275 49 9MB
German Pages 44 [45] Year 1978
Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR
\ Q J_ 1
Mathematik - Naturwissenschaften - Technik
A. Zimm/F. Grimm
Tendenzen der Bevölkerungsverteilung und Stellung der Städte im Siedlungssystem
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
1 ^ ^
Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR Mathematik — Naturwissenschaften — Technik
Jahrgang 1977 • Nr. 19/N
Alfred Zimm
Zu einigen Tendenzen der Bevölkerungsverteilung und der Naherholung in agglomerierten Gebieten
Frankdieter Grimm
Zur Stellung der Städte der DDR im Siedlungssystem nach ihren In-, Umland- und Fernfunktionen
AKADEMIE-VERLAG • B E R L I N 1977
Vorträge gehalten vor der Klasse Umweltschutzund Umweltgestaltung von Prof. Dr. sc. Alfred Zimm, Humboldt-Universität Berlin am I i . 10. 1976 und von Dr. Frankdieter Grimm, Institut für Geographie und Geoökologie der AdW der DDR, am 10. 3. 1977 (gemeinsames Kolloquium mit der Sektion Städtebau und Architektur der Bauakademie der DDR).
Herausgegeben im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der D D R von Vizepräsident Prof. Dr. Heinrich Scheel
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1977 Lizenznummer: 202 • 100/375/77 Gesamtherstellung: VEB Druckhaus Kothen Bestellnummer: 762 590 5 (2010/77/19/N) • LSV 0305 Printed in GDR DDR 4 , - M
Sitzungsberichte der AdW der DDR
19 N/1977
Alfred Zimm
Zu einigen Tendenzen der Bevölkerungsverteilung und der Naherholung in agglomerierten Gebieten Es wird davon ausgegangen, daß unsere Bemühungen hinsichtlich des Umweltschutzes und der Umweltgestaltung zum letzten Ziel haben, zur Optimierung des menschlichen Lebens beizutragen, also dem Menschen eine solche Umwelt zu erhalten bzw. zu schallen, die ihm auf der Basis zureichender Lebens- und Arbeitsbedingungen seine ständige Reproduktion und die nachfolgender Generationen gewährleistet. Zur Lösung dieser Aufgabe sind natürlich Schwerpunkte zu setzen. Dabei ist hervorzuheben, daß ein regionaler Schweipunkt wohl zu den grundsätzlichen gehört. Es ist durchaus nicht nur die Frage zu stellen, wie soll der Umweltschutz vorrangig durchgesetzt werden, es ist auch und gleichberechtigt zu fragen, wo soll und muß dies vorrangig geschehen? In erdweiter Sieht wäre zuerst unter dem Vorrangigkeitsaspekt die Feststellung aufschlußreich, daß — unter Annahme, daß dort Umweltprobleme gehäuft auftreten (und sich von da verbreiten), wo auch Menschen gehäuft auftreten — nach einer übcrschlägigen Bilanz sich V3 der Menschheit auf nur 3 % der Festlandsfläehe (ohne Antarktis) der Erde konzentriert, ein weiteres Drittel auf 8 % der Fesllandsfläche lebt und das letzte Drittel auf 8 9 % der Festlandsfläche verteilt ist. Auch unter Anerkennung der Tatsache, daß Umweltschädigungen sich relativ dynamisch verpflanzen können, wäre wohl der regionale Ansatz von Mitteln und Kräften besonders im ersten Drittel-Bereich von entscheidender Bedeutung, denn hier „ballen" sich die Umweltprobleme und von hier nehmen sie wesentliche Ausgangspunkte ihrer überörtlichen Verpflanzung. Sucht man den Raum (die Räumlichkeiten) der Massierang der Probleme Mensch—Umwelt genauer zu erfassen, dann ist festzustellen, daß im Verlaufe der historischen Entwicklung sich von allen räumlichen Organisationsformen des menschlichen Lebens die städtische Lebensweise zur vorherrschenden entwickelt hat. Vom unbedeutenden Anteil an der Gesamtbevölkerung, der um 1800 bei nur ?>% lag, führte die Entwicklung- dazu, daß gegenwärtig rund vier Zehntel der Menschen in Städten leben. Setzt man dies in Relation zur Siedlungsfläche dieser Städte, so konzentrierten sich diese 40% auf nur 0,3% des Territoriums unserer Erde (GOCIIMANN U. a. 1976). Die Tab. 1 weist aus, daß allein in der Zeit von 1950—1970 die Stadtbevölke-
3
l'img auf fast das Zweifache anstieg. Das scheint in seiner Dynamik ein anhaltender Prozeß zu sein, denn für das Ende des 20. Jahrhunderts rechnet man — laut Prognose der Demographen der UNO — mit einer prozentualen Beteiligung der Stadtbevölkerung von mehr als 50% (51,1%). Das wären dann mehr als 3 Milliarden Menschen (3,3 Mrd.). Oder anders: Allein der Zuwachs der Stadtbevölkerung zwischen 1970 und 2000 würde die Gesamtsumme der Stadtbevölkerung des Jahres 1970 übertreffen. Wie andere weltweite Prognosen ist auch diese mit einigen unwägbaren Variablen verbunden. Hier sei nur darauf hingewiesen, daß der Urbanisierungsprozeß in vielen Entwicklungsländern durch eine „Pseudostadtbevölkerung" aufgebläht wird, indem sich besitzlose Dorfbevölkerung in der Hoffnung auf lebenserhaltende Erwerbstätigkeit in randlichen Stadtslums (Wellblechstädte, Favellas, Barriados) ballt, Gelegenheitsarbeiten nachgeht und trotz relativ großer Zahl kaum an den Stadtfunktionen teilhat. Sie schlagen demnach statistisch als Stadtbevölkerung zu Buche, ohne eigentlich organisch mit der Stadt verbunden zu sein. Trotz solcher und anderer Fehlerquellen (z. B. Basierung der internationalen Trends auf der Basis nationaler Kriterien der Bezeichnung der Stadtbevölkerung) in der quantitativen Bezeichnung der Stadtbevölkerung und ihrer Entwicklung ist es für die Einschätzung der Prognoseangaben aufschlußreich, daß sie sowohl von führenden Demographen sozialistischer wie kapitalistischer Länder als generell wahrscheinlich angesehen werden, weil sie, bei unterschiedlicher sozial-ökonomischer Ausprägung dieser Prozesse, den zu erkennenden Entwicklungstrend richtig widerspiegeln. Unabhängig von der ganz konkreten Zahlenangabe könnte mit größter Sicherheit formuliert werden, daß die Evolution der menschlichen Lebensweise und ihrer räumlichen Organisationsformen generell von der Stadtentwicklung geprägt wird, wobei diese in Inhalt und Form sozial-ökonomischer Determinierung unterliegt. Tabelle 1 Dynamik der Entwicklung der Stadtbevölkerung der Erde Gesamtbevölkerung (Mill.)
städtische Bevölkerung (Mill.)
Anteil der S ladtbevöllcerung
(%) 1800
906
29,3
1850
1171
80,8
3,2 6,9
1900
1608
224,4
14,0
1950
2400
706,4
29,4
1960
2995
984,4
32,9
1970
3628
1399,0
38,6
1980
3848
1780,0
46,2
nach: DAVIS (1972), GOCHMAN, LAPPO, PIVOVAROV (1976), „ N a r o d o n a s e l e n i e stran mira"
(1974), PIVOVAROV (1972 und 1976), „Growth of the world's urban and rural population, 1 9 2 0 — 2 0 0 0 " (1969), „The s t u d y of U r b a n i z a t i o n " (1965).
4
Natürlich wird dieser Prozeß regional differenziert sein, wenn er auch allenthalben mit verschiedenartiger gesellschaftlicher Grundlegung und Zielorienticrung wirkt. Nach Berechnungen der UN-Bevölkerungskommission werden um 2000, wenn der Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung der Erde 51,1% erreichen wird die Anteilzahlen sich regional wie folgt verhalten (Tab. 2), Tabelle 2 Dynamik der prozentualen Anteile der Stadlbevölkerung an der Gesamtbevölkerung nach Großraumen Räume
1020
1970
1980
2000
Europa (ohne UdSSR) UdSSR Nordamerika Australien/Oceanien Afrika Ostasien Südasien Lateinamerika
46,0 15,0 52,0 47,0 7,0 9,0 9,0 22,0
53,3 57,1 74,3 67,9 22,3 29,6 20,7 40,5
65,0 68,0 81,0 75,0 28,0 31,0 25,0 60,0
71,0 85,0 87,0 80,0 39,0 40,0 35,0 80,0
nach: Narodonaselenie stran mira. 1974 u. a.
Die Tabelle spiegelt tendenziell die folgende Gruppierung des Urbanisierungsprozesses wider (RÖHR, 1976): — Nordamerika, Australien/Oceanien, Europa (ohne UdSSR): Länder mit hohem Ausgangsniveau der Urbanisierung und weiterer schneller Entwicklung. — UdSSR, Lateinamerika: Länder mit niedrigem Ausgangsniveau und sehr schneller Entwicklung. — Südasien, Afrika, Ostasien: Länder mit sehr niedrigem Ausgangsniveau, die bei bemerkenswerter Urbanisierung noch bis zum Jahre 2000 ein überwiegen der ländlichen Bevölkerung aufweisen. Der Verzögerungseifekt weist somit noch zur Jahrhundertwende das Erbe kolonialer und halbkolonialer Vergangenheit aus. Bedeutsam ist, daß in der ersten und zweiten Gruppe die ursprünglich (1920) sehr starken Differenzen zwischen den höchsten und niedrigsten Werten des Urbanisierungsgrades bemerkenswert abgebaut wurden und werden. Nöda einen weiteren Schritt zur Erkenntnis des „Hauptwirkungsraümes" der Menschen, d. h. zur Fixierung seiner hauptsächlichen täglichen „Umwelt", geht man mit der Feststellung, daß der bisher gekennzeichnete Stadtentwieklungsprozeß zugleich mit einem KonzentrationseiTekt verbunden ist. Dieser drückt sich in der steigenden Anzahl der Bevölkerung aus, die in Großstädten (über 100 000 Einwohner) arbeitet, wohnt und lebt, deren hauptsächliche Umwelt also die Groß5
und Riesenstadt ist. 1970 wohnten annähernd V0
60
•r->
& 1*0
c:
20
10
0
10
100
1000
10000
1Mb
Einwohnerzahl
Abb. 8 Stadtgröße und Anteil der Innenfunktionen Die %-Anteile für IF steigen von unter 10% der Städte unter 10 000 Ew. bis zu über 50% bei den größten Großstädten der DDR. Je größer eine Stadt ist, desto vielfältiger sind ihre Funktionen und ein um so größerer Teil der erforderlichen Wechselbeziehungen erfolgt innerhalb der Stadt. Je spezialisierter eine Stadt oder Gemeinde ist, desto stärker ist der Anteil ihrer Außenfunktionen. Die Erforschung der Innenfunktionen wurde von uns bisher nur so weit geführt, wie es zum Gesamtverständnis der Stadtfunktionen nötig war. Inzwischen haben wir mit vertieften Untersuchungen zum Inhalt dieser Innenfunktionen begonnen, und wir sehen gerade hier einen Ansatzpunkt sowohl für die interdisziplinäre 31
Zusammenarbeit mit der Städtebauforschung als auch für die Erweiterung der bisherigen geographischen Siedlungsforschung um den Umweltaspekt. Vergleichende Zusammenführung
der Innen-, Umland- und
Fernfunktionen
Ausgehend von der Notwendigkeit, die von uns bisher vorrangig untersuchten Umlandfunktionen in das gesamte Spektrum der Stadtfunktionen einzupassen, bildeten diesbezügliche Untersuchungen einen Schwerpunkt unserer Forschungen im Jahre 1976. Zur Verwirklichung dieser Zielstellung mußte eine gemeinsame Bezugsgröße für den direkten Vergleich der Innen-, Umland- und Fernfunktionen gefunden werden und auf diesem Wege die Stadtjunktionen vergleichend quantitativ bestimmt werden. Dabei wurden von uns 320 Städte/Gemeinden in die Untersuchung einbezogen: sämtliche Städte/Gemeinden über 8000 Ew., sämtliche Kreisstädte, sämtliche Lokalzentren, Industriestandorte mit mehr als 5000 Beschäftigten. Kernpunkt war die Berechnung der Innen-, Umland- und Fernfunktionen dieser 320 Städte. Eine direkte Bestimmung der drei Funktionen für eine solch große Anzahl von Städten ist nicht möglich. Es liegen weder die erforderlichen Daten vor noch stehen praktikable Verfahren zur Verfügung. Daher wählten wir die indirekte Bestimmung des Umfangs und des Anteils dieser Funktionen und ermittelten die Zahl der Beschäftigten, die für die einzelne Funktion in der Stadt tätig sind. Dieser Ausgangspunkt enthält zwei vereinfachte Annahmen, die bei der Ergebnisinlcrpretation beachtet werden müssen: — 1 Beschäftigter = 1 Einheit Stadtfunktion — administrative Stadtgrenze = funktionale Stadtgrenze In engem Erfahrungsaustausch mit dem Institut für Geographie und Raumforschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau wandten wir für unsere Berechnungen die Minimum-Requirement-Methode an (AI.EXANDEHSSON 1956, JERCZYXSKI 1972). Bei dieser Methode wird zunächst ermittelt, wieviele Beschäftigte für eine bestimmte Stadtfunktion, z. B. Volksbildung, in jeder der untersuchten Städte vorhanden ist. Es wird nun vorausgesetzt, daß der niedrigste Prozentsatz, der in einer der Städte vorkommt, für die Existenz dieser Stadt wie auch jeder anderen Stadt unabdingbar notwendig ist( Minimum requirement -Mindeslerfordernis) und daß er in allen Städten gleich ist. Dieser Mindestprozentsatz repräsentiert die notwendigen Innenfunktionen der Städte. Darüber hinausgehende Beschäftigtenzahlen widerspiegeln Funktionen, die nach außen gerichtet sind. Diese Außenfunktionen errechnen sich durch Substraktion des Mindestprozentsatzes (IF) von dem Gesamtprozentsatz der Beschäftigten für die jeweils untersuchte Stadtfunktion. AF = F - IF. 32
Dieses Grundschema unserer Berechnungen wurde in folgenden Punkten präzisiert: — die Berechnungen erfolgten nicht undifferenziert für die Gesamtheit der 320 Städte, sondern jeweils für Städte gleicher Größe, wir unterscheiden 9 Städtegruppen — das Minimum wurde für jede dieser Städtegruppen gesondert berechnet, dabei ersetzten wir das mit Zufälligkeiten behaftete absolute Minimum durch einen modifizierten Wert in Ableitung aus der gesamten Verteilungskurve
Abb. 91 Minimum-requirement-Methode zur Trennung der Innen (IF) - und Außenfunktionen (AF)
Wir untersuchten 38 städtische Funktionen, die in ihrer Gesamtheit das gesamte Spektrum der Stadtfunktionen umfassen. Die dabei auftretenden Kurven seien an zwei Beispielen erläutert:
33
1. Stein- und Braunkohlenindustrie und Chemieindustrie sind Beispiele für Sladtfunktionen, die nur an wenigen Standorten vorkommen. Derartige Stadtfunktionen zählen nicht zum Mindesterfordernis einer „normalen Stadt". Bei unseren Berechnungen wurde für diese Funktionen der Eigen- und Umlandbedarf vernachlässigt, und die Gesamtheit der Beschäftigten beider Industrien wurde den Fernfunktionen zugeordnet.
Prozent der Städte
Abb. 10 tionen
Chemie-industrie und Kohlegewinnung als Beispiele für spezialisierte Funk-
2. Volksbildung und Außenhandel/Binnenhandel sind Beispiele für Stadtfunktionen, die an jedem Standort vorkommen. Diese Funktionen sind als Innenfunktionen in jeder Stadt vorhanden. Die geringfügigen Unterschiede von Stadt zu Stadt sind hauptsächlich durch die unterschiedliche Umlandbedeutung zu erklären. Daher wird der berechnete Mindestprozentsatz den Innenfunktionen zugeordnet, der verbleibende Teil den Umlandfunktionen 3-i
Beide Fälle sind einfach gelagerte Fälle. Nahezu bei der Hälfte aller Kurven waren gleichzeitig Innen-, Umland- und Fernfunktionen enthalten, wodurch ein zusätzliches Berechnungsverfahren erforderlich wurde ( I L L E R I S 1964).
Prozent
Abb. 11
der
Städte
Volksbildung und Handel als Beispiele für ubiquitäre Stadtfunktionen
Im Ergebnis unserer Berechnungen lagen Zahlen für jede der 38 Funktionen bei den untersuchten 320 Städten vor. Sie wurden für jede einzelne Stadt addiert und ergaben quantitative, vergleichbare Aussagen zu den Innen-, Umland- und Fernfunktionen jeder der untersuchten Städte. Typisierung
der
Städte
Mit der Berechnung der Innen-, Umland- und Fernfunktionen wurde ein Ansalzpunkt für die vertiefte Erforschung jeder dieser drei Stadtfunktionsgruppen geschaffen. Das Hauptziel der methodischen Vereinheitlichung bestand jedoch darin, diese drei Funktionen untereinander vergleichen und in eine Gesamtbeurteilung der Stellung der Städte im Siedlungssystem zusammenführen zu können. Daher wurden die einzelnen Berechnungsergebnisse in eine Typisierung der Städte der DDR nach ihrer Stellung im Siedlungssystem zusammengefaßt, soweit sich diese Stellung durch die Innen-, Umland- und Fernfunktionen erfassen läßt. Eine Typisierung der Städte aufgrund der ermittelten Daten kann unter zwei Gesichtspunkten erfolgen: — Gruppierung und Typisierung der Städte nach den Bedeutungsanteilen der Innen-, Umland- und Fernfunktionen, um eine Grundlage zur Untersuchung 35
der optimalen Proportionen in einer „normalen" Stadt — oder in mehreren „normalen" Stadttypen zu schaffen — Gruppierung und Typisierung- der Städte nach der Bedeutung ihrer Umlandund Fernfunktionen — und indirekt auch der Innenfunktionen — im Sicdlungssystem, um Grundlagen zu schaffen für die Definition von optimalen Städten oder Stadttypen in optimalen Siedlungssystemen. Da unsere Forschungen auf das Siedlungssystem der DDR, seine Grundstruktur und seine Subsysteme ausgerichtet sind, gaben wir der absoluten Bedeutung der Umland- und Fernfunktionen der Städte den Vorzug. Da die beiden obengenannten Gesichtspunkte sich nahestehen, werden in bestimmter Weise dabei zugleich auch die Bedeutungsanteile innerhalb der einzelnen Stadt berücksichtigt. Die Innenfunktionen werden infolge ihrer engen Wechselbeziehungen mit den Außenfunktionen indirekt einbezogen. Unserer Typisierung der Städte nach ihrer Stellung im Siedlungssystem liegt daher eine Kombination absoluter Kennwerte für Umlandfunktionen und Fernfunktionen zugrunde: — Umlandfunktionen wurden mittels Punktbewertung aus der direkten Bestimmung der politisch-administrativen, arbeitsräumlichen, kulturellen, sozialen und Einzelhandelsbedeutung der einzelnen Städte abgeleitet (in Weiterentwicklung der Stadttypisierung nach G R I M M , H Ö N S C I I 1 9 7 4 ) . — Fernfunktionen wurden aufgrund der Beschäftigungsstruktur mit Hilfe der Minimum-Requircment-Methode und des Trennverfahrens nach I L L E R I S (1964) berechnet. Der Bildung der Typen wurden folgende Prinzipien und Rahmenbedingungen zugrunde gelegt: — Schaffung einer begrenzten, überschaubaren Anzahl von Typen — Berücksichtigung des hierarchischen Aufbaus des Städtesystems hinsichtlich der Umlandfunktionen — Berücksichtigung der Proportionalität der Funktionen durch Heraushebung besonders dominierender Fernfunktionen oder Umlandfunktionen — Abgrenzung von Typen aufgrund von Häufigkeiten und Schwellenwerten. Die Anwendung dieser Prinzipien auf die untersuchten 320 Städte führte zu 14 Stadttypen aufgrund der Stellung im Siedlungssystem: Typ 1: Großstädte mit sehr umfangreichen Umland- und Fernfunktionen z. B. Magdeburg, IF : UF : F F = 51 : 27 : 22 Typ 2: Bezirks- und Gebietszentren mit umfangreichen Fernfunktionen z. B. Schwerin, IF : UF : FF = 36 : 39 : 25 Typ 3: Gebietszentren mit vorwiegender Umlandbedeutung z. B. Stendal, IF : UF : FF = 28 : 49 : 23 Typ 4: Groß- und Mittelstädte mit dominierender Fernfunktion z. B. Jena, IF : U F : FF = 33 : 24 : 43 Typ 5: Gebietszentren mit ausgeprägten Fernfunklionen z. B. Mülilhausen, IF : UF : FF = 30 : 38 : 32 36
Typ Typ Typ Typ Typ Typ Typ Typ Typ
6: Kreiszentren mit dominierender Umlandbedeutung z. B. Gardelegen, I F : U F : F F = 13 : 48 7: Kreiszentren mit begrenzten Fernfunktionen z. B. Demmin I F : U F : F F = 20 : 41 8: Kreiszentren mit stärkeren Fernfunktionen z. B. Forst, IF : U F : F F = 24 : 36 9 : Partielle Kreiszentren mit stärkeren Fernfunktionen z. B. Ueckermünde, I F : U F : F F = 17 : 28 10: Kreiszentren mit sehr starken Fernfunktionen z. B. Kothen I F : U F : F F = 25 : 29 11: Lokalzentren/Mittelpunktsorte mit vorwiegender Umlandbedeutung z. B. Calau, I F : U F : F F = 12 : 47 12: Kleinstädte mit ausgeprägten Fernfunktionen z. B. Torgelow, I F : U F : F F = 14 : 22 13: Kleinstädte/Gemeinden mit absolut dominierenden Fernfunktionen z. B. Henningsdorf IF : U F : F F = 14 : 12 14: Gemeinden ohne Umland- und Fernfunktionen z. B. Weinböhla
: 39 : 39 : 40 : 55 : 46 : 41 : 64 : 74
FF
Typ 3, z.B.
Typ 4 , Abb. 1.2
z.B.
Stendal
Jena
Typ 13, z.B.
Hennigsdorf
Ausgewählte Stadttypen nach Innen-, Umland- und Fernfunktionen
37
Weiter]ühren
de
Fragestellungen
Der Überblick zum Stand der Kenntnisse u n d Vorstellungen über die Stellung unserer Städte im Siedlungssystem macht sichtbar, d a ß zur gegenwärtigen Stellung unserer Städte sowohl eine Vielzahl von Detailkenntnissen als auch wesentliche allgemeine Grundzüge erarbeitet werden konnten. Der gegenwärtige u n d künftige Forschungsschwerpunkt m u ß auf der gesellschaftlich-sozialen u n d ökonomischen — später wohl auch ökologischen — Bewertung unseres Siedlungssystems u n d der einzelnen Städte liegen. Dabei stehen Fragestellungen zur Bestimmung der Grundstruktur ( = Makrostruktur?) des Siedlungssystems im Mittelpunkt, u n d f ü r dieses Ziel sind die Berechnungen zu den Innen-, Umland- u n d F e r n f u n k t i o n e n ein entscheidender Baustein. Kernfragen dieser weiterführenden Forschungen zur Grundstruktur des Siedlungssystems sind: — Gibt es objektiv eine Grundstruktur (Makrostruktur) des Siedhingssystems, d. h. bilden die größeren Städte der D D R ein eigenes Subsystem? -- Welche Stadtkategorien gehören zu diesem Subsystem? W o r i n besteht seine Spezifik? — Worin bestehen die Eigenschaften u n d die Spezifik der K n o t e n p u n k t e dieses Subsystems, d. h. der Städte (der Grundstruktur) ? — Worin bestehen die Eigenschaften u n d die Spezifik der Wechselbeziehungen zwischen diesen Städten? — Wie ist das jetzige Siedlungssystem — insbesondere seine Grundstruktur — hinsichtlich der Verwirklichung der gesellschaftspolitischen u n d ökonomischen Zielstellungen unserer sozialistischen Gesellschaft zu bewerten? — Wie soll das Siedlungssystem der D D R — insbesondere seine Grundstruktur — weiterentwickelt werden?
Literatur IX. Parteitag der SED: Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutsehlands; Berlin 1976. G.: The industrial strueture of American cities, Stockholm, London, Lincoln 1956. CnoHEv, B. S.: Prpblemy gorodov; Moskau 1975. C H R I S T A L L E R , W . : Die zentralen Orte in Süddeutschland, Jena 1 9 3 3 . I ' O M I N , G. N.: Naucnye osnovy i puti realizacii generalnoj schemy rasselenija v SSSR. In: Sovremennye problemy geografii, Moskau 1976. G I I I M M , F.: Die Kreisstädte der DDR und ihre Rolle im Siedlungssystem; Geograph. Berichte 1974, IL 4. G R I M M , F.: Zur Berücksichtigung der Stadt-Umland-Beziehungen bei der Entwicklung der Siedlungsstruktur, Inf. Forsch.leitstelle f. Territ.planung 1973, IL 3. G I I I M M , F . , H Ö N S C H , I . : Die Typisierung der Zentren in der DDR nach ihrer Umlandbedeutung, Peterm. Geogr. Mitteil. 1974, H. 4. AIEXANDERSSON,
38
F.: Neuere Forschungsergebnisse zu Urbanisierungsprozessen und Siedlungssystemen auf dem XXIII. Internationalen Geographischen Kongreß, Geogr. Berichte 1977, H. 2. I I E D B E B G , B.: Kontaktsystem inom svensk näringsliv. Medd. Lunds Univ. Geogr. inst, avhandl. 1970, Bd. 64. I L L E B I S , S.: The functions of Danish towns, Geografisk Tidsskrift 6 3 , 1 9 6 4 . J E H C Z Y K S K I , M.: The role of functional specialization of cities in the formation of a settlement network, Geogr. Polonica 24, 1972. K Ä N E L , A. V.: Gemeindetypen nach der berufstätigen Wohnbevölkerung. In: Atlas D D R , Gotha/Leipzig 1976. K I . U G E , K . : Die Bedeutung der Siedlungskategorien für die Planung der Siedlungsstruktur, Peterm. Geogr. Mitt., 1974, H. 4. K R Ö N E S T , R.: Die Zentrumsregionen der Groß- und Mittelstädte der DDR. I N : Stadt-Umland-Beziehungen II, Sitz.ber. AdW d. DDR 1976, 15 N. K R Ö N E R T , R.: Stadt-Umland-Regionen von Groß- und Mittelstädten der DDR, Geogr. Berichte 1977, H. 2. L E H M A N N , H.: Die Gemeindetypen, Berlin 1956. M A R S H A L L , J . U.: The location of service towns, Toronto 1969. N Y M M I K , S., M A R K S O O , A.: Suscnost i dinamika regionalnych sistem rasseleuija. Razvitie i regulirovanie sistem rasselenija v SSSR, Moskau 1974. R U M P F , H.: Zur Bedeutung der Umlandfunktionen als ein Kriterium für die Auswahl und Entwicklung von Städten der Makrostruktur, Wiss. Zeitschr. Humb.-Univ. Berlin, math.-nat. Reihe, 1975, H. 1. S C H M I D T , R.: Zu einigen Grundsätzen und Ergebnissen der Erforschung versorgungsräumlicher Stadt-Umland-Beziehungen in der DDR. In: Stadt-Umland-Beziehungen II, Sitz.ber. AdW der DDR 1976, 15 N. S C H M I D T - R E N N E R , G.: Kritische und konstruktive Studien zur Theorie der Städtebildung, Wiss. Zeitschr. Hochsch. f. Ökonomie 1964, H. 1. S C H M I D T - R E N N E R , G.: Zur sozialistischen Ökologie des Menschen in Siedlungen, Peterm. Geogr. Mitt. 1972, H. 3. S P I Z H A N K O V , L. J., G O R U N O V I C H , S . A.: An application of the field theory for defining of zones of influence of centres at different hierarchic levels, International Geography 1976, section 7, Geography of Population, Moskau 1976. T Ö R N Q V I S T , G. E . : Contact systems and regional development, Lund Studies in Geography Ser. B., Nr. 35, 1970. GMMM,
39