, an der Hausnummer 274 zu klingeln und vorschriftsmäßig Pablo Sabater, den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Färber, zu verhaften. […]. Der Festgenommene taumelt, gemartert von der schrecklichen Qual, die die Handschellen an seinen Handgelenken verursachen. Schon auf der Straße, packen ihn die Drei und stoßen ihn wie einen Strohballen ins Innere des Wagens. Mit ausgeschalteten Scheinwerfern nimmt das Auto Fahrt in Richtung Carretera de Montcada auf. […] Mitten auf der Carretera de Montcada, in der Nähe des Torre Barj, stoppt der 753 754 755 756
Ein entsprechender Bericht findet sich in El Correo Catal#n, 4. 1. 1935, S. 1. Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 75. Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 88. Manuel Casal Gjmez war nach der Neuordnung der Polizei Barcelonas im Jahr 1917 genau wie Bravo Portillo der Leiter von einem der zehn Polizeireviere, vgl. El Correo Catal#n, 29. 8. 1922, S. 3. 757 Zum Streik der Färber im Juli 1919, siehe Abad de Santall#n, Contribucijn, S. 241.
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Wagen mit einer Vollbremsung seine rasante Fahrt neben einem Straßengraben und die drei Übeltäter, die sich in seinem Inneren befanden, befehlen dem Festgenommenen aus dem Wagen zu steigen, wobei sie ihn mit ihren ›Star‹-Pistolen bedrohen. […] ›Tötet mich nicht! Ich bitte Euch bei Euren Müttern, bei euren Kindern! Erbarmen! Erbarmen!‹ fleht er auf Knien. Doch jene grimmigen, gefühllosen, grausamen und satanischen Männer werfen ihn gewaltsam in den Straßengraben und alle drei schießen gleichzeitig auf den gefesselten, wehrlosen Unglücklichen. […] Die Mörder, die Grausamkeit vollendet, die ungeheuerliche, monströse Tat, steigen in das luxuriöse, wie Lack glänzende Auto und von Befriedigung strotzend, kehren sie in die hellerleuchtete Stadt zurück […].«758
Für die Arbeiterbewegung von Barcelona war dieser Mord ein schwerer Schlag, da Sabater dort großes Ansehen genossen hatte und dementsprechend beispielsweise von Ricardo Sanz als »Vaterfigur« bezeichnet worden war. Dessen Meinung nach war es vor allem der Verdienst Sabaters, dass die Sektion der Färber der Sindicatos 5nicos in Barcelona zu einer der stärksten und am besten organisierten geworden war.759 Sabater war erst drei Wochen zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden, nachdem er in einem Prozess wegen des versuchten Attentats auf den Arbeitgeber Trinchet freigesprochen worden war.760 Bereits im Februar des vorangegangenen Jahres war er verdächtigt worden, an der Ermordung des Geschäftsführers einer Fabrik beteiligt gewesen zu sein, weshalb er dort mit acht weiteren Verdächtigen in Untersuchungshaft gesessen hatte.761 Aus diesem Grund soll Sabater, wie noch sechs weitere Personen, auf einer schwarzen Liste gestanden haben, von denen aber nur Jos8 Castillo namentlich bekannt ist, der wenige Tage nach Sabater ermordet wurde.762 Einen vom Ablauf her sehr ähnlichen Mordanschlag wie den auf Sabater, bei dem sich die Täter als Polizisten ausgaben, 758 Vgl. Casal Gjmez, Banda Negra, S. 73ff. Eine ähnlich umfangreiche, wenn auch in ihrer literarischen Überhöhung nicht annähernd so treffende Beschreibung dieser Tat findet sich bei Leon-Ignacio, AÇos, 71ff. Während dessen Bericht im Großen und Ganzen mit der Schilderung von Casal Gjmez übereinstimmt, gibt es doch einige interessante Unterschiede. So sollen es nach Leon Ignacio nicht ein, sondern zwei Autos gewesen sein und eines von ihnen von Joan Serra, dem Sohn des Fabrikanten mit demselben Namen, gefahren worden sein. Laut der Autopsie sollen die Täter das Opfer erst geschlagen und dann sechs Schüsse darauf abgegeben haben, von denen zwei tödlich waren. Als Tatort nennt er das damals noch nicht urbanisierte Camp de l’Arpa. Auch in der Lokalpresse wurde ausführlich über die Tat berichtet, siehe El Diluvio, 23. 7. 1919, S. 9, 24. 7. 1919, S. 9, 25. 7. 1919, S. 9 und 27. 7. 1919, S. 9, sowie El Noticiero Universal, 20. 7. 1919, S. 3, 31. 7. 1919, S. 4 und 6. 8. 1919, S. 5. 759 Vgl. Sanz, El sindicalismo espaÇol, S. 109. Auch Federica Montseny erinnerte sich in ihrer Autobiographie respektvoll an Sabater, den sie als »eine zentrale Figur in den Arbeitskämpfen jener Epoche« bezeichnet, vgl. Montseny, Primeros, S. 33. 760 Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 104. 761 Vgl. El Diluvio, 22. 2. 1918, Morgenausgabe, S. 7. 762 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 71. Den Mord an Castillo beschreibt Balcells, ViolHncia Social, S. 23.
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hatte es bereits am 23. April auf den Sekretär der Gewerkschaft des Baugewerbes, Pedro Masoni gegeben. Dieser wurde dabei zwar verletzt, konnte aber flüchten.763 Für den Mord an Sabater musste sich im Mai 1922, also knapp drei Jahre nach der Tat, nur Luis Fern#ndez verantworten und auch er wurde schließlich mangels eindeutiger Beweise freigesprochen.764 Allerdings gab er zu, kurz vor der Tat aus Frankreich, wo er auch schon für die Polizei gearbeitet hätte, nach Barcelona gekommen zu sein und dort im Auftrag von Manuel Bravo Portillo, der ihm eine Wohnung besorgt hätte, Arbeiter bespitzelt zu haben, angeblich, um Streiks zu verhindern.765 Auch wenn also niemand für den Mord an Sabater direkt zur Verantwortung gezogen wurde, haben wahrscheinlich Angel PestaÇa und andere Autoren recht mit der Behauptung, dass dieser Mord von der Bande Bravo Portillos ausgeführt wurde.766 Diese war im Vergleich zur Bande von Joan Rull und der von Francisco Martorell wesentlich größer und besser organisiert, wie die Übersicht (Abb. 56) illustriert.
Abb. 56: Organisationsstruktur der Banda Negra
Wie die Übersicht zeigt, war die Bande in drei Kleingruppen untergliedert. Die Mitglieder der ersten Gruppe sollten Informationen sammeln, die der zweiten wurden als eine Art V-Männer in Arbeiterkreise eingeschleust und die der dritten waren als Provokateure in den Fabriken und an anderen Arbeitsstätten aktiv.767 Dass die Banda Negra auch Auftragsmorde an missliebigen Arbeitern 763 Eine Beschreibung dieses Attentats findet sich in EspaÇa Nueva, 9. 7. 1919, S. 2. 764 Das Urteil findet sich in ATSJC, Libro de Sentencia 1922, Jurado, X 2346880. 765 Über den Prozess gegen Fern#ndez Garcia berichten El Diluvio, 26. 04. 1922, S. 14 und 12. 05. 1922, S. 27 sowie El Correo Catal#n, 12. 5. 1922, S. 1f. und La Publicidad, Morgenausgabe, 12. 5. 1922, S. 3. 766 Vgl. PestaÇa, Vida, S. 81. 767 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 146. Siehe auch Casal Gjmez, Banda Negra, S. 108. Nach Leon Ignacio, AÇos, S. 66 soll jede dieser Gruppen etwa zehn Personen umfasst haben, was
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ausgeführt hat und sie so für eine Vielzahl der 1919 erfolgten Attentate verantwortlich gewesen sei, scheint übertrieben, da nur der Mord an Pablo Sabater eindeutig dieser Bande zugeordnet werden kann.768 Sämtliche Mitglieder der Bande sollen mit Waffen ausgerüstet worden sein und eine tägliche Bezahlung erhalten haben.769 Wenn jemand die Gruppe wieder verlassen wollte, wurde er anscheinend mit dem Tode bedroht.770 Auch wenn die meisten Quellen von 50 bis 60 Mitgliedern ausgehen, scheint aufgrund der Tatsache, dass nur relativ wenige Personen eindeutig dieser Bande zugeordnet werden können, Angel PestaÇas Schätzung realistischer, derzufolge nur etwa 15 bis 20 Personen tatsächlich fest zu dieser Bande gehörten.771 Sämtliche Quellen stimmen darüber überein, dass der Kopf des Teils der Bande, die vor allem die Gewaltakte durchführten, der aus Mallorca stammende ehemalige Sträfling Antonio Soler war.772 Auch die anderen Mitglieder wurden aus den unteren Gesellschaftsschichten und dem kriminellen Milieu rekrutiert.773 Zu den Bandenmitgliedern sollen mit Epifanio Casas sowie Mariano Sanz auch zwei ehemalige Mitglieder der Bande von Martorell gehört haben.774 Außerdem sollen Luis Fern#ndez, Jerjnimo Botanero, Juan Rodr&guez, ]ngel Fern#ndez und Paco genannt »der Blonde«, der ehemalige Polizist Theran, der vom Dienst suspendiert worden war, Bernardo Armengol und Eduardo Ferrer, die beide zuvor Positionen in Gewerkschaften hatten, von denen sie ausgeschlossen wurden, der
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ebenfalls dafür spricht, dass die Bande deutlich weniger als die oft genannten 50 bis 60 Mitglieder hatte. Die Behauptung, dass es auch Aufgabe der Bande gewesen sei, Arbeiter auszuschalten, findet sich bei Madrid, Ocho meses, S. 59 und PestaÇa, Terrorismo, S. 106. Dagegen argumentiert del Rey, dass die Bande bis zu ihrer Auflösung im Mai 1920 neben den bereits erwähnten Morden nur für ein bis zwei weitere Tote und einige Verletzte verantwortlich sei, die aber nicht wie Sabater gezielten Attentaten zum Opfer fielen, sondern aus Schießereien resultierten, die sich die Bande mit Aktionsgruppen der CNT lieferte, vgl. ders. Proprietarios, S. 518. Laut Madrid, Ocho meses, S. 59 wurden die Waffen sowie eine Lizenz für deren Gebrauch vom Kommandanten Perales auf Antrag von Bravo Portillo beschafft. Bezüglich der Bezahlung, die die Mitglieder der Bande täglich erhalten haben sollen, nennen Serrano, Ciudad, S. 172f. und Ventura Subirats, Personalidad, S. 114 die Summe von 50 Peseten. Dagegen waren es laut Madrid, Ocho meses, S. 58 und Leon Ignacio, AÇos, S. 66 nur 15 Peseten. Selbst das war immer noch ein deutlich besserer Lohn, als ihn ein qualifizierter Arbeiter zu dieser Zeit erhielt. Vgl. Madrid, Ocho meses, S. 64. Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 38. Nach Leon Ignacio, AÇos, S. 117, soll die Bande bis zu 70 Mitglieder gehabt haben. Vgl. Madrid, Ocho, S. 61, demzufolge Soler in der Calle del Este 14 im Barrio Chino gewohnt haben soll, sowie Ventura Subirats, Personalidad, S. 112, PestaÇa, Terrorismo, S. 106 und Leon Ignacio, AÇos, S. 66. Vgl. Ventura Subirats, Personalidad, S. 112, Leon Ignacio, AÇos, S. 117 und Madrid, Ocho meses, S. 58. Vgl. Marinello, Violencia, S. 319f.
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Bande angehört haben.775 In der Abbildung 57 wurden die Personen aufgeführt, die höchstwahrscheinlich zur Banda Negra gehörten.
Abb. 57: Mutmaßliche Mitglieder der Banda Negra
Wie bereits die vermeintlichen Mitglieder der Bande von Martorell etwa fünf Jahre zuvor, wurden auch die Mitglieder der Banda Negra bald auch selbst Ziel von Attentaten. Am 8. September 1919 wurde deren Chef Manuel Bravo Portillo von Pistoleros ermordet, die vermutlich den Aktionsgruppen der CNT angehörten, auf die im folgenden Unterkapitel noch genauer einzugehen sein wird.776 Nur zwölf Tage später ereilte Eduardo Ferrer, der früher einmal Präsident der Metallgewerkschaft gewesen war, dann zum Polizeispitzel wurde und schließlich ebenfalls zur Bande von Bravo Portillo gehört haben und sich an dem Attentat auf Sabater beteiligt haben soll, das gleiche Schicksal.777 Vor allem der Mord an Bravo Portillos löste in der Arbeiterschaft Barcelonas große Freude aus, weil damit die Hoffnung verbunden war, dass sich nach dem Tod von Bravo Portillo die Banda Negra auflösen würde.778 Stattdessen übernahm aber nun mit Rudolf Stallmann, der sich als »Baron von König« ausgab, ein Mann deutscher Herkunft die Führung der Bande, bei dem es sich um die vielleicht schillerndste Person unter den Gewaltakteuren Barcelonas im Untersuchungszeitraum handelt. Deshalb verwundert es nicht, dass bereits einige namhafte katalanische Schriftsteller Figuren in ihren Romanen dieser historischen Vorlage nachempfunden haben. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Eduardo Mendozas Debüt775 Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 106 sowie Madrid, Ocho meses, S. 59. 776 Berichte der Lokalzeitungen über den Mord an Bravo Portillo finden sich etwa in La Publicidad, 3. 9. 1919, S. 3, El Diluvio, 6. 9. 1919, S. 10f., 7. 9. 1919, S. 9, 9. 9. 1919, S. 7 und 12. 9. 1919, S. 9 sowie El Noticiero Universal, 5. 9. 1919, S. 7, 6. 9. 1919, S. 5 und S. 23 sowie 19. 9. 1919, S. 5. 777 Berichte über den Mord an Ferrer finden sich in La Publicidad, 18. 9. 1919, S. 3 und EspaÇa Nueva, 18. 9. 1919, S. 2. In derselben Zeitung erschienen zwei Artikel über dessen Leben. Angel Semblacat zufolge soll er des Geldes wegen zu einem Verräter geworden sein, vgl. EspaÇa Nueva, 23. 9. 1919, S. 1 und 24. 9. 1919, S. 2. 778 Vgl. Madrid, Ocho meses, S. 60.
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roman »La Verdad sobre el caso Savolta« (dt.: Die Wahrheit über den Fall Savolta) in dem der Industrielle Savolta einen jungen Franzosen namens Paul Andr8 Lepprince (dt.: Der Prinz) engagiert.779 Während Salvolta selbst große Ähnlichkeit mit dem in dieser Arbeit bereits erwähnten Jos8 Alberto Barret aufweist und im Roman genau eine Woche später als sein historisches Vorbild ermordet wird, trägt Lepprince hinsichtlich seines Charakters viele Züge, die auch dem real existierenden Rudolf Stallmann alias »Baron von König« zugeschrieben wurden.780 Ein weiteres Beispiel für dessen literarischer Adaption ist der Roman »Incerta glkria« (dt.: Ungewisser Ruhm) von Joan Sales, in dem Stallmann sogar zweimal in Erscheinung tritt, einmal als Baron von König und einmal als dessen Reinkarnation in den 1930er Jahren als »Lamoneda«, (dt.: das Vermögen), eine Anspielung auf einen weiteren Decknamen Stallmanns, Lemoine, dem Mädchennamen seiner Frau.781 Doch selbst in historischen Darstellungen gehen die Angaben in den Quellen hinsichtlich des Namens, Geburtsdatums, der Ankunft und der genauen Dauer des Aufenthalts in Barcelona, des weiteren Lebens und den genauen Umständen des Todes von Rudolf Stallmann sehr weit auseinander. Um zu vermeiden, hier einen weiteren Beitrag zur Mystifizierung dieses Mannes zu leisten, soll sich bei der Darstellung seiner Biographie lediglich auf die Fakten gestützt werden, die durch die Quellen eindeutig gesichert scheinen. So wird er zum ersten Mal in einem Gerichtsprozess erwähnt, bei dem sich Stallmann und zwei weitere Angeklagte für einen im Zusammenhang mit Glückspiel stehenden Erpressungsversuch verantworten mussten, weswegen Stallmann im August 1912 in London verhaftet worden war und anschließend neun Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte.782 Dem Vernehmungsprotokoll zufolge wurde der als mittelgroß und sehr intelligent beschriebene Rudolf Stallmann am 14. April 1871 als Sohn des Kaufmanns Louis Stallmann in Berlin geboren. Vor dem Prozess war er schon zweimal wegen kleinerer Delikte strafrechtlich in Erscheinung getreten. Im ersten Fall war er wegen Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu einer Woche Gefängnis und im zweiten Fall wegen Zechprellerei und Führung eines falschen Namens zu einem Monat Gefängnis und drei Tagen Haft 779 Dieser Roman liegt bereits in deutscher Übersetzung vor, vgl. Mendoza, Wahrheit. 780 Für einen allgemeinen Überblick über die literarische Verarbeitung des anarchistischen Terrorismus und des Pistolerismo in Barcelona, vgl. Sueiro Seoane, Terrorismo, bes. S. 62ff. Einen ausführlichen Abgleich des Romans von Eduardo Mendoza mit der historischen Wirklichkeit bietet Soubeyroux, Historia. 781 Dieser Roman liegt bisher nur in englischer Übersetzung vor, vgl. Sales, Uncertain Glory. Eine umfangreiche Analyse zu diesem Roman im Hinblick auf die Adaption der historischen Figur Rudolf Stallmanns bietet Cornell/-Detrell, Literature, S. 154ff. 782 Vgl. Dieser Prozess wird unter dem Titel »Der König der Spieler. Rudolf Stallmann und Genossen auf der Anklagebank« wiedergegeben in Friedländer, Kriminal-Prozesse, S. 103ff.
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verurteilt worden. Nach eigener Aussage hatte Stallmann zuerst ein Gymnasium besucht und dann bei einem Privatlehrer Sprachen gelernt. Nach einer Amerikareise begab er sich nach Monte Carlo, wo er innerhalb von sechs Monaten sein gesamtes Geld verspielte. Über Paris reiste er anschließend nach Spa, wo er sich zum ersten Mal »König« nannte, um zu vermeiden, dass sein richtiger Name in den von den internationalen Spielklubs nach Berlin gesandten Listen auftauchte. In Belgien machte er die Bekanntschaft von Marquet, der dort aufgrund eines erfolgreichen Prozesses die Erlaubnis erhalten hatte, Spielklubs zu gründen. Stallmann selbst führte neun solcher Klubs, die ihm ein Vermögen von 100 000 Franken eingebracht haben sollen, mit denen er nach London übersiedelte. Er bezeichnete sich fortan als »Baron von König«, was er vor Gericht damit erklärte, dass ein solcher Titel »einen gewissen Vorteil« habe, zum Beispiel zuvorkommenderen Service in Hotels, und er deshalb »eine Stufe höher gegangen« sei. 1905 reiste er erneut nach Südamerika. Dabei lernte er seine spätere Frau kennen, deren Mädchenname Lemoine war und die einer äußerst wohlhabenden argentinischen Familie entstammte. In dem Gerichtsprozess in Berlin, dessen Unterlagen die vorstehenden Angaben über sein Leben und Wirken entnommen sind, wurde Stallmann wegen Betrugs zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, von dem er schon neun Monate in Untersuchungshaft verbüßt hatte, sodass er bereits drei Monate später wieder auf freiem Fuß war. Nach Ableistung seiner Haftstrafe setzte er sich nach Frankreich ab und wurde von dort nach Beginn des Krieges als französischer Spion nach Spanien geschickt. Auskunft über die nun folgende Zeit in Spanien geben laut Fernando del Rey, dem die bisher umfangreichste Darstellung der Banda Negra in der Sekundärliteratur zu verdanken ist, die beiden verlässlichsten Quellen, das bereits erwähnte Buch über die Banda Negra des ehemaligen Polizeikommissars Manuel Casal Gjmez und ein Bericht des damaligen Polizeichefs Arlegui von Barcelona vom 12. Dezember 1919.783 Beide stimmen darin überein, dass Stallmann bis zum Sommer 1917 in Hondarribia im Nordosten des Baskenlandes an der französisch-spanischen Grenze lebte. Danach soll er sich an verschiedenen Orten in Spanien aufgehalten haben, bis er dann schließlich im September 1918 nach Barcelona kam. Nach dem Tod von Bravo Portillo soll Stallmann in Kontakt mit der Federacijn Patronal getreten sein, die ihm im Gegensatz zu seinem Vorgänger Bravo Portillo aber die Unterstützung verweigerte. Der Polizeichef Arlegui ordnete am 22. Dezember 1919 eine Hausdurchsuchung bei Stallmann an. Nach einem Gespräch räumten die beide aber ihre Differenzen aus und die Banda Negra wurde unter Führung Stallmanns nun zu einer Art Hilfspolizei, die Durchsuchungen
783 Vgl. Casal Gjmez, Banda Negra sowie Del Rey, Proprietarios.
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durchführen und Syndikalisten verhaften durfte.784 Diese Wende wirkt etwas überraschend, da der eingangs zitierte Doval rund ein halbes Jahr nach seiner Ankunft in Barcelona sich in einem Bericht darüber beschwerte, dass die offizielle Polizei und die Parallelpolizei in Konkurrenz zueinander stünden und sich hassen würden.785 Außerdem soll die Bande unter der Leitung von Stallmann dazu übergegangen sein, von Arbeitgebern Schutzgeld zu erpressen. Dass sie aber, wie der britische Schriftsteller Gerald Brenan in einer der ersten ausländischen Darstellungen zur Geschichte Spaniens vor dem Bürgerkrieg behauptet, auch Arbeitgeber erschoss, die nicht zahlen wollten, lässt sich anhand der Quellen nicht belegen.786 Rudolf Stallmann und das wichtigste Bandenmitglied Antonio Soler wurden Opfer von Attentaten, die sie aber im Gegensatz zu Bravo Portillo überlebten.787 Am 23. April 1920 lieferte sich die Banda Negra eine Schießerei mit einer Aktionsgruppe der CNT, bei der Progreso Rodenas verletzt wurde, der Bruder von Libertad Rodenas, die in der Textilgewerkschaft aktiv war. Anschließend wurde Bernado Armengol festgenommen, der im Gefängnis ein umfangreiches Geständnis über seine Mitgliedschaft in der Banda Negra und deren Struktur und Funktionsweise ablegte. Das ermöglichte es der CNT, gegen die Bande in die Offensive zu gehen.788 Nur wenige Tage später kam es an dem als »Peso de la Paja« (dt.: Federgewicht) bekannten Platz an der Ronda de Sant Antoni, den die Banda Negra regelmäßig als Treffpunkt nutzte, zu einer Schießerei, bei der mit Pedro Torrents Capdevila und Mariano Sanz zwei Bandenmitglieder verletzt wurden und ein Aktivist der CNT starb.789 Diese Ereignisse riefen große öffentliche Proteste hervor, sodass sich die Federacijn Patronal genötigt sah, sich öffentlich von der Banda Negra zu distanzieren. Deshalb schrieb Tom#s Benet, der Repräsentant der Federacijn Patronal in Madrid, am 17. Mai 1920 einen Brief an die Zeitung El Pa&s (dt.: Das 784 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 514. 785 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 492. 786 Vgl. Brenan, Labyrinth, S. 72f. Einige Quellen behaupten lediglich, dass die Bande für das Attentat auf Graupera verantwortlich gewesen sei, vgl. Casal Gjmez, Banda Negra, S. 146 und Madrid, Ocho meses, S. 71. Romero Salvadj, Dirty War, S. 180f. spricht hingegen nur von Schutzgelderpressung. 787 Den Mordanschlag auf Stallmann beschreibt Calderjn, Memorias, S. 278. Das Attentat auf Antonio Soler erwähnt Madrid, Ocho meses, S. 71. 788 Vgl. Smith, Anarchism, S. 324, der sich dabei vor allem auf die Darstellung von Leon Ignacio, AÇos, S. 124, stützt. 789 Ein Zeitungsbericht dazu findet sich in El Sol, 30. 4. 1920, S. 1. Eine umfangreiche Beschreibung bieten Madrid, Ocho meses, S. 74ff. und Leon Ignacio, AÇos, S. 122f. Knapp zwei Jahre später wurde die Schießerei vor Gericht verhandelt, wobei Restituto Gjmez, Alberto Manzano Casabalder und Jos8 Berros S#nchez angeklagt wurden, vgl. El Diluvio, 16. 3. 1922, S. 19. Etwas mehr als zwei Jahre später gab es am selben Platz erneut eine Schießerei, siehe El Noticiero Universal, 24. 7. 1922, S. 7.
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Land), der dort zwei Tage später veröffentlicht wurde. Darin stellte er klar, dass seine Organisation niemals mit Stallmann kooperiert hätte und dessen Aktionen auch nicht in ihrem Sinne wären. Stallmann antwortete darauf eine Woche später in einem Brief an Benet, der am 11. Juni ebenfalls in der in Madrid ansässigen Zeitung El Sol (dt: Die Sonne) veröffentlicht wurde. In diesem bezeichnet sich Stallmann als Leiter der »Polic&a Patronal« (dt.: Polizei der Arbeitgeberschaft) und behauptet, dass ihm die Federacijn Patronal 200 000 Peseten versprochen habe, für den Fall, dass ihm etwas zustoßen würde. Weiterhin gibt er in dem Schreiben bekannt, dass seine Gruppe vor zwei Wochen aufgelöst worden sei, mit der Begründung, dass er nicht weiter zusammen mit dem als deutschfreundlich geltenden Arbeitgeberpräsidenten FHlix Graupera zusammenarbeiten könne.790 Anfang Juni wies der konservative Staatsminister Francisco Bergam&n schließlich den Gouverneur von Barcelona, Salvatierra, der Stallmann bis dahin unterstützt hatte, an, diesen zu verhaften. Stallmann stellte sich am 3. Juni freiwillig der Polizei und wurde am Ende des Monats aus Spanien ausgewiesen.791 Er emigrierte nach Frankreich, wo er den Namen seiner Frau, Lemoine, annahm und wieder unter dem Decknamen »Rex« für den französischen Geheimdienst arbeitete.792 In dieser Funktion soll er unter anderem Anfang der 1930er-Jahre den Kontakt zu Hans-Thilo Schmidt hergestellt haben, der in der Chiffrierstelle in Berlin arbeitete und durch den die Franzosen erste wichtige Informationen erlangten, die den Alliierten später halfen, den Verschlüsselungscode der von den Deutschen verwendeten Chiffriermaschine »Enigma« zu entschlüsseln. Nach der Besetzung Frankreichs setzte sich Stallmann in den freien Süden ab, wo er aber im Dezember 1942 von den Nationalsozialisten verhaftet wurde. Weil er diesen sein gesamtes Wissen preisgab, konnte er nun auch im Dritten Reich ein relativ angenehmes Leben führen. Nach dem Kriegsende, das Stallmann in Berlin erlebte, waren seine Kenntnisse der Stadt und der deutschen Sprache nun zunächst für die Besatzungsmacht von großem Nutzen. Als aber der französische Geheimdienst Stallmann in Berlin lokalisiert hatte, wurde dieser am 27. Oktober 1945 verhaftet und zum Verhör nach
790 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 517. Der Briefwechsel zwischen Benet und Stallmann ist dokumentiert in El Fructador vom 19. Juni 1920. Sein früherer Förderer, Miro y Trepat, verlor seinen Posten als Schatzmeister der Federacijn Patronal und emigrierte nach Belgien, vgl. EspaÇa Nueva, 2. 6. 1920, S. 1. 791 Vgl. Pradas Baena, L’Anarquisme, S. 143. 792 Bereits am 7. Juni 1920 berichtete EspaÇa Nueva, S. 2, dass sich Stallmann nun in Frankreich aufhalten würde. Nach Foix soll Stallmann nach der Machtübernahme Primo de Riveras am 13. September 1923 und der anschließenden Ernennung von Mart&nez Anido zum Minister diesem von Paris aus seine Dienste angeboten haben, vgl. ders. Archivos, S. 111.
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Wildbad im Schwarzwald gebracht. Dort unter Arrest gestellt, starb er am 3. Oktober 1946 an einem Anfall von Hämoptyse im Alter von 75 Jahren.793 Nach der Ausweisung Stallmanns zerfiel die Banda Negra rasch. Einige Bandenmitglieder flüchteten aus Barcelona, darunter Antonio Soler, der dabei einem Attentat zum Opfer gefallen sein soll.794 Von den in Barcelona verbliebenen Bandenmitgliedern wurden nur zwei für ihre Taten zu Gefängnisstrafen verurteilt.795 Die anderen Bandenmitglieder fielen Attentaten zum Opfer. Bereits am 12. Mai 1920 wurde Pedro Torrens ermordet, der bei der Schießerei Ende April verwundet worden war.796 Drei Jahre später wurde am 19. Mai 1923 mit Bernardo Armengol, das vermeintlich letzte in Barcelona verbliebene Mitglied der Banda Negra erschossen. Vorher waren bereits die ehemaligen Bandenmitglieder Mariano Sanz, Julio Laporta und Ernesto Queralt Attentaten zum Opfer gefallen.797 Im Sommer 1922 soll es noch einmal eine von mehreren Industriellen finanziell unterstütze Gruppe von Pistoleros gegeben haben, bei der Pere M/rtir Homs eine führende Position einnahm und die innerhalb der Sindicatos Libres angesiedelt war.798 Homs hatte anfangs als Anwalt inhaftierte CNT-Aktivisten verteidigt, später aber die Seiten gewechselt.799 Die Bande soll unter anderem für das Attentat auf den gemäßigten Arbeiterführer Salvador Segui verantwortlich gewesen sein, woraus Angel Smith schließt, dass es das Ziel dieser Gruppe war, den Krieg der Pistoleros neu zu entfachen und dadurch eine neuerliche Re793 Zum Wirken Stallmanns als französischer Spion siehe Beck/Verhoeyen, Agents. Zu seiner Rolle bei der Entschlüsselung von Enigma, siehe Kahn, Seizing, S. 67f., der sich dabei, ohne es direkt zu kennzeichnen, vermutlich auf die früher erschienene französische Ausgabe von Paillole, Spy, bezieht, dem Chef des französischen Geheimdienstes während des Zweiten Weltkrieges. 794 Vgl. del Rey, Proprietarios, S. 518. Sowohl EspaÇa Nueva, 28. 5. 1920, S. 3 sowie Casal Gjmez, Banda Negra, S. 153, berichten, dass mehrere Bandenmitglieder ins Ausland geflohen seien. Über das Attentat an Soler berichtete El Correo Catal#n, 21. 7. 1920, S. 3. Nach Leon Ignacio, AÇos, S. 126f. gibt es aber auch anderslautende Berichte, nach denen Soler die Flucht überlebte. 795 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 126f. 796 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 125. Die Gerichtsverhandlung zu diesem Attentat beschreibt El Noticiero Universal, 3. 4. 1922, S. 9. 797 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, bes. S. 126f., S. 135, S. 142, S. 169 und S. 282. Ob die Opfer sich, wie bei Gonz#lez Calleja, M#user, S. 168 und Balcells, ViolHncia Social, S. 23 angedeutet, den Sindicatos Libres angeschlossen hatten, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Für den Mord an Ernesto Queralt wurden die beiden ehemaligen Bandenmitglieder Mariano Sanz und Fernando Armengol festgenommen und schließlich Jos8 Cervellj Castellj und Manuel Mar&nez Castellanos verurteilt, was El Diluvio vermuten ließ, dass in diesem Fall ehemalige Mitglieder der Banda Negra für den Mord verantwortlich waren, vgl. El Diluvio, 21. 10. 1920, S. 12 und 28. 5. 1921, S. 16. 798 Vgl. Termes, Anarquismo, S. 326. Nach Madrid, Ocho meses, S. 120, soll Homs in Barcelona neben Attentaten auch Überfälle geplant haben. 799 Vgl. Garc&a Oliver, Ecos, S. 72.
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pression der CNT zu provozieren.800 Homs soll teilweise auch persönlich an Attentaten beteiligt gewesen sein und war später selbst Ziel eines Anschlags.801 Schließlich wollte während der Zweiten Republik der Polizeichef Miguel Badia noch einmal eine ähnliche Parallelpolizei installieren, dies scheiterte aber an der persönlichen Intervention von Llu&s Companys, der Angst hatte, dass die Verhältnisse des Pistolerismo wieder zurückkehren könnten.802 Zu Beginn der Zweiten Republik machte noch einmal eine »Banda Negra« von sich reden. Hierbei handelte es sich aber lediglich um eine kleine Gaunerbande, die sich auf Einbrüche spezialisiert hatte.803 Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die staatsnahen Gewaltgemeinschaften, die in Barcelona während des Untersuchungszeitraums agierten, durchaus den vorangestellten theoretischen Überlegungen zu den »kollektiven Vigilanten« des amerikanischen Politikwissenschaftlers David Kowalewski entsprechen. So wurden sowohl die Bürgerwehr Somat8n wie auch die Banda Negra gebildet, um die Polizei zu unterstützen, der es alleine offensichtlich nicht gelang, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Doch sowohl die Somat8n als auch besonders die Banda Negra trugen dann eher zur Eskalation der Gewalt bei und bestätigen damit die These Kowalewskis, demzufolge sich Vigilanten nicht selten der staatlichen Kontrolle entziehen und ihre Gewaltanwendung deshalb oft außer Kontrolle gerät. Während man den Somat8n besonders während des Canadenca-Streiks und während der Diktatur Primo de Riveras durchaus eine gewisse ordnende Funktion nicht absprechen kann, entwickelte sich die Banda Negra von einer Parallelpolizei besonders nach dem Mord an ihrem ersten Anführer, Manuel Bravo Portillo, unter seinem Nachfolger Rudolf Stallmann immer mehr zu einer Bande, die weitgehend unabhängig vom Staat agierte. Dies mag auch an ihren Mitgliedern gelegen haben, die sich nicht wie bei den Somat8n aus dem Bürgertum Barcelonas, sondern vor allem aus dem kriminellen Milieu rekrutierten. Auf diese Weise hatte die Banda Negra starke Ähnlichkeit mit den staatsfernen Gewaltgemeinschaften, die in vielen Fällen
800 Vgl. Smith, Anarchism, S. 347. 801 So sagte Felipe Manero Franc8s, der ehemalige Präsident der Bekleidungsgewerkschaft, auf den am 26. April 1923 ein Attentat verübt wurde, aus, dass er als einen der beiden Angreifer Homs erkannt habe, vgl. El Noticiero Universal, 26. 4. 1923, S. 14 und 27. 4. 1923, S. 7. Auf Homs selbst wurde am 4. Juni 1923 ein Attentat verübt, bei dem ein Polizist getötet wurde, vgl. El Noticiero Universal, 4. 6. 1923, S. 12. 802 Auch weiterhin wurden Spitzel eingesetzt. So berichtete La Noche am 17. 6. 1933, S. 3, dass in der Straße Riera de Magoria ein vermeintlicher Polizeispitzel ermordet worden sein soll. Der Journalist Planes behauptete, dass die Polizei aufgrund von Geldmangel nur noch mit wenigen Spitzeln zusammenarbeiten würde und dass statt der bisher dafür aufgewendeten 1500 Peseten mindestens 10 000 nötig wären, vgl. ders., G/ngsters, S. 16. 803 Vgl. El Diario de Barcelona, 13. 11. 1932, S. 13.
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sogar gegen diesen agierten und im folgenden Unterkapitel behandelt werden sollen.
4.1.2 Strukturen und Funktionsweisen beispielhafter staatsferner Gewaltgemeinschaften In dem »Libro de Sentencia« des Jahres 1930 findet sich folgende Anklageschrift vom 24. November : »Die Angeklagten Joaquin Caball8 (a) Chimo und Guillermo Ruiz (a) Ajero, der erste bereits verurteilt 1920 wegen eines Sprengstoffanschlags, wegen zweifachen Diebstahls im Jahr 1927 sowie wegen Einbrüchen in den Jahren 1926 und 1927, der zweite wegen Vertuschung eines Diebstahls im Jahr 1921, öffneten am Nachmittag des 26. Oktober 1929 mit Hilfe eines Dietrichs die Tür der Wohnung von Don Miguel Rodriguez in der Calle del Rosal Nr. 76, dritter Stock, Wohnung Nr. 1 und stahlen Kleider und andere Wertsachen im Wert von insgesamt 237 Peseten, von denen ein Teil im Wert von 116 zurückerlangt werden konnten, die die bereits verurteilte Angela Bou illegal für 45 Peseten im Gebrauchtwarenladen ›La Confianza‹ von Don Tomas Gali in der Calle de Roig Nr. 15, 1. Stock weiterverkaufte, wie ihr bereits nachgewiesen wurde.«804
Schließlich wurden Joaquin Caball8 zu vier und Guillermo Ruiz in diesem Prozess zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Dieser Fall ist, abgesehen von den harten Strafen, vor allem deshalb besonders bemerkenswert, weil er verdeutlicht, dass Gewaltakteure in Barcelona während der Zwischenkriegszeit über längere Zeiträume aktiv waren und dabei ganz unterschiedliche Straftaten begingen. So war Caball8 mehr als elf Jahre vor dieser Gerichtsverhandlung bereits als damals 14-Jähriger zum ersten Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten, allerdings mit einer Straftat, die sich von seinen späteren Vergehen deutlich unterschied und die er zudem in einem ganz anderen Kontext beging. Vermutlich durch anarchistische Kreise dazu beauftragt, hatte er auf dem Passeig de Gr/cia einen Sprengsatz zur Explosion gebracht, wobei mehrere Personen zu Schaden kamen.805 Dafür erhielt er eine langjährige Haftstrafe und wurde erst 1926 vorzeitig entlassen.806 Wie aus der Anklageschrift hervorgeht, geriet er später mehrfach wegen Eigentumsdelikten mit dem Gesetz in Konflikt. 804 Vgl. ATSJC, Libro de Sentencia 1930 Tomo 3, 24. 11. 1930, D2131865. 805 Siehe die ausführliche Berichterstattung über diesen Fall in der lokalen Presse, zum Beispiel in El Noticiero Universal, 6. 8. 1919, S. 3, 7. 8. 1919, S. 5, 29. 8. 1919, S. 4, 20. 10. 1919, S. 1 und 8. 10. 1925, S. 16, El Diluvio, 30. 8. 1919, S. 9, 7. 3. 1920, S. 13, 10. 3. 1920, S. 12, 10. 3. 1920, S. 24 und 11. 3. 1920, S. 12 sowie El Diario de Barcelona, 8. 10. 1925, S. 22. 806 Der Prozess ist dokumentiert in EspaÇa Nueva, 9. 3. 1920, S. 3, La Publicidad Morgenausgabe, 4. 3. 1920, S. 10, Abendausgabe, 8. 3. 1920, S. 4, Abendausgabe, 9. 3. 1920, S. 3f., sowie Morgenausgabe, 10. 3. 1920, S. 3. Caball8s Begnadigung wird vermeldet in Las Noticias,
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Man könnte argumentieren, dass es sehr wahrscheinlich sein dürfte, dass Caball8 dieses Bombenattentat nicht als überzeugter Anarchist beging, sondern weil er dafür bezahlt worden war. Außerdem deutet die Tatsache, dass ihm der katalanische Schriftsteller Segio Vila-Sanju#n später in seinem vor Kurzem erschienenen Roman »Una heredera de Barcelona« (dt.: Eine Erbin aus Barcelona) ein literarisches Denkmal gesetzt hat, zusätzlich darauf hin, dass Caball8 unter den Gewaltakteuren Barcelonas einen Sonderfall darstellte. Doch lassen sich auch weitere Beispiele dafür finden, dass es Gewaltakteure gab, die über nahezu den gesamten Untersuchungszeitraum aktiv blieben, und wie im Fall von Caball8 zwischen kriminellen und politischen Gewaltakteuren teilweise enge Verbindung bestanden und die Übergänge fließend waren.807 Damit sind bereits zwei der Untersuchungsschwerpunkte dieses Unterkapitels genannt, nämlich vor welchen unterschiedlichen Hintergründen Gewaltakteure oder gegebenenfalls auch Gewaltgemeinschaften im Untersuchungszeitraum in Erscheinung traten und inwiefern sich die von ihnen angewandten Gewaltpraktiken veränderten. Dabei steht auch die Frage im Vordergrund, inwieweit es Überschneidungen zwischen dem kriminellen und dem anarchistischen Milieu gab. Dass beide Gruppen in einem Unterkapitel zusammen untersucht werden, bedeutet allerdings nicht automatisch, dass sie hier gleichgesetzt werden, wie dies in den Lokalzeitungen Barcelonas vielfach geschah, ähnlich wie etwa zur gleichen Zeit in Paris mit den dort agierenden Gewaltakteuren durch die französische Presse.808 Der Grund dafür ist vielmehr, wie bereits Eric Hobsbawm in seiner Untersuchung zu den Sozialbanditen anmerkt, die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Verbrecherbanden und Terroristengruppen. Dazu gehören unter anderem ihr Operieren im Verborgenen, ihr Unterstützungs- und Kontaktnetzwerk sowie die Tatsache, dass sie meistens nur für spezifische Operationen mobilisiert werden.809 Aus diesen Gründen bot sich für sie eine gemeinsame Untersuchung an, die 31. 1. 1926, S. 3. Über Caball8s vorzeitige Entlassung aus der Haft berichtete El Diluvio, 19. 5. 1931, S. 6. 807 Vgl. Vila-Sanju#n, Heredera, S. 75ff. Ein weiteres Beispiel dafür, dass katalanische und spanische Autoren in den letzten Jahren verstärkt die in Barcelona während der Zwischenkriegszeit agierenden Personen als Vorlage für Figuren ihrer Romane verwendeten, ist der Roman »Apjstels y asesinos« (dt.: Apostel und Mörder) von dem aus Malaga stammenden Antonio Soler. In diesem Buch dient der Mord an Salvador Segui als Ausgangspunkt, um den sich anschließend die an den historischen Fakten orientierte, aber größtenteils fiktive Handlung entfaltet. 808 So zeigte etwa Schmidt am Beispiel von Paris, dass hier die Anarchisten bereits in den 1890er Jahren soweit in die Illegalität abgedrängt worden waren, dass der Eindruck entstand, sie seien Teil des kriminellen Milieus, vgl. dies., Jugendkriminalität, S. 223ff. 809 Vgl. Hobsbawm, Banditen, S. 195. Auch Reichardt betont im Hinblick auf die faschistischen Kampfbünde in Berlin deren Ähnlichkeiten zu Straßenbanden, vgl. ders., Faschistische Kampfbünde, S. 432f.
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sich aber besonders aufgrund der Klandestinität dieser staatsfernen Gewaltgemeinschaften ausgesprochen schwierig gestaltete. Dies zeigt sich hinsichtlich der jüngeren spanischen Geschichte zum Beispiel besonders deutlich am Fall der Gruppe »Mano Negra« (dt.: Schwarze Hand), die Ende des 19. Jahrhunderts in Andalusien agiert haben soll, bei der aber bis heute völlig unklar ist, wer ihre Mitglieder waren, ob sie politische oder kriminelle Absichten verfolgte und nicht zuletzt, ob sie überhaupt existiert hat.810 Dementsprechend können auch die staatsfernen Gewaltgemeinschaften, die in Barcelona während der Zwischenkriegszeit aktiv waren, nur exemplarisch anhand einiger Beispiele untersucht werden, die ausreichend dokumentiert sind, was nicht selten auf reinen Zufällen beruht. Im Gegensatz zu den im Kapitel drei dargestellten Gewaltpraktiken, die sich in drei bzw. vier Kategorien untergliedern ließen, folgt die hier vorgenommene Untersuchung der staatsfernen Gewaltgemeinschaften stärker einer chronologischen Struktur, was vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass sich – wie zu zeigen sein wird – diese Gruppierungen in vielen Fällen nicht ausschließlich auf eine bestimmte Gewaltpraktik wie etwa die Durchführung von Attentaten oder Raubüberfällen festlegen lassen und eine solche Klassifikation deshalb problematisch gewesen wäre. Stattdessen sollen zuerst die staatsfernen Gewaltgemeinschaften, die in der Zeit des Pistolerismo in Barcelona dominierten, also die anarchistischen Aktionsgruppen und die Gruppen von Pistoleros betrachtet werden. Danach sollen die Straßenräuber, die in der Endphase des Pistolerismo zum ersten Mal verstärkt auftraten und dann während der Zweiten Republik den städtischen Alltag Barcelonas maßgeblich prägten, untersucht werden. Abschließend wird dann mit den Saboteuren noch eine weitere Gruppe in den Blick genommen, die fast ausschließlich während der Zweiten Republik in Erscheinung trat.
Aktionsgruppen der CNT und Pistolero-Banden Die ersten Gruppierungen, die sich im Untersuchungszeitraum als staatsferne Gewaltgemeinschaften identifizieren lassen und auf die neben der bereits beschriebenen staatsnahen Banda Negra die meisten der kollektiven Gewaltakte in Barcelona während der Anfangszeit des Pistolerismo zurückzuführen sein dürften, sind die sogenannten »grupos de accijn« (dt.: Aktionsgruppen). Dabei handelte es sich um Kleingruppen, die zum Umfeld der Sindicatos 5nicos gehörten und von diesen auch finanziell unterstützt wurden, ohne aber direkt in 810 Vgl. Termes, Anarquismo, S. 91f., Avil8s Farr8, Daga, S. 164f. und Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 58ff.
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diese Gewerkschaft integriert zu sein, sodass deren Repräsentanten selbst meistens nicht genau wussten, wer zu den Aktionsgruppen gehörte.811 Diese Aktionsgruppen hatten ihren Ursprung in den »grupos de afinidad« (dt.: Affinitätsgruppen), die, angeregt durch den anarchistischen Theoretiker Pjotr Kropotkin, in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in Spanien entstanden waren. Dabei handelte es sich um meist durch persönliche Beziehungen verbundene Kleingruppen, die sich in Caf8s trafen, politische Debatten führten und deren vorrangiges Ziel darin bestand, anarchistisches Gedankengut zu verbreiten. Ihr rebellischer Geist drückte sich in Gruppennamen wie »Los Desheredados« (dt.: Die Enterbten), »Los Indomables« (dt.: Die Unkontrollierbaren) oder »Els Fills de Puta« (dt.: Die Bastarde) aus.812 Inwieweit sie nicht nur politisch aktiv sondern auch an den zahlreichen Bomben- und Sprengstoffanschlägen in Barcelona um die Jahrhundertwende beteiligt waren, ist bis heute umstritten.813 In den folgenden Jahren verloren sie aber zunächst stark an Bedeutung, unter anderem, weil sich die Arbeiter nun verstärkt in Gewerkschaften zusammenschlossen und der Streik zum vorherrschenden Mittel wurde, um politische und soziale Veränderungen durchzusetzen.814 Anarchistische Kleingruppen bildeten sich erst wieder ab 1916, um dann nach 1918 zahlenmäßig deutlich zuzunehmen. Bei ihren Mitgliedern handelte es sich nun um eine neue Generation wesentlich radikalerer junger Syndikalisten.815 Dass diese Radikalisierung vor allem auf die in Barcelona erlebte Gewalterfahrung der vorangegangenen Jahrzehnte zurückzuführen ist, lässt sich am Beispiel von zwei der mutmaßlichen Organisatoren der von der bürgerlichen Presse als »Terrornetzwerke« bezeichneten Aktionsgruppen zeigen. So hatten sowohl Pere Vandelljs als auch der bereits im Kapitel 3.4 erwähnte Ramjn Archs ihre Väter verloren, weil diese mit den anarchistischen Terroranschlägen der 1890er Jahre in Verbindung gebracht und schließlich – wahrscheinlich zu Unrecht – zum Tode verurteilt worden waren.816 Als junge Erwachsene waren beide 811 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 49ff. Eine zeitgenössische Beschreibung dieser Gruppen findet sich bereits bei Madrid, Sangre, S. 20 und S. 30. 812 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 34f. 813 Nach Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 119 sollen für die drei spektakulären Bombenanschläge in Barcelona während der 1890er Jahre auf die Militärparade von Mart&nez Campos, auf das Liceo-Theater und auf die Fronleichnamsprozession jeweils Einzeltäter verantwortlich gewesen sein, die gemäß der »Propaganda der Tat« handelten und dementsprechend ihre Tat auch als eine persönliche Handlung und nicht so sehr als kollektive Tat betrachteten. Gonz#lez Calleja, Laboratorio, S. 146f., macht sie dagegen für die schon in dem vorangegangenen Jahrzehnt einsetzenden Sprengstoffanschläge verantwortlich, während ihnen Jensen, Daggers, S. 138, höchstens einige kleinere Anschläge zu Beginn des 20. Jahrhunderts zuschreibt. 814 Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 365. 815 Vgl. Meaker, Anarchists, S. 47ff. und Gonz#lez Calleja, M#user, S. 120. 816 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 152.
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dann selbst während der Arbeitskämpfe und Streiks in Gewaltdelikte involviert. Archs nahm 1910 am Streik der Metallergewerkschaft teil und wurde im Zusammenhang damit wegen versuchten Mordes festgenommen, schließlich aber freigesprochen.817 Nach einigen Jahren im französischen Exil kehrte er nach Barcelona zurück und soll dort anschließend für zahlreiche Attentate verantwortlich gewesen und zudem einer der Drahtzieher des Mordes an Ministerpräsident Eduardo Dato 1921 in Madrid gewesen sein.818 Er wurde bald darauf festgenommen und soll dann von der Polizei so stark misshandelt worden sein, dass er starb.819 Auch Pere Vandelljs soll sich Zeitungsberichten zufolge bereits seit seiner frühen Jugend in syndikalistischen Kreisen bewegt haben und wurde später verdächtigt, zusammen mit seinem Bruder am Mord an den beiden Industriellen Trinchet und Barret beteiligt gewesen zu sein, weshalb er in den jeweiligen Gerichtsprozessen angeklagt aber in beiden Fällen aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde.820 Schließlich wurde er bei einem Überfall im Juni 1921 festgenommen und dann – angeblich, weil er versuchte zu fliehen – auf der Fahrt zur Polizeistation erschossen.821 Inwieweit Archs und Vandelljs tatsächlich eine zentrale Rolle in den zu Beginn des Untersuchungszeitraums agierenden Aktionsgruppen spielten, lässt sich in Ermanglung verlässlicher Quellen ebenso schwierig rekonstruieren wie die konkrete Zusammensetzung und die Aktivitäten dieser Gruppierungen.822 Näher dokumentiert sind zunächst lediglich zwei Aktionsgruppen. So soll Salvador Francisco Clascar Vidal, der am 15. Dezember 1919 seinen rechten Arm bei der Explosion einer Bombe verlor, die er auf seinem Fahrrad transportierte, zu der Gruppe »Accijn« (dt.: Aktion) gehört haben.823 Eine weitere Gruppe soll 817 Vgl. Smith, Anarchism, S. 192. 818 Vgl. Termes, Anarquismo, S. 319 und Smith, Anarchism, S. 316. 819 Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 145f. Demzufolge soll es sich bei den Anschuldigungen gegen Archs und Vandelljs nur um Propaganda der bürgerlichen Presse gehandelt haben. 820 Die Vita von Vandelljs ist zusammenfassend dargestellt in El Correo Catal#n, 28. 6. 1921, S. 2. Über den Prozess wegen des Mordes an Trinchet berichtete La Publicidad, 24. 3. 1919, S. 3. Der Prozess zum Mord an Barret ist dokumentiert in La Publicidad, 21. 6. 1919, S. 4, 22. 6. 1919, S. 9 und 27. 6. 1919, S. 4. 821 Über diesen Überfall berichteten El Diluvio, 26. 6. 1921, S. 11 und 20.10. 1921, S. 11, El Noticiero Universal, 25. 6. 1921, S. 7 und 27. 6. 1921, S. 8 sowie La Publicidad, Morgenausgabe, 28. 6. 1921, S. 5. 822 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 118. 823 Vgl. Casal Gjmez, Banda Negra, S. 123f., der sich auf Dokumente bezieht, die bei der bereits erwähnten Durchsuchung in den Büros von Stallmann im Dezember 1919 sichergestellt wurden. Über dieses Attentat berichtete El Noticiero Universal, 15. 12. 1919, S. 4. Der Prozess gegen Clascar ist dokumentiert in El Diluvio, 9. 4. 1920 S. 16, 14. 4. 1920, S. 10 und 18. 4. 1920, S. 11. In einem Bericht des französischen Botschafters in Madrid an das französische Außenministerium in Paris vom 5. Januar 1920 listet dieser insgesamt 13 Personen
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»Le Soviet No. 13« (dt.: Der Sowjet Nr. 13) gewesen sein, der angeblich auch die Brüder Vandelljs angehörten, die sich regelmäßig in einem Caf8 in Clot traf und für die Ermordung von Barret, Eduardo Ferrer und Bravo Portillo verantwortlich gewesen sein soll.824 Bisherige Untersuchungen gehen dagegen davon aus, dass es bis 1921, also dem Jahr, als die Sprengstoffanschläge dann zunächst als eine vorherrschende Gewaltpraktik im städtischen Alltag Barcelonas mehr und mehr in den Hintergrund traten, insgesamt drei größere Gruppen gegeben haben soll. Die erste dieser Gruppen soll laut dem katalanischen Journalisten Leon Ignacio im Viertel Santa Catalina im Stadtzentrum ansässig gewesen sein und selbst Bomben produziert haben, die sie am Montju"c in einer Baracke lagerte, die der Mutter des einige Monate zuvor ermordeten CNT-Mitgliedes Josep Palau gehört haben soll. Diese Sprengsätze sollen die Mitglieder dieser Gruppe später für Anschläge in der Stadt benutzt haben.825 In den Quellen dokumentiert ist allerdings über diese Gruppe lediglich, dass ihr vermeintlicher Anführer, Llu&s Dufur, am Heiligabend des Jahres 1920 bei einer Schießerei mit der Polizei ums Leben kam.826 Die zweite und vermutlich größte Gruppe, deren Mitglieder, wie im Kapitel 2.3 bereits beschrieben, überwiegend im Stadtteil Sants beheimatet waren, soll mit Archs und Vandelljs in Verbindung gestanden haben. Sie ist deshalb von den hier betrachteten Gruppierungen am besten dokumentiert, weil sich einige ihrer Mitglieder beim Versuch, Bomben herzustellen, in der Nacht des 2. Mai 1921 in der Calle de Toledo 10 im Stadtteil Sants selbst in die Luft sprengten.827 Das Haus gehörte dem 73-jährigen Witwer Vincente Sales, der später im Haus seiner Tochter verhaftet wurde, wo er seine Brandwunden auskurierte.828 Im Haus in der Calle de Toledo 10 hatte er zusammen mit seinem Sohn Vincente Sales Molinero gewohnt, dessen Lebensgefährtin Rosario Benavente Reyes bei der Explosion getötet wurde, genau wie drei weitere junge Syndikalisten, die alle
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828
als Mitglieder der Gruppe »Accijn« auf, wobei der verhaftete Clascar nicht mehr darunter ist. Vgl. dazu den Bericht des französischen Botschafters in Madrid vom 13. März 1920 (AN, F/ 7 13441). Nach einem Zeitungsbericht von La Publicidad, Morgenausgabe, 25. 7. 1922, S. 3 soll diese aus der Gruppe »Sin Nombre« (dt.: Ohne Name) hervorgegangen sein. Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 177f. und S. 214. Der Gerichtsprozess zu dieser Schießerei findet sich in El Noticiero Universal, 19. 11. 1923, S. 12 und El Diluvio, 20. 11. 1923, S. 48. Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 177f. und S. 205f. Der britische Botschafter in Madrid berichtete dem britischen Außenministerium am 23. 5. 1921 von der Explosion und den damit einhergehenden Verhaftungen, wobei er vermutet, dass diese Bande für die meisten syndikalistischen Gewaltakte seit der Zeit Stallmanns verantwortlich gewesen war (NA, FO 371/ 7120, W5874, Blatt 282–284). Etwas Ähnliches ereignete sich am 5. August desselben Jahres in der Calle de M8dicos 6 in der Wohnung der verwitweten Isabel Prat March, deren 18jähriger Sohn ]ngel vermutlich dort mit einem Freund Bomben herstellte. Beide starben bei der Explosion, vgl. El Diluvio, 6. 8. 1921. Vgl. El Diluvio, 4. 5. 1921, S. 16.
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etwa 19 Jahre alt waren.829 Später wurde außerdem auch noch der nur wenige Jahre ältere Juan Elias Saturnino festgenommen, der in der unmittelbaren Nachbarschaft wohnte.830 Dessen Lebensgefährtin Rosario Segarra wurde schließlich zusammen mit drei weiteren Verdächtigen in Perpignan verhaftet.831 Knapp zehn Tage nach dem Attentat wurden bei einer Schießerei mit der Polizei der 23-jährige Miguel Beltr#n Molina und der 21-jährige Jos8 Palau Requena getötet, die beide ebenfalls an der Fabrikation von Bomben in der Calle de Toledo beteiligt gewesen sein sollen.832 Insgesamt sollen die in Abbildung 58 aufgeführten Personen zu dieser Gruppe gehört haben.
Abb. 58: Mutmaßliche Mitglieder der größten anarchistischen Aktionsgruppe
Die Gruppe soll am 24. April 1921, also schon mehr als eine Woche vor der Explosion, versucht haben, einen Anschlag auf eine Parade der Somat8n zu verüben, bei der etwa 40 000 ihrer Mitglieder durch Barcelonas Zentrum marschierten. Ursprünglich sollte der Anschlag eigentlich dem König Alfonso XIII. gelten, der seine Teilnahme an der Parade zugesagt hatte, dem Geschehen dann aber doch kurzfristig fernblieb. Die Bombe sollte in einem gestohlenen Auto an die Parade herantransportiert werden. Doch weil alle Zugänge versperrt waren, explodierte die Bombe abseits des Geschehens, ohne größeren Schaden anzurichten.833 Für dieses Verbrechen wurde Juan Elias Saturnino zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, während seine Lebensgefährtin Rosario Segarra freigesprochen wurde.834 Juan Bautista Archer wurde deswegen und wegen der Herstellung von Bomben zum Tode verurteilt, später aber nach großen Protesten 829 Vgl. El Diluvio, 3. 5. 1921, S. 20. 830 Vgl. El Diluvio, 8. 5. 1921, S. 12. 831 Über die Festnahme berichtete der spanische Konsul in Perpignan in einem Telegramm an den spanischen Botschafter in Paris vom 21. Juli 1921, vgl. AGA, Leg 54/11016. 832 Vgl. El Noticiero Universal, 16. 5. 1921, S. 5. 833 Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 195. 834 Vgl. El Diluvio, 17. 10. 1922, S. 13 und El Noticiero Universal, 28. 10. 1922, S. 10.
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begnadigt und zu Beginn der Zweiten Republik aus dem Gefängnis entlassen.835 Anfang 1933 wurde er in Barcelona wegen Waffenbesitzes und unter dem Verdacht festgenommen, in den Bombenhandel in Igualada involviert zu sein, einer ca. 60 km nordwestlich von Barcelona gelegenen Stadt. Kurze Zeit später kam er aber gegen Kaution wieder frei.836 Die zentrale Figur der dritten und letzten größeren Gruppe, die vor allem Sprengstoffanschläge durchführte, war Francisco Mart&nez Valles, dem eine Bar in der Calle de Valencia Nr. 107 und damit in unmittelbarer Nähe des Arbeiterviertels Sants gehörte, in der sich die Gruppe regelmäßig traf. Er besaß zudem einen Steinbruch am Montju"c, der als Versteck für die Bomben diente.837 Später wurden Andr8s Batista und Jos8 Saleta Pla in einem Landhaus nahe des Flusses Llobregat festgenommen, die wahrscheinlich ebenfalls Mitglieder dieser Gruppe waren.838 Ein halbes Jahr danach wurde schließlich Alfredo Gjmez Franquet verhaftet, dem vorgeworfen wurde, mit den Bomben, die die Gruppe am Montju"c gelagert hatte, in der Stadt Anschläge durchgeführt zu haben.839 Im Gegensatz zu den beschriebenen Aktionsgruppen, die nahezu fast ausschließlich aus Personen bestanden, die sich diesen Gruppen aus politischen Überzeugungen angeschlossen hatten, stellten die politisch motivierten Mitglieder der CNT in den anschließend verstärkt auftretenden Gruppen von Pistoleros, die die Aktionsgruppen als dominierende staatsferne Gewaltgemeinschaft ablösten, nur noch einen Teil der Mitglieder. Meist handelte es sich dabei um junge Syndikalisten, die während des Jahres 1919 oder nach Ende der Aussperrungen im Januar 1920 ihre Arbeit verloren hatten.840 Sie wurden von der CNT als »besondere Abgeordnete« angestellt, mit dem Auftrag, wie zu Beginn des Kapitel 3.3.2 beschrieben, Mitgliedsbeiträge einzutreiben und bekamen dafür eine Pistole und einen Wochenlohn von 70 Peseten. Einige von ihnen 835 Für das Urteil im Prozess wegen der Bombenherstellung in der Calle de Toledo, die zur Explosion des Hauses geführt hatte, vgl. ATSJC, Libro de Sentencia 1921, Tomo 3, 8. 8. 1921, t 7595630. Über die Freilassung Archers berichtete etwa La Rambla, 14. 4. 1930, S. 6. 836 Vgl. El Diario de Barcelona, 25. 1. 1933, S. 40 und 26. 1. 1933, S. 25 sowie El Correo Catal#n, 26. 1. 1933, S. 6. 837 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 177f. Diese Angaben finden sich auch in den Berichten der Lokalzeitungen, siehe zum Beispiel El Diluvio, 6. 7. 1921, S. 8. Allerdings wurden Mart&nez Valles sowie alle anderen vermeintlichen Bandenmitglieder im Prozess wegen der Herstellung von Sprengsätzen am 18. Mai 1922 freigesprochen, vgl. ATSJC, Libro de Sentencia 1922, Jurado, T 7777524. 838 Vgl. El Diluvio vom 4. 8. 1921, S. 10. Saleta Pla wurde schließlich sowohl wegen der Lagerung von Sprengstoff am Montju"c als auch für das Attentat auf Albareda, den Eigentümer des Hotels Continental, verurteilt, vgl. El Diluvio, 18. 8. 1921, S. 9. 839 Vgl. El Diluvio, 12. 10. 1922, S. 16 und El Noticiero Universal 14. 10. 1922, S. 9. Die im Artikel beschriebene Festnahme erwähnt auch ein Telegramm des Zivilgouverneurs an den Innenminister vom 20. Mai 1923 (AHN 58 A(13)). 840 Vgl. Smith, Anarchism, S. 324.
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sollen darüber hinaus sogar zu Mordanschlägen auf Arbeitgeber bereit gewesen sein, die zumindest von Teilen der CNT-Führung gutgeheißen wurden.841 Diese Verdienstmöglichkeit zog aber bald auch gewöhnliche Kriminelle an, was selbst die Gewerkschaftsführer einräumen mussten.842 Infolgedessen waren die Pistoleros meist eine Art Auftragskiller, die »eine unpersönliche Ebene der Gewalt kommerzialisierten, indem sie den Tod zum Wirtschaftsgut machten«, wie der englische Ethnologe Dick Hobbs diesen Typ von Gewaltakteuren beschreibt.843 So wechselten mit der Etablierung der Sindicatos Libres viele der Pistoleros, die bis dahin in den Diensten der Sindicatos 5nicos gestanden hatten, zu der neuen Gewerkschaft, weil sie hier wegen deren Nähe zur Arbeitgeberschaft bei ihren Mordtaten eher mit der Nachsicht der Polizei und der Behörden rechnen konnten.844 Die bisherigen Ausführungen lassen bereits erkennen, dass es schwierig ist, die Banden von Pistoleros als Gewaltgemeinschaften mit einer gewissen Kohärenz zu identifizieren. Zumindest eine der ersten Gruppe von Pistoleros aufseiten der Sindicatos 5nicos lässt sich ansatzweise rekonstruieren. Die beiden Schlüsselfiguren der am besten dokumentierten Gruppe von Pistoleros der Sindicatos 5nicos waren Progreso und Volney Rodenas, die beiden Brüder von Libertad Rodenas, die in der Textilgewerkschaft politisch aktiv war. Außerdem sollen ihr Neffe Armando sowie Samuel P8rez zu dieser Gruppe gehört haben.845 Die Gruppe war vor allem in die Auseinandersetzungen mit der zuerst von Bravo Portillo und anschließend von Stallmann geleiteten Parallelpolizei Banda Negra verstrickt. So soll sie für den Mord an Bravo Portillo im September 1919 verantwortlich gewesen sein und einige Monate später auch versucht haben, Stallmann zu ermorden.846 Es gilt als erwiesen, dass Progreso Rodenas an der im vorangegangenen Unterkapitel beschriebenen Schießerei mit der Banda Negra am 23. April 1920 beteiligt war.847 Einige Tage später kam es zu einer weiteren Schießerei mit dieser Parallelpolizei und Progreso Rodenas wurde anschließend festgenommen. Sein Bruder Volney wurde kurz darauf von Stallmann selbst, 841 842 843 844 845 846
Vgl. Smith, Anarchism, S. 300f. Vgl. Farr8 Morego, Atentados, S. 107f. Vgl. Hobbs, Organisierte Kriminalität, S. 858. Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 598f. sowie Winston, Workers, S. 129f. Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 120f. Zur Beteiligung am Mord an Bravo Portillo siehe den Bericht des französischen Botschafters in Madrid vom 11. Mai 1920 (AN, F/7 13441). Der Gerichtsprozess wegen des angeblichen versuchten Attentats auf Stallmann am 9. Dezember 1919, bei dem alle Angeklagten freigesprochen wurden, ist dokumentiert in El Diluvio, 9. 3. 1922, S. 15, 10. 3. 1922, S. 11f., 11. 3. 1922, S. 14f. und 12. 3. 1922, S. 15 sowie El Noticiero Universal 9. 3. 1922, S. 10 und 10. 3. 1922, S. 7. 847 Die Gerichtsverhandlung zu dieser Schießerei ist dokumentiert in La Publicidad, Morgenausgabe, 10. 11. 1921, S. 4.
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zwei Mitgliedern der Banda Negra und einigen Polizeiinspektoren in seiner Wohnung wegen angeblichen Sprengstoffbesitzes verhaftet.848 Später wurden Progreso Rodenas und Samuel P8rez wegen des Attentats auf Polizeiinspektor Leon festgenommen und befanden sich unter den Gefangenen, die am Montju"c inhaftiert waren.849 Was das weitere Leben von Progreso Rodenas angeht, ist nur bekannt, dass er 1928 in Gibraltar verhaftet wurde, nachdem er aus einem Gefängnis in Girona ausgebrochen war.850 Eine vergleichbare Bande von Pistoleros auch aufseiten der Sindicatos Libres zu identifizieren ist aufgrund der unsicheren Quellenlage problematisch. Als in den Diensten der Libres stehende Pistoleros werden aber in verschiedenen Quellen Fulgencio Vera, Carlos Baldrich, Angel Coll, Juan Cinca, die Brüder Alvarado und Paulino Pall#s SuÇer genannt, die gemeinsam gegen eine Bezahlung von 20 000 Peseten den Mord an Francisco Layret begangen haben sollen.851 Bei Paulino Pall#s SuÇer soll es sich um den Sohn oder zumindest einen nahen Angehörigen des gleichnamigen Attentäters gehandelt haben, der 1893 den Anschlag auf General Mart&nez Campos durchführte.852 An dem zweiten spektakulären Mord an Salvador Segui im März 1923, für den vermutlich auch die Pistoleros der Sindicatos Libres verantwortlich waren, sollen laut Aussage von Inocencio Feced, der selbst für diesen Mord verurteilt wurde, neben Manuel Simjn, Amadeo Buch und Jos8 Sola mit Baldrich und Cinca zumindest auch zwei der Pistoleros beteiligt gewesen sein, die wohl schon zu den Mördern Layrets gehörten.853
848 Der Prozess wird beschrieben in El Diluvio, 3. 7. 1921, S. 17. 849 Einem am 23. 7. 1920, S. 6 in La Publicidad erschienenen Artikel zufolge sollen beide im Gefängnis von Mithäftlingen als die Mörder von Bravo Portillo erkannt worden sein. 850 Vgl. El Noticiero Universal, 8. 8. 1928, S. 9. 851 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 603 sowie Leon Ignacio, AÇos, S. 157f. Über den Mord an Layret berichtetete zum Beispiel El Diluvio, 1. 12. 1920, S. 9, El Noticiero Universal, 30. 11. 1920, S. 7 und 1. 12. 1920, S. 4. Vera flüchtete nach dem Beginn der Zweiten Republik wie viele Mitglieder der Libres zunächst nach Frankreich. Nach seiner Rückkehr nach Barcelona im Jahr 1934 wurde er verhaftet und schließlich wegen des Mordes an Layret angeklagt, vgl. El Diluvio, 27. 6. 1934, S. 17. Diesen soll er dann auch gestanden haben, siehe La Noche, 28. 6. 1934, S. 6 und 29. 6. 1934, S. 6. 852 Vgl. PestaÇa, Terrorismo, S. 126, Madrid, Horas, S. 65 sowie den Bericht über dessen Verhaftung im Mai 1931 in El Noticiero Universal, 23. 5. 1931, S. 17. 853 Der Mord an Segui ist dokumentiert in El Diluvio, 11. 3. 1923, S. 25f., 13. 3. 1923. S. 14f. und 15. 3. 1923. S. 11 und 15 sowie El Noticiero Univesal, 12. 3. 1923, S. 11, 24. 4. 1923, S. 8, 13. 3. 1923, S. 7f., 17. 3. 1923, S. 4, 22. 3. 1923, S. 12 und 31. 3. 1923, S. 10. Zur Verurteilung Feceds siehe El Noticiero Universal, 4. 8. 1923, S. 7. Dessen umfangreiches Geständnis findet sich in El Noticiero Universal, 3. 6. 1931, S. 4.
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Atracadores – Bewaffnete Straßenräuber Wie im Kapitel drei beschrieben, wurden Attentate als dominierende Gewaltpraktik in Barcelona spätestens ab Sommer 1923 von bewaffneten Raubüberfällen abgelöst und anschließend in der Zweiten Republik zu einem fast alltäglichen Phänomen. Randall Collins hat Straßenraub als einen per se kollektiven Gewaltakt beschrieben, der in der Regel von Zweiergruppen, in einem Fünftel der Fälle sogar von Gruppen von vier oder mehr Personen verübt wird.854 Demzufolge liegt es nahe, nach den anarchistischen Aktionsgruppen und den Pistolero-Banden nun Gruppierungen in den Blick zu nehmen, die hauptsächlich bewaffnete Raubüberfälle begingen. Diese hatten ihren Ursprung zunächst im kriminellen Milieu, wie der erste größere, im Kapitel 3.3.2 ausführlich beschriebene Raubüberfall am 4. August 1920 auf einen Juwelier verdeutlicht, bei dem zwei der später gefassten und verurteilten Täter bereits wegen Eigentumsdelikten vorbestraft waren.855 Die organisierte Kriminalität in Barcelona hatte ihren Schwerpunkt, wie im Kapitel 2.3 bereits beschrieben, im Barrio Chino und damit im unmittelbaren Zentrum der Stadt. Den eher literarischen Beschreibungen Juli Vallmitjanas zufolge entwickelte sich hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein gut organisiertes Netzwerk von Kriminellen, die sich auf Eigentumsdelikte spezialisiert hatten.856 Auch im Untersuchungszeitraum lassen sich Einbrecherbanden über die gesamte Dauer nachweisen.857 Viele Kleinkriminelle wechselten aber auch ins Drogenmilieu, wo sich spätestens gegen Ende der Zweiten Republik regelrechte Banden bildeten, die sich meist auf den Handel mit Kokain spezialisiert hatten.858
854 Vgl. Collins, Dynamik, S. 259. 855 Der Prozess wird beschrieben in El Diluvio, 28. 9. 1922, S. 8, 30. 9. 1922, S. 10 und El Noticierio Universal, 27. 9. 1922, S. 9. Demzufolge waren zwei der Verurteilten, Deogracias Obregjn Toledo und Vicente Ferrer Planells bereits wegen Einbruchs und Diebstahls bzw. im Falle von Ferrer wegen Diebstahls und Betruges vorbestraft. 856 Vgl. Vallmitjana, Sota Montju"c, S. 172ff. 857 Ein Beispiel für eine während der Diktatur Primo de Riveras agierende Einbrecherbande ist dokumentiert in El Noticiero Universal, 7. 6. 1928, S. 3, 8. 6. 1928, S. 3 und 9. 6. 1928, S. 8. Ein Bande, die in der Endphase der Zweiten Republik mit Diebstählen ein regelrechtes Vermögen angehäuft und sogar für 1500 Peseten ein Auto angemietet haben soll, mit der die Bandenmitglieder zu den Orten fuhren, wo sie die Einbrüche begingen, beschreibt El Diluvio, 27. 9. 1935, S. 6. 858 Beispiele für Personen, die zunächst als Einbrecher straffällig wurden und sich dann im Drogenhandel betätigten, sind dokumentiert in El Noticiero Universal, 9. 7. 1934, S. 2 und 16. 7. 1934, S. 2. Paco Villar, Barrio Chino, S. 121f. beschreibt eine größere Drogenbande, die im Sommer 1935 aktiv war. Diese ist auch in den folgenden Quellen dokumentiert: El Diario de Barcelona, 1. 10. 1935, S. 12, El Noticiero Universal, 30. 9. 1935, S. 28 und 23. 10. 1935, S. 2 sowie La Noche, 30. 9. 1935, S. 7. Bereits für das Jahr 1932 lassen sich einige
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Auch wenn für den gesamten Untersuchungszeitraum, wie noch zu zeigen sein wird, ein Teil der Straßenräuber der hier nur kurz skizzierten »Unterwelt« Barcelonas zuzuordnen ist, waren für den ersten Anstieg von bewaffneten Raubüberfällen im Sommer 1921, wie ebenfalls im Kapitel 3.3.2 bereits ausgeführt, vor allem die politischen Aktivisten der CNT verantwortlich, die mit dem auf diese Weise erbeuteten Geld ihre Organisation unterstützen wollten. Die Idee des uneigennützigen und aus edlen Motiven handelnden Banditen findet sich bereits bei den in der frühen Neuzeit agierenden »Bandoleros«. Mit diesem Begriff wurden zunächst bewaffnete Partisanen bezeichnet, die während der Unruhen und Konflikte in Katalonien zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert agierten und aus denen sich dann das »Banditentum« entwickelte.859 Das veranlasste den damaligen Vizekönig Garc&a von Toledo Mitte des 16. Jahrhunderts zu der Feststellung, dass »ganz Katalonien voller Banditen sei«. Das galt nicht nur für die ländlichen Gebiete, sondern durchaus auch für Barcelona, wo das Banditentum schon zu dieser Zeit mit Glücksspiel und Prostitution in Verbindung gebracht wurde.860 Die zeitgenössische Literatur leistete ihren Beitrag dazu, diese Gewaltakteure zu heroisieren und beschrieb dabei zwar zum einen den Schrecken, den diese verbreiteten, zum anderen aber oft überschwänglich auch deren Großzügigkeit, Ehre und Einsatz für die Schwachen.861 Die bekanntesten Beispiele hierfür sind Lope de Vegas Komödie »Antonio Roca«, die dem gleichnamigen berühmten katalanischen Banditen gewidmet ist, der 1546 hingerichtet wurde und die Darstellung des Banditen Rocaguinarda in Cervantes Roman Don Quixote, dessen reales Vorbild zu Beginn des 17. Jahrhunderts gelebt hat.862 Auch im weiteren Verlauf der Literaturgeschichte blieben die Banditen ein Motiv der spanischen bzw. katalanischen Literatur und tauchten etwa noch in Gedichten des katalanischen Dichters Joan Maragall um 1900 auf.863 Die erste Gruppe von bewaffneten Straßenräubern, die im Untersuchungszeitraum für mehrere Raubüberfälle verantwortlich war, wurde Anfang August 1921, wie bereits im Kapitel 2.1 erwähnt, in L’Hospitalet de Llobregat verhaftet.
859 860 861
862 863
Hinweise auf organisierten Drogenhandel finden, siehe El Diluvio, 3. 4. 1932, S. 11 und La Noche, 17. 12. 1932, S. 1. Vgl. Hobsbawm, Banditen, S. 24. Vgl. Belenguer, Bandits, S. 52. So erklärt etwa ein Bandolero in einer der zahlreichen Balladen, die die katalanischen Banditen des 16. und 17. Jahrhunderts rühmen, stolz, dass die gesamte Ebene von Vic, 70 Kilometer nördlich von Barcelona, gezittert habe, wenn er in der Nähe war, zitiert nach Hobsbawm, Banditen, S. 82f., der die Exzesse des Terrors, die sich nur in mancher Hinsicht mit dem Banditentum decken würden, zum einen damit erklärt, dass die Banditen beweisen mussten, dass sie zu fürchten seien. Zum anderen sei es eine legitime Notwendigkeit der Banditen gewesen, Rache zu üben, womit Grausamkeiten untrennbar verbunden waren. Vgl. Belenguer, Bandits, S. 46 und Hobsbawn, Banditen, S. 166f. Vgl. Belenguer, Bandits, S. 46.
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Bei den Festgenommenen handelte es sich um neun Jugendliche zwischen 15 und 20 Jahren, die beschuldigt wurden, auch für andere größere Raubüberfälle in den letzten Monaten, wie zum Beispiel den Überfall auf eine Glasfabrik am 25. Juni, den Überfall auf ein Bekleidungsgeschäft in der Calle de San Antonio Abad am 2. Juli und den Überfall auf die Mehlfabrik Gill am 9. Juli in Poblenou verantwortlich zu sein.864 Auch wenn jeweils nur einzelne Bandenmitglieder in die Raubüberfälle involviert waren, wie in dem Übersichtsschema (Abb. 59) dargestellt, scheint es sich doch um eine kohärente Bande gehandelt zu haben, was sich etwa dadurch zeigte, dass mit Salvador Coll am 20. Juni ein Bandenmitglied am Montju"c ermordet worden war, weil es für einen Polizeispitzel gehalten wurde.865 Darüber hinaus wurden einzelne Mitglieder für Attentate verantwortlich gemacht, die im Kontext mit Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern standen.866 Dies galt auch für die bereits mehrfach erwähnte Gruppe »Los Solidarios« die im Oktober 1922 gegründet wurde und knapp ein Jahr später, als die Raubüberfälle zum ersten Mal bedrohliche Ausmaße annahmen, nicht nur für einige der spektakulärsten Raubüberfälle in Barcelona, sondern auch für mehrere Aufsehen erregende Morde an staatlichen Repräsentanten verantwortlich waren. Die »Los Solidarios« verübten nicht nur in Barcelona und der unmittelbaren Umgebung der Stadt Raubüberfälle und Morde, sondern auch in verschiedenen anderen spanischen Städten. Deshalb sollen sie hier nur kurz behandelt werden, auch wenn es sich bei ihnen vermutlich um die in der bisherigen Sekundärliteratur mit Abstand am eingehendsten untersuchte staatsferne Gewaltgemeinschaft handelt. Insgesamt soll diese Gruppe etwa 10 bis 20 Mitglieder gehabt haben (siehe Abb. 60), die alle nicht aus Barcelona stammten, sondern aus anderen Teilen Kataloniens oder Spaniens.867 Die überwiegende Mehrheit von ihnen waren junge, unverheiratete Männer zwischen 19 und 25 Jahren, die vorher unter 864 Über die Bande berichten El Diluvio, 6. 8. 1921, S.14 und 9. 8. 1921, S. 10. Auch der britische Botschafter in Zarauz (Guipfflzcoa) erwähnte sie in seinem Bericht an das britische Außenministerium vom 12. 8. 1921 (NA, FO371/7120, W8853 Blatt 304–305). 865 Vgl. Leon Ignacio, AÇos, S. 209, demzufolge es sich später herausgestellt habe, dass das Opfer kein Polizeispitzel war. Der Gerichtsprozess, bei dem die Angeklagten allerdings aus Mangel an Beweisen alle freigesprochen wurden, ist dokumentiert in El Diluvio, 3. 12. 1922, S. 10, 5. 12. 1922, S. 15 und 6. 12. 1922, S. 11, El Noticiero Universal, 4. 12. 1922, S. 10 und 5. 12. 1922, S. 7. Drei Jahre später wurde der Prozess noch einmal neu aufgerollt, das Ergebnis blieb aber das gleiche, weil Zeugen entweder nicht auftauchten oder zu Gunsten der Angeklagten aussagten, vgl. El Diluvio, 21. 10. 1925, S. 15, El Diario de Barcelona, 02. 10. 1925, S. 18 und El Noticiero Universal, 20. 10. 1925, S. 11. 866 Außerdem mussten sich Roura, Difurt und Palau am 23. Oktober 1922 wegen der Herstellung von Sprengstoff vor Gericht verantworten, wobei allerdings alle drei freigesprochen wurden, vgl. ATSJC, Libro de Sentencia 1922, Jurado, X 1902180. 867 Eine vollständige Liste der Mitglieder findet sich bei Enzensberger, Anarchie, S. 39f.
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Abb. 59: Mutmaßliche Verbrechen einer Bande von Straßenräubern
schlechten Arbeitsbedingungen im Billiglohnsektor gearbeitet hatten.868 Auch wenn eines der Mitglieder, Ricardo Sanz, später behauptete, es habe nie einen Anführer der Gruppe gegeben und alle Beschlüsse seien gemeinsam von denen getroffen worden, die sie ausführen sollten, spielten doch einige der Mitglieder eine führende Rolle Dazu gehörten neben Sanz, vor allem Buenaventura Durruti, Francisco Ascaso, Aurelio Fern#ndez und Juan Garcia Oliver.869
Abb. 60: Mutmaßliche Mitglieder der »Los Solidarios«
Die Mitglieder hielten sich strikt an die Regel, dass von jeder Aktion nur die unmittelbar Beteiligten etwas erfahren durften und zwar jeder nur so viel, wie unbedingt nötig war.870 Anfangs beauftragte ein Komitee der CNT die Los Solidarios, verschiedene Morde durchzuführen. Später handelte die Gruppe dann 868 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 50f. 869 Vgl. Abellj, Anarchism, S. 98. 870 Vgl. Enzensberger, Sommer, S. 48f.
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zunehmend auf eigene Faust, was zu einem Konflikt mit der Leitung der CNT führte.871 Das Geld aus den Raubüberfällen verwendete die Gruppe zur Finanzierung eines geplanten Staatsstreichs. Dazu hatten die Los Solidarios in Poblenou für 300 000 Peseten eine Eisengießerei erworben, um Granaten zu produzieren.872 Im Oktober 1923, einen Monat nach dem Staatsstreich Primo de Riveras, kaufte sie durch einen Mittelsmann für weitere 250 000 Peseten 1000 Gewehre mit 200 000 Schuss Munition. Doch nachdem ihre Waffenfabrik in Poblenou entdeckt worden war, mussten sie ihre Revolutionspläne aufgeben.873 Durruti und einige Komplizen flüchteten nach Frankreich und von denjenigen Mitgliedern, die in Barcelona blieben, wurden die meisten festgenommen oder bei Schießereien mit der Polizei getötet. Zwar glaubte El Noticiero Universal schon im Februar 1924 Anzeichen dafür zu erkennen, dass die geflohenen Pistoleros nach und nach wieder nach Barcelona zurückkehren und sich neu formieren würden, doch hielt sich deren Wirken während der Diktatur Primo de Riveras insgesamt stark in Grenzen.874 Dies lag vor allem daran, dass nun, im Gegensatz zu den spektakulären Raubüberfällen im Sommer 1923, die Täter in den meisten Fällen gefasst werden konnten und einige von ihnen zum Tode verurteilt wurden. So erfolgte mit Jaime Dufuor Barber# die Verhaftung eines ehemaligen Mitglieds der oben beschriebenen Gruppe von Straßenräubern, die im Sommer 1921 aktiv gewesen war, bereits in den Anfangsjahren der Diktatur, unmittelbar, nachdem er einen Überfall begangen hatten.875 Doch bereits in der Übergangsphase von der Diktatur zur Zweiten Republik kam es, wie in Kapitel 3.3.2 bereits herausgearbeitet, wieder zu einer Reihe von spektakulären Raubüberfällen, die dann in den Jahren 1933 und 1934 in Barcelona ihren Höhepunkt erreichten. Die aussagekräftigste Quelle zur Erforschung der in dieser Zeit agierenden staatsfernen Gewaltgemeinschaften stellt die in La Publicidad veröffentlichte Serie von Artikeln mit dem Titel »Els g/ngsters de Barcelona« (dt.: die Verbrecher von Barcelona) von Josep Maria Planes dar, die zwischen dem 4. und 12. April 1934 erschienen.876 Diese Reportage kann vielleicht als eines der ersten Beispiele von investigativem Journalismus in der katalanischen Mediengeschichte angesehen werden, denn sie ge871 872 873 874 875
Vgl. Smith, Anarchism, S. 92. Vgl. Enzensberger, Sommer, S. 48f. Vgl. Paz, Durruti, S. 77. Vgl. El Noticiero Universal, 26. 2. 1924, S. 11. Jaime Dufuor Barber# überfiel in Begleitung einer anderen Person Ende Juli 1926 einen Somat8n und musste sich dafür vor Gericht verantworten. Über die Tat berichtete La Noche, 29. 7. 1926, S. 8. Die Gerichtsverhandlung ist dokumentiert in La Noche, 26. 4. 1929, S. 10, El Diluvio, 26. 1. 1929, S. 14 und ausführlicher am 27. 4. 1929, S. 13f., El Diario de Barcelona, 27. 4. 1929, S. 11f. sowie El Noticiero Universal, 26. 4. 1929, S. 4. 876 Zum Entstehungskontext dieser Artikelserie vgl. Finestres, Planes, S. 162ff.
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stattet einen Einblick in die Organisation und Mechanismen des organisierten Verbrechens in Barcelona. Auf der anderen Seite ist jedoch auch eine gewisse Skepsis angebracht, da Planes vor allem die anarchistische FAI für die Verbrechen verantwortlich macht und damit der Tradition folgt, Anarchisten und Kriminelle gleichzusetzen.877 Planes teilt die Straßenräuber in einem abschließenden Artikel dieser Reportage in drei Kategorien ein. Ihm zufolge gehören zur ersten Kategorie Mitglieder der FAI, eine Behauptung, die in Anbetracht der Tatsache, dass auch führende Anarchisten sowie später auch dem Anarchismus nahestehende Historiker eingeräumt haben, dass die FAI für zahlreiche Raubüberfälle verantwortlich war, durchaus ihre Berechtigung hat. So wurden laut Chris Ealham die Gruppen, die sogenannte »Enteignungen« durchführten, von »Comit8s de Defensa« (dt.: Verteidigungskomitees) bewaffnet und logistisch ausgestattet, die auf lokaler Ebene organisiert waren.878 Laut Planes sollen die Raubüberfälle meist nicht von organisierten Banden begangen worden sein, sondern von einer nur für diesen Zweck zusammengestellten Gruppe von etwa sechs bis sieben Personen, die sich teilweise vorher überhaupt nicht kannten. Diese wurden zu einem bestimmten Ort bestellt, wo ihnen der Organisator des Überfalls die Waffen aushändigte und die Durchführung erklärte. Nach der Tat sammelte er die Waffen und das erbeutete Geld ein und nannte den Tätern den Zeitpunkt und den Ort, an dem man ihnen den Lohn für ihre Beteiligung an dem Überfall aushändigen würde.879 Zwischen 40 und 60 % des erbeuteten Geldes soll an die FAI gegangen sein, die auf diese Weise in anderthalb Jahren etwa 150 000 Peseten eingenommen hat. Die FAI war auf dieses Geld angewiesen, denn sie hatte pro Woche Ausgaben von etwa 40 000 Peseten, denen im Jahr 1933 allerdings nur 35 000 bis 38 000 Peseten an wöchentlichen Einnahmen gegenüberstanden. Diese gingen nach dem gescheiterten Aufstand vom 8. Dezember 1933 noch einmal massiv zurück. Das Geld wurde verwendet für die Unterstützung der inhaftierten Mitglieder der Organisation und deren Familien, die Bezahlung von Anwälten, zur Subventionierung der anarchistischen Presse, aber auch zum Kauf von Waffen und Sprengsätzen.880 In mehreren der Artikel wird der Schatzmeister des Komitees für die Unterstützung der Gefangenen, Josep Palacios, als der wichtigste Verbindungs877 Die Artikelserie, sowie ein Prolog mit einem kurzen Überblick zur Biographie von Josep Maria Planes, findet sich in einer Edition seiner Artikel, siehe Josep Maria Planes, Els g/ngsters de Barcelona, Barcelona 2002. 878 Vgl. Ealham, Anarchism and Illegality, S. 140, der sich dabei allerdings auch auf die Artikelserie von Planes bezieht. Für eine ausführliche, wenn auch einer eher wohlwollenden Untersuchung dieser Verteidigungskomitees, vgl. Guillamjn, Ready, bes. S. 27ff. 879 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 26f. 880 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 46f.
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mann zwischen der FAI und den Gewaltakteuren, die die Raubüberfälle durchführten, bezeichnet.881 Dieser war einige Tage vor dem Erscheinen der Artikelserie von Planes zusammen mit mehreren anderen mutmaßlichen Straßenräubern nahe der PlaÅa de les Glkries Catalanes festgenommen worden, worüber die Lokalzeitungen ausführlich berichteten und was vermutlich der Anlass für die Artikelserie von Planes war.882 Weiterhin macht Planes in seinen Artikeln unter anderem Dionisio Eroles, Mart&n Serrarols Treserra und eine als »CHntim« bezeichnete Person für mehrere Raubüberfälle verantwortlich. Wie in Kapitel 2.3 bereits erwähnt, hatte Eroles, der in Sants wohnte, wie auch viele der anderen militanten Arbeiter, bereits während der Diktatur Primo de Riveras wegen Sprengstoffbesitzes vor Gericht gestanden. Später, in den ersten Monaten des Bürgerkriegs, wurde er als Anführer einer als »Die Jungs von Eroles« bezeichneten Bande bekannt. Unter dem Vorwand, Personen aufzuspüren, die auf der Seite der Aufständischen standen, beging sie zahlreiche Verbrechen, um sich zu bereichern. Die Bande wurde im Zuge der Ereignisse vom Mai 1937 aufgelöst.883 Mart&n Serrarols Treserra war bereits 1933 als vermeintlicher Anführer einer Bande von Straßenräubern festgenommen worden.884 Später gelang es ihm, aus dem Gefängnis zu entkommen und zur Zeit der Veröffentlichung der Artikel von Planes soll er sich außerhalb von Barcelona befunden haben.885 Bereits knapp 15 Jahre zuvor soll er der anarchistischen Aktionsgruppe »Hidra« (dt.: Hydra) angehört haben und am Attentat auf einen Richter in der knapp 30 km nordwestlich von Barcelona gelegenen Kleinstadt Terrassa beteiligt gewesen und anschließend nach Frankreich geflüchtet sein.886 »C8ntim«, der im selben Artikel von Planes als der gefährlichste Straßenräuber beschrieben wird, soll sich im Arbeiterviertel Poblenou vor der Polizei versteckt und angekündigt haben, diese würde ihn nicht lebend zu fassen bekommen. Er wurde schließlich am 14. April 1934, also zwei Tage, nachdem der letzte Artikel von Josep Maria Planes Reportage über die Verbrecher von Bar881 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 20ff. sowie S. 26 und S. 46f. 882 Vgl. El Diluvio, 30. 3. 1934, S. 1, 31. 3. 1934, S. 7 und S. 18, sowie El Diario de Barcelona, 31. 3. 1934, S. 8ff. und S. 47 sowie 1. 4. 1934, S. 41. Auch hier wird Palacios als einer der Drahtzieher bezeichnet und ihm die Beteiligung an einem Überfall auf eine Schuhfabrik in der Calle de Villarroel angelastet. 883 Vgl. Preston, Holocaust, S. 231. Der Prozess wegen des angeblichen Besitzes von Sprengstoff ist dokumentiert in El Diluvio, 3. 11. 1926, S. 14 sowie Las Noticias, 3. 11. 1926, S. 3. 884 Über die Festnahme von Serrarols Treserra berichteten El Diario de Barcelona, 1. 6. 1933, S. 4 und S. 12, 2. 6. 1933, S. 11, El Diluvio, 1. 6. 1933, S. 7 und 6. 6. 1933, S. 3 sowie El Noticiero Universal, 5. 6. 1933, S. 18. 885 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 20f. 886 So wird Serrarols Treserra in einem Bericht des Sonderkommissars der unmittelbar an der spanischen Grenze gelegenen französischen Ortschaft Perthus an die Polizei in Paris vom 31. Juli 1920 erwähnt, vgl. AN, F/7 13441.
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celona erschienen war, bei einer Schießerei mit der Polizei getötet. Während er bei seinen Arbeitskollegen als Jos8 Batllo bekannt war, soll er nach Angaben seines Stiefbruders Julio, der ebenfalls an dem Feuergefecht beteiligt war und später von der Polizei festgenommen wurde, eigentlich Eduardo Mart& Mart&n geheißen haben. Beide sollen bereits zuvor in mehrere Schießereien mit der Polizei und andere schwere Delikte verwickelt gewesen sein.887 Als zweite Kategorie der Straßenräuber nennt Planes Ausländer, ehemalige Häftlinge und Kriminelle, die ihren Lebensunterhalt zuvor vor allem mit Eigentumsdelikten finanziert hatten. Diese würden, je nach der Größe des Überfalls, in Gruppen von bis zu acht Personen agieren und nichts mit den Anarchisten zu tun haben. Ihre Raubüberfälle würden sich, ähnlich wie die der anarchistischen Straßenräuber, gegen Banken, Fabriken und Geldüberbringer richten, darüber hinaus aber auch gegen Geschäfte und Personen, die entweder im Auto oder zu Fuß an abgeschiedenen Orten alleine unterwegs waren. Wenn sie Angst vor Entdeckung hätten oder das Opfer Widerstand leistete, würden sie nicht zögern, dieses umzubringen. Als Beispiel nennt Planes die aus vier bis fünf Personen bestehende Bande von Joan Massip i Puig, einem ehemaligen Häftling aus Girona, deren Taktik darin bestanden haben soll, nach jedem Überfall erst einmal für längere Zeit aus Barcelona zu verschwinden.888 Dass Ausländer durchaus, wie von Planes in einem weiteren Artikel behauptet, einen Teil des organisierten Verbrechens in Barcelona ausmachten und neben Raubüberfällen vor allem in den oft mit der Prostitution verbundenen Menschen- und Drogenhandel involviert waren, lässt sich durchaus anhand der Quellen belegen.889 Als Beispiele für Ausländer, die an den bewaffneten Raubüberfällen in Barcelona beteiligt waren, nennt Planes zunächst den Tschechoslowaken Ladislao Mucial, der die Mitglieder seiner Bande im Barrio Chino angeworben haben soll. Die Lokalpresse schrieb ihm die drei im Kapitel 3.3.2 erwähnten spektakulären Banküberfälle in Barcelona im Jahr 1931 zu.890 Nach887 Siehe hierzu die umfangreiche Berichterstattung in der lokalen Presse: El Correo Catal#n, 17. 4. 1934 S. 3 und 20. 4. 1934, S. 6, La Noche 17. 4. 1934, S. 2, 19. 4. 1934, S. 2, 21. 4. 1934 und 5. 5. 1934, S. 3 sowie El Diluvio, 15. 4. 1934, S. 1, 17. 4. 1934, S. 7 und 18. 4. 1934, S. 7 oder El Noticiero Universal, 17. 4. 1934, S. 2. 888 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 49. 889 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 51ff. So berichteten bereits Anfang Februar 1932 El Diluvio und El Diario de Barcelona anlässlich der Festnahme eines Mannes aus Korsika, dass es in Barcelona viele Ausländer gebe, die sich dem Menschenhandel widmen würden, vgl. El Diluvio, 2. 2. 1932, S. 7 und El Diario de Barcelona, 2. 2. 1932, S. 27. Nur wenige Tage später berichteten verschiedene Lokalzeitungen über eine Bande von Drogenhändlern, zu denen auch ein Schweizer gehört haben soll, vgl. El Noticiero Universal, 18. 2. 1932, S. 12, La Noche, 18. 2. 1932, S. 3 und El Diluvio, 19. 2. 1932, S. 7. Ein späteres Beispiel für die Beteiligung von Ausländern am Drogenhandel in Barcelona ist etwa dokumentiert in El Noticiero Universal, 4. 8. 1934, S. 2. 890 Vgl. El Diluvio, 25. 10. 1931, S. 5 sowie El Diario de Barcelona, 24. 10. 1931, S. 12. Dagegen
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dem er sich der Verhaftung durch die Polizei mehrmals durch Flucht entziehen konnte, soll er schließlich kurz vor Veröffentlichung der Artikel in seinem Heimatland ermordet worden sein.891 Als Beispiel für weitere ausländische, in Barcelona agierende Straßenräuber nennt Planes die beiden Italiener Vitale und Oriani, die für den Überfall auf einen Juwelier in Gr/cia verantwortlich gewesen sein sollen, der dabei erschossen wurde.892 Damit dürfte vermutlich der Überfall auf das Juweliergeschäft in der Calle de Salmerjn 56 am 23. März 1933 gemeint gewesen sein, bei dem die Täter den Eigentümer verwundeten und dieser später seinen Verletzungen erlag.893 Etwas mehr als zwei Jahre zuvor hatte sich ein ganz ähnlicher Überfall auf einen Juwelier in der Nähe der Ramblas ereignet, an dem ebenfalls mindestens ein Italiener beteiligt gewesen sein soll.894 Außerdem brachte die Lokalpresse zwei weitere Italiener mit den Raubüberfällen in Barcelona in Verbindung. So soll Giuseppe Vicari, der Anfang 1933 von Italien nach Barcelona kam, dort eine Bande von Straßenräubern gegründet haben, die sich vor allem auf Raubüberfälle auf Tabakgeschäfte spezialisiert hatte. Wie auch Murcial soll Vicari die Mitglieder seiner Bande im Barrio Chino angeworben haben.895 Gut einen Monat nach der Festnahme von Vicari erschoss die Polizei dessen Landsmann Bruno Alpini, der sowohl der FAI als auch der Bande von »C8ntim« angehört haben soll, was ein Beleg dafür ist, dass die Grenzen zwischen den Expropriatoren der FAI und den kriminellen Straßenräubern doch eher fließend und nicht so festgelegt waren, wie es Planes in seinem Artikel darstellte.896
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macht El Correo Catal#n Murcial nur für den Banküberfall am 23. Oktober 1931 verantwortlich. Nach dieser Darstellung soll er aber zusätzlich auch noch Überfälle in Sitges und Matarj durchgeführt haben, vgl. El Correo Catal#n, 24. 10. 1931, S. 3. Vgl. Planes, G/ngsters, S. 53. Vgl. Planes, G/ngsters, S. 52f. Vgl. den Bericht in El Noticiero Universal, 23. 3. 1933, S. 15, der mutmaßt, dass der Überfall von zwei Italienern und einem weiteren Täter durchgeführt wurde, der aus Montevideo stammte. Demzufolge sollen die beiden Italiener allerdings Nicol#s Mena und Mariano Bordoni geheißen haben. Vgl. dazu die Berichte in El Noticiero Universal, 7. 3. 1931, S. 5, 9. 3. 1931, S. 21, 15. 3. 1931, S. 12 und 13. 3. 1931, S. 11, El Diario de Barcelona, 6. 3. 1931, S. 8, 7. 3. 1931, S. 4 und S. 39, 8. 3. 1931, S. 39 und 10. 3. 1931, S. 40, El Correo Catal#n, 6. 3. 1931, S. 1 und 11. 3. 1931, S. 2 sowie El Diluvio, 31. 3. 1931, S. 15. Vgl. die umfangreiche Berichterstattung in La Noche, 17. 3. 1933, S. 1, El Correo Catal#n, 18. 3. 1933, S. 1 und 19. 3. 1933, S. 1, El Diluvio, 21. 3. 1933, S. 11, El Diario de Barcelona, 18. 3. 1933, S. 14, 19. 3. 1933, S. 14, 21. 3. 1933, S. 15, 28. 3. 1933, S. 47, 4. 4. 1933, S. 33 sowie El Noticiero Universal, 18. 3. 1933, S. 3 und 20. 3. 1933, S. 19. Über die Verbrechen, die Alpini in Barcelona begangen haben soll, berichteten El Correo Catal#n, 17. 4. 1933, S. 3, El Diario de Barcelona, 7. 5. 1933, S. 13, El Diluvio, 15. 4. 1934, S. 1 und 17. 4. 1934, S. 7 sowie El Noticiero Universal, 17. 4. 1934, S. 2. Über die etwas rätselhaften Umstände des Todes von Alpini, in denen manche eine neuerliche Anwendung des »Ley de Fugas« sahen, berichtete El Correo Catal#n, 3. 3. 1935, S. 6.
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Die dritte und letzte Kategorie von Straßenräubern war nach der Darstellung von Planes die am wenigsten gewaltbereite. Zu ihr gehörten seiner Meinung nach vor allem Kleinkriminelle, die nur im äußersten Notfall ihren Opfern gegenüber handgreiflich werden würden. Die generell relativ jungen Täter würden ihre Raubüberfälle vor allem in eher abgeschiedenen Bereichen der Stadt wie Horta, Pedralbes und der Carretera de la Rabassada durchführen, die zu dieser Zeit ein beliebter Treffpunkt von Liebespaaren waren. Diese eigneten sich deshalb besonders gut als Opfer, weil sie in den meisten Fällen aus Diskretion darauf verzichteten, den Überfall anzuzeigen.897 Dies entspricht der Argumentation von Randall Collins, demzufolge die jüngsten Straßenräuber normalerweise Tatvarianten wählen, die mit dem höchsten Maß an Konfliktvermeidung einhergehen. Erst später würden sie sich zu konfrontativeren Tatvarianten »hocharbeiten«.898 Ein Beispiel hierfür ist der bereits in Kapitel 3.3. kurz zitierte Jos8 Antich Gonz#lez, der als 20-jähriger als Anführer einer Jugendbande in der ersten Hälfte des Jahres 1933 zunächst eine Reihe kleinerer Raubüberfälle durchführte, um dann Anfang 1934 einen spektakuläreren Überfall auf die Firma Pamias zu begehen, wofür er und zwei seiner ebenfalls noch sehr jungen Komplizen zu 20 Jahren Haft verurteilt wurden.899 Noch härter griff die Justiz bei dem ebenfalls noch sehr jungen Straßenräuber Andr8s Aranda Ortiz durch, der bei einem Überfall auf eine Schneiderei im Dezember 1934 verhaftet wurde, wobei es zu einer Schießerei mit der Polizei kam. Hierbei wurde eine Person getötet und vier weitere erlitten Verletzungen.900 Wenige Tage später wurde Aranda dafür zum Tode verurteilt und hingerichtet.901 Chris Ealham, der diesen Fall in einem Aufsatz näher untersucht hat, beschreibt Aranda als typisches Beispiel für einen jugendlichen, politisch aktiven Straftäter. So habe er bereits im frühen Kindesalter anfangen müssen zu arbeiten und sei dann bald mit den Gewerkschaften und anarchistischem Gedankengut in Be897 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 50. Über ein konkretes, allerdings etwas späteres Beispiel berichtete La Noche, 12. 3. 1935, S. 3, demzufolge eine Gruppe von 16- bis 19-jährigen ein Lager überfallen und dabei 65 Peseten erbeutet haben soll, wobei eines der Opfer mit einem Knüppel verletzt wurde. 898 Vgl. Collins, Dynamik, S. 259. 899 Eine Auflistung der Überfälle, die Antich mit seiner Bande in der ersten Hälfte des Jahres 1933 begangen haben soll, ist dokumentiert in El Correo Catal#n, 23. 5. 1933, S. 3 sowie El Diario de Barcelona, 21. 5. 1933, S. 40 und 23. 5. 1933, S. 12. Antichs Beteiligung am Überfall auf die Fabrik Pamias wird erwähnt in El Diario de Barcelona, 2. 1. 1934, S. 12f. und El Noticiero Universal, 2. 1. 1934, S. 12. Der anschließende Gerichtsprozess ist dokumentiert in La Noche, 12. 2. 1934, S. 3 und 13. 2. 1934, S. 3. 900 Der Tathergang wird beschrieben in El Diluvio, 16. 12. 1934, S. 21, El Diario de Barcelona, 16. 12. 1934, S. 39 und 18. 12. 1934, S. 9f., El Noticiero Universal, 18. 12. 1934, S. 4 und 19. 12. 1934, S. 11 sowie La Noche, 17. 12. 1934, S. 8. 901 Über den Prozess berichteten El Correo Catal#n, 18. 12. 1934, S. 1 und 20. 12. 1934, S. 2. Die Vollstreckung der Todesstrafe ist dokumentiert in La Noche, 21. 12. 1934, S. 5.
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rührung gekommen, was ihn schon früh mit dem Gesetz in Konflikt brachte. Er schloss sich der anarchistischen Jugendbewegung »Juventudes Libertarias« (dt.: Libertäre Jugend) an und erhielt im Zuge eines Arbeitskonfliktes einen Eintrag in das Vorstrafenregister. Wie viele weitere militante Gewerkschaftsmitglieder kam auch er auf eine schwarze Liste der Arbeitgeber, die es ihm unmöglich machte, Arbeit zu finden. Diese hoffnungslose Lage soll ihn letztlich dazu gebracht haben, Raubüberfälle zu begehen, um sein Überleben zu sichern.902 Inwieweit sich dies, der Argumentation Ealhams folgend, verallgemeinern lässt, bleibt fraglich, doch ist zumindest der Fall von Jos8 Matorell Virgili, der kurz nach der Hinrichtung von Aranda festgenommen und wegen seiner angeblichen Beteiligung an zahlreichen Raubüberfällen in den Lokalzeitungen zum »Staatsfeind Nummer 1« erklärt wurde, ganz ähnlich gelagert.903 Virgili wurde am 26. November 1914 geboren und war damit etwa der gleiche Jahrgang wie Aranda. Im Dezember 1932 wurde er dann als 18-jähriger zum ersten Mal festgenommen, als er im Zuge des Streiks im Holzverarbeitungsgewerbe mit zwei weiteren Personen zwei Sprengsätze in einer Schreinerei zur Explosion brachte, wodurch großer Sachschaden entstand.904 Im Gefängnis soll er dann mit Straßenräubern wie Mart&n Serrarols Treserra in Kontakt gekommen sein und daraufhin beschlossen haben, selbst eine Bande von Straßenräubern zu gründen.905 Nach seiner Verhaftung wurde Virigili die Beteiligung an mehreren Raubüberfällen nachgewiesen, wofür er zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde.906 Bereits einige Wochen nach der Verhaftung Virgilis und eines seiner Komplizen Anfang Januar hatte die Zeitung El Noticiero Universal am 29. Januar 1935 gemeldet, dass es nun so gut wie keine Raubüberfälle mehr gebe, was sie als Indiz dafür ansah, dass die Haupttäter endlich gefasst seien.907 902 Vgl. Ealham, Crime and Punishment, bes. S. 35ff. 903 So wird Virgili zum Beispiel in Artikeln in La Noche vom 4. 6. 1935, S. 6 und El Correo Catal#n vom 8. 1. 1935, S. 4 bezeichnet. 904 Die Tat und der anschließende Prozess gegen Virgili werden beschrieben in El Diluvio, 1. 12. 1932, S. 16, El Noticiero Universal, 1. 12. 1932, S. 3 und 2. 12. 1932, S. 4 sowie 14. 905 Einen umfassenden Überblick über das Leben Virigils findet sich in El Correo Catal#n, 8. 1. 1935, S. 4. 906 Der Prozessbericht zum Überfall auf die »Casa Donat« ist dokumentiert in La Noche, 24. 6. 1935, S. 3. El Diluvio, 21. 4. 1935, S. 9 und El Noticiero Universal, 20. 4. 1935, S. 2 berichteten über den Prozess gegen Virigili wegen des Überfalls auf das Wohnhaus der Grafen Sert. Der Prozess wegen des Überfalls auf die Wassergesellschaft wird beschrieben in El Noticiero Universal, 4. 6. 1935, S. 9. Außerdem wurde er am 31. August 1935 wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, vgl. ATSJC, Libro de Sentencia 1935, J36644971. Im Prozess wegen eines der spektakulärsten Raubüberfälle des Jahres 1934 auf die Bank in Matark wurde Virgili hingegen freigesprochen, weil er sich zum Zeitpunkt des Überfalls in Frankreich befunden haben soll, siehe El Diluvio, 29. 6. 1935, S. 8 und El Diario de Barcelona, 29. 6. 1935, S. 25. 907 Vgl. El Noticiero Universal, 29. 1. 1935, S. 18.
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Saboteure Neben den bewaffneten Straßenräubern bildeten die »Saboteure« eine zweite Kategorie von Gewaltakteuren, die den städtischen Alltag in Barcelona während der Zeit der Zweiten Republik prägten. Ihre Gewaltaktionen richteten sich nicht vornehmlich gegen Menschen, sondern hauptsächlich in Form von Sprengstoffanschlägen, Brandanschlägen und Vandalismus gegen Gegenstände und Einrichtungen. Wie Wolfgang Sofsky konstatiert, handelt es sich bei einem »Zerstörer« im Vergleich etwa zum Straßenräuber oder auch zum Attentäter, um eine ganz anders geartete Gewaltfigur: »Um den materiellen Schaden schert sich der Zerstörer nicht. Er will nicht rauben, plündern oder umverteilen. Die Dinge sind für ihn keine Güter mehr, die noch des Besitzes würdig wären.« Stattdessen wollten Zerstörer, so Sofsky, der Kraft ihres Körpers und ihres Willens freien Lauf lassen und dabei ihre destruktive Macht erleben.908 Auch Planes behauptet im letzten Artikel seiner Reportage über die organisierte Kriminalität in Barcelona, dass es bei den Drahtziehern der Sabotageakte und Raubüberfälle zwar Überschneidungen gäbe, die Gewaltakteure, die diese dann ausführten, würden jedoch aus ganz unterschiedlichen Milieus stammen. So würde es sich bei den Saboteuren hauptsächlich um 14- bis 18jährige Jugendliche aus den als »ateneos« (dt.: Athenäums) bezeichneten anarchistische Bildungseinrichtungen handeln.909 Während des Pistolerismo waren die Bomben- und Sprengstoffanschläge, wie bereits beschrieben, meist von anarchistischen Aktionsgruppen mit festen Mitgliedern durchgeführt worden, die die Bomben meist selbst herstellten und lagerten. Im Gegensatz dazu sollen in die Durchführung der Sprengstoffanschläge während der Zweiten Republik, wie etwa auch im Eingangsbeispiel des Kapitel 3.2.1 von Jos8 Peirats geschildert, zwar fast immer mehrere Personen involviert gewesen sein, die dafür verantwortlich waren, dass die Bomben aus ihrem Versteck schließlich an ihren Zielort gelangten und dort explodierten, die Zusammensetzung dieser Gruppen soll aber stets gewechselt haben, um zu vermeiden, dass festgenommene Akteure ihre Mittäter verraten konnten, wenn sie von der Polizei verhört wurden.910 So lässt sich für den gesamten Zeitraum der Zweiten Republik mit den auch von Planes in seiner Artikelserie erwähnten Brüdern Manuel und Angel Soto lediglich eine Gruppe namhaft machen, die mit den beschriebenen anarchistischen Aktionsgruppen vergleichbar war.911 Die beiden Brüder sollen in ihrer 908 909 910 911
Vgl. Sofsky, Traktat, S. 194. Vgl. Planes, G/ngsters, S. 53. Vgl. Planes, G/ngsters, S. 27. Vgl. Planes, G/ngsters, S. 53. Über die Entdeckung des Sprengstofflagers in der Wohnung der Gebrüder Soto berichten El Noticiero Universal, 24. 3. 1934, S. 9 und 28. 3. 1934, S. 20, El
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Wohnung in Poblenou Sprengsätze hergestellt haben und dann auch zumindest an einem Sprengstoffanschlag selbst beteiligt gewesen sein. In der Regel stammten die Täter vermutlich hauptsächlich aus der Arbeiterschaft der von den jeweiligen Streiks oder Arbeitskämpfen betroffenen Fabriken oder Werkstätten, in denen sie die Sprengstoffanschläge durchführten.912 Da dies anscheinend auch für die im Zuge des Streiks im Holzverarbeitungssektor verübten Fälle von Vandalismus in Form von Zerstörung der Einrichtungen von Schreinereien gilt, lassen sich hinsichtlich der Gewaltakteure bei den Saboteuren lediglich unter den Brandstiftern Gruppen nachweisen, die man als staatsferne Gewaltgemeinschaften klassifizieren könnte. Diese sind auch deswegen in den Quellen am besten dokumentiert, weil sich deren Taten im Vergleich zu den nur sehr punktuell auftretenden Akten von Vandalismus über einen wesentlich längeren Zeitraum erstreckten und im Gegensatz zu den Sprengstoffanschlägen, die meist heimlich und nachts begangen wurden, häufig in aller Öffentlichkeit ausgeführt wurden, weshalb die Polizei in diesen Fällen wesentlich öfter die Täter verhaften konnte. Ein erstes Opfer der Intervention durch die Polizei war Rafael Arnau, dessen Leiche man in eine Decke gewickelt am 17. Februar 1934 in der Carretera de San Andr8s fand.913 Arnau war 22 Jahre alt, hatte als Tischler in Sants gearbeitet und bewegte sich in anarchistischen Kreisen.914 Wie spätere Ermittlungen ergaben, wollte er am 16. Februar zusammen mit drei bis vier weiteren Personen, die ebenfalls der anarchistischen Organisation »Faros« (dt.: Leuchttürme) angehört haben sollen, einen Brandanschlag auf eine Straßenbahn in der Gran Via de les Corts Catalanes begehen.915 Dieser wurde jedoch von der Polizei vereitelt, die
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Diluvio, 25. 3. 1934, S. 22, 27. 3. 1934, S. 1, 28. 3. 1934, S. 2 und 29. 3. 1934, S. 1, El Diario de Barcelona, 25. 3. 1934, S. 9f. und S. 40, 28. 3. 1934, S. 39, 29. 3. 1934, S. 32 und 31. 3. 1934, S. 28. Der daraus folgende Prozess ist dokumentiert in El Noticiero Universal, 12. 5. 1934, S. 2. Beide Brüder wurden schließlich zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie am 4. Februar 1934 mit zwei weiteren Personen unter Waffengewalt in eine Fabrik eingedrungen waren und dort einen Sprengsatz anbrachten, siehe El Diluvio, 18. 4. 1934, S. 6 und El Diario de Barcelona, 18. 4. 1934, S. 25. So richteten sich beispielsweise die Ermittlungen der Polizei hinsichtlich des Bombenanschlags im Passeig de Gr/cia im Zuge des Streiks bei der Telefongesellschaft vor allem gegen das Streikkomitee, siehe El Diario de Barcelona, 21. 8. 1931, S. 31 und El Noticiero Universal, 31. 1. 1933, S. 12. Über den Leichenfund berichteten El Diluvio, 18. 2. 1934, S. 8 sowie El Noticiero Universal, 17. 2. 1934, S. 2. Die Lebensumstände von Arnau werden ausführlich beschrieben in El Diluvio, 23. 2. 1934, S. 9, 24. 2. 1934, S. 8 und 25. 2. 1934 S. 8, sowie La Noche, 22. 2. 1934, S. 8 und 26. 2. 1934, S. 2. Gemäß dem letzten zitierten Artikel soll Arnau einige Tage zuvor an einem Überfall auf einen Tabakladen in Sant Feliu de Llobregat beteiligt gewesen sein. Die Ermittlungen der Polizei dokumentierten La Noche, 8. 3. 1934, S. 13, El Diluvio, 28. 2. 1934, S. 7 und 2. 3. 1934, S. 1, El Diario de Barcelona, 8. 3. 1934, S. 18 und 11. 3. 1934, S. 38, El Noticiero Universal, 7. 3. 1934, S. 14 und 8. 3. 1934, S. 14 sowie El Correo Catal#n 8. 3. 1934,
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sich mit den Tätern ein Feuergefecht lieferte, bei dem Arnau tödlich verwundet wurde.916 Nachdem wenige Monate später die Polizei einen weiteren Jugendlichen unter ganz ähnlichen Umständen erschossen hatte, rechtfertigte der Innenminister der katalanischen Autonomieregierung Josep Denc/s gegenüber den Reportern das rigorose Vorgehen der Polizei folgendermaßen: »Es ist angemessen, diesen seelenlosen Elementen, die fast täglich Sabotageakte begehen, ein Ende zu setzen. Sie organisieren sich in Banden und werden finanziell unterstützt von Elementen, die im Dunkeln bleiben. Sie bekommen Geld für jede Straßenbahn, die sie zerstören. Ich bin zu jedem Mittel bereit, um diesem System, das auf so direkte Weise die Moral unserer Jugend verdirbt, ein Ende zu setzen.«917
Während Denc/s bald darauf zufrieden meinte, dass es nur eine Bande von Saboteuren gegeben habe, deren letztes Mitglied nun endlich gefasst sei, trat bereits kurz darauf eine weitere Gruppe in Aktion, die erst ein halbes Jahr später in Santa Coloma de Gramenet festgenommen werden konnte.918 Bis dahin hatte sie nicht nur eine Vielzahl von Brandanschlägen, sondern auch mehrere Raubüberfälle durchgeführt, weshalb die Lokalpresse ihren vermeintlichen Anführer, Juan Vendrell Iranzo, zum »Staatsfeind Nr. 2« erklärte.919 Er wurde schließlich genauso wie auch zwei seiner Komplizen zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Sein Bruder Jos8, der ebenfalls zur Bande gehört haben soll, erhielt lediglich eine Arreststrafe von sechs Monaten.920 Dass es durchaus häufiger
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S. 1 und 9. 3. 1934, S. 6. Über den Prozess berichteten El Diluvio, 3. 4. 1934, S. 6, El Diario de Barcelona, 20. 3. 1934, S. 39 und 3. 4. 1934, S. 24 sowie El Noticiero Universal, 10. 03. 1934, S. 14 und 20. 3. 1934, S. 15. Wie El Diluvio, 21. 2. 1934, S. 1, berichtete, soll Arnau laut Aussagen der Gerichtsmediziner nach dem Schuss noch mindestens zwei Stunden gelebt haben. Das Interview findet sich in El Correo Catal#n, 17. 7. 1934, S. 3. Dass die Behauptungen von Denc/s durchaus auf realen Tatsachen beruhen, wird durch die Geständnisse mehrerer verhafteter Saboteure bestätigt, die nach ihrer Festnahme aussagten, für die Beteiligung an den Sabotageakten Geld erhalten zu haben. Siehe beispielsweise El Diario de Barcelona, 10. 7. 1935, S. 9 sowie El Correo Catal#n, 21. 6. 1935, S. 3. Dass dies nicht nur für Brandstifter, sondern teilweise auch für Personen zutraf, die an Sprengstoffanschlägen beteiligt waren, zeigt ein in El Diluvio, 9. 8. 1934, S. 7 und 11. 8. 1934, S. 15 sowie in El Diario de Barcelona, 9. 8. 1934, S. 13f. und 11. 8. 1934, S. 32 dokumentiertes Beispiel. Dieses Interview von Denc/s ist dokumentiert in La Noche, 1. 8. 1934, S. 3. Die Verbrechen der Bande sind geschildert in El Diluvio, 15. 5. 1935, S. 6, El Noticiero Universal, 15. 5. 1935, S. 13 sowie 16. 5. 1935, S. 2. Einige der mutmaßlichen Komplizen von Vendrell sollen allerdings behauptet haben, dass nicht er, sondern der aus Kuba stammende Vicente Lipis Rodr&guez der Chef der Bande war, siehe El Diario de Barcelona, 15. 5. 1935, S. 13. Über den Prozess berichteten La Noche, 18. 7. 1935, S. 7 und 19. 7. 1935, S. 7, El Diluvio, 19. 7. 1935, S. 10, El Diario de Barcelona, 19. 7. 1935, S. 25 und El Diario de Barcelona, 19. 7. 1935, S. 41. Später wurden die Brüder Vendrell, Lipis und eine weitere Person für einen Brandanschlag Ende Januar 1935 in Santa Coloma de Gramenet verurteilt, siehe El Diario de Barcelona, 28. 9. 1935, S. 26. Dagegen wurden sie im Prozess wegen eines anderen Brand-
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vorkam, dass Saboteure auch an Raubüberfällen beteiligt waren, zeigt sich beispielsweise auch am Fall des im Juni 1935 festgenommenen Rafael Sansegundo Garc&a. Dieser soll den Berichten der Lokalzeitungen zufolge vom Umfang her ein vergleichbares Strafregister wie Jos8 Martorell gehabt haben und nicht nur an zahlreichen Raubüberfällen, sondern auch an mehreren Brandanschlägen auf Busse und Straßenbahnen beteiligt gewesen sein.921 Insgesamt lässt sich resümieren, dass es sehr schwierig ist, in Barcelona während der Zwischenkriegszeit existierende staatsferne Gewaltgemeinschaften nachzuweisen, was zum einen auf die zum Teil sehr unsichere Quellenlage und zum anderen auch auf die realen Gegebenheiten zurückzuführen ist, denenzufolge die an den kollektiven Gewaltakten beteiligten Personen, wenn überhaupt, dann eher lose Beziehungen zu ihren Mittätern hatten. Dennoch lassen sich aus der vorangegangenen Untersuchung interessante Erkenntnisse herleiten. Dies ist zunächst die Tatsache, dass es durchaus häufiger vorkam, dass, wie im Eingangsbeispiel am Fall von Joaquin Caball8 gezeigt, Gewaltakteure über einen relativ langen Zeitraum agierten und dabei teilweise durch ganz unterschiedlich geartete Strafdelikte in Erscheinung traten. Weiterhin ist auch bemerkenswert, dass es sich bei dem Großteil der in Barcelona während der Zwischenkriegszeit agierenden Gewaltakteure um junge Männer handelte. Von dieser Erkenntnis ausgehend, sollen im folgenden Kapitel bestimmte soziale Gruppen im Hinblick auf ihren Beitrag zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit untersucht werden.
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Gewaltaffinität der für die Gewaltsamkeit Barcelonas bedeutendsten sozialen Gruppen
Friedrich Lenger benennt in seiner umfassenden Darstellung der »Metropolen der Moderne« die Migration als einen der Hauptgründe für die Verstädterung Europas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und macht bei ihrer Analyse folgende Beobachtung: »Ganz offenkundig gab es also eine beträchtliche Zahl von Migranten, die arbeitssuchend von Ort zu Ort zogen. Sie waren überwiegend jung und unverheiratet sowie mehrheitlich männlich«.922 Da auch der große Bevölkerungszuwachs Barcelonas, wie in der Einleitung bereits erwähnt, außer anschlags freigesprochen, der sich zwanzig Tage zuvor in Badalona ereignet hatte, vgl. El Diluvio, 6. 11. 1935, S. 8. 921 Über die Festnahme von Sansegundo Garc&a berichteten La Noche, 15. 6. 1935, S. 16, El Correo Catal#n, 16. 6. 1935, S. 1 und El Diario de Barcelona, 16. 6. 1935, S. 18. Der ausführliche Polizeibericht über seine Verhaftung vom 1. Juli 1935 wurde in El Correo Catal#n, 2. 7. 1935, S. 3 veröffentlicht. 922 Vgl. Lenger, Metropolen, S. 90.
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auf die Eingliederung der bisherigen Nachbarstädte wie Sants oder Gr/cia vor allem auf den Zuzug von Menschen aus dem katalanischen Umland und später verstärkt auch aus anderen Teilen Spaniens zurückzuführen ist, lag es für die Zeitgenossen nahe, den Grund für die parallel dazu in Barcelona erfolgte Zunahme der vor allem im Kapitel 3.2 und 3.3 beschriebenen Gewaltpraktiken, in erster Linie genau bei diesen Personen zu suchen. Da auch die Gewaltforschung vor allem jungen Männern im Allgemeinen eine tragende Rolle bezüglich der Beteiligung an Gewaltpraktiken und Gewaltgemeinschaften zuschreibt, scheint es angebracht, diese zeitgenössische Wahrnehmung ernst zu nehmen und nicht ohne weitere Prüfung direkt als Vorurteil oder Teil eines bürgerlichen Diskurses abzutun. Deshalb sollen in diesem Unterkapitel nun die von Friedrich Lenger benannten sozialen Gruppen hinsichtlich der Frage in den Blick genommen werden, inwieweit sie in Barcelona während der Zwischenkriegszeit tatsächlich einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zur Gewaltsamkeit in der Stadt leisteten. So werden die Täter zunächst hinsichtlich ihres Alters betrachtet, um herauszufinden, ob diese tatsächlich in überwiegender Mehrheit junge Erwachsene waren (Kapitel 4.2.1). In Anbetracht der Tatsache, dass die bisher in dieser Arbeit beschriebenen Gewaltakteure und Gewaltgemeinschaften fast ausschließlich Männer waren, gilt es, im anschließenden Unterkapitel danach zu fragen, ob und in welchem Maße auch Frauen an den beschriebenen Gewaltakten und an den Gewaltgemeinschaften beteiligt waren, um dann in einem zweiten Schritt zu analysieren, inwieweit für den hohen Anteil von Männern an der Gewaltsamkeit in Barcelona Männlichkeitskonzepte verantwortlich waren (Kapitel 4.2.2). Im dritten Unterkapitel soll abschließend untersucht werden, welchen Anteil Migranten an der hohen Gewaltsamkeit in Barcelona tatsächlich hatten (Kapitel 4.2.3).
4.2.1 Jugendliche Gewaltakteure und ihr Beitrag zur hohen Gewaltsamkeit während der Zwischenkriegszeit Der aus Bilbao stammende spanische Philosoph Miguel de Unamuno, der bis kurz vor seinem Tod im Dezember 1936 das Amt des Rektors an der Universität Salamanca innehatte, argumentierte in einem unter dem Titel »Juventud de Violencia« (dt. : Jugend der Gewalt) am 12. April 1933 im El D&a Gr#fico (dt.: Der Tag in Farbe) erschienenen Artikel, dass die damalige Jugend zwei Charakteristika aufweisen würde.923 Neben mangelnden geographischen und his923 Eine kurze Biographie von de Unamuno und einen Einblick in sein Denken bietet etwa Schmidt, Spanien, S. 160ff.
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torischen Kenntnissen zum einen sei dies – so Miguel de Unamuno – zum anderen … »[…] ein gewisser sportlicher Sinn für die Gewalt um der Gewalt selbst Willen. Und es ist ein Glück, dass die Gewalt in den meisten Fällen nur verbaler Natur ist. Obwohl sie beginnt, mehr als das zu sein. Sie hat sich bereits zu einer ansteckenden Epidemie entwickelt. Und die Gewalt steht nicht im Dienst irgendeines Ideals oder eines politischen, sozialen, religiösen – oder religionswidrigen Zwecks oder eines anderen Gemeinziels, sondern diese Ideale und Ziele sind nichts als Vorwände um Gewalt anzuwenden«.924
Der den damaligen Jugendlichen von de Unamuno attestierte moralische Verfall und die damit verbundene Gewaltaffinität haben auch Zeitgenossen des spanischen Philosophen in ihren Heimatländern in ähnlicher Weise wahrgenommen. So erinnerte sich der ehemalige Berliner Polizeipräsident Albert Grzesinski daran, dass die meisten der verhafteten Nationalsozialisten unter 20 Jahre alt waren und er entsetzt von ihrer moralischen Heruntergekommenheit gewesen sei. Ähnlich äußerte sich auch der Präfekt der italienischen Stadt Reggio Emilia über die Jugendlichen, die sich im März 1921 in großer Zahl unter den Gründungsmitgliedern der städtischen Fascio befanden und die sich seiner Meinung nach durch ihre »Zügellosigkeit, geringe Ernsthaftigkeit und Besonnenheit« auszeichneten.925 Der hohe Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen findet sich nicht nur in den von Sven Reichardt untersuchten faschistischen Kampfbünden in Deutschland und Italien, sondern auch in den bisher vorliegenden Studien zur städtischen Gewalt im 20. Jahrhundert, in denen vor allem am Beispiel von deutschen und amerikanischen Städten gezeigt wurde, dass Jugendliche auch hier – etwa in Form der »Wilden Cliquen« in Berlin – einen ganz maßgeblichen Anteil an der organisierten Kriminalität und der Gewalt in diesen Städten hatten.926 Den Blick nun auf Barcelona richtend ist zunächst festzuhalten, dass die Gruppe Jugendlicher, um die sich de Unamuno als Rektor der Universität Salamanca vermutlich am meisten Sorgen machte, für die hohe Gewaltsamkeit in der katalanischen Metropole so gut wie keine Rolle spielte. Manuel de Unamuno wandte sich etwa anderthalb Jahre nach dem eingangs zitierten Artikel anlässlich seines 70. Geburtstags und der Eröffnung des Wintersemesters 1934/1935 mit folgenden Worten an seine Studierenden in Salamanca: 924 El D&a Gr#fico, 12. 4. 1933, S. 11. 925 Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 346. 926 Vgl. Wagner/Weinhauer, Tatarenblut, besonders S. 279f. sowie Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 347 und S. 351. Für einen aktuellen Aufsatz zur Berliner Großstadtjugend und ihre Verbindungen zu Gewalt und organisierten Kriminalität während der Weimarer Republik, siehe Bäcker-Wilke, Städtische Organisationsstrukturen.
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»Meine lieben Studierenden […], ich würde mir große Sorgen machen, wenn ich mit meinen 70 Jahren herausfinden würde, dass Ihr Pistolen und Messer in Euren Büchern versteckt! Nein, Ihr nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr Opfer der Epidemie werdet, die im Moment dabei ist, Spanien zu korrumpieren.«927
Bei der von de Unamuno angesprochenen »Epidemie« handelte es sich vermutlich um den aufkommenden Faschismus in Spanien und die dadurch hervorgerufenen gewaltsamen Konfrontationen mit linksgerichteten Gruppierungen, in die – so die Befürchtung de Unamunos – seine Studenten mit hineingezogen werden könnten. Bereits im November 1933 war es zur ersten gewaltsamen Auseinandersetzung von Studierenden mit einem politischen Hintergrund gekommen und im Februar 1934 hatte eine Serie von Mordanschlägen auf die politischen Führer der Studentenbewegungen begonnen.928 Die Geschichte des studentischen Protestes in Spanien, wie Eduardo Gonz#lez Calleja in einer Monographie anschaulich beschrieben hat, reicht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück und es war in dieser Zeit auch nicht ungewöhnlich, dass Studenten, die ihr Studium meist bereits mit 15 oder 16 Jahren anfingen, mit Messern oder in einzelnen Fällen sogar schon mit Pistolen bewaffnet waren.929 Im Laufe des 20. Jahrhunderts begann ihre Politisierung und auch die Zahl der Studierenden stieg in Spanien deutlich an, von 27 000 im Jahr 1923 auf 60 000 im Jahr 1929.930 In der Diktatur Primo de Riveras waren die Studenten eine der ersten gesellschaftlichen Gruppen, die sich gegen den Diktator stellte, was schließlich dazu führte, dass es im Mai 1929 in Madrid zum ersten Mal zu einem gewaltsamen Studentenprotest kam, an dem sich 4000 Studierende beteiligten, von denen dabei ein Zehntel verhaftet worden sein soll.931 In Barcelona dagegen waren Studierende im gesamten Untersuchungszeitraum nur äußerst selten an kollektiven Gewaltaktionen beteiligt.932 Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass Studenten in Spanien zu dieser Zeit vor allem in die politischen Auseinandersetzungen zwischen der Falange und ihren Gegenspielern involviert waren, die aber, wie bereits in Kapitel 3.3.1 ausgeführt, 927 928 929 930 931 932
Vgl. de Unamuno, Pensamientos, S. 805. Vgl. Gonz#lez Calleja, Rebelijn, S. 182. Vgl. Gonz#lez Calleja, Rebelijn, S. 55ff. Vgl. Gonz#lez Calleja, Rebelijn, S. 99f. Vgl. Gonz#lez Calleja, Rebelijn, S. 113f. So soll im Zuge eines Streiks an der Universität Barcelona Anfang Oktober 1932 ein Sprengsatz am PlaÅa de la Universitat explodiert sein. Außerdem soll es am 15. Januar 1936 zwischen Anhängern der Falange und katalanischen Nationalisten in einer Bar der Universität zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen sein, bei der sechs Personen verletzt wurden. Darüber hinaus berichtete Las Noticias im Februar 1933, dass ein Student als mutmaßlicher Straßenräuber festgenommen worden sei, vgl. Las Noticias, 21. 2. 1933, S. 1.
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in Barcelona kaum stattfanden. Stattdessen betrachtete in Barcelona während der Zwischenkriegszeit das Bürgertum in erster Linie die Arbeiterjugend mit großen Vorbehalten, die sich vor allem auf den Straßen aufhielt und sich dabei, so die Befürchtung, zu Straßenbanden formierte, um so gemeinsam relativ harmlose Gesetzesübertretungen wie Vandalismus bis hin zu Verbrechen zu begehen.933 Inwieweit diese Ängste berechtigt waren, kann mittels der vorliegenden Quellen nicht genauer geprüft werden, doch ist es auffällig, dass sich in der Zweiten Republik besonders in den letzten Jahren Berichte über Kinderbanden häufen, die sich vor allem auf Diebstähle spezialisiert hatten.934 Eine erste Einbrecherbande, die aus drei 16- bis 17-Jährigen bestanden und vor allem Einbrüche begangen haben soll, ist bereits für das Jahr 1924 dokumentiert.935 Im August 1933 wurden drei Jungen im Alter von 12 bis 14 Jahren festgenommen, denen vorgeworfen wurde, gemeinsam vor allem Lebensmittel aus Bauernhöfen in Santa Coloma de Gramenet gestohlen zu haben.936 Im August des folgenden Jahres erfolgte die Festnahme eines 10-jährigen Jungen, der beschuldigt wurde, an einem Überfall in der »Bar Americano« beteiligt gewesen zu sein und zu einer Bande zu gehören, die sich als »Asesinos de cad#veres muertos« (dt.: Mörder der toten Leichen) bezeichnete und deren Mitglieder alle in seinem Alter gewesen sein sollen.937 Einen Monat später wurden erneut neun Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren verhaftet, die gemeinsam Einbrüche und Raubüberfälle in den Vierteln La Salud und Guinardj durchgeführt haben sollen.938 Im Mai 1935 wurde eine ähnliche Gruppe festgenommen, die ebenfalls aus neun Jugendlichen bestand, die im Alter von 15 bis 18 Jahren waren und sich »El Tropezjn« (dt.: Der Fehltritt) nannte. Hierbei handelte es sich um eine Bande von Taschendieben, die ihre Beute in den Höhlen der Berge versteckte.939 Im August desselben Jahres gab es noch eine weitere Verhaftung einer Kinderbande, die aus fünf Kindern im Alter meist um die zehn Jahre bestand. Ihr Anführer soll der 14-jährige Salvador
933 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 12f. 934 Dagegen trat bis zum Beginn der Zweiten Republik nur noch eine weitere Jugendbande in Erscheinung, die sich auf den Diebstahl von Autos spezialisiert haben soll, siehe El Diario de Barcelona, 6. 5. 1930, S. 54 sowie El Noticiero Universal, 6. 5. 1930, S. 7 und 10. 12. 1930, S. 9. 935 Vgl. El Noticiero Universal, 3. 5. 1924, S. 8 und El Diario de Barcelona, 4. 5. 1924, S. 12. 936 Vgl. El Diluvio, 16. 8. 1933, S. 12. 937 Vgl. La Noche, 14. 8. 1934, S. 2. 938 Darüber berichteten El Diario de Barcelona, 20. 9. 1934, S. 9 und El Noticiero Universal, 20. 9. 1934, S. 2. 939 Darüber wird informiert in El Diluvio, 30. 5. 1935, S. 23, El Diario de Barcelona, 26. 5. 1935, S. 45, 29. 5. 1935, S. 47 und 31. 5. 1935, S. 11.
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Requena Ljpez gewesen sein, der eine Bande nach dem Vorbild der Gangsterfilme bilden wollte, die er in seinem Barrio im Kino gesehen hatte.940 Am besten dokumentiert ist die Kinderbande »Los Invisibles« (dt.: Die Unsichtbaren), die im März 1936 verhaftet werden konnte. Diese führte Einbrüche mit Brecheisen durch, die sie vom Vater eines der Bandenmitglieder, einem vorbestraften Dieb, erhalten hatten. Von diesem bekamen die Kinder auch an mehreren Tagen der Woche entsprechenden »Unterricht«. Nach Angaben eines der Bandenmitglieder war das Mindestalter 12 und das Höchstalter 16 Jahre. Der Grund für diese Altersbegrenzung bestand darin, dass Jüngere für diese Straftaten noch nicht »brauchbar« waren, während Älteren im Falle einer Verurteilung härtere Strafen drohten. Insgesamt wurden elf Mitglieder dieser Bande festgenommen.941 Dass ältere Jugendliche später auch an den in Barcelona dominierenden Gewaltpraktiken beteiligt waren, hat sich bereits bei der Betrachtung der staatsfernen Gewaltgemeinschaften im vorangegangenen Kapitel des Öfteren angedeutet. Beispiele dafür finden sich bereits in den zu Beginn des Untersuchungszeitraums agierenden anarchistischen Aktionsgruppen. So beschreibt Angel PestaÇa rückblickend, es seien zwei »junge Kameraden« gewesen, die zu ihm gekommen waren und erklärten, sie wären Teil einer anarchistischen Aktionsgruppe und dann anboten, sie würden Attentate auf Arbeitgeber durchführen. Als Gegenleistung forderten sie, die Gewerkschaft solle für ihre Unkosten aufkommen und eine Rücklage von 2000 bis 3000 Peseten zur Verfügung bereitstellen, für den Fall, dass ihnen etwas zustoßen würde oder sie flüchten und sich verstecken müssten.942 Auch die im Verlauf dieser Arbeit eingehend untersuchten anarchistischen Aktionsgruppen wie die, die im Mai 1921 in der Calle de Toledo entdeckt worden war, weil sich ein Teil ihrer Mitglieder bei der Herstellung von Sprengsätzen selbst in die Luft sprengte oder die wenige Monate danach in L’Hospitalet de Llobregat festgenommene Bande, die als erste vermehrt bewaffnete Raubüberfälle durchführte, bestanden jeweils zu großen Teilen aus Jugendlichen. Diese Tendenz setzte sich auch während der Zweiten Republik fort, sodass etwa auch der katalanische Historiker Federico V#squez Osuna bei seiner Betrachtung von organisierter Kriminalität und politischer Gewalt während dieser Zeit in Barcelona den Anteil von Jugendlichen sowohl in den Aktionsgruppen als auch unter den Straßenräubern hervorhebt, was sich in der hier vorliegenden Arbeit sehr anschaulich etwa bei Jos8 Martorell Virgili und Andr8s Aranda Ortiz im Kapitel 4.1.2 gezeigt hat.943 940 Vgl. La Noche, 12. 8. 1935, S. 12. 941 So wird es z. B. beschrieben in El Diluvio, 21. 3. 1936, S. 9, El Diario de Barcelona, 20. 3. 1936, S. 22, El Noticiero Universal, 26. 3. 1936, S. 7 und La Noche, 20. 3. 1936, S. 3. 942 Vgl. PestaÇa, Vida, S. 76f. 943 Vgl. V#squez Osuna, Anarquistes, S. 25.
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Die Erkenntnis, dass Jugendliche in Barcelona ähnlich wie zur gleichen Zeit in Deutschland, Italien oder den USA einen großen Anteil an der Gewaltsamkeit hatten, bestätigt auch die bisherige Gewaltforschung, die anhand von zahlreichen Statistiken belegt hat, dass im Allgemeinen ein Großteil der Gewaltdelikte gerade von dieser sozialen Gruppe ausgeht.944 Während die Evolutionspsychologie als Antwort auf die von de Unamuno aufgeworfene Frage, wieso vor allem Jugendliche zur Gewalt neigen, in erster Linie genetische Ursachen herausstellt, sieht der Soziologe Randall Collins die Gründe hierfür in erster Linie in der Diskrepanz zwischen der einerseits hohen physischen Kraft und andererseits dem niedrigen Rang in der Gesellschaft, den diese Jugendlichen aufweisen.945 Unter den Historikern hat etwa Alexander Demandt die Häufung der jungen Männer unter den Attentätern im Laufe der Geschichte mit deren trauriger Jugend und dem mangelnden Erfolg im bürgerlichen Leben erklärt, der dazu führen würde, dass der Attentäter »sich in eine Traumwelt hineinphantasiere und Rache am Schicksal nehmen will, indem er alles auf eine Karte setzt, sein Leben riskiert und einmal die Blicke der Welt auf sich lenkt«, eine Verwegenheit, die sich mit den Jahren legen würde.946 Eric Hobsbawn dagegen hielt die Jugendlichen im Allgemeinen prädestiniert für die Rolle als »Sozialbanditen«, da ihnen ihre soziale Stellung die nötige Handlungsfreiheit gewähren würde, weil sie in dieser Lebensphase noch nicht die Verantwortung für eine Familie hätten.947 Versucht man die hohe Gewaltsamkeit der Jugendlichen nun am konkreten Fall von Barcelona zu erklären, ist zunächst anzumerken, dass es aufgrund des demographischen Wandels in Spanien zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer Verjüngung der Bevölkerung gekommen war, die im Vergleich zu anderen Ländern aufgrund der für Spanien typischen niedrigen Lebenserwartung noch stärker als dort ausgeprägt war.948 Der prozentual recht hohe Anteil der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung war sicherlich einer der Gründe dafür, warum gerade sie in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verstärkt mehr politisches Mitspracherecht einforderten.949 Bereits in den ersten beiden Jahr944 So führt Pinker, Gewalt, S. 111, beispielsweise aus, dass 92 % der Morde von Männern begangen wurden, meist, wenn diese zwischen 20 und 30 Jahre alt waren. Kellerhoff hat Attentäter statistisch untersucht und kommt dabei zu einem ähnlichen Ergebnis. So waren nur etwa 10 % der Attentäter Frauen und nicht einmal ein Viertel war zum Zeitpunkt der Tat älter als 35 Jahre, vgl. Kellerhoff, Attentat, S. 108. 945 Vgl. Collins, Dynamik, S. 45f. 946 Demandt, Attentat, S. 450f. 947 Vgl. Hobsbawn, Banditen, S. 48. 948 Vgl. Bernecker, 20. Jahrhundert, S. 94. 949 So argumentiert etwa Fritz Stern, dass bereits an den Revolutionen im Europa der 1830er und 1840er Jahre viele Jugendliche teilnahmen, aber erst der Erste Weltkrieg den Jugendlichen endgültig den Weg in die Politik ermöglicht hätte, vgl. Stern, Politics, S. 169.
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zehnten des 20. Jahrhunderts hatten sich in vielen Parteien Jugendorganisationen gebildet, wie etwa die »Requete« (dt.: Vortrefflich) der Karlisten und die »Jjvenes B#rbaros« (dt.: Junge Barbaren) der Republikanischen Partei in Barcelona.950 Diese lieferten sich untereinander Straßenschlachten, wobei es nicht unüblich war, dass dabei auch Schusswaffen zum Einsatz kamen.951 Auch an den Ausschreitungen während der Semana Tr#gica waren verschiedene Jugendgruppen maßgeblich beteiligt.952 Im Untersuchungszeitraum wurde die Verbindung von Jugend und Politik besonders während der Zweiten Republik deutlich, denn in dieser Zeit entstanden viele Massenorganisationen, die jeweils ihre eigenen Jugendorganisationen hatten, die nicht selten – vergleichbar mit den italienischen und deutschen Faschisten – durch besondere Radikalität in Erscheinung traten.953 Ein Beispiel in Barcelona war die im März 1931 gegründete katalanistische Partei »Esquerra Republicana de Catalunya (ERC)« (dt.: Republikanische Linke Kataloniens), bei der sich nur einige Monate später mit der »Joventut d’Esquerra Republicana-Estat Catal/ (JEREC)« (dt.: Jugend der ERC-katalanischer Staat) eine eigene Jugendorganisation bildete, deren Mitgliedern die ERC viel zu gemäßigt erschien.954 Deshalb gründete die JEREC zu Beginn des Jahres 1933 ihre eigene Miliz, die sich unter der Leitung von Josep Denc#s und Miquel Badia als Streikbrecher betätigte und darüber hinaus in gewaltsame Zusammenstöße mit den Gewerkschaftern involviert war.955 Laut Solidaridad Obrera sollen die sogenannten »Escamots«, die von der Zeitung beschuldigt wurden, für mehrere Entführungen von Gewerkschaftsmitgliedern verantwortlich zu sein, aus zwei Gruppen bestanden haben, zum einen aus 20bis 40-Jährigen, von denen viele früher den Pistoleros der Sindicatos Libres angehört hätten und zum anderen aus 17- bis 20-Jährigen, die als »arbeitsfaule Waffennarren« hingestellt werden, ohne ihnen jedoch konkrete Gewalttaten vorzuwerfen.956 Auch die Anarchisten besaßen mit den bereits erwähnten »Juventudes Li950 951 952 953
Vgl. Gonz#lez Calleja / Souto Kustr&n, Movimientos, S. 77f. Vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 382 und S. 497. Vgl. Culla i Clara, Jjvenes, S. 60f. Vgl. Gonz#lez Calleja / Souto Kustr&n, Movimientos, S. 87. Zur Jugendlichkeit der faschistischen Parteien und ihrer Kampfgruppen in Italien und Deutschland, vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 351. 954 Vgl. Gonz#lez Calleja / Souto Kustr&n, Movimientos, S. 92. 955 Vgl. Gonz#lez Calleja, Dial8ctica, S. 124f. So soll die Gruppierung etwa im Dezember 1933 in den Streik des Transportgewerbes in Barcelona eingegriffen haben, indem sie unter Leitung von Miquel Badia, dem Sekretär des Comissariat d’Ordre Pfflblic der Generalitat, das Fahren der Straßenbahnen übernahmen, vgl. Balcells, Catalunya Contempor/nea, S. 755. 956 Vgl. Solidaridad Obrera, 6. 9. 1933, S. 1f. Angebliche Entführungsfälle durch Escamots werden beschrieben in Solidaridad Obrera, 22. 8. 1933, Morgenausgabe S. 1 und Solidaridad Obrera, 26. 8. 1933, S. 1.
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bertarias«, die sich 1932 in Madrid gegründet hatten, eine Jugendorganisation. In Barcelona organisierten sich die Jugendlichen zwar vorwiegend in den Jugendgruppen einzelner Gewerkschaftszweige wie etwa den »Juventudes del Ramo de Alimentacijn« (dt.: Jugend der Gewerkschaft des Ernährungssektors) oder in den Ateneos, doch waren die Juventudes Libertarias als anarchistische Jugendorganisation auch in Barcelona präsent.957 Abel Paz wurde zum Beispiel bereits mit 15 Jahren in die libertäre Jugend in Sant Mart& aufgenommen, wo er allerdings der Jüngste war, da alle anderen Mitglieder zwischen 20 und 30 Jahre alt waren. Der Reportage von Josep Planes über die organisierte Kriminalität in Barcelona zufolge hatten sich die anarchistischen Jugendorganisationen vor allem in der Übergangsphase von der Diktatur Primo de Riveras zur Zweiten Republik gegründet und sollen neben Jugendlichen, die sich für die politische Idee des Anarchismus begeisterten, auch dem kriminellen Milieu nahestehenden Jugendliche angezogen haben, die nach Planes lediglich »unter der anarchistischen Fahne ihren kriminellen Instinkten folgen wollten.«958 Während Paz nur illegal Flugblätter verteilte, sollen viele Mitglieder der anarchistischen Jugendorganisationen als Straßenräuber im Dienst der FAI gestanden haben.959 Vermutlich hängt die hohe Beteiligung der Jugendlichen in Barcelona an den anarchistischen Jugendorganisationen auch damit zusammen, dass sie in vielen Fällen bereits schon im jungen Alter mit der Arbeitswelt in Berührung kamen. So war es in den 1910er und 1920er Jahren für einen Jungen durchaus üblich, dass er bereits im Alter zwischen acht und zehn Jahren ins Arbeitsleben eintrat.960 Das hatte zur Folge, dass Jugendliche in Barcelona, wie im Fall von Martorell Virgili und Aranda, bereits an Streiks und Arbeitskämpfen teilnahmen. Auch wenn sich nicht viele Fälle nachweisen lassen, wo Jugendliche im Zuge der Streiks bereits im jungen Alter wie Virgili selbst aktiv in die Gewalttaten involviert waren, ist anzunehmen, dass viele Zeitgenossen, die als Gewaltakteure in Barcelona während der Zwischenkriegszeit an den kollektiven Gewaltakten beteiligt waren, im Kindes- oder Jugendalter bereits unmittelbare Gewalterfahrungen gemacht hatten. So schildert etwa Abel Paz in seiner Autobiographie »Feigenkakteen und Skorpione« sehr detailliert, wie er als Kind in Barcelona während der Zweiten Republik eine Razzia der Polizei in seinem Elternhaus 957 Vgl. Peirats Valls, Paso, S. 238. 958 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 25. 959 Vgl. Paz, Feigenkakteen, S. 136f. Dass die Mitgliedschaft in dieser Vereinigung auch zu einer Festnahme führen konnte, belegt etwa El Diluvio, 16. 10. 1935, S. 8. Über die Beteiligung von Mitgliedern der Juventudes Libertarias und von FAROS an bewaffneten Überfällen berichteten La Noche, 27. 12. 1934, S. 2, El Correo Catal#n, 27. 12. 1934, S. 4, El Diluvio, 27. 12. 1934, S. 10 und El Noticiero Universal, 27. 12. 1934, S. 4. 960 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 26.
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erlebt hatte, die dazu führte, dass er sich »in dieser Nacht schon als Mann und in der Lage fühlte, das ganze Drama der Erniedrigten und Verfolgten der Welt zu verstehen«.961 Auch anhand der Biographie einiger gegen Ende der Restaurationsmonarchie in Barcelona agierender Gewaltakteure lässt sich zeigen, dass diese schon früh in ihrem familiären Umfeld Gewalterfahrungen – in den meisten Fällen wie auch Abel Paz durch Akteure des Staates – erlebt hatten. So hatten Archs und Vandelljs, die maßgeblich in die Organisation der anarchistischen Aktionsgruppen zu Beginn des Pistolerismo involviert waren, genau wie Paulino Pall#s, der später als Pistolero der Sindicatos Libres zu ihrem Gegner wurde, ihre Väter im Zuge der anarchistischen Terroranschläge der 1890er Jahre verloren, für die diese als überzeugte Anarchisten wegen ihrer (angeblichen) Beteiligung hingerichtet wurden. Auch Buenaventura Durruti machte ähnlich wie sein späterer Biograph Abel Paz die Erlebnisse in seinem unmittelbaren familiären Umfeld für seine Radikalisierung verantwortlich. So schrieb er in einem am 10. März 1927 im Gefängnis verfassten Brief an seine Schwester Rosa: »Von meinem zartesten Kindesalter an war das Erste, was ich um mich herum sah, das Leiden – nicht nur unserer Familie, sondern auch unserer Nachbarn. Intuitiv war ich bereits ein Rebell. Ich glaube, damals entschied sich mein Schicksal.«962 Außerdem soll es in Schulen, die meist in kirchlicher Obhut lagen, zu Misshandlungen gekommen sein, wie etwa die beiden Anarchisten Emili Salut und Jos8 Peirats später berichteten.963 In welchem Umfang sich dies für die jugendlichen Gewalttäter in Barcelona während der Zwischenkriegszeit verallgemeinern lässt und inwiefern es sich hierbei um Rechtfertigungsstrategien handelt, lässt sich schwer überprüfen, da nur selten so viel über die biographischen Hintergründe bekannt ist wie etwa bei Archs und Vandelljs und die Gewalttäter nur in wenigen Fällen Selbstzeugnisse hinterlassen haben wie Durruti und Paz. Dass Jugendliche auch durch das kriminelle Milieu, von dem sie umgeben waren, zu bewaffneten Straßenräubern werden konnten, wurde bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutet. Während die Kinderkriminalität gemäß den zeitgenössischen Statistiken zu Beginn des Untersuchungszeitraums sogar rückläufig war, hatte sie im Vergleich dazu in dem darauffolgenden Jahrzehnt, wie bereits anhand der Kinderbanden zur Zeit der Republik gezeigt, deutlich zugenommen.964 Der zeitgenössische Lokaljournalist Carles Sent&s argumentierte, dass es sich hierbei um Straßenkinder, hauptsächlich von spanischen Migranten handeln würde, für die der Eintritt in die Kriminalität lediglich der 961 962 963 964
Vgl. Paz, Feigenkakteen, S. 60f. Zitiert nach Paz, Durruti, S. 15. Vgl. Salut, Vivers, S. 26 sowie Ealham, Living, S. 16. Vgl. Cuello Caljn, Criminalidad, S. 78ff.
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logische nächste Schritt wäre, weil man sie weitgehend sich selbst überlassen würde.965 Dagegen nennt Cuello Caljn in seiner bereits zitierten Untersuchung über die Kinder- und Jugendkriminalität als Ursachen neben der Armut und dem negativen Einfluss des Kinos vor allem die Sozialisation der Straße, die die Gründung von Kinderbanden begünstigen würde.966 Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass Jugendliche in Barcelona vermutlich stärker als in anderen europäischen Städten in vielen Fällen bereits in der Kindheit mit dem Arbeitsalltag konfrontiert wurden, der in dieser Zeit sehr konfliktträchtig sein konnte. Außerdem waren sie oft schon ab der Kindheit und frühen Jugend politisch aktiv und wurden in vielen Fällen kriminell, vermutlich nicht zuletzt wegen der schwierigen Lebensbedingungen ihrer Familien. Insgesamt hatten sie also oftmals sehr früh Zugang zu den verschiedenen gewaltträchtigen Milieus, die den Rahmen für die kollektiven Gewaltakte in Barcelona während der Zwischenkriegszeit boten, was ein Hauptgrund für ihre hohe Beteiligung besonders an den staatsfernen Gewaltgemeinschaften gewesen sein dürfte. In welchem Umfang diese Gründe jedoch tatsächlich zutreffend sind oder ob es sich dabei eher um vorgeschobene Rechtfertigungsargumente handelt, lässt sich anhand der wenigen ausführlich dokumentierten Fälle schwer beurteilen. Da es sich bei den jugendlichen Gewaltakteuren fast ausschließlich um junge Männer handelte, liegt es nahe, nun zunächst nach der Beteiligung von Frauen an kollektiven Gewaltakten in Barcelona während der Zwischenkriegszeit zu fragen, um anschließend zu untersuchen, weshalb bei den Gewaltakteuren Männer eine wesentlich größere Rolle spielten als Frauen.
4.2.2 Die Rolle der Frauen und die Bedeutung von Männlichkeitsritualen bei kollektiven Gewaltpraktiken Am 9. Juli 1932 erschien in Estampa (dt.: Der Abdruck), eine der ersten spanischen Illustrierten, die sich vornehmlich an ein weibliches Publikum richtete, das Titelfoto (Abb. 61) mit der Unterschrift: »Die guten Burschen verteidigen die Königin«. Dieses Foto war anlässlich eines Besuches, der für dieses Magazin als Journalistin tätigen Josefina Carabias, in der Mitte des Bildes, bei der Guardia de Asalto in Madrid entstanden, als diese gerade in der Calle Mayor Präsenz zeigte. Bei dieser Gelegenheit verfasste die Journalistin die umfangreiche Reportage »Entre los Guardias de Asalto« (dt.: Unter den Sturmpolizisten), die ebenfalls in 965 Vgl. Sent&s, Viatge, S. 100ff. 966 Vgl. Cuello Caljn, Criminalidad, S. 29ff.
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Abb. 61: Die Journalistin Josefina Carabias umrahmt von zwei Polizisten (1932)
der Ausgabe dieses Magazins publiziert wurde. Dabei berichtete Josefina Carabias auch von einem Interview, welches sie mit einigen Polizisten dort geführt hatte und wie es zu diesem Gespräch kam: »In diesem Moment ruhen sie sich gerade aus, was ich dazu nutze, um etwas mit diesen Musterknaben zu sprechen, die im Grunde genommen gute Jungs sind. Auf gut Glück nähere ich mich einem Exemplar dieser geballten Masse, das selig lächelt, während es mit den Ästen der Bäume herumspielt und ich bemerke, wie es mir von den Höhen, wo der Mund dieses Titanen angebracht ist, etwas sagt. ›Was?‹ antworte ich ihm, wobei es mir schwerfällt, mir aufgrund der großen Entfernung, die mich von seinem rechten Ohr trennt, Gehör zu verschaffen. Endlich setzt er sich auf den Boden und so können wir ein Schwätzchen halten. ›Ich sagte, es gibt keinen Grund, sich zu ängstigen. Hier tun wir nichts.‹ ›Aber, auf der Straße?‹ ›Auch dort nicht. Vielleicht den einen oder anderen kleinen Hieb mit dem Schlagstock oder eine Kopfnuss, aber nichts Ernstes‹. ›Aber es ist immerhin ein kleiner Hieb von Ihnen …‹ ›Immer noch besser als ein Schuss, meinen Sie nicht?‹ ›Aber glauben Sie nicht, dass es schon beängstigend ist, Sie mit der Entschlossenheit, die Sie an den Tag legen, vorrücken zu sehen?‹ ›Ich glaube schon, dass wir das wissen und genau das macht unsere Stärke aus. Wenn Sie uns vor Kurzem gesehen hätten, als wir in Sevilla waren. Unsere bloße Anwesenheit reichte vollkommen aus, um die mutigsten Feinde der Republik dazu zu bringen, überstürzt und so schnell sie konnten zu flüchten.‹ Ein Polizist aus Andalusien ergänzte: ›Es gab sogar welche, die sich kopfüber in den Guadalquivir gestürzt haben. Wollen Sie wissen, wer am wenigsten Angst hatte? Na die Frauen.‹ ›Natürlich‹ antwortete mein erster Gesprächspartner. ›Denn sie wissen, dass wir uns bei ihnen mit Schlägen zurückhalten müssen. Es gibt
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nichts, was mich mehr ärgert, als die Frauen, die sich unter die randalierende Menge mischen.‹«967
Auch in Barcelona war die Beteiligung von Frauen an Protestmärschen und Demonstrationen, über die sich der in der zitierten Reportage interviewte Polizist so erbost, keine Seltenheit wie ein zeitgenössisches Foto (Abb. 62) zeigt.
Abb. 62: Frauendemonstration in Barcelona (1910)
Die amerikanische Historikerin Temma Kaplan erklärt die Beteiligung der Frauen in Barcelona an den öffentlichen Protestformen damit, dass sich Frauen regelmäßig auf Plätzen, in Waschsalons, auf Märkten oder in Kirchen trafen und dadurch untereinander lose Netzwerke bildeten, die nicht zuletzt auch dazu genutzt wurden, sich gegenseitig mit Essen, medizinischer Versorgung oder Kleidung auszuhelfen. Wie in anderen Städten auch waren es vor allem Nahrungsunruhen, an denen sich die Frauen beteiligten.968 Diese erreichten in Barcelona zu Beginn des Jahres 1918 ihren Höhepunkt, als wegen der durch den Krieg bedingten fortschreitenden Inflation viele Familien in Existenznöte gerieten. Am 9. Januar 1918 griffen Frauen in fünf verschiedenen Distrikten Barcelonas Kohletransporter an. Am nächsten Tag zogen 200 Hausfrauen durch die Stadt zu den Textilfabriken und forderten die Regulierung der Preise für Kohle, Brot, Olivenöl, Fleisch und Kartoffeln. Währenddessen gingen die Angriffe auf die Kohletransporter weiter, sodass der Bürgermeister sich genötigt sah, für diese Polizeischutz anzufordern. In der Nacht zogen Frauen aus den Hafendis967 Vgl. Estampa, 9. 7. 1932 (ohne Seitenzahlen). 968 So argumentiert Hagemann, dass diese Protestform im Allgemeinen vor allem von Frauen, aber auch von Arbeitslosen, Jugendlichen und Kindern genutzt wurde, vgl. Hagemann, Frauenprotest, S. 217.
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trikten zur Paral·lel, wo sie Türen beschädigten und Fenster einschlugen. Als die Polizei sieben Randaliererinnen festnahm, kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung, bei der zwei der protestierenden Frauen verletzt wurden. Die Proteste intensivierten sich, als sich 2000 Frauen auf dem PlaÅa Reial versammelten.969 Nach zwei Tagen musste der Bürgermeister schließlich nachgeben und versprach den Protestierenden, den Bedarf an Fleisch zu sichern.970 Der dem Anarchismus nahestehende Zeitgenosse Emili Salut äußerte sich rückblickend in sehr anerkennender Form, indem er anmerkte, die Demonstration der Frauen sei so überwältigend gewesen, dass weder die Polizisten noch der damalige Polizeichef Bravo Portillo mit seiner Brutalität ihr habe Einhalt gebieten können.971 Die amerikanische Historikerin Pamela Radcliff erklärt das Nachgeben der Autoritäten damit, dass repressive Maßnahmen wie in anderen Fällen oft praktiziert, hier politisch und moralisch schwer zu vertreten waren, was vermutlich einer der Gründe war, warum den zeitgenössischen Polizisten die Beteiligung von Frauen an solchen Protesten ein Dorn im Auge war.972 Im Untersuchungszeitraum kamen in Barcelona hauptsächlich von Frauen dominierte Massenproteste nur vereinzelt vor. Diese richteten sich ebenfalls gegen eine Maßnahme der Regierung, denn diese hatte nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern während des Pistolerismo eine große Zahl von Personen – zum Teil völlig willkürlich – verhaften lassen. Dies betraf indirekt auch viele Frauen, befanden sich unter den Gefangenen doch ihre Ehemänner, Brüder und Söhne.973 Als Reaktion auf die massenhaften Festnahmen während des Pistolerismo marschierten am 21. Mai 1921 annähernd 10 000 Frauen zum Stadtgefängnis, wo 450 Arbeiter inhaftiert waren.974 Auch während der Zweiten Republik traten Frauen bei öffentlichen Protesten in Erscheinung. So wurden etwa drei Frauen bei einer Demonstration am PlaÅa de Sant Jaume verletzt, als die Polizei diese auflöste.975 Während des Mietstreiks 969 Dieser Protest ist ausführlich dargestellt in Kaplan, Red City, S. 119f. und Smith, Subordination, S. 28. 970 Siehe dazu etwa die umfangreiche Berichterstattung in La Publicidad, 12. 1. 1918, S. 5, 13. 1. 1918, S. 2, 15. 1. 1918, S. 5 und 11, 16. 1. 1918, S. 8, 17. 1. 1918, S. 3, 18. 1. 1918, S. 3, 20. 1. 1918, S. 3, 22. 1. 1918, S. 3, 23. 1. 1918, S. 3, 24. 1. 1918, S. 3 und 25. 1. 1918, S. 3. 971 Vgl. Salut, Vivers, S. 114. 972 Vgl. Radcliff, Politics, S. 312. 973 Schon während der Repressionsmaßnahmen gegen die Anarchisten um die Jahrhundertwende waren Frauen indirekt betroffen. Ein Beispiel beschreibt Vega, Pioneras, S. 34. 974 Vgl. Smith, Anarchism, S. 326. Auch diese Art des Protestes hat hinsichtlich der Beteiligung von Frauen eine lange Tradition. So nennt Scheutz als eines der ersten Beispiele für die Beteiligung von Frauen an städtischen Unruhen den Freiburger »Weiberkrieg« von 1757, bei dem eine große Menschenmenge unter Führung von Frauen gegen die Festnahme von zwei Freiburger Bürgern demonstriert hatte, vgl. Scheutz, Stadt, S. 31. 975 Vgl. El Diario de Barcelona, 14. 10. 1932, S. 32.
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ging man, wie Abel Paz in seiner Autobiografie berichtet, zu der Taktik über, der Polizei gegenüber Frauen und Kinder aufzustellen, da man annahm, dass diese im Gegensatz zu männlichen Demonstranten nicht attackiert werden würden.976 Dies scheint ähnlich wie im Januar 1918 dazu geführt zu haben, dass die Polizei nicht eingriff und sich zurückzog.977 Dass Polizisten davor zurückschreckten, gegen Frauen Gewalt anzuwenden, lag daran, weil diese Vorgehensweise, ähnlich wie es die kanadische Historikerin Pamela Swett am Beispiel der gewaltsamen Unruhen am 1. Mai 1929 in Berlin beschrieben hat, in der städtischen Öffentlichkeit stets für besonders große Empörung sorgte.978 Dass dies auch für Barcelona während des Untersuchungszeitraums gilt, verdeutlicht etwa ein Vorfall, über den El Diluvio am 3. August 1932 berichtete. Am Morgen des Vortages hatte eine aufgebrachte Frau das Bürgermeisteramt von Barcelona betreten und soll dann, nachdem mehrere Versuche, sie zu besänftigen, gescheitert waren, von einem Polizisten mit einer »gehörigen Ohrfeige« zu Boden gestreckt worden sein. Dies habe einige der Personen, die Zeugen dieses Vorfalls wurden, so in Rage versetzt, dass sie versucht hätten, den Polizisten zu lynchen. Nur durch das Eingreifen von mehreren Polizisten konnte Schlimmeres verhindert werden.979 Insgesamt waren Frauen etwa im Vergleich zu der zuvor betrachteten sozialen Gruppe der Jugendlichen im Untersuchungszeitraum in Barcelona noch relativ unpolitisch. Hinsichtlich der Rolle der Frauen und ihrer Beteiligung am politischen Leben trafen im Spanien des frühen 20. Jahrhunderts zwei völlig unterschiedliche Konzepte der Lebensführung aufeinander. Dies war zum einen das vom Katholizismus geprägte traditionelle Bild der Frau, das diese als ideale Begleiterin des Mannes sah.980 Das andere Extrem bestand in dem neuen Frauenbild der Republikaner und der Anarchisten, die Frauen eigene Rechte zugestanden und diese zu politischer Partizipation animieren wollten.981 Um die Jahrhundertwende war die Emanzipation der spanischen Frau im europäischen Vergleich allerdings noch weitgehend unterentwickelt.982 Nur wenige Jahre später, im Untersuchungszeitraum, stellte sich die Situation aber schon ganz anders dar. So konstatiert etwa das deutsche Generalkonsulat in Barcelona in einem Bericht vom 18. Juli 1921, dass die Frauenwelt in Spanien infolge der durch den Krieg geschaffenen Umwälzungen eine lebhafte Entwicklung genommen habe, was sich bisher allerdings 976 977 978 979 980 981 982
Vgl. Paz, Feigenkakteen, S. 60. Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 114. Vgl. Swett, Neighbors, S. 97. Vgl. El Diluvio, 3. 8. 1932, S. 1. Vgl. Mar&n, Semana Tr#gica, S. 32. Vgl. Mar&n, Semana Tr#gica, S. 33. Vgl. Mar&n, Semana Tr#gica, S. 31.
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nur in der Arbeiterklasse und dem Mittelstand bemerkbar machen würde, während in höheren Kreisen ein öffentliches Auftreten der Frau noch als unpassend erachtet würde.983 Im Laufe der Zeit bemühten sich aber die Parteien zunehmend um die Politisierung der Frauen.984 Doch erst in der Zweiten Republik wurden die Frauen zu einem ernst zu nehmenden politischen Faktor, wobei sie aber auch hier noch nicht aus dem Schatten der Männer heraustreten konnten.985 Auch wenn dem Anarchismus nachgesagt wird, für Frauen dadurch attraktiv gewesen zu sein, dass er die Gleichstellung der Geschlechter postulierte, scheint dies in der Realität kaum Auswirkungen gehabt zu haben.986 Die anarchistischen Aktivistinnen in Barcelona waren meistens durch Freund oder Familie zum Anarchismus gekommen.987 So war etwa die erste verhaftete Anarchistin Asuncijn Balve die Freundin eines Anarchisten, der im Gefängnis gestorben war.988 Ähnlich war die Situation auch während der Zweiten Republik. Fast immer handelte es sich bei den Aktivistinnen um jüngere Frauen, die noch keine größeren familiären Verpflichtungen hatten. Wie die katalanische Historikerin Eul/lia Vega in ihrem Buch eindrucksvoll gezeigt hat, gab es durchaus viele Frauen, die die Ateneos besuchten und sich teilweise auch den Aktionsgruppen anschlossen, doch die meisten interessierten sich nicht so sehr für die CNT und den von ihr propagierten Klassenkampf, sondern für die kulturellen Veranstaltungen, die in den Ateneos angeboten wurden und nutzten diese Gelegenheiten, um Gleichaltrige zu treffen.989 Neben den bisher dargestellten, überwiegend von Frauen dominierten Protestformen nahmen Frauen auch an den Streiks in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts teil. In Spanien zeigte die Erwerbsarbeit von Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen grundsätzlich dieselben Charakteristika wie im übrigen Europa. Frauen der Ober- und Mittelschicht gingen normalerweise keiner beruflichen Tätigkeit nach, während Frauen der Unterschichten nur in bestimmten Sektoren und vor allem in unqualifizierten und unterbezahlten Arbeitsverhältnissen anzutreffen waren. Barcelona hatte vor dem Ersten Weltkrieg mit annähernd 20 % der erwerbstätigen Bevölkerung die höchste Frauenerwerbsquote Spaniens, wo sie durchschnittlich nur ca. 13,5 % betrug. Dies lag vor allem daran, dass die stark an der Textilbranche orientierte Industria983 984 985 986
Vgl. PA AA Madrid 559 // 7511. Vgl. Nagel, Feminismus, S. 235. Vgl. NuÇez, Pol&ticas, S. 441f. Vgl. Nash, Libertarias, S. 140, einen aktuellen Überblick zu Frauen im spanischen Anarchismus bis zum Ende des Bürgerkrieges bietet zudem Espigado Tocino, Mujeres. 987 Vgl. Vega, Pioneras, S. 111. 988 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 135. 989 Vgl. Vega, Pioneras.
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lisierung Kataloniens die Eingliederung der Frauen in den Arbeitsmarkt begünstigt hatte.990 Der Anteil der Frauen an der arbeitenden Bevölkerung war einigen Schwankungen unterworfen, lag aber bis in den Untersuchungszeitraum fast immer bei annähernd 28 %.991 Weil die Löhne generell niedrig waren, blieb den Frauen, auch wenn sie verheiratet waren, oft nichts anderes übrig, als ebenfalls arbeiten zu gehen, da nur so genug Geld verdient werden konnte, um eine Familie zu ernähren.992 Der Lohn von Frauen lag dabei im Allgemeinen etwa 50 % unter dem der Männer.993 1930 machten die 1 109 800 Arbeiterinnen in Spanien 12,6 % der gesamten Arbeiterschaft aus und 9,16 % der weiblichen Bevölkerung. Die meisten Mädchen begannen zwischen zwölf und vierzehn Jahren zu arbeiten und hörten nach ihrer Heirat, meist spätestens zwischen 25 und 30 Jahren, damit auf.994 Einige Frauen erreichten als Arbeiterführerinnen einen gewissen Bekanntheitsgrad, so zum Beispiel die Textilarbeiterinnen Roser Dolcet, Lola Ferrer und die bereits erwähnte Libertad Rodenas, Mitglied der bekannten valencianischen Anarchistenfamilie, deren Brüder Progreso und Volney, wie im Kapitel 4.1.2 erwähnt, die zentralen Figuren einer anarchistischen Aktionsgruppe waren, die in einige blutige Auseinandersetzungen mit der Parallelpolizei Banda Negra verwickelt war. Diese Frauen nahmen im April desselben Jahres aktiv an Gewerkschaftstreffen teil und gründeten in Sants eine eigene Anarchistinnengruppe.995 Zahlenmäßig blieb der Anteil der Frauen in den Gewerkschaften aber bis in die Zweite Republik eher gering.996 Dennoch ist ihre Teilnahme an Streiks in Barcelona ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts nicht zu vernachlässigen. So waren vom ersten Generalstreik 1902 bis zu den Streiks in der Zweiten Republik regelmäßig auch Frauen in die Streiks involviert, wenn auch in deutlich geringerem Maße als Männer.997 Im Rahmen der Streiks waren sie teilweise auch an kollektiven Gewaltakten beteiligt. So machten sie etwa während der Unruhen im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts von sich Reden, weil sie unter anderem Fenster einwarfen, was
990 991 992 993 994 995 996
Vgl. Althammer, Textilarbeiterinnen, S. 15 und S. 38ff. Vgl. Border&as, Women, S. 144. Vgl. Border&as, Women, S. 150. Vgl. Border&as, Women, S. 161. Vgl. Seidman, Workers, S. 75. Vgl. Smith, Anarchism, S. 244. So merkte Ealham, Anarchism and the City, S. 44, im Hinblick auf die Zweite Republik in Barcelona an, dass Frauen in den Gewerkschaften stark unterrepräsentiert seien und es nur sehr wenige weibliche Gewerkschaftsführerinnen gebe. 997 Zur Teilnahme der Frauen am ersten Generalstreik im Jahr 1902 vgl. Kaplan, Red City, S. 107. Die Beteiligung von Frauen an Streiks während der Zweiten Republik in Barcelona wird in Seidman, Subversive, dargestellt.
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ihnen den Beifall der Arbeiterpresse einbrachte.998 Im zweiten Jahrzehnt waren sie in überdurchschnittlich hohem Maße an den beiden Streiks im Textilgewerbe beteiligt, da dies, wie bereits ausgeführt, der Sektor mit dem höchsten Frauenanteil war.999 Wie ihre männlichen Kollegen gingen die streikenden Frauen auch gewaltsam gegen ihre Geschlechtsgenossinnen vor, die sich nicht am Streik beteiligen wollten, wobei sie eine ganz eigene, geschlechtsspezifische Form der Bestrafung anwendeten. So wurden Streikbrecherinnen während des Textilstreiks 1913 die Haare geschoren, um sie als Verräterinnen zu brandmarken und man empfahl ihnen, von nun an eher auf ihre Schönheit bedacht zu sein als auf ihren Bauch zu hören, eine Maßnahme, die bei den männlichen Gewerkschaftsführern auf Ablehnung stieß.1000 Abgesehen von den Streiks war die Beteiligung von Frauen an den in Barcelona zu dieser Zeit dominierenden Gewaltakten und den agierenden Gewaltgemeinschaften dagegen relativ selten, was zur Folge hatte, dass die wenigen Vorfälle, in die vermeintlich Frauen involviert waren, von der Presse dramatisiert wurden, wie das folgende Beispiel zeigt: Am 27. April 1923, also zur Zeit der letzten Hochphase des Pistolerismo, titelte die Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera: »Frauen im Dienste des Terrorismus«. Anlass war die Verhaftung von Carmen Abascat Zabala wegen ihrer angeblichen Beteiligung am Attentat auf Jos8 Cervellj Salvador, einem Mitglied der Sindicatos 5nicos, während seiner Arbeit als Kellner im Restaurant »La Patria« (dt.: Das Vaterland). Carmen Abascat Zabala hatte ihn herbeigerufen, um ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, als plötzlich drei Personen auftauchten, die das Opfer niederschossen, um dann genauso schnell wieder zu verschwinden, wie sie erschienen waren.1001 Diesen Vorfall nahm die Arbeiterzeitung zum Anlass, um im Artikel unter dem zitierten Titel zu fragen: »Wenn Jüngelchen von 15 Jahren und zwar solche, die auch töten, bei den Banden im Sold stehen, warum sollten dann nicht auch Frauen ohne Pistole mit den Pistoleros gemeinsame Sache machen?« Schon zur Zeit von Joan Rull – so die Argumentation – wären Frauen in den Terrorismus verwickelt gewesen. Vor einiger Zeit sei in Gr/cia eine Frau namens Nieves festgenommen worden, die an einigen Attentaten beteiligt gewesen sein soll. Überhaupt gebe es in Gr/cia Frauen, die dort gut leben würden, obwohl sie weder arbeiteten noch über ein
998 Vgl. Smith, Anarchism, S. 268. 999 Vgl. Balcells, Working Women, S. 71f. Für eine ausführliche Darstellung der Rolle der Arbeiterinnen während des Streiks im Textilgewerbe von 1913 siehe Althammer, Textilarbeiterinnen S. 340. 1000 Vgl. Kaplan, Red City, S. 117. 1001 Eine ausführliche Schilderung dieses Vorfalls findet sich in El Noticiero Universal, 25. 4. 1923, S. 8.
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Vermögen verfügten, dafür aber Verbindungen zu den Pistoleros hätten.1002 Allerdings wurde Carmen Abascat Zabala noch am Tag, als der Artikel erschien, wieder freigelassen, weil sie beweisen konnte, dass sie mit der Tat überhaupt nichts zu tun hatte und sich nur zufällig am Tatort aufhielt.1003 Insgesamt war die direkte Beteiligung von Frauen an Attentaten in Barcelona während der Zwischenkriegszeit nur sehr gering, was auch dem Befund von Sven Reichardt entspricht, der unter anderem ausführt, dass sich unter den Hunderten von politischen Auseinandersetzungen in der Provinz Bologna in den Jahren 1921 und 1922 nur zwei Fälle nachweisen lassen würden, bei denen kommunistische Frauen Squadristen angegriffen hätten.1004 Dies entspricht somit auch der These von Alexander Demandt, der argumentiert, dass Frauen im Allgemeinen in der Geschichte nur sehr selten Attentate verübt hätten, auch wenn ihre Beteiligung daran in den letzten Jahrhunderten, beginnend mit dem Mord von Charlotte Corday an einem der Führer der Französischen Revolution im Jahr 1793 bis zu den modernen Terroristinnen – wie zum Beispiel die RAFMitglieder Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin – im Zuge der Emanzipation der Frauen deutlich zugenommen hätte.1005 Die meisten Frauen, die in Barcelona während der Zwischenkriegszeit mit dem Gesetz in Konflikt kamen, verkehrten im kriminellen Milieu. Prostituierte waren hinsichtlich der kollektiven Proteste, wie bereits erwähnt, besonders während der Tragischen Woche 1909 in Erscheinung getreten, wobei einige von ihnen ihre Kenntnisse über die Polizei und deren Vorgehensweise nutzten und auf diese Weise sogar Führungsrollen bei diesem Aufstand übernehmen konnten.1006 Dokumentiert ist außerdem die Teilnahme von Frauen an den Übergriffen auf Straßenbahnen und kirchliches Eigentum.1007 Besonders zur Zeit der Zweiten Republik waren Frauen dann auch verstärkt in Drogendelikte verwickelt.1008 Bezüglich der Frage, welche Rolle die Frauen in den staatsfernen Gewaltgemeinschaften spielten, zeigte sich im Verlaufe dieser Arbeit, dass Frauen dort zwar stark unterrepräsentiert waren, sich aber dennoch Beispiele finden lassen, 1002 1003 1004 1005 1006
Vgl. Solidaridad Obrera, 27. 4. 1923, S. 1. Vgl. El Noticiero Universal, 28. 4. 1923, S. 10. Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 685. Vgl. Demandt, Attentat, S. 451. Vgl. Kaplan, Red City, S. 104. Siehe auch Connelly Ullman, Tragic Week, S. 173, S. 215 sowie S. 241. 1007 Vgl. Smith, Anarchism, S. 177f. 1008 Ein Beispiel hierfür ist Isabael Zamora Soler, die wiederholt wegen Drogenhandels verhaftet wurde, siehe El Noticiero Universal, 1. 10. 1934, S. 5 und 18. 6. 1935, S. 16. Francisco Madrid berichtet in Sangre en Atarazanas von einer Frau, die zuerst in einem Bekleidungsgeschäft gearbeitet haben soll und sich dann dem Handel mit Kokain zuwandte, weil dieser wesentlich lukrativer war, vgl. Madrid, Sangre, S. 136.
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die zeigen, dass teilweise auch Frauen an den Aktionen der untersuchten Gewaltgemeinschaften beteiligt waren. So gab es in der anarchistische Aktionsgruppe der Calle de Toledo mehrere Frauen und auch die Gruppe Los Solidarios hatte mehrere weibliche Mitglieder, die, wie Ricardo Sanz erklärte, direkt oder indirekt mit der Gruppe kollaborierten, weshalb einige der Frauen dafür auch ins Gefängnis kamen.1009 Außerdem hielt sich lange Zeit das Gerücht, unter den gefährlichsten Straßenräubern befinde sich auch eine Frau, die in der Presse stets als »La Rubia« (dt.: Die Blonde) bezeichnet wurde. Aktiv waren Frauen in Barcelona im Untersuchungszeitraum aber sowohl bei den bereits erwähnten Attentaten als auch bei den anderen beiden dominierenden kollektiven Gewaltpraktiken nur sehr selten beteiligt. Im Zusammenhang mit den Sprengstoffanschlägen fand die angebliche Beteiligung einer Frau ein gewisses mediales Echo, wohl deshalb, weil ein solcher Fall insgesamt nur äußerst selten vorkam.1010 Auch hinsichtlich der bewaffneten Raubüberfälle war die Beteiligung der Frauen sehr marginal und in den wenigen dokumentierten Fällen erfüllten sie – ähnlich wie in dem in der Einleitung zu Kapitel 3.2.1 von Jos8 Peirats beschriebenen Sprengstoffanschlag – lediglich eine Hilfsfunktion.1011 Das bestätigt die Argumentation Eric Hobsbawns, der in seiner bereits zitierten Studie zum Sozialbanditentum die These aufstellt, dass Frauen in den Banden ihre gewohnte geschlechtsspezifische Rolle auch dort nicht aufgegeben hätten, normalerweise keine Waffe trugen und auch nicht aktiv am Kampfgeschehen teilnahmen. Stattdessen agierten die Frauen zum einen als Unterstützerinnen von Verwandten, Freunden, Ehemännern und Geliebten, die in den Banden eine aktive Rolle spielten und zum anderen als Verbindungspersonen der Bande zur Außenwelt.1012 Wie diese Hilfsfunktion im Fall der in Barcelona durchgeführten bewaffneten Raubüberfälle während der Zweiten Republik konkret aussehen konnte, veranschaulichen die folgenden Beispiele. So soll der Überfall am 22. April 1933 auf die Fabrik von Serra und Balet so abgelaufen sein, dass zunächst eine Frau den Portier dazu veranlasst hat, das Firmentor zu öffnen, wonach fünf mit Pistolen bewaffnete Männer in das Gebäude eindrangen und dabei insgesamt etwas mehr als 10 000 Peseten erbeuteten.1013 In einem vom Ablauf her ähnlichen Fall scheint es dagegen eher die 1009 Vgl. Sanz, Sindicalismo y Politica, S. 117. 1010 So meldete El Correo Catal#n anlässlich der Explosion eines Sprengsatzes, der von einer jungen Frau in der Calle de Vallespir in der Nähe eines Buses gelegt worden sein soll: »Die Frauen werden nun auch zu Anarchisten!«, siehe El Correo Catal#n, 21. 1. 1934, S. 1. Insgesamt war die Beteiligung von Frauen aber auch hier sehr gering. Einige der wenigen Beispiele sind dokumentiert in El Diario de Barcelona, 21. 12. 1933, S. 39, La Noche, 5. 7. 1935, S. 6 und El Diario de Barcelona, 28. 10. 1934, S. 39. 1011 Zu diesem Ergebnis kommt auch Ealham, Anarchism and the City, S. 148. 1012 Vgl. Hobsbawm, Banditen, S. 161. 1013 Vgl. El Diluvio, 23. 4. 1933, S. 7 und El Correo Catal#n, 23. 4. 1933, S. 1. Bei dem an-
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Aufgabe der beteiligten Frau gewesen zu sein, den geplanten Tatort auszuspionieren.1014 Auch an einem Überfall auf einen Regionalzug scheint eine Frau beteiligt gewesen zu sein, denn einer der Reisenden sagte später aus, ihm wäre eine Frau aufgefallen, die einen Korb getragen hätte, in dem sich vermutlich die Pistolen befanden, die während des Überfalls benutzt wurden. Diese Waffen habe die Frau dann an die Täter ausgeteilt.1015 Während des anarchistischen Aufstands im Dezember 1933 wurden außerdem einige Frauen festgenommen, denen man vorwarf, Munition an die Extremisten verteilt zu haben.1016 Die Tatsache, dass in mehreren Fällen bei Frauen Waffen und Munition gefunden wurden, lässt sich vermutlich damit erklären, dass man in den Täterkreisen offensichtlich davon ausging, dass diese nicht so streng kontrolliert und auch nicht so schnell verhaftet würden wie Männer.1017 Bemerkenswert ist außerdem, dass offenbar bei beiden Konfliktparteien Einvernehmen darüber bestand, dass Frauen möglichst aus den Gewaltpraktiken herausgehalten werden sollten. Das beweist die Tatsache, dass es während des Pistolerismo mehrere Fälle gab, bei denen es die Täter offensichtlich bewusst vermieden, ihr Opfer im Beisein einer Frau anzugreifen oder dass sie zumindest versuchten, sich so zu verhalten, dass diese dabei nicht zu Schaden kam.1018 Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass sich Frauen in Barcelona im Untersuchungszeitraum durchaus politisch betätigten, in die Arbeitskämpfe verwickelt waren und teilweise auch im kriminellen Milieu verkehrten. Auch wenn sie, besonders im Hinblick auf ihren Anteil an der organisierten Kriminalität in Barcelona, im Vergleich zu der zuvor betrachteten sozialen Gruppe der Ju-
1014 1015 1016 1017
1018
schließenden Prozess wurden allerdings nur zwei Männer verurteilt, siehe El Diario de Barcelona, 3. 3. 1935, S. 40, El Diluvio, 19. 3. 1935, S. 7 und El Noticiero Universal, 18. 3. 1935, S. 2. So betrat nach dem Bericht in El Noticiero Universal, 30. 3. 1933, S. 7, zunächst eine Frau in Barceloneta unter dem Vorwand, ein Paket abgeben zu wollen, ein Geschäft, das anschließend von zwei bewaffneten Männern ausgeraubt wurde. Dieser Vorfall ist dokumentiert in El Diluvio, 8. 6. 1933, S. 16 und El Diario de Barcelona, 8. 6. 1939, S. 39. Vgl. Casanova, Spanish Republic, S. 96. Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 233. Dass dieses Vorgehen aber nicht immer von Erfolg gekrönt war, beweist die Geschichte von Conxa P8rez, die von einem Freund gebeten wurde, dessen Pistole an sich zu nehmen, wofür sie später zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt wurde, vgl. Vega, Pioneras, S. 115f. Ein ähnliches Beispiel ist Palmira Gimeno Gomis, die zu einem Jahr Haft verurteilt wurde, nachdem man in ihrer Wohnung, einer Baracke in Bogatell, 25 Kartuschen Dynamit und zwei Bomben gefunden hatte, vgl. ATSJC, Libro de Sentencia 1935 4, G9181480, 5. 7. 1935. So berichteten El Diluvio, 23. 3. 1921, S. 9 und El Noticiero Universal, 23. 3. 1921, S. 5, dass im Fall von Jos8 Rom#n, der am Vortag in seinem Laden erschossen worden war, die Täter erst zuschlugen, als ihn seine Frau alleine gelassen hatte. Nachdem er Morddrohungen erhalten hatte, ließ sich auch Jaime Rubinat Grau stets von seiner Frau an die Bushaltestelle begleiten. Er wurde erst an einem Tag Opfer eines Attentats, als er alleine war, siehe El Noticiero Universal, 16. 10. 1922, S. 14 und 19. 10. 1922, S. 12.
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gendlichen oder auch der Männer im Allgemeinen verhältnismäßig unterrepräsentiert waren, überrascht es doch, dass sie hinsichtlich der kollektiven Gewaltakte als Täterinnen eigentlich so gut wie gar nicht in Erscheinung traten. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass kollektive Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit eine Männerdomäne war und hierbei Männlichkeitsrituale eine ganz wesentliche Rolle spielten. Der französische Soziologe Francois Dubet, der sich am Beispiel der französischen Vorstädte intensiv mit der Logik der Jugendgewalt auseinandergesetzt hat, sieht eine Ursache dafür in der Tatsache, dass Gesellschaften Gewalt von Jugendlichen als Beweise der Männlichkeit und Stärke eher tolerieren als die von anderen Gesellschaftsgruppen.1019 Auch am historischen Beispiel der in den deutschen und amerikanischen Großstädten in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts agierenden Straßenbanden, die hauptsächlich aus Jugendlichen bestanden, lässt sich zeigen, dass es bei einem Großteil der von ihnen ausgetragenen Konflikte außer um Ehre und Respekt vor allem auch um Männlichkeitsbeweise ging.1020 Darüber hinaus hat Sven Reichardt anhand seiner Untersuchung der faschistischen Kampfbünde in Deutschland und Italien die Bedeutung eines von Tapferkeit, Kameradschaft und Heldentum geprägten Männlichkeitsideals für die gemeinsame Gewaltanwendung hervorgehoben.1021 Selbst bezüglich der Straßenproteste, an denen auch Frauen in Barcelona im Untersuchungszeitraum – und das nicht in geringem Umfang – teilnahmen, argumentiert Hagemann, dass diese und das damit verbundene physischdemonstrative Aneignen und Besetzen von Raum ein alltägliches Verhaltensrepertoire von Männern darstellt und deshalb zu den Ritualen von Männlichkeit gerechnet werden kann.1022 Ihrer Argumentation folgend, werden schon in der Kindheit bezüglich des Aktionsraums Straße geschlechtsspezifische Unterschiede deutlich, die darin bestehen, dass Jungen in den meisten Fällen dort eine unbegrenzte Bewegungsfreiheit hatten, während der Aktionsradius von Mädchen stärker kontrolliert wurde und normalerweise auf die Wohnstraße beschränkt blieb.1023 Obwohl Frauen in Barcelona bei den kollektiven Protestformen – nicht selten zum Ärger der eingangs zitierten Polizisten – durchaus beteiligt waren, ist hinsichtlich ihrer im Übrigen eher geringen Teilnahme an den kollektiven Gewaltakten und in den agierenden Gewaltgemeinschaften anzunehmen, dass auch 1019 1020 1021 1022 1023
Vgl. Dubet, Logik, S. 222. Vgl. Weinhauer, Urbane Jugendproteste, S. 31ff. Vgl. Reichardt, Faschistische Kampfbünde, S. 690ff. Vgl. Hagemann, Frauenprotest, S. 205. Vgl. Hagemann, Frauenprotest, S. 206. Dies trifft auch auf Barcelona zu. So führt Vega, Pioneras, S. 41 aus, dass die Mädchen nicht so viel Zeit auf der Straße verbrachten, weil sie den Müttern im Haushalt helfen mussten.
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für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona Männlichkeitsideale eine wichtige Rolle spielten. Als weitere städtische Gewaltorte in Barcelona, die im Untersuchungszeitraum fast ausschließlich von Männern dominiert wurden, können außerdem die Kneipen und Bars genannt werden, die, wie im Kapitel 2.4 dargestellt, für die in Barcelona agierenden Gewaltgemeinschaften von zentraler Bedeutung waren. Darüber hinaus wurde im Verlauf der Arbeit anhand von mehreren in Barcelona auftretenden Organisationen, wie etwa den Republikanern und den Karlisten, die großen Einfluss auf die Sindicatos Libres hatten, gezeigt, dass in dem Selbstverständnis dieser ebenfalls nahezu ausschließlich von Männern dominierten Vereinigungen Männlichkeit und Gewalt eine zentrale Rolle spielten. Das zentrale Symbol für Männlichkeit war in Barcelona, wie auch in den bei Reichardt beschriebenen faschistischen Kampfbünden in Italien und Berlin, die Pistole. Dass Männlichkeitssymbole auch in den im Kapitel 4.1.2 betrachteten staatsfernen Gewaltgemeinschaften von Bedeutung waren, ist aufgrund der bisherigen Ausführungen anzunehmen, lässt sich aber anhand der verfügbaren Quellen nicht genauer belegen. Als ein Indiz dafür kann zumindest das folgende Zitat aus der fiktiven Novelle »El Jefe de los Pistoleros« (dt.: Der Chef der Pistoleros) gelten, in der der Protagonist erklärt: »Der Verdienst und die Bewunderung ruhen auf dem beliebten Mörder. Jener, der Hunderte töten wollte, ein anderer, der jemanden zerstückelt hat, dieser, der seine Mutter erstochen hat, jener, der zu zweihundert oder dreihundert Jahren Gefängnis verurteilt wurde, der ist ein echter Mann. Die anderen, die Gelegenheitsverbrecher, die für sechs, acht oder zehn Jahre in den Knast gehen, zählen nicht. Gaunereien, Einbrüche, Fälschungen – bah!«1024
Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass Frauen vor allem bei Straßenprotesten durchaus eine größere Rolle spielten, besonders, wenn es darum ging, Forderungen durchzusetzen, die ihr unmittelbares Lebensumfeld betrafen. Ihre Bedeutung innerhalb der Gewaltgemeinschaften war allerdings wesentlich geringer, wobei sie selbst bei den wenigen dokumentierten Beispielen in der Regel ihr geschlechtsspezifisches Rollenverhalten beibehielten. Der Grund dafür dürfte sein, dass Gewaltgemeinschaften offensichtlich auch in Barcelona durch Männlichkeitsrituale und -ideale stark geprägt waren.
4.2.3 Fremde Gewaltakteure und ihr Anteil an der Gewaltsamkeit in Barcelona Wie die Untersuchung bisher ergeben hat, spielen in erster Linie junge Männer eine tragende Rolle hinsichtlich der hohen Gewaltsamkeit in Barcelona. Josep 1024 Mart&nez, Memorias, S. 72.
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Anton Vandelljs i Sol/, der ab 1933 den Lehrstuhl für Statistik an der Universität Barcelona innehatte, machte jedoch vor allem eine andere soziale Gruppe für die Gewalttaten in Barcelona verantwortlich, die bei den bisherigen Ausführungen in der vorliegenden Arbeit noch kaum in Erscheinung getreten ist, und schrieb in seinem Buch »La inmigracij a Catalunya« (dt.: Die Einwanderung nach Katalonien) Folgendes: »Das, was man als ›Blutstaten‹ bezeichnet – Beziehungstaten, soziale Attentate, Schlägereien und Raubmorde – wird auch zu einem großen Teil den Immigranten zugeschrieben.[…]. In Katalonien ist es nicht möglich, die Einreise zu verweigern, aber es wäre notwendig, über eine sehr detaillierte Statistik zu verfügen, in der alle vorbestraften Personen nicht nur mit ihrer Nationalität, sondern auch mit der Zeit aufgeführt werden, die sie in unserem Land verbringen. So könnten wir erfahren, wie das Verhältnis zwischen den katalanischen Kriminellen und denen aus anderen Orten ist und ob der Aufenthalt in Katalonien die Bereitschaft, ein Verbrechen zu begehen, abschwächt oder fördert. […] Man muss sich auch bewusst machen, dass es in Barcelona eine bedeutende Gruppe von Ausländern – einige von ihnen illegal – gibt, die einen bedeutenden Teil der Verbrechen, die begangen werden, selbst durchführen oder auslösen. Vielleicht könnten eines Tages diese Daten genutzt werden, damit die Polizei Elemente, die schädlich für den öffentlichen Frieden sind, ausfiltert, sowohl bei den innerspanischen Immigranten als auch bei den Ausländern.«1025
In dem im selben Jahr erschienenen »Catalunya, poble decadent« (dt.: Katalonien, heruntergekommenes Volk), beschwor Josep Anton Vandelljs i Sol/ den Niedergang der »katalanischen Rasse«, der darauf zurückzuführen sei, dass die Geburtenrate der Katalanen rückläufig sei und deshalb ihr Anteil an der Bevölkerung Barcelonas in Folge der Einwanderung vor allem von Spaniern aus anderen Landesteilen stetig zurückgehe.1026 Dass Letzteres tatsächlich der Fall war, verdeutlicht die Betrachtung der Zusammensetzung der Bevölkerung Barcelonas (siehe Abb. 63). Daraus leitet er die sehr fragliche These ab, der zufolge vor allem die Einwanderer für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona verantwortlich seien. Die dieser Annahme zugrunde liegende Fremdenfeindlichkeit hatte nach Chris Ealham ihren Ursprung in einem bereits im 19. Jahrhundert beginnenden medizinischen Diskurs. Diese setzte die »soziale Normalität« mit Gesundheit und Abweichungen davon mit Krankheit gleich.1027 Dies mag einer der Gründe dafür gewesen sein, dass Migranten als unhygienisch und krank galten und damit in den Augen vieler Einheimischer eine Gefahr für das Gemeinwohl darstellten. Katalanisten warnten dementsprechend vor der fremden Plage, die zu einer 1025 Vandelljs, Inmigracijn, S. 199f. Für eine zeitliche Einordnung und eine kritische Auseinandersetzung mit den Thesen von Vandelljs, siehe Domingo, Immigracij. 1026 Vgl. Vandelljs, Catalunya. 1027 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 14.
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Abb. 63: Prozentuale Zusammensetzung der Bevölkerung Barcelonas
Dekatalanisierung führen würde, wobei sich vor allem der Veterinär und Rassentheoretiker Pere M/rtir Rossell i Vilar mit seinen rassistischen Schriften hervortat, in denen er vor »Mischehen« zwischen Katalanen und Spaniern abriet und dafür biologische Gründe heranzog.1028 Selbst die Gewerkschaften in Barcelona sah die steigende Zahl von Migranten teilweise mit Sorge, da man in ihnen potenzielle Streikbrecher vermutete.1029 So verwundert es nicht, dass bereits im Mai 1917 eine städtische Quelle behauptete, dass 70 % der Landstreicher und Verbrecher in Barcelona den Einwanderern zuzurechnen seien.1030 Auch wenn Klaus-Jürgen Nagel in diesem Fall später überzeugend nachweisen konnte, dass diese Zahlen vermutlich weit übertrieben waren, sollte die These von Josep Anton Vandelljs i Sol/ für den Untersuchungszeitraum durchaus Beachtung geschenkt werden, zumal offensichtlich viele von seinen Zeitgenossen seine Ansicht teilten und im Laufe der vorliegenden Arbeit – etwa am Beispiel des deutschen Rudolf Stallmann alias »Baron von König« als Chef der Banda Negra – Fremde sogar in gehobener Position durchaus bereits als Gewaltakteure thematisiert wurden.1031 Diese Einwanderer rekrutierten sich – wie nicht nur Josep Anton Vandelljs i Sol/, sondern auch viele seiner Zeitgenossen glaubten – vor allem aus Migranten aus spanischen Regionen außerhalb Kataloniens. Wie die Abbildung 64 zeigt, 1028 1029 1030 1031
Vgl. Rossell, RaÅa. Vgl. Kaplan, Red City, S. 60. Zitiert nach Jutglar, Torno, S. 103. So führt Chris Ealham aus, dass es sich hierbei um einen Diskurs der lokalen Elite handelte, die die steigende Zahl von Migranten in Barcelona mit Sorge betrachtete, vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 13f.
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welche die statistischen Angaben von Vandelljs veranschaulicht, stammten zwar viele Migranten aus Murcia, doch stellten diese aber bei Weitem nicht die Mehrheit.
Abb. 64: Anzahl der Immigranten in Barcelona
Dennoch wurde der Begriff »Murcianos« (dt.: Murcianer) bald zum Synonym auch für viele Einwanderer aus Valencia und Aragon, die zusammen einen wesentlich höheren Anteil an der Bevölkerung Barcelonas ausmachten als die Migranten, die tatsächlich aus Murcia stammten. Murcianos wurden dabei stereotypisierend als Analphabeten beschrieben und mit zurückgebliebenen und wilden afrikanischen Stämmen gleichgesetzt. Wie bereits im Kapitel 2.2 erwähnt, siedelten sich Migranten vor allen in den Außenbezirken der Stadt und den Vorstädten Barcelonas an, besonders in L’Hospitalet de Llobregat, was den republikanischen Journalisten Carles Sent&s, der in den Immigranten ebenfalls eine primitive Rasse sah, dazu veranlasste, das dortige Viertel Collblanc-La Torrassa als »Klein-Murcia« zu bezeichnen.1032 Da, wie bereits ausgeführt, sich insgesamt aufgrund der schlechten Quellenlage nur sehr wenige staatsferne Gewaltgemeinschaften in Barcelona dokumentieren lassen und dabei ihre Mitglieder oder zumindest deren Herkunft fast immer unbekannt sind, ist es äußerst schwierig, zu überprüfen, inwieweit die Immigranten tatsächlich in erhöhtem Maß für die kollektiven Gewaltakte in 1032 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 68.
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Barcelona verantwortlich waren.1033 Der amerikanische Historiker Gerald Meaker behauptet zumindest im Hinblick auf die anarchistischen Aktionsgruppen, dass daran vor allem »Murcianos« beteiligt gewesen sein sollen. Es bleibt aber fraglich, wie er zu dieser Behauptung kommt zumal er selbst einräumt, dass die Mitglieder dieser Gruppen und deren Herkunft meist im Dunkeln blieben und hier weitere Forschungen notwendig wären.1034 Klaus-Jürgen Nagel hat versucht, diese These zu überprüfen, indem er 42 in der Lokalzeitung La Protesta (dt.: Der Protest) zwischen dem 27. April und dem 16. September 1923 veröffentlichte »Steckbriefe« von »Pistoleros« auswertete. Abgesehen von der Tatsache, dass es unklar ist, inwieweit es sich bei den dort beschriebenen Personen tatsächlich um Pistoleros handelte, ist die Aussagekraft dieser Quelle auch deshalb sehr gering, weil insgesamt nur bei 18 und damit noch nicht einmal bei der Hälfte der Personen eine Herkunftsbezeichnung angegeben war.1035 Zumindest ist aber bemerkenswert, dass von diesen die überwiegende Mehrheit aus Katalonien (6) und den übrigen katalanisch-sprachigen Regionen stammten (7), aus Murcia dagegen nur zwei und je einer aus Aragon, Extremadura und Kastilien. Insgesamt kam Klaus-Jürgen Nagel zu dem Fazit, dass es nahezu aussichtslos sei, die anarchistischen Aktionsgruppen hinsichtlich ihrer Herkunft überhaupt zu analysieren.1036 Möglich ist dies dagegen bei den »Los Solidarios«, einer der ersten größeren Gruppen, die für zahlreiche Raubüberfälle und Attentate verantwortlich waren, wie in Kapitel 4.1.2 ausführlich dargestellt. Demzufolge waren die meisten Mitglieder dieser Gruppe, tatsächlich Spanier, direkt aus Katalonien kamen dagegen nur wenige (siehe Abb. 65). Aber auch hier muss die Aussagekraft dieses Befundes relativiert werden, handelt es sich doch bei den Los Solidarios hinsichtlich der in Barcelona während der Zwischenkriegszeit agierenden Gewaltgemeinschaften eher um einen Sonderfall, da diese Gruppe im Gegensatz zu den meisten anderen untersuchten nicht nur in Barcelona sondern auch in anderen Gegenden Spaniens agierte.
1033 Auf diese Schwierigkeit wies bereits Vandelljs in seiner eingangs zitierten Untersuchung hin. Darin schildert er, wie er mehrere Monate lang versucht habe, den seiner Meinung nach überproportionalen Anteil der Migranten an den Gewaltdelikten nachzuweisen, indem er die persönlichen Daten über diese Art von Verbrechen aus den Presseberichten zusammenstellte. Dies sei aber nicht einfach gewesen, weil von vielen der Verhafteten ihre Nationalität nicht genannt und ihr Name in einigen Fällen kastillanisiert wurde, vgl. Vandelljs, Inmigracijn, S. 199f. 1034 Vgl. Meaker, Anarchists, S. 47 und S. 69. 1035 So wurde beispielsweise in einer Liste der Somat8n der spätere Ministerpräsident Kataloniens, Llu&s Companys, als »gefährlicher Pistolero« geführt, vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 455. 1036 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 466.
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Abb. 65: Die Herkunft der Mitglieder der Los Solidarios
Insgesamt bleibt hinsichtlich der Frage, ob spanische Migranten tatsächlich einen höheren Beitrag zur Gewaltsamkeit in Barcelona leisteten als die einheimischen Katalanen, nur die unbefriedigende Feststellung, dass sich hierfür zwar gewisse Ansätze erkennen lassen, die diese These zu bestätigen scheinen, insgesamt aufgrund der schlechten Quellenlage ein fundiertes Urteil darüber jedoch nicht möglich ist. Ein Indiz dafür, dass es sich bei dieser damals besonders im gehobenen Bürgertum weitverbreiteten Meinung nicht nur um reine Xenophobie handelte, dürfte darin bestehen, dass selbst Chris Ealham einräumt, dass die Migranten in Barcelona dadurch, dass sie in vielen Fällen den Großteil ihrer Ersparnisse bereits für die Übersiedlung nach Barcelona aufwenden mussten, weit mehr als die einheimischen Arbeiter etwa unter den hohen Mieten zu leiden hatten.1037 Außerdem beschreibt er, dass die Migranten in Barcelona oft Netzwerke bildeten, die nicht selten durch den gemeinsamen Heimatort bzw. die gemeinsame Heimatregion ihrer Mitglieder konstituiert waren, was die Annahme nahelegt, dass es auch Gewaltgemeinschaften gegeben haben könnte, die auf diesen Netzwerken aufbauten und dann dementsprechend zum Großteil aus Migranten bestanden.1038 Während Migranten aus den spanischen Regionen zumindest einen nicht unerheblichen Anteil an der Gesamtbevölkerung ausmachen, gab es, vor allem zu Beginn des Untersuchungszeitraums, noch relativ wenige Ausländer – gemeint sind hier Immigranten, die tatsächlich aus anderen Ländern kamen. Das hielt die Lokalpresse allerdings nicht davon ab, diese trotzdem in vielen Fällen als die vermeintlichen Protagonisten kollektiver Gewaltdelikte darzustellen. So kommentierte La Publicidad in ihrer Morgenausgabe den bereits im Kapitel 3.4 erwähnten Mord an zwei Polizisten am 17. Dezember 1919 folgendermaßen:
1037 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 25. 1038 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 28.
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»Diese Art von Verbrechen ist in Barcelona außergewöhnlich. Trotz der Tatsache, dass Barcelona eine Hafenstadt ist und in Grenznähe liegt, trotz der hohen Zahl an Reisenden, trotz der großen Ansammlungen in den Straßen ›Sota Montju"c‹ [dt.: Unter dem Montju"c, eine Anspielung auf ein Werk von Juli Vallmitjana, auf das später noch genauer eingegangen wird, Anmerkung F.G.], trotz der Unterwelt und trotz der Apachen hat die kriminelle Barbarei solche gravierenden und offensichtlichen Spuren hinterlassen. Als man die Apachen aus Paris vertrieb, flüchteten sie zunächst nach Marseille und ließen sich dann in Barcelona in der Calle del Mediod&a und der Calle de Cires nieder. […] Von dort aus treten diese nun systematisch aus dem Abschaum der Gesellschaft heraus, um Verbrechen zu realisieren, die dem Geist dieser Stadt völlig fremd sind«.1039
Der hier in dem Artikel verwendete Begriff »Apachen« stammt ursprünglich aus Paris, wo er ab 1902 vor allem wegen seiner häufigen Verwendung in der dortigen Presse zu einer allgemein üblichen Bezeichnung für deviantes Verhalten wurde, das sich von einer als unangemessen angesehenen Lebensweise über primitive Rebellion bis hin zu gewaltsamen oder die Eigentumsrechte verletzenden Verhaltensweisen erstrecken konnte.1040 Während in Paris die Existenz der sogenannten »Apachen« für den Zeitraum von 1900 bis 1914 als gesichert gilt, scheint es dagegen sehr fraglich, ob sich anschließend tatsächlich eine größere Anzahl von ihnen nach Barcelona absetzte.1041 Wie die statistische Darstellung (Abb. 66) veranschaulicht, gab es zwar im Jahr 1920, also kurz nach dem Erscheinen des Artikels, bereits mehr als 5000 Franzosen in Barcelona. Doch in Wirklichkeit traten nicht nur sie, sondern auch andere Ausländer, die von der Lokalpresse ganz allgemein als »Apachen« bezeichnet wurden, in dieser Zeit strafrechtlich relativ selten in Erscheinung und wenn, dann in erster Linie wegen geringfügiger Eigentumsdelikte.1042 Was allerdings nicht völlig von der Hand zu weisen ist, ist die Tatsache, dass Ausländer bereits zuvor in der Gewaltgeschichte Barcelonas in verschiedenen 1039 Vgl. La Publicidad Morgenausgabe, 18. 12. 1919, S. 1. Über das hier kommentierte Verbrechen berichtete dasselbe Blatt bereits am Tag zuvor, siehe La Publicidad Morgenausgabe, 17. 12. 1919, S. 10. Der Mord findet ebenfalls Erwähnung in der zeitgenössischen Novelle Calderjn, Memorias, S. 282. 1040 Vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 17 und S. 22. 1041 Zur zeitlichen Verortung der Apachen in Paris, siehe Schmidt, Jugendkriminalität, S. 33. 1042 Ein Beispiel ist der ausführlich dokumentierte Prozess gegen drei »Apachen«, die am 4. Oktober 1919 gemeinsam eine Künstlerin bestehlen wollten. Nur einer der drei Täter war tatsächlich ein in Paris geborener Franzose. Die beiden anderen Angeklagten waren dagegen Griechen, siehe La Publicidad, Morgenausgabe, 16. 6. 1920, S. 7, La Publicidad, Abendausgabe, 18. 6. 1920, S. 4., La Publicidad Abendausgabe, 19. 6. 1920, S. 3f. und 7 sowie La Publicidad, Morgenausgabe, 20. 6. 1920, S. 7. Auch eine andere als »Bande von Apachen« bezeichnete Einbrecherbande bestand nur aus einem Franzosen, zwei Italienern und einem aus Valencia stammenden Spanier, siehe La Publicidad, Morgenausgabe, 27. 11. 1921, S. 3.
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Abb. 66: Ausländer in Barcelona im Jahr 1920 und ihre häufigsten Herkunftsländer
Zusammenhängen in Erscheinung getreten sind. So wurden wegen der Terroranschläge der 1890er Jahre in Barcelona 78 Ausländer festgenommen, was knapp einem Fünftel aller Verhafteten entsprach. Damit lag deren prozentualer Anteil wesentlich höher als der damalige Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung.1043 Viele der des Terrorismus verdächtigen Ausländer wurden ohne eine Anhörung oder eine Gerichtsverhandlung nach Frankreich ausgewiesen.1044 Da zahlreiche der in dieser Zeit verübten Anschläge von ausländischen Attentätern durchgeführt wurden, die relativ leicht die Grenzen passieren konnten, verwundert es nicht, dass ein großer Teil der Bewohner Barcelonas hinter diesen Attentaten ein internationales anarchistisches Komplott vermutete.1045 Zwar hielten sich nachweislich einige italienische und französische Anarchisten längere Zeit in Barcelona auf, entweder um sich der Verfolgung in ihren Heimatländern zu entziehen oder um die anarchistischen Ideen zu verbreiten, doch scheint sich ihre Beteiligung an den Attentaten insgesamt in Grenzen gehalten zu haben.1046 Ein weiterer Grund, weshalb die Bevölkerung Barcelonas an die Verschwörungstheorie glaubte, bestand darin, dass Paulino Pall#s bei seiner Ver1043 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 134. 1044 Vgl. Gonz#lez Calleja, Laboratorio, S. 148. Diese Praxis setzt sich bis in die Zeit der Zweiten Republik fort, so meldete Las Noticias, 23. 5. 1935, S. 3, dass seit Beginn des Jahres 1935 insgesamt 234 Ausländer aus Barcelona ausgewiesen wurden. 1045 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 134. Zum internationalen Kontext siehe Rapoport, Four Waves. 1046 Vgl. Abellj, Anarchism, S. 92.
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nehmung angab, er habe die Bomben, die er für seinen Anschlag auf die Militärparade von General Campos Mart&nez benutzte, von dem in Barcelona lebenden Italiener Francesco Momo erhalten. In Wirklichkeit war der von Pall#s Beschuldigte zu dieser Zeit jedoch bereits verstorben.1047 Tatsächlich soll dann aber zwischen 1902 und 1905 Maurice Bernardon, der aus der französischen Armee desertiert und ein großer Sprengstoffexperte war, dazu beigetragen haben, die technischen Kenntnisse der Gewaltakteure Barcelonas hinsichtlich des Umgangs mit Sprengstoffen deutlich zu verbessern.1048 Auch wenn sich dies nicht anhand konkreter Zahlen belegen lässt, was vermutlich damit zu tun hat, dass viele dieser Personen illegal nach Barcelona kamen, ist anzunehmen, dass im Zuge des Ersten Weltkriegs viele Ausländer nach Barcelona einwanderten, entweder, um vor dem Krieg zu fliehen, oder wie im Falle des bereits ausführlich beschriebenen Rudolf Stallmann als Spione.1049 Schon den Zeitzeugen war der Wandel aufgefallen, den der Erste Weltkrieg für die Stadt mit sich gebracht hatte, weil sie nun zahlreiche Abenteurer, Spekulanten und Spione auf der Suche nach dem »leichten Geld« anzog, die nun besonders die »Unterwelt« nachhaltig prägten.1050 Während Stallmann trotz seiner deutschen Staatsbürgerschaft offensichtlich für den französischen Geheimdienst tätig war und erst nach Ende des Krieges als Anführer der Banda Negra als Gewaltakteur in Barcelona in Erscheinung trat, soll sein Vorgänger als Anführer der Banda Negra, Manuel Bravo Portillo, dagegen während des Krieges für den deutschen Geheimdienst tätig gewesen sein. Dass es, wie die deutschfeindliche Zeitung El Radical (dt.: Die Radikale) am 6. Juni 1918 berichtete, in Spanien insgesamt etwa 70 000 deutsche Spione gegeben haben soll, ist vermutlich weit übertrieben. Es existieren aber durchaus mehrere Quellen über verschiedene Aktivitäten des deutschen Geheimdienstes in Spanien.1051 Diese bestanden in Barcelona zum Beispiel darin, dass er über Mittelsmänner die Fahrtrouten spanischer Handelsschiffe mit Kriegsmaterial für die Alliierten ausspionieren ließ.1052 Dass der deutsche Geheimdienst außerdem versuchte, den Warenaustausch Spaniens mit den Alliierten dadurch zu sabotieren, dass er Einfluss auf die Arbeiter nahm, ist ebenfalls wahrschein-
1047 Vgl. Dalmau, Cas, S. 91. 1048 Vgl. Dalmau, Cas, S. 101. 1049 So beschreibt etwa Victor Serge, er habe bei seinem Aufenthalt in Barcelona im Jahr 1917 mehrere französische Deserteure kennengelernt, vgl. Serge, Geburt, S. 8. 1050 Vgl. Abellj/Termes, Conflictivitat, S. 147. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich zur selben Zeit in Paris machen, vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 28. 1051 Vgl. El Radical, 6. 6. 1918, S. 1. Zu den Aktivitäten des deutschen Geheimdienstes in Spanien siehe etwa die Korrespondenz des ehemaligen deutschen Konsuls von Sevilla, Otto Engelhardt, mit Präsident Hindenburg vom 17. Juli 1929 (PA AA R 72005). 1052 Vgl. El Radical, 12. 6. 1918, S. 1f. und 25. 7. 1918, S. 1.
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lich.1053 Konkret wurde der deutsche Generalkonsul in Barcelona, von Rolland, in der Tageszeitung El Radical beschuldigt, eine Gruppe von Anarchisten in Barcelona angeworben zu haben, wobei eine Person namens »Fix« als Mittelsmann fungiert haben soll.1054 Außerdem soll ein gewisser Rüggeberg, ein Repräsentant der Türkei, im Auftrag der Deutschen Botschaft in Barcelona bei diesen Geheimdienstaktivitäten eine zentrale Rolle gespielt haben.1055 Durch Akten des deutschen Außenministeriums lässt sich belegen, dass die drei genannten Personen tatsächlich zu jener Zeit in Barcelona im deutschen Konsulat tätig waren, dessen Leitung von Rolland ab dem 10. Februar 1917 übernommen hatte.1056 In diesen Quellen finden sich aber keine konkreten Hinweise, die auf eine Beeinflussung von Arbeitern in Barcelona schließen lassen. Lediglich von Rollands überstürzte Abreise aus Spanien nach Kriegsende ist dokumentiert, wodurch er sich seiner Verhaftung entzog. Von deutscher Seite wurde seine Beteiligung an den Gewerkschaftsaktivitäten in Barcelona aber stets abgestritten und als Verleumdung vonseiten der Alliierten bzw. einiger Personen aus der Oberschicht Barcelonas hingestellt.1057 Ob der Deutsche Geheimdienst also tatsächlich, wie dies von mehreren anarchistischen Autoren behauptet wird, für das am Anfang des Kapitels 3.3.1 beschriebene Attentat auf Barret verantwortlich ist und damit, so die Argumentation dieser Autoren, einer der Auslöser des Pistolerismo in Barcelona war, lässt sich jedoch nicht nachweisen. Während der Zweiten Republik traten von der Gruppe der Ausländer in Barcelona vor allem die Italiener in Erscheinung. So bildete sich in Barcelona die »Fascio Italiano di Barcellona« (dt.: Italienische Faschisten von Barcelona), eine Gruppe italienischer Faschisten, die aus Sicht des italienischen Botschafters sowohl von der Lokalpresse als auch von den spanischen Behörden angefeindet wurde. Dass dies allerdings in irgendeiner Form zu gewaltsamen Auseinandersetzungen geführt hätte, ist nicht belegt.1058 Insgesamt gab es wesentlich mehr 1053 So soll der deutsche Geheimdienst versucht haben, mit finanziellen Mitteln Einfluss auf Gewerkschafter zu nehmen, vgl. Porcel, Revuelta S. 147ff. 1054 Vgl. El Radical, 8. 6. 1918, S. 1, 12. 6. 1918, S. 7 und 20. 8. 1918, S. 1. 1055 Einen ausführlichen Überblick über die Aktivitäten des deutschen Geheimdienstes in Spanien bieten die beiden kürzlich erschienenen Untersuchungen Garc&a Sanz, EspaÇa und Gonz#lez Calleja / Aubert, Nidos. 1056 Vgl. den Brief des deutschen Generalkonsulats an den Polizeichef von Barcelona vom 11. Dezember 1919 (PA AA Madrid 365 // 7317, Akte von Rolland P1c). 1057 Siehe dazu die Personalakte von Rollands im politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin (PA AA Madrid 365 // 7317, Akte von Rolland P1c). 1058 So berichtete der italienische Botschafter in Madrid in einem Telegramm an das Außenministerium in Rom vom 24. März 1933, dass es im Zuge einer antifaschistischen Demonstration Anfeindungen gegen die italienische Gemeinde in Barcelona gegeben habe und in »El Progreso« und »Solidaridad Obrera« anti-italienische Artikel veröffentlicht worden seien (ASD, Affari Politici 1931–1945, Paese: Spagna, Busta 5, 1933, 38: incidenti vari, Telegramm 849/493). Im Fall von El Progreso bestanden diese darin, dass die Zeitung
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italienische Anarchisten als Faschisten in Barcelona, was vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass der spanische Anarchismus von Beginn an eng mit dem italienischen verknüpft war.1059 Der Anteil der Italiener an der Gewaltsamkeit Barcelonas blieb aber auf die Beteiligung an den bereits beschriebenen Raubüberfällen beschränkt. Insgesamt traten, wie im Kapitel 4.1.2 bereits beschrieben, Ausländer erst während der Zweiten Republik in Zusammenhang mit den bewaffneten Raubüberfällen häufiger in Erscheinung. Der zeitgenössische Journalist Fernando Baragj-Solis geht in seiner Reportage über »die Apachen und die internationalen Straßenräuber« noch weiter als Josep Maria Planes und behauptet, dass die meisten zu jener Zeit in Barcelona agierenden Straßenräuber Ausländer seien, die im Barrio Chino nicht nur die notwendige Unterstützung fänden, um sich vor der Polizei zu verstecken, sondern auch, um ihre kriminellen Vorhaben zu realisieren.1060 Als Beispiele hierfür nennt er den vermeintlichen tschechischen Bankräuber Ladislao Mucial und den Italiener F8lix Vitale, der am Überfall auf den Juwelier in der Calle de Salmerjn beteiligt gewesen sein soll, und damit zwei mutmaßliche Verbrecher, die auch in der Reportage von Planes erwähnt werden.1061 Den Grund dafür, dass es »Hunderte von Übeltätern aus anderen Ländern« nach Barcelona ziehen würde, sieht er darin, dass die Todesstrafe in Spanien abgeschafft worden war und die Polizei wegen der Kampagne der Anarchisten längst nicht mehr so hart durchgreifen würde wie früher. Dagegen wäre es während der Diktatur Primo de Riveras vorübergehend gelungen, diese durch das abschreckende Beispiel der Hinrichtung von Straßenräubern aus Barcelona zu vertreiben.1062 Während sich diese Behauptung anhand der Quellen schwer überprüfen lässt, hat Solis aber sicherlich Unrecht damit, die in Barcelona während der Zweiten Republik agierenden Straßenräuber mit den »Apachen« in Paris in Verbindung zu bringen, auch wenn dies in einigen Lokalzeitungen geschah.1063 Auch dürfte
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in ihrer Ausgabe vom 23. März 1933 dagegen protestiert habe, dass es nicht hinnehmbar sei, dass italienische Faschisten in Barcelona eine Demonstration planten, vgl. El Progreso, 23. März 1933. Im Juni des folgenden Jahres wurden zwei Mitglieder der italienischen Faschisten in Barcelona festgenommen, worauf der italienische Konsul in Barcelona in einem Brief vom 18. Juni 1934 an den Präsidenten der Generalitat de Catalunya heftig protestierte (ASD, Affari Politici 1931–1945, Paese: Spagna, Busta 6 (1934), 3: Rapporti Politici Tercero Semestere, Nr. 1744). Vgl. Cattini, Anarquistes, S. 716, der anmerkt, dass es der Italiener Giuseppe Fanelli war, der die theoretischen Grundlagen für den Anarchismus in Spanien gelegt hatte. Vgl. Baragj-Solis, Reportajes, S. 110. Vgl. Baragj-Solis, Reportajes, S. 114f. Vgl. Baragj-Solis, Reportajes, S. 111. Beispiele hierfür finden sich etwa in El D&a Gr#fico, 20. 1. 1931, S. 5 oder Las Noticias, 25. 3. 1933, S. 1.
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seine Behauptung, dass Ausländer in hohem Maße zur Gewaltsamkeit und organisierten Kriminalität in Barcelona beitrügen, deutlich übertrieben sein. Für Anarchisten wie Ricardo Sanz waren es dagegen nicht die ausländischen Straßenräuber, sondern die ausländischen Kapitalisten, die einen Beitrag zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit leisteten. Tatsächlich hatten mit der Straßenbahngesellschaft, dem Canadenca-Werk und der Telefongesellschaft »La Tel8fonica« mindestens drei große in Barcelona tätige Unternehmen, in denen sich wie im Kapitel 3.1.2 beschrieben, die heftigsten Arbeitskämpfe während des Untersuchungszeitraums ereigneten, ausländische Besitzer.1064 Diese sahen sich dagegen, wie etwa ein Bericht des englischen Botschafters aus Madrid vom 16. November 1920 zeigt, einer groß angelegen Zeitungskampagne ausgesetzt, die dazu führen sollte, alle ausländischen Firmen in Spanien zu schließen.1065 Inwieweit dies der Realität entsprach, bleibt aber fraglich, denn nachweislich hat mit El Diluvio nur eine Zeitung während des CanadencaStreiks die dort herrschenden Besitzverhältnisse tatsächlich erwähnt.1066 Die Analyse vermeintlicher »fremder« Gewaltakteure hinsichtlich ihres Beitrags zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit soll mit der Betrachtung einer Personengruppe abschließen, die ebenso so wie »Apachen« vor allem zu Beginn des Untersuchungszeitraums in den Fokus der Lokalzeitungen gerückt waren, wobei es auch in diesem Fall relativ unspezifisch blieb, wer eigentlich genau zu dieser Personengruppe gehörte. So berichtete El Diluvio am 29. 7. 1919 unter dem Titel »Gitanerias«, was man etwa mit »Zigeunereien« übersetzen könnte, Folgendes: »Seit einigen Monaten leidet Barcelona unter einer wahrhaften Invasion von Zigeunerkarawanen jeglicher Nationalitäten, die sich scheinbar in unserer Stadt niedergelassen haben und diese dabei als ein durch die Gleichgültigkeit und Fahrlässigkeit unserer Autoritäten zur Eroberung freigegebenes Gebiet betrachten. Diese schenken der Tatsache keine Beachtung, dass es sich hier um Leute handelt, denen eine anständige Lebensweise unbekannt ist und die eine ständige Bedrohung für die Nachbarschaft darstellen. Dabei könnte der Anblick dieser Leute nicht abstoßender sein, die den Ursprung von Schmutz und Infektionen bilden. […] Es wäre weniger schlimm, wenn sich diese Karawanen an den Stadträndern niedergelassen hätten, an den einzigen Orten, wo sie von den Autoritäten der bescheidensten Käffer toleriert werden. Aber im Fall von Barcelona, der zweitgrößten Stadt Spaniens, hier, wo wir eine vollständige Sammlung von Autoritäten und Polizisten unser eigen nennen, hat sich dieses ›Gefolge‹ inmitten der zentralsten Straßen eingenistet sogar innerhalb auf bebauten Grundstücken.«1067
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Vgl. Sanz, Sindicalismo y Pol&tica, 34f. sowie ders. Figuras, S. 28. Dieser Bericht findet sich in NA, FO371/5495, W2046 Blatt 201–203. Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 451. El Diluvio, 29. 7. 1919, S. 1.
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Nicht nur der Begriff des »Gitanos« (dt. Zigeuner) bleibt hier ähnlich diffus wie in Deutschland, wo man seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts alle nicht sesshaften Personen jeglicher Herkunft als Zigeuner bezeichnete.1068 Auch ähnelt dieser Bericht in vielerlei Hinsicht einem von dem deutschen Stadthistoriker Philipp Altenburg ausführlich untersuchten Fall in Frankfurt Mitte der 1920er Jahre, wo die Zigeuner erst dann als Bedrohung für die öffentliche Ordnung ausgemacht wurden, als sie verstärkt in den innerstädtischen Bereichen sichtbar wurden und sich auch dort bald die Forderungen häuften, diese an den Stadtrand umzusiedeln.1069 Dennoch wirkt der Bericht von El Diluvio sonderbar, gehörten die Zigeuner in Barcelona doch schon seit langer Zeit zum Stadtbild, wobei es ihnen aber offensichtlich nicht gelang, sich zu assimilieren, sodass sie auch im Untersuchungszeitraum als Fremde wahrgenommen wurden, wie der Bericht deutlich zeigt.1070 Sie lebten überwiegend in den Außenbezirken der Stadt, vor allem in Hostafrancs, aber auch in Sants, Sant Mart& und Poblenou sowie in Gr/cia und trafen sich häufig auf dem PlaÅa de Espanya und in verschiedenen Herbergen.1071 Der katalanische Schriftsteller Juli Vallmitjana hat in seinen Romanen und Dramen, vor allem in dem im Eingangsartikel genannten Buch »Sota Montju"c«, womit die Zigeunersiedlungen am Fuße des Montju"cs gemeint sind, die Lebensweise der Zigeuner beschrieben. Diese muss auf die Zeitgenossen undurchsichtig und mysteriös gewirkt haben, weshalb die Zigeuner unter anderem mit Zauberei in Verbindung gebracht wurden. Insgesamt sollen sie aber friedlich gewesen sein.1072 Auch wenn die Lokalzeitungen in einigen Fällen von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Zigeunerstämmen Barcelonas berichteten, dürfte der Beitrag der Zigeuner zur Gewaltsamkeit in der Stadt aber aus den erwähnten Gründen insgesamt zu vernachlässigen sein. Obwohl es auch hinsichtlich des Beitrags der Ausländer und Migranten zur Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit wegen der schlechten Quellenlage sehr schwierig ist, generelle Angaben zu machen, lassen sich vielleicht zumindest zwei allgemeine Aussagen postulieren. Im Hinblick auf die Ausländer lässt sich zunächst festhalten, dass diese quantitativ keinen allzu großen Beitrag zur Gewaltsamkeit in Barcelona geleistet haben können, da sie 1068 Vgl. Lucassen, Zigeuner, S. 88f., der weiter ausführt, dass die meisten westeuropäischen Behörden zwischen 1870 und 1926 Menschen aufgrund dieser Lebensweise und nicht aufgrund irgendwelcher ethnischer Kategorien als Zigeuner bezeichneten. 1069 Vgl. Altenburg, Machtraum, S. 198ff. 1070 So weisen Vargas Gonz#lez und Ljpez M8ndez darauf hin, dass es bereits in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts Zigeuner in Barcelona gegeben habe. Es sei diesen aber in den folgenden Jahrhunderten nicht gelungen, sich zu assimilieren, vgl. Ljpez M8ndez/ Vargas Gonz#lez, Gitanos. 1071 Vgl. Bembo, Mala Vida, S. 103f. 1072 Vgl. Vallmitjana, Sota Montju"c, S. 139f. und ders. RaÅa, S. 83.
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während der Zweiten Republik erst nach und nach einen erwähnenswerten Anteil an der Bevölkerung erreichten. Deshalb ist es sehr bemerkenswert, dass einige der zentralen Figuren in den staatsnahen und staatsfernen Gewaltgemeinschaften Ausländer waren. Zu nennen sind hier etwa Rudolf Stallmann als Anführer der Banda Negra, der tschechische Schwerkriminelle Murcial oder die italienischen Anarchisten Vicari und Alpini sowie einige ihrer Landsleute, die ebenfalls in bewaffnete Raubüberfälle verwickelt waren. Daraus könnte man schlussfolgern, dass Ausländer zwar nicht quantitativ, aber dafür qualitativ einen hohen Beitrag zur Gewaltgeschichte Barcelonas leisteten, in der sie immer wieder als »Gewaltexperten« in Erscheinung traten. Was dagegen die innerspanischen Migranten angeht, lässt sich hier eher vielleicht die These aufstellen, dass es sich bei ihnen bezüglich ihres Anteils an den kollektiven Gewaltakten in Barcelona genau umgekehrt verhielt wie bei den Ausländern. Klammert man die Gruppe Los Solidarios als einen Sonderfall einmal aus, traten innerspanische Migranten als Anführer von staatsfernen Gewaltgemeinschaften zumindest in den untersuchten Gewaltgemeinschaften trotz ihres relativ großen Anteils an der Bevölkerung in Barcelona eher selten in Erscheinung. In Anbetracht der Tatsache, dass die Migranten aber in vielen Fällen mittellos nach Barcelona kamen, dort in wesentlich geringerer Weise als die Einheimischen über Netzwerke verfügten, die ihnen in einer Notsituationen hätten beistehen können und sich zudem auch den Anfeindungen der einheimischen Bevölkerung ausgesetzt sahen, wäre anzunehmen, dass sie demzufolge eher dazu tendierten, sich kriminellen Banden anzuschließen als Katalanen in einer vergleichbaren Lage. Insgesamt hat sich in diesem Unterkapitel gezeigt, dass es zwar schwer ist, konkrete staatsferne Gewaltgemeinschaften zu identifizieren, dass sich aber durchaus zumindest einige soziale Gruppen benennen lassen, die einen überproportional großen Anteil an der hohen Gewaltsamkeit in Barcelona hatten. Außerdem wurde in diesem Kapitel besonders deutlich, dass es nicht nur von der Anzahl der Täter und Opfer, sondern sehr stark auch von der subjektiven Wahrnehmung des großen Teils der an den kollektiven Gewaltakten nur indirekt als Zuschauer beteiligten Stadtbewohner abhängt, welche Akteure und welche Gruppen als besonders gewalttätig angesehen werden. Somit liegt es nahe, die Untersuchung der Gewaltakteure zu beschließen, indem nun in dem abschließenden Unterkapitel analysiert werden soll, wie der große Rest der Bevölkerung Barcelonas die bisher dargestellten Gewaltpraktiken und Gewaltakteure wahrnahm.
Wahrnehmung der Gewaltgemeinschaften durch die Bevölkerung
4.3
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Wahrnehmung der Gewaltgemeinschaften durch die Bevölkerung Barcelonas und ihre Reaktion auf die kollektiven Gewaltakte
Tom#s Caball8 y Clos, der um die Jahrhundertwende in Barcelona als Journalist tätig war, veröffentlichte später mehrere Bücher, in denen er seine Erinnerungen an jene Zeit publizierte.1073 In seinem Werk »La Criminalidad en Barcelona« (dt.: Die Kriminalität in Barcelona), beschrieb er die bedeutendsten Verbrechen in Barcelona um die Jahrhundertwende und gibt dort unter anderem ein Interview mit Santiago Salvador kurz vor dessen Hinrichtung im November 1894 wieder. Darin schilderte dieser, was er unmittelbar nach seinem Attentat im LiceuTheater machte: »Danach verhielt ich mich ruhig und versuchte, mich unter die Menge zu mischen, die sich zusammendrängte … Auf der Straße hielt ich mich lange Zeit in der Nähe des LiceuTheaters auf, so nahe, wie es die Polizisten den Passanten und Neugierigen erlaubten, und mogelte mich in Gesprächskreise, wo sie Kommentare zum Geschehen abgaben. […] Wie verschreckt die Bourgeoisie doch war! Am nächsten Morgen ging ich auf die Straße, spazierte über die zentralen Plätze der Stadt und las jede Zeitung. Ich wollte wissen, was man alles über ›den Vorfall im Liceu-Theater‹ sagte und schrieb. Welche Angst und welche Panik in der Bourgeoisie! Tatsächlich hatte meine Tat eine kolossale Bestürzung verursacht und das Gemüt der Gesellschaft zum Wanken gebracht«.1074
Die Aussagen Santiago Salvadors sind zunächst ein Beleg dafür, dass Gewaltpraktiken – wie zuletzt vor allem von der historischen Terrorismusforschung postuliert – in vielen Fällen auch einen kommunikativen Akt darstellen.1075 Wie das Beispiel zeigt, besteht dieser nicht nur zwischen Tätern und Opfern, also den beiden Personengruppen, die bisher im Fokus dieses Kapitels standen, sondern schließt offensichtlich bei den hier untersuchten Gewaltpraktiken auch die große Gruppe der nicht unmittelbar betroffenen Bürgern Barcelonas mit ein. Wie in der Einleitung dieses Kapitels bereits angedeutet, wäre demzufolge eine Betrachtung der Gewaltakteure in Barcelona während der Zwischenkriegszeit unvollständig, ohne auch diese in den Blick zu nehmen. Die zentrale Frage hierbei ist, inwieweit und warum einige der als typisch für Barcelona herausgearbeiteten Gewaltpraktiken von der Stadtbevölkerung als legitim angesehen und toleriert wurden, andere hingegen nicht. Wie bereits mehrfach in dieser Arbeit deutlich geworden ist, spielen dabei die Medien durch ihre Darstellungen in den lokalen zeitgenössischen Zeitungen eine bedeutende Rolle. Angesichts 1073 Für einen kurzen Überblick über den beruflichen Werdegang von Tom#s Caball8 y Clos, vgl. Jardi, Ciutat, S. 27. 1074 Caball8 y Clos, Criminalidad, S. 90f. 1075 Siehe dazu etwa Weinhauer/Requate, Terrorismus.
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Wirken und Wahrnehmung typischer Gewaltakteure Barcelonas
der Tatsache, dass die spanische Mediengeschichte der Moderne bisher von internationalen Historikern meist eher stiefmütterlich behandelt wurde, wäre eine Arbeit explizit zu diesem Thema wünschenswert, an dieser Stelle jedoch können nur die zentralsten Aspekte bezüglich der Wahrnehmung und Darstellung kollektiver Gewalttaten skizziert werden (Kapitel 4.3.1). Anschließend gilt es zu untersuchen, wie die Bürger Barcelonas die Gewalt konkret wahrnahmen und wie sie sich dazu verhielten. Dabei soll geklärt werden, inwieweit und in welchen Fällen kollektive Gewalt toleriert und als angemessen oder unausweichlich angesehen wurde und in welchen nicht, sowie, wann sie als bedrohlich und wann als alltäglich empfunden wurde (Kapitel 4.3.2).
4.3.1 Darstellung von Gewaltpraktiken und Gewaltgemeinschaften in der Lokalpresse und ihre Funktion als Gewaltkatalysator In seiner Biografie über Buenaventura Durruti gibt Abel Paz die folgende Anekdote wieder, die sich während der Zweiten Republik in Barcelona zugetragen hatte und die ihm Juan Manuel Molina erzählte: »Es war an einem Sonntagmorgen. Auf der Ronda de San Pedro war kein Mensch zu sehen. Plötzlich erblickte ich eine Person, die mir auf demselben Bürgersteig entgegenkam. Es war Durruti. […] Er reichte mir die Zeitung, die er in der Hand hielt. Es war La Publicidad. Ein Artikel, unterzeichnet von Jos8 Maria Planas, war durch einen roten Kreis hervorgehoben. ›Diesem verleumderischen Schmierfinken werde ich den Hals umdrehen!‹ sagte Durruti mit wutentbrannter Stimme und verzerrtem Gesicht. ›Aber … wo willst du hin?‹ ›Zu La Publicidad und diesen Lügner mit Fußtritten rausschmeißen!‹ ›Aber jetzt ist doch da niemand …‹ ›Gehen wir! Jetzt sofort!‹ Und wir gingen. Wie ich gesagt hatte, war in der Redaktion niemand außer dem Nachtwächter. Durruti schob ihn beiseite und wir traten ein. Er lief durch die leeren Redaktionsräume, überzeugte sich von der Abwesenheit des Personals und wir zogen uns zurück. Wieder auf der Straße, sagte Durruti: ›Dieser Unverantwortliche schiebt mir die Raubüberfälle in die Schuhe und gestern bekam ich ein Schreiben, dass die Wohnung, in der ich lebe, zwangsgeräumt wird, weil ich in den Monaten, die ich im ›Schatten der Regierung‹ verbracht habe, keine Miete zahlen konnte. Ist das etwa nicht Grund genug, ihm den Schädel einzuschlagen?!‹«1076
Der beschriebene Vorfall scheint zunächst ein Beleg für die Tendenziösität der bürgerlichen Presse zu sein, dem allerdings entgegen zu halten ist, dass in den gesichteten Artikeln von Josep Maria Planes (im Zitat wird die kastilische Form seines Namens verwendet) über die Straßenräuber Barcelonas der Name von 1076 Paz, Durruti, S. 361f., der sich neben den Bericht von Juan Manuel Molina auch auf das Buch »No 8ramos tan malos« von Jacinto Toryho bezieht, in dem diese Anekdote bestätigt wird, vgl. Torhyo, Tan Malos.
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Buenaventura Durruti überhaupt nicht auftaucht, was wiederum die Darstellung von Abel Paz in Frage stellt. Unbestritten ist aber die Tatsache, dass sich die Lokalpresse in Barcelona, besonders während der Zweiten Republik, zunehmend Übergriffen ausgesetzt sah. Diese nahmen in den unmittelbaren Monaten vor Ausbruch des Bürgerkrieges noch einmal zu, wie das folgende, in diesem Fall sicher belegte Beispiel zeigt. Am 6. Juli 1936 erhielt Avel·li Art&s Gener, genannt »T&sner«, der sich gerade in der Redaktion des Lokalblatts La Rambla (dt.: Die Rambla) aufhielt, für das er arbeitete, vom Hausmeister die Nachricht, dass ihn jemand sprechen wollte. T&sner war neben Josep Maria Planes der zweite Lokaljournalist in Barcelona während der Endphase der Zweiten Republik, der ausführlich über die vermeintlichen oder tatsächlichen Verbrechen der Anarchisten berichtete. Ähnlich wie Planes war auch T&sner deshalb Anfeindungen ausgesetzt gewesen, weshalb ein Polizist zu seinem Schutz abgestellt wurde. Dieser befand sich allerdings gerade auf einem Botengang zum Polizeipräsidium. Bei dem angekündigten Besucher handelte es sich um Justo Bueno. Dieser hatte bereits im Jahr 1933 wegen eines Raubüberfalls in Barcelona vor Gericht gestanden und soll außerdem auch an einem Brandanschlag auf eine Straßenbahn während des Streiks im Transportsektor beteiligt gewesen sein.1077 Ende April 1936 war Bueno zunächst wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an der Ermordung der Brüder Badia verhaftet worden. Später wurde er dann aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen, worüber sowohl T&sner in La Rambla als auch Planes in La Publicidad ausführlich berichtet hatten. Justo Bueno sagte zu T&sner : »Ich habe weder mit dir noch mit Planes Mitleid. Es reicht schon, dass ihr euch mit der CNT angelegt habt. Ihr steckt bis zum Hals in der Tinte und ihr werdet es bereuen, wenn ihr euch einbildet, dass ihr sie zum Narren halten könnt.« Dann wies er den Journalisten an, er solle sich Papier und Bleistift holen, um sich Notizen machen zu können. Anschließend erklärte Bueno in allen Einzelheiten, wie der Mord an den Brüdern Badia unter seiner Beteiligung abgelaufen war und endete mit den Worten: »Wenn du auch nur eine einzige dieser Informationen weitergibst, bist du tot« und verschwand. T&sner ließ sich aber nicht einschüchtern und so veröffentlichte La Rambla noch am selben Nachmittag eine Ausgabe mit sämtlichen Details über das Attentat, die er von Bueno erhalten hatte. Die Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera reagierte am folgenden Tag darauf, indem sie T&sner fehlende Professionalität vorwarf und versicherte, »die CNT würde Mittel finden, um ihn zum Schweigen zu bringen«. Tatsächlich wurde auf den Journalisten wenige Zeit später ein Attentat verübt, das er aber unverletzt überstand. Justo Bueno traf er während des Bürgerkrieges zufällig wieder, der ihn mit einem 1077 Vgl. Finestres, Planes, S. 285. Über die Festnahme von Justo Bueno im Zusammenhang mit einem Raubüberfall berichtete Las Noticias, 22. 3. 1933, S. 2.
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Lachen, offenen Armen und folgenden Worten empfing: »Wenn ich dich vor dem Krieg getroffen hätte, hätte ich dich mit Kugeln durchsiebt, du hättest es wirklich verdient gehabt. Aber jetzt ist alles anders und wir sind Freunde. Ich möchte dir etwas sagen, was meine Organisation immer bewundert hat, und das ist Mut. Und du hattest sehr viel davon!«1078 Inwieweit sich diese Geschichte tatsächlich so zugetragen hat, ist kaum überprüfbar, doch am Beispiel von Josep Maria Planes zeigt sich, dass derartige Drohungen durchaus vorkamen und ernst zu nehmen waren.1079 Am 10. Juli 1936 erschien in Solidaridad Obrera ein Artikel mit der Überschrift: »Für La Publicidad und für J. Maria Planes« in dem unter anderem zu lesen war, »es wäre nicht verwunderlich, wenn es in Barcelona jemanden geben würde, der dazu in der der Lage wäre, diese verleumderischen Schurken zum Schweigen zu bringen.«1080 Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges konnte sich Planes zunächst vor den Anarchisten verstecken, wurde später aber entdeckt und erschossen.1081 Insgesamt lässt sich am Beispiel von Avel·li Art&s Gener, genannt T&sner, und Josep Maria Planes somit relativ konkret verdeutlichen, wie eng kollektive Gewalt und die diesbezügliche Berichterstattung in Barcelona während der Zwischenkriegszeit miteinander verflochten waren. Dies bestätigt die These des deutschen Historikers Heinz-Gerhard Haupt, demzufolge durch die parallel zur Verstädterung verlaufende zunehmende Bedeutung von Medien für die Kommunikation über Gewalt, deren Repräsentanten vermehrt selbst Ziel von Gewaltaktionen wurden.1082 Von dieser Erkenntnis ausgehend, soll in diesem Unterkapitel nicht nur anhand verschiedener Beispiele untersucht werden, wie die Presse über die kollektive Gewalt in Barcelona berichtete und in welchem Maße sie dabei gegebenenfalls selbst zur hohen Gewaltsamkeit beitrug, sondern es soll darüber hinaus auch gezeigt werden, inwiefern die Presse selbst Ziel und Opfer von Repressalien oder sogar ganz konkreten Angriffen wurde. Bereits die Entstehungsgeschichte des Anarchismus in Spanien in der zweiten 1078 Diese Episode wird ausführlich in einer Artikelserie von Josep Maria Skria beschrieben, die sich unter dem Titel »La Maldicijn de los Hermanos Badia« (dt.: Der Fluch der Brüder Badia) mit dem Mord an den Brüdern Badia beschäftigte und in La Vanguardia zwischen dem 3. und 10. August 2003 erschien. Bueno selbst wurde später unter anderem wegen des Mordes an den Brüdern Badia am 14. Juli 1943 in Barcelona hingerichtet, vgl. Finestres, Planes, S. 286f. 1079 Dass es sich hierbei nicht um eine unbedeutende Anekdote von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt handelte, zeigt die Tatsache, dass sie beispielsweise auch von Enric Calpena in dessen gerade erschienener, sehr umfangreichen Darstellung der gesamten Stadtgeschichte Barcelonas ausführlich beschrieben wird, vgl. Calpena, Barcelona, S. 727. 1080 Vgl. La Solidaridad Obrera, 10. 7. 1936, S.1. 1081 Vgl. Finestres, Josep Maria Planes, S. 258. 1082 Vgl. Haupt, Gewalt und Politik, S. 70.
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Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eng mit dem spanischen Pressewesen verknüpft. So waren Drucker, Journalisten und Illustratoren die ersten Zuhörer der Reden Guiseppe Fanellis, der 1868 nach Barcelona kam, um für diese neue politische Idee zu werben.1083 Auch bei der weiteren Verbreitung des Anarchismus in Spanien spielte die Presse eine wichtige Rolle, sowohl innerhalb der Bewegung, wo sie als Kommunikationsnetzwerk diente, als auch außerhalb der anarchistischen Organisationen, wo sie für Propagandazwecke eingesetzt wurde.1084 Doch ähnlich wie in anderen europäischen Ländern begünstigte die wachsende Bedeutung der Presse in Spanien – selbst wenn diese dort noch nicht so weit fortgeschritten war, dass man von einem Massenmedium sprechen konnte – genau wie die bereits angesprochene Entwicklung von neuen Sprengstoffen und der Ausbau der Infrastruktur den anarchistischen Terrorismus.1085 Dabei wurde durch die anarchistische Presse zunächst nicht nur die neue Ideologie, sondern auch das Wissen über die Herstellung und Anwendung von Sprengstoff verbreitet. So wurde zum Beispiel eine zuerst in Französisch unter dem Namen »L’Indicateur Anarchiste« (dt.: Der anarchistische Spitzel) anonym veröffentlichte Anleitung zur einfachen Herstellung von Dynamit aus Nitroglyzerin auch ins Spanische übersetzt und gelangte bald darauf auch nach Katalonien, wo dieses Wissen spätestens beim Sprengstoffanschlag von 1886 zum ersten Mal zur Anwendung kam.1086 Die bürgerliche Presse reagierte wie überall in Europa geschockt auf die Anschläge, hinter denen sie eine internationale Verschwörung vermutete, und beschrieb die Täter als »Verbrecherbande«, »Verrückte« oder »Fanatiker«.1087 In der anarchistischen Presse Barcelonas wurden Paulino Pall#s und Santiago Salvador dagegen als Märtyrer dargestellt.1088 Wie der Althistoriker Alexander Demandt in seiner Untersuchung zum Attentat in der Geschichte anmerkte, bot ein solcher Gewaltakt stets Gelegenheit, den Mörder, der auf spektakuläre und heroische Weise sein Leben in den Dienst seiner Überzeugung gestellt hatte, ideologisch zu instrumentalisieren.1089 Eine derartige Instrumentalisierung hatte in der anarchistischen Presse in Spanien mit dem Attentat auf Alfonso XII. am 30. Dezember 1879 begonnen.1090 Dies änderte sich jedoch beim dritten und 1083 Vgl. Kaplan, Red City, S. 24. 1084 Vgl. Navarro Navarro, Educatores, S. 206. 1085 Zur Bedeutung der Presse bei der Entstehung des anarchistischen Terrorismus, vgl. Malecˆkov#, Control of Terror, S. 420 und Weinhauer/Requate, Terrorismus, S. 16. 1086 Vgl. Marin, Semana Tr#gica, S. 73. Zur Verbreitung von »L’Indicateur Anarchiste« vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 61 und Dalmau, Cas, S. 86ff. 1087 Zur Berichterstattung der konservativen Presse über die Attentäter vgl. Jensen, Daggers, S. 140 sowie Malecˆkov#, Control of Terror, S. 416f. 1088 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 175. 1089 Vgl. Demandt, Attentat, S. 458. 1090 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 47.
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letzten großen anarchistischen Terroranschlag. Da bei diesem Anschlag auf die Fronleichnamsprozession am 7. Juni 1896 vor allem Personen getötet wurden, die aus den unteren Gesellschaftsschichten stammten, verurteilte nun selbst die anarchistische Presse dieses Attentat. Vielleicht auch deshalb ging in Barcelona zunächst die Serie der Terroranschläge der 1890er Jahre zu Ende, während am 8. August im baskischen Mondragjn ein weiteres anarchistisches Attentat erfolgte, bei dem Ministerpräsident C#novas de Castillo getötet wurde, zu dessen Ermordung die anarchistische Presse mehrfach aufgerufen hatte.1091 Stattdessen geriet nun verstärkt die spanische Staatsgewalt in die Kritik, die im Zuge der Ermittlungen im Zusammenhang mit den anarchistischen Attentaten zahlreiche unschuldige Personen hatte festnehmen und foltern lassen und damit vor allem in den Augen der anarchistischen Presse an die Inquisition anknüpfte.1092 Tatsächlich gelang es, im Zuge der sogenannten »CampaÇa del Montju"c« (dt.: Montju"c-Kampagne), eine Untersuchung der Vorfälle zu erwirken, die zwar für die Verantwortlichen ohne Folgen blieb, doch besonders in der Arbeiterschaft Barcelonas, wie etwa in Kapitel 3.4 beschrieben, das Bild des Staatsterrorismus verfestigte. Auch im weiteren Verlauf berichtete die anarchistische Presse immer wieder über Folterungen von Anarchisten.1093 Während in vielen europäischen Ländern der Aufstieg der Massenpresse bereits im späten 19. Jahrhundert begonnen hatte, vollzog sich dieser in Spanien erst in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und war laut dem katalanischen Historiker Josep Maria Casasus erst nach einer in den Nachkriegsjahren beginnenden und mit dem Ende des Bürgerkrieges endenden Modernisierungsphase abgeschlossen.1094 Dabei spielt sicherlich auch der hohe Anteil der Analphabeten in der Bevölkerung eine Rolle, der um 1900 in Spanien mit 56 % bei den über 10-Jährigen sogar noch höher lag als zur selben Zeit in Italien.1095 In Barcelona sank die Zahl der Analphabeten in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts rapide, sodass 1920 nur noch jeder vierte Einwohner weder lesen noch schreiben konnte.1096 Etwa im gleichen Zeitraum hatte sich die Gesamtauflage der Tageszeitungen in Barcelona mit 180 000 Exemplaren
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Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 157. Vgl. Dalmau, Proc8s, S. 465. Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 102. Vgl. Casasffls, Catalan-language press, S. 60. Lenger, Metropolen, S. 227, betont dagegen die innereuropäischen Unterschiede und führt dazu an, dass die englische »Daily Mail« bereits 1901 und die Moskauer »Russkoje slowo« noch vor der Oktoberrevolution eine Millionenauflage aufwiesen, während im Gegensatz dazu bis zum Ersten Weltkrieg kaum eine spanische Tageszeitung eine sechsstellige Auflage erreichte. 1095 Vgl. Jensen, Daggers, S. 142. 1096 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 87.
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fast verdreifacht.1097 Zeitgenössischen Beobachtern zufolge spielten Tageszeitungen für die Arbeiter eine wichtige Rolle hinsichtlich ihrer Teilnahme am politischen Leben und erreichten diese auch in den Fabriken, wo sie häufig vorgelesen wurden.1098 Während die meisten anarchistischen Publikationen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher unregelmäßig oder nur sporadisch erschienen waren, entstanden um die Jahrhundertwende nun die ersten Zeitungen, die sich dauerhaft etablieren konnten. Das erste anarchistische Wochenblatt in Katalonien war La Protesta, das von Juni bis Oktober 1900 in Sabadell, einer Nachbarstadt Barcelonas, publiziert wurde, bevor die Redaktion wieder nach Valladolid verlegt wurde, wo das Blatt im Jahr zuvor entstanden war. Herausgeber war Ernesto ]lvarez, der enge Verbindungen zu den anarchistischen Gruppierungen in Barcelona und den umliegenden Industriestädten unterhielt. La Protesta rief offen zur Gewalt auf, indem es die anarchistischen Gruppierungen aufforderte, die Kontrolle über die Gewerkschaften zu übernehmen und revolutionäre Strategien einzuführen. In Barcelona wurde außerdem die Publikation der Zeitschrift El Productor (dt.: Der Produzent) fortgesetzt, die bereits zwischen 1888 und 1893 erschienen war. Hinter deren Produktion stand der Schuhmacher Joan Baptista Esteve unter dem Pseudonym Leopoldo Bonafulla, der seit den 1880er Jahren in der Anarchistenbewegung aktiv war. Außerdem gab Francisco Ferrer La Huelga General (dt.: Der Generalstreik) heraus.1099 El Productor und La Huelga General trugen maßgeblich dazu bei, dass die Streiks in Barcelona, angefangen mit dem Generalstreik 1902, immer gewaltsamere Ausmaße annahmen, indem sie die in Frankreich in den 1890er Jahren aufkommende Anschauung propagierten, ein Generalstreik solle nicht mehr kurz und gewaltfrei sein, sondern eine gewaltsame Konfrontation mit der Staatsmacht.1100 La Huelga General veröffentlichte außerdem in einer geheimen Ausgabe eine Liste von »Kriminellen«, die es zu beseitigen galt – darunter der spanische König Alfons XIII., auf den 1906 in Madrid ein Bombenattentat verübt wurde. Ab November 1906 wurde Tierra y Libertad in Barcelona veröffentlicht und stieg zum anarchistischen Sprachrohr im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf. Unter anderem kritisierte es die Gewerkschaften als zu gemäßigt und betonte die Bedeutung der anarchistischen Gruppierungen für die Organisation der Revolution.1101 Doch nicht nur die Rhetorik der Anarchisten war von Gewalt geprägt, son1097 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 98. 1098 Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 172. 1099 Eine ausführliche Darstellung über Francisco Ferrers publizistisches Wirken in La Huelga General findet sich bei Pal/ Moncus&, Francesc Ferrer. 1100 Vgl. Smith, Anarchism, S. 115ff. sowie Aviles Farr8, Francisco Ferrer, S. 129ff. 1101 Vgl. Smith, Anarchism, S. 128f.
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dern auch die zwischen Republikanern und Katalanisten, die bei den lokalen Wahlen in Barcelona zu Beginn des Jahrhunderts um die Macht rangen. Als Sprachrohr der Katalanisten fungierte dabei La Veu de Catalunya, eine Tageszeitung, die 1899 gegründet worden war.1102 Bei Arbeitern und Angehörigen der Mittelschicht waren darüber hinaus bis in die 1930er Jahre vor allem die satirischen Wochenblätter La Campana de Gr/cia (dt.: Die Glocke von Gr/cia) und L’Esquella de la Torratxa wegen ihrer provozierenden Karikaturen beliebt.1103 Ein weiteres bekanntes Satiremagazin war ¡Cu-Cut! (dt.: Kuckuck!), das 1902 gegründet worden war und sich bald auf militärkritische Karikaturen spezialisierte, wobei die Provokationen bis 1905 an Schärfe zunahmen. Schließlich wurde am 23. November 1905 eine Karikatur veröffentlicht mit der Unterschrift »Was wird denn hier gefeiert, dass so viele Leute da sind? – Ein Bankett zur Feier des Sieges – Des Sieges? Oh, dann müssen es wohl Zivilisten sein« (siehe Abb. 67). Damit spielte sie auf provozierende Weise direkt auf die Niederlage des Militärs auf Kuba einige Jahre zuvor an.
Abb. 67: Karikatur in der Zeitschrift ¡Cu-Cut!
Als Reaktion darauf versammelten sich am Abend des 25. November am PlaÅa Reial mehrere Hundert Angehörige des Militärs, das dem Katalanismus generell sehr feindselig gegenüberstand, untergrub dieser doch in ihren Augen die 1102 Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 40. 1103 Vgl. Nagel, Arbeiter und Vaterland, S. 353.
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Einheit des spanischen Staates, die das Militär gewährleisten sollte. Von dort zogen sie zu den Redaktionen von ¡Cu-Cut! sowie anschließend zu La Veu de Catalunya und richteten dort erhebliche Zerstörungen an.1104 La Correspondencia Militar (dt.: Die militärische Korrespondenz), das Sprachrohr der spanischen Armee, titelte in seiner nächsten Ausgabe: »Die Vorfälle in Barcelona. Die Armee verteidigt das Vaterland« und rechtfertigte den Angriff folgendermaßen: »Elendes Gesindel! Unwürdige Dreckskerle! Wir machen unsere Feder schmutzig, um uns an euch zu wenden und den Fehdehandschuh zu werfen, damit ihr unsere Empörung zur Kenntnis nehmt. […] Das Militär konnte nicht länger euer feiges Verhalten dulden, denn ihr seid ein Haufen Feiglinge […] und ihr verdient es, dass sie euch zerstören wie Leprakranke, und eure erbärmlichen Überreste verbrennen und eure ekelerregende Asche in den Wind streuen.«1105
Die Spannungen zwischen dem spanischen Militär und der Presse im Allgemeinen reichen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. Am 5. Mai 1845 veröffentlichte die madrilenische Zeitung El Espectador (dt.: Der Zuschauer) eine Karikatur des Generals Navaez, die ihn als Waffennarren darstellte. Dieser war darüber so verärgert, dass er an die Militärverwaltung schrieb: »Es reicht nicht aus, die Exemplare der Zeitung einzusammeln, die Zeitungsleute sind zu erschießen.«1106 Der erste konkrete Übergriff erfolgte ebenfalls in Madrid im Jahr 1895 und stand im Zusammenhang mit dem Beginn des Aufstandes in Kuba. Es folgten weitere Übergriffe auf Zeitschriftenredaktionen, wie im Mai 1900 im valencianischen Xativa, im Dezember desselben Jahres in Las Palmas und im August des folgenden Jahres im baskischen Guipuzcoa. Sie machen deutlich, dass das spanische Militär keinerlei Kritik vonseiten der Presse duldete und darauf oft außerordentlich empfindlich reagierte.1107 Der Übergriff auf die Redaktionen der beiden katalanischen Zeitungen in Barcelona hatte allerdings noch wesentlich gravierendere Konsequenzen. Denn als Reaktion darauf erfolgte nicht etwa eine Bestrafung der beteiligten Offiziere, sondern es wurde ein Gesetz erlassen, das sämtliche mündlichen und schriftlichen, gegen das Militär gerichteten Anfeindungen der Militärgerichtsbarkeit unterstellte, wodurch die Pressefreiheit stark eingeschränkt und der Graben zwischen Katalanisten und Zentralregierung noch mehr vergrößert wurde.1108 Im weiteren Verlauf kam es bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vereinzelt zu
1104 1105 1106 1107 1108
Für eine genaue Beschreibung des Überfalls vgl. Capdevila, L’ona, S. 90. La Correspondencia Militar, 27. 11. 1905, S. 1. Vgl. Payne, Politics and Military, S. 24. Vgl. Cassassas Ymbert, Efectes, S. 15. Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 272.
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weiteren Übergriffen auf Journalisten, wobei das Militär aber darin nicht involviert war.1109 Parallel zur »Lliga Regionalista« hatte sich die Republikanische Partei in Katalonien zur zweiten politischen Macht entwickelt, wobei sie aber im Gegensatz zu ihrer Konkurrentin auch vor Gewalt nicht zurückschreckte.1110 Tendenziell war die Partei von Lerroux zwar nicht antikatalanistisch, agierte aber vehement gegen die von der Lliga Regionalista vertretene Politik wegen des dort vorherrschenden Konservatismus und Klerikalismus.1111 Erst durch ihren Führer Alejandro Lerroux war der Republikanismus zu einer Massenbewegung geworden. Dabei bediente dieser sich stets einer äußerst aggressiven Rhetorik, in der neben Begriffen wie Ehre und Männlichkeit oftmals auch die »reinigende Kraft der Gewalt« hervorgehoben wurde.1112 Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der republikanischen Propaganda spielte die Presse, weshalb Romero Maura die Journalisten als essenzielles Element des aktiven Republikanismus bezeichnete.1113 Lerroux selbst hatte sich in Madrid als Journalist emporgearbeitet und dabei in seinen Artikeln auch mit persönlichen Anfeindungen nicht gespart, die des Öfteren in mit Säbeln oder Pistolen ausgefochtenen Duellen endeten.1114 Nach der Jahrhundertwende wurde die republikanische Presse in Barcelona zur mit Abstand populärsten in der ganzen Stadt.1115 Wie auch in der Arbeiterpresse, die in der katholischen Kirche neben dem spanischen Zentralstaat eine weitere tyrannische Organisation sah, wurde auch in den republikanischen Zeitungen der Klerus wegen seiner vermeintlichen moralischen Korruptheit und seiner Fortschrittsfeindlichkeit angefeindet.1116 Am Vorabend der Tragischen Woche, in der wie bereits ausgeführt, zahlreiche kirchliche Einrichtungen in Brand gesetzt wurden, nutzten die beiden republikanischen Zeitungen El Progreso und El Diluvio den Jahrestag der ersten 1109 So ereignete sich am 27. 6. 1909 ein weiteres Attentat auf eine katalanistische Zeitung, als der Journalist Marius Aguilar, der für El Poble Catal/ (dt.: Das katalanische Volk) arbeitete, von Karlisten zusammengeschlagen wurde, vgl. Gonz#lez Calleja, Razjn, S. 482. Am 10. Juli 1915 drangen mehrere Personen in die Redaktion von El Correo Catal#n ein und schossen auf deren Redakteur Jos8 Pedreny, vermutlich als Reaktion auf einen in dieser Zeitung erschienenen Artikel, vgl. El Noticiero Universal, 11. 7. 1915, Abendausgabe, S. 1f. Am 13. September 1918 eröffneten einige Polizisten auf den Ramblas das Feuer auf Jesffls Ulled, einen Redakteur der Zeitung La Aurora (dt.: Morgendämmerung), die eine Kampagne gegen den Zivilgouverneur und einige Polizisten in Barcelona führte, vgl. El Diluvio, 14. 7. 1918, S. 8 und El Noticiero Universal, 13. 9. 1918, S. 4. 1110 Vgl. Herrer&n, Anarqu&a, S. 249. 1111 Vgl. Nagel, Arbeiterschaft, S. 271. 1112 Vgl. ]lvarez Junco, Emergence, S. 68. 1113 Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 65. 1114 Vgl. ]lvarez Junco, Emperador, S. 46ff. 1115 Vgl. Gabriel, Barcelona obrera, S. 93. 1116 Vgl. Thomas, Faith, S. 36f.
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Brandanschläge auf kirchliche Einrichtungen, die sich in Barcelona bereits im Jahr 1835 ereignet hatten, um an dieses Ereignis zu erinnern. Dazu druckte El Diluvio 1892 erstmals einen unter dem Titel »Recuerdos« (dt.: Erinnerungen) veröffentlichten Artikel des früheren Präsidenten der Ersten Spanischen Republik, Francisco Pi y Margall, der argumentierte, dass das Anzünden von Kirchen, wie im Jahr 1835, vielleicht wieder die einzige Möglichkeit sei, das Problem mit dem Klerus zu lösen. El Progreso veröffentlichte auf der Titelseite einen Leitartikel mit der Überschrift »Remember«, der ebenfalls an die Ereignisse von 1835 erinnerte, dabei aber noch konkreter zur Gewalt aufrief. So hieß es darin etwa: »Unsere Großväter waren nicht länger gewillt, die Herrschaft der Pfaffen zu dulden und sie brachen sie, indem sie die Gebäude, die die Symbole der Unterdrückung waren, in Asche legten. Heutzutage haben sich die Zeiten geändert und die Feigheit versteckt sich hinter den Worten Toleranz, Kultur und Mäßigung«.1117
Zwar relativiert der spanische Historiker Romero Maura die Bedeutung dieser Artikel, indem er argumentiert, dass es in dieser Zeit durchaus üblich war, am Jahrestag der Brandanschläge an die Ereignisse von 1835 zu erinnern, doch betonen andererseits bereits einige der damaligen Zeitgenossen die wichtige Bedeutung der Lokalpresse für die Gewaltsamkeit in der Tragischen Woche.1118 Trotz der Neutralität polarisierte der Erste Weltkrieg auch die spanische Öffentlichkeit, woran die Presse wiederum einen großen Anteil hatte, da sowohl die Alliierten als auch vor allem die Deutschen viel Geld ausgaben, um sich einzelne spanische Zeitungen gewogen zu machen.1119 Außerdem wurde auch Spanien von dem entstehenden Nationalismus erfasst, der sich in Katalonien in der Form äußerte, dass sich im Laufe des Krieges immer mehr Zeitungen mit der »katalanischen Frage« beschäftigten. Emili Salut verurteilte die antikatalanische Pressekampagne in Spanien und macht diese für die gewaltsame Reaktion auf die in Kapitel 3.1.1. beschriebenen Demonstrationen für die Unabhängigkeit Kataloniens nach Ende des Ersten Weltkriegs verantwortlich, bei der zwei junge Katalanisten getötet worden waren.1120 Inwieweit dieser Vorwurf berechtigt ist, ist schwer nachzuweisen, doch zumindest die Berichterstattung über das Lied »Els Segadors«, welches in der republikanischen Presse als »Lied des Hasses« 1117 Vgl. Connelly Ullman, Tragic Week, S. 158. Der erwähnte Leitartikel von El Progeso wird zitiert in Ossorio, Barcelona, S. 24f. 1118 Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 381 sowie für die Sicht eines Zeitzeugen Ossorio, Barcelona S. 17. 1119 Vgl. Romero Salvadj, Spain, S. 68f. Ein weiterer Beleg dafür sind etwa die Erinnerungen von Mart& i Navarre, der beschreibt, wie er während des Ersten Weltkrieges in Barcelona als Journalist für die Zeitung »El Tiempo« (dt.: Die Zeit) arbeitete, die Ende 1915 entstand und mit deutschem Geld finanziert wurde, vgl. Marti y Navarre, Memorias, S. 106f. 1120 Vgl. Salut, Vivers, S. 134f.
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dargestellt wurde und dessen Singen dann, wie bereits erwähnt, später öfter Anlass für gewaltsame Auseinandersetzungen war, zeigt, dass die Presse zumindest einen nicht unerheblichen Anteil an der Radikalisierung auch dieses Konfliktes hatte.1121 Für die Zwischenkriegszeit diagnostiziert neben dem bereits erwähnten Josep Maria Casasffls auch Robert Davidson bei der Presse in Katalonien einen Umbruch, welchen er vor allem auf den technischen Fortschritt zurückführte, der es erlaubte, wesentlich unmittelbarer zu berichten, sowie auf eine neue Generation von Journalisten, wie beispielsweise die bereits erwähnten Sebasti/ Gasch i Carreras und Josep Maria Planes.1122 Aufgrund der Häufung der im Kapitel 3.3.2 beschriebenen Attentate im Zuge des Pistolerismo gehörte die Berichterstattung über kollektive Gewaltakte nun zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum zum festen Bestandteil der Lokalpresse Barcelonas. Es ist zumindest anzunehmen, dass es vielen Bewohnern Barcelonas zu dieser Zeit so ähnlich gegangen sein mag wie Claudi Roca, der fiktiven Hauptfigur in Joan Ollers bereits erwähnter Novelle »Quan mataven pels carrers«: »Er hatte die Nacht alleine verbracht, […] und dabei immer wieder die Tageszeitungen gelesen und ging schließlich nach Haus, bekümmert und schlecht gelaunt wegen der Umstände, die gerade in Barcelona herrschten, seinem geliebten Barcelona! Am Tag zuvor hatte es drei Attentate gegeben, zwei Männer waren gestorben und einer schwer verletzt worden. Und dieser Bürgerkrieg, den die Stadt in ihrem Schoß ausbrütete, zerriss ihm das Herz, als wäre es eine persönliche Krankheit von ihm gewesen.«1123
Ähnlich wie zehn Jahre zuvor in Deutschland, wo die steigende Anzahl von Berichten über Gewalt mit Schusswaffen das Parlament schließlich dazu veranlasste, ein strengeres Waffengesetz zu verabschieden, wurde auch in der Lokalpresse Barcelonas, wie bereits mehrfach im Verlauf dieser Arbeit erwähnt, die scheinbare Untätigkeit des Staates und seiner Repräsentanten immer wieder thematisiert.1124 Dies zeigt sich etwa sehr anschaulich in einer Karikatur des bereits erwähnten katalanischen Satiremagazins L’Esquella de la Torratxa vom 27. August 1920 (siehe Abb. 68). Dabei sei darauf hingewiesen, dass diese Karikatur aus demselben Magazin stammt wie die im Kapitel 3.2.1 abgebildete Karikatur, die 15 Jahre zuvor erschienen war und durch die Barcelona die Bezeichnung »Die Stadt der Bomben« erhalten hatte. Auch wenn zwischen diesen beiden Karikaturen 15 Jahre liegen und sich die Gewaltpraktiken, die die Bürger Barcelonas ängstigten, in dieser 1121 1122 1123 1124
Vgl. Romero-Maura, Rosa, S. 275. Vgl. Davidson, Jazz, S. 25f. Oller i Rabassa, Carrers, S. 29. Vgl. Ellerbrock, Gun Violence, S. 203f.
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Abb. 68: Karikatur über die Untätigkeit der Polizei während des Pistolerismo
Zeit – wie im Kapitel 3 dargestellt – geändert haben, blieb der auf diese Weise erhobene Vorwurf doch der gleiche, nämlich die angebliche Untätigkeit der Polizei. So explodiert in der ersten Karikatur die Bombe hinter dem Rücken des Polizisten, der davon scheinbar nichts mitbekommt. In der zweiten Karikatur dagegen, die zur Zeit der ersten Hochphase des Pistolerismo in Barcelona erschien, stehen sich die beiden Protagonisten, die den städtischen Alltag prägten, die beiden beliebtesten Pistolenmarken, »Browning« und »Star« im Vordergrund drohend gegenüber, während der Polizist im Hintergrund das Ganze völlig teilnahmslos mit verschränkten Armen und schlafend ungehindert geschehen lässt. Dass es sich bei dem in den beiden Karikaturen dargestellten Vorwurf der Untätigkeit der Polizei nicht um eine rein subjektive Wahrnehmung des Bürgertums von Barcelona handelte, sondern diese durchaus die realen Gegebenheiten widerspiegeln, wurde bereits im Kapitel 3.4 dargelegt. Nicht nur mit dem Vorwurf der scheinbaren Untätigkeit der Polizei knüpfte die lokale Presse an bereits bekannte Vorbilder aus der Zeit der Jahrhundertwende an. So fragte El Diluvio am 27. November 1918, nachdem innerhalb von nur zwölf Stunden drei Sprengsätze nahe der Capitan&a General explodiert waren und zudem noch eine Bombe in der Nähe des PlaÅa de la Universitat gefunden worden war : »Ist der Terrorismus wieder auferstanden?«. Die Bezeichnung »terrorismo« (dt.: Terrorismus) sowie »terrorista« (dt.: Terrorist)
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waren zum ersten Mal im Jahr 1904 verwendet worden, um die Bomben- und Sprengstoffanschläge und die vermeintlich für diese Taten verantwortlichen Personen zu bezeichnen. Laut ]ngel Herrer&n Ljpez wurden die Begriffe in den folgenden Jahren dann auch im Allgemeinen für andere Arten von Attentaten und Tätern verwendet, die zur Verunsicherung in der Bevölkerung beitrugen.1125 Was die konkrete Berichterstattung über die Attentate im Zuge des Pistolerismo angeht, finden sich in den bürgerlichen Zeitungen meistens nüchterne Beschreibungen der Ereignisse, Tatorte, Tatzeiten und Verletzungen, welche die Opfer erlitten hatten, die zudem oft mit Namen und Anschrift genannt wurden. Vermutlich ging es den Lokalzeitungen dabei vor allem darum, zu dokumentieren, dass sich die Taten tatsächlich so ereignet hatten. Tendenziell war die Berichterstattung aber trotzdem, weil Morde, die auf das Konto der Sindicatos Libres gingen, häufig als Folgen einer Schießerei und selten als Attentat bezeichnet wurden. Außerdem wurde bei den Fällen, in denen Personen, wie bereits im Kapitel 3.4 erwähnt, unter Anwendung des »Ley de Fugas« von Polizisten erschossen wurden, in den Zeitungsberichten normalerweise die offizielle Version der Polizei wiedergegeben, wonach die Opfer versucht hätten, zu fliehen oder Widerstand leisteten und somit für ihren Tod selbst verantwortlich waren.1126 Dem stand auf der anderen Seite das Sprachrohr der CNT, die am 3. August 1907 gegründete Zeitschrift Solidaridad Obrera gegenüber. Ihr Chefredakteur wurde ]ngel PestaÇa, der später die bemerkenswerte Feststellung traf, in der Redaktion seien mehr wichtige Entscheidungen für die Arbeiterbewegungen gefallen als in allen Gremien der Gewerkschaften zusammen.1127 1918 startete PestaÇa eine Pressekampagne gegen den bei der Arbeiterschaft verhassten Polizeichef von Barcelona, Manuel Bravo Portillo. Indem er diesen der Zusammenarbeit mit der deutschen Spionageabteilung in Barcelona bezichtigte und dazu Beweise vorlegte, die diese Behauptung angeblich belegen würden, erreichte er auf der einen Seite dessen Entlassung, auf der anderen Seite führte diese Kampagne dazu, dass sein Blatt, welches in den Jahren zuvor unter anderem mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, nun beträchtlich an Bedeutung gewann.1128 Einer seiner damaligen Weggefährten und späterer Gegner, Joan Garc&a Oliver, beschuldigte PestaÇa später, er habe für seine Kampagne
1125 1126 1127 1128
Vgl. Herrer&n Ljpez, Anarqu&a, S. 246. Vgl. Gonz#lez Calleja, M#user, S. 188. Vgl. Meaker, Anarchists, S. 37. Vgl. Smith, Anarchism, S. 261, der ausführt, dass an dem Tag der Veröffentlichung der Dokumente, die angeblich die Zusammenarbeit von Bravo Portillo mit dem Deutschen Geheimdienst bewiesen, die Zeitung, bereits um 8 Uhr morgens ausverkauft war, obwohl ihre Auflage für diesen Tag bereits im Vorfeld verdoppelt worden war.
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gegen Bravo Portillo einen professionellen Fälscher beauftragt, belastendes Beweismaterial durch Fälschung zu erstellen.1129 Bravo Portillo fiel, wie bereits beschrieben, im September 1919 dem Attentat einer anarchistischen Aktionsgruppe zum Opfer genau wie der ehemalige Präsident der Metallgewerkschaft Eduardo Ferrer, über den dieselbe Zeitung im Zuge einer im August 1918 unter dem Titel »Los procesos de la organizacijn obrera« (dt.: Die Vorgänge in der Gewerkschaft) geschrieben hatte: »Betrug war niemals eine gerechte Sache und Betrug ist die schurkische Arbeit, die diese schäbige Gestalt mit Namen Eduardo Ferrer, ehemaliger Präsident der Metallgewerkschaft, verrichtet hat«.1130 Auch wenn die beiden Attentate vermutlich eher konkrete Racheaktionen für den Mord am Arbeiterführer Pablo Sabater waren, sind die beiden Beispiele neben den bereits erwähnten Fällen doch ein weiterer Beleg dafür, dass Solidaridad Obrera gezielt die Stimmungslage anheizte und den Hass auf einzelne Industrielle, Polizisten und vermeintliche Verräter aus den eigenen Reihen schürte. Darüber hinaus wurde der Zeitung ebenso wie auch der anarchistischen Tierra y Libertad vorgeworfen, in enger Verbindung mit Attentätern und Straßenräubern zu stehen.1131 Einige Zeitungen waren von der Gewalt im Zuge der Arbeiterkämpfe jedoch auch unmittelbar betroffen. So setzten die Gewerkschaften während des Canadenca-Streiks im Frühjahr 1919 eine »rote Zensur« durch. Das bedeutete, dass sie den Verantwortlichen aller in Barcelona ansässigen Tageszeitungen drohten, deren Betriebe zu bestreiken, falls diese Artikel veröffentlichten, die den Interessen der Arbeiter widersprächen. So mussten einige Zeitungen wie El Diario de Barcelona, El Progreso und La Publicidad, die gegen diese Forderung verstoßen hatten, »Bußgelder« an die Gewerkschaft entrichten.1132 Angestellte von La Publicidad, die kurz nach dem Ersten Weltkrieg von der Federacijn Patronal aufgekauft worden war und deren komplette Belegschaft geschlossen zu den Sindicatos Libres wechselte, wurden außerdem in mehreren Fällen das Ziel von Attentaten. Von den 15 Opfern, welche die Libres im Jahr 1920 im Zuge der 1129 Vgl. Garc&a Oliver, Eco, S. 247f. sowie Balcells, ViolHncia Social, S. 49. 1130 Wegen dieses Artikels musste sich Angel PestaÇa unter dem Vorwurf der Beleidigung vor Gericht verantworten. Er wurde aber freigesprochen, da er belegen konnte, dass er zu jener Zeit zwar Chefredakteur von Solidaridad Obrera gewesen war, der Artikel allerdings nicht von ihm persönlich verfasst worden sei, vgl. ATSJC, Libro de Sentencia 1923, Tomo 3, Z 4 766886, 11. 7. 1923. 1131 Vgl. Planes, G/ngsters, S. 33. Weiterhin finden sich in einem Bericht des französischen Botschafters in Madrid vom 22. März 1920 die Fotografien von sieben Personen, die als gefährlich für Frankreich eingestuft wurden, darunter ist auch ein ehemaliger Mitarbeiter bei der Arbeiterzeitung Solidaridad Obrera, der an den Attentaten auf Bravo Portillo und Graupera beteiligt gewesen sein soll, vgl. AH F/7 13441. Das ehemalige Mitglied der Los Solidarios, Francisco Ascaso, wurde später in der Endphase der Zweiten Republik Redakteur bei Solidarid Obrera, vgl. Sanz, Figuras, S. 95. 1132 Vgl. Balcells, Sindicalisme, S. 73.
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Attentate zu beklagen hatten, arbeitete insgesamt ein Drittel für diese Zeitung.1133 Als Anfang September innerhalb weniger Tage zwei Angestellte von La Publicidad bei Attentaten getötet wurden, stellte die Zeitung für zwei Wochen ihren Betrieb ein und mehrere Lokalzeitungen veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, mit der sie gegen die Ermordung protestierten.1134 Mehrere Quellen gehen davon aus, dass der Bombenanschlag auf das Tanzlokal »Pompeya«, der sich nur wenige Tage später ereignete, ein Racheakt für den Mord an den Angestellten von La Publicidad gewesen sein könnte.1135 In der Zeit der Diktatur Primo de Riveras nahm zwar die Bedeutung des Rundfunks zu und auch in Barcelona gab es mit »Radio Barcelona« bald den ersten Radiosender, dennoch blieben die Zeitungen bis zum Bürgerkrieg das mit Abstand bedeutendste Massenmedium.1136 Das Thema Gewalt spielte während der Diktatur Primo de Riveras allerdings in den Zeitungen und damit auch scheinbar in Barcelona kaum noch eine Rolle. Dies lag zum einen daran, dass die kollektiven Gewalttaten, wie am Beispiel der Attentate und Raubüberfälle in den Kapiteln 3.3.1 und 3.3.2 gezeigt, spürbar zurückgingen, zum anderen ist dies aber vermutlich auch auf eine von Primo de Rivera auferlegte Zensur zurückzuführen, die wahrscheinlich dafür sorgte, dass möglichst wenig über Gewaltpraktiken berichtet wurde, die das System, ähnlich wie zuvor die Restaurationsmonarchie, hätten infrage stellen können.1137 Dagegen sprechen allerdings die 1925 einsetzenden, in der vorliegenden Arbeit bereits mehrfach erwähnten Artikel von Francisco Madrid und einigen seiner Kollegen des Wochenblatts El Esc#ndalo über Drogenhandel, Prostitution und organisierte Kriminalität, die vermutlich einen großen Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht haben.1138 Die zunehmende politische Spaltung Spaniens während der Zweiten Republik in ein linkes und ein rechtes Lager lässt sich, wie Eduardo Gonz#lez Calleja überzeugend in einem Aufsatz dargelegt hat, besonders deutlich an den Zeitungsartikeln ablesen, die sich im Gebrauch aggressiver Rhetorik und Symbolik 1133 Vgl. Del Rey, Proprietarios, S. 570f. 1134 Vgl. Badenas i Rico, Paral·lel, S. 197. Über den Mord an den beiden Angestellten von La Publicadad berichteten neben La Publicidad, 10. 9. 1920, S. 7 und 11. 9. 1920, S. 3 auch El Noticiero Universal, 9. 9. 1920, S. 4 und 13. 9. 1920, S. 5. Eine ausführliche Beschreibung bietet darüber hinaus Leon Ignacio, AÇos, S. 137f. und 146ff. Über die Aussetzung der Herausgabe der Zeitung berichtete La Publicidad, 28. 9. 1920, S. 1. 1135 Vgl. Termes, Anarquismo, S 318. 1136 Zur Verbreitung des Rundfunks in Spanien während der Diktatur Primo de Riveras, vgl. Gonz#lez Calleja, EspaÇa, S. 290f. Dessen Anfänge in Katalonien beschreibt Balcells, Histkria Contempor/nea, S. 742. 1137 Vgl. Gonz#lez Calleja, EspaÇa, S. 54ff. 1138 Eine ausführliche Darstellung dieses Wochenblatts und seiner Reportagen über das Barrio Chino Barcelonas findet sich in Davidson, Jazz, S. 27ff.
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überboten und dabei offen zu bewaffneten Aktionen aufriefen.1139 Dies änderte sich auch nach der Einführung einer offiziellen Zensur nur unwesentlich, die am 28. Juli 1933 begann und im Widerspruch zu der in der Verfassung gewährleisteten freien Meinungsäußerung stand.1140 Schon beim Verkauf von Zeitungen, die den unterschiedlichen politischen Parteien nahestanden, kam es zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen.1141 Neben der verbalen Gewalt waren es vor allem Gerüchte, die zur Destabilisierung der politischen Verhältnisse beitrugen und dabei an bereits etablierte Muster im kollektiven Gedächtnis anknüpften.1142 Der englische Historiker Gerald Blaney hat etwa anhand der Untersuchung der polizeieigenen Zeitschrift Revista T8cnica de la Guardia Civil (dt.: Technische Zeitschrift der Zivilgarde) gezeigt, wie dort regelmäßig die Sorge über die Bewaffnung der Bevölkerung und die Agitation der Linken thematisiert wurden, was dazu beigetragen haben könnte, dass die Polizei, wie im Kapitel 3.4 beschrieben, in ihren Einsätzen meist sehr gewaltsam vorging.1143 Die bürgerliche Presse in Barcelona knüpfte während der Zweiten Republik an ihre Form der Gewaltdarstellung während des Pistolerismo an. La Veu de Catalunya brachte beispielsweise jeden Tag eine Seite unter der Überschrift »Terrorismus« und L’Opinij (dt.: Die Meinung) hatte eine Rubrik mit dem Titel: »Der Raub des Tages«. Dadurch entstand – wie es Chris Ealham bezeichnete – die »schwarze Legende von Barcelona«, die besonders bei der Oberschicht den Eindruck erweckte, Barcelona sei ein »durch die Unterschichten verkommener Sündenpfuhl« geworden.1144 Inwieweit dies aber tatsächlich den realen Gegebenheiten entsprach, ist fraglich. So sollen etwa nach der Darstellung von Abel Paz viele dieser Geschichten wie etwa die von »La Rubia« (dt.: Die Blonde), die angebliche Anführerin einer Bande von Straßenräubern und das Geisterauto, mit dem angebliche Dutzende von Raubüberfallen begangen wurden, nur Erfindungen der bürgerlichen Presse gewesen sein, um die anarchistische Bewegung zu diskreditieren.1145 Ähnlich wie die Ringvereine in Berlin wurden auch die in Barcelona agierenden staatsfernen Gewaltgemeinschaften mit den Verbrechersyndikaten in den USA verglichen und dabei Parallelen zu Chicago und Al Capone gezogen, was der deutsche Historiker Detlev Peukert als Ausdrucksform für Ängste vor dem Modernisierungsprozess gedeutet hat, der im »Amerikanismus« zum
1139 1140 1141 1142 1143 1144 1145
Vgl. Gonz#lez Calleja, Symbolism, S. 26ff. Vgl. Gonz#lez Calleja, Symbolism, S. 30. Vgl. Gonz#lez Calleja, Symbolism, S. 28f. Vgl. Gonz#lez Calleja, Symbolism, S. 30. Vgl. Blaney, Defensa, S. 120. Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 36. Vgl. Paz, Feigenkakteen, S. 80.
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Ausdruck komme.1146 Wie in den USA erhob die Lokalpresse Barcelonas darüber hinaus einzelne »Sozialbanditen« in den Rang von »public enemies«.1147 Weiterhin könnten Reporter wie Josep Maria Planes durch die Tatsache zu ihren Artikeln animiert worden sein, dass die »Verbrecherwelt« als besonders gefährlich galt, sodass Insiderberichte zu dieser Thematik als besonders mutig bewundert wurden, was vermutlich dazu führte, dass diese nicht selten ausgeschmückt und dramatisiert wurden, um bei den Lesern noch mehr Eindruck zu machen.1148 Während es im vorangegangenen Kapitel aufgrund der schlechten Quellenlage schwierig war, den Beitrag einzelner sozialer Gruppen zur Gewaltsamkeit in Barcelona zu bestimmen, lässt sich hinsichtlich Medien, vor allem der Lokalpresse, zusammenfassend eindeutig feststellen, dass diese in vielfältiger Weise zur Radikalisierung in Barcelona beitrugen. Dies in allen Facetten zu untersuchen, hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt, doch können auch schon aus den hier beispielhaft untersuchten Fällen einige Rückschlüsse gezogen werden. So lassen sich im Wesentlichen folgende Methoden festhalten, wie die Zeitungen zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona beitrugen. So schürten sowohl die bürgerliche Presse als auch die Zeitungen der Anarchisten und der Arbeiter die Angst vor dem vermeindlichen Gegner und dessen angeblicher Gewalt. Dazu erinnerten sie an gewaltsame Ereignisse in der Vergangenheit, was am deutlichsten in den Artikeln zum Ausdruck kam, die in der republikanischen Presse unmittelbar vor Beginn der Tragischen Woche veröffentlicht wurden. Doch auch im Untersuchungszeitraum lassen sich zahlreiche Beispiele finden, in denen bürgerliche Zeitungen die Jahre des anarchistischen Terrorismus in Erinnerung riefen oder die der Arbeiterbewegung nahestehenden Zeitungen Inquisition und Folter durch den Staat. Nicht zuletzt kam es besonders in der Zeit der Zweiten Republik zunehmend vor, dass die Presse ganz direkt zur Gewalt gegen den vermeintlichen Feind aufrief. So verwundert es nicht, dass Journalisten und Zeitungsredaktionen auch zunehmend selbst Ziel von Gewalt wurden. Nachdem nun untersucht worden ist, wie die Lokalzeitungen die öffentliche Meinungs-
1146 Vgl. Wagner/Weinhauer, Tatarenblut, S. 275. Ein besonders anschauliches Beispiel, wie stark das Bild der Lokaljournalisten in Barcelona offenbar von den Verbrechern in der USA geprägt waren, ist der Artikel von Jaume Passarell mit dem Titel »Gangsterisme social a Barcelona« (dt.: Das soziale Gangstertum in Barcelona), den er zuerst am 25. Januar 1934 in La Publicidad veröffentlichte. Dieser und andere Artikel von Jaume Passarell finden sich zudem in Passarell, Bohemis. Auf der anderen Seite inspierten die amerikanischen Vorbilder nicht nur die Journalisten, sondern auch die in Barcelona agierenden Gewaltakteure. So nannte sich beispielsweise ein Mitglieder einer Jugendbande, die Anfang 1935 in Sants festgenommen wurde, »Al Capone«, vgl. El Correo Catal#n, 4. 1. 1935, S. 1. 1147 Vgl. Hobsbawm, Banditen, S. 200. 1148 Vgl. Schloer, Nachts, S. 122.
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bildung beeinflussten, soll nun versucht werden, soweit wie möglich zu rekonstruieren, wie die Stadtbewohner selbst die Gewalt unmittelbar wahrnahmen.
4.3.2 Typische Verhaltensweisen der Bürger Barcelonas in spezifischen Gewaltsituationen Am 13. August 1933 wurde Ramjn Mart&nez Geli, Geldeintreiber eines Verwalters von Mietswohnungen, in Begleitung seines 15-jährigen Neffen von zwei mit Pistolen bewaffneten Männern überfallen, als er sich gerade in einem Haus im Stadtteil Sants befand, um von dem dortigen Mieter die Miete in Empfang zu nehmen. Die Täter raubten seine bisherigen Einnahmen von 518 Peseten und auch die 11 Peseten, die sein Neffe bei sich trug. Dabei drohten sie dem Opfer : »Wenn du nur einen Ton von dir gibst, töten wir dich. Du hast ja keine Ahnung, was es heißt, Hunger zu leiden.« Anschließend schlossen sie den Mieter, das Opfer und seinen Neffen in einem Zimmer der Wohnung ein und flüchteten. Ein derartiger Überfall war, wie im Kapitel 3.3.2 beschrieben, in Barcelona besonders in den Jahren 1933 und 1934 nichts Ungewöhnliches. Bemerkenswert ist allerdings, wie die Personen reagierten, die unmittelbar Zeugen dieses Überfalls wurden: »Einige Nachbarn, die mitbekommen hatten, was passiert war, riefen um Hilfe und als die Übeltäter das Haus verließen, wurden sie von zahlreichen Nachbarn verfolgt. Das Opfer und sein Neffe sprangen aus einem Fenster, das zu einem Innenhof gerichtet war, und gelangten auf die Straße, wo sich der Neffe ebenfalls an der Verfolgung der Straßenräuber beteiligte. […]. Einige Polizisten der Polizeistation Les Corts, die sich zufällig gerade in der Nähe befanden, verfolgten die Straßenräuber und forderten sie auf, sich zu stellen. Die Straßenräuber schossen auf die Polizisten, worauf die Polizisten, ohne die Verfolgung zu unterbrechen, das Feuer erwiderten. Der Polizist Manuel Beltr#n verwundete einen der Straßenräuber, dem anderen gelang es, zu entkommen. […] Die Polizisten wollten den verletzten Täter in die Ambulanz von Hostafrancs fahren und stiegen dazu in ein Privatauto, welches sich gerade in der Nähe befand. Die wütende Menge zerstach jedoch die Reifen, zerrte den Straßenräuber aus dem Fahrzeug und hieb mit zahlreichen Schlägen auf ihn ein. Sturmpolizisten kamen gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass der Straßenräuber gelyncht wurde. Die Polizisten bildeten einen Ring, um die Lynchjustiz zu verhindern und der Verletzte musste zu Fuß in die Ambulanz gebracht werden, da die Menge verhinderte, dass er in ein Auto einsteigen konnte. Wie die Polizisten zur Kenntnis nahmen, hatte der Straßenräuber zahlreiche Verletzungen und Prellungen am Kopf davongetragen, die ihm die Menge zugefügt hatte, sowie nach Gutachten der Ärzte eine schwere Schussverletzung ohne Austrittswunde im Bereich der linken Hüfte«.1149 1149 El Diluvio, 15. 8. 1933, S.4. Über den Vorfall berichtete außerdem Las Noticias, 15. 8. 1933, S. 3.
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Laut dem deutschen Soziologen Thomas Klatetzki sind Raub und Diebstahl neben Mord und Vergewaltigungen die häufigsten Anlässe für Lynchjustiz. Diese führt er vor allem auf »moralische Paniken« zurück, die er anhand von folgenden zentralen Merkmalen charakterisiert. So setzten sie innerhalb der Menge zunächst einen Konsens darüber voraus, dass das Ziel ihrer Attacke durch sein Verhalten eine Bedrohung für die Gemeinschaft darstellt und deshalb eine Reaktion notwendig ist. Das Opfer wird dabei als Quelle der Bedrohung und als nicht der Gemeinschaft zugehörig mit einer gewissen Feindseligkeit wahrgenommen. Außerdem würden sich moralische Paniken dadurch auszeichnen, dass sie relativ spontan aufträten und dann auch sehr schnell wieder verschwänden und dass sie außerdem im Verhältnis zur Bedrohung in vielen Fällen völlig unverhältnismäßig seien.1150 Bezüglich des städtischen Kontexts hat der deutsche Historiker Thomas Lindenberger in einem bemerkenswerten Aufsatz die Lynchpraxis im wilhelminischen Berlin untersucht und dabei zunächst festgehalten, dass Meldungen über »Lynchjustizen« in der Lokalpresse dort wesentlich häufiger zu finden seien als über passives Nicht-Einschreiten des Publikums.1151 Mit »Lynchen« sei dabei aber keinesfalls der aus Amerika bekannte kollektive Mord gemeint, den das aus dem Amerikanischen entlehnte Wort eigentlich bedeutet, sondern lediglich körperliche Angriffe.1152 Diese Erkenntnis kann für das hier beschriebene Eingangsbeispiel ebenso geltend gemacht werden wie die Tatsache, dass im Wilhelminischen Berlin offensichtlich das Gesicht und der Kopf das bevorzugte Ziel solcher Aggressionen waren, was Lindenberger damit begründet, dass diese somit nicht nur eine strafende Funktion in Form eines nachhaltigen Schadens hatten, sondern dass die Wunden eine deutlich sichtbare Demütigung des Delinquenten darstellen sollten, die an dem Körperteil vorgenommen wurde, das die Individualität des Normverletzers und seine Würde repräsentiere.1153 In Barcelona häufen sich im Laufe der Zweiten Republik Berichte wie der eingangs zitierte, nach denen die Menge versuchte haben soll, vermeintliche Straßenräuber zu »lynchen«.1154 Wie Bettina Schmidt in ihrer bereits mehrfach zitierten Untersuchung über die Jugendkriminalität, in deren Zentrum die Be1150 Vgl. Klatetzki, Lynchmob, S. 159f. 1151 Vgl. Lindenberger, Prügel, S. 191. 1152 Vgl. Lindenberger, Prügel, S. 198, der bei seinen Untersuchungen insgesamt nur auf zwei Fälle gestoßen ist, bei denen die Menge auch Waffen in Form von Messern bzw. Schlagstöcken benutzt hat. 1153 Vgl. Lindenberger, Prügel, S. 199. 1154 Bereits Madrid, Ocho meses, berichtet über einen solchen Fall aus der Anfangszeit der Zweiten Republik, vgl. Madrid, Ocho meses, S. 257. Ein weiter Fall ist ausführlich dokumentiert in El Diluvio, 30. 3. 1933, S. 16, El Diario de Barcelona, 30. 3. 1933, S. 39 und El Noticiero Universal, 30. 3. 1933, S. 17. Darüber hinaus findet sich ein Beispiel in El Diluvio 14. 7. 1933, S. 16.
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trachtung die »Apachen« gestanden hatten, feststellte, war es in Paris ein Vierteljahrhundert zuvor zu einem ganz ähnlichen Phänomen gekommen. Auch dort hatten sich die Passanten und Zeugen verstärkt an Verfolgungen von mutmaßlichen »Apachen« beteiligt und die Lynchaktionen führten auch dort dazu, dass, wie Bettina Schmidt treffend bemerkt, sich die Fronten verschoben und die Polizisten nun verstärkt die verhassten Kriminellen schützen mussten.1155 In Barcelona kam während der Zweiten Republik die deutliche Ablehnung der Bevölkerung gegenüber den Straßenräubern auch in anderen Kontexten zum Ausdruck. Was den zu Beginn dieses Kapitels geschilderten Fall, neben der Brutalität mit der die Menge gegen den bereits verletzten Straßenräuber vorging, aber besonders bemerkenswert macht, sind die Umstände, unter denen es zu dieser Lynchjustiz kam. So handelte es sich bei den Tätern offenbar nicht um professionelle Straßenräuber, sondern um zwei Personen, die aus finanzieller Not heraus die Tat begingen. Ihr Opfer war ein Geldeintreiber – in diesem Fall von Mieten – und diese stellten, wie bereits im Kapitel 3.3.2 gezeigt, während der Zweiten Republik in Barcelona ein häufiges Ziel von bewaffneten Raubüberfällen dar, nicht nur, weil sie meist alleine und mit viel Geld unterwegs waren, sondern auch, weil sie aufgrund ihrer Tätigkeit in der Arbeiterklasse verhasst waren und deshalb in deren Augen ein legitimes Ziel für Raubüberfälle darstellten. Weiterhin ist die Reaktion der Menge auch deshalb erstaunlich, weil sich der Überfall im Arbeiterviertel Sants und damit in einem Stadtbereich ereignete, wo – wie im Kapitel 2.3 gezeigt – Gewalttaten wie Attentate und Anschläge auf Polizisten gehäuft vorkamen und demzufolge offenbar in einem höheren Maße von den Bewohnern toleriert wurden als in anderen Vierteln. Erich Hobsbawm argumentierte in seiner Untersuchung über das Banditentum, dass die Bevölkerung im Gegensatz zum Gesetz zwischen »sozialen« und »kriminellen« Banditen unterscheide und dass in einer Gesellschaft stetig ausgehandelt würde, welche Gesetzesübertretungen toleriert werden könnten und welche nicht. Diese könnten sich von geringen Vergehen wie heutzutage dem ordnungswidrigen Parken bis hin zu schweren Verbrechen erstrecken, wobei Hobsbawm das Beispiel der »Bankraubepidemie« im Osten Oklahomas nach 1914 anführt. Wegen der häufigen dort stattfindenden Raubüberfälle auf Banken kündigten viele Versicherungsgesellschaften deren Verträge, mit der bemerkenswerten Begründung, dass die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber den Banken derart feindlich sei, dass sie zu Raubüberfällen geradezu ermutigen würde. Deshalb wäre es laut Eric Hobsbawm durchaus möglich, dass Gangster sich Respekt erwerben könnten, wenn sie unbeliebte Institutionen beraubten und die Opfer nicht aus dem einfachen Volk stammen würden.1156 1155 Vgl. Schmidt, Jugendkriminalität, S. 423. 1156 Vgl. Hobsbawm, Banditen, S. 190f.
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Aufgrund der Tatsache, dass nur vereinzelt die Reaktion der unbeteiligten Personen in den Lokalzeitungen beschrieben wurde, ist ein aussagekräftiges Urteil bezüglich der Akzeptanz von Raubüberfällen bei der Bevölkerung Barcelonas hier nur schwer möglich. Es scheint aber zumindest vieles darauf hinzudeuten, dass bewaffnete Raubüberfälle generell von den in Barcelona vorherrschenden kollektiven Gewaltpraktiken während der Zwischenkriegszeit diejenigen waren, die von der Bevölkerung im Allgemeinen am wenigsten akzeptiert wurden. Ein Erklärungsansatz für diesen Befund ist zunächst die große Anzahl von Raubüberfällen in Barcelona, die für die damalige Bevölkerung noch deutlich höher vorgekommen sein muss, als sie tatsächlich war, weil es offenbar zahlreiche Fälle gab, in denen Personen lediglich vorgaben, Opfer eines Überfalls geworden zu sein, obwohl sie lediglich einem Betrug aufgesessen waren oder das angeblich geraubte Geld einfach verloren hatten.1157 Da es der Polizei in Barcelona, wie in Kapitel 3.4 bereits ausgeführt, offenbar über einen langen Zeitraum nicht gelang, die bewaffneten Raubüberfälle einzudämmen, gingen die Bürger, soweit dies situationsbedingt möglich war, dazu über, die Täter auf eigene Faust zu stellen.1158 Welche Dimensionen diese Selbstjustiz erreichen konnte, zeigt etwa der Fall dreier Personen, die am 2. Januar 1932 eine Bäckerei betraten, um sich eine in demselben Gebäude befindliche Wohnung anzusehen. Durch ihr Verhalten machten sie sich offenbar verdächtig und weil man sie für Straßenräuber hielt, griff man sie an und eine der Personen wurde ernsthaft verletzt.1159 Es wurden zwar auch Kleinkriminelle oft körperlich von der Menge misshandelt, besonders groß scheint der Hass aber auf die Straßenräuber gewesen zu sein, weil man sich diesen bewaffneten Kriminellen hilflos ausgeliefert sah und die staatlichen Maßnahmen gegen sie kaum Wirkung zeigten.1160 Das aggressive Verhalten gegenüber tatsächlichen oder auch vermeintlichen Straßenräubern erklärt sich aber nicht nur aufgrund der großen Anzahl der Raubüberfälle und der scheinbaren Hilflosigkeit der Polizei, sondern auch dadurch, dass die Raubüberfälle zahlreiche Opfer forderten. Diese resultierten zum einen aus den Verfolgungsjagden, die sich die Täter nach ihrer Tat mit der Polizei lieferten und zum anderen aus der Tatsache, dass sich viele der Opfer wehrten 1157 Über einen solchen Vorfall berichtete etwa El Diario de Barcelona, 8. 6. 1933, S. 39 und 9. 6. 1933, S. 19. Ein anderes Beispiel findet sich in El Noticiero Universal, 5. 1. 1935, S. 9. 1158 Vgl. dazu La Noche, 26. 6. 1933. 1159 Vgl. El Diluvio, 3. 1. 1932, S. 6 und El Diario de Barcelona, 11. 4. 1933, S. 9. 1160 Berichte über die Misshandlung von Kleinkriminellen finden sich in El Diluvio, 10. 1. 1933, S. 4, 16. 8. 1933, S. 5 und 9. 3. 1934, S. 9, sowie El Diario de Barcelona, 29. 3. 1933, S. 15, 11. 4. 1933, S. 9 und 24. 3. 1934, S. 15. Die Hilflosigkeit gegenüber den Überfällen dokumentieren etwa El Noticiero Universal, 6. 11. 1931, S. 2, El Diluvio, 15. 3. 1933, S. 8, La Noche, 1. 4. 1933, S. 1, 5. 4. 1933, S. 1, 8. 4. 1933, S. 1 und 11. 5. 1936, S. 12.
Wahrnehmung der Gewaltgemeinschaften durch die Bevölkerung
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und dann von den Tätern verletzt oder gar erschossen wurden.1161 So äußerte sich etwa eine Frau, die Augenzeugin des bereits im Kapitel 4.1.2 erwähnten Überfalls auf das Juweliergeschäft von Feliciano Gonz#lez geworden war, bei dem der Eigentümer getötet wurde: »Gott behüte uns, was für Banditen!«.1162 Noch drastischer brachte ein Flugblatt, das im April 1933 im Stadtzentrum verteilt wurde, die aggressive Stimmung, die gegen die Straßenräuber herrschte, folgendermaßen zum Ausdruck: »Für jeden ehrenhaften Bürger, dem die Straßenräuber etwas antun, werden zwei von ihnen umgebracht«.1163 Darüber hinaus kann als Erklärungsansatz für dieses Phänomen bis zu einem gewissen Grad sicherlich auch die von Thomas Lindenberger für das wilhelminische Berlin formulierte Aussage herangezogen werden, dass mit der Benutzung einer Waffe – vor allem eines Messers oder einer Schusswaffe – offensichtlich eine Grenze überschritten wird, die bei der Menge, die Zeuge der Gewalttat wird, Gegengewalt provoziert.1164 Allerdings ist für Barcelona festzuhalten, dass Attentate, die wie die bewaffneten Raubüberfälle auch in der überwiegenden Mehrheit der Fälle mit Pistolen verübt wurden, offensichtlich wesentlich seltener eine gewaltsame Reaktion der Menge hervorriefen.1165 Stattdessen wurde in diesen Fällen in der Lokalpresse oft die mangelnde Bereitschaft der Bevölkerung kritisiert, die Attentate aufzuklären.1166 Vermutlich hat Chris Ealham deshalb recht mit seiner Behauptung, dass die Ermordung von Polizisten und Arbeitgebern innerhalb der Arbeiterklasse eine gewisse Akzeptanz hatte, weil die Opfer meist erklärte Feindbilder darstellten.1167 Wie im Kapitel 3.3.2 ausgeführt, handelte zwar auch ein Teil der bewaffneten Straßenräuber im Dienste der Gewerkschaft, doch fiel es der Bevölkerung entgegen der These von Eric Hobsbawn offensichtlich schwer, »politische« von »kriminellen« Straßenräubern zu unterscheiden und sie sah deshalb bewaffnete Raubüberfälle in stärkerem Maße als die sozialen Attentate als illegitime Gewaltdelikte an. Auch wenn es insgesamt nur in einem bescheidenen Rahmen möglich ist, nachzuvollziehen, wie die Bevölkerung Barcelonas den zu dieser Zeit dominierenden kollektiven Gewaltpraktiken in dieser Stadt gegenüberstand und 1161 Einen Überfall, bei dem das Opfer zu Schaden kam, beschrieben El Diario de Barcelona, 29. 7. 1933, S. 8 und El Noticiero Universal, 28. 7. 1933, S. 17. Ein ähnlicher Vorfall ist dokumentiert in El Diluvio, 22. 9. 1933, S. 7 und El Diario de Barcelona, 22. 9. 1933, S. 11. 1162 Das angeführte Zitat entstammt einem Interview aus La Noche, 23. 3. 1933, S. 1. 1163 El Diario de Barcelona, 19. 4. 1933, S. 17. 1164 Vgl. Lindenberger, Prügel, S. 193. 1165 Leon Ignacio, AÇos, S. 155. beschreibt, wie nach dem Attentat auf Albareda, den Besitzer des Hotels Continental, die Täter von der Menge angegriffen wurden. Zwei ähnliche Fälle sind dokumentiert in La Publicidad Morgenausgabe, 13. 5. 1920, S. 11 und El Noticiero Universal, 20. 10. 1920, S. 4. 1166 Vgl. El Correo Catal#n, 31. 3. 1923, S. 2. 1167 Vgl. Ealham, Anarchism and the City, S. 51.
314
Wirken und Wahrnehmung typischer Gewaltakteure Barcelonas
solche Verallgemeinerungen generell stets eine gewisse Gefahr in sich bergen, lassen sich doch zumindest einige Erkenntnisse diesbezüglich festhalten. Die Oberschicht Barcelonas war, wie im Laufe dieser Arbeit an mehreren Stellen deutlich wurde, durch die Gewaltpraktiken beunruhigt und sah sich von der Staatsmacht im Stich gelassen. Sie versuchte deshalb durch Finanzierung eine eigene parapolizeiliche Organisationen aufzubauen und suchte zudem die Nähe zu Militärs wie Severiano Mart&nez Anido und Primo de Rivera, von deren autoritären Stil sie sich die Wahrung des Status quo in der Stadt erhoffte. Auch die Mittelschicht sah sich von der hohen Gewaltsamkeit in Barcelona bedroht und versuchte, dieser vor allem dadurch zu begegnen, dass sie sich selbst bewaffnete und zu bürgerwehrähnlichen Verbänden zusammenschloss. Diese bestanden zunächst aus den Somat8n, die am Ende der Restaurationsmonarchie in Erscheinung traten und dann eine wichtige Stütze der Diktatur Primo de Riveras wurden. Im Laufe der Zweiten Republik nahm dann die neu gegründete Accij Ciutadana zunehmend deren Platz ein.1168 Während schon im Hinblick auf die Oberschicht sowie die Mittelschicht in Barcelona aufgrund der relativ wenigen Selbstzeugnisse schwer nachzuprüfen ist, in welchem Umfang die hier formulierten Erkenntnisse tatsächlich auf eine größere Anzahl von Mitgliedern dieser Gesellschaftsschichten zutrafen, ist es nahezu unmöglich, nachzuvollziehen, wie die unteren Gesellschaftsschichten und die Arbeiterklasse im Allgemeinen den in dieser Arbeit beschriebenen Gewaltpraktiken gegenüberstanden. Das liegt daran, dass hier im Vergleich zu den beiden anderen Schichten noch weniger Selbstzeugnisse vorliegen und diese Gesellschaftsschicht, aus der viele der Täter stammten, noch deutlich mehr Menschen umfasste. Was hier aber trotzdem am Beispiel der »Lynchmobs« gezeigt werden konnte, war, dass auch in dieser Schicht zumindest die bewaffneten Raubüberfälle als illegitim angesehen wurden. Dies verdeutlicht, dass selbst die Mitglieder dieser Gesellschaftschicht die Gewaltpraktiken nicht so oft als gerechtfertigt ansahen, wie das viele, dem Anarchismus und der Arbeiterbewegung nahestehenden Autoren glauben machen wollten. Insgesamt hatte die kollektive Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit ein derartiges Ausmaß angenommen, dass sich ihr kein Stadtbewohner vollkommen entziehen konnte, weil sie das öffentliche Leben und somit den gesamten Alltag der Stadt maßgeblich prägte, gleichgültig, welcher Gesellschaftsschicht er angehörte.
1168 Vgl. Ealham, Anarchism and Illegality, S. 134. Auch die FTN forderte bereits im Dezember 1931 ein Recht auf Selbstverteidigung, vgl. FTN Memoria de la Junta Directiva del Formento del Trabajo 1931.
5
Fazit
Dass es sich bei der Zwischenkriegszeit in Barcelona um eine ausgesprochen gewaltsame Epoche handelte, haben die mehr als 7000 Gewaltdelikte, die bei Recherchen zu dieser Arbeit in annähernd 8000 Zeitungsartikeln gefunden wurden, noch einmal deutlich belegt. Wie sich aus den auf diese Weise ermittelten Daten in der Tabelle 5 ablesen lässt, waren Gewaltverbrechen durchaus nicht gleichmäßig über den gesamten Untersuchungszeitraum verteilt, sondern traten verstärkt zu dessen Beginn, dem Ende der Restaurationsmonarchie und zum Ende während der Zweiten Republik in Erscheinung, wohingegen während der Diktatur Primo de Riveras insgesamt eine merklich geringere Zahl zu verzeichnen war. Bei genauerer Analyse der Zahlen kann man feststellen, dass diese allgemeine Feststellung nicht für alle untersuchten Delikte in gleicher Weise zutrifft. Bei den eher alltäglichen Gewaltformen wie Schlägereien und Körperverletzungen sind diese Schwankungen nicht in einem solchen Ausmaß festzustellen wie bei den anderen Gewalttaten. Die Erklärung dafür dürfte naheliegend sein, denn Schlägereien und Körperverletzungen spielen vor allem im Hafenviertel und in den Arbeiterbezirken von jeher eine große Rolle. Deshalb machen sich die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Stadt bei diesen beiden Formen von Gewaltdelikten auch deutlich weniger bemerkbar als bei den anderen. In der folgenden, graphischen Darstellung dieser Ergebnisse lässt sich gut erkennen, dass diese beiden Deliktarten in allen Jahren des Untersuchungszeitraumes in einigermaßen gleichem Umfang auftraten, wenn man davon absieht, dass es in den Jahren 1918 und 1923 ungewöhnlich viele Schlägereien gab (siehe Abb. 69).
0
Vandalismus
Summe
11
Raubüberfälle 0
18
15
0
34
14
0
44
8
2
90
5
1924 0
23
2
41
2
50
0
31
0
0
0
1925
1926 3
98
0
48
0
0
0
0
85
0
66
0
0
0
1927
0
16
0
0
15
0
0
3
0
129 135 139
3
86
0
24
0
0
0
1928 0
8
0
78
0
75
0
33
0
0
0
1929 0
6
0
94
0
52
0
53
0
0
0
1930 0
18
1
1932 3
18
4
20
82
13
1933
37
0
8
98
8
12
56
1
98
130
12
49
2
77
76
78
47
27
6
1934
4
18
6
113 211 137
3
69
4
109 101
8
113 144 204
2
5
1
1931
133 103
5
73
0
56
0
0
1
1935 1
44
5
63
1
60
9
101
10
1
5
4
65
0
33
1
49
15
84
2
4
3
1936
516 388 341 406 443 565 149 258 299 293 194 205 287 455 500 845 517 300 260
0
17
6
133 225
0
4
44
3
Schießereien
71
4
6
69
230 135
4
1
122
0
Schlägereien
15
13
82
2
0
10
26
35
1
10
58
Morde
24
55
2
2
20
11
62
Einbrüche
0
11
101
1921
179 127 103 111 100 110
0
Brandstiftungen
6
1920 56
1922
Körperverletzungen
6
Bombenfunde
1919 3
1923
Sprengstoffanschläge
3
1918
Attentate
7221
43
971
95
1960
58
1743
356
1460
89
172
274
Summe
316 Fazit
Tab. 5: Übersicht über sämtliche Gewaltdelikte im Untersuchungszeitraum
Fazit
317
Abb. 69: Körperverletzungen und Schlägereien im Untersuchungszeitraum
Dass dies nicht etwa für alle Formen von oft vorkommenden Gewaltverbrechen zutrifft, verdeutlicht ein Blick auf die dritthäufigste Deliktform, die Einbrüche (siehe Abb. 70). Obwohl auch diese sicher teilweise einen persönlichen ökonomischen Hintergrund gehabt haben dürften, zeigen sich bei ihnen, was für die anderen, selteneren Gewaltformen normalerweise noch viel deutlicher zutrifft, die bereits zu Beginn dieses Kapitels erwähnten für Barcelona typischen Schwankungen während des Untersuchungszeitraumes. Beim Vergleich der Abbildungen 71 und 72 bestätigt sich die im Verlauf dieser Arbeit bereits mehrfach gemachte Feststellung, dass Gewaltdelikte, die in erster Linie von den konkreten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten abhingen, also alle untersuchten Gewalttaten außer den Körperverletzungen und Schlägereien, während der Diktatur Primo de Riveras deutlich seltener in Erscheinung traten als während der Restaurationsmonarchie und der Zweiten Republik.
318
Abb. 70: Einbrüche im Untersuchungszeitraum
Abb. 71: Alle untersuchten Gewaltdelikte in der Zwischenkriegszeit
Fazit
Fazit
319
Abb. 72: Gewaltdelikte im Untersuchungszeitraum ohne Berücksichtigung von Körperverletzungen und Schlägereien
Was nun die Gründe für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit angeht, haben die bisher zunächst von den Zeitgenossen und später in der Geschichtsschreibung vorgebrachten Erklärungsansätze durchaus ihre Berechtigung. So war für den ebenso genialen wie gläubigen Architekten Antoni Gaud&, der durch seine Bauten Barcelona bis heute geprägt hat, die Erklärung für die hohe Gewaltsamkeit Barcelonas zu der Zeit, in der er lebte, eindeutig. Seiner Meinung nach war es, wie das Foto einer Skulptur aus dem Marienportal in seinem bekanntesten Bauwerk, der Sagrada Familia zeigt (siehe Abb. 73), der Teufel in Form einer Schlange selbst, der dem Arbeiter die Bombe in die Hand gab.1169 Versucht man dagegen die hohe Gewaltsamkeit Barcelonas während der Zwischenkriegszeit mit irdischen Faktoren in Zusammenhang zu bringen, gestaltet sich die Suche nach den Ursachen jedoch wesentlich schwieriger und komplexer. Bisherige Untersuchungen gehen davon aus, dass die zahlreichen in dieser Zeit in Spanien herrschenden Konflikte letztlich dazu beitrugen, dass das Land mit dem im Juli 1936 beginnenden Bürgerkrieg die Urkatastrophe seiner neueren Geschichte erlebte. Diese Konflikte spiegelten sich alle in mehr oder weniger großem Ausmaß in Barcelona wider und kamen deshalb auch in dieser 1169 Für eine Interpretation dieser Skulptur sowie einen Überblick über die künstlerische Verarbeitung des anarchistischen Terrorismus in Katalonien, vgl. Epps, Seeing, bes. S. 126.
320
Fazit
Abb. 73: Skulptur in Antoni Gaud&s Sagrada Familia
Arbeit immer wieder zum Tragen, selbst wenn der Fokus hier etwas anders ausgerichtet war und nicht in erster Linie die Untersuchung der Ursachen im Vordergrund stand, wie bei den meisten bisherigen diesbezüglichen Forschungsarbeiten. Wie diese Arbeit jedoch gezeigt hat, ist es durchaus lohnenswert, die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit nicht nur ausschließlich von ihren Ursachen her zu erklären, sondern den Blick auch auf andere Aspekte zu richten. So hat sich anhand der Untersuchung der Gewalttopographie Barcelonas zunächst gezeigt, dass diese nur zu verstehen ist, wenn man dabei nicht nur die Stadt selbst, sondern auch ihre geographischen Besonderheiten im weiteren Sinne sowie ihre unmittelbare Peripherie in den Blick nimmt. Es hat sich herausgestellt, dass es im Hinblick auf die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona von großer Bedeutung war, dass diese Stadt schon zur damaligen Zeit eine wichtige Hafenstadt war. Darüber hinaus spielte hier nicht zuletzt auch die Nähe zu Frankreich eine wesentliche Rolle, die besonders in der Zeit während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg dazu führte, dass sowohl die Zahl der Waffen als auch die der Gewaltakteure in Barcelona deutlich zunahmen, was sich im städtischen Alltag in der Zeit des Pistolerismo besonders stark bemerkbar machte. Nicht unterschätzt werden sollte auch der Beitrag der Nachbarstädte Barcelonas zur Gewaltsamkeit in dieser Stadt. Zwar waren diese im Untersuchungszeitraum gerade dabei, sich durch einen starken Bevölkerungszuwachs zu Kleinstädten von Bedeutung zu entwickeln, doch gerade dies
Fazit
321
und die damit verbundenen eingeschränkten Zugriffsmöglichkeiten der Polizei hatten vermutlich zur Folge, dass Gewaltgemeinschaften hier oft ihre Rückzugsgebiete hatten, obwohl sie vor allem in Barcelona operierten. So konnte im Verlauf dieser Arbeit gezeigt werden, dass es sowohl in L’Hospitalet de Llobregat, Badalona und Santa Coloma de Gramenet mehrere Banden gab, die maßgeblich an den in Barcelona dominierenden Gewaltpraktiken zu dieser Zeit beteiligt waren. Möglich wurde dies erst im Untersuchungszeitraum, weil durch den Ausbau der Infrastruktur nicht nur Arbeiter, sondern eben auch Gewaltakteure relativ leicht zwischen Barcelona und seinen Nachbarstädten pendeln konnten, was ihre Verfolgung und Festnahme durch die Polizei vermutlich deutlich erschwerte. Aus den Untersuchungen ergab sich weiterhin, dass in Barcelona ganz spezifische Stadtbereiche existierten, die in sehr unterschiedlicher Weise als Gewaltbühne fungierten. Wie sich herausstellte, ereignete sich die überwiegende Zahl von Attentaten und Sprengstoffanschlägen, also den beiden für Barcelona während der Zwischenkriegszeit typischen Gewaltpraktiken, in überdurchschnittlich hohem Maße in den Arbeitervierteln, wo auch die Mehrzahl der Akteure beheimatet war, wie sich später bei der Betrachtung von exemplarischen Gewaltgemeinschaften zeigte. Im Gegensatz dazu dominierten in den Reichenvierteln und im Hafenviertel mit Eigentumsdelikten bzw. alltäglicher Gewalt in Form von Schlägereien und Körperverletzungen zwei Gewaltformen, die, wie in den vorangegangenen Grafiken noch einmal verdeutlicht, nur selten einen offensichtlichen Bezug zu den politischen Entwicklungen hatten. Durch seine Gewaltbereitschaft und seine Kriminalität war das Hafenviertel zudem ein Raum, in dem die Gewaltakteure Barcelonas und Kriminelle relativ ungestört agieren konnten und wo sich ihnen auch in Zeiten starker staatlicher Repression während der Diktatur Primo de Riveras ein Rückzugsraum bot, in dem sie vor dem polizeilichen Zugriff relativ sicher zu sein schienen. Eine vergleichbare Funktion erfüllte zumindest im ersten Jahrzehnt des Untersuchungszeitraums bis zu seiner Urbanisierung im Zuge der Weltausstellung im Jahr 1929 auch der Stadtberg Montju"c. Während es im Hafenviertel vor allem die hohe Bevölkerungsdichte und die durch die Matrosen bedingte ständige Fluktuation von Menschen war, die die Festnahme von Verbrechern sowie die Ahndung von Gewaltdelikten in diesem Bereich deutlich erschwerten, war es im Falle des Montju"c dessen Abgeschiedenheit und Unwegsamkeit, die ihn für Gewaltakteure attraktiv machten. So eignete er sich für die in Barcelona agierenden staatsfernen Gewaltgemeinschaften zum einen hervorragend als Ort für Bombenverstecke, zum anderen aber auch dazu, mutmaßliche Polizeispitzel oder Abtrünnige und Verräter unauffällig zu liquidieren. In dieser Hinsicht nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung der in Barcelona so zahlreichen Bars, Kneipen und Caf8s, in denen nicht nur Gewalt-
322
Fazit
taten verschiedenster Art geplant und der Ertrag von Raubüberfällen und Einbrüchen in Form von Diebesgut veräußert wurden, sondern auch, weil sie häufig als Anlaufstelle für potenzielle Kriminelle und Gewaltakteure dienten, die sich dort von den Bandenchefs für bewaffnete Raubüberfälle, Attentate oder andere Gewaltdelikte anwerben ließen. Während sich das Hafenviertel mit seinen Bars und Caf8s und der Montju"c vor allem deshalb zu Gewaltorten entwickelten, weil die Täter hier ungestört agieren konnten, wurden im Gegensatz dazu die Ramblas und andere öffentliche Plätze wie etwa der PlaÅa de Catalunya im Zentrum der Stadt gerade deshalb zu Gewaltorten, weil sie die wichtigste öffentliche Bühne für Proteste der unterschiedlichsten Art boten, von Nahrungsprotesten über öffentliche Begräbnisprozessionen bis hin zu den separatistischen Kundgebungen der Katalanisten in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Im Bewusstsein, dass eine Besetzung dieses öffentlichen Raumes und die dort postulierten Forderungen ein Eindringen in den städtischen Raum darstellten, das weder von den Ordnungskräften noch von den jeweiligen Gegnern ignoriert werden konnte, kam es hier im Untersuchungszeitraum oftmals zu absichtlich provozierten gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die genauere Untersuchung der in Barcelona im Untersuchungszeitraum vorherrschenden Gewaltpraktiken hat zunächst ergeben, dass sich die katalanische Metropole während eines Großteils dieser Epoche vor allem durch die (General-) Streiks, die das städtische Leben immer wieder weitgehend zum Erliegen brachten, in eine Konfliktzone verwandelten und Gewalträume eröffneten, die in der Wahrnehmung der Zeitzeugen oft den Eindruck bürgerkriegsähnlicher Zustände erweckten. Auch wenn nahezu alle Gewaltpraktiken, die in Barcelona während der Zwischenkriegszeit vorherrschten, sich schon vorher entwickelt hatten und eine meist bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende Geschichte aufwiesen, waren es doch solche Gewalträume, in denen diese Gewaltpraktiken dann ungehemmt zur Anwendung kamen und sich zu Gewaltroutinen entwickelten, die bald auch den normalen städtischen Alltag ganz entscheidend prägen sollten. Dass es aber nicht nur die sozialen und politischen Umstände sind, die ausschlaggebend für die Entwicklung von spezifischen Gewaltphänomenen waren, zeigte sich bei der Betrachtung der beiden Gewaltpraktiken, durch die Barcelona bis weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde, zum einen die Anschläge unter Verwendung von Bomben und kleineren Sprengsätzen und zum anderen die mit Pistolen verübten Attentate und Raubüberfälle. Beide Gewaltpraktiken wären ohne die in dieser Zeit erfolgten technischen Entwicklungen, die Bomben und Sprengstoffe zu leicht handhabbaren Waffen der Zerstörung und Pistolen zu präzisen und effektiven Tötungswerkzeugen werden ließen, in dieser Form und in einem derartigen Ausmaß wohl kaum möglich gewesen.
Fazit
323
Doch es waren nicht nur die Entwicklungen in der Waffentechnik, sondern auch andere technische Neuheiten, die die Gewaltpraktiken in Barcelona während der Zwischenkriegszeit maßgeblich prägten. So waren es zu jener Zeit vor allem Busse und Straßenbahnen, die sich gerade erst im Stadtbild zu etablieren begannen, die Ziel von Sabotageakten, vor allem in Form von Brandanschlägen wurden. Das Auto, ebenfalls ein Transportmittel, dass in dieser Zeit gerade erst langsam in Barcelona Einzug hielt, wurde von den Straßenräubern während der Zweiten Republik regelmäßig dazu benutzt, damit diese ihre Überfälle in wesentlich effektiverer Art und Weise begehen konnten. Zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona trug sicherlich auch der spanische Zentralstaat nicht unerheblich bei. Dies machen die in der Arbeit kurz skizzierten völlig konträren Sichtweisen über dessen Agieren deutlich. Während zum einen vor allem von den oberen Gesellschaftsschichten der Vorwurf erhoben wurde, der Staat und seine Ordnungsorgane hätten dem kriminellen Treiben der Gewaltakteure in Barcelona mehr oder weniger untätig und hilflos zugesehen, rechtfertigten zum anderen die Anarchisten die von ihnen ausgeübte Gewalt als notwendige Antwort auf die Aggressionen des Staates. Ohne zu diesen konträren Meinungen in irgendeiner Weise Stellung beziehen zu wollen, hat diese Arbeit bestätigt, dass die zentralen staatlichen Ordungsorgane oftmals versagten bzw. deren Wirken stark eingeschränkt war, weil zum einen die Polizei aufgrund ihrer personellen Unterbesetzung auf dem ohnehin schwierigen städtischen Terrain die Gewaltakteure oft nicht festnehmen konnte und zum anderen, weil nicht selten auch die Arbeit der Gerichte durch Bedrohung der Zeugen erschwert oder sogar unmöglich gemacht wurde. Bei dem Bestreben, das Gewaltmonopol trotzdem durchzusetzen, wurden der Staat und seine Repräsentanten letztlich selbst zu weiteren Gewaltakteuren in Barcelona, zum Beispiel durch Maßnahmen wie etwa der Anwendung des Ley de Fugas, das sehr stark an die Vorgehensweise der Pistoleros erinnerte. Auch das Agieren seiner Hauptakteure, der Polizisten und Somat8n, die sich bei der Niederschlagung vieler Proteste oder bei Festnahmen teilweise sehr ähnlicher gewalttätiger Handlungsmuster bedienten wie ihre Kontrahenten, die staatsfernen Gewaltakteure, trugen nicht unerheblich zur hohen Gewaltsamkeit bei. Die offensichtliche Machtlosigkeit des Staates, dem es mit normalen und legalen Mitteln weitgehend nicht möglich war, der kollektiven Gewalt in Barcelona Einhalt zu gebieten, wurde zudem auch bei der Betrachtung der staatlichen und staatsnahen Gewaltgemeinschaften deutlich. Letztere übernahmen, in Form der Bürgerwehr Somat8n und der parapolizeilichen unternehmerfinanzierten Banda Negra, besonders in der auslaufenden Restaurationsmonarchie mehr und mehr Aufgaben, die von den staatlichen Gewaltgemeinschaften vor allem also der Polizei, nicht geleistet werden konnten, wollten oder durften. Dass das Wirken aber sowohl der Somat8n als auch der Banda Negra trotzdem eng an
324
Fazit
den Staat gekoppelt blieb, zeigt die Tatsache, dass das Ende beider Gewaltgemeinschaften politisch bedingt war. Insgesamt bestätigen beide Gruppierungen die These, dass staatsnahe Gewaltgemeinschaften eher dazu beitragen, die Gewaltsamkeit zu erhöhen als sie einzudämmen. Auch wenn die Quellenlage aufgrund des Mangels an verlässlichen Informationen vielleicht etwas problematisch ist, kann davon ausgegangen werden, dass für einen großen Teil der Gewaltdelikte in Barcelona Gewaltgemeinschaften verantwortlich waren. Das in der Arbeit genauer untersuchte Beispiel der Banda Negra konnte zumindest in Ansätzen aufzeigen, welche zerstörerische Macht sogar solche Gruppen entfalten konnten, die als staatsnah anzusehen sind. Den staatlichen und staatsnahen Gewaltgemeinschaften standen die staatsfernen gegenüber, die einen mindestens ebenso großen Beitrag zur hohen Gewaltsamkeit in Barcelona leisteten, auch wenn diese sich quellentechnisch nicht immer eindeutig zuordnen lassen. Aussagekräftiger war hier der Blick auf die sozialen Gruppen, der zeigte, dass es auch in Barcelona vor allem junge Männer waren, die als Gewaltakteure in Erscheinung traten, was sich vermutlich nicht zuletzt darauf zurückführen lässt, dass bei vielen der in Barcelona zur Zwischenkriegszeit vorherrschenden Gewaltpraktiken Männlichkeitsrituale – wie etwa das Tragen von Pistolen oder das Besetzen von Räumen – eine wichtige Rolle spielten. Inwieweit es sich bei den in Barcelona agierenden Gewaltakteuren um Fremde handelte, lässt sich aufgrund der diesbezüglichen Quellenarmut nicht eindeutig klären. Dennoch konnte in dieser Arbeit zumindest aufgezeigt werden, dass diese – sowohl die innerspanischen Immigranten als auch die Ausländer – sicherlich in einigen Fällen bei den agierenden Gewaltgemeinschaften eine bedeutende Rolle spielten. Insgesamt waren sie aber prozentual gesehen an den Gewaltverbrechen nicht häufiger beteiligt als die übrige Bevölkerung. Allerdings hat vermutlich die fortschreitende Globalisierung, die dazu beitrug, dass viele für Barcelona essenziellen Unternehmen, wie zum Beispiel die Telefongesellschaft, das wichtigste Elektrizitätswerk und das städtische Transportunternehmen größtenteils in ausländischer Hand waren, offensichtlich dazu geführt, dass in diesen Unternehmen Arbeitskonflikte deutlich häufiger und wesentlich erbitterter ausgefochten wurden als etwa in Fabriken, die sich im Besitz von katalanischen Industriellen befanden. Schließlich stellte sich bei den Untersuchungen noch heraus, dass es nicht nur die Gewaltakteure und deren Opfer waren, die in Gewaltpraktiken involviert waren und das Gewaltklima einer Stadt prägten, sondern auch der scheinbar weit überwiegend nur indirekt von der Gewalt betroffene Rest der Stadtbevölkerung. Dessen kollektive Wahrnehmung der Gewalt wurde dabei in einer nicht zu unterschätzenden Weise durch die Medien – in Barcelona fast ausschließlich die Lokalzeitungen – geprägt, die in dieser Stadt während der Zwischenkriegs-
Fazit
325
zeit durch ihre tendenziöse und zum Teil aggressive Berichterstattung einen nicht unerheblichen Anteil daran hatten, dass sich die bestehenden Konflikte immer mehr radikalisierten, wodurch sie einen wesentlichen Gewaltkatalysator darstellten. Bei der konkreten Betrachtung der Reaktionen von einzelnen Personen aus der Bevölkerung, die unmittelbare Zeugen von Gewaltaktionen wurden, zeigte sich, dass die Gewalttoleranz in der Bevölkerung je nach Gewaltpraktik sehr unterschiedlich sein konnte. Besonders groß war die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber den Raubüberfällen, was zum einen an deren Häufigkeit gelegen haben mag, zum anderen sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass die Stadtbewohner davon wesentlich häufiger als bei anderen Gewaltpraktiken selbst betroffen waren. Zusammenfassend lassen sich aus den Ergebnissen dieser Arbeit folgende Thesen herleiten: Anders als in der bisherigen Forschung oft postuliert sind die Gründe für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit ausgesprochen komplex. Sie kann weder ausschließlich auf die Auseinandersetzungen im Zuge verschiedenster Konflikte zurückgeführt werden, die in dieser Zeit in ganz Spanien und somit auch in dieser Stadt ausgetragen wurden, noch ist sie einzig einzelnen Akteuren wie den staatlichen Organen auf der einen oder den anarchistischen Aktivsten auf der anderen Seite anzulasten. Vielmehr lässt sich die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit nur als ein Zusammenwirken zahlreicher unterschiedlicher Faktoren verstehen. Schon die besondere Topographie der Stadt beeinflusste ganz maßgeblich die Realisierung von Gewaltpraktiken sowie das Wirken der Gewaltakteure. Geographischen Faktoren wie die Nähe zu Frankreich oder die Lage am Mittelmeer ermöglichten nicht nur auswärtigen Gewaltakteuren einen schnellen Zugang zur Stadt sondern erleichterten auch das Einschleusen von Waffen und Sprengstoff. Die große Entfernung zur Hauptstadt Madrid dürfte ein wesentlicher Faktor für die oft unzureichende Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols gewesen sein. Die umliegenden unwegsamen Berge boten ausgezeichnete Verstecke für Waffen und Bomben und dienten Gewaltakteuren als Rückzugsorte, genauso wie die gut erreichbaren Nachbarstädte mit ihrem starken Bevölkerungszuwachs, in denen die staatliche Kontrolle noch geringer war als in Barcelona. In der Stadt selbst leistete das Hafenviertel mit seinen verwinkelten Gassen, den zahlreichen Caf8s und Kneipen einen erheblichen Beitrag zur Gewaltsamkeit der Stadt. Dort konnten sich die Gewaltakteure relativ ungestört treffen, ihre Aktionen planen, Bandenmitglieder anwerben und nach den Taten untertauchen. Im Verlauf des Untersuchungszeitraumes änderten sich die dominierenden Gewaltpraktiken mehrfach. Dabei kamen in Barcelona überwiegend Gewaltpraktiken zum Einsatz, die sich bereits in den Jahrzehnten davor im Gewaltrepertoire der Akteure etabliert hatten. Dazu zählen vor allem gezielte Angriffe auf
326
Fazit
Vertreter der Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgeberseite oder Bomben- bzw. Sprengstoffanschläge im öffentlichen Stadtraum. Insbesondere neue technische Entwicklungen in der Waffentechnik und im Verkehrswesen erweiterten die Möglichkeitsräume für die Realisierung dieser Gewaltpraktiken erheblich. Maßgeblich trugen aber auch die großen Generalstreiks dazu bei, die das Leben und die Ordnung in der Stadt weitgehend zum Erliegen brachten, sowie die mangelnde Präsenz des staatlichen Gewaltmonopols besonders am Ende der Restaurationsmonarchie von 1920 bis 1923 und in den Krisenjahren der Zweiten Republik von 1933 bis 1934. Während der Diktatur traten politisch motivierte Gewaltdelikte dagegen deutlich seltener in Erscheinung. Hinsichtlich der Gewaltakteure stellt sich die Situation in der Zwischenkriegszeit ebenfalls wesentlich komplexer dar als in der bisherigen Forschung oftmals angenommen. Hauptakteure waren sicherlich auf staatlicher Seite die Guardia Civil, die oftmals durch übertriebene Härte maßgeblich zur Eskalation der Gewalt beitrug, und auf der Gegenseite anarchistische Gruppen, deren terroristische Anschläge das Gleiche bewirkten. Daneben gab es aber noch zahlreiche andere Gruppen, die als Pistoleros oder Atracadores für die unterschiedlichsten Auftraggeber Gewaltakte ausführten, wobei die Übergänge zwischen politischen und kriminellen Gewaltakteuren fließend waren. Im Allgemeinen handelte es sich bei den Gewaltakteuren in Barcelona während der Zwischenkriegszeit vor allem um junge Männer, während Frauen in den Gewaltgemeinschaften nur sehr selten aktiv in Erscheinung traten und eher Unterstützungstätigkeiten ausübten. Die nachweisbare Beteiligung von Ausländern an kollektiven Gewaltakten war insgesamt weit geringer als das die Wahrnehmung der Zeitzeugen widerspiegelt. Allerdings traten einige Ausländer als Gewaltexperten in gehobener Position in Erscheinung. Neben diesen unmittelbar an den Gewalttaten beteiligten Personen bzw. Personengruppen hatte – so eine wesentliche, neue These dieser Arbeit, die in der bisherigen Forschungen kaum Beachtung fand – auch die scheinbar unbeteiligte Stadtgemeinschaft einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Gewaltsamkeit in der Stadt. Durch ihre Reaktionen bestimmte sie zu einem nicht unerheblichen Teil mit, welche Gewaltpraktiken und Gewaltakteure toleriert wurden und welche nicht. Dabei erwies sich vor allem die Tagespresse als ein entscheidender Faktor bei der Bündelung und Kanalisierung der öffentlichen Meinung. Insgesamt hat der hier verwendete Forschungsansatz also zum einen schon bestehende Ursachendiagnosen für die hohe Gewaltsamkeit in Barcelona während der Zwischenkriegszeit bestätigt. Andererseits wurden durch den hier vorgenommenen Perspektivenwechsel aber auch viele auf den ersten Blick weniger offensichtliche, aber in ihrer Summe dafür doch umso bedeutendere Faktoren und Umstände aufgezeigt, die dafür verantwortlich waren, dass die
Fazit
327
Gewaltintensität in Barcelona im Untersuchungszeitraum deutlich anstieg. Alle drei hier benutzten Erklärungsansätze erwiesen sich als fruchtbar und bedürften sicherlich jeweils noch genauerer Analysen, die etwa darin bestehen könnten, durch transnationale Vergleiche noch stärker die Besonderheiten sowohl der Gewalttopographie Barcelonas als auch die in der Stadt spezifischen Gewaltpraktiken oder agierenden Gewaltgemeinschaften herauszuarbeiten. Sehr aufschlussreich könnte es auch sein, eine ähnliche wie die hier durchgeführte Untersuchung an einer etwas kleineren spanischen Stadt wie etwa Valencia oder Saragossa durchzuführen, in denen es zu vergleichbaren kollektiven Gewaltpraktiken wie in Barcelona kam. Da diese dort aber nicht so häufig auftraten, lassen sie sich, so die Annahme, wohl konkreter untersuchen als in Barcelona. Ausgehend von der Tatsache, dass sich in der Arbeit gezeigt hat, dass sowohl hinsichtlich der Gewaltpraktiken als auch der Gewaltgemeinschaften die Wahrnehmung durch die scheinbar unbeteiligte Mehrheit der Stadtbevölkerung eine ganz zentrale Rolle spielt, scheint es auch vielversprechend, diese genauer in den Blick zu nehmen als das bisher der Fall war. Dies könnte zum einen dadurch erfolgen, dass die diesbezügliche Berichterstattung der Presse eingehender unter die Lupe genommen wird. Zum anderen könnte in diesem Zusammenhang untersucht werden, wie die hier dargestellten Gewaltakteure und Gewaltpraktiken literarisch verarbeitet wurden. Aus erinnerungsgeschichtlicher Perspektive wäre darüber hinaus interessant zu fragen, welche der Akteure und Gewalttaten jener Zeit Eingang ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung von Barcelona gefunden haben und wieso es ausgerechnet diese Personen waren. Abschließend bleibt festzustellen, dass sich die städtische Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit als ein ausgesprochen lohnendes Forschungsobjekt erwiesen hat, wobei allerdings konstatiert werden muss, dass sich eine endgültige und in vollem Umfang befriedigende Erklärung für das hohe Maß an Gewaltsamkeit in dieser Stadt aufgrund der zahlreichen unterschiedlichen Faktoren, die dabei eine Rolle spielten und wegen der sehr problematischen Quellenlage wohl kaum finden lässt. Dennoch hat diese Arbeit, so die Hoffnung des Verfassers, einen Beitrag dazu geleistet, Gewalt im Allgemeinen und die städtische Gewalt in Barcelona während der Zwischenkriegszeit im Besonderen besser verstehen zu können.
6
Anhang
6.1
Abkürzungsverzeichnis
Organisationen CNT: FAI: UGT:
Confederacijn Nacional del Trabajo Federacijn Anarquista Ib8rica Unijn General de Trabajadores
Archivalien (Verweise in Fußnoten) AFB: AGA: AH: AHN: ASD: ATSJC: CAD: FAM: FGE: FTN: NA: PA AA:
6.2
Arxiu Fotogr/fic de Barcelona Archivo General de la Administracijn, Alcal# de Henares Archives Nationales Paris Archivo Histjrico Nacional, Madrid Archivio Storico Diplomatico del Ministerio degli Affari Esteri Archivo del Tribunal Superior de Justicia de Catalunya Centre des Archives diplomatiques de La Courneuve Archivo Antonio Maura Montaner : Correspondencia privada y oficial Archivo de la Fiscal&a General del Estado, Madrid Archivo del Fomento del Trabajo Nacional, Barcelona National Archives Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin
Bildnachweise
Abbildungen Abb. 1: Abb. 2:
Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Skizze des Autors
330 Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb 6.: Abb 7.: Abb. 8.: Abb. 9.: Abb. 10.: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19: Abb. 20: Abb. 21: Abb. 22: Abb. 23: Abb. 24: Abb. 25: Abb. 26: Abb. 27: Abb. 28: Abb. 29: Abb. 30: Abb. 31: Abb. 32: Abb. 33: Abb. 34: Abb. 35: Abb. 36: Abb. 37: Abb. 38: Abb. 39: Abb. 40: Abb. 41: Abb. 42:
Anhang
Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Nagel, Multikulturelle Gesellschaft, S. 1f. A. Zerkowitz, 1928–1932, AFB (C_013_230), weiße Pfeile ergänzt durch den Autor Autor unbekannt, 1927, AFB (C_118_200) Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Institut Cartogr/fic (RM.227050), Städtenamen ergänzt durch den Autor Nagel, Multikulturelle Gesellschaft, S.12, farbliche Markierung ergänzt durch den Autor Rodr&guez Bueno, Barcelona, S. 18 Rodr&guez Bueno, Barcelona, S. 149 Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Josep Gaspar, 1920–1930, AFB (bcn001366) Arxiu Histkric de la Ciutat, bearbeitet und ergänzt durch den Autor Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Kaplan, Red City, S. 102, Ramblas durch den Autor grau hervorgehoben Kaplan, Red City, S. 103, Ramblas durch den Autor grau hervorgehoben Frederic Ballell, 1915, AFB (bcn003545) Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Balcells, Pistolerisme, S. 86 Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Ram&rez Jimenez, Huelgas, S. 78 / Huertas Claveria, Obrers, S. 254 Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Ram&rez Jimenez, Huelgas, S. 78 / Huertas Claveria, Obrers, S. 254 Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors P8rez de Rozas, 09. 12. 1933, AFB (A_2_2_S4_125) P8rez de Rozas, 10. 04. 1934, AFB (A_3_5_S4_007) Karikatur veröffentlicht in: L’Esquella de la Torratxa, 12. 1. 1906, S. 1 P8rez de Rozas, 29. 12. 1932, AFB (A_1_4_S4_084) P8rez de Rozas, 10. 04. 1934, AFB (A_3_5_S4_007) Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors P8rez de Rozas, 25. 07. 1934, AFB (A_4_1_S4_097) Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors
Bildnachweise
331
Abb. 43: Estorch, 1936, AFB (bcn006742) Abb. 44: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Gonz#lez Calleja, M#user, S. 54 und S. 247 Abb. 45: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Balcells, Pistolerisme, S. 80 Abb. 46: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Gonz#lez Calleja, M#user, S. 247 Abb. 47: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Gonz#lez Calleja, M#user, S. 247 Abb. 48: P8rez de Rozas, 24. 11. 1934, AFB (A_4_2_S4_383) Abb. 49: P8rez de Rozas, 03. 12. 1934, AFB (A_4_3_S4_043) Abb. 50: Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 51: Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 52: P8rez de Rozas, 28. 03. 1934, AFB (A_3_4_S4_358) Abb. 53: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Gonz#lez Calleja, M#user, S. 250 Abb. 54: P8rez de Rozas, 14. 01. 1933, AFB (A_1_4_S4_159) Abb. 55: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Gonz#lez Calleja, M#user, S. 247 Abb. 56: Schema, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 57: Schema, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 58: Schema, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 59: Schema, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 60: Schema, basierend auf den Angaben in Enzensberger, S. 39f. Abb. 61: Foto veröffentlicht in: Estampa, 9. 7. 1932, S. 1 Abb. 62: Frederic Ballell, 10. 07. 1910, AFB (bcn001567) Abb. 63: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Nagel, Multikulturelle Gesellschaft, S. 4 Abb. 64: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Vandelljs i Sol/, Inmigracijn, S. 104f. Abb. 65: Grafik des Autors, basierend auf Untersuchungsergebnissen von Nagel, Arbeiterschaft, S. 466 Abb. 66: Grafik des Autors, basierend auf Angaben im Statistischen Jahrbuch der Stadt Barcelona des Jahres 1920, S. 140f. Abb. 67: Karikatur veröffentlicht in: ¡Cu-Cut!, 23. 11. 1905, S. 742 Abb. 68: Karikatur veröffentlicht in: L’Esquella de la Torratxa, 27. 8. 1920, S. 1 Abb. 69: Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 70: Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 71: Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 72: Grafik, basierend auf Untersuchungsergebnissen des Autors Abb. 73: Fotografie des Autors
332
Anhang
Tabellen Die Zahlenwerte in sämtlichen Tabellen beruhen auf eigenen statistischen Untersuchungsergebnissen, die bei der Auswertung der Zeitungsartikel ermittelt wurden.
6.3
Quellenverzeichnis
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Archivo Antonio Maura Montaner : Correspondencia privada y oficial (FAM)
Leg 210/12 Leg 225/2
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Memoria de la Junta Directiva del Fomento del Trabajo Nacional 1918–1934
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Fondo del Ministerio de Asuntos Exteriores: Embajada en Par&s (1876–1931) Leg 54/11016
Archivo Histjrico Nacional, Madrid (AHN)
Seccijn Fondos contempor#neos Ministerio del Interior Leg 02a : 16: Anarquismo 1919 Leg 03a : 01–05: Armas 1918–1928 Leg 17a : 07: Bombas y Petardos Leg 39a : 01–06: Guardia Civil. Agresiones 1920–1927 Leg 45a : 13: Federacijn patronal Leg 54a : 08–11 Robos
Quellenverzeichnis
333
Leg 58a : 13: Sindicalismo en Barcelona 1923 Ministerio de Asuntos Exteriores H2761: Orden Pfflblico – Anarco-Sindicalismo, Naciones
Archivio Storico Diplomatico del Ministerio degli Affari Esteri, Rom (ASD) Affari Politici 1931–1945, Paese: Spagna Busta 5 (1933), 38: incidenti vari Busta 6 (1934), 3: Rapporti Politici Tercero Semestere
Arxiu Fotogr/fic de Barcelona (AFB) Zeitgenössische Fotografien
Arxiu Histkric de la Ciutat, Barcelona
Zeitgenössische Zeitungen und Zeitschriften Zeitgenössische Karten
Arxiu Municipal Contemporani
Statistisches Jahrbuch der Stadt Barcelona des Jahres 1920
Biblioteca Pfflblica Arffls
Zeitgenössische Zeitungen
Centre des Archives diplomatiques de La Courneuve (CAD)
S8rie Europa. 1918–1940. Espagne 124, Z 267–1 258, Z 267–1/268–2
Hemeroteca Municipal Madrid Zeitgenössische Zeitungen
Institut Cartogr/fic i Geolkgic de Catalunya
Verschiedene Karten
National Archives, Kew (NA)
Section Foreign Office FO 371 : General Correspondence, Political Western, Spain (1906–1931) FO 371/5495 FO 371/7120 FO 371/7121
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin (PA AA)
Länderabteilung II (West-, Süd- und Südost-Europa) 1920–1936: Spanien Madrid 365 // 7317, Akte von Rolland P1c
334 Madrid 559 R 71984 Az.: Sozialpolitik 2 / Arbeiterfragen (1920–1933) R 71985 Az.: Sozialpolitik 3 / Streiks, Aussperrungen (1920–1932) R 72005 Az.: Weltkrieg / Weltkrieg in Bezug auf Spanien (1920–1935)
Periodika ABC (Madrid) La Campana de Gr/cia (Barcelona) El Correo Catal#n (Barcelona) La Correspondencia Militar (Madrid) ¡Cu-Cut! (Barcelona) El D&a Gr#fico (Barcelona) El Diario de Barcelona (Barcelona) El Diluvio (Barcelona) El Esc#ndalo (Barcelona) EspaÇa Nueva (Madrid) El Espectador (Madrid) L’Esquella de la Torratxa (Barcelona) Estampa (Madrid) El Fructador (Tarragona) La Huelga General (Barcelona) Images (Barcelona) El Luchador (Barcelona) Mirador (Barcelona) La Noche (Barcelona) Las Noticias (Barcelona) El Noticiero Universal (Barcelona) L’Opinij (Barcelona) El Productor (Barcelona) El Progreso (Barcelona) La Protesta (Barcelona) La Publicidad (Barcelona) El Radical (Barcelona) La Rambla (Barcelona) Revista T8cnica de la Guardia Civil (Madrid) El Sol (Madrid) Solidaridad Obrera (Barcelona) Tierra y Libertad (Barcelona) La Tribuna (Madrid) La Vanguardia (Barcelona) La Veu de Catalunya (Barcelona)
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