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German Pages 191 Year 2013
ZETEMATA MONOGRAPHIEN ZUR KLASSISCHEN ALTERTUMSWISSENSCHAFT BEGRÜNDET VON ERICH BURCK UND HANS DILLER IN VERBINDUNG MIT THOMAS BAIER UND DIETER TIMPE HERAUSGEGEBEN VON ECKARD LEFÈVRE UND GUSTAV ADOLF SEECK HEFT 145
Terenz’ und Menanders Adelphoe von ECKARD LEFÈVRE
VERLAG C.H.BECK MÜNCHEN
Bibliographische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
1. Auflage 2013 © Verlag C.H.Beck oHG, München 2013 ISSN 1610-4188 ISBN Buch 978 3 406 64771 0 ISBN eBook 978 3 406 64772 7 Die gedruckte Ausgabe dieses Titels erhalten Sie im Buchhandel sowie versandkostenfrei auf unserer Website www.chbeck.de. Dort finden Sie auch unser gesamtes Programm und viele weitere Informationen.
INHALT VORWORT ........................................................................................................7 EINLEITUNG....................................................................................................9 A. ERSTER TEIL: REZEPTION I.
Das Urteil der Dichter ..............................................................................13 1. Altertum .............................................................................................13 2. Mittelalter...........................................................................................16 3. Neuzeit ...............................................................................................17 II. Das Urteil der Philologen.........................................................................35 B. ZWEITER TEIL: ANALYSE I. Exposition .................................................................................................51 II. Die adulescens / leno-Handlung..............................................................53 1. Diphilos, Menander und Terenz .......................................................53 2. Freiheitserklärung und Entschädigung ............................................54 3. Wer zahlt die Entschädigung? ..........................................................55 III. Syrus zwischen Kochkunst und Intrigantentum .....................................56 IV. Das Gelage in Micios Haus .....................................................................57 V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9 ....................................................58 1. Die Entdeckung des Terenzischen im Terenz ..................................58 2. Micio in der Tradition von Palliata und Stegreifspiel .....................63 3. Die Demea-Handlung als Voraussetzung der Micio-Handlung......65 4. Die Hilfe des Dyskolos: Knemon und Demea .................................67 5. Der Schluß der Adelphoi ..................................................................70 VI. Der Diptychoncharakter der Senes in I 1–V 3........................................71 1. Aporien..............................................................................................71 2. Micio .................................................................................................72 3. Demea ...............................................................................................74 VII. ‚Wiedererkennungen‘..............................................................................75 1. Bacchis ..............................................................................................75 2. Sostrata..............................................................................................77 3. Pamphila............................................................................................78 VIII. Canthara...................................................................................................79 IX. Hegio .......................................................................................................81 X. Menandrische Familienlabyrinthe..........................................................82 C. DRITTER TEIL: STRUKTUR I.
Ter e n z ....................................................................................................85 1. Diskontinuität der Handlung ............................................................85 2. Emotionale Struktur – eine Skizze.................................................113
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Inhalt
3. Elemente des Stegreifspiels............................................................114 a. ‚Ablegen‘ des Charakters ...........................................................115 b. Überkreuzdramaturgie................................................................117 c. ‘thickening up’ ............................................................................119 d. Servus currens und Quiritatio.................................................... 120 e. aiunt............................................................................................ 121 f. Aparte.......................................................................................... 123 g. Metaphorik................................................................................. 125 II.
Men an d er ............................................................................................ 127 1. Einteilung der Akte........................................................................ 127 2. Oikonomia der Handlung .............................................................. 127 D. VIERTER TEIL: WELTBILD
I.
Men an d er ........................................................................................... 131 1. Tuvch und trovpo"........................................................................... 131 2. filanqrwpiva und pädagogische Ethik.......................................... 132 a. Micio und Aeschinus ................................................................. 133 b. ars vitae ..................................................................................... 134 c. filanqrwpiva und Humanitas .................................................... 136 d. Menandrische Gedankenwelt .................................................... 137 3. ijdiwtologiva und pädagogisches Defizit....................................... 138 4. Sklavenethik................................................................................... 139 5. Pflicht des oi\ko" ............................................................................ 139
II.
Ter e n z ............................................................................................... 140 1. Menschenwitz statt Weltdeutung .................................................. 140 2. Plautinisch-Saturnalisches statt Ethik ........................................... 140 3. Raffinesse statt Beschränktheit ..................................................... 142 4. Sklavenwillkür ............................................................................... 143 5. Einfluß des ‚Scipionenkreises‘...................................................... 144 6. Das Rechtsdenken nach dem Prinzip der aequitas....................... 146 a. Rückblick auf Heautontimorumenos (summum ius summa malitia) und Phormio (in integrum restitutio).......................... 146 b. Die juristische Faktur der Sannio-Szenen (actum ne agas) ..... 148 c. Hegio und Micio als Vertreter des aequitas-Denkens .............. 155 d. Standespolitik............................................................................. 158 7. Historischer Hintergrund ............................................................... 160
AUSBLICK................................................................................................... 165 RÉSUMÉ....................................................................................................... 169 LITERATURVERZEICHNIS....................................................................... 171 REGISTER.................................................................................................... 183
VORWORT “The Micio and Demea of the Adelphi, with their opposing views of the proper management of youth, are still alive.”1
Besonders seit der 1964 veröffentlichten Monographie von O. Rieth hat sich die Forschung über die Adelphoe auf die Frage konzentriert, in welcher Weise Menander und Terenz die beiden Hauptcharaktere, Micio und Demea, gezeichnet haben, genauer: in welcher Weise Terenz darin von Menander abgewichen ist. In dieser interessanten Fragestellung ist es begründet, daß die Adelphoe das am intensivsten behandelte Stück des römischen Dichters sind. Zudem tangiert das Problem der allgemeinen Erziehung von Kindern nahezu jeden Rezipienten, sei es, daß er die eigene Erziehung im Blick hat, sei es, daß er selbst in der Verantwortung steht oder stand, Kinder zu erziehen. Es ist sogleich zu bemerken, daß es sowohl in der Nea als auch in der Palliata stets nur um die Erziehung von Söhnen, nicht aber um die Erziehung von Töchtern geht – ein Umstand, der die Anschauungen der athenischen und römischen Gesellschaft widerspiegelt. Über dem Problem der Erziehung wird vernachlässigt, um nicht zu sagen: vergessen, daß Terenz überdies auf Schritt und Tritt Menander verändert. Eine jüngere Untersuchung von 1998 zeigt, daß er über den Einschub der Diphilos-Szene hinaus in den ganzen zweiten Akt eingreift. Mit den Adelphoe hat sich der Verfasser seit seiner Rezension der Monographie von O. Rieth (1964) im Gymnasium 1965 durch annähernd 50 Jahre hindurch beschäftigt. Seine Grundthesen sind in dem Libellus über die Expositionstechnik der terenzischen Komödien (1969), in den Rezensionen der Untersuchungen von H. Gelhaus 1972 (Gnomon 1976), K. Büchner 1974 (Gnomon 1978), des Kommentars von R. H. Martin 1976 (Gnomon 1982), ferner in dem ‚Versuch einer Typologie des römischen Dramas‘ (1978), dem Aufsatz ‹La structure des Adelphes de Térence comme critère d’analyse› (1983), den ‚Ausblicken‘ der Monographien über die fünf den Adelphoe vorangehenden Komödien (1978, 1994, 1999, 2003, 2008) und dem Terenz-Artikel im Handbuch der Lateinischen Literatur (2002) niedergelegt. Davon braucht in der vorliegenden Abhandlung nichts zurückgenommen zu werden, wohl aber sind wesentliche neue Gesichtspunkte hinzugekommen – auch bei den beiden bekanntesten Problemen, der ‚Umwertung‘ Micios und Demeas und des Einbaus der Diphilos-Szene. Bei ihnen bleibt die Untersuchung nicht bei dem Wie stehen, sondern fragt nach dem Warum. Wenn von Menanders Adelphoi gesprochen wird, ist immer die zweite Komödie dieses Namens gemeint (∆Adelfoiv bæ), eben die Vorlage der Adelphoe. Menander
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George Meredith (1877) 1998, 128: A I 3 (S. 30).
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Vorwort
wird nach Arnott, die Fragmente der Adelphoi nach Kassel / Austin, Terenz nach Kauer / Lindsay / Skutsch, Donat, Eugraphius und Euanthius nach Wessner zitiert. Ein Gewinn für die Terenz-Freunde ist es, daß die Ausgabe von Joannes Henricus Boeclerus (Argentorati 1657) mit ihrem vorzüglichen Kommentar neuerdings im Netz zugänglich ist. Frank Bernstein (Frankfurt a. M.) wird herzlich gedankt, daß er das Kapitel über den historischen Hintergrund der Adelphoe kritisch gelesen hat. Die Erstellung der Druckvorlage wurde Weihnachten 2012 abgeschlossen. Der im Dezember erschienene wichtige Aufsatz von B. Victor über das Ende von Eunuchus und Adelphoe konnte gerade noch kurz berücksichtigt werden.2 Die Zusammenarbeit mit dem Verlag C. H. Beck, München, war wie immer erfreulich. Daß der Verleger Dr. h. c. Wolfgang Beck die ‚Zetemata‘ in den für Bücher immer schwieriger werdenden Zeiten ohne Zuschüsse herausbringt, ist Zeichen seines Idealismus und verdient hohe Anerkennung. Freiburg i. Br., Neujahr 2013
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A II (S. 50).
E. L.
EINLEITUNG “The Brothers a perfect masterpiece of high comedy.”1
Die Adelphoe sind Terenz’ letztes Werk. In ihm ist er aber nicht kühner vorgegangen als in den fünf vorhergehenden Stücken. Es ist erstaunlich, mit welcher Sicherheit der junge Dichter von Anfang an seinen eigenen Stil gefunden hat. Das Wort von G. Jachmann, er sei „gewiß nie eigentlich jung, nie ein Werdender gewesen“,2 ist oft zitiert worden. Wie in den früheren Fällen hat er auch bei den Adelphoe stark in die Handlung des Originals eingegriffen. Daß die Szene, ‚in der ein junger Mann einem Kuppler eine Hetäre raubt‘ (8–9), aus Diphilos’ Synapothneskontes in die menandrische Handlung eingefügt ist, sagt er selbst im Prolog. Sie sei verbum de verbo wiedergegeben (11). Das ist eine rätselhafte Wendung, die nur auf dem Hintergrund zu verstehen ist, daß die römischen Dichter die Originale im allgemeinen sehr frei nachgestalteten. Eine weniger freie Nachbildung, wie in diesem beschränkten Fall, war also auffällig. Doch schaltet Terenz auch in der Einlage II 1 frei. Weder der rüde Ton, den Aeschinus gegenüber Sannio durchweg anschlägt, noch das Netz juristischer Begriffe und Sachverhalte, das über die Szene gebreitet ist,3 dürften bei Diphilos gestanden haben. Es ist weiter zu berücksichtigen, daß Terenz im zweiten und dritten Akt auch über II 1 hinaus Änderungen vorgenommen hat. Man hat damit gerechnet, daß er in der Sequenz 26–354 etwa 90 Verse hinzufügt.4 Das wäre ein knappes Drittel. Da es sehr wahrscheinlich ist, daß auch großenteils Sannios Monolog (196b–208) sowie die Szene II 2 (209–253) von ihm stammt,5 kämen noch einmal über 50 Verse dazu, so daß, ganz grob geschätzt, in 26-354 über 140 Verse, also über 40% terenzisch wären. Rechnete man diese Zahlen hoch (was sicher anfechtbar ist), ergäbe sich, daß Terenz erhebliche Teile der Handlung erfindet. Daß er dazu in der Lage ist, wird niemand bestreiten. Beunruhigend ist nur, daß er umgekehrt erhebliche Teile der menandrischen Vorlage gestrichen haben müßte, da sein Stück etwa den Umfang hat, der bei einer Menander-Komödie üblich ist. Dieselbe Rechnung kann man mit großer Wahrscheinlichkeit am Schluß aufmachen. Wenn man auf der einen Seite die Satire der Bloßstellung Micios auf Terenz’ Konto setzt, muß man auf der anderen Seite sehen, daß dafür einige Szenen entfallen sind wie die sicher gern vollzogene Hochzeit zwischen Micio und der Nachbarin Sostrata (die bei Terenz gar nicht mehr auftritt) und die Versöh___________________________
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Norwood 1932, 17. 1934, 632. D II 6 b (S. 148–155). Lowe 1998, 485. Genauer: C I 1 zu Sannios Monolog 196b–208 und zu II 2 (S. 89–90).
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Einleitung
nung Demeas mit Ctesipho (über die bei Terenz nichts verlautet) – und sei sie noch so förmlich gewesen.6 Kann man relativ sicher Zufügungen der römischen Komiker identifizieren, ist es schwer, wenn nicht fast unmöglich, von ihnen gestrichene Szenen der Originale zu rekonstruieren. Die Bacchides geben davon Zeugnis, in denen, wie der Papyrus lehrt, Plautus zwei menandrische Dialoge zwischen Vater (‚Nicobulus‘) und Sohn (Sostratos) übergangen hat. In der Untersuchung werden – nach der Übersicht über die Rezeptions- und Forschungsgeschichte in Teil A – die Eigenheiten des Stücks mit dem Nachweis einer erheblichen Umarbeitung der Vorlage(n) durch Terenz erklärt: Der eilige Leser sei vor allem auf Teil B verwiesen, der sich aufgrund verschiedener Ansatzpunkte der Analyse widmet, deren Ergebnisse in C I 1 weitere Unterstützung durch die ebenfalls analytische Betrachtung der unterschiedlichen Struktur der einzelnen Szenen beider Werke erfahren. Kapitel C I 2–3 möchten in Auswahl Bausteine für eine Grammatik der terenzischen Dramaturgie sammeln7 – ein Gebiet, auf dem es keine umfassende Darstellung gibt. Schließlich werden in Teil D Folgerungen für das Welt- und Menschenbild sowohl des griechischen als auch des römischen Dichters gezogen. Der Gang der Argumentation, die die wichtigsten analytischen Schlüsse zusammenhängend in Teil B darbietet, bringt es mit sich, daß einige Szenen unter jeweils anderen Gesichtspunkten in verschiedenen Teilen behandelt werden. Hier hilft das Register weiter, das unter ‚Szenen‘ die Orte aufführt, an denen Wesentliches zu ihnen ausgesagt wird. Vorrangiges Ziel ist es, beiden Dichtern, Menander und Terenz, gerecht zu werden. Eine Rekonstruktion der Akteinteilung und der Handlung der Adelphoi Menanders bieten C II 1–2, ihres Weltbilds D I 1–5. In diesen Kapiteln kann sich der Leser jederzeit schnell über die Ergebnisse der notwendigerweise eingehend argumentierenden Teile B und C I 1, die von Terenz ausgehen, informieren. Eine Sonderstellung nimmt der Rezeptionsüberblick A I ein, insofern in ihm, insbesondere hinsichtlich des Schicksals von Micio und Demea im fünften Akt, die Ergebnisse von B vorausgesetzt werden, um zu erkennen, daß eine Reihe von Dichtern und Kritikern des 18. und 19. Jahrhunderts sich nicht mit der terenzischen Fassung anfreunden konnten und in ihrer Gestaltung bzw. Kritik dem nahekamen, was die Analyse in B und C I 1 für Menander rekonstruieren kann. Es handelt sich um die frappierende Erkenntnis, daß diese Rezipienten von sich aus das empfanden, was die Philologie erst später analytisch zu erschließen vermochte. Der Prolog der Adelphoe erfährt keine eigene Behandlung. Die beiden großen inhaltlichen Komplexe, Einlage der Diphilos-Szene und Förderung des Dichters ___________________________
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B V 5 (S. 70–71). Es erscheint sinnvoll, die Beobachtungen zu den Adelphoe mit denen zu den anderen Terenz-Komödien in Beziehung zu setzen und damit das Bemühen früherer Arbeiten des Verfassers fortzuführen. Die zahlreichen Rückverweise auf diese haben somit einen sachlichen Grund. Das Einverständnis des Lesers wird erhofft.
Einleitung
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durch hohe Gönner, die er anspricht, werden suis locis in B II / C I 1 bzw. D II 5–7 besprochen.8 Wenn im folgenden immer wieder Defizienzien in der Dramaturgie und in der Motivierung der Adelphoe herausgestellt werden, geschieht das nicht, um Terenz ein schlechtes Handwerk zu bescheinigen, sondern nur, um aus der Differenz zu der oijkonomiva der Menander-Komödien analytische Kriterien für die Eigenständigkeit des römischen Dichters zu gewinnen, dessen Ziele ganz anderer Art sind als die seines Vorbilds. Es ist ein öfter auftretendes Mißverständnis, den Analytikern zu unterstellen, sie tadelten Plautus und Terenz und beurteilten ihre Kunst allenfalls als zweitrangig. Davon kann (auch im vorliegenden Fall) überhaupt keine Rede sein – ganz im Gegenteil. Die Abhandlung folgt in Fragestellung und Aufbau weitgehend der über den Phormio (1978) und eng denen über den Heautontimorumenos (1994), die Hecyra (1999), den Eunuchus (2003) und die Andria (2008). Wie schon in den vier letzten wird das Augenmerk auch auf Einflüsse des Stegreifspiels gerichtet. Sie werden vor allem in C I 3 herausgestellt. Wenn auch der Freiburger Sonderforschungsbereich ‚Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit‘ nicht mehr besteht, wirken die Anstöße, die er gegeben hat, weiter.
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Die Struktur des Prologs ist in der Rezension von Gelhaus 1972 behandelt: Lefèvre 1976, 350–351.
Terenz-Ausgabe bei Grüninger, Straßburg 1496 (Titelbild zu den Adelphoe)
A. ERSTER TEI L: REZ EPTI ON I. Das Urteil der Dichter Die Adelphoe haben eine reiche Rezeption erfahren. Es versteht sich, daß nur eine kleine Auswahl der verschiedenen Richtungen, gewissermaßen S ta tio n en der Wirkungsgeschichte, vorgeführt werden können, von denen zu hoffen ist, daß sie einigermaßen repräsentativ sind.1 Sie beruhen zu einem nicht geringen Teil auf Zufallsfunden.2 Die Darstellung der allgemeinen Terenz-Rezeption bleibt ein Desiderat. Auf sie wird hier nicht eingegangen. D ic h ter a ls A n a ly tik e r : Der Blick auf die Nachwirkung der Adelphoe in der neueren Literatur führt zu einem wichtigen Ergebnis. Noch bevor sich im 19. Jahrhundert eine philologische Wissenschaft herausbildete, entdeckten Dichter die römischen Komödien nicht nur als Quelle für interessante Stoffe, sondern setzten sich seit dem 16. Jahrhundert auch mit ihnen auseinander. Sie übernahmen Motive und Charakterdarstellungen nicht deshalb, weil sie der geschätzten Antike entstammten, sondern sie bildeten sie gemäß den Anschauungen ihrer Zeit um. Bei den Adelphoe ergibt sich die interessante Beobachtung, daß man ein Gespür dafür bekam, der satirische Schluß mit der Umwertung Micios und Demeas sei nicht mehr für eine zeitgemäße Gesellschaftskomödie geeignet. Es ergibt sich die aufregende Beobachtung, daß die Dichter das, womit Terenz sein Original drastisch umgebogen hat, nicht übernahmen, sondern durch eine Handlung ersetzten, die sich aus der inneren Logik der Figuren herleitet. Damit traf man unbewußt die menandrische Konzeption der Adelphoi, die Terenz aufgegeben hat. In diesem Sinn kann man Dichter und Kritiker als ‚Analytiker‘ bezeichnen.3 In je unterschiedlicher Weise sind hier neben anderen Chapman, Shadwell, Fielding oder Cumberland in England, Molière, Voltaire oder Diderot in Frankreich, Romanus, Lessing oder Goethe / Einsiedel in Deutschland zu nennen. 1. Altertum Cicero (106–43) kennt Terenz gut und zitiert ihn immer wieder wörtlich. Auf die Adelphoe bezieht er sich nur wenige Male.4 In der frühen Schrift De inventione spricht er von den verschiedenen Formen der narratio (1, 27): ___________________________
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Eine wertvolle Bibliographie zur Terenz-Rezeption bei Bianco 1993, 71–77. In der gelehrten Literatur, der vieles verdankt wird, sind Varianten und Differenzen selbst im Faktischen festzustellen. Es konnte aber nicht darum gehen, für diesen Überblick eigene Forschungen durchzuführen. Dazu die Kapitel ‚Dichter als Analytiker‘ bei Lefèvre 1995, 147–148; 1997, 115; 2001 (1), 157–158; 2006, 173. Zillinger 1911, 154–155; Schultheiß 2007, 161–181.
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A. Erster Teil: Rezeption illa autem narratio quae versatur in personis eiusmodi est, ut in ea simul cum rebus ipsis personarum sermones et animi perspici possint, hoc modo: 60 venit ad me saepe clamitans ‚quid agis, Micio? quor perdis adulescentem nobis? quor amat? quor potat? quor tu his rebus sumptum suggeris, vestitus nimio indulges? nimium ineptus es.‘ nimium ipse durust praeter aequomque et bonum.5 [60–64]
Im Cato maior läßt Cicero Cato sagen, der alte Mensch neige aus verschiedenen Gründen zur Unzufriedenheit, doch werde das durch gute charakterliche Eigenschaften gemildert, wie man im Leben und auf der Bühne bei den Brüdern der Adelphoe beobachten könne (65): quae tamen omnia dulciora fiunt et moribus bonis et artibus, idque cum in vita, tum in scaena intellegi potest ex fratribus, qui in ‚Adelphis‘ sunt: quanta in altero duritas (auch diritas überliefert), in altero comitas!
In den Verrinae 2, 5, 25 bedauert Cicero tanta penuria virorum fortium, im Laelius sagt er, man solle als Freunde firmi et stabiles et constantes wählen, aber an ihnen gebe es magna penuria. Nach Spengel erinnert er sich an Demeas Klage ne illius modi iam magna nobis civium | paenuriast (441–442).6 In P ro Caelio 38 schildert er den strengen und milden Vater. Bei dem zweiten fällt ihm Micio ein: leni vero et clementi patre cuius modi ille est: 120 fores effregit: restituentur; discidit vestem: resarcietur, Caeli causa est expedissima.
[120–121]
In der Spätantike gehört Terenz zur Schullektüre. Seine Wendungen sind bekannt. Ein Beispiel bietet die Elagabal-Vita der Historia Augusta (11, 2): cum ad vindemias vocasset amicos nobiles et ad corbes sedisset, gravissimum quemque percontari coepit, an promptus esset in Venerem, erubiscentibusque senibus exclamabat ‚erubuit, salva res est‘, silentium ac ruborem pro consensu ducens.
„Nun ist zwar salva res est eine ganz gewöhnliche Wendung der lateinischen Comödie; aber steht nur bei Terenz Adelphoe 643f., wo es Micio zu dem verstummenden Aeschinus sagt. So darf man diese Wendung unter die zahlreichen anderen einreihen, welche aus Terenz in die römische Umgangssprache übergingen.“7 Den christlichen Autoren ist Terenz gut bekannt8 – auch die Adelphoe. Jürgens trägt mehr als 20 Anspielungen zusammen, von denen etwa die Hälfte auf das Konto von Hieronymus und Augustinus geht.9 ___________________________
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Die Terenz-Zitate werden, soweit möglich, in A I 1 auch gegen die jeweilige handschriftliche Überlieferung der Testimonien nach Kauer / Lindsay / Skutsch gegeben. 1905, 80. Klebs 1889, 562. Jürgens 1972, 109. 1972, 139–142.
I. Das Urteil der Dichter
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Eusebius Hieronymus (331 / 348–419 / 420) liest Terenz in der Schule. Später ist er Schüler Donats. So ist es nicht verwunderlich, daß er ihn höher als Plautus schätzt. Ein virtuoses Beispiel ist ein Passus in der Praefatio zum zweiten Buch des Micha-Kommentars, der „aus einer Kombination von nicht weniger als 5 Terenz-Prologstellen“ besteht, „die in der Art eines Cento verknüpft sind“,10 darunter Ad. 17–19 (eine Wendung mit einer charakteristischen Struktur, die öfter nachgeahmt wird). Micios Aperçu et quod fortunatum isti putant, | uxorem numquam habui (Ad. 43–44) erscheint Adv. Iovin. 1, 48 als Terenz’ Bekenntnis: et noster comicus ‚fortunatum putat, qui uxorem numquam duxerit‘. In Hierem. 6, 16, 2 wird Demeas Wort oh lacrumo gaudio (Ad. 409) aufgenommen: iuxta illud: ‚lacrimo gaudio‘. Bei Epist. 60, 10, 2 avunculum pontificem deserere non audebat tota in illo cernens exempla virtutum ‚domique habuit unde disceret‘ ist an Syrus’ ironische Spitze über Ctesipho gedacht (Ad. 413). Aurelius Augustinus (354–430) zitiert Terenz so oft wie keinen anderen römischen Dichter mit Ausnahme Vergils.11 Aus den Adelphoe sind es wie bei Hieronymus einprägsame Wendungen, die dem Kirchenvater im Gedächtnis haften, so etwa Epist. 185, 21:12 multis profuit, quod experimentis probavimus et probamus, prius timore vel dolore cogi, ut postea possint doceri aut, quod iam verbis didicerant, opere sectari. proponunt nobis quidam sententiam cuiusdam saecularis auctoris qui dixit: ‚pudore et liberalitate liberos | retinere satius esse credo quam metu‘ (Ad. 57–58). Augustinus fährt fort: hoc quidem verum est; sed sicut meliores sunt, quos dirigit amor, ita plures sunt, quos corrigit timor. nam ut de ipso auctore (sc. Terentio) istis respondeatur, apud illum etiam legunt: ‚tu nisi malo coactus recte facere nescis‘. Das ist nicht wörtlich aus den Adelphoe zitiert, mag aber aus demselben Monolog Micios herausgesponnen sein, in dem malo coactus (Ad. 69) und recte facere (Ad. 75) begegnen. Die Formulierung könnte zeigen, daß Augustinus (wie öfter) aus der Erinnerung zitiert. In denselben Kontext gehört Serm. 13, 9: filium tuum […] erudis. et prius agis, ut si fieri potest ‚pudore et liberalitate‘ erudiatur. Es ist klar, daß Augustinus an solchen Stellen nicht nachschlägt. Nicht weniger gilt das für Epist. 26, 3: hic tu fortasse Terentiani servi mihi responsum dederis: ‚ohe! tu verba fundis hic, sapientia?‘, wo Syrus’ freche Worte an Demea aufscheinen (Ad. 669). Epist. 138, 4 heißt es: quod enim in diversitate personarum uno tempore accidere potest, ut ‚huic liceat‘ aliquid ‚impune facere, illi non liceat, non quod dissimilis res sit, sed quod is qui facit‘, ita ab una eademque persona diversis temporibus tunc oportet aliquid fieri, tunc non oportet, ‚non quod sui dissimilis sit, qui facit‘, sed quando facit. Hier hören ___________________________
10 Hagendahl 1958, 137–138, 272. Treffliche Interpretation bei Marti 1974, 172 / 177 (referiert bei Lefèvre 2008, 19–20). Zu den folgenden Beispielen Hagendahl 1958, 146, 245, 272–273; 1974, 217; Jürgens 1972, 140–141. 11 Hagendahl 1967, 378. Zu den folgenden Beispielen Hagendahl 1967, 254–255; Jürgens 1972, 140–142. 12 Zu dieser Stelle (= De correctione Donatistarum 6, 21) ausführlich Schultheiß 2007, 175–178.
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A. Erster Teil: Rezeption
wir Micios weises Dictum: hoc licet impune facere huic, illi non licet, | non quo dissimilis res sit, sed quo is qui facit (Ad. 824–825). Aber auch des Gegenspielers erinnert sich Augustinus, De civ. Dei 19, 5: sed in huius mortalitatis aerumna quot et quantis abundet malis humana societas, quis enumerare valeat? quis aestimare sufficiat? audiant apud comicos suos hominem cum sensu atque consensu omnium hominum dicere: ‚duxi uxorem: quam ibi miseriam vidi! nati filii: alia cura‘. Da findet Demea wörtlich Gehör (Ad. 867–868).13 Vergleichbar ist die Art, wie man bis ins 20. Jahrhundert den Faust aus dem Kopf zitierte und nur selten nachzuschlagen brauchte. 2. Mittelalter Im Mittelalter ist Terenz Schullektüre. Man schätzt die Sprache und die vielen anwendbaren Sentenzen.14 Dementsprechend gibt es eine reiche handschriftliche Überlieferung. Die Andria wird bevorzugt zitiert,15 was damit zusammenhängen kann, daß sie in den Handschriften vorn plaziert ist. Aus den Adelphoe, die einen hinteren Platz einnehmen, nennt das voluminöse Werk von Max Manitius kaum Belege. Das fällt auf, da sie die Erziehungsthematik behandeln. Offenbar ‚interpretiert‘ man die Handlungen der Stücke nicht oder kaum. Hrotsvit von Gandersheim (Schaffen zwischen 962 und 97316) ist eine ebenso singuläre wie beeindruckende Erscheinung. Die Kanonisse fühlt sich veranlaßt, wie sie in der Praefatio sagt, (sechs) Dramen gegen die turpia lascivarum incesta feminarum und die amantium dementia der (sechs) Terenz-Stücke – also auch der Adelphoe – zu verfassen. „Hrotsvitha gibt deutlich zu verstehen, daß ihr literarisches Vorbild bei der Abfassung der Dramen Terenz war. Hier liegt also eine Art von aemulatio vor, d. h. das Bestreben, das heidnische Muster zu übertreffen – nur, daß es dabei – im Gegensatz zur antiken aemulatio – ausschließlich um den Inhalt und nicht um die Gestaltung ging. Der Einfluß auf die ersten Stücke wird gelegentlich unterschätzt, weil die Dichterin ihr Vorbild weder kopiert noch sprachlich geplündert hat […]; er erstreckt sich auf Komposition, auf Dialogführung, auf Einzelsprachliches und auf die Zahl der Stücke.“ 17 Man hat Hrotsvits Versuch, Terenz’ dramatische Form aufzunehmen, als eine „durch Jahrhunderte einzigartige Neuerung“ bezeichnet.18 Direkte Anklänge sind diskret. Homeyer nennt in den Anmerkungen neun – zum Teil vage – Stellen, an denen Hrotsvit die Adelphoe vor Augen haben kann. Ein Beispiel sind Worte des Wirts an den alten Eremiten Abraham, der seine Nichte Maria aus dem Bordelleben retten will und vom Stabularius für einen Liebhaber gehalten wird: miror, te in decrepita ___________________________
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Jürgens 1972, 142 verweist auch auf Conf. 1, 9, 14 quas ibi miserias expertus sum. Villa 1997, 549–550. Lefèvre 2008, 20–23. Nagel 1965, 39. Literatur zu Hrotsvit und Terenz bei Newlands 1986, 369 Anm. 1. Homeyer 1970, 21 (in Anm. 50 Literatur). Kuhn (1950) 1959, 100. Vgl. Nagel 1965, 82.
I. Das Urteil der Dichter
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senectute | iuvenculae mulieris amorem spirare (Abr. V 1). Da läßt Micio grüßen (obwohl decrepitus im Mittelalter auch sonst belegt ist): ego novos maritus anno demum quinto et sexagesimo | fiam atque anum decrepitam ducam? (Ad. 938–939). Es ist festzustellen, daß auch bei Hrotsvit Anklänge an die Adelphoe weit weniger anzutreffen sind als etwa an die Andria. Aber die sprachliche Schulung an Terenz ist nicht zu übersehen. Francesco Petrarca (1304–1374) steht schon an der Schwelle zur Neuzeit. Er schätzt Terenz und gesteht, durch die Lektüre der Tusculanae Disputationes zu ihm gekommen zu sein: primum Terentii amorem ex Tusculanarum quaestionum lectione concepi (Fam. 3, 18). Die Komödien schreibt er eigenhändig ab und stellt eine Vita voran.19 Die Zitate aus Terenz erinnern an die Reminiszenzen bei vielen mittelalterlichen Autoren, die derart sind, „daß sich mit Recht vermuten läßt, sie seien nicht unmittelbar aus der Lektüre der Komödien geschöpft, sondern vorwiegend vom Dichter aus dem Gedächtnis angeführt.“20 Ein Beispiel ist Fam. 9, 9, 1: vetus est verbum: ‚amicorum communia esse omnia‘. Hier mag man zweifeln, ob ihm Ad. 804 präsent ist. Andererseits kennt Petrarca die Komödien im ganzen. So verweist er im ersten Buch von De vita solitaria auf das löbliche Beispiel Demeas, der seine Lebensweise korrigieren wolle:21 at cui sinisterior sors fuit plus negotii est; postquam tamen aperire oculos cepit, et quam dubium iter agat intellegere, omni studio incumbat adolescentie devium et errores vel in senectute corrigere, memineritque terrentiani senis in Adelphis qui, mutando sub extremum vite consultor ydoneus, simul et delectabit et proderit. difficile negotium in primis, sed et in primis utile et nequaquam impossibile; neque verum serum putet, quod salubre cognoscit.
3. Neuzeit Hält sich die Rezeption der Adelphoe in Antike und Mittelalter in Grenzen, werden sie in der Neuzeit zu einer Lieblingskomödie der Dichter und Interpreten. Der Kontrast zwischen den Vätern und den Söhnen wirkt in zunehmendem Maß auf die Rezipienten. Wie die römische Komödie überhaupt, stehen die Adelphoe in vielfacher Weise Pate bei der Herausbildung einer nationalsprachigen Komödie. Obwohl das Phänomen leichter zu fassen ist, können auch in diesem Fall nur einige Stationen vorgeführt werden. Zu den vier im folgenden herausgegriffenen Kulturen finden sich in der Betrachtung der Andria-Rezeption kurze Einführungen,22 die hier nicht wiederholt zu werden brauchen. ___________________________
19 Prete 1950, 223–224. Neuere Ausgabe der Vita von I. Ruiz Arzállus, Roma / Padova 2010 (dazu die Rezension von F. Stok, BMCR 2012. 07. 42). 20 Prete 1950, 221. Das folgende Beispiel: 222. 21 Bufano 1975, 308 / 310. 22 Lefèvre 2008, 23–24, 29–30, 31–32, 34–37.
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Italien Terenz ist Schullektüre.23 Dementsprechend kommt es zu Rezitationen und Aufführungen, auch der Adelphoe.24 Aber eine breitere produktive Rezeption erfährt diese Komödie weder in der Commedia umanistica noch in der Commedia erudita. Andere Terenz-Stücke finden wesentlich mehr Anklang, wie Andria oder Eunuchus. Man sucht Inspirationen für lebhafte Handlungen, wie sie Plautus bietet, der fleißig studiert wird. Für die Erziehungsproblematik der Adelphoe besteht offenbar kein großes Interesse. Ludovico Ariosto (1474–1533), Autor des Orlando furioso, lebt am Hof von Ferrara. Mit vier Komödien (eine bleibt unvollendet) macht er den wichtigen Schritt zur Commedia erudita.25 Es ist bezeichnend, daß er in der Cassaria (1508) aus den Adelphoe den Kuppler Sannio vor Augen haben könnte,26 mit dem Terenz den ruhigen Stoff der menandrischen Vorlage drastisch belebte. Das spricht an. Besonders das Motiv, daß Lucrano (nomen est omen) eine Reise anzutreten vorgibt, ist vielleicht von den Adelphoe inspiriert.27 Lorenzino de’Medici (1514–1548), Politiker und Literat, dichtet 1536 die Aridosia nach drei römischen Vorbildern: Terenz’ Adelphoe, denen Züge der beiden Brüder Aridosio (Demea) und Marcantonio (Micio) verdankt werden, Plautus’ Mostellaria, der die Szene II 4 mit dem von Teufeln beherrschten Haus entstammt, und Aulularia, der die Figur des Geizigen und der Schatz entnommen sind28 – «un abile esercizio letterario».29 Aulularia und Adelphoe werden verschmolzen – gewissermaßen die Kontamination zweier Vorbilder, wie sie der Zeit aus den terenzischen Prologen bekannt ist. Aridosio ist aus Euclio und Demea zusammengesetzt. Dem Engstirnigen ist der liberale Micio (Marcantonio) zur Seite gestellt. Da die Ehe zwischen diesem und Lucrezia kinderlos ist, erzieht er Aridosios Sohn Erminio (Aeschinus), während Aridosio seine Kinder Tiberio (Ctesipho) und Cassandra im Haus hat. Erminio liebt die Waise Fiametta (Pamphila), die in einem Nonnenkloster lebt, Tiberio (Ctesipho) Livia (Bacchis), die Ruffo (Sannio) ‚gehört‘. Livia wird am Ende durch den in Tortona wohnenden Alfonso als verlorene Tochter ‚wiedererkannt‘. Der Ausgang zeigt, daß de’Medici unbewußt dem menandrischen Finale nahekommt, in dem Bacchis als Freie ‚wiedererkannt‘ und von Ctesipho geheiratet wird.30 Alfonso aus Tortona ___________________________
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Bucchioni 1910; Pacetto 1918. Bucchioni 1910, 121, 122. Lefèvre 2008, 25–26. Bucchioni 1910, 173. Hartkamp 2004, 171–186 stellt plautinische Motive heraus. In dem Kapitel über die Cassaria nennt Zecca 1914, 14–41 nur vage Anklänge an die Adelphoe, etwa was die Erziehungsmethoden von Crisobolo und Demea angeht. 28 Lefèvre 2001 (1), 158–163. Bucchioni 1910, 162 führt Marcantonio auf die Andria zurück. Reinhardstoettner 1886, 281 und Sanesi 1954, I, 336 machen auf Anklänge in I 3 an die Asinaria aufmerksam. 29 Sapegno 1962, 174. 30 B VII 1 (S. 75–76).
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fällt dabei die Rolle zu, die bei Menander offenbar Hegio aus Milet hatte.31 Was bei dem Griechen Tyche wob, fügt bei dem Renaissanceautor Dio. Auch die zweite große Änderung, die Terenz gegenüber Menander vorgenommen hat, die satirische Abwertung des liberalen Micio am Ende, macht de’Medici ‚rückgängig‘. Marcantonio behält bis zum Schluß den Überblick über das Geschehen, sieht seine Erziehung gerechtfertigt und erreicht in einem überlegen geführten Gespräch mit dem verbohrten Bruder die Zustimmung zu den Hochzeiten der Kinder. Aridosio bleibt im wesentlichen, wie er war – gleich Demea in den menandrischen Adelphoi und Knemon im Dyskolos,32 während der terenzische Demea am Ende ein hämisches Spiel mit Micio treibt. In diesem Überblick über die Rezeption der Adelphoe in der Neuzeit ist die Aridosia das erste Beispiel, daß sich Dichter als ‚Analytiker‘ erweisen.33 Sie schreiben wie Menander eine Gesellschaftskomödie, Terenz schrieb eine Satire. Giovan Maria Cecchi (1518–1587), Florentiner wie de’Medici, Notar und Wollhändler, verfaßt 21 Komödien. Er beruft sich ausdrücklich auf die römischen Wegweiser Plautus und Terenz. In der Stiava stützt er sich auf den Mercator,34 in der Dote auf den Trinummus,35 in der Moglie und der Stiava auf die Andria,36 in den Dissimili (1548, gedruckt 1550) auf die Adelphoe.37 Der Prologsprecher der Dissimili sagt che l’autore confessi che ciò che ci ha in questa Commedia di buono, l’ha imitato da Terenzio, seguendo in ciò la openione di quelli maestri migliori delli quali egli desidera d’esser discepolo.38 Guerrini konstatiert: «I Dissimili vengono dagli Adelphi di Terenzio.»39 Auch hier gibt es zwei ‚verschiedene‘ ältere Brüder, Filippo (Micio) und Simone (Demea), und zwei ‚verschiedene‘ jüngere Brüder, Alessandro (Aeschinus) und Federigo (Ctesipho). Sie sind Simones Söhne; der ehelose Filippo erzieht Alessandro. Wie Micio ist Filippo ein liberaler, wie Demea Simone ein strenger Vater. Die Söhne geraten entsprechend. Das Geschehen lehnt sich im wesentlichen an die Adelphoe an, eine Reihe von Passagen bietet Paraphrasen aus Terenz.40 Wie de’Medici versucht Cecchi geschickt, Terenz durch zusätzliche Handlungselemente gewissermaßen ‚plautinisch‘ zu beleben.41 Einige Änderungen gehen auf ___________________________
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B IX (S. 81–82). Bei de’Medici ist Alfonso Livias Vater. B V 4 (S. 67–70). Dazu S. 33. Dazu Lefèvre 1995, 152–156. Dazu Lefèvre 1995, 156–159. Dazu Lefèvre 2008, 28. Weiteres bei Reinhardstoettner 1886, 58, 534. Guerrini 1883, 220. 1883, 10. Pacetto 1918, 176 wiederholt den Satz. Pacetto 1918, 176–182 gibt Beispiele. Die klassizistische Kritik von Pacetto 1918, 176 (ebenso Sanesi 1954, I, 375) ist unzutreffend: «Il Cecchi […] sciupa la favola degli Adelphoe, la quale complica con intrighi, burle ed episodi non necessari all’azione; di guisa che, non riuscendo ad au-
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die anderen Konventionen der florentinischen Gesellschaft zurück. So hat Alessandro die Tochter der armen Nachbarin Gostanza, Ginevra, heimlich geheiratet und einen vier Tage alten Sohn, der somit ‚ehelich‘ ist. Ferner ist die Geliebte Fiametta seines Bruders Federigo nicht wie bei Terenz eine Hetäre, sondern Pietros und Doroteas Ziehtochter. Diese sind nicht florentinische Bürger, sondern forestieri aus Aquila. Einen Kuppler gibt es nicht, vielmehr schlägt Alessandro Pietros Tür ein, um Fiametta für Federigo zu rauben (was mißlingt). Außerdem gibt es einen dritten vecchio: Alberto, der, ebenfalls florentiner Bürger, mit Filippo und Simone befreundet ist. Dessen Funktion scheint gewissermaßen technischer Art zu sein. Um Fiametta ‚florentinisch‘ zu legitimieren, führt Cecchi das antike Institut der Anagnorisis ein, indem er sie als verlorengegangene Tochter von Albertos verstorbenem Bruder Pagolo ‚wiedererkennen‘ läßt. Alberto gibt daher die Mitgift zu der standesgemäßen Hochzeit, die am Ende zusammen mit der offiziellen Hochzeit von Alessandro und Ginevra stattfindet. Mit Fiamettas Anagnorisis hat Cecchi, wie es scheint, die menandrische Konstellation getroffen, bei dem Ctesipho die ‚wiedererkannte‘ Bacchis heiratete.42 Soweit die äußeren (aus gesellschaftlicher Perspektive resultierenden) Änderungen. Wie steht es mit dem Gehalt? Filippo und Simone, die Hauptpersonen, sind im wesentlichen wie bei Terenz gezeichnet. Vor allem ist ein Kernstück der Adelphoe bewahrt: Micios und Aeschinus’ großartiger Dialog (Ad. IV 5 / Diss. IV 9). Wie Aeschinus (Ad. 707–712) gibt Federigo darauf einen Kommentar, in dem er Filippos Erziehung anerkennt: Di questa qualità vogliono essere i padri. Chi non gli vorebbe bene? Chi vide mai il più bello e il più vero modo di correggere e di fare arrossire i figliuoli di questo? Das ist bei Cecchi wie bei Terenz ‚Menander‘. Auch darin folgt Cecchi den Adelphoe, daß er Simone angesichts seines Mißerfolgs in einem Monolog beschließen läßt, des Bruders Großzügigkeit nachzuahmen: perchè io voglio che Filippo […] conosca che non voglion bene a lui, ma a quella licenzia che dà loro, i’ mi delibero con ogni modo di larghezza di riacquistarmi il populo che m’ha ribellato (Ad. V 4 / Diss. V 2). So verfährt er dann, nicht gar so boshaft wie Demea (Filippo bleibt erspart, wider Willen verheiratet zu werden), doch konsequent. Filippo nimmt es gelassen. Ein beträchtlicher Unterschied zu Terenz besteht darin, daß Filippo nicht persönlich widerlegt wird, sondern Simone einen allgemeinen Grund für sein Verhalten angibt. Auf Filippos Frage I’ ti vo’ dire il vero, Simone; con tanta tua nuova liberalità i’ non so se tu di’ da vero gibt Simone das Schlußstatement: Da vero, dich’ io; perchè, Filippo, o g g id ì b i so g n a fa r co sì, chi vuol esser ben voluto. Da die Komödie während des Karnevals 1548 aufgeführt wurde, scheint Cecchi ei-
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mentare l’interesse, nell’insieme porta la confusione e l’oscurità dov’era la chiarezza e l’ordine.» 42 B VII 1 (S. 75–76).
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nen karnevalesken Schluß ersonnen zu haben,43 der nicht so sehr Filippo als vielmehr die Gesellschaft porträtiert.44 Frankreich Terenz hinterläßt zahlreiche Spuren im Mittelalter45 und in der beginnenden Neuzeit.46 Wahrscheinlich zwischen September 1500 und Anfang 1503 erscheint die erste französische Übersetzung, ‹Therence en francois›, in Paris,47 nachdem Grüninger in Straßburg 1496 den lateinischen Text verlegt hat. Danach nimmt die Terenz-Kenntnis zu. Die Komödiendichter nutzen im 16. und 17. Jahrhundert den alten Römer als Quelle der Inspiration.48 Pierre de Larivey (∼ 1540-1619) veröffentlicht 1579 und 1611 neun Komödien. Im allgemeinen begnügt er sich, selbst italienischer Abstammung, italienische Komödien frei zu übersetzen und die Handlung nach Frankreich zu verlegen. Dementsprechend sind Les Esprits (erschienen 1579) die Bearbeitung der schon besprochenen Aridosia von Lorenzino de’ Medici (1536), in der Micio und Demea wieder auferstehen.49 Wenn die Aridosia auch durchgehend in das Pariser Ambiente verlegt ist, wird die Handlung im großen und ganzen getreu übernommen. Durch das Weglassen einiger Personen und Szenen ist Larivey um eine gewisse Straffung bemüht. Dabei ist auch eine Reihe religiöser Freizügigkeiten und sexueller Derbheiten übergangen. Sie sind wohl dem Pariser Publikum nicht in denselbem Maß wie dem italienischen zuzumuten. Die Adelphoe schimmern immer wieder durch.50 Eine Besprechung des sekundären Stücks51 erübrigt sich. Aber es ist wichtig, daß es auf Molières Avare einwirkt. ___________________________
43 Komödien der italienischen Renaissance wurden oft im Rahmen des Karnevals gespielt. “Even an absolutist government like that of Cosimo recognized the socially therapeutic value of carnival season as a moment of general license for normally conservative and obedient citizens to rebel against the severity of everyday life under the protective disguise of ridiculous masks” (Radcliff-Umstead 1986, 26). Auch die Abwertungen der die Autorität verkörpernden Senes in der römischen Komödie bieten saturnalische Verhältnisse, deren Lizenzen denen des Karnevals vergleichbar sind (Lefèvre 1988, 32–46). 44 Daher dürfte die Ansicht von Radcliff-Umstead 1986, 70 unzutreffend sein, bei Cecchi scheiterten sowohl Simone als auch Filipppo mit ihren Erziehungsprinzipen und Alberto verkörpere “that golden middle way that the author holds up for his audience to emulate.” Alberto hat eher, wie dargelegt, eine ‚technische‘ als eine ideelle Funktion. (Man denkt an Diderots Wort, man wünsche bei Terenz fast einen dritten Vater, der die Mitte verkörpere, aber eben nur: fast / presque, worauf Lessing konterte: Ich verbitte mir ihn sehr, diesen dritten Vater (unten S. 25). 45 Lintilhac 1906, 273–274; Lawton 1926, 23–47. 46 Delcourt 1934, 7–21; Lazard 1987, VII–XIV. 47 Lawton 1926, 352; Bardon 1975, 235. 48 Lawton 1972, 68–184. 49 Oben S. 18–19. 50 Lawton 1972, 208–210.
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Jean-Baptiste Poquelin Molière (1622–1673) dichtet die wohl bekannteste Komödie nach den Adelphoe: L’École des maris (1661). In ihr haben zwei Brüder, der ältere Ariste (Micio) und der jüngere Sganarelle, zwei Schwestern als Mündel angenommen, der mild und verständnisvoll erziehende Ariste die ältere, Léonor, der streng und verständnislos erziehende Sganarelle die jüngere, Isabelle. Sie beabsichtigen, die Schwestern zu heiraten. Nur mit einer raffinierten Intrige gelingt es Isabelle, den Vormund auszubooten und ihren Geliebten Valère zu heiraten, während Léonor Ariste zugeneigt ist. Bei der Durchführung der Intrige wird Ariste zeitweise bloßgestellt, weil es scheint, daß Léonor ihn betrogen hat. Wie man sieht, klingt das Schema der Adelphoe deutlich durch, zumal die Handlung einen Tag umfaßt und das Geschehen vor den Häusern auf der Straße spielt. Alles ist jedoch gemildert, es gibt keine Hetäre, keinen Kuppler, keine Geburt während der Handlung52 – dafür selbständig handelnde junge Frauen, wie sie der Nea weitgehend fremd sind. Molière weicht von Terenz in einem charakteristischen Punkt ab, indem er Sganarelle nicht ein hämisches Spiel gegen den Bruder inszenieren läßt und dementsprechend Ariste nicht dem Spott preisgibt.53 „Ariste hat die Schule des Lebens durchgemacht, Sganarelle muß in der ‚Schule der Ehemänner‘ lernen.“54 Molière nähert sich unbewußt Menander an. Das Schickliche, könnte man sagen, ist Menander und Molière eigen. Der Franzose macht nicht einen Schritt zurück nach Rom, sondern zwei zurück nach Athen. Es waren Schritte nach vorn. Das zeigt Voltaires Urteil.55 Einige Vertreter der literarischen Kritik mögen am Ende stehen. Ihre Namen haben in der Terenz-Erklärung noch immer einen guten Klang. Anne Dacier (1654–1720), Editorin und Kommentatorin antiker Texte, in der ‹Querelle des ançiens et des modernes› auf seiten der Vertreter der alten Literatur stehend, verdient wegen der bedeutenden Terenz-Ausgabe von 1688 Erwähnung. Die ‹préface›, die Terenz gegen Plautus abwägt, ist als Einführung noch heute lesenswert. Am Ende des Kommentars zu den Adelphoe nimmt Dacier zu der Frage Stellung, wie Micio und Demea zu deuten seien:56 ___________________________
51 Freeman 1987, 24–39 bemüht sich, die ‹originalité› herauszustellen. 52 Nur der Schluß mit dem ‚Blancoehekontrakt‘ ist „ein Ausflug in das Land der Commedia dell’arte“ (Wolff 1910, 244). 53 «Sage en action, Ariste combat l’absurdité de son frère, l’avertit de son mieux, et garde lui-même une bienveillance éclairée, compréhensive» (Jasinski 1969, 78). 54 Wolff 1910, 240. 55 Natürlich hatte Molière Vorgänger: Wolff 1910, 235; Michaut 1923, 119–120; Jasinski 1969, 76. Wichtig ist, daß Antonio Hurtado de Mendoza in der Komödie El marido hace mujer y el trato muda costumbre (1643) statt der Erziehung zweier junger Brüder die Erziehung zweier junger Schwestern gestaltet. Wolff 1910, 244 resumiert: „Zwar die Bausteine stammen von fremder Hand […], aber das Material ist derartig verarbeitet, daß es ganz in Molières geistiges Eigentum übergegangen ist und einen durchaus französischen und modernen Charakter trägt.“ 56 (1688) 1706, 473 (zu 889–996).
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Voila Demea qui revient à son caractere, & Terence a fort bien conduit cela, pour faire voire que s’il s’étoit si fort radouci contre son naturel, il ne l’avoit fait que pour faire connoître à son frere que la complaisance aveugle qu’il avoit pour ses enfens, étoit la seule cause de l’amour qu’ils avoient pour lui, & qu’il n’est pas difficile d’en être aimé, quand on veut s’éloigner en leur faveur des regles de la morale & de la veritable honnêteté. Les caracteres opposez de ces deux freres, & les inconveniens qui en arrivent, montrent parfaitement aux peres le milieu qu’ils doivent tenir pour l’éducation de leurs enfans, entre la trop grande severité de l’un, & la trop grande douceur de l’autre. C’est le parti que prend enfin Demea, en prenant chez lui cette chanteuse dont son fils étoit amoureux. Cette complaisance que nous trouverions aujourd’hui fort criminelle, n’avoit rien condamnable chez les Romains, qui n’étoient pas assez éclairez pour connoître le défaut.
Das ist die goldene Mitte in Gestalt des ‚dritten‘ Vaters, gegen den sich Lessing so verwahrt57 und der in der Folgezeit immer wieder auftaucht.58 Charles de Montesquieu (1689–1755) ist Terenz vertraut. Neben anderen Stücken zitiert er öfter die Adelphoe.59 Voltaire (1694–1778) publiziert 1739 die Vie de Molière avec de petits sommaires de ses pièces, in der er auf das Verhältnis von Molières École des maris zu den Adelphoe eingeht:60 On a dit que L’École des maris était une copie des Adelphes de Térence; si cela était, Molière eût plus mérité l’éloge d’avoir fait passer en France le bon goût de l’ancienne Rome que le reproche d’avoir dérobé sa pièce. Mais Les Adelphes ont fournit tout au plus l’idée de L’École des maris. Il y a dans Les Adelphes deux viellards de différente humeur, qui donnent chacun une éducation différente aux enfants qu’ils élèvent; il y a de même dans L’École de maris deux tuteurs, dont l’un est sévère et l’autre indulgent: voilà toute la ressemblance. Il n’y a presque point d’intrigue dans Les Adelphes; celle de L’École des maris est fine, intéressante, et comique. Une des femmes de la pièce de Térence, qui devrait faire le personnage le plus intéressante, ne paraît sur le théâtre que pour accoucher. L’Isabelle de Molière occupe presque toujours la scène avec esprit et avec grâce, et mêle quelquefois de la bienséance, même dans les tours qu’elle joue à son tuteur. Le dénouement des Adelphes n’a nulle vraisemblance: il n’est point dans la nature qu’un vieillard qui a été soixante ans chagrin, sévère, et avare, devienne tout à coup gai, complaisant et libéral. Le dénouement de L’École des maris est le meilleur de toutes les pièces de Molière. Il est vraisemblable, naturel, tiré du fond de l’intrigue; et, ce qui vaut bien autant, il est extrêmement comique. Le style de Térence est pur, sentencieux, mais un peu froid, comme César, qui excellait en tout, le lui a reproché. Celui de Molière, dans cette pièce, est plus châtié que dans les autres. L’auteur français égale ___________________________
57 Dazu unten S. 25. 58 Daciers Urteil über Micio kommt auch zu 945 zum Ausdruck: «Il paroît ridicule que Terence fasse consentir ainsi Micion à se marier à soixante & cinq ans, & l’on ne peut pas dire que cela ne soit au moins fort outré. Mais ce Poëte a voulu faire voir par là le defaut de ces bontez sotes & excessives, elles portent toûjours ceux qui les ont à faire des sottises dont il faut qu’ils se repentent nécessairement» ([1688] 1706, 460–461). 59 Lawton 1972, 195–204. 60 (1739) 1992, 34–35.
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Besonders der Satz, daß Demeas Umschlag gegen die vraisemblance verstoße, ist oft zitiert worden. Lessing war mit ihm unzufrieden.61 Denis Diderot (1713–1784), Schriftsteller und Philosoph, beschäftigt sich in drei Werken mit Terenz: Entretiens sur le fils naturel (1757), Discours de la poésie dramatique (1758) und Sur Térence (1757–1758, erschienen 1765).62 «Diderot connaissait parfaitement son Térence.» Bekannt sind die Ausführungen zu Andria,63 Hecyra,64 Heautontimorumenos65 und Adelphoe.66 Lessing setzt sich in der Hamburgischen Dramaturgie mit den Bemerkungen zu Heautontimorumenos (87. und 88. Stück)67 und Adelphoe (86. Stück)68 auseinander. Oft zitiert ist das Urteil über Demea und Micio in den Discours de la poésie dramatique, das das (auf Terenz zurückgehende) Unnatürliche der Schlußszenen klar herausstellt:69 Ouvrez les Adelphes de Térence, vous y verrez deux pères contrastés, et tous les deux avec la même force; et défiez le critique le plus délié de vous dire, de Micion ou de Deméa, qui est le personnage principal? S’il ose prononcer avant la dernière scène, il trouvera, à son étonnement, que celui qu’il a pris pendant cinq actes pour un homme sensé, n’est qu’un fou; et que celui qu’il a pris pour un fou, pourrait bien être l’homme sensé. 70 que l’auteur, embarOn dirait, au commencement du cinqième acte de ce drame, rassé du contraste qu’il avait établi, a été contraint d’abandonner son but, et de renver___________________________
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Unten S. 32–33. Bauer 1969, 117. Das folgende Zitat: 119. Bauer 1969, 130–134; Lefèvre 2008, 33–34. Bauer 1969, 123–129; Lefèvre 1999 (1), 20–21. Bauer 1969, 129–130; Lefèvre 1994, 21. Bauer 1969, 132; Lefèvre 1978 (2), 34. Lefèvre 1994, 21–22. Rieth 1964, 7; Lefèvre 1978 (2), 34–35. Diderot 1875, 350–351. Lessing übersetzt den Text im 86. Stück der Hamburgischen Dramaturgie: ‚Die zwei kontrastierten Väter darin sind mit so gleicher Stärke gezeichnet, daß man dem feinsten Kunstrichter Trotz bieten kann, die Hauptperson zu nennen; ob es Micio oder ob es Demea sein soll? Fällt er sein Urteil vor dem letzten Auftritte, so dürfte er leicht mit Erstaunen wahrnehmen, daß der, den er ganzer fünf Aufzüge hindurch für einen verständigen Mann gehalten hat, nichts als ein Narr ist, und daß der, den er für einen Narren gehalten hat, wohl gar der verständige Mann sein könnte. Man sollte zu Anfange des fünften Aufzuges dieses Dramas fast sagen, der Verfasser sei durch den beschwerlichen Kontrast gezwungen worden, seinen Zweck fahren zu lassen und das ganze Interesse des Stückes umzukehren. Was ist aber daraus geworden? Dieses, daß man gar nicht mehr weiß, für wen man sich interessieren soll. Vom Anfange her ist man für den Micio gegen den Demea gewesen, und am Ende ist man für keinen von beiden. Beinahe sollte man einen dritten Vater verlangen, der das Mittel zwischen diesen beiden Personen hielte und zeigte, worin sie beide fehlten.‘ 70 Diderot benutzt eine Edition mit anderer Zählung als heute üblich. So entspricht in der Ausgabe von Dacier (1688) 1706 V 2 der modernen Zählung V 4.
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ser l’intérêt de sa pièce. Mais qu’est-il arrivé? C’est qu’on ne sait plus à qui s’intéresser; et qu’après avoir été pour Micion contre Deméa, on finit sans savoir pour qui l’on est. On désirerait presque un troisième père qui tînt le milieu entre ces deux personnages, et qui en fît connaître le vice.
Lessing kommentiert lapidar: Nicht ich! Ich verbitte mir ihn sehr, diesen dritten Vater. Man darf Voltaires und Diderots Ausführungen als die ersten bedeutenden Beiträge der philologisch-analytischen Forschung zu den Adelphoe in der Neuzeit bezeichnen. Sie haben Lessing ermöglicht, den eingeschlagenen Weg weiterzubeschreiten. England Nachdem Terenz im Mittelalter «conosciuto e studiato» war,71 werden seine und Plautus’ Komödien im 16. Jahrhundert aufgeführt; sie haben eine ‘relative popularity’. So gibt es in Cambridge 1548–1583 drei Inszenierungen der Adelphoe.72 Dieses Stück erfährt in England eine besondere Rezeption. Micios und Demeas unterschiedliche Erziehungsprinzipien reizen immer wieder zu Variationen des Grundmusters, wobei es zuweilen schwierig ist festzustellen, in welchem Maß die Dichter direkt von dem lateinischen Text ausgehen. George Chapman (1559 / 1560–1634), übersetzt Homer, dichtet Tragödien historischen Inhalts und Komödien, die zu den unterhaltendsten der Zeit zählen.73 All Fools (1599) ist das ‘comic masterpiece’.74 Chapman gestaltet weite Strecken der Haupthandlung nach dem Heautontimorumenos und bereichert sie durch Themen aus den Adelphoe.75 Durch die Kontamination „schafft er ein Drama, das neben Shakespeares Comedy of Errors (nach Plautus’ Menaechmi) die am besten gelungene englische Bearbeitung einer antiken Vorlage darstellt.“76 Den Mustern entsprechend sind hinter Marc Antonio Menedemus und Micio, hinter Gostanzo Chremes und Demea zu sehen. Marc Antonio erzieht die Söhne Fortunio und Rinaldo liberal, sein Nachbar Gostanzo den Sohn Valerio und die Tochter Bellanora streng. Der Umstand, daß Valerio heimlich Gratiana geheiratet hat, läßt ein Urteil über Gostanzos Erziehungsmethode zu. Die lebhafte Komödie ist reich an interessanten Betrugsmanövern und Selbsttäuschungen. „Im Laufe der Handlung kommt – wie der Titel All Fools andeutet – an alle Beteiligten einmal die Reihe, sich hinters Licht führen zu lassen“.77 Denn es ist das Thema des Stücks, daß all e fools sind – auch die Zuschauer. So schließt der Epilogue im ___________________________
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Pacetto 1918, 41–42. Hosley 1966, 131. Schirmer / Esch 1977, 115. Manley 1968, IX. Manley gibt eine vorzügliche Einführung in das Stück. Manley 1968, XI Anm. 6. Rolle 1973, 245. Rolle 1973, 245–246.
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A. Erster Teil: Rezeption
Namen des Dichters und der Schauspieler, indem er das Gebotene den Gaben der Köche vergleicht, mit einem prächtigen Aprosdoketon: We can but bring you meat, and set you stools, And to our best cheer say, you all are – welcome.
Der Freund der Adelphoe nimmt zur Kenntnis, daß „Ausgang und ‚Moral‘ […] zu Lasten Gostanzos (gehen), der mit seiner Strenge das Gegenteil von dem erreicht hat, was er wollte, und sich mit der Gattenwahl seiner Kinder abfinden muß.“78 Dagegen ist Terenz’ satirische Abwertung der Erziehungsmethoden der Väter Chremes (Heautontimorumenos) und Micio (Adelphoe) ‚rückgängig‘ gemacht. Chapman geht bereits an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert einen Schritt zurück zu dem noch unbekannten Menander. John Fletcher (1579–1625) verfaßt Tragödien, Komödien und Tragikomödien, die meisten zusammen mit Francis Beaumont (∼ 1584–1616).79 Während Norwood The Scornful Lady (1616) mit den Adelphoe in Zusammenhang bringt80 und Ward urteilt, daß “the general basis of its action is that of an undying exemplar, the Adelphi of Terence”,81 konstatiert Swaen nüchterner, daß “most certainly the basis of this play has no connexion with the Adelphi.”82 Thomas Shadwell (1642–1692), Hauptvertreter der Humours- und Intrigenkomödie,83 folgt in The Squire of Alsatia (1688) über weite Strecken den Adelphoe. In diesem wie in anderen Stücken liegt starkes Gewicht „auf der Bloßstellung der Narreteien seiner komischen Figuren“.84 Die Art, wie er die Vorlage verändert, ist für das 17. Jahrhundert bezeichnend. The Squire of Alsatia handelt wie die Adelphoe von der richtigen Erziehung. Sir Edward Belfond bringt wie Micio dem von ihm adoptierten Sohn seines Bruders Sir William Belfond, Ned, in der Stadt Vertrauen und Liberalität, William seinem Sohn Tim auf dem Land Mißtrauen und Strenge entgegen. Um dieses Gerüst ist eine personen- und episodenreiche, zuweilen wuchernde Handlung gewoben, die sich weit von Terenz entfernt. Worauf es hier ankommt, ist der Schluß, an dem Shadwell den beiden unterschiedlichen Erziehungsmethoden eine andere Wertung zuteil werden läßt als der römische Dichter.85 Sie werden in der letzten Szene des ersten Akts bei der Begegnung von Sir Edward und Sir William nach dem Muster von Ad. I 1 / 2 ___________________________
78 Rolle 1973, 246. 79 Schirmer / Esch 1977, 113–114. 80 “The similarity is not strong, but there are two contrasted brothers. Morecraft’s change of heart (V. i) reads for a few lines like Demea’s, but no motive is assigned for it” (1932, 182). 81 1899, 669 (Swaen 1944, 74). 82 Swaen 1944, 74. 83 Schirmer / Esch 1977, 154. 84 Kluge 1973, 298. 85 Swaen 1944, 74 hat den Einfluß von Molières École des maris (oben S. 22) erwogen.
I. Das Urteil der Dichter
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– teilweise mit wörtlichen Zitaten – vorgestellt.86 Im fünften Akt kommt es zu dem entscheidenden Gespräch, in dem Demeas Monolog V 4 und seine Dialoge mit Micio IV 7 / V 3 eine kunstvolle Verbindung eingehen. William erkennt Edwards erfolgreiche Erziehung an und wirbt um ihn als wahren Freund: Sir William: That I should live to this unhappy age! to see the fruit of all my hopes thus blasted. How long, like chemists, have I watched and toiled? and in the minute when I expected to have seen protection, all is blown up in fumo. (Enter Sir Edward.) Brother! I am ashamed to look on you, my disappointment is so great. Oh, this most wicked recreant! this perverse and infamous son! Sir Edward. Brother, a wise man is never disappointed. Man’s life is like a game at tables; if at any time the cast you most shall need does not come up, let that which comes instead of it be mended by your play.87 Sir William. How different have been our fates! I left the pleasures of the town to marry, which was no small bondage; had children, which brought more care upon me. For their sakes I lived a rustic, painful, hard, severe, and melancholy life: morose, inhospitable, sparing even necessaries; tenacious, even to griping, for their good. My neighbours shunned me, my friends neglected me, my children hate me, and wish my death. Nay, this wicked son, in whom I have set up my rest, and principally for whose good I thus had lived, has now defeated all my hopes. Sir Edward. ’Twas your own choice; you would not learn from others. Sir William. You have lived ever at ease, indulged all pleasures, and melted down your time in daily feasts and in continual revels: gentle, complaisant, affable, and liberal, and at great expense. The world speaks well of you; mankind embraces you; your son loves you, and wishes your life as much as he can do his own. But I’ll perplex myself no more; I look upon this rascal as an excrement, a wen, or gangrened limb lopped of. Sir Edward. Rather look on him as a dislocated one, and get him set again. By this time, you see, severity will do nothing. Entice him back to you by love; in short, give him liberty and a good allowance. There now remains no other way to reclaim him; for like a stone-horse broke in among the mares, no fence hereafter will contain him. Sir William. Brother, I look upon you as a true friend, that would not insult upon my folly and presumption, and confess you are nearer to the right than I. Your son, I hope, will be a comfort to me. Sir Edward. I doubt it not; but consider, if you do not reconcile yourself and reclaim yours, as I tell you, you lop off the paternal estates, which is all entailed for ever upon your family: for, in the course he is, the reversion will be gone in your lifetime.
Was bei Chapman angedeutet war, ist hier – der Zeit gemäß – vollendet. Shadwell hat mit Edward Micio so verstanden, wie ihn Menander konzipiert hatte. Er spricht das Schlußwort: Severity spoils ten, for one it mends: If you’d not have your sons desire your ends, By gentleness and bounty make those sons your friends. ___________________________
86 Duckworth 1952, 428. 87 Hier ist das berühmte (sicher auf Menander zurückgehende) Würfelgleichnis aufgenommen, das Micio gegenüber Demea gebraucht (Ad. 739–741): D I 2 b (S. 135).
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A. Erster Teil: Rezeption
Die terenzische Satire hätte die Zuschauer des 17. Jahrhunderts befremdet. Interessant ist, daß Demeas Häme keinen Anklang mehr findet und sich in der etwas komplizierten Handlung schließlich auch Ned bewährt (während sich Aeschinus auf Demeas Seite schlägt). Die Zeiten haben sich gewandelt. Henry Fielding (1707–1754) dichtet, bevor er zum Roman findet, etwa 30 Komödien, Farcen und Burlesken.88 In den nachgelassenen The Fathers or The Good-Natured Man nimmt er die Adelphoe auf. Norwood faßt den Inhalt unter Bezug auf Terenz bündig zusammen: “A good deal about competing systems of discipline. Boncour (= Micio) triumphs and Valence (= Demea) is utterly undone. But Boncour accepts his brother’s advice and by greater firmness brings his wife to order.”89 Old Valence steht am Schluß wie ein begossener Pudel da. Das letzte Wort, bevor er die Bühne verläßt, lautet: What, am I mocked, scoffed? Ah! zounds! I shall run mad. Sir George Boncour ist der ‘good-natured man’, dessen Prinzipien sich letztlich durchsetzen, nachdem auch er mit seiner Umgebung Schwierigkeiten hatte. Während bei Terenz Aeschinus für Demea Partei ergreift und damit Micio bloßstellt, spricht bei Fielding am Schluß der Sohn, Young Boncour, zum Vater:90 Sir, I know that professions, on such occasions, often pass only for words of course; but you will see, by a total reformation of my past conduct, that the whole study of my life hereafter shall be to please so generous an uncle, and so good a father.
Hier klingt der menandrische Aeschinus durch, der sich aufgrund der Güte des Vaters mit vollem Bewußtsein vorsehen will, ihm nicht etwa aus Versehen zuwiderzuhandeln (Ad. 711–712). Auch Fielding nähert sich wie Chapman und Shadwell unbewußt dem großen Griechen. George Colman d. Ä. (1732–1794), Verfasser bühnenwirksamer, oft parodistischer Komödien, übersetzt 1765 Terenz91 – “faithfully […] in spirited blank verse”.92 Im Advertisement zu The Jealous Wife (1761) sagt Colman, er habe sich auf Fielding’s admirable novel of Tom Jones gestützt, und fährt wenig später fort: the short scene of Charles’s intoxication, at the end of the third act, is partly an imitation of the behaviour of Syrus, much in the same circumstances, in the Adelphi of Terence. There are also some traces of the character of the Jealous Wife.93 Etwas unvollständig stellt Swaen fest, er könne nichts entdecken, was ihn an Terenz erinnere “except the contrast between the husband of the jealous lady and his brother, Major Oakley, a bachelor.” Richard Cumberland (1732–1811) ist Vertreter der Sentimental Comedy – „überall siegt die Tugend, die oft mehr im rauhen Pflanzerleben zu Hause ist als ___________________________
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Zaic 1973, 337. 1932, 182. Zitiert nach der Ausgabe von 1902. Eingehend: Immer 1980. Swaen 1944, 84. Dort auch das folgende Zitat. 1777, B 1 r.
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in bildungsstolzen städtischen Kreisen“, was „nicht ohne Versüßung der Wirklichkeit“ abgeht.94 The Choleric Man (1774) ruft die Personenkonstellation der Adelphoe mit den beiden älteren und den beiden jüngeren Brüdern ins Gedächtnis. Den Vorwurf, er habe Shadwells Squire of Alsatia plagiiert, weist Cumberland in der Dedication scharf zurück: Er habe ihn nicht gekannt. Andererseits betont er that the plot of Terence was never in my contemplation. Aber das Grundmuster der Adelphoe war ihm wohlvertraut, wie er im Prolog erklärt:95 Micio’s wild virtue, and mad Demea’s rage, With bursts alternate shook the echoing stage; And from these models ’tis your poet draws His best, his only hope of your applause. A tale it is to chace that angry spleen, Which forms the mirth and moral of his scene; A tale for noble and ignoble ear, Something for fathers and for sons to hear.
Cumberlands Angaben sind nicht per se widersprüchlich.96 Denn natürlich war Terenz’ Darstellung der beiden ausgeprägten Charaktere Micios und Demeas und ihre unterschiedlichen Erziehungsmethoden längst Allgemeingut geworden. Man ließ sich von ihnen anregen, ohne auch der Handlung (Cumberland: dem plot) der Adelphoe genauer zu folgen oder mit ihr in Konkurrenz zu treten. Es verdient Beachtung, daß Cumberland im Gegensatz zu Terenz am Ende Manlove Nightshade (Micio) nicht Andrew Nightshade97 (Demea) ‚unterliegen‘ läßt. In diesem wichtigen Punkt gestaltet er wie Shadwell, nicht (wenn wir ihm glauben) nach Shadwell. Nichts anderes entspräche einer sentimental comedy. Sie steht in diesem Punkt Menander näher als Terenz’ satirischer Welt.98 Im Rückblick auf die Adelphoe-Rezeption bei Shadwell, Colman und Cumberland faßt Swaen deren Verfahren treffend zusammen: “The debt these three author’s owe to Terence is in the case of Shadwell, Colman99 and Cumberland that they took from him the idea of introducing into their plays two brothers of opposite characters, and in the case of Shadwell and Cumberland that they also borrowed from the Adelphi the effects of severity and indulgence, of an education in the country or in the town. The development, however, is entirely different ___________________________
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Schirmer / Esch 1977, 186. Zitiert nach der Ausgabe London 1775. Swaen 1944, 84. Er ist der Titelheld, dessen rage gegenüber Demea gesteigert ist. In ihrer ausführlichen Quellenuntersuchung zum Choleric Man kommt Heck 1912, 196–197 zu dem Résumé, es sei “conclusively proved that Cumberland made use not only of the ‘Adelphoe’ in writing his comedy of ‘The Choleric Man’, (a circumstance which he himself acknowledges), but also of Shadwell’s ‘Squire of Alsatia’, a fact which he denies. It is also extremely probable, as demonstrated from the internal evidence, that Fielding’s ‘Good-natured-Man’ was also put under contribution by him”. 99 Bezüglich Colmans ist die Feststellung einzuschränken: oben S. 28.
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A. Erster Teil: Rezeption
and nothing in either play answers to Adelphi 985–995.”100 Zu diesen Dichtern darf Fielding gestellt werden. * 1877 urteilt der Romancier George Meredith (1828–1909) in der Lecture On the Idea of Comedy, and of the Uses of the Comic Spirit:101 Without undervaluing other writers of Comedy, I think it may be said that Menander and Molière stand alone specially as comic poets of the feelings and the idea. In each of them there is a conception of the Comic that refines even to pain, as in the Menedemus of the Heautontimorumenos, and in The Misanthrope. Menander and Molière have given the principal types to Comedy hitherto. The Micio and Demea of the Adelphi, with their opposing views of the proper management of youth, are still alive; the Sganarelles and Arnolphes of the École des Maris and the École des Femmes, are not buried. Tartuffe is the father of the hypocrites; Orgon, of the dupes; Thraso, of the braggadocios; Alceste of the ‘Manlys’; Davus and Syrus of the intriguing valets, the Scapins and the Figaros. […] The reason is, that these two poets idealized upon life: the foundation of their types is real and in the quick, but they painted with spiritual strength, which is the solid in Art.
Meredith konnte nicht wissen, daß vieles, was er als menandrisch pries, terenzisch war. Deutschland Terenz ist in der Humanistenzeit ein beliebter Autor, der nicht nur öfter übersetzt und häufig in der Schule gelesen wird, sondern auch in dichterischen Nachgestaltungen weiterlebt.102 1486 erscheint in Ulm eine – vielfach in der Nachfolge Donats – kommentierte Prosaübersetzung des Eunuchus, die Hans Neithart († 1490), wohl 1478 und 1489 Bürgermeister der Stadt, zugeschrieben wird. Sie ist ein Zeugnis des schwäbischen Humanismus: Der Besucher des Ulmer Münsters kann noch heute in dem von Jörg Syrlin d. Ä. 1468-1474 gearbeiteten Chorgestühl an einer Wange die Michael Erhart zugeschriebene Büste des römischen Dichters bewundern,103 unter der Micios Spruch lehrt, es gebe nichts Ungerechteres als einen (lebens)unerfahrenen Menschen, der nur das, was er selbst tut, für richtig hält, homine imperito numquam quicquam iniustiust | qui nisi quod ipse fecit nil rectum putat (Ad. 98–99). Die moralische Auslegung ist verbreitet. Philipp Melanchthon (1497–1560) ist ein Exponent, der seine Prinzipien selbst darlegt.104 Wie er die Adelphoe verstanden wissen will, wird aus den Argumenta zu V 4 (Demea) und V 9 (Micio) klar. Zu Demea heißt es: „Demea cum videat ___________________________
100 101 102 103 104
1944, 86. (1877) 1998, 128. Francke 1877; Herrmann 1893, 1–28; Mangold 1911. Lefèvre 2003, 40. Lefèvre 2008, 23–24, 34–35 (mit Literatur).
I. Das Urteil der Dichter
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non probari vulgo severitatem in liberos, diversam institutionis viam meditatur: in qua persona Terentius indicat mitioribus se favere patribus, seculi sui moribus hoc magis concedens, quam quod ita faciundum esse existimet.“105 Im Grund sei Terenz für den ‚strengen‘ Demea gewesen! Micio wird so gesehen: „In cuius persona Terentius nobis ridicula prodigalitatis exempla proponit.“ Man darf annehmen, daß den Schülern allgemein eine so recht ‚altrömische‘ Interpretation als vorbildlich vermittelt wurde. Noch 1717 und 1731 erscheint eine für die Jugend bestimmte Ausgabe eines Anonymus unter dem Pseudonym Emanuel Sincerus106 nach streng pädagogischen Gesichtspunkten. Zu den Adelphoe liest man:107 Wann man aber des Comici eigentliche Absicht betrachtet, so wird man finden, daß er nichts anders sage und vorstelle, als was täglich unter uns Menschen vorgehet, um hierdurch die Tugenden und Laster gleichsam mit lebendigen Farben abzumahlen. Seine Haupt-Absicht ist demnach in dieser Comœdie zu zeigen, was für Fehler in der Kinder-Zucht vorgehen, und wie theils Eltern durch ihre grosse Strengigkeit der Sache zu viel, theils durch Scheltens-würdige Gelindigkeit darinnen zu wenig thun, woraus unfehlbar auf beeden Seiten grosser Schaden und Nachtheil zu erwachsen pfleget.
Micio kommt bei so strengen Maßstäben natürlich besonders schlecht weg: Wir setzen also dieses zum voraus, daß Terentii Zweck und Absehen durchaus nicht seye, junge Leute zu Sünden und Lastern anzuführen oder darinnen zu stärcken, ja sie gleichsam zu privilegiren, als wann sie ohne Scheu, Furcht und Verantwortung thun dörfften, was sie nur gelüstet: Denn er stellet die Fehler der Eltern für, die ihren Kindern zu ihrer Boßheit den Kopff halten, und soviel sichs thun lässet, das Wort reden, deren gewöhnliche Reden Mitio anführet, nicht, als wann solche zu loben, und für gut anzusehen wären, sondern nur derselben Unart desto lebhaffter und nachdrücklicher vorzustellen.
Erst mit der beginnenden Aufklärung setzt ein Wandel ein, das Bemühen um eine unvoreingenommene Erklärung. Karl Franz Romanus (1731–1787), Steuersekretär und späterer Geheimer Kriegsrat, tritt mit Komödien hervor und gibt Voltaires Werke in sechs Bänden heraus (Dresden 1768–1775). Seine Komödie Die Brüder (zuerst 1761 gedruckt) ist eine Nachdichtung der Adelphoe. Sie erscheint zunächst 1761 anonym unter dem bezeichnenden Titel Die Brüder oder die Früchte der Erziehung.108 In der Ausgabe von 1763 nennt Romanus seinen Namen und läßt den Alternativtitel fort. Das […] Stück kann für ein deutsches Original gelten, ob es schon, größten ___________________________
105 1853, 757. Das folgende Zitat: 758. 106 Unter dem Pseudonym Emanuel Sincerus gibt der Theologe Esaias Schneider (1684–1731) Nepos und Curtius Rufus für die Jugend heraus. Anonymi gebrauchten im 18. Jahrhundert dasselbe Pseudonym bei weiteren Ausgaben wie der im Literaturverzeichnis (S. 178) genannte ‚Sincerus‘. Die Angaben bei Lefèvre 2008, 36–37 sind in diesem Sinn zu ergänzen. 107 1731, 402–403. 108 Bohnen 1985, 1033.
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A. Erster Teil: Rezeption
Teils, aus den Brüdern des Terenz genommen ist.109 Wenngleich Lessing mit ihm gar nicht zufrieden war und es heute vergessen ist, verdient es nachdrückliche Beachtung, weil Romanus die terenzische Satire am Ende fortläßt und Micio und Demea in Menanders Sinn gestaltet. Philidor (Micio) spricht das Schlußwort, in dem er sich auf Lysimon (Demea) und Lycast (Ctesipho) bezieht:110 Nun, so kommt ihr Kinder, wir wollen den Abend vollends vergnügt zubringen. Den Tag habe ich ohne Zweifel für höchst glücklich zu schätzen, an welchem ich einen Vater billig, und einen Sohn vernünftig, beyde aber durch gegenseitige Liebe und Zutrauen glücklich und zufrieden gemacht habe.
Auch bei Lysimon, dem alle Häme und insbesondere Demeas Aktion, den Bruder bloßzustellen, genommen sind, überspringt Romanus die römische Satire:111 Je Kinder, schweigt doch! Ihr überhäuft mich ja mit Liebkosungen. Sohn, Bruder, Vetter, Diener, alles schmeichelt mir, blos weil ich einmal ein bischen freundlich aussehe. Bin ichs denn, oder bin ichs nicht? ich werde wieder recht jung. Bruder! es ist doch hübsch, wenn man geliebet wird. Ich will auch gewiß so bleiben. Ich wüßte nicht, wenn ich so eine vergnügte Stunde gehabt hätte.
Das war ‚griechisch‘, nicht ‚römisch‘ gedacht. Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) setzt sich in der Hamburgischen Dramaturgie (1767–1769) nicht nur mit Voltaires und Diderots Deutungen der Adelphoe auseinander, sondern auch mit Romanus’ Brüdern, die er 1767 in Hamburg sieht. Alle drei Autoren nimmt er (in nicht zusammenhängender Interpretation) im 70.–73., 86. und 96–100. Stück zum Anlaß, eine eigene Deutung der Adelphoe vorzutragen. Natürlich interessiert auch ihn Micios und Demeas Verhalten im fünften Akt. Es war schon darauf hinzuweisen, daß Lessing Diderots Urteil zurückweist, Micio und Demea seien so unbefriedigend gezeichnet, daß man beinahe einen dritten Vater verlangen sollte, der das Mittel halte und zeige, worin sie beide fehlen.112 Ebenso hart geht Lessing mit Voltaires Kritik113 an Demeas Entwicklung ins Gericht. Hierbei kommt er zu einer noch heute gültigen Erkenntnis:114 Der eigentliche und grobe Fehler, den der Herr von Voltaire macht, betrifft die Entwicklung und den Charakter des Demea. Demea ist der mürrische strenge Vater, und dieser soll seinen Charakter auf einmal völlig verändern. Das ist, mit Erlaubnis des Herrn von Voltaire, nicht wahr. Demea behauptet seinen Charakter bis ans Ende. Donatus sagt: Servatur autem per totam fabulam mitis Micio, saevus Demea, Leno avarus u. s. w. Was geht mich Donatus an? dürfte der Herr von Voltaire sagen. Nach Belieben; wenn wir Deutsche nur glauben dürfen, daß Donatus den Terenz fleißiger gelesen und ___________________________
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Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 70. Stück. V 9 (1763, 120). V 8 (1763, 117). 86. Stück (oben S. 25). Oben S. 23–24. 71. Stück (die Donat-Zitate werden ad hoc kursiv gegeben).
I. Das Urteil der Dichter
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besser verstanden, als Voltaire. Doch es ist ja von keinem verlornen Stücke die Rede; es ist noch da; man lese selbst. […] In der […] vierten Szene des fünften Akts, wo Demea allein ist, scheint es zwar, wenn man seine Worte nur so obenhin nimmt, als ob er völlig von seiner alten Denkungsart abgehen, und nach den Grundsätzen des Micio zu handeln anfangen wolle.115 Doch die Folge zeigt es, daß man alles das nur von dem heutigen Zwange, den er sich antun soll, verstehen muß. Denn auch diesen Zwang weiß er hernach so zu nutzen, daß er zu der förmlichsten hämischsten Verspottung seines gefälligen Bruders ausschlägt. Er stellt sich lustig, um die andern wahre Ausschweifungen und Tollheiten begehen zu lassen; er macht in dem verbindlichsten Tone die bittersten Vorwürfe; er wird nicht freigebig, sondern er spielt den Verschwender; und wohl zu merken, weder von dem Seinigen, noch in einer andern Absicht, als um alles, was er Verschwenden nennt, lächerlich zu machen. Dieses erhellet unwidersprechlich aus dem, was er dem Micio antwortet, der sich durch den Anschein betriegen läßt, und ihn wirklich verändert glaubt.116 Hic ostendit Terentius, sagt Donatus, magis Demeam simulasse mutatos mores, quam mutavisse. Ich will aber nicht hoffen, daß der Herr von Voltaire meinet, selbst diese Verstellung laufe wider den Charakter des Demea, der vorher nichts als geschmählt und gepoltert habe: denn eine solche Verstellung erfodere mehr Gelassenheit und Kälte, als man dem Demea zutrauen dürfe. Auch hierin ist Terenz ohne Tadel, und er hat alles so vortrefflich motivieret, bei jedem Schritte Natur und Wahrheit so genau beobachtet, bei dem geringsten Übergange so feine Schattierungen in Acht genommen, daß man nicht aufhören kann, ihn zu bewundern.
Das ist gut – und weit der Zeit voraus – beobachtet. Die Erkenntnis, daß in Demea nicht eine gänzliche Veränderung117 vorgeht, sondern er in 877–881 beschließt, sich zu verstellen, um Micio eine Lektion zu erteilen, und in 985b–988 das Manöver bestätigt, ist richtig. Es ist freilich zu bemerken, daß Demea in den Schlußworten 989–995 – wie Knemon im Dyskolos – eine gemäßigtere Haltung für die Zukunft ankündigt.118 An der Darstellung Micios übt Lessing scharfe Kritik, die auch aus der Sicht des 20. Jahrhunderts zutreffend ist,119 wenngleich die Forschung manche Mißdeutungen überwinden mußte:120 Demea, wie schon angemerkt, will im fünften Akte dem Micio eine Lektion nach seiner Art geben. Er stellt sich lustig, um die andern wahre Ausschweifungen und Tollheiten begehen zu lassen; er spielt den Freigebigen, aber nicht aus seinem, sondern aus des Bruders Beutel; er möchte diesen lieber auf einmal ruinieren, um nur das boshafte Vergnügen zu haben, ihm am Ende sagen zu können: ,Nun sieh, was du von deiner Gutherzigkeit hast!‘ Solange der ehrliche Micio nur von seinem Vermögen dabei zusetzt, las___________________________
115 In der Anmerkung Zitat von 859b–860a. 116 In der Anmerkung Zitat von 984–991. Der folgende Donat-Text zu 992. 117 Im 72. Stück findet es Lessing sonderbar, daß auch Herr Romanus den falschen Gedanken des Voltaire gehabt zu haben scheinet. 118 B V 4 (S. 67–70). 119 B V 1–2 (S. 58–65). 120 Hamburgische Dramaturgie, 100. Stück.
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A. Erster Teil: Rezeption sen wir uns den hämischen Spaß ziemlich gefallen. Aber nun kommt es dem Verräter gar ein, den guten Hagestolze mit einem alten verlebten Mütterchen zu verkuppeln. Der bloße Einfall macht uns anfangs zu lachen; wenn wir aber endlich sehen, daß es Ernst damit wird, daß sich Micio wirklich die Schlinge über den Kopf werfen läßt, der er mit einer einzigen ernsthaften Wendung hätte ausweichen können: wahrlich, so wissen wir kaum mehr, auf wen wir ungehaltener sein sollen; ob auf den Demea oder auf den Micio. […]121 ‚Nein‘, sagt die Kritik; ‚das ist zu viel!‘ Der Dichter ist hier mit Recht zu tadeln. Das einzige, was man noch zu seiner Rechtfertigung sagen könnte, wäre dieses, daß er die nachteiligen Folgen einer übermäßigen Gutherzigkeit habe zeigen wollen. Doch Micio hat sich bis dahin so liebenswürdig bewiesen, er hat so viel Verstand, so viele Kenntnis der Welt gezeigt, daß diese seine letzte Ausschweifung wider alle Wahrscheinlichkeit ist und den feinern Zuschauer notwendig beleidigen muß. Wie gesagt also: der Dichter ist hier zu tadeln, auf alle Weise zu tadeln! Aber welcher Dichter? Terenz? oder Menander? oder beide?
Auch darin ist Lessing der Zeit voraus, daß er damit rechnet, Terenz könne in dieser Kardinalfrage von Menander abgewichen sein, was um so mehr Beachtung verdient, als der griechische Dichter eine große Unbekannte war. Als Zw i sch en f azit ist festzustellen: Die Terenz-Kritik bewegt sich im 18. Jahrhundert auf großer Höhe. Voltaire (1739), Diderot (1758) und Lessing (1767–1769) sind erste Gipfel. Mit ihnen hätte auch das Kapitel ‚Das Urteil der Philologen‘122 beginnen können, denn sie waren auch Philologen. Jedenfalls führt B. F. Schmieder (1794) diese Linie geradlinig fort. Friedrich Hildebrand von Einsiedel (1750–1828), Kammerherr der Herzogin Anna Amalia in Weimar, gestaltet in freier Weise den ganzen Terenz nach. Goethe nimmt Einfluß auf die Bearbeitungen und führt Adelphoe, Eunuchus und Heautontimorumenos 1801–1804 am Hoftheater auf. Schiller weist Goethe am 29. Dezember 1795 auf Terenz, besonders auf die Adelphoe, hin. Ich übersetzte meiner Frau die Adelphi aus dem Stegreif, und das große Interesse, das wir daran genommen, läßt mich eine allgemein gute Wirkung erwarten. Gerade dieses Stück hat eine herrliche Wahrheit und Natur, viel Leben im Gange, schnell dezidierte und scharf bestimmte Charaktere und durchaus einen angenehmen Humor.123 In der Weise, wie Einsiedel den Heautontimorumenos strukturell und sprachlich glättet,124 die Hecyra gewissermaßen in ein klassisches Lustspiel zu verwandeln sucht125 und den Eunuchus unter dem Betracht der Wohlanständigkeit in ein deutsches Gewand kleidet,126 verfährt er bei Andria127 und Adel___________________________
121 Es folgt die Übersetzung von 925–945 (Micios Überredung zur Hochzeit), in der Anmerkung wird der Originaltext zitiert. 122 A II (S. 35–50). 123 Zitiert nach Fambach 1968, 63–64. 124 Kes 1988, 130–136; Lefèvre 1994, 24–26. 125 Kes 1988, 140–142; Lefèvre 1999 (1), 25–27. 126 Kes 1988, 119–129; Lefèvre 2003, 32–34. 127 Kes 1988, 136–138; Lefèvre 2008, 37–38.
II. Das Urteil der Philologen
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phoe.128 Wenn er Änderungen vornimmt, liegt „der Grund davon im regen Gefühl des für die moderne Zeit Schicklichen und Ausführbaren“.129 So wird Bacchis zu Ctesiphos Geliebter oder ist Pamphilas Geburt eliminiert. Interessant ist, daß Goethe Micios Person besonders schätzt. So nennt er sich mehrfach im Blick auf August Micio, und dieser unterzeichnet einmal Meines gütigen, liebevollen Micio treuer Aeschinus.130 Das scheint sich auf die Schlußszenen der Brüder auszuwirken, in denen die drastische terenzische Gestaltung durchgängig abgemildert ist. Vor allem wird die Groteske um Micios Verheiratung mit Sostrata (bei der selbst Aeschinus zu einer Lüge greift) gestrichen. Micio sträubt sich nicht so sehr wie bei Terenz, und Demea macht wirklich einen Wandel durch. Es kommt Goethe / Einsiedel weniger darauf an, Micios Betragen zu ändern, als vielmehr darauf, Demea am Schluß geläutert darzustellen: Er läßt Ctesiphos Geliebte frei131 und gestattet die Hochzeit der beiden,132 worauf Micio das versöhnliche Schlußwort spricht (131): DE. Ich laß das Mädchen frey, sie wird sein Weib, Und wohnt bey ihm. MI. Das war ein mildes Wort! Es ging von Herzen.– Ja! Nun trau’ ich dir. Du wirst ein andrer Mann; du bist es schon.– Wir streiten uns nicht mehr. Wir bleiben B rü d er!
Hinsichtlich Micios bewegt sich das Spiel auf Menander zu, hinsichtlich Demeas geht es über ihn hinaus. Man steht in Goethes Zeit der menandrischen Ethik näher als der terenzischen Satire. August Wilhelm Schlegel, der die Weimarer Aufführung sah, sprach von einem ‚wahrhaft attischen Abend‘.133
II. Das Urteil der Philologen Es war schon zu bemerken, daß die Terenz-Kritik gewissermaßen im 18. Jahrhundert mit den philologischen Leistungen von Voltaire (1739), Diderot (1758) ___________________________
128 Francke 1887, 99–107; Rieth 1964, 8–9; Fambach 1968, 59–129; Kes 1988, 107–119. 129 Francke 1887, 99. 130 Grumach 1949, I, 322–333; II, 962; Rieth 1964, 9 Anm. 25. 131 Es wird nicht geklärt, wie sich die Aktion zu der Tatsache verhält, daß Micio das Mädchen dem Kuppler abgekauft hat. (Wahrscheinlich fragt so nur ein Philologe.) 132 Auch die Adelphoi kannten offensichtlich diese Heirat: B VII 1 (S. 75–76). 133 14. Vorlesung über dramatische Kunst und Litteratur (1809). In der Zeitung für die elegante Welt, 136. Stück vom 12. November 1801, macht Schlegel eine treffliche Bemerkung über die Adelphoe: Besonders am Schluß vermißt man eine gewisse Rundung, indem mehrere Figuren gleichsam ohne Sang und Klang verschwinden, und sich zerstreuen, statt daß wir sie in ihren neuen Verhältnissen gruppirt zu sehen wünschen (Spalte 1097, vgl. auch Fambach 1968, 81). Das trifft auf Terenz zu, nicht auf Menander: B V 5 (S. 70).
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A. Erster Teil: Rezeption
und Lessing (1767–1769) beginnt.134 Sie könnten auch am Anfang dieses Kapitels stehen. Im folgenden wird, wie es sich versteht, nur eine repräsentative Auswahl aus der Forschungsliteratur vorgeführt. Insbesondere paradieren nicht alle Stimmen zur Interpretation der Hauptgestalten Micio und Demea, weil die Positionen sich oft nur in Nuancen, wenn überhaupt, unterscheiden.135 1794 erscheint die kommentierte Terenz-Ausgabe von Benjamin Friedrich Schmieder,136 die sein Sohn Friedrich Schmieder 1819 in zweiter Auflage vorlegt.137 Sie bedeutet in der Hauptfrage einen Meilenstein der Forschung. Schmieder behauptet, die Adelphoe hätten nach V 3 geschlossen, und an das ‚drama primarium‘ habe Terenz noch ein lustiges ‚drama secundarium‘ als ‚exodium‘ angehängt. Demea halte den Monolog V 4 als ‚prologus‘, in dem er das Thema ankündige: facilitate nihil homini esse melius neque clementia (~ 861). Terenz verwende dieselben Personen wie vorher und verlängere die Handlung. Schmieder erinnert an die von Livius 7, 2 erwähnten exodia.138 Die These ist genusmäßig nicht beweisbar, aber es ist richtig gesehen, daß mit (dem Ende von) V 4 etwas Neues folgt, was als Ganzes nicht von Menander stammt (sondern nur menandrische Motive verarbeitet bzw. umdreht). 1833 untersucht W. H. Grauert in der Abhandlung ‚Ueber das Contaminiren der Lateinischen Komiker‘ den Einbau der Diphilos-Szene. II 1 sei sicher, II 2 wahrscheinlich nach Diphilos, II 3 nach Menander und II 4 nach Menander und Diphilos gestaltet. Fast alle übrigen Partien seien „nach Menander gearbeitet“.139 1838 diskutiert C. F. Hermann einige philologische Probleme. Am bedeutsamsten sind die Ausführungen über die Verkehrung der Positionen von Micio und Demea. Obwohl er Schmieders These zurückweist, steht er ihm in der Deutung des Geschehens nahe. „Neminem enim fugit, secundum eam tractionem, qua Demea in media fabula a Syro pessimis exemplis ludibrio habetur, longe alium exitum exspectari posse quam eum, quo nunc quasi p ar tib u s m u tati s ad extremum Demea ab omnibus unus laudibus extollitur, Micio nolens atque invitus ___________________________
134 Oben S. 34. 135 Die wichtigen Beiträge der analytischen Forschung über den terenzischen Charakter der Schlußszenen werden z. T. ausführlicher in B V 1 (S. 58–63) nachgezeichnet. 136 Cupaiuolo Nr. 974. 137 Cupaiuolo Nr. 997. 138 „Exodium Terentius dramati suo aptavit. […] Coniungit vero secundarium hoc cum primario dramate ita, ut iisdem utatur personis, eandem historiam continuet. Primas partes dat Demeae, qui in Prologo. Vulgo Act. 5. Sc. 4., thema proponit: facilitate nihil homini esse melius neque clementia, quod scenis quinque probatur, tandem vero ita explicatur: quod te, Micio isti facilem et festivum putant, id non fit ex vera vita, neque adeo ex aequo et bono, sed ex assentando, indulgendo et largiendo“ (zitiert nach F. Schmieder 1819, 388, der selbst gegen die terenzische Herkunft des ‚drama secundarium‘ Donats Nachricht über Micios Heirat im Original einwendet und schließt, daß Terenz von Menander nicht sehr abgewichen sei). Zu den exodia auch B V 2 (S. 65). 139 1833, 134–136.
II. Das Urteil der Philologen
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omnium voluntatibus obtemperare adigitur; qui etsi non eam vim habet, ut eorum quenquam revera moribus suis excidere dicamus, tamen hoc ipsum, quod Demea simulata largitate fratris imbecillitatem deridet et iusta poena afficit, longe intelligentiorem ostendit, quam qualem in colloquiis cum Syro cognoscimus, eademque Micionis causa est, quem quo prudentius Aeschinum filium de stupro Pamphilae illato castigantem videmus, eo magis miramur ne adeo quidem animum suum offirmare posse, ut temerariis illius precibus de matre puellae ducenda negare sustineat; quod si medios fabulae actus sequimur, quos integros transtulisse Terentius videtur, veri simillimum erit Menandrum totam actionem ita instituisse, ut Micionis animus lenis et paternus clarissimis semper luminibus splenderet, Demea autem obiurgator post diuturnam irrisionem stolida sua fiducia excussus postremo ipse manibus pedibusque ad hostilia signa transfugeret eoque pacto argumentum, quod nunc varia et inexspectata vicissitudine quasi fluctuat, simplici atque aequabili filo140 ad finem deduceret.“141 Das war mit unprätentiöser Sicherheit argumentiert – der Zeit weit voraus. 1843 schließt sich W. Ihne Grauerts Ansicht an, daß Terenz außer in den Diphilos-Szenen Menander ‚presse‘ wiedergebe.142 Daraus folgt, daß er sich bemüht, Hermanns innovative Interpretation – ungnädig – zu widerlegen. Aber das Pendel schlug wieder um – zunächst mit halbem Ausschlag. 1853 lastet W. S. Teuffel den als unbefriedigend empfundenen Schluß Menander an. In der Handlung erleide „Demea’s System eine gründliche Niederlage […], wogegen Micio’s Methode triumphirt. Mit diesem Sieg […] sollte man meinen, daß das Stück schließe“. Aber dann unterfange sich Demea, „Micio ad absurdum zu deduciren, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen […]. Indem so auch Demea zu seinem Rechte kommt, genügt das Stück scheinbar einer Forderung der Gerechtigkeit, in Wahrheit aber entrichtet es dem Nihilismus seinen Zoll […]. Das Ergebniß, das wir eben aus dem Stücke ziehen wollten, sehen wir plötzlich wieder in Frage gestellt, und was uns daher schließlich bleibt ist das Gefühlt der Leere, ist – Nichts. […] Eine Schlange, die in dem Augenblicke da ihr der Kopf zertreten wird, den Sieger in die Ferse sticht, daß er selbst auch todt zu Boden sinkt, – das ist, nur ins Tragische übersetzt, der Ausgang der Adelphi.“143 Den tiefen Bruch im fünften Akt hat Teuffel scharfsichtig gesehen. Er hat nicht gesehen, daß er komisch wirken sollte. Es vergingen noch anderthalb Jahrzehnte, bis W. Fielitz – wie schon Schmieder und B. F. Hermann – zwischen Menander und Terenz unterschied. 1868 erscheint die wichtige Arbeit von W. Fielitz, der – deutlicher noch als Hermann – analytisch argumentiert. Behandelt werden der Einbau der DiphilosSzene und vor allem das Bild der Senes im fünften Akt. Fielitz ist es ein „be___________________________
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So wohl statt ‚filio‘ zu lesen. (1838) 1840, 70-71 (Sperrung ad hoc). 1843, 31. 1853, 48–49 = 1889, 360–361.
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dürfnis […] den ruhm der Menandrischen poesie von einem flecken zu säubern, mit dem der ‚dimidiatus Menander‘ den echten verunreinigt“ habe. Mit V 3 sei die Fabel des Stücks zum Abschluß gekommen, Aeschinus’ Heirat habe die Zustimmung beider Väter gefunden, Demea sei besänftigt und werde am folgenden Tag sich früh mit Ctesipho und der psaltria auf das Land zurückziehen, „und wenn nach dem letzten verse Micios: i ergo intro, et quoi rei est, ei rei hunc sumamus diem [855] der cantor mit dem plaudite schlösse, so könnten wir dieser aufforderung im bewusstsein, ein nach composition und zeichnung uns durchaus befriedigendes stück gesehen zu haben, aus voller überzeugung nachkommen. statt dessen werden wir noch einen ganzen act hindurch mit allerlei kleinen und groszen gunstbezeugungen unterhalten, die ganz natürlich mit der heirat und der schlieszlichen allgemeinen aussöhnung zusammenhängen, die aber weit wirksamer der ausmalenden phantasie des zuschauers überlassen blieben und die um so mehr unsere verwunderung erregen, als sie gerade von demjenigen ausgehen, von dem man sie am wenigsten erwartet, von Demea“.144 Auf der anderen Seite wird Micio (in Menanders Sinn) gewürdigt: „Micio, das bild des freien, feinen, urbanen Atheners, ist durchweg der liebling des dichters. seine figur ist mit der gröszten liebe, ja parteilichkeit gezeichnet, seine liberalen ansichten mit der wärmsten überzeugungskraft dem zuschauer dargelegt. […] man lese doch nur die 5e scene des 4n actes, wo Aeschinus, zu einem geständnis gegen seinen vater gezwungen, von diesem mit sanften und doch so ernsten und vorwurfsvollen worten wegen der verheimlichung der sache zurechtgewiesen wird, schlieszlich aber die zustimmung zur heirat erhält und in worte des heiszesten dankes ausbricht! diese scene, das wärmste und auch für uns rührendste, was uns von der Menandrischen poesie übrig ist, kann gar keinen zweifel aufkommen lassen, für wessen lebensanschauung der dichter selbst begeistert ist und andere begeistern will. und von diesem manne sollen wir nun das endurteil mit nach hause nehmen, dasz er nicht geliebt werde ex vera vita neque adeo ex aequo et bono [987]? über so edle humanität soll doch schlieszlich der mürrische philister Demea den sieg davontragen? einen solchen widerspruch gegen seine eignen tendenzen kann sich kein dichter zu schulden kommen lassen, der überhaupt welche hat, am wenigsten ein philosoph wie Menander. […] d er v er f a sser j en es l etzten actes k an n k ein an d er er sei n als Ter e n z sel b st.“145 1887 werden Micio und Demea eindrucksvoll von O. Ribbeck charakterisiert, dessen nichtanalytische Bemerkungen geradezu zwingend die Fielitzschen Schlüsse nahelegen. Er versucht in dem (terenzischen) Saltomortale des Schlusses einen (menandrischen) Sinn zu finden. Die „Heiterkeit des Lustspiels und die ___________________________
144 1868, 677–678 (Sperrung ad hoc). 145 1868, 678–679 (mit dem ‚letzten act‘ ist nach Fleckeisens Teubneriana von 1868 V 4–V 9 gemeint). Weitere wichtige Beobachtungen von Fielitz werden in C I 1 zu den Schlußszenen besprochen. Daß der ‚letzte act‘ etwas ganz Neues, Unmenandrisches bringt, behauptete, wie oben dargelegt, schon B. F. Schmieder 1794.
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poetische Gerechtigkeit“ gestatteten nicht, daß Demea „in dieser bitteren Stimmung, so gedemütigt, verlacht und verlassen bleibe, während die übrigen sich einen guten Tag machen und sich ihres Triumphes erfreuen. […] Zu wünschen wäre immerhin, daß dieser Ausgleich der Gegensätze zum Schluß etwas weniger derb und glaubhafter ausgefallen wäre.“ Der einzige analytische Ansatz betrifft die Micio ‚plötzlich aufgedrungene Ehe‘, die etwas ‚Anstößiges‘ behalte. „Es ist aber sehr zweifelhaft, ob nicht der griechische Dichter psychologisch richtiger verfahren, und durch die Geneigtheit des alten Junggesellen, die sich wohl motivieren ließ, den Bedenken der Zuhörer glücklicher begegnet ist.“146 1891 behandelt F. Nencini die bekannten philologischen Probleme, vor allem die Fragmente, Varros Urteil über den Eingang der Adelphoe im Vergleich zu Menander, den Einbau der Diphilos-Szene, kleinere Widersprüche der Handlungsführung. Fielitz’ These der terenzischen Verfasserschaft der letzten Szenen wird widersprochen, der Schluß harmonisch gedeutet. „nec Demea nec Micio triumphat, sed in sua uterque sententia manet“.147 Damit wurde Fielitz’ kühner Versuch ausdrücklich eingeebnet. 1902 traktiert F. Kampe im großen und ganzen dieselben Probleme wie Nencini, ohne diesen zu erwähnen. Gegen Fielitz werden V 4–V 9 für menandrisch gehalten. „Grade so wie Demea fortan über die Jugend milder urteilen und sich den Leuten gegenüber freundlicher zeigen wird, […] ebenso, schliessen wir, dürfte Micio fürderhin, wenn auch nicht einer ernsten Lebensanschauung huldigen, so doch wenigstens sein leichtsinniges laisser faire et aller etwas einschränken.“ Kampe war mit diesem Schluß sehr zufrieden. „An eine belehrende Tendenz in den Lustspielen des Menander, also auch seines Nachahmers Terenz, glauben wir nicht.“148 1903 erscheint der Kommentar von K. Dziatzko (1885) in der Überarbeitung von R. Kauer. Wie in dem Kommentar von A. Spengel steht die sprachliche Erklärung im Vordergrund. Gleich Dziatzko geht Kauer weit über die Bedürfnisse eines Schulkommentars hinaus. In analytischer Hinsicht werden in der Einleitung besonders der Einbau der Diphilos-Szene und Donats Bemerkung zu 938 apud Menandrum senex de nuptiis non gravatur diskutiert. 1905 folgt die zweite Auflage des in sprachlicher Hinsicht zuverlässigen Kommentars von A. Spengel, der auch eine Fülle interpretierender Beobachtungen bietet. Micio wird nicht allzu viel Sympathie entgegengebracht. Er „hat seine menschlich liebenswürdigen Seiten […]; Micios Vaterliebe aber ist eine Affenliebe, und nicht als Ideal wird uns seine Lebensanschauung vorgestellt, sondern als u n v er n ü n f ti g es Ex tr em .“149 Über Micio und Demea heißt es anläßlich der Szene V 3: „Da weiß sich Micio wie ein Aal zu winden, führt sofort neue ___________________________
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1887, 152 bzw. 153. 1891, 143. 1902, 13–14. 1905, 156 (Sperrung original).
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Gründe ins Feld, bleibt auch am Schluß der Unterredung Sieger, aber tatsächlich ist sein Sieg eine moralische Niederlage, da er sich unwahr zeigt und seinen früheren wiederholt betonten Standpunkt aufgibt, während wir dem Demea jene Sympathie entgegenbringen, auf die jeder Anspruch hat, der durch und durch ein ehrlicher Kerl ist. Seine pädagogische Anschauung bildet die Kehrseite zu der des Micio und zeigt uns das andere, eb e n so u n v er n ü n f tig e Ex tr em .“150 1912 unterzieht C. Marchesi in knapper Betrachtung den Einbau der DiphilosSzene einer scharfsinnigen Kritik. Er zeigt die Widersprüche der Partie 155–196a zu dem weiteren Verlauf des zweiten Akts auf und erklärt Sannios Monolog 196b–208 als terenzische Erfindung. 1923 und 1932 bespricht G. Norwood in den Monographien über Terenz bzw. über Plautus und Terenz die Adelphoe in seiner originellen pointierten Art. In der Bewertung Micios und Demeas ist er der Meinung “that they have both failed”,151 ohne zwischen Menander und Terenz zu unterscheiden. 1925 verkennt Wilamowitz sowohl Menander als auch Terenz. „In den Adelphen […] schlägt scheinbar Demea in seinem Wesen um, aber wir fühlen, daß er sich Gewalt antut, und er rächt sich nun an seinem Bruder, der sich dadurch lächerlich macht, daß er sein Prinzip unentwegt bis zur Tollheit reitet. […] als am Ende Demea ihn in seiner eignen Methode überbietet, weiß er sich nicht zu helfen und sagt zu allem ja. Terenz und Lessing haben die Absicht Menanders ganz verkannt, wenn sie meinten, wenigstens ein altes Weib dürfte er sich nicht gutwillig aufschwatzen lassen. In dieser tollen Komik überstürzen sich die Einfälle, da gibt es kein ritardando, dieser Micio muß ja sagen, und wenn ihm des Teufels Großmutter angeboten wird. Menander hat seine Komödie mit einem glänzenden Finale geschlossen, das allerdings beinahe an Aristophanes streift; den Ernst aber soll man nicht übersehen: die pädagogische Methode beider Väter hat Schiffbruch gelitten“.152 1931 legt N. Terzaghi drei vorzügliche analytische Beobachtungen vor. 1. Parmeno sei mangelhaft in die Handlung integriert, 2. der Umstand, daß Micio am Ende eine «specie di pagliaccio senza volontà» werde, gehe ebenso wie Aeschinus’ entsprechendes Verhalten auf Terenz zurück; die Szenen V 8 und V 9 seien eine «buffonata senza scopo e senza spirito», die nicht von Menander stamme, 3. es sei möglich, daß Bacchis am Schluß als Freie erkannt werde und Ctesipho heirate.153 Terzaghi war seiner Zeit voraus. 1934 veröffentlicht H. Drexler eine scharf argumentierende Quellenanalyse des zweiten Akts, die die Forschung für lange Zeit zu einem Pro und Contra herausforderte. Danach hatte der zweite Akt Menanders folgende Szenen: Aeschi___________________________
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1905, 157 (Sperrung original). 1923, 114. 1925, 136–137. 1931, 68–69. Vgl. dazu B III (S. 57), B V 1 (S. 58–63), B VII 1 (75–76).
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nus / psaltria (stumm), Aeschinus / Ctesipho / Syrus, Syrus / Sannio.154 Um diese Rekonstruktion rankt sich eine Fülle wichtiger Beobachtungen, die von Unstimmigkeiten des römischen Stücks ausgehen. Terenz habe den Einbau der DiphilosSzene geschickt vorgenommen. „Denn bis zum heutigen Tag ist es ihm gelungen, den Eindruck eines wohlgefügten Aufbaus der Handlung zu erwecken.“155 1936 kommt für F. Wehrli Micio bei Menander am Ende kaum besser weg als sein Bruder; „daß das richtige Verhalten als unerfüllte Forderung in der Mitte zwischen beiden Alten bleibt, hat seine ganz besonderen Gründe: Der Schüler des Peripatos […] dachte zweifellos an die Tugend des mevson, gegen welche sich die beiden alten Brüder durch ein Abgleiten nach den entgegengesetzten Seiten verfehlen.“156 – In demselben Jahr schließt W. E. J. Kuiper kühn, Pamphila und Bacchis seien bei Menander Demeas Töchter gewesen, die Aeschinus und Ctesipho heirateten. Es seien Ehen zwischen oJmopavtrioi.157 1942 schlägt P. J. Enk eine wahrscheinlichere Lösung vor, nach der Bacchis bei Menander Micios und Sostratas Tochter war und Micio Sostrata gern heiratete158 (was ja Donats Bemerkung zu 938 wahrscheinlich macht). In der Frage nach der ‚richtigen‘ Erziehung urteilt er weniger überzeugend, Menanders Stükke seien nicht ‹pièces à thèse›, woraus folge, daß “Terence has adapted Menander’s play to such an extent that the ethical, educational aim is clearly shown.” Terenz zeige “that true education consists in an harmonious combination of just severity, great indulgence, and humanity.”159 1957 sieht Büchner scharfsinnig, daß die ‚tolle Schlußstimmung‘ auf Terenz zurückgeht. Hier habe „nicht Menander die Richtung seines ganzen Stückes ins Gegenteil verkehrt, sondern Terenz hat der Sparsamkeit und Strenge an sich ihr Lob zuteil werden lassen.“160 Das war ein wichtiger Schritt nach vorn. 1970 wird die Analyse vertieft. Terenz habe „an die Komödie eine neue angefügt […], um am Schluß Demea eine pädagogische Lektion erteilen zu lassen“.161 1958 stellt M. Neumann bezeichnenderweise fest, daß die Adelphoe das einzige Stück der Neuen Komödie seien, „das hinsichtlich der poetischen Gerechtigkeit unlösbare Probleme“ bietet.162 1960 erklärt A. Thierfelder den Umstand, daß am Ende „gerade dem freundlichen Städter und seinen Grundsätzen Hohn gesprochen wird“, mit der These, Menander habe das Unrecht, das er dem Knemon des Dyskolos angetan habe, dadurch „gleichsam öffentlich abbitten“ wollen, daß er Demea in den Adelphoi ___________________________
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1934, 36–38. 1934, 40. 1936, 83. 1936, 259–261: B VII 3 (S. 78–79). Zu diesem Komplex B VII 1 (S. 75–76). 1942, 92. 1957, 60, ausführlich in B V 1 zitiert (S. 59). 1970, 17–18 (Sperrung original), ausführlich in B V 1 zitiert (S. 61). 1958, 182 (Abweichungen von Menander werden nicht erwogen).
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schließlich die Oberhand gewinnen ließ.163 Von chronologischen Problemen abgesehen, ist das um die Ecke herum gedacht. – In demselben Jahr stellt O. L. Wilner fest, daß in Vierfünftel des Stücks “Micio is presented seriously, Demea as a clown”; dann finde der Leser einen “startling reversal”. Eine originelle Lösung folgt: “Instead of a simple plot based on consistent characterization, the author has outlined four ways of training the young – two of them rejected with uproarious or contemptuous comedy, as being extreme; two approved, one indicated in Demea’s final speech, the other carefully delineated in action.”164 1962 kommt T. A. Dorey – ohne Kenntnis seiner Vorgänger in diesem Punkt – zu dem sehr wichtigen Ergebnis, daß das römische Spiel “runs as pure comedy for four-fifth of his lenght, and then suddenly changes from comedy to satire; the change is too abrupt and unnatural to be acceptable.”165 – In demselben Jahr diskutiert O. Bianco sorgfältig die bekannten Probleme. 1964 wird die bedeutende 1942 / 1943 in München eingereichte Habilitationsschrift von O. Rieth (der aus dem Krieg nicht zurückkehrte) in der Bearbeitung von K. Gaiser veröffentlicht, der zugleich ein instruktives Nachwort beigegeben hat. Rieth ist ein Kenner der hellenistischen Philosophie und versucht entsprechend den Gedankengehalt, aber auch die Ökonomie des Originals zu rekonstruieren. Einen Schwerpunkt bildet, wie nicht anders zu erwarten, die analytische Untersuchung der Charaktere Micios und Demeas.166 – Nach dem Erscheinen der Untersuchung belebt sich die Adelphoe-Forschung merklich. 1968 rekonstruiert E. Fantham in einer vielzitierten Arbeit Menanders erste beide Akte. I. Akt: Prolog, Micio, Micio / Demea, Micio. II. Akt: Aeschinus / psaltria (stumm), Ctesipho, Ctesipho / Syrus, Aeschinus / Ctesipho, Sannio, Sannio / Syrus, Aeschinus / Sannio / Syrus – “the act ends with the satisfaction of all parties.”167 – In demselben Jahr bemüht sich R. W. Carubba um den Nachweis “that from the scene beginning with line 787 Terence employs Demea as his chief agent to lead us steadily and purposefully to a tidy solution – a solution without loose ends and without pure nonsense.”168 “My thesis meets its most significant test in what has been termed the burlesque of Micio. Demea must destroy his influence over the boys and destroy it permanently, if their lives are to take a n ew d ir ectio n f o r t h e b et ter. […] apparent nonsense is good sense.”169 So werden wohl manche Zuschauer gedacht haben. Aber ob Terenz so dachte? – Weiter kommt W. R. Johnson in einem Aufsatz mit dem programmatischen Titel ‘Micio and the Perils of Perfection’ zu einem ‚weisen‘ Ergebnis. “Both heroes are arrogant, lively, and inadequate; neither knows what he is or ___________________________
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1960, 111, dazu B V 4 (S. 67). 1960, 57. 1962, 38, ausführlich B V 1 (S. 59–60). 1964, 106–120, ausführlich B V 1 (S. 60). 1968, 214–215 in Verbindung mit 208–209. 1968, 16. 1968, 22 (Sperrung ad hoc).
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what he is up against: that is comic enough and human enough. […] Whether we are Micios by temperament or Demeas by temperament, we need to be reminded that our predilections do not constitute eternal law, that few of us will be very close to the ideals we profess. Whether Micios or Demeas, we need all to be reminded how ignorant, droll and selfish we are. In its universal chastening the Adelphoe is a triumph of moral dialectic and of mirth.”170 – Ferner behandelt B. Denzler kenntnisreich die Monologe der Adelphoe. 1969 versucht E. Lefèvre den Nachweis, daß die Adelphoi einen Inhaltsprolog hatten und Terenz einzelne Passagen aus ihm in die ersten beiden Szenen übernahm. Micio sei eine der wunderbarsten Gestalten der Neuen Komödie, soweit sie überblickt werden könne. Menander habe in ihm den Vertreter einer liberalen, allein auf menschliches Verstehen gegründeten Erziehungsweise dargestellt, deren Erfolg am Ende nicht bestritten werde.171 1971 kommt E. Fantham zu dem Ergebnis, daß das Finale der Adelphoe ebenso auf Menander zurückgehe, wie das Finale des Heautontimorumenos das des menandrischen Originals ‘unchanged’ wiedergebe.172 Daß die Schlüsse der terenzischen Stücke von vergleichbarer, wenn nicht gleicher Art sind, ist richtig gesehen. Daß sie menandrischen Ursprungs seien, ist ein gefährlicher Schluß. Denn der römische Dichter kann ebenso wie der griechische eine ihm gelungen erscheinende Konstellation wiederholen. – In demselben Jahr widmet H.-W. Rissom seine Dissertation dem Thema ‚Vater- und Sohnmotive in der römischen Komödie‘. Die nichtanalytische Betrachtung der Adelphoe, die sich auf die Perspektive der Väter beschränkt, hat folgendes Ergebnis: „Im Gegensatz zu der vorwiegend komisch gezeichneten Niederlage des untergeordneten paedagogus [sc. Micio] vollzieht sich bei ihm [sc. Demea] die schwere Krise eines Vaters, der sein ständiges Bemühen um eine Gemeinschaft mißlungen sieht.“173 – Ferner untersucht J. N. Grant Wortlaut und Bedeutung der Donat-Notizen zu 43, 275, 323, 938 / 939, in denen es um analytisch relevante Probleme geht. 1972 meint H. Tränkle beweisen zu können, nicht nur Demea, sondern auch Micio sei verblendet und habe „mit seiner Erziehungsmethode Schiffbruch erlitten, und an der Überzeugung, in allem richtig gehandelt zu haben, hält er ebenso eigensinnig fest wie sein Bruder.“174 Beide Brüder müßten „eigentlich erzogen werden“. Ihnen dämmere die Erkenntnis ihrer Fehlhaltung nicht auf. Tränkle hält das für ‚bezeichnend menandrisch‘.175 Der Vergleich Micios mit dem am Ende im Bordell landenden Philoxenus der Bacchides, der die gemeinsame menandrische Gestaltung beweisen soll,176 macht klar, daß mit Terenz zugleich Menander ___________________________
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1968, 185 bzw. 186. 1969, 40. (1971) 2011, 74. 1971, 203. 1972, 245. 1972, 252. 1972, 253–254.
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und Plautus verkannt werden:177 Es ist nicht gesehen, daß nicht Menander und Terenz, sondern Plautus und Terenz auf einer Stufe stehen. 1973 ist H. Lloyd-Jones ganz und gar nicht mit den Analysen von Rieth und ‘people like Rieth’ einverstanden. Er hält den Schluß der Adelphoe für menandrisch: “The whole movement of the plot requires that Demea be vindicated; in the future, the young men will ask his advice, and by agreeing that Ctesipho may keep his mistress Demea gives an undertaking that he will be less severe. In a semi-serious and quasi-philosophical comedy of the kind Rieth thinks this is, this would be inconsistent; in Menander’s play, it would be natural.”178 Über Micios Schicksal wird kaum ein Wort verloren. Bei dieser Gelegenheit wird auch das burleske ‘arrangement’, das die Liebhaber am Ende des Eunuchus bezüglich Thais treffen, Menander zugeschrieben.179 – In demselben Jahr behandelt L. Perelli vor allem zwei Aspekte der Adelphoe, in dem Kapitel ‹La polemica contro le convenzioni sociali› (15–59) die soziale Antithese arm / reich und in dem Kapitel ‹Il problema pedagogico e il finale degli «Adelphoe»› (61–108) die Bewertung der Prinzipien Micios und Demeas. Es komme Terenz auf Micios Theorien an, und man müsse «considerare chiusa l’azione e la lezione della commedia a metà del quinto atto. Il finale è una coda farsesca che non contiene più alcuna lezione seria dell’autore, deforma e annulla i caratteri di Micione e di Eschino: l’unica figura che rimane in piedi è Demea, più che mai ridicolo nel suo assoluto fraintendimento della lezione dei fatti; l’esigenza comica incentrata su Demea sacrifica gli altri personaggi.»180 – Ferner versucht W. E. Forehand zu zeigen, Syrus’ Rolle gehe über die traditionelle Funktion hinaus “to provide farce” sowie seinem jungen Herrn Ctesipho zu helfen. “This character deserves more than casual praise for its success in exciting laughter, and it is certainly not a liability in the play.”181 – Schließlich ist J. N. Grant der Ansicht, daß wegen einiger dramaturgischer Diskrepanzen Canthara eine terenzische Erfindung sei. 1973, 1982 und 1990 befaßt sich F. Callier kenntnis- und ergebnisreich mit den von Terenz in den Adelphoe gebrauchten Begriffen aus der Rechtssphäre, die er aus der Zeit heraus zu deuten versucht. 1974 legt K. Büchner eine Gesamtinterpretation der Adelphoe vor. Hinsichtlich des Micio- und Demea-Bilds führt er die Analysen von 1957 und 1970 weiter. Der Wert der Arbeit liegt vor allem in der genauen Beobachtung von Strukturen, die zu zahlreichen fruchtbaren Ergebnissen – auch im Vergleich mit Menander – führt. Umstritten ist die Abweisung eines Prologs des Originals.182– In demselben Jahr glaubt N. Holzberg, in den Adelphoi habe Menander die ___________________________
177 Zu Philoxenus bei Menander und Plautus: Lefèvre 1978 (3), 536; 2011, 65–66; Barsby 1986, 185. 178 1973, 283. 179 Ausdrücklich gegen Ludwig 1959, 1–38. 180 1973, 93. 181 1973, 56. 182 1974, 366–367. Dazu B I (S. 52).
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‚Fehler‘, die Micios und Demeas widerstreitenden Überzeugungen anhafteten, auf scherzhafte Weise ‚aufgespießt‘. In den ersten vier Akten sei Demeas allzu große Starrköpfigkeit bloßgestellt worden, „aber dann bekam im fünften Akt auch die maßlose Freigebigkeit des Lamprias ihr Teil“.183 – Ferner zeichnet T. B. L. Webster einen genauen Aufbau der Adelphoi. 1975 vertritt J. N. Grant die These, daß sowohl Micio als auch Demea Defekte hätten. “Both fathers have defects in the way they have brought up their sons. Micio’s theory of education is for the most part excellent, but he has used it to excuse excessive generosity and indulgence. Demea, on the other hand, is strict and betrays no philosophical basis for his methods. His flaw, however, is not so much his strictness, as his failure to develop the necessary bonds of trust and friendship between father and son because of his preoccupation with accumulating as large a patrimony as possible. This defect is remedied by his decision to abandon the vita dura. Demea’s victory at the end indicates that in terms of the particular circumstances and characters portrayed in the play his strictness is preferable to Micio’s methods.” Grant propagiert den “view that the ‘message’ of the Terentian play is the same as that of his model”.184 – In demselben Jahr hält V. Pöschl Micio für ein sympathisches, Demea für ein unsympathisches Extrem. „Micio ist eine Gestalt, der man im Grunde Recht gibt, aber zugleich ist er komisch, weil er übertreibt. Wir sind in einer Komödie, und eine Komödie ist dazu da, daß man über ihre Figuren lacht.“185 Auch in der ‚burlesken Schlußszene‘ sei es vor allem auf Komik abgesehen, Micio werde nicht abgewertet, Demea nicht aufgewertet. Hier werde „ausnahmsweise die sympathische Figur verspottet.“186 1976 veröffentlicht R. H. Martin einen rühmenswert knapp und sorgfältig gearbeiteten Kommentar, dem ein Text mit übersichtlichem Apparat beigegeben ist. Die analytischen Probleme werden vorsichtig diskutiert, nie eigenwillig entschieden. 1977 wendet sich C. Lord gegen Rieth / Gaiser: “there is every reason to agree with those critics of Rieth who maintain that the ending of the Adelphoe does not differ substantially from that of its Greek model. By exposing the selfish as well as narrow basis of Micio’s theories and holding him up to ridicule, Demea only makes explicit what had been implicit in earlier scenes of the play, albeit in a way designed to create some uncertainty in the audience’s mind regarding the poet’s ultimate intentions. As for Demea, his miraculous conversion surely holds a mirror to his own as well as Micio’s faults; nevertheless, he enjoys a triumph which must force a revaluation of his earlier behavior, his character and his relation to Micio.”187 ___________________________
183 184 185 186 187
1974, 169. 1975, 59. 1975, 11. 1975, 14. 1977, 194.
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A. Erster Teil: Rezeption
1978 verteidigt F. H. Sandbach die auf Menander zurückgehende positive Anlage Micios vor dem Schluß: “an active search for faults”, wie sie Johnson 1968 und Grant 1975 betrieben hätten, “has not discovered any signs of weakness of will or of inability to act as is reasonable and right. […] I regard as right those who see the Micio of Act V as a different character from the Micio of the previous acts, and do not believe that this can be the doing of Menander.”188 Es sei aber sehr wahrscheinlich Menanders Idee, im fünften Akt “to make Demea originate all the donations which Micio gives.” 984ff. seien “Terence’s substitute for Menander’s ending.”189 Aeschinus’ Anwesenheit in V 8 und V 9 wird Terenz zugeschrieben, die dazu diene “to show Micio as a weak man, completely under his son’s influence.”190 – In demselben Jahr sieht B. Compagno keine tiefere Absicht in dem von Terenz dargestellten Positionentausch von Micio und Demea. «Questo capovolgimento totale di situazione, per cui Micione, che fino quel punto ha trionfato, deve cedere il passo a Demea che da vinto si trasforma in vincitore, non si verificherebbe perchè abbia una ragione di essere, ma semplicemente perchè è questo che può succedere nella vita di ogni giorno così come nella commedia che la rappresenta». «In questo scambio di posizioni non è necessario rintracciare una ragione etica o un allontanamento di Terenzio dall’originale menandreo».191 – Ferner legt E. Lefèvre dar, daß Micio das Ziel der terenzischen Umdichtung sei. Dadurch avanciere Demea zum Sieger. Terenz komme es auf die Komik des Handlungsumschlags, nicht auf die Korrektur von Prinzipien an.192 1979 / 1980 befaßt sich N. A. Greenberg mit den Erziehungstheorien und den Charakteren der älteren Brüder und bemüht sich “to consider the success or failure of the theories apart from the fate of the characters who espouse them.”193 Die Arbeit ist nicht frei von subjektiven Wertungen. 1980 versucht J. N. Grant den ersten Akt zu rekonstruieren. Auch Menander habe mit Micio und Demea begonnen, hierauf einen nachgestellten Prolog eingeschoben und sodann folgende Szenen gestaltet: Aeschinus / Ctesipho / Syrus / psaltria (stumm), Sannio, Sannio / Syrus, Aeschinus / Syrus, Sostrata / Canthara (stumm) / Geta. Hiernach habe der erste Akt geschlossen.194 1982 gibt P. Grimal keinem der älteren Brüder den Zuschlag, wenn er im Blick auf Menander sagt: «Déméa et Micion représentent deux défauts opposés, l’un se trompe par excès de rigueur, et tombe dans la misanthropie; Micion se montre trop complaisant, ses maximes sont, en principe excellentes, mais il échoue, dans ___________________________
188 189 190 191 192 193 194
1978, 140. 1978, 136. 1978, 140. 1978, 137 bzw. 138. 1978 (2), 35–36. 1979 / 1980, 222. 1980, 353-354.
II. Das Urteil der Philologen
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la mesure où son fils, malgré tout, n’est pas avec lui d’une franchise totale.»195 Kann man wirklich den Eindruck gewinnen, daß Micios menandrische «philanthropia est surtout la résultat d’un égoïsme profond»?196 – In demselben Jahr geht A. Orlandini in einem Beitrag mit dem programmatischen Titel ‹Lo scacco di Micione› davon aus «che Terenzio sia stato fedele all’originale anche nell’ultimo atto della commedia.»197 Identifizierungen einzelner Personen mit solchen der Zeitgeschichte seien nicht möglich. 1985 gibt W. E. Forehand eine allgemeine Einführung in Terenz und urteilt über den Schluß der Adelphoe: “That Micio should have his comeuppance from Demea, who has been the chief sufferer up to now, and that this should be accomplished in a farcical manner is consistent rather than surprising. Thus, we can martial strong support for the view that the play espouses a compromise between the ideas of Micio and those of Demea, but one that lies much closer to Micio’s view than his brother’s.”198 – In demselben Jahr wendet sich G. Maurach gegen den Versuch von J. N. Grant,199 Canthara als terenzische Zufügung zu erweisen. 1986 gibt S. M. Goldberg eine pointiert-eigenwillige Deutung der Brüderpaare: “Micio is a loser. […] The consequences of Micio’s actions and attitudes are brought home to him at the end, and he pays for them with the loss of slaves, money, and finally the loyalty of his adopted son. Micio is always being bested. Terence’s two sets of brothers are distinguished not so much by their severity and leniency, but by their strength and weakness. The younger brothers, Micio and Ctesipho, are weak and passive. The older brothers, Demea and Aeschinus, are strong and active. Micio is their victim from the beginning.”200 1987 schlägt M. Damen eine Rekonstruktion des zweiten Akts der Adelphoi vor, für den er nach Abzug der Diphilos-Passagen vier Szenen annimmt: Syrus / Ctesipho, Syrus / Sannio, Aeschinus / Sannio und Aeschinus / Ctesipho.201 1988 und 1989 gelangt G. Lieberg hinsichtlich des Schlusses zu einem ‚menandrischen‘ Ergebnis: «Non c’è, tutto sommato, nessun motivo serio di attribuire il finale, dopo il monologo di Demea, ad un massiccio intervento di Terenzio nei confronti dell’originale di Menandro. […] l’impostazione stessa dei caratteri di Micione e di Demea sembra risalire al poeta greco.»202 1990 unterwirft M. L. Damen die Szenen der Adelphoe einem symmetrischen Raster und kommt zur “conclusion that in the finale Terence has followed Menander’s general design of scenes, if not also his words.”203 Auf strukturellem ___________________________
195 196 197 198 199 200 201 202 203
1982, 45. 1982, 46. 1982, 107. 1985, 119. 1979, 70–75. 1986 (1), 213. 1987, 77. 1989, 372 (= 1988, 82 / 83). 1990, 86.
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A. Erster Teil: Rezeption
Weg wird alles, was die Forschung aus inhaltlichen Gründen über Terenz’ Selbständigkeit in den Schlußszenen gezeigt hat, beiseitegeschoben. – In demselben Jahr ist es M. P. Schmudes Ziel zu zeigen, daß in I 1 „Micios Erziehungsprogramm ganz im Sinne der zeitgenössischen Redetheorie für die Praxis des Bühnenspiels gestaltet“ sei.204 Das menandrische Substrat ist nicht im Blick. 1991 legt G. Cupaiuolo einen ‹studio sociologico› vor, in dem er in Terenz’ Komödien – ohne analytische Fragestellungen – Bezüge auf Politik und Gesellschaft der Zeit untersucht. «Anche se la sua ideologia, per un effetto di reciproca dipendenza, è la stessa di una certa classe politica, Terenzio scrive più per un ideale che per una fazione politica, e non passa mai al livello di una polemica personale.»205 Die Adelphoe kommen immer wieder in den Blick. 1994 wendet G. Comerci unter Berufung auf Cupaiuolo seine Aufmerksamkeit einigen Schlüsselbegriffen der Adelphoe zu «per verificare fino a qual punto sia possibile rinvenire le tracce di un rapporto con l’ideologia elaborata nel circolo dell’Emiliano.»206 Es handelt sich vor allem um die Bedeutung von humanitas, liberalitas und aequitas. 1997 bringt A. C. Scafuro die gelehrte Untersuchung ‘The Forensic Stage. Settling Disputes in Graeco-Roman New Comedy’ heraus, in der auch Partien aus den Adelphoe behandelt werden. Es führt in der Analyse nicht immer weiter, in einer genuin plautinischen oder terenzischen Szene festzustellen, daß die eine oder andere juristische Praxis griechisch sei, wenn sie auch in Rom geübt wird. Eine gute Vermutung ist es, daß Hegio mit dem von Micio in IV 5 erwähnten amicus aus Milet identisch ist.207 1998 erscheint mit J. C. B. Lowes Aufsatz ‘Terence, Adelphoe: Problems of Dramatic Space and Time’ ein wichtiger analytischer Beitrag zu Fragen, die einmal nicht die Charaktere von Micio und Demea betreffen. 1999 legt A. S. Gratwick seinen Kommentar von 1987 in zweiter Auflage vor. Hinsichtlich der beiden Hauptpersonen Micio und Demea vertritt er die Ansicht, daß Terenz die Vorlage mit dem Beginn von Demeas Monolog V 4, also mit 855, umarbeite. “Terence has made a special point of rendering Demea’s part in 26–854 very faithfully”. Das gelte auch für Micios Part mit wenigen Ausnahmen:208 40–47 seien Ersatz für den gestrichenen menandrischen Prolog,209 68–77 ein terenzischer Einschub,210 592–609 im Textbestand nicht in Ordnung,211 ___________________________
204 205 206 207 208 209 210
1990, 309–310. 1991, 7. 1994, 4. 1997, 462. 1999, 38. 1999, 180. “Probably […] 68–77 is Terentian rhetoric, generalising on the theme of enlightened paternalism, and written not just with fathers and sons in mind but also the stronger and the weaker in politics” (1999, 182). 211 1999, 193–194.
II. Das Urteil der Philologen
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707–712 eine von Terenz stammende Charakterisierung Micios durch Aeschinus, die wohl das Ende des Stücks vorbereite.212 “At 855ff. we are suddenly bidden rather than persuaded to change our conception of both characters. In 26–854 Demea has been the Fool; now he is suddenly the Wise Man invested with philosophical gravitas (855–60). Micio, the man who seemed wise, is in fact a malignant parasite (861–76). Very well, Demea will give up his harsh life (859–60) in a bid to win back the boys’ alienated affections by fighting Micio with his own weapons (877–81). Senex durus is going to become senex lepidus.”213 2000 veröffentlicht J. Klowski eine Studie über die Adelphoe und die modernen Erziehungsstile, deren drei er unterscheidet: den Laissez-faire-, den autoritären und (als erstrebenswerte Mitte) den liberalen Erziehungsstil. Micio wird zu Unrecht dem ersten, Demea zu Recht dem zweiten zugeordnet. Es sei verständlich, daß Micio am Ende als Verlierer dastehe; „will man Micio abgestraft sehen, so muß man Demea in dem Maße gewinnen lassen, wie man Micio verlieren läßt.“214 Das ist kein Gleichgewicht.– In demselben Jahr legt B. Mauger-Plichon sehr unverbindliche Erwägungen über das Problem der Erziehung in Adelphoe und Heautontimorumenos vor. 2002 / 2003 stellt A. Perutelli die «inversione delle posizioni tra i due vecchi verso la fine della commedia» heraus und erklärt sie als «frutto di un’innovazione di Terenzio» gegenüber der Vorlage. „Allora il rovesciamento delle parti, la sconfitta drammatica di Micione non appartenevano al testo di Menandro».215 Besonders nimmt Perutelli die im Prolog diskutierte furtum-Problematik auf und erwägt aufgrund des offensichtlichen Zitats des Caecilius-Verses quod prolubium, quae voluptas, quae te lactat largitas? aus dem nach Menander gedichteten Hypobolimaeus Rastraria (Fr. 91 R.3 = 88 Guardì) in 985 (‚quod prolubium? quae istaec subitast largitas?‘), daß Terenz neben den Synapothneskontes und den Adelphoi eine zweite Menander-Komödie verwendet habe.216 Die Überlegungen, inwieweit er dadurch bei der Gestaltung von Micio und Demea im Finale der Adelphoe beeinflußt sein könne, bleiben sehr unsicher. 2003 wendet L. Ricottilli in ihrer ‹Lettura pragmatica del finale degli Adelphoe› einen ‹metodo d’analisi nuovo› an, «e cioè la pragmatica della comunicazione. Si tratta di un metodo di analisi che si concentra sulle relazioni fra i personaggi, e sulle forme, linguistiche e non linguistiche, che esprimono tali relazioni.»217 In nichtquellenanalytischer Betrachtung sieht Ricottilli am Ende eine große Harmonie. «L’ultima scena degli Adelphoe […] è il momento in cui le disarmonie devono scomparire per lasciare spazio ad una riconciliazione fra i personaggi principali, un lieto fine in cui nessuno deve restare in uno stato di ___________________________
212 213 214 215 216 217
1999, 196. 1999, 43–44. 2000, 126. 2002 / 2003, 178–179. 2002 / 2003, 184–185. 2003, 60.
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A. Erster Teil: Rezeption
frustrazione. Non si può di conseguenza parlare di una vittoria di un personaggio o della sconfitta di un altro.»218 2004 gibt P. Kruschwitz in seiner Terenz-Monographie auch eine Darstellung des Prologs und der Handlung der Adelphoe und nimmt in den Anmerkungen immer wieder auf Einzelheiten, teils apodiktisch, teils im Licht der Forschung (nicht ohne Ungenauigkeiten) Bezug. Hinsichtlich Micios und Demeas beantwortet er die Frage, ob man Menander ein solches Ende, wie es bei Terenz vorliegt, zumuten könne, es sei wohl davon auszugehen, daß Terenz nicht wesentlich von Menander abweiche.219 2007 publiziert J. Schultheiß Bemerkungen zur Rezeption der Adelphoe bei Cicero und Augustinus. 2012 nimmt B. Victor wiederum die Diskussion über Micios und Demeas Positionen am Ende des Stücks bei Menander und Terenz auf. Er gelangt zu folgendem Ergebnis: “I incline toward a Menandrian play whose last two acts ran in most respects like Terence’s. It will have differed in that, at the end, Micio’s weakness was pointed out to Micio alone, not to Aeschinus too. Syrus’ fun at Demea’s expense [sc. in IV 1 / 2, V 1 / 2] will have taken up less stage time. And Demea’s monologue in front of Micio’s house will have had nothing riddling about it. As in Terence, the Menandrian Demea there expressed frustration with Micio, whom he contrasted to himself. But he did not hide the underlying reason for his frustration – that Micio had spoiled the children. And he explained to the audience how he planned to teach Micio a lesson. Any remaining differences were of tone, not substance.”220 Auch in dieser Interpretation wird Terenz in Menanders Nähe gerückt.
___________________________
218 2003, 80. 219 2004, 159 Anm. 61. 220 2012, 690.
B. ZWEITE R TEI L: ANALYSE „Möchten wenigstens nur diejenigen Stükke des Menanders auf uns gekommen sein, welche Terenz genutzet hat! Ich kann mir nichts Unterrichtenders denken, als eine Vergleichung dieser griechischen Originale mit den lateinischen Kopien sein würde. Denn gewiß ist es, daß Terenz kein bloßer sklavischer Übersetzer gewesen.“1
Daß Terenz im zweiten Akt sehr stark vom Original abweicht, ist ebenso klar wie die Annahme, daß ohne die Mitteilung des Prologs in 6–10 kaum jemand diese Änderung – außer in Einzelheiten – erkannt hätte. Terenz geht es jedoch nicht um das Bekenntnis, er habe in Menanders Adelphoi eingegriffen, sondern einzig darum, die Heranziehung einer zweiten griechischen Vorlage zu verteidigen, die als Verstoß gegen die zeitgenössischen literarischen Gepflogenheiten galt. Das führt zu der wahrscheinlichen Annahme, daß er auch an anderen Stellen ohne weiteres das Hauptoriginal verlassen haben kann. Die heute vielfach angenommene Umdichtung der letzten Szenen mit der Verballhornung der menandrischen Charaktere wird von Terenz mit keinem Wort erwähnt, obwohl es sich um einen viel stärkeren Eingriff als beim Einbau der Diphilos-Szene handelt. Denn er nimmt ihn ja ‚nur‘ de suo vor.
I. Exposition “If Menander could have viewed Terence’s play, he would have seen what he regarded as deficiencies – the lack of clarity about the prehistory of the play and the manner in which Syrus and Ctesipho were introduced.”2
Sueton berichtet in der Vita über den Eingang der Adelphoe: nam Adelphorum principium Varro etiam praefert principio Menandri (3). Das wird sich auf die Verschiedenheit der Exposition beziehen.3 Wenn bei Menander viele Fakten durch einen Prologsprecher, zumal eine Gottheit, erzählt wurden, ist das nicht von gleicher Lebendigkeit, wie wenn Micio als Beteiligter sich selbst zu den beiden Brüderpaaren und dem Verhältnis, in dem sie zueinander stehen, äußert. Es könnte sich um einige Mitteilungen aus der rein erzählenden Partie 40–49,4 aber ___________________________
1 2 3 4
Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 99. Stück. Grant 1980, 355. Drexler 1934, 32; Lefèvre 1969, 46–47. Zu 40–47 Gratwick 1999, 180.
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B. Zweiter Teil: Analyse
auch aus dem darauf folgenden Bericht handeln,5 zumal Donat zu 40 anmerkt: transitus ad argumentum subtilissimus (4).6 Umgekehrt vermißt man den Hintergrund des Hetärenraubs. Beide Punkte hebt Wilamowitz (vom Standpunkt eines Nea-Rezipienten aus) hervor: „In den Adelphen war es wünschenswert, die Zuschauer vorher zu unterrichten, daß es eigentlich der wohlerzogene Sohn war, der sich in Besitz eines Mädchens setzt; sein Bruder verschafft es ihm nur, weil er sich auf so etwas verstand. Ebenso wünschenswert war es, daß ein Gott über die verschiedene Sinnesart der beiden alten Brüder Auskunft gab, ähnlich wie es in der Florentiner Komödie geschieht.“7 Gemeint ist die seinerzeit unvollständig bekannte Aspis, in der Tyche die beiden alten unterschiedlich gearteten Brüder Smikrines und Chairestratos vorstellt (Asp. 114–146). Nach Gratwick gehören ferner in den Prolog “the discovery that Ctesipho is the lover” und die Erwähnung von Hegio “as guardian and a good man”.8 Von den Personen des Spiels könnte Aeschinus als Prologsprecher über den Hintergrund der psaltria-Angelegenheit berichten – gewissermaßen ‚objektiv‘ im Gegensatz zu Ctesipho. Eine Parallele ist Moschion in der Samia. Auch Syrus wurde erwogen.9 Wenn andererseits die Adelphoi auf ‚Wiedererkennungen‘ hinausliefen,10 dürfte nach der Gepflogenheit der Nea eine Gottheit die Einführung gegeben haben. Für einen Expositionsprolog ist die überwiegende Zahl der Forscher eingetreten.11 Nur wenige haben sich dagegen ausgesprochen.12 Nach Donat zu 151 ist Micios Mitteilung, Aeschinus habe gesagt, er wolle heiraten, ein Stück Exposition. Merkwürdigerweise vermittle Terenz argumenta durch Personen, die sie eigentlich nicht wissen: mirum est apud Terentium, cur etiam per nescias personas indicet argumenta. nam cum Micio nesciat amari ab Aeschino civem virginem, tamen dicit ‚credo iam omnium taedebat‘ et ‚dixit velle ___________________________
5
Lefèvre 1969, 46. Zu dem von Donat zu 43 (3) mitgeteilten griechischen Text (Bentley: gunai'k∆ ouj lambavnw) C I 1 (S. 86). 6 Kaum richtig schließt Grimal 1982, 40 aus der Existenz eines menandrischen Prologs, Micios Monolog sei ‹sans aucun doute› eine Erfindung des römischen Dichters. 7 1925, 146–147. 8 1982, 121 (bzw. 30). 9 Drexler 1934, 32. 10 B VII 1–3 (S. 75–79). 11 Wilamowitz (1925, 146), Drexler (1934, 31–32), Jachmann (1934, 609), Kuiper (1936, 259), Haffter ([1953] 1967, 17), Bianco (1962, 177); Rieth (1964, 27), Gaiser (1964, 135–136, Exposition durch Syrus oder Aeschinus am Anfang), Mette (1965, 127, vielleicht nach I 2), Fantham (1968, 214), Lefèvre (1969, 38–48), Ludwig (1972, 826, Aeschinus-Prolog), Tränkle (1972, 245), Holzberg (1974, 78, Gott nach I 2), Webster (1974, 114), Martin (1976, 244, vorsichtig, ‘divine’, ‘deferred’), Grant (1980, 353, ‘divinity or an abstraction’, ‘postponed’, möglicherweise ‘Nou'" itself’), Grimal (1982, 39), Damen (1987, 75, ‘divine prologuist is possible, but not necessary’), Lowe (1998, 477, nach I 2), Gratwick (1999, 32, nach I 2), Barsby (2001, 246), Kruschwitz (2004, 141 Anm. 7). 12 Büchner 1974, 366–367.
II. Die adulescens / leno-Handlung
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uxorem ducere‘. sic ex parte magna ostendit nescius argumentum ideo, quia veri simile est amantissimum Aeschini Micionem omnes scire affectus adulescentis et consuetudines.13
II. Die adulescens / leno-Handlung Was heißt in Graeca adulescens est qui lenoni eripit | meretricem (8–9)? Die adulescens / leno-Handlung kommt erst in II 4 zum Abschluß, wenn Aeschinus und Sannio 280 die Bühne verlassen. Der gesunde Menschenverstand sagt, daß die ganze adulescens / leno-Handlung auf Diphilos zurückgeht. Das wird von den Interpreten aber keineswegs so gesehen. Viele teilen Terenz das Minimum zu, das die Wendung lenoni eripit meretricem fordert, nämlich 155–196a. Das setzt voraus, daß die ab 196b postulierte Menander-Szene direkt an die DiphilosSzene anschloß, mit anderen Worten, daß Diphilos und Menander einen nahezu identischen Handlungsabschnitt dichteten. Bei der Gleichförmigkeit der NeaPlots ist das nicht auszuschließen, aber es widerspricht der Wahrscheinlichkeit. Nach Marchesis klarer Analyse hat der Einbau der Diphilos-Szene zu ‹numerose incongruenze e slegature› geführt. Die hauptsächlichen seien: «1) Nella scena difilea, Sannione è un leno puro e semplice, e così viene chiamato da sè e dagli altri; in II 2–4 non è chiamato leno, ma Sannio, ed è un mercante di donne e di altro (cfr. 224; 229–230; 278). 2) In II 1 Bacchide è libera, mentre in tutto il resto della commedia è schiava. 3) In II 1 piglia parte al ratto lo schiavo Parmenone, mentre in II 2, 3, 4 lo schiavo che tratta con Sannione è Siro. 4) In II 1 Eschino è pronto a sborsare le venti mine o a intentar causa; in II 2 invece Siro tratta il prezzo, che vorrebbe fosse abbonato o almeno ridotto alla metà. 5) In II 1 noi ci aspettiamo che esca di nuovo Eschino a regolare i conti con Sannione; e invece in II 2 ci si presenta a quest’ufficio Siro e con intendimenti diversi, perchè vorrebbe una riduzione della somma. In II 4 esce di nuovo Eschino, ma non tanto per regolare i conti quanto a sentire come li ha regolato Siro (v. 276 Quid ait tandem nobis Sannio?).»14 Natürlich kann man jede Diskrepanz wegdiskutieren oder bagatellisieren, um eine harmonische Abfolge zu erzielen. Marchesi schließt, daß die Diphilos-Szene verbum de verbo eingearbeitet sei – was sicher zu weit geht. 1. Diphilos, Menander und Terenz Eine neuere Analyse des zweiten Akts geht in ihrem Zugriff über die Vorgänger hinaus, indem sie zu zeigen versucht, daß Terenz nicht nur 155–196a eingelegt, sondern auch in 252–287 Sannio und Syrus entgegen dem Original auf der Bühne gelassen habe.15 Darf man daraus folgern, daß Terenz am Ende von II 1 und in ___________________________
13 Lefèvre 1969, 39–44. 14 1912, 291–292. 15 Lowe 1998, 483.
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B. Zweiter Teil: Analyse
II 2 (196b–251) Menander folge? Ein gravierender Einwand ist es, daß Sannios Monolog (196b–208) und sein Dialog mit Syrus (209–251) nicht recht zusammenpassen. Er hat sich bereits im Selbstgespräch klar entschlossen, Aeschinus’ Angebot anzunehmen, für 20 Minen auf Bacchis zu verzichten (verum enim quando bene promeruit, fiat: suom ius postulat. | age, iam cupio, 201–202).16 Der Jüngling hat die Zahlung fest zugesagt (192, 194) und geht 277–280 mit Sannio zum Forum, um ihn auszubezahlen. Dazu fügt sich nichtder Dialog II 2, in dem der Sklave mit immer neuen Argumenten den Kuppler zu überreden versucht, auf die Entschädigung überhaupt zu verzichten. Zu guter Letzt tischt er den Vorschlag auf, Sannio möge mit der Hälfte, also zehn Minen, zufrieden sein (240–246). Damit befindet man sich in plautinischem Fahrwasser.17 Willcock spricht von ‘Plautine convention’, die halbe Beute zurückzugeben, um den betrogenen Herrn zu besänftigen.18 Gewiß kann ‚Plautinisches‘ bei Menander gestanden haben, kaum aber in diesem Fall, in dem die Szenen nicht harmonieren. Wer geneigt ist, mit Lowe die Anwesenheit von Sannio und Syrus in II 3 und II 4 Terenz zuzuschreiben, sollte II 2 hinzunehmen.19 Wie die Handlung bei Menander vor sich ging, ist wegen der starken terenzischen Eingriffe schwer zu sagen. Aeschinus konnte mit der stummen Hetäre auftreten, einen Monolog halten und mit ihr in Micios Haus gehen.20 An Lowes Annahme, es gebe keinen ‘reasonable doubt’, daß 196b–253 ‘as a whole’ von Menander stammten,21 ist starker Zweifel angebracht. Auf jeden Fall erschien Ctesipho, zu dem dann Aeschinus aus Micios Haus kam. Damit stellte Menander, wie im Heautontimorumenos, nach den gevronte" die neanivai vor. Wenn somit bei Terenz mancherlei Ungereimtheiten festzustellen sind und vor allem die Diphilos-Szene mit der Vorführung dessen, was Demea bereits 88–92 berichtet hat, einen dramaturgischen Rückschritt bedeutet, erhebt sich die Frage, ob die traditionelle Annahme ausreicht, Terenz wolle mit dem Ausbau bzw. der Einführung der Sannio-Handlung nur das für römische Empfindung etwas trokkene griechische Diskutierstück lebhafter machen. Es wird zu zeigen sein, daß der primäre Grund vermutlich ein ganz anderer ist.22 2. Freiheitserklärung und Entschädigung In den Adelphoe liegt ein Fall vor, der dafür spricht, daß bei der Freisprechung bzw. Freiheitserkennung eines Mädchens dem ‚Besitzer‘ der geleistete Aufwand ___________________________
16 „bene promeruit und suom ius sind ironisch gesagt, Galgenhumor“ (Spengel 1905, 42). 17 Ba. 1184–1185; Cist. 757; Pseud. 1164: Lefèvre 2011, 181. 18 1987, 138. 19 II 2 ist offenbar wegen der Formel actum ne agas (232) eingelegt: D II 6 b (S. 154). 20 C II 2 zum I. Akt (S. 128). 21 1998, 477. 22 D II 6 b (S. 148–155).
II. Die adulescens / leno-Handlung
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zu erstatten ist.23 Aeschinus bietet Sannio 20 Minen für die entrissene Hetäre, den Preis, den jener für sie bezahlt hat (191–192). Als er zögert, erklärt Aeschinus, Bacchis sei frei (194).24 Trotzdem ist er weiterhin bereit, 20 Minen zu zahlen. Das bedeutet, daß für eine als frei erklärte Person die entstandenen Unkosten zu erstatten sind.25 Es ist kein Verkauf. Der ist in diesem Fall verboten. Deshalb erklärt Aeschinus, Bacchis sei nicht zu verkaufen (neque vendundam censeo | quae liberast, 193–194; vgl. 203–204). Sannio gerät in eine schlimme Lage. Er ist im Recht (iure, 217), da Bacchis’ freie Geburt (noch) nicht nachgewiesen ist. Nimmt er das Geld, könnte Aeschinus später behaupten, er habe eine Freie verkauft. Nimmt er das Geld nicht und verlangt, daß Bacchis’ Freiheit erst offiziell zu beweisen sei, verpaßt er einen wichtigen Geschäftstermin in Zypern, womit ihm ein damnum maxumum droht (231), denn der Verkehrs- oder Verkaufswert einer Sklavin kann höher als der Einkaufspreis sein: Sannio erlitte, juristisch gesprochen, ein Lucrum cessans. Ob hinsichtlich der Erstattung eine verbindliche Regelung vorliegt oder es sich nur um ein Normalverhalten in einer zivilisierten Gesellschaft handelt, ist nicht von Gewicht. Man wird zumindest von einer Komödienkonvention sprechen dürfen. Ihr kommt prinzipielle Bedeutung sowohl für die Nea als auch für die Palliata zu. 3. Wer zahlt die Entschädigung? Hinsichtlich der Zahlung an den Kuppler herrscht ein Durcheinander, das nicht dem Original entstammen kann. Kommt bei Menander Aeschinus für den Schaden auf, wie es bei Terenz dreimal heißt? 1. Aeschinus geht zum Forum, um Sannio zu entschädigen (277–280). 2. Aeschinus hat auf dem Forum Sannio entschädigt (404–406). 3. Aeschinus sagt später: egomet solvi argentum (628). Andererseits hören wir, daß Micio die Summe spendiert: a. Syrus aparte über Micio: argentum adnumeravit ilico (369). b. Demea zu Micio: tua arte viginti minae | pro psaltria periere (742–743). c. Demea zu Micio: quor emis amicam, Micio? (800). Zu 1–3 ist zu bemerken: Es verstößt gegen die Gepflogenheiten der Nea, daß ein neaniva" über einen Betrag von 20 Minen verfügt und sein Geld bei einem Bankier auf der ajgorav deponiert, was hingegen die gevronte" tun. Es ist daher anzunehmen, daß a–c (von der Konzeption her) auf Menander, 1–3 auf Terenz zurückgehen. Nach Webster und Lowe nahm Sannio bei Menander an II 4 nicht ___________________________
23 Zum folgenden Lefèvre 2001 (3), 28 Anm. 124. 24 Aeschinus blufft: Dziatzko / Kauer 1903, 52; Marti 1959, 99; Martin 1976, 133; Gratwick 1999, 185. 25 Gratwick 1999, 186 erklärt: “The money being offered is not a legal price but ex gratia compensation for what he himself paid for her”. Ein ‘l eg al price’ ist es nicht, wohl aber entspricht das Verfahren der Komödienkonvention. Zum Problem des Kostgelds (trofei'a) Lefèvre 1994, 112; 1997, 35 (vgl. unten S. 75).
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B. Zweiter Teil: Analyse
teil: Danach stammt 1 von Terenz.26 2 steht in einem terenzischen Zusammenhang, in dem Syrus übertrieben Ctesipho vor seinem eitlen Vater lobt, wie es für Menander nicht anzunehmen ist.27 3 ist dagegen eine klare Aussage. Hier spinnt Terenz seine Version weiter, um die augenblickliche Wirkung zu verstärken. Wenn es wahrscheinlich ist, daß sich in den Adelphoi Bacchis als Micios Tochter entpuppt,28 ist klar, daß er als Vater für Sannios Entschädigung gern aufkam. Es ist festzustellen, daß Terenz die Motivationen verwendet, wie er sie gerade braucht.29 Am eklatantesten liegt der Widerspruch innerhalb einer einzigen Szene zutage: In III 3 sagt Syrus sowohl, daß Micio (369), als auch, daß Aeschinus gezahlt habe (406). Die Diskrepanz geht mit Sicherheit nicht auf Menander zurück. Im Original wird das Problem der Entschädigung des Kupplers stimmig dargeboten worden sein. Aeschinus brachte zwar Bacchis in seine Gewalt, konnte aber Sannio nicht sofort den Einkaufspreis erstatten, sondern vertröstete ihn auf später. Damit geriet er in eine weitere Notlage, die zu der Not nahenden Geburt der Geliebten hinzukam. Die Klemme löste sich durch den glücklichen Umstand der Anagnorisis, die Micio veranlaßte, den Betrag, wie es sich gehört, aufzubringen.
III. Syrus zwischen Kochkunst und Intrigantentum Ein schillernder Bursche ist Syrus. Wenn man davon ausgeht, daß die Figuren der Nea im allgemeinen fest umrissene Charaktere haben, ist das bei ihm nicht der Fall. Er hat zwei Profile. Einerseits geriert er sich in III 3 wie ein ausgewiesener Koch, der über die Zubereitung von Fisch genau Bescheid weiß, andererseits ist er in der Demea-Handlung der Intrigenführer, der mit dem Senex nach Palliata-Manier frech umspringt. Beide Profile könnten auf Terenz zurückgehen. Syrus ist kein üblicher Nea-Koch,30 er redet nur wie ein Koch. Die Kochrolle ist uneigentlich verwendet.31 Der Einkauf der Fische wird nicht begründet. Man kann folgern, daß er auf die halbe Mine zurückgeht, die Micio den jungen Leuten zum Feiern (in sumptum, 370) spendiert hat. Das ist ein terenzischer Einfall,32 zumal es bei Menander offensichtlich kein Gelage gab.33 Syrus posiert als gewiefter Fischspezialist, der den conservi überlegen detaillierte Anweisungen erteilt (424–429). Warum? Er parodiert damit Demeas Erziehungsmethode und nimmt ihn in übler Weise auf den Arm. Syrus’ beide Profile gehören zusammen. ___________________________
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C I 1 zu II 3 / 4 (S. 91). C I 1 zu III 3 (S. 93–96). B VII 1 (S. 75–76). Die Unstimmigkeiten werden von Drexler 1934, 14–15 diskutiert. Er wird daher in dem Standardwerk über die Kochrolle von Dohm 1964 nicht genannt. Bezeichnenderweise kennt schon Plautus die uneigentliche Kochrolle. Dohm 1964, 259–275 behandelt ‚Entartungsformen‘. 32 C I 1 zu III 3 (S. 94). 33 B IV (S. 57–58).
IV. Das Gelage in Micios Haus
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Überdies ist zu sehen, daß Syrus in den Demea-Szenen mehr intrigiert, als es handlungsmäßig erforderlich ist. Nicht muß er immer neue Ideen entwickeln, um Demea von der Bühne fortschicken zu können, sondern der Dichter läßt Demea so oft auftreten, damit ihn Syrus listenreich in die Irre dirigieren kann. Dieses Spiel ist weitgehend Selbstzweck und kaum auf Menander zurückzuführen.34 Im Original war Syrus vermutlich ein treuer Diener seiner Herren, des gevrwn und des neaniva". Sicher stand er ihnen auch gegen Demea bei. Aber daß er in der letzten Szene sich um seines Vorteils willen auf Demeas Seite schlägt, ist bei Menander nicht gut denkbar. Wenn Demea ihn lobt, daß er in psaltria hac emunda Helfer gewesen sei (967), irrt er: Er plappert nach, was ihm Syrus in dem terenzischen Einschub 36835 suggeriert hat. Bei Menander wurde die ‚Entführung‘ erzählt, bei Terenz heißt der Helfer Parmeno, der sein Dasein dem Umstand verdankt, daß er dem Kuppler Prügel verabreicht. Wie weit das auch bei Diphilos der Fall war, ist nicht zu sagen. Jedenfalls ist er nicht gut integriert.36
IV. Das Gelage in Micios Haus Wenn Bacchis bei Menander als Freie erkannt wurde,37 war sie keine (echte) Hetäre. Deswegen dürfte die Vorstellung, daß bei Micio ein Gelage mit ihr stattfindet, auf Terenz zurückgehen. Auf dieses wird mehrfach angespielt. Ctesipho sagt 531, daß er in dem Haus des Onkels über Nacht bleiben wolle (pernocto)! 552 will er sich dort mit Bacchis in ein Zimmer einschließen (me iam in cellam aliquam cum illa concludam)! Auch Aeschinus wird zu dem Fest erwartet, man beabsichtigt, zu viert zu feiern; Syrus ist eine Hauptperson (588–591). Nachdem er in frechster Weise Demea fortgeschickt hat, läßt er selbst es sich gut sein. Es ist die beliebte Saturnalienwelt. Im Pseudolus und in den Bacchides feiern die Sklaven mit den jungen Herren, und im Stichus feiern sie sogar ohne diese. Entsprechend seiner Absicht kommt Syrus in V 1 aus Micios Haus und tut kund, daß er gut gefeiert habe und etwas Bewegung brauche (763–766). Ein weiteres Mal ist er Terenz’ Sprachrohr für das Gelage, wenn er Demeas überraschenden Eintritt in Micios Haus drastisch kommentiert und beschließt, beiseite zu gehen und sich auszuschlafen (783–786). Für das Gelage gilt: Was soll man mit einer psaltria anderes machen als Feiern und Lieben? Selbst Demea verbindet mit ihr die Vorstellung von Singen und Tanzen in dem terenzischen Passus 749–753.38 Der Einbau des Gelages führt zu dramaturgischen Schwierigkeiten. Micios Bewegungen sind nicht einwandfrei. 154 geht er zum Forum. Nach Syrus’ (terenzi___________________________
34 B VI 3 (S. 74). 35 C I 1 zu III 3 (S. 93–94). 36 Terzaghi 1931, 68: ‹difetto di composizione›. Parmeno «dispare senza lasciare traccia di se.» 37 B VII 1 (S. 75–76). 38 B VI 2 (S. 72–73) .
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B. Zweiter Teil: Analyse
schem) Bericht hat er 20 Minen für die Hetäre und eine halbe zum Schmausen spendiert (369–370). Da er erst 592 vom Forum zurückkehrt, muß er die Zahlung dort vorgenommen haben. Er soll aber nicht am Gelage teilnehmen. Deshalb dirigiert ihn Hegio mit einer etwas schwachen Begründung 609 in Sostratas Haus. Aus diesem tritt er 635 heraus und geht 706 endlich in sein Haus, um die Hochzeitsvorbereitungen zu treffen (ego eo intro ut quae opus sunt parentur). Spätestens an dieser Stelle wird klar, daß sich das Gelage und besonders seine Fortdauer nicht mit den Hochzeitsvorbereitungen in demselben Haus vertragen. Auch Aeschinus begibt sich aus d ie sem Grund in Micios Haus (712), wo ihn aber Syrus sehnlichst zum Zechen erwartet (588). Syrus feiert also nur mit Ctesipho und Bacchis. Terenz vergißt Aeschinus – oder aber das Gelage. Micio besucht 757 abermals Sostrata. Diese Abwesenheit benutzt Terenz, um Syrus 763–765 über das Gelage, das also immer noch im Gang ist, berichten zu lassen. Auch in 783–786 bezieht er sich darauf, wenn er Demea ironisch einen commissatorem haud sane commodum nennt. Nach diesem Bericht hält das Trinken an (799). Schließlich: Was ist mit dem Fisch aus III 3? Wird er hier verspeist?
V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9 “This is unique in the Palliata and worlds away from the New Comedy of Menander.”39
Terenz tastet, wie es scheint, durch Betonung einzelner Züge und den Einschub kleinerer Passagen während der ganzen Handlung die Verhaltensweisen Micios und Demeas im Vergleich zu Menander an, ohne die Grundstruktur zu verändern.40 Mit V 4 gibt es aber einen Paukenschlag, der bis zum Ende des Stücks die bisher ausgestellten Charaktere der Senes nicht wiedererkennen läßt. 1. Die Entdeckung des Terenzischen im Terenz „die beiden Alten sind aus ihrem Wesen geworfen“.41
Die Forschung hat einen langen Weg zurückgelegt, ehe sie das Terenzische im Terenz erkannt hat. Die Ergebnisse der bedeutenden Arbeiten werden ausführlich wiedergegeben, weil sie das Verständnis der Adelphoe noch heute fördern.42 Die ersten Kritiker, die die Darstellung Micios und Demeas nicht billigten, waren vor allem Voltaire («Le dénouement des Adelphes n’a nulle vraisemblance»), Diderot und Lessing. Ihre Urteile haben nichts an Schlagkraft verloren.43 Im 18. Jahrhun___________________________
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Gratwick 1999, 44. B VI 1–3 (S. 71–75). Wilamowitz (1899) 1935, 230 (der das für menandrisch hält). Die Charakteristik der Positionen in A II (S. 35–50) ist ebenfalls zu beachten. Sie sind in A I 3 in extenso zitiert (S. 23–25, 32–34).
V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9
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dert lernte man, auf die vraisemblance einer Handlung zu achten, auf das eijkov". Man konstatiert die Nichtbeachtung des ‚Wahrscheinlichen‘, aber man setzt noch nicht die quellenanalytische Sonde an. Doch Lessing fragt schon: ‚Terenz oder Menander?‘ Die Philologie zieht Schritt für Schritt nach. Am Anfang stehen die scharfsinnigen Arbeiten von Schmieder, Hermann und Fielitz, die ihrer Zeit um mehr als ein Jahrhundert voraus waren. Es gereicht der Philologie nicht zur Ehre, daß sie heute vergessen sind. 1794 ist Schmieder der Ansicht, daß mit Demeas Monolog V 4 ein von Terenz ersonnenes ‚drama secundarium‘ beginnt.44 1838 ist es nach Hermann wahrscheinlich, daß Menander die Handlung der Adelphoi so angelegt hat, „ut Micionis animus lenis et paternus clarissimis semper luminibus splenderet, Demea autem obiurgator post diuturnam irrisionem stolida sua fiducia excussus postremo ipse manibus pedibusque ad hostilia signa transfugeret eoque pacto argumentum, quod nunc varia et inexspectata vicissitudine quasi fluctuat, simplici atque aequabili filo45 ad finem deduceret.“46 1868 betont Fielitz, Terenz dichte V 4–V 9 selbständig zu dem Zweck, „Demea, dessen trockene strenge dem damaligen Römer allerdings wol mehr zusagen mochte als die feine griechische humanität Micios, über seinen bruder und dessen lebensphilosophie triumphieren zu lassen“.47 1931 stellt Terzaghi treffend fest: «che Micione divenga una specie di pagliaccio senza volontà, a cui tutti possono imporre le cose più strane e balzane, che vengan loro in mente, è assai più difficile ad ammettersi. Così pure è difficile pensare che Eschino, legato com’è a Micione, si presti ai più assurdi desideri di suo padre, per tender tranelli allo zio, di cui può considerarsi vero figlio, e per renderlo ridicolo. Queste sue scene [sc. V 8 / 9] sono una buffonata senza scopo e senza spirito, e difficilmente possono venir messe a carico di Menandro. Anche questo, come quello dell’Andria, è in sostanza un finale mancato, in cui Terenzio non ha saputo mantenersi all’altezza del suo originale».48 1957 schreibt Büchner die ‚tolle Schlußstimmung‘ Terenz zu, „weil es sich im Stück selbst ja nicht um Beistimmen, Schenken, Nachgeben handelt, sondern eben um echte Teilnahme und Bemeisterung, was selbst ein Demea nicht so simplifizierend entstellen könnte. Und wenn die Jünglinge sich dem Demea reuevoll als dem wahren Erzieher verschreiben, so hat hier nicht Menander die Richtung seines ganzen Stückes ins Gegenteil verkehrt, sondern Terenz hat der Sparsamkeit und Strenge an sich ihr Lob zuteil werden lassen.“49 1962 führt Dorey gegen den Schluß vier Argumente an: “First, the whole conclusion is improbable. It is difficult to accept that a rigid character like Demea, ___________________________
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Ausführliche Referate der gut begründeten These: A II (S. 36) und B V 2 (S. 65). Fälschlich ‚filio‘. Ausführliches Referat der gut begründeten These: A II (S. 36–37). (1838) 1840, 70-71. 1868, 681. Ausführliches Referat der gut begründeten These: A II (S. 37–38). 1931, 68–69. 1957, 60 (Sperrung original).
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B. Zweiter Teil: Analyse
who has displayed no trace of moderation, should end up as a personification of the ‘golden mean’. Secondly, the behaviour of Aeschinus in helping to impose on Micio and his final tribute to Demea’s wisdom come very incongruously after his earlier expression of devotion to Micio at the end of IV. V, and vitiate his whole character; his sudden change of front makes him appear selfish and shallow, instead of high-spirited but strong and resolute. Thirdly, the treatment of Micio leaves one very unsatisfied. It is incorrect to regard his character as the complete antithesis of that of Demea. Throughout the play Micio shows great concern in case Aeschinus has allowed his youthful pranks to go too far. He displays a proper sense of social responsibility in his attitude towards Pamphila and Hegio, and he shows the sterner side of his nature by giving Aeschinus a very unpleasant few minutes. By the end of the main plot his methods of upbringing have been fully vindicated, and to make Demea then turn the tables on him spoils the dramatic structure of the play. Finally, the play runs as pure comedy for four-fifth of his lenght, and then suddenly changes from comedy to satire; the change is too abrupt and unnatural to be acceptable. There is some evidence that the last scenes of the play were not in the original comedy of Menander, but were invented by Terence himself”.50 Auch diese Stimme von eigenem Gewicht verhallte. 1943 / 1964 sieht Rieth, daß Terenz Micio in V 8 übel mitspielt.51 Da ihm nach Donat bei Menander die Hochzeit mit Sostrata nicht schwerfiel, schließt Rieth, daß „alles, was mit Micios gravari in Zusammenhang steht“, von Terenz stamme. „Das sind zunächst einmal alle Reden des Demea und Aeschinus, in denen sie auf Micio einen Druck ausüben. Also ist der ganze in jambischen Oktonaren gehaltene Teil der Episode (934–946) Terenz zuzuschreiben. Terenz hat sich diesen Dialog erdacht, der nicht von der Stelle kommt; Terenz brauchte die ‚Notlüge‘ des Aeschinus [940], um wenigstens die Bewegung in Gang zu halten. […] Wie Terenz es wagte, ohne Rücksicht auf seinen Vierten Akt, den Micio plötzlich als Schwächling hinzustellen, so hat er auch bei Aeschinus die Einheit des Charakters nicht gewahrt.“52 Es sei zu erwägen, „ob die Eigentümlichkeit, daß Micio die Schenkung an Hegio (956) und die Freilassung des Syrus (969) vom Willen des Aeschinus abhängig macht, auf Terenz zurückzuführen ist. Man beachte: gerade hierdurch wird der Eindruck verstärkt, daß Micio keinen eigenen Willen mehr hat.“53 Komplementär dazu wird Demea gedeutet. Er sei dem Ideal römischer Strenge und Sparsamkeit angeglichen. Aus seiner „Schlußrede spricht römischer Stolz. Was aequom et bonum ist, das hat man letztlich nicht bei den Griechlein zu erfragen, sondern das wissen die Römer selbst.“54 ___________________________
50 1962, 38. Arnotts Erwiderung in derselben Zeitschrift 1963 versuchte alles wieder einzuebnen, ohne den Kern zu treffen. 51 Es sei zu vermuten, daß sich Terenz in 882–928 und 947–979 Menander angeschlossen habe (1964, 117). 929–946 stammen demnach von Terenz. 52 1964, 118. 53 1964, 119. Dort werden auch 979–982 als terenzischer Zusatz genannt. 54 1964, 131.
V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9
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1965 betont Lefèvre im Anschluß an Rieth, daß die aufgenötigte Hochzeit „arg die Funktion einer bloßstellenden Überrumpelung des bisher positiv gezeichneten Micio“ habe. Hinsichtlich seines Gegenspielers dürfe man „annehmen, der griechische Demea habe tatsächlich nach seinem Schiffbruch wie Knemon seine Verfehlung eingesehen, ohne jedoch eine echte ‚Umkehr‘ zu vollziehen“.55 1969 unterstreicht Lefèvre, bei Menander sei Micio der Vertreter einer liberalen, allein auf menschliches Verstehen gegründeten Erziehungsweise gewesen, die am Ende nicht widerlegt werde.56 1970 stellt Büchner strukturelle Argumente heraus: „Diese kleine burleske selbständige Schlußkomödie hat verschiedene Auffälligkeiten. Die Motivationen sind überaus fadenscheinig: Syrus soll Demea sagen, er solle sich nicht vom Haus entfernen, Geta schaut nach, wann das Mädchen geholt wird, Aeschinus macht seinem Herzen Luft, weil die Hochzeitsvorbereitungen zu lange dauern, Micio schaut nach, ob Demea wirklich die Anordnung des Einreißens der Mauer gegeben hat, Syrus meldet die Durchführung. Das ist keine klar geführte Handlung, sondern sind Verlegenheitsmotivationen, um die Personen wie beim Kasperletheater auf die Bühne zu bringen. Dabei kommt es zweimal zu Vierergesprächen (V 7 und V 9), die bei Menander vermieden werden. Die Personen verlieren Schicksal und Charakter wie Demea in der Schlußrede: keiner wundert sich über Demeas neue Haltung […]. Nimmt man noch hinzu, daß der pathetisch-tragische Zusammenbruch Demeas zu rasch in die Schlußerklärung mündet, daß es ungerecht ist, wenn er nicht erfährt, in welcher Krise Ctesipho war, daß sich hinter der Bühne ein für Terenz bezeichnendes Dunkel ausbreitet – man weiß nicht, warum Demea wieder herauskommt –, schließlich, daß es doch kaum Demeas Art ist, nach der Entdeckung ohne Ctesipho auf die Bühne zu kommen und diesen mit seiner Geliebten im Hause zu lassen, so ist der Verdacht, daß Terenz hier seine Hand im Spiele hat, genügend begründet […]. Wie es ausgesehen hat, muß Vermutung bleiben, daß aber Terenz an die Komödie eine neue angefügt hat, um am Schluß Demea eine pädagogische Lektion erteilen zu lassen, das scheint die Auftrittsrede Demeas nach seinem unmotivierten Heraustreten zu erhärten. Sie bringt den neuen Handlungszug in Gang“.57 1974 nimmt Büchner die Probleme ausführlich auf. Es genügt, zwei Bemerkungen zu zitieren. Zu Demea: „Es ist der eine Demea, an dessen Verstellung und dessen Situation, nicht Charakter, der ganze 5. Akt hängt. Die andern legen ihre Charaktere beinahe ab. […] Es ist, als ob sich die Konturen, die sie im ganzen Stück zeigten, aufgelöst hätten.“58 Zu Micios Ausspruch 944–945 etsi hoc mihi […] alienum a vita mea | videtur, si vos tanto opere istuc voltis, fiat: „Das ___________________________
55 56 57 58
1965, 366. 1969, 40. 1970, 17–18. 1974, 420.
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B. Zweiter Teil: Analyse
ist […] ein Zerrbild des Micio. Er ist hier ein willenloser Schwächling. Im Stück wußte er besser als Demea, was er wollte.“59 1978 sieht F. H. Sandbach, daß Micios Charakter im fünften Akt anders als vorher sei, und konstatiert, daß das nicht “the doing of Menander” sein könne.60 1978 vertritt Lefèvre die Ansicht, daß das auf Terenz zurückgehende ‚böswillige Experiment‘ Demeas 877–881 beginne und durch die ebenfalls terenzische Rede 985–995 bestätigt werde.61 Terenz werte „durch eine Reihe von grotesken Einfällen Micio Schritt für Schritt planmäßig ab und macht ihn zu einer Witzfigur, die alles mit sich geschehen läßt. Micio ist eindeutig das – einzige – Ziel der Umdichtung. […] Demeas Aufwertung war […] nur das Mittel zum Zweck der Abwertung Micios. Bei Menander siegte Micio, der von Anfang an innerlich Überlegene, und unterlag Demea, der scheinbar Starke und Sichere. Sie waren Abbilder der Lebenserfahrung. Terenz fand Gefallen daran, den überlegenen Typ, an dessen Position kein Zweifel erlaubt schien, am Ende vom Podest zu stürzen, ihn ‚hineinfallen‘ zu lassen. Terenz zielt einzig und allein auf die Komik des Handlungsumschlags, nicht auf die Korrektur von Prinzipien.“62 1987 / 1999 kommt Gratwick zu einem bemerkenswerten Ergebnis: “A man can change his opinion, like Knemon in Menander’s Dyskolos […]. Nor is there difficulty in a man pretending to change his mind for an ulterior purpose or even several, as Demea does in 855ff. But the reasons in Terence are too many and seem incompatible. The real problem of continuity here in Brothers is not the awkwardness internal to 855–997, but the premiss leading to the whole sequence, that Demea has suddenly become wise and that Micio is the fool. This only works, if it works, as a deliberate surprise, exploiting our conceptions of senex lepidus and durus in the traditional Palliata […] and involves Terence in twice stepping outside the proper limits of his genre to initiate and then terminate an episode of Saturnalian farce excellent in itself but aimed at showing that we have all been hoodwinked by what went before. This is unique in the Palliata and worlds away from the New Comedy of Menander.”63 Eine Bestätigung der analytischen Forschung ergibt sich, wenn die Adelphoi A n a g n o r is eis hatten, indem Bacchis und vielleicht Pamphila als Zwillingstöchter Micios und Sostratas erkannt wurden und Micio gern heiratete.64 Obwohl Terenz Wiedererkennungen in fünf Stücken übernahm, mußte er sie hier eliminieren, weil er Micio mit Hilfe der aufgedrängten Hochzeit zu einer läppischen Figur umformen wollte. Demeas ‚Aufwertung‘ ist die Voraussetzung für seine ___________________________
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1974, 421. 1978, 140. 1978 (4), 25. Doch könnte Menander in 989–995a zu fassen sein: B V 4 (S. 69). 1978 (2), 35–36. 1999, 44. B VII 1–3 ( S. 75–79).
V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9
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‚Abwertung‘.65 Micio verkörpert weder ein gescheitertes66 noch ein sympathisches Extrem.67 Wie Tränkle und Pöschl halten den Schluß auch nach den Menander-Neufunden für weitgehend original Fantham,68 Lloyd-Jones,69 Grant,70 Lord,71 Compagno,72 Grimal,73 Orlandini,74 Lieberg,75 Damen,76 Klowski77 oder Kruschwitz.78 Menander und Terenz werden noch immer verkannt. 2. Micio in der Tradition von Palliata und Stegreifspiel “In the superb mini-farce […] we get as a coda in concentrated form all the chicanery, caricature, and surprise which characterised the popular traditional Plautine Palliata.”79
Mit Micios Umwertung dr älteren Brüder Micio und Dema folgt Terenz nicht nur seiner Praxis in früheren Stücken (1), sondern steht auch deutlich in der Tradition einerseits der plautinischen Komödie (2) und andererseits des italischen Stegreifspiels (3). 1. Die Chremetes in Heautontimorumenos und Phormio werden am Ende stark ridikülisiert, wie es die Originale offenbar nicht kannten. Im Heautontimorumenos ereilt Chremes dasselbe Schicksal wie Micio. Auch er ist zu Beginn der Überlegene, der dem Nachbarn aus seiner Lebenskenntnis heraus tiefgründende Ratschläge gibt und lehrt, wie er dem Sohn hätte begegnen sollen, denn Menedemus reagierte (in der Vorgeschichte) bei Clinias Liebschaft mit Unverständnis. Auch Chremes ist am Anfang ein Vertreter der filanqrwpiva. Auch er lebt nach der Devise der vera vita.80 Auch er tritt für Offenheit in dem Verhältnis zwischen Vater und Sohn ein.81 Aber auch er ist am Schluß der Verlierer, der verspottet ___________________________
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Lefèvre 1978 (2), 35. Tränkle 1972, 245. Pöschl 1975, 15. (1971) 2011, 74. 1973, 279. 1975, 59. 1977, 194. 1978, 138. 1982, 45. 1982, 107. 1988, 82–83; 1989, 372. 1990, 86. 2000, 109–127. 2004, 162 (der bezweifelt, daß Micio bei Menander ‚Gewinner‘ war). Nachzutragen ist nunmehr auch Victor 2012, 690 (ausführlich zitiert in A II (S. 50). 79 Gratwick 1999, 200 zu 933–983. 80 Ht. 154: vere vivere, Ad. 987: vera vita (von Demea Micio abgesprochen). 81 Ht. 155–157; Ad. 51–56.
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B. Zweiter Teil: Analyse
wird,82 der ‘fool’.83 Damit nicht genug: Menedemus, der erst so Strenge, dann Verzweifelte, ist am Schluß ‘the wise man’84 – wie Demea. Chremes im Phormio wird am Ende ebenfalls zum törichten Alten.85 Ihm ergeht es insofern schlimmer als seinem Namensvetter im Heautontimorumenos und Micio, als er von seiner Ehefrau Nausistrata (die sich noch dazu der Unterstützung eines Parasiten erfreut) nach Strich und Faden verhöhnt wird – was in Rom ein besonders zündendes Handlungssegment darstellt. Auch in diesem Fall dürfte Terenz entscheidend in das Original eingegriffen haben.86 2. Es kann kein Zweifel sein, daß Terenz mit der Gestaltung der Schicksale beider Chremetes und Micios in Plautus’ Tradition steht, wenn er dessen Stücke auch nicht mehr auf der Bühne sehen konnte.87 Die in vielen Punkten ähnlichen Stücke Pseudolus und Bacchides bieten klare Beispiele. Pseudolus und Crusalus erlisten von den Herren jeweils das Doppelte der Summe, die die jungen Herren für die Auslösung ihrer Mädchen benötigen. Pseudolus rülpst am Ende Simo ins Gesicht (Pseud. 1295), verlacht ihn (Pseud. 1316) und spricht über dem Jammernden das den Römern verhaßte Brennus-Wort aus: vae victis! (Pseud. 1317). Nicht besser ergeht es Nicobulus, den Crusalus nach allen Regeln der Kunst um Geld betrügt, wie es weder in der griechischen und römischen Wirklichkeit noch in der Nea möglich war. Hinzu kommt, daß beide Senes, die ihren Söhnen je unterschiedliche Väter sind, am Ende im Bordell landen und von Hetären schlimm verspottet werden – nicht nur der Pater durus Nicobulus, sondern auch der Pater lenis Philoxenus, der vorher den verständnisvollen Micio gab! Ein überaus drastisches Exempel bietet auch die Casina, in der entgegen dem Vorbild, Diphilos’ Klerumenoi, die Senes Lysidamus und Alcesimus von ihren Frauen Cleostrata und Myrrhina in übler Weise verspottet und auf das Kreuz gelegt werden.88 Die Casina wurde denn auch bald nach Terenz’ Tod als eine der ersten Plautus-Komödien wiederaufgeführt.89 An diesem Faktum läßt sich ablesen, mit welcher Erwartungshaltung des Publikums Terenz zu rechnen hatte. Ein weiteres lustiges Beispiel für die ‚Abwertung‘ zweier Senes bei Plautus sind Demipho und Lysimachus im Mercator, die entgegen dem Original, Philemons Emporos, am Ende der Komödie kräftig bloßgestellt werden und für den Spott nicht zu sorgen brauchen.90 Das mag genügen. ___________________________
82 Ht. 818: stultitia; Ad. 944: ineptum. 83 Lefèvre 1973 und 1994. Die Arbeiten sind teilweise auf Kritik gestoßen. Ein im Druck befindlicher Beitrag präzisiert die alten Argumente und führt neue an: Lefèvre 2013. 84 Ht. 922–923: nonne id flagitiumst te aliis consilium dare, | foris sapere, tibi non posse te auxiliarier? 85 Ph. 997–998: delirat miser | timore. 86 Lefèvre 1978 (1), 55–58. 87 Zu diesem Problem D II 2 (S. 140–142). 88 Paratore (1959) 2003, 65–66; Lefèvre 1979 (2), 334. 89 Blänsdorf 2002, 197; Deufert 2002, 31. 90 Lefèvre 1995, 52–59.
V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9
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3. Das Finale der derb-obszönen Casina mit der ‚Hochzeitsfeier‘ der Senes, denen die Frauen statt des begehrten Mädchens einen rauhen Knecht unterschieben, steht sicher unter dem Einfluß mündlicher Formen. Man dachte an die Atellane,91 an die Phlyaken92 oder überhaupt an den «mondo della farsa italica, ma come tema già divenuto canonico, senza riferimento ad una specifica opera.»93 Der übertölpelte Alte in der Atellane war Pappus. Der in den Bacchides hereingelegte Senex Nicobulus spielt selbst auf den Bucco an (Ba. 1088). Das sind Auswüchse, von denen sich der behutsamer vorgehende Terenz fernhält. Aber auf die saturnalischen Konstellationen, in denen die Senes als Träger der Autorität verspottet werden, mag auch er nicht verzichten. Es ist von Interesse, daß Schmieder bei der Schlußfarce V 4–V 9 daran denkt, Terenz dichte dieses ‚drama secundarium‘ als exodium, das auf das Hauptspiel folgt; er stehe damit in der Tradition der von Livius 7, 2 erwähnten exodia (Nachspielen). Terenz wolle das Publikum von diesen abwenden und ihm feinere Kost bieten. „A lascivis istiusmodi ineptiis avocandae plebeculae periculum facturus, subiunxit fabulae huic exodium, seu drama secundarium, quo ipso quidem risus cum hilaritate cooriretur, at is tamen nec poëtae elegantia, nec spectatorum indignus honestate.“94 Livius’ Bericht, der auf Varro fußt, ist ebenso im ganzen umstritten95 wie hinsichtlich der exodia im besonderen. Wenn es kurze Atellanen als Nachspiele nach Tragödien gab, wie Cicero Ad fam. 9, 16, 7 mitteilt, wäre es, wenn das schon im zweiten Jahrhundert der Fall war, möglich, daß man in paralleler Weise drastische Komik am Ende von Komödien direkt einbaute (was Plautus praktisch tat). Die Palliata in der von Livius berichteten exodium-Tradition zu sehen ist ein verlockender Gedanke – mehr nicht. 3. Die Demea-Handlung als Voraussetzung der Micio-Handlung „Eine Schlange, die in dem Augenblicke da ihr der Kopf zertreten wird, den Sieger in die Ferse sticht, daß er selbst auch todt zu Boden sinkt, – das ist […] der Ausgang der Adelphi“.96
Warum geht Demea als ‚Sieger‘ aus der Auseinandersetzung mit Micio hervor? Ist das gar Menanders Konzeption? Rieth und Gaiser sind Exponenten dieser Auffassung. Sie schreiben die Aktionen, die zu Micios Lasten gehen, dem Interesse der Demea-Handlung des Originals zu. Er sehe, daß er nicht zu derselben Anerkennung gelange wie Micio, und glaube nur noch an dessen ‚Lebensregel‘ (so wie er sie verstehe). Diese übertreibe er. Es liege das Phänomen des Um___________________________
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Ladewig (1845) 2001, 80. Leo 1897, 106–107. Paratore (1959) 2003, 67; vgl. Lefèvre 1979 (2), 314. (1794) 1819, 388. Dazu A II (S. 36) Gründlich Schmidt 1989, 77–105. Teuffel 1853 / 1889, das vollständige Zitat in A II (S. 37).
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B. Zweiter Teil: Analyse
schlags von einem Fehler in den entgegengesetzten vor.97 Terenz folge in großen Zügen Menander, füge aber Demeas Fazit 985–995 hinzu. Aus ihm spreche römischer Stolz. Was aequom et bonum sei, habe man nicht bei den ‚Griechlein‘ zu erfragen, sondern wisse man selbst.98 In Rom gälten die Eigenschaften eines Demea als die wichtigsten virtutes: sittliche Strenge, bäuerliche Sparsamkeit, Gehorsam gegenüber der Autorität des Älteren.99 Demea werde von Terenz bewußt aufgewertet.100 Rieth und Gaiser führen Demeas Fazit auf Terenz zurück, weil es mit dem Monolog V 4 nicht vereinbar sei. Das trifft nicht zu: 985–988 schließen direkt an das Ende des Monologs an. 877–881 ermuntert Demea sich: Er wolle versuchen, ob er wie Micio mit Schmeicheln und Großzügigkeit etwas erreiche. Nach dieser Devise handelt er in den folgenden Szenen und zieht 985–988 die Folgerung, er habe demonstrieren wollen, daß, wenn die Söhne Micio für umgänglich und liebenswürdig hielten, das nicht so sehr aus wahrer Lebensweise und aus Recht und Billigkeit resultiere als vielmehr aus Micios Gewohnheit, zuzustimmen, nachgiebig und freigebig zu sein. Er kündigt 877 an, daß er ‚experimentieren‘ wolle (experiamur), was er mit Micios ‚Methode‘ erreichen könne. Am Ende stellt er fest, daß die Probe gelungen sei, d. h. daß Micio nur aufgrund seiner Freigebigkeit beliebt sei, nicht aber aufgrund einer vera vita. Das ist folgerichtig argumentiert. Die Selbstaufforderung des Monologs 877–881 und die Erklärung 985–988 stammen von demselben Dichter. Hieraus ergibt sich, daß Demea in 882–983 nicht das Bestreben hat, nach Micios ‚Lebensregel‘ zu leben, sondern die boshafte Absicht, Micio zu entlarven. Es geht Terenz nicht um Demeas Aufwertung, sondern um Micios Abwertung. Demea heuchelt, wie Donat richtig gesehen hat: apparet Demeam experiendi causa assentari, non quod animo fecit (zu 911); hic ostendit Terentius magis Demeam simulasse mutatos mores quam mutavisse (zu 992). Von 877 bis zum Ende ist nirgends ein Bruch – weder in Demeas Charakter noch in seiner Argumentation. Die Demea-Handlung ist nicht Zielpunkt der terenzischen Konzeption, sondern Mittel zum Zweck der Micio-Handlung. Es kommen d r a m atu rg is ch e G r ü n d e hinzu. Das Unorganische seiner Rekonstruktion ist Rieth nicht entgangen, wenn er zu der Feststellung gelangt, daß „Menander die umgewandelte Person dazu verwandte, um seiner Komödie n o c h ein ig e lu stig e S zen en an zu h än g en “ .101 Bedenklich an dieser These ist nicht nur, daß die Szenen ohne Micios Bloßstellung kaum ‚lustig‘ wären, sondern vor allem, daß der Dramaturgie Menanders zugemutet wird, an die zum Ziel gelangte Handlung seien noch ein paar Szenen ‚angehängt‘.102 ___________________________
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Gaiser 1964, 148–149; 1972, 1103 Anm. 357. Rieth 1964, 131. Gaiser 1972, 1104. Ebenso Büchner: Mit Demeas Schlußrede lasse Terenz der Sparsamkeit und Strenge an sich ihr Lob zuteil werden (1957, 60 = 1980, 139, ähnlich 1970, 20). 101 Rieth 1964, 114 (Sperrung original). 102 Terenz’ Dramaturgie in V 5–V 9 wird ausführlich in C I 1 behandelt (S. 85–113).
V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9
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4. Die Hilfe des Dyskolos: Knemon und Demea „von einer ‚Wandlung‘ darf man ja sprechen, wenn man dabei nicht außer Acht läßt, daß sie nur im Einsichtigwerden, in der Erkenntnis des fehlerhaften Selbst und des Scheiterns besteht, in Resignation endet und nicht zur ‚Umkehr‘ wird, wie denn der Typus des Dyskolos bis zuletzt gewahrt bleibt“.103
Im Dyskolos bringt Menander mit Knemon einen geistigen Bruder Demeas auf die Bühne. Es ist üblich, mit seinem lustigen Finale den farcenhaften Schluß der Adelphoe zu erklären. Der gevrwn Knemon, der nach dem Sturz in einen Brunnen zu der Einsicht kommt, daß man nicht ohne die Hilfe anderer leben kann, und endlich der Hochzeit der Tochter zustimmt, wird am Schluß von einem Koch und einem Sklaven gehänselt und wider Willen in die Grotte der Nymphen getragen, wo die festliche Gesellschaft feiert. So meint Tränkle, beide Menander-Stücke endeten mit einem possenhaften Auftritt; ein Kehraus fege allen Ernst hinweg, indem man Spott auf Kosten einer einzelnen Person triebe. Es sei zumindest eine plausible Annahme, Menander hier wie dort das gleiche Vorgehen zuzuschreiben.104 Während Tränkle die Schlüsse beider Stücke ganz natürlich vorkamen, erschienen sie Thierfelder als ‚Aporien‘. Sie waren ihm mit ihren ‚Kunstfehlern‘ – der unnatürlichen Entwicklung der Hauptgestalten Knemon, Micio und Demea – ein ‚Rätsel‘, das er mit der etwas abenteuerlichen Annahme erklärte, „dass Menander das Unrecht, das er der Erscheinung des armen, alten Landmannes in Gestalt des Knemon getan hatte, gleichsam öffentlich abbitten wollte […], indem gerade dem freundlichen Städter [sc. Micio] und seinen Grundsätzen Hohn gesprochen wird“.105 Dieser letzte Punkt zeigt, daß die Schlüsse in keiner Weise vergleichbar sind. Während sich an Knemon Personen mit ihrem Spott schadlos halten, denen er zuvor in seiner duskoliva zu nahe trat, ist kein Grund für die Annahme denkbar, daß derselbe Dichter dem humanen Micio dasselbe wie dem Griesgram Knemon, ja erheblich Schlimmeres zugemutet habe. In den Adelphoe bedeutet die Farce des Schlusses einen Bruch in der Charakterdarstellung; im Dyskolos – darin liegt der entscheidende Unterschied – “the final act is logically co n sisten t with what precedes”.106 Ein Vergleich beider Schlüsse107 käme nur dann in Betracht, wenn es Demea wäre, der verspottet würde.108 ___________________________
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Schmid 1959, 179 über Knemon. 1972, 253. Dieser Meinung ist auch Arnott 1963, 144. 1960, 111–112. Arnott 1965, 261 (Sperrung ad hoc). Arnott hebt 1963, 143 den ‘minor point’ der Doppelhochzeiten am Ende beider Stücke hervor. 107 Auch der Vergleich der Schlüsse des Dyskolos und des Stichus ist unstatthaft (richtig Vogt-Spira 1991, 173). Es handelt sich um zwei völlig unterschiedliche Ebenen. 108 Der Schluß des Dyskolos war bei seinem Bekanntwerden eine Überraschung. Man wies auf die Verwandtschaft mit der Alten Komödie hin (Kraus 1968, 340). Anderer-
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B. Zweiter Teil: Analyse
Dennoch ist ein Vergleich von Knemon und Demea lehrreich. In ihren Reden Dysk. 710–747 und Ad. 855–876 äußern sie sich in einer vergleichbaren Situation grundsätzlich über ihre bisherige Lebensweise. Knemon gerät in die entsetzliche Lage, daß er in einen Brunnen fiel. Ausgerechnet der Mann, dem er sich von der schlechtesten Seite zeigte, Gorgias, rettet ihn. Er ist es, der auf Knemons Ankündigung ouj k ev t i | uJmi'n ejnoclhvsei to;n ejpivloipon ga;[ r crovnon | Knhv m wn (Dysk. 692–694) hin erklärt: toiou'tovn ejst∆ ejrhmiva k[akov n , | oJ r a/ ' " (Dysk. 694–695) und hinzufügt, daß offenbar nur Unglück den Menschen erziehe: ta; kaka; paideuvein movna | ejpivstaq∆ hJma'", wJ" e[oike (Dysk. 699–700).109 Knemon muß einsehen, daß die Annahme, man könne ohne Mitmenschen auskommen, ein Fehler war (h{marton, Dysk. 713), eine schlechte Überzeugung (eu|ron oujk eu\ tou'to gignwvskwn tovte, Dysk. 716). Ebenso wird es Menanders Demea ergangen sein, der erkennen mußte, daß nicht nur seine Erziehungsmethode falsch, die des Bruders richtig war, sondern darüber hinaus seine Lebensweise – die eines agrestis saevos tristis parcus truculentus tenax (866) – ihn in die Isolation führte und dennoch der von ihm am meisten Bekämpfte, Micio, ordnend in seine Angelegenheiten eingegriffen hat. War der aktuelle Anlaß bei Knemon der Brunnensturz, war es bei Demea die Erkenntnis, daß Ctesipho, den er für besser erzogen als Aeschinus hielt, ihn hinterging. Wie Knemon gelangt er zu der Einsicht in die Verkehrtheit seiner bisherigen Einstellung. Er muß konstatieren, daß der Mensch auf Umgänglichkeit und Güte nicht verzichten kann: re ipsa repperi | facilitate nil esse homini melius neque clementia (860–861). Beider Leben wurde durch das Leben selbst widerlegt. Sie schränken die alten Gewohnheiten ein, ja ändern sich bis zu einem gewissen Grad: Knemon nimmt Myrrhine wieder zu sich110 und adoptiert ihren Sohn Gorgias (Dysk. 731). Demea sagte wohl auch bei Menander, er wolle am Ende des Lebens von der vita dura lassen: vitam duram quam vixi usque adhuc | iam decurso spatio omitto (859–860). Wie bei Demea spielt bei Knemon der Gedanke an das Ende des Lebens eine Rolle: ejavn t∆ ejgw; | ajpoqavnw nu'n – oi[omai dev, kai; kakw'" i[sw" e[cw – | a[n te periswqw' […] (Dysk. 730–731). Geben beide etwas von ihrer Lebensweise auf, lassen sie doch nicht ganz von ihr. Im Gegentum: Sie bleiben zu einem guten Teil die ‚alten‘. Knemon sagt selbst, niemand könne ihn darin eines besseren belehren; man werde das schon akzeptieren: oujd∆ a]n ei|" duvnaitov me | tou' t o me[ta]pei'saiv ti" uJmw'n, ajlla; sugcwrhvsete (Dysk. 711–712).111 Er prophezeit, daß ihm kein Freier seiner Tochter gefallen werde, obschon er sie verheiraten ___________________________
seits machte Handley 1965, 284–285 auf den einfachen Umstand aufmerksam, daß es kaum möglich wäre, Knemon in der selbstgewählten Einsamkeit dem Spiel fern bleiben noch auch ihn ohne Protest seine Prinzipien aufgeben zu lassen. 109 Handley 1965, 250: “in other words pavqei mavqo"”. 110 So wohl in den lückenhaft überlieferten Versen Dysk. 703–710 angekündigt. 111 Worin Knemon seine Meinung nicht ändern will, ist nicht klar. Wenn man mit Kraus in 711 ergänzt oujci; swq[h'nai g∆ e]ujkt[o;]n, sagt er, es wäre das beste, nicht gerettet worden zu sein (vgl. Handley 1965, 253).
V. Die Umwertung der Senes in V 4–V 9
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möchte (Dysk. 734–735). Er will leben, wie er es wünscht: ajll∆ ejme; mevn, a]n zw', zh'n eja'q∆ wJ" bouvlomai (Dysk. 735). Er bewahrt den alten Kern.112 Wie er schon bisher ein duvskolo" war, schließt seine Rede mit eben dieser Selbstcharakterisierung: ejkpodw;n uJmi'n oJ calepo;" duvskolov" t∆ e[stai gevrwn (Dysk. 747). Sie wird durch sein Verhalten in der Schlußszene der Komödie in actu bestätigt. Ebenso – das ist das Überraschende bei dem Vergleich der beiden Alten – verhält sich Demea. Wenn man die terenzische Erfindung der Szenen V 5 (ab 877)–V 9 (bis 988) abzieht, in denen er sich als eu[kolo" gibt, um Micio zu widerlegen, zeigt sich in der – wohl im Kern menandrischen – Schlußrede 989–995 eine Haltung, die der Knemons verwandt ist. Demea will nicht in allem ohne Prüfung nachgeben: Wenn die Söhne das von ihm erwarteten, sollten sie lieber ohne ihn tun, was sie wollen. Wenn er ihnen aber mit Rat und Tat am rechten Ort beistehen könne, werde er sich gern zur Verfügung stellen (989–995). Es handelt sich bei Menanders Demea offenbar um eine eingeschränkte Art der facilitas und clementia (861). Er rechnet sogar – wie Knemon mit dem Hinweis auf seine duskoliva (Dysk. 747) – durchaus damit, daß auch seine ‚neue‘ Lebensweise der Umgebung als vita invisa erscheint (989). Er bewahrt im Grund wie Knemon seinen Charakter; beide kommen aber zur Einsicht in die Verkehrtheit der bisherigen Lebenweise, woraus sie begrenzte Folgerungen ziehen.113 Der Vergleich mit Knemons Rede Dysk. 710–747 legt nahe, daß die Substanz des Demea-Monologs V 4 menandrisch ist. Wenn die von Photios Menander zugeschriebenen Verse ejgw; d∆ a[groiko", ejrgavth", skuqrov", pikrov", / feidwlov" (= Fr. *14 K. / A.) Vorbild von 866 sind, folgt Terenz hier noch dem Original. Dieses ist – ungeachtet einiger Vergröberungen114 – wohl bis einschließlich 876 zu fassen. Dann setzt Demea zu seinem Experiment (experiamur, 877) an, Micio zu imitieren und dadurch bloßzustellen.115 Daß in dem Monolog der Schnitt liegt, an dem das römische Finale beginnt, hat Büchner richtig gesehen, wenn er feststellt, daß Terenz die Schlußerkenntnis Demeas dazu benutze, „den Monolog auf eine neue Aktion hin auszurichten“.116 ___________________________
112 “Knemon admits what we have already been led to believe of him, 336ff, 355ff. Cf. 747” (Handley 1965, 259). 113 Die ‚Wandlung‘ beider ist schwierig zu definieren. Man darf von Einsicht, nicht aber von Umkehr sprechen, eher vielleicht von Einlenken. Treffend Schmid 1959, 179 (vgl. das Motto über diesem Kapitel S. 67). 114 C I 1 zu V 4 (S. 108). 115 Lefèvre 1978 (4), 25. 116 „Ich komme nicht darüber hinweg, daß zwischen Anfang und Schluß des Monologs ein Widerspruch besteht. Der Anfang könnte ein Schlußwort sein, ein fabula docet […]. Dann aber knüpft Demea Betrachtungen an, die beim Vergleich seines Lebens mit dem des Bruders immer ungerechter werden, das Problem verschieben – es wird alles auf Genuß und Geldverschwendung hinausgespielt – und schließlich in dem Entschluß münden, es auch einmal mit dieser vereinfacht und falsch dargestellten Methode Micios zu versuchen […]“ (1970, 19).
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B. Zweiter Teil: Analyse
Eine weitere Parallele zwischen Dyskolos und Adelphoi könnte darin liegen, daß Demea – wie Knemon – am Ende freundlich verspottet wurde. Es genügte, daß er, wenn es zum Hochzeitsschmaus ging, sagte, er wolle nicht feiern, da er ja immer für Sparen war, die Sklaven (oder gar die Söhne?) ihn aber zum Feiern nötigten und warnten, er möge sich nicht erneut den Freuden des Lebens verschließen. Das läge auf derselben Ebene. Einfälle wie den, eine Person ihren Charakter ‚ablegen‘ zu lassen wie Micio und Demea bei Terenz,117 lagen Menander ganz fern. Es braucht nicht einmal sanfter Spott wie am Ende des Dyskolos angenommen zu werden. Denn Demeas in der Samia, der seinen Adoptivsohn Moschion zu Unrecht schwer verdächtigt hat, kommt am Ende völlig ‚ungeschoren‘ davon.118 Der Schluß des Dyskolos verführt die Forscher immer wieder zu falschen Postulaten hinsichtlich der Palliata-Originale. 5. Der Schluß der Adelphoi „Besonders am Schluß vermißt man eine gewisse Rundung, indem mehrere Figuren gleichsam ohne Sang und Klang verschwinden, und sich zerstreuen, statt daß wir sie in ihren neuen Verhältnissen gruppirt zu sehen wünschen.“119
Schlegel sprach aus, was griechische Zuschauer empfunden hätten. Micio war am Ende der Adelphoi sicher von anderer Statur als bei Terenz. Vor allem wird Tyche ihm mit den ‚Wiedererkennungen‘ Freude und Ansehen beschert haben. Auch Demea war davon betroffen, insofern Ctesipho nunmehr Bacchis heiraten konnte. Wie schlossen die Adelphoi? Dorey hält es für wahrscheinlich “that in the original version the climax of the play was reached in the scene where Micio pacifies Demea and persuades him to come in to the banquet [sc. V 3], that there was a short scene afterwards in which Demea acknowledges that his way of life has been mistaken [sc. V 4], and that the play ended with the marriage of Micio and Sostrata. Thus there would be very little action after the point of denouement, instead of a series of scenes leading up to a fresh climax”.120 Büchner nimmt an, daß Ctesipho noch einmal mit dem Vater konfrontiert wurde und nach der Klärung der Sachlage und dem ‚Fügsamwerden‘ Demeas sich die Heiterkeit immer mehr ausbreitete, wobei Micio zu seiner Frau gekommen sei.121 Wenn eine Anagnorisis auch Pamphila betraf,122 wurde die für alle erfreuliche Wendung entweder dargestellt oder berichtet. ___________________________
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Der Ausdruck glücklich von Büchner geprägt: C I 3 a (S. 115–117). „Die Komödie endet in zeremonieller Feierlichkeit“ (Blume 1998, 140). August Wilhelm von Schlegel (zitiert in A I 3: S. 35 Anm. 133). 1962, 38. 1970, 18. B VII 3 (S. 78–79).
VI. Der Diptychoncharakter der Senes in I 1–V 3
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VI. Der Diptychoncharakter der Senes in I 1–V 3 1. Aporien Hätten Plautus, Caecilius oder Terenz Menander-Komödien in wörtlicher Übersetzung auf die Bühne gebracht, wäre ihnen kaum Erfolg beschieden gewesen. Man hätte das Spiel vom Walten der Tyche mit Kindaussetzungen, Wiedererkennungen, Hochzeiten älterer Menschen, die sich unwissentlich früher begegnet waren, Hochzeiten junger Menschen, die unerkannt bei einem Götterfest intim geworden waren, vor allem aber Hochzeiten von Blutsverwandten kaum mit Sympathie aufgenommen. Auch manche hellenistischen Charaktere wären in Rom auf Unverständnis gestoßen. Einer ‚guten‘ Hetäre (eJtaivra crhsthv), die moralisch auf Augenhöhe mit einem jungen Mann verhandelt wie Habrotonon mit Charisios in den Epitrepontes oder Chrysis mit Moschion in der Samia, wäre man mit Befremden begegnet. Doch selbst der humane Charakter eines gevrwn wie Philoxenus im Dis Exapaton oder Chremes im (menandrischen) Heautontimorumenos, der bis zum Schluß mit ethischer Überlegenheit die Zügel in der Hand hielt, wäre bei den Quiriten auf ein gerüttelt Maß Skepsis gestoßen. Der Micio der Adelphoi hätte keine Ausnahme gemacht. Wäre er bis zum Schluß der anderen überlegene und sie leitende filavnqrwpo" geblieben, hätte man sich sehr über einen solchen Softy gewundert. Natürlich galt das nicht für alle Zuschauer. Aber die Ädilen – und im Fall der Adelphoe die Veranstalter Fabius Maxumus und Scipio Aemilianus – zielten doch auf einen breiten Erfolg. Insofern war es konsequent, daß Micio das Schicksal der plautinischen Senes oder der Chremetes des (terenzischen) Heautontimorumenos und des Phormio ereilte. Um ihn abzuwerten, mußte Demea am Ende aufgewertet werden. Das saturnalischen Verhältnissen mit Sympathie begegnende römische Publikum fand Micios Sturz wohl interessanter als Demeas Aufstieg. Auf die Schlußszenen hin sind die Adelphoe angelegt – jedenfalls was die Spielebene betrifft. Wie sind die Kontrahenten im Hauptteil (I 1–V 3) gestaltet? Läßt Terenz sie wie bei Menander agieren? Legt er alles auf den Bruch in V 4 hin an? Bei dieser Frage ergibt sich eine Aporie, die aus heutigem Blickwinkel nicht zu entscheiden ist. Der an Menander geschulte Philologe beurteilt eine Aussage der Senes anders als ein einfacher Zuschauer 160 v. Chr. Wenn Micio sagt, daß er auf Schikkungen, die nicht der Erwartung entsprechen, mit Gleichmut (aequo animo, 738) reagiere und sie aufgrund der Lebenserfahrung zu korrigieren versuche (id arte ut corrigas, 741), bewunderten nur wenige die menandrische Ethik; sie erschien den meisten ‚passiv‘ oder schärfer: schwächlich. Wenn Demea versetzt: corrector! (742), buchen wir die Reaktion auf das Konto seines Unverständnisses. Römern aber mochte der spöttische Kommentar aus dem Herzen gesprochen sein. Für Demea gilt dieselbe Beurteilung. Wenn er Aeschinus’ Einbruch beim Kuppler drastisch schildert und Micio vorwirft, er lasse den Sohn in moralischer Hin-
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sicht verderben (tu illum corrumpi sinis, 97),123 hielt ihn der hellenistisch Gebildete für beschränkt, während der römische Konservative ihm Beifall zollte. Es ist eine Aporie, daß aus moderner Perspektive nicht zu entscheiden ist, wie einzelne Äußerungen aufgefaßt wurden. Brauchte Terenz gar nur zu übersetzen, um eine unmenandrische Rezeption zu erzielen? Eine weitere Aporie ist, daß wir nicht wissen, wie er selbst die zitierten Aussprüche auffaßte und mit welchen Reaktionen er kalkulierte. Schließlich ist es eine entscheidende Aporie, daß unbekannt ist, was seine Auftraggeber erwarteten, die das Stück für die Ludi funebres aussuchten – zumal wenn es um persönliche, juristische und politische Anspielungen gehen sollte.124 Eines dürfte feststehen: Terenz mußte vorsichtig sein, in I 1–V 3 Micio zu sehr am Zeug zu flicken und Demea zu sehr als law and order-Mann herauszustellen, um nicht den mit V 4 einsetzenden Effekt, auf den er zielte, zu schwächen. Dafür brauchte er den diptychischen Charakter der Senes, den sie in I 1–V 3 einerseits und V 4–V 9 andererseits erkennen lassen.125 Aber auch in die erste Handlungsfolge schleicht sich eine Diptychie, wenn auch in Maßen, ein. Es versteht sich aufgrund dieser Vorüberlegungen, daß es unmöglich ist, jedes Micio- oder Demea-Wort auf die Goldwaage zu legen. 2. Micio Micio werden von Terenz in den ersten viereinhalb Akten einige Züge verliehen, die der späteren Umdeutung zu entsprechen scheinen. Sie dienen modernen Interpreten, die das Micio-Bild vom Ende auf das Stück zurückprojizieren, als Rechtfertigung für die Auffassung, daß die Gestalt einheitlich gezeichnet sei. Das ist ein gefährlicher Schluß. Gaiser bemerkt, daß durch die Eliminierung des Prologs auf Micios Erziehung ein ungünstigeres Licht als bei Menander falle, weil der Zuschauer annehmen müsse, daß in der Entführungsszene Aeschinus mutwillig handele, während der griechische Zuschauer wußte, daß er Schlimmeres verhüten wolle (Ctesiphos angedrohten Selbstmord).126 Kaum beabsichtigte Terenz diese Wirkung. Er nahm sie wegen der andersartigen Exposition in Kauf. Auch andere Ebenen sind zu berücksichtigen. Micio hebt in 68–77 zu einer Grundsatzrede127 an – Gratwick überschreibt sie ‘Micio’s general theory’.128 Donat spricht zu 68 von senilis makrologiva (3).129 Dieses Urteil wird zuweilen ge___________________________
123 Das ist heftig: hoc ‚tibi‘ et ‚tu‘ pronuntiandum est intento digito et infestis in Micionem oculis; nam hoc agi stomacho adversum dissimulatores solet (Donat zu 97, 2). 124 Zu diesem Komplex D II 6 (S. 146–159). 125 Deshalb geht es zu weit, Micio von vornherein als ‘looser’ zu bezeichnen, dessen “actions and attitudes are brought to him at the end” (Goldberg 1986, 213); zu Goldberg A II (S. 47). 126 1972, 1100. 127 Ihr politischer Gehalt wird in D II 7 beleuchtet (S. 160 Anm. 142). 128 1999, 181. 129 Dazu Straus 1955, 14.
VI. Der Diptychoncharakter der Senes in I 1–V 3
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gen Micio angeführt, doch ist der Zusammenhang positiv. Micio beginnt mit dem Satz mea sic est ratio et sic animum induco meum (68), dessen erste Hälfte Donat so kommentiert: iterum modeste et ijdiwtikw'" (2), Micio spreche wiederum bescheiden und auf seine Weise. iterum bezieht sich auf den Satz über Demea errat longe mea quidem sententia (65), zu dem Donat bemerkt: modeste additum ‚mea quidem sententia‘, ne quis hoc pro praecepto dici existimet (1). Es empfiehlt sich, eindeutigere Charakterisierungen zu beachten. Das ist sicher der Fall bei Syrus’ aparte gesprochener auf Demea berechneter Erzählung, wie Micio Bacchis ohne Umstände aufgenommen habe (365–371). Die Passage dürfte von Terenz stammen,130 denn Micio zahlte die 20 Minen bei Menander gewiß erst bei Bacchis’ sehr wahrscheinlich anzunehmender Anagnorisis. Hier hingegen erscheint er als lächerlicher ‚Versteher‘ der jungen Leute, der sich über die Maßen freut (366), wenn sie eine Hetäre entführen; er gibt ihnen nicht nur das dem Kuppler geschuldete Geld, sondern auch eine halbe Mine für eine Party in seinem (!) Haus (370). Das ist wahre stultitia, wie Demea sagt (367). Sie hätte selbst das liberale griechische Publikum als läppisch empfunden – von den Quiriten ganz zu schweigen. Ein anderer Fall ist Micios Unterhaltung mit dem Bruder über das Verbleiben von Bacchis in seinem Haus, in der Demea ihm unterstellt, er könne mit der meretrix singen und tanzen (746–753). Erneut dürfte ein terenzischer Einschub vorliegen, sofern Bacchis bei Menander keine gewöhnliche Hetäre war. Ihre Dauerbeherbergung im Bürgerhaus nennt Demea wiederum Torheit, ineptia: Micio wird lächerlich gemacht. Das Intensivum cantitare (‚immer und immer singen‘) begegnet nur hier in der Palliata.131 Das Tanzen – zumal bei einem Senex132 – ist nicht weniger unwürdig. Die Alten ziehen sich gegenseitig auf. Das ist sehr witzig, paßt aber kaum zu den ernsthaften Dialogen der menandrischen gevronte", die Terenz in I 2, dem ersten Teil von IV 7 und dem ersten Teil von V 3 nachgestaltet. Es ist im Stil der plautinischen Komödie gesagt, in der sich die Rede oft vom Charakter ablöst und verselbständigt.133 Natürlich neigen auch Szenen wie der – wahrscheinlich terenzische134 – Dialog Hegio / Demea in III 4 dazu, Micio als (scheinbar) gescheiterten Erzieher in ein ungünstiges Licht zu setzen. Demeas Aparte pudet: nec quid agam nec quid huic respondeam | scio (485–486) mag in Rom auf Beifall gestoßen sein. ___________________________
130 C I 1 zu III 3 (S. 93–94). 131 mire autem ‚cantites‘ quasi turpius sit cantare senem cum psaltria quam coire (Donat zu 147, 2). 132 “The Romans, unlike the Greeks, generally regarded dancing as degrading; so Cic. pro Murena 6. 13 nemo enim fere saltat sobrius, nisi forte insanit. But the heart of the rebuke here – which would apply equally before a Greek audience – is the thought of an old man dancing between two young women” (Martin 1976, 208). 133 ‚Theater der Rede‘: Lefèvre 2006, 137–143; 2011, 144–147. 134 C I 1 zu III 4 (S. 96–97).
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B. Zweiter Teil: Analyse
3. Demea Demea […] eluditur a Syro et Micione per t o t a m fabulam.135
Demea ist in I 1–V 3 nicht durchweg vorbildlicher ‚Römer‘. Manche Reaktionen werden auch die Zuschauer reichlich engstirnig gefunden haben. Besonders ist Terenz zu fassen, wenn er Syrus Demea in III 3, IV 2 und schließlich in V 1 nach Strich und Faden verspotten läßt. Der Senex erscheint dabei (wie es für plautinische Senes charakteristisch ist) als stultus. Die drei Szenen sind in C I 1 ausführlicher – auch unter dem hier interessierenden Gesichtspunkt – analysiert. Darauf wird verwiesen. Es ist der Sinn von III 3, Demea immer weiter in den Irrtum zu verstricken. Syrus fördert in listig-gemeiner Weise seine falsche Meinung über Micio, Aeschinus und Ctesipho. Er nennt die Art, wie es in Micios Haus zugeht, eine ratio inepta atque absurda (375–376). Daß Aeschinus die psaltria dort beherberge, ist ihm eine dementia (389–390); auch Micio wird mit einbezogen: inepta lenitas | patris et facilitas prava (390–391). Das ist Wasser auf die Mühle des die Lage verkennenden Alten. Mittelpunkt des Dialogs ist Demeas Darlegung seiner hausbackenen Erziehungsmethode und ihre witzige Parodie durch Syrus, der die Phrasen des eifrigen Vaters auf die Kochkunst überträgt. Schmeichelt er Demea mit ironischem Lob (tu quantu quantu’s nil nisi sapientia es, 394), stellt er andererseits die eigene sapientia heraus – eben als Koch (427)! Die Vermutung, daß III 3 weitgehend von Terenz stammt, wird dadurch gestützt, daß die weitere Handlung durch die Szene nicht vorbereitet wird. Sie ist Selbstzweck. Wie Plautus zielt Terenz vor allem auf die Verspottung eines verbohrten Senex durch einen überlegenen Sklaven. Eine Steigerung zu III 3 ist IV 2. Wiederum beschwichtigt der Sklave den aufgebrachten Demea, der sich weiter in den Irrtum verstrickt. Das wird dadurch anschaulich, daß Syrus ihn mit einer phantastischen Ortsbeschreibung in die Irre schickt, bei der der Zuschauer bereits ahnt, daß er der Genarrte sein wird. Die Szene ist terenzisch. Nicht anders läßt Syrus in V 1 Demea ironisch abfahren. Mit frechen Scherzen setzt er dem Scheiternden zu. Auch hier ist Terenz am Werk. Daß Syrus Demea so leicht belügen und betrügen kann bzw. zu belügen und betrügen wagt, zeigt, daß der Senex hier als ein Mann ohne Autorität erscheint – so wie es Micio in dem angehängten Schluß sein wird. Nachdem Demea in diesen Szenen vor allem Zielscheibe des Sklavenspotts war, kommt sein getragener Monolog in V 4 um so überraschender. Terenz liebt die dramatischen Kontraste.136 ___________________________
135 Donat Praef. II. 136 C I 2 (S. 113–114).
VII. ‚Wiedererkennungen‘
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VII. ‚Wiedererkennungen‘ „Wenn im letzten Akte ein oder zwei Hochzeiten einen befriedigenden Schluß wenigstens für das klatschende Parterre bewirken, so tut man besser, vorher aus dem Theater zu gehen.“ 137
Micio hebt hervor, daß er keine Frau habe (44). Diese Aussage geht auf Menander zurück.138 Ist es ‚(tragische) Ironie‘, daß er am Ende eine Frau hat? 1. Bacchis Bacchis’ Entführung gehört als Erzählung in die Adelphoi, ebenso die Fortsetzung, daß Aeschinus sie in Micios Haus bringt. Demeas Haus kam weder während der Handlung noch später in Frage.139 Was sollte mit ihr geschehen? Terenz läßt das Problem ungelöst. Dieses ‘loose end’ ist nicht für Menander anzunehmen. Die Vermutung, daß Terenz nach plautinischer Manier den Schluß, soweit er Bacchis betrifft, einfach wegschneidet, liegt mehr als nahe: Die menandrische Handlung läuft geradezu zwingend auf eine Anagnorisis zu. Es gibt weitere Anhaltspunkte. 1. Aeschinus’ Verlegenheit konnte sich nach Nea-Manier lösen. Nicht hatten junge Männer bei Menander plötzlich Geld, sondern es fand sich ein gevrwn, der den Betrag zur Verfügung stellte. Das dürfte in diesem Fall Micio gewesen sein, der Bacchis als Tochter ‚wiedererkannte‘. Er beglich, begütert und anständig, wie er war, gern die Summe, die den trofei'a entsprach.140 2. Während es bei Terenz einen Widerspruch hinsichtlich des Zahlers der 20 Minen gibt, da mehrfach Aeschinus und mehrfach Micio genannt werden,141 war es bei dieser Anagnorisis Micio, der den Betrag aufzubringen hatte.142 3. Eine verlorengegangene Tochter wird in der Nea, wie es naheliegt, öfter gerade in ihrem Vaterhaus ‚wiedererkannt‘.143 4. Auf die Anagnorisis könnte die Existenz von Sostratas Amme Canthara hindeuten. Diese Frauen waren in der Nea geeignete Personen, bei einer Anagnorisis kompetente Auskunft zu geben.144 ___________________________
137 138 139 140 141 142
Wilamowitz (1899) 1935, 229 über Menander. C I 1 zu I 1 (S. 86). Trotz Demeas habeat (997). Lefèvre 1994, 112 (Heautontimorumenos); 1997, 35 (Pseudolus). B II 3 (S. 55–56). Terenz behält den Handlungsstrang, daß Micio zahlt, obwohl die Anagnorisis gestrichen ist, bei, damit er im Gegensatz zum Original etwas läppisch erscheint (nil quicquam vidi laetius, sagt Syrus 366), wenn er dem Neffen mir nichts dir nichts 20 Minen (und noch eine halbe Mine extra zum Vergnügen) spendiert (369–370). 143 Im Heautontimorumenos wird Antiphila in Chremes’ Haus als seine Tochter, im Epidikazomenos Phanium im Nachbarhaus als Chremes’ Tochter identifiziert.
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B. Zweiter Teil: Analyse
5. Nicht geringe Bedeutung ist dem Umstand beizumessen, daß Menanders Stücke in der Regel mit einer oder zwei Hochzeiten junger Leute schlossen.145 6. Von anderer Seite kommt Gratwick der Annahme einer Anagnorisis nahe. Bei Aeschinus’ Freiheitserklärung (194) “we have to believe what he says. At this point it must seem perfectly probable that the play is going to run along the lines familiar in all of Terence’s earlier works and involve an eventual recognition. Besides, if Terence expected us to infer against the available evidence that he is bluffing about the girl’s status, he should have made Aeschinus express himself differently: not: ‘I claim her at law as free’, but ‘I shall cook up evidence to claim her …’ […] The allusion to the girl’s free birth is no doubt occasioned by what Terence found in Diphilus, but has a very Roman point in its captious play on what is a lawful sale. It is a moot point whether Terence has simply overlooked the fact that the theme of her free birth is inconsistent with the sequel, or not bothered, or wanted to imply that ‘tomorrow’ there will be another whole comedyful of events leading to Ctesipho’s marrying the girl.”146 Es ist konsequent, daß einige Gelehrte postulieren, Bacchis sei am Ende der Adelphoi ‚wiedererkannt‘ worden. Zu ihrem eigenen Nachteil hat die Forschung deren Arbeiten vergessen bzw. nicht zur Kenntnis genommen. 1931 bemerkte Terzaghi: «Non sarei alieno dal credere, che i Fratelli di Menandro terminassero con il riconoscimento della cortigiana amata da Ctesifone quale donna libera ed ateniese, e quindi con un matrimonio fra i due, secondo l’uso costante della Commedia Nuova.»147 Über die Eltern äußerte sich Terzaghi nicht. 1936 vermutete Kuiper, daß Bacchis und Pamphila als Demeas und Sostratas Töchter ‚wiedererkannt‘ wurden. Das ging zu weit.148 1942 kam Enk, der 1939 Kuipers These kritisch gegenüberstand,149 zu der Erkenntnis, daß Bacchis bei Menander Micios und Sostratas Tochter gewesen sei.150 Das dürfte das Richtige treffen. Es ist zu beachten, daß in Einsiedels freier Übersetzung Ctesipho Bacchis heiratet.151 Man stand in Goethes Zeit Menander näher als in späteren Zeiten. ___________________________
144 Etwa Sophrone in den Epitrepontes (Gomme / Sandbach 1973, 380), Canthara im Heautontimorumenos (Ter. Ht. 616–617), Sophrona im Eunuchus (Ter. Eun. 807–808, 914–915) oder Sophrona im Epidikazomenos (Ter. Phorm. 748–762). 145 Holzberg 1974, 134; Nünlist 1993, 274; Lefèvre 2011, 69. 146 1999, 186. Die Vermutung, daß Terenz die Freiheitserklärung einfach aus Diphilos übernahm, dürfte nicht zutreffen: Dann wäre er ein mäßiger Dichter. Man muß vielmehr sagen: Es erschien Terenz wichtig, an dieser Stelle die Freiheitserklärung de suo einzufügen (die Begründung dafür wird später zu geben sein: D II 6 b (S. 154). Er konnte das um so leichter tun, als sich Bacchis bei Menander als frei herausstellte. Die Folgen dieses Vorgangs hat Gratwick erkannt. 147 1931, 69. 148 VII 3 (S. 78 Anm. 160). 149 1939, 128. 150 1942, 85. 151 A I 3 (S. 35).
VII. ‚Wiedererkennungen‘
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2. Sostrata Bei Terenz wird Micio die Heirat mit Sostrata als Zeichen seiner Schwäche und Nachgiebigkeit aufgenötigt. Wie das zu bewerten ist, zeigt der Ausdruck anus decrepita (939), den er selbst gebraucht und den Lessing mit ‚altes verlebtes Mütterchen‘ wiedergibt. Wenn aufgrund der Donat-Notiz zu 938 apud Menandrum senex de nuptiis non gravatur: ergo Terentius euJretikw'" (1) zu folgern ist, daß Micio bei Menander Sostrata freiwillig, d. h. von sich aus heiratete,152 liegt nichts näher als die Annahme, daß er von früher her eine Beziehung zu ihr hatte und Terenz die Hochzeit in ihr Gegenteil ummodelt: Micio soll nicht Freude, sondern Kummer zuteil werden. Nach Ribbeck hat „diese plötzlich aufgedrungene Ehe etwas Anstößiges“; es sei „zweifelhaft, ob nicht der griechische Dichter psychologisch richtiger verfahren, und durch die Geneigtheit des alten Junggesellen, die sich wohl motivieren ließ, den Bedenken der Zuhörer glücklicher begegnet ist.“153 Wie konnte Menander ‚Geneigtheit‘ motivieren? Ein gutes Motiv wäre, daß Sostrata als Bacchis’ Mutter ‚erkannt‘ wurde. Sie könnte vor etwa 18 Jahren, nachdem Micio mit ihr bei einem Götterfest intim geworden war, Bacchis heimlich geboren und ausgesetzt oder fortgegeben haben – wie es in der Nea eben zuging. Bacchis und Pamphila wären oJmomhvtrioi. Aeschinus entführte unwissend Bacchis zu ihrem Heil – worin sich das Walten der ajgaqh; Tuvch zeigte. Hegio könnte bei Menander als arbiter zur Anagnorisis beigetragen und die Entscheidung gebracht haben. Er scheint mehr als die anderen zu wissen.154 Aber auch Canthara konnte Zeugin sein. Enk weist darauf hin, daß Micios und Sostratas Elternschaft nur durch eine frühere Vergewaltigung begründet worden sein könne, wofür in Nea und Palliata junge, nicht ‘middle-aged’ Leute in Frage gekommen seien. Micio ist aber bei Terenz 65 Jahre alt und Sostrata eine anus decrepita (938–939), die bei einer Vereinigung, aus der die etwa 18jährige Bacchis hervorging, nahezu Ende vierzig gewesen wären. Hieraus sei zu schließen, daß Terenz Demeas, Micios und Sostratas Alter heraufgesetzt habe. Das leuchtet ein. Der Grund ist leicht auszumachen: Für sein groteskes Finale braucht er eine groteske Micio-Hochzeit! Terenz bewegt sich zum Schluß im Bereich der Klamotte. Was für die modernen Rezipienten abenteuerlich und vor allem überflüssig anmutet, hatte für Menander einen tieferen Sinn. Micio glaubte, kinderlos zu sein, und fand (s)ein Kind, noch dazu eines, das er willkommen hieß. Wie bei Terenz in 44 (uxorem numquam habui) sagte er offenbar bei Menander: gunai'k∆ ouj lambavnw.155 Dann lag in der Wendung der Dinge Ironie. Denn Sostrata war gewissermaßen seine ‚Frau‘. Es erging ihm wie offenbar Periplectomenus im ___________________________
152 153 154 155
C I 1 zu V 8 (S. 111–112). 1887, 153. Zu Hegio B IX (S. 81–82). Dazu C I 1 zu I 1 (S. 86).
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B. Zweiter Teil: Analyse
Vorbild des Miles gloriosus, der seinen Junggesellenstatus hervorhebt und durch eine Anagnorisis zugleich seine ‚Frau‘ und seine Tochter wiederfindet.156 3. Pamphila Eine weitere Überlegung scheint nicht abwegig zu sein:157 Vor etwa 18 Jahren konnte Micio auf einer Geschäftsreise in Milet158 mit der dort ansässigen Sostrata intim werden. Er reiste wieder ab (wie Chremes aus Lemnos im Phormio), und die zurückgebliebene Sostrata bekam Zwillingstöchter.159 Da sie arm war, gab sie ein Kind fort oder setzte es aus (Bacchis), behielt aber das andere (Pamphila). Bacchis kam zu Zieheltern und wurde bald vor Handlungsbeginn aus Not verkauft (wie Thais’ Ziehschwester Pamphila im Eunuchus); sie gelangte in Sannios Besitz, der 20 Minen für sie aufwendete. Sostrata zog vor etwa einem Jahr mit Pamphila nach Athen, um den Vater ausfindig zu machen (wie Thais, um Pamphilas Vater ausfindig zu machen). Die Tochter wurde mit Aeschinus intim und erwartete ein Kind. Hegio, Sostratas Bruder, kam während der Bühnenhandlung aus Milet nach Athen – vielleicht von Sostrata wegen Pamphilas Schwangerschaft zu Hilfe gerufen. Micio erkannte zunächst Bacchis als seine Tochter. Da er weiterhin Aeschinus die Ehe mit Pamphila gestattete, gelangte diese mit Sostrata in sein Haus, wo sie ebenfalls als Micios Tochter160 und Sostrata als seine ‚Frau‘ identifiziert wurden. Terenz striche die Anagnoriseis. Er erfände Simulus als Pamphilas Vater und machte Hegio zu dessen Verwandten. Demea hätte in dieser Rekonstruktion zwei Söhne, Micio zwei Töchter. Jeder hatte eine Frau; Demeas Frau war gestorben, Micio hätte seine Frau (wieder)gefunden. ___________________________
156 Lefèvre 1984, 50. 157 A l l e im folgenden erwogenen Handlungselemente sind beliebte Motive Menanders: B X (S. 82–84). Die Kapitel B VII 3 und B X gehören eng zusammen. 158 Auf diesen Ort kommt es nicht an. Er wird nur exempli gratia wegen seiner Erwähnung in Micios Erzählung 645–677 gewählt: B IX (S. 81–82). 159 Beispiele für weibliche Zwillinge: Antiphanes, Didymai (Fr. 468 K. / A.); Menander, Didymai (Fr. 114–118 K. / A.) (Stärk 1989, 134). In Menanders Imbrioi (Fr. 190–192 K. / A.) gab es Zwillingsschwestern in der älteren Generation, aber wohl keine sie betreffenden Wiedererkennngen (Webster 1974, 153; Stärk 1989, 162). 160 ‚Wiedererkennungen‘ der beiden Frauen hat Kuiper 1936, 259–261 vermutet. Bacchis und Pamphile seien Demeas Töchter. Sostrata habe von ihm vorehelich Zwillinge empfangen und Simulus sie gegen eine Mitgift geheiratet und sich verpflichtet, das zu erwartende Kind als eigenes anzuerkennen. Als es aber Zwillinge wurden, habe er darauf bestanden, ein Mädchen auszusetzen. Kuiper rekonstruiert komplizierte Vorgänge, die bei Klotz 1937, 1039–1041 und Enk 1939, 128–129 zu Recht auf Kritik gestoßen sind. Es ist nicht plausibel, daß bei dieser Konstellation nicht D em ea Sostrata heiratet, zumal seine Ehefrau gestorben ist. Im übrigen wäre es ungewöhnlich, wenn ein gevrwn Menanders vier Kinder hätte. Körte beobachtete 1937, 15, daß es „in keiner Familie der Neuen Komödie mehr als zwei Kinder gibt“.
VIII. Canthara
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Auf Pamphilas Anagnorisis könnte der Ring deuten, den Aeschinus als Zeichen schickte, daß er sie heiraten möchte (347). Ein anulus ist in der Nea für eine ‚Wiedererkennung‘ prädestiniert.161 Vielleicht wagte Pamphila zunächst nicht, ihn der Mutter zu zeigen (die möglicherweise in der Liebesnacht einen ähnlichen Ring von Micio zurückbehalten hatte). Welchen Weg der Ring im Original genommen haben könnte, ist nicht zu sagen. Ob Pamphila ‚wiedererkannt‘ wurde oder nicht: Mit Bacchis’ und Sostratas ‚Wiedererkennungen‘ gab es in den Adelphoi offenbar drei Hochzeiten: Micio ∞ Sostrata, Aeschinus ∞ Pamphila, Ctesipho ∞ Bacchis. Wenn die vorgetragenen Erwägungen zutreffen, wählte Terenz sechs Anagnorisis-Komödien als Vorbilder, ließ aber in den Adelphoe, wie Plautus so oft, die Wiedererkennung fort. Der Grund ist in der Umdichtung zu sehen, daß er Micio am Ende eine Niederlage, nicht aber wie Menander ein Glück bereiten wollte. Was in der Nea gang und gäbe war, empfand man in Rom ohnehin als nojos. Auch für die Griechen war die Anagnorisis nicht per se von Interesse. Die Dichter konnten aber mit diesem Handlungsschema das Wirken der ajgaqh; Tuvch besonders gut demonstrieren – was für die Römer uninteressant war.
VIII. Canthara Unter Cantharas Rolle bei Menander können sich manche Forscher wenig vorstellen. Webster, Sandbach und Lowe162 halten sie für ein kwfo; n prov s wpon, Grant und Gratwick163 für eine terenzische Erfindung.164 Am meisten stört man sich – zu Recht – daran, daß Sostrata Canthara zu einer Hebamme schickt (353–354), Terenz aber nicht zeigt, daß sie mit einer solchen zurückkehrt. Das Kind wird bei ihm ohne Hilfe geboren. Deshalb plädieren Mette,165 Webster und Lowe dafür, daß es bei Menander nach 354 eine Aktpause gegeben habe, in der sich Canthara und eine Hebamme stumm in Sostratas Haus geschlichen hätten.166 Diesen Auftritt habe Terenz unterdrückt. Weder die Aktpause an dieser Stelle noch der stumme Auftritt der Frauen sind wahrscheinlich. Auch die These, daß Terenz Canthara erfinde, überzeugt nicht. Euripides’ Konstellation, daß Frauen in der Not eine Vertraute haben, findet sich bei Me___________________________
161 Um den Ring eines ausgesetzten Kinds (daktuvlio") dreht sich nahezu die gesamte Handlung der Epitrepontes. Ihn verlor Charisios an ein Mädchen, mit dem er bei den Tauropolia intim wurde. Sie legte ihn bei der Aussetzung zu dem Kind. Das ermöglicht die rechte Spur. Weiterhin ist ein Ring das entscheidende Erkennungszeichen im Heautontimorumenos (Ht. 614–617, 649–657) und in der Hekyra (Hec. 822–832). 162 Webster 1974, 115; Sandbach 1975, 202; Lowe 1998, 485. 163 Grant 1973, 70–75; Gratwick 1999, 37. Grant S. 75 und Gratwick S. 48 glauben, Aeschinus habe bei Menander in der Stadt nicht Canthara, sondern Geta getroffen. 164 Maurach 1985, 85–92 verteidigt sie gegen Grant. 165 1965, 40. 166 Webster 1960, 89 erwägt auch die ominöse ‘back door’.
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B. Zweiter Teil: Analyse
nander. So beginnt etwa im Georgos167 Myrrhine, deren Tochter der Nachbarsohn verführt hat, ihren kurzen Dialog mit Philinna folgendermaßen (22–24): aj]ll∆ wJ" pro;" eu[noun, w\ Filivnna, tou;" lovgou"
p]ooumevnh se, pavnta tajmauth'" levgw. ejn t]oi'sd∆ ejgw; nu'n eijmi.
Hierauf bringt der Sklave Daos eine (wie er meint) gute Nachricht, Myrrhines Tochter betreffend, die aber für das schwangere Mädchen – und dementsprechend für die Mutter – eine schlechte Nachricht ist. Nach Daos’ Abtreten fragt Philinna die erregte Myrrhine, die darauf verzweifelt antwortet (84–86): 85
FIL.
tiv pevponqa", tevknon… tiv pe]ripatei'" trivbousa ta;" cei'ra"… MUR. tiv gavr… Fiv]linn∆, ajporou'mai nu'n tiv poih'saiv me dei'.
Situation und Personenkonstellation ähneln Adelphoe III 1 und 2. Man möchte auf ein solches ‚menandrisches‘ Gespräch im Original nicht verzichten. Wenn die Annahme zutrifft, daß es in den Adelphoi Wiedererkennungen gab, konnte eine alte Amme der Tradition gemäß nützliche Hilfsdienste leisten. Es gibt einen weiteren Anhaltspunkt. Aeschinus’ Monolog IV 4 hat drei Teile: 610–617: Klage, 618–624: Bericht über ein Zusammentreffen mit Canthara und Wiedergabe des Dialogs, 625–631: Fortsetzung der Klage. Der dritte Teil schließt nahtlos an den ersten an; im zweiten beobachtet Gratwick nach Grant168 ‘slight awkwardness’.169 Eine einfache Annahme ist es, daß Aeschinus bei Menander auf der Bühne mit Canthara sprach – unmittelbar vor seinem Monolog, in dem er die Nachricht klagend kommentiert (610–615, 625–631). Donat scheint über Aeschinus’ Formulierungen gestolpert zu sein: apparet inter cetera anum dixisse, ad obstetricem se missam. an ultro hoc suspicatus est Aeschinus?170 Canthara konnte bei Menander von Sostrata statt nach einer Hebamme nach Aeschinus geschickt worden sein. Dann wäre sie mit ihm erschienen. Sie konnte aber auch, nachdem sie Sostrata bei der Geburt geholfen hatte, aus dem Haus treten, um nach Aeschinus zu suchen, den sie dann erblickte und ansprach. Wenn das zutrifft, wäre zu fragen, warum Terenz ändert. Das Hebammen-Motiv mag er einführen, um Sostratas Hilflosigkeit zu erhöhen – so wie die Forschung meint, er degradiere Hegio, der bei Menander Sostratas Bruder war, zu einem Verwandten ihres verstorbenen Gatten, damit ihre Hilflosigkeit größer erscheine. ___________________________
167 B X (S. 82–84). 168 1973, 71–75. 169 “Terence makes Aeschinus begin his account ‘For when she had been sent off to the midwife…’ in words that suggest that he already knew or could somehow tell by looking what she was up to; it would certainly have been better so say, e. g., ‘when I saw her looking agitated outside the midwife’s…’ or the like” (1999, 37). 170 Zu 618 (1). Der recte gedruckte Text stammt von der 2. Hand in V.
IX. Hegio
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Pathossteigerung ist immer ein Hauptanliegen des römischen Dichters. Auf ein (kurzes) Zusammentreffen von Aeschinus und Canthara ist leicht zu verzichten, wenn dadurch ein langer pathosgeladener Monolog des Jünglings ermöglicht wird. Die musikalische Gestaltung sticht hervor.171 Es ist das einzige polymetrische Canticum, das Terenz nach den lyrischen Partien der Andria dichtet. Die drei Teile sind metrisch gegliedert: “Lyric verse for his emotions (610–7), mixed trochaic and iambic lines for his narrative (618–624), trochaic lines for his deliberation (625ff.).”172 “The play’s most striking musical moment”173 unterstreicht den Höhepunkt des Stücks, in dem sich Aeschinus’ Gewissen von allein regt und Micios Erziehungsmethode gerechtfertigt wird. Es wäre nicht das einzige Mal, daß Terenz in einen Monolog des Originals einen Dialog des Sprechers mit einer anderen Person einzuschieben scheint. In Hec. III 3 hält Pamphilus einen 54 Verse langen Monolog, in dem er eine Begegnung mit der Schwiegermutter Myrrina referiert – nicht nur Einleitung und Schluß, sondern auch eine 20 Verse lange Klage der Frau. Schadewaldt vermutete, daß Terenz einen Dialog des Epidikazomenos in Pamphilus’ Monolog eingebaut habe. Diese These fand neben Kritik174 Zustimmung.175 Nach Grant und Gratwick traf Aeschinus nicht Canthara, sondern Geta.
IX. Hegio Bei Menander war Hegio Sostratas Bruder,176 bei Terenz ist er ein Verwandter (cognatus) des verstorbenem Simulus (351). Was bedeutet die Änderung? Eine bloße Nachlässigkeit wird es nicht sein. IV 5 könnte Aufschluß über Hegios Rolle im Original geben. Micio, der ergründen will, wie ernst es Aeschinus mit Pamphila meint, gibt vor, daß ein Freund, Pamphilas nächster Verwandter, sie mit nach Milet nehmen wolle, weil er für sie sorgen müsse. Die Geschichte nimmt großen Raum ein (645–677), und es ist die Frage, ob sie bei Menander stand. Es ist auffällig, daß die Konstruktion hic meus amicus illi (sc. Pamphilae) genere est proxumus (651) genau auf den Hegio des Originals paßt, der Pamphilas (und Sostratas) kuvrio" war.177 Vielleicht kam er aus Milet, vielleicht wollte er Pamphila für den Fall, daß Aeschinus sich nicht besinne, mit nach Milet nehmen, ___________________________
171 Martin 1976, 193; Questa 1984, 399–415 (zu 610–617); Gratwick 1999, 130, 194; Moore 2012, 362–364. 172 Gratwick 1999, 194. 173 Moore 2012, 362 zu 610–624. 174 Jachmann 1934, 640 (weitere Literatur: Lefèvre 1999 (1), 77 Anm. 100). 175 Denzler 1968, 69–74; Lefèvre 1969, 67–71; 1999 (1), 76–81 (der ergänzend vermutet, daß Terenz in einem Teil der Myrrina-Rede Expositionsmaterial nachträgt: Gomme 1937, 278; Perelli 1973, 214). 176 Donat zu 351 (1). 177 Gratwick 1999, 195.
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B. Zweiter Teil: Analyse
vielleicht sogar heiraten?178 Wurde das Erbtochtergesetz, das in der Nea eine Rolle spielte (wie in der Aspis oder im Epidikazomenos) und das die Römer ablehnten, auf irgendeine Weise (real oder als Drohung) in den Adelphoi zitiert? War davon in der IV 5 entsprechenden Szene die Rede?179 Terenz operierte mit dem Gesetz in dem ein Jahr zuvor aufgeführten Phormio. Das rief sicher, so lustig es auch war, einiges Unverständnis hervor. Vielleicht wollte er in den Adelphoe jede Assoziation an diese Praxis vermeiden und ließ Hegio zu einem entfernten Verwandten und den amicus zu einer Chimäre werden, die sich in Luft auflöst (periit abiit navem escendit, 703). Ein weiterer Grund könnte sein, daß Hegio in III 4 eine neue Gesellschaftsethik r ö m isch er P r o v en ien z vorträgt.180 Hierfür kommt nur eine möglichst unabhängige Persönlichkeit in Frage, die nicht aus engen verwandtschaftlichen, sondern aus allgemein menschlichen (humanen) Motiven heraus handelt.181 Aber verwandt mußte sie schon sein, denn sonst ginge sie Pamphilas Situation nichts an. Terenz bringt mit der Änderung zugleich ein emotionales Element in die Handlung. Dziatzko / Kauer nehmen an, Hegio werde zum cognatus, „um Sostrata im Hinblick auf ihre Verheiratung mit Micio verlassener und hilfsbedürftiger darzustellen.“182 Nicht anders meint Spengel, das Abgehen vom Original habe „offenbar den Zweck, die Hilflosigkeit der Sostrata und ihrer Tochter zu erhöhen, war auch sehr geeignet, dem Micio den Vorschlag, die Sostrata zu heiraten, näher zu legen“.183 Terenz geht sehr geschickt vor. Hegio könnte die Entscheidung bringen. Chremes in der Andria, der am Tag der Handlung aus Andros nach Athen kommt, böte eine enge Parallele.
X. Menandrische Familienlabyrinthe In Menanders Familien ging es drunter und drüber – vor allem in ihrer Vergangenheit. Doch löste sich alles durch Tyches Walten. Im folgenden werden für die in Kapitel VII rekonstruierte Handlung Parallelen aus dem erhaltenen Werk an___________________________
178 Dazu war er nach griechischem Recht als Pamphilas nächster männlicher Verwandter verpflichtet. Menanders Hegio war “‘master’ to both women, and in line to marry Pamphila himself if he deemed that best” (Gratwick 1999, 30). Die Folgerung, er müsse an dem ‘arrangement’ mit Aeschinus beteiligt gewesen sein, ist hinfällig, wenn er in Milet lebte und nicht erreichbar war oder, wenn er in Athen lebte, sich auf einer längeren Kaufmannsreise nach Milet befand und ebenfalls nicht erreichbar war. 179 Wichtig: Diese Vermutung schon bei Scafuro 1997, 462, die auch annimmt, daß Hegio im Original aus Milet kam. 180 D II 6 c (S. 155–156); D II 6 d (S. 158–159). 181 “Terence is emphasising Sostrata’s isolation and unfairly imposed responsibilities. Hegio has no legal obligations to help either her or her daughter: if he does, it will be for friendship and humanity (350ff., 459, 493ff.)” (Gratwick 1999, 29). 182 1903, 16–17. 183 1905, 169. Diese Interpretation ist verbreitet: z. B. Gaiser 1964, 145; Martin 1976, 158; Gratwick 1999, 29.
X. Menandrische Familienlabyrinthe
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geführt, um zu zeigen, daß der erwogene Ablauf der Adelphoi nicht von vornherein unmenandrisch ist. Man darf annehmen, daß dem hier postulierten Original mindestens ein Dutzend der verlorenen Menander-Komödien noch näher kam. Die Adelphoi haben große Ähnlichkeit mit dem Georgos. In ihm gibt es die Häuser der (armen) Myrrhine und des (reichen) Nachbarn – wie Sostratas und Micios Häuser. (Bei Myrrhine leben die Kinder Gorgias und Hedeia (?), im Nachbarhaus Sohn und Stiefschwester.) Der Nachbarsohn liebt Hedeia – wie Aeschinus Pamphila. Hedeia ist seit neun Monaten schwanger – wie Pamphila. Die Situation ist zugespitzt, da man, wie meistens angenommen, die Stimme der die Geburtsgöttin Artemis anrufenden Hedeia hört (Georg. 112) – wie die Stimme der Iuno Lucina anrufenden Pamphila (486–487).184 Der Grund für die Zurückhaltung des jungen Liebhabers könnte “most probably timidity in the face of parental opposition” sein185 – wie bei Aeschinus. Myrrhine hat die vertraute Dienerin Philinna – wie Sostrata Canthara. Myrrhine und Philinna (zu denen der Sklave Daos mit einer überraschenden Nachricht tritt) beklagen den Verrat des Nachbarsohns, der angeblich eine andere heiratet (Georg. 22–34) – wie Sostrata und Canthara (zu denen der Sklave Geta mit einer überraschenden Nachricht ___________________________
184 Man kann sich die indezenten Schreie gebärender Frauen bei Menander nur schwer vorstellen. Sie werden aber wegen der römischen Menander-Komödien und Donats Notiz zu Andr. 473 (6) akzeptiert. Deshalb sei das auch für Ad. 486–487 wichtige Bekenntnis von Gomme 1937, 295 Anm. 1 zitiert: “There is one important matter on which I am completely at a loss: how did Menander treat those birth-scenes in which not only does a birth take place during the play, but we hear the crys of the mother in pain from behind the scene? Whether in Plautine farce (Aulularia, perhaps from Menander […]) or Terentian comedy (Andria and Adelphoe, as well as the Hecyra), they are, to me at least, intolerable. What they were like in the original I cannot guess; anything of the kind is so unlike the Menander that we have. It seems certain that there was such a scene in Plovkion; at least probable that there was one in ∆Adelfoiv and ∆Andriva or Perinqiva or both, on account of Donatus’ note on Andr. 473 […]. (I say probable only, because the birth may have been managed, as I believe it was in Gewrgov": where, I think, it occured between Acts i and ii, and so was only reported: see ll. 87 and 122 [= 116 Arnott]. We have th;n “Artemin in l. 118 [= 112 Arnott], clearly after the birth, and some such line in ∆Andriva could have occasioned Donatus’ note. If the birth were only reported in Menander’s play, Terence’s alteration, to make the action more ‘vivid,’ would be similar to that he made in ∆Adelfoiv, by the introduction of the abduction scene from Diphilos.) All we can say is that such scenes were probably not so frequent […] and that they involve as well, at least in the Latin plays [Verweis auf Philumenas Geburt in Hecyra], a wild improbability that is as foreign to the Menander that we have as is the harrowing of our feelings.” Bezüglich des Georgos urteilen Gomme / Sandbach 1973, 106 in vergleichbarer Weise: “At the beginning of the second act Gorgias has arrived and learned of his sister’s condition: she may even have given birth to a child in the interval (but the words th;n “Artemin [112] and to; paidivon [116] might be prospective).” 185 Arnott 1979, 104. Gomme / Sandbach 1973: Der Nachbarsohn “hoped that something would turn up that would enable him to get his father’s consent to a marriage.”
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B. Zweiter Teil: Analyse
tritt) den Verrat des Nachbarsohns, der angeblich eine andere liebt (III 1 / III 2). Der wichtige gevrwn Kleainetos ist gewrgov" und wohnt außerhalb der Bühne – wie Demea a[groiko" ist (Fr. *14 K. / A) und auf dem Land lebt.186 Über die weitere Handlung sind nur Vermutungen möglich. Myrrhine, “of uncertain marital status”,187 hat früher nach einer Vergewaltigung Zwillinge oder aber nach einer Heirat zwei Kinder geboren.188 “In either case a reunion between Myrrhine and the father of her children would be a likely development in the later stages of the plot”189 – wie zwischen Micio und Sostrata. Der Vater könnte Kleainetos sein.190 Eine Person des Spiels wäre Myrrhines vergangener Liebhaber – wie bei Micio und Sostrata. Am Ende gab es drei Hochzeiten: ein ‚altes‘ und zwei ‚junge‘ Paare191 – wie in den Adelphoi. Vergleichbar ist der Dyskolos, in dem zwei junge Paare (Sostratos / Knemon-Tochter, Gorgias / Plangon) heiraten und Knemon Myrrhine in sein Haus zurückholt. Das ist gleichsam eine ‚Wiederverheiratung‘192 Einen ‘triple wedding’ kannte die Hiereia.193 In der Perikeiromene wurden Zwillingskinder ausgesetzt. Die Finderin, eine arme Frau, gab ein Kind fort und zog nur ein Kind auf – wie Sostrata. Im Heros wurde Myrrhine Opfer einer Vergewaltigung, gebar Zwilllinge und übergab sie einem Hirten. Sie gelangten später an den reichen Laches, der Myrrhine heiratete. Beide erkannten die Zwillinge als ihre Kinder194 – wie Micio und Sostrata Bacchis und Pamphila. Myrrhine war mit ihrem späteren Ehemann intim geworden, ihre Tochter Plangon mit dem Nachbarsohn – wie Sostrata mit dem späteren Ehemann Micio und ihre Tochter Pamphila mit dem Nachbarsohn Aeschinus.
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186 187 188 189 190 191
Ad. 45, ‘probably’ auch bei Menander (Lowe 1998, 473). Arnott 1979, 104. Arnott 1979, 105. Dazu und zum folgenden Gomme / Sandbach 1973, 106–107. Arnott 1979, 105. Gomme / Sandbach 1973, 106; Arnott 1979, 106. Gomme / Sandbach 1973, 107: Kleainetos ∞ Myrrhine, Hedeia ∞ Nachbarsohn, Gorgias ∞ Nachbartochter (Zimmermann 2006, 204). 192 Auch in Epitrepontes und Hekyra wird die gefährdete Ehe zwischen Charisios und Pamphile bzw. Pamphilus und Philumena neu begründet. Die Hochzeit ist bei Menander Zeichen der Herstellung oder Wiederherstellung einer Ordnung. 193 Gomme / Sandbach 1973, 107. 194 Blume 1998, 101 Anm. 13; Zimmermann 2006, 205.
C. DRITTE R TEI L: STRUKT UR I. Terenz 1. Diskontinuität der Handlung „Wenn Terenz selbst erfindet oder kontaminiert, scheint die Einzelszene für sich allein da zu sein. Die Personen handeln und reden so, wie es für die Wirkung der Einzelszene erforderlich ist, der Sinnzusammenhang des ganzen Stückes entschwindet dem Blick.“1
Im folgenden sind die Ergebnisse des zweiten Teils vorausgesetzt. Nur in einzelnen Fällen wird auf sie verwiesen. Wenn in besonderem Maß auf Unstimmigkeiten und Widersprüche zu achten ist, bedeutet das keine Kritik an Terenz, sondern das Hervorheben von Eigenarten einer Dramaturgie, die im Gegensatz zu der Ökonomie der Nea in manchen Punkten der den Römern wohlvertrauten Praxis des Stegreifspiels verpflichtet ist. Es ist immer zu bedenken, daß es leichter ist, Szenen oder Partien als terenzisch zu erweisen als von Terenz gestrichene Szenen oder Partien des Originals zu rekonstruieren oder auch nur zu vermuten. Das Beispiel des seit 1968 bekannten Dis Exapaton-Papyrus ist hierfür lehrreich: Die beiden von Plautus eliminierten Szenen hatte niemand vermutet. Mit dem Terminus ‚Diskontinuität‘ sind in diesem Teil vor allem dramaturgische Diskrepanzen gemeint, so wenn in der Diphilos-Szene vorgeführt wird, was bereits von Demea berichtet worden ist, oder wenn eine Person gebeten wird, eine andere Person herbeizuholen, beide aber nicht mehr auf der Bühne erscheinen, oder wenn an einer Stelle behauptet wird, daß eine bestimmte Person eine Zahlung vorgenommen habe, später aber, daß das eine andere Person getan habe, usw. Man darf in solchen Fällen mit einiger Zuversicht sagen, daß nicht Menander für die Unstimmigkeiten verantwortlich ist. Mag auch der gute Homer zuweilen geschlafen haben, Menander schlief im allgemeinen nicht. Insofern ergeben sich immer wieder Anhaltspunkte für die originale Handlungsfolge. Die Forschung hat vor allem den Anfang der Adelphoi zu rekonstruieren versucht, der ja aufgrund des Einbaus der Diphilos-Szene bei Menander ganz anders als bei Terenz ausgesehen haben muß. Hier sind die Vermutungen ins Kraut geschossen, ohne daß feste Ergebnisse erzielt wurden. Sie sind wohl auch nicht zu gewinnen. Deshalb wird auf eine umfassende Doxographie der verschiedenen Spekulationen verzichtet.2 ___________________________
1 2
Rieth 1964, 120. Eine mögliche Rekonstruktion des menandrischen Originals findet sich in C II 2 (S. 128–130).
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C. Dritter Teil: Struktur
I1 Es ist wahrscheinlich, daß die Adelphoi – von der Frage des Prologs abgesehen – ebenfalls mit Micios Monolog und dem Dialog der alten Brüder begannen. Wenn etwa Fakten aus der Partie 40–49 im Prolog standen,3 müßte dieser vorangegangen sein. Andererseits wäre es eine wirksame Überraschung, wenn Micio sich in besonderer Weise um den Sohn Sorgen machte und der Prologsprecher anschließend die Zusammenhänge erklärte. Micio nimmt 30–34 etwas klischeehaft auf die ‚typische‘ Ehefrau Bezug. Dziatzko / Kauer meinen, die „dem ehelichen Leben ungünstige Stimmung des hagestolzen Micio“ spreche sich bereits hier aus.4 So wie Micio sich selbst nicht ganz ernst nimmt, sind die Worte nicht ganz ernst zu nehmen. In diesen Zusammenhang gehören 43–44 quod fortunatum isti putant, | uxorem numquam habui. Wenn Micio mit isti (oft abwertend5) die Zuschauer meint,6 distanziert er sich von ihnen und sagt, daß er den Junggesellenstand keineswegs glücklich finde. Es läge keine Misogynie vor. Wenn aus Donats Text gunai'k∆ ouj lambavnw (Fr. 3 K. / A.) richtig hergestellt ist,7 ergibt sich, wenn Micio im Original Sostrata heiratete, die Ironie, daß seine Aussage widerlegt wird. Das Perfekt habui könnte zeigen, daß Terenz nicht auf diese Pointe zielt. Ist Micio ein ‚normaler‘ liebevoller Vater, oder tut er des Guten zuviel? Zu 36–37 ne aut ille alserit | aut uspiam ceciderit aut praefregerit bemerkt Donat: nimium tenere amat, qui et haec in iuvene pertimescit, quae circa infantulos cavere solent (36, 3). Micios Verhalten wird als nicht ‚normal‘ empfunden, aber nicht kritisiert. Es könnte eine Überzeichnung sein, wie es die Komödie liebt.8 I2 Demea kommt vom Forum,9 Micio fragt, warum er verdrießlich blicke. Die Antwort 82–83 ist wohl so zu verstehen: ‚Du fragst, da wir ja Aeschinus haben, warum ich verdrießlich sei?‘, d. h. Aeschinus ist der Grund. Demea verkündet seine Schreckensbotschaft. Micios Erziehung sei zu locker. Dieser antwortet 103–107, daß Demea und er nur deshalb in der Jugend ‚sittsamer‘ gewesen seien, weil egestas und inopia herrschten. Zu Unrecht nimmt Körte daran Anstoß, weil Hegio 501–502 die Brüder zu den maxume | potentes dites fortunati nobiles rechne, und spricht an der ersten Stelle von einem ‚Augenblicksmotiv‘ Menan___________________________
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B I 1 (S 51–52). 1903, 32. Martins Erklärung zu isti in 15 gilt auch für 43: “pointing to a group from whom the speaker dissociates himself, often, as here, carries a contemptuous note” (1976, 102). Bei Donat kann man zu fortunatum isti putant (43) lesen: utique u x o r e m n o n d u c e r e . dicit autem Romanis id videri, quos spectatores habet (3). Diskussion bei Grant 1971, 197–201. Richtig wohl Gratwick 1999, 206. Doch vgl. B VI 2 (S. 72–73). Lowe 1998, 473–483 untersucht sorgfältig Demiphos, Ctesiphos und Sannios Gänge.
I. Terenz
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ders.10 Hegios standespolitische Ansichten in III 4 stammen aber sicher von Terenz.11 Es kommt zu keiner Einigung. Demea geht wohl zu seinem ländlichen Wohnsitz, um Ctesipho aufzusuchen (und zu warnen). Micio bleibt zurück. Durch Micios Monolog 141–154 werden die Zuschauer vor dem Schluß bewahrt, er nehme alles auf die leichte Schulter. Offenbar liegt dem Dichter daran, ihn als jemanden zu zeichnen, der die neue Situation realistisch beurteilt. Das kann sowohl auf Menander als auch auf Terenz zutreffen. Menander zeigte Micio wohl als pragmatischen homo humanus, der bis zum Ende die ‚richtigen‘ Entscheidungen trifft, Terenz dagegen als zunächst souveränen Vater, der am Ende überraschend zum Schwächling wird. Menander kam es auf die Humanität an, Terenz auf den Umschlag von der Souveränität in die Hilflosigkeit.12 Daneben dient, wie Donat richtig beobachtet,13 der Monolog dazu, einen Teil des argumentum nachzutragen: den Umstand, daß Aeschinus sich mit Heiratsabsichten trägt.14 Wahrscheinlich wußte das Micio im Original nicht. Denn Hegios Nachricht und Aeschinus’ Geständnis sollten für ihn sicher überraschend kommen. 149 wird wieder komödiantisch übertrieben sein. Micios und Demeas Charaktergestaltung ist kontrastiv angelegt: Micio clemens vita urbana (42) otium (42) uxorem non habui (44) dare praetermittere (51) non pro meo iure agere (52) ne patrem celare (54) pudore et liberalitate liberos retinere (57–58) imperium quod amicitia adiungitur (67) beneficio officium ex animo facere (72) sua sponte recte facere (75) pater (76) consiliis pater (127)
Demea ruri agere vitam (45) parce ac duriter se habere (45–46) uxorem duxit (46) non sumptum suggerere (62) (pro suo iure agere, 52) mentiri aut fallere patrem (55) metu liberos retinere (58) imperium quod vi fit (67) malo coactus officium facere (69) alieno metu recte facere (75) dominus (76) natura pater (127)
Daß Micios Prinzipien aus heutiger Sicht ‚richtig‘, Demeas ‚falsch‘ sind, versteht sich – ebenso, daß beide Wertungen in griechisch-hellenistischer Sicht die nämlichen waren. Eine andere Frage ist es, wie Terenz und seine hohen Freunde auf der einen und die römischen Zuschauer auf der anderen Seite über sie dachten.15 ___________________________
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1933, 364, vgl. Marti 1959, 86. D II 6 d (S. 158–159). Zur Konstruktion von 144–147 Gärtner 1996, 355–357. Zitiert in B I 1 (S. 52–53). postremo (150) wurde früher (Lefèvre 1969, 44), worauf K. Gaiser sofort hinwies, mißdeutet. Der Gedankengang 149–151 ist folgender: ‚Mein Sohn gab sich bisher reichlich mit Hetären ab. Schließlich (postremo) sagte er neulich, er wolle endlich heiraten. Ich atmete schon auf, aber…‘ (richtig Tränkle 1972, 245 Anm. 18). 15 Dazu B VI 1–2 (S. 71–73), zu 68–77 D II 7 (S. 160 Anm. 142).
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C. Dritter Teil: Struktur
Wenn Micios Position die ‚richtige‘ ist, schließt das nicht aus, daß manche Punkte lax, fast komödiantisch formuliert sind. Es handelt sich nicht um einen philosophischen Traktat, sondern um eine Komödie. II 1 II 1 umfaßt zwei Teile, Pamphilas Entführung durch Aeschinus (155–196a) und Sannios abschließenden Monolog (196b–208). P am p h ilas En tf ü h r u n g d u r ch A esch i n u s ( 1 5 5 – 1 9 6 a) : Die Partie schließt in dramaturgischer Hinsicht weder nach oben noch nach unten gut an. Hätte ein Forscher (gäbe es das Zeugnis des Prologs nicht) daraus den Schluß gezogen, sie gehöre nicht in die Adelphoi, hätte er kaum Zustimmung gefunden. Es ist auffallend, daß ad oculos demonstriert wird, was Demea bereits in I 2 verkündet und ausführlich mit Micio diskutiert und bewertet hat (88–122). Die Handlung macht einen Schritt rückwärts und setzt in einem früheren Stadium an. Das sieht zwar nicht nach menandrischer oijkonomiva aus, ist aber nicht zu tadeln. Terenz hätte wohl auf die Frage eines römischen Grammatikers dieselbe Erklärung gegeben wie Faërnus: „Ne cui forte, putanti Demeam in superiore scæna Micioni narrasse ea, quæ inducuntur hic fieri, ordo rerum præposterus esse videatur, animadverti debet, bis Æschinum cum lenone esse rixatum: prius quidem, cum ex domo lenonis fidicinam abduxit, cuius rei sparso statim per urbem rumore, ad Demeam delato, mox ad id Micioni nuntiandum, Demeam cucurrisse. Interim Æschinum fidicinam deducentem insequente eum lenone, domum suam, id est Micionis, pervenisse. quo cum introducere eam vellet, tum lenone id prohibente, secundam rixam extitisse. Hæc ita esse clarissime ostenditur, cum de priore quidem rixa dictum sit, fores effregit: nimirum lenonis: & abduxit mulierem, quam amabat. in posteriore autem, servo quidem dicatur, Abi præ strenue, ac fores aperi: fores scilicet ædium patris Æschini: ipsi vero fidicinæ, i intro nunc jam.“16 Palliata-Dramaturgie ist anders als Nea-Dramaturgie. Sicher hätten sich griechische Zuschauer auch gefragt, wie es zusammenpaßt, daß sich o m n e s über das schändliche Geschehen erregen (91–92), Aeschinus in aller Munde ist (in orest o m n i populo, 93) und der Kuppler um Hilfe ruft (155), aber niemand zu Hilfe eilt. In Terenz’ Sinn hätte Faërnus gesagt, der Volksauflauf habe eben bei der ersten ‚rixa‘ stattgefunden. Die römischen Zuschauer rechneten großzügig, zumal sie an Stegreifspiel-Dramaturgie gewohnt waren. Ihnen fiel die eigenartige Struktur der Szene kaum auf, deren Diskussion sich nur schleppend und mit Wiederholungen vorwärtsbewegt: Immer wieder wird der juristische Tatbestand der Entführung diskutiert. Aeschinus geht brutal und inhuman gegen Sannio vor.17 Es wird nicht widerlegt, daß dieser, wie er sagt, ein Kuppler fide optu___________________________
16 Schrevelius 1686, 488–489. 17 Goldberg 1986, 105: ‘fastidious arrogance toward Sannio’. Dagegen beruhigt Aeschinus die verschreckte Bacchis 156–157. Rosivach 1973, 85 glaubt, er spreche zu Sannio. Zur Interpunktion von 165–166 Rosivach 1972, 8–9, dem Gratwick folgt.
I. Terenz
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ma (161) und ein Freier ist (liber, 182). Auch wenn sein Gewerbe in Rom nicht besonders angesehen war, ist Aeschinus’ Handeln (das sich nicht zu dem Bild fügt, das Micio im ersten Akt von ihm zeichnet) empörend. Da hat Sannio ganz recht. Es wird noch zu zeigen sein, welches Ziel Terenz verfolgt.18 Es entspricht nicht dem Usus der Nea, daß Aeschinus mit Parmeno einen zweiten Sklaven neben Syrus hat. S an n io s M o n o lo g ( 1 9 6 b – 2 0 8 ) : Es fällt auf, daß Sannio mit keinem Wort auf Bacchis’ (von Aeschinus behauptete) libertas Bezug nimmt, die die Situation völlig verändert. Es ist, als sei von ihr nicht die Rede gewesen. Das könnte sich erklären, wenn der Monolog, wie vielfach angenommen, im wesentlichen von Menander stammt.19 Donat bemerkt zu 199: secundum illud Menandri […]; es folgen 44 schwer entzifferbare griechische Buchstaben (= Fr. 5 K. / A.). Wenn sie auch nicht befriedigend zu deuten sind, könnte an dieser Stelle Menander vorliegen. Andererseits hat man gemeint, Donat beziehe sich auf einen anderen Passus20 oder eine andere Menander-Komödie.21 Auf jeden Fall ist es nicht angebracht, den Monolog ganz auf Menander zurückzuführen. Spengel und Dziatzko bemängeln in den ersten Auflagen ihrer Kommentare, „daß sich in V. 205–208 im wesentlichen die Argumentation wiederholt, welche bereits V. 201–204 enthalten“.22 Während Spengel an wenigstens zwei Rezensionen denkt, bemerkt Kauer, man „höre einmal, wie gewöhnliche Leute auch heute noch jede Sache zwei-, dreimal wiederholen, besonders wenn sie im Affekte sind.“ Die Redeweise der ‚gewöhnlichen Leute‘ dürfte eher auf Terenz als auf Menander weisen. Drexler hebt die „reichlich konfuse Argumentation der vv. 202–208“ hervor. Wichtig ist die Beobachtung, daß Sannios Ausspruch verum enim quando bene promeruit, fiat: suom ius postulat (201) nicht zu dem Vorwurf an Aeschinus quid tibi rei mecumst? […] quid? nostin qui sim? (177) passe.23 Der ganze Monolog stamme von Terenz.24 Marchesi stellt apodiktisch fest: «È nostra ferma convinzione che il monologo sia stato inserito da Terenzio per legare la scena prima dell’atto secondo alle seguenti. In tal modo si spiegherebbe altresì la ripetizione dei v. 198–199 con 213, 245.»25 Interessant argumentiert Gratwick: “In Terence, the point of Sannio’s speech is really only to separate Aeschinus’ departure (196) and Syrus’ entrance (209); the dramatic pace falters, as Sannio has nothing much worth the saying, and it is pretty poor stuff. It is odd that Sannio completely ___________________________
18 D II 6 b (S. 148–155). 19 “Sannio’s monologue […] has no doubt undergone some Terentian modification but need not differ very greatly from an original entrance monologue” (Lowe 1998, 483). 20 Marchesi 1912, 290 (Vorbild von 245); Drexler 1934, 7 Anm. 7. 21 Kauer 1901, 95–96; Kuiper 1936, 122 Anm. 1. 22 Kauer in Dziatzko / Kauer 1903, 156 (Anhang), dem diese Information entnommen ist. Spengel erwähnt seine These im Anhang der zweiten Auflage nicht. 23 1934, 6–7. 24 1934, 38–39. 25 1912, 289–290.
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C. Dritter Teil: Struktur
ignores the dilemma posed by Aeschinus (196), bluff or otherwise, and only considers another way he might be done out his money. Naturally enough, the speech cannot simply correspond either to the substance of Diphilus or of Menander and Terence is probably extemporising; as elsewhere, his own recipe for humour is simple inversion and heavy irony.”26 Auch Sannios juristische Erwägung 203–204 geht sehr wahrscheinlich auf Terenz zurück.27 Wenn in den Adelphoi nach Micios Abtreten Aeschinus mit Bacchis erschien und der Kuppler ihm folgte, konnte der Jüngling ankündigen, er werde den Preis für die Hetäre später zahlen, und sich mit ihr in Micios Haus begeben. Sannio mochte einen kurzen Abgangsmonolog halten, in dem der von Donat notierte Vers vorkam. Aber notwendig war sein Auftritt nicht.28 Diese Annahme könnte durch Websters und Lowes Vermutung gestützt werden, daß er bei Menander an II 3 und II 4 nicht teilnahm – was sicher auch in II 2 nicht der Fall war. II 2 Syrus’ Dialog mit Sannio tritt die Problematik noch einmal breit. Der Zuschauer weiß, daß der Kuppler inzwischen mit dem von Aeschinus genannten Betrag zufrieden ist (205). Insofern hinkt die Szene dramaturgisch nach, indem sie sich auf ein früheres Handlungsstadium bezieht. Doch damit nicht genug. Syrus ist keineswegs bemüht, Sannio für Aeschinus’ Angebot (= 20 Minen) zu gewinnen, sondern möchte ihm schmackhaft machen, völlig zu verzichten: quasi iam usquam tibi sint viginti minae (223). Donat erklärt zu 223: sensus est: quasi numero aliquo ducas et in aliqua aestimatione constituas et non, si velis, penitus contemnas viginti minas, dum modo huic obsequaris (3).29 Auf derselben Linie liegt Syrus’ Vorschlag, Sannio möge mit der Hälfte (= 10 Minen) zufrieden sein (240–242)! Aeschinus bietet ja 20 Minen (192). Es ist ‚plautinisches‘ Gerede.30 Das ganze Hin und Her, das Auswalzen einer einfachen Situation, dürfte nicht auf Menander zurückgehen. Umgekehrt scheint klar zu sein, warum Terenz den Dialog einlegt. Das Motiv der Zypern-Reise des Kupplers war ihm wichtig. Denn nur so konnte er die Situation konstruieren, auf die die actum ne agasFormel (232) zutrifft. Wie es scheint, kam es ihm bzw. seinen Gönnern auf sie an.31 Man wird wahrscheinlich II 2 zur Gänze auf Terenz zurückführen müssen. II 3 / 4 Es ist höchst merkwürdig, daß während Ctesiphos emotionalen Auftritts – Norwood nennt sein Bekenntnis 254–270 eine “rhapsody of admiration and joy ___________________________
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1999, 186. S. 47 nennt Gratwick 196b–208 eine terenzische ‘link-speech’. D II 6 b (S. 151–152). C II 2 zum I. Akt (S. 128–129). Diskussion der Stelle bei Vretska 1963, 153–154 (mit Literatur). B II 1 (S. 54). D II 6 b (S. 152–154).
I. Terenz
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which reveals his amiable affection for Aeschinus”32 – und des nicht weniger emotionalen Gesprächs der Brüder Kuppler und Sklave Maulaffen feilbieten. Nach Webster geht Sannio, nach Lowe33 gehen Sannio und Syrus in beiden Szenen auf Terenz zurück (II 4 hat vier Personen). Dadurch wird die oben geäußerte Vermutung gestützt, daß auch der in dramaturgischem Sinn überflüssige und widerspruchsvolle Dialog zwischen den beiden in II 2 von Terenz stammt. Stimmt man der Diagnose zu, ergibt sich für Menander, daß Ctesipho mit einem Monolog auftrat (→ II 3) und Aeschinus etwas später (aus Micios Haus) hinzukam (→ II 4). Damit entfällt für Menander der ‚augenscheinliche Widerspruch‘, daß Aeschinus mit den Worten erscheint, er suche den Kuppler (265), und, wenn er Ctesipho erblickt, sagt, er suche den Bruder (266).34 Terenz muß seiner Einfügung Sannios entsprechen, mit dessen Herumstehen vor dem Haus Aeschinus zu rechnen hat, und auch auf Ctesipho Rücksicht nehmen. Er überlegt nicht lange, wie er zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt.35 Es ist nicht notwendig, aus der Anwesenheit von Syrus und Sannio, die tatsächlich störend ist, auf den terenzischen Ursprung auch des Ctesipho-Monologs zu schließen.36 Es zeigt sich, daß Aeschinus’ höchst anstößige Aussage in 277, er wolle Sannio auf dem Forum auszahlen, ein terenzischer Einfall ist.37 Wie sich später herausstellt, begleicht Micio diese Summe. Jedenfalls behauptet das Syrus in 369. Vielleicht muß man einsehen, daß Terenz (irgend)eine Abgangsmotivation für Aeschinus und Sannio brauchte und nicht lange suchte – Plautus hatte das so oft vorgemacht. Die mit juristischer Problematik aufgeschwemmte SannioHandlung mußte schnell zu Ende gebracht werden. Bei Menander beratschlagten die Brüder, wie sie die dem Kuppler geschuldeten 20 Minen aufbringen könnten. Es liegt nahe, daß sie beschlossen, Syrus einen entsprechenden Auftrag zu erteilen. Vielleicht gesellte sich der Sklave zu ihnen. Damit konnte Menanders erster Akt schließen.38 Die Zuschauer hatten nacheinander die beiden alten und die beiden jungen Brüder kennengelernt. Das war eine teils argumentative, teils lebhafte Szenenfolge, die – zusammen mit dem Prolog – gut in die Handlung einführte. ___________________________
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1923, 115. Webster 1960; Lowe 1998, 483. Drexler 1934, 25. Marti 1959, 102 schwächt ab: 266 sei nur eine ‚Grußformel‘. So Drexler 1934, 22–27 (der zudem ästhetische Gründe nennt; 27: ‚ein Machwerk des Terenz‘). Marti 1963, 75–76 referiert Einwände der Rezensenten. Gaiser 1964, 137 sieht wohl richtig, daß bei Menander Ctesipho während seines Monologs und die Brüder während ihres Dialogs unbelauscht waren. Nach Denzler 1968, 62 könnte für diese Annahme „die feste Regel sprechen, dass der erste Auftritt eines verliebten Jünglings, wenn er monologisch erfolgt, ein [sc. unbelauschter] Auftritts-Monolog ist.“ 37 B II 3 (S. 55–56). 38 Gaiser 1964, 143; Sandbach 1975, 202; Gratwick 1999, 47. Die Begründung, mit der Lowe 1998 noch III 1 und III 2 zu Menanders erstem Akt zählt, ist nicht überzeugend.
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III 1 / 2 Mit dem dritten Akt lernt der Zuschauer Aeschinus’ andere Seite kennen. Bisher war er ein zupackender, wenn auch etwas forscher Wohltäter. Nunmehr wird an seinem Bild gekratzt, indem er als unverantwortlicher Zauderer erscheint. Der griechische Zuschauer wußte, daß sich der Zwang lösen werde, der römische nicht. Er wird mit der Pamphila-Handlung bekanntgemacht: Die Geliebte ist kurz vor der Geburt eines Kindes, Aeschinus aber zögert zu kommen, obwohl er bisher kaum einen Tag den Besuch versäumt hat. Die Dramaturgie entspricht nicht menandrischem Standard. Sostrata klagt 291–292, daß sie, da Geta nicht anwesend sei, niemanden habe, der eine Hebamme holen könne. Andererseits schickt sie am Ende von III 2 Canthara nach einer solchen (353–354), was sie gleich hätte tun können. Wie aber der Verlauf der Handlung zeigt, erscheint zu der Geburt keine Helferin – was nicht nach Menander-Dramaturgie aussieht.39 Es heißt jedoch das Kind mit dem Bad ausschütten, wenn Webster, Sandbach und Lowe glauben, daß Canthara in III 1 / 2 bei Menander eine stumme Rolle gehabt habe, oder Grant und Gratwick, daß sie ein terenzisches Geschöpf sei.40 Es ist wahrscheinlicher, daß es bei Menander das Hebammen-Motiv überhaupt nicht gab. Sostrata konnte Canthara zu Aeschinus schicken, der, wie er 618–624 berichtet, von ihr erfahren hat, daß ein Kind geboren ist; ebenso wahrscheinlich ist es, daß er zufällig auf Canthara traf. Sostrata und Geta sprachen dann über Hegio, von dem sie Unterstützung erhofften. Terenz kommt es auf den emotionalen Kontrast an. Canthara spricht 295–297 ein besonders hohes Lob für Aeschinus aus, das in der nächsten Szene durch Getas Schreckensbericht getrübt wird (der römische Zuschauer durchschaut nicht, daß die Nachricht falsch ist). Donat sagt zu 297: haec omnis perivstasi"41 tragica est: gaudiorum introductio ante funestissimum nuntium (3). Während Sostrata und Canthara bei Menander sicher in jambischen Trimetern sprachen, stimmen sie bei Terenz ein Canticum an, das der Sorge pathetischen Ausdruck verleiht. Der römische Dichter steigert die Klage, die auch III 2 beherrscht. Im Original wird Geta – mit wenigen Versen, wie sie ein eiliger griechischer Bote spricht – auf der Suche nach Sostrata aufgetreten sein und ihr sogleich die schlimme Nachricht überbracht haben, daß sich Aeschinus anders orientiert habe. Da die starke Überzeichnung der Figur des ‚eilenden Sklaven‘,42 die für die ___________________________
39 Deutlich Gratwick 1999, 37: “Canthara’s mission to fetch a midwife (353) is odd. She fails to return, there is no midwife, the baby is safely delivered by Sostrata (486), and both older women have been introduced at 288f. as capable anyway. What is first offered as a reason why Canthara cannot go to fetch a midwife, the absence of Geta, turns out to be no reason, for Geta too is despatched, to fetch Hegio (350).” 40 Nachweise und Widerlegung in B VIII (S. 79–81). 41 Stephanus ändert das überlieferte perivstasi" (= Umstand, Zustand) in parevktasi" (= Ausdehnung). Ihm folgen Dziatzko / Kauer 1903, 68. Vgl. auch C I 2 (S. 113). 42 Zu den Servus currens-Monologen bei Terenz Denzler 1968, 112–117.
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Palliata typisch ist, bei Menander nur in ganz gemäßigter Form erscheint,43 ist es wahrscheinlich, daß in III 2 ein starker Eingriff durch Terenz vorliegt.44 Getas Rede ist gestelzt. Nach Denzler ist sie „mehr als irgendein anderer Terenz-Monolog vom Stil der hohen Dichtung bestimmt“.45 Gratwick sieht den Stil “in excellent contrast with the styles of 26ff. and of 155ff.; Terence is aiming for the maximum variety of presentation.”46
III 3 Die Szene zeigt Demea in der Verkennung des Geschehens. Er tritt im Irrtum auf und wird von Syrus weiter im Irrtum bestärkt. Um diesen Vorgang ad oculos zu demonstrieren, läßt Terenz Syrus ihn am Ende auf das Landgut verweisen, damit er Ctesiphos Kreise nicht stört. Irren ist ein Signum der menandrischen Komödie. Tyche spricht vom plana'sqai der Menschen (Asp. 99). Demea kommt auf die Bühne, um fortgeschickt zu werden. Boeclerus sagt, er erscheine ‚fallendus à Syro‘.47 Die Szene wuchert aber nach Palliata-Art. Demeas Auftrittsmotivation ist merkwürdig: Ctesipho sei am Raub beteiligt gewesen. Bei Terenz ist das nicht der Fall, bei dem er in II 3 Aeschinus sucht, der mit Bacchis in Micios Haus weilt. Es ist ein falsches Gerücht.48 Demeas Begründung für den Auftritt sieht nicht nach Menander aus.49 Dann reflektiert er: Ctesipho könne (noch mehr) von Aeschinus verführt werden; und als er Syrus sieht, sagt er, er dürfe nicht erkennen lassen, daß er Ctesipho suche; der Sklave werde ihm keine Auskunft geben, wenn er merke, daß er nach ihm fahnde. Das ist lustig. Genügt es für Menander, wenn die Komik über den lovgo" triumphiert? Sollen Syrus’ Worte in 365–371 von Demea gehört werden50 oder nicht?51 Im ersten Fall können sie frisiert (d. h. gegen die Wahrheit auf Demea berechnet) sein, im zweiten entsprechen sie der Wahrheit. Der Philologe darf weiterfragen, ob sie von Menander oder von Terenz stammen. Auf Terenz gehen sicher zwei ___________________________
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C I 3 d (S. 120–121). Überzeugend Lowe 1998, 483–484. 1968, 68 Anm. 213 (mit reichen Belegen). 1999, 188. 1657, 263. Zum aiunt–Motiv (audivi, 355) C I 3 e (S. 121–123). Lowe 1998, 475 meint, Demea sei nach I 2 auf das Land gegangen und habe dort erfahren, daß Ctesipho in die Entführung ‚involviert‘ sei. Vom Land kehre er jetzt zurück. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er gerade vom Land kommt und nach Syrus’ Auskunft sofort wieder dorthin gehen will. Da seine zweite Irreleitung durch Syrus in IV 2 wohl auf Terenz zurückzugeht (S. 98–99), kann er eine Mitteilung von dem 541 erwähnten mercennarius bekommen haben, ohne auf dem Land gewesen zu sein. 50 Dziatzko / Kauer 1903, 76. 51 Spengel 1905, 196; Gratwick 1999, 101.
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Motive zurück, erstens, daß Micio Syrus dankte, weil er ‚diesen Rat‘ (id consilium) gab, welchen, wird nicht gesagt (es ist das für die Palliata konstitutive Sklavenlob), zweitens, daß Micio eine halbe Mine zusätzlich als Vergnügungsgeld (in sumptum) spendierte.52 Das ist ein plautinisches Motiv, das besonders in den Bacchides eine Rolle spielt, in denen Crusalus von Nicobulus nicht nur 200 Philippi für die Auslösung der Geliebten des jungen Herrn erpreßt, sondern darüber hinaus eine zweite Summe derselben Größenordnung für das Vergnügen der jungen Leute (sumptus, B a. 707). Im Dis Exapaton war natürlich nur von der ersten Summe die Rede. Dieselbe Praktik begegnet im Pseudolus.53 Vor allem fällt Syrus’ Mitteilung auf, daß Micio die Entschädigung für Sannio gezahlt habe (369), während er in derselben Szene behauptet, Aeschinus habe das auf dem Forum getan (406). Das klingt nicht nach Menander. Nun ist es wahrscheinlich, daß im Original Micio tatsächlich die Summe aufbrachte,54 aber nicht in diesem frühen Handlungsstadium, sondern erst nach der Anagnorisis der Tochter,55 die der Gepflogenheit gemäß am Ende einer Nea-Handlung steht. Die Streitfrage, ob Demea Syrus’ Worte hören soll oder nicht, muß man wohl dahingehend beantworten, daß Syrus Demea sieht und gezielt Informationen verlauten läßt, die den Senex in der Meinung bestärken, daß Micio sich genauso falsch verhalte wie Aeschinus. Es dürfte ein terenzischer Einschub vorliegen.56 Aus welchem Motiv handelt Micio nach Syrus’ Aussage? Der Dichter will kaum seine filanqrwpiv a / humanitas herausstellen. Auf den römischen Zuschauer muß das Verhalten läppisch wirken. Die Vermutung liegt nahe, daß es Terenz ist, der hier seine spätere ‚Abwertung‘ Micios in nuce antizipiert. Somit gehören sowohl Demeas Eingangsworte (355–365a) als auch Syrus’ scheinbare Aparte-Äußerung samt Demeas Kommentaren (365b–372) zu dem Ziel der Szene, Demea immer weiter in den Irrtum zu verstricken. Denn darum geht es: Syrus verstärkt in ebenso virtuoser wie perfider Weise die falsche Meinung des Alten über Micio, Aeschinus und Ctesipho. Das ist reiner Selbstzweck. Die Dynamik der Handlung wird in keiner Weise gefördert. Man befindet sich im Fahrwasser der plautinischen Komödie, deren Sklaven es lieben, die alten Herren gehörig aufzuziehen.57 Der Witz triumphiert. Syrus wiegt Demea dadurch in Sicherheit, daß er die Partei, die er unterstützt, im Sinn seines Gegenübers abwertet – sehr witzig, aber auch ein wenig plump, jedenfalls in einer Weise, die dem Sklaven nicht ansteht. So bezeichnet er Aeschinus’ (und Micios) Verhalten, als ratio inepta atque absurda (375–376) – nur ___________________________
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Sandbach 1978, 140 führt das Motiv nicht überzeugend auf Menander zurück. Zu beiden Komödien Lefèvre 2011, 50 Anm. 160, 181. B II 3 (S. 55–56). B VII 1 (S. 75–76). B VI 2 (S. 73). Boeclerus 1657, 233 war von dem ‚comicus lepos‘ dieser Szene begeistert. Nur einer der bewundernden Kommentare sei wiedergegeben: „Quas hinc non fwna;" kolakeutika;", ploka;", palillogiva", aduersus Senem artifex Syrus comminiscitur?“
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um Demea beizustimmen. Wenn dieser von flagitia spricht, sagt er: miquidem non placent | et clamo saepe (379–380). Wenn Demea fragt, ob Aeschinus die psaltria zu Hause behalten wolle, kommentiert er: credo, ut est | dementia (389–390) – ohne einen Anhaltspunkt zu haben. Er fügt hinzu, um auch Micio mit hineinzuziehen: inepta lenitas | patris et facilitas prava (390–391). Syrus ist so frech wie die frechsten plautinischen – doch nicht: menandrischen – Sklaven. Als Pendant zu Micios und Aeschinus’ Verurteilung fungiert Syrus’ ironisches Lob Demeas (tu quantu quantu’s nil nisi sapientia es, 394) – nicht weniger dessen Selbstüberhebung (non sex totis mensibus | prius olfecissem quam ille quicquam coeperet?, 396–397). Die witzigen Themen sind gekonnt verwoben, aber letztlich schlichter Natur. Menanders Welt könnte ein wenig ferngerückt sein. In diesem Zusammenhang möchte man in der von Demea in 417–418 propagierten Pädagogik, nach der sich der Zögling an anderen ausrichten soll, nicht griechische, sondern alte römische Erziehungstheorie erblicken, zumal die Welt der Horaz-Satire 1, 4 naheliegt. Syrus’ pointierte Parodie weist auch in sprachlicher Hinsicht auf den römischen Bereich, da salsum, adustum und lautum in 425, nach Farnabius,58 Strong59 und Dziatzko / Kauer60 doppeldeutig sind. Auch wenn Syrus seine sapientia lobt (427), nachdem er Demeas sapientia in den Himmel gehoben hat (394), bewegt er sich im römischen Bereich: Das Wortspiel ist römisch, wie Donat zu 427 erklärt: diasurtikw'" ‚sapientia‘ dixit, quia condimenta gustu et sapore temperant coqui. Terenz argumentiert auf der komischen Ebene überlegen.61 Natürlich beweist die römische sprachliche Ausgestaltung nicht die römische Provenienz des Inhalts. Es ist aber zu bedenken, daß Syrus kein ‚richtiger‘ Koch ist.62 Weiterhin ist auffällig, daß Terenz im Phormio ebenfalls einen Sklaven (Geta) die ‚lebensweise‘ Rede eines Herrn (Demipho) Vers für Vers parodieren läßt (Ph. 241–251).63 Geta hält sich wie Syrus (427) etwas auf seine sapientia zugute (Ph. 247).64 Die Vermutung, Terenz gehe bei Syrus’ Kochkünsten relativ selbständig vor, ist zumindest nicht abwegig. ___________________________
58 „Apposite scurrili enim mimhvsei & ajpodeivxa" ajlazoneivan. morali & œconomicæ ipsius philosophiæ conferens culinariam suam, quæ in sapore“ (Schrevelius 1686, 536). 59 “Syrus parodies this, replacing Demea’s lofty abstractions by concrete instances drawn from the repertoire of the cook”. salsumst: ‘too salt’ / ‘a smart stroke’; lautumst: ‘cleaned‘ / ‘refined’ (1897, 160). 60 adustumst: ‚angebrannt / anrüchig‘ (1903, 82). 61 Brillant nimmt Syrus in 425 mit dem dreimaligen hoc Demeas viermaliges hoc aus 417–418 auf (Spengel 1905, 78; Martin 1976, 170). 62 B III (S. 56–57). 63 Donat: totidem verbis usus est, quot senex, ad irrisionem eius. sic et in Adelphis (428–429, cf. 415) ‚inspicere tamquam in speculum in patinas, Demea, iubeo‘ (zu Phorm. 251, 1) (Beleg der Adelphoe-Verse von Wessner). 64 „Quantum ad parw/divan hic expressam attinet, conferenda est illa altera Ph. 2, 1, 17 &c. vbi itidem seruus sibi, contra herum, sapientiam tribuit. id quod per se festiuum est, nulla etiam exquisitiori figura accedente“ (Boeclerus 1657, 265).
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Es wurde gesagt: Demea erscheint in III 3 nur, um von Syrus fortgeschickt zu werden. Syrus verweist ihn auf das Land, wo sich Ctesipho angeblich befindet. Demea kündigt an, dorthin zu gehen (433). Dann sieht er Hegio nahen und beschließt, mit ihm zu sprechen (446). Man kann sagen: So ist das im Leben. Der Mensch denkt, der Zufall lenkt. Ist das auch bei Menander so? Demea beschreibt Hegio als aufrechten Genossen alter Gesinnung, wie er sich selbst sieht. Boeclerus kommentiert die Worte so warm, daß er aus Begeisterung ins Griechische fällt (zu 441): „Gerontikw'" tau'ta hjqopoiou'ntai. mavla hJdevw". insunt mores, insunt affectus similes: & condiuntur vtrique simplicitate. Laudator temporis acti se puero, senex.“65 Trotzdem wird sich mancher Zuschauer nach den Hegio-Szenen sagen, daß zwischen den Alten ein großer Unterschied bestehe. Demeas Beschränktheit findet sich bei Hegio nicht.66 Es ist deshalb zu vermuten, daß Demeas Worte mehr Hegio als ihn selbst charakterisieren sollen. Gratwicks Urteil über III 3 ‘Terence at his very best, and very close to Menander’,67 möchte man vor allem bezüglich der ersten Hälfte unterschreiben. III 4 Die Szene behandelt die Rechtslage, in der sich nach Hegios Ansicht Aeschinus und Pamphila befinden. Er bringt den entscheidenden Begriff des aequum gleich am Anfang (454). Demea ist aber nicht der richtige Adressat, da für Aeschinus Micio zuständig ist, er reagiert daher mit nichtssagenden Einwürfen: hem (467); an quid est etiam amplius? (468); pro certo tu istaec dicis? (478); pudet: nec quid agam nec quid huic respondeam | scio (485–486). Als Hegio ihn nach seiner Beurteilung fragt, weicht er aus: fratrem conveniam (499). Wenig später wiederholt er: ibo ac requiram fratrem ut in eum haec evomam (510). Es zeigt sich deutlich, daß er der falsche Gesprächspartner ist. Wie kann Hegio sagen: te quaerebam ipsum (461)? Er ist ja mit Geta auf dem Weg zu Sostrata!68 Schon hier liegt die Vermutung nahe, daß das Zusammentreffen der Senes auf Terenz zurückgeht, der es dementsprechend locker einfädelt.69 Nun ist aber zu sehen: Die ganze lange Beschwerde (462–504) könnte Hegio niemals an Micio richten. Denn der ist ohne Zögern seiner Ansicht: ego in hac re nil reperio quam ob rem lauder tanto opere, Hegio: | meum officium facio, quod peccatum a nobis ortumst corrigo (592–593). Warum wird Hegios Stellungnah___________________________
65 1657, 265. Nicht minder warm äußert sich Gratwick 1999, 191 über 435–446 unter der Devise ‘pure Menander’. Darf man Demeas Worte nach seinem bisherigen (und künftigen) Betragen isolieren? 66 Nach Büchner 1974, 392 ist es Demeas Tragik, daß er ein ‚Anachronismus‘ ist. 67 1999, 189. 68 Wie bei der Diskrepanz 265 / 266 harmonisiert Marti 1959, 102: 461 sei „nur eine Grußformel, die nicht gepreßt werden“ dürfe. Es ist Palliata-Dramaturgie. 69 “The scene […] serves to inform Demea concerning the affair of Aeschinus and Pamphila. Its connection with the action of the plot, however, is only superficial” (Harsh 1944, 397).
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me so ausführlich Raum gegeben? Eine genaue Analyse führt zu dem Ergebnis, daß es um r ö m isch e juristische und standespolitische Begriffe und Tatbestände geht.70 Der Schluß liegt daher nahe, daß es Terenz ist, der an dieser Stelle eine eingehende rechtrelevante Erörterung der Sachlage einlegt.71 Auch am Ende ist die Personenführung nicht plausibel. Nach 510 bricht Demea auf, um Micio zu suchen. 512–513 beschließt Hegio dasselbe. Hegio, der später startet, hat Erfolg und erscheint 592 mit Micio auf der Bühne. Demea hat Mißerfolg (540). Natürlich, das passiert im Leben. Aber passiert das auch in einer Menander-Komödie? Wenn das Zusammentreffen von Hegio und Demea auf Terenz zurückgeht, begaben sich Geta und Hegio bei Menander nach ihrem Gespräch direkt in Sostratas Haus (506). Danach konnte Aktpause sein. III 5 Hegio betritt 506 Sostratas Haus und kommt 511 wieder heraus. Nach 516 geht er zum Forum. Die sechs Verse dienen dazu, das klarzumachen. Donat zu 511: hi sex versus in quibusdam non feruntur (1). Hieraus ist entweder zu schließen, daß die Partie von Terenz stammt und einige Grammatiker die Beschreibung von Hegios Weg als überflüssig strichen, oder aber, daß Terenz ‚nonchalant‘ (Knoche) in Kauf nahm, daß Hegio 506 in Sostratas Haus ging, aber 592 vom Forum zurückkehrte, und ein Interpolator 511–516 einfügte. Sowohl die erste Möglichkeit72 als auch die zweite73 wurden erwogen. IV 1 Die Szene bringt vom dramatischen Standpunkt aus einen völligen Stillstand der Handlung. Sie bietet Small talk in Reinkultur. Zunächst malen sich Syrus und Ctesipho aus, wie Demea sich auf dem Land (wo er gar nicht ist) abarbeite. Ctesipho will im Erfolg schwelgen: hunc diem | misere nimis cupio, ut coepi, perpetuom in laetitia degere (521–522). Damit wiederholt er den Wunsch aus 287: hilarem hunc sumamus diem.74 Es gibt keinen Handlungsfortschritt (517–525). Dann fragt Ctesipho Syrus, was er tun solle, wenn der Vater plötzlich komme. Syrus nennt eine etwas platte Ausrede (er soll sagen, er habe einem Freund geholfen). Er bereitet ihn auf eine Begegnung vor, die gar nicht stattfindet, weil Ctesipho Demea aus dem Weg geht. Der Dialog läuft ins Leere (526–532). Syrus ___________________________
70 Dazu ausführlich D II 6 c / d (S. 155–159). 71 Vielleicht geht auch Pamphilas Anrufung Lucinas bei der Geburt 486–487 auf Terenz zurück. Sie hat die Funktion, die Dringlichkeit der Angelegenheit zu betonen. Dazu grundsätzlich das Urteil von Gomme 1937, 295 (zitiert in B X: S. 83 Anm. 184). 72 Spengel 1905, 198–199; Conrad 1916, 291–303; Rieth 1964, 81–85; Arnott 1965, 262; Büchner 1974, 394–395; Martin 1976, 179; Gratwick 1999, 192. 73 Dziatzko / Kauer 1903, 175–176; Knoche 1936, 151 Anm. 2; Denzler 1968, 104 (‚nicht fraglos echt‘). Literatur für beide Annahmen bei Marti 1961, 216; 1963, 246. 74 Marouzeau 1961, 144.
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ist bereit, als Retter einzuspringen und Demea das Loblied auf den Sohn zu singen. Darüber werde er vor Freude weinen. Was ist nach dem Weinen? Was wird Syrus dann tun? Der Passus ist Wiederholung zu 403–413, der Zuschauer erinnert sich; sogar Demeas Freudentränen kehren wieder (409 / 536). Man tritt auf der Stelle (533–537a). Plötzlich ist Demea da, aber das Geschehen läuft in eine ganz andere Richtung, als Syrus und Ctesipho besprochen haben (537b–539). Die Entwicklung der Handlung wird nicht gefördert, die bereits abgesteckten Positionen werden intensiviert, pathetisch ausgenutzt. Es herrscht pavqo" statt lovgo". Worauf es ankommt, ist klar: Demea ist bisher stultus, er wird es auch weiterhin sein. Es geht darum, seine Übertölpelung weidlich auszukosten. Damit bewegt sich Terenz wieder in plautinischem Fahrwasser. Denn einen Senex als Schaf (ovis) zu behandeln, ja ihn mit einem Schaf zu vergleichen (ovem reddere, 534), ist eine Devise des Umbrers.75 Zu dem ausmalendem Wesen des Auftritts paßt, daß er ein Canticum ist.76 An dessen Wirkung besteht kein Zweifel. Da keine Motivation für das Auftreten der Personen gegeben wird77 und auch nicht zu erschließen ist, hindert nichts daran, die Szene Terenz zuzuschreiben. IV 2 IV 2 bringt wie IV 1 keinen dramatischen Fortschritt: Wieder bleibt die Handlung stehen, treten die Akteure auf der Stelle. Am Ende von III 4 geht Demea ab, um Micio zu suchen (510), hier kehrt er zurück und berichtet, daß er ihn nicht gefunden habe (540); am Ende verschwindet er, um abermals nach Micio zu fahnden (586), in IV 6 scheint er neuerlich auf und klagt, daß er ihn nicht getroffen habe (713–717): Die Handlung dreht sich – äußerlich gesehen – im Kreis, es herrscht Statik statt Dynamik. Der Verdacht auf eine ‚Dublette‘78 liegt nahe. Bei näherer Betrachtung sieht man, daß die Szene die Situation von III 3 wiederholt, um nicht zu sagen: kopiert. Dort wird Demea in seiner Aufregung, daß Ctesipho an dem Raub des Mädchen beteiligt war, von Syrus mit einem Lob des angeblich vorbildlichen Verhaltens des Sohns beschwichtigt: Eben dasselbe Spiel bildet den Inhalt von IV 2. Es ist also nicht nur die Motivation für Demeas Auftritt eine Dublette, sondern auch der Inhalt der Szene. Büchner urteilt: „Diese Dublette ist ein Intermezzo. […] Ohne terenzischen Ursprung behaupten zu wollen, würde ich für menandrischen nicht die Hand ins Feuer legen“.79 Am Anfang steht ein geschickt geführtes Dreiergespräch. Demea hält einen acht Verse umfassen Auftrittsmonolog (540–542, 544–547, 549a), den Syrus und der noch auf der Bühne verbliebene Ctesipho belauschen und kommentieren ___________________________
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D II 2 (S. 141–142). Moore 2012, 360–362. Büchner 1974, 396. Man kann auch sagen: Variation, denn natürlich gibt es Unterschiede. Gemeint ist, daß die Handlung keinen entscheidenden Schritt vorwärts macht. 79 1974, 399.
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(543, 548, 549b–553a). Demeas Bekenntnis 544–547 ist der Zielpunkt der terenzischen Demea-Handlung im dritten und vierten Akt: 545
quid hoc, malum, infelicitatis? nequeo satis decernere; nisi me credo huic esse natum rei, ferundis miseriis. primus sentio mala nostra, primus rescisco omnia, primus porro obnuntio, aegre solus siquid fit fero.
Syrus kommentiert diesen Erguß unnachahmlich: rideo hunc: primum ait se scire: is solus nescit omnia (548). Natürlich befindet sich Demea in einem ridiculus error, wie Donat zu 546 (2) sagt. Syrus gibt sich plautinisch-überlegen.80 Die Konstellation von III 3 wird intensiviert. Damit deutlich wird, daß Demea im Irrtum befangen ist, läßt Terenz Syrus ihn bei der Suche nach Micio mit einer denkbar komplizierten und verwirrenden Ortsbeschreibung in die Irre schicken (573–585).81 Sie ist aufgrund der (gewollten) Unwahrscheinlichkeiten äußerst komisch. Syrus kennt nicht den Namen dessen, den Micio angeblich aufsucht, wohl aber den Ort, wo er wohnt (572). Er beachtet nicht, daß die von ihm beschriebene Route in einer Sackgasse endet, was Demea aber merkt – worauf sich der Sklave scheinbar ernsthaft tadelt (577–579). calliditas est maxima, deprehensum mendacium non defendere sed fateri, ut opinionem simplicitatis acquirat. vides igitur, ut ipse sibi succenseat, tamquam imprudens erraverit, non dolosus impulerit interrogantem.82 Auf die überraschende Frage, was Micio dort mache, reizt Syrus den Alten, indem er als Grund die Anfertigung von Gartenmöbeln aus dauerhaftem Holz ersinnt – worauf Demea prompt vermutet, es gehe um das Zechen im Freien (585–586). repente igitur interrogatus quod minime opinabatur quaesiturus senem, arripuit statim ‚lectulos‘, et quia potuit senex dicere ‚mentiris, nam habet lectulos‘, addidit ‚iligneis pedibus faciundos‘. sed hoc gestu actoris adiutum est, quasi eodem tempore servus et quaerat quid dicat et respondeat.83 Das ist ein geistreicher Dialog. Das feine menandrische Irren des Alten wird zu einem grotesken äußerlichen Herumirren, an dem der römische Zuschauer Freude haben muß. Syrus’ Ankündigung aus 534 bewahrheitet sich: Er macht Demea sanft wie ein Schaf (ovis). Terenz wandelt in Plautus’ Spuren. Das Thema des Irrens ist griechisch, die lustige Weiterführung und Übersteigerung zeigt die Palliata at her best. IV 3 Der Dialog zwischen Micio und Hegio nimmt die menandrische Handlung wieder auf. Wenn die Vermutung richtig ist, daß III 4 im wesentlichen von Terenz ___________________________
80 Er repliziert Demeas ironisches quid ais, bone vir?, „die Ironie weiterspinnend“ (Müller 1997, 268), mit quid, malum, ‚bone vir‘ mihi narras? eqidem perii (556–557). 81 Zu der Topographie des Irrwegs Frank 1936, 470–472. 82 Donat zu 579 (1). 83 Donat zu 585.
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stammt, ist es wahrscheinlich, daß Hegio bei Menander seinen (kürzer formulierten) Standpunkt Micio in der IV 3 entsprechenden Szene vortrug. Bei Terenz tut er das unterwegs. Weil die Zuschauer die Problematik aus III 4 kennen, läßt Terenz Micio schon beim Auftreten Hegio zustimmen. Der hatte im Abgehen 514 von Micios officium in dieser Angelegenheit gesprochen, und Micio betont sofort in IV 3, daß er seine Pflicht tun werde (officium facio, 593). Das zeigt, daß Terenz Zusammengehöriges trennt. Die Senes sind sich der Bedeutung ihrer Unterredung bewußt und befleißigen sich des getragenen jambischen Oktonars.84 Micio spricht – wie in 687 – von Aeschinus’ peccatum, das er ‚korrigieren‘ wolle, peccatum a nobis ortum corrigo (593). Diese für ihn charakteristische Maxime85 wird den Zuschauern noch in IV 7 begegnen, wenn Demea auf sie verständnislos reagiert (741–742). Hegio erweist sich auch in seinem zweiten Auftritt – bei Menander gab es in diesem Zusammenhang86 wohl nur einen – als untadeliger Charakter. Es ist nicht ausgeschlossen, daß in dem feinen Gespräch manche Formulierungen von Terenz stammen, der durch die Antizipation der sachlichen Gegebenheiten in III 4 gezwungen ist, eine Szene ohne konkrete Diskussion und ohne Entscheidung einzulegen. Sie zeugt zwar von Edelmut, bringt aber die Handlung, von den beiden zusammenfassenden Eingangsversen abgesehen, nicht weiter. haec scaena plena est sententiarum senilium ad officia demonstranda, urteilt Donat zu Recht,87 und Boeclerus führt in diesem Sinn aus:88 „Pergit autem Micio gnwmologei'n: vt & Hegio, per totam scenam. Senilis oratio sententias amat, præsertim de officiis. volunt enim officiorum & periti & amantes videri senes.“89 IV 4 IV 4 und IV 5 bringen die innere Lösung der Aeschinus / Micio-Handlung.90 Donat sagt über die beiden Charaktere: hoc loco carakth'ra amantis immodice iuvenis et senis facit (sc. Terentius) indulgentis ac lepidissimi patris.91 Aeschinus’ starkes innere Engagement bei der Schilderung seiner Notlage gestaltet Terenz als Canticum. Es ist eine der wichtigsten Szenen des menandrischen Stücks: Der Adulescens kommt von allein zu der Einsicht, daß er sich der ___________________________
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Moore 2012, 362. D I 2 b (S. 135). Hegio könnte im Original auch bei den Wiedererkennungen eine Rolle gespielt haben. Zu 592 (1). 1657, 270. Das Unorganische der Szene hat sich in der Überlieferung niedergeschlagen. Dazu Rieth 1964, 86 Anm. 131; Martin 1976, 190–191; Gratwick 1999, 193–194. 90 Dazu die Interpretation in D I 2 a (S. 133–134). 91 Zu 610. Das überlieferte modice ändert Boeclerus in inmodice: „Legendum est citra dubitationem, immodice pro modice. Res ita postulat: neque de adolescente eiusmodi comico, matrimonium amicæ pollicito, ejn h[qei diceretur, quod modice amet“ (1657, 271). Wessner nennt Bentley als Gewährsmann für immodice.
I. Terenz
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Geliebten gegenüber nicht richtig verhalten habe – nicht aus Egoismus oder Kälte, sondern aus Scheu vor dem Vater. An dieser Stelle mußte der griechische Zuschauer schließen, daß sich Micios Erziehungsmethode prinzipiell bewährt hat. Einsichtige konnten auch in Rom zu dieser Erkenntnis gelangen, aber manche sagten sich wohl, daß der Senex viel zu lange Nachsicht geübt habe. Terenz wird dem Charakter des Canticum entsprechend Aeschinus’ Rede pathetischer gestaltet haben, als es wohl bei Menander der Fall war. Die zahlreichen Gleichklänge und Alliterationen sind auffallend. Die Musik tat ein übriges.92 Es ist möglich, daß der von Aeschinus 618–624 geschilderte Dialog mit Canthara (der metrisch abgegrenzt ist) bei Menander tatsächlich auf der Bühne stattfand.93 633 / 634 klopft Aeschinus an Sostratas Tür.94 IV 5 “One of the best scenes of the play”95
Im Prinzip stammt die Szene von Menander. Terenz dürfte nur kleine Änderungen vorgenommen haben. Man kann allerdings fragen, ob Micio bei Menander nicht wie bei Terenz den amicus ‚erfand‘, sondern tatsächlich Hegio meinte?96 Bei Terenz löst sich der Freund in Luft auf (periit abiit navem escendit, 703), Hegio aber weilte in Sostratas Haus! Es ist Menanders feine Handlungsführung, daß Micio nicht einfach dem Sohn das ‚richtige‘ Verhalten befiehlt, sondern ihn auf einem Umweg zu der (sich schon in IV 4 anbahnenden) richtigen Erkenntnis führt. Am Ende „hat Micio seinen Sieg errungen. Das Ziel, das er sich gesetzt hatte, das Vertrauen seines Sohnes zu behalten und ihn doch dabei zu erziehen und zu fördern, hat er erreicht.“97 Es ist ein Fehler von Teilen der Forschung, nicht die Schlüsselfunktion dieser Szene für das Verständnis der Micio-Gestalt zu erkennen.98 ___________________________
92 “The play’s most striking musical moment occurs […], as Aeschinus sings the only lyrics Terence produced outside of Andria” (Moore 2012, 362). 93 B VIII (dort auch über die metrische Form des Canticum): S. 80–81. 94 Dieser Vorgang veranlaßt McC. Brown 1995, 71–89 zu einer Untersuchung über ‘door-knocking’ in der griechisch-römischen Komödie. 95 Barsby 2001, 246. 96 Mögliche Gründe: B IX (S. 82). 97 Büchner 1970, 13. 98 Tränkle 1972, 247 bestreitet den guten Ausgang von Micios Methode in dieser Unterredung: „Von einem pädagogischen Erfolg zu sprechen wäre doch nur dann angemessen, wenn Micio Äschinus durch sein Vorgehen erst zur Einsicht in das Verfehlte seines Verhaltens gebracht hätte. Aber diese Einsicht geht dem Gespräch bereits voraus […]. Das Verdienst des Micio besteht lediglich darin, dass er ihm das fällige Geständnis unendlich erleichtert“. Es ist umgekehrt: Gerade die Konzeption, daß ‚die Einsicht dem Gespräch vorausgeht‘, zeigt, daß Micio einen vollen pädagogischen Erfolg errungen hat.
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C. Dritter Teil: Struktur
IV 6 Demea kehrt von dem Irrweg, den ihm Syrus gewiesen hat, erschöpft zurück. Wenn IV 2 von Terenz stammt, ist das auch bei IV 6 der Fall. Demea und Micio konnten bei Menander einfach zusammentreffen. IV 7 Demeas Worte sed eccum ipsum. te iamdudum quaero, Micio (720) waren ausreichend, bei Menander die Begegnung der Brüder zu motivieren. Auffällig ist Demeas Nachricht 728 puer natust. Woher weiß er das? Er kommt doch von einem Irrweg zurück! Seine Informationen fließen ihm in diesem Stück öfter auf on dit-Weise zu, ohne daß ihr Ursprung deutlich wird.99 Der Dialog der alten Brüder ist ein Kernstück des Originals, insofern er Micio Gelegenheit gibt, seine Lebensanschauung darzulegen und sich gegen Demea zu verteidigen. Mit unendlicher Überlegenheit läßt er, ohne verletzend zu sein, Demeas Vorwürfe und Unterstellungen ins Leere laufen (723–732).100 Darin dürfte Menander ebenso zu fassen sein wie in dem Gegensatz zwischen Demeas Devise der Heuchelei und Micios Bekenntnis zur filanqrwpiva (734–736) wie endlich im Würfelgleichnis (737–741).101 Sicher ist die Diskussion von Terenz etwas übertrieben, doch ist Micios Ansetzen zu einem Einwand, daß er sich das Geschehen anders wünsche, malim quidem… in Menanders Geist gestaltet (727). Dagegen dürfte in der zweiten Hälfte des Dialogs 742–762 viel auf Terenz zurückgehen, der der griechischen Ethik römische Komik entgegensetzt, um den Ernst der Konfrontation aufzulockern. Es hat den Anschein, daß er bereits an dieser Stelle die Ridikülisierung Micios vorbereitet. Demea läßt sich zu einem höhnischen Spott gegen den Bruder hinreißen, der sonst nicht seiner Art entspricht. Wenn Micio von der Hochzeit redet, ist das Gelage völlig vergessen.102 Demeas kurzer Monolog 758–762 trägt Terenz’ Autorschaft auf der Stirn. Während das Original auf die (erste) Anagnorisis zulief und von Verschwendung keine Rede sein konnte, ist hier die terenzische Umdichtung zu erkennen. Demea bezeichnet Micio 761 als senex delirans und bemüht die römische Salus – durch Alliteration eindrücklich betont –, für die keineswegs die griechische Hygieia einzusetzen ist.103 An dieser Stelle prallen griechisches und römisches Denken aufeinander. Natürlich ist damit nichts über Terenz’ und seiner Gönner tatsächliches Verständnis griechischer Ethik ausgesagt. ___________________________
99 C I 3 e (S. 121–123). 100 nescis / scio / scio / scis bei jeweiligem Sprecherwechsel in 723–726 erinnert an den bei Plautus beliebten feszenninischen Worthickhack. 101 D I 2 b (S. 134–135). 102 B IV (S. 57–58). 103 Martin 1976, 209 hat eine gute Anmerkung.
I. Terenz
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V1 Von der Micio-Handlung her ist es wahrscheinlich, daß V 1 und V 2 terenzischen Ursprungs sind. Die Szenen unterbrechen die Dialoge zwischen Micio und Demea IV 7 und V 3, die im Original offenbar miteinander verbunden waren. Damit Demea in V 1 und V 2 auf Syrus treffen kann, muß Micio entfernt werden. Am Ende von IV 3 geht er in Sostratas Haus (aus dem er IV 5 zurückkehrt). Was liegt für einen römischen Komiker näher, als ihn nach IV 7 wieder in Sostratas Haus gehen zu lassen? Wenn er am Anfang von V 3 in dieses Haus zurückspricht, tut er dasselbe wie am Anfang von IV 5. An dem Dublettencharakter der Motivationen kann kein Zweifel sein: Die dramatische Handlung tritt auf der Stelle. Wie in IV 1 kommt Syrus in V 1 ohne wirkliche Begründung aus Micios Haus: Er will spazieren gehen, prodeambulare huc lubitum est (766). Eine solche Motivierung entspricht nicht menandrischer Technik, sondern römischer Gepflogenheit, wie etwa Pardaliscas Auftritt IV 1 in Plautus’ Casina zeigt.104 Syrus hat tüchtig getrunken und pflegt jetzt den Müßiggang (763–766). Damit schließt er an seine Absicht in IV 2 an: ego iam prospiciam mihi: | nam iam abibo atque unum quicquid, quod quidem erit bellissimum, | carpam et cyathos sorbilans paullatim hunc producam diem (589–591). IV 2 stammt nach den bisherigen Überlegungen von Terenz. Hier spinnt also Terenz Terenz weiter. Das wird überdies daraus deutlich, daß V 2 mit eben diesen Motiven (Trunkenheit, Müßiggang) schließt, die auch am Ende von IV 2 und am Anfang von V 1 stehen. Warum treibt Terenz solchen Aufwand, um Syrus und Demea zusammenkommen zu lassen? Die Antwort ist leicht: Syrus soll den Alten abermals verspotten. Der Sklave ist nicht nur Genießer, sondern auch Provokateur. In dem Dialog 766–775 schwimmen die Personen im Fahrwasser von IV 2. Mit scelus (768) nimmt Demea seine Worte aus der (terenzischen) Szene IV 2 auf: eccum sceleratum Syrum (553); mit der Apostrophe Sapientia (769)105 zitiert sich Syrus aus III 3: tu quantus quantu’s nil nisi sapientia es (394). Terenz wiederholt in IV 2 und V 1 gleich zweimal die Konstellation von III 3. Der Triumph des Sklaven über den Alten ist vollkommen. Demea wagt keine ernsthafte Gegenwehr, obwohl ihn der Sklave mit der Ortsbeschreibung in IV 2 unverschämt an der Nase herumgeführt hat. Daß man in Micios Haus ein Gelage abhält (potatis, 774), ist ebenfalls ein Einfall des römischen Dichters.106 Der Zuschauer sieht den totalen Erfolg des Sklaven. Doch muß man fragen, ob Syrus’ Frechheit als Kontrapart zu dem Ernst eines Alten wie Demea paßt, der in V 4 sein Scheitern in fast tragischen Tönen eingesteht. Das Burleske steht Menander fern, ist andererseits genuin römisch. Donat beschreibt zu 773 das Ridiküle der Szene: non minus ridicula importunitas Demeae est quam ebrietas Syri, ___________________________
104 Lefèvre 1979 (2), 317. 105 Donat zu 769 (1): ‚sapientia verba‘ (Spengel, Dziatzko / Kauer, Gratwick) an ‚tu sapientia‘ (Kauer / Lindsay, Martin). 106 B IV (S. 57–58).
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qui adversum temulentum tantae gravitatis oratione personat, ut ex dicentis vultu verbisque et exaudientis habitu et stupore magnam voluptatem percipiant spectatores. vide enim, quanto pondere verborum cum ebrio litiget! V2 Abgesehen davon, daß Syrus Demea wieder mit frechen Lügen antwortet (778–779) und ihm tätlich107 entgegentritt (781), hat V 2 die Funktion, Demea zu der Erkenntnis zu führen, daß Ctesipho in Micios Haus bei der Hetäre weilt. Die Dramaturgie ist unmenandrisch: Ein Sklave kommt und sagt Syrus, er solle zu Ctesipho gehen. Die Information ist auf Demea berechnet, denn Syrus denkt nicht daran, sondern begibt sich zur Ruhe. Der Alte stürzt in Micios Haus und sieht, daß die Hetäre die Freundin sei n es Sohns ist. Während Demea bei Menander sehr wahrscheinlich durch Micio aufgeklärt wurde, die Wahrheit also im Wo r t erfuhr, wird er bei Terenz mit ihr durch die Tat konfrontiert. Demea wird nicht ad aures, sondern ad oculos demonstriert, daß seine Niederlage total ist. Demeas Gang in das Haus, der ihn bei Terenz, wie Syrus spöttisch sagt, als commissator haud sane commodus mitten in das Gelage platzen und Ctesipho mit Bacchis überraschen läßt, wäre bei Menander weniger witzig gewesen. Ein Gelage gab es bei ihm nicht. Demea müßte Ctesipho aus dem Haus mitnehmen und zur Rede stellen. Diese naheliegende Reaktion interessiert Terenz nicht. Auch Syrus’ Abgang ist locker gefügt. Er will seinen Rausch ausschlafen (785–786). Marti nennt das ein ‚komisches Augenblicksmotiv‘.108 Fielitz bemängelt zu Recht, man könne sich „unmöglich vorstellen, dasz Syrus in das haus hineingehe, wo der sturm, dem er entgehen will, zum ausbruch kommen musz.“109 Er hat wahrlich gute Nerven – oder ist volltrunken. V3 Wenn die analytischen Erwägungen zum Ende von IV 7 sowie zu V 1 und V 2 zutreffen, könnte Micio bei Menander bald nach 741 Demea mitgeteilt haben, daß Bacchis Ctesiphos Geliebte sei, und das Gespräch mit dem aufgebrachten Bruder fortsetzen. Auf der anderen Seite verleiht gerade die Partie von etwa 742 bis 793 der Handlung Witz und Lebhaftigkeit, wie sie die Palliata liebt. Der Inhalt der beiden Dialoge zwischen Micio und Demea IV 7 und V 3 ist an sich ernster Natur. Viele römische Zuschauer werden die Auflockerung zu schätzen gewußt haben. Auch in dieser Szene scheint Terenz manche eigenen Gedanken (seiner Konzeption gemäß) eingebaut zu haben, so daß die These, IV 7 und V 3 gehörten zusammen, keineswegs zu einem besonders langen Dialog des Originals führt. ___________________________
107 etiam iniecisse manum, ut teneret Demeam, ex ipsius verbis cernitur (Donat zu 781). 108 „Knapp hundert Verse später ist Syrus bereits wieder in Aktion: das Räuschchen wurde blitzartig ausgeschlafen“ (1959, 87). 109 1868, 679.
I. Terenz
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Nachdem Demea nunmehr erkannt hat, daß Ctesipho das von ihm verurteilte lockere Treiben munter mitmacht, ist es folgerichtig, daß er sich über Micios ‚Hilfe‘ beschwert. Seinen pathetischen Ausruf o caelum, o terra, o maria Neptuni (790) möchte man auf den ersten Blick für eine typische Paratragodie der Palliata halten, doch ist zu sehen, daß Demeas in der Samia ähnlich reagiert, wenn er sich auch gleich wieder faßt (Sam. 325–327):110 325
‚w\ povlisma Kekropiva" cqonov", w\ tanao;" aijqhvr, w\ ––‘ –– tiv, Dhmeva, boa'/"… tiv boa'/", ajnovhte… kavtece sautovn, kartevrei:
Zwar handelt es sich um ein Zitat aus Euripides’ Oidipus, aber auch in den Adelphoi könnte ein Zitat vorliegen. Demea wirft Micio vor, er halte sich nicht an die Abmachung, jeder solle sich um den eigenen Sohn kümmern (796–798). Micio wollte aber in I 2 nichts anderes sagen als: ‚Laß mich endlich wegen Aeschinus in Frieden!‘ Denn er fuhr fort: nam ambos curare propemodum | reposcere illumst quem dedisti (131–132). Es ging ihm nur um Demeas, nicht um seine Einmischung.111 Demea versteht dennoch die Abmachung zweiseitig. Das tut er in heftiger Ironie, indem er Micio, den Vertreter des aequom (64, 738), ebendieses hier wie später (837, 987) um die Ohren schlägt: ‚Ist es etwa weniger billig, daß ich dasselbe Recht wie du habe, numqui minus | mihi idem ius aequomst esse? (800–801).112 Formal hat Demea dasselbe Recht (ius), nicht aber nach dem aequom. Daher sagt Micio: non aequom dicis (803). Denn Ctesipho wollte aus Furcht vor dem Vater außer Landes gehen (274–275) – bei Menander plante er gar Selbstmord.113 Da konnte sich Micio nicht auf den Standpunkt des (gegenseitigen) ius zurückziehen, sondern mußte einverstanden sein, daß Aeschinus die entführte Hetäre in sein Haus bringt – und den verzweifelten Ctesipho dazu. Hier ging es um Höherrangiges als das formale ius.114 Es handelte sich um einen Casus, wo das aequom einzutreten hat.115 Deshalb zitiert Micio das alte Wort, Freunden sei alles gemeinsam, nam ___________________________
110 Straus 1955, 6; Denzler 1968, 161; Martin 1976, 213. 111 Micio hatte „das Abkommen erzwungen, weil er glaubte, nur so sich und seinen Adoptivsohn gegen den leiblichen Vater schützen zu können“ (Rieth 1964, 97). 112 est ordo: qui minus aequum est esse idem ius mihi (Donat zu 800, 2). 113 Menander mori illum voluisse fingit, Terentius profugere (Donat zu 275). 114 Zu der Antithese ius ↔ aequum, die sicher Terenz betont, D II 6 c (S. 155–158). 115 Mißverstanden von Donat, der umgekehrt interpretiert: quia se videt (sc. Micio) in malam causam incidisse, totum verniliter et facete agit et subicit a eq u i t a t e m , ubi i u s t o se tueri non potest (zu 803). Zu Donat gut Gratwick 1999, 197: “this depends on retrospective interpretation of the end of the play. All that Micio has done is respond in a crisis with the necessary money (364–9); the girl’s presence in his house is fait accompli; the earliest opportunity that Micio has to tell Demea only comes at 745, but to tell him straightaway would have been fanning the flames of his temper (cf. 144–6); so he has used guile to puzzle and shock his brother into relative calm instead. This is parallel to the way in which Micio dealt with Demea in the opening
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C. Dritter Teil: Struktur
vetus verbum hoc quidemst, | communia esse amicorum inter se omnia (803–804).116 Der ganze Passus ist von Rieth hervorragend erklärt. Nachdem Demeas Beschwerde geklärt ist, geht Micio, Demeas einseitigen Blickwinkel überwindend, auf den Aufwand (sumptus) b e id er Söhne ein, (806–835a). Man kann wie Donat zu 806 zwei Punkte unterscheiden: in duas partes dividitur tota persuasio: nihil passurum Demeam damni, nihil corruptelae. Das entspricht den Stichwörtern sumptus (807) und consuetudo (820).117 Man muß nur sehen, daß 830b–835a zu dem ersten Thema zurückkehren bzw. daß die Themen zusammengehören.118 Die großartige Rede geht auf Menander zurück, wenn Terenz auch mit Rücksicht auf seine Umformung stärkere Akzente setzt. Denn der Ausgangspunkt ist, daß Demea zwei Punkte hervorhebt, die Menander nicht kannte, das Gelage (quor nunc apud te potat?, 799) und die Finanzierung der Hetäre durch Micio (quor emis amicam?, 800). In der Rede offenbart sich der filavnqrwpo", der die, welche Schwierigkeiten haben, souverän leitet.119 Sie legt den Grundstein für Demeas beginnenden Rückzug. Ab 835b scheint wie in IV 7 ein terenzischer Schluß vorzuliegen. Abermals folgt auf die geballte griechische Ethik römische Komik. Der Ernst der Auseinandersetzung wird fortgewischt. Demea spricht wieder ironisch von Micios ani___________________________
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scene. In his speech 806–830 Micio is clearly not ‘thinking on his feet’; he is being far too coherent for that.” Auch Menander zitierte das Sprichwort koina; ta; fivlwn (Fr. 13 K. / A.). Da Micio bei ihm vorbildlich war, ließ er ihn sich ernsthaft auf die alte Weisheit berufen. Es ist „tiefe Wahrheit, daß keine menschliche Satzung das Band, das zwei Brüder zusammenhält, zerreißen darf“ (Rieth 1964, 97). Der Sinn wird schon von Donat verkannt ([…] non habens rationem quam subiceret, nisi illi proverbium venisset in mentem, zu 803). Auch nach Tränkle 1972, 247 läßt Micio Demea mit dem Sprichwort ‚abfahren‘; es sei in dieser Situation ein ‚barer Sophismus‘. Richtig bemerkt Sandbach 1978, 139: “when Micio proposed his demarcation of spheres of influence, his object was to prevent Demea from interfering in his handling of Aeschinus’ behaviour; this was a matter where he, as father, was responsible. He did not intend to prohibit every kind of friendly or helpful action. To take an extreme case, no one would suppose that the bargain must cause either man to refrain from an action that would save the life of the other father’s son. Or more trivially, not to offer him a cup of water if he were thirsty. The bargain is not one to be interpreted as requiring the casting-off of all communication; it must be interpreted in such a way as to preserve normal human obligations. Micio has not attempted to influence Ctesipho; that would have transgressed the agreement. He has bought the psaltria and not resold her. Yes, but had he any alternative? By stealing her his son had committed a crime against the leno and it was necessary to turn the theft into an honorable purchase. He could have insisted on the return of the girl to her owner, but what effect would that have had on his relations with Aeschinus? And it would, by reducing Ctesipho to despair, have risked driving him to suicide” (in Anm. 52 Zurückweisung von Tränkles Auffassung). Ebenso gliedern Dziatzko / Kauer 1903, 118; Martin 1976, 215; Gratwick 1999, 197. Die Deutung von 827–831 durch Grant 1975, 49–53 ist zu gekünstelt. Zu liberum ingenium (828–829) D II 6 d (S. 159).
I. Terenz
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mus aequos (837). Dann glänzen die Alten mit munteren Worten. Micio zieht Demea auf, der ihm vorhält: derides? (852). Demea ist gelöster als zuvor. Dziatzko / Kauer meinen, ab 835 beginne der „Umschlag seiner Stimmung“, Micios Worte hätten „auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht“.120 Das wird auf Menander zutreffen (ohne die burlesken Vorstellungen im einzelnen), nicht auf Terenz, dessen Demea sich im folgenden nicht einsichtig, sondern hinterhältig zeigt. B. F. Schmieder und Fielitz waren im ausgehenden 18. bzw. im 19. Jahrhundert der Meinung,121 daß die Adelphoi an dieser Stelle zu Ende waren. Sie beachteten nicht, daß Menander noch Fäden auflösen mußte (‚Wiedererkennungen‘ und Heiraten), sahen aber richtig, daß in den Adelphoe mit (dem Schluß von) V 4 etwas ganz anderes, Terenzisches folgt. V4 Durch die terenzischen Dialoge IV 2 / V 1 / 2 zwischen Syrus und Demea und und die ‚menandrischen‘ Dialoge IV 7 / V 3 zwischen Micio und Demea steht Demea in V 4 als Verlierer da. Unter diesem Vorzeichen ist der vieldiskutierte Monolog, der zu dem Rest des Stücks überleitet, zu sehen.122 Es ist die Kardinalfrage, ob und gegebenenfalls was Terenz gegenüber Menander ändert. Wenn Fr. *14 K. / A. ejgw; d∆ a[groiko", ejrgavth", skuqrov", pikrov", | feidwlov" (das Porson auf 866 bezog) in die Adelphoi gehört, gebraucht Terenz statt des jambischen Trimeters den trochäischen Septenar. Der von Musik begleitete Vers hat einen getragenen Charakter, eine Wirkung, die auch durch Wortspiele und Alliterationen unterstützt wird. Gratwick empfindet die Rede ‘painfully forensic’,123 Terenz habe sie gegenüber Menander geändert, aber nicht erfunden.124 Der Anfang erinnert von fern an den Anfang von Aias’ Täuschungsrede in Sophokles’ Aias über die Änderungen, die die Zeit mit sich bringe (Ai. 646–649). Auch dort geht es um eine Wandlung des Sprechers. Stanfords Kommentar zu der Stelle – “Ajax’s mind (but not his h\qo") is converted to the swfrosuvnh”125 – könnte auch auf den griechischen Demea zutreffen. Solche Reflexionen werden öfter vorgekommen sein, so daß die Annahme nahe liegt, daß hier Menander zu fassen ist. Im Mittelteil kontrastiert Demea Micios und seine Lebensweise (863–868). Nach Goldberg ist das ein ‘echo’ auf Micios Kontrastierung von Demeas und der ___________________________
120 1903, 120. 121 Beide Ansichten in A II referiert (S. 36 bzw. 38). 122 Weitere Ausführungen zu dem Monolog: B V 3 (S. 66) und B V 4 (S. 69), neuerdings: Victor 2012, 686–691. 123 Lieberg 1988, 74–79 und 1989, 356–364 versucht, Demeas Monolog nach dem Schema der römischen (Gerichts-)Rede (partes orationis) zu gliedern. 124 1999, 198. Die Frage “Could this be one of the places where he had a little ‘help’ from his noble friends?” ist nicht zu beantworten. 125 Sophocles, Ajax, ed. […], 1963, 143.
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eigenen Lebensweise (42–47).126 Wenn Demea Micios Worte auch nicht gehört hat, ist es doch bezeichnend, daß seine Beschreibung im Gegensatz zu der des Bruders leicht polemisch ist – er versteht ihn einfach nicht. Der terenzische Schluß 877–881, der mit dem Fabula docet 985b–988 korrespondiert, zeigt, daß Demea fortan heuchelt und keine wirkliche Wandlung durchmacht. 881 ist wohl so zu verstehen, daß er schon hier plant, Micios Geld auszugeben. Dagegen wird der menandrische Demea zu einer echten Erkenntnis gelangt sein.127 Der terenzische Demea bleibt an der Oberfläche, wenn er meint, Micio sei nur wegen seiner äußeren Großzügigkeit beliebt. Er ahmt ihn ja auch nur mit äußerer Großzügigkeit nach. Mit dem Vorsatz des blande dicere (878) kann er Micio nicht im entferntesten erfassen.128 Wenngleich der entscheidende Bruch zwischen der menandrischen und der terenzischen Konzeption erst nach 876 liegt, wird Terenz auch in dem langen ersten Teil geändert bzw. Akzente anders gesetzt haben. Demea nimmt nur äußere Verhaltensweisen in den Blick. Er erkennt nicht, daß Micio großzügig ist, weil er andere versteht und ihnen helfen will, daß sein Verhalten ex vera vita resultiert und ihn das beliebt macht. Daß er nicht gearbeitet, sondern nur gefeiert habe, ist eine bösartige Unterstellung. Umgekehrt sieht Demea nicht, daß aus Heirat und Aufziehen von Kindern nicht notwendig miseria und cura folgen. Er erkennt nicht, daß der Umstand, daß er darüber keine Freude empfunden hat, in seinem Inneren begründet war, weil er saevos, tristis und truculentus ist – aber nicht infolge der Umstände, wie er meint, sondern aufgrund seines düsteren Gemüts. V5 Syrus kommt aus Micios Haus, um Demea mitzuteilen, Micio wünsche, daß er sich nicht entferne (882). Das ist eine fadenscheinige Motivation für den Auftritt:129 Terenz läßt Demea dem Sklaven begegnen, damit er seine ‚Wandlung‘ demonstrieren kann. Donat erklärt zu 882 gut: hic ostendit poeta, quam absurde blandus conetur esse qui non soleat, et quam immodica sit repentina largitas, ubi animus a parcitate nimia in contrarium vitium profusionis excurrerit (1). Das ist Satire, Komödie, Klamotte, von Ethos keine Spur.130 Dacier bemerkt: «Toutes les douceurs que dit Demea sont ridicules & impertinentes, & Terence l’a fait ainsi pour faire voir qu’on ne réüssit jamais lors qu’on force son naturel.»131 ___________________________
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1986, 25. Das Beispiel Knemons ist lehrreich: B V 4 (S. 67–70). Donat zu 911 / 992 glaubt nicht an eine (echte) Wandlung (B V 3 zitiert: S. 66). Wenn Tränkle 1972, 251 Anm. 31 meint, Syrus’ und Getas Auftritte (zu dem letzten vgl. im folgenden) seien nicht schlechter motiviert als Syrus’ Auftritt 763–766, ist zu bedenken, daß V 1 offenbar von Terenz stammt (S. 103). 130 Müller 1997, 20–21 behandelt in sprachlicher Hinsicht die Partie 883–887, „deren pompöse Feierlichkeit an plautinische Begrüßungszeremonien erinnert“. 131 (1688) 1706, 444–445.
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Demea kommentiert selbst, er benehme sich praeter naturam. Das ist eine ‚metatheatralische‘ Deutung – sie sagt alles. V6 Getas Auftritt ist noch weniger befriedigend motiviert als der von Syrus in V 5: 719 kündigt Micio an, daß er zu Sostrata und Pamphila gehen und ihnen sagen wolle, Aeschinus und er seien zur Hochzeitsfeier bereit; nach 757 geht er in ihr Haus. Mit den Worten 787–788 tritt er wieder heraus, indem er sich von Sostrata mit derselben Feststellung, daß er und sein Sohn bereit seien, verabschiedet und ausdrücklich zufügt, wenn sie wolle (ubi vis […], 788), könne die Hochzeit stattfinden – wie man wohl mit Donat zu 787 die durch Demeas Klopfen unterbrochene Rede ergänzen darf: ‚ubi vis‘: ‚fiant nuptiae‘ vel quid tale aut omisit aut dicturus hoc ipsum audit vehementius fores esse pulsatas et quod agebat abiecit (3).132 „Für den nachrechnenden Leser ist es demnach eine Überraschung, daß Geta mit den Worten auftritt: ‚Ich will schauen, wann sie die Braut abholen.‘ Man dächte, er käme, um die Aufforderung zur Abholung zu überbringen“.133 Auch das Gespräch zwischen Demea und Geta ist nicht folgerichtig. Demea weiß nicht, wie Geta heißt (891), obwohl dieser ihm von Hegio in einer Laudatio als Sostratas und Pamphilas Stütze mit Namen vorgestellt wurde: hic Geta | praeterea, ut captust servolorum, non malus | neque iners: alit illas, solus omnem familiam | sustentat (479–482). Aber so wie Demea Geta nicht kennt, lobt er ihn auch nicht wegen seines speziellen Verhaltens, sondern allgemein mit einer Sentenz (in der vom dominus die Rede ist, den Geta gerade nicht hat). Hier ist mit der Erklärung, Demea habe nur den Namen vergessen, nicht auszukommen. Vielmehr ist festzustellen, daß Terenz nunmehr de suo dichtet, ohne immer die frühere Handlung zu berücksichtigen.134 ___________________________
132 Spengel 1905, 124 ergänzt: faciam accersatur in nostram domum. Ebenso Rieth 1964, 115–116: „[…] könne sie Aeschinus zur Einholung der Braut rufen lassen“. 133 Rieth 1964, 116. 134 Gut von Fielitz 1868, 679–680 (der V 4–V 9 für terenzisch hält) gesehen (Sperrung ad hoc): „Nun tritt Geta aus dem nachbarhause und motiviert sein auftreten mit den worten: era, ego huc ad hos proviso, quam mox virginem arcessant [889–889]. also nur ungeduld und neugier treiben ihn hinaus. aber woher diese ungeduld? woher diese verzögerung, über die bald darauf auch Aeschinus klagt [899–900]? schon v. 719 sagt Micio: ibo, illis dicam nullam esse in nobis moram, und v. 787 parata a nobis sunt, ita ut dixi, Sostrata, ubi vis. danach kann die verzögerung ihren grund nicht in dem hause des Micio, sondern nur in dem der Sostrata haben. da also Geta durch ei n so sch w ac h es u n d m i t d em v o rh erg eh en d en i m w i d ersp ru ch st e h en d es m o t i v auf die bühne gezogen wird, so wird er da wol eine wichtige rolle zu spielen haben? im gegenteil, er hat sich nur einige schmeicheleien von Demea sagen zu lassen und dann wieder zu verschwinden.“ Auf eben diese Schmeicheleien zielt Terenz – sie gut zu motivieren, darauf verschwendet er keine Mühe.
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V7 Ebenso unbefriedigend wie V 5 und V 6 beginnt V 7. Nachdem Micio zweimal betont hat, alles sei gerichtet (719, 787), und das Sostrata gemeldet hat, erfährt man überraschend, daß doch nicht alles bereit ist, da Flötenspielerin und Sänger nicht eingetroffen sind (904–905). Während Micio 719 sagt, es gebe keine mora, muß sie Aeschinus 904 konstatieren.135 Diese Motivation, mit der Terenz ihn auf die Bühne zu Demea bringt, paßt nicht zu Menanders Handlung, wohl aber – das darf als wechselseitiger Beweis gelten – zu der terenzischen Begründung für Getas Auftritt in V 6: Terenz dichtet seiner Konzeption gemäß weiter. Demea und Aeschinus treffen aufeinander, als hätte es keine Probleme gegeben. Die „scene läszt die frage die sie anregt unbeantwortet: haben sich vater und sohn im laufe des stücks schon gesehen? wenn überhaupt, so kann diese begegnung und die damit verbundene versöhnung nur stattgefunden haben im letzten zwischenacte. warum bleiben wir auch hierüber ununterrichtet?“136 Terenz interessiert nur Demeas neue Haltung, nicht ihre Abstimmung mit dem früheren Geschehen. Während V 5 und V 6 Demeas Experiment ermöglichen, sich wie Micio zu gerieren, zeigen V 7–V 9 die Absicht, Micio bloßzustellen. Sie verlören ohne diese Tendenz ihren Witz, ja ihre Funktion. Das zeigt sich an Demeas Befehl, die Mauer zwischen beiden Grundstücken einzureißen; gewiß, dann braucht die puerpera nicht über die Straße (920–922). Aber nicht daran denkt Demea, sondern er freut sich, dem beliebten Bruder einen üblen Streich zu spielen: Er ist genauso hämisch und kleingeistig wie vorher. Micios Haus, sagt er sich, werde dadurch ‚der reinste Durchgang‘.137 Wenn eine Schar bei ihm einfalle, verliere er viel wegen des Aufwands: fratri aedes fient perviae, turbam domum | adducet, sumptu amittet multa: quid mea? (912–913). Welche turba? Nach Spengel sind es nur vier Personen.138 Demeas Worte paßten eher, „wenn Aeschinus eine Bacchis mit ihrem Gefolge“ ins Haus brächte.139 Selbstbewußt ruft er aus, der Babylonier140 möge wiederum 20 Minen zahlen! Schließlich ist das wichtigste Argument gegen die Herkunft von V 7 aus dem Original, daß vier Personen auftreten: Aeschinus, Demea, Syrus, Geta. Welche man auch zu eliminieren versucht, es bleibt keine menandrische Szene übrig. ___________________________
135 Nencini 1891, 140. – Der Widerspruch wird noch eindeutiger, wenn Dziatzko / Kauers Erklärung von 904–905 zutrifft, der Konjunktiv cautent drücke Aeschinus’ Verlegenheit aus, der nicht wisse, wen er als Sänger nehmen solle. Dann wäre die mora nicht durch das Ausbleiben der Sänger eingetreten, sondern durch Aeschinus’ Unentschlossenheit; um so weniger könnte Micio also sagen omnia parata esse. 136 Fielitz 1868, 680 (mit dem ‚zwischenact‘ ist die in Fleckeisens Teubneriana von 1868 zwischen V 3 und V 4 angenommene Aktgrenze gemeint). 137 Dziatzko / Kauer 1903, 127 für perviae (912). 138 1905, 40. 139 Rieth 1964, 116 Anm. 162 (Vergleich mit Ht. 254 und 754). 140 ‚ob nimiam liberalitatem (Donat zu 915, 3). Spengel 1905, 140: ‚Krösus‘.
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V8 V 8 bringt mit der Nötigung Micios, Sostrata zu heiraten, die stärkste Änderung durch Terenz.141 Der Eingriff wird von Donat zu 938 bezeugt: apud Menandrum senex de nuptiis non gravatur: ergo Terentius euJretikw'" (1) – eine Wendung, die seit Jahrhunderten zu Diskussionen Anlaß gibt. Zwar ist man schon lange von Lessings Erklärung abgekommen, Donat sage, daß die Hochzeit bei Menander gar nicht stattgefunden habe;142 doch was besagt die allgemein vertretene Deutung, daß Micio auch bei Menander heiratete, sich dagegen aber nicht sträubte? Der entscheidende Unterschied zwischen Menander und Terenz liegt wohl darin, daß Micio im Original Sostrata g er n heiratete und erst bei Terenz zu einem Schwächling wird.143 Rieth sieht richtig, daß die Umwertung des Hochzeitsmotivs eine Reihe von Änderungen nach sich zieht, nämlich „alles, was mit Micios gravari in Zusammenhang steht“:144 Demeas und Aeschinus’ Reden, in denen Druck145 ausgeübt wird (934–946), Sostratas und Micios vorgeschrittenes Alter (930–931; 938–939), Sostratas Qualifizierung als anus decrepita (939), vor allem Aeschinus’ Unwahrheit, er habe Sostrata versprochen, daß Micio sie heirate (940). Struktur und Moral bleiben auf der Strecke. Es ist dramaturgisch unmöglich, daß Aeschinus mit Sostrata inzwischen geredet hat: Nach 712 ging er in Micios Haus, und aus ihm trat er 899 heraus. Mit der Lüge, die Terenz Aeschinus gebrauchen läßt, nimmt er einen ebensolchen Bruch des Charakters146 in Kauf wie bei Demea und Micio.147 Alle Änderungen dienen dazu, Micio weiter herabzuwürdigen, während man annehmen darf, daß die Zusage zur Heirat bei Menander als „Ausdruck seiner heiteren, großzügigen und hilfsbereiten ‚Mensch___________________________
141 Nach Fielitz 1868, 680 ist es „eine scene die an ungeheuerlichkeit und man kann sagen widerwärtigkeit alles übertrifft […]. Dem edlen alten Micio wird, trotz seines sträubens, mit den nichtigsten gründen die alte Sostrata zur frau aufgeschwatzt, und zwar nicht blosz von dem hämischen Demea, dessen plötzliche tolle freigebigkeit hier nicht mehr lachen, sondern unwillen erregt, sondern auch durch seinen sohn Aeschinus“. Von Menander her ist das gut geurteilt. Es ist aber eine Satire, die die Römer lustig fanden. 142 Hamburgische Dramaturgie, 100. Stück. Ihm pflichtet Kauer 1901, 98–99 bei. 143 Rieth 1964, 118. Nach Tränkle 1972, 255 beweist Micio, der „nur seinen Verwandten zuliebe“ heirate, „ tatsächlich eine bemerkenswerte Überlegenheit“! 144 1964, 118. 145 Usener (1901) 1913, 378–9 weist darauf hin, daß sich bei Demeas und Aeschinus’ wechselseitigem Einreden auf Micio Donat zu 942 (3) an die altrömische Flagitatio erinnert fühle. Straus 1955, 51 nennt ferner 982–983 in diesem Sinn. Träfe das zu, läge beidemal ein Stück altrömischer Mündlichkeit vor, wie es Plautus liebte. 146 Rieth 1964, 118. Dorey 1962, 38 betont zu Recht: “the behaviour of Aeschinus in helping to impose on Micio and his final tribute to Demea’s wisdom come very incongruously after his earlier expression of devotion to Micio at the end of IV. V, and vitiate his whole character; his sudden change of front makes him appear selfish and shallow, instead of high spirited but strong and resolute.” 147 C I 3 a (‚Ablegen des Charakters‘): S. 115–117.
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lichkeit‘ zu verstehen war“.148 Wenn es eine Anagnorisis gab, Micio also früher Kontakt zu Sostrata hatte, löst sich das Problem der Hochzeit von selbst.149 Nach Sandbach trat Aeschinus bei Menander in V 8 und V 9 nicht mehr auf. Die Begründung ist zutreffend: “The purpose of Aeschinus’ presence in these two final scenes is to show Micio as a weak man, completely under his son’s influence.”150 Das ist ein Baustein von Terenz’ Saturnalienende. Gratwick nennt 933–983 eine ‘superb mini-farce’: “we get as a coda in concentrated form all the chicanery, caricature, and surprise which characterised the popular traditional Plautine Palliata.”151 V9 “This plays ends not with the British compromise that many readers would like, but with black and white.”152
Auch nach der Heiratsaktion läßt Demea Micio nicht zur Ruhe kommen. Um ihn mit der eigenen Waffe zu schlagen, nötigt er ihn in V 8, Hegio ein Gut zur Nutznießung zu geben,153 und in V 9, zunächst Syrus, dann dessen Frau Phrygia freizulassen und schließlich dem Sklaven noch Geld zu geben. Die vier neuen Schläge sollen Micio, der immer suo arbitrio entschieden hatte und stets Herr der Lage gewesen war, als Schwächling vorführen, der nicht nur contra naturam handelt, sondern darüber hinaus seine Entscheidungen an der Umgebung orientiert: si vos tanto opere istuc voltis, fiat (945); dabitur quando quidem hic volt (956); si quidem hoc voltis […], esto (970). Das einzige Mal, daß er von sich aus etwas richtig findet, ist ganz am Ende seine Zustimmung zu Demeas Aufforderung, Ctesipho möge nach der Bacchis-Affäre mit dem Hetärenleben Schluß machen: istuc recte (996–997). Seit Donat diskutiert man, was das bedeute – sogar, ob Micio der Sprecher sei.154 Während er sich seit 934 bis zu der umstrittenen Phrase istoc vilius (981) immer mehr sträubt,155 hat er hier den Charakter vollends ‚abgelegt‘. Ihm ist alles egal. Das Spiel muß ein Ende haben. Die Struktur der Szene entspricht dem ungewöhnlichen Inhalt: Wie V 7 hat V 9 vier sprechende Personen – eine unmenandrische Technik.156 ___________________________
148 149 150 151 152 153 154
Rieth 1964, 120. Zu Demeas Apartes in 946 und 958 C I 3 f (S. 124). 1978, 140. 1999, 200. Gratwick 1999, 203. Donat zu 950; Spengel 1905, 146. Ein extremer Kompromiß bei Gratwick 1999, 203–204, nach dem Aeschinus, Micio und Syrus zusammen sprechen. 155 me ducere autem? (934), de te largitor, puer! (940), paullum id autem? (950), istunc liberum? (960), ob eam rem? (977), istoc vilius (981, dazu Gratwick 2000, 79–92). 156 Sandbach 1966, 48 vermutet, daß Aeschinus im Original auf Demeas Aufforderung hin tu illas abi et transduce (917) abgetreten sei und Terenz ihn auf der Bühne lasse,
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Die Frage, wieweit den Schlußaktionen Motive des Originals zugrunde liegen, ist nicht leicht zu beantworten. So wie das Heiratsmotiv bei Menander in entgegengesetztem Sinn fungierte, kann Micio bei ihm durchaus Syrus freigelassen haben – nur war das dann ein Akt seiner filanqrwpiva, wie nicht zweifelhaft sein kann.
2. Emotionale Struktur – eine Skizze Bisher wurde auf den logischen Zusammenhang der einzelnen Szenen sowie auf ihren stimmigen Binnenaufbau geachtet. Daraus waren analytische Schlüsse zu ziehen, um das Terenzische vom Menandrischen zu scheiden. Demgegenüber wird im folgenden das römische Stück als fließende Einheit gelesen und nach der emotionalen Abfolge der Auftritte gefragt. Es fällt auf, daß betrachtende und lebhafte, hoffnungsvolle und traurige, ernste und komische Szenen regelmäßig wechseln. In unregelmäßiger Weise ist das wohl auch bei Menander der Fall, doch ist bei ihm – soweit bekannt – im Vergleich zur Palliata die Komik stark eingeschränkt. Sklaven und Köche lieben sie besonders, und wenn am Ende des Dyskolos mit dem Griesgram Knemon freundlicher Spott getrieben wird, sind es wiederum ein Sklave und ein Koch, denen die Scherze locker über die Zunge gehen. Gewiß wird auch in der Haupthandlung Autoritätspersonen komisch mitgespielt wie Smikrines in der Aspis durch Daos, aber es hat einen tieferen Sinn und artet nicht zum Selbstzweck aus wie so oft in der Palliata. Dieses Thema ist würdig, in einem großen Rahmen behandelt zu werden. Hier wird nur das bescheidene Ziel verfolgt, auf den emotionalen Aufbau der Adelphoe in einer schematischen Skizze aufmerksam zu machen. I 1–I 2 sind von Theorie bestimmt. Es wird in die Erziehungsproblematik des Stücks eingeführt. II 1–II 4 sind von ‘action’ bestimmt, die weitgehend von Terenz stammt. Die Forschung ist sich darüber einig, daß die Einlage der Diphilos-Szene und ihr Weiterspinnen die bis dahin ernsthafte Handlung lebhaft auflockern sollen.157 III 1 ist von Hoffnung bestimmt. Canthara setzt auf Aeschinus als künftigen Retter in der Not. III 2 ist von Trauer bestimmt. Geta bringt die düstere Nachricht, daß sich Aeschinus anders orientiert habe. Den emotionalen Wechsel hebt Donat zu 297 hervor: haec omnis perivstasi" tragica est: gaudiorum introductio ante funestissimum nuntium (3). III 3 ist von Komik bestimmt. Syrus treibt in übermütiger Weise sein Spiel mit dem engstirnigen Demea. Es ist beachtenswert, daß Demea mit einem kleinen ___________________________
“to depict Micio as weakly unable to refuse anything that his adopted son wishes”. Doch ist es angesichts der durchgreifenden Änderung der letzten Szenen nicht sicher, wie der Schluß der Adelphoi im einzelnen aussah (dazu B V 5: S. 70). 157 Barsby 2001, 246: “the obvious intention of the scene is to add a slapstick element after the long verbal debate between Micio and Demea.”
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ernsthaften Monolog auftritt (355–360) und abtritt (435–446). Der komische Kern wird ernsthaft gerahmt. III 4 ist von Ernst bestimmt. Hegio und Demea diskutieren über Aeschinus’ und Pamphilas schwierige Situation. IV 1–IV 2 ist von Komik bestimmt, ungeachtet Ctesiphos Liebeskummer: Syrus schickt Demea auf die lustigste Weise in die Irre. IV 3–IV 5 sind von Ernst bestimmt. Die Micio / Hegio-Handlung und die Micio / Aeschinus-Handlung bilden schon bei Menander einen Höhepunkt. IV 6 ist von Komik bestimmt. Demea ist nicht nur in innerem, sondern auch in äußerem Irren befangen. IV 7 ist von Ernst bestimmt. Der Dialog Micio / Demea hat eine komische Coda. Ihn kommentiert Demea am Ende in einem kleinen ernsthaften Monolog. V 1–V 2 sind von Komik bestimmt. Syrus führt sein übermütiges Spiel mit Demea fort. V 3 ist von Ernst bestimmt. Micio und Demea setzen den Dialog aus IV 7 fort. Wie IV 7 endet die Auseinandersetzung mit einer komischen Coda. V 4 ist von Ernst bestimmt. Demea gelangt zu einer partiellen Einsicht und beschließt am Ende, ein komisch-hämisches Spiel zu inszenieren. V 5–V 9 sind von Komik bestimmt. Die Szenen sind der Zielpunkt der saturnalischen Bearbeitung der heiter-ernsten Menander-Komödie durch Terenz. Es versteht sich, daß eine pauschale Charakterisierung der Szenen und ihr schematisches Gegeneinanderstellen Feinheiten außer acht läßt. Auch sind andere Wertungen möglich. Wenn man Demeas kleinen Monolog IV 6 als ernst bezeichnet, geht man von seiner Person aus. Berücksichtigt man die Wirkung auf die Zuschauer, wirkt die Rede leicht komisch. Eine genauere Untersuchung ist hier nicht angestrebt. Doch wird man im großen und ganzen sagen können, daß für die terenzische Handlung ein lau f en d es Schwingen von Gedanklichem zu ‘action’, von Hoffnung zu Trauer, von Ernst zu Komik charakteristisch ist. Dadurch entsteht ein eigener Reiz, der das römische Stück so anziehend macht.
3. Elemente des Stegreifspiels Während bei Plautus starker Einfluß des Stegreifspiels vorliegt, hält sich Terenz zurück. Doch sind ‚mündliche‘ Elemente bei ihm nachzuweisen. Im einzelnen ist nicht festzustellen, ob er einfach Plautus – und Caecilius? – folgt oder ob er von der lebendigen Anschauung der noch immer blühenden ‚mündlichen‘ Formen inspiriert wird. Das wichtigste Faktum, daß die Praktiken des Stegreifspiels, insbesondere der Atellane, die rigorose Abwertung eines angesehenen Senex – wie schon bei Plautus – fördern,158 wird nicht erneut dargelegt. Wenn im folgenden charakteristische Elemente des Stegreifspiels herausgestellt werden, die den Einfluß der ‚Mündlichkeit‘ erkennen lassen, ist zu betonen, ___________________________
158 B V 2 (S. 63–65).
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daß Ansätze für jedes einzelne Element selbstverständlich bei Menander anzutreffen sind, daß aber ihre gesteigerte quantitative und qualitative Ausprägung als ein Signum der Palliata anzusprechen ist. Vollständigkeit ist nicht angestrebt. a. ‚Ablegen‘ des Charakters Die bedeutendste Umformung ist der Schluß. Man erkennt weder Demea noch Micio wieder. Diderot empfand, daß „der, den er ganzer fünf Aufzüge hindurch für einen verständigen Mann gehalten hat, nichts als ein Narr ist, und daß der, den er für einen Narren gehalten hat, wohl gar der verständige Mann sein könnte. Man sollte […] fast sagen, der Verfasser sei durch den beschwerlichen Kontrast gezwungen worden, […] das ganze Interesse des Stückes umzukehren.“159 1970 urteilte Büchner: „Die Personen verlieren Schicksal und Charakter.“160 1974 bemerkte er: „Es ist der eine Demea, an dessen Verstellung und dessen Situation, nicht Charakter, der ganze 5. Akt hängt. Die andern leg en ihre Charaktere beinahe ab . Sie sind vergessen, sobald sie nicht in die Situation passen. Es ist, als ob sich die Konturen, die sie im ganzen Stück zeigten, aufgelöst hätten.“161 Ebenso urteilt Stärk über Menaechmus S in den Menaechmi, er habe plötzlich „seine Rolle als callidus ab g eleg t“.162 Das sind einprägsame Formulierungen für das Verfahren der Palliata-Dichter. Umgekehrt fragt Kraus zu Knemons vorsichtigem Einlenken: „Ja sieht man denn nicht, daß Menander, dessen größter Ruhm es war, mit dem Leben an Wahrheit zu wetteifern, Knemon nicht sein ganzes bisheriges Dasein ab l eg en lassen konnte, als wenn es nicht gewesen wäre?“163 Daß Demea zu seinem Peiniger Syrus in V 5 so freundlich ist und in V 9 seine Freilassung erwirkt, zeigt, daß auch er seinen Charakter eine Zeitlang ablegt. Die Unnatürlichkeit ihres Verhaltens betonen die Senes selbst in metatheatralischen Wendungen. Demea sagt, die große Freundlichkeit gegenüber Syrus sei praeter naturam (885); Micio kommentiert, die Heirat sei alienum a vita mea (944). Doch es ist zu unterscheiden. Während Micio sich wirklich ‚wandelt‘, indem er die Demütigungen über sich ergehen läßt, gilt das für Demea nur temporär: Er verstellt sich und spielt ein schäbiges Spiel mit dem Bruder, das nicht zu seinem früheren Charakter paßt.164 Aus der Komödie wird eine Posse. Auch Aeschinus ist nicht wiederzuerkennen. Nach Rieth muß man bei der Lüge, er habe den Frauen versprochen, daß Micio Sostrata heiraten werde (940),165 „daran Anstoß nehmen, daß dieses Verhalten seinem Charakter ganz und gar un___________________________
159 160 161 162 163 164
Ausführlich zitiert in A I 3 (S. 24–25). 1970, 17. 1974, 420 (Sperrungen in diesem und den beiden folgenden Zitaten ad hoc). 1989, 29. 1968, 339. Daß Demea sich nicht wirklich wandelt, hat Lessing (gegen Voltaire) richtig unter Verweis auf Donats wichtige Bemerkung zu 992 festgestellt: A I 3 (S. 32–33). 165 Bündig Gratwick 1999, 201: “Nonsense, of course.”
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angemessen ist.“166 Das gilt für den ganzen Schluß: “the behaviour of Aeschinus in helping to impose on Micio and his final tribute to Demea’s wisdom come very incongruously after his earlier expression of devotion to Micio at the end of IV. V , and v it iate h is w h o le ch a r acter ; his sudden change of front makes him appear selfish and shallow, instead of high spirited but strong and resolute.”167 Daß Terenz am Werk ist, betont Sandbach. Micios “subjection to his son begins in the passage in which he tries to resist marriage and Aeschinus uses among his other persuasions the impudent lie that he had promised his father’s hand to Sostrata. This passage must have been composed by Terence; and I believe him to have introduced all the later interventions by the young man.”168 Überhaupt ist Aeschinus’ Charakterzeichnung nicht einheitlich. Er, der in den Bekenntnisszenen IV 4 und IV 5 so anständig erscheint, ist in II 1 ein brutaler Schläger – keineswegs, weil er das bei Diphilos war, sondern weil Terenz die juristische Problematik scharf herausarbeiten will.169 Die Sannio-Szenen enthüllen ihn “as a bully, and of the most objectionable type – the insolent, fastidious, elegant bully. […] Aeschinus here is no vir liberalis”.170 Terenz kommt es nicht auf eine stimmige Charakterzeichnung an. In II 1 braucht er einen anderen Aeschinus als in IV 4 / IV 5 und am Schluß wieder einen anderen. Wenn er auch gemäßigter vorgeht als Plautus, ist er in diesem Punkt nicht grundsätzlich verschieden von ihm. Bei Men an d er b e stim m t d er C h ar ak t er d ie H an d lu n g , in d er P a lliata b esti m m t d i e H an d lu n g d en Ch a r ak ter.171 Wenn Aristoteles meint, die in der ersten Hälfte der Iphigeneia in Aulis um ihr Leben flehende Iphigeneia habe nichts mit der späteren (ihr Schicksal akzeptierenden) gemein,172 wieviel eher hätte er wohl konstatiert, daß die beiden alten Brüder, wie sie in den ersten 85% des Stücks gezeichnet sind, mit den u{steroi, die in den letzten 15% auftreten, nichts gemein haben. Für die beiden jüngeren Brüder gilt das analog. Verbindet Terenz dieses Vorgehen nicht mit Menander, verbindet es ihn andererseits mit dem Stegreifspiel. Stärk zeigt bei Menaechmus S, daß eine Figur zwei völlig verschiedene Verhaltensweisen haben kann. Mitten im Spiel sei er „wie ausgewechselt. War er vorher ein stupidus, so ist er nun ein callidus; war er vorher der derisus, ein Maccus, ein Bucco, ein ajnaivsqhto", so ist er nun der derisor, der machinator, ein die Intrige führender Dossennus.“173 In größerem Zu___________________________
166 1964, 118: C I 1 zu V 8 (S. 111). 167 Dorey 1962, 38 (Sperrung ad hoc). 168 1978, 138. Es verdient Beachtung, daß Aeschinus zugleich im Namen Ctesiphos spricht (995). 169 D II 6 b (S. 148–155). 170 Norwood 1923, 11. 171 Zu Plautus: Lefèvre 2006, 45, 108, 152, 164, 167; 2011, 64, 66. Zu Terenz: Lefèvre 2003, 176; 2008, 79. 172 oujde;n ga;r e[oiken hJ iJketeuvousa th'/ uJstevra/ (Poet. 1454a 32). 173 1989, 27.
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sammenhang heißt es: „Die situationsbedingte Aufspaltung von Bühnenfiguren in entgegengesetzte Rollen ist aus dem Stegreifspiel wohlbekannt. Die Figur des Hanswurst muß sich ‚rechts und links brauchen lassen, wie es das Stück gerade erfordert. Komödiantische Disziplin zwingt den Lustigmacher, mal feig und dann wieder tapfer zu sein‘174 – oder, wie Menaechmus S, mal dümmlich und dann wieder schlau zu sein. […] In der Konzentration auf das Hier und Jetzt der Szene, in der Zuspitzung des dramatischen Motivs geht die Einheit des Charakters verloren. Für den extemporierenden Schauspieler ist es leichter, eine Situation völlig au s zuspielen als einen Charakter völlig d u r ch zuspielen. Jeder Ansatz einer psychologischen Entwicklung wird somit dem szenischen Effekt geopfert, oder, wie Gellius über Caecilius sagt: ridiculus magis quam personae isti quam tractabat aptus atque conveniens videri maluit (II 23. 13).“175 Nun ist weder Demea noch Micio ein ‚Hanswurst‘, aber das ist Menaechmus S auch nicht. Ferner wechseln die Senes nicht öfter ihre Rollen bzw. Charaktere, sondern nur ein einziges, aber entscheidendes Mal. Man muß sagen: Was athenische Zuschauer als einen nicht zu duldenden Bruch empfunden hätten, akzeptieren die das Stegreifspiel liebenden römischen gern, oder anders: Ihnen fällt der Umbruch in dramaturgischer Hinsicht gar nicht auf, vielmehr ist er für sie spannend und lustig. Damit schließt sich der Kreis zum Stegreifspiel. Lustig fanden die Zuschauer schon die plötzlichen Umbrüche der souveränen Chremetes am Ende des Heautontimorumenos und des Phormio, und sie nahmen keinen Anstoß daran, daß am Ende des Eunuchus die souveräne Thais wie eine gemeine Dirne zwischen zwei Liebhabern aufgeteilt wurde. In diesem Fahrwasser segeln die Adelphoe. Gellius’ Urteil über Caecilius’ Verfahren könnte lehren, Terenz bei der Anlehnung an Praktiken des Stegreifspiels nicht nur in der Tradition der plautinischen, sondern auch in der Tradition der caecilianischen Komödie zu sehen. Das Ende der Adelphoe mit dem unmotivierten Auftreten verschiedener Personen vergleicht Büchner ebenfalls mit der Praxis einer volkstümlichen Theaterform: der des Kasperletheaters.176 Mangel an Konsequenz der Charakterzeichnung und der Dramaturgie ist für ‚mündliche‘ Formen charakteristisch. b. Überkreuzdramaturgie Ein besonderer Effekt der Adelphoe besteht darin, daß Micio am Anfang der Überlegene, am Ende der Unterlegene ist und Demea am Anfang der Unterlegene, am Ende der Überlegene ist. Diese ‚Umkehr‘ läßt Terenz dadurch deutlich werden, daß Demea den Bruder zweimal mit früheren Aussagen ironisch konfrontiert. Wenn Micio sich in den Schlußszenen so nachgiebig-schwächlich verhält, daß Demea feststellt nunc tu germanus es pariter animo et corpore (957), „widerruft Micio seine früheren Worte (126) natura tu illi pater es, consiliis ego. ___________________________
174 Asper 1980, 140. 175 1989, 30. 176 1970, 17: B V 1 (S. 61).
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Dem natura entspricht hier corpus, dem consiliis hier animus.“177 Daß Demea ferner Micios auf ihn gemünzte Ansicht über den Geiz des Alters (832–834) nunmehr dem Bruder um die Ohren schlägt (postremo non meum illud verbum facio quod tu, Micio, | bene et sapienter dixti dudum: ‚vitium commune omniumst | quod nimium ad rem in senecta adtenti sumus‘?, 952–954), demonstriert, daß von dem ‚alten‘ Micio nicht viel übriggeblieben ist. Terenz praktiziert diese Dramaturgie schon im Heautontimorumenos. In ihm ist Chremes am Anfang der Überlegene, am Ende der Unterlegene, Menedemus am Anfang der Überlegene, am Ende der Unterlegene. Bei den Söhnen Clitipho und Clinia läuft die Handlung entsprechend. Eugraphius sagt zu Menedemus: comoediarum vice versa sunt omnia, nam ille qui accipiebat a n t e consilium, n u n c dare coepit (zu 925). Bei dieser Kehrtwende werden ebenfalls Formulierungen vom Anfang des Stücks in den letzten Szenen aufgenommen.178 Nicht anders ist im Phormio Chremes am Anfang der Überlegene, am Ende der Unterlegene. Wiederum wird Terenz Plautus verpflichtet sein, der das Schema in den Bacchides exemplarisch angewendet hat.179 Die Situation des Anfangs – zwei Söhne lieben zwei Hetären, zwei Väter sind mehr (Nicobulus) oder weniger (Philoxenus) dagegen – wird am Ende total verkehrt: Die Väter sind nicht nur nicht dagegen, sondern unterliegen den Hetären, und die Söhne haben nicht nur nichts zu befürchten, sondern verfügen über erhebliches Vergnügungsgeld. Die Handlung wird auf den Kopf gestellt. Einerseits geht es Plautus um das saturnalische Element, das in Rom besondere Wirkung tut, andererseits um den Überraschungseffekt. Für Satire haben die Römer besonderes Verständnis. Sowohl für Plautus’ als auch für Terenz’ Verfahrensweise dürfte es eine gemeinsame Quelle geben: das Stegreifspiel. Der Umschlag wird in den besprochenen Fällen dadurch ermöglicht, daß die Personen ihre ‚Charaktere ablegen‘. Nicht zu vergleichen sind Handlungen der Tragödie, in denen Personen durch falsche Entscheidungen zu Fall kommen wie Kreon in der Antigone oder nach langem Leiden an das Ziel gelangen wie Elektra in Sophokles’ gleichnamigem Stück, ebensowenig Handlungen der Nea, in denen besorgte Jünglinge endlich das Gewünschte erreichen wie Gorgias im Dyskolos oder Moschion in der Samia oder aber Personen mit unlauterem Bestreben zur Zufriedenheit aller scheitern wie Smikrines in der Aspis. Es handelt sich vielmehr um inszenierten Klamauk, der den Zuschauer nicht wie das Geschehen der Tragödie und der Nea nachdenklich stimmen, sondern zu einem befreienden Gelächter provozieren soll. Angesichts der starren gesellschaftlichen Verhältnisse in Rom darf man gewiß mit einem berühmten Terminus von einer Katharsis sprechen. Mit einem Wort: In diesen Fällen liegen nicht tatsächliche oder potentielle Nea-Handlungen vor, ___________________________
177 Spengel 1905, 147. 178 Lefèvre 1994, 121–126 (‚Ringkomposition‘). 179 Lefèvre 2011, 142–144 (‚Überkreuzdramaturgie‘).
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sondern findet ein Gattungswechsel statt. Der Dichter gleitet von der anspruchsvollen Komödie in die Posse – “the play […] suddenly changes from comedy to satire“, der Wechsel ist “abrupt and unnatural”,180 ein «trapasso alla pura comica».181 Vom eijkov", das für Menanders Handlungen und Charaktere gilt, ist nichts mehr übrig. Plautus und Terenz haben die (mündliche) Posse vor Augen. c. ‘thickening up’ Terenz liebt es, Szenen durch zusätzliche Personen zu beleben. Es können neue eingeführt oder Personen des Stücks länger auf der Bühne gehalten werden, als es für die Handlung erforderlich ist. Webster nimmt an, daß Sannio bei Menander nicht wie bei Terenz in II 3 und II 4 noch auf der Bühne war und nennt dieses Verfahren ‘thickening-up’.182 Der Terminus wird in der Folgezeit immer wieder gebraucht, etwa von Grant: “Terence’s ‘thickening up’ of the stage action – his technique of enriching the visual aspect by keeping characters onstage for longer than they appeared in the original.”183 Lowe spricht zu II 1–II 4 von “thickening the texture of the stage action by the addition of extra characters”.184 Klare Beispiele sind die von Terenz in Andria und Eunuchus durch Kontamination eingefügten Paare Charinus / Byrria185 und Thraso / Gnatho.186 Leo sagt über das erste: „die Handlung war ihm zu dünn, er wollte das Bühnenbild reicher und den Vorgang gedrängter machen“.187 Hinzu kommt, daß er wie schon Plautus oft Szenen mit vier oder fünf sprechenden Personen hat (was den Originalen fremd war), in den Adelphoe in II 4, V 7 und V 9. In II 2–4 läßt Terenz mindestens den Kuppler, den er in II 1 aus Diphilos’ Synapothneskontes übernimmt, auf der Bühne.188 Das Bild wird dadurch bunter. Die vier Personen in V 7 und V 9 sind Folge der Umarbeitung des Schlusses. In allen Fällen geht die Grundkonzeption der Szenen auf Terenz zurück, so daß auch die Verletzung der für Menander geltenden Drei-Personen-Regel auf sein Konto zu setzen ist. Es geht Terenz nicht nur um die Belebung der Handlung (‘action’), sondern wie in der Nea und bei Plautus auch darum, emotionalen Äußerungen mehr Relief zu verleihen, indem eine Person den Monolog einer anderen belauscht und ___________________________
180 Dorey 1962, 38 über die Adelphoe. 181 Perelli 1973, 89 über die Adelphoe; ebendort heißt: «Dopo il monologo di Demea la commedia cambia volto e stile: l’umorismo, che finora era stato tenuto su di un livello di fine ironia, si abbassa al puro comico, con procedimenti tipicamente plautini.» S. 93 ist von der ‹coda farsesca› die Rede. 182 1960, 89. 183 1980, 352. 184 1998, 483 mit Anm. 69 (Verweis auf Haffter (1953) 1967, 74–79; Büchner 1974, 453–462; Grant 1980, 352). 185 Lefèvre 2008, 58–63, vgl. ferner daselbst 135–137: ‚Zusätzliche Personen‘. 186 Lefèvre 2003, 54–56. 187 1913, 239–240. 188 Ausführlich C I 1 zu II 2–4 (S. 90–91).
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kommentiert. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Chaereas gefühlsgeladener Monolog im Eunuchus III 5, wo der Lauscher Antipho von Terenz eingeführt wird.189 In den Adelphoe begegnet dieselbe Konstellation bei Ctesiphos Monolog in II 3, den Terenz entgegen dem Original durch Sannio und Syrus belauschen läßt.190 Hierher gehört auch in III 2 Getas weitgehend von Terenz eingelegter “overheard servus currens monologue, which does not advance the plot but serves to heighten the pathos of Sostrata’s situation”.191 d. Servus currens und Quiritatio “This is Terence’s most confidently Plautine essay in the genre”.192
Am Anfang von III 2 ist Geta ein Servus currens plautinischer Prägung, der sein ‚Laufen‘ Terenz verdankt.193 Gratwick nennt noch An. 338–345, Ph. 179–199 und 841–854. Norwood rühmt den Auftritt auf dem Hintergrund der Tradition: “A neater example could not to be found of the elegance and skill wherewith Terence takes over traditional matter and charges it with dramatic import.”194 Da die ausgeprägte Figur des Servus currens bei Menander nicht anzutreffen ist,195 könnte sie in ihrer übertriebenen Komik vom Stegreifspiel angeregt worden sein. Barsby rechnet sie zu den ‘improvisatory routines’ in der Palliata: “the actors would need no more instructions than ‘do a running-slave, with appropriate adaptation to the particular context’. And this routine does appear to be a Roman one; we have yet to find an example of the fully developed running-slave scene in Menander.”196 Lefèvre betont zum Amphitruo: „Ganz anders als bei Plautus ist die Funktion des Servus currens zum Beispiel in der Neva. Soweit dieser in ihr begegnet, parodiert er den Boten der Tragödie, der etwas Neues verkündet. Menander bietet Dysk. 81ff. und Asp. 399ff. zwei Beispiele.197 Pyrrhias und Daos haben wirklich etwas zu melden, was bei Merkur nicht der Fall ist. Zudem nehmen sie nur in wenigen Worten auf ihre Eile Bezug. Völlig verschieden davon sind die plautinischen Servi currentes (sowohl die eigentlichen als auch der uneigentliche Merkur), denen der Mund übergeht. ‘These long speeches are only possible on a very long stage, as at Rome’.198 […] Man wird annehmen ___________________________
189 190 191 192 193 194 195
Donat zu Eun. 539 (2). Zu Zweifeln an der Nachricht Lefèvre 2003, 65–67. C I 1 zu II 2–4 (S. 90–91). Lowe 1998, 484. Gratwick 1999, 188. C I 1 zu III 2 (S. 92–93). 1923, 114. Gomme 1937, 288 stellt bezüglich Menanders fest: “there is no servus currens.” Seitdem ist der Dyskolos hinzugekommen (dazu im folgenden). 196 1995, 66. 197 Guardì 1974, 12–14. 198 Sedgwick 1960, 122.
I. Terenz
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dürfen, daß die römische Praktik des Servus currens in ihrer Absurdität auf mündliche Formen zurückgeht. In ihnen waren die Zuschauer von vornherein gegenüber Albernheiten offen.“199 Nicht anders vermutet Lowe, daß die Erscheinung des Servus currens in der Palliata vom Stegreifspiel angeregt sein könnte. “it is not implausible to speculate that native Italian traditions of improvised drama contributed some thing to this development. The routine, with its comic business and conventional motifs, would be well suited to improvised drama, a lazzo easily adapted to a variety of situations and capable of being extended by the actor ad lib.”200 Auch nach Stürner ist es wahrscheinlich, „dass die römischen Autoren dabei unter dem Einfluss volkstümlicher Theatertraditionen standen.“201 Die Q u i r itati o steht in der Bewegung dem Servus currens nahe. Am Anfang von II 1 erhebt Sannio eine Quiritatio. Donat zu 155: popularitas in omnis rei consortium sumitur; nunc autem ‚populares‘ cives dicit. et hoc est quod veteres q u i rita ri dicebant: quirites conclamare (1). hic exemplum est contumeliosi per potentiam divitis et in perniciem suam pauperis contumacis (2). Drexler führt als Parallelen an Aul. 715–716, wo der seines Schatzes beraubte Euclio auf die Bühne stürmt, und Rud. 615ff., wo der bedrohte Trachalio aus dem Tempel eilt, um die Hilfe der Büger anzurufen.202 Da Sannios Quiritatio spät, wenn nicht zu spät kommt – auf dem langen Weg durch die Stadt war „es niemandem eingefallen […], ihm beizustehen“ –, „will sie nicht als das Natürliche erscheinen“203 und dürfte daher weder aus Diphilos noch aus Menander stammen. Terenz legt offenbar auf den lärmenden Handlungsumschwung mit Hilfe der bekannten römischen Anrufung des Schutzes durch die Bürger besonderen Wert. Hinter der Quiritatio steckt ‚Mündlichkeit‘.Trachalios Hilferuf ist nach Blänsdorf „die Parodie einer wohl nur mündlichen Gattung, der quiritatio“.204 Das öffentliche ‚Geschrei‘ gehört in den Bereich der altitalischen Volksjustiz.205 „Der Sklave parodiert einen Vorgang des ‚mündlichen‘ Rechtsschutzes.“206 Es liegt nahe zu vermuten, daß neben Plautus sich auch das italische Stegreifspiel die drastische Parodie dieser drastischen römischen Rechtspraxis nicht entgehen ließ. e. aiunt Terenz gibt sich mit den Motivierungen für das Auf- und Abtreten der Personen – wie schon Plautus – keine sonderliche Mühe. Die zahlreichen Beispiele brau___________________________
199 200 201 202 203 204 205 206
1999 (2), 31–32. 2009, 232. 2011, 50. Martin 1976, 127: ‘striking verbal parallel’. Drexler 1934, 2. 1993, 65. Usener (1901) 1913. Lefèvre 2006, 123–124.
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chen nicht zusammengefaßt zu werden, weil sie bei der Besprechung der Aufeinanderfolge der einzelnen Szenen hervorgehoben wurden. In Zusammenhang damit ist die Manier zu sehen, daß Personen sich auf Gerede und Gerüchte beziehen, die sie als Anlaß ihres Erscheinens oder als Argumente für bestimmte Folgerungen anführen. Gewiß gibt es solche Situationen im Leben, kaum aber in dieser Fülle bei Menander. Das Verfahren ist für den Dramatiker sehr bequem. 81 tritt Demea auf und berichtet Micio detailliert vom Raub der Hetäre. Er gibt die Quelle an: clamant o m n es (91); hoc advenienti q u o t mihi, Micio, | dixere! (92–93); in ore est o m n i populo (93). Es ist die Frage, ob der griechische Demea eine präzisere Quelle hatte, entweder einen Sklaven oder Autopsie.207 Terenz kommt es sicher darauf an, Aeschinus’ Tat, die er in II 1 als gewalttätig ausschmückt (weil er eine juristische Beleuchtung des Vorgangs208 erstrebt), schon in der Vorgeschichte wirkungsvoll aufzubauschen. 224 spielt Syrus gegenüber Sannio einen überraschenden Trumpf aus. Der Rechtsstreit könne nicht in Ruhe entschieden werden, da der Kuppler, wie man sage, nach Zypern reise: te a iu n t proficisci Cyprum. Sicher, darüber mag man reden, warum nicht? Es ist aber kaum Zufall, daß das Motiv auf Terenz zurückgeht.209 Interessant ist Donats Bemerkung zu 223: ne neget, non ab uno id audiri, sed ‚aiunt‘ inquit (4).210 355–356 berichtet Demea, er habe gehört, auch Ctesipho sei an der Entführung beteiligt, Ctesiphonem a u d ivi filium | una fuisse in raptione. Man erklärt umständlich: „Daß Ctesipho dabei gewesen sei, war wohl nur ein Gerücht, das von solchen verbreitet wurde, die vielleicht von ihren Besuchen bei Sannio wußten, daß Ctesipho der Liebhaber des Mädchens sei […], und daher annahmen, daß er dabei nicht gefehlt habe.“211 Terenz wäre gerührt, wenn er wüßte, mit welcher Mühe man seine lockere Motivierung rechtfertigt. Obendrein ist das Gerücht falsch! Demea muß irgendwie auf die Bühne. „Diese Verse ignorieren die früheren Gegebenheiten, denn Aeschinus hatte ja mit seiner selbständigen Tat alle üble Nachrede auf sich genommen. Das neue Motiv, daß auch über Ctesipho Gerüchte im Umlauf seien, soll das Auftreten des Demea motivieren und seine Suche nach Ctesipho rechtfertigen“.212 Hier dürfte Terenz am Werk sein. 728 konstatiert Demea: puer natust. Woher weiß er, daß Pamphila einen Knaben geboren hat? Hat er das hinterszenisch auf seinem Irrweg erfahren? Schon Plautus übt dieses Verfahren. Ein Beispiel ist der Truculentus. „Beliebte Brücken, deren Haltbarkeit man besser nicht nachprüft, bilden die Ausdrücke des ‚Hörensagens‘. So heißt es von Stratophanes’ Ankunft dicitur (84) oder aiunt ___________________________
207 Vergleichbar ist Chremes’ Auftritt Andr. III 3 mit der vagen Begründung aliquot me adierunt, […] qui aibant (Andr. 534). Dazu Lefèvre 2008, 111, 153. 208 D II 6 b (S. 148–155). 209 D II 6 b (S. 154). 210 930 ist der Gebrauch von aiunt angemessen. 211 1903, 76. 212 Marti 1959, 19.
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(204), und von Phronesiums Geburt sagt Diniarchus gleich zweimal audivi (194, 382).“213 Auch Terenz hält sich nicht zurück. In der Hecyra arbeitet er dreimal mit dem ungenauen aiunt (357, 393, 452). Es ist „eine Formel aus dem plautinisch-terenzischen Dunst-und-Nebel-Reservoir.“214 Beide Erscheinungen, mangelhafte Auf- / Abtrittsmotivationen und aiuntDramaturgie, gehören in das Stegreifspiel. Bei den italischen Formen ist das nicht mehr nachprüfbar, aber das Verfahren der Commedia dell’arte könnte auf ‚mündliche‘ Gepflogenheiten weisen. In ihr gibt es keinen ‚geschehenslogischen Zwang‘. „Die Figuren werden mit ‚seelenloser‘ Mechanik ins Hier und Jetzt des Spiels gezogen und wieder aus ihm entlassen. Ihr Auftreten bedarf keiner Begründung durch sie selbst, ihren Abgang rechtfertigt notfalls ein ‚blindes Motiv‘.“215 Die römischen Zuschauer waren an solche Spiele gewöhnt und fanden es nicht anstößig, wenn Plautus und Terenz zuweilen ebenso lässig verfuhren. f. Aparte Das Aparte ist im Theater aller Zeiten zu Hause. Bei seinem Gebrauch gibt es erhebliche Unterschiede, wie ein Vergleich Menanders mit der Palliata zeigt. Die Samia bietet Beispiele sowohl für das handlungsorientierte als auch für das ethisch motivierte Aparte216 – ebenso der Dyskolos. Wenn der leichtherzige Chaireas erzählt, wie er für einen Freund eine Eroberung bewerkstelligt, antwortet Sostratos laut: kai; mavl∆ eu\ (68) und fügt aparte hinzu: ouj pavnu d∆ ajreskovntw" ejmoiv (69). Menander zeichnet kurz seinen Charakter. Wenn Knemons Tochter klagend vor das Haus tritt, ruft Sostratos aparte aus: w\ Zeu' pavter | kai; Foi'be Paiavn, w\ Dioskovrw fivl[w, | kavllou" ajmavcou (191–193). Die Zuschauer wissen sofort, wie es um ihn steht. Dann kommentiert er bewundernd: ejleuqerivw" gev pw" | a[groikov" ejstin, w\ [polutiv]mhtoi qeoiv, | tiv" a[n me swvsai d[aimov]nwn… (201–203). Auf zarte Weise wird sein Zustand erläutert. Der mürrische Daos beobachtet ihn und sagt mißtrauisch aparte: tiv pote bouvleq∆ ouJtosi; | a[nqrwpo" (212–213). Knapp umreißt das Aparte Handlungen, Charaktere, Empfindungen. Auch Terenz liebt das Aparte.217 Einerseits steht er in Menanders Tradition, andererseits verwendet er das komische Aparte, wie es Plautus auf einen Gipfel geführt hat.218 Aus den Adelphoe seien zwei längere Passagen herausgegriffen, in denen das gehäufte Aparte sicher Terenz zuzuweisen ist. In III 2 tritt Geta als Servus currens mit einer Schreckensnachricht auf. Erschreckt kommentieren Sostrata und Canthara die Rede über 22 Verse hin ___________________________
213 214 215 216 217 218
Lefèvre in Lefèvre / Stärk / Vogt-Spira 1991, 197. Lefèvre 1999, 76. Die genannten Stellen sind S. 76, 79, 85, 126 behandelt. Hinck 1965, 37. Ausführlich Lefèvre 2011, 132–133 im Anschluß an Blume 1974, 149 und 175. Lefèvre 2003 (Register s. v. ‚aparte‘); 2008, 148–152. Beispiele bei Lefèvre 1999 (2), 39–40; 2011, 132–134; Stürner 2011, 82–89. Zum Aparte bei Menander, Plautus, Terenz und im Stegreifspiel Lefèvre 2003 / 2004.
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(299–320).219 “In Menander entrance monologues do attract asides from characters already on stage, but these passages are generally brief (interesting exceptions at Asp. 399–418, Dysk. 153–78, 374-86, Mis. 284–323). In general the use of two aside speakers is very rare in Menander (Dysk. 775–9, Epit. 127–46, Sam. 532–8); this is something developed by the Roman dramatists and especially by Terence (Ad. 299–320, An. 338–44, Ph. 179–94, 841–52).”220 Gewiß geht es um ein ethisches Problem, aber der komische Effekt überwiegt stark.221 In V 5–V 8 dient das Aparte der Charakterisierung von Demeas Verstellung. Der Intrigant kommentiert sich selbst und macht das Publikum zum Komplizen wie Crusalus in den Bacchides.222 Wenige Verse nach der Ankündigung seiner Absicht in V 4 trifft er auf den Widersacher Syrus und fragt ihn freundlich: o Syre noster, salve: quid fit? quid agitur? (883). Für die Zuschauer ist das Aparte bestimmt: iam nunc haec tria primum addidi | praeter naturam: ‚o noster, quid fit? quid agitur?‘ (884–885). In V 6 wendet sich Demea liebenswürdig an Geta (891–896) und kommentiert: meditor esse adfabilis, | et bene procedit (896–897). In V 7 ist er noch zufriedener. Er gibt den Befehl, die Mauer zwischen Sostratas und Micios Garten niederzureißen, worauf Aeschinus ihn pater lepidissime apostrophiert (911). Der genießt in einem langen Aparte die Zuneigung und kündigt an, daß Micio weiterhin um 20 Minen erleichtert werden soll (911–915):
915
euge! iam lepidus vocor, fratri aedes fient perviae, turbam domum adducet, sumptu amittet multa: quid mea? ego lepidus ineo gratiam. iube nunciam dinumeret illi Babylo viginti minas.
In V 8 wendet Demea das Aparte zweimal an. Nachdem er Micio überrumpelt hat, Sostrata zu heiraten, ist er überrascht und sucht nach einer weiteren Überredung zu Micios Nachteil: verum … (er überlegt) quid ego dicam, hoc quom confit quod volo? (946). Er zeigt den Zuschauern durch das Aparte seine Verlegenheit an! Schließlich fängt er sich zu neuer Bosheit und stellt befriedigt fest: suo sibi gladio hunc iugulo (958). Er schlägt Micio auf dessen ‚ureigenstem‘ Gebiet. Der Zuschauer bedarf der Kommentare nicht. Zu eindeutig ist Demeas Strategie. Aber Terenz liebt die Komplizenschaft von Bühnenperson und Publikum. Es ist anzunehmen, daß das von Plautus so oft angewendete komische Aparte durch die Gepflogenheiten des Stegreifspiels gefördert wurde223 und Terenz unter dem Einfluß von Plautus u n d Stegreifspiel steht. ___________________________
219 Daß zwei Lauscher einen gestuften Zutrittsmonolog glossieren, ist bei Terenz „annähernd doppelt so oft der Fall wie bei Plautus und auch deutlich häufiger als bei Menander“ (Denzler 1968, 109). Vgl. ferner Stürner 2011, 83. 220 Barsby 1986, 164. 221 Nach Gratwick 1999, 189 ist Geta ‘comically distraught’. 222 Besonders in Ba. IV 9: Moore 1998, 36; Lefèvre 2011, 133–134. 223 Lefèvre 1999 (2), 40–41; 2003 / 2004; Stürner 2011, 89.
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g. Metaphorik Die Metaphorik von der Hecyra bis zum Phormio wurde früher untersucht.224 In den Adelphoe sei ein interessantes Phänomen herausgestellt. Beim Phormio war zu zeigen, daß in terenzischen Partien ‘verbal pyrotechnics’ begegnen und dort, wo Apollodor zu fassen ist, ein sachlicher Stil vorherrscht. Arnott glaubte etwa, daß Apollodor den Parasiten besonders am Schluß mit stark metaphorischer Redeweise charakterisiert habe.225 Da die anderthalb letzten Szenen aber sicher von Terenz stammen,226 muß die drastische Schlußsequenz mit volkstümlicher Rede auf ihn zurückgehen. In den Adelphoe verhält es sich entsprechend. Terenz dichtet ab 877 selbständig. Die im folgenden auftretenden Metaphern können daher in der Regel nicht aus dem Original stammen. Einige seien ausgewählt. Es geht dabei vor allem um die Redeweise der beiden Alten, die nunmehr ihren Charakter ‚ablegen‘. D em ea gibt sich plötzlich als überlegener Architekt des Geschehens. Zu seinem Großsprechertum paßt die gehäufte metaphorische Redeweise. posteriores feram (880):227 Zu ergänzen ist partes. Donat: translatio est a partibus histrionum in fabula (4). Es ist Theatersprache.– hominem maxumi | preti (891–892): “Financial imagery is particularly appropriate to Demea’s materialistic values”.228– perviae (912): der ‚reinste Durchgang‘,229 ‘an open street’.230 Demea übertreibt schadenfroh.– Babylo (915):231 Donat: ‚Babylonem‘ fratrem ob nimiam liberalitatem vocat (4), Eugraphius schwankt: Babyloni milites stulti dicebantur. alii intelligunt Babylones divites esse. et hic sensus ille est: ut Micio Babylo sit, qui viginti minas dederit pro meretrice, quae rapta est, ego nunc iam lepidus vocor. Demea spricht überheblich.– hanc maculam nos decet | effugere (954–955). “the image in macula is the common Latin one of moral stain.”232 Die Parodie dessen, was vorher Micio gesagt hat (833–834), ist üble Ironie.– suo sibi gladio hunc iugulo (958).233 gladio und iugulo sind genaugenommen zwei Metaphern. Donat: ajllhgoriva (1). Eugraphius: ipsum suo gladio interficio, quia ipse hic dixit, unde nunc vincitur. Zu gladio: “Ad. 958 and Mer. 613 both suggest the final despatch of the fallen gladiator by his opponent, but the allusion cannot ___________________________
224 Lefèvre 1978 (1), 96–101 (Ph.); 1994, 136–140 (Ht.); 1999 (1), 135–136 (Hec.); 2003, 128–139 (Eun.). Auf die Betrachtung der Andria-Metaphorik wurde unter Hinweis auf Maltbys (schematische) Zusammenstellung 2007, 144–146 verzichtet. 225 1970, 47. 226 Lefèvre 1978 (1), 98–99. 227 Fantham 1972, 33. 228 Fantham 1972, 69. 229 Dziatzko / Kauer 1903, 127. 230 Gratwick 1999, 163. 231 Otto 1890, 52. 232 Maltby 2007, 158. 233 Otto 1890, 154.
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be proved.”234 Zu iugulo: “Demea’s ajgroikiva may be reflected in his use of olfacere (Ad. 397 […]), evomere (510 […]), and iugulare”.235– effundite (991):236 “The image is conventional by the time of Cicero”.237 Mic io gebraucht ebenfalls mehrere Metaphern, die sich bei diesem eher zurückhaltenden Charakter einprägen. asine (935):238 Wenn man bedenkt, mit welcher Liebe und welchem Entgegenkommen er im Verlauf des Stücks Aeschinus bedacht hat, zeigt sich deutlich, daß Terenz am Schluß nicht nur hinsichtlich der Charakterzeichnung, sondern auch des Stils den Bereich der hohen Komödie verläßt und in den Bereich des Volkstheaters kommt. Donat bemerkt zu 935: aptum convicium grandi et fatuo (1) – Micio alt und schwachsinnig! Das sagt alles. Dasselbe Bild verwendet Terenz im Heautontimorumenos, in dem er gegen die menandrische Konzeption den humanen Chremes am Ende als erfolglosen ‚Geschaftlhuber‘ abwertet und den ihm bisher unterlegenen Nachbarn Menedemus sagen läßt: in me quidvis harum rerum convenit | quae sunt dicta in stulto, caudex stipes a si n u s plumbeus; | in illum nil potest: exsuperat ei(u)s stultitia haec omnia (Ht. 876–878). Auch hier steht von der Konzeption und vom Stil her das Stegreiftheater nahe.– ineptis / deliras / insanis (934 / 936 / 937): Micio steigert sich erregt in bildlicher Redeweise. Mit ineptis spricht er wie vorher Demea (nimium ineptus es, 63). Bei deliras / insanis beobachtet Donat zu 937: congrue seni ‚deliras‘, iuveni ‚insanis‘ (1).239– anum decrepitam (939). Donat hat ein ganzes Füllhorn von Erklärungen: ‚decrepitam‘ aut stomacho anili et iracundo aut ‚decrepitam‘ obtusi animi et laesae senectutis aut ‚decrepitam‘ cui saepe moribundae crepuerit planctu familia, id est conclamaverit (3). Lessing gibt den derben Ausdruck mit einem ‚alten verlebten Mütterchen‘ wieder.240 Plautus’ Phantasie ging auf dem Gebiet der bildlichen Redeweise erheblich weiter. Terenz ist zurückhaltend; deshalb ist die gehäufte metaphorische Redeweise der beiden Senes in den Schlußszenen auffällig. Man darf annehmen, daß er wie Plautus durch die Praxis der Stegreifspiele beeinflußt wurde.241
___________________________
234 235 236 237 238 239
Fantham 1972, 30–31. Fantham 1972, 74. Maltby 2007, 164. Fantham 1972, 51. Otto 1890, 40. Arnott 1970, 47 hält die Metapher Ph. 997–998 delirat miser | timore (kaum richtig) für apollodorisch (“the metaphor being still alive perhaps in Terence’s day”). 240 A I 3 (S. 34). 241 Benz 1998, 101–126; Lefèvre 2011, 137 (in beiden Arbeiten ältere Literatur zitiert).
II. Menander
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II. Menander 1. Einteilung der Akte Die Forschung hat sich bemüht, die Aktfugen der Adelphoi zu bestimmen. Alle Vorschläge sind vorsichtig formuliert, einige unklar. Dennoch seien sie zusammengefaßt:
Legrand242 Burckhardt243 Drexler244 Kuiper245 Rieth246 Gaiser247 Mette248 Fantham249 Webster250 Holzberg251 Sandbach252 Grant253 Damen254 Lowe255 Gratwick256 Lefèvre
I 154 154 154 154 154 287 154 154 195 154 287 354 354 354 287 287
Aktschluß nach: II III 354 516 287 510 287 510 354 287 354 516 510/516 516 510 510
IV 712 854
712 510 712 516
854 854 854 786
516
712 786
712 591/712/609 712 712 609
854 854 854 854 876
2. Oikonomia der Handlung Im folgenden wird versucht, die Handlung der Adelphoi zu rekonstruieren. Es kann sich nur um ein Szenengerippe handeln. Menanders Stück war ohne Frage reicher. Der Dis exapaton-Papyrus hat gezeigt, daß das Original Szenen hatte, ___________________________
242 243 244 245 246 247 248 249 250 251 252 253 254 255 256
1910, 468–469. 1927, 44. 1934, 36–38. 1936, Tafel im Anhang. 1964, 30, 59, 77, 101. 1964, 143. 1965, 38–43. 1968, 214–215. 1974, 114–116. Die erste Aktende ist wegen der Diphilos-Szene etwas unbestimmt. 1974, 76 bzw. 165. 1975, 202. 1980, 354 Anm. 27 (irrtümlich ‘before 516’). 1987, 72 (Reihenfolge der Alternativen für den Schluß von Akt III nach dem Autor). 1998, 486 mit Anm. 84. 1999, 33.
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C. Dritter Teil: Struktur
von denen niemand etwas ahnte. Die Akteinteilungen werden nur exempli gratia vorgeschlagen. Die Verteilung der Handlung kann durchaus anders gewesen sein. Auf der Bühne standen die Häuser von Micio und Sostrata (die wohl erst kürzlich zugezogen war), in denen auch Aeschinus und Pamphila wohnten. Demea zog (wie Kleainetos im Georgos) das Land vor. Aeschinus und Pamphila waren wohl nicht zu Hause, sondern bei einem Götterfest intim geworden. Vielleicht handelte es sich um ein Fest der Gottheit, die den Prolog sprach? Prolog Da es ‚Wiedererkennungen‘ gab, war ein Inhaltsprolog erforderlich. Als Sprecher kam nur eine Gottheit in Betracht. Der Handlungsstrang, daß der Bürger Micio eine ‚Hetäre‘ in sein Haus aufnahm und verteidigte, erforderte die Information, daß sie eine Bürgerin war. Der Prolog konnte am Anfang oder nach den ersten Szenen, etwa nach I 2, stehen. I. Akt Der erste Akt brachte die Selbstvorstellung Micios, zu dem später Demea trat, so daß die Zuschauer die unterschiedlichen Brüder beurteilen konnten. Micio blieb mit einem kürzeren Abgangsmonolog zurück und ging auf das Forum, um Aeschinus zu suchen (I 1–2). Sie verfehlten sich, und Aeschinus erschien mit Bacchis (die in dieser Szene wohl eine stumme Rolle hatte). In einem kurzen Monolog nahm er auf seine und Ctesiphos Situation Bezug: Er wollte dem verzweifelten Bruder unter allen Umständen helfen. Falls ihm der Kuppler folgte, versprach er ihm eine Entschädigung.257 Dieser trat ab, und Aeschinus begab sich mit Bacchis in Micios Haus. Ctesipho stürmte mit einem Freudenmonolog herein (II 3), und wenig später tröstete ihn der aus Micios Haus kommende Aeschinus. Sie beratschlagten, wie sie die 20 Minen für den Kuppler aufbrächten, da sie nicht genügend Geld hatten. Vielleicht beschlossen sie, Syrus zu beauftragen und gingen in Micios Haus (II 4). Menander stellte wie im Heautontimorumenos zunächst die alte und darauf die junge Generaton vor. Warum Varro den Beginn der Adelphoe dem der Adelphoi vorzog, ist unbekannt. Ihm könnte die Exposition ohne Inhaltsprolog besser gefallen haben. Der erste Akt bot die provtasi".258 Es ging um den Hintergrund der Handlung. II. Akt Der zweite Akt begann wohl mit einem Auftritt Sostratas, die Canthara ihr Leid klagte (III 1). Geta brachte die schlimme Nachricht, daß Aeschinus in den Raub ___________________________
257 Der Auftritt des Kupplers ist unnötig. Schon Grauert 1838, Hermann (1838) 1840 und Ihne 1843 waren dieser Meinung. Sannio könnte aus Diphilos stammen. 258 protasis primus actus initiumque est dramatis (Euanthius, De fab. 4, 5 Wessner).
II. Menander
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einer Hetäre verwickelt sei. Er beklagte gemeinsam mit den Frauen Pamphilas ungewisse Zukunft. Sostrata schickte Canthara sofort zu Aeschinus.259 Sie sprach noch mit Geta. Vielleicht sollte er schauen, ob Hegio schon aus Milet gekommen sei. Sostrata ging ins Haus (III 2). Geta blieb zurück und überdachte die Situation. Da trat Hegio zu ihm. Geta erzählte ihm das Leid der Frauen (446–459). Sie gingen in Sostratas Haus (506). Waren die Personen in Not, wußte der durch den Prolog aufgeklärte Zuschauer, daß sich alles zum Guten wenden werde. III. Akt Hegio trat aus Sostratas Haus, um Micio aufzusuchen. Dieser kehrte gerade von der ajgorav zurück, und Hegio sprach ihn an. Es kam zu einem Gespräch über Aeschinus und Pamphila, über deren intimes Verhältnis Micio nichts wußte. Der Dialog hatte nicht wie bei Terenz eine gesellschaftspolitische, sondern eine ethische Grundierung. Die Männer erwiesen sich als Gesinnungsgenossen, beide waren filavnqrwpoi. Micio sagte Hegio auf der Stelle Unterstützung zu (III 4 / IV 3). Sie suchten Sostrata auf. Micio ahnte nicht, daß er zwei Frauen zu helfen im Begriff war, die ihm denkbar nahestanden. Das war eines von Tyches Spielen. Da erschien Demea mit einem kleinen Monolog, weil er erfahren hatte, daß Ctesipho mit Bacchis in Beziehung stehe. Darüber wollte er mit Micio sprechen und klopfte an dessen Tür. Syrus trat heraus und sagte, der Herr sei nicht zu Hause, Ctesipho sei auf dem Land. Es gelang ihm, den unwirrschen Alten fortzuschikken (III 3) – einmal, nicht zweimal, wie es bei Terenz der Fall ist. Der zweite und dritte Akt boten die ejpivtasi".260 Die Handlung der Liebespaare wurde ‚angespannt‘. Die Zuschauer durften – zumal nach Hegios Erscheinen – Vermutungen anstellen, wie sich der nodus erroris entwirren werde. IV. Akt Der vierte Akt brachte wie so oft die entscheidenden Wendungen. Aeschinus erfuhr durch Canthara von der Geburt. Er überlegte verzweifelt, was er machen solle (IV 4). Micio kam aus Sostratas Haus, er war durch Hegio und die Frauen über Aeschinus’ Situation informiert. Natürlich empfand er leise Enttäuschung, daß der Sohn so wenig Vertrauen hatte, und beschloß, ihn etwas hinzuhalten und mit dem Erbtochtergesetz zu spielen: Hegio, der als nächster Verwandter der beiden Frauen verpflichtet war, die Halbwaise zu heiraten (oder auszusteuern), sei aus Milet gekommen, um Pamphila zur Frau zu nehmen. Micio sah Aeschinus’ echte Verzweiflung und versöhnte sich mit ihm (IV 5). Das war ein erster Höhepunkt. Micios Erziehungsmethode war gerechtfertigt. Sie gingen zu den Frauen.
___________________________
259 Dadurch wurde der Canthara-Schauspieler frei und konnte in der nächsten Szene als Hegio auftreten. Zum Schauspieler-Problem in III 2 / III 3 Sandbach 1975, 202. 260 epitasis incrementum processusque turbarum ac totius, ut ita dixerim, nodus erroris (Euanthius, De fab. 4, 5 Wessner).
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C. Dritter Teil: Struktur
Demea kehrte zurück und klagte, daß er Ctesipho nicht gefunden habe (IV 6). Micio erschien und führte mit ihm ein langes ernsthaftes Gespräch, das Demea aufklärte und das Verhältnis der Brüder ins Lot brachte (IV 7 / V 3). Das war ein zweiter Höhepunkt. Micio ging in sein Haus, um die Hochzeit vorzubereiten. Demea, der erfahren hatte, daß die Hetäre für Ctesipho bestimmt sei, reflektierte in einem Monolog über das Scheitern seiner Erziehungsmethode (V 4). (Auch Knemons Erkenntnismonolog stand im vierten Akt.) Eine grau'", die vielleicht – wie Simiche bei Knemon – bei Micio lebte, mochte heraustreten und berichten, daß Bacchis nicht eine Hetäre, sondern, wie ihr dünke, Micios Tochter sei. Nach der ‚Handley-Regel‘ bedeutete der Auftritt einer neuen Person am Aktende die Einleitung zu einer unerwarteten Entwicklung. Sie, Syrus oder Micio selbst konnten Bacchis an irgendwelchen shmei'a ‚wiedererkennen‘. Der vierte Akt bot die katastrofhv.261 Die Liebeshandlungen der jungen Leute waren an ein erfreuliches Ziel gelangt, die alten Brüder, soweit es ihre Charaktere zuließen, versöhnt, Demea zu einer begrenzten Einsicht gekommen. V. Akt Von Menanders fünftem Akt ist bei Terenz außer Micios und Sostratas (verzerrter) Heirat rein gar nichts übriggeblieben. Bacchis’ Identifizierung wird den Weg zu Sostratas und Pamphilas Wiedererkennungen gewiesen haben. Ob der Ring, den Aeschinus einst Pamphila geschickt hatte (347), dabei eine Rolle spielte, ist nicht zu sagen. Sicherlich kam es zu Begegnungen Demea / Ctesipho und Ctesipho / Bacchis. Micio mochte freundliche Worte zu Sostrata und nicht minder zu Pamphila sprechen. Denn Bacchis und Pamphila entpuppten sich wohl als Zwillingsschwestern, die Sostrata vor vielen Jahren nach einem Abenteuer mit (dem ihr unbekannten) Micio geboren hatte, deren eine sie bei sich behielt (Pamphila) und deren andere sie in der Not aussetzte oder fortgab (Bacchis). Micio, der am Anfang bekannt hatte, er habe keine Frau (44), hatte nun eine Frau – und zwei Töchter dazu. Er hatte zwei Kinder wie Demea. Es kam vermutlich zu drei Hochzeiten: Micio ∞ Sostrata, Aeschinus ∞ Pamphila, Ctesipho ∞ Bacchis. (Alles dieses schnitt Terenz weg, wie schon Plautus gern die Auflösungen der griechischen Originale mißachtete.) Micio war die herausragende Gestalt, die sowohl die Aeschinus- als auch die Ctesipho-Handlung zu einem guten Ende führte. Wie Knemon mochte Demea wohl nicht gern an Hochzeiten teilnehmen, so daß man ihn sanft ‚zwingen‘ mußte. Freundlichen Spott konnte er gut verkraften, denn seine Söhne heirateten die Frauen, die sie liebten. Er reagierte – wie Knemon – immer noch reserviert, wenn nicht leicht unwirsch, und zog sich zurück. ___________________________
261 catastrophe conversio rerum ad iucundos exitus patefacta cunctis cognitione gestorum (Euanthius, De fab. 4, 5 Wessner).
D. VIE RTER TEI L: WELTBI LD Vorbemerkung Bei der Einschätzung einer Menander-Komödie wie der Adelphoi sind stets mehrere Ebenen zu berücksichtigen. Menanders Ebene: In den Adelphoi bringt die ajgaqh; Tuvch durch die ‚Wiedererkennungen‘ am Ende alle Irrungen und Wirrungen in Ordnung. Micio sieht Menander als filavnqrwpo", Demea als ichbezogenen bäuerischen Charakter. Römische Ebene: Menanders Konzeption wäre 160 v. Chr. in Rom nicht zu verstehen. Das hat nichts mit mangelnder Intelligenz oder minderer Kultur der Zuschauer zu tun, sondern mit ihrem anderen ‚theologischen‘ und gesellschaftlichen Horizont. Die Komödie ist ein speculum consuetudinis, wie Cicero sagt. Sind die consuetudines verschieden, sind auch die specula verschieden. Terenz’ Ebene: Ob Terenz selbst lieber ein rein ‚griechisches‘ Stück geschrieben hätte (ohne nur eine Übersetzung zu verfassen), ist schwer zu sagen. Wahrscheinlich wurde er in Rom zu einem wenigstens halben Römer. Aber seine Ebene dürfte eine andere als die der Römer der Zeit gewesen sein. Ebene der Scipionen: Wieder anders werden die Scipionen geurteilt haben. Es scheint sicher zu sein, daß sie den Mix von griechisch-gedanklichem Substrat und römisch-deftigem Superstrat schätzten, also keine Puristen waren.
I. Menander “He was one of the princes of comedy.“1
1. Tuvch und trovpo" Da die Adelphoi Anagnoriseis vorführten, sind sie eine Tyche-Komödie. In ihnen zeigt sich das symbolische Wirken der Gottheit am sichtbarsten. Durch die Wiedererkennungen werden Micio, Sostrata, Pamphila, Bacchis und Ctesipho belohnt. Während Micio besonnen dahinlebt, sind Pamphila und Aeschinus wegen der Geburt ihres Kindes, Bacchis wegen der Ungewißheit ihrer Abkunft in Not. Für Sostrata klären sich dunkle Ereignisse der Vorgeschichte, die sie nie vergaß. Die jungen Brüder sind ebenfalls betroffen: Ctesipho kann den Plan, Selbstmord zu begehen, aufgeben. Aeschinus braucht nicht mehr vor dem Vater zu bangen. Dessen Güte kommt ihm entgegen. Alle Verzweiflungen lösen sich zum Guten. Auch Demea kann für die Lehre, die er erfährt, dankbar sein. Wie Knemon im Dyskolos die Menschen seiner engsten Umgebung verkennt, ist das bei ihm der Fall. Beide gevronte" kommen zur Erkenntnis, ohne sich jedoch im Kern zu ändern. Aber sie können nun mit ihrer Umgebung in distanziertem Frieden leben. ___________________________
1
Gomme 1937, 295.
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D. Vierter Teil: Weltbild
Tyche belohnt wie so oft die Menschen, die sich aktiv bemühen, schwierige Situationen mit Tatkraft zu meistern.2 Aeschinus tritt beherzt für den Bruder ein und verhilft ihm zu seiner Freundin, obwohl er damit bei seiner Geliebten und ihrer Mutter in bedenkliches Licht gerät. Er verhindert, daß Ctesipho den angedrohten Selbstmord ausführt. Zugleich hat die Tat die Folge, daß Bacchis in ihr Vaterhaus kommt und dort als verlorengegangene Tochter erkannt wird. Das kann nur deshalb geschehen, weil Micio so hilfsbereit ist, Bacchis Zuflucht zu gewähren, so daß sich ihre Identität in seinem Haus herausstellt. Micio und Aeschinus gestalten das Geschehen aktiv. Ihnen wird zuteil, daß Tyche ‚mitanfaßt‘ (sullambavnei).3 Demea und Ctesipho erleiden das Geschehen passiv. Weil sie aber nicht ‚schlecht‘ sind, kommt ihnen Tyches Walten ebenfalls zugute. Das gilt auch für die Frauen, denen, wie so oft bei Menander, passive Rollen zugedacht sind. Die Sklaven Syrus und Geta stehen treu zu ihrer Herrschaft. Da die Adelphoi keine Intrigenkomödie sind, gibt es keinen Anlaß, sie am Ende freizulassen. Andererseits gibt besteht die Möglichkeit. In Menanders Komödie kommt es auf den Menschen an; „nicht die äußeren Geschehnisse, die der Handlung zugrunde liegen, sondern die Charaktere bestimmen bei Menander den Gang des Stücks, das ist der Angelpunkt seiner Kunst, der wichtigste Fortschritt, den er über die frühere Komödie hinaus gemacht hat.“4 Micio wird mit den ‚Wiedererkennungen‘ belohnt, weil er aktiv in das Geschehen eingreift und Bacchis in sein Haus nimmt.
2. filanqrwpiva und pädagogische Ethik „‚Philanthropia‘ ist für Menander nicht denkbar ohne das Wissen um koinwniva und koinov n , ohne die Solidarität derer, die im Mitmenschen sich selbst wiederzufinden vermögen, sie stellt sich notwendig dar als benevolentia erga omnes homines promiscua“.5
„Micio ist eine der wunderbarsten Gestalten, die die Neue Komödie, soweit wir sie überblicken können, geschaffen hat. Menander hat in ihm den Vertreter einer liberalen, allein auf menschliches Verstehen gegründeten Erziehungsweise dargestellt, deren Erfolg am Ende nicht bestritten wird.“6 Er ist ein filav n qrwpo" wie Chremes in Menanders Heautontimorumenos (dem Terenz wie Micio unbekümmert mitspielt). Sie sind Brüder im Geist.7 Der Begriff der filanqrwpiva be___________________________
2 3 4 5 6 7
Gaiser 1973, 123. Menander Fr. 494 K. / Th. = 717 K. / A. Dazu Lefèvre 1979 (1), 328. Körte 1914, 77. Schmid 1959, 177 unter Bezug auf Gellius 13, 17. Lefèvre 1969, 40. Zu Menanders und Terenz’ Heautontimorumenos (auch im folgenden): Lefèvre 1973, 1994, 2013.
I. Menander
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zeichnet eine herausragende Eigenschaft menandrischer Menschen.8 Man bringt das Verhalten Micios am ehesten mit der Lehre des Peripatos in Verbindung.9 Auf der anderen Seite ist er nicht eine abstrakte Gestalt, die aus philosophischen Theorien zusammengesetzt ist. Das wäre lebensunwirklich und widerspräche dem Urteil, das Aristophanes von Byzanz über die Lebenswirklichkeit der Menander-Komödie fällte. Micio verschließt sich nicht den Alltäglichkeiten des Lebens, vielmehr versucht er gemäß seinen Überzeugungen einzugreifen und zu steuern. Aber sein Weg führt per aspera ad astra, wie Menander eindrucksvoll zeigt.10 Irrungen – Wirrungen bestimmen nach seiner Ansicht auch das Leben des ‘reasonable man’. In dieser Konzeption liegt die Größe des Originals. a. Micio und Aeschinus “Micio has the credit of by far the most excellent scene – the noble éclaircissement between him and Aeschinus, which is equal to anything ever composed in the manner of high comedy.”11
Erziehung ist nicht Sache eines Einzelnen, zu einem Erzieher gehört ein zu Erziehender. Es versteht sich, daß es keine festen Regeln gibt, sondern jeder Fall individuell zu beurteilen ist. Menander bringt das Verhältnis Micio / Aeschinus12 in der Weise zur Anschauung, daß sich b ei d e bewähren. IV 4 und IV 5 bilden gewissermaßen den pädagogischen Mittelpunkt der Adelphoi. Indem Aeschinus von sich aus zur Einsicht in sein falsches Verhalten gelangt, zeigt er seine gute Erziehung, beweist er die Richtigkeit von Micios Pädagogik. Es steckt letztlich ein anerkennenswertes moralisches Verantwortungsbewußtsein in ihm. Während Pamphila schon in den Wehen liegt und er in dem Verdacht steht, die psaltria dem Kuppler für sich entführt zu haben, wäh___________________________
8
Snell (1947) 1980, 235–236; Schmid 1959, 176–178; Lesky 1971, 729; Lefèvre 1979 (1), 334–335; 1994, 164. 9 Körte 1914, 78; Gaiser 1964, 145–150. “It is possible that Menander, who was a pupil in the Peripatetic school after Aristotle, favoured Micio as an embodiment of Aristotle’s ‘reasonable man’” (Barsby 2001, 245). 10 Das betont Gaiser 1967, 34: „Man kann behaupten, daß Menander, indem er den humanen Micio als den innerlich überlegenen Menschen und Erzieher darstellt, mit den Grundüberzeugungen der peripatetischen Ethik übereinstimmt […]. Zugleich aber ist zu bemerken, daß Micio das ganze Stück hindurch insofern in einem Zwielicht steht, als er von den anderen mißverstanden wird und sich sogar formal ins Unrecht setzt. Man sieht also, wie das Richtige nicht einfach feststeht, sondern sich – umstritten und anfechtbar – in den Konflikten des Lebens bewähren muß.“ 11 Norwood 1923, 122. 12 „Bei Menander ist das Verhältnis zwischen Micio und Aeschinus der Stamm, aus dem die ganze Handlung erwächst und dem sich die anderen Elemente beigesellen“ (Rieth 1964, 123).
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D. Vierter Teil: Weltbild
rend er beschuldigt wird, die Braut zu verraten, denkt er doch nicht daran, den Bruder im Stich zu lassen (625–628). Wie könnte sich ein Bruder dem Bruder gegenüber besser bewähren, wie ein Sohn die Erziehungsmethode des Vaters glänzender rechtfertigen? Andererseits sieht er, daß er Micio längst die Wahrheit hätte sagen müssen und ermahnt sich, endlich zu ‘erwachen‘ (631). Es kommt in einem der feinsten Dialoge der Neuen Komödie zu seinem Geständnis. Aeschinus empfindet Scham (me tui pudet, 683), und auch der Vater weiß, daß der Sohn nur aus Schamgefühl, aus Achtung vor ihm – pudor ist ein zentraler Punkt in Micios Erziehungsprogramm (57) – so lange gezögert hat (puduit, 690). Alles kommt ins Lot, wobei es ganz deutlich wird, daß Aeschinus’ Handeln nicht von Leichtfertigkeit bestimmt war. Er errötet (erubuit, 643). Damit hat er des Vaters Erziehungsmethode gerechtfertigt. Micio stellt glücklich fest: salva rest est (643).13 Man hat getadelt, daß Micio 53–54 sagt, er habe Aeschinus so erzogen, daß er ihm nicht, wie es andere Jünglinge täten, etwas verheimliche, daß Aeschinus ihm aber nichts von dem Verhältnis mit Pamphila erzählt habe. Sandbach stellt das sicher richtig: “This does not show that there was anything wrong with the educational methods, certainly not that they ought to have been stricter. Greater strictness would not have won him greater confidence.”14 Nicht nur Aeschinus, sondern auch Micio bewährt sich. b. Ars vitae Für die filanqrwpiva ist Lebenskenntnis Voraussetzung. Micio weiß, wie unterschiedlich die Alten und die Jungen mit dem Geld umgehen (830–835). Norwood hebt Micios “quiet and consummate knowledge of life” hervor und kommentiert seine Äußerung: “the finest instance is that exquisite brief sermon he offers to his brother just before Demea’s conversion; could anything be better than these gentle, pointed, and witty lines?”15 Überhaupt zeugt die große Rede 806–835b von überlegener Menschenführung, die letztlich den starren Bruder zu – teilweiser – Einsicht führt. Sie ist im Kern einer der Höhepunkte der Adelphoi. Bevor Micio in IV 5 feststellen kann, daß sich Aeschinus im Blick auf Pamphila zur Wahrheit durchgerungen hat, sagt er Hegio auf der Stelle zu, die peinliche Angelegenheit in Ordnung zu bringen: Er sehe in dieser Sache nicht, ___________________________
13 Verständnisvoll charakterisiert Büchner 1980, 128 den Dialog: „ein Treffen nach siegreicher Überwindung auf beiden Seiten, bei dem alles in Ordnung ist und das zeigt, wie die schwierigsten Lagen gemeistert werden können, wenn man den Dingen ins Gesicht schaut und sie nimmt, wie sie sind.“ 14 1978, 138–139. „Es ist ein feinsinniger, nicht genügend gewürdigter Zug des Stücks, daß sich Aeschinus in dem Augenblick, wo sein Vater die Wahrheit von anderer Seite erfahren hat, zu dem Eingeständnis seiner Schuld durchringt (629f.)“ (Lefèvre 1969, 41 Anm. 42). Nach Sherberg 1995, 113–115 schließt sich der Kreis zu Micios Eingangsmonolog. „Was Micio dort als Theorie formulierte, hat die Handlung in der Praxis gezeigt.“ 15 1923, 120–121.
I. Menander
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weshalb er so gelobt werden sollte; er tue seine Pflicht, wenn er eine Verfehlung, die seine Familie begangen habe, wiedergutzumachen suche, ego in hac re nil reperio quam ob rem lauder tanto opere, Hegio: | meum officium facio, quod peccatum a nobis ortum co r rig o (592–593). corrigere ist ein für Micios Lebensauffassung zentraler Begriff. Er handelt als filavnqrwpo". Später nimmt er corrigere in einem berühmten Bekenntnis seiner Lebensauffassung auf und bezeichnet arte corrigere als seine Leitmaxime. Menander läßt durch die inzwischen weitergeführte Handlung keinen Zweifel daran, daß hinter dieser Haltung tiefe Einsicht und Überlegenheit steht. Micio erscheint der Verlauf des Geschehens nicht als der wünschenswerteste.16 Auf Demeas Frage, ob es ihm gefalle, antwortet er, er könne es nicht ändern und ertrage es mit Gleichmut. Das Leben der Menschen sei so, wie wenn man mit Würfeln spiele: Wenn der Wurf, dessen es am meisten bedarf, nicht falle, daß man dann den, der gerade gefallen ist, mit Kunst ‚korrigiere‘ (737–741):
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DE. placet tibi factum, Micio? MI. non, si queam mutare. nunc quom non queo, animo aequo fero. ita vitast hominum quasi quom ludas tesseris: si illud quod maxume opus est iactu non cadit, illud quod cecidit forte, id art e u t c o rrig a s.
Wenn Micio sich auf die ars beruft, mit der dem Widrigen im Leben zu begegnen sei, ist die ars vitae (‚Lebenskunst‘) gemeint, eine Junktur, die bei Cicero begegnet.17 Sie bedeutet: aufgrund von Lebenserfahrung richtig reagieren. In diesem Sinn sagt Micio über seinen engstirnigen Bruder, es gebe nichts Ungerechteres als einen (lebens)unerfahrenen Menschen, der nur das, was er selbst tue, für richtig halte, homine imperito numquam quicquam iniustiust | qui nisi quod ipse fecit nil rectum putat (98–99). In diesem Sinn ist Thais eine Schwester Micios, die nach dem Scheitern ihrer Pläne durch den allzu stürmischen Chaerea verständnisvoll sagt: non adeo inhumano ingenio sum, Chaerea, | n eq u e ita in p erita ut quid amor valeat nesciam (Eun. 880–881). Rieth spricht in diesem Zusammenhang von ‚alten Forderungen hellenischer Lebensweisheit‘ und vergleicht Sophokles Fr. 861 N.2 = 947 R.:18 stevrgein de; tajkpesovnta kai; qevsqai prevpei sofo;n kubeuthvn, ajlla; mh; stevnein tuvchn.
Die Komödie hat sich diese Weisheit zu eigen gemacht. Bei Alexis heißt es: ___________________________
16 Sehr fein ist Micios Versuch, schon 727 zu äußern, daß er eine andere Wendung des Geschehens vorgezogen hätte (malim quidem…), aber er wird von Demea unterbrochen. Das könnte auf Menander zurückgehen. 17 Cic. Tusc. 2, 12 (philosophisch grundiert); der Gedanke (satirisch auf Nasidienus bezogen) auch bei Hor. Sat. 2, 8, 84–85 arte | emendaturus fortunam (Otto 1890, 38). 18 1964, 95 mit Anm. 138. Dort wird (wie schon von Dziatzko / Kauer 1903, 112) Plat. Politeia 604c 6–7 genannt: w{sper ejn ptwvsei kuvbwn pro;" ta; peptwkovta tivqesqai ta; auJtou' pravgmata.
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D. Vierter Teil: Weltbild toiou'to to; zh'n ejstin w{sper oiJ kuvboi.19
Zum menschlichen Leben gehören Irrungen / Wirrungen, die zu meistern sind. Wann wären sie auf der Bühne versöhnlicher dargestellt worden? c. filanqrwpiva und Humanitas In die Nähe der filanqrwpiva gehört der Komplex, den die Römer mit Humanitas bezeichnen.20 So wenig wie die filanqrwpiva ist er fest umrissen. Die Begriffe sind nicht gleichzusetzen, haben aber wesentliche Berührungspunkte. Oft wird das Herausstellen der Humanitas als ein Anliegen des zum sogenannten Scipionenkreis gehörenden Terenz bezeichnet. Das trifft zumindest nicht auf die Bearbeitung der Adelphoi zu. Wer den Vertreter der filanqrwpiva in den Schlußszenen der Komödie so schnöde abfahren läßt, dem kann nicht daran liegen, eine entsprechende römische Variante herauszustellen. Im übrigen praktiziert Terenz dieses Verfahren schon drei Jahre zuvor im Heautontimorumenos, in dem er den Vertreter der filanqrwpiv a , Chremes, der den berühmten Ausspruch tut homo sum: humani nil a me alienum puto (Ht. 77), am Schluß als Versager hinstellt.21 Man könnte versucht sein, in Micios Vorwurf an den Bruder si esses homo (107)22 – dem Demea bissig repliziert tu homo (111)23 – auf ‚scipionisches‘ Gedankengut zu schließen. Martin bemerkt jedoch zu Recht: “there is no need to try to relate this to the Scipionic Circle’s ideal of humanitas: the conduct to be expected of one who is fully and truly human is already found in Menander, as (e. g.) the oxymoron of Dyskolos 6 (ajpavnqrwpov" ti" a[nqrwpo" ‘an unhuman human’) clearly shows.” Nach Micios Meinung versagt Demea in menschlichen Dingen, d. h. im richtigen Umgang mit seinem Sohn. Damit ist der Bereich der filanqrwpiva angesprochen. In diesen Zusammenhang gehört es, wenn Hegio 470–471 über Aeschinus und Pamphila sagt: persuasit nox amor vinum adulescentia: | humanumst.24 Nicht kommt es an dieser Stelle auf das menschliche Fehlen an, sondern darauf, wie der Sprecher das Fehlen beurteilt. Donat erklärt zu 471: hoc dicere solemus, ubi peccatum quidem non negamus, sed tolerabile esse dicimus (1). Entsprechend äußert sich Micio über dasselbe Geschehen: iam id peccatum primum sane magnum, at humanum tamen (687). Auch an dieser Stelle kommt es auf die ‚humane‘ Beurteilung an. „Die Art und Weise, mit der hier Micio dem Ä. Vorwürfe ___________________________
19 20 21 22
Fr. 34 35 K. / A. Zum Humanitas-Bereich in den Adelphoe Comerci 1994, 16–23. Lefèvre 1973, 1994, 2013. Auf derselben Ebene liegt Micios Ausspruch vix humane patitur (145): Demea reagiert nicht so, „wie es dem Menschen ziemt“ (Spengel 1905, 30). 23 Wohl richtig Dziatzko / Kauer 1903 „Demea zahlt dem Micio damit das si esses homo (V. 107) heim“. Anders Martin 1976, 119 (das folgende Zitat S. 118). 24 Es ist wahrscheinlich, daß Hegios Unterredung mit Demea in III 4 von Terenz stammt und Hegio diese Gedanken bei Menander in ‚IV 3‘ Micio vortrug (S. 96–97, 99–100).
I. Menander
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macht, läßt seinen milden Charakter im schönsten Lichte erscheinen.“25 Hegio und Micio sind Gesinnungsgenossen.26 Dasselbe Fehlen bewertet Thais bei Chaerea in eben der Weise wie Hegio und Micio bei Pamphilus in den schon zitierten Worten: non adeo inhumano ingenio sum, Chaerea, | neque ita inperita ut quid amor valeat nesciam (Eun. 880–881). Wieder ist humanus im Bezug auf den Beurteilenden, nicht im Bezug auf die zu beurteilende Tat gebraucht. d. Menandrische Gedankenwelt Micio ist eine beeindruckende Gestalt. Er könnte wie Menanders Chremes sagen: homo sum, humani nil a me alienum puto (Ht. 77). Der Heautontimorumenos hat manches mit den Adelphoi gemein. Auch in ihm kommen ein Vater und ein Sohn vorübergehend in einen falschen Verdacht. Micio gerät in den Augen des engstirnigen Bruders in ein schiefes Licht, weil dieser schließt, Aeschinus habe Bacchis für sich geraubt. Ähnlich bemerkt Menedemus in Ht. V 1, daß die Hetäre Bacchis, die bislang als Mädchen seines Sohns Clinia galt, die Geliebte des Nachbarsohns Clitipho ist. Er sieht, daß nicht der Sohn, sondern der Freund das Geld für die Hetäre braucht, und schließt, daß der bis zu diesem Zeitpunkt human und überlegen erscheinende Chremes mit der Erziehung Clitiphos Schiff bruch erleide. Chremes wird aber – wie Micio – zu Unrecht verdächtigt, denn es stellt sich heraus, daß Clitipho das Geld dafür benötigt, Clinias Geliebte Antiphila, die bei Bacchis verschuldet ist, freizukaufen. Chremes wird bei Menander am Schluß – wie Micio – gerechtfertigt.27 Clitipho kümmert sich um den Freund Clinia. Wie Ctesipho beabsichtigt, Selbstmord zu begehen, beabsichtigt Clinia in die Fremde zu gehen. Wie Ctesipho findet Clinia in dem human geführten Nachbarhaus Aufnahme. Wie Ctesipho läßt ihn die Furcht vor der Engstirnigkeit des Vaters dessen Haus meiden. Um Clitipho zu helfen, ist Clinia bereit, die Hetäre Bacchis als seine Geliebte auszugeben, obwohl er das Bürgermädchen Antiphila liebt. Die dadurch entstehenden Verwirrungen nimmt er aus Freundschaft in Kauf, obschon Chremes ihm Antiphila wegen des Umgangs mit der Hetäre nicht zur Frau geben will. Wie Aeschinus gerät er in ein falsches Licht. Verwandt ist die Situation in der Samia. Moschion ist bei einem Adonisfest mit der Nachbartochter Plangon intim geworden. Als sie darauf schwanger wird, geht er zu ihrer Mutter, verspricht die Heirat (uJpescovmhn gamei'n, 52), sobald der Vater von der Geschäftsreise zurückgekehrt sei, und schwört einen Eid (w[mosa, 53). Auch er steht zu seiner Tat. Die Handlung ist insofern verschieden, als Moschion den (verreisten) Vater nicht um Zustimmung bitten kann, Aeschinus aber Scheu hat, den Vater zu bitten. In anderem Zusammenhang empfindet ___________________________
25 Dziatzko / Kauer 1903, 107. 26 D II 6 c (S. 155–158). 27 Die dargelegte Problematik gilt nur für das Original, nicht für die terenzische Bearbeitung: Lefèvre 1973, 1994, 2013.
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Moschion aber auch Scham: In seinem Bericht über das Geschehen bei dem Adonisfest zögert er, ‚das weitere‘ zu erzählen, er schämt sich (aijscuvnomai, 47–48). Insoweit steht hinter Aeschinus der menandrische Jüngling. Ein schiefes Licht fällt ebenfalls auf Thais im Eunuchos, die gezwungen ist, sich vorübergehend dem großspurigen Militär Thraso zu widmen, um ihre Pflegeschwester auslösen zu können. Da ihr Liebhaber Phaedria das wahre Motiv nicht kennt, muß er an der Aufrichtigkeit ihrer Worte und damit an ihrer Liebe zweifeln (Eun. I 2). In den Epitrepontes geraten zwei Personen in zweifelhaften Verdacht. Pamphila hat vor der Hochzeit ein Kind von ihrem Gatten empfangen, ohne daß sie um ihre frühere Identität wissen. Charisios verläßt seine unschuldige Frau aufgrund falschen Wissens. Es ergeben sich Komplikationen, und er gerät seinerseits bei dem Schwiegervater in ein schiefes Licht – bis sich am Ende alles klärt.
3. ijdiwtologiva und pädagogisches Defizit Demea gibt sich auf seine Weise Mühe, den Sohn zu erziehen. Er soll sein Ebenbild werden. Aber anders als Micio wird er von Ctesipho tatsächlich hintergangen. Während Aeschinus sich letztlich von allein zu einem Geständnis dem Vater gegenüber durchringt, ist das – soweit Terenz Menander wiedergibt – bei Ctesipho nicht der Fall. Er verheimlicht seine Liebe zu der Hetäre, und Demea muß von sich aus dahinterkommen. Menander hat durch diesen Kontrast keinen Zweifel daran gelassen, daß Demeas Erziehungsmethode nicht die richtige ist. Es wäre zuviel gesagt, Demeas Prinzipien seien gescheitert, denn im Grund ist Ctesipho ein anständiger Kerl. Micio singt in 821–830 zu Recht ein Loblied auf beide Söhne. Der Ausgang des menandrischen Stücks legt ein Urteil über die unterschiedlichen Erziehungsprinzipien der älteren Brüder ab. Es ist anzunehmen, daß das, was Micio in I 1 über Demea äußert, und das, was dieser in I 2 selbst erkennt, im großen und ganzen auf Menander zurückgeht. Nicht sollte Demea seine starre Einstellung gegenüber Ctesiphos Umgang mit einer, wie er meint, kostspieligen Hetäre vorgehalten werden. Auch andere Väter der Nea sind gegen solche Verhältnisse, und die aufzubringenden Summen, in der Regel zwischen 20 und 40 Minen, rücken die gevronte" nicht freiwillig heraus. Das Geld muß vielmehr von den Sklaven mühsam beschafft werden. Meistens springt Tyche mit einer Anagnorisis ein, die zur Folge hat, daß der Vater der wiedererkannten Tochter gern die erforderliche Summe aufbringt. Dennoch ist Demea wohl auch bei Menander im allgemeinen sparsam. Andere Väter sind das nicht. Ein Beispiel ist Demeas in der Samia, der seinen Sohn, wie Moschion im Prolog erzählt, großzügig erzogen hat – in einer Weise, die die Freigebigkeit des menandrischen Micio wohl noch übertraf. Polternde gevronte" wie Demea hat Menander auch sonst auf die Bühne gestellt. Knemon und Kallipides im Dyskolos oder Smikrines in den Epitrepontes sind Beispiele. Knemon (Dysk. 32, 628, 747) und Smikrines (Epitr. 1079) wer-
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den calepoiv genannt.28 Sie sind natürlich ‚komisch‘, aber sie spiegeln auf der anderen Seite Lebenswirklichkeit wider.29
4. Sklavenethik Menander liebt hilfsbereite Sklaven, die den Herren treu ergeben sind. Im Heros steht „der Sklave Daos sittlich höher als die ganze bürgerliche Gesellschaft, in der er lebt.“30 Getas im Misoumenos ist ein anderes Beispiel.31 Im allgemeinen intrigiert der Sklave nicht zu seinen Gunsten, sondern im Interesse des oi\ko".32 Geta ist in den Adelphoi mitfühlend und mitleidend mit den Problemen der Herrin und ihrer Tochter. Menander zeichnet ein positives Sklavenbild. Syrus kommt in seiner Hilfsbereitschaft Geta nahe. Terenz verdeckt mit Zügen des plautinischen Intriganten das originale Bild völlig. Canthara steht als Amme hinsichtlich des Charakters mit Geta und Syrus auf einer Stufe. Donats Kommentar zu 288 dürfte auch auf die originale Gestalt zutreffen: hinc demonstratur, qui sit maternus affectus, quam grata in dominos servorum fides sit, eundemque laborem et dolorem esse ex falsis quem ex veris malis (2). Canthara wird Sostrata in eben dem Maß wie Philinna im Georgos Myrrhine eine Stütze gewesen sein. Vielleicht trug sie zur Anagnorisis bei. Sie kann die kleine Bacchis bald nach der Geburt in Sostratas Auftrag fortgegeben haben. Parmeno gehört nicht in die Adelphoi.
5. Pflicht des oi\ko" Hegio könnte sein Dasein dem Umstand verdanken, daß in den Adelphoi Bacchis und Pamphila wahrscheinlich Töchter Micios und Sostratas aus einer vorehelichen Begegnung waren und es nicht geschmackvoll gewesen wäre, wenn Simulus diese Aufklärung erleben mußte. Deshalb ist er tot (457, 493), und Hegio avancierte zum Schützer seiner Familie. Er konnte bei Pamphilas Anagnorisis Hilfe leisten. Es liegt nahe, daß er als Onkel der Braut an der geplanten Hochzeit ___________________________
28 Blume 1998, 123 mit Anm. 76. 29 Wahrscheinlich spricht Donat zu 99 bei Demea von ijdiwtologiva (3), wenn das Wort in M richtig überliefert ist (kompetente Auskunft wird Rainer Jakobi verdankt). Es wäre eine gute Charakterisierung für die drei gevronte". Donat sagt zu Micios Worten über Demea homine imperito numquam quicquam iniustiust, | qui nisi quod ipse fecit nil rectum putat (98–99): ijdiwtologiva: hoc enim proprium rusticorum atque imperitorum. Er versteht ijdiwtologiva als bäurische Unerfahrenheit, eigenbrötlerische Sturheit – eine Haltung, die der des filavnqrwpo", der sich flexibel um das Verständnis anderer bemüht, entgegengesetzt ist. Natürlich sagt das griechische Wort nichts Direktes über den griechischen Demea aus, aber es darf wohl als Gegenbegriff zu filanqrwpiva (nur ad hoc) gebraucht werden. (Donat spricht sonst von ijdiwtismov", dessen Bedeutungsnuancen Jakobi 1996, 125–127 herausstellt; zu ijdiwtologiva dort S. 127 und 162.) 30 Körte 1914, 81. 31 Gaiser 1973, 126–129 (‚Die Humanität des Sklaven‘); Zimmermann 2006, 204. 32 Lesky 1971, 738.
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teilnahm. Er war als nächster männlicher Verwandter nach dem griechischem Erbtochtergesetz verpflichtet, für Pamphila zu sorgen – sie notfalls gar zu heiraten.33 Wenn Menander Hegio auch kaum wie Terenz gesellschaftspolitische Maximen in den Mund legte,34 dürfte er mit ihm eine würdige Figur geschaffen haben, die in der schwierigen Lage, in der sie zu Hilfe gerufen wird, auf humane Weise vermittelt. Öfter wird diese Rolle von einem älteren Nachbar übernommen – wie von Callipho im Pseudolus-Original.
II. Terenz 1. Menschenwitz statt Weltdeutung Mit dem Institut der Anagnorisis eliminiert Terenz die göttliche Lenkung der Welt durch Tyche. Die Menschen handeln nach Gutdünken. Auf der Herrenebene entfaltet sich Demeas Bosheit nach Belieben, zunächst mehr passiver, schließlich aktiver Art. Ihm steht als Pendant der kluge Witz des Sklaven Syrus gegenüber. Wieweit ethische Kategorien das terenzische Geschehen bestimmen, ist nicht leicht zu sagen. Micios Handeln könnte in Rom von Anfang an schwächlich erschienen sein. Syrus will zwar Ctesipho helfen, aber er benimmt sich Demea gegenüber frecher, als es für das Handlungsziel erforderlich ist. Aeschinus will zwar seinem Bruder helfen, aber er benimmt sich Sannio gegenüber frecher, als es für das Handlungsziel erforderlich ist. Wie der Sklave so der Herr. Terenz ist nicht Plautus, aber auch in den Adelphoe steckt eine gehörige Portion der moralischen Indifferenz, die für die Personen der Palliata und des Stegreifspiels charakteristisch ist.35
2. Plautinisch-Saturnalisches statt Ethik „In dieser tollen Komik überstürzen sich die Einfälle, da gibt es kein ritardando, dieser Micio muß ja sagen, und wenn ihm des Teufels Großmutter angeboten wird.“36
Es wird oft betont, daß Terenz bis zu einem gewissen Grad Kenntnis der plautinischen Komödien hat.37 Der Eunuchus wird als seine ‚plautinischste‘ Komödie bezeichnet.38 Angesichts der Förderung durch die nobiles und die Theaterdirektoren Ambivius Turpio und Atilius Praenestinus ist anzunehmen, daß er zu den ___________________________
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B IX (S. 81–82). D II 6 d (S. 158–159). Hinck 1965, 37; Stärk 1989, 7–8; (1991) 2005, 94–95; Lefèvre 1999 (2), 24–26. Wilamowitz 1925, 137. Er hält das Finale für menandrisch: Es ist plautinisch. Skeptisch (von Einzelfällen abgesehen) Deufert 2002, 25–29, dagegen Sharrock 2009, 68 Anm. 115. 38 Barsby 1999, 15; Lefèvre 2003, 186; Karakasis 2005, 122 (Literatur in Anm. 122).
II. Terenz
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Texten, die sich in deren Archiven befanden, Zugang hatte.39 Es kann nicht so sehr darum gehen, einzelne Anklänge nachweisen zu wollen,40 was immer ein umstrittenes Unternehmen ist – zumal wenn man meint, daß mehrfach terenzische Phrasen in den Plautus-Text interpoliert seien.41 Es geht vor allem darum, daß sich bei Terenz eklatant plautinische Denkmuster und Strukturen42 finden.43 Natürlich sind die Caecilius-Komödien eine große Unbekannte, da zwar zahlreiche Verse erhalten sind, aber Fragmente im allgemeinen keine größeren Zusammenhänge erkennen lassen. Manches Plautinische kann Terenz durch Caecilius vermittelt sein, wenn dieser Plautus gefolgt ist. Es handelte sich dann um mittelbaren plautinischen Einfluß. Eine weitere nicht zu unterschätzende Quelle ist das altitalische Stegreifspiel, das sowohl auf Plautus als auch auf Terenz eingewirkt hat. Unsicherheiten werden im einzelnen immer bleiben. Das wichtigste Erbe, das Plautus an Terenz weiterzugeben scheint, ist die Abwertung der Senes am Ende. Sie ist für den saturnalischen Charakter von Plautus’ Komödien bezeichnend, mit dem er in der streng gefügten römischen Gesellschaft die größte Wirkung erzielt haben dürfte. Zu der Verspottung der alten Herren gehört komplementär die Selbstüberhebung der Sklaven. Die Senes stehen am Schluß als Verlierer da. Eindrückliche Beispiele bieten Bacchides, Casina, Mercator, Pseudolus: Die Sklaven schalten als Architecti doli nach Belieben. In dieser Tradition steht, daß in den Adelphoe der überlegene Micio des Originals am Ende abgewertet wird. Terenz macht sich – im Einvernehmen mit seinen Gönnern, wenn nicht in deren Auftrag – einen Spaß daraus, griechische Philosophie in römische Satire zu wenden.44 Melanchthon nennt das Ziel, das Terenz mit Micios Gestalt erstrebt: „In cuius persona Terentius nobis ridicula prodigalitatis exempla proponit.“45 Auf der anderen Seite läßt er in den ersten viereinhalb Akten auch Demea manchen üblen Streich gespielt werden. Plautinische Formulierungen, die in diesen Zusammenhängen erscheinen, begegnen sicher nicht zufällig, so wenn Syrus Ctesipho verspricht, er werde Demea besänftigen: tam placidum quam ovem reddo (534). Das ist eine beliebte plautinische Metapher,46 die mit Vorliebe für alte – verliebte – Männer gebraucht wird, ___________________________
39 “I do not find it plausible that a literary artist of Terence’s skill, who appears to have had access to many works of literature both Greek and Roman, would not have read and closely studied the works of his illustrious predecessor” (Sharrock 2009, 68 Anm. 115). 40 Deufert 2002, 27; Karakasis 2005, passim. 41 Deufert 2002, 28, der sich methodisch und sachlich auf Zwierlein beruft. 42 Hierzu gehört der Servus currens, den Terenz in plautinischer Manier verwendet (in den Adelphoe: III 2): C I 3 d (S. 120–121). 43 Ferner könnte Terenz in der Metrik von Plautus profitieren. Questa 1984, 415 zum Canticum 610ff.: «Tutto, o moltissimo, sembra dunque plautino in questo canticum». 44 Terenz dürfte auch in den ersten Akten an Micios Lack kratzen: B VI 2 (S. 72–73). 45 1853, 758. 46 Dziatzko / Kauer 1903, 91; über die griechische Tradition Otto 1890, 260–261.
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die bloßgestellt werden, so ovem […] natam annos sexaginta (Merc. 524)47 oder vetuli verveces (Cas. 535);48 am bekanntesten ist das von Fraenkel so genannte ‚Schafduett‘ (Ba. 1120–1148).49 Vielleicht verdankt Terenz eine weitere Metapher Plautus. Syrus gibt bei der Zubereitung von Fischen den Befehl: gongrum istum maxumum in aqua sinito ludere | tantisper; ubi ego venero, exossabitur (377–378). Nach Dziatzko / Kauer deutet er ‚verstohlen‘ auf Demea,50 den er zappeln läßt und gleich noch mehr verspotten wird. Terenz könnte sich auf Sosias Ausruf hic me quasi murenam exossare cogitat (Amph. 318) beziehen, der sich von Merkur verspottet fühlt, oder auf Pseudolus’ exossabo ego illum simulter itidem ut murenam coquos, der Ballio überlisten will (Pseud. 382). In den Bereich plautinischer Betrügereien und Feilschereien gehört Syrus’ Vorschlag an Sannio dividuum face (241). Es ist eine ‘Plautine convention’, daß man die Beute großzügig teilt.51
3. Raffinesse statt Beschränkheit Demea verändert sich wie Micio auf dem Weg von Athen nach Rom. Donat charakterisiert das permanente Irren und In-die-Irre-Geführt-werden zu 540 (3): vide initium conveniens perpetuo maerori Demeae: per totam fabulam aut ‚disperii‘ (355) dicit aut ‚defessus sum‘ (713) aut tale quid semper, quo queratur, ita tamen, ut cum augmento sit miseria, quotienscumque processerit. nam plus est quod nunc dixit ‚ne ego sum infelix‘ quam ‚disperii‘. Gewiß ist es ein ridiculus error,52 wenn ihn über weite Strecken Syrus irreleitet und verspottet. Aber dann schlägt Demea zu. Er beschließt, Micio bloßzustellen. Der Bauer53 legt sich Bauernschläue zu. So wie dieser Begriff im Deutschen einen negativen Beiklang hat, werden feiner gebildete Zuschauer Demeas raffiniertes Handeln zwiespältig aufgenommen haben. Nichts ist dagegen einzuwenden, wenn sich jemand plötzlich umgänglich gebärdet, aber alles, wenn es zu Lasten eines anderen geht. Demea profiliert sich auf Kosten seines Bruders. Er nimmt das bewußt in Kauf (881). Aber die Masse der römischen Zuschauer wird nicht lange über Demea nachgedacht haben, falls sie ihn nicht gar bewunderte. Ihr Hauptinteresse galt Micio, der bisher überlegen handelte und nunmehr nach Strich und Faden verspottet wurde, wie man das von Plautus her gewohnt war – und vom Stegreifspiel. ___________________________
47 Natürlich ist die Metapher (ebenso wie das Denken) plautinisch; „so kann nur der Italiker sprechen“ (Fraenkel 1922, 74). Zur Stelle Lefèvre 1995, 59. 48 Auch hier geht die Metaphorik auf Plautus zurück: Lefèvre 1979 (2), 337. 49 „Man kann […] garnicht daran zweifeln, daß dies Ornament sein [sc. Plautus’] Eigentum ist“ (Fraenkel 1922, 73); im einzelnen: Lefèvre 2011, 139–140. 50 1903, 77. 51 B II 1 (S. 54). 52 Donat zu 546 (2). 53 a[groiko" (Fr. *14 K. / A.) / agrestis (866).
II. Terenz
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4. Sklavenwillkür Terenz vernachlässigt die Sklavenwelt nicht. Es ist zu sehen, daß er ihr durchaus Züge verleiht, die schon Plautus seinen Sklaven gab. Syrus ist eine plautinische Figur, die sich gegenüber den dramatischen Erfordernissen der Handlung verselbständigt. Er ist der Architectus doli, der er auch bei Menander war – nur ist er bei Terenz erheblich gerissener. Die Tatsache, daß er Demea meh r f ach irreführt, ist charakteristisch für die Palliata, in der sich die Intrigen verselbständigen. Auch daß er Demea dreist begegnet und ihn geradezu aufzieht, steht ganz in der Tradition der plautinischen Komödie. Trotzdem zeichnet ihn Terenz mit Sympathie.54 Syrus’ dominierende Rolle wird von Donat hervorgehoben: in hac primae partes sunt ut quidam putant Demeae, ut quidam Syri. quodsi est, ut primas Syrus habeat, erunt secundae Demeae, tertiae Micionis et sic deinceps. quamquam etiam sunt, qui putant primas Micioni dandas, secundas Syro, tertias Demeae.55 Das ist erstaunlich. Daß sich der Sklave so in den Vordergrund spielt, geht auf Terenz zurück. Die Zuschauer, die noch Plautus kannten, werden ihm dankbar gewesen sein. In diesen Zusammenhang gehört Syrus’ Hang zum Feiern. Er ist selbstverständich Teilnehmer des Gelages der jungen Herren in Micios Haus (589–591), womit wiederum eine plautinische Tradition aufgenommen wird. Es genügt, an den fünften Akt des Stichus zu erinnern, in dem die Sklaven ganz ohne Herren trinken und tanzen. Wie der betrunkene Titelheld im fünften Akt des Pseudolus demonstriert auch Syrus in V 1 und V 2 seinen Postgelagezustand auf offener Bühne. Er hat es dringend nötig, den Rausch auszuschlafen (786). Ein origineller Zug wird Syrus von Terenz in III 3 verliehen, wenn er sich als Koch erweist, der, wie er jedenfalls behauptet, den Küchenhelfern Anweisungen für die richtige Zubereitung einer Mahlzeit gibt. Da diese Eigenschaft mit der übertriebenen, auf Terenz zurückgehenden Verspottung Demeas in Zusammenhang steht (Syrus parodiert Demeas Erziehungsprinzipien), ist die uneigentliche Verwendung der Kochrolle, wie sie auch bei Plautus zu beobachten ist,56 eine zusätzliche Ausstattung dieser Figur durch den römischen Dichter. Geta ist um das Wohl der Herrinnen, Sostrata und Pamphila, besorgt. Wenngleich der Auftritt als Servus currens der Belebung der Szene dient und Plautus in Erinnerung bringt, offenbart er sein anständiges Denken. Perelli nennt ihn einen ‹servo ideale›, «il quale considera le disgrazie dei padroni come sue, e si adopera per portarvi rimedio non con espedienti e raggiri, ma cercando l’appoggio delle persone oneste; egli è addirittura il principale sostegno economico ___________________________
54 «L’unico servo astuto trattato con simpatia da Terenzio è Siro degli Adelphoe, il quale però non ordisce trame, ma ha la funzione di ironizzare il conservatore Demea e la sua stolida saccenteria» (Perelli 1973, 57). 55 Praef. I 4. 56 Dohm 1964, 259–272. Zu Syrus’ Kochrolle B III (S. 56–57).
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D. Vierter Teil: Weltbild
della famiglia di Sostrata (479–82).»57 Gewiß kennt Menander positive Sklavenbilder, doch betont Bianco, die Verse 479–482, in denen Hegio über Geta spricht, könnten nicht bei Menander gestanden haben.58 Da es sich bei III 4 aller Wahrscheinlichkeit nach um eine terenzische Szene handelt,59 unterstriche das die Annahme, daß dieses Sklavenlob auf den römischen Dichter zurückgeht. Parmeno wird in II 1 als brutaler Schläger gegenüber Menander eingeführt, ohne daß zu sagen ist, ob Diphilos eine Anregung gegeben hat. Daß Aeschinus über zwei Sklaven verfügt, entspricht nicht dem Usus der Nea. Canthara ist die alte vertraute Amme Sostratas, der diese in III 1 und III 2 ihr Leid klagen kann. Sie dient dazu, das Pathos beider Szenen zu verstärken. Der Name (‚Weinhumpen‘) ist wie bei anderen Ammen der Palliata per se lustig, ohne daß die angedeutete Eigenschaft zum Tragen kommt.
5. Der Einfluß des ‚Scipionenkreises‘ «Il y a beaucoup d’apparence que des gens aussi polis que Scipion & Lælius avoient beaucoup de part à ces Pieces».60
Der Prolog der Adelphoe gibt einem engen Verhältnis des Dichters zu hohen Gönnern Ausdruck (15–21). Daß es sich nicht um ein allgemeines Elogium für unbedeutende Hilfeleistungen handeln, sondern eine enge Beziehung vorliegen dürfte, zeigt der dem Dichter gemachte Vorwurf, die nobiles unterstützten ihn und arbeiteten mit ihm beim Schreiben beständig zusammen (homines nobilis | hunc adiutare adsidueque una scribere, 15–16). Terenz stellt das Faktum nicht in Abrede, sondern betrachtet es als größtes Lob. Wenn der Tadel aus der Luft gegriffen wäre, wiese er ihn entschieden zurück. Täte er es nicht, wäre sein Verhalten skandalös. Sueton erklärt in der Vita 4: videtur autem levius se defendisse, quia sciebat et Laelio et Scipioni non ingratam esse hanc opinionem, quae tamen magis et usque ad posteriora tempora valuit. Das klingt nicht unwahrscheinlich. Um welche nobiles handelt es sich? Nach Sueton ist es keine obscura fama, daß es Scipio Aemilianus und Laelius sind (Vita 4). Donat zögert nicht, zu 15 festzustellen Scipionem Africanum significat et Laelium Sapientem et Furium Philum (2) und zu 20 ganz spezielle Anspielungen zu sehen: ‚in bello‘: Scipionis, ‚in otio‘ Furii Phili, ‚in negotio‘ Laelii Sapientis.61 Auch der Einfluß der ___________________________
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1973, 57. 1962, 192. C I 1 zu III 4 (S. 96–97). Dacier (1688) 1706, 254. Farnabius verweist auf die Vita und nennt außer Scipio Aemilianus und Laelius – wie schon der von Sueton erwähnte Grammatiker Santra (1. Jh. v. Chr.) – Sulpicius Gallus, Q. Fabius Labeo und M. Popillius (bei Schrevelius 1686, 468), ebenso Dziatzko / Kauer 1903, 29. Umbrico 2010 nimmt die Frage nach der Identifikation der nobiles (Ad. 15) auf. Scipio Aemilianus und Laelius seien als Förderer zu jung gewesen, es sei
II. Terenz
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Gönner auf das Werk wurde in der Antike diskutiert. Cicero berichtet von der Ansicht, die ‚terenzischen‘ Stücke seien wegen der Eleganz der Rede von Laelius geschrieben worden (Terentium, cuius fabellae propter elegantiam sermonis putabantur a C. Laelio scribi, Ad Att. 7, 3, 10). Sueton überliefert sogar, Laelius habe den Vers Ht. 723 gedichtet (Vita 4).62 An Scipio Aemilianus wurde ebenfalls gedacht. Nach Quintilian hinken die Römer in der Komödie am meisten hinter den Griechen her, obwohl man Terenz’ Werke mit Scipio Aemilianus in Verbindung bringe (licet Terenti scripta ad Scipionem Africanum referantur, 10, 1, 99). Es ist naheliegend, daß manches, was über diese Verbindung gesagt wurde, übertrieben ist, aber reine Erfindungen werden es auch nicht sein. Grundsätzlich sind zwei Zeitstufen auseinanderzuhalten: die Abfassung und die Aufführung der Adelphoe. Während der Anlaß der Aufführung feststeht, ist über die Zeit der Abfassung nichts bekannt. Scipio Aemilianus und Fabius Aemilianus gehören als Festgeber der Ludi funebres auf jeden Fall zu den Förderern. Sie werden das Werk ausgesucht haben. Also sind sie zu den im Prolog genannten nobiles zu zählen. Nur dessen Aussagen können ganz aktuell gewesen sein. Das Stück selbst muß seine Gestalt im wesentlichen gehabt haben, als die Aufführung angeordnet wurde. Wenn das Begräbnis drei bis fünf Tage nach dem Tod vonstatten ging und die Spiele „wenistens ursprünglich“ am neunten Tag danach stattfanden (Ludi novemdiales),63 war für größere Adaptationen nicht viel Zeit.64 Der Text war noch einzustudieren. Auch die 165 durchgefallene Hecyra mußte erneut erarbeitet werden. Man kann sich die Hektik der Tage vorstellen. Es wird vieles unvollkommen gewesen sein, und das (zweite) Durchfallen der Hecyra könnte damit in Zusammenhang stehen. Für den erfolgreichen dritten Anlauf an den Ludi Romani konnte man sich Zeit lassen. Aufgrund dieser Umstände ist es wahrscheinlich, daß es sich bei möglichen Anspielungen auf Aemilius Paullus, die die Forschung diskutiert hat, vor allem um solche auf den Lebenden, nicht so sehr um solche auf den Toten handelt. Die Nachricht des Prologs über das una scribere der nobiles bezieht sich auf die Zeit der Abfassung. Was ist gemeint? Es ist nicht anzunehmen, daß ein so wort___________________________
vielmehr an die ‹generazione precedente› zu denken (93), darunter Aemilius Paullus (105). Das mag auf Terenz’ Karriere allgemein zutreffen, kaum aber auf die Adelphoe. 62 Dazu der ‚Ausblick‘ (S. 167). 63 Marquardt / Mau 1886, 380; Umbrico 2010, 103. Streng genommen geht es darum, daß während der neuntägigen Trauerzeit (novemdial) keine Spiele stattfinden durften. Wenn es nach Liv. 41, 28, 11 beim Tod des berühmten Titus Flamininus 174 viertägige munera (Gladiatorenspiele) und ludi scaenici gab (Bernstein 1998, 233, Anm. 29), könnte man daran denken, daß diese wegen der Vorbereitungen mehr als neun Tage nach dem Begräbnis gegeben wurden – doch sicher in größter zeitlicher Nähe. 64 Andererseits konnte man mit Paullus’ Ableben rechnen, denn er war, wie Plutarch Aem. Paul. 39 berichtet, vor dem Tod von schwerer Krankheit befallen und hielt sich zur Erholung in Velia auf. Doch kehrte er nach Rom zurück, leitete öffentliche Opfer und verstarb wenig später.
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gewandter und stilsicherer Dichter wie Terenz in seinem sechsten Stück der Nachhilfe in poeticis bedurfte.65 Es werden ganz bestimmte Vorgänge gewesen sein. So könnte man ihm die Herausarbeitung von juristischen Problemen nahegelegt haben, wie er sie schon früher dargestellt hatte. Auch mögliche standespolitische Forderungen, die aus Hegios Stellungnahmen herauszuhören sind, werden ebenso wie prosopographische Anspielungen, die erwogen wurden, das Einverständnis, wenn nicht die Initiative der Gönner erfordert haben.
6. Das Rechtsdenken nach dem Prinzip der aequitas Die Adelphoe sind in einem Maß mit juristischen Begriffen unterfüttert,66 daß es sich nicht um Zufall handeln kann. Es ist zu vermuten, daß Terenz einen Beitrag zu aktuellen Aspekten der aequitas liefern wollte, mit denen sich seine Gönner befaßten. Das Verfahren ist natürlich älter, doch scheint es zu dieser Zeit besonders diskutiert worden zu sein. Mit Nachdruck ist zu betonen, daß weder Terenz den Rechtsbegriff systematisch entwickelt hat67 noch die folgenden Ausführungen eine rechtshistorische Abhandlung darstellen. Sie möchten vielmehr Anregungen zum Verständnis der Adelphoe bieten.68 Zur Terminologie ist zu bemerken, daß Terenz nicht aequitas, sondern nur aequom gebraucht. a. Rückblick auf Heautontimorumenos (ius summum saepe summa malitia) und Phormio (in integrum restitutio) Schon in zwei vorausgehenden Stücken nimmt Terenz, wie es scheint, zu Verfahren nach dem Prinzip der aequitas Stellung. Obwohl sie bereits untersucht worden sind,69 werden die Ergebnisse um der Evidenz willen zusammengefaßt. Im Heautontimorumenos von 163 begegnet die für ein juristisches Ohr elektrisierende Maxime ius summum saepe summast malitia (796), deren Anklang an die prätorische Rechtsformel summum ius summa iniuria unüberhörbar ist. Chre___________________________
65 Dacier (1688) 1706, 254–255 vermutet Hilfe im Sprachlichen: «Il y a beaucoup d’apparence que des gens aussi polis que Scipion & Lælius avoient beaucoup de part à ces Pieces; car comment un Carthaginois auroit-il pû en si peu de temps attraper toutes les beautez & toutes les graces d’une Langue aussi difficile que la Langue Latine?» 66 Einige werden von Scafuro 1997, 110–111, 171–172, 241–243, 434–436, 460–462 untersucht. Die Scheidung von Menandrischem und Terenzischem ist nicht immer überzeugend. 67 Der Begriff ist ohnehin nicht leicht zu fassen. „Die römische aequitas dient den Juristen als bequemes Begründungsmittel, um ihr Rechtsgefühl zur Geltung zu bringen, das sie vor allzu formaler und korrekter begrifflicher Deduktion behütet; sie erfassen nicht theoretisch das Verhältnis von jus und aequitas, gehen aber dafür sehr vorsichtig mit dieser rechtsfremden (gewiß vom Griechentum beeinflußten) aequitas um“ (Pringsheim 1961, 152–153). 68 Aufschlußreich für die Bedeutung der aequitas in den Adelphoe Callier 1990, 87–90, ferner Comerci 1994, 29–31. 69 Lefèvre 1994, 179 (Heautontimorumenos); 1978 (1), 15–20 (Phormio).
II. Terenz
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mes erkennt die als Kind verlorengegangene Tochter Antiphila wieder. Er könnte sich auf den Standpunkt stellen, er brauche nicht für ihre Schulden aufzukommen. Der Sklave Syrus nennt mögliche Begründungen. Aber Chremes sagt, daß er nicht so verfahren werde (Ht. 792–797):
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SY. neque tu scilicet illuc confugies: ‚quid mea? num mihi datumst? num iussi? num illa oppignerare filiam meam me invito potuit?‘ verum illuc, Chreme, dicunt: ‚ius summum saepe summast malitia.‘ CH. haud faciam. SY. immo aliis si licet, tibi non licet.
Hier wird juristisch argumentiert.70 Chremes besteht nicht auf seinem Recht (ius), sich als unzuständig zu erklären: Das wäre malitia. Andere (alii) mögen so handeln, für Chremes ziemt sich das nicht (797). Es ist der älteste Beleg für dieses aufgeklärte Rechtsdenken. Der Kampf der Verfechter des formalen Rechts (ius strictum) und der Vertreter der Billigkeit (aequitas) spiegelt sich wider.71 Kornhardt vermutet, nur eine bedeutende politische Persönlichkeit könne in dieser Zeit als Praetor urbanus in der Lage gewesen sein, einen solchen Stoß gegen das alte Formalrecht zu führen. Dafür komme P. Cornelius Scipio Nasica Corculum in Frage, der das Amt 165 innehatte. Terenz ergreife für den ‚adeligen patronus‘ Partei. Man darf weiter vermuten, daß in diesem Punkt hinter Terenz auch andere hohen Gönner stehen.72 Keineswegs stattet er eine Szene des Originals mit römischen Rechtsbegriffen aus. Vielmehr modelt er dessen Handlung so um, daß eine Situation entsteht, in der der Satz ius summum saepe summa malitia zitiert werden kann.73 Das läßt darauf schließen, daß nicht eine Spielerei, sondern eine ernsthafte Absicht vorliegt. Im Phormio von 165 findet in II 4 eine advocatio statt: Der von einer Reise zurückgekehrte Demipho muß feststellen, daß sein Sohn Antipho in der Zwischenzeit geheiratet hat. Er ist entrüstet und beschließt, Freunde zu holen, mit denen er sich beraten könne: ibo ad forum atque aliquos mihi | amicos advocabo ad rem qui adsient (Ph. 312–313). 313 begegnen drei juristische Termini. 1. amicos: ‚amicos‘ et pro testibus et pro advocatis veteres posuerunt, wie Donat zu Ph. 312 erklärt (1). 2. advocabo: Demipho ruft sie als advocati herbei. 3. adsient: proprie ‚adsient‘: a d e sse enim dicuntur advocati, sagt Donat (3). In den Diskussionsbeiträgen der drei advocati stellt Cratinus fest: quod te absente hic filius | egit, restitui in integrum aequomst et bonum, | et id impetrabis. dixi (Ph. 450–452). Er beruft sich auf die Rechtsgepflogenheit der in integrum restitutio ___________________________
70 confugere (Ht. 793) wird „terminologisch für das Suchen nach Ausflüchten vor Gericht“ gebraucht (Kornhardt 1953, 77 Anm. 2). 71 Nach Fuhrmann 1969, 74 steht „Ethik gegen Recht“, wird eine „in rechtlicher Hinsicht unanfechtbare Rechtslage aus moralischen Gründen als verwerflich hingestellt “. 72 Cicero hebt Verr. 2, 2, 86 Scipio Aemilianus’ aequitas hervor. 73 Nachweis bei Lefèvre 1994, 180.
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D. Vierter Teil: Weltbild
(Wiedereinsetzung in den vorigen Stand),74 durch die der Prätor befugt ist, ein unbilliges Urteil zu revidieren. Hegio antwortet: mihi non videtur quod sit factum legibus | rescindi posse (Ht. 455–456). Auch hier liegen drei juristische Termini vor. „aequomst et bonum, die bekannte praetorische Formel, impetrare, das Erlangen einer Klage beim Praetor, r escindere, das Aufheben formal gültiger Rechtsakte. Sämtliche Termini gehören in den Bereich des praetorischen Rechtes.“75 Wie bei dem Dialog des Heautontimorumenos koloriert Terenz nicht einen Auftritt des Originals römisch, sondern fügt wegen der Darstellung der juristischen Möglichkeit der in integrum restitutio die gesamte Szene ein.76 In den betrachteten Fällen geht es um das Prätorialrecht, die Möglichkeit, eine formal richtige Entscheidung, die aufgrund des ius strictum bzw. des ius civile gefällt ist, nach der lex naturae bzw. der aequitas zu revidieren.77 Cicero wird die Problematik ausführlich im dritten Buch von De officiis diskutieren, in dem die aequitas als der Stolz des römischen Rechts erscheint.78 b. Die juristische Faktur der Sannio-Szenen „So ist dieser adulescens auf alle mögliche Weise strafwürdig; handelte es sich nicht um eine Komödie, so wäre er durch und durch verabscheuenswert.“79
Ein Jahr nach dem Phormio werden die Adelphoe aufgeführt. In ihnen begegnet der Begriff des aequum ungewöhnlich oft. Juristische Probleme werden in größerem Maß aufgeworfen, als es für die Handlung erforderlich ist. Die Sannio-Szenen II 1–II 4 (155–287) stellen einen festumrissenen Handlungsteil dar, in dem Aeschinus dem Kuppler Sannio eine Hetäre raubt, sie für frei erklärt und dennoch willens ist, den Einkaufspreis zu erstatten. Die Termini aequum und iniuria sowie andere juristische Begriffe scheinen so häufig auf, daß sich die Frage stellt, ob Terenz die Entführung der psaltria nicht nur, wie allgemein angenommen, wegen der Belebung der Vorlage eingefügt, sondern auch eine willkommene Gelegenheit gesehen hat, die juristische Problematik eines solchen Falls zu ‚diskutieren‘.80 Eine solche Vermutung ist um so wahrscheinlicher, als außer in II 1 auch in II 2–II 4 eine erhebliche Eigenständigkeit der terenzischen Handlungsführung zu beobachten ist.81 ___________________________
74 Zu dieser Stelle Kaser 1977, 180 (in Anm. 307 Literatur). 75 Kornhardt 1954, 66. 76 Lefèvre 1978 (1), 20, danach Lowe 1983, 429; 1997, 166; 1998, 471; Barsby 1992, 145. 77 Donat definiert zu Ad. 51: inter ius et aequitatem hoc interest: i u s est quod omnia recta et inflexibilia exigit, a e q u i t a s est quae de iure multum remittit (3). 78 Lefèvre 2001 (4), 198–200. 79 Callier 1990, 84 über Aeschinus. 80 Callier 1990, 83–84. Zum juristischen Fragenkomplex auch Callier 1975, 1982, 1990. 81 B II 1–2 (S. 53–55) und C I 1 zu II 1–4 (S. 88–91).
II. Terenz
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Sannio weist mehrfach anklagend auf die iniuria hin, die ihm widerfahre: 162, 166, 197, 205 (iniurium), 207. Entsprechend sagt er 163, er werde sein Recht verfolgen (ego meum ius persequar), und Syrus geht 217 davon aus, daß Sannio im Recht sei bzw. (ein) Recht habe (si nunc de tuo iure concessisses paullulum […]). Das fällt auf. Daneben gibt es weitere Begriffe, die zwar in der Alltagssprache unterminologisch verwendet werden, aber in der juristischen Sphäre heimisch sind: iniuriam purgare (162), solvere (164), ius iurandum (165), causa (195), testis facere (203), agere (226), damnum (231), actum agere (232), persequi (235, vgl. 163: ius persequar), periclum (240), litis sequi (248). Die Wendung testis facere steht in einem juristisch grundierten Kontext. Sannio sagt: ubi me dixero dare tanti, testis faciet ilico | vendidisse me; de argento – somnium: ‚mox; cras redi‘ (203–204). Es geht nicht nur um juristische Termini, sondern vor allem um juristisch relevante Tatbestände. Diese werden von Boeclerus gut hervorgehoben. Er bemerkt zu Sannios Vorwurf leno ego sum. […] at ita ut usquam fuit fide quisquam optuma (161): „Donatus, ad terrorem; Eugraphius ad contemtum retulit. placet Eugraphii potius sententia. hoc vult Sannio dicere: nolo te meæ conditionis ignarum esse; leno sum, fateor; sed vt in hoc genere, homo cetera non pessimus. nihil autem tibi hoc proderit, quo minus ereptæ mulieris nomine r eu s peragi possis. tam m ih i iu s d icetu r, quàm alii. In bene constituta enim republica iu d iciu m r ed d itu r, etiam vilibus personis; atque, vt propius ad nostram rem loquamur, iu r e ciu i li Ro m an o bene constitutum est, vt restitutio non impediatur, etiamsi spolians obiiciat, spoliatum prædonem esse.“82 Wenn Sannio fortfährt tu quod te posterius purges hanc iniuriam mi nolle factam esse, huius non faciam (162–163), wird das so kommentiert: „Hic quoque sen ten tia s iu r i s loquitur: neminem teneri, vt priuatim transigat, aut pœnitentiâ eius, qui vim intulit, contentus sit. non enim idem est pœnitere ac restituere.“ Etwas später heißt es zu Sannios Frage qui tibi magis licet meam habere pro qua ego argentum dedi? (179): „bona fide se emisse, ostendere vult, adeoque bonæ fidei possessorem esse, qui in su o iu r e neminis hominis facto debuerit turbari.“83 Man versteht, daß Aeschinus auf diesen Einwand hin unsachlich reagiert: ante aedis non fecisse erit melius hic convicium (180), Boeclerus erklärt: „formulam sapit, vt in illo veteri: quieuisse melius erit. […] Minarum autem vim habent hoc loco illa verba; quas mox clarius exprimit Aeschinus: cuius h\ q o" tale facit poëta, vt d is p u tatio n i iu r is, vim opponeret.“ Aeschinus setzt der vom Kuppler juristisch geführten Verteidigung drohende Gewalt entgegen. Doch damit nicht genug. Er fährt fort: Wenn Sannio weiter lästig falle, werde er in das Haus geschleppt und mit Riemen totgeprügelt, nam si molestus pergis esse, iam intro abripiere atque ibi | usque ad necem operiere loris, worauf Sannio empört ausruft: loris liber? (181–182). Das ist harter Tobak, ___________________________
82 1657, 251, dort auch das folgende Zitat (diese und die folgenden Sperrungen ad hoc). 83 1657, 252, dort auch das folgende Zitat.
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den er rhetorisch begründet: hicin libertatem aiunt esse aequam omnibus? (183). „nouus in i u r iæ t itu lu s . loris cædere s. flagellare liberum hominem, Athenis non licebat. seruorum id supplicium fuit. quam rem Sannio hic ex libertate democratica deducit: hiccine libertatem aiunt esse æquam omnibus? i. e. annon viuimus in republica populari, vbi omnes ciues, eo ipso quod ciues sunt, æq u o iu r e agitant & libertatis beneficiis perfruuntur? Vnde & Cicero pro C. Rabirio, legem Porciam, quæ exemplo iuris Attici virgis cædi ciuem Rom. vetabat, libertatis fauore commendat (cap. 4. [= § 12]) ac in Verrina 5. cap. 63 [= § 163] cum affectu & figura amplificat: ò nomen dulce libertatis! ò ius eximium nostræ civitatis! ò lex Porcia, legesque Semproniæ!“84 Aeschinus droht eine nach athenischem und römischem Recht verbotene Strafe an. Das muß er einsehen. Sannio geht auf den Verkauf von Bacchis nicht ein, da er mit ihr auf dem Sklavenmarkt von Cyprus ein Geschäft machen will (indem er sie für einen höheren Preis weiterverkauft). Er protestiert zu Recht: quid si ego tibi illam nolo vendere? | coges me? (192–193). „I te r u m iu r e n it itu r. in ipsa enim dominii & proprietatis natura hoc inest, vt re nostra, non alieno, sed nostro arbitratu vtamur, &, in hoc negotio, an vendere, & cui vendere velimus, constituamus. I taq u e n atu r alem æ q u itat em seq u u n tu r iu r is civ il is R. co n d it o r es, q u a n d o d e cer n u n t, n em in em c o g i v t su am r em in u itu s v en d at , au t v en d at al ii, q u am cu i v u lt.“ Boeclerus führt die ‚naturalis aequitas‘ der Römer an. Aeschinus sieht ein, daß der Kuppler im Recht ist, und konzediert: minime.85 Der römische Zuschauer merkt: haeret res. Wie kann das festgefahrene Spiel weitergehen? Aeschinus zieht eine überraschende Trumpfkarte und erklärt Bacchis für frei. neque vendundam censeo | quae liberast; nam ego liberali illam adsero causa manu (193–194). Eine echte Freisprechung kann aber nicht vorliegen, da er weder Beweise hat noch Bacchis später als Freie erkannt wird. Die Aussage ist nicht ernst zu nehmen,86 sie ist Lüge87 / ‚Drohung‘88 / ‚Schreckschuß‘89 / ‘bluff’.90 Darin ist sich die Forschung einig, aber sie mißversteht die rechtliche Situation im allgemeinen und die rechtliche Diskussion der Szenen II 1–4 im besonderen. Terenz bzw. sein(e) hohen Freunde argumentieren juristisch präzise. Sannio muß annehmen, daß die Freiheitserklärung echt ist – der römische Zuschauer auch. Der Kuppler rechnet damit, daß er der Hetäre verlustig geht, er kann sie weder in Athen noch in Zypern (weiter)verkaufen. Trotz seiner Rüpelhaftigkeit ist Aeschinus weiter willens, die angebotenen 20 Minen zu zahlen. Diese Handlungskonstruktion funktioniert nur, wenn bei der Freiheitserklärung ___________________________
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Boeclerus 1657, 252–253 (dort auch das folgende Zitat). Donat zu 193: eijrwneiva (1) – vielleicht. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig. Marti 1959, 99. Boeclerus 1657, 253 (‚confingens‘). Dziatzko / Kauer 1903, 52. Spengel 1905, 41. Martin 1976, 133.
II. Terenz
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eines Sklaven oder einer Sklavin der assertor den bisherigen Besitzer entschädigen muß. Obwohl der gesunde Menschenverstand ein solches Verfahren nahelegt, wird es bei der Analyse von Komödienhandlungen oft bestritten. Geht es in anderen Fällen darum, daß die Kosten für Aufzucht bzw. Unterhalt eines Findelkinds oder seine Schulden zu zahlen sind, hat Sannio den Anspruch auf die Erstattung des Einkaufspreises. Diese Stelle ist von g r u n d sätz lich er Bed eu tu n g 91 – jedenfalls für die Komödienkonvention. Hat sich Sannio bisher zu Rech t geweigert, Bacchis für den Einkaufspreis herzugeben, weil er mit ihr ein Geschäft machen will, ist er nach der Freiheitserklärung dazu gezwungen. Aeschinus versucht, mit seiner dreisten Lüge zu U n r ec h t an das Ziel zu kommen. Boeclerus erklärt das wiederum gut: „Æschinus, qui hactenus S an n io n i iu r e a g en ti nihil responderat, præter vim & minas, & denique pretium prò erepta muliere, citra mentionem vlterioris satisfactionis obtulerat, cum videret, Sannionem recusare pactionem, extemporali astutia, calumniæ metum iniicit, & vindicias libertatis prætexit, confingens liberam esse mulierem, quam eripuerat.“ Das ist in der Tat ein strathvghma ajgwnistikovn.92 Aeschinus stellt Sannio vor die Alternative, entweder 20 Minen anzunehmen oder es auf einen Prozeß (causa) ankommen zu lassen, nunc vide utrum vis, argentum accipere an causam meditari tuam (195). Damit verläßt er die Bühne. Wie kann er? In einer künftigen juristischen Auseinandersetzung zöge er sofort den kürzeren, da Bacchis ja keine Freie ist. Die Handlung droht in einer Sackgasse zu landen. Die Argumentation wird in Sannios anschließendem Monolog (196b–208) noch unverbindlicher. Er konstruiert trotz Aeschinus’ klarer Zusage Einwände. Was heißt, der junge Mann habe ‚sich früher so wohlverdient gemacht‘ und fordere deshalb sein Recht,93 verum enim quando bene promeruit, fiat: ius suom postulat (201)? Warum lenkt der Kuppler plötzlich ein, nachdem er bisher so hart war? Das größte Manko dieses Monologs ist, daß die Freiheitserklärung völlig ignoriert wird. Hätte Sannio sie im Sinn, müßte er mit ius suom meinen, daß Aeschinus nach diesem Akt das Recht habe, nur den Einkaufspreis zu zahlen. Alle anderen Erwägungen wären überflüssig. Aber ius suom ist vielleicht nicht ‚juristisch‘ zu verstehen und heißt nichts weiter als ‘he’s only asking what’s fair to him.’94 Sannio sagt nur, er sei einverstanden mit dem Angebot von 20 Minen, das Aeschinus ja schon vor der Freiheitserklärung gemacht hat (191–192). Dann wird der Kuppler wieder unsicher und konstruiert zwei Einwände: Wenn er zustimme, habe er dennoch keine Aussicht auf das Geld, ubi me dixero dare tanti, testis faciet ilico | vendidisse me; de argento – somnium: ‚mox; cras redi‘ (203–204). Donat erklärt: recte dixit; ubi enim pactio intercesserit pretii, iam ___________________________
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B II 2 (S. 54–55). 1657, 253. Dziatzko / Kauer 1903, 53. Gratwick 1999, 81.
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ereptionis actio sublata erit pretium debebitur (zu 203). Das bedeutet, daß Sannio nach Vereinbarung eines Preises, also einer finanziellen Einigung, nicht mehr den Vorwurf der Entführung seiner Hetäre erheben kann, eine Klage wegen ereptio also nicht mehr möglich ist. Davon war bisher nicht die Rede. Das Räsonnement macht gewissermaßen einen Schritt rückwärts. Diskutiert Terenz ganz isoliert den juristischen Tatbestand einer ereptio und seine Entkräftung durch eine finanzielle Einigung – isoliert deshalb, weil Aeschinus zahlungswillig war und wenig später zahlungswillig sein wird (277)? Die zweite Folge der Vereinbarung eines Preises ist, wie Sannio erwägt, daß dann Aeschinus nach bekannter Art die Zahlung hinausschieben werde: de argento – somnium.95 Denkbar pessimistisch96 schließt Sannio: sed nemo dabit –; frustra egomet mecum has rationes puto (208).97 Die juristische Erörterung dümpelt vor sich hin. In Sannios Monolog dürfte kaum ein Gedanke Menanders zu fassen sein.98 Aber Terenz (oder einer seiner Gönner) weiß in II 2 einen Ausweg, der freilich erst nach einem erneuten gedanklichen Hin und Her beschritten wird. Syrus hält Sannio wortreich vor, er hätte ein wenig von seinem Recht lassen und Aeschinus nachgeben, d. h. auf dessen Angebot eingehen sollen (217–218). Der Kuppler lehnt das standhaft ab und besteht auf seinem Recht. a ct u m n e a g a s: Plötzlich bringt Syrus ein neues Argument – mit praeterea wie nebenbei angereiht und doch mit scharfer Berechnung:99 praeterea autem te aiunt proficisci Cyprum (224). Sannio ist überrascht, ja „entsetzt, daß Syrus davon Kunde hat.“100 Dem Sklaven ist bekannt, daß er in Reisevorbereitungen ist und es eilig hat. Sannio wird klar, daß die Gegenpartei deswegen so mit ihm verfährt, weil er keine Zeit hat causam meditari, wie Aeschinus ihm als Alternative empfohlen hat (195): perii hercle: hac illi spe hoc inceperunt (227). Er weiß sicher, daß er nach der Rückkehr vor Gericht keine Chance hat, da ein entschiedenes Verfahren nicht wieder aufgenommen zu werden pflegt (232–235): ___________________________
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Boeclerus erklärt gut beide Einwände: „duo veniunt in deliberationem. primum reputat Sannio, si transigat cum Æschino de pretio, cæteram actionem de foribus effractis, de verberibus ac tot iniuriis, quas paulo ante exaggerauit, hac ipsa transactione extingui: deinde metuit, si semel fidem emtori habuerit, difficulter se accepturum, quod debeatur: Æschinum enim singula dicturum, quæ morosi debitores solent: mox soluam, cras redi vt accipias. donec per tales moras evanescat denique forsitan res tota. hoc enim vult, cum dicit: de argento somnium i. e. nihil accipiam. […]. moras equidem ferre possum, dum modo reddat denique pecuniam“ (1657, 255). 96 „Reuoluitur ad deteriora timenda“ (Boeclerus 1657, 255). 97 ‘No, nobody’s going to pay: this private audit was a waste of my precious time’ (Gratwick 1999, 81). 98 C I 1 zu II 1 (S. 89–90). 99 „Syrus gibt sich den Anschein, als ob seine Kenntnis der Reise nach Cypern, die er glücklich aufgespürt hat, nur Nebensache wäre. In Wirklichkeit ist es die eigentliche Waffe, die er gegen den Leno führt“ (Spengel 1905, 46). 100 Spengel 1905, 46.
II. Terenz
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nunc si hoc omitto –, act u m ag a m ubi illinc rediero; nil est; refrixerit res – ‚nunc demum venis? quor passu’s? ubi eras?‘ – ut sit satius perdere quam hic nunc manere tam diu aut tum persequi.
Nach Donat wird die Redensart actum ne agas zitiert101 (2): proverbium, id est: nihil agam. quod enim in iu re s em el i u d ica t u m fuerit, rescindi et iterum agi non potest. sic in Phormione ‚actum aiunt ne agas‘ (Ph. 419).102 Es hat kein gerichtlicher, wohl aber ein juristischer Akt, eine causa liberalis,103 stattgefunden: Aeschinus’ Erklärung 193–194, daß Bacchis eine Freie sei: neque vendundam censeo | quae liberast; nam ego lib era li illam adsero ca u sa manu. Donat zu 194: et sunt iu r is ver b a , a quibus etiam adsertores dicuntur vindices alienae libertatis, ut et ca u sa ipsa lib era lis dicitur, quae actionem in se continet libertatis. Beide Stellen hängen offenbar zusammen.104 Vor allem erklärt sich auf diese Weise die allgemein als anstößig empfundene Freiheitserklärung. Nach dem strikt angewendeten ius ist Sannio aller Erfahrung nach ohne Chance. In seinem Empfinden für Billigkeit kann er nicht einverstanden sein. Ganz sicher will Terenz, daß die Zuschauer so empfinden. Daher sind die Termini aequum / iniquum in 187 und 211 wohl nicht ohne juristische Bedeutung. Nach dem Prinzip der aequitas erleidet der Kuppler ‚Unrecht‘, weil er wegen einer Reise die Angelegenheit nicht sofort juristisch anfechten kann (wozu er als liber berechtigt wäre). Es ist wie bei der Diskussion der in integrum restitutio im Phormio ein Fall, in dem das ‚humane‘ Prätorialrecht angebracht wäre. Es handelt sich bei der Formulierung actum ne agas nicht um ein von Juristen aufgestelltes Gesetz, sondern um eine Redensart.105 Diese wie verwandte „Äußerungen gehen […] einfach von der praktischen Erfahrung aus, daß vergangene Prozesse zuallermeist durch Urteil entschieden sind.“106 Terenz oder seine Auf___________________________
101 Wenn man mit der Überlieferung (außer Cp) und Donat actum agam hält (Boeclerus, Kauer / Lindsay, Martin), ist Hiat nach omitto (in der Zäsur möglich, wenn Sannio eine Pause zum Überlegen macht, so Dziatzko / Kauer 1903, 159, die aber mit Cp ac tum agam lesen, ebenso Bentley, Spengel, Marouzeau, Bianco, Gratwick, Barsby). 102 „S u m p t u m a fo ro & j u d i ci i s, ubi non licet causam iterum agere, de qua jam sit pronuntiatum“ (Farnabius bei Schrevelius 1686, 503, Sperrung ad hoc). 103 „L. c. bedeutet den rechtlich wichtigen Sachverhalt oder Tatbestand, der für die Freiheit spricht“ (Dziatzko / Kauer 1903, 52). Spengel 1905, 41: „eine die Freiheit eines Menschen betreffende Streitsache“; Gratwick 1999, 186: ‘suit of liberty’. 104 Es geht in 232 also nicht, wie Dziatzko / Kauer 1903, 159 meinen, um eine „Sache, die gar nicht begonnen wurde“. 105 ‚actum‘ aiunt ‚ne agas‘ (Ph. 419); Donat: proverbium (zu 232 [2]). 106 Kaser 1966, 93 Anm. 39 (ebenso Kaser / Hackl 1996, 80 Anm. 61). Die beiden ältesten Belege (Plaut. Cist. 703; Ps. 260) haben keinen juristischen Hintergrund (Liebs 1984, 102–103), wohl aber die beiden hier diskutierten zweitältesten (Ph. 419; Ad. 232). Für die Ad.-Stelle wurde das oben gezeigt. Hinsichtlich der Ph.-Stelle ist festzuhalten, daß eine Gerichtsverhandlung vorausgegangen ist (iudices: Ph. 275, 282, 400 u. ö.), deren Entscheid Demipho, notfalls vor Gericht, anfechten bzw. dem er
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traggeber suggerieren, daß die ‚zuallermeist‘ geübte Nichtwiederaufnahme von Prozessen in Sannios Fall unfair, wenn nicht unrecht wäre und demzufolge nach dem Empfinden für aequitas verfahren werden solle. Insofern ist es ein Beitrag zu einem juristischen Problem, das für ein aufgeklärtes Denken zeugt, das auch sonst, wie weiter zu zeigen ist, in den Adelphoe beobachtet werden kann. Das ist um so bedeutsamer, als die Redensart erst wieder von Cicero gebraucht wird. Die beiden Terenz-Stellen sind (nach unserer Überlieferung) einsame Zeugnisse.107 Das Motiv der Zypernreise wird nicht sauber ins Spiel gebracht. Syrus zieht es plötzlich ‚callide‘108 als Trumpf aus der Tasche, indem er mit dem schwammigen in der Palliata beliebten aiunt (224) operiert.109 Es ist zu verstehen, daß Aeschinus die Freilassung nur deshalb behauptet, weil er weiß, daß der Kuppler nicht rechtzeitig rechtliche Klärung verlangen kann. Sannio erkennt: hoccin incipere Aeschinum, | per oppressionem ut hanc mi eripere postulet! (237–238).110 Diese Absicht hätte längst exponiert werden, Aeschinus nach 195 sagen müssen: ‚Zwar steht dir die Möglichkeit einer rechtlichen Klärung (causa) offen, aber du bist ja durch deine Reise verhindert.‘ Das Motiv wird, dramaturgisch gesehen, nachgeschoben. Es wird weder bei Diphilos noch bei Menander gestanden haben. Es ergeben sich erhebliche Konsequenzen. S o w o h l d a s Mo ti v d er F r eilas su n g a ls au c h d as d er Zy p er n r e ise si n d u m d er S c h aff u n g d er ju r istisc h r ele v an ten a ct u m n e a g a s- S i tu atio n w ill en ein g ef ü h r t. Ist aber das Ziel römischen Ursprungs, sind es auch die hinführenden Motive.111 Im Hinblick auf die vieldiskutierte Kontamination ist festzustellen, daß Terenz die Entführung der Hetäre in II 1 (nicht nur wegen der Lebhaftigkeit der Szene, sondern auch) wegen der Absicht eingelegt hat, in II 2 die Formel actum ne agas zur Geltung zu bringen. Er k o n str u i er t – wie in Heautontimorumenos und Phormio – ei n e S it u atio n , in d er n ac h d em h u m an e n P r ät o r ialr ech t en tsch ied en w er d en m ü ß te , d . h . er b r ich t ein e L an ze d af ü r. Ein Beweis, daß das ganze juristische und sachliche Hin und Her in Sannios Monolog 196b–208 und im Dialog mit Syrus 209–253 von Terenz stammt, ist das schlichte Faktum, daß Aeschinus in 192 und 277 ohne weiteres bereit ist, 20 ___________________________
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ausweichen will. Darauf entgegnet Phormio: ‚actum‘ aiunt ne ‚agas‘. Es liegt wie an der Ad.-Stelle ein eindeutig juristischer Zusammenhang vor (anders Liebs 1984, 103–105, der beidemal actum agere als ‚Sinnloses tun‘ versteht). Faktisch, aber nicht terminologisch kann schon an Rud. 1381–1382 gedacht werden: Kaser 1977, 179 Anm. 304; Kaser / Hackl 1996, 423 Anm. 16. Boeclerus 1657, 256. C I 3 e (S. 121–123). „per oppress. […] bezeichnet die Zwangslage, in die er durch Ä. gebracht wurde“ (Dziatzko / Kauer 1903, 59). „Die oppressio liegt darin, daß er gerade diesen, für den Leno so ungünstigen Zeitpunkt wählte“ (Spengel 1905, 48). Es bestätigt sich somit die Vermutung, daß fast die gesamte Szene II 2 Terenz zuzuweisen ist: B II 1 (S. 54); C I 1 zu II 2 (S. 90).
II. Terenz
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Minen zu zahlen, und nach 280 mit Sannio auf das Forum geht, um die Ankündigung in die Tat umzusetzen. Ein großer Aufwand, schmählich!, ist vertan. c. Hegio und Micio als Vertreter des aequitas-Denkens „officii & humanitatis esse, sponte sua facere quod æquum est“.112
In der Auseinandersetzung zwischen Aeschinus und Sannio wird einem Freien übel mitgespielt, ohne daß der Täter später zur Rechenschaft gezogen wird: Bacchis bleibt bei Terenz eine Unfreie. Sannio fehlt ein verständnisvoller Verteidiger, der für das Prinzip der aequitas einträte, auf die sich der Kuppler beruft. Ein solcher ist Hegio, der nicht gewöhnliche juristische und ethische Normen vertritt. Er bekommt bei Terenz starkes Gewicht, das er im Original nicht hatte.113 Vielleicht spiegelt der Name seine Funktion wider; er „bezeichnet den edlen Senex, der anderen vorangeht (hJgei'tai), uirtute et fide (442). Zugleich übernimmt er die Führung in der Angelegenheit der Sostrata.“114 Hegio heißt einer der Advocati im Phormio, der ebenfalls eine juristische Funktion hat; die Szene, in der er auftritt, stammt sehr wahrscheinlich von Terenz.115 Man könnte sich fragen, ob der Dichter in den Adelphoe eine bestimmte Person vor Augen hatte? Wenn Hegio von Geta in III 4 über Aeschinus’ Raub der Hetäre aufklärt wird, verurteilt er auf der Stelle die Tat als inliberale facinus (448) und betont, daß dessen Familie, wenn sie nicht so handele, wie es für sie recht und billig sei, nicht ohne weiteres davonkommen werde: nisi facient quae illos aequomst, haud sic auferent (454). Wie ist das zu verstehen? Aeschinus hat, wie Hegio sagt, ein Treueversprechen116 geleistet, einen Eid, daß er Pamphila heiraten werde: fid em dans, iu r a n s se illam ducturum domum (473). Darauf berufe sich Pamphila, die eine interessante Folgerung zieht: em illaec fid em nunc vostram inplorat, Demea: | quod vos vis coget, id vo l u n ta te impetret (489–490). Aeschinus sei rechtlich verpflichtet (Donat erklärt vis117 zu 490 als vis legum),118 das Treuever___________________________
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Boeclerus 1657, 266 zu 490. Umsichtige Würdigungen Hegios bei Callier 1982, 517–527; 1990, 88–90. Spengel 1905, 162. Oben S. 148 mit Anm. 76. Zur Bedeutung der fides in den Adelphoe Callier 1982, 519–521; 1990, 88–89. Statt vis ist auch ius überliefert. Das wird eine erklärende Glosse sein. An. 780 bemerkt Daos, Pamphilus müsse Glycerium, die ein Kind von ihm geboren hat, coactus legibus heiraten (778–781 sind wohl ein terenzischer Einschub: Lefèvre 2008, 122 Anm. 192). Terenz könnte das daraus ableiten, daß die sterbende Chrysis Glycerium Pamphilus’ fides anvertraut hat (An. 290, 296), was er nicht zurückweist. Ohne ausgesprochene fides-Bindung sagt Lyconides Aul. 793 zum künftigen Schwiegervater über dessen Tochter, die ihm ein Kind geboren hat: mi ignoscas eamque uxorem mihi des, ut leges iubent. Scafuro 1997, 242 stellt zu den drei Belegen aus Ad., An. und Aul. fest: “The ‘laws’ cited by Plautus and Terence cannot be considered authentic. There is no earlier or contemporary evidence for such ‘laws’ in Athens
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sprechen zu halten.119 Aber er solle nicht g ez w u n g en , sondern f r e iw illi g dazu stehen. Die antithetischen Begriffe vis ↔ voluntas sind durch Alliteration emphatisch hervorgehoben.120 Wenig später unterstreicht Hegio seine Forderung: Demeas Familie müsse aequo animo aequa noscere (503), und Demea bestätigt: fient quae fieri aequomst omnia (505). Für die Zeitgenossen war es wohl überraschend, in welchem Maß hier das Handeln nach dem aequum propagiert wird. III 4 stammt sehr wahrscheinlich von Terenz.121 Wie die besprochenen Szenen aus Heautontimorumenos und Phormio sowie die Sannio-Szenen wird Terenz auch diese Szene wegen der juristischen bzw. standespolitischen Diskussion eingelegt haben. Es werden freiwillige ethische Normen umrissen. Hegio dürfte ein Sprachrohr des charakteristischen Denkens der terenzischen Gönner sein. Er ist mit besonderer Sorgfalt gezeichnet. Die rätselhafte Änderung gegenüber dem Original, daß er dort Sostratas Bruder, bei Terenz aber ein Verwandter (cognatus) des verstorbenen Simulus ist, könnte auf den juristischen Kontext zurückgehen. Im Original war Hegio kuvrio" der alleinstehenden Schwester und zum Handeln – gegebenenfalls mit persönlichen Konsequenzen122 – verpflichtet. Offenbar kommt es Terenz nicht so sehr auf Sostratas Isolation123 als vielmehr auf Hegios humane Haltung an.124 Selbstverantwortung statt Zwang – so dachte wohl nicht nur er. Mic io ist Hegios Gesinnungsgenosse. Während Hegio erst Terenz zu einem Vertreter der in den Adelphoe postulierten Ethik macht, ist Micios humane Gestalt vorgegeben. Er erweist sich als Hegios Bruder in seiner Reaktion auf dessen Mitteilung, daß Pamphila von Aeschinus schwanger sei: ego in hac re nil reperio quam ob rem lauder tanto opere, Hegio: | meum officium facio, quod peccatum a nobis ortum corrigo (592–593). Micio und Hegio verstehen sich vom ersten Vers an. In IV 3 verhandelt Hegio mit Micio. Das Gespräch ist relativ kurz, da es nicht nötig ist, die Problematik ein zweites Mal darzustellen. Auf Hegios Bitte, Sostrata die Hintergründe der Entführung der psaltria zu erläutern, entgegnet er: si ___________________________
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or Rome outside of these Roman plays.” Die beiden Terenz-Stellen könnten durch die ausgesprochene fides-Bindung erklärt werden. Bei Plautus wird sie vielleicht vorausgesetzt. Zu dem Problem: Fredershausen 1912, 210–212. 621 berichtet Aeschinus Cantharas Worte an ihn: sat adhuc tua nos frustratast fides. Martin 1976, 177 verweist für voluntas auf Ph. 725, 785. C I 1 zu III 4 (S. 96–97). Gratwick 1999, 30. Belege in B IX (S. 82 mit Anm. 183). Überhaupt ist zu den mit Hegio verbundenen Problemen B IX (S. 81–82) zu vergleichen. “Hegio has no legal obligations to help either her or her daughter: if he does, it will be for friendship and humanity (350ff., 459, 493ff.). In particular, Terence has it that Hegio has had no contact with them since Simulus died and that the story of rape, pregnancy, and arrangement is unpalatable news only learnt ‘today’ from Geta (447ff., 469ff.)” (Gratwick 1999, 29).
II. Terenz
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ita a eq u o m censes aut si ita opus est facto, eamus (601). Er fühlt sich nicht durch Zwang verpflichtet, sondern weil es aus moralischer Sicht billig ist.125 aequom – ein ‘recurrent feature of the play’126 – ist in besonderem Maß mit Micio verbunden. Es ist seine Richtschnur für ethisches Handeln. So sagt er über Demea: nimium ipse durust praeter aequom et bonum (64). Das berühmte Würfelgleichnis leitet er mit dem Bekenntnis ein, daß er das, was er nicht ändern könne, animo aequo trage (738). Wenn Demea ihn fragt, ob es billig sei, daß er weniger Recht habe als Micio (numqui minus | mihi idem ius aequomst esse?, 800–801), weil er meint, Micio habe das Abkommen verletzt (was dieser tat, um zu verhindern, daß Ctesipho vor Verzweiflung ins Ausland geht), antwortet Micio: non aequom dicis (803).127 64 und 803 ist aequom ein ‘key-word for Micio’.128 Es muß Demea ebenso reizen wie das Bekenntnis 738, so daß er ihm die Maxime sechsmal um die Ohren schlägt.129 Auf Micios überlegene Rede 820–835 antwortet er: ne nimium modo | bonae tuae istae nos rationes, Micio, | et tuos iste animus aequos subvortat (835–837).130 In den Schlußszenen geht es dann richtig los. Er zieht Micio mehrmals auf, es sei aequom, daß er das ‚alte verlebte Mütterchen‘ heirate (933), es sei aequom, daß er Syrus freilasse (960), denn es sei aequom, daß man helfe (968), endlich sei es aequom, daß Micio auch Phrygia freilasse (976). Doch damit nicht genug. Er holt zu guter Letzt zum Generalangriff aus und stellt fest, der Umstand, daß man Micio für umgänglich halte, resultiere nicht ex vera vita neque adeo ex aequo et bono, sondern aus Nachgiebigkeit und Freigebigkeit (986–988). Das ist satirischer Tobak. Interessant ist, daß auch der Dialog zwischen Micio und Aeschinus IV 5 die Rechtsproblematik behandelt. Es kommt, wie Büchner sagt, zu einem ‚Rechtsagon‘: „In ihm vertritt verstandesklar und kalt zum Scheine Micio den Standpunkt des formalen Rechtes, Aeschinus macht sich zum Anwalt des iustum (660)131 und aequum (675). […] Billigkeit und Recht stehen gegenüber. Das Erbtochtergesetz zwingt den nächsten Verwandten, das vaterlose Mädchen zu heiraten, das natürliche Rechtsempfinden will, daß der Mann sie zur Ehe erhält, dem sie eben ein Kind geboren hat.“132 Obwohl die Szene sicher im großen und ganzen auf Menander zurückgeht, könnte Terenz die Problematik des Gegensat___________________________
125 Zwar meint Donat zur Stelle a iusto et utili est tota sententia (1), aber von ius ist nicht die Rede. Gratwick 1999, 129 übersetzt: ‘or if this is what needs to be done’. 126 Martin 1976, 231. 127 “Micio’s aequom picks up Demea’s in 801” (Martin 1976, 214). Ausführlich zu der Stelle C I 1 zu V 3 (S. 105). 128 Martin 1976, 218. 129 Das gilt vielleicht schon für 800–801. 130 Demeas Ironie unnachahmlich bei Gratwick 1999: ‘I only hope these all too noble principles, this so-called philosophical outlook of yours, doesn’t end in our ruin!’ 131 iustum meint hier nicht das formale Recht, sondern heißt einfach ‘the right thing’ (Gratwick 1999, 137). Ebenso allgemein ist ius in 686 gebraucht (dazu Donat). 132 1975, 12.
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zes von ius strictum und ius aequum durchspielen, wobei Micio hier aus pädagogischen Gründen die ‚falsche‘ Seite vertritt. d. Standespolitik Die Forderung der aequitas ist nachdrücklich mit einem Standesdenken gekoppelt. Das macht deutlich, daß es sich nicht um individuelle philosophischethische Reflexionen eines Schriftstellers handelt, sondern um Gedanken, die im Einvernehmen mit Terenz’ Gönnern vorgetragen werden. Bei seinem Auftritt in III 4 hat Hegio gerade von Geta Aeschinus’ Raub der Hetäre erfahren. Er verurteilt ihn mit einem standespolitischen Argument: ex ill a n fa m ilia | tam in l ib era l e fa ci n u s esse ortum! Aeschine, | pol haud paternum istuc dedisti (448–450). Wenig später droht er: nisi facient quae illos a eq u o m st, haud sic auferent (454). Er verbindet zwei Gesichtspunkte: das Ansehen der Familie und das Handeln gemäß der Billigkeit. Gerade an den, allgemein gesagt, höheren Stand wird die ethische Forderung gestellt. Auch in den Schlußworten verlangt Hegio von den nobiles das aequum als Richtschnur (501–504): quam vos facillime agitis, quam estis maxume potentes dites fortunati nobiles, tam maxume vos aeq u o an i m o aeq u a n o s cere oportet, si vos voltis perhiberi probos.
aequo animo hat hier nicht die abgegriffene Bedeutung ‚mit Gleichmut‘, sondern ‚aufgrund einer Überzeugung, die nach dem Prinzip der aequitas handelt‘.133 Das ist nicht einfach dahergesagt, sondern ein Postulat, das im Einverständnis mit den hohen Förderern formuliert sein muß, die sich selbst diesen Maßstab setzten: freiwillig (voluntate, 490) das Rechte „erkennen und darnach handeln“,134 wie es sich für sie ziemt: decet (491), oportet (504), decet (506). S ie sind dites (502), Simulus und Hegio sind pauperes (paupertatem una pertulimus gravem, 496). Der Ständegegensatz wird scharf betont, wenn Hegio die Gesellschaftsschicht, zu der Demea gehört, distanziert anspricht: vos (490), voster animus (492), vos agitis / estis (501), vos (503), vos voltis (504). Daß Terenz von sich aus die potentes dites fortunati nobiles auffordert, ist kaum denkbar. In denselben Zusammenhang gehört das mehrfache Hervorheben des ‚eines Freien würdigen Verhaltens‘. Auch in III 4 fällt der Begriff. Hegio wundert sich: ‚Daß aus dieser Familie eine solche eines Freien unwürdige Tat hervorgegangen ist!‘, ex illan familia | tam inliberale facinus esse ortum! (448–449). Es handelt ___________________________
133 Callier 1990, 88 bemerkt zu der am Ende mehrerer Prologe begegnenden Aufforderung an das Publikum, es möge die Vorstellung aequo animo anschauen (Andr. 24; Ph. 30; Ht. 28 facite aequi sitis; Ad. 24 aequanimitas), es werde „nicht um Wohlwollen, erst recht nicht um Entgegenkommen, sondern um Objektivität“ gebeten. 134 Spengel 1905, 86.
II. Terenz
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sich aus seiner Sicht um eine gehobene Familie, eben eine freie Familie. Wenig später sagt er zu Demea, Aeschinus habe nicht die Pflicht erfüllt, wie es sich für einen ‚guten‘ und ‚freien‘ Mann ziemt, neque b o n i | neque lib era lis functus officiumst viri (463–464). Nach Boeclerus zeigt der Dichter vom Anfang der Szene an, „liberalem, ad eujgevneian adeoque ad ingenium, bonum ad mores & disciplinam vitæ referri oportere.“135 bonus vir ist „seit dem Ersten Scipionensarkophag […] stehendes Leitbild des römischen Privatmanns und Magistrats“.136 Es ist wohl wieder die Oberschicht angesprochen, zumal Hegio mit dem ‚juristischen‘ Appell die potentes dites fortunati nobiles (502) im Auge hat. Mit dem Gebrauch von liberalis steht Micio neben Hegio, wenn er die gute Anlage und das im Grund gute Benehmen der Söhne (video sapere intellegere, in loco | vereri, inter se amare) auf ihr eines Freien würdiges Denken137 zurückführt (liberum | ingenium atque animum, 828–829).138 683–684 bescheinigt Micio Aeschinus ein ingenium liberale. Auch liberalitas wird in diesem Sinn verwendet. Bezeichnend ist Micios Maxime pudore et liberalitate liberos | retinere satius esse credo quam metu (57–58). Es ist umstritten, ob liberalitate (bei Terenz nur an dieser Stelle) das Verhalten der Kinder oder des Vaters meint. Donat – kaum richtig – zu 57: ‚pudore‘ ad filios rettulit, ‚liberalitate‘ ad parentes (1). Die Substantive sind wohl auf dieselbe Personen zu beziehen. Da pudore zu den Kindern gehört, dürfte das auch bei liberalitate der Fall sein. „liberalitas kann die den für spätere Selbstbestimmung erzogenen Kindern freier Eltern zukommende Gesinnung, etwa ‚Ehrgefühl‘, bedeuten“.139 Rieth versteht sicher richtig: ‚wahre Scheu und edle Gesinnung‘.140 Das Wortspiel liberalitate liberos deutet vielleicht darauf hin, daß Terenz die liberalitas gegenüber dem Original betont. Dasselbe wie Hegio und Micio meinen Aeschinus, wenn er von factum inliberaliter spricht (662 / 664), und Demea, wenn er mit einem Paradoxon Geta einen servom haud inliberalem (886) nennt. Für den Freien wird ein besonderes Benehmen postuliert. Die Häufung von liberalis und Verwandtem in den Adelphoe fällt auf.141 Natürlich sind die verschiedenen Nuancen zu beachten.142 ___________________________
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1657, 266. Wieacker 1988, 504 Anm. 9. “ingenium atque animum are scarcely to be distinguished here” (Martin 1976, 217). liberum entspricht liberale (Spengel 1905, 129; Martin 1976, 217). Dziatzko / Kauer 1903, 35, die sich aber für einen Bezug auf die Eltern entscheiden (ebenso schon Farnabius bei Schrevelius 1686, 474). 140 1964, 93. 141 Nach McGlynn sind für die Bedeutung liberalis = ‚humanus, ingenuus, non seruilis‘ noch zu nennen: An. 561 coniugio liberali (Barsby: ‘a respectable marriage’); Hec. 164 liberali esse ingenio (Barsby: ‘a respectable lady’); Ph. 168 ingenuam, liberalem (Dziatzko / Hauler: ‚eines Freien würdig, wohlerzogen, fein, anständig‘); 282 functus adulescentulist | officium liberalis (wie Ad. 464); 623 erus liberalis (Barsby: ‘a gentleman’), 905 estne ita ut dixi liberalis? (Dziatzko / Hauler: wie 168). 142 Auch sonst mag manches in Rom (standes)politisch verstanden worden sein, was heute schwer erkennbar ist. Im Blick auf Micios Rede 68–77 ist Gratwick 1999, 182
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7. Historischer Hintergrund “The problem unfortunately will not go away by our ignoring it.”143
Verschiedentlich ist versucht worden, hinter den Gestalten von Micio und Demea Anspielungen auf Zeitgenossen zu sehen.144 Es versteht sich, daß hierbei größte Vorsicht geboten ist. Es ist daran zu erinnern, daß die Abfassung der Adelphoe großenteils Aemilius Paullus’ Tod vorangegangen sein muß. Wenn eine der Figuren Ähnlichkeiten mit ihm gehabt haben sollte, resultierten sie im allgemeinen nicht aus der pietätvollen Perspektive der Ludi funebres. Von einer Bestimmung gerade dieser Thematik für den offiziellen Anlaß könnte nur dann gesprochen werden, wenn Terenz mehrere fast fertige Sujets in der ‚Schublade‘ hatte, so daß eine Auswahl möglich war. Das ist unwahrscheinlich – von der Hecyra abgesehen. So wird man – wenn überhaupt – nur von peripheren, vielleicht sogar zufälligen Ähnlichkeiten sprechen dürfen. Im 16. Jahrhundert vermutete Philipp Melanchthon: „Nec Terentius ipse cum Demeam et Mitionem confert, cives obscuros et ignobiles mente intuebatur. Sed Catonis morositatem irridebat, et Laeli seu Scipionis gravitatem, lenitatem et suavitatem temperatam laudabat.“145 Er sah Cato in der Figur Demeas verlacht, Laelius oder Scipio Aemilianus in der Person Micios verherrlicht. Die letzte Deutung ist interessant, aber doch wohl unzutreffend. An dem (partiellen) Bezug Demea / Cato hält man auch in neuerer Zeit fest. Ihn vertritt vor allem Lana;146 Pöschl sympathisiert mit ihm.147 Daneben gibt es den weiteren (partiellen) Bezug Micio / Aemilius Paullus.148 Für beide ‚Identifizierungen‘ sind Della Corte,149 MacKendrick,150 Trencsényi-Waldapfel,151 Máro___________________________
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der Ansicht, Micio und Demea seien bei Menander nur mit den Problemen der Söhne befaßt gewesen. “There would therefore have been no point in making Micio expatiate on liberality as always the better policy. Probably therefore 68–77 is Terentian rhetoric, generalising on the theme of enlightened paternalism, and written not just with fathers and sons in mind but also the stronger and the weaker in politics.” Gratwick 1999, 21. Ein Beispiel bietet schon Plautus: Im Trinummus wurden nicht, wie öfter angenommen, Catos Moraltiraden gestützt, sondern offenbar leicht verspottet: Lefèvre 1995, 140–145. Mitgeteilt von Maróti 1960, 334 mit Anm. 48 und 49. 1947, 165–166, 169–170. (1975) 1979, 92. Er beruft sich ungenau auf Trencsényi-Waldapfel, der „wahrscheinlich nicht völlig Unrecht“ habe, „eine Beziehung auf Scipio und Cato“ zu vermuten. Grimal 1982, 40, 47 (Ausgangspunkt ist Micios Eingangsmonolog, den Grimal – kaum richtig – ‹sans aucun doute› Terenz zuschreibt). (11949) 1969, 137–139. 1954, 34. Micio / Paullus: 1957, 145; Demea / Cato: 1957, 149 (‹portrait satirique›). Die Arbeit zeigt, daß bei Identifikationen oft mit ganz partiellen Motiven operiert wird.
II. Terenz
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ti152 und Kruschwitz153 zu nennen. Hierher gehört auch die Ansicht Perellis, in Demeas und Micios Prinzipien spiegelten sich die harte und die liberale Erziehungsmethode, wie sie auf der einen Seite Cato und auf der anderen Aemilius Paullus (und die Scipionen) repräsentierten.154 Dagegen bezweifelt Calboli die Anspielungen von Demea und Micio auf Cato und Paullus. Dieser sei nicht “Cato’s most distinguished opponent”,155 sondern im Gegenteil «vicino a Catone».156 Man müsse der Ansicht von Earl157 recht geben, Terenz enthalte sich direkter politischer Aussagen. Schließlich nimmt Leigh das Problem in dem Kapitel ‘Fatherhood and the Habit of Command: L. Aemilius Paullus and the Adelphoe’ eigenwillig auf. Zwar wendet er sich gegen die Beziehungen von Demea / Cato auf Micio / Paullus, glaubt aber, daß das dargestellte Problem des richtigen Verhaltens der Väter gegenüber Kindern analog zu dem richtigen Verhalten des Feldherrn (Paullus) gegenüber Soldaten zu sehen sei.158 Die Interpretation159 dürfte von den Adelphoe weiter wegführen als die Versuche, hinter Micio und Demea allgemeine Porträts historischer Personen zu vermuten. Was die Bemühungen, Micio mit Paullus und Demea mit Cato in Beziehung zu setzen, unbefriedigend macht, ist der Umstand, daß bei beiden Personen nicht der Bruch berücksichtigt wird, der nach viereinhalb Akten zu konstatieren ist: daß Micio ‚abgewertet‘ und Demea ‚aufgewertet‘ wird. Soll man Cato mit dem Demea der ersten viereinhalb Akte oder mit dem des letzten halben Akts vergleichen? Diese Schwierigkeit ist von Gratwick gesehen worden. Seine Erwägung schließt mit einer aporetischen Frage, die vielleicht beantwortet werden kann. “There are curious partial parallels between themes and relationships arising in Brothers and the real circumstances and experiences of Aemilius, Cato, and their sons. The reader will note these for himself and decide what to make of them, if anything. For the similarities between Cato and Demea seem remarkably close; and Terence has made a special point of preserving not only the substance of Demea’s rôle in Menander but also its metrical presentation in 26–854, modifying it in the sequel 855–997 so as to render Demea’s revenge successful and to ___________________________
152 1960, 326. 153 2004, 161 Anm. 161 (dafür gebe es ‚Anzeichen‘, Verweis auf MacKendrick, Grimal, Gratwick). 154 1973, 61. S. 101 heißt es: «il principale intento di Terenzio era quellao di fare la parodia dell’ottusità dei catoniani. Il gioco teatrale è sottile per la molteplicità dei piani: dapprima Demea fa la parodia della liberalità scipionica, fingendo di essersi seriamente convertito, poi rivela il suo gioco e depone la maschera […]. È ovviamente impensabile che Terenzio si associ alla rozza beffa di Demea; al contrario egli ne accentua la rozzezza, per parodiare una così grossolana parodia.» 155 MacKendrick 1954, 34. 156 1991, 621 Anm. 42. 157 1962, 470–485. 158 “[…] paterniy may itself be invoked as an analogy for the generalship” (2004, 190). 159 Das Adelphoe-Kapitel stieß in Rezensionen nicht unbedingt auf Zustimmung: Gruen, JRS 95, 2005, 281; Richlin, AJPh 126, 2005, 467 (“Chapter 5 is the weakest”).
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vindicate his values. It is as if Terence were at pains to avoid the accusation that he personally rather than Menander were in any way responsible for the systematic disrespect shown towards durus senex, i. e. Cato, in 26–854 and felt it right, or politic, to change the ending decisively in his favour. But there are similarities between Micio and Paulus too; their names mean the same […],160 both are notable for enlightened paternalism, fondness as fathers, and open-handedness. But we can hardly be meant to press that equation, for how could a play in pious memory of Paulus end with such forthright condemnation of his values? The problem unfortunately will not go away by our ignoring it.”161 Diese klaren Worte lassen nur eine Folgerung zu: Paullus ist nicht mit Micio zu vergleichen.162 Wenn aber das Stück ‘in pious memory of Paulus’ aufgeführt wird und der Bezug einer Person auf ihn naheliegt, wäre er nicht hinter Micio, sondern hinter Demea zu sehen. Dieser entwickelt ab V 4 Strategien und setzt sich durch. Das könnte erklären, warum Terenz ihn am Ende ‚aufwertet‘. Auch Paullus’ Abneigung gegen eine aufwendige Lebensweise und seine persönliche Bescheidenheit weisen eher auf Demea. Bei ihm wird gern die griechischliberale Seite des filavnqrwpo~ herausgestellt und darüber vergessen, daß er ein harter Feldherr war. Plutarch rühmt seine Kriegsdisziplin und berichtet, er sei der Schrecken der Ungehorsamen und der Sünder gewesen (fobero;" w]n toi'" ajpeiqou'si kai; parabaivnousin).163 Was die Strenge betrifft, genügt es, an Mommsens Charakterisierung zu erinnern. „Es war schon etwas, daß Paullus, als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art sich bei der Bürgerschaft zu bedanken, derselben erklärte, er setze voraus, daß sie ihn zum Feldherrn gewählt hätten, weil sie ihn für den fähigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen.“164 Wenn überhaupt eine Person der Adelphoe mit Paullus zu vergleichen ist, kommt nur Demea in Frage. Doch ist immer wieder zu betonen, daß die Adelphoe keine Allegorie sind und nur ganz partielle Bezüge vorliegen können. Der erwogene Ansatzpunkt wird gestützt, wenn man von der A d o p tio n s th em at ik ausgeht. Dann könnte, wenn bei Demea an Paullus zu denken wäre, bei Micio an P. Cornelius Scipio165 zu denken sein, den ältesten Sohn von Scipio ___________________________
160 Verweis auf S. 178, Micio bedeute ‚paulus‘, ‚homuncio‘, ‘Tiny’. Daß Micio mit mikrov" zusammenhänge, referiert schon Spengel 1905, 161, der das aber ablehnt, da man nicht der ‚Kleine‘ von dem 65jährigen Bruder eines 70jährigen sagen könne. 161 1999, 20–21. 162 Aber auch Cato ist nicht mit Micio zu vergleichen, da dieser Figur des Spiels in Rom von vornherein (und zumal am Schluß) eine gewisse Schwäche anhaftete, die man nicht mit Cato in Verbindung bringen konnte. 163 Aem. Paul. 3, 7 . 164 Römische Geschichte I, 795 (= II, 321 der Taschenbuchausgabe 1976). 165 Nach Mároti 1960, 324 klingt Micio mit Scipio ‚besonders auffallend‘ zusammen.
II. Terenz
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Africanus Maior. Sie waren Verwandte.166 Paullus hatte wie Demea zwei erwachsene Söhne,167 P. Cornelius Scipio war wie Micio kinderlos. Er starb zwischen 164 und 162,168 Paullus 160. P. Cornelius Scipio war eine schwache Natur, die sich nicht durchzusetzen vermochte.169 Jedenfalls war das Ciceros und Velleius Paterculus’ Ansicht.170 Das könnte erklären, warum Terenz ihn am Ende gegenüber Demea zurücksetzt. Auf der anderen Seite wußte jedermann, daß er gebildet war. Er schrieb eine Römische Geschichte in griechischer Sprache und trat als Redner hervor. Wenn es erlaubt ist, ein wenig zu übertreiben, könnte man sagen: P. Cornelius Scipio war ein kraftloser Ästhet, Aemilius Paullus ein kraftvoller Feldherr. Konnte sie, wer wollte, ganz entfernt hinter Micio und Demea sehen? Die Festgeber waren Fabius Aemilianus und Scipio Aemilianus, Paullus’ ältere Söhne, die in die Gens Fabia bzw. Cornelia adoptiert worden waren. Sie richteten die Ludi funebres für den leiblichen Vater (~ Demea) aus. Auch Aemilianus’ Adoptivvater wurde in das Spiel miteinbezogen (~ Micio). Wenn die Bezüge zuträfen, genösse Terenz die höchste Unterstützung, die überhaupt denkbar war. Es ist abzuwägen: Micio wird (am Ende) erheblich mehr verspottet als zuvor Demea. Der Vergleich Micios mit Paullus wäre wenig geschmackvoll. Der zu Feiernde war einer der größten Römer der Zeit, der trotz der Lizenz des Funeralspotts zu seinem Recht kommen mußte. Es wäre sonst eine grausame Satire im Augenblick der höchsten Anteilnahme nicht nur der Familie, sondern der Nobilität und des Volks überhaupt. Demgegenüber lag der Tod des ‚Gegenspielers‘, P. Cornelius Scipio (des Africanus Maior-Sohns), einige Jahre zurück, und der Verstorbene war schon fast dem Gedächtnis entrückt. Sein Adoptivsohn Aemilianus war der lebende Beweis dafür, daß er eben doch nicht so ‚stark‘ wie Paullus war. Dagegen wurde Demeas Verspottung im Mittelteil durch das autoritäre Verhalten am Schluß mehr als wettgemacht – jedenfalls in römischen Augen. Wenn man bei Demea an Paullus denkt, erhielte man einen weiteren Schlüssel dafür, warum Terenz ihn zu guter Letzt ‚aufwertet‘: Es wäre nicht (nur) eine literarische Tradition (‚plautinische‘ Abwertung der Autorität Micios), sondern (auch) ein politisches Problem. Träfen die partiellen ‚Identifizierungen‘ von Demea und Micio zu, könnten auch Aeschinus und Ctesipho auf politische Realität verweisen. Hinter ihnen stünden ___________________________
166 Scipio Africanus Maior war mit Paullus’ Schwester Aemilia verheiratet. Paullus und P. Cornelius Scipio waren wohl an Jahren nicht weit auseinander (der erste war 191 Augur, der zweite 180, doch war das Amt nicht an ein bestimmtes Alter gebunden). 167 Zwei jüngere aus der zweiten Ehe starben 168 (Plut. Aem. Paul. 35, 1–2). 168 Mommsen, Römische Geschichte I, 926 (= II, 452 der Taschenbuchausgabe 1976): um 164; Astin 1967, 13–14: vor 162. 169 Astin 1967, 12. 170 Cic. De off. 1, 121; Cato 35; Vell. 1, 10, 3.
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die Paullus-Söhne Fabius Aemilianus und Scipio Aemilianus, die Festgeber.171 Diese nähmen nicht nur den Vater und den Adoptivvater ein wenig aufs Korn, sondern auch sich selbst. Wie Aeschinus der Ältere und Ctesipho der Jüngere ist, war Fabius Aemilianus der Ältere und Scipio Aemilianus der Jüngere.172 Der Passus, daß Aeschinus am Ende statt für Micio nunmehr für Demea Partei ergreift (995–996), der manche Freunde Menanders und auch Terenz’ gestört hat, fände auf dem ‚historischen‘ Hintergund eine Erklärung: Aeschinus’ w ah r er Vater ist Demea (da ja Aemilius Paullus Aemilianus’ leiblicher Vater war!). Die Paullus-Söhne waren dafür bekannt, daß sie sich gut verstanden. Bezeichnend ist, daß Scipio Aemilianus dem Bruder das gesamte Erbe des Vaters abtrat, weil er nicht so vermögend war. Das könnte sich in dem besonderen Verhältnis von Aeschinus und Ctesipho spiegeln, wie es in 254–259 zum Ausdruck kommt. Ein von Polybios mitgeteiltes Gespräch wäre ein Beleg dafür, hinter dem tatkräftigen Aeschinus und dem schüchternen Ctesipho Fabius Aemilianus und Scipio Aemilianus zu sehen. Polybios berichtet, daß Scipio Aemilianus ihm einmal folgende Frage gestellt habe, wobei er errötete (31, 23, 9–12):173 Sage mir doch, Polybios, warum du immer nur mit meinem Bruder disputierst und alle Fragen und Antworten an ihn richtest und mich links liegen läßt? Offenbar hast du dieselbe Meinung über mich wie die Römer, soviel ich davon höre; denn bei den Leuten soll die Rede gehen, ich sei schlaff und träge und ganz aus der römischen Richte und Lebensart geschlagen, weil es mir nicht gefällt, Prozeßreden zu halten. Und sie sagen, das Haus, aus dem ich hervorgehe, verlange nicht ein solches Haupt, sondern eins von ganz anderer Art; das kränkt mich am meisten.
Wenn es überhaupt sinnvoll ist, Einzelheiten wie diese bei dem Personenbezug zu berücksichtigen, wäre festzustellen, daß sich Fabius und Scipio selbstironisch gespiegelt hätten. Es wäre zu bedenken, daß sie 160 erst 24–26 Jahre alt waren. Aber das ist so unsicher, daß man es vielleicht lieber nicht erwägen sollte. Damit ist die Palette der Möglichkeiten vorgestellt. Jeder Leser möge sehen, ob ihm der eine oder andere Tupfer auf dem literarischen Gewebe der Komödie politisch relevant erscheint. Er sei sich dessen bewußt, daß es sich bei allen Vorschlägen immer nur, wenn überhaupt, um ganz partielle Identifizierungen handeln kann wie auch in anderen Genera. In dem an der Leichenfeier für Caesar aufgeführten Armorum Iudicium von Pacuvius waren die Bezüge Aias / Caesar ebenso partiell174 wie in Vergils Aeneis die Bezüge Aeneas / Augustus. ___________________________
171 Einige (z. T. anfechtbare) Erwägungen bei Grimal 1982, 39–41. 172 Quintus Fabius Maxumus Aemilianus wurde etwa 186 (Groag, RE VI, 2 (1909), 1792) geboren, Scipio Aemilianus 185 / 184 (Astin 1967, 12). 173 Übersetzung von H. Drexler, Zürich 1979. 174 Um so mehr, wenn Suetons Nachricht zutrifft, es seien nur Teile (quaedam) gegeben worden (Div. Iul. 84, 2). Das ist aber unsicher (Ribbeck 1875, 222).
AUS BLICK Die Untersuchung hat zu zeigen versucht, daß Terenz aus einem Weltanschauungsstück, das das Walten der ajgaqh; Tuvch in dem engbegrenzten Zirkel zweier Familien demonstrierte, eine flotte Komödie macht mit der gewaltsamen Entführung einer Hetäre, der Heimsuchung eines Kupplers mit Prügeln, den Frechheiten eines Sklaven gegenüber einem alten Herrn, den Streitereien zweier alter Herren und schließlich dem jämmerlichen Unterliegen des einen durch die Verstellungskunst und Häme des anderen. In der festgefügten römischen Gesellschaft der Zeit mußte diese Transformation elektrisierend wirken – auf die Angehörigen sowohl der Oberschicht als auch der Unterschicht. Die Wirkung war um so größer, als die Komödie an der Leichenfeier für einen der größten Römer der Epoche aufgeführt wurde, die die Gemüter in eine feierliche Stimmung versetzte – zumal wenn, wie man gemeint hat, auch der Verblichene vom Spott nicht ganz verschont blieb.1 Es waren saturnalische Verhältnisse, die die Gegenwart auf den Kopf stellten. Gewiß, man hatte bei Plautus eine noch drastischere Welt erlebt, die wie die Alte Komödie in Athen den Bereich des Utopischen berührte, aber das, was Terenz bot, reichte noch immer aus, das Publikum in Atem zu halten. Er ging feiner vor als der ungebärdige Umbrer und gebrauchte eine elegantere Sprache, aber die Grundstruktur wurde beibehalten: Das Prinzip der ‚Überkreuzdramaturgie‘, wie sie der Pseudolus oder die Bacchides boten, war das nämliche.2 Am Anfang standen zwei Junge, die in Not gekommen waren, sowie zwei Alte, von denen der eine souverän, der andere mißtrauisch-introvertiert war, und am Ende standen zwei Junge, die mit dem zuvor souverän agierenden Alten bedenkenlos umsprangen und dem zuvor sich mißtrauisch-introvertiert gerierenden Alten die Führung zuerkannten.3 Das Tyche-Denken und das Ethos der menandrischen Welt waren auf die römische Gesellschaft der Cato-Zeit nicht übertragbar. Die Zuschauer, die mehr auf das Was als auf das Wie, mehr auf die Handlung als auf den Gehalt achteten, hätten bei wörtlich übersetzten Menander-Komödien mit den ewigen Wiederholungen der Kindaussetzung, des Kindraubs, der intimen Vereinigungen bei Götterfesten, der Anagnorisis, der Heirat Junger und der Wiederheirat Alter, vor allem der Verwandtenehen sich des Gähnens kaum erwehrt. Sie hätten wohl nicht verstanden, daß diese Handlungen um eines höheren Ziels willen vorgeführt wurden. ___________________________
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D II 7 (S. 160–164). Zur‚Überkreuzdramaturgie‘ Lefèvre 1994, 123; 2011, 142–144 sowie C I 3 b (S. 117–119). Ctesipho tritt nicht mehr auf, aber Demea spricht 989–995a beide Söhne an, und Aeschinus antwortet im Namen beider (tibi pater, permittimus, 995b).
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Die griechischen Zuschauer gingen nach den Aufführungen mit der Bestärkung in dem Grundsatz, daß sich im Leben Irrungen und Wirrungen schließlich glücklich lösen, nach Hause. Das war keine aufregende Erkenntnis. Sie sprach aber die leicht dekadente und müde Gesellschaft der Zeit an. In diesem Sinn ist Wilamowitz’ scharfes Urteil zu verstehen: „Ohne Zweifel ist in dem Leben der athenischen Philister genug Öde und Frivolität, und wenn im letzten Akte ein oder zwei Hochzeiten einen befriedigenden Schluß wenigstens für das klatschende Parterre bewirken, so tut man besser, vorher aus dem Theater zu gehen.“4 Eine solche Reaktion wollte Terenz natürlich vermeiden. Auch Körte erkannte bei Menander „diese attische Philistergesellschaft, die nur auf Erwerb und Genuß gestellt ist.“5 Noch härter ging Jachmann mit ihr ins Gericht:6 Die „Lebensbezüge dieser Spießbürger waren nicht eben reich, ihr Tun und Lassen weder mannigfaltig noch abwechslungsvoll, vielmehr der Regel nach in einen engen Kreis beschlossen, der nur den alltäglichen Betätigungen Raum bot. Es gab also nicht allzu vieles, wofür man diese Menschen interessiert zeigen konnte […]“.7 Eine solche Gesellschaft hätte kein Spiegelbild der römischen sein können. Die Palliaten-Dichter mußten sich etwas anderes einfallen lassen. Stegreifspiel und Saturnalien boten genug Anregungen. Für Terenz kam etwas anderes hinzu: Ungeachtet der eigenen Ausprägung der Palliata sahen seine hohen Gönner offenbar in dem beliebten Bühnenspiel die Chance, bestimmte politische und juristische Probleme wirkungsvoll verbreiten zu können. Sie dürften einen nicht unbedeutenden Einfluß ausgeübt haben. Es ist damit zu rechnen, daß der junge Dichter einerseits wegen des Einbaus der juristischen und gesellschaftspolitischen Problematik Szenen umgestaltete, wie er es ohne Anregung wohl nicht getan hätte, und daß er andererseits wegen der erstrebten partiellen Vergleichbarkeit einer oder beider Hauptgestalten mit einem oder zwei politisch herausragenden Persönlichkeiten die Charaktere des Originals antastete, wie er es ohne Anregung vielleicht auch nicht getan hätte. In diesem Zusammenhang ist es auffallend, daß in den Adelphoe die humane Dimension des menandrischen Originals – Micio war in seinem ganzen Verhalten von filanqrwpiva geprägt – auf der Strecke blieb. Wie sich dieser Vorgang zu dem Humanitätsbestreben verhält, das vielfach dem sogenannten Scipionenkreis zugeschrieben wird, kann hier nicht untersucht werden. Es sei aber an Strasburgers Wort erinnert, man werde die „Vorstellung preisgeben müssen, Aemilianus sei ein Geistesverwandter oder gar Seelenfreund des Dichters Terenz und Pro___________________________
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(1899) 1935, 229. 1914, 104. 1931, 17. Diese Urteile wurden zwar vor den späteren Neufunden gefällt, aber das die menandrische Komödie auszeichnende Ethos war etwa durch Epitrepontes, Samia oder Adelphoi (in Micios Eingangsmonolog oder seiner Begegnung mit Aeschinus) schon bekannt.
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tektor der Humanitätsidee im Sinne von dessen berühmtestem Verse8 gewesen. Dieser große Kriegsheld war aus anderem Stoff gemacht und mußte es sein!“ Auch die weitere Folgerung möchte bedenkenswert sein: „Für C. Laelius wird wahrscheinlich Ähnliches, nur in schwächerem Maße, gelten; seine Persönlichkeit ist von der Scipios zu stark überschattet, um noch wirklich individuell kenntlich zu sein. Vom Dritten im Bunde, L. Furius Philus ist auch das einzige historisch gut kenntliche Faktum sein der Staatsraison dienliches, aber der Völkerrechtsidee Hohn sprechendes Verhalten im Mancinus-Prozeß (Cic. rep, 3, 28. off. 3, 109. App. Ib. 83, 361).“9 Scipio galt Cicero als Vertreter der eijrwneiva, und für Laelius’ Einfluß auf Terenz ist auf die Nachricht der Vita zu verweisen, daß er den Vers Ht. 723 gedichtet habe (4), was mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens für die ganze Bacchis-Rede 723–728 gilt.10 Gerade diese ist bezeichnend für die Umwandlung der griechischen eJtaivra crhsthv in eine römische mala meretrix, was ebenfalls ein Preisgeben menandrischer Humanitätsvorstellungen bedeutet. Am Ende der Arbeit an allen sechs Terenz-Komödien ist festzustellen, daß vom Anfang bis zum Ende ein einheitlicher Bogen zu beobachten ist. Bei der Untersuchung des Phormio von 1978 haben sich vor allem zwei Ergebnisse gezeigt: Antiphos Heirat mit Phanium wurde von Terenz in die Vorgeschichte verlegt, damit in einer suo Marte eingelegten Szene das juristische Institut der in integrum restitutio diskutiert werden konnte; das geschah sicher nur im Einvernehmen mit hohen Förderern. Zudem wird der Senex Chremes am Schluß gemeinsam von dem Parasiten Phormio und der eigenen Ehefrau Nausistrata erniedrigt und intensiv verspottet. Das war auf dem Hintergrund der altrömischen Gesellschaft ein saturnalisches Skandalon ersten Ranges. Beide Komplexe waren 1994 auch beim Heautontimorumenos zu beobachten, in dem Terenz einen Kernsatz des römischen Prätorialrechts summum ius summa iniuria in der Form ius summum saepe summast malitia gewissermaßen öffentlich zur Diskussion stellte. In dieser Komödie funktionierte er ferner den bei Menander humanen Chremes zu einem neugierigen Geschaftlhuber um, der am Schluß für den Spott nicht zu sorgen braucht.11 Eben die beiden Komplexe sind auch in den Adelphoe zu beobachten, in denen einerseits eine juristisch-gesellschaftspolitische Diskussion und andererseits die satirisch-komische Abwertung des filavnqrwpo" Micio zu ___________________________
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Gemeint ist Ht. 77 homo sum, humani nil a me alienum puto. Wenn der Vers bei Menander entsprechend lautete, sprach ihn der filavnqrwpo" Chremes, den Terenz zu einem homo curiosus wandelt bzw., je nach Blickwinkel, abwertet. Auch hier geht ein Stück menandrischer Humanität verloren: Lefèvre 1994, 68–71. 9 (1966) 1982, 956–957. 10 Zu dieser Problematik und dem hier besprochenen Zusammenhang Lefèvre 1994, 178–184 (mit Belegen). 11 Es ist geplant, im Verlag de Gruyter 2013 / 2014 einen in Vorbereitung befindlichen Band mit Aufsätzen zur Palliata herauszubringen. In ihm sind after-thoughts zu Phormio (neu) und Heautontimorumenos (~ 2013, 243–261) enthalten.
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beobachten sind. Nimmt man die drastisch-komische ‚Halbpartwirtschaft‘12 am Ende des Eunuchus hinzu, der die humane Überlegenheit der eJtaivra crhsthv Thais (bei Menander: Chrysis) geopfert wird, ergibt sich der wichtige Tatbestand, daß Terenz seit seinem dritten Stück, dem Heautontimorumenos, auf den Erfolg eines saturnalisch-plautinischen Finales setzt und das viermal hintereinander praktiziert. Es liegt nahe, dieses Verfahren mit dem mangelhaften Erfolg zusammenzusehen, der für die Hecyra bezeugt ist und für die Andria in Betracht gezogen wird.13 Terenz wollte offenbar danach auf Nummer sicher gehen.14 Somit scheint der Heautontimorumenos von 163 ein Wendepunkt in den künstlerischen Bestrebungen des jungen Dichters zu sein. Ob es Zufall ist, daß er im Prolog dieser Komödie zum erstenmal auf seine Beziehungen zu den Gönnern – noch in der sehr vorsichtigen Form, man sage, er dichte amicum ingenio fretus15 (24) – Bezug genommen hat, wird man nicht klären können. Wenn in den späteren Stücken gerade die anspruchsvollsten Gestalten der Vorbilder stolpern und die menandrische Tyche-Konzeption eliminiert wird, kann es Terenz nicht darum gegangen sein, der in literarischer Hinsicht jungen Nation behutsam griechisches Welt- und Menschenbild zu vermitteln, sondern vor allem darum, an die römischen Traditionen, wie sie sich in Mimus, Atellane und Feszenninen ausgebildet hatten, anzuknüpfen, um sie mit den durchdachten Handlungen der hochelaborierten Originale zu verschmelzen. Dadurch wurde er zusammen mit Plautus Stammvater der europäischen Komödie. Auch die Adelphoe haben ihr Scherflein dazu beigetragen.16
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12 Klotz 1946, 27 über Thais’ Aufteilung zwischen Phaedria und Thraso. 13 Leo 1912, 100 Anm. 2; 1913, 235 Anm. 1; Blume 1981, 380. 14 Es ist kein abwegiger Gedanke, daß das komische Element der Hecyra erst bei einer Bearbeitung in das Stück gekommen ist: Lefèvre 1999 (1), 147, 180. 15 „Lælii, Scipionis, nobilium, quorum familiaritate usus est“ (Farnabius bei Schrevelius 1686, 336). 16 A I 1–3 (S. 13–35).
RÉS UMÉ Bei der Nachdichtung von Menanders Adelphoi legt Terenz auf verschiedene Aspekte Wert, die auch in seinen anderen Komödien dominant sind. Es wird an dieser Stelle davon abgesehen, nochmals das Hypothetische mancher Ergebnisse zu betonen. 1. Terenz arbeitet die Adelphoi, die das Walten der ‚guten Fügung‘ (ajgaqh; Tuvch) vorführten, zu einer Allerweltskomödie um, in der die Menschen ganz auf sich gestellt sind und keinerlei Hilfe oder Unterstützung durch einen glücklichen ‚Zufall‘ erfahren. Die Hochzeit, die bei Menander sichtbarer Ausdruck der Herstellung bzw. Wiederherstellung einer Ordnung war, wird bei Aeschinus und Pamphila beibehalten, aber bei Ctesipho und Bacchis unterdrückt. Die Fügung, daß Micio Sostrata von früher her ‚wiedererkannte‘ und dementsprechend g er n heiratete, wird um der Komik willen in einen Verkuppelungsakt umfunktioniert. 2. Terenz arbeitet die Adelphoi, die das Schicksal einer als Kind in Not geratenen und schließlich in den Besitz eines Kupplers gekommenen jungen Frau vorführten, zu einer Hetärenkomödie um, in der das Schicksal der Frau völlig gleichgültig ist und sie vor allem als Partygast und Objekt des Spotts von alten Männern Interesse gewinnt. 3. Terenz arbeitet die Adelphoi, die die Not der älteren in ihrer Jugend mit einem jungen Mann (wohl bei einem Götterfest) intim gewordenen Sostrata und ihre späte Belohnung durch Wiedererkennung des Partners und Heirat vorführten, zu einem Schwank um, in dem die Wiedererkennung unter den Tisch fällt und die Heirat als Groteske inszeniert wird. 4. Terenz arbeitet die Adelphoi, die in der Gestalt Micios humane Lebensphilosophie und erfolgreiche Erziehungsmethode vorführten, am Ende zu einer Satire um, in der Philosophie und Pädagogik um der Komik willen zuschanden werden. Sichtbarer Ausdruck dessen ist Aeschinus’ Überläufertum von Micio zu Demea. 5. Terenz arbeitet die Adelphoi, die in der Gestalt Demeas das Scheitern von übermäßiger Strenge, Mißtrauen und Engstirnigkeit in der Erziehung vorführten, zu einer Intrigenkomödie um, in der überschlaues Bauerntum durch Berechnung und Verstellung zu plötzlichem Ansehen gelangt. 6. Terenz arbeitet die Adelphoi, die die von beiden Seiten als selbstverständlich akzeptierte Stellung von Herren und Sklaven vorführten, zu einer Saturnalienkomödie um, in der der freche Sklave Syrus nicht nur den Senex Demea strekkenweise verspottet, sondern auch dafür sorgt, daß er selbst mit den jungen Herren und einer Harfenspielerin zechen und es sich wohlsein lassen kann.
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Résumé
7. Terenz arbeitet die Adelphoi, die Erfolg und Mißerfolg der Personen auf einer zwischenmenschlichen Ebene vorführten, zu einem Spiel um, in dem die römische Gesellschaftsordnung und juristische Praktiken in den Vordergrund drängen. 8. Terenz arbeitet die Adelphoi, die einen von oijkonomiva geprägten geordneten Aufbau hatten, nach dem Muster des altitalischen Stegreifspiels zu einer lockeren Szenenfolge um, in der Charaktere sowie Auf- und Abtrittsmotivationen der Personen nachlässig gestaltet werden und die Zuschauer wegen der Streichung des Inhaltsprologs in emotionaler Spannung mehr auf das Was als auf das Wie achten.
L IT E R AT U RV E R Z E IC H N IS Ausgaben und Kommentare werden mit einem Sternchen (*) bezeichnet. I. Zu Terenz (und Menander): Arnaldi, F., Da Plauto a Terenzio, II: Terenzio, Napoli 1947. Arnott, W. G., The End of Terence’s Adelphoe. A Postscript, Greece and Rome 10, 1963, 140–144. Arnott, W. G., Rezension von Rieth 1964, Gnomon 37, 1965, 255–263. Arnott, W. G., Phormio Parasitus. A Study in Dramatic Methods of Characterization, Greece & Rome 17, 1970, 32–57. *Arnott, W. G., Menander, edited with an English Translation, Cambridge, Mass. / London, I: 1979, II: 1996, III: 2000. Asper, H. G., Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert, Emsdetten 1980. Astin, A. E., Scipio Aemilianus, Oxford 1967. *Barsby, J., Plautus, Bacchides, ed. with translation and commentary, Warminster 1986. Barsby, J., The Stage Movements of ‘Demipho’ in the Greek Original of Terence Phormio 311ff, Cl. & Med. 43, 1992, 141–145. Barsby, J., Plautus’ Pseudolus as Improvisatory Drama, in: L. Benz / E. Stärk / G. VogtSpira (Hrsg.), Plautus und die Tradition des Stegreifspiels, ScriptOralia 75, Reihe A: Altertumswiss. Reihe 19, Tübingen 1995, 55–70. *Barsby, J., Terence, Eunuchus, ed., Cambridge 1999. *Barsby, J., Terence, ed. and translated, I / II, Cambridge, Mass. 2001. Benz, L., Zur Metaphorik der Captivi, in: L. Benz / E. Lefèvre (Hrsg.), Maccus barbarus. Sechs Kapitel zur Originalität der Captivi des Plautus, ScriptOralia 73, Reihe A: Altertumswiss. Reihe 18, Tübingen 1998, 101–126. Bernstein, F., Ludi publici. Untersuchungen zur Entstehung und Entwicklung der öffentlichen Spiele im republikanischen Rom, Historia Einzelschr. 119, Stuttgart 1998. Bianco, O., Terenzio. Problemi e aspetti dell’originalità, Roma 1962. *Bianco, O., Commedie di Publio Terenzio Afro, Torino 1993. Blänsdorf, J., Plautus, Amphitruo und Rudens – oder wieviel literarische Parodie verträgt die Komödie?, in: W. Ax / R. F. Glei (Hrsg.), Literaturparodie in Antike und Mittelalter, BAC 15, 1993, 57-74. Blänsdorf, J., T. Maccius Plautus, in: HLL, I, München 2002, 183–228. Blume, H.-D., Menanders ‚Samia‘. Eine Interpretation, Darmstadt 1974. Blume, H.-D., Das römische Drama, in: Propyläen Geschichte der Literatur, I, Berlin 1981, 369-388. Blume, H.-D., Menander, Darmstadt 1998. *Boeclerus: Publii Terentii Carthaginiensis Afri VI. Comoediae. Cum annotationibus Jo. Henrici Boecleri […], Argentorati 1657 (Annotationes in Bd. II, nur dieser Bd. zitiert) (Cupaiuolo Nr. 748). Büchner, K., Terenz in der Kontinuität der abendländischen Humanität, in: Humanitas Romana. Studien über Werke und Wesen der Römer, Heidelberg 1957, 35–63. Büchner, K., Terenz: Adelphen, in: Studien zur römischen Literatur, VIII, Wiesbaden 1970, 1–20.
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REGISTER Das Register strebt keine Vollständigkeit an. Es sind vor allem für Menander und Terenz wichtige Namen, Sachen und Stellen aufgenommen. Aus Teil A werden die Nennungen Menanders erfaßt, wenn sie die bewußten (und teilweise unbewußten) Ansichten der Rezipienten und Philologen über ihn bzw. über die Adelphoi belegen; da die Teile B–D Menanders Adelphoi zu rekonstruieren versuchen, wird auf Menander nur in Ausnahmefällen hingewiesen. Im dritten Abschnitt werden zunächst als ganze besprochene Szenen der Adelphoe aufgeführt. Die in ihnen behandelten Einzelverse erscheinen im folgenden nur noch, wenn sie außerhalb der Szeneninterpretationen in den Blick kommen. Wenn im Register ein bestimmter Vers gesucht wird, sind also sowohl das Szenen- als auch das Stellenverzeichnis zu Rat zu ziehen. Donats Kommentare zu einzelnen Versen sind über diese im dritten Abschnitt zu finden.
1. Namen Alexis 135–136 Ariosto 18 Augustinus 14–16 Caecilius 49, 117, 141 Cato Censorius 160–162 Cecchi 19–21 Chapman 25–26 Cicero 13–14, 131, 135, 145, 148, 150, 154, 163 Colman d. Ä. 28, 29–30 Cumberland 28–30 Dacier 22–23, 108 Diderot 2144, 24–25, 32, 34, 115 Donatus (Praefationes) 74, 143 Einsiedel 34–35, 76 Eugraphius 118, 125 Fabius Aemilianus 145, 163–164 Fielding 28, 30 Fletcher 26 Furius Philus 144–145, 167 Gellius 117 Goethe, J. W. 34, 35, 76 Goethe, A. 35 Hieronymus 14–15 Hrotsvit 16–17 Laelius 144–145, 160, 167 Larivey 21 Lessing 2144, 23, 24, 25, 31–34, 51, 59, 77, 111, 126 Livius (cap. 7, 2) 36, 65 de’Medici 18–19 Melanchthon 30–31, 141, 160 Menandros Adelphoi 18-19, 20, 26, 27, 28, 29, 35, 35133, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 43–44, 45, 46, 47, 49, 51–84, 85–113, 127–130, 131–140, 165–168
Prolog 52, 86, 128 Fr. 3 86 Fr. 5 89 Fr. 13 106116 Fr. *14 69, 84, 107, 14253 Aspis 52, 93, 113, 118, 120 Dis exapaton 71 Dyskolos 67–70, 84, 113, 115, 118, 120, 123, 130, 131, 136, 138–139 V. 710–747 68–69 Epitrepontes 71, 79161, 138–139 Eunuchos s. Terentius Georgos 80, 83–84 Heautontimorumenos s. Terentius Heros 84 Hiereia 84 Perikeiromene 84 Samia 70, 71, 105, 118, 123, 137–138 Mendoza 22 Meredith 71, 30 Molière 21, 22, 23–23, 30 Montesquieu 23 Neithart 30 Aem. Paullus 160–164 Petrarca 17 Plautus Amphitruo 120, 142 Aulularia 121 Bacchides 10, 43–44, 94, 118, 124, 141, 142, 165 Casina 64, 65, 103, 141, 142 Menaechmi 115, 116 Mercator 64, 141, 142 Miles (auch Alazon) 77–78 Pseudolus 94, 140, 141, 142, 165 Rudens 121 Stichus 57, 143
184
Register 144
Trinummus 160 Truculentus 122–123 Polybios 164 Romanus 31–32, 33117 Schiller 34 Schlegel, A. W. 35 Schmieder, B. F. 34, 36, 65, 107 Schneider, E. 31106 P. Cornelius Scipio 163–164 Scipio Aemilianus 144–145, 160–177 Scipio Nasica 147 ‚Scipionenkreis‘ 136, 144–146, 166 Shadwell 26–28, 29–30 Sincerus 31 Suetonius (Vita Terenti) 51, 144–145, 167
Terentius Andria 16, 81, 82, 83184, 119, 120, 122207, 155118 Eunuchus 30, 44, 78, 117, 119, 120, 135, 137, 138, 140, 168 Heautontimorumenos (auch Men.) 24, 25, 26, 30, 34, 43, 54, 63–64, 71, 79161, 117, 118, 126, 128, 132, 136, 137, 145–148, 154, 167, 168 Hecyra (auch Apollodoros) 75143, 79161, 81, 83184, 123, 145, 160 Phormio 64, 71, 78, 95, 117, 118, 120, 126239, 146–148, 153, 154, 167 Varro 51, 65, 128 Voltaire 23–24, 32–33, 34, 115164
2. Sachen 19
actum ne agas 54 , 90, 152–154 aequum / aequitas 96, 105, 146–159 aiunt / on dit 48, 102, 121–123 Analyse 51–84 Analytiker 11, 13, 19 Dichter als Analytiker 13, 19 Aparte 123–124 ars vitae 134–136 Atellane 65, 114 Auf- und Abtrittsmotivation 91, 93, 97, 98, 103, 104, 108, 109, 110, 121–122, 170 bonus vir 159 Charakter ‚ablegen‘ 61, 70, 112, 115–117 Charakter und Handlung 116, 116171 Commedia dell’arte 123 Dramaturgie 74, 85–113, 119–120, 121–122 Diskontinutät 85–113 ‚Dunst und Nebel‘ 123 emotionale Struktur 92, 113–114 Überkreuzdramaturgie 117–119, 165 eijkov" 59, 119 Entschädigung bei Freiheitserklärung 54–55, 150–151 Erbtochtergesetz 82, 140, 157 exodium 65 Exposition 51–53, 128 Farce 44, 47, 62, 63, 65, 67, 119181 feszenninischer Hickhack 102100, 168 fides 185–186 Flagitatio 111145 hinterszenische Schreie Gebärender 83184 hinterszenisches Dunkel 61, 122 Humanität 38, 59, 87, 126, 135, 136–137, 140, 156, 166, 167, 169 in integrum restitutio 146–148, 153, 167 Karneval 20–21
Kasperletheater 61, 117 Katharsis 118 Kochrolle 56, 74, 143 liberalis / liberalitas 158–159 Metaphorik 125–126 metatheatralisch 109, 115 Metrik / Musik 81, 92, 98, 100–101, 107, 14143 moralische Indifferenz 140 Mündlichkeit 11, 114, 117, 119, 121, 123 Peripatos 133 filanqrwpiva 63, 71, 102, 106, 113, 129, 132–137, 13929, 166, 167 Plautinisches im Terenz 54, 63, 64–65, 73, 74, 90, 91, 94, 95, 98, 99, 103, 111145, 112, 114, 116, 117, 118, 119181, 120, 122–123, 124, 130, 140–142, 143, 168 ‚Theater der Rede‘ 73133 Quiritatio 121 Satire / satirisch 13, 19, 26, 28, 29, 32, 35, 42, 60, 108, 111141, 118, 119, 157 Saturnalien 2143, 62, 65, 112, 114, 118, 140–142, 165, 166, 167, 168 Servus currens 92–93, 120–121, 14142, 143 Stegreifspiel 11, 63–65, 85, 88, 114–126, 140, 141, 142, 166, 168, 170 summum ius summa iniuria 146–148, 167 ‘thickening up’ 119–120 trofei'a 5525, 75 Tyche 19, 77, 79, 82, 93, 129, 131–132, 138, 140, 165, 168, 169 vera vita 38, 63, 66, 108, 157 verbum de verbo (11) 9 vraisemblance 23, 24, 58–59 Würfelgleichnis 2787, 102, 135–136, 157 Zypernreise des Kupplers 154
Register
185
3. Szenen und Stellen der Adelphoe Prolog I1 I2 II 1–4 II 1 II 2 II 3-4 III 1–2 III 3 III 4 III 5 IV 1 IV 2 IV 3 IV 4 IV 5 IV 6 IV 7 V1 V2 V3 V4 V5 V6 V7 V8 V9
10–11, 51, 144 86, 138 86–88, 138 53–55, 119, 148–155 88–90 90 90–91, 119 80, 83–84, 92–93, 118, 144 74, 93–96, 99, 103, 143 73, 82, 96–97, 144, 155–156 97 97–98 74, 98–99, 103 100 80–81, 101–101, 133–134 20, 38, 80–81, 101, 133–134 102 102 74, 103–104 104 104–107 66–69, 107–108 108–109 109 110, 119 111-112 112–113, 119
8–9 15–21 26–854 26–354 27–997 40–49 40–47 42–47 43–44 44 53–54 57–58 60–64 64 68–77 69 75 91–93 97 98–99 107 111 120–121 126 141–154 145
53 144 162 9 162 51, 86 48, 514 107–108 15, 86 75, 77–78 134 16, 159 14 157 48, 72–73, 160142 16 16 122 72 30, 135, 13929 136 136 14 118 87 13622
151 194 196b–208 224 241 254–270 254–259 277–280 277 299–320 355–360 355–356 355 365–371 366 368 369–370 369 370 377–378 397 403–413 404–406 409 413 424–429 435–446 441–442 448–450 454 463–464 470–471 479–482 485–486 490 492 496 501–504 501–502 506 510 514 534 544–547 589–591 592–593 593 601 609 618–624 625–628 628 631 643–644
52 76 40, 89–90 122 142 90–91 164 55 91 124 114 122 142 73 75142 57 75142 55 56 142 126 98 51 15 15 56 114 14 158 158 159 136 109, 144 73 158 158 158 158 86 158 126 100 141 99 143 96, 135, 156 100 156–157 58 101 134 55 134 14
186 643 660 662 664 669 675 683 687 690 703 707–712 711–712 713 720 727 728 737–741 738 739–741 741–742 742–743 742 746–753 758–762 763–765 769 783–786 786 787 796–798 800–803 800 803–804 804 806–835b 820–837 821–830 824–825 832–834 855–876 855 867–868
Register 134 157 159 159 16 157 134 100, 136 134 82, 101 49 28 142 102 13516 102, 122 135 71, 157 2787 100 55 71 73 102 58 103 58 143 42 105 157 55 105–106 17 134 157 138 16 118 49, 68 48 16
877–888 877–881 880 881 882–928 883–887 883–885 883–884 885 886 891–896 891–892 911–915 912 915 929–946 933 934–946 934–939 938–939 940 944–945 944 946 947–979 952–954 954–955 956 957 958 960 967 968 969 976 979–982 985–995 985–988 989–995 995–996 995 997
69 33, 49, 62, 66, 108 125 142 6051 10830 124 125 115 159 124 125 124 125 125 6051 157 60 126 17, 77 111 61–62 115 124 6051 118 125 60 118 124, 125 157 57 157 60 157 6053 62 33, 66, 108, 157 33, 69, 1953 164 116168 75139.
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ZETEMATA IM VERLAG C. H. BECK Monographien zur Klassischen Altertumswissenschaft. Die Hefte 1, 2, 4–7, 11–20, 23–30, 33–36, 40, 41, 47–50, 76, 79, 98, 103, 105, 113 sind vergriffen. 3: Studien zu den platonischen Nomoi von G. Müller. 2., durchges. Aufl. 1968 8: Aristotelesstudien. Philologische Untersuchungen zur Entwicklung der aristotelischen Ethik von R. Stark. 2., erw. Aufl. 1972 9: Die Quellen des griechischen Alexanderromans von R. Merkelbach. 2. Aufl. 1977 10: Die Urkunden im Geschichtswerk des Thukydides von C. Meyer. 2., durchges. Aufl. 1979 21: Naucellius und sein Kreis. Studien zu den Epigrammata Bobiensia von W. Speyer. 1959 22: Sprachliche Deutung als Triebkraft platonischen und sokratischen Philosophierens von C. J. Classen. 1959 31: Demosthenes im 18. Jahrhundert von U. Schindel. 1963 32: Mageiros. Die Rolle des Kochs in der griechisch-römischen Komödie von H. Dohm. 1964 37: Griechische Grammatik in der Vergilerklärung von M. Mühmelt. 1965 38: „Lizenzen“ am Versanfang bei Plautus von H. Drexler. 1965 39: Die erotischen Epoden des Horaz von V. Grassmann. 1966 42: Die allegorische Dichtkunst des Prudentius von R. Herzog. 1966 43: Beobachtungen zur Darstellungsart in Ovids Metamorphosen von E. J. Bernbeck. 1967 44: Formproblemuntersuchungen zu den Reden in der frühgriechischen Lyrik von R. Führer. 1967 45: Paratragodia. Untersuchung einer komischen Form des Aristophanes von P. Rau. 1967 46: Die Soldaten und die römische Politik in der Zeit von Caesars Tod bis zur Begründung des Zweiten Triumvirats von H. Botermann. 1968 51: Die Beurteilung des Perikles durch die attische Komödie und ihre historische und historiographische Bedeutung von J. Schwarze. 1971 52: Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung der Argonautica des C. Valerius Flaccus von W. W. Ehlers. 1970 53: Homerisches in römischer Epik flavischer Zeit von H. Juhnke. 1972 54: Der Eselsroman von H. van Thiel. I. Untersuchungen. 1971. II. Synoptische Textausgabe. 1972 55: Nomos und Psephisma. Untersuchungen z. griechischen Staatsrecht von F. Quass. 1971 56: Formale Konventionen der Homerischen Epik von T. Krischer. 1971 57: Die Theologie Epikurs von D. Lemke. 1973 58: P. Ovidius Naso. Der Brief der Sappho an Phaon von H. Dörrie. 1975
59: Plurima Mortis Imago. Vergleichende Interpretationen zur Bildersprache Vergils von H. Raabe. 1975 60: Textstudien zu Lukrez von W. Richter. 1974 61: Ethologische Überlegungen auf dem Gebiet der Altertumskunde von D. Fehling. 1974 62: Die Erklärungen zum Weltbild Homers und zur Kultur der Heroenzeit in den bT-Scholien zur Ilias von M. Schmidt. 1976 63: Parmenides zum Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit von J. Jantzen. 1976 64: Phokion. Studien zur Erfassung seiner historischen Gestalt von H.-J. Gehrke. 1976 65: Die Form der Widerlegung beim frühen Aristoteles von K. Schickert. 1977 66: Kampfparänese, Kampfdarstellung und Kampfwirklichkeit in der Ilias, bei Kallinos und Tyrtaios von J. Latacz. 1976 67: Zur Komposition der Argonautica des Valerius Flaccus von J. Adamietz. 1976 68: Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung von G. Häntzschel. 1977 69: Dichtung und Lehre. Untersuchungen zur Typologie des antiken Lehrgedichts von B. Effe. 1977 70: Senecas Naturales Quaestiones. Griechische Wissenschaft und römische Form von F. P. Waiblinger. 1977 71: Der Hexameter in Rom. Verstheorie und Statistik von K. Thraede. 1978 72: Gründungsmythen und Sagenchronologie von F. Prinz. 1979 73: Die rhetorische Zahl. Quellenkritische Untersuchungen anhand der Zahlen 70 und 700 von A. Dreizehnter. 1978 74: Der Phormio des Terenz und der Epidikazomenos des Apollodor von Karystos von E. Lefèvre. 1978 75: Das Denkmal als Garant des Nachruhms von H. Häusle. 1980 77: Antike Theorien über Entwicklung und Verfall der Redekunst von K. Heldmann. 1982 78: Entscheidungsfreiheit bei Platon von W. M. Zeitler. 1983 80: Historische und epische Tradition bei Silius Italicus von E. Burck. 1984 81: Dramatische Strukturen der griechischen Tragödie. Untersuchungen zu Aischylos von G. A. Seeck. 1984 82: Alexander der Große und Arabien von P. Högemann. 1985
83: Zum Wortfeld, „Seele-Geist“ in der Sprache Homers von Th. Jahn. 1987 84: Künstlichkeit von Kunst. Zur Geschichtlichkeit der alexandrinischen Poesie von E.-R. Schwinge. 1986 85: Claudius Claudianus: Panegyricus dictus. Olybrio et Probino consulibus. Text, Übersetzung, Kommentar von W. Taegert. 1988 86: Affekte und Strukturen. Pathos als ein Form- und Wirkprinzip von Vergils Aeneis von R. Riecks. 1989 87: Römische Geburtsriten von T. Köves-Zulauf. 1990 88: Dramaturgie des Zufalls. Tyche und Handeln in der Komödie Menanders von G. VogtSpira. 1992 89: Ovids Heroides als Elegien von F. Spoth. 1992 90: Die „dunklen Jahrhunderte“ der Persis. Untersuchungen zu Geschichte und Kultur von Fars in frühhellenistischer Zeit (330–140 v. Chr.) von J. Wiesehöfer. 1994 91: Terenz und Menanders Heautontimorumenos von E. Lefèvre. 1994 92: Apollonios Rhodios und die antike Homererklärung von A. Rengakos. 1994 93: Kampanien als geistige Landschaft. Interpretationen zum antiken Bild des Golfs von Neapel von E. Stärk. 1995 94: Die Aristotelische Topik. Ein Interpretationsmodell und seine Erprobung am Beispiel von Topik B von O. Primavesi. 1996 95: Untertanentopik. Zur Darstellung der Führungsschichten in der kaiserzeitlichen Geschichtsschreibung von M. Vielberg. 1996 96: Nicht-Denkfehler und natürliche Sprache bei Platon. Gerechtigkeit und Frömmigkeit in Platons Protagoras von G. A. Seeck. 1997 97: Bildung und Macht. Zur sozialen und politischen Funktion der zweiten Sophistik in der griechischen Welt der Kaiserzeit von Th. Schmitz. 1997 99: Die Konstruktion der Handlung in der Orestie des Aischylos. Die Makrostruktur des ,Plot‘ als Sinnträger in der Darstellung des Geschlechterfluchs von L. Käppel. 1998 100: Zur Technik von Anspielung und Zitat in der römischen Dichtung. Vergil, Gallus und die Ciris von D. Gall. 1999 101: Terenz’ und Apollodors Hecyra von E. Lefèvre. 1999 102: Studien zur poetischen Kunst des Valerius Flaccus von P. Schenk. 1999 104: Publikum und Redner. Ihre Interaktion in der sophistischen Rhetorik der Kaiserzeit von M. Korenjak. 2000
106: Bakchylides. 100 Jahre nach seiner Wiederentdeckung hrsgg. von A. Bagordo u. B. Zimmermann. 2000 107: Das Ende des Ödipus bei Sophokles. Untersuchungen zur Interpretation des „Ödipus auf Kolonos“ von W. Bernard. 2001 108: Fabulae Praetextae. Spuren einer literarischen Gattung der Römer von G. Manuwald. 2001 109: Hyperesie und Epiphanie. Ein Versuch über die Bedeutung der Götter in den Dramen des Euripides von Chr. Wildberg. 2001 110: Der Satiriker Lucilius und seine Zeit hrsg. von G. Manuwald. 2001 111: Sprachbewußtsein und Sprachvariation im lateinischen Schrifttum der Antike von Roman Müller. 2001 112: Valerius Flaccus Argonautica Buch VI. Einleitung und Kommentar von Thomas Baier. 2002 114: Die Tragödien des Euripides von Kjeld Matthiessen. 2002 115: lectiones vetustatis. Römische Literatur und Geschichte in der lateinischen Literatur der Spätantike von Ulrich Eigler. 2003 116: Naturerkenntnis und Naturerfahrung. Zur Reflexion epikureischer Theorie bei Lukrez von Lorenz Rumpf. 2003 117: ,Terenz‘ und Menanders Eunuchus von E. Lefèvre. 2003 118: Reminiszenzen früher Lyrik bei den attischen Tragikern. Beiträge zur Anspieltechnik und poetischen Tradition von Andreas Bagordo. 2003 119: Euripides und sein Jahrhundert von Kjeld Matthiessen. 2004 120: Untersuchungen zu den Argonautica des Valerius Flaccus. Ratis omnia vincet III hrsg. von François Spaltenstein. 2004 121: Die hämische Muse. Spott als soziale und mentale Kontrolle in der griechischen Komödie von Isolde Stark. 2004 122: Senecas Naturales Quaestiones. Naturphilosophie für die römische Kaiserzeit von Bardo Maria Gauly. 2004 123: Quintus Smyrnaeus und die Aeneis. Zur Nachwirkung Vergils in der griechischen Literatur der Kaiserzeit von Ursula Gärtner. 2005 124: Das Spiel mit eigenen Texten. Wiederholung und Selbstzitat bei Ovid von Irene Frings. 2005 125: Geschichte und Fiktion in der homerischen Odyssee hrsg. von Andreas Luther. 2006 126: Heidegger und die Antike hrsg. von HansChristian Günther und Antonios Rengakos. 2006
127: Terentius Poeta hrsg. von Peter Kruschwitz, Widu-Wolfgang Ehlers und Fritz Felgentreu. 2007 128: Aeneas dux in Vergils Aeneis von Markus Schauer. 2007 129: Die innere Vergegenwärtigung des Bühnenspiels in Senecas Tragödien von Christoph Kugelmeier. 2007 130: Das frühe Ilion von Dieter Hertel. 2008 131: Die semiotische Erkenntnistheorie Platons im Siebten Brief von Maria Liatsi. 2008 132: Terenz’ und Menanders Andria von Eckard Lefèvre. 2008 133: Aischylos von Robert Bees. 2009 134: Wissen, Kommunikation und Selbstdarstellung von Thorsten Fögen. 2009 135: Die Hetäre in der griechischen und römischen Komödie von Ulrike Auhagen. 2009 136: Am Ende des Lebens von Hartwin Brandt. 2010
137: Platons Theaitetos von Gustav Adolf Seeck. 2010 138: Die Asinaria des Plautus von Florian Hurka. 2010 139: sine ira et studio von Konrad Heldmann. 2011 140: Livius und der Leser von Dennis Pausch. 2011 141: Platons Sophistes von Gustav Adolf Seeck. 2011 142: Götter und menschliche Willensfreiheit von Thomas Baier (Hrsg.). 2012 143: T. Maccius Plautus Cistellaria von Walter Stockert. 2012 144: Platons Politikos von Gustav Adolf Seeck. 2012 145: Terenz’ und Menanders Adelphoe von Eckard Lefèvre. 2013
Zum Buch Die Adelphoe (Die Brüder) von 160 v. Chr. sind die letzte der sechs Komödien des Terenz. Sie wurden nach Menanders verlorenem gleichnamigen Stück gedichtet. Es wird versucht, einerseits aufgrund typisch menandrischer Passagen in der römischen Version das Original zu rekonstruieren, andererseits die Züge herauszuarbeiten, auf die es Terenz ankam. Es zeigt sich, daß an die Stelle griechischer Ethik römische Komik getreten ist. Besondere Aufmerksamkeit wird den aktuellen juristischen Diskussionen der Scipionenzeit gewidmet. Über den Autor Prof. Dr. Dr. h.c. Eckard Lefèvre war von 1974 bis 2003 ord. Professor für Klassische Philologie an den Universitäten Saarbrücken und Freiburg i. B. Seine Hauptforschungsgebiete sind griechische und römische Tragödie, griechische und römische Komödie und neulateinische Literatur.