Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz [1 ed.] 9783428432554, 9783428032556


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Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz [1 ed.]
 9783428432554, 9783428032556

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GEORG LEVENTIS

Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz

Schriften zum Sozial-und Arbeitsrecht Band 18

Tarifliche Differenzierungsklauseln nach dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz

Von

Dr. Georg Leventis

DUNCKER & HUMBLOT I

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten @ 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41

Gedruckt 1974 bei Buchdruckerei Richard Schröter, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 03255 1

Vorwort Die Diskussion über die tariflichen Differenzierungsklauseln scheint kein Ende zu nehmen. Insbesondere die Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 29. 11. 1967, die eine tarifvertragliehe Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit für unzulässig erklärt hat, brachte nicht die erhoffte Annäherung der gegenseitigen Ansichten. Der Meinungsstreit ist darauf zurückzuführen, daß die Auseinandersetzung über die tariflichen Differenzierungsklauseln mit der aktuellen Frage der Grenzen der Tarifautonomie zusammenhängt, die die in den sechziger Jahren beginnende wissenschaftliche Diskussion bis heute hat nicht klären können. Die vorliegende Arbeit beabsichtigt, einen Beitrag zu dieser Diskussion zu leisten. Sie hat der Juristischen Fakultät der Universität München im Wintersemester 1973/74 als Dissertation vorgelegen. Meinem verehrten Doktorvater, Herrn Professor Dr. Götz Hueck, danke ich an dieser Stelle für seine vielseitige Förderung und Unterstützung. In seinem arbeitsrechtlichen Doktorandenseminar, in dem ich die Grundgedanken meiner Arbeit vortragen durfte, hatte ich Gelegenheit, wichtige Anregungen zu bekommen. Ebenso danke ich Herrn Dr. Dietrich von Stebut, wissenschaftlicher Assistent an der Universität München, für seine Hinweise bei persönlichen Gesprächen. Dankbar gedenke ich schließlich meines verstorbenen Lehrers, Herrn Professor Dr. Rolf Dietz, der mich kurz vor seinem Tod als Doktorand angenommen hatte. Zu Dank bin ich weiterhin dem Deutschen Akademischen Austauschdienst verpflichtet, der durch die Gewährung eines Stipendiums meine Studien in der Bundesrepublik ermöglichte; ferner danke ich dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme der Arbeit in seine Schrütenreihe. Das Manuskript wurde im März 1973 abgeschlossen. Später erschienene Arbeiten konnten nur noch in den Fußnoten berücksichtigt werden. Piraeus, im April1974

Georg Leventis

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Einleitung

13

I. Problemstellung: Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer und ungleichmäßige Wirkung der Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . li. Bedenken gegen die innere Berechtigung der Forderung nach

Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.................

13 15

111. Die Differenzierungsklauseln: Begriffsbestimmung

17

IV. Der Rechtsstreit über die Differenzierungsklauseln

19

V. Die Tatbestandserfüllung der Differenzierungsklauseln . .

22

VI. Verhältnis der Differenzierungsklauseln zum Gleichbehandlungsgehot und anderen Rechtsinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

VII. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

Zweites Kapitel Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln I. Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Inhaltswandel der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten und Tarifmacht. Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der verfassungsrechtliche Schutz der Vertragsfreiheit . . . . . . . . II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten . . . 1. Die negative Koalitionsfreiheit im bisherigen Grundrechtsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die negative Koalitionsfreiheit als logische Kehrseite der positiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der doppelte Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit . . . b) Die negative Koalitionsfreiheit als Freiheit von fremder N ormsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Lehre von negativen Freiheiten . . . . . . . . ............ 4. Freiwilligkeit der Mitgliedschaft bei Koalitionen . . . . . . . . . . . . 5. Koalitionspluralismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30 30 30 31 32 33 34 36 36 38 42 46 46

Inhaltsverzeichnis

8

6. Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte und der historischen Entwicklung der Koalitionsfreiheit für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Ableitung des Schutzes der negativen Koalitionsfreiheit Fernbleiberecht (Art. 9 Abs. 1 GG) S. 48 - Freiheit von der Normsetzungsgewalt der Koalitionen (Art. 2 Abs. 1 GG) S. 49 - Konsequenzen S. 49

47 48

III. Die positive Koalitionsfreiheit des Organisierten. . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grundrechtsausübung der positiven Koalitionsfreiheit . . . 2. Die Bedeutung des Koalitionszwecks für die Beziehungen von Organisierten und Außenseitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Außenseiterwirkung der Differenzierungsklauseln . :

52 52

IV. Das Außenseiterproblem für die Gewerkschaften

55

V. Kollektive Koalitionsfreiheit und Koalitionsschutz

57

VI. Koalitionsfreiheit -

kein Doppelgrundrecht?

52 54

59

VII. Existenzsicherung der Koalitionen ..... . ... . 1. Abwehr- und Selbsterhaltungsmaßnahmen 2. Mittelbare und unmittelbare Wahrung des Koalitionszwecks 3. Grenzen der Existenzsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gegenrechte der Andersorganisierten . . . . . . . b) Gegenrechte der nichtorganisierten Arbeitnehmer . . . . . . . . c) Gegenrechte des Arbeitgeberverbandes . . . . . . . . . . . d) Gegenrechte des einzelnen Arbeitgebers . . . . . . . . . . .

60 60 61 63 63 64 66 67

VIII. Sozialpartnerschaft und Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Unzumutbarkeitsargument im Tarifvertragsrecht 2. Maßstab der Zumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Individualsphäre des Arbeitgebers 4. Pflicht zur Sozialpartnerschaft .. . . ... . .

68 69 70

IX. Ergebnis

71 71

73

Drittes Kapitel Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften I. Die Gewerkschaften als Repräsentanten aller Arbeitnehmer II. Reichweite der Repräsentation

76 76 78

III. Gesamtrepräsentationsfunktion und Legitimationsprinzip . . . . . .

80

IV. Gesamtrepräsentationsfunktion und Ordnungsfunktion . . . . . . . . .

82

V. Gesamtrepräsentationsfunktion und Art. 80 GG .. . . . . . .. .... .. .

85

VI. Gesamtrepräsentationsfunktion und staatliche Kontrolle

86

Inhaltsverzeichnis VII. Vereinbarkeit der Differenzierungsklauseln mit der Gesamtrepräsentationsfunktion der Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Behinderung der Allgemeinverbindlicherklärung IX. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 87 88 90

Viertes Kapitel

Die Dift'erenzierungsklauseln und das Tarüvertragsgesetz I. Die Konkretisierung der Grenzen der Tarifautonomie II. Die Differenzierungsklauseln und die Grenzen der Tarifmacht . . 1. Der Tarifvertrag als Instrument zur Selbsterhaltung der Koalition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wortinterpretation der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 und 2 TVG... .. .. .. . . . . . . . . ... ... ... . .. .. ..... .......... 3. Sinn der §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 und 2 TVG . . . . . . . . . .

91 91 92 92 93 94

III. Die schuldrechtlichen Differenzierungsklauseln . . . . . . . . . . 1. Die Grenzen der Tarifautonomie hinsichtlich obligatorischer Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

2. Wettbewerb der Arbeitnehmer und Ordnungsfunktion . . . . . . 3. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit und der schuldrechtliche Teil des Tarifvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zulässigkeit schuldrechtlicher Differenzierungsklauseln . . . . . .

101

97

101 103

IV. Verbot von Höchstarbeitsbedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Günstigkeitsprinzip als Schranke der Tarifmacht

103 103

2. Günstigkeitsprinzip und Leistungsprinzip . . . . . . . . . . . . 3. Günstigkeitsprinzip und Differenzierungsklauseln

104

V. Ergebnis . . .. .. .. . . .... . . . ....... . . ... .. . .. . . . ... .... . .. . .. . .. .

106 107

Fünftes Kapitel

Schlußbemerkung: Differenzierungsklauseln in der Zukunft

109

Sechstes Kapitel

Abschließende Zusammenfassung

111

Literaturverzeichnis

114

Sachregister

123

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AcP AöR AP ArbGG AR-Blattei Art. AuR AVE AZO BArbBl BAG BAGE BB Betr. BetrVG BGB BGE BGH BUrlG BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE DGB DRdA Diss. DJT GG GS GTB GWB h . M. JR JZ JurA

anderer Ansicht Absatz Archiv für civilistische Praxis Archiv des öffentlichen Rechts Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts - Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsgerichtsgesetz v. 3. 9. 1953 Arbeitsrechtsblattei, Handbuch für die Arbeitsrechtspraxis Artikel Arbeit und Recht (Zeitschrift) Allgemeinverbindlichkeitserklärung Arbeitszeitsordnung v. 30. 4. 1938 Bundesarbeitsblatt Bundesarbeitsgericht Amtliche Entscheidungssammlungdes Bundesarbeitsgerichts Der Betriebsberater (Zeitschrift) Der Betrieb (Zeitschrift) Betriebsverfassungsgesetz v . 15. 1. 1972 Bürgerliches Gesetzbuch Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Bundesurlaubsgesetz v. 8. 1. 1963 Bundesverfassungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts Deutscher Gewerkschaftsbund Das Recht der Arbeit (österreichische Zeitschrift) Dissertation Deutscher Juristentag Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland V. 23. 5. 1949 Großer Senat Gewerkschaft Textil - Bekleidung Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herrschende Meinung Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Zeitung (Zeitschrift) Juristische Analysen (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis JuS MDR NJW RdA Rdz. RVO SAE Sp. TVG VVDStRL ZAS ZfA Ziff.

11

Juristische Schulung (Zeitschrift) Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Neue juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Recht der Arbeit (Zeitschrift) Randziffer Reichsversicherungsordnung Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Spalte Tarifvertragsgesetz v. 9. 4. 1949, in der Fassung v. 25. 8. 1969 Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht (österreichische Zeitschrift) Zeitschrift für Arbeitsrecht (Zeitschrift) Ziffer

Erstes Kapitel

Einleitung I. Problemstellung: Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer und ungleichmäßige Wirkung der Arbeitsbedingungen Kennzeichnend für unsere Zeit ist, daß die tarifvertragliehen Arbeitsbedingungen vielfach, ganz besonders in größeren Betrieben, auf alle Arbeitnehmer (organisierte und nichtorganisierte) unterschiedslos angewendet werden. Aus dem TVG (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1) ergi:bt sich zwar daß eine untertarifliche Entlohnung der Nichtorganisierten rechtlich zulässig ist. Von dieser Möglichkeit wird aber wenig Gebrauch gemacht. Diese Rechtswirklichkeit ist auf mehrere Gründe zurückzuführen: Die konjunkturelle Lage ist zweifelsohne der Hauptgrund. Im Zeichen der Vollbeschäftigung und des Mangels an Arbeitskräften ist der Arbeitgeber oft gezwungen, den tariflichen Lohn zu überbieten, da er sonst keine Arbeitskräfte findet. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, wenn die Nichtorganisierten unter denselben Arbeitsbedingungen wie die Organisierten eingestellt werden1• Dazu kommt die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen und die Sorge des Arbeitgebers, den Betriebsfrieden nicht zu ·gefährden. Denn es ist nicht zu leugnen, daß eine unterschiedliche Behandlung der Organisierten und der Nichtorganisierten das Betriebsklima vergiften kann2 • Ebenso spielt die Befürchtung eine Rolle, daß diese unterschiedliche Behandlung das ohnehin überlastete Lohnbüro übermäßig beanspruchen würde3 • Endlich wird verschiedentlich angenommen, daß die Gleichbehandlung der Organisierten und der Nichtorganisierten auf der Absicht des Arbeitgebers beruht, die Gewerkschaften zu schwächen bzw. ihnen keine neuen Mitglieder zuzuführen4 • Aber durch solche Erwägungen, die wohl schwer nachzuweisen sind, wird die Diskussion nicht sehr gefördert. Deshalb sollte man sich hier mit der Feststellung begnügen, daß heute die Gewährung der tariflichen Arbeitsbedingungen an die meisten 1 Vgl. auch Biedenkopf, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I/1, S. 115; Gammscheg, Differenzierung, S. 8; Georgi, Die Zulässigkeit von Differenzierungsund Tarifausschlußklauseln in Tarüverträgen, Diss. Köln 1971, S. 2; Heußner, RdA 1960, S. 295; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 15. z Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 8; Gitter, JurA 1970, S. 158. 1 Vgl. Denecke, RdA 1961, S. 13 (14); Gamillscheg, Differenzierung, S. 8. 4 Gamillscheg, Differenzierung, S. 8.

14

1. Kap.: Einleitung

Arbeitnehmer eine Wirklichkeit darstellt, die den verständlichen Interessen des Arbeitgebers entspricht. Auf der Arbeitnehmerseite aber sieht die Lage anders aus: Eine Minderheit von Arbeitnehmern, d. h. die Organisierten, trägt die ganze Last der Organisation, die allen zugute kommt. Der Arbeitsaufwand und die Kosten zur Vereinbarung tariflicher Arbeitsbedingungen sind nur von den Koalitionsmitgliedern zu erbringen. Die Höhe der Beiträge, die die Organisierten an ihren Verband zahlen müssen, ist bei den verschiedenen Gewerkschaften unterschiedlich. Ein Blick in die Satzungen der Gewerkschaften des DGB ergibt folgendes Bild: Bei monatlichem Bruttoverdienst von je 900, 1250, 1500 DM beträgt die Höhe der Pflichtbeiträge jährlich im Durchschnitt 120-130, 180, 210 DM5 • Berücksichtigt man das, so ist der Schluß naheliegend, daß sich der mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen verbundene Aufwand allein als Belastung der Organisierten auswirkt. Diese einseitige Belastung der Organisierten hat eine doppelte Bedeutung: Sie ist zunächst jedem Koalitionsmitglied unangenehm. Es liegt auf der Hand, daß sich der organisierte Arbeitnehmer irgendwie benachteiligt fühlen wird, wenn er sich mit seinen nichtorganisierten Kollegen vergleicht, die an seinen Mühen und Organisationskosten nicht beteiligt sind5a. Darüber hinaus hat die dargelegte Belastung der Koalitionsmitglieder durch Beiträge eine für den Bestand und die Funktionsfähigkeit der Gewerkschaften besonders wichtige Konsequenz: Sie v erringert die Bereitschaft der Arbeitnehmer den Koalitionen beizutreten. Und wenn man sich vergegenwä rtigt, daß die wirksame Wahrnehmung der Interessen der Organisierten mit der Leistungsfähigkeit und folglich mit der Mitgliederzahl der Koalitionen zusammenhängt, versteht man durchaus die Sorgen der Gewerkschaften bezüglich des prozentualen Rückgangs ihrer Mitgliederzahlen. Sogar mächtige G ewerkschaften h ab en einen Rückgang der Zahl ihrer Mitglieder im Verhältnis zu den Nichtorganisierten des Berufszweiges zu verzeichnenß. 5 Vgl. Satzungen der Gewerkschaften des DGB in ihrer derzeitigen Fassung. sa Vgl. etwa Farthmann, in: Verhandlungen des 46. DJT, Bd. li, D 138. 6 Der Anteil der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer sank von 37 °/o im Jahre 1951 auf 29,5 Ofo im Jahre 1968. Vgl. Weller, AuR 1970, S. 161; vgl. auch Gesamtzahlen im stat. Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 1952, S. 84, 97 und 1969, S. 140. Im Jahre 1962 betrug die Gesamtzahl der Mitglieder der im DGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften 6 430 420, 1968 waren es 6 375 972. Seit 1968 haben allerdings viele Gewerkschaften einen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen, der aber nicht konstant ist und keinen Zuwachs ihres Organisationsgrades bedeutet. Alarmierend ist vor allem die Lage bei manchen Gewerkschaften, die sogar von Jahr zu Jahr einen Rückgang auch ihrer absoluten Mitgliederzahlen zu verzeichnen haben (insbesondere die Gewerkschaften Textil-Bekleidung, Bergbau und Energie, Holz, Land- und Forstwirtschaft). Vgl. Zahlen im Stat. Jahrbuch für die BRD 1970, S. 136; 1971 S. 140; 1972, S. 138; sowie Informationen in AuR 1970, S. 178; 1971, s. 114; 1972, s. 156.

II. Zweifel an der Berechtigung der Forderung nach Differenzierung

15

Allerdings fehlt es bislang an einer umfassenden Untersuchung der Gründe für die geringe Organisationsbereitschaft der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Trotzdem dürfte es unbestritten sein, daß der Anlaß dazu neben anderem auch in der Tatsache zu suchen ist, daß heute die Mitgliedschaft in den Koalitionen nicht attraktiv genug gestaltet ist7 •

II. Bedenken gegen die innere Berechtigung der Forderung nach Differenzierung Immerhin bestehen schon Zweifel an der Berechtigung der Forderung nach Differenzierung zwischen Organisierten und Außenseitern. Insbesondere A. Hueck8 hat darauf hingewiesen, daß die Mitgliedschaft in den Koalitionen viele andere Vorteile mit sich bringt, von denen die Nichtmitglieder ausgeschlossen sind. Zu ihnen zählen z. B. Streikgelder während eines Arbeitskampfes, die unentgeltliche Rechtsberatung und der Rechtsschutz im Prozeß, sowie die Teilnahme an zahlreichen Einrichtungen und Veranstaltungen der Gewerkschaften. Es ist wohl richtig, daß alle diese Vorteile nicht außer Betracht bleiben dürfen. Sie ,können jedoch die festgestellte Belastung der Organisierten durch die Gewerkschaftsbeiträge nicht ausgleichen. Der wichtigste Vorteil, die Streikunterstützung, wird durch die Sozialhilfe weitgehend ausgeglichen, die den Außenseitern von seitender Kommunen gewährt wird 9 • Außerdem kommen viele von diesen Vorteilen nicht allen Verbandsmitgliedern zugute, z. B. nicht alle Organisierten verbringen ihren Urlaub in Erholungsheimen usw. Aber noch weniger tragen alle sonstigen Vorteile der Gewerkschaftszugehörigkeit zu der Mitgliederwerbung der Koalitionen bei. Mögen sie auch objektiv wertvoll sein, so werden sie doch von den Arbeitnehmern in der Regel nicht hoch eingeschätzt. Denn der Arbeitnehmer denkt normalerweise an seinen Lohn und an Gratifikationen sowie Zuschläge. Verbilligte oder kostenlose Theaterkarten sowie die Teilnahme an den zahlreichen Veranstaltungen der Gewe11kschaften vermögen daher seinen Beitrittswillen nicht genügend zu reizen10• Es ergibt sich somit, daß jedenfalls auch nach der Berechnung dieser Vorteile eine Differenz zulasten der Organisierten bestehenbleibt. Wie hoch diese Differenz ist, ist schwer zu sagen. Ihre Höhe liegt selbstver7 Vgl. Biedenkopf, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I/1, S. 116; DieUein, AuR 1970, S. 200; Hanau, JuS 1969, S. 213; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 96. 8 Tarifausschlußklausel, S. 45. 9 Vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 127 Anm. 315. 10 Vgl. Gamillscheg, BB 1967, S. 45 (48); Säcker, Grundprobleme, S. 127 Anm. 315.

16

1. Kap.: Einleitung

ständlich unter der Höhe des Gewerkschaftsbeitrages11 • Aber eine genaue Abrechnung liegt bislang nicht vor. Nur im Rahmen der Diskussion über die Solidaritätsbeiträge sind solche Schätzungen gemacht worden. Dort hat der höchste schweizerische Gerichtshof12 entschieden, daß ein Ausgleichsbeitrag der Nichtorganisierten, der eine Höhe von etwa zwei Drittel des Mitgliedsbeitrags nicht überschreitet, durchaus angemessen ist. Auf diese Tatsache hatte sich die frühere Bewegung für die Einführung des sogenannten Solidaritätsbeitrages auch in der Bundesrepublik gestützt. Es ist nicht die Aufgabe der vorliegenden Arbeit, darzulegen, woran dieser Versuch gescheitert ist13• Eines ist hier nur zu erwähnen: Während der Auseinandersetzung hat man damals vielfach zugegeben, daß die mit der Forderung nach Solidaritätsbeiträgen verfolgte Absicht, d. h. Lastenausgleich und Mitgliederwerbung, berechtigt war14• Neuerdings verwendet man ein neues rechtspolitisches Argument, um die Forderung nach Differenzierungsklauseln abzuwehren. Dieses läuft etwa in die Richtung, daß die organisierten Arbeitnehmer die gerade angesprochene finanzielle Belastung durch Beiträge in Kauf nehmen müssen. Denn es gebe kein allgemeines Rechtsprinzip, das die Anlehnung an die Früchte fremder Arbeit ohne weiteres ausgleichspfl.ichtig mache. Ohne eine gewisse Freiheit auch in der Ausnutzung der Arbeit anderer sei ein Fortschritt nicht denkbar15• Daß eigene erfolgreiche Tätigkeit anderen zugutekomme, sei vielmehr eine selbstverständliche und notwendige Erscheinung gemeinschaftlicher Existenz18• Zweifellos gibt es Fälle im Rechtsleben, in denen die Ausnutzung der fremden Arbeit nicht mit einem Anspruch auf einen Ausgleichsbeitrag verbunden ist. Andererseits aber darf auch nicht verkannt werden, daß die Inanspruchnahme von fremden Leistungen in nicht wenigen Fällen mißbilligt und korrigiert wird. Dies ist nicht nur im Urheberrecht, sondern auch im Ausgleich ungerechtfertigter Bereicherung 11 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 63; Gitter, JurA 1970, S. 151; Hanau, JuS 1969, S. 216; A. Kägi, Koalitionsfreiheit und Streikfreiheit, Zürich 1969, S. 64; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 102 f. 12 BGE Bd. 75 li, S. 305 (316 ff.) das Gericht hat bei einem Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von 80 sfr. einen Solidaritätsbeitrag von 70 sfr. für zulässig gehalten. Vgl. auch Zanetti, RdA 1973, S. 77 (84). G. Müller schätzt die Höhe des Solidaritätsbeitrages auf die Hälfte des Mitgliedsbeitrages, s. Gedanken zum Solidaritätsbeitrag, S. 17. 13 Vgl. dazu statt vieler A. Hueck, RdA 1961, S. 141; Richardi, Kollektivgewalt, S. 185 ff. m.w.N.; ders. AöR 93, S. 243 (246); Schwaabe, Die Zulässigkeit von Solidaritätsbeiträgen, Diss. München 1962. 14 Vgl. Galperin, Rechtsgutachten, S. 7; ders., Festschrift für Bogs, S. 87 (105); Heußner, RdA 1960, S. 295 ff.; Ridder, Rechtsgutachten, S. 1 f. 15 GS des BAG, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, Teil IV, Ziff. VII, Nr. 3 der Begründung. te Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 18.

III. Die Differenzierungsklauseln: Begriffsbestimmung

17

(§§ 812 ff. BGB) der Fall. Außerdem ist auch nach § 1 UWG die Ausnutzung fremder Leistungen wettbewerbswidrig, wenn sie zum Schaden dessen geschieht, dem billigerweise die Früchte zufallen müssen17• Aber man sollte in unserer Frage nicht mit solch allgemeinen Überlegungen argumentieren, zumal die Nichtorganisierten nicht zum Nachteil der Organisierten die tariflichen Arbeitsbedingungen in Anspruch nehmen. Das Arbeitsrecht wird zum Teil von anderen Grundideen beherrscht. Der das Arbeitsrecht beherrschende Gedanke der Solidarität der Arbeitnehmer, der in zahlreichen Fällen zum Ausdruck kommt18, läßt sich kaum mit der These vereinbaren, die Ausnützung der Ergebnisse fremder Arbeit sei in der Regel nicht ausgleichspfiichtig.

Iß. Die Differenzierungsklauseln: Begriffsbestimmung Die vorausgeschickte Problemstellung hat schon gezeigt, worum es hier geht. Mit den Differenzierungsklauseln wird keine Ungleichbehandlung oder gar Benachteiligung der Außenseiter beabsichtigt. Alles, w as mit ihnen angestrebt wird, ist eine zulasten der Organisierten bestehende ungleichmäßige Wirkung der Arbeitsbedingungen aufzuheben, wodurch dem Interesse sowohl jedes Koalitionsmitgliedes wie der Koalition selbst gedient wird. Hieraus folgt, daß die Höhe der im folgenden zur Debatte stehenden Differenzierung innerhalb des dargelegten Umfangs (zwei Drittel des Gewerkschaftsbeitrages) liegen wird. Die Differenzierungsklauseln beinhalten also eine differenzierende Behandlung der Arbeitnehmer aufgrund ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit. Der Arbeitgeber verpflichtet sich dadurch, den Koalitionsmitgliedern ein Mehr von einer bestimmten Leistung, z. B. zusätzliches Urlaubsgeld oder eine andere Zulage, zu gewähren. Früher hat man 17

Vgl. BGH, Urteil vom 30. 10.1968, in: BB 1968, S. 1450; Hanau, JuS 1969,

s. 219.

18 Man denke etwa an die Haftungsbeschränkung oder gar Befreiung von der Haftung des Arbeitnehmers bei Kameradenunfällen, die von der Rechtsprechung auch mit dem Gedanken der Solidarität der Arbeitnehmer untereinander begründet wird; vgl. BAG, Urteil v. 25. 9. 1957, GS 4/56, Betr. 1958, S. 25 ff.; Kauffmann, Betr. 1966, S. 33 (34 f.); siehe nun ausdrückliche Regelung des § 637 Abs. 1 RVO, die auch mit der Erhaltung des Betriebsfriedens gerechtfertigt wird, vgl. F. Etmer, RVO Kommentar, drittes Buch, § 637 RVO, S. 241; einschränkend Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S. 243 ff. Man denke ferner an die bei der Betriebsrisikolehre entwickelten Gedanken, wonach der Lohnanspruch auch arbeitswilliger Arbeitnehmer entfällt, wenn infolge eines Streiks in einem Betriebsteil oder in einer Zulieferungsfirma nicht gearbeitet werden kann, vgl. Hueck, bei Hueck/Nipperdey, I, S. 351 ff.; Kauffmann, Betr. 1966, S. 33; ZöHner, Differenzierungsklauseln, S. 57 f.; BAG AP, Nr. 2-4 zu § 615 BGB, Betriebsrisiko; schließlich an die Aussperrung, die dem Arbeitgeber gestattet, auch die nichtorganisierten Arbeitnehmer in den Arbeitskampf einzubeziehen, obwohl der durch den Arbeitskampf erstrebte Tarifvertrag normativ nur die tarifgebundenen Arbeitnehmer erfaßt, vgl. Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 57.

2 Leventls

18

1. Kap.: Einleitung

versucht, dasselbe Ergebnis durch die sogenannten Tarifausschlußklausein zu erreichen. Die Tarifausschlußklauseln enthalten ein an den Arbeitgeber gerichtetes Verbot 19, die Außenseiter zu den tariflichen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen. Sie enthalten einen zwingenden Ausschluß der Außenseiter von den tariflichen Arbeitsbedingungen. Es ist nicht zu leugnen, daß die Motive für die Vereinbarung von Tarifausschlußklauseln denen für die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln gleichkommen. Aber die Art und Weise, wie die Tarifausschlußklausein diesem Zweck dienen sollen, dürfte als unglücklich bezeichnet werden. Vor allem ihre Fassung gibt Anlaß zu irrtümlichen Folgerungen. Denn das an den Arbeitgeber gerichtete Verbot, den Außenseitern die tariflichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, erweckt den Eindruck, daß dadurch die Organisierten die Arbeitsbedingungen der Außenseiter zu bestimmen suchen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Koalitionen haben kein Interesse daran, die Arbeitsbedingungen der Koalitionsunwilligen unter einem bestimmten Niveau zu halten. Ihr Interesse besteht lediglich darin, zugunsten ihrer Mitglieder eine gewisse Differenz in einer bestimmten Leistung aufrechtzuerhalten. Das kommt klarer bei den Differenzierungsklauseln insbesondere in Form der sogenannten Abstands-, Spannen-, Spannensicherungsklauseln oder des Benachteiligungsverbots zum Ausdruck. Alle diese Klauseln sichern den Organisierten einen Vorsprung im Hinblick auf eine bestimmte Leistung, ohne den Arbeitsbedingungen der Außenseiter eine oberste Grenze zu setzen. Infolgedessen kann der Arbeitgeber den Nichtorganisierten jede tarifliche Arbeitsbedingung gewähren. Nur darf er den nach der Klausel vorgesehenen Vorsprung zugunsten der Koalitionsmitglieder nicht beseitigen. Gewährt der Arbeitgeber den Nichtorganisierten die betreffende Leistung in diesem vollen Umfang, so verpflichtet er sich dadurch automatisch den Koalitionsmitgliedern die aufgrund der Klausel vorgesehene Differenz zusätzlich zu bezahlen20 • Je nachdem, ob sich die Differenzierungsklauseln lediglich gegen alle nichtorganisierten Arbeitnehmer oder auch gegen die Andersorganisierten richten, werden sie jeweils als allgemeine oder beschränkte charakterisiert. Daneben wird eine zweite Unterscheidung der Differenzierungsklauseln in einfache (schlichte) und qualifizierte vorgenommen. Unter einfachen Differenzierungsklauseln v ersteht man diejenigen Klau19 Vgl. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 13; Gamillscheg, Differenzierung, S. 73; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. II, S.37; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 163 f .; Richardi, Kollektivgewalt, S. 203; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 16; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 22. 20 Vgl. vor allem Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 16 f.; Gamillscheg, Differenzierung, S. 74; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 98; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 24.

IV. Der Rechtsstreit über die Differenzierungsklauseln

19

sein, die an die Gewerkschaftszugehörigkeit oder an eine bestimmte Dauer der Zugehörigkeit schlechterdings anknüpfen, ohne den Arbeitgeber daran zu hindern, den Außenseitern gleiche oder gleichwertige Zuwendungen zu machen21 . Ihnen sind die qualifizierten Differenzierungsklauseln gegenüberzustellen, die nicht nur an die Gewerkschaftszugehörigkeit anknüpfen, sondern auch gleichzeitig den Arbeitgeber verpflichten, die nach der Klausel geschuldeten Differenzbeiträge nicht durch "Draufzahlung" an die Nichtorganisierten auch diesen zu gewähren22. Einige Autoren beurteilen die einfachen und die qualifizierten Differenzierungsklauseln unterschiedlich. Sie halten nämlich die einfachen- im Gegensatz zu den qualifizierten Differenzierungsklauselnfür zulässig23. Denn die einfachen Differenzierungsklauseln wiederholen nach dieser Ansicht etwas Selbstverständliches, d. h. die Regel des § 3 Abs.1 TVG. Im Mittelpunkt der heutigen Auseinandersetzung stehen die Differenzierungsklauseln in der Form der angesprochenen Abstands-, Spannen-, Spannensicherungsklauseln oder des Benachteiligungsverbots, die wohl als qualifizierte Differenzierungsklauseln zu verstehen sind. Diese Klauseln werden auch den Kernpunkt der vorliegenden Untersuchung bilden. Auf die älteren Tarifausschlußklauseln wird nur ausnahmeweise um der Vollständigkeit willen gelegentlich eingegangen. Da sich die Differenzierungsklauseln, die mit keiner Abstands- bzw. Spannensicherungsklausel usw. abgesichert sind, von den echten Tarifausschlußklauseln im Endeffekt nicht unterscheiden, können sie auch außer Betracht gelassen werden.

IV. Der Rechtsstreit über die Differenzierungsklauseln Der Große Senat (GS) des BAG hat in der grundsätzlichen Entscheidung vom 29. 11. 1967 die allgemeinen und beschränkten Differenzierungsklauseln für unzulässig erklärt. Den Anlaß zum Rechtsstreit über die Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln gab bekanntlich die Forderung der Gewerkschaft Textil-Bekleidung (GTB) nach einem zusätzlichen Urlaubsgeld in Höhe von etwa 60 DM, daß die in der Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer erhalten sollten2'. Dieser Sondervorzt Vgl. Richardi, Kollektivgewalt, S. 204; Säcker, Grundprobleme, S. 130; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 15. 22 Vgl. Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 15; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 23. 23 So Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 98; Blom, Tarifausschlußklausel, Diss. Köln 1966, S. 3; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 61 f.; Nikisch, RdA 1967, S. 89; Säcker, Grundprobleme, S. 130 f.; a. A. Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien, S.lll ff.; Brecher, JuS 1969, S. 272 (276); Mayer-Maly, ZAS 1969, S. 81 (89); Hueck!Nipperdey, Grundriß, S. 192; Richardi, Kollektivgewalt, S. 353 ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 15 Anm. 19, S. 59.

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1. Kap.: Einleitung

teil der Koalitionsmitglieder sollte durch eine Differenzierungsklausel - in der Form eines Benachteiligungsverbots - gesichert werden, die gemäß § 4 des Tarifvertragsentwurfs folgenden Wortlaut haben sollte: "Wenn und soweit in der Firma beschäftigte, aber nicht in der GTB organisierte Arbeitnehmer des Betriebes, Geld oder sonstige Leistungen erhalten, die über die in dieser Vereinbarung festgelegten Ansprüche hinausgehen, so muß jeder in der Firma beschäftigte und der GTB angehörende Arbeitnehmer zusätzlich zu den sich aus dieser Vereinbarung ergebenden Leistungen die gleichen Geld- und sonstigen Zuwendungen erhalten, wie es bei den nichtorganisierten Arbeitnehmern der Fall ist." Nach anfänglichen Zugeständnissen lehnten einzelne Arbeitgeber den von der GTB vorgeschlagenen Tarifvertrag ab. Darauf antwortete die Gewerkschaft mit Kampfmaßnahmen. Die bestreikten Firmen schalteten alsbald die Arbeitgerichte ein. Nach vorangegangenen Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf25 erreichte der Rechtsstreit das BAG. Der erste Senat des BAG, bei dem die Streitsache anhängig war, hielt es wegen der überragenden Bedeutung der Streitfragen und aus Gründen der Rechtsfortbildung für erforderlich, den Großen Senat des BAG anzurufen. Durch Beschluß vom 21. Februar 1967 26 legte er dem GS 6 Fragen zur Beantwortung vor. Der GS des BAG entschied durch den bekannten und viel diskutierten Beschluß vom 29. 11. 1967 27, daß in Tarifverträgen zwischen den bei der vertragschließenden Gewerkschaft organisierten und anders und nichtorganisierten Arbeitnehmern nicht differenziert werden dürfe. Auf diese Entscheidung des BAG wird im folgenden oft Bezug genommen. Vorwegzunehmen ist nur, daß die tragenden Gründe der Entscheidung, die besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, in zwei Argumenten liegen: a) Die allgemeinen Differenzierungsklauseln beschränkten die negative Koalitionsfreiheit und seien nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG nichtig. Die beschränkten Differenzierungsklauseln, die sich gegen die Andersorganisierten richten, beeinträchtigten die positive Koalitionsfreiheit und seien nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ebenfalls nichtig (Teil IV, Ziff. VI, VIII der Begründung). b) Differenzierungsklauseln jedweder Art seien nicht durch die Tarifmacht der Koalitionen gedeckt. Sie enthielten im Ergebnis eine nach allgemeinen Gesetzen unzulässige Beitragserhebung und überschritten im Verhältnis zur Arbeitgeberkoalition die Grenzen des Zurnutbaren (Teil IV, Ziff. VII der Begründung). 24 Vgl. insbesondere Gamillscheg, Differenzierung, S. 14 f.; Georgi, Die Zulässigkeit von Differenzierungs- und Tarifausschlußklauseln in Tarifverträgen, S. 4 f.; Hanau, JuS 1969, S. 213 (214); Weller, AuR 1970, S. 161 f. 25 Beide Entscheidungen sind bei Gammscheg, Differenzierung, Anhang III, IV, S. 116 ff., abgedruckt; vgl. auch in: Betr. 1965, S. 935, 1366. 26 AP Nr. 12 zu Art. 9 GG. 27 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG; AuR 1968, S. 25; JZ 1969, S. 105 mit Anm. von Ritter; JuS 1968, S. 532, Nr. 9; BB 1968, S. 993; SAE 1969, S. 246.

IV. Der Rechtsstreit über die Differenzierungsklauseln

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Gegen den Beschluß des GS des BAG legte die GTB Verfassungsbeschwerde ein, in der sie die Verletzung ihres Grundrechtes aus Art. 9 Abs. 3 GG rügte. Erstaunlicherweise hat das BVerfG dreieinhalb Jahre gebraucht, um seine Entscheidung zu treffen. Dies ist um so erstaunlicher, als sich die Entscheidung des BVerfG letztlich auf eine prozessuale Frage gestützt hat, die sicherlich längst hätte geprüft und entschieden werden können. Durch Beschluß vom 4. 5. 1971 26 verwarf das BVerfG die Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Zur Begründung führte es insbesondere folgendes aus: Der Beschwerdeführerin entstehe durch den angefochten en Beschluß kein gegenwärtiger Nachteil. Zwar binde der Beschluß den erkennenden Senat (den Ersten Senat). Er entscheide aber nicht über das Klagebegehren und habe auch sonst gegenüber den Prozeßparteien keine unmittelbaren Auswirkungen. Er wende keinen Rechtssatz auf den konkreten Sachverhalt an. Vielmehr diene er ausschließlich dem Zweck, den Inhalt des einfachen Rechts abstrakt festzustellen. Die Rechtsanwendung sei Sache des vorlegenden Senats. Sie stehe noch aus. Die Voraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde ist also nach der Ansicht des BVerfG erst nach der Verurteilung der GTB durch das BAG zum Schadensersatz an bestreikte Betriebe gegeben. Nach dieser Entscheidung des BVerfG sind die Akten der Streitsache wieder an den Ersten Senat des BAG übergeben worden. Das BAG mußte sich erneut mit dem vorliegenden Prozeß befassen. Dabei ging es nun um die Frage, ob die GTB w egen vorsätzlicher rechtswidriger Streikmaßnahmen zum Schadensersatz zu verurteilen ist. Während der Vorbereitungen zur erneuten Verhandlung vor dem BAG empfahl der zuständige Senat den beteiligten Parteien, sich mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden zu erklären. Sowohl der Verband der westfälischen Bekleidungsindustrie wie die GTB stimmten diesem Vorschlag zu. Kurz danach teilte der Prozeßvertreter der Arbeitgeberseite jedoch mit, daß eine der am Rechtsstreit beteiligten Firmen mit dem vorgeschlagenen Ruhen des Verfahrens nicht einverstanden sei. Deshalb fand am 17. 10. 1972 in Kassel eine Verhandlung statt. Auf eindringliches Anraten des Präsidenten des Ersten Senats erklärte sich dann auch die erwähnte Firma mit dem Ruhen des Verfahrens einverstanden. Auf diese Weise wurde ein Rechtsstreit erledigt, der fast sieben Jahre gedauert hat. Aber d amit ist die Diskussion über die Differenzierungsklauseln nicht abgeschlossen. Die GTB sowie andere Gewerkschaften scheinen an den Differenzierungsklauseln so stark wie vorher interessiert zu sein. Vor kurzem29 haben sie sogar die Bundesregierung aufAP Nr. 19 zu Art. 9 Abs. 3 GG; RdA 1971, S. 220; AuR 1971, S. 194. In einem Interview des Vorsitzenden des DGB Heinz 0. Vetter mit der Zeitschrift der GTB "Textil-Bekleidung", s. Heft Nr. 1, Januar 1973, S. 6 f. ; vgl. auch Herbert Wehner, Zur Notwendigkeit der Novellierung des Tarifvertragsgesetzes, in: RdA 1972, S. 184 f. 28

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1. Kap.: Einleitung

gefordert, das TVG zu ändern, damit in Zukunft die Vereinbarung von Differenzierungsklauseln zulässig ist. Es ist anzunehmen, daß diese Forderung der Gewerl::schaften eine heftige Debatte darüber auslösen wird, ob eine solche Gesetzesänderung verfassungsrechtlich zulässig ist. Unter diesen Umständen erscheint es zweckmäßig, zu prüfen, ob diese Gesetzesänderung auf verfassungsrechtliche Bedenken stößt und mit dem geltenden Tarifrecht zu vereinbaren ist.

V. Die Tatbestandserfüllung der Differenzierungsklauseln Aus dem Inhalt der Differenzierungsklauseln geht hervor, daß sie zur Erhöhung der Ansprüche der Organisierten führen können. Dies geschieht, wenn der Arbeitgeber den Nichtorganisierten die nach der Klausel den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehaltene Leistung gewährt. Der grundsätzlichen Frage, wenn dies der Fall ist, hat man bis jetzt wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Allerdings haben individuelle Zuwendungen der betreffenden Leistung an irgendeinen Außenseiter aus besonderen Gründen, z. B. wegen seiner hervorragenden Leistungen, noch keine Auswirkungen30• Vielmehr sind nur solche Leistungen an den Nichtorganisierten gemeint, die vom Arbeitgeber in "kollektiver Form" erbracht werden31 • Was aber unter kollektiver Form zu verstehen ist, bedarf einer Präzisierung. Sicherlich kann es sich nicht um einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung handeln, die die Nichtorganisierten mit dem Arbeitgeber abschließen. Nur aufgrund der übrigen kollektivrechtlichen Gestaltungsmitteln, nämlich der arbeitsvertraglichen Einheitsregelung, der Gesamtzusage und der Betriebsübung, kann der Arbeitgeber den Außenseitern die den Organisierten vorbehaltene Leistung in kollektiver Form zuwenden32• Die Tatbestandserfüllung der Differenzierungsklauseln ist also von der Bildung einer arbeitsvertragliehen Einheitsregelung oder Betriebsübung abhängig. Daraus folgt, daß der Arbeitgeber den von der Differenzierungsklausel betroffenen Anspruch auf die Nichtorganisierten als allgemeine Arbeitsbedingung anwenden muß, damit ein zusätzlicher Anspruch der Organisierten entsteht. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung und die Betriebsübung beruhen zwar für ihre verbindliche Regelung der Arbeitsbedingungen auf dem Einzelarbeitsvertrag33• Aber der in ihrem Rahmen abgeschlossene Arbeitsvertrag hat mit einem normalen Einzelvertrag nur noch die 30 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 74; Hueck, Tarifausschlußklausel, S.l6; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S.l7; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 24. at Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 74. u Ähnlich Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. 33 Vgl. G. Hueck, Festschrift für Molitor, S. 203 (207).

V. Die Tatbestandserfüllung der Differenzierungsklauseln

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rechtsgeschäftliche Form gemein. Sein Inhalt steht dagegen aufgrund seines kollektiven Elements im Gegensatz zu dem des individuell ausgehandelten Einzelvertrages, bei dem sowohl Form als auch Inhalt individuellen Charakter haben34 • Denn der auf der Grundlage der arbeitsvertraglichen Einheitsregelung abgeschlossene Arbeitsvertrag berücksichtigt individuelle und persönliche Momente des Einzelarbeitsverhältnisses keineswegs. Er enthält lediglich eine Bezugnahme der Vertragspartner auf allgemeine Arbeitsbedingungen, die wiederum vom Arbeitgeber einseitig festgelegt wurden35• Auf der anderen Seite bestehen zwischen Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung einreseits und arbeitsvertraglicher Einheitsregelung und Betriebsübung andererseits keine inhaltlichen Unterschiede. "Beide Regelungen haben einen kollektiven Inhalt" 36• Das wird im Arbeitsleben dadurch bestätigt, daß auch der Arbeitnehmer in der Regel keine Unterschiede zwischen Tarifvertrag und arbeitsvertraglicher Einheitsregelung empfindet. Der Durchschnittsarbeitnehmer beschränkt sich bei den Vertragsverhandlungen darauf, sich bei der Personalabteilung des Unternehmens nach den Arbeitsbedingungen zu erkundigen. Ob diese Arbeitsbedingungen kraft Tarifvertrages oder arbeitsvertraglicher Einheitsregelung gewährt werden, ist ihm in der Regel unbekannt37• Die Tatbestandserfüllung der Differenzierungsklauseln ist also von der Bildung einer arbeitsvertragliehen Einheitsregelung oder Betriebsübung abhängig. Infolgedessen wird der Arbeitgeber an ein objektives Kriterium, d. h. der persönlichen Eigenschaft der Arbeitnehmer als Nichtorganisierte, anknüpfen, um ihnen die von der Differenzierungsklausel betroffene Leistung in vollem Umfang zu gewähren. Hierbei kommt es nicht auf die Zahl der Nichtorganisierten an, die diese Leistung erhalten. Entscheidend ist vor allem, daß auf ein objektives Kriterium38, auf eine "kollektive Situation" 39 (die Eigenschaft als Außenseiter) abgestellt wird, ohne individuelle Momente des Einzelarbeitsver34 Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss., Harnburg 1966, S.l6 ff. (21); Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 83 f. m.w.N. 35 Vgl. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 80 ff. 36 Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, S. 21; Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 84; Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, S. 114; G. Hueck, Festschrift für Molitor, S. 207 f.; BAG, AP Nr. 77 zu Art. 3 GG mit Anm. von Mayer-Maly. 37 Vgl. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 89. 38 Zu diesem Begriffsmerkmal der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung vgl. insbesondere Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 96 ff. (103). 39 Vgl. Karakatsanis, Die kollektivrechtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und ihre Grenzen, S. 35 f.

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1. Kap.: Einleitung

hältnisses zu berücksichtigen. Die Bildung der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung oder der Betriebsübung wird sich dadurch feststellen lassen, daß es an irgendwelchen Verhandlungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Nichtorganisierten im Hinblick auf die betreffende Leistung fehlt; ferner durch die Verwendung einheitlicher Formulare oder durch den Aushang der allgemeinen Konditionen im Betrieb40 , woraus zu entnehmen ist, daß der Außenseiter ohne weiteres einen Anspruch auf die betreffende Leistung in derselben Höhe hat, in der sie der Organisierte bekommt. Liegt schon eine Betriebsübung oder arbeitsvertragliche Einheitsregelung vor, dann entsteht der Anspruch der Tarifgebundenen nach Maßgabe der DifferenzierungsklauseL Dies geschieht auf betrieblicher Ebene im Falle der Betriebsübung und auf überbetrieblicher Ebene, falls die arbeitsvertragliche Einheitsregelung gleichförmig in verschiedenen Betrieben praktiziert wird. Zu keiner Tatbestandserfüllung der Differenzierungsklausel kommt es dagegen, wenn der Arbeitgeber einem oder mehreren Nichtorganisierten unter Berücksichtigung ihrer individuellen Tätigkeit oder Bedürftigkeit die betreffende Leistung gewährt41 • In diesem Fallliegt auch keine arbeitsvertragliche Einheitsregelung oder Betriebsübung vor.

VI. Verhältnis der Differenzierungsklauseln zum Gleichbehandlungsgebot und anderen Rechtsinstituten Durch die Differenzierungsklausel 42 entsteht ein Anspruch des Organisierten auf unterschiedliche Behandlung durch den Arbeitgeber. Das scheint zunächst gegen das Gleichbehandlungsprinzip zu verstoßen, das der Arbeitgeber bei der Gestaltung der einzelnen Arbeitsverhältnisse zu beachten hat43• Andererseits ist auch die tarifvertragliche Normsetzung an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden44 • Indessen ist das Gleich40 Vgl. Säcker, Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht, S. 82, 93 ff. 41 Vgl. auch Gamillscheg, Differenzierung, S. 74 f.; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 16; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 17. 42 Gemeint sind hier die Differenzierungsklauseln, die im normativen Teil des Tarifvertrages vereinbart werden, die also Inhaltsnormen darstellen. Zu Begriff und Wirkung der schuldrechtlichen Differenzierungsklauseln vgl. unten Kapitel 4, III. 43 Vgl. dazu insbesondere G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, S . 60 ff.; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 85 ff.; Hueck, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch, Bd. I, S. 417 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, S. 500. 44 Trotz der Meinungsunterschiede in der Begründung ganz h. M. Vgl. Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 82 ff.; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, S. 58, 105 Anm. 20, 133 f.; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch, II/1, S. 350 ff., 376; Krüger, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I/1, S. 90; Richardi, Kollektivgewalt, S. 346 ff., 350 f. m.w.N.; Hueck/Nipperdey/Stahlhacke, TVG, Anm. 27 zu § 1 TVG (S. 48 ff.).

Vl. Differenzierungsklauseln und Gleichbehandlungsgebot

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behandlungsgebot nicht als die Pflicht des Arbeitgebers zu mechanischer Gleichstellung aller von ihm Beschäftigten zu verstehen. Wie G. Hueck45 nachgewiesen hat, werden im Rahmen der dem Gleichbehandlungsprinzip unterliegenden Rechtsverhältnisse sinnvolle Differenzierungen zwischen den einzelnen Beteiligten nicht nur zugelassen, sondern auch gefordert. Das ist der Fall, wenn diese Differenzierungen an bestehende Unterschiede anknüpfen oder anders formuliert, den besonderen Verhältnissen einzelner Arbeitnehmer oder ganzer Arbeitnehmergruppen Rechnung tragen46 • Der Gleichhseitssatz untersagt lediglich die Vornahme sachfremder, willkürlicher Differenzierungen, die sich nicht aus der Natur der Sache rechtfertigen lassen47 • Er läßt dagegen Raum für eine freie Entschließung und gestattet die Wahl zwischen mehreren denkbaren Regelungen, ohne daß es darauf ankommt, ob dabei gerade der zweckmäßigste und den Interessen der Beteiligten am besten entsprechende Weg eingeschlagen wird48• Aus diesem Grund hat man seit jeher die zahlreich im Arbeitsrecht vorgenommenen Differenzierungen nicht als unzulässig betrachtet, soweit sie nicht willkürlich waren. Wegen dieses relativen Charakters des Gleichbehandlungsgebots sind solche Differenzierungen, die sogar in keinem engen Zusammenhang mit der Arbeitsleistung oder dem Arbeitsplatz stehen, zur Selbstverständlichkeit geworden. Dazu zählen - um nur einige Beispiele zu nennen - die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer nach den sozialen Umständen49 (z. B. Lebensalter, Familienstand, Kinderzahl usw.). Aus der Zulässigkeit dieser Differenzierungen folgt selbstverständlich nicht ohne weiteres auch die Zulässigkeit der Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit Vielmehr müssen dafür ebenso gewichtige Gründe, wie bei den ersteren Differenzierungen, sprechen. Die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer nach ihren sozialen Umständen läßt sich zunächst d amit rechtfertigen, daß alle diese Umstände eine besondere finanzielle Belastung verursachen ; ferner mit der Überlegung, daß sie der Allgemeinheit dienlich sind50, wie z. B. die Gründung von Familien usw. Die Mitgliedschaft in den Koalitionen weist dazu Parallelen auf. Auch sie hat eine finanzielle Belastung zur Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 65 ff., 173 ff. G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 65, 173. 47 G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S . 177; vgl. auch A . Hueck, in Lehrbuch, Bd. I, S. 424; Richardi, Kollektivgewalt, S. 352; Hesse, Grundzüge, S.177; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. I, S. 501. 48 Diese im Rahmen des öffentlichen Rechts gewonnenen Erkenntnisse haben auch für das privatrechtliche Gleichbehandlungsprinzip unmittelbare Bedeutung: G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 177 ff. 49 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 48 ff.; ders. BB 1967, S. 45 (46 f.); Herschet, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. II, S. D 10, 26 f.; Schwerdtner , Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeitsbedingungen, S. 104. 50 Vgl. Gamillscheg, Differenzierung, S. 48 f.; R euß, AcP 166, S. 519 (522). 45 46

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1. Kap.: Einleitung

Folge. Auch sie beinhaltet etwas Positives für die Allgemeinheit. Denn jede Mitgliedschaft in der Koalition trägt zur Funktionsfähigkeit der Gewerkschaften bei, was aber eine Voraussetzung für die Erhaltung der freiheitlichen Wirtschaftsordnung ist. Sollten die Gewerkschaften nicht mehr funktionsfähig sein, dann bestünde die Gefahr einer gesetzlichen Zwangsmitgliedschaft oder einer staatsdirigistischen Lohn- und Preisfestsetzung51. Die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gewerkschaften liegt also im Interesse nicht zuletzt der Allgemeinheit51 . Bei der Differenzierung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit stehen andere Überlegungen im Vordergrund. Hier geht es lediglich darum, die Betriebstreue der Arbeitnehmer zu belohnen, worauf wohl die Arbeitgeber einen großen Wert legen52. Es liegt dagegen nicht im Interesse der Gewerkschaften, die betriebstreuen Arbeitnehmer auszuzeichnen. Nun versteht es sich von selbst, daß der Arbeitgeber umgekehrt an der Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit wenig interessiert ist. Aber damit kann die Unsachlichkeit oder sogar Willkür dieser Differenzierung nicht begründet werden. Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit oder nach ihrer Dauer versößt gegen das Gleichbehandlungsprinzip genauso viel oder genauso wenig, wie die Differenzierung nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit53• Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit steht jedem Arbeitnehmer zu, sofern er sich zum Beitritt zur Gewerkschaft entscheidet. Sie beeinträchtigt die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter genauso wenig, wie die Differenzierung nach der Betriebszugehörigkeit das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl (Arbeitsplatzwechsel) beeinträchtigt. Daran ändert auch das Argument nichts, der Arbeitgeber fühle sich auch gegenüber den nichtorganisierten Arbeitnehmern seiner Belegschaft verantwortlich54• Denn ob eine Verletzung des Gleichheitssatzes vorliegt oder nicht, wird nach objektiven Maßstäben und nicht nach den subjektiven Erwägungen derjenigen Person beurteilt, die die unterschiedliche Behandlung vornimmt55. Wenn schließlich gegen die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit § 75 Abs. 1 BetrVG (§51 des alten BetrVG) angeführt wird, wonach die unterschiedliche Behandlung von Personen wegen . .. ihrer gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung unterbleiben muß, 51 Vgl. Reuß, AcP 166 (1966), S. 522. 52 Vgl. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 62.

Vgl. auch GamiHscheg, Differenzierung, S. 49 f.; ders., BB 1967, S. 46 f.; AcP 166, S. 522; Säcker, Grundprobleme, S. 132; a.A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 62; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 37; Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 110. 54 So B ötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 122; zustimmend Richardi, Kollektivgewalt, S. 354. ss Vgl. G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 194 ff. 53

Reuß,

VI. Differenzierungsklauseln und Gleichbehandlungsgebot

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so ist dem folgendes entgegenzuhalten: § 75 BetrVG gilt für den betrieblichen Bereich. Er findet keine Anwendung auf die tariflichen Inhaltsnormen58. Im übrigen kann nicht Sinn dieser Bestimmung sein, jede Differenzierung - auch die kostenausgleichsorientierte - auszuschließen. Gemeint ist nur die sachfremde, willkürliche Differenzierung. Denn wäre dies nicht der Sinn des § 75 BetrVG, dann wäre auch die unterschiedliche Behandlung zwischen Tarifgebundenen und Außerseitern aufgrund der Tarifgebundenheit (§§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG) als unzulässig anzusehen. Durch § 75 BetrVG wären praktisch §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG aufgehoben57. Bezüglich des § 3 Abs. 1 TVG wird allerdings die Ansicht vertreten, daß der Gesetzgeber durch die Entscheidung des § 3 Abs. 1 TVG, mit der er die Gewerkschaftszugehörigkeit zum Kriterium der Tarifgebundenheit machte, die Möglichkeit nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zu unterscheiden, konsumiert habe. Für weitere Unterscheidungen stehe dieses Kriterium nicht mehr zur Verfügung58• Diese These ist nicht überzeugend. Denn sie kommt zum unbefriedigenden und mit § 75 Abs. 1 BetrVG kaum zu vereinbarenden Ergebnis, daß das TVG dem Arbeitgeber einseitig das Recht eingeräumt hat, aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit zu differenzieren. Der Gewerkschaft wird dagegen ein Anspruch auf derartige Differenzierungen aberkannt. Für den hier zur Debatte stehenden Gleichheitssatz ist übrigens diese These irrelevant. Denn bei der Anwendung des Gleichbehandlungsprinzips ist es unerheblich, ob der Arbeitgeber die Verschiedenbehandlung der Arbeitnehmer von sich aus vornimmt oder ob er sich dazu durch Tarifvertrag verpflichtet. Verstößt also eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit nicht gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, weil sie nicht willkürlich, sondern sogar sachlich gerechtfertigt ist (und dies ergibt sich aus § 3 Abs. 1 TVG), dann ändert sich daran nichts, wenn der Arbeitgeber nicht von selbst, sondern durch die Vereinbarung einer Differenzierungsklausel mit der Gewerkschaft zu dieser differenzierenden Behandlung gekommen ist59• 58 Vgl. Dietz, Betiebsverfassungsgesetz, Anm. llb zu §51; Gamillscheg, Differenzierung, S. 50; Georgi, Die Zulässigkeit von Differenzierungs- und Tarifausschlußklauseln in Tarifverträgen, S.10. 67 Die unterschiedliche Behandlung der Arbeitnehmer aufgrund der Tarifgebundenheit (und folglich der Gewerkschaftszugehörigkeit) ist mit dem Gleichheitssatz durchaus vereinbar. Vgl. Dietz, Betriebsverfassungsgesetz, Anm. llb zu §51 BetrVG (vgl. aber ders. Anm. llc zu §51); G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung, S. 66; Georgi, S. 10; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch, II/1, S. 479 f.; noretta, DRdA 1968, S. 13 f.; Säcker, Grundprobleme, S.131 f.; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 171. 68 So Mayer-Maly, ZAS 1969, S. 89; Brecher, JuS 1969, S. 272 (276); kritisch dazu auch Säcker, Grundprobleme, S. 130 f. 59 Insoweit zutreffend Gamillscheg, Differenzierung, S. 48.

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1. Kap.: Einleitung

VII. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Die Differenzierungsklauseln sind nicht nur mit dem Gleichheitssatz, sondern auch mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers vereinbar. Zwar gehören sie nicht zu dem bisher als typisch angesehenen Bereich arbeitgeberischer Fürsorge. Aber daraus kann man nicht den Schluß ziehen, die Differenzierungsklauseln stünden zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im Widerspruch. Daß sie bislang in der tarifrechtliehen Praxis keinen Niederschlag gefunden haben, ist vielmehr auf den Widerstand der Arbeitgeberseite zurückzuführen. Die Mitgliedschaft in den Koalitionen bringt eine finanzielle Belastung der Organisierten mit sich. Die Berücksichtigung dieser Tatsache ist der arbeitgebensehen Fürsorge nicht fremd60• Die Fürsorgepflicht hindert allerdings den Arbeitgeber nicht, berechtigte eigene Interessen wahrzunehmen61 ; und es ist nicht zu leugnen, daß die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit im Einzelfall den Betriebsfrieden gefährden kann, was aber einem berechtigten Interesse des Arbeitgebers zuwiderläuft. Aber umgekehrt darf auch nicht übersehen werden, daß die fortwährende Mitnutzung der Kampferfolge der Gewerkschaftsmitglieder durch die Nichtorganisierten und die sich daraus ergebende ungleichmäßige Wirkung der Arbeitsbedingungen ebenso den Unwillen der Organisierten hervorrufen kann, was wiederum eine Gefährdung des Betriebsfriedens bedeutet62• Außerdem steht die mit den Differenzierungsklauseln verbundene Unterstützung der Gewerkschaften auch den ureigensten Interessen der Arbeitgeber nicht entgegen. Die Argumentation des GS des BAG63 , die dahin geht, überzeugt nicht. Denn die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Gewerkschaften ist nach dem Gesagten (s. S. 26) eine Voraussetzung für die Erhaltung der freiheitlichen Wirtschaftsordnung, ohne die aber weder die soziale Marktwirtschaft noch das freie Unternehmertum gewährleistet sind64 • Es ist jedoch nicht die Absicht der vorliegenden Arbeit, die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers überzustrapazieren. Deshalb wird im folgenden 60 Nicht zu vergessen ist dabei, daß von der h. M. und der Rechtsprechung die meisten sozialen Leistungen des Arbeitgebers als Erfüllung seiner arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht angesehen werden. Vgl. statt vieler: Hueck, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch Bd. I, S. 393, 417; vgl. auch Nachweise bei Schwerdtner, Fürsorgetheorie und Entgelttheorie im Recht der Arbeitsbedingungen, S. 145 ff. 6t Hueck, bei Hueck/Nipperdey, I, S. 392 f. 62 Vgl. Gitter, JurA 1970, S. 148 (158); Ritter, JZ 1969, S. 112. 63 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, Teil IV, Ziff. VII, Nr. 4 der Begründung. 64 Wie sehr die Existenz von funktionsfähigen Gewerkschaften den Interessen auch der Arbeitgeber entspricht, haben zuletzt die im Sommer des Jahres 1973 stattgefundenen wilden Streiks bewiesen.

VII. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

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nicht der Versuch unternommen, die Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln auf den Fürsorgegedanken zu gründen. Hier genügt lediglich die negative Feststellung, daß eine Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit bis zu der erwähnten Höhe nicht gegen die arbeitgeberische Fürsorge verstößt. Die definitive Feststellung der Rechtsmäßigkeit der Differenzierungsklauseln wird dagegen aus anderen Argumenten abgeleitet, die sich aus dem Grundgesetz und dem Tarifvertragsgesetz ergeben.

Zweites KapiteL

Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln Die Vereinbarkeit der Differenzierungsklauseln mit dem Grundgesetz wird im folgenden von zwei Seiten her betrachtet: Zunächst aus der Sicht des einzelnen nichtorganisierten und organisierten Arbeitnehmers; weiterhin aus der Sicht der Arbeitnehmerkoalition und des Arbeitgeberverbandes. I. Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten 1. Der Inhaltswandel der Vertragsfreiheit

Die Differenzierungsklauseln erschweren die Verhandlungen der nichtorganisierten Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber im Hinblick auf jenen Teil der Leistung, der nach ihrem Inhalt den Organisierten vorbehalten bleiben soll. Denn der Arbeitgeber wird aus naheliegenden Gründen nicht geneigt sein, den Außenseitern diese Leistung in dem Umfang zu gewähren, in dem sie für die Organisierten vorgesehen ist. Darin sieht man eine Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich geschützten Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten1• Dieser Einwand ist ernst zu nehmen. Dies umso mehr, als uns heute die Erhaltung der Vertragsfreiheit vor neue Aufgaben gestellt hat. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung im 20. Jahrhundert hat sich als besonders bedrohlich für die Vertragsfreiheit des Einzelnen erwiesen. Die rasche Kapital- und folglich Machtkonzentration in wenigen Händen hat das Gleichgewicht zwischen den Vertragspartnern gestört, das aber die Voraussetzung für das Funktionieren der Vertragsfreiheit ist2 • Subjekte des 1 Vgl. Böt ticher, Waffengleichheit, S. 15; Gumpert, BB 1960, S. 102; flueck, Tarifausschlußklausel, S. 41 ff.; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, II/1, S. 169; im Gegensatz zu diesen Autoren meint Biedenkopf, daß eine Verletzung der Vertragsfreiheit nur bei den Tarifausschluß- nicht aber bei den Differenzierungsklauseln vorliegt, vgl. Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I/1, S. 132 ff.; ders., Sondervorteile für Gewerkschaftsmitglieder, S.12 f.; kritisch zu dieser unterschiedlichen Beurteilung: Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 73; Richardi, Kollektivgewalt, S. 209 f.; Säcker, Grundprobleme, S. 216 Anm. 314; ZöHner, Differenzierungsklauseln, S. 30 f.; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 106 f. z Vgl. Biedenkopf, Festschrift für Böhm, S. 113 (134); Raiser, Festschrift zum 100jährigen Bestehen des DJT, Bd. I, S. 101 (106, 132); Fikentscher, Schuldrecht, 3. Aufl., S. 77.

I.

Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten

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wirtschaftlichen und politischen Lebens sind meistens nicht nur private Bürger, sondern große Unternehmen, Gruppen oder Verbände, die über eine klare Überlegenheit gegenüber dem Einzelnen verfügen3 • Es liegt nahe, daß der Vertrag in den Händen dieser Mächte zum Instrument der Herrschaft über den anderen Vertragspartner4 oder über andere am Vertrag nichtbeteiligte Dritte werden kann. Um diesen Gefahren entgegenzuwirken, hat die Vertragsfreiheit allmählich einen Inhaltswandel erfahren, sodaß heute von einem neuen "funktionalen, institutionsbezogenen" Verständnis der Vertragsfreiheit die Rede ist. Danr.ch darf man ohne besondere gesetzliche Ermächtigung, die die privatrechtliche Entscheidungszuständigkeit des Einzelnen erweitert, seine Vertragsfreiheit nicht in Anspruch nehmen, um Verhaltensnormen für andere am Vertrag nicht beteiligte Dritte aufzustellen5 • Auf der anderen Seite liegt ein Eingriff in die Vertragsfreiheit des Dritten nicht nur vor, wenn eine echte rechtliche Bindung des Dritten gegeben ist, sondern auch wenn er faktisch gehindert wird, beliebige Verträge abzuschließen6 • Für die Verletzung der Vertragsfreiheit genügt also die Tatsache, daß dem Außenstehenden tatsächlich die Möglichkeit genommen wird, die Gestaltung seiner Rechtsbeziehungen nach dem Grundsatz der Selbstbestimmung (§ 305 BGB) vorzunehmen. 2. Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten und Tarifmacht. Abgrenzung

Nun fragt man sich, welche Bedeutung für die Differenzierungsklauseln dieses neue Verständnis vom Inhalt der Vertragsfreiheit hat. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Gewerkschaften eine ausreichende Macht besitzen, um die Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten einzuschränken. Der Tarifvertrag in den Händen der Arbeitnehmerund Arbeitgeberkoalitionen könnte sogar zum Instrument zur Beseitigung der Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten werden. Dennoch liegt bei den Differenzierungsklauseln keine Beeinträchtigung der Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten vor. Denn es fehlt an einer zweiten dazu Raiser, JZ 1958, S. 1 (3). Vgl. Raiser, JZ 1958, S. 3; Biedenkopf, Festschrift für Böhm, S. 134 f . 5 Vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 17 f. m.w.N. in Anm. 9, 10; Biedenkopf, Vertragliche Wettbewerbsbeschränkung und Wirtschaftsverfassung, S. 128 ff.; ders., Tarifautonomie, S. 13 f. ders., Festschrift für Böhm, S. 134; Raiser, JZ 1958, S. 3 f.; ders., Festschrift zum 100jährigen Bestehen des DJT, Bd. I, S. 130 ff.; Esser, Schuldrecht, 4. Aufl., Bd. I, S. 82 ff.; Fikentscher, Schuldrecht, S.77 m.w.N. ' Vgl. Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 31; Biedenkopf, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I/1, S. 133. Hinsichtlich dieses Inhaltswandels der Vertragsfreiheit bestehen noch viele Unklarheiten. Vgl. Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 166 f. Bedenklich ist zugleich die Neigung einiger Autoren, diese innerhalb bestimmter Rechtsgebiete (vor allem des Kartellrechts) gewonnenen Erkenntnisse auch auf das kollektive Arbeitsrecht ohne weiteres zu übertragen. Dazu vgl. noch unten S. 98 ff. 3

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

erforderlichen Voraussetzung: Indem nämlich die Koalitionen Differenzierungsklauseln in Tarifverträgen vereinbaren, mißbrauchen sie ihre Macht nicht, soweit es sich um maßvolle Differenzierungen im oben erläuterten Sinne (s. S. 15 f.) handelt. Mit anderen Worten, solange die Gewerkschaften die ihnen nach GG (Art. 9 Abs. 3) und TVG zustehende Regelungsermächtigung nicht überschreiten, kann von einem Eingriff in die Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten nicht die Rede sein. Ein Eingriff in die Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten kommt erst dann in Betracht, wenn sich die Koalitionen nicht mehr an die vom GG und TVG fixierten Grenzen der Tarifautonomie halten7 • Es wird also Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, nachzuweisen, daß die Außenwirkung der Differenzierungsklauseln innerhalb der Grenzen der Tarifautonomie liegt. Eine ganz andere Frage ist, ob wegen des verfassungsrechtlichen Schutzes der Vertragsfreiheit eine Einwirkung auf das Arbeitsverhältnis der Nichtorganisierten zulässig ist. Die letztere Frage hängt mit dem allgemeinen Problem des verfassungsrechtlichen Schutzes der Vertragsfreiheit und ihrer Schranken zusammen. 3. Der verfassungsrechtliche Schutz der Vertragsfreiheit

Für den verfassungsrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit wird Art. 2 Abs. 1 GG in Anspruch genommen, d. h. die Bestimmung, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährleistet8 • Dies deshalb, weil es ohne Vertragsfreiheit, d. h. ohne die Möglichkeit des Einzelnen einen Vertrag nach seinem Willen abzuschließen und zu gestalten, keine freie Entfaltung der Persönlichkeit geben kann. Dabei machen h. M. und Rechtsprechung eine Einschränkung: Soweit für Sondergebiete der Grundsatz der Vertragsfreiheit aus anderen Grundrechtsbestimmungen abgeleitet werden kann, w ird die Garantie der Vertragsfreiheit nicht dem Art. 2 Abs.1 GG, sandem diesen Sonderbestimmungen entnommen9. Aufgrund dieser Stellungnahme kommt die h. M. zu folgenden Ergebnis: Die allgemeine Vertragsfreiheit (vor allem die Vertragsfreiheit für das Gebiet des Schuldrechts) wird durch Art. 2 Abs. 1 GG, die Vertragsfreiheit im Hinblick auf die Verfügungsgeschäfte durch Art. 14 GG, die Vertragsfreiheit für gesellschaftliche Verträge durch Art. 9 GG Vgl. auch Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 32. Vgl. statt vieler Laufke, Festschrift für Lehmann, Bd. I, S. 145 (162); Maunz!Dürig/Herzog, Art. 2 I Anm. 53; Raiser, JZ 1958, S. 4 f.; Lerche, Werbung und Verfassung, S. 71; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 80; Kloepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz, S. 42 ff. ; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 62, 164. 9 Vgl. Laufke, S. 162; Maunz/Dürig/Herzog, Art 2 I,Anm. 53; Säcker, Grundprobleme, S. 25 m.w.N. BVerfGE 8, 274 (328); kritisch dazu H. Huber, die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, S. 9 f . 1

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II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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und die Vertragsfreiheit für Arbeitsverträge zum Teil durch Art. 12 GG gewährleistet10• Für den verfassungsrechtlichen Schutz der Vertragsfreiheit des Nichtorganisierten kommen also zwei Bestimmungen in Betracht: Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG. Die Vertragsfreiheit des Nichtorganisierten ist in Art. 12 Abs. 1 GG insofern mit eingeschlossen, als sie der freien Berufsund Arbeitsplatzwahl oder der freien Berufsausübung dient. Daraus folgt, daß die Vertragsfreiheit des Nichtorganisierten a) als Freiheit des Abschlusses eines Arbeitsvertrages überhaupt und b) als Freiheit in der Wahl der Person des Arbeitgebers (Vertragspartners) aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG und nicht aus Art. 2 Abs. 1 GG abzuleiten ist. Demgegenüber ist die Vertragsfreiheit als Recht zur Festlegung beliebiger Arbeitsbedingungen zum Teil dem Art. 12 Abs. 1 S. 2 (freie Berufsausübung) und zum Teil dem Art. 2 Abs. 1 GG zu entnehmen. Nun fragt es sich, welche Konsequenzen für die Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln sich aus dieser Ableitung der Vertragsfreiheit ergeben. Angesichts der Tatsache, daß die Vertragsfreiheit des Nichtorganisierten zur Vereinbarung beliebiger Arbeitsbedingungen unter dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs.1 S. 2 GG und unter den drei Vorbehalten des Art. 2 Art. 1 GG steht, ist folgendes festzustellen: Sowohl die Tarifvertragsparteien als auch der einfache Gesetzgeber verfügen über einen weiten Spielraum, der es ihnen ermöglicht, durch Tarifvertrag oder anders auf die Arbeitsverhältnisse der Nichtorganisierten einzuwirken11 • Was dagegen die Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten im Sinne der Abschlußfreiheit und der Freiheit in der Wahl des Arbeitgebers (Vertragspartner) betrifft, so müssen da strengere Bedingungen gestellt werden. Nur unter strengen Bedingungen können die Tarifvertragsparteien oder der einfache Gesetzgeber diese Vertragsfreiheit der Nichtorganisierten einschränken12.

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten Es ist eines der ältesten Argumente gegen die Differenzierungsklauseln, daß sie gegen die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten verstoßen. Überhaupt beherrschte die Frage der negativen Koalitionsfreiheit die wissenschaftliche Auseinandersetzung bis zum 46. DJT. Erst nach dem Beschluß des GS des BAG13 begann man, an der ÜberVgl. Laufke, S. 162 f. Vgl. Laufke, S.163 ff.; Raiser, JZ 1958, S. 5 ff.; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 33 Anm. 8lb m.w.N. 12 Zu den Grenzen des Grundrechts aus Art. 12 GG vgl. Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 109 ff. m.w.N.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 120 f.; BVerfGE 7, 10

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377.

13 AP Nr. 13 zu Art. 9 GG.

3 Leventis

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

Zeugungskraft dieser Argumentation zu zweifeln. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn seit Ende der sechziger Jahre von Gegnern14 der Differenzierungsklauseln zugestanden wird, daß Sondervorteile für die Koalitionsmitglieder, die unterhalb der Höhe der jährlichen Mitgliedschaftsbeiträge liegen, mit dem Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durchaus vereinbar sind. Zu dieser Entwicklung hat wohl die Entscheidung des GS des BAG erheblich beigetragen. Zu bedauern ist, daß das BVerfG anläßlich der Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des GS des BAG auf das Verhältnis der negativen Koalitionsfreiheit zur positiven nicht eingegangen ist. Denn die negative Koalitionsfreiheit ist von elementarer Bedeutung für das ganze Arbeitsrecht. Von ihrem Inhalt und von der Intensität ihres Schutzes hängt der Ausmaß der Kollektivmacht der Gewerkschaften ab. Aus ihr ergeben sich zusammen mit der positiven Koalitionsfreiheit die Leitlinien für die Entwicklung der Beziehungen zwischen Organisierten und Nichtorganisierten. Man sollte deshalb eine neuerdings vertretene Ansicht15, die dazu neigt, die Diskussion über die Differenzierungsklauseln in die Ebene des Tarifvertragsrechts zu verlegen, ohne vorher alle diese verfassungsrechtlichen Fragen geklärt zu haben, nicht bedenkenlos akzeptieren. 1. Die negative Koalitionsfreiheit im bisherigen Grundrechtsverständnis

Als negative Koalitionsfreiheit bezeichnet man das Recht, unkoaliert zu bleiben oder aus der Koalition auszutreten. Vorwegzunehmen ist, daß es im Rahmen der Diskussion über die Differenzierungsklauseln nicht darum geht, ob die Verfassung die negative Koalitionsfreiheit überhaupt gewährleistet oder nicht. Daß ein Zwang zum Beitritt zu den Koalitionen nicht ausgeübt werden darf, steht außer Diskussion. Hier geht es lediglich darum, wieweit der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit reicht. Die Frage wird nicht einheitlich beantwortet. Nach der überwiegenden Ansicht16 genießt die negative Koalitionsfreiheit denselVgl. Gitter, JurA 1970, S. 148 (151 f.); Säcker, Grundprobleme, S. 126 f. Bötticher, RdA 1966, S. 401; Richardi, Kollektivgewalt, S. 208; a.A. Isele, JZ 1966, S. 585 (586). 16 Vgl. Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Grundrechte III/1, S. 417 (453 ff.); ders., Verhandlungen des 46. DJT, Bd. II, S. D 120 f.; Bötticher, Waffengleichheit, S. 15; ders., Die gemeinsamen Einrichtungen, S . 114 Anm. 14; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, II, S. 381 ff.; A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 33 ff. Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 166; Mayer-Maly, ZAS 1969, S. 81 ff.; ders., Negative Koalitionsfreiheit?, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 5ff.; Monjau, Festgabe für Küchenhoff, S. 121 (122 ff.); v. Münch, in: B. Komm. zu Art. 9 GG, Anm. 140; Neumann, Betr. 1967, S. 1545; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 28 ff.; R eichel, Betr. 1972, S. 2062, 2110; Richardi, ZfA 1970, S. 90; Scheuner, Koalitionsfreiheit, S. 38; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41 f.; ders., RdA 1970, S. 211; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 41 ff.; Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, S. ll; Zöllner, RdA 1'

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II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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ben verfassungsrechtlichen Schutz wie die positive. Für beide Grundrechte gelten dieselben Garantien. Diese Ansicht wird dogmatisch damit begründet, daß beide Rechte, positive und negative Koalitionsfreiheit, in Art. 9 Abs. 3 GG enthalten sind. Insbesondere gilt auch für die negative Koalitionsfreiheit die Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 GG: "Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig". Ausschlaggebend sind für die h. M. zwei Hauptargumente: a) Die negative Koalitionsfreiheit ist die logische Kehrseite oder das logische Korrelat der positiven. b) Ohne die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte negative Koalitionsfreiheit ist sowohl die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in den Koalitionen als auch der Koalitionspluralismus gefährdet. Demgegenüber vertritt eine Gegenmeinung17 mit Nipperdey an der Spitze die Auffassung, daß der Schutz der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG abzuleiten ist. Demgemäß gelten für die negative Koalitionsfreiheit die von Art. 2 Abs. 1 GG bestimmten Schranken: Rechte anderer, verfassungsmäßige Ordnung und Sittengeset z. Eine weitere Konsequenz dieser Auffassung ist, daß sie der positiven Koalitionsfreiheit gegenüber der negativen einen gewissen Vorrang zuerkennt. Die Gegenmeinung beruft sich vor allem auf folgende zwei Argumente: a) Sowohl aus der historischen Entwicklung der Koalitionsfreiheit als auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG ergibt sich, daß ein Schutz der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht beabsichtigt war. b) Eine Gewährleistung der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG würde zu einem Gegensatz zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG führen mit der Folge, daß die positive Koalitionsfreiheit des Einzelnen und die Freiheit der Koalition selbst unzulässigerweise eingeschränkt würden. Die überwiegende Meinung hat den endgültigen Sieg über die Gegenmeinung noch nicht errungen. Denn es ist ihren Vertretern bisher nicht gelungen, eine Lösung zu entwickeln, durch die die unbefriedigenden Ergebnisse vermieden werden, wenn durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur 1962, S. 453 (458); ders., Differenzierungsklauseln, S. 25 ff.; w eitere Nachweise bei Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41 Anm. 3. 17 Vgl. Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 156 ff., Biedenkopf, JZ 1961, S. 346 (352); ders., Verhandlungen des 46. DJT, 111, S. 127; Bogs, Arbeitsrechtsblattei, Vereinigungsfreiheit, B I 4; Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 286 ff.; Galperin, Festschrift für Bogs, S. 92 ff.; ders., Betr. 1970, S. 298 (301 f.); Gamillscheg, Differenzierung, S. 54 ff.; ders., BB 1967, S. 45 (47); Fechner, Rechtsgutachten, S. 30 ff.; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, 8 . 160 f.; Radke, AuR 1971, S. 4 (10); Ritter, JZ 1969, S. 113; Söllner, Arbeitsrecht, S. 59 f.; W eller, AuR 1970, S. 161 (165); Heiseke, RdA 1960, S. 299 (301); weitere Nachweise bei Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41 Anm. 4. 3"

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

die positive, sondern auch die negative Koalitionsfreiheit gerantiert wird. Wie noch darzulegen sein wird, gehört es zur Eigenart des Koalitionsfreiheitsrechts, daß ein Spannungsverhältnis zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit besteht. Diese Konfliktsituation würde aber kaum zu lösen sein, wenn beide Grundrechte durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wären. Dies wird schon in der Entscheidung des BAG18 deutlich. Das Gericht hat das erwähnte Spannungsverhältnis innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG erkannt. Deshalb ist es davon ausgegangen, daß der Nichtorganisierte trotz negativer Koalitionsfreiheit einen legitimen und sozialadäquaten Druck hinnehmen müsse, wenn es um die Sicherung der Daseins- und Betätigungsgarantie der Koalition gehe. Nur diejenigen Regelungen, die einen illegalen und sozialinadäquaten Druck beinhalten, seien nach Art. 9 Abs. 3 S. 2 unzulässig. Ein solcher Druck, durch den das Gerechtigkeitsempfinden gröblich verletzt werde, liege aber vor, wenn die Gewährung tariflicher Leistungen von Fragen der Organisationszugehörigkeit abhängig gemacht würde19• Auf das Argument der Sozialadäquanz wird nochmals einzugehen sein. Hier soll lediglich gefragt werden, warum das Gerechtigkeitsempfinden nicht verletzt wird, wenn sich der Arbeitgeber gemäß § 3 Abs. 1 TVG - ebenso auf die Organisationszugehörigkeit gestützt- weigert, den Nichtorganisierten die tariflichen Leistungen zu gewähren. 2. Die negative Koalitionsfreiheit als logische Kehrseite der positiven

Die überwiegende Meinung hält die negative Koalitionsfreiheit für die logische Kehrseite der positiven. Diese logische Ableitung der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG findet ihre Zuspitzung in Äußerungen wie: "Eine wirkliche Freiheit der Entscheidung schließt die beiden Richtungen in sich, ob man etwas tun oder nicht tun will" 20 • "Freiheit zum positiven Tun ohne Freiheit zum negativen Tun bedeutet im Ergebnis den Zwang zum Tun" 21 •

a) Der doppelte Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit Aber die überwiegende Ansicht ist nicht ganz konsequent, wenn sie die negative Koalitionsfreiheit nur auf das Recht beschränken will, unkoaliert zu bleiben oder aus der Koalition auszutreten. Dies wird deutlich, wenn man sich den Normbereich der positiven Koalitionsfreiheit GS des BAG, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG. GS des BAG, in: AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, Teil IV, Ziff. VIII, Nr. 4, 5 der Begründung. 20 Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, 111/1, S. 455. 21 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 42, vgl. auch Monjau, Festgabe für Küchenhoff, S. 130. 18

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II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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vergegenwärtigt. Positive Koalitionsfreiheit bedeutet nicht das Recht, sich mit anderen zusammenzuschließen, sondern das Recht, sich zu einem bestimmten Zweck, nämlich zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, zusammenzuschließen. Die Grundrechtsausübung der Koalitionsfreiheit wird deshalb in zwei Phasen verwirklicht: Zuerst kommt die KoaLitionsbildung. Der Koalitionsbildung folgt dann die Verwirklichung des Koalitionszwecks durch das Führen von Verhandlungen mit dem Gegenspieler, die Androhung und notfalls Durchführung von Kampfmaßnahmen und schließlich den Abschluß von Tarifverträgen. Logische Kehrseite dieses Grundrechts kann nicht bloß das Recht sein, unkoaliert zu bleiben, sondern das Recht, als Unkoalierter unter eigener Verantwortung und verschont von der Tätigkeit der Koalitionen die eigenen Arbeitsbedingungen wahrzunehmen. Daraus folgt, daß die negative Koalitionsfreiheit als die begriffliche Kehrseite der positiven zweierlei Garantien enthalten muß: Zunächst das sog. Fernbleiberecht (Freiheit vom Beitrittszwang); ferner das Recht, der Normsetzungsgewalt der Berufsverbände nicht unterworfen zu werden (Freiheit von der Normsetzungsgewalt der Koalitionen), um die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen eigenständig wahrnehmen zu können. Diese doppelte Funktion der negativen Koalitionsfreiheit wird in der arbeitsrechtlichen Literatur selten berücksichtigt22 •

Biedenkopf3, der übrigens kein Anhänger der h. M. ist, versucht allerdings, die negative Koalitionsfreiheit, bezogen auf die Freiheit von fremder Normsetzung, eng aufzufassen. Er unterscheidet zwischen Mitgliedschaft in der Koalition und Norsetzung durch Tarifverträge und beschränkt die negative Koalitionsfreiheit auf das Problem des von ihm so genannten unmittelbaren oder mittelbaren Mitgliedszwanges: Der Charakter der Normierung als allgemeine Regelung typischer Sachverhalte schließe es aus, die negative Koalitionsfreiheit hier ebenso zu verstehen, wie im Zusammenhang mit dem erzwungenen Beitritt zur Vereinigung. Die Normsetzung diene, anders als die Mitgliedschaft im Verein, nicht der persönlichen Selbstentfaltung, sondern der Ordnung rechtlicher Beziehungen zu bestimmten Zwecken. Eine solche Ordnung sei auch dann gerechtfertigt, wenn sie im einzelnen nicht mit den persönlichen Vorstellungen der Normunterworfenen von einer sachgemäßen Regelung übereinstimme. Eiedenkopfs Einschränkung der negativen Koalitionsfreiheit auf die Frage des Mitgliedszwanges mag sinnvoll sein, zumal sie der Ordnungsfunktion des Tarifvertrages gerecht wird. Sie kann jedoch der hier zur 22 Einige Hinweise vgl. bei Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, Diss. München 1964, S. 60 f.; Ritter, JZ 1969, S. 113; Wiedemann, RdA 1969, S. 330; Zöllner, RdA 1962, S. 458; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 44 f.; verneinend Säcker, Grundprobleme, S. 36; Däubler, Das Grundrecht auf Mitbestimmung, S. 287 ff. %3 Tarifautonomie, S. 99 f.

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

Debatte stehenden h. M. nicht behilflich sein. Denn will man mit solch logischen Argumenten ernsthaft operieren, dann kann man nicht leugnen, daß die negative Koalitionsfreiheit beide erwähnten Gerantien enthalten muß. Der Beitritt zu einer Koalition ist nach dem Wortlaut und dem Sinn des Art. 9 Abs. 3 GG kein Selbstzweck, sondern er bezweckt die Regelung der Arbeitsbedingungen durch kollektive Vereinbarungen. Die Normsetzung durch Tarifvertrag ist eben diese kollektive Regelung der Arbeitsbedingungen. Die negative Koalitionsfreiheit muß sich also als begriffliche Kehrseite der positiven genauso intensiv sowohl gegen den Beitrittszwang wie auch gegen die Unterwerfung unter die Tarifmacht der Koalitionen richten.

b) Die negative Koalitionsj1·eiheit als Freiheit von fremder N o1·msetzung Nach dieser neuen Begriffsbildung der negativen Koalitionsfreiheit muß man sich nochmals die Frage stellen: Ist es eigentlich sinnvoll, Art. 9 Abs. 3 GG eine solche Gewährleistung der negativen Koaliitonsfreiheit zuzuschreiben? Mehrere Gründe sprechen m. E. dagegen. Zunächst wäre es merkwürdig, wenn Art. 9 Abs. 3 GG neben der positiven Koalitionsfreiheit auch ein Recht gewährleisten würde, unkoaliert zu bleiben, um verschont von der Tätigkeit der Koalition die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Denn durch das Nichtkoalieren ist der im Art. 9 Abs. 3 GG genannte Erfolg, nämlich die Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen, wie sie die Gewerkschaften in der Vergangenheit erreicht haben und noch heute erreichen, erfahrungsgemäß überhaupt nicht möglich. Erst die Koalitionen haben den einzelnen Arbeitnehmer in die Lage versetzt, die wirtschaftliche Überlegenheit des Arbeitgebers auszugleichen. Vielmehr aber würde eine solche Gewährleistung der negativen Koalitionsfreiheit zu einer Reihe unbefriedigender Ergebnisse führen. Es gibt nämlich nicht wenige Bestimmungen im TVG oder in anderen Gesetzen, die eine Tarifwirkung auf die Nichtorganisierten zulassen. Die wichtigsten Fälle dieser Außenwirkung des Tarifvertrags stellen die §§ 3 Abs. 2 (Tarifnormen über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen), 5 (Allgemeinverbindlicherklärung) 3 Abs. 3 (die Tarifgebundenheit bleibt bestehen, bis der Tarifvertrag endet) dar. Dazu kommt auch § 7 AZO, wonach die regelmäßige Arbeitszeit durch Tarifvertrag bis zu zehn Stunden täglich verlängert werden kann. Man nimmt an, daß die Befugnis der Tarifvertragsparteien zur Verlängerung der Arbeitszeit auch gegenüber den Nichtorganisierten besteht24 • Die Vereinbarkeit aller u Vgl. dazu Hueck!Nipperdey/Stahlhacke, TVG Anm. 65 zu § 1; Gamillscheg, Differenzierung, S. 38; Reuß, Betr. 1964, S.1410 (1411); Richardi, Kol-

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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dieser Bestimmungen mit Art. 9 Abs. 3 GG wäre aber fraglich, wenn Art. 9 Abs. 3 GG die negative Koalitionsfreiheit mit dem erwähnten Inhalt hätte schützen wollen. Es ist nicht zu leugnen, daß die genannten Fälle der Tarifwirkung auf die Nichtorganisierten der arbeitsrechtlichen Literatur schon genügend Kopfzerbrechen bereitet haben. Maßgebliche Vertreter der h. M. haben es unternommen, die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen zu untersuchen. In Betracht kommen vornehmlich die §§ 3 Abs. 2, 5 TVG. Dabei hat man ernsthafte Bedenken gegen § 3 Abs. 2 TVG zum Ausdruck gebracht. Es wird namentlich als ein Verstoß auch gegen die negative Koalitionsfreiheit angesehen, im Rahmen der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen belastende Regelungen für die Nichtorganisierten zu vereinbaren25 • Im übrigen hat man versucht, die wichtige Vorschrift des § 3 Abs. 2 TVG durch eine verfassungskonforme Interpretation aufrechtzuerhalten. So ist man zum Ergebnis gekommen, daß hinsichtlich der Solidarnormen der einzige Sinn des § 3 Abs. 2 TVG sei, den tarifgebundenen Arbeitgeber gegenüber seiner Belegschaft und dem Tarifvertragspartner unmittelbar und zwingend zu binden. § 3 Abs. 2 TVG beabsichtige demnach keine Normsetzung für die Nichtorganisierten2u. In dieselbe Richtung geht auch die Argumentation von Richardi21 , der die normative Wirkung der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen auf den tarifgebundenen Arbeitgeber beschränkt wissen will. Die dogmatische Brücke für die Inhaltswirkung der Ordnungsnormen a uf die Außenseiter sucht er lektivgewalt, S. 240 ff. m.w.N.; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 65 f.; ZöHner, RdA 1962, S. 455; weitere Fälle von Außenseiterwirkung des Tarifvertrages enthalten§ 10 TVG (vgl. dazu Wagenitz, S. 92 ff.) und §§ 3 Abs. 1, 117 Abs. 2 BetrVG. 25 Vgl. insbesondere Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 84 f.; wohl auch ZöHner , RdA 1962, S. 458 f. ; ders. , RdA 1964, S. 447; Richardi, Kollektivgewalt, S. 237; belastende Regelungen für die Nichtorganisierten enthalten besonders die Ordnungsnormen, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb regeln, z. B. Bestimmungen über Beginn und Ende der Arbeitszeit, Tor- und Anwesenheitskontrollen, Leibesvisitationen usw. Zu den Betriebsnormen gehören außer den Ordnungs- auch die Solidarnormen, d. h. tarifliche Bestimmungen, die zwar dem einzelnen Arbeitnehmer zugute kommen, aber nur als Glied der Belegschaft, z. B. Schutzvorrichtungen an Maschinen und sonstigen Betriebseinrichtungen, Vorschriften über hygienische Maßnahmen oder über die Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft im Betrieb (Einstellungsverbote usw.). Schließlich ist umstritten, ob zu den Betriebsnormen auch die sog. Zulassungsnormen gehören, die Ausnahmen von an sich zwingendem Gesetzesrecht enthalten. Zum Begriff der Betriebsnormen vgl. Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 3 ff.; Richardi, Kolektivgewalt, S. 238 ff. m.w.N. Lieb, RdA 1967, S. 441 (442 f.); Dieterich, Die betrieblichen Normen nach dem Tarifvertragsgesetz, S. 39 ff.; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 63 ff. 2s So vor allem Zöllner, RdA 1962, S. 459; ders., RdA 1964, S. 447. 27 Kollektivgewalt, S. 236 f .; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 60 f.

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

im Weisungsrecht des Arbeitgebers, das ihn aufgrund des Arbeitsvertrages ermächtigt, formelle Arbeitsbedingungen einseitig festzulegen. Diese Auslegung des § 3 Abs. 2 TVG dürfte schon die Grenzen des Zulässigen überschritten haben2s. Denn der Wortlaut der §§ 3 Abs. 2 und 4 Abs. 1 Satz 2 in Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 TVG spricht eindeutig für die unabdingbare Wirkung der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen auf alle Arbeitnehmer (organisierte und nichtorganisierte), deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Es besteht daher kein Raum für die Annahme, die Wirkung der betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Normen beschränke sich auf den tarifgebundenen Arbeitgeber. Bei der Beurteilung der Allgemeinverbindlicherklärung ist man vorsichtiger. Niemand hat bislang versucht, die Verfassungsmäßigkeit des § 5 TVG in Frage zu stellen. Gelegentlich weist man auf die staatliche Mitwirkung-2 9, die zur Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages benötigt wird, oder auf die Rechtssicherheitsgarantien30, die im § 5 TVG vorgesehen sind, oder schließlich auf das öffentliche Interesse 30, dem die Allgemeinverbindlicherklärung zu dienen hat, hin. Damit werden jegliche Bedenken gegen die AVE zurückgewiesen. Diese Zurückhaltung in der Beurteilung der AVE ist verständlich. Die AVE stellt ein wichtiges Institut des kollektiven Arbeitsrechts dar. Auch die vorliegende Arbeit beabsichtigt nicht, die Vereinbarkeit des § 5 TVG mit der negativen Koalitionsfreiheit in Frage zu stellen. Der Grund hierfür liegt allerdings nicht in den vorgebrachten Argumenten, sondern darin, daß die negative Koalitionsfreiheit als Freiheit von fremder N ormsetzung nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet wird. Denn die Vereinbarkeit der AVE (§ 5 TVG) mit der negativen Koalitionsfreiheit ist unproblematisch, wenn - wie es hier vertreten wird die negative Koalitionsfreiheit (als Freiheit von der Normsetzungsgewalt der Koalitionen) aus Art. 2 Abs. 1 GG und nicht aus Art. 9 Abs. 3 GG abgeleitet wird. Die Tatsache, daß bei der AVE für die Geltung der Tarifnormen gegenüber den Nichtorganisierten nicht allein die Tarifpartner sondern auch der Staat verantwortlich ist, ändert daran nichts. Der Staat ist an die negativ e Koalitionsfreiheit genauso gebunden, wie die Tarifpartnern. Ebensowenig ausschlaggebend sind auch die anderen Argumente, § 5 TVG sehe Rechtssicherheitsgarantien für die Außenseiter vor oder die AVE sei im öffentlichen Interesse geboten. Denn hierbei kommt es nicht auf die Rechtssicherheitsgarantien zugunsten der Außenzs Vgl. Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 84 f. 29 Vgl. Zöllner, RdA 1962, S. 456. Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 89 ff. Aus diesem Grund ist es überflüssig, auf die umstrittene Frage der Rechtsnatur der AVE einzugehen. 30 31

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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seiter, sondern lediglich auf ihr Grundrecht, die eigenen Arbeitsbedingungen verschont von der Tätigkeit der Koalitionen und eigenständig zu gestalten, an31 a. Genießt also die negative Koalitionsfreiheit denselben Schutz wie die positive - einschließlich der Drittwirkungsklausel - , so scheint der Konkurrenz der Nichtorganisierten, sogar ihrer "Schmutzkonkurrenz", nichts entgegengehalten werden zu können, soweit dadurch nicht das Allgemeinwohl beeinträchtigt wird. Andererseits ist das Allgemeinwohl, das im einzelnen Einschränkungen der Grundrechtsausübung der negativen Koalitionsfreiheit rechtfertigen könnte, keine ausreichende Basis für die AVE. Deshalb kann der Staat nicht von sich aus die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages erklären, sondern nur auf Antrag mindestens einer der Tarifvertragsparteien. Es ist nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit, alle diese Fälle32, in denen der Nichtorganisierte der Tarifmacht der Koalitionen ausgesetzt ist, näher zu untersuchen. Hier sei lediglich darauf hingewiesen, daß die negative Koalitionsfreiheit als Freiheit von fremder N ormsetzung, gar antiert durch die Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG, eine ganze Reihe von schwierigen Fragen entstehen ließe. Sie stünde außerdem der weiteren Entwicklung des kollektiven Arbeitsrechts und der zunehmenden Gesamtrepräsentationsfunktion 33 der Gewerkschaften im Wege. Eine solche Gewährleistung der negativen Koalitionsfreiheit würde praK.tisch eine Mauer zwischen Organisierten und Nichtorganisierten aufbauen, wodurch das kollektive Element34 des Arbeitsverhältnisses, das bei den betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen so deutlich zum Ausdruck kommt, völlig verkannt würde. 31a Zu den Außenseitern gehören bekanntlich außer den nicht- auch die andersorganisierten Arbeitnehmer. Demzufolge wird der Andersorganisierte

durch die Allgemeinverbindlicherklärung eines fremden Tarifvertrages der Tarifmach seines Verbandes - falls sein Verband den entsprechenden Gegenstand mit der Arbeitgeberseite tarifvertraglich geregelt hat - entzogen, um den für allgemeinverbindlich erklärten Normen dieses fremden Tarifvertrags unterworfen werden zu können. Dieses Ergebnis steht im Gegensatz zu der Garantie der positiven Koalitionsfreiheit der Andersorganisierten. Dennoch hat man bislang keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Allgemeinverbindlicherklärung erhoben. Dies läßt sich damit erklären, daß solche Fälle erzwungener Unterwerfung der Andersorganisierten unter eine fremde Tarifmacht selten vorkommen, da sich das Prinzip der Einheitsgewerkschaften in vielen Zweigen durchgesetzt hat. Trotzdem dürfen solche Fälle nicht völlig ausgeschlossen sein. Eine Beschränkung der Wirkung der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifnormen auf die Nichtorganisierten unternimmt, wenn auch mit anderer Begründung, lediglich Buchner, Tarifvertragsgesetz und Koalitionsfreiheit, S. 93. 32 Dazu vgl. zuletzt Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht,

s. 50 ff.

Dazu vgl. noch unten Kapitel 3. Vgl. dazu Hessel, Betr. 1958, S. 837 f.; Karakatsanis, Die kollektivrechtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und ihre Grenzen, S. 20 ff. 33 34

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht 3. Die Lehre von negativen Freiheiten

Wenn auch die negative Koalitionsfreiheit rein logisch und abstrakt gedacht als Kehrseite der positiven beide erwähnten Garantien enthalten muß, so bedeutet das doch nicht, daß das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG auch dieses Fernbleiberecht enthalten muß. Vielmehr kann der Verfassungsgeber den Inhalt der negativen Koalitionsfreiheit beliebig auf die eine oder andere Gewährleistung beschränken. Es steht ihm also frei, die negative Koalitionsfreiheit als bloßes Fernbleiberecht zu garantieren. Daß die negative Koalitionsfreiheit im Sinne eines bloßen Fernbleiberechts im Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet ist, entspricht wie gesagt der h. M. Für diese Entscheidung der h. M. muß man Verständnis haben. Sie hängt mit einer im Verfassungsrecht verbreiteten Auffassung zusammen. Für eine Reihe von anderen Grundrechten wird nämlich die Ansicht vertreten, daß sie entsprechende negative Freiheiten mit einschließen. So z. B. enthält das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) auch ein Recht, keine Meinung zu äußern35 ; ebenso die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) das Recht, auf eine Versammlung zu verzichten35• Nicht zuletzt gewährleistet die allgemeine Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) die negative Freiheit, einem gewöhnlichen Verein fernzubleiben35• Überhaupt ist in den einzelnen Grundrechten auch ein Recht auf Nichtgebrauch von diesen Grundr echten enthalten 36 • Diese Inhaltsbestimmung der Grundrechte stammt weniger aus dem klassisch-liberalen Grundrechtsverständnis, sondern stellt vielmehr eine Entwicklung der neueren Zeit dar. Sie ist als eine Reaktion37 auf die Zeit des Nationalsozialismus zu verstehen, in der sich die Mißachtung des menschlichen Eigenwerts häufig darin zeigte, daß man zum Gebrauch seiner Rechte gezwungen wurde3". Daher sieht man im Bonner Grundgesetz sowohl in den Generalklauseln der Art. 1, 2 Abs. 1 GG wie in den einzelnen Grundrechten auch eine Gewährleistung der sogenannten n egativen Freiheiten mit eingeschlossen. Man darf jedoch nicht verallgemeinern. Was für einzelne Grundrechte gilt, muß nicht für jedes Grundrecht gelten. Das Grundgesetz selbst hat im Fall 3 5 Vgl. Hesse, Grundzüge, S . 121; Lerche, in: Grundrechte, Bd. IV/1, S. 447 (483 f.); Maunz!Dürig!Herzog, GG, Art. 5 Anm. 40, Art. 8 Anm. 34, Art. 9 Anm. 49; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 42 m.w.N. in Anm. 8; zur negativen Versammlungsfreiheit vgl. Merten, MDR 1968, S. 621 (626 Anm. 59); zur negativen Vereinigungsfreiheit vgl. BVerfGE 10, 89 (102); v . Mangoldt/Klein, Art. 9 Anm. III 8; Däubler, negative Koalitionsfreiheit? in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 34 m.w.N.; Münch, Bonner Kommentar, Art. 9 Anm. 51; Hamann! Lenz, Art. 9 Anm. A 4a; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 125. 36 Vgl. Hesse, Grundzüge, S. 121; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 42 m .w .N. 37 Zum Kontrastcharakter des Bonner Grundgesetzes siehe Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 10; v. Mangoldt/Klein, Art. 1 Anm. III 3b; BVerfGE 2, 1 (12). as Vgl. Däubler, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 32 ff.

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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des Art. 6 Abs. 2 die negative Freiheit ausgeschlossen. Daraus wird zu Recht geschlossen39, daß die Möglichkeit zu einer Differenzierung zwischen den einzelnen Grundrechten bereits im Grundgesetz angelegt ist. Die Frage, ob der Verfassungsgeber in Art. 9 Abs. 3 GG auch die negative Koalitionsfreiheit gewährleistet hat, ist daher nicht durch abstrakte Verweisungen auf andere Grundrechte, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Grundrechtsbestimmung und der Eigenart des Koalitionsfreiheitsrechts zu beantworten. Es ist nicht zu leugnen, daß die Koalitionsfreiheit gegenüber den anderen Individualrechten eine besondere Natur aufweist. Sie gehört einer jüngeren Epoche der Grundrechtsentwicklung an40 • Die Besonderheit41 der Koalitionsfreiheit besteht vor allem darin, daß Art. 9 Abs. 3 GG neben den individualrechtlichen Garantien einen Schutz der Koalition selbst und ihrer Funktionsfähigkeit enthält; und dies deshalb, weil die Verwirklichung des Koalitionszwecks vom Bestehen leistungsfähiger Organisationen abhängig ist. Derartiges haben aber die übrigen Grundrechte nicht vorzuweisen. Deshalb ist bei ihnen die Anerkennung von negativen Freiheiten unproblematisch. Wenn über die Frage der negativen Freiheiten bei den anderen Grundrechten so wenig diskutiert wird, so ist das gerade darauf zurückzuführen, daß diese Frage dort zu keinerlei Komplikationen geführt hat. Anders ist aber die Lage bei Art. 9 Abs. 3 GG. Der Nichtorganisierte verfügt durch sein Fernbleiberecht nicht nur über die Möglichkeit, sich der Koalition fernzuhalten, sondern kann durch dieses Fernbleiben zugleich die Schlagkraft der Koalition verringemi2 • Denn sollten die Berufsverbände nicht eine ausreichende Mitgliederzahl besitzen, so sind sie nicht mehr funktionsfähig und folglich nicht geeignet den Koalitionszweck zu verwirklichen. Daraus folgt, daß die Ausübung der negativen Koalitionsfreiheit Auswirkungen auf die Berufsverbände und dadurch auf den Inhalt der positiven Koalitionsfreiheit hat. Eine Konfliktsituation zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit liegt somit nahe. Diese Feststellung wird allerdings auch von der h. M. nicht bestritten. Man hat sogar versucht, diesen innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG vorhandenen Gegensatz durch verschiedene Methoden aufzuheben. Es wurde bereits dargelegt, daß sich der GS des BAG auf die Sozialadäquanz b eruft, um eine Einschränkung der negativen Koalitionsfreiheit zuzulassen. Danach müsse trotz negativer Koalitionsfreiheit ein sozialadäquater Druck hingenommen werden, wenn es um die Sicherung der Daseins- und Betätigungsgarantie der Koalition gehe. Damit wird aber die Anwendung der Drittwirkungsklausel des Art. 9 39

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Däubler, in: Recht und Staat, S. 32. Vgl. Scheuner, Der Inhalt der Koalitionsfreiheit,

S. 14. Vgl. noch unten Kapitel 2, V, VI, VII. Vgl. auch Krüger, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I/1, S. 80.

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

Abs. 3 Satz 2 GG vom Gerechtigkeitsempfinden des Richters abhängig gemacht. Denn der Richter entscheidet nach seinen Gerechtigkeitsvorstellungen und nach der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung, welche Abrede oder welche Maßnahmen einen sozialadäquaten Dmck enthalten43 • Dieses Ergebnis ist unbefriedigend44 • Es ist vor allem mit der Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht zu vereinbaren. Würde man die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG herleiten, dann ließe die Drittwirkungsregelung dem Richter keinen Raum für solche Erwägungen, ob ein Druck auf die Außenseiter sozialadäquat ist oder nicht. Die in bezug auf Behinderungen r ein subjektive Fassung des Art. 9 Abs. 3 S . 2 GG ist eindeutig. Danach soll nicht nur eine Einschränkung oder Behinderung, sondern auch der Versuch zur Behinderung der negativen Koalitionsfreiheit unzulässig sein45• Aus demselben Grunde scheidet auch die Methode der Interessenahwägung innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG aus, die vom Richter unter Beachtung der Gebote der Erforderlichkei.t und V erhältnismäßigkeit4e vorgenomm en werden soll. Zu keinem schlüssigen Ergebnis führt letztlich auch die Methode der Konkretisierung der Geltungsbereiche der negativen und positiven Koalitionsfreiheit durch die Herausarbeitung der sog. verfassungsimmanenten Schranken47 dieser beiden Grundrecht e. Die systematische Abgrenzung beider Rechte voneinander und somit die Beilegung der zwischen ihnen bestehenden Kollision ist deshalb unmöglich, weil zwischen n egativer und positiver Koalitionsfreiheit ein echter Gegensatz besteht. Zu diesem unausweichlichen Gegensatz müßte wieder die Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG führen, wenn sie in gleicher Weise sowohl die negative wie die positive Koalitionsfreiheit sicherte. Erfreulicherweise kommt diese Feststellung von einem Verfassungsrechtler. R. Schol:t 8 weist nämlich mit Nachdruck darauf hin, daß von der h. M. eine "Antinomie" innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG zwischen d er negativen und der sog. kollektiven Koalitionsfreiheit hervorgerufen werde. Dies habe seine Ursache darin, daß das Abreden- und 43 Vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 127 Anm. 315; Nipperdey, bei Hueck/ Nipperdey, Lehrbuch II/2, S. 1000 m.w.N. in Anm. 34 c. 44 Bedenken gegen das Argument der Sozialadäquanz vgl. auch bei H erschel, AuR 1970, S. 193 (197 ff.}; Gitter , JurA 1970, S. 151 f.; Mayer-Maly, ZAS 1969, S. 86 f. ; Säcker, Grundprobleme, S.127, Anm. 315; Wiedemann, SAE 1969, s. 267. 45 Vgl. dazu Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Grundrechte, III/1, S. 449; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 38; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 129; Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 26 f.; Söllner, Arbeitsrecht, S. 58. 46 Zur Geltungskraft der Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im Grundrechtsbereich vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 134 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 134 ff. 47 Vgl. dazu H esse, Grundzüge, S. 129 f.; Maunz/Dürig/Herzog, GG, Art. 2 Abs. 1, Anm. 69 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 19 Anm. 12. 48 Koalitionsfreiheit, S. 62 ff.

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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Maßnahmenverbot des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nicht nur gegenüber Kollisionen "außerhalb", sondern auch "innerhalb" des Art. 9 Abs. 3 GG eingreife. Gefährde die Ausübung der negativen Koalitionsfreiheit die kollektive Koalitionsfreiheit oder gefährde umgekehrt die Ausübung der kollektiven Koalitionsfreiheit die negative Koalitionsfreiheit, so müsse der Tatbestand des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG erfüllt sein. Damit entfalle aber die Chance zur grundrechtsinternen Antinomielösung-1 9 • Scholz versucht diese "Verfassungsantinomie" durch eine neue Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG zu beseitigen, wonach die Koalitionsfreiheit ein ausschließlich individuales Freiheitsrecht darstellt 50• Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet demnach lediglich die negative und die positive Koalitionsfreiheit, nicht aber die sog. kollektive Koalitionsfreiheit Art. 9 Abs. 3 GG enthält daher kein Doppelgrundrecht. Auf diese Weise entfällt, wie er meint, der Gegensatz zwischen negativer und kollektiver Koalitionsfreiheit. Mit dieser Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG wird aber das Problem nicht gelöst, sondern verschoben. Scholz selbst führt an anderer Stelle51 aus, daß im Rahmen des individualen Rechts des Art. 9 Abs. 3 GG auch der Bestand und die Betätigung der Koalition mitgeschützt sind. In der Person der einzelnen verbundenen Individuen erfülle sich auch der Sc.'1.utz des Koalitionsbestandes und der Koalitionsbetätigung52. Daraus folgt, daß der Gegensatz zwischen negativer und kollektiver Koalitionsfreiheit in der Zukunft als Gegensatz zwischen negativer und positiver Koalitionsfreiheit auftreten wird. Beseitigt wird er aber keineswegs. Auf der anderen Seite darf man der negativen Koalitionsfreiheit keinen Vorrang gegenüber dem Koalitionsbestand und der Koalitionsbetätigung mit dem Hinweis zuerkennen, daß die Tatbestände Koalitionsbestand und Koalitionsbetätigung eine unselbständige Ableitung (Objektivation) des individualen Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG darstellen53• Denn auf diese Weise wird praktisch der negativen Koalitionsfreiheit ein Vorrang gegenüber der positiven Koalitionsfreiheit eingeräumt, was aber sicherlich nicht der Sinn des Art. 9 A:bs. 3 GG sein kann. Schließlich sollte man sich hier an die Worte von Nipperdey 54 erinnern, der die dargelegte Kollision zwischen negativer und positiver Koalitionsfreiheit mit folgenden Sätzen geschildert hat: "Würde man die negative Koalitionsfreiheit als subjektives absolutes Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 65 f. Vgl. Koalitionsfreiheit, S. 135 ff., 145 ff. Vgl. Koalitionsfreiheit, S. 136 ff. 52 Vgl. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 138. 53 Zu einer solchen Lösung scheint aber Scholz zu gelangen, vgl. Koalitionsfreiheit, S. 63, 134, 150; vgl. auch Zeiler, Die Rechtswirksamkeit der Tarifausschlußklausel, Diss. München 1964, s. 14. 54 In: Hueck!Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 157; vgl. auch Däubler, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 37; Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 161. 49

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

Recht anerkennen, so wären u . U. auch die adäquaten Mittel der Mitgliederwerbung, ein moralischer Druck, Appell an das Solidaritätsgefühl, Erschwerung des Verbandsaustritts usw. als entsprechende ,Maßnahmen' rechtswidrig und damit den Koalitionen verschlossen." Ein solches Ergebnis wird von niemandem gebilligt. Denn dadurch wird der Schutz der positiven Koalitionsfreiheit unzulässigerweise relativiert. 4. Freiwilligkeit der Mitgliedschaft bei Koalitionen

Nach all dem dürfte die Ansicht berechtigt sein, daß die negative Koalitionsfreiheit entsprechend der Besonderheit der positiven Koalitionsfreiheit als eine negative Freiheit eigener Art anzusehen ist. Sie ist nämlich nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet. Die h . M. weist trotzdem auf die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in den Koalitionen hin. Der Grundsatz, nach dem nur frei gebildete Verbände als Koalitionen den Schutz aus Art. 9 Abs. 3 GG genießen, zwinge danach zur Ableitung der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG55• An dieser Stelle muß man sich vor einem Mißverständnis hüten. Ist die negative Koalitionsfreiheit nicht in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet, so heißt dies noch nicht, daß das Koalitionsfreiheitsrecht des Art. 9 Abs. 3 GG ein Pflichtrecht darstellt, wie es z. B. in Art. 6 Abs. 2 GG der Fall ist. Die Koalitionsfreiheit wäre ein Pfiichtrecht, wenn die Verfassung die negative Koalitionsfreiheit überhaupt nicht unter ihren Schutz stellte. Das trifft aber nicht zu. Deshalb bleibt die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in den Koalitionen weiterhin bestehen, wenn auch die negative Koalitionsfreiheit nicht in Art. 9 Abs. 3 GG mit eingeschlossen ist. 5. Koalitionspluralismus Wenig durchschlagend ist auch das Argument des Koalitionspluralismus, das von der h. M. gerne herangezogen w ird5ü. G enerell erscheint es unzutreffend, die negative Koalitionsfreiheit mit der Frage des Koalitionspluralismus zu verbinden57• Die Gewährleistung der positiven Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG und infolgedessen die Möglichkeit der Koalitionswahl, bedeutet zunächst keine Garantie auch der Existenz von mehreren Koalitionen, unter denen man wählen kann. Will man aber andererseits aus einer Koalition austreten, um einer 55 Vgl. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht Bd. II, S. 386; Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 33, 25; Mayer-Maly, ZAS 1969, S. 84 f.; Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. 11, S. 29; Richardi, ZfA 1/70, S. 90 f.; GS des BAG, AP Nr.13 zu Art. 9 GG, Teil IV, Ziff. VI der Begründung. ss Vgl. Zöllner, Differenzierungsklauseln, S. 25; BAG, GS Teil IV, Ziff. VI der Begründung. n Vgl. auch Mazer-Maly, ZAS 1969, S. 84; ders., in: Recht und Staat, Heft 397/398, s. 19.

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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anderen beizutreten oder eine andere zu bilden und auf diese Weise seine Arbeitsbedingungen zu gestalten, so hat dies mit der negativen Koalitionsfreiheit wenig zu tun. Vielmehr handelt es sich um die Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit; daher ist Art. 9 Abs. 3 GG anzuwenden. Bei der Ausübung der negativen Koalitionsfreiheit tritt man aus der Koalition aus, um unkoaliert zu bleiben und so individualrechtlieh die Arbeitsbedingungen wahrzunehmen. Hier muß zugegeben werden, daß das Prinzip der Einhei.tsgewerkschaft, das sich in vielen Zweigen durchgesetzt hat, eine eigene Rolle spielt. Dies ergibt sich aus folgendem Beispiel: Ein Arbeitnehmer tritt aus einer Koalition aus, um einer anderen beizutreten. Er bleibt trotzdem unkoaliert, weil unter dem herrschenden System der Einheitsgewerkschaft faktisch keine andere Gewerkschaft besteht. In diesem Falle kann man ihn juristisch nicht anders behandeln als den Arbeitnehmer, der unkoaliert bleibt, weil er koalitionsunwillig oder indifferent ist. Es ist schon vorgeschlagen worden58, dem Arbeitnehmer, der aus Indifferenz unkoaliert bleibt, den Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG und dem Arbeitnehmer, der aus politischideellen Erwägungen seiner Koalition den Rücken kehrt und der wegen des Systems der Einheitsgewerkschaft unkoaliert bleibt, den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG einzuräumen. Eine solche differenzierende Behandlung ist abzulehnen. Sie verdunkelt die Grenzen, die zwischen der Ausübung der negativen und positiven Koalitionsfreiheit bestehen; ferner führt sie zur Rechtsunsicherheit59• 6. Die Bedeutung der Entstehungsgeschichte und der historischen Entwicklung der Koalitionsfreiheit für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG

Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 9 Abs. 3 GG können keine ausschlaggebenden Argumente für oder gegen die Garantie der negativen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG hergeleitet werden. Im Entwurf zum Banner Grundgesetz war bekanntlich ein Satz enthalten: "Ein Zwang zum Beitritt darf nicht ausgeübt werden." Der Satz ist durch Entschluß des Hauptausschusses gestrichen worden. Ganz gewiß bedeutet diese Streichung nicht, daß der Verfassungsgeber den Koalitionszwang zuzulassen beabsichtigte. Vielleicht liegt dem Beschluß des Hauptausschusses die Befürchtung zugrunde60 , daß der gestrichene Satz zu einer Kollision zwischen positiver und negativer Koalitionsfreiheit ss Säcker, Grundprobleme, S. 36. 59 Vgl. auch GS des BAG, AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, Teil IV, Ziff. VI, Nr. 5d der Begründung; Richardi, ZfA 1/70, S. 90. 60 Aber dies läßt sich aus den Protokollen des parlamentarischen Rates (vgl. Ausführungen bei Gamillscheg, Differenzierung, S. 55 ff.) nicht eindeutig entnehmen.

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG führen könnte, wie sie schon dargelegt wurde. Obwohl es durchaus vertretbar ist, daß die Streichung einer Bestimmung auch bedeuten kann, daß der Gesetzgeber überhaupt keine ausdrückliche Regelung treffen, sondern die Entscheidung der Frage der Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen will, so ist es doch kaum glaublich, daß der Verfassungsgeber in diesem Fall über die wichtige Frage der negativen Koalitionsfreiheit keine Regelung treffen, sondern die Entscheidung der Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen wollte61 • Auf der anderen Seite darf der Wert auch der auf die historische Entwicklung der Koalitionsfreiheit gestützten Argumente nicht überschätzt werden. Es ist zwar richtig, daß von Anfang an der Kampf gegen den Staat und seine Gesetze um die positive und nicht um die negative Koalitionsfreiheit ging, worauf jene Autoren hinweisen62 , die die negative Koalitionsfreiheit nicht in Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet sehen. Aber daraus folgt nicht, daß man die negative Koalitionsfreiheit ohne Schutz lassen wollte. Denn damals war die Frage der negativen Koalitionsfreiheit noch nicht aktuell. Das Problem der negativen Koalitionsfreiheit kann überhaupt erst auftreten, wenn es Koalitionen gibt, die den Schutz der Rechtsordnung genießen63 • 7. Die Ableitung des Schutzes der negativen Koalitionsfreiheit

Nachdem sich Art. 9 Abs. 3 GG hier als ungeeignet erwiesen hat, kommen nun als Rechtsgrundlage für den Schutz der negativen Koalitionsfreiheit zwei Verfassungsbestimmungen in Betracht: Art. 2 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 GG. Der negativen Koalitionsfreiheit als bloßem Fernbleiberecht steht am nächsten Art. 9 Abs. 1 GG, der nach der h . M. (s. S. 42) auch die negative Vereinigungsfreiheit garantiert. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß zwischen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit viele Unterschiede bestehen. Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) hat vor allem viele Besonderheiten gegenüber der allgemeinen Vereinigungsfreiheit aufzuweisen, wie z. B. die Gewährleistung des Kernbereichs eines Tarifvertragsrechts und des Arbeitskampfes 64 • Aus diesem Grunde sind private Vereine des Art. 9 Abs. 1 GG noch keine Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG. Nur die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände sind Koalitionen i. S. des Art. 9 Abs. 3 GG65 • Aber anet So aber A. Hueck, Tarifausschlußklausel, S. 34. 62 Vgl. statt aller Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 156. 63 Vgl. Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Grundrechte III/1, S. 454 f. 14 Vgl. statt vieler Däubler, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 35; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S.137 ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 89; Säcker, Grundprobleme, S. 71 ff.; 81 ff.; BVerfGE 4, 96 (106). ss Vgl. Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey II/1, S. 77.

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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derererseits darf nicht übersehen werden, daß umgekehrt die Koalitionen des Art. 9 Abs. 3 GG trotz ihrer besonderen Aufgaben zugleich private Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG darstellen66• Deshalb ist die negative Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG auch auf die Koalitionen anzuwenden67 • Eine Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG ist insofern nach den allgemeinen Konkurrenzregeln ausgeschlossen, weil Art. 9 Abs. 1 GG gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG eine lex specialis ist. Die negative Koalitionsfreiheit als Freiheit von fremder Normsetzung ist dagegen nur in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet; denn Art. 9 Abs. 1 GG kennt keine Art von Normsetzung, die mit der Normsetzung der Koalitionen vergleichbar wäre68• Wenden wir uns nun der Frage zu, welche Konsequenzen aus diesem Schutz der negativen Koalitionsfreiheit abzuleiten sind. Zunächst ist es nicht schwer, sich das Verhältnis der positiven Koalitionsfreiheit zu der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten negativen Koalitionsfreiheit (Freiheit von der Normsetzungsgewalt der Koalitionen) zu vergegenwärtigen. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet bekanntlich die allgemeine Handlungsfreiheit, d. h. die Entfaltungsfreiheit auf allen Gebieten und in allen ihren denkbaren Erscheinungsformen69 • Der allgemeinen Handlungsfreiheit werden Grenzen von drei Seiten her gezogen: aus den Rechten anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und dem Sittengesetz (Art. 2 Abs. 1). Diese Grundrechtsschranken gelten für die positive Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) nichf0• Das heißt selbstverständlich nicht, daß die Ausübung der Koalitionsfreiheit die ranggleichen Rechte anderer verletzen darf. Es ist ein Gebot des Gleichheitsgedankens, daß man nicht 16 Vgl. Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey II/1, S . 77; Däubler, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 34. 17 Ähnlich Däubler, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 34 ff. 18 Auf die Auswirkungen des Satzungsrechts der Vereine auf Außenstehende kann hier nicht eingegangen werden; vgl. dazu P. Schlosser, Vereins- und Verbandsgerichtsbarkeit, 1972, S. 74 ff.; Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, S. 137 ff.; Reichert/Dannecker/Kühr, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts, 1970, S. 199 f. 69 Vgl. dazu Maunz/Dürig/Herzog, GG Art. 2 Abs. 1 Anm. 11, 42; Nipperdey, in: Grundrechte, IV/2 S. 768 ff.; Säcker, Grundprobleme, S. 24 m.w.N.; BVerfGE 6, 32 (36 f.); 7, 89 (92); 7, 111 (119); Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 61 ff. 70 Vgl. Müller, Die Positivität der Grundrechte, S . 11 f. m.w.N.; Hesse, Die Bindung des Gesetzgebers an das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG bei der Verwirklichung einer verfassungsmäßigen Ordnung, S. 62 ff.; Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, S. 80 ff.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 126 f.; für die Koalitionsfreiheit vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 19 Anm. 12; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 325; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (330); Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, S . 35 ff.; a.A. v. Mangoldt/Klein, GG Art. 9 Anm. VI 1; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 148, 159; (vgl. aber ders., in: Grundrechte IV/2, S. 767 f.).

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

unter Berufung auf sein Recht gleichrangige Rechte anderer verletzen darf71 • Aber die Tatsache, daß Art. 2 Abs. 1 GG unter dem Vorbehalt der Rechte anderer steht und daß zu den Rechten anderer auch die positive Koalitionsfreiheit gehört, hat Bedeutung für die Aufstellung der "Ranghierarchie" 72 und vor allem für die Konkretisierung der Geltungsbereiche der Grundrechtsbestimmungen der Art. 2 Abs. 1 und 9 Abs. 3 GG. Denn der Geltungsbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist durch die Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit bedingt. Im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit (Freiheit von der Normsetzungsgewalt der Koalitionen) heißt das, daß ihre Grundrechtsausübung das Ergreifen von solchen Maßnahmen zu dulden hat, die zur Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit gehören. Fällt also eine Maßnahme oder eine Handlung unter die Grundrechtsausübung der positiven Koalitionsfreiheit dann kann sie nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoßen. Dieser Satz ist für die Beurteilung der Differenzierungsklauseln sehr wichtig. Etwas schwieriger scheint es dagegen, das Verhältnis der positiven Koalitionsfreiheit zum Fernbleiberecht (Freiheit vom Beitrittszwang) festzulegen. Allerdings entfällt durch die Gewährleistung des Fernbleiberechts durch Art. 9 Abs. 1 GG der dargelegte Widerspruch innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG. Denn die Drittwirkungsklausel des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG gilt für die negative Vereinigungsfreiheit nicht. Zugleich räumt diese Drittwirkungsklausel der positiven Koalitionsfreiheit einen weitergehenden Schutz als Art. 9 Abs. 1 GG ein. Das Koalitionsfreiheitsrecht ist das einzige Grundrecht im Grundgesetz, das mit ausdrücklicher Drittwirkung ausgerüstet ist. Diese Entscheidung des Verfassungsgebers deutet schon den höheren Rang der Koalitionsfreiheit an73 • Die starken subjektiven Komponenten der Drittwirkungsregelung des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG gewähren der positiven Koalitionsfreiheit einen besonders wirksamen Schutz, der bei den anderen Grundrechten fehlt. Andererseits darf aber nicht übersehen vverden, daß auch Art. 9 Abs. 1 GG keinen Gesetzesvorbehalt kennt. Somit ist auch die Garantie des Fernbleiberechts umfassend. Deshalb wird es Fälle geben, in denen sich die Geltungsbereiche der positiven Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und des Fernbleiberechts (Art. 9 Abs. 1 GG) überschneiden. Es wird sich in diesen Fällen um eine Kollision zwischen diesen beiden Grundrechten handeln. 7' Vgl. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S.127; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 326. 72 Vgl. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 392; Häber!e, Die Wesensgehaltsgarantie des Art.19 Abs. 2 GG, S. 37; Säcker, Grundprobleme, S. 21 Anm. 15 m.w.N. 1a Vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 20.

II. Die negative Koalitionsfreiheit der Nichtorganisierten

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Indessen liegt bei den Differenzierungsklauseln keine solche Kollision vor. Die Differenzierungsklauseln haben zwar gewisse Auswirkungen auf die Nichtorganisierten. Sie erschweren vor allem die Verhandlungen der nichtorganisierten Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber im Hinblick auf die den Organisierten vorbehaltene Leistung. Aber darin liegt kein Verstoß gegen das Fernbleiberecht der Nichtorganisierten. Dies ergibt sich aus folgendem: Es ist ein im Verfassungsrecht allgemein anerkannter Satz, daß die Grundrechtsbestimmungen keine Garantie unentgeltlicher Ausübung enthalten74 • Es gilt daher als etwas Selbstverständliches, daß die Grundrechtsausübung mit gewissen materiellen Nachteilen verbunden sein kann 7 '. So setzt z. B. das Erlernen eines Berufes oder das Studium erhebliche Aufwendungen voraus. Ebenso hat die Durchsetzung des Rechtsschutzanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG viele Gerichtskosten zur Folge76 • Auch die Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit ist nicht kostenlos. Das beweist der Gewerkschaftsbeitrag der Organisierten. Unvereinbar mit dem Grundgesetz sind nur solche wirtschaftlichen Nachteile, die die Ausübung eines Grundrechts unmöglich machen oder wesentlich erschwerenn. Daß die Differenzierungsklauseln dieser Regel nicht widersprechen, läßt sich nicht leugnen. Die wirtschaftlichen Nachteile, die mit den Differenzierungsklauseln den Nichtorganisierten zugefügt werden, sind nicht größer als die Nachteile (Gewerkschaftsbeitrag), die mit der Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit verbunden sind. Die Differenzierungsklauseln erschweren also die Ausübung der n egativen Koalitionsfreiheit genauso, wie der Gewerkschaftsbeitrag die Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit erschwert. Es wäre allerdings zu voreilig, eine allgemeine These aufzustellen, wonach die Ausübung der negativen Freiheiten dieselben materiellen Nachteile verursachen muß, die bei der Ausübung der positiven Freiheiten entstehen. In vielen Fällen ist es von der Sache her ausgeschlossen, daß der Nichtgebrauch von Grundrechten materielle Nachteile verursacht. Trotzdem ist es grundsätzlich nicht ausgeschlossen, daß die Ausübung einer negativen Freiheit mit materiellen Nachteilen verbunden ist. Das erscheint im Fall des Fernbleiberechts um so mehr Vgl. insbesondere Däubler, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 42 f. Die Frage der mit der Grundrechtsausübung verknüpften materiellen Nachteile bedarf noch einer umfassenden Untersuchung. Einige Ausschnitte der Problematik s. bei Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, S. 12 ff.; Kloepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz, erwähnt das Problem (s. S. 18 mit Anm. 79), geht aber darauf nicht näher ein (vgl. Eingrenzung S. 23). 76 Vgl. Däubler, in: Recht und Staat, Heft 397/398, S. 42 f. 71 Vgl. Däubler, in: Recht und Staat, S. 43; hinsichtlich des Grundrechts aus Art. 12 GG vgl. BVerwG, Urteil vom 27. 6. 1968, AP Nr. 41 zu Art. 12 GG, Bl. 167; Herschel, AuR 1970, S. 198; Gamillscheg, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. li, S. D lOB. 14

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

gerechtfertigt, als man heute trotz Ausübung der negativen Koalitionsfreiheit in den Genuß aller jener Vorteile kommt, die die Organisierten durch Ausübung der positiven Koalitionsfreiheit errungen haben. 111. Die positive Koalitionsfreiheit des Organisierten 1. Die Grundrechtsausübung der positiven Koalitionsfreiheit

Art. 9 Abs. 3 GG enthält in erster Linie ein individuelles Grundrecht. Dieses Recht steht jeder Person zu, die einen Beruf oder eine gewerbliche Tätigkeit ausübt78 • Die Koalitionsfreiheit gewährt ihrem Grundrechtsträger das Recht, sich mit anderen zusammenzuschließen bzw. einer bestehenden Koalition beizutreten oder zwischen mehreren bestehenden Koalitionen eine zum Beitritt auszuwählen78 • Aber die Grundrechtsausübung der individuellen Koalitionsfreiheit beschränkt sich nicht darauf. Sie schließt über das Recht auf Koalitionsbildung hinaus auch ein, durch Einsatz der so gebildeten Koalitionen den Koalitionszweck zu verwirklichen, d. h. die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen vorzunehmen. Daraus folgt, daß unter die Grundrechtsausübung der individuellen Koalitionsfreiheit alles fällt, was zur Verwirklichung des Koalitionszwecks erforderlich ist, d. h. vornehmlich das Führen von Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite, die Androhung und notfalls Dur chführung von Kampfmaßnahmen und schließlich der Abschluß von Tarifverträgen79 • Weiterhin folgt daraus, daß die Frage nach den Grenzen der Ausübung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit mit der Frage zusammenhängt, was die Verfassung unter "Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" versteht. 2. Die Bedeutung des Koalitionszwecks für die Beziehungen von Organisierten und Außenseitern

Jeder Versuch, den Koalitionszweck inhaltlich zu präzisieren, läuft Gefahr, den Geltungsgehalt der Koalitionsfreiheit unzulässigerweise 78 Statt vieler vgl. Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 88 ff.; Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Grundrechte 111/1, S. 444 ff.; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch 11/1, S. 125 ff.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 77; ders., AöR 93, S. 265 ff.; Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 41 ff. m.w.N. 79 Alle diese Tatbestände werden meistens unter die Grundrechtsausübung der kollektiven Koalitionsfreiheit geordnet und untersucht (vgl. statt aller Säcker, Grundprobleme, s. 71 ff., 81 ff.). Sie gehören aber auch zur Grundrechtsausübung der individuellen Koalitionsfreiheit Vgl. BVerfGE 19, 303 ff.; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey II/1, S. 127; Rüthers, Das Recht der Gewerkschaften auf Information und Mitgliederwerbung im Betrieb, S. 56; der s., Streik und Verfassung, S. 32 f.; Zwingend gilt dies für die Ansicht, die die Koalitionsfreiheit als ein ausschließlich individuales Recht auffaßt, vgl. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 137, 144.

III. Die positive Koalitionsfreiheit des Organisierten

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dadurch einzuschränken, daß gesetzliche Regelung oder richterliche Rechtsfortbildung als endgültige Grundrechtsprägung angesehen werden60. Man vertritt daher mit Recht die Ansicht, daß der Koalitionszweck nur in seinen Grenzpositionen in der Verfassung definiert sei81 . Diese Grenzpositionen müssen innerhalb der Wirkungszusammenhänge der Rechte aus Art. 9 Abs. 3, 12, 14 GG gesucht werden. Im übrigen sei der Koalitionszweck offen oder variabel. Er müsse sich der Wirklichkeit anpassen bzw. dieser geöffnet halten81 . Säcker hat trotzdem den mutigen Versuch unternommen, den Koalitionszweck inhaltlich-material zu konkretisieren. Nach seiner Ansicht soll der Koalitionszweck u. a . "einen Kernbereich verbandsmäßiger Gestaltung der Arbeitsbedingungen" garantieren, "der die Gesamtskala potentieller Regelungen von der Sicherung des Existenzminimums an aufwärts bis hin an die Grenzen der gemein-wohlschädlichen, gruppenegoistisch übersteigerten Regelung umfaßt"82. Zur Erläuterung der untersten Grenze "Existenzminimum" bringt Säcker als Beispiel das Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen vom 11. 2. 195283. Die oberste Grenze "Gemeinwohl" verdeutlicht er dagegen mit dem Begriff des "gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" (Art. 109 Abs. 2 GG) und des diesen Begriff deffinierenden Stabilitätsgesetzes84 • Es mag zweifelhaft sein, ob die Begriffe "Gemeinwohl" oder "gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht" geeignet sind, eine derartige Grenze zu ziehen. Es steht jedenfalls fest, daß die kollektive Förderung der Arbeitsbedingungen auch eine Obergrenze haben muß. Nun fragt es sich, was der Koalitionszweck hinsichtlich der Beziehungen zwischen organisierten Arbeitnehmern und Außenseitern auszusagen hat. Zunächst sollte man davon ausgehen, daß die dem Koalitionszweck entsprechende Förderung der Arbeitsbedingungen der Koalierten unabhängig von den Arbeitsbedingungen der Außenseiter zu verstehen ist. Im Interesse der Organisierten liegt es, durch Tarifverträge mit dem Arbeitgeber günstigere Arbeitsbedingungen, namentlich höheren Lohn, Gratifikationen oder andere Zuschläge, kürzere Arbeitszeit usw. zu vereinbaren. Was zwischen dem Arbeitgeber und dem Außenseiter einzelvertraglich vereinbart wird, ist für den Koalitionszweck irrelevant. Der Kampf der Gewerkschaften richtet sich gegen den Arbeitgeber und nicht gegen den Arbeitnehmeraußenseiter, in dessen Person die Organisierten eher ihren natürlichen Verbündeten als ihren Konkurrenten zu sehen pflegen. Das beweist die Geschichte des Arbeitsrechts und vor so Vgl. Richardi, ZfA 1/70, S. 96. 81 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 147/148. 82 Grundprobleme, S. 45 ff., 55, 93; vgl. auch Eiedenkopfs Definition des Koalitionszwecks, Verhandlungen des 46. DJT, Bd. I /1, S.114.

83 Grundprobleme, S. 51. u Grundprobleme, S. 54 f.

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

allem der das Arbeitsrecht beherrschende Gedanke der Solidarität der Arbeitnehmer. Dabei sind allerdings gewisse Einschränkungen erforderlich: Es wird Fälle geben, in denen es für die Organisierten nicht ohne Interesse ist, was zwischen Arbeitgeber und Außenseiter vereinbart wird. Das wird insbesondere in Zeiten schlechter Konjunktur oder Arbeitslosigkeit der Fall sein. Die nichtorganisierten Arbeitnehmer sind in solchen Zeiten bereit, die tarifvertragliehen Arbeitsbedingungen zu unterbieten. Deshalb werden sie vom Arbeitgeber bei der Einstellung bevorzugt. Dadurch werden die Koalitionsmitglieder von ihrem Arbeitsplatz verdrängt, d. h. sie werden arbeitslos. Es liegt nahe, daß in diesen Fällen die Wahrung der Arbeitsbedingungen der Organisierten eine Außenseiterwirkung des Tarifvertrages voraussetzt. Diese Möglichkeit hat sogar der Gesetzgeber selbst den Koalitionen zugesichert, indem er das Rechtsinstitut der Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) geschaffen hat85• Zugleich haben die Gewerkschaften einen eigenen Weg eingeschlagen: Die Außenseiterklauseln, die bekanntlich dem Arbeitgeber verbieten, den Arbeitnehmeraußenseiter unter Tarif zu beschäftigen, beabsichtigen zum Teil, solche Gefahren zu verringern. Damit zeigt sich, daß schon die Schutzfunktion des Koalitionszwecks, d. h. die Vereinbarung angemessener Arbeitsbedingungen für die Koalitionsmitglieder, eine Außenseiterwirkung der tarifvertragliehen Regelungen generell nicht ausschließt. 3. Die Außenseiterwirkung der Differenzierungsklauseln

Ob nun der Koaliitonszweck auch die Außenseiterwirkung der Differenzierungsklauseln zu rechtfertigen vermag, ist eine schwierige Frage. Dabei kommt der erste rechtspolitische Hintergrund der Differenzierungsklauseln, nämlich der Lastenausg[eich in Betracht. Es ist hier festzuhalten, daß im Koalitionszweck auch das Interesse jedes Koali-· tionsmitgliedes mitgeschützt ist, mindestens gleiche Arbeitsbedingungen wie seine nichtorganisierten Kollegen durch Ausübung des Koalitionsrechts zu erkämpfen. Wenn beispielsweise der Arbeitgeber die Außenseiter in den Arbeitsbedingungen systematisch bevorzugt8G, kann ihn die Gewerkschaft tarifvertraglich verpflichten, diese Vergünstigung der Nichtorganisierten zu unterlassen. Bei den Differenzierungsklauseln liegen indessen die Dinge nicht so: Für die einleitend dargelegte ungleichmäßige Wirkung der Arbeitsbedingungen ist nicht der Arbeit85 Vgl. Biedenkopf, Verhandlungen des 46. DJT 1/1, S. 121; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 654 ff.; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, S. 108. 86 An dieser Stelle denke ich nicht an die Begünstigung, die vom Willen des Arbeitgebers getragen wird, den Arbeitnehmer vom Beitritt zur Gewerkschaft abzuhalten. Zugleich unterstelle ich, daß eine solche unterschiedliche Behandlung mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist.

IV. Das Außenseiterproblem für die Gewerkschaften

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geber, sondern der Arbeitnehmer selbst verantwortlich, der sich für den Beitritt zur Gewerkschaft entschieden hat. Mit diesem Argument kann sich jedoch der Arbeitgeber der Pflicht nicht entziehen, die mit der Mitgliedschaft in den Koalitionen verknüpfte finanzielle Belastung der Organisierten zu berücksichtigen. Der Arbeitnehmer entscheidet sich auch selbst zu heiraten; dennoch hat er Anspruch auf eine entsprechende Sozialzulage, wenn sie im Betrieb generell gewährt wird. Außerdem tritt der Arbeitnehmer der Gewerkschaft bei, um seine Arbeitsbedingungen günstiger gestalten zu können. Es bleibt aber unverständlich, wenn der Beitritt zur Gewerkschaft zur Folge hat, daß der Organisierte nicht gleich, geschweige denn besser, sondern im Endeffekt schlechter dasteht als der Nichtorganisierte, der keine bessere Arbeitsleistung erbringt. Dieses unerfreuliche Ergebnis kann technisch nur mit Hilfe der Differenzierungsklauseln beseitigt werden. Deshalb wäre die Effektivität der individuellen Koalitionsfreiheit eingeschränkt, wenn ihre Ausübung auch die Vereinbarung solcher Klauseln nicht umfaßte, die den Ausgleich einer zulasten jedes Organisierten vorhandenen Differenz anstreben. Mit anderen Worten: Schon die individuelle Koalitionsfreiheit begründet die Zulässigkeit einer Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, die nur die Organisationskosten ausgleichen soll. Als vorläufiges Ergebnis ist hier folgendes festzuhalten: a) Der Koalitionszweck mit seiner Schutzfunktion schließt eine Außenseiterwirkung des Tarifvertrages nicht generell aus. b) Ebenso kann die Schutzfunktion des Koalitionszwecks unter Umständen die Außenseiterwirkung der kostenausgleichsorientierten Differenzierungsklauseln rechtfertigen87•

IV. Das Außenseiterproblem für die Gewerkschaften Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht vorwiegend das zweite Motiv für die Forderung der Gewerkschaften nach Vereinbarung von Differenzierungsklauseln, d. h. die Mitgliederwerbung. Da nämlich die Differenzierungsklauseln den Nichtorganisierten einen Anreiz zum Organisationsbeitritt schaffen sollen, haben sie am Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG teil. Denn neben dem individuellen Koalitionsrecht ist im Art. 9 Abs. 3 GG auch die Koalition als solche gewährleistet, woraus folgt, daß Maßnahmen, die der Erhaltung und Steigerung ihrer Mitgliederzahl dienen, diesen Schutz der Koalition in Anspruch nehmen88 • Neben der Schutzfunktion ist im Koalitionszweck auch die Ordnungsverankert, Die definitive Beurteilung der Differenzierungsklauseln ist daher auch davon abhängig, wie sich die Ordnungsfunktion gegenüber den Differenzierungsklauseln verhält, dazu vgl. noch unten Kapitel 3, VII. 88 Vgl. Krüger, Verhandlungen des 46. DJT I/1, S. 66 ff. 87

funktion

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

Es ist allerdings nicht zu leugnen, daß von der h. M.89 auch anderen privatrechtliehen Vereinen ein durch Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistetes korporatives Daseins- und Betätigungsrecht zuerkannt wird. Außerdem liegt es im Interesse auch der anderen privatrechtliehen Vereine oder Gesellschaften, die Zahl ihrer Mitglieder möglichst zu erhöhen. Aber das Außenseiterproblem bei den Berufsverbänden ist besonders brennend. Dies läßt sich aus der Natur und den besonderen Aufgaben der Koalitionen erklären: Die Arbeitnehmerkoalitionen sind als Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern gedacht, die die von vornherein angenommene Abhängigkeit der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber aufheben sollen. Sie befinden sich verständlicherweise in einem Spannungsverhältnis mit der Arbeitgeberseite, das sogar das Ergreifen von Kampfmaßnahmenalsultima rationicht ausschließt. Die autonome Gestaltung der allgemeinen Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge kann daher erst dann ihre Aufgabe erfüllen, wenn ein annäherndes Gleichgewichtsverhältnis zwischen den Sozialpartnern besteht90 • Anderenfalls wird die wirtschaftlich stärkere Tarifvertragspartei der anderen ihren Willen diktieren können. Die Mächtigkeit der Berufsverbände ist folglich eine Voraussetzung für die Verwirklichung des Koalitionszwecks. Die Frage der Mächtigkeit ist von größerer Bedeutung für die Arbeitnehmer- als für die Arbeitgeberseite, die ohnehin eine effektive Position besitzt91 • Nun hängt die Funktionsfähigkeit einer Gewerkschaft mit der Zahl ihrer Mitglieder zusammen. Je stärker diese Mitgliederzahl ist, desto wirksamer ist ihr Einfluß auf das Arbeitsleben und der Druck, den sie auf die Arbeitgeberseite auszuüben vermag92 ; desto größer sind auch die Geldmittel, über die sie verfügt, um einen Arbeitskampf führen zu können. Ist dagegen ihre Mitgliederzahl im Verhältnis zur Zahl der nichtorganisierten Arbeitnehmer dieses Wirtschaftszweiges gering, dann ist auch die Schlagkraft der Gewerkschaft ungenügend, um die Interessen ihrer Mitglieder und ihre Rolle als Ordnungsfaktor im Arbeitsleben wahrnehmen zu können. Welche Konsequenzen für die Koalitionen selbst eine unzureichende Funktionsfähigkeit wegen geringer Mitgliederzahl hat, läßt ein Blick in die Rechtsprechung des BAG erkennen, die erstaunlicherweise viel weiter als die arbeitsrechtliche Literatur gegangen ist. Das BAG hat 89 Vgl. Bötticher, Die gemeinsamen Einrichtungen, S. 89; Füsslein, in: Grundrechte, Bd. II, S. 425 (433); v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 9 Anm. III 1, S. 318; Richardi, Kollektivgehalt, S. 89; Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 125. 90 Vgl. Reuß, RdA 1972, s. 4 (5); Gamillscheg, Arbeitsrecht, S. 307; ders., Differenzierung, S. 36; Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 148 f.; Mayer-Maly, Sozialpartnerparität als Verfassungsgebot, in Gedächtnisschrift für Hans Peter, S. 938 ff. 91 Vgl. Reuß, RdA 1972, S. 6. 92 BAG, AP Nr. 14 zu Art. 9 GG (BL. 558) mit Anm. von Riithers; Säcker, Grundprobleme, S. 19.

V. Kollektive Koalitionsfreiheit und Koalitionsschutz

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nämlich in einer Entscheidung vom 9. 7. 1968 entschieden, daß die Tariffähigkeit einer Koalition davon abhängig sei, ob sie einen - im Rahmen der Rechtsordnung sich haltenden - wirkungsvollen Druck auf den sozialen Gegenspieler ausüben könne93 • Das Gericht knüpft an die gegenwärtige Mitgliederzahl an, um das Vorhandensein dieser Voraussetzung festzustellen. Gleichzeitig macht es eine Einschränkung: Auf die Zahl allein komme es nicht in jedem Fall an. Auch ein Verband, der relativ wenig Mitglieder hat, "die aber kraft ihrer Stellung im Arbeitsleben einen besonderen Einfluß gegenüber der Arbeitgeberseite ausüben können" (z. B. Schlüsselkräfte), müsse tariffähig sein. Dennoch bleibe es einer Koalition verwehrt, die eigene Schwäche durch die Unterstützung von Nichtorganisierten auszugleichen. Allein entscheidend sei, ob die Vereinigung selbst und ihre Mitglieder einen entsprechenden Druck auf die Gegenseite auszuüben in der Lage seien. Noch einen Schritt weiter geht das BAG in der Entscheidung vom 23. 7.1971~4 • Danach sei auch die Gewerkschaftseigenschaft eines Arbeitnehmerverbandes davon abhängig, ob er entweder durch die Zahl seiner Mitglieder oder kraft deren Stellung im Arbeitsleben gegenüber der Arbeitgeberseite einen besonderen Einfluß in Form eines Druckes ausüben könne. Beide Entscheidungen halten also die auf der Mitgliederzahl beruhende Mächtigkeit der Koalition nicht nur für die faktische Vorbedingung zur Verwirklichung des Koalitionszwecks, sondern auch für eine rechtliche Voraussetzung der Tariffähigkeit oder der Gewerkschaftseigenschaft95. Hat nach all dem die Frage der Mächtigkeit in Zusammenhang mit der Mitgliederzahl eine ganz besondere Bedeutung für die Koalitionen, so muß man diese Besonderheit auch bei der Behandlung der Außenseiterfrage berücksichtigen. Es ist deshalb nicht recht überzeugend, wenn für die Lösung des Außenseiterproblems bei den Gewerkschaften ohne weiteres auf die Regeln hingewiesen wird, die auf das Verhältnis von anderen privatrechtliehen Vereinigungen und Außenstehenden Anwendung finden96 •

V. Kollektive Koalitionsfreiheit und Koalitionsschutz Die Frage, ob man sich zur Rechtfertigung der Differenzierungsklauseln auch auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen darf, erfordert eine Klärung 93 BAG AP Nr. 25 zu Art. 2 TVG mit Anm. von Mayer-Maly; SAE 1969, S. 137 mit Anm. von Zöllner; Betr. 1968, S. 1715. 94 BAG AP Nr. 2 zu§ 97 ArbGG; Betr. 1971, S. 1577. 95 Kritisch zu beiden Entscheidungen des BAG zuletzt Reuß, RdA 1972, S. 4 ff.; ZöUner, SAE 1969, S. 140; Mayer-Maly, Anm. zu AP Nr. 25 zu§ 2 TVG (Bl.220/221); vgl. auch Löwisch, ZfA 70, 295ff. (309 f.). 96 So aber Biedenkopf, Tarifautonomie, S. 97 f.; ders., Verhandlungen des 46. DJT I/1, S . 128.

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

der Frage nach dem Umfang des Schutzes der sog. kollektiven Koalitionsfreiheit. Nach der h. M. 97 und der Rechtsprechung97 schützt Art. 9 Abs. 3 GG neben dem individuellen Grundrecht auch die Koalition als solche. Dieser Schutz der Koalition bedeutet eine doppelte Gewährleistung, nämlich eine Bestands- und eine Betätigungsgarantie der Koalition. Mit anderen Worten: Das Gruppengrundrecht der Koalition selbst, die sogenannte kollektive Koalitionsfreiheit, schützt die Koalition in doppelter Weise: a) in ihrer Existenz und b) in ihrer freien Betätigung. Dabei besteht Unklarheit über den genauen Inhalt dieser beiden Garantien. Vor allem SäckeT hat den Versuch unternommen, den doppelten Inhalt der kollektiven Koalitionsfreiheit gegenständlich zu fixieren. Unter der Existenzsicherung der Koalition ordnet er folgende Garantien ein: 1) Das nackte Existenzrecht der Koalition (Koalitionsbestandsgarantie98) und 2) eine institutionelle Koalitionswohlgarantie99, die sich aus zwei anderen Garantien zusammensetzt: a) aus der Gerantie der inneren Verbandsautonomie, d. h. dem Recht der Koalition auf Selbstgestaltung, Selbstorganisation und Selbstdarstellung und b) aus der Garantie "eines Kernbereichs verbandsmäßiger materieller und ideeller Selbstbehauptung". Die Betätigungssicherung umfaßt dagegen das Recht der Koalition auf koalitionsmäßige Funktionsentfaltung, d. h. auf jene Tätigkeit, die zur Verwirklichung des Koalitionszwecks führen wird. Säcker konkretisiert diesen Betätigungsschutz der Koalition durch die Herausstellung folgender Garantien: 1. Einer funktionellen Koalitionszweckgarantie, die vornehmlich die "Garantie eines Kernbereichs koalitionsrechtlicher Gestaltung der allgemeinen Arbeitsbedingungen zwischen Existenzminimumssicherung und gemeinwohlschädlicher Regelung" umschließt. 2. Einer instrumentellen Koalitionsmittelgarantie, die in erster Linie die Garantie "eines verfassungskonformen Tarifvertragssystems" und die Garantie "eines verfassungskonformen Arbeitskampfsystems" enthält.

97 Vgl. statt vieler Biedenkopf, Tarifautonomie, S.102 ff.; Dietz, Koalitionsfreiheit, in: Grundrechte III/1, S. 458 ff.; G. Hueck, Koalitionsfreiheit, in: Evang. Staatslexikon, Sp.1074; Ktoepfer, Grundrechte als Entstehungssicherung und Bestandsschutz, S. 81 f.; Krüger, Verhandlungen des 46. DJT I/1, S. 66; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 54 ff.; Nipperdey, bei Hueck/Nipperdey, Lehrbuch II/1, S. 40, 134 ff.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 381 f.; Richardi, Kollektivgewalt, S. 69 ff., 74 ff.; ders., AöR 93, S. 262 ff.; Pernthaler, Qualifizierte Mitbestimmung und Verfassungsrecht, S. 178; Säcker, Grundprobleme, S. 33 ff.; W. Weber, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Verfassungsproblem, S.14ff.; BVerfGE4, 101 ff.; 17, 333; 18, 26; vgl. auch umfassende Darstellung der h. M. bei Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 51 ff. m.w.N. in Anm.l. 98 Grundprobleme, S. 33 ff. us Grundprobleme, S. 61 ff.

VI. Koalitionsfreiheit - kein Doppelgrundrecht?

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VI. Koalitionsfreiheit - kein Doppelgrundrecht? Kritisch gegenüber der dargelegten h. M. steht eine neuerdings vertretene Ansicht. Danach soll Art. 9 Abs. 3 GG ein ausschließlich individuales Recht, kein Doppelgrumlrecht, enthalten100• Folglich stellt die kollektive Koalitionsfreiheit kein selbständiges, neben der individuellen Koalitionsfreiheit durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütztes Grundrecht dar. Scholz gründet seine Argumentation auf die Unterscheidung zwischen Grundrechtsträgerschaft und Grundrechtssubjektivität101 : Träger von Grundrechten sei nur das Individuum, der Mensch102• Um aber dem Individuum eine gemeinschaftliche Grundrechtsausübung zu ermöglichen, erkenne die Rechtsordnung eine kollektive Grundrechtssubjektivität an. Dies sei gerade im Art. 19 Abs. 3 GG der Fall. Die juristische Person des Art. 19 Abs. 3 GG sei nicht Grundrechtsträger, sondern nur Grundrechtssubjekt103. Aufgrund dieser Überlegungen kommt Scholz zum Ergebnis, daß sich eine Berechtigung der Koalition als solcher erst aus Art. 19 Abs. 3 GG ergeben kann. Die verbandsrechtliche Seite der Koalitionsfreiheit komme also nicht im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 GG, sondern in dem des Art. 19 Abs. 3 GG zum Zuge104 • Diese neue Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG ist beachtenswert. Es besteht jedoch die Gefahr, daß sie im Ergebnis zu einer Reduzierung des Schutzes von Koalitionsbestand und Koalitionsbetätigung gelangt. Andererseits ist es nicht zu leugnen, daß die herrschende Doppelgrundrechtslehre gewisse Unklarheiten hinterläßt. Unverständlich bleibt vor allem, wie sie von der Feststellung des Schutzes der Koalition und ihrer Betätigung innerhalb des Art. 9 Abs. 3 GG plötzlich zur Konstruktion eines selbständigen Grundrechts, der kollektiven Koalitionsfreiheit, kommt. Indessen ist es nicht erforderlich, an dieser Stelle die Diskussion weiter zu vertiefen. Denn für die hier zur Debatte stehenden Differenzierungsklauseln ist allein von Bedeutung, daß im Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur die Koalitionsbildung, sondern auch die Koalition als solche geschützt ist. Und dies wird auch von Scholz nicht geleugnet. So führt auch er an, daß Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur die Bildung, sondern auch die Existenz des kollektiven Koalitionsbestandes umfasse. Art. 9 Abs. 3 GG schütze den gesamten Vorgang des kollektiven Koalitionsdaseins und -wirkens in der Person der "sich vereinigenden" Individuen105• tuo Scholz,

Koalitionsfreiheit, S. 135 ff., 145 ff. Koalitionsfreiheit, S. 75 ff., 126 ff., 138 ff. 1u2 Koalitionsfreiheit, S. 75 f., 126. 103 Koalitionsfreiheit, S. 126 ff. (130). 104 Koalitionsfreiheit, S. 138 ff. 105 Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 138 ff. (130); vgl. auch Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 25 f.; vgl. auch Kritik Hölters, Harmonie normativer und schuldrechtlicher Abreden, S. 68 f. 101

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

Vll. Existenzsicherung der Koalitionen Bei der Fortsetzung der Differenzierungsdebatte ist von der Feststellung auszugehen, daß Art. 9 Abs. 3 GG auch die Koalition als solche gewährleistet und zwar in dem Sinne, daß ihr über das nackte Existenzrecht hinaus ein Recht auf Selbsterhaltung, auf "materielle und ideelle Selbstbehauptung" eingeräumt wird. Einer Klärung bedarf noch die Frage, welche Selbsterhaltungsmaßnahmen unter diese Garantie der Koalitionen fallen. 1. Abwehr- und Selbsterhaltungsmaßnahmen

Keine befriedigende Lösung bringt zunächst die Meinung1w, die das Verfassungsprivileg des Art. 9 Abs. 3 GG nur auf die Abwehr von Maßnahmen besc..~ränken will, die gegen den Bestand der Koalitionen gerichtet sind. Solche Maßnahmen dagegen, die lediglich der Wahrung des Besitzstandes der Koalitionen dienen, müssen nach dem allgemeinen Zivilrecht (Art. 2 Abs.l GG) beurteilt werden. Unterscheidung und Kriterium überzeugen nicht. Denn es ist häufig schwer, zwischen den Maßnahmen zu unterscheiden, die sich gegen den Bestand der Koalitionen richten und denen, die nur die Selbsterhaltung der Koalition fördern. Im übrigen wäre es sachfremd zu unterstellen, daß in Art. 9 Abs. 3 GG eine Garantie der Koalition enthalten ist, die sie nur vor einer unmittelbaren Zwangsauflösung, nicht aber vor einer langfristigen Gefärhdung ihres Bestandes schützt. Eine so begrenzte Existenzsicherung der Koalition wäre unvollkommen und deshalb wertlos 107• Es ist bereits oben dargelegt worden, welche besondere Bedeutung für die Koalitionen die Frage der Mächtigkeit hat. Für die Schaffung dieser Voraussetzung müssen die Berufsverbände selbst sorgen. Sollten sie aber in ihren Bemühungen um die Erhöhung ihrer Schlagkraft gehindert sein, dann wäre auch ihre Existenzsicherung praktisch angetastet. Denn Art. 9 Abs. 3 GG gewährt den Koalitionen nicht lediglich den Anspruch auf irgendeine Existenz, sondern vor allem den Anspruch auf eine solche Existenz, die sie in die Lage versetzen wird, den Koalitionsaufgaben gerecht zu werden. Das BAG108 hat daher zutreffend festgestellt, daß das Verbot des Arbeitgebers, gewerkschaftliches Informations- und Werbematerial außerhalb der Arbeitszeit und während der Arbeitspausen im Betrieb zu verteilen, gegen Art. 9 Abs. 3 GG verstößt. Ebenso hat das BAG109 in einer anderen grundsätzlichen Entscheidung vom 10ß 101 108

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Biedenkopf, in: Verhandlungen des 46. DJT Bd. I/1, S. 128 ff., 113. Vgl. auch Säcker, Grundprobleme, S. 37 f. AP Nr. 10 zu Art. 9 Abs. 3 GG mit Anm. von Mayer-Maly. AP Nr. 14 zu Art. 9 Abs. 3 GG mit Anm. von Rü.thers; vgl. auch BVerfG,

Beschluß vom 26. 5. 1970, AP Nr. 16 zu Art. 9 Abs. 3 GG und BVerfG, AP Nr. 17 zu Art. 9 Abs. 3 GG.

VII. Existenzsicherung der Koalitionen

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11. 11. 1968 zum Ausdruck gebracht, daß aus Art. 9 Abs. 3 GG das Recht der Koalitionen folgt, ihre Schlagkraft durch Maßnahmen mit dem Ziel der Mitgliedererhaltung und der Mitgliederwerbung zu stärken. Dieses Recht zur Werbung nimmt am Koalitionsschutz nach Art. 9 Abs. 3 GG teil und steht im Rahmen der Koalitionsfreiheit jeder Koalition zu. Auch die Frage der Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln muß also nach Art. 9 Abs. 3 GG und nicht nach dem allgemeinen Zivilrecht beurteilt werden, ganz abgesehen davon, daß die rechtliche Zulässigkeit der Differenzierungsklauseln, bewertet auch nach dem Zivilrecht konkret: nach dem Grundsatz der allgemeinen Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG, § 305 BGB) - schwer in Frage zu stellen ist. 2. Mittelbare und unmittelbare Wahrung des Koalitionszwecks

Nicht ganz verständlich ist auch eine andere Ansicht, die danach fragt, ob die Selbsterhaltungsmaßnahmen der Koalition eine direkte, unmittelbare Auswirkung auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Koalitionsmitglieder haben, ob sie nämlich als unmittelbare Wahrung und Förderung der Arbeitsbedingungen der Koalitionsmitglieder angesehen werden können. Sollte dies nicht der Fall sein, dann nähmen solche Maßnahmen an der Koalitionszwecksgarantie nicht teil110• Ausgangspunkt dieses Argumentes ist die grundsätzliche Überlegung, daß die Koalitionsbetätigung nur soweit durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sei, als sie zur direkten Wahrung des Koalitionszwecks führe. Beziehe sich hingegen die Koalitionstätigkeit auf die Verwirklichung des Koalitionszwecks nicht unmittelbar, so sei sie verfassungsrechtlich durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht gesichert111• Mit diesem Argument kann jedoch die Teilhabe der Differenzierungsklauseln am besonderen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG nicht in Frage gestellt werden. Dies ergibt sich aus folgenden Gründen: a) Zunächst kann nicht behauptet werden, daß die Differenzierungsklauseln keine unmittelbare Auswirkung auf die Arbeitsbedingungen der Tarifgebundenen haben. Denn sie können zu einer Erhöhung der Ansprüche der Organisierten führen 112• Außerdem beziehen sich die Differ enzierungsklauseln, w ie oben d argelegt worden ist (s. S. 54 f.), unter dem Gesichtspunkt der gleichmäßigen Lastentragung direkt auf den Koalitionszweck. Insofern verfolgen sie die Wahrung der Koalitionsuo Vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 65 f.

Vgl. Säcker, Grundprobleme, S. 65 f.; Zöllner, SAE 1966, S. 163; kritisch dazu Rüthers, Das Recht der Gewerkschaften auf Information und Mitgliederwerbung, S. 34 ff., 50 f.; Hanau, JuS 1969, S. 220; Wagenitz, Die personellen Grenzen der Tarifmacht, 8.101; BVerfGE 19, 313. 112 Vgl. schon oben Kapitell, V. 111

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2. Kap.: Differenzierungsklauseln und Verfassungsrecht

aufgabe im engeren Sinne, d. h. die Förderung der Arbeitsbedingungen der Organisierten. b) Aber selbst wenn es bei den Differenzierungsklauseln an der unter a) erwähnten Wirkung fehlte, wäre die Ansicht unzutreffend, die Differenzierungsklauseln (ausschließlich als Selbsterhaltungsmaßnahmen) nähmen am Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG nicht teil. Art. 9 Abs. 3 GG schließt eine Existenzsicherung der Koalition mit ein. Die Aktualisierung dieser Sicherung setzt notwendigerweise eine entsprechende Koalitionstätigkeit voraus. Sie hat mit anderen Worten das Ergreifen von verschiedenen Maßnahmen zur Folge. Es ist