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German Pages 192 Year 2014
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Unser besonderer Dank gilt Hortensia Völckers und Alexander Farenholtz, dem Vorstand der Kulturstiftung des Bundes, Ute Schäfer, der Kulturministerin von Nordrhein-Westfalen sowie Lore Jackstädt und Rolf-Peter Rosenthal für den Vorstand der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung für ihr hohes Engagement und ihre großzügige Unterstützung.
Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. ISBN 978-3-8376-2771-8 Besuchen Sie uns im Internet: www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter [email protected] TANZ ERBEN. PINA LÄDT EIN ist die Abschlusspublikation von Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt., einem Projekt der Pina Bausch Foundation (2010–2013). Gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung, Wuppertal Redaktion Dr. Marc Wagenbach, Dr. Rainer A. Wirth Konzept Dr. Marc Wagenbach, Delia Fricke Design Delia Fricke Produktion Sascha Karrenberg Lektorat Sina Kühnel Übersetzungen Dr. Michael Schmidt Printed in Europe Gedruckt auf Garda Matt und G Print
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Tanz erben pina lädt ein
Herausgegeben von Marc Wagenbach und der Pina Bausch Foundation
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Die fragen hören nicht auf und die suche hört nicht auf.
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Tanz erben. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt. Eine Einleitung Marc Wagenbach
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Literatur
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1Wie schreiben wir Geschichte? Prozesse übersetzen
Praktiken des Übersetzens im Werk von Pina Bausch und dem Tanztheater Wuppertal Gabriele Klein
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Wilde Gärten. Archivieren als Übersetzen Gabriele Klein, Marc Wagenbach
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Literatur
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2Tanzerbe im 21. Jahrhundert.
Strategien des Erinnerns
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Das digitale Pina Bausch Archiv Bernhard Thull
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Wie baut man ein Archiv auf? Sharon Lehner
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Rekonstruktion als schöpferischer Prozess. Das Thannhäuser-Bacchanal von Pina Bausch 1972 – 2004 – 2013. Ein Probenbericht Stephan Brinkmann
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Literatur
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Das Eigene. Auf der Suche nach einem lebendigen Archiv
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Bauschs künstlerisches Erbe in Amerika Royd Climenhaga
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Work in Progress. Ein Schulprojekt der Pina Bausch Foundation Katharina Kelter
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„Lebendig ist, wenn es Dein Eigenes ist.“ Schülerinterviews zum Schulprojekt der Pina Bausch Foundation Keziah Claudine Nanevie, Linda Seljimi, Michelle Urban
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Literatur
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4 Träume, Zukunft. Wie sieht ein Archiv der Zukunft aus?
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Pina lädt ein. Rückblicke Marc Wagenbach
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Ein Archiv als Lebensraum. Ausblicke und Perspektiven Salomon Bausch
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Die Autoren
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Tanz erben ein Archiv als Zukunftswerkstatt. Eine Einleitung Marc Wagenbach
Wie erbt man Tanz? Dieses Buch hat das Ziel, das Archivierungsprojekt Pina lädt. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt1 zu beschreiben und zu reflektieren. Gespräche, Überlegungen und Erfahrungen festzuhalten mit internen und externen Partnern, mit Künstlern, Wissenschaftlern und Freunden, lokal und global. Ideen und Begegnungen zu verorten. Gedanken einzuordnen. Tanz erben beschreibt den historischen Moment, in dem wir uns nach dem Tod von Pina Bausch befanden. Es markiert einen Zeitpunkt, an dem alle am Aufbau des Pina Bausch Archivs beteiligten Personen, Tänzer und Mitarbeiter des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und der Pina Bausch Foundation, dazu veranlasst waren über etwas zu sprechen, über das selten gesprochen wurde. Auch wenn Pina Bausch den Grundstein und die Systematik dieses Archivs gelegt hatte, ging es darum das Erbe anzutreten. Sammlungen zusammenzutragen, Bestände zu inventarisieren, Räume zu suchen, Prozesse zu beschreiben, zu dokumentieren, digitalisieren, katalogisieren, zu konservieren. Zu beginnen, all die Beziehungen und Informationen, Erinnerungen und Daten zu erfassen. Einzelne Fragmente, Anekdoten und widersprüchliche Informationen zusammenzubringen. Wie nähert man sich dem künstlerischen Erbe von Pina Bausch? Wie soll es archiviert werden? Welche Informationen können überhaupt weitergegeben werden? Und was sind die Anforderungen an ein zukünftiges Pina Bausch Archiv – an einen Ort der Begegnung, des Austauschs, des Probierens, an ein Archiv für morgen. Wie hat Pina Bausch ihre Bestände organisiert? Was haben wir vorgefunden? Und wie sollen wir damit umgehen? Wie organisieren sich die alltäglichen Arbeitsprozesse des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch? Annäherungen an ein Werk stets getragen von der Befürchtung sich nicht mehr erinnern zu können und zu vergessen. Nicht hinreichend zu wissen wie einzelne Fragmente zusammenpassen, aufgelöst in unverbundene Punkte,
1 Im Jahre 2010 begann die Pina Bausch Foundation die Realisierung des Archivierungsprojekts Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt, gefördert vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, der Kulturstiftung des Bundes und der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung aus Wuppertal. Ziel dieses Projektes war es, eine erste Sicherung und systematische Erfassung des künstlerischen Nachlasses von Pina Bausch zu erarbeiten und die Entwicklung einer digitalen Datenbasis sowie eines Vermittlungskonzeptes von Tanzgeschichte voranzutreiben. Beauftragter war die Pina Bausch Foundation in enger Zusammenarbeit mit Mitarbeitern und Tänzern des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Erste Ergebnisse wurden im Rahmen des Iconic Artist Talk an der Brooklyn Academy of Music in New York 2012, dem Tanzkongress 2013 Bewegung übersetzen – Performing Translation in Düsseldorf, des 47. Rheinischen Archivtags sowie der 40-jährigen Jubiläumsspielzeit des Tanztheater Wuppertal PINA40 in Wuppertal vorgestellt. Vgl. Arbeitsbericht NO.1 und NO.2 der Pina Bausch Foundation http://www.pinabausch.org [Stand: 14.11.2013] Pina Bausch Foundation (Hrsg.) (2010): Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt und die Vorstellungen im Rahmen der Jubiläumsspielzeit PINA40 http://www.pina40.de [Stand: 25.11.2013].
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in singuläre Referenzen eines vergangenen Augenblicks auf der Bühne. Erinnerung, die in Bruchstücke zerfällt. In punktuelle Ansichten. In unzählige Anekdoten. In ein Erinnern ohne sie – ohne Pina Bausch.
Was haben wir gemacht? Seit 2010 hat die Pina Bausch Foundation zusammen mit Mitarbeitern des Tanztheater Wuppertal, Ehemaligen sowie nationalen und internationalen Partnern2 begonnen, den Nachlass der Künstlerin Pina Bausch zu erschließen und zu sichern. Gemeinsam mit unterschiedlichen Experten und Fachleuten, mit Tänzern, Archivaren, Informatikern, Konservatoren, Informationswissenschaftlern, Tanztheoretikern, Kulturwissenschaftlern, Videotechnikern, Pädagogen u.a. wurde versucht, interdisziplinäre Netzwerke zu bilden und Expertisen zu bündeln – in Deutschland, den USA und Japan. Die Pina Bausch Foundation versuchte in den Feldern Theorie und Praxis Kooperationen zu etablieren, mit renommierten Institutionen und spezialisierten Tüftlern; grenzübergreifend, aus der Peripherie bis ins Zentrum kultureller Repräsentation, um innovative Lösungsansätze im Bereich Archiv zu entwickeln und neue Wege zu gehen.3 Hierbei ging es einerseits darum, einen höchst heterogenen Bestand an Produktionsmaterialien zu mehr als 50 Stücken über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren zu erschließen. Andererseits um die Frage, wie man mit dem performativen Erbe zu Beginn des 21. Jahrhundert umgehen kann. Wie archiviert man das Werk von Pina Bausch im Kontext einer globalen und sich stets beschleunigenden Wissensgesellschaft? Wie schreibt man Tanzgeschichte im Rahmen einer digitalen Alltagswelt? Wie ereignet sich unser Erinnern? Interdisziplinarität war essentiell für diese Auseinandersetzung. Die Herausforderung, sich diversen Perspektiven zu stellen und Widersprüche auszuhalten, war und ist oftmals ein mühsamer und langwieriger Prozess. Ein kontroverser Prozess mit unterschiedlichen Perspektiven, Selbstverständnissen und involvierten Institutionen. Jedoch erschien es im Laufe der Zeit als notwendig, diese vielseitigen Perspektiven zu integrieren, sie miteinander in Beziehung zu setzen, um den Bestand überhaupt erst beschreiben zu können. So war es von großer Bedeutung nicht einfach ein etabliertes Schema, eine tradierte Beschreibungsstrategie zu übernehmen, sondern zu fragen, was die spezifischen Anforderungen des Bestandes sind. Welche individuellen Lösungsvorschläge lassen sich für jede einzelne Materialschicht von Kostümen, Bühnenbildern, Papiergut bis hin zu Videos finden? Es ging darum sich auf einen Prozess einzulassen, um sich einem anderen Prozess, der künstlerischen Arbeitsweise von Pina Bausch annähern zu können; diese nicht nachzuahmen, sondern vielmehr Prozesse zu übersetzen.4 Eine Auseinandersetzung, die sich folglich nicht nur auf die Erfassung, Inventarisierung und Beschreibung des künstlerischen Nachlasses von Pina Bausch beschränkte, sondern auf unterschiedliche Felder und Problemstellungen bezog. Aufgabenfeldern wie: > den Aufbau des physischen Archivs und die Zusammenführung unterschiedlicher Sammlungen > die Digitalisierung von mehr als 7.500 Videos, 30.000 Fotos, Regiebüchern, Arbeitsunterlagen, Programmheften etc. > die Konzeption und Entwicklung eines digitalen Archivs mit einer spezifischen Informationsarchitektur > die methodische Konzeption und Durchführung erster Vermittlungskonzepte von Tanzgeschichte und die Kooperation des Pina Bausch Archivs mit Schulen vor Ort > die Dokumentation von Probenprozessen und eine systematische Durchführung von Interviews mit Tänzern, Mitarbeitern und Ehemaligen des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch > die Vernetzung und Kooperation mit anderen Archiven auf lokaler, nationaler und internationale Ebene wie beispielsweise das BAM Hamm Archiv in New York oder das Kazuo Ohno Archiv in Yokohama5 2 Vgl. auch Arbeitsbericht NO.1 und NO.2 der Pina Bausch Foundation http://www.pinabausch.org [Stand: 14.11.2013]. 3 Als Beispiel für das große Spektrum der Auseinandersetzung siehe das Kapitel „Pina lädt ein. Rückblicke“ in diesem Band. 4 Hierzu Kapitel 2 „Tanzerbe im 21. Jahrhundert. Strategien des Erinnerns“ in diesem Band. 5 Vgl. „Zusammenwachsen. Growing Together.“ In: Arbeitsbericht NO.1 und NO.2 der Pina Bausch Foundation http://www.pinabausch.org [Stand: 14.11.2013], S. 49–55.
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Themenbereiche, die bedingt waren durch die Auseinandersetzung mit der Frage, wie man das Werk von Pina Bausch archivieren kann. Wie wollen wir unsere Geschichte schreiben? Und welche Strategien der Überlieferung werden gewählt?6 Richtet man den Blick eher auf die Aktivität des Historikers oder auch des Philosophen, so ist das Archiv ein Wirkungsort, an dem sich das Begehren nach einer Vergangenheit und das Begehren, die spezifische Wirklichkeit der eigenen Zeit zu denken, verschränken. (Gehring 2004: 65) Wir verstehen das Pina Bausch Archiv nicht als Depot oder Aufbewahrungsort, sondern vielmehr als ein Zentrum stetiger Wissensgenerierung, als einen lebendigen Ort, ein Reservoir an Ideen und Erfahrungen, als ein Laboratorium des Transfers, als einen Platz „an dem man sich trifft, spricht, probiert, forscht, lebt und diskutiert.“7 An dem diverse Perspektiven, Brüche und Diskontinuitäten sichtbar sind, in dem Erinnern als ein kreativer Prozess erfahrbar wird.
Aufbau des Buches Das Buch Tanz erben dokumentiert unsere Auseinandersetzung. Hierbei versuchen die Autoren Ansätze, Fragmente und Lösungsvorschläge vorzustellen, Diskussionen und Fragestellungen aufzuzeigen. Die Beiträge möchten eine Tür öffnen und aufzeigen, dass wir alle Teil des Erbes von Pina Bausch sind. Erben, all der unzähligen Momente des Glückes, der Trauer, der Augenblicke der Freude, des unerbittlichen Fragens. Nun liegt es an uns, wie wir Pina Bauschs Werk in die Zukunft tragen. Wie wir es lebendig halten. Welche Geschichten wir gemeinsam erzählen wollen. Und welche Geschichten das Archiv über uns erzählt. Es ist der Beginn einer Suche, der Anfang erneut zu fragen, in welcher Welt wir leben. Im ersten Kapitel Wie schreiben wir Geschichte? Prozesse übersetzen setzt sich Gabriele Klein grundlegend mit dem in den letzten Jahren in den Kulturwissenschaften stark diskutierten Begriff der Übersetzung (BachmannMedick 2008, Spivak 2008, Stoll 2008) auseinander. Ausgehend von den fünfzehn internationalen Koproduktionen des Tanztheater Wuppertal von 1986 bis 2009 entwickelt Klein ein Verständnis kulturellen Übersetzens, das stets das Neue, das Andere impliziert und Vorstellungen kultureller Mimesis radikal in Frage stellt. So bilden in dem daran anschließenden Text Wilde Gärten. Archivieren als Übersetzen von Klein und Wagenbach diese Überlegungen einer Praktik des Übersetzens das Fundament für ein kulturtheoretisches Verständnis von Archivierung als eine Strategie des Übersetzens, einen medialen Transfer: von Bewegung in Notation – von Notation ins Digitale – von digitalen Daten wieder in Bewegungen. Es sind Reflektionen einer Geschichtsschreibung von Tanz zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Fragen einer historischen Übersetzung. Das zweite Kapitel Tanzerbe im 21. Jahrhundert. Strategien des Erinnerns thematisiert in anderer Form diese Suche nach Möglichkeiten der Archivierung des Werkes von Pina Bausch und stellt exemplarisch Ergebnisse der Pina Bausch Foundation innerhalb des Projektes Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt vor. Bernhard Thull befasst sich mit den Überlegungen einer spezifischen Informationsarchitektur für das digitale Pina Bausch Archiv und der
6 Hierzu siehe Gallaghers und Greenblatts Überlegungen eines New Historicism (vgl. Gallagher, Catherine, Greenblatt, Stephen (Hrsg.) (2000): Practicing New Historicism, London, Chicago: Chicago University Press), ethnografische Methoden und Praktiken der Geschichtsschreibung (vgl. Crang, Mike, Cook, Ian (Hrsg.) (2007): Doing Ethnographies, London, Thousand Oaks, New Delhi, Singapore: SAGE) sowie Strategien der Dokumentation (vgl. Imhof, Dora, Omlin, Sibylle, (Hrsg.) (2010): Interviews. Oral History in der Kunstwissenschaft und Kunst, München: Verlag Silke Schreiber). 7 Pina Bausch Foundation (Hrsg.) (2010): Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt, Wuppertal: Pina Bausch Foundation, S. 16.
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damit verbundenen Diskussion eines Linked Data-Modells. Er gibt Aufschlüsse über den Stand der Forschung im Rahmen semiotischer Datenvernetzung und zeigt auf, dass für heterogene Sammlungen wie das Pina Bausch Archiv vielschichtige Beschreibungsmodelle benötigt werden, die in der Lage sind, multiple Perspektiven zu entwerfen und widersprüchliche Aussagen nebeneinander stehen lassen können. Versuche, sich in einem digitalen Kontext der Flüchtigkeit von Tanz zu nähern. Wie kann man ein Stück von Pina Bausch beschreiben? Und welche Informationen werden benötigt, um ein Stück wieder auf die Bühne bringen zu können, um es letztlich am Leben zu erhalten? Sharon Lehner diskutiert im Anschluss die Frage nach den Praktiken der Dokumentation des Performativen und ihren Möglichkeiten. Welche Strategien der Dokumentation werden benötigt, um ein Stück von Pina Bausch beschreiben zu können? Und welche theoretischen sowie praktischen Überlegungen impliziert dies in der Beschreibung und dem Aufbau eines Archivs? Fragen nach Strategien des Erinnerns. Inwiefern stellt der Umgang mit archivarischen Materialien einen künstlerischen Prozess dar? Wie wird Erinnerung stets aufs Neue konstruiert? Und wie wird ein Stück von Pina Bausch rekonstruiert? Fragen, die Stephan Brinkman in seinem Beitrag über die Rekonstruktion von Pina Bauschs Tannhäuser-Bacchanal, die er mit Studenten der Folkwang Universität der Künste im Jahre 2013 durchgeführt hat, verdeutlicht. Es beschreibt eine Suche nach dem Eigenen innerhalb tradierter Formen, der permanenten Konstruktion von Jetzt im Tanz. Das dritte Kapitel Das Eigene. Auf der Suche nach einem lebendigen Archiv ist der Auseinandersetzung mit Vorstellungen eines lebendigen Archivs gewidmet. Was sind internationale Entwicklungen von Tanzarchiven weltweit? Wie lässt sich die Auseinandersetzung mit dem Erbe von Pina Bausch beschreiben? Und was sind innovative Praktiken der Vermittlung von Tanzgeschichte als Archivarbeit? Royd Climenhaga verortet das Pina Bausch Archiv im Kontext eines internationalen Vergleiches. Wie wird im US-amerikanischen Kontext mit dem Erbe von Cunningham umgegangen? Was für ein Archiv errichtet Robert Wilson in Watermill? Und wie steht dies im Bezug zu den Praktiken der Pina Bausch Foundation und dem Erbe von Pina Bausch? Katharina Kelter reflektiert die Arbeit der Pina Bausch Foundation beispielhaft anhand des Schulprojektes: Work In Progress. Das Pina Bausch Archiv entsteht in Wuppertal. Dabei zeigt sie auf, inwiefern über die Erstellung eigener Lebensarchive neue Methoden der Vermittlung von Tanz und eine Annäherung an das Werk von Pina Bausch gesucht werden. Sie stellt heraus, dass das Pina Bausch Archiv selbst als Teil eines Produktionsprozesses zu verstehen ist. Ergänzt wird ihr Beitrag durch Interviews mit Schülerinnen der Städtischen Pina-Bausch-Gesamtschule in Wuppertal-Vohwinkel, die über ihre Wünsche und Visionen eines Pina Bausch Archivs der Zukunft sprechen. Wie stellen Jugendliche sich den Umgang mit dem Werk von Pina Bausch vor? Was waren besonders wichtige Erfahrungen für sie innerhalb dieses Projektkurses? Diverse Perspektiven und Stimmen werden zu hören sein und in die Überlegungen eines Archivs als Zukunftswerkstatt integriert werden. Abschließend befasst sich das letzte Kapitel Träume, Zukunft. Wie sieht ein Archiv der Zukunft aus? rückblickend mit einer thematischen Zusammenstellung der Projekte des Archivierungsprojekts Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt sowie mit einem Ausblick auf zukünftige Perspektiven. Der Rückblick Pina lädt ein thematisiert zusammenfassend einige Ergebnisse des Projektes und unterstreicht die intensive Zusammenarbeit der Pina Bausch Foundation mit dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, seinen Mitarbeitern, Ehemaligen und externen Partnern. In Ein Archiv als Lebensraum. Ausblicke und Perspektiven skizziert Salomon Bausch die Frage nach zukünftigen Funktionen des Pina Bausch Archivs. Er stellt die Bedeutung unterschiedlicher Strategien des Erinnerns und die damit verbundenen Überlieferungspraktiken heraus: Wie können persönliche Erfahrungen archiviert werden? Wie kann das Werk von Pina Bausch lebendig gehalten werden? Und wie sieht ein Archiv der Zukunft aus – als ein lebendiger Ort des Austausches, ein Raum für Begegnung? Wie erbt man Tanz? Wie lässt sich das Erbe von Pina Bausch erhalten? Und wie kann man Tanz archivieren? Reflektionen eines Archivierungsprojekts. Berichte eines historischen Moments.
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Dank Ein großer Dank gilt den Förderern dieses Projektes: dem Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, der Kulturstiftung des Bundes und der Dr. Werner Jackstädt-Stiftung aus Wuppertal, die die Archivarbeit an Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt sowie diese Publikation erst möglich gemacht haben. Einen Dank an alle an diesem Projekt Beteiligten – im Besonderen dem Vorstand der Pina Bausch Foundation Salomon Bausch, der Geschäftsführung Nataly Walter, dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Speziellen sei dem Geschäftsführer Dirk Hesse und den Mitgliedern des Ensembles Barbara Kaufmann und Bénédicte Billiet gedankt, ohne die die Arbeit am Aufbau des Archivs nicht möglich gewesen wäre. Ismaël Dia für all seine Energie und sein technisches Wissen, Sala Seddiki, Clara Bauer, Vera Marz, Frank Hardt, Gerburg Stoffel, Christine Splett, Matthias Burkert, Peter Lütke, Grigori Chakhov, Maarten Vanden Abeele, Sofie Friederike Mevissen, Donata Weinbach, Alexander Wagner, Barbara Kryck, Magdalene Zuther, Sven Pacher, Nicolas Sippel, Angela Deußen, Lale Cakmak, Hannah Füsser, Joachim Schmitz, Markus Fischbach, Dörthe Boxberg, Sophie Schumacher, Sebastian Weihs, Delia Fricke, Dr. Rainer A. Wirth und Elisabeth Birk für all ihre Unterstützung. Peter Pabst und Marion Cito für ihre große Hilfe. Unseren Partnern regional, national und international, im Speziellen der Leiterin des BAM Hamm Archivs Sharon Lehner für ihre tiefe Freundschaft und Expertise. Prof. Dr. Bernhard Thull (Hochschule Darmstadt) und seinem Team für seine Begeisterung und unermüdliche Unterstützung sowie der h_da Hochschule Darmstadt für die Kooperation. Dem Landschaftsverband Rheinland und im Besonderen Frau Dr. Kauertz und Frau Jahn für ihre archivarische Kenntnis und Begleitung, vor allem im Rahmen des Aufbaus des physischen Archivs. Herrn Dr. Illner, Leiter des historischen Zentrums Wuppertal, für seine Unterstützung auf städtischer Ebene. Julia Bögeholz und der Städtischen Pina-Bausch-Gesamtschule für die Freude bei der gemeinsamen Entwicklung eines Vermittlungskonzeptes von Tanzgeschichte und der Bildungspartnerschaft Archiv und Schule. Ohne Clémentine Deluy, Anna Wehsarg und Safet Mistele wäre das Schulprojekt nicht möglich gewesen. Mein persönlicher Dank gilt Ursula Popp für all ihre inhaltlichen Anregungen und Gabriele Klein für ihr fachliches Wissen und ihre Unterstützung. PINA40 – und im Besonderen Ulli Stepan und Robert Sturm – danke ich für die Möglichkeit, erste Ergebnisse der Arbeit zeigen zu können. Pina für ihr Werk und die Arbeit mit ihr.
Wuppertal, Dezember 2013
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Literatur Agamben, Giorgio (2000): Potentialities. Collected Essays, Stanford: Stanford University Press Assmann, Aleida (1999): Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München: C.H. Beck Bachmann-Medick, Doris (2008): „Übersetzung in der Weltgesellschaft. Impulse eines ‚translational turn‘.“ In: Gipper, Andreas, Klengel, Susanne (Hrsg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Beiträge zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaften, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 141–159 Bhabha, Homi K. (1994): The Location of Culture, London, New York: Routledge Bourdieu, Pierre (1999): Die Regeln der Kunst, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Brandstetter, Gabriele, Klein, Gabriele (Hrsg.) (2013): Dance [and] Theory, Bielefeld: transcript Crang, Mike, Cook, Ian (Hrsg.) (2007): Doing Ethnographies, London, Thousand Oaks, New Delhi, Singapore: SAGE Ebeling, Knut, Günzel, Stephan (Hrsg.) (2009): Archivologie. Theorien des Archivs in Wissenschaft, Medien und Künsten, Berlin: Kulturverlag Kadmos Ernst, Wolfgang (2002): Das Rumoren der Archive. Ordnung aus der Unordnung, Berlin: Merve Gallagher, Catherine, Greenblatt, Stephen (Hrsg.) (2000): Practicing New Historicism, London, Chicago: Chicago University Press Geertz, Clifford (1983): Local Knowledge. Further Essays in Interpretative Anthropology, London: Basic Books Gehring, Petra (2004): Foucault – Die Philosophie im Archiv, Frankfurt a. M.: Campus Imhof, Dora, Omlin, Sibylle (Hrsg.) (2010): Interviews. Oral History in der Kunstwissenschaft und Kunst, München: Verlag Silke Schreiber Keupp, Heiner u.a. (Hrsg.) (2008): Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Perks, Robert, Thomson, Alistair (Hrsg.) (1998): The Oral History Reader, New York: Routledge Pina Bausch Foundation (Hrsg.) (2010): Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt, Wuppertal: Pina Bausch Foundation Reckwitz, Andreas (2008): Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie, Bielefeld: transcript Stoll, Karl-Heinz (2008): „Translation als Kreolisierung.“ In: Andreas Gipper, Klengel, Susanne (Hrsg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Beiträge zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaften, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 177–201
Websites Arbeitsbericht NO.1 und NO.2 der Pina Bausch Foundation http://www.pinabausch.org [Stand: 14.11.2013] PINA40 http://www.pina40.de [Stand: 25.11.2013]
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1 Wie schreiben wir Geschichte? Prozesse übersetzen
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Praktiken des Übersetzens im Werk von Pina Bausch und dem Tanztheater Wuppertal 1 Gabriele Klein
Pina Bausch stellte Fragen: mehr als hundert waren es zumeist bei den Proben zu einem neuen Stück, nahezu 50 Choreografien umfasst ihr Lebenswerk. Sie stellte ihre Fragen in deutsch oder in englisch. Die Tänzer und Tänzerinnen suchten nach Antworten, mit ihrem Körper, mit ihrer Stimme, mit Materialien und Requisiten. Sie schrieben die Fragen auf, mitunter in ihrer ‚Muttersprache‘, in spanisch, französisch, italienisch, japanisch oder koreanisch und das, was ihnen dazu einfiel und eingefallen war. Die Proben wurden auf Video aufgezeichnet. Das Video diente wie die Aufzeichnungen mitunter als Gedächtnisstütze und als Hilfe, wenn es zu Wiederholungen kam, nämlich dann, wenn Pina Bausch sich entschieden hatte und den Tänzern mitteilte, was sie von dem Gezeigten nochmals sehen wollte. Bei den insgesamt 15 internationalen Ko-Produktionen, die 1986 mit Viktor begannen und bis zum letzten Stück 2009 „... como el musguito en la piedra, ay si, si, si ...“ („... wie das Moos auf dem Stein ...“) reichten, realisierte die Kompanie dann etwas, für das es damals noch keinen Begriff und noch keinen Diskurs gab – und was heute umstritten, ideologisch aufgeladen und politisch umkämpft ist: Artistic Research. Die Kompanie, die 2013 aus 32 Tänzern (davon 18 Frauen und 14 Männer) aus 18 verschiedenen Nationen besteht, also selbst ein Mikrokosmos verschiedener Kulturen ist, fuhr in die koproduzierenden Städte und Länder, nach Rom, Palermo, Madrid, Wien, Los Angeles, Hong Kong, Lissabon, Budapest, Sao Paulo, Istanbul, Seoul, Japan, Indien und Santiago de Chile. Die Tänzer sammelten Eindrücke, manchmal im Umherschweifen und zufälligen Entdecken, manchmal bei Veranstaltungen, die zuvor für sie organisiert worden waren. Matthias Burkert, seit 1979 musikalischer Mitarbeiter und Andreas Eisenschneider, verantwortlich für Musik seit 1995, durchsuchten derweil Archive und stöberten in Plattenläden und Antiquariaten – auf der Suche nach … ja, nach allem, was sie vor Ort an Musik finden konnten. Einige Mitreisende hielten ihre Eindrücke in Fotos und Videos fest. Manche dieser Fotos tauchen in den Programmheften wieder auf.
1 Der Artikel basiert auf einem Vortrag im Rahmen des Tanzkongresses Bewegungen übersetzen – Performing Translations, der vom 06.– 09.06.2013 in Düsseldorf stattfand. Er steht in Beziehung zu dem Forschungsprojekt Gesten des Tanzes – Tanz als Geste. Kulturelle und ästhetische Übersetzungen im Werk des Tanztheater Wuppertal, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt wird.
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Ein Probenprozess, so zeigt dieser kleine Einblick, war und ist ein permanenter und vielschichtiger Übersetzungsprozess: Zwischen Sprache und Bewegung, Bewegung und Schrift, zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, zwischen verschiedenen Medien und Materialien. Pina Bausch entwickelte mit dem Wuppertaler Tanztheater eine künstlerische Arbeitsweise, deren Praktiken – das Fragen stellen, das Improvisieren, das Recherchieren – von Choreografen und Regisseuren weltweit übersetzt wurden und hierbei viele Facetten erhielten. Es sind genau diese Übersetzungen – und eben nicht Nachahmungen –, die die Pionierleistung dieser prozessorientierten, an den Kompaniemitgliedern und ihren Subjektivitäten ausgerichteten und an konkreten alltäglichen Wahrnehmungen orientierten Arbeitsweise bestätigen, indem sie diese Arbeitsweise zum Ausgangs- oder Anfangspunkt nehmen, und damit als eine erste Setzung legitimieren. Die Multikulturalität der Tänzer, die freilich auch andere Kompanien auszeichnet, ist gerade aufgrund dieser Arbeitsweise von besonderer Bedeutung, ist doch in der kollaborativen Arbeitsweise mit Menschen verschiedener Kulturen die kulturelle Übersetzung selbst schon ein Grundprinzip. Kulturelle Übersetzung ist in den letzten Jahren zu einem Begriff geworden, der im Sprachspiel der Medien und der Werbung eine wichtige Rolle eingenommen hat. Der Begriff wird aber auch für politische Anliegen gerne verwendet. Die Gründe liegen auf der Hand: „Der Begriff wirkt politisch korrekt und verspricht eine sichere Investition zur Bildung kulturellen Kapitals.“�2 Wenn der Begriff nun strategisch in Politik, Bildung, Medien und Markt eingesetzt wird, wie kann er dann noch für künstlerische Prozesse fruchtbar gemacht werden? Diese Frage berührt vor allem den Tanz. Denn besonders eine Formel bestimmt seit einigen Jahren den Tanzdiskurs. Sie lautet: Tanzen ist Übersetzen. Diese Generalthese ist verführerisch, überzeugend und überladen zugleich. Verführerisch ist sie, weil sie Tanz zur Leitmetapher kultureller Übersetzung erhebt und damit zur Leitmetapher von Kultur schlechthin erklärt. Überzeugend ist sie, weil Übersetzungsprozesse überall zu finden sind: Übersetzungen zwischen TanzKörpern, zwischen TanzKulturen, zwischen Sprache und Bewegung, zwischen verschiedenen Medien, zwischen Theorie und Praxis, zwischen Politik und Ästhetik beispielsweise. Überladen ist sie, weil in dieser weiten Auslegung des Begriffs Übersetzung alles sein kann, die metaphorische Offenheit, die den Terminus Übersetzung konturenlos macht, und die ‚Orte‘, an denen Übersetzung an ihre Grenzen stößt, nicht mehr auszumachen sind. Um diese Problematik zu umgehen und vor allem, um der tanzästhetischen Praxis nahezukommen, fragt der Text nicht danach, was kulturelle Übersetzung von Tanz ist, sondern wie sich das Übersetzen vollzieht. Dieses Wie richtet sich auf den Akt des Übersetzens, auf die Praktiken und ihre Performanzen. Es ist eine praxeologische Lesart, die sich den Bewegungspraktiken und choreografischen Verfahren des Übersetzens anzunähern versucht. Diese Annäherung ist selbst ein Versuch der Übersetzung, nämlich für ästhetische Praxis eine Theoriesprache zu finden. Dass dieser Übersetzungs-Versuch seine Grenzen findet und zwangsläufig an der Unübersetzbarkeit zwischen ästhetischer Praxis und Diskurs scheitern muss, ist eine Tatsache, die in der Grundidee der Übersetzung selbst angelegt ist. Der Text gliedert sich in drei Abschnitte: 1. Tanzen als Übersetzen 2. Übersetzen als Praktik 3. Politiken des Übersetzens
2 Birgit Wagner: „Kulturelle Übersetzung. Erkundungen über ein wanderndes Konzept.“ In: Anna Babka, Julia Malle, (Hrsg.): Dritte Räume. Homi K. Babhas Kulturtheorie. Kritik, Anwendung, Reflexion, Wien: Turia und Kant 2012, S. 29.
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Tanzen als Übersetzen Übersetzen ist ein Begriff, der selbst eine Übersetzung ist, nämlich aus dem Altgriechischen (hermeneuein, metaphrasis) und dem Lateinischen (transferre, translatio)3. Ihm ist eine Metaphorik beigegeben, die mit „Über-Fahrt, Hinüberfahrt an ein anderes Ufer darauf aufmerksam macht, dass Übersetzung niemals eins-zu-eins sein kann, also nicht den Transport eines vermeintlich authentischen Sinns bedeuten kann, wie beispielsweise Tango Argentino niemals authentisch in andere Kulturen übertragen oder auf die Bühne transferiert werden kann. „Wenn man das wollte, hätte man vom Tango nichts verstanden“�4, so zitiert Raimund Hoghe Pina Bausch bei den Proben zu Bandoneon. Übersetzung ist immer ein Aushandeln und ein Vermitteln zwischen Verschiedenem. Übersetzen ist von daher per se als eine kulturelle und mediale Praxis zu verstehen. Als kulturelle und mediale Praxis ist Übersetzen nicht nur differenztheoretisch zu begründen, sondern zugleich immer auch einem paradoxalen Verhältnis von Identität und Differenz ausgesetzt. Das Paradox besteht darin, dass durch die Übersetzung die Differenz aufgehoben wird, das Übersetzte also dem Original entsprechen soll, zugleich aber Identität nur über Differenz herstellbar ist. Dieses Paradox ist ein genuiner Bestandteil der Übersetzung, wird aber mitunter – auch im Tanz – in die ein oder andere Richtung aufzulösen versucht. So gibt es unzählige Beispiele für den Versuch der Aufhebung von Differenz in der Geschichte der Rekonstruktion von Tänzen, nämlich bei den Versuchen, eine Choreografie original zu rekonstruieren, beispielsweise von historischen Übersetzungen: Nijinskis Sacre du Printemps oder Kurt Jooss’ Grüner Tisch. Und es gibt Versuche, Identität als Differenz herzustellen, wie es bei Formen des Re-Enactments geschieht, die mitunter durch Formate wie „Lecture Performances“ gerahmt sind (wie das Stück von Martin Nachbar Urheben/Aufheben (2008), in dem er sich auf Dore Hoyers Affectos Humanos bezieht) oder auch Choreografien, die sich assoziativ oder aus der Sicht subjektiver Erfahrung mit dem „Tanzerbe“ auseinandersetzen (wie Antje Pfundners Stück Nussknacker (2012)). Walter Benjamin, auf dessen Aufsatz „Die Aufgabe des Übersetzers“ (1923) sich jene Theorien der kulturellen Übersetzung beziehen, die ihren Ausgangspunkt in einem „cultural turn“ in der Übersetzungswissenschaft5 sowie in der Etablierung der „postcolonial studies“ und der sozialwissenschaftlich ausgerichteten „translation studies“6 finden, hat dieses paradoxale Problem von Identität und Differenz dadurch gelöst, dass er der Übersetzung zwei Aufgaben zuschreibt, nämlich zugleich Differenz zu erzeugen wie „überhistorische Verwandtschaft“7 zu bezeugen. In der Übersetzung geht es demnach nicht darum, den Sinn des Gemeinten zu entschlüsseln, sondern darum, „flüchtig und nur in dem unendlich kleinen Punkte des Sinns das Original (zu berühren), um (…) ihre eigenste Bahn zu verfolgen.“8
3 Siehe Dieter Mersch: „Transferre/Perferre. Übersetzen als Praxis“, Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „In Transit. Mediales Übersetzen in den Künsten“ im Wintersemester 2012/13 an der Universität Hamburg (Claudia Benthien, Gabriele Klein), unveröffentlichtes Vortragsmanuskript. 4 Raimund Hoghe, Ulli Weiss: Bandoneon – Für was kann Tango alles gut sein? Darmstadt: Luchterhand 1981, S. 15. 5 Vgl. Karl-Heinz Stoll: „Translation als Kreolisierung.“ In: Andreas Gipper, Susanne Klengel (Hrsg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Beiträge zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaften, Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, S. 177–201. 6 Vgl. Doris Bachmann-Medick: „Übersetzung in der Weltgesellschaft. Impulse eines ‚translational turn‘“. In: Andreas Gipper, Susanne Klengel (Hrsg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Beiträge zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaften, Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, S.141–159. 7 Walter Benjamin: „Die Aufgabe des Übersetzers“. In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. IV/1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972, S. 13. 8 Benjamin, a.a.O., S. 20.
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Man könnte meinen, dass Pina Bausch dieses Paradox von Identität und Differenz erkannt und mit ihm gespielt hat, ja es fast zu einem zentralen Thema der künstlerischen Arbeit des Tanztheater Wuppertal machte: so zum Beispiel, indem sie dieses Paradox im Hinblick auf Alter thematisierte, nämlich dann, wenn manche Tänzer über Jahrzehnte dieselben Rollen tanzten und tanzen, wie dies zum Beispiel in 1980 geschieht, ein Stück, das 2012 mit nahezu der kompletten Original-Besetzung wieder aufgenommen wurde. Oder auch darin, dass bei Wiederaufnahmen beispielsweise Tänzer aus früheren Generationen den derzeitigen Ensemblemitgliedern ihren Tanz vermitteln, wie es 2013 bei dem Stück Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehört von 1984 geschah, eine Wiederaufnahme, die wie manche Wiederaufnahmen ohne die Entscheidungskraft und -macht von Pina Bausch, sondern mit dem kollektiven Wissen der Tänzer – und unter Zuhilfenahme medialer Übersetzungen (Videos, Notationen) – realisiert wurde. Oder darin, dass sie das Stück Kontakthof, obwohl es immer dieselbe Choreografie ist, von Jugendlichen, Senioren oder von den Tänzern der Kompanie tanzen ließ, also die Choreografie durch die Verschiedenheit der Akteure immer eine andere Farbe bekam. (Tanz-)Kulturelle Übersetzung ist doppelgesichtig: Sie wäre sinnlos und willkürlich ohne die Annahme einer – wenn auch fiktiven – Verwandtschaft zwischen den (Tanz-)Kulturen und (Tanz-)Sprachen. Zugleich aber bedarf sie der Differenzsetzung zwischen den Kulturen und Sprachen. Letztere zeigt sich in der Unbestimmtheit und der prinzipiellen Unmöglichkeit, Bewegung zu übersetzen, d.h. in dem Zeugnis ihres Misslingens und Scheiterns, und dieses wird sichtbar in dem Vollzug, in der Praxis, die „eigenste Bahn“ zu verfolgen. Tanz-Kulturelle Übersetzung ist von daher – mit Alexander Garcia Düttmann gesprochen – beschreibbar als eine Übersetzung des Unübersetzbaren. Gerade in der Un-Möglichkeit liegt die Produktivität der Übersetzung, ihr poetisches und politisches Potential. In diesem Sinne lassen sich wohl auch die kulturellen Übersetzungen verstehen, die den internationalen Koproduktionen des Tanztheater Wuppertal eigen sind: Denn entgegen der Erwartung vieler Kritiker, die in den Besprechungen bemängelten, von dem koproduzierenden Land nichts oder zu wenig oder nur Klischeehaftes in den Stücken wiedergefunden zu haben, ging es niemals darum, „die andere Kultur“ auf die Bühne zu bringen. „Anmaßend“, so bezeichnete Pina Bausch in einem ihrer wenigen Interviews dieses Ansinnen, bestand sie doch bei der Suche nach dem „Begreifen“ des Anderen (und Begreifen ist hier im wörtlichen, körperlichen Sinne gemeint), einerseits auf der Differenz der Kulturen, einer Differenz, die sie in den Grenzen des Verstehens begründet sah. Andererseits verwies sie, beispielsweise in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Kyoto-Preises 2007 auf das gemeinsame, das kulturell Übergreifende: Natürlich gibt es viele kulturelle Unterschiede, aber doch immer etwas Gemeinsames […]. Es geht darum, eine Sprache zu finden, […] die etwas von dem ahnbar macht, was immer schon da ist […]. Wenn etwas zusammentrifft, ist es wunderbar, mit all diesen unterschiedlichen Menschen, an diesem einen Abend, dann erleben wir zusammen etwas Einzigartiges, Unwiederbringliches.9 Wie das Übersetzen eine Grundlage von Kultur ist, ist zugleich die Unübersetzbarkeit zwischen Kulturen und Sprachen eine Grundbedingung der Kulturalität des Menschen. Anders gesprochen: Kulturprozesse sind selbst als Übersetzungsvorgänge zu begreifen, im gleichen Maße wie Übersetzung als Transformation des Kulturellen verstanden werden kann.10
9 Pina Bausch: Etwas finden, was keiner Frage bedarf. The 2007 Kyoto Prize Workshop in Arts und Philosophy. Abrufbar unter: http://www.inamori-f.or.jp/laureates/k23_c_pina/img/wks_g.pdf [Stand: 06.10.2013]. 10 Vgl. Peeter Torop: „Translation as Translating Culture.” In: Sign Systems Studies, 30, 2 (2002), S. 594–605.
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Übersetzung ist damit selbst Kultur, wie Kultur eine permanente Übersetzung ist. Dieser Lesart zufolge ist kulturelle Übersetzung nicht ein besonderer Kulturprozess. So verweist sie weder auf einen Anfangs- und Endpunkt noch vollzieht sie sich in dem Verhältnis von Original und Kopie. Die Vorstellung von Kultur als Einheit entsteht vielmehr, aus dieser Sicht, erst im Akt der Übersetzung, retrospektiv, wie Barbara Johnson in ihrem Buch Mother Tongues11 ausführt, in dem sie sich mit Benjamins Text befasst und dessen Thesen pointiert. Aus dieser Sicht erscheint auch der Begriff Deutsches Tanztheater als eine Setzung, die ein nationales Imaginäres erzeugt. Es ist eine Setzung, die erst im Nachhinein in der Differenzsetzung z.B. zur Historie (Ausdruckstanz auf der einen Seite und zeitgenössischer Tanz auf der anderen Seite) oder in der normativen Differenzsetzung zu anderen Ästhetiken (Postmodern Dance, Konzepttanz) hervorgebracht wurde. Die Übersetzung selbst ist es demnach, die eine Einheit der Kultur als Imagination entlarvt. Kulturelle Übersetzung meint demnach nicht Kulturverstehen, nicht Brückenbau zwischen den Kulturen oder ihre Vermischung. Vielmehr verweist sie auf „kulturelle Hybridisierungen“. Den Begriff der Hybridität hat Homi Bhabha, wie den mittlerweile ähnlich inflationär gebrauchten Begriff des „Dritten Raumes/third space“, in die von ihm initiierte Diskussion um „kulturelle Übersetzung“ eingebracht. In der Folge ist dieser Begriff vielfach überlastet und ideologisch aufgeladen worden. In seinen Wiener Vorlesungen 200712 hat Bhabha darauf aufmerksam gemacht, dass das hybride Subjekt nicht nur euphorisch begrüßt werden kann als ein kulturell Weltreisender, ein Künstler oder Intellektueller, also als ein Subjekt, das Hybridität durch (permanente) Grenzüberschreitung erzeugt. Vielmehr ist kulturelle Übersetzung immer eine Bewegung an der Grenze, im unmittelbaren und im metaphorischen Sinn. In seinem Essay „Namen des Ortes. Grenze“ zeigt der Philosoph Massimo Cacciari auf, dass Grenze immer beides ist: limes: also der Grenzraum, die Mauer, der Wall, aber auch limen: die Kontaktzone, der Zwischenraum, der Begegnungsort. Die Grenze ist also notwendig, um Kontakt und Berührung möglich zu machen. Die Perspektive der Grenzüberschreitung verortet Bhabha in den Erfahrungen des Kolonialismus, sie lassen sich mit Sloterdijk auch in dem kinetischen Konzept der Moderne verankern, die Bewegung, Überschreitung und Fortschritt zu ihren Leitmetaphern erklärt hat. Der Traum von Grenzenlosigkeit, der sich an diese Konzepte des Kolonialismus und der Moderne anschließt, ist, konsequent zu Ende gedacht, totalitär.13 Wenn Übersetzung an der Grenze erfolgt, so markiert diese Grenze zugleich eine Trennung und Verbindung der Kulturen. Insbesondere in künstlerischen Praktiken ist es entscheidend, wie mit Grenzerfahrung umgegangen wird. Nicht zuletzt deshalb argumentiert Waldenfels (im Anschluss an Derrida und Levinas) für ein „Ethos der Grenzachtung und Grenzverletzung […]. Das bedeutet, dass man die Schwelle zum Anderen überschreitet, ohne die Grenze aufzuheben und hinter sich zu lassen.“14 „Man richtet sich niemals in einer Überschreitung ein, man wohnt niemals anderswo. Die Überschreitung impliziert, dass die Grenze immerzu am Werk ist“13, heißt es bei Jacques Derrida.
11 Barbara Johnson: Mother Tongues. Sexuality, Trials, Motherhood, Translation, Cambridge: Harvard University Press 2003. 12 Homi K. Bhabha: Über kulturelle Hybridität: Tradition und Übersetzung, Anna Babka, Gerald Posselt (Hrsg.), Wien: Turia und Kant 2012. 13 Wolfgang Müller-Funk: „Transgression und dritte Räume: Ein Versuch, Homi Bhabha zu lesen.“ In: Homi K. Bhabha: Über kulturelle Hybridität. Tradition und Übersetzung, Anna Babka, Gerald Posselt (Hrsg.), Wien: Turia und Kant 2012, S. 81. 14 Bernhard Waldenfels: Der Stachel des Fremden. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990, S. 39 (kursiv im Original). 15 Jacques Derrida: Positionen, Wien: Passagen 1986, S. 47.
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Die Koproduktionen des Tanztheater Wuppertal sind, so die These meines Forschungsprojektes16, getragen von diesem „Ethos der Grenzachtung und Grenzverletzung“. Sie stellen das „Fremde“ nicht aus, sind also keine Völkerschau, Reiseführer oder Folklore, wie manche Kritiker behaupteten und sich enttäuscht abwandten. Sie klagen nicht an (z.B. auch nicht Menschenrechtsverletzungen in den koproduzierenden Ländern), sie erheben sich nicht, sie beanspruchen nicht eine kulturelle Autorität. Die Übersetzungen des bei den Recherche-Reisen Wahrgenommenen münden zwar in manche Szenen, die auf die Alltagskultur der Städte und Länder aufmerksam machen – wie z.B. Beerdigungsrituale in Palermo Palermo, Massagerituale in einem türkischen Bad in Nefés oder Badeszenen in Água, der Koproduktion mit Sao Paulo. Sie schlagen sich aber auch subtiler in der Choreografie selbst nieder: In den harten Schnitten bei Rough Cut, der Koproduktion mit Seoul, wo der Alltagsrhythmus der südkoreanischen Metropole in die szenische und musikalische Dramaturgie übersetzt ist. Oder sie werden spürbar in der meditativen Grundstimmung in Ten Chi, der Koproduktion mit Japan, die in einen ekstatischen Tanz aller mündet. Oder sie werden fühlbar in den leise und sanft im Wind wehenden Tüchern in Bamboo Blues, einer Koproduktion mit Indien. Diese ästhetischen Übersetzungen veranschaulichen, dass Über-Setzung aus zwei Wortteilen besteht: Nicht nur das Über, das Trans, sondern auch die Setzung ist ein elementarer Bestandteil der Über-Setzung. Übersetzung beginnt immer mit einer Setzung. Sie ist, so formuliert es Dieter Mersch, „stets ein ‚anderer Anfang‘, ein immer wieder neu zu beginnender Akt“.17 „Man muss immer wieder von vorn beginnen“, sagte Pina Bausch. Was notieren die Tänzer während der Reisen in den anderen Ländern? Was übersetzen sie bei den Proben? Was wird wie in die Choreografie übernommen? All diese Schritte bedeuten verschiedene Setzungen.
16 Siehe Fußnote 1. 17 Dieter Mersch, a.a.O.
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Übersetzen als Praktik Um diese Akte des Übersetzungshandelns zu beschreiben, ist es notwendig, so die These dieses Beitrages, sich auf die Praktiken des Übersetzens zu konzentrieren. Wie vollzieht sich die Übersetzung und wie lassen sich die ästhetischen Praktiken des Übersetzens und ihre performativen Effekte untersuchen? Der Ansatz, der im Folgenden skizziert wird, ist eine Praxeologie des Übersetzens. Mit dieser Denkrichtung wird es möglich, den Übersetzungsbegriff über seine latente Sprachauszeichnung hinaus auf alle kulturellen Transformationen auszuweiten (z.B. Text/ Bild; Musik; Theater/Performance, Tanz/Film etc.). Ein praxeologischer Zugang stellt die Frage, wie sich diese komplexen kulturellen Austausch- und Aushandlungsprozesse vollziehen. Er konzentriert sich also auf die, den kulturellen Übersetzungen zugrunde liegenden, alltäglichen und körperlich gebundenen Praktiken. Der Begriff der Praktik ist dabei nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Praxis, der von Kant, Hegel, Feuerbach und Marx in die philosophische Debatte eingeführt wurde und die sinnliche oder gegenständliche Tätigkeit des Menschen meint. Praktiken hingegen sind „sinnhaft regulierte Körperbewegungen, die von einem entsprechenden impliziten, inkorporierten Wissen“ und von regelmäßigen „Verhaltensroutinen im Umgang mit Artefakten [...] abhängen.“18 Sie basieren auf einem vielschichtigen kollektiven Wissen. Dieses ist weniger ein Know-what als ein Know-howWissen, „weniger ein mental Gewusstes/Bewusstes, sondern [...] ein durch körperliche Übung Inkorporiertes“�19 Wissen zu verstehen. Praktiken setzen also nicht den Körper voraus, oder anders gesagt: ein Körper führt nicht Praktiken aus oder auf. Vielmehr „steckt der Körper in den Praktiken“20. Praktiken des Übersetzens zeigen sich in ihrer Situiertheit, also in ihrer Materialität und Körperlichkeit – anders also als bei einem semiotischen Ansatz, der sich auf die Zeichen- und Symbolsysteme von Tänzen richtet. In diesen praktischen Situationen zeigt sich praktisches Können und implizites Wissen von Körpern. So hat z.B. der über das tägliche Balletttraining und über die spezifische Rechercheweise geschulte Körper der Tänzer des Tanztheater Wuppertal ein praktisches Können entwickelt, das die Tänzer in den Recherchephasen abrufen können. Dieses beruht auf einem über Erfahrung gewonnenen Wissen, das ein implizites Wissen ist, insofern als das Können in der Situation nicht reflektiert wird. Damit geraten Aktivitäten, das Tun in den Blick: Praktiken des Aufwärmens, des Trainierens, des Improvisierens, des Recherchierens, des Notierens und Aufzeichnens, des Komponierens, des Choreografierens etc. Dieses Ensemble von Praktiken ist entlang kollektiv geteilter, praktischer Wissensformen organisiert, die als körperliches und implizites Wissen immer auch Differenz erzeugen: So ist nicht nur die Arbeitsweise des Tanztheater Wuppertal und damit das praktische Know-how von anderen Tanzgruppen verschieden. Vielmehr bringt die Durchführung der Praktiken selbst andere Körper und Subjektivitäten hervor. Praktiken des Übersetzens von Bewegung sind demnach als ein Bündel körperlicher und mentaler Aktivitäten zu verstehen, wobei das Mentale in Praktiken registriert, ratifiziert, bestätigt und beobachtbar wird.
18 Andreas Reckwitz: „Praktiken und Diskurse: Eine sozialtheoretische und methodologische Relation.“ In: Herbert Kalthoff, Stefan Hirschauer, Gesa Lindemann (Hrsg.): Theoretische Empirie. Die Relevanz qualitativer Forschung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008, S. 188–209: 192. 19 Reckwitz: a.a.O., S.45. 20 Stefan Hirschauer: „Praktiken und ihre Körper. Über materielle Partizipanden des Tuns.“ In: Karl H. Hörning, Julia Reuter (Hrsg.) Doing Culture. Zum Begriff der Praxis in der gegenwärtigen soziologischen Theorie, Bielefeld: transcript 2004, S. 75.
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Aus dieser Perspektive wird auch erklärbar, dass die Übersetzung von Bewegung nicht primär als eine intentionale Handlung verstanden werden kann, als ein Prozess, bei dem die Bedeutung von Bewegung transferiert wird. Vielmehr lässt sich, und dies ist eine These dieses Beitrages, die Übersetzung von Bewegung als ein „doing dance“ (nicht als ein acting) verstehen. Es ist ein unmittelbar körperlicher Vorgang, der praktisch über die Arbeit an der Form erzeugt wird. „Eine (tänzerische, G.K.) Handlung muss in Gang gesetzt werden, sie verlangt nach einem Impuls und einem Sinnstiftungszentrum. Daher fragt man nach ihr mit Warum- und Wozu-Fragen. Eine (tänzerische, G.K.) Praxis hingegen läuft immer schon, die Frage ist nur, was sie am Laufen hält und wie ‚man‘ oder ‚Leute‘ sie praktizieren: Wie ist es zu tun?“21 Dieses Wie nimmt nicht nur die Körper der Tanzenden in den Blick. In dem Wie ist vielmehr schon das Verhältnis der Praktiken zu den materiellen Artefakten angelegt, z.B. zu den Räumen, Materialien, Requisiten, Bühnenbildern oder Kostümen. Eine praxeologische Perspektive unterläuft die Dichotomie zwischen einer Subjektund Objektwelt, indem sie die Mitwirkung der Artefakte an körperlichen Praktiken der Übersetzung berücksichtigt.22 Pina Bausch war auch Pionierin darin, das Verhältnis von materiellen Artefakten und tänzerischen Praktiken zu thematisieren, es körperlich zu machen und dafür eine ästhetische Form zu finden. Rolf Borzik, der von 1973 bis zu seinem Tod 1980 Bühnenbilder und Kostüme entwarf und entscheidend die Ästhetik des Tanztheaters mitprägte, verstand die Bühne als einen Aktionsraum. Seinen Entwürfen ist eine Raumdramaturgie unterlegt, die den Raum als einen „Agenten“ versteht, der mit den Tänzern interagiert, als einen Raum, der für die Tänzer Risiken in sich birgt und Widerstand hervorruft: Der Torf auf der Bühne in Sacre du Printemps, der den Tanzboden für die Tänzer unberechenbar macht, weil er immer anders ist, wo auch immer in der Welt bislang Sacre getanzt wurde. Oder: Die in den Boden gesteckten Nelken in dem gleichnamigen Stück, die das Gehen erschweren und verunsichern. Oder: Die umgestürzte Mauer in Palermo Palermo, die die Tänzer zu vielen Sprüngen und Balanceakten zwingt. Oder: Das Wasser auf dem Tanzboden in Vollmond, dass die Kleider nass und schwer macht und damit die Bewegungen der Tänzer verändert – und auch anders aussehen lässt. All diese materiellen Artefakte der Bühne – Erde, Wasser, Laub, Steine – sind nicht vornehmlich Repräsentationen von Natur, sie stellen nicht nur und nicht primär etwas dar und aus, sondern vor allem stellen sie etwas her. Sie verändern Bewegungen, erzeugen Gerüche, provozieren Geräusche – sie machen andere Bewegungen. Sie sind übersetzt auf die Körper der Tänzer. Tanzkörper und Materie erscheinen hier als untrennbar miteinander verbunden. Genau hierin, in dem physischen Aussetzen der Körper an die Dinge, bestand vielleicht auch die politische Radikalität von Bauschs Ästhetik.
21 Hirschauer, a.a.O., S. 73. 22 Vgl. Bruno Latour: Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007.
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Politiken des Übersetzens Bislang ist in diesem Text das Verhältnis von Bewegung und Übersetzung vor allem durch drei Präpositionen skizziert worden: Übersetzung durch, Übersetzung in und Übersetzung als Bewegung. Diesen drei Bezugnahmen sind eine metaphorische Offenheit und ein poetisches Potential eigen. Alle drei Bezugnahmen prädestinieren den Begriff der Übersetzung für die Beschreibung künstlerischer Prozesse, zumal die Übersetzung selbst immer etwas Ästhetisches und damit auch immer, folgt man dem Philosophen Jacques Rancière23, etwas genuin Politisches ist. Auch hinsichtlich des Politischen sind kulturelle Übersetzungen immer einer Ambivalenz ausgesetzt und darauf soll sich abschließend die Aufmerksamkeit richten: Auf der einen Seite bergen sie ein politisches und emanzipatorisches Potential, da Übersetzungen Wege des Aushandelns von Differenzen darstellen und Potentiale zur Überwindung hegemonialer Verhältnisse in sich bergen. Auf der anderen Seite gibt es den damit korrespondierenden Aspekt der kulturellen Übersetzung: Autorität zu etablieren, sich etwas zu eigen zu machen, hegemoniale Verhältnisse zu stabilisieren und zu re-aktualisieren. Dies ist der hegemoniale Aspekt des Übersetzens, der in der Debatte um kulturelle Übersetzung in den Künsten mitunter vernachlässigt wird. Ob ein Gemälde von Vanmeer, ein Musikstück von Bach, ein Theaterstück von Shakespeare oder der Nussknacker von Tschaikowsky – bei allen Kunstwerken, die global als Kunst etabliert wurden, geht es immer auch um die Etablierung kultureller Autorität. Oder wenn populäre Tänze aus anderen Kulturen, wie Tango Argentino, Son zu Salsa, Rock ’n’ Roll von den deutschen Tanzlehrerverbänden an das Korsett der europäischen Tanzkultur angepasst wurden. Oder wenn beispielsweise Hip-Hop in den Kontext zeitgenössischen Tanzes aufgenommen wird, als Street Art, dann zeigt sich hier nicht nur das paradoxale Verhältnis von Identität und Differenz und die politische Doppelgesichtigkeit der Grenze, nämlich Trennung und Überwindung zugleich zu sein. In diesem Prozess der In- und Exklusion manifestiert sich auch die hegemoniale Seite des Übersetzens – doch selbst hierin liegt eine Produktivität.24 Denn auch in und durch diese politischen Praktiken der In- und Exklusion sind durch Übersetzungen neue choreografische Formen und tänzerische Stile entstanden. Politiken des Übersetzens zeigen sich in den Praktiken, in den Akten der Aushandlung. Umgekehrt verweisen Praktiken des Übersetzens auf die politische Dimension der künstlerischen Praxis und den politischen Ort der Kunst. Übersetzen meint auch hier „nicht einfach vermischen, sondern strategische und selektive Aneignung von Bedeutungen, Raum schaffen für Handelnde“.25 Genau hierin zeigt sich die Relevanz, Übersetzung von Bewegung als empirisches Projekt anzulegen, provoziert doch eine Praxeologie des Übersetzens Akte des Aushandelns als eine Praxis des Politischen an der Grenze zwischen ästhetischer Praxis und Diskurs zu verstehen. Die Diskurse, in die die ästhetischen Prozesse übersetzt werden müssen, stehen dabei immer unter Vorbehalt: Der Übersetzung des Unübersetzbaren. Sie verfehlen, sie setzen ein Anderes, sie können nicht mit ästhetischen Prozessen identisch sein. Diese unaufhebbare Alterität zwischen den ästhetischen und den diskursiven Praktiken bedeutet eine Grenze zu wahren, d.h. einerseits, den Eigensinn, die Eigenlogik des Ästhetischen zu verteidigen, wie andererseits an den Praktiken diskursiver Setzungen zu arbeiten. Übersetzungen sind auch hier eine Praxis des Aushandelns.
23 Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. 2. Aufl., Berlin: PolYPpeN 2008. 24 Mersch, a.a.O. 25 Homi K. Bhabha. In: Über kulturelle Hybridität, a.a.O., S. 13.
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wilde Gärten. archivieren als übersetzen Gabriele Klein / Marc Wagenbach
Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten. Walter Benjamin1
Was archivieren? Das Pina Bausch Archiv besteht aus einer Fülle unterschiedlicher Materialien. Mehr als 7.500 Videos von Aufführungen, Bänder zu Proben und Research-Phasen des Tanztheater Wuppertal in der ganzen Welt. Originale, Kopien, Kopien der Kopien, Fragmente einzelner Aufzeichnungen. Aufnahmen in der Totalen – oftmals aufgenommen mit einer Hauskamera in einem dunklen Theaterraum irgendwo auf der Welt. Oder Filmmitschnitte. Dokumentationen über die Arbeit des Tanztheaters. Berichte. Fernsehreportagen. Vorankündigungen. Band für Band. Format für Format. Bild für Bild. Seit den frühen 1970er Jahren. Die Bänder liegen vor als Open Reel-Videoformate, als Umatic, Hi8, VHS, Digibeta oder als Digital Files. Es sind filmische Versuche, das Gegenwärtige zu dokumentieren – es zu historisieren. Entstehungsgeschichten und Aufführungen einer Choreografie von Pina Bausch zu dokumentieren, um nicht zu vergessen. Proben, Uraufführungen, Wiederaufnahmen, Gastspiele. Medien- und Tanzgeschichte in einem Koffer mit 102 Bändern. Allesamt Fragmente eines künstlerischen Schaffensprozesses von mehr als vierzig Jahren. Gesammelt mit dem Ziel: Weiter zu machen. Nicht aufzuhören. Archivieren. Geschützte Prozesse mit sensiblen Materialien. Archive. Geschützte Orte von schriftlichen Aufzeichnungen und Überlieferungen von Probenprozessen: Pina Bauschs Manuskripte und Blättersammlungen. Ihre unzähligen weiß gelochten DIN A4-Zettel, auf denen sie mit Bleistift eine Szene während des Entstehungsprozesses notierte, ihr einen Namen gab, jeweils ganz oben auf einem Blatt, mit Büroklammern fixiert, um stetig geändert werden zu können. Zwischenstände. Bestandsaufnahmen. Stets unfertig. Überarbeitet und neu kombiniert am nächsten Tag.
1 Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. In: Rolf Tiedemann (Hrsg.): Gesammelte Schriften, Bd. V. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1982, S. 596.
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Produktionsmaterialien sammelte Pina Bausch anhand ihrer Stücke in chronologischer Reihenfolge. Bestimmt von dem Wunsch, ein Stück wieder auf die Bühne bringen zu können. Es wiederaufzunehmen. Es am Leben zu erhalten. Es sind Registraturen der Zeit, Inventuren einer Materialität von Dingen, Festschreibungen von Abläufen: technische Bühnenanweisungen, Lichtpläne, GEMA-Listen, Inspizientenaufzeichnungen, Dokumentationen zu Bühnenbildern, Kostümen, Requisiten. Angaben zur Beschaffenheit von Torf, zu Wassermengen, zur Farbe von Blumen. Beschreibungen eines engen Netzwerkes diverser Akteure und Beziehungen auf der Bühne. Ein Ortungssystem entstehender Atmosphären. Tänzeraufzeichnungen. Notizen von Tänzer-Generationen zu ihren Platzierungen auf der Bühne. Rollenbeschreibungen. Notationen eigener Eindrücke, auf karierten, linierten Blättern – mit Kuli, Blei- oder Farbstift, mit Schreibmaschine. In unterschiedlichen Versionen. Mit kleinen Skizzen oder sprachlichen Beschreibungen: Angaben zu Räumen, Informationen zu Gängen, Auflistungen von Abfolgen. Jeweils anders. Radikal subjektiv. Persönliche Blickpunkte. Programmhefte und Plakate – aus Wuppertal oder von Gastspielreisen weltweit insgesamt in 28 Sprachen aus 47 Ländern. Informationen zu Besetzungen von Tänzern, Opernsängern, Musikern und Dirigenten. Überlieferungen einer globalen Aufführungs- und Rezeptionspraxis des choreografischen Werkes: Vom Théâtre de la Ville in Paris, über das BAM in New York, das Teatro Alfa in São Paulo, das Sadler’s Wells in London, das LG Arts Center in Seoul, das Teatro Argentina in Rom, die Zellerbach Hall UC Berkeley, das Hong Kong Cultural Centre bis hin zum Saitama Arts Theater in Tokyo. Bezugspunkte vergangener Ereignisse, die zu Seismografen innerhalb eines riesigen Netzwerkes an Erinnerungen, Stimmungen und Eindrücken werden. Pina Bausch. Die Archivarin. Pressemappen. Unzählige Kritiken, Besprechungen und Interviews weltweit. Sie selbst sammelte seit den späten 1950er Jahren Rezensionen zu ihren Auftritten als Tänzerin und zu ihren ersten Choreografien in ihrem Pressearchiv. Sie ordnete, klebte und beschriftete Blatt für Blatt. Akribisch. Praktiken einer biographischen Selbstbeschreibung. Techniken, jene Materialien zu organisieren, die sie selbst erfand. Archivieren war Teil ihres choreografischen Arbeitsprozesses, ein wesentlicher Bestandteil ihres Werkes. Es sind Versuche, das Augenblickliche und Vergängliche festzuhalten, um sich erinnern zu können, um daraus wieder eine künstlerische Gegenwart zu erzeugen. Fragment für Fragment. Detail für Detail. Situation für Situation. Fotos. Es gibt mehr als 30.000 Fotos in den unterschiedlichen Sammlungen des Pina Bausch Archivs. In Farbe, schwarz-weiß, als Dia oder Negativ. Presse-, Proben- oder Aufführungsfotos. Oder Fotos von den Research-Reisen zu den 15 Koproduktionen des Tanztheater Wuppertal oder private Fotos von Pina Bausch. Fotos von Ehrungen und Preisverleihungen. Foto, das still gestellte Bildgedächtnis eines künstlerischen Schaffensprozesses. Das Archiv versammelt Dokumente, die eine Übersetzung zwischen privater und öffentlicher Sphäre markieren, zwischen kurzen Momentaufnahmen und Bauschs fortwährendem künstlerischen Arbeitsprozess. Ihrem Leben. Wie also ein Archiv anlegen?
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Tanz und Choreografie archivieren Archiven werden gemeinhin zwei zentrale Funktionen zugeschrieben: Sie sollen einen Beitrag zum „Nachleben“ (Warburg) der Gegenwart leisten sowie einen Anspruch auf Vollständigkeit erfüllen. Beide Ansprüche sind insbesondere bei einem Archiv, das das Material zu den Arbeitsprozessen und zum Werk einer Tänzerin und Choreografin versammelt, kaum zu erfüllen. Nicht nur, weil das Werk von Pina Bausch so umfangreich ist, sondern vor allem, weil die Archivierung tänzerischen und choreografischen Materials einem grundlegenden Transfer ausgesetzt ist, nämlich dem, dass Bewegungsmaterial und choreografisches Material in Schrift und Bild übersetzt werden – und dabei der abstrakten Ordnung des Archivs folgen. Aber: Nur in und durch die Übersetzung in andere Medien ist das Fortleben der künstlerischen Arbeit von Pina Bausch möglich. Das Archiv bewegt sich also immer in dem Paradox von Identität und Differenz2. Es zielt darauf ab, das künstlerische Schaffen von Pina Bausch gegenwärtig zu halten und mit ihm identisch zu sein. Gleichzeitig erzeugt die Archivierung im Medientransfer immer schon etwas Anderes – wie auch dieses Buch, das wiederum den Prozess der Archivierung dokumentiert. Insofern ist es folgerichtig, dass das Pina Bausch Archiv das Vergangene nicht nur speichern will, sondern vor allem sein Augenmerk auf die Vielstimmigkeit und Dynamik des Archivierens legt und den Prozess des Archivierens selbst in den Mittelpunkt rückt. Denn dieser Prozess bringt nicht nur in dem Medium der Aufzeichnung seinen Gegenstand erst hervor, sondern demonstriert auch, dass das Archiv nicht primär auf Repräsentation von etwas Vergangenem abzielt, sondern eine performative Angelegenheit ist. Ein Archiv ist immer anders, abhängig davon, wie die dort versammelten Materialien gesichtet, geordnet, gelagert, recherchiert, gesucht, gefunden, interpretiert werden. Ein Archiv ist somit immer auch etwas Bewegliches. Es besteht aus einem Ensemble von Praktiken des Archivierens und es entsteht immer neu in den Praktiken des Umgangs mit den archivierten Materialien. Mit der Vorstellung der Performativität und Beweglichkeit von Archiven gerät auch ein anderes Moment der Archivierung in den Blick: Auf Kosten der Ansprüche auf Universalität und Vollständigkeit gewinnen Aspekte des Ungeordneten, des Nicht-Abgeschlossenen, des Vielstimmigen, des Abwesenden, des Verborgenen an Bedeutung. Es sind Aspekte, die nicht nur den Phänomenen Tanz und Bewegung entgegenkommen, sondern auch der Arbeits weise entsprechen, für die Pina Bausch u.a. berühmt geworden ist: Das Work in Progress, die Vielstimmigkeit und Unabgeschlossenheit ihrer „Stücke“ sowie das Fragen-Stellen, das die Tänzer und Tänzerinnen zu Antworten aufforderte, die sie wiederum dokumentierten – und damit, neben den Videoaufnahmen, den Musikrecherchen, den Kostümen, den Aufzeichnungen von Pina Bausch weitere Perspektiven auf den Probenprozess hinzufügten. Insofern versammelt das Pina Bausch Archiv Materialien, bei denen nicht nur das Aufgezeichnete selbst, sondern auch die Art und Weise der Aufzeichnung des choreografischen Prozesses entscheidend ist. Das Archiv ist somit ein Ort der Übersetzung zweiter Ordnung, ist die Aufzeichnung – in Bild, Schrift, Ton, Text – doch schon selbst ein zentraler Bestandteil des choreografischen Schaffens3, der nunmehr in einem weiteren Schritt der Archivierung neu zusammengefügt wird.
2 Zu dem Konzept der Übersetzung siehe ausführlicher den Text von Gabriele Klein in diesem Band. 3 Zum Zusammenhang von Choreografie und Aufzeichnung siehe: Gabriele Klein: „Zeitgenössische Choreografie.“ In: Dies. (Hrsg.): Choreografischer Baukasten, Textband. Bielefeld: transcript 2011, S. 14–77.
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Prozessualität und Teilhabe sind von daher nicht nur Stichworte, die die künstlerische Arbeitsweise von Pina Bausch auszeichnen, sondern auch Prinzipien, die die Archivarbeit kennzeichnen. Wie die „Stücke“ selbst, die erst in der choreografischen und szenischen Zusammenstellung der einzelnen Bilder und Soli, die die Tänzer und Tänzerinnen entwickelt hatten – in Verbindung mit Bühnenbild, Musik und Kostümen – ihre Kraft fanden, wird auch das archivierte Material seinen Gegenwartsbezug erst durch spezifische Politiken des Zeigens und Sichtbarmachens erhalten. Und hierbei wird das Archiv, verstanden als die Ordnung des Klassifizierens, Dokumentierens und Archivierens, immer nur in Ausschnitten gegenwärtig sein, niemals als Repräsentation des Ganzen. Es ist eher ein Raum von Möglichkeiten, ein Ort der Suche des Verborgenen, ein Archiv des Abwesenden – des Ensembles der Praktiken, die tänzerische und choreografische Praxis ausmachen: Recherchieren, Probieren, Improvisieren, Aufzeichnen, Komponieren, Choreografieren, Trainieren, Aufführen, Rekonstruieren, Wiederaufnehmen. Ein Archiv ist immer mit Erwartungen und Ängsten konfrontiert: Welche Materialien werden zu Tage treten? Was wird öffentlich gemacht? Was bleibt im Verborgenen? Wer kann Einblick nehmen? Wo und wie kann man Archivmaterial anschauen? Kann ein Archiv das Schaffen und Werk von Pina Bausch lebendig halten? Lassen sich Tanz und Choreografie überhaupt archivieren? Lassen sich künstlerische Fähigkeiten archivieren? Wird man die spezifischen Kompetenzen der Tänzer und Tänzerinnen des Tanztheater Wuppertal jemals über Archivmaterial erschließen können? Welchen Status hat das Archivmaterial in Relation zur Erinnerungskultur der beteiligten Tänzer und Tänzerinnen, der Kostümbildner, der musikalischen Mitarbeiter, des Bühnenbildners, des Inspizienten etc.? „Die Archivierung bringt das Ereignis in gleichem Maße hervor, wie sie es aufzeichnet“4, schreibt Jacques Derrida und bringt damit eine Befürchtung zum Ausdruck, die er mit der politischen Kritik an den Informationsmedien verbindet, sind doch die Massenmedien es, die ein Ereignis nicht abbilden, sondern erst erzeugen, indem sie es in Szene setzen. Es ist eine Befürchtung, die jene teilen, die den Status der Gegenwärtigkeit und Flüchtigkeit des Tanzes betonen und die Ko-Präsenz der Akteure bei einem Theater- und Tanzereignis voraussetzen. Nur hierüber – über seine Gegenwärtigkeit und Präsenz – sei Tanz begreifbar. Tanzgeschichte wäre demnach nur über die Geschichte der Körper der Tanzenden und ihres Publikums zu erschließen. Sie wäre ein Einschreiben in die Körper als gelebte Erfahrung und damit unmittelbar (alleinig) an das kommunikative Gedächtnis gebunden. Archivierung hingegen markiert Ketten der Überschreibung. Es sind technische und kulturelle Transferleistungen, Versuche der De- und Rekontextualisierung. Sie vollziehen sich bewusst und unbewusst zugleich. Archivierung, verstanden als die Übersetzung des Unübersetzbaren5, stellt instabile Netzwerke unsicherer Erinnerung her und macht das Archiv zu einem „schwimmenden Gedächtnis“6.
4 Jacques Derrida: Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression. Berlin: Brinkmann und Bose 1997, S. 7. 5 Siehe Gabriele Klein in diesem Band. 6 Christoph Schlingensief: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Tagebuch einer Krebserkrankung. Köln: Kiepenheuer und Witsch (6. Aufl.) 2009. Hier spricht er bezogen auf Erik Kandel von einem „schwimmenden Gedächtnis“: „Kandel ist der Entdecker dieses Proteins, das eine wichtige Funktion beim Erinnern spielt. Dieses Ding, so sagt er, ist die Erklärung dafür, dass das Gedächtnis schwimmt und man sich niemals an eine Sache exakt gleich erinnert. Vielleicht an Zahlenkolonnen, aber eben nicht an Geschichten, an Erlebnisse. Es wird immer etwas anderes daraus.“ S. 146.
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Digitale Archivierungen Was passiert, wenn kollektive Erinnerung in Fragmente zerfällt? Wenn Informationen sich auf diverse Personenkreise und Trägermedien verteilen: von Servern, Festplatten bis hin zu Tänzern, Assistenten, Bühnentechnikern, zur Administration? Wie kann man eine Aufführung eines „Stückes“ von Pina Bausch in digitale Medien übersetzen? Was geschieht mit den Materialien, wenn diese zusammengetragen, digitalisiert und aus ihnen unzählige komprimierte und nicht-komprimierte Datenfiles generiert werden? Wenn sie zu Datenformaten werden losgelöst von sinnhaften Produktionszusammenhängen? Um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert hat der kulturelle und wissenschaftliche Diskurs um Archive und Praktiken der Archivierung auch im zeitgenössischen Tanz an Aktualität gewonnen.7 Nicht zufällig geschieht dies in einer Zeit, in der digitale Medien wesentliche Funktionen bei der Speicherungs- und Datenverarbeitung übernommen haben. Auf digitalen Medien beruhen einerseits die Hoffnungen und Visionen neuer Formen der Archivierung und mit ihnen neue Konzepte der Institutionalisierung von Archiven. Diese Hoffnungen beziehen sich aus den Kapazitäten digitaler Medien, hohe Datenmengen in kürzester Zeit transportieren und speichern zu können und überall auf der Welt digital zugänglich zu machen. Andererseits provozieren diese Möglichkeiten digitaler Medien auch Ängste. Denn wenn die Archivierung von digitalen Daten einfacher geworden ist, wenn das Archiv keinen physischen Ort mehr hat sondern von überall ein „Zugriff“ möglich ist, wird nicht nur die Frage, ob es eine Auswahl des archivierungsbedürftigen Materials geben soll und wer diese ggf. trifft, zum brennenden Problem. Mit digitalen Medien sind zugleich die Kontrolle und der Missbrauch der Daten einfacher geworden. Digitale Medien stellen von daher die mit Archiven insgesamt einhergehenden Themen von Macht, Kontrolle und Missbrauch in einer anderen Weise dar. Aber nicht nur aufgrund technischer Entwicklungen, die sich in der Digitalisierung von analogen Bild- und Schriftmedien zeigt, gewinnt die Debatte um Archive an Aktualität. Ihre kulturelle Relevanz bezieht sie aus scheinbar widersprüchlichen Phänomenen. Beispielsweise aus der mit der Schnelligkeit digitaler Kommunikation einhergehenden Musealisierung der Gesellschaft, aus der Frage, was im Kontext von Globalisierung als nationales und lokales Erbe angesehen wird, aus der Kapazität des menschlichen Gedächtnisses im Verhältnis zu digitalen Gedächtnisspeichern oder aus der Debatte um die Bedeutung von Erinnerungskulturen in Zeiten von flüchtigen und schnelllebigen Informationen.
7 Vgl. z.B. Inge Baxmann (Hrsg.): Körperwissen als Kulturgeschichte. Die Archives Internationales de la danse (1931–1952). München: Kieser 2008; Christina Thurner, Julia Wehren (Hrsg.): Original und Revival. Geschichtsschreibung im Tanz. Zürich: Chronos 2010; Gabriele Brandstetter, Gabriele Klein (Hrsg.): Dance [and] Theory. Bielefeld: transcript 2013; Thom Hecht: Dancing Archives – Archive Dances. Bielefeld: transcript 2013.
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Gerade das Pina Bausch Archiv steht in Bezug auf die Generierung eines kulturellen Erbes vor großen Herausforderungen, dies nicht nur, weil es bislang keine Vorbilder für Archive von Choreografen des 20. Jahrhunderts gibt, so dass die Pina Bausch Foundation hier Pionierarbeit leistet. Auch ist das Ensemble selbst eine globalisierte Gruppe, die Tänzer und Tänzerinnen aus mehr als 20 Nationen versammelt, die in über 40 Länder gereist ist und zugleich lokal an Wuppertal, die „Alltagsstadt“ (Pina Bausch) gebunden war und ist. Und schließlich umfasst das Tanztheater Wuppertal insgesamt drei Tänzergenerationen, die Tänzer und Tänzerinnen sind selbst „lebende Archive“, die ihre Erfahrung und Erinnerung von Generation zu Generation weitergegeben haben und weitergeben. Das Archiv versammelt u.a. also Materialien, die Proben und Research-Prozesse von 40 Jahren gemeinsamer Arbeit festhalten, also sensible und vertrauliche Materialien sind, die nicht nur die spezifische Arbeitsweise des Tanztheater Wuppertal dokumentieren, sondern auch die Improvisationen aller Tänzer und Tänzerinnen in Bild und Schrift festhalten. Diese Formen des kommunikativen Gedächtnisses werden nun im Rahmen von Archivierungsprozessen zu Strukturen eines kulturellen Gedächtnisses ins Verhältnis gesetzt. Auch hier stellen sich die Fragen von Authentizität, Autorität, Wahrheit und Macht.
Archivieren als Übersetzen Digitale Archivierung ist ein besonderer Prozess der medialen Übersetzung. Er birgt die medientheoretische Generalthese in sich, dass Medien das, was sie transportieren, zugleich auch hervorbringen. Mit dieser Generalthese ist die Frage gestellt, wie der Transport stattfindet und wie sich Generierungsprozesse im Digitalen vollziehen. Es geht also um die Frage der Übersetzung und damit eines Konzeptes, dem bislang vor allem sprachtheoretische Relevanz zukam, das jedoch im letzten Jahrzehnt kulturwissenschaftlich umgedeutet wurde8 und auch in der medienwissenschaftlichen Diskussion an Bedeutung gewonnen hat. So hat der Vorgang der Übersetzung seinen Niederschlag zum Beispiel im Konzept der (intra- und intermedialen) „Transkriptivität“9 gefunden, das eine „symbolische Operation wechselseitiger intermedialer Um-, Ein- und Überschreibungen“10 bezeichnet. Oder auch im Konzept der „Remediatisierung“11, das die grundsätzliche zyklische Abhängigkeit der Medien voneinander betont, in denen diese sich gegenseitig imitieren, überbieten oder anderweitig wiederholend aufgreifen und derart die Grenzen einzelner Medien ebenso stabilisieren wie unterlaufen. Schließlich ist das Konzept der medialen Übersetzung verankert in der Idee der Rekursivität von Verfahren12, der zufolge in medialen Transformationen im Zuge einer rekursiven Selbstverarbeitung eine Eigenlogik entsteht13. Folgt man diesen Ansätzen handelt es sich bei der Archivierung im Digitalen nicht nur um die Koordination technischer Prozesse der Digitalisierung von Daten. Vielmehr ist dieser Vorgang zum einen selbst ein kultureller Prozess, der sich zwischen digitalen und physischen Welten ereignet. Zudem ist Digitalisierung ein performativer Prozess, insofern in der Übertragung in digitale Modelle nicht ‚Realität‘ abgebildet, sondern etwas Neues erzeugt wird.
8 Vgl. den Text von Gabriele Klein in diesem Band. 9 Vgl. Ludwig Jäger: „Die Verfahren der Medien: Transkribieren – Adressieren – Lokalisieren.“ In: Jürgen Fohrmann, Erhard Schüttpelz (Hrsg.): Die Kommunikation der Medien. Tübingen: Niemeyer 2004, S. 69–79; Ders.: „Intermedialität – Intramedialität – Transkriptivität.“ In: Arnulf Deppermann, Angelika Linke (Hrsg.): Sprache intermedial. Stimme und Schrift, Bild und Ton. Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2009. Berlin, New York: de Gruyter 2010, S. 301–324; Ders: „Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen.“ In: Sybille Krämer (Hrsg.): Performativität und Medialität. München: Fink 2004, S 35–73. 10 Jäger 2004. 11 Vgl. Jay David Bolter, Richard Grusin: Remediation. Understanding New Media. Cambridge, London: The MIT Press 2000. 12 Vgl. Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997. 13 Vgl. Ludwig Jäger: „Vom Eigensinn des Mediums Sprache.“ In: Dietrich Busse, Thomas Nier, Martin Wengeler (Hrsg.): Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Semantik. Tübingen: Niemeyer 2005, S. 45–64.
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Jede Materialschicht benötigt seine eigene Strategie der Konservierung sowie eine passende digitale Beschreibung. Material wird gesammelt, erfasst, digitalisiert, katalogisiert – es wird zunächst festgehalten, was man sieht. Wort für Wort, Schreibfehler für Schreibfehler, Satz für Satz. Materialsammlungen unterschiedlichster Autoren. Geschrieben von Pina Bausch, aber auch von Generationen von Assistenten, Mitarbeitern und Tänzern. Aber ist dies alles? Was gilt es noch zu beschreiben? Wie kann ein sich stets in Bewegung befindliches filigranes Netzwerk von Akteuren, von Dingen und Praktiken – wie ein „Stück“ von Pina Bausch – in einem digitalen Umfeld beschrieben werden? Produktionsabläufe? Oberflächen von Materialien? Oder Texturen von Kostümen? Wie nähert man sich der Beschreibung eines Bühnenbildes? Welche Requisiten nimmt man auf: auch Wasserflasche, Müll oder Lebensmittel? Ein „Stück“ ist ein künstlerisches Werk, es entsteht aber immer auch erst in der Wahrnehmung des Publikums – und hier ist es oft anders. Kann man Empfindungen digitalisieren? Gerüche, die der Torf erzeugt? Das Spüren der sanften Brise, das durch das Wasser auf der Bühne entsteht? Wie soll dieses kinästhetische Empfinden digitalisiert werden? Was ist die Funktion dieser Daten? Und wie sieht eine mögliche konkrete Weitergabe aus? Und was macht man mit widersprüchlichen Informationen, von verschiedenen Akteuren, in Programmheften und auf Plakaten? Wie lassen sich Strategien des Übersetzens finden, um diesen höchst komplexen Sachverhalt der Archivierung eines „Stücks“ von Pina Bausch näherzukommen und um dadurch einen heterogenen Bestand erst erschließen und beschreiben zu können? Geschehen kann dies mit Hilfe der Analyse von Prozessen, der Frage nach Routinen, nach Praktiken künstlerischer Produktion und Rezeption. Archivieren und historiografieren gehen hier Hand in Hand. Wie generieren sich Produktionsabläufe beispielsweise in der Arbeit von Pina Bausch? Welche Funktion haben spezifische Referenzsysteme wie Video, Regiebücher, Notizen von Tänzern innerhalb der Prozesse des Erinnerns eines „Stückes“? Wie erinnern Zuschauer – überall auf der Welt und in verschiedenen historischen Phasen – ein „Stück“, z.B. Frühlingsopfer, das seit über 35 Jahren in mehr als 37 Ländern mehr als 250 Mal getanzt wurde? Aber auch Fragen nach den Grenzen der digitalen Übersetzung sind angebracht: Was können diese Materialien nicht leisten? Wie beschreibt man dieses ‚Loch‘, diese ‚Leerstelle‘ an Informationen, die nur durch einen direkten Transfer von Tänzer zu Tänzer, von Körper zu Körper geschieht? Wie übersetzt man sie? Was bedeutet es, unterschiedlichste Referenzsysteme zu versammeln und gleichzeitig zu wissen, dass es nicht ausreichen wird? Nicht genug ist. All dies sind wesentliche Fragestellungen einer Best Practice der Archivierung im Digitalen. Sie ergeben sich aus dem Anliegen, das performative Erbe von Pina Bausch zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu erhalten und weiterzugeben, so dass in performativen Prozessen etwas Neues entstehen kann. Vielleicht wird das der medialen Übersetzung innewohnende Prinzip des Scheiterns vor allem augenfällig in der Übertragung von Tanz und Choreografie, in der Diskussion über ein performatives Erbe, beruht dieses doch auf dem Wissen, dass die Übersetzung immer nur Referenz bleibt und Verweise auf das Abwesende markiert, auf das was nicht da ist, nicht gegenwärtig, aber was da war und vielleicht wieder da sein wird. An etwas, dass nur anders sein kann.
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Archivierung setzt die Beschreibung und Reflexion von Arbeitsprozessen voraus. Sehen, woher beispielsweise Bewegungen stammen. Wie sie entstanden sind. In der Probe oder auf der Bühne? In Wuppertal oder irgendwo auf der Welt? Wie entstehen performative Netzwerke auf der Bühne? Analysen im Zeitraffer. Wann ereignete sich etwas innerhalb des Probenprozesses? Welche Materialien wurden dabei generiert? Wie sahen beispielsweise die Produktionsorte aus? Diese Fragen berühren Transferleistungen. Es sind Verortungen von Zeit und Raum, Übersetzungsstrategien für ein digitales Umfeld. Gewachsenes Wissen. Vorhandenes Wissen. Geordnet und ungeordnet zugleich. Permanentes Fragen. Bestandsaufnahmen. Die Suche nach einer eigenen Sprache, einer kulturellen Form im Digitalen: einer Ontologie.14 Wann gab Pina Bausch beispielsweise den „Antworten“ ihrer Tänzer auf die von ihr gestellten Fragen einen „Titel“? Welche Arbeitsschritte waren davor? Und wie kann man all die weißen mit Bleistiftschrift beschriebenen und mit Büroklammern zusammengehaltenen Blätter dazu in Beziehung setzen? Sie zeitlich verorten. Aus den „Titeln“ wurden Abläufe. Aus den Abläufen wurden Sequenzen. Und aus Sequenzen wurden Stücke. Stets verändert. Bruchstückhaft. Es sind choreografische Übersetzungen erster Ordnung: Notationsversuche von Prozessen, Praktiken, von Bewegung. Aus den „Titeln“ von Pina Bausch wurden im digitalen Umfeld Strukturen digitaler Information, Raster für die Beschreibungen von Sequenzen, Zuordnungen theatraler Situationen. Es sind Übersetzungen zweiter Ordnung: Prozesse nachzeichnen, um sie zu transferieren, in etwas Anderes zu überführen, in digital erzeugte Formen von Prozessualität.
Archive als Begegnungsstätten Digitale Archive finden ihre Verankerungen nicht nur im digitalen Raum. Sie sind immer ein Verbund von digitalen und physischen Räumen, von Technik und Kultur, von Virtualität und Materialität, von Absenz und Präsenz. Diese Wechselverhältnisse werden seit Beginn des 21. Jahrhunderts offensichtlich. Seitdem entstehen aufgrund der rasanten und globalen Mobilisierung des Internets hybride Transgressionen: Im Kontext massenmedialer Alltagskultur werden Strategien der Archivierung und Inszenierung des Selbst zu dominanten Kulturtechniken. Besonders im Bezug auf urbane Metropolen erweisen sich digitale Informationen als omnipräsent. Auf Smartphones und anderen Devices wird das Selbstimago akribisch festgehalten und zeitgleich ins Netz gestellt: Gegenwärtige Strategien einer autobiographischen Selbsthistorisierung.
14 Siehe den Text von Bernhard Thull in diesem Band zur Entwicklung einer „Pina Bausch Archive Ontology“ (pbs) – eines „descriptive tools“ für die Beschreibung von Performance im Kontext des Aufbaus eines digitalen Pina Bausch Archivs.
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Archive sind immer auch Orte der Erinnerung, aber auch der Gegenwart und der Zukunft. Wie lassen sich digitale Archive als neue Kommunikations- und Rezeptionsräume gestalten? Anders gefragt: Wie gestaltet sich ein ästhetisches Erleben im Zusammenspiel mit den digitalisierten Materialien? Diese Fragen berühren die Relokalisierung von „Stücken“ in Form digitaler Information. Archive sind Begegnungsstätten zwischen Digitalem und Physischem, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zwischen unterschiedlichen Materialitäten: Hier in diesen hybriden Transgressionen zeigt sich das Archiv als eine Übersetzung dritter Ordnung. Der Wunsch nach physischen Begegnungsstätten, nach Laboren der Erinnerung, beschreibt eine gegensätzliche Position zur allseits propagierten Debatte über eine uneingeschränkte Vernetzung digitaler Daten, zu einem Auflösen im digitalen „space of flow“ (Castells), zu einer Nicht-Thematisierung der Orte digitalen Erlebens.�15 Aber in welchen kulturellen oder räumlichen Kontexten werden Informationen rezipiert? Wie und wo werden sie zu zentralen Koordinaten eines ästhetischen Erlebens im Umgang mit digitalem Material? Archivierung ist ein nie endender Prozess der digitalen Konservierung von Informationen. Archive sind entsprechend Orte, an denen Übersetzungsprozesse stimuliert werden können, an denen das Erinnern als ein aktiver und kreativer Vorgang erfahren werden kann, als eine Praxis, die dazu auffordert, Tanzerbe erst zu gestalten, Neues zu suchen und Prozesse fortzusetzen. Oder zu vergessen. Denn wenn die Einsicht gewachsen ist, dass gerade der Tanz die nicht zu stillende Sehnsucht des Archivs veranschaulicht, weder die künstlerische Praxis noch die Künstlerin Pina Bausch repräsentieren zu können, die Kunst im Archiv also keinen Platz findet, und wenn die auf Einheit, Vollständigkeit und Widerspruchslosigkeit des Archivs abhebende Position als Phantasma erkannt ist, dann hat das Archiv eine Chance in der Zukunft: Das Archivieren des künstlerischen Schaffens von Pina Bausch und des Tanztheater Wuppertal im Unterbrochenen und Abwesenden, im Transitiven und Transitorischen, im Unfertigen und Mittelbaren zu suchen. Tanz-Archive sind keine Orte, die Zeugnis abgeben von dem künstlerischen Schaffen oder dieses als „Kunst“ beglaubigen. Ihre Qualität beruht nicht auf ausgefeilten Ordnungssystemen, sondern eher auf dem Offenen, auf offenen Systemen, die es ermöglichen, sich dem Schatz des dort gelagerten Wissens immer neu zu stellen. Dies schafft die Voraussetzung dafür, dass das Pina Bausch Archiv nicht zum Selbstzweck gerät, sondern zu einem lebendigen Ort wird, an dem sich Historiografie als ein Vorgang des gegenwärtigen, schöpferischen Entdeckens, des Re-Formulierens, des erneuten Übersetzens, des Übersetzens vierter Ordnung, gestaltet. Denn das Übersetzen des Historiografen ist nicht nur eine Methode der Interpretation von Dokumenten, sondern, wie das Archivieren, Teil der Tanzgeschichte selbst. Nicht allein die Dokumente über ein „Stück“ von Pina Bausch schreiben dessen Geschichte fort, sondern vor allem ihr Umgang damit. Anders formuliert: Das Fortleben des „Stücks“ ist nur durch die Übersetzung möglich. Insofern besteht der produktive, zukunftsweisende Umgang mit Tradition weniger in der endgültigen Konservierung von Dokumenten, als in der permanenten Vergegenwärtigung, weniger in der endgültigen Speicherung, als in der wechselhaften, differierenden Neuauslegung, mithin weniger im Bewahren als im Bewegen.
15 Jörg Potthast: Die Bodenhaftung der Netzgesellschaft, Bielefeld: transcript 2007.
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Literatur Bausch, Pina (2007): Etwas finden was keiner Frage bedarf. The 2007 Kyoto Prize Workshop in Arts and Philosophy. Abrufbar unter: http://www.inamorif.or.jp/laureates/k23_c_pina/img/wks_g.pdf (Stand: 06.10.2013) Bachmann-Medick, Doris (2008): „Übersetzung in der Weltgesellschaft. Impulse eines ‚translational turn‘.“ In: Andreas Gipper, Susanne Klengel (Hrsg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Beiträge zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaften, Würzburg: Königshausen & Neumann, S.141–159 Baxmann, Inge (2008) (Hrsg.): Körperwissen als Kulturgeschichte. Die Archives Internationales de la danse (1931–1952), München: Kieser Benjamin, Walter (1971): „Die Aufgabe des Übersetzers.“ In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. IV/1, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Ders. (1982): Das Passagen-Werk. In: Rolf Tiedemann (Hrsg.): Gesammelte Schriften, Bd. V, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Bhabha, Homi K. (2012): Über kulturelle Hybridität: Tradition und Übersetzung, Anna Babka, Gerald Posselt (Hrsg.), Wien: Turia und Kant Bolter, Jay David, Grusin, Richard (2000): Remediation. Understanding New Media. Cambridge, London: The MIT Press Brandstetter, Gabriele, Klein, Gabriele (2013) (Hrsg.): Dance [and] Theory. Bielefeld: transcript Derrida, Jacques (1986): Positionen, Wien: Passagen Ders. (1997): Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression. Berlin: Brinkmann und Bose Hecht, Thom (2013): Dancing Archives – Archive Dances, Bielefeld: transcript Hirschauer, Stefan (2004): „Praktiken und ihre Körper. Über materielle Partizipanden des Tuns.“ In: Karl H. Hörning, Julia Reuter (Hrsg.) Doing Culture. Zum Begriff der Praxis in der gegenwärtigen soziologischen Theorie, Bielefeld: transcript Hoghe, Raimund, Weiss, Ulli (1981): Bandoneon – Für was kann Tango alles gut sein? Darmstadt: Luchterhand Jäger, Ludwig (2004a): „Die Verfahren der Medien: Transkribieren – Adressieren – Lokalisieren.“ In: Jürgen Fohrmann, Erhard Schüttpelz (Hrsg.): Die Kommunikation der Medien. Tübingen: Niemeyer Ders. (2004b): „Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen.“ In: Sybille Krämer: Performativität und Medialität. München: Fink Ders. (2005): „Vom Eigensinn des Mediums Sprache.“ In: Dietrich Busse, Thomas Nier, Martin Wengeler (Hrsg.): Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Semantik. Tübingen: Niemeyer Ders. (2010): „Intermedialität – Intramedialität – Transkriptivität.“ In: Arnulf Deppermann, Angelika Linke: Sprache intermedial. Stimme und Schrift, Bild und Ton. Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 2009. Berlin, New York: de Gruyter
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Johnson, Barbara (2003): Mother Tongues. Sexuality, Trials, Motherhood, Translation. Cambridge: Harvard University Press Klein, Gabriele (2011): „Zeitgenössische Choreografie.“ In: Gabriele Klein (Hrsg.): Choreografischer Baukasten, Textband. Bielefeld: transcript Latour, Bruno (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp Luhmann, Niklas (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Mersch, Dieter: „Transferre/Perferre. Übersetzen als Praxis“, Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „In Transit. Mediales Übersetzen in den Künsten“ im Wintersemester 2012/13 an der Universität Hamburg (Claudia Benthien, Gabriele Klein), unveröffentlichtes Vortragsmanuskript Müller-Funk, Wolfgang (2012): „Transgression und dritte Räume: Ein Versuch, Homi Bhabha zu lesen.“ In: Homi K. Bhabha: Über kulturelle Hybridität. Tradition und Übersetzung, Anna Babka, Gerald Posselt (Hrsg.), Wien: Turia und Kant Potthast, Jörg (2007): Die Bodenhaftung der Netzgesellschaft. Bielefeld: transcript Rancière, Jacques (2008): Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. 2. Aufl., Berlin: PolYPpeN Reckwitz, Andreas (2008): „Praktiken und Diskurse: Eine sozialtheoretische und methodologische Relation.“ In: Herbert Kalthoff, Stefan Hirschauer, Gesa Lindemann (Hrsg.): Theoretische Empirie. Die Relevanz qualitativer Forschung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 188–209 Schlingensief, Christoph (2009): So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Tagebuch einer Krebserkrankung. 6. Aufl., Köln: Kiepenheuer und Witsch Stoll, Karl-Heinz (2008): „Translation als Kreolisierung.“ In: Andreas Gipper, Susanne Klengel (Hrsg.): Kultur, Übersetzung, Lebenswelten. Beiträge zu aktuellen Paradigmen der Kulturwissenschaften, Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 177–201 Torop, Peeter (2002): „Translation as Translating Culture.“ In: Sign Systems Studies, 30, 2 (2002), S. 594–605 Thurner, Christina, Wehren, Julia (2010) (Hrsg.): Original und Revival. Geschichtsschreibung im Tanz. Zürich: Chronos Wagner, Birgit (2012): „Kulturelle Übersetzung. Erkundungen über ein wanderndes Konzept.“ In: Anna Babka, Julia Malle (Hrsg.): Dritte Räume. Homi K. Babhas Kulturtheorie. Kritik, Anwendung, Reflexion, Wien: Turia und Kant, S. 29–42 Waldenfels, Bernhard (1990): Der Stachel des Fremden. Frankfurt a. M.: Suhrkamp
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2 Tanzerbe im 21. Jahrhundert. Strategien des Erinnerns
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Das digitale Pina Bausch Archiv Bernhard Thull
Das Werk von Pina Bausch bewahren Das Werk von Pina Bausch ist durch umfangreiches Material, z.B. im Archiv der Pina Bausch Foundation, dokumentiert. Vielleicht noch wichtiger sind aber die Erinnerungen von vielen Menschen in der ganzen Welt an ihr Werk. Das Werk von Pina Bausch zu bewahren bedeutet daher sowohl Material als auch Erinnerungen zu erfassen und zu erhalten (PBF: 2011). Material. Das Material umfasst Stück- und Aufführungslisten, Tonaufnahmen und ihre Transkriptionen, Ton- und Lichtpläne, Regiebücher, Dokumentationen der Bühnenbilder, Fotografien und Videoaufnahmen, Kostüme, Manuskripte, Requisiten, Programmhefte, Tänzeraufschriebe und vieles mehr. Sie enthalten Informationen und inhaltliche Beziehungen, z.B. über Personen, Stücke und ihre Aufführungen, Besetzungen, Rollen und ihre Entwicklung, oder Aufnahmen von Aufführungen. Obwohl der größte Teil des Materials im Archiv der Pina Bausch Foundation eingelagert ist, ist weiteres Material in Tanzarchiven weltweit verteilt oder nicht einmal Teil eines Tanzarchivs, wie z.B. ein Zeitungsartikel über eine ganz bestimmte Aufführung in einem Zeitungsarchiv oder ein Buch über das Werk von Pina Bausch in einer Bibliothek. Vielleicht könnte man sich eines Tages sogar private Tagebucheinträge eines begeisterten Zuschauers einer Aufführung als Teil eines verteilten digitalen Archivs vorstellen. Erinnerungen. Erinnerungen sind mit Personen, Aufführungen, Szenen, oder vielleicht mit einem Bühnenbild oder mit einer bestimmten Musik verbunden und sie beziehen sich aufeinander und auf das Material in individueller, nicht vorhersehbarer Weise. Sie sind unter den Mitgliedern des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, aber auch unter vielen anderen Menschen weltweit verteilt. Im Vergleich zu dem gesammelten physischen Material des Archivs sind menschliche Erinnerungen von Natur aus unvorhersehbar, emotional, ungenau, widersprüchlich, inkonsistent und unvollständig. Sie liefern Fragmente, die zusammen betrachtet ein Bild ergeben, ähnlich wie ein impressionistisches Gemälde. Das sollte das Wesen des digitalen Archivs der Pina Bausch Foundation ausmachen: Sammeln und Bewahren von Material und Erinnerungen, die zusammen ein Bild entstehen lassen, das das Werk von Pina Bausch zeigt.
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Ansatz Linked Data Anforderungen. Welche Werkzeuge unterstützen die Sammlung von Material und von Erinnerungsfragmenten und erlauben dann, daraus größere Bilder entstehen zu lassen? Die wesentlichen Anforderungen im Detail: > Beschreibung des physischen Materials, das von Pina Bausch gesammelt worden ist. Dieses Material sollte erfasst und Beziehungen zwischen diesem Material repräsentiert werden können. Das Material sollte wieder auffindbar sein. > Abruf und Darstellung des gesamten Materials über das Werk von Pina Bausch. Dies umfasst Stücke, Aufführungen, Manuskripte, Videoaufnahmen, Fotografien und vieles mehr. > Sammlung von Erinnerungen sowie jeglichen gesprochenen oder aufgeschriebenen Anmerkungen über jede Art von Material des Archivs. Beispielsweise sollte eine Tänzerin in der Lage sein, eine bestimmte Szene eines Stücks mündlich zu kommentieren, ein Zuschauer sollte seine Erfahrungen mit einer bestimmten Aufführung beschreiben können oder ein Fotograf etwas über eine seiner Aufnahmen sagen können. > Beliebiges Material miteinander verbinden. Beispielsweise sollte es möglich sein, eine bestimmte Requisite mit einem Manuskript zu verbinden und festzuhalten, dass die Gestaltung dieser Requisite in diesem Manuskript beschrieben worden ist. Oder ein Zuschauer hat einen seltenen Zeitungsartikel aus den siebziger Jahren gefunden und möchte ihn mit der Aufführung verbinden, von der dieser Artikel berichtet. > Aggregation, Sortierung, Klassifikation oder eine andere Art der Verarbeitung des Materials, um es für die Entwicklung von Interpretationen, Visualisierungen oder interaktive Erfahrungen vorzubereiten, die jetzt noch nicht absehbar sind. Dies könnten Untersuchungen im Rahmen von Forschungsarbeiten sein, Websites für ein bestimmtes Publikum, wie z.B. Kinder, oder interaktive Installationen im Rahmen von Ausstellungen. Konventionelle Datenbanken. Bei der Entwicklung von konventionellen Datenbanken geschieht genau das Gegenteil davon Fragmente zu sammel. Durch eine topdown-Analyse einer gegebenen und hoffentlich genau definierten Anwendungsdomäne identifiziert und beschreibt man alle Teile dieser Anwendungsdomäne, die dann in so genannte Datenmodelle überführt und anschließend mit Daten gefüllt werden. Ein Beispiel für eine solche Anwendungsdomäne sind Geschäftsprozesse einer Versicherungsgesellschaft. Solche Datenmodelle werden also a priori definiert. Obwohl es theoretisch möglich ist, hat der praktische Einsatz gezeigt, dass es nicht einfach ist, solche Datenmodelle dynamisch an wechselnde Situationen anzupassen. Darüber hinaus fokussieren konventionelle Datenbanken auf Entitäten, wie z.B. Stücke und ihre Aufführungen, und ihre Attribute, wie z.B. Aufführungsdatum oder Besetzung. Beziehungen zwischen Entitäten können dagegen nur sehr eingeschränkt modelliert werden. Nicht zuletzt werden konventionelle Datenbanken als geschlossene Welten modelliert, die in proprietären Datenbankmanagementsystemen implementiert werden. Dies macht es schwer, Daten mit anderen Institutionen zu teilen oder sie mit anderen Datenbanken zu verbinden, und behindert die Einrichtung größerer und verteilter Sammlungen von Fragmenten und damit die Möglichkeit, größere Bilder, z.B. des Werkes von Pina Bausch, zu generieren. Daher werden sie manchmal als Silos bezeichnet. Daher ist es zwar möglich, das physische Material der Pina Bausch Foundation mit Hilfe von konventionellen Datenbanken zu modellieren und zu erfassen. Aber menschliche Erinnerungen in all ihren Formen erscheinen konventionell schwer fassbar, genauso wie es schwierig ist, ein konventionell entwickeltes Archiv zu öffnen und mit anderen Ressourcen zu verbinden. Der Einsatz konventioneller Datenbanken scheint nicht der beste Lösungsansatz für das digitale Archiv der Pina Bausch Foundation zu sein.
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Linked Data. Die zu erfüllenden Anforderungen erinnern an die Situation im World Wide Web. Das Web ist ein verteiltes System von miteinander verbundenen Webseiten. Einige Teile des Webs sind aufgeräumt, gut strukturiert und organisiert, andere Teile eher spontan und chaotisch. Und alles ist miteinander verbunden. Jeder kann Inhalte beisteuern, die letztendlich ein riesiges Netz von Dokumenten (web of documents) bilden, das das Wissen und die Meinung vieler Menschen widerspiegelt. Inhalte, d.h. Webseiten, können dargestellt werden, indem Adressen, so genannte Uniform Resource Locators (URLs), in die Adresszeile eines Webbrowsers eingegeben werden, wie jeder weiß, der das Web nutzt. Diese URLs identifizieren eindeutig jede Webseite im World Wide Web. Das World Wide Web Consortium1 (W3C) hat erkannt, dass die weiter oben genannten Anforderungen sehr verbreitet sind und für viele unterschiedliche Anwendungsbereiche gelten. Es hat daher eine neue Form der Datenmodellierung vorgeschlagen, die Linked Data2 heißt, und die es erlaubt, das web of documents in ein web of data umzuwandeln, ohne die offene und dynamische Natur des Webs, wie wir es kennen, aufzugeben. Die Ergänzung des Linked Data-Paradigmas mit Werkzeugen, die automatisch logisch konsistente Datensätze über verteilte Daten aufbauen können, erlaubt die Entwicklung dessen, was gemeinhin als Semantic Web3 bekannt geworden ist. Es erscheint sinnvoll zu untersuchen, inwieweit sich das Linked Data-Paradigma als Ansatz für das digitale Archiv der Pina Bausch Foundation eignet. Uniform Ressource Identifiers. Ausgangspunkt für Linked Data ist das Konzept der Uniform Ressource Identifier (URI), die wie eine URL aussehen und sich auch so verhalten, aber eine eigene Bedeutung haben. Wie die URL im web of documents dient auch die URI dazu Daten im Web eindeutig zu identifizieren. Eine URI steht für eine Entität, wie z.B. das Stück Danzón oder eine bestimmte Aufführung von Danzón, oder irgendetwas anderes, über das etwas ausgesagt werden soll. Im Kontext von Linked Data heißen diese Entitäten Ressourcen. Die URI für das Stück Danzón könnte z.B. http://www.pinabausch.org/resource/danzon lauten. Da diese URI nicht besonders gut zu lesen und zu merken ist, wird sie abgekürzt, indem der erste Teil der URI, d.h. http://www.pinabausch.org/resource/ durch z.B. pba: mit der Bedeutung „Ressourcen im Pina Bausch Archiv“ ersetzt wird. Die Beispiel-URI für das Stück Danzón würde daher in abgekürzter Form einfach pba:danzon lauten. Man geht davon aus, dass diese Daten auf einem Webserver liegen, der eine Webadresse hat, die mit der URI der Ressource korrespondiert. In unserem Beispiel hätte der Webserver die Webadresse http://www.pinabausch.org. Das W3C schlägt folgende Bedeutung und standardisiertes Verhalten für Linked Data-URIs vor (siehe Cool URIs for the Semantic Web4): > Semantisch steht eine URI für eine Entität im Sinne konventioneller Datenbankmodellierung. > Gibt man eine URI, z.B. die von Danzón, in das Adressfeld eines Webbrowsers, erhält man eine menschenlesbare Darstellung der Ressource, in diesem Fall also des Stücks Danzón, d.h. der Nutzer würde eine HTML-Webseite mit Informationen über das Stück Danzón sehen. > Wenn ein Software-Agent, wie z.B. die Datenbank eines anderen Archivs, diese URI anspricht, dann liefert der Server einen Datensatz in maschinenlesbarer Form. Die anfragende Software kann diese Daten interpretieren und weiterverarbeiten, um z.B. Daten zu sammeln und größere Datensätze aufzubauen.
1 http://www.w3.org 2 http://www.w3.org/standards/semanticweb/data 3 http://www.w3.org/standards/semanticweb 4 http://www.w3.org/TR/cooluris/
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Ähnlich wie bei einer Kreditkarte haben Ressourcen einer Linked Data-Datenbank zwei Gesichter, eines lesbar für Menschen, das andere lesbar für Software. Die Einhaltung von Linked Data-Prinzipien (siehe Linked Data – Design Issues5) erlaubt es, verteilte Datenbanken aufzubauen, bei denen unterschiedliche Webserver jeweils einen Teil der Daten halten können, die mit Hilfe ihrer URIs miteinander verbunden sind. Tripel. Aussagen über Ressourcen werden mit Hilfe so genannter Tripel ausgedrückt. Jedes Tripel repräsentiert eine Aussage, die die Bestandteile Subjekt, Prädikat und Objekt enthält. Es wird mit Hilfe zweier Ellipsen und eines Pfeils dazwischen dargestellt. Diese Aussagen sind mit Aussagesätzen in natürlichen Sprachen vergleichbar. Die Hypothese ist, dass ähnlich wie in Aussagesätzen natürlicher Sprachen jedes Fakt mit Hilfe solcher SubjektPrädikat-Objekt-Tripel dargestellt werden kann. Die Abbildung 1 zeigt das Beispiel von Tripeln, die man interpretieren könnte als: „Die Pina Bausch Foundation stellt fest, dass das Stück Danzón von Pina Bausch in der Spielzeit 1994/95 uraufgeführt wurde.“
Abbildung 1: Tripel. Die Aussage „Subjekt – Prädikat – Objekt“ wird Tripel genannt und in einem so genannten Kontext (context) gehalten. Ellipsen stellen Ressourcen und Rechtecke stellen Werte, wie z.B. ein Datum, dar. Der Kontext rechts kann wie folgt interpretiert werden: „Die Pina Bausch Foundation stellt fest, dass das Stück Danzón von Pina Bausch in der Spielzeit 1994/95 uraufgeführt wurde. Wenn Sie mehr über diese Stück wissen oder etwas über dieses Stück sagen möchten, verwenden Sie bitte die URI ‚pba:danzon‘.“
Um genauer zu sein, müssten wir hinzufügen, dass wir mit Urheber (creator) den Urheber eines Werkes im Sinne einer eigenständigen intellektuellen oder künstlerischen Schöpfung meinen, wie von der International Federation of Library Associations�6(IFLA) in ihrem Dokument Functional Requirements for Bibliographic Records (FRBR, (IFLA: 2009)) definiert, d.h. frbr:creator, sowie Titel (title) und Datum (creation date) meinen, wie von der Dublin Core Metadata Initiative7 (DCMI) im Dokument DCMI Metadata Terms8 definiert, d.h. dct:title bzw. dct:created. Die verschiedenen Bedeutungen von Begriffen können mit Hilfe von so genannten Namensräumen, wie z.B. frbr: und dct:, auseinander gehalten werden. Der Einsatz wohl definierter und verbreiteter Vokabulare stellt sicher, dass sich verteilte Daten konsistent miteinander verbinden lassen.
5 http://www.w3.org/DesignIssues/LinkedData.html 6 http://www.ifla.org 7 http://dublincore.org 8 http://dublincore.org/documents/dcmi-terms/
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Darüber hinaus kann eine Linked Data-Datenbank, ein so genannter Triple Store, mit Hilfe der Kontexte (siehe Abbildung 1) nachvollziehen, woher Tripel kommen. Man kann sich vorstellen, dass jedes Tripel eine Markierung bekommt, die festhält, in welchem Kontext dieses Tripel erzeugt wurde. Die technische Natur von Kontexten kann sehr unterschiedlich sein. Ein Kontext kann alles sein, was Tripel enthalten kann, wie z.B. Dateien, Websites oder andere Triple Stores. Sie erlauben es, Tripel aus vielen verschiedenen Quellen zu sammeln, ohne die Autorenschaft für die Tripel zu verlieren. Abbildungen 2 und 3 zeigen zwei weitere Beispiele, die Daten über Pina Bausch und über eine Fotografie zeigen.
Abbildung 2: Tripel über Pina Bausch: „Pina Bausch ist eine Choreografin und es gibt ein Bild, das sie zeigt. Weiterhin gibt es einen Eintrag in Wikipedia über sie.“ Digitale Bilder werden selbst über eine URI referenziert. Sie können daher Teil eines Tripels sein. Um die Darstellung einfach zu halten, haben wir die Kontexte und die Namensräume weggelassen.
Abbildung 3: Tripel über eine Fotografie: „Im Oktober 1995 hat Jochen Viehoff eine Fotografie aufgenommen, die Pina Bausch und Danzón zeigt und die beschrieben ist als ‚Pina tanzt mit großem Fisch.‘“
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Jede dieser Entitäten ist mit einer lokalen Sicht auf diese Daten beschrieben. Jedes Beispiel behandelt ausschließlich Daten über die gezeigten Entitäten selbst. Dazu ist keine weitere Kenntnis des Archivs als Ganzes notwendig, noch nicht einmal ein Datenmodell im konventionellen Sinne. Was aber nötig ist, ist ein gemeinsames Vokabular mit Begriffen wie z.B. ‚title‘, ‚creator‘ oder ‚created‘. Inferenzen und Ontologien. Da wir Daten nur lokal sammeln und beschreiben und uns nicht um den globalen Zusammenhang der Daten kümmern, entstehen Inkonsistenzen. Eine bestimmte Fotografie zeigt Pina Bausch (siehe Abb. 3). Schaut man sich aber die Daten über Pina Bausch an, dann gibt es dort keinen Hinweis auf diese Fotografie, auf der sie zu sehen ist (siehe Abb. 2). Das Stück Danzón wurde von Pina Bausch geschaffen (siehe Abb. 1). Aber auch hier zeigt ein Blick auf die Daten über Pina Bausch, dass dort der Hinweis darauf, dass sie Danzón geschaffen hat, fehlt. Die Linked Data-Technologie erlaubt es, Regeln für logische Schlussfolgerungen zu definieren, die solche Inkonsistenzen handhaben können. In unserem Beispiel würden wir zwei Regeln einführen (siehe Abb. 4). Ein Inferenzprozess wendet solche Regeln an und erzeugt entsprechend neue Tripel.
Abbildung 4: Logische Inferenz: „Wenn eine Fotografie eine Person zeigt (‚depicts‘), dann ist diese Person auf diesem Bild zu sehen (‚depiction‘).“ „Wenn ein Werk von einer Person geschaffen wurde (‚creator‘), dann hat diese Person das Werk geschaffen (‚created‘).“ Die geschlussfolgerten Tripel (gestrichelte Pfeile) werden vom Inferenzprozess automatisch zum Triple Store hinzugefügt.
Sowohl alle eingegebenen als auch geschlussfolgerten Tripel formen zusammen ein Datennetz oder einen einzigen Graphen, der die Datenbank bildet (siehe Abb. 5). Nach dem Inferenzprozess ergeben die Daten über Pina Bausch ein konsistentes Bild. Auf diese Weise kombiniert der Triple Ttore lokales und verteiltes Wissen zu einer konsistenten Sicht.
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Abbildung 5: Das Beispieldatennetz mit explizit angegebenen Tripeln in durchgezogenen und geschlussfolgerten Tripeln zur Auflösung von Inkonsistenzen in gestrichelten Linien. Schaut man auf die Entität ‚pina_bausch‘, dann erhält man ein vollständigeres Bild über Pina Bausch, das Werk, das sie geschaffen hat, Bilder, auf denen sie zu sehen ist, und Hinweise, wo man mehr über sie lesen kann, in diesem Fall ein Link zu Wikipedia. Bitte beachten Sie die beiden Definition von ‚created‘: Laut DCMI Metadata Terms (dct) bedeutet es das Datum, an dem etwas geschaffen wurde, wohingegen laut FRBR das intellektuelle oder künstlerische Werk gemeint ist, das jemand geschaffen hat. Mit Hilfe von Namensräumen können diese verschiedenen Bedeutungen auseinandergehalten werden. Das Gleiche gilt für ‚creator‘: Die Verwendung von ‚frbr:creator‘ impliziert einen Intellektuellen oder einen Künstler, wohingegen die Verwendung von ‚dct:creator‘ keine derartige Aussage über eine Person macht.
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Die Fähigkeit, mit Hilfe von Inferenz Lücken zu schließen und einen konsistenten Datensatz zu erzeugen, ist sehr mächtig und kann mehr als nur inverse Beziehungen produzieren. Ein Beispiel ist die Möglichkeit, über Tätigkeiten zu schließen. Die Pina Bausch Archive Ontology charakterisiert Personen anhand ihrer Tätigkeiten. Wenn eine Person einen bestimmten Platz in der Aufführungen eines Stückes getanzt hat, dann ist er oder sie ein Tänzer oder eine Tänzerin. Wenn eine Person einige Fotografien aufgenommen hat, dann ist er oder sie ein Fotograf oder eine Fotografin. Mit Hilfe dieses Mechanismus ist es möglich, die Rollen und Funktionen von Personen aus ihren in der Datenbank dokumentierten Tätigkeiten abzuleiten. Im digitalen Archiv werden Personen daher auf zwei Arten charakterisiert: Durch explizite Angabe, dass jemand z.B. ein Tänzer oder eine Tänzerin ist, oder durch Schlussfolgerungen aus den Tätigkeiten einer Person. Dies ergibt insgesamt ein vollständigeres Bild über eine Person. Ein zweites Beispiel ist die Möglichkeit, über Orte zu schließen. Für alle Aufführungen wird die Spielstätte festgehalten. Die Pina Bausch Archive Ontology nutzt die linked open data geographische Datenbank GeoNames9, die alle Länder und über acht Millionen Namen von Plätzen enthält, die alle zueinander in Beziehung stehen. GeoNames weiß, dass z.B. das Schauspielhaus Wuppertal in Wuppertal steht, Wuppertal in Deutschland ist und Deutschland in Europa. Mit Hilfe von GeoNames kann die Datenbank daher geographische Beziehungen zwischen Aufführungen herleiten. So kann man beispielsweise nach allen Aufführungen in einem bestimmten Land oder einer bestimmten Stadt fragen, obwohl diese Information nirgendwo explizit angegeben worden ist. Die Sammlung solcher Definitionen und Regeln nennt man Model, Vokabular oder Ontologie (Allemang: 2011).
9 http://www.geonames.org
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Visualisierung und Erkundung von Linked Data Natürlich ist es weder effizient noch nützlich, mit den Daten des Archivs auf Basis der gezeigten Art der Visualisierung von Tripeln zu arbeiten. Ein nahe liegender Ansatz für eine webbasierte Nutzungsschnittstelle besteht darin, die Daten einer Ressource auf einer eigenen Webseite darzustellen und die Links zu anderen Ressourcen in Links auf anderen Webseiten zu übersetzen, die dann jeweils diese Ressourcen anzeigen. Auf diese Art kann ein Datenbrowser entwickelt werden, der es erlaubt, das Archiv zu erkunden, indem man einfach den entsprechenden Links zu immer neuen Ressourcen folgt. Es entsteht ein Pfad durch den Datendschungel. Ein gutes Beispiel für eine solche Nutzungsschnittstelle ist die Webseite von Freebase�10, einer Linked-Data-Datenbank über Personen, Orte und andere Dinge, die von Webnutzern gepflegt wird (siehe auch Abb. 8).�11 Darüber hinaus ist es sinnvoll, spezialisierte Werkzeuge für bestimmte Aufgaben rund um das digitale Archiv zu gestalten. Die Abbildung 6 zeigt das Beispiel eines webbasierten Werkzeugs, mit dem Szenen in Aufführungsvideos annotiert werden können.
Abbildung 6: Ein webbasiertes Werkzeug, um Szenen in Aufführungsvideos zu annotieren. Das Werkzeug ruft Daten über Stücke, Aufführungen und Videos aus dem Triple Store ab und schreibt Daten über Szenen und ihre Annotationen zurück. Diese Designund Usability-Studie wurde von Prof. Tsune Tanaka und seinen Studierenden durchgeführt.
10 http://www.freebase.com 11 Google nutzt Freebase, um seine Suchergebnisse zu verbessern
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Szenarien Material sammeln. Da zur Beschreibung der Daten a priori kein Datenmodell notwendig ist, können Daten so erfasst werden, wie sie auftreten. Um z.B. Daten über ein Stück, eine Aufführung oder eine Videoaufnahme einer Aufführung zu erfassen, ist es lediglich notwendig, eine neue URI zu erzeugen, die die neue Ressource repräsentiert, und dann diese Ressource mit Hilfe von Attributen, wie z.B. Datum, Format, o.ä., angemessen zu beschreiben. Im Unterschied zu relationalen Datenbanken können Linked Data-Entitäten jeweils unterschiedliche Attributsätze erhalten. Daher ist es möglich, jeden einzelnen Eintrag in die Datenbank in ausreichendem bzw. angemessenem Detailgrad zu beschreiben. Darüber hinaus dienen diese URIs als Anker für Verbindungen zu anderen Ressourcen, Annotationen oder Kommentaren. Ein Linked Data-Archiv kann verteilt sein. Es könnte daher viele verschiedene Orte umfassen, wie z.B. das Archiv in Wuppertal, Material in der Brooklyn Academy of Music�12 oder sogar Material aus Wim Wenders’ Recherche für seinen Film Pina. Material annotieren. Eine wichtige Grundidee von Linked Data ist, dass jeder zu jedem Thema etwas sagen darf („Anyone can say anything about any topic.“, [S. 6] (Allemang: 2011)). Jede Entität des digitalen Archivs ist mit Hilfe einer weltweit eindeutigen URI identifiziert. Auf diese Ressourcen kann jeder im Web verweisen und sie mit Daten anreichern. Jeder weltweit könnte daher diese URIs dazu verwenden, um seine oder ihre Annotationen zu Entitäten festzuhalten und so zum digitalen Archiv beitragen. Da der Triple Store die Herkunft von Daten protokolliert, bleibt immer klar, wer welche Aussagen beigetragen hat. Nehmen wir an, eine Zuschauerin oder ein Zuschauer möchte ihre oder seine Eindrücke von einer bestimmten Aufführung von Danzón, z.B. der Aufführung vom 17. Juli 1995 (URI: pba:danz_19950717) festhalten. Mit Hilfe eines geeigneten und vermutlich webbasierten Werkzeugs könnte sie oder er einen Kommentar zu dieser Aufführung verfassen: ‚Was ich beim Besuch dieser Aufführung von Danzón empfunden habe ...‘. Dieser Kommentar würde als Datei (d.h. ein Kontext aus der Sicht des Triple Store) abgelegt, die dieser Zuschauerin oder diesem Zuschauer gehört und die das Tripel pba:danz_19950717 rdfs:comment ‚Was ich beim Besuch dieser Aufführung von Danzón empfunden habe ...‘ enthält. Dieses Tripel würde vom Triple Store des Archivs eingesammelt werden können und könnte so Teil des digitalen Archivs werden, das auf diese Weise möglicherweise viele verschiedene Server umfasst (siehe Abschnitt Uniform Resource Identifiers). Aus der Sicht des digitalen Archivs ist dieser Zuschauerkommentar einfach ein weiteres Teil eines verteilten Archivs. Dieses Szenario zeigt, wie es möglich ist, Wissen und Kommentare über das Werk von Pina Bausch weltweit zu sammeln und zu einem Datennetz zusammenzufügen. Dabei bleibt gewährleistet, dass die Pina Bausch Foundation kontrollieren kann, welche Daten wem in welchem Kontext gezeigt werden sollen. Verschiedene Meinungen, Inkonsistenzen und Widersprüche erhalten. Das Konzept der Kontexte machte es einfach, verschiedene Meinungen, Inkonsistenzen und Widersprüche zu erhalten. Sie verbleiben einfach in ihren Kontexten, können aber nebeneinander gestellt werden (siehe Abschnitt Tripel). Daher könnte ein Kontext feststellen: ‚Autor A sagt, dass dieses Bild während einer Aufführung von Danzón entstanden ist.‘ und ein zweiter Kontext feststellen: ‚Autor B sagt, dass dieses Bild während einer Aufführung von Nur Du entstanden ist.‘ Es bleibt dem Leser dieser Daten überlassen, wie er mit diesen unterschiedlichen Aussagen umgehen möchte.
12 http://www.bam.org
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Immergente Bilder. Welche Daten über eine bestimmte Aufführung von Danzón kann man also im Archiv finden? Es gibt erschlossene Daten über diese Aufführung, die vom Material des Pina Bausch Archivs stammen, wie z.B. Datum, Spielstätte, Tänzeraufschriebe, aber auch Poster, Programmhefte, Manuskripte oder Zeitungsartikel. Es gibt Verbindungen zum Stück Danzón, zur Besetzung und zu weiteren Personen, die an der Aufführung beteiligt waren, Verbindungen zu Fotografien und Videoaufnahmen der Aufführung, und selbst Verbindungen zu einzelnen Szenen und zu Videoclips, die diese Szenen zeigen, zusammen mit Manuskriptseiten, die diese Szenen beschreiben. Darüber hinaus findet man vielleicht Annotationen und Erinnerungen von Tänzerinnen und Tänzern und anderen Mitgliedern des Tanztheaters, von Zuschauern, aber vielleicht auch Kommentare von Theaterwissenschaftlern, die interessante Besonderheiten genau dieser speziellen Aufführung herausgefunden haben. Erkunden, Betrachten und Lesen dieses Materials über diese Aufführung mit Hilfe geeigneter Visualisierungen wird helfen, ein Bild davon entstehen zu lassen, wie die Aufführung stattgefunden hat, wie sie entstanden ist, wie sie wahrgenommen wurde, was Tänzer und Zuschauer über sie dachten, und vielleicht auch, wie sie von vorhergehenden Aufführungen beeinflusst wurde und nachfolgende Aufführungen beeinflusst hat.
Stand des Archivs Experimenteller Aufbau. Um zu untersuchen, ob der Linked Data-Ansatz als Basis für das digitale Archiv der Pina Bausch Foundation geeignet ist, haben wir eine experimentelle Systemarchitektur entwickelt (siehe Abb. 7).
Abbildung 7: Grundlegende Architektur des Systems. Daten werden aus verschiedenen Datenquellen gesammelt und zu linked data übersetzt. Mit Hilfe eines Modells werden die gesammelten Daten klassifiziert und dann in HTML angezeigt.
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Daten werden aus vielen verschiedenen Quellen gesammelt, wie z.B. aus einer vorhandenen FileMaker Bento Datenbank mit Daten über Kostüme, Microsoft Excel-Tabellen, dem Videoannotationswerkzeug (siehe Abb. 6) oder einfach Linked Data-Dateien, die in RDF13� oder Turtle�14 geschrieben sind und z.B. die Beschreibung der Ontologie enthalten. Der Triple Store selbst ist mit Hilfe des OWLIM lite�15 Triple Stores in Verbindung mit der OpenRDF Sesame Workbench16� implementiert. HTML-Seiten werden über einen einfachen Datenbrowser erzeugt, der im Rahmen des Projekts entwickelt worden ist (siehe Abb. 8). Mit Hilfe dieses Browsers kann man Daten des Archivs sehen, Daten in das Archiv einlesen und Daten aus dem Archiv löschen. Er dient als Werkzeug für den internen Gebrauch und soll dazu dienen, die Korrektheit der Daten und ihrer Verlinkung mit anderen Daten zu überprüfen. Den aktuellen Browser kann man sich vielleicht am besten als ein Gerüst vorstellen, mit dessen Hilfe das digitale Archiv aufgebaut wird, und das später durch eine ansprechende und angemessene Fassade ersetzt wird (siehe z.B. Abb. 6).
Abbildung 8: Datenbrowser für das digitale Archiv mit einer Webseite mit Daten über eine Fotografie. Durch Anklicken der entsprechenden Links kann man mehr über die Fotografie selbst, über die dargestellten Personen, das Stück Die sieben Todsünden, den Titel oder die Szene Habgier oder den Fotografen Rolf Borzik erfahren.
13 http://www.w3.org/standards/techs/rdf#w3c_all 14 http://www.w3.org/TR/turtle/ 15 http://www.ontotext.com/owlim 16 http://www.openrdf.org/
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Modellierungs- und Datenerfassungsprozess. Da der Linked Data-Ansatz kein a priori-Datenmodell benötigt, um Daten zu erfassen, kann man die Prozesse der Datenerfassung und der Datenmodellierung trennen. Die Eingabe von Massendaten über das Material des Archivs erfolgt zurzeit mit Hilfe von Excel-Tabellen. Innerhalb des Triple Store werden diese Datensätze dann in unterschiedlichen Kontexten gehalten. In unserer Architektur repräsentiert jeder Kontext daher einen bestimmten Datensatz, den ein bestimmter Autor mit Hilfe einer Excel-Tabelle in die Datenbank geladen hat. Der Datenerfassungs- und der Datenmodellierungsprozess laufen unabhängig voneinander. Die Excel-Tabellen sind so angelegt, dass sie sich nur auf die Daten selbst beziehen; insbesondere enthalten sie keine Information über die Modellierung. Die Modellierung erfolgt erst beim Einlesen der Tabellen in die Datenbank. Dieses Vorgehen erlaubt es, das Modell jederzeit zu überarbeiten. Ein überarbeitetes Modell wird angewandt, indem erst das neue Modell und danach alle Datentabellen erneut in die Datenbank eingelesen werden. Auf diese Weise kann das Datenmodell weiterentwickelt werden, ohne bereits erfasste Daten zu verlieren. Daten im Archiv. Bis jetzt wurden insgesamt mehr als 94.400 Entitäten erfasst und mit mehr als 1,7 Mio. Tripel beschrieben, darunter: 469 54 3.052 28.626 27.846 28.369 346 1.216 76
Personen Stücke mit insgesamt 3.086 Szenen und 68 verschiedenen Abläufen für die Szenen der Stücke Aufführungen Objekte (606 Programme, 2.656 Videos, 29.033 Fotografien) physikalische Objekte (606 Programmhefte, 3.541 Videobänder) Digitalisate (2.798 digitalisierte Videos, 24.415 digitalisierte Fotografien) Spielstätten in 162 Städten und 46 Ländern Kostüme Requisiten
Es sind noch einige Objekte in Arbeit: Bühnenbilder, Regiebücher, Inspizienzen, Ton, mündliche Überlieferung, Presse, Verwaltungsunterlagen und Preise. Aktuelles Modell. Der wichtigste Anwendungsfall für das digitale Archiv ist, jedem Objekt des Archivs einen Platz zu geben, und es leicht wieder zu finden. Daher haben wir zunächst eine Bibliotheks- oder Archivperspektive implementiert. Diese Perspektive wurde mit Hilfe des Modells der Functional Requirements of Bibliographic Records (FRBR, (IFLA: 2009)) realisiert. Das FRBR-Modell unterscheidet vier Ebenen zur Beschreibung von intellektuellen oder künstlerischen Werken. Auf der Werkebene (work) wird das Werk selbst beschrieben, in unserem Fall die Stücke von Pina Bausch. Auf der zweiten Ebene werden Ausdrucksformen (expression) des Werks beschrieben. Stücke von Pina Bausch drücken sich z.B. in Form von Aufführungen aus. Die dritte Ebene beschreibt Manifestationen solcher Ausdrucksformen (manifestation), wie z.B. eine Videoaufnahme einer Aufführung. Die vierte und letzte Ebene beschreibt Exemplare (item), wie z.B. ein physisches Videoband, das eine Aufnahme einer bestimmten Aufführung enthält. Das FRBR-Modell hilft uns dabei, eine klare Struktur aufrecht zu erhalten, wohin jedes einzelne Objekt und seine Daten im digitalen Archiv der Pina Bausch Foundation gehören. Daher haben wir das FRBR-Modell als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Pina Bausch Archive Ontology gewählt, das wir nach Bedarf instanziieren und ergänzen. Dabei versuchen wir, so viele etablierte Vokabulare, wie z.B. Dublin Core Metadata Terms�17 oder Simple Knowledge Organization System18, wie möglich zu verwenden, um die Einhaltung von Linked Data-Prinzipien sicherzustellen. Etwa die Hälfte der Tripel des Archivs werden auf Basis der Pina Bausch Archive Ontology durch den Inferenzprozess des Triple Stores hinzugefügt. 17 http://dublincore.org/documents/dcmi-terms/ 18 http://www.w3.org/standards/techs/skos#w3c_all
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Diskussion Was wir gelernt haben. Die Ergebnisse des Projekts lassen einige Schlussfolgerungen zu. Wir haben genügend Daten erfasst, um die Machbarkeit und die Sinnhaftigkeit des Linked Data-Ansatzes für das digitale Archiv der Pina Bausch Foundation zu zeigen. Insbesondere das FRBR-Modell konnte sein Versprechen halten und erlaubte uns, in allen bisher bearbeiteten Fällen, einen geeigneten Ort zu finden, um Daten über Material zu speichern. Auch wenn die verwendete Technologie des Triple Stores und der dazugehörigen Werkzeuge noch relativ jung im Vergleich zu relationalen Datenbanken ist, zeigte sie sich ausreichend gereift und stabil. Dieser experimentelle Aufbau war daher ein erster wertvoller Schritt zur Entwicklung des digitalen Archivs, das durch den Einsatz eines Entwicklungswerkzeuges wie z.B. Callimachus19 weiter professionalisiert werden kann. Die Benutzungsschnittstelle und die Visualisierung sowohl zur Eingabe von Daten als auch zur Erkundung von Daten hat sich dagegen als eine wesentliche Herausforderung herausgestellt. Der Linked Data-Ansatz widersetzt sich üblichen Methoden des User Interface Designs, wie wir im Projekt an vielen Stellen gelernt haben. Dies hängt mit der Dynamik von Linked Data-Archiven zusammen, wo eine Ressource mit nur ein paar andere Ressourcen verbunden sein kann, wohingegen eine andere Ressource der gleichen Art mit Hunderten anderen Ressourcen verbunden sein kann, wie z.B. Stücke und ihre Aufführungen (siehe auch (Janik: 2011)). Weitere Arbeiten werden einen starken Fokus auf diesen Teil des digitalen Archivs legen müssen. Was andere machen. Zurzeit untersuchen viele Initiativen und Institutionen den Einsatz von Linked Data im Kontext kulturellen Erbes (siehe z.B. (Doerr: 2009)), und hier insbesondere auch die Frage, wie performance art mit Hilfe dieser Technologie bewahrt werden kann. Eine sehr einflussreiche Plattform ist Europeana20. Sie ist gedacht als zuverlässige Quelle für das kulturelle Erbe Europas und wird durch die Europeana Stiftung sowie eine große Zahl von Europäischen Kultureinrichtungen, Projekten und Partnern finanziert. Die Plattform enthält Millionen von Einträgen aus einer Reihe von Europas führenden Gallerien, Bibliotheken, Archiven und Museen. Dazu gehört auch der Bereich der performing art, der durch die spezialisierte Plattform eclap21 (e-library for performing arts) unterstützt wird. Beide Plattformen basieren auf Linked Data. Der Digitale Tanzatlas�22 informiert über Persönlichkeiten, Werke und die Geschichte des Tanzes in Deutschland, ermöglicht den Online-Zugang zu vielen Quellen und Verweisen, dokumentiert die aktuelle Entwicklung im Tanz und skizziert ein zukünftiges Wissensnetz für Tanz. Gegenstände im Tanzatlas sind mit einer URI ausgestattet und mit Hilfe von Tripel beschrieben (siehe z.B. das Stück La Chute�23 von Susanne Linke24�).
19 http://callimachusproject.org 20 http://europeana.eu 21 http://www.eclap.eu 22 http://tanz2.tanzatlas-deutschland.de 23 http://tanz1.tanzatlas-deutschland.de/xmlui/handle/10886/202?show=full
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Der Dachverband Tanz Deutschland�25 hat kürzlich eine Studie zur Machbarkeit der Entwicklung ihres Archivs mit Hilfe von Linked Data abgeschlossen (Christen: 2012). Dies sind nur einige prominente Beispiele und soll keine vollständige Aufzählung sein. Da die Idee von Linked Data letztendlich zu einer Kombination dieser Initiativen und Archive führen soll, müssen die verwendeten Vokabulare und Ontologien irgendwann zusammengeführt und konsolidiert werden. Zurzeit bietet sich daher eine Gelegenheit, an diesem Prozess teilzunehmen und eine eigene Sichtweise in eine laufende und lebendige Diskussion einzubringen.
Zusammenfassung Das Web of Documents wandelt sich zu einem Web of Data. Wie im Web of Documents werden auch im Web of Data einige Teile aufgeräumt, gut strukturiert und organisiert, andere Teile eher spontan und chaotisch sein. Es ist also möglich, ein formal sauber strukturiertes Web of data zu entwickeln, das in seiner strengen Struktur an relationale Datenbanken erinnert, aber eben auch eine eher halb- oder unstrukturierte Sammlung von Daten ist. Wir sollten gezielt beide Gestaltungsvarianten nutzen, um das digitale Archiv der Pina Bausch Foundation zu entwickeln. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Linked Data-Ansatz die Anforderungen an das digitale Archiv der Pina Bausch Foundation zu erfüllen scheint. Durch den Einsatz von Linked Data und die Fähigkeit des Triple Store, fehlende Verbindungen herzustellen, ist es möglich, lokales und verteiltes Wissen zu einer Sicht zusammenzuführen. Mit Hilfe von Vokabularen und Ontologien, die zwischen verschiedenen Vokabularen vermitteln können, ist es möglich, verschiedenen Sichten auf und Interpretationen des Materials zu entwickeln. Das Konzept der Kontexte erlaubt es, Autorenschaft nachzuhalten und somit Widersprüche selbst auf der Ebene von Fakten darzustellen. Die Möglichkeit, Daten ohne a priori-Modellierung zu erfassen, erlaubt es auch, sich dynamisch an veränderte Anforderungen und Randbedingungen anzupassen. Und als ein letzter, wichtiger Punkt stellt die Einhaltung der Linked Data-Prinzipien26 sicher, dass das Archiv zukünftig leicht mit anderen Linked Data-Archiven verbunden werden kann.
24 http://tanz1.tanzatlas-deutschland.de/xmlui/handle/10886/164 25 http://www.dachverband-tanz.de 26 http://www.w3.org/DesignIssues/LinkedData.html
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Wie baut man ein Archiv auf? Sharon Lehner
2010 war die Pina Bausch Foundation erst wenige Monate alt, als Mitarbeiter der Foundation Archive in Europa und in den USA besuchten, um Informationen darüber zu sammeln, wie man das Werk von Pina Bausch in einem Archiv erhalten und verfügbar machen könne. Die Architekten dieses Projekts befassten sich mit ganz grundsätzlichen Fragen: Was sind eigentlich Archive? Für wen sind sie da? Und welche Funktion könnte ein Archiv für den kreativen Prozess des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch haben? Die Suche nach dem richtigen Archiv involvierte sowohl theoretische sowie praktische Aspekte. Direkt von Beginn an konzipierte die Pina Bausch Foundation ein so genanntes lebendiges Archiv: Ein Archiv als Speicher von Ideen, ein Konzept, das eine laufende und umfassende Diskussion darüber ermöglichte, wie sich das Werk von Pina Bausch dokumentieren und weitergeben lasse. Ganz praktisch ging es um die Errichtung des Archivs als Aufbewahrungsort und Magazin für das Arrangement und die Beschreibung physischer Objekte, ebenso wie als primäre Ressource für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch bei der Wiederaufführung der Stücke. Natürlich hängt die praktische Anwendung der besten Gestaltung der physischen Sammlungen untrennbar mit den Ideen und dem kreativen Prozess des lebendigen Archivs zusammen. Die Beschreibungswerkzeuge und die Methoden der archivarischen Praktiken wiederum sind über zahlreiche Vernetzungen von Wissen und Beschreibungswerkzeugen in einem theoretischen Konstrukt miteinander verknüpft. Archive der Performing Arts sind komplex – wir versuchen ein Ereignis zu beschreiben, das sich in Echtzeit in der Vergangenheit abgespielt hat. Performance-Künstler, die sich der Vergänglichkeit ihres Werks bewusst sind, hyperdokumentieren oft, um die Aufführung und den kreativen Prozess einzufangen. Eine ausufernde Dokumentation und Technologien, die sich im Lauf der Zeit verändern, führen auch dazu, dass wir eine überwältigende Vielfalt von Materialien und Medienarten zusammenstellen und beschreiben. Und natürlich kann man Pina Bauschs Einfluss auf die zeitgenössischen Performing Arts gar nicht hoch genug bewerten. Um der Komplexität des Archivs, der Vorstellung seiner Gründer und der Bedeutung der Künstlerin Pina Bausch gerecht zu werden, war ein internationales Team von Archivaren, Informatikern und Fachleuten auf dem Gebiet des Tanztheaters daran beteiligt, dieses neue lebendige Archiv aufzubauen. Solche Formen von Zusammenarbeit sind anspruchsvoll (zuweilen sogar kontrovers),
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doch der Wunsch, sich ein neuartiges Archiv vorzustellen, brachte die Experten dazu, über ihre Grenzen hinauszugehen und außerhalb ihrer gewohnten Wissensgebiete zu arbeiten. Somit machte es das Projekt erforderlich, dass sich Experten für Archive, Tanz und Informatik auf neu erdachte Arbeitsweisen einließen. Diese Zusammenarbeit umfasste Tänzer, Regisseure, bildende Künstler, Grafiker, Fotografen, Autoren, Studenten und Theoretiker, um nur einige Personenkreise zu nennen. Das Projekt Pina Bausch Archiv entwickelte sich zu einer Zusammenarbeit in der Dokumentation, die zuweilen vielleicht die von der Künstlerin in ihrem kreativen Prozess verwendete Dokumentation widerspiegelte. Denn Pina Bausch hinterließ spezifische Anweisungen für Aufbau und Aufgabe des Archivs, und dieses Projekt lässt sich vom Geist ihrer Wünsche leiten, wie er von denen verstanden wird, die am Archiv arbeiten. Die Vergänglichkeit des Tanzes führt zu einer fast obsessiven Beschäftigung mit seiner Seinsweise, so dass fast jede Diskussion über ein Archiv mit dem Hinweis beginnt, dass eine Performance sich nicht erfassen lasse. Das geht inzwischen so weit, dass die Frage, wie eine Performance zu dokumentieren sei, und die Behauptung, dass eine Performance sich nicht dokumentieren lasse, im akademischen Diskurs von vielen Disziplinen wie Performance Studies, Tanzwissenschaft, Theaterwissenschaft und Theatergeschichte geradezu austauschbar geworden sind. Auch Künstler streiten sich um das Konstrukt einer Dokumentation des Vergänglichen. Kunst und akademische Wissensproduktion kreisen in ihrer jeweiligen Ökonomie und Archive werden als Quellen bezeichnet, an denen die Archivare ‚tolle‘ Dinge auftischen – die primären Dokumente. Was aber sind die primären Dokumente einer Performance? Nichts währt ewig. Performance-Künstler versuchen ihr Werk mit Hilfe aller möglichen Techniken und Methoden zu erfassen und festzuhalten, wobei sie sich durchaus der Grenzen der Darstellung bewusst sind. Der Eifer zu dokumentieren gebiert eine verwirrende Vielfalt von Materialien – eine Überproduktion von Dokumenten, um deren Unzulänglichkeit man längst weiß. Die Society of American Archivists definiert Archive folgendermaßen: „Materialien, die von einer Person, Familie oder öffentlichen oder privaten Organisation bei der Erledigung ihrer Angelegenheiten geschaffen oder empfangen und aufgrund des anhaltenden Wertes der Informationen, die sie enthalten, oder als Beleg für die Funktionen und Zuständigkeiten ihres Urhebers aufbewahrt werden.“�1 Archive werden hier also als organische Nebenprodukte oder Spuren der Aktivitäten ihrer Urheber definiert; das Aufbewahren und Beschreiben dieser Materialien geschieht erst, nachdem sie als Archivmaterialien bezeichnet worden sind. In einem Modell der Aktenführung wird dieser Prozess als Lebenszyklus verstanden, an dessen Ende Akten und Aufzeichnungen mit „anhaltendem historischem Wert“ ins Archiv aufgenommen werden. In Archiven der Performing Arts wie dem Pina Bausch Archiv erfolgt die Dokumentation wohlüberlegt und organisiert. Die Dokumentation für Pina Bausch und viele andere Performance-Künstler ist ein Instrument zur Erzeugung von Werktechniken, die für praktische Zwecke angewandt werden. Die Performance vergeht, aber der Prozess der Schöpfung und des Erinnerns hinterlässt einen Berg von Materialien.
1 Society of American Archivists, „Statement of Principles“ – http://www2.archivists.org/standards/DACS/statement_of_principles (Stand: 30.12.2013). Aus dem Englischen von von Michael Schmidt.
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Die Dokumentationsstrategie und das lebendige Archiv Eine Google-Suche nach „living archive“ ergab Millionen von Treffern.2 Da wurden zahlreiche Projekte in so unterschiedlichen Institutionen wie der Stanford University und der Universität Malmö aufgeführt. Der Begriff ist auch von zahlreichen Disziplinen übernommen worden, von Open Data Projekten in Programmen der Informatik bis zu asiatischen Kunstmuseen. Während der Begriff Living Archive bei diesen Projekten unterschiedlich angewandt wird, steht hinter allen anscheinend der gleiche Impuls, nämlich sich von einem Archivmodell des statischen Speichers zu unterscheiden. Diese lebendigen Archive und Sammlungen erheben den Anspruch, kein verstaubtes, verschlossenes oder unzugängliches Magazin zu sein, das irgendwie bedeutungslos ist und obskuren Modellen von Gelehrsamkeit und institutionalisierten, akademischen Projekten dient. Ein lebendiges Archiv wird oft als offen, kollaborativ und kreativ charakterisiert. Als angewandter Begriff scheint das lebendige Archiv im Augenblick so etwas wie ein bewegtes Ziel zu sein, ein großes Zelt, das verschiedenartige Sammlungen unterschiedlicher Organisationen und Individuen beherbergt. Derzeit ist ein lebendiges Archiv eher eine Beschreibung dessen, was es sein will, als das, was es wirklich ist. Informationsarchitekten haben sich vor kurzem erneut mit Paul Otlet und der Arbeit des 1895 in Brüssel entstandenen International Institute of Bibliography beschäftigt. Otlet, ein Visionär, der seiner Zeit weit voraus war, stellte sich Praktiken der „diskursiven Information“ (Foucault) vor wie etwa verlinkte Datenbanken, wissenschaftliche Kommunikationsnetzwerke oder Multimediahypertext. Im späten 19. Jahrhundert dachte Otlet sich Wissensnetzwerke aus, die Informationsspezialisten und Wissenschaftler erst heute als tektonische Verschiebungen in der Art und Weise beschreiben, wie Information verbreitet und gesammelt wird. Helen Samuels und andere Anhänger der Dokumentationsstrategie in archivarischen Bewertungspraktiken stellten die Vorstellung in Frage, Archive seien irgendwie neutrale, gleichgültige und daher objektive Magazine, makellose Einheiten mit minimaler Intervention und Interpretation von Seiten der Kuratoren und Kreatoren, die sie interpretieren. Die Dokumentationsstrategie ist „ein Plan, der so formuliert ist, dass er der Dokumentation ein permanentes Anliegen, eine dauerhafte Tätigkeit oder ein geografisches Gebiet garantiert“. Sie setzt voraus, dass Archive innerhalb von Systemen geschaffen und dass viele Mitarbeiter benötigt werden, um die Funktionen dieses Urhebers oder dieser Institution darzustellen. Die Dokumentationsstrategie erhebt den Anspruch, dass Archivare, Urheber, Fachleute für bestimmte Themen und Gebiete sowie andere Personen nacherzählen, kuratieren und künftige Nutzer eines Archivs durch die Sammlungen führen können. Und die Dokumentationsstrategie hofft, all diese Prozesse auch transparent machen zu können. Indem wir zwei Formulierungen von Dokumentation übernehmen, können wir vielleicht die Methode besser verstehen, nach der das Pina Bausch Archiv und die laufende Arbeit an diesem Projekt konzipiert werden sollen. Dank Otlet können wir untersuchen, wie Dokumentationstheorien die Einrichtung von Netzwerken von Suchwerkzeugen vorantreiben, um die Prozesse zu veranschaulichen, wie ein Tanz erschaffen wird. Mit Hilfe von Archivstrategien zur Dokumentation gelangen wir vielleicht zu einer multifokalen und dynamischen Darstellung der Mitarbeiter bei der Erschaffung eines Werks von Pina Bausch. Zusammengenommen helfen uns diese Konzepte bei der Visualisierung eines Aufführungsarchivs, das sowohl die Grenzen der Darstellung einbezieht und gleichzeitig über das hinausgeht, was normalerweise ein eher traditioneller Umgang mit einem archivarischen Magazin zu leisten vermag.
2 Google Search ermittelt über 682.000.000 Einträge zum Begriff: ‚living archive’ (Stand: 30.12.2013).
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Archivarische Praxis und Dokumentationsstrategien im Pina Bausch Archiv Die Fachleute, die am Projekt Pina Bausch Archiv arbeiten, wussten von Anfang an, wie komplex es ist, das Werk von Pina Bausch zu archivieren. Mit Hilfe von Dokumentationsstrategien wurden Führer und andere Dokumente erstellt, die die Sammlungen beschreiben. Diese Führer und Beschreibungen sollten nicht nur die physischen Objekte in den Sammlungen darstellen, sondern auch zeigen, wie sie mit der Aufführung in ihrer ganzen Komplexität zusammenhängen. Eine bestimmte Dokumentationsmethode ermöglichte die Hinführung zu Einbindung und Offenheit sowie zur Entwicklung von Beschreibungswerkzeugen, die die Komplexität des Erlebens einer Aufführung betonten. Auf diese Weise wäre ein nahezu vollständiges Bild der Aufführung und des Schaffensprozesses möglich. Man hoffte, ein dynamisches Archiv von Pina Bausch werde Künstlern die Instrumente an die Hand geben, die Stücke wiederaufzuführen, und es Wissenschaftlern, Studenten und Fans ermöglichen, zu einem nuancierteren Verständnis des Werks zu gelangen. In dem 1985 in der BAM-Zeitschrift veröffentlichten Aufsatz On The Next Wave wird Pina Bausch zitiert: Es hört sich komisch an, aber unsere Arbeit ist ein Mix von Elementen. Ich weiß gar nicht, was sie ist. Sie tanzen; Leute reden; andere singen. Wir arbeiten auch mit Schauspielern. Und wir setzen Musiker in den Werken ein. Es ist richtiges Theater. Für uns ist die Bühne auch wichtig. Wir tanzen nicht einfach in einem Zimmer, in einem Raum. Wo es ist, die Atmosphäre, in der die Bewegung geschieht, das ist wichtig in meinen Stücken.3 Pina Bausch erklärt, sie wisse nicht, wie sich das Werk auf eine Genrebezeichnung reduzieren lasse. So existiert die Aufführung als ein vorrübergehendes Erlebnis, das von einem Zuschauer verkörpert wird. Was begreift das Publikum? Eine Reihe von Ideen, Bildern, Gefühlen, kaum wahrnehmbare, unausgesprochene, flüchtige Vorstellungen, die sich nicht in einem Archiv erfassen lassen. Pina Bausch verweist auch auf einige Aufführungselemente wie Bühnenbilder und Musik. Andere Elemente wie Kostüme, Requisiten, Beleuchtungspläne und so weiter lassen sich leichter in ein physisches oder digitales Archiv überführen. So wurde beispielsweise damit begonnen, alle Kostüme aus jeder Produktion zu fotografieren, zu katalogisieren und in einem Suchwerkzeug für vernetzte Daten hochzuladen. Um die Dokumentation dieses bestimmten physischen Aufführungselements zu vervollständigen, wurden Metadaten mit Hilfe existierender und lokaler Standards angelegt. Diese Metadaten und die digitalen Ersatzdokumente wurden in die Datenbank hochgeladen und durch zahlreiche Verknüpfungen mit anderen Aufführungselementen vernetzt. Auf diese Weise werden alle Aufführungselemente dokumentiert. Die physischen Sammlungen von Elementen, die bei Aufführungen auf der Bühne verwendet werden, enthalten unter anderem Kulissen, Kostüme, Requisiten, Puppen und lebendige Tiere. Das Erfassen dieser Dinge für das Archiv wird zusätzlich erschwert durch die Tatsache, dass vieles davon noch vom Tanztheater verwendet wird. Nur allzu leicht lässt sich behaupten, dass das Erlebnis der Aufführung verloren gegangen ist. Doch im Zentrum der Dokumentation stehen Techniken und Technologien, mit denen alles Körperliche erfasst werden soll. Teilnehmer, Aufführende und das Publikum müssten dokumentiert werden können. Doch auch dazu meint Pina Bausch: „Es ist eine Lebenswelt, eine Atmosphäre.“ Erinnerungen lassen sich trotz all ihrer Grenzen mit Hilfe mündlicher Berichte und Interviews festhalten. Dank schriftlicher und persönlicher Erzählungen ist die Dokumentation buchstäblich aus Fleisch und Blut.
3 Aus dem Englischen von Michael Schmidt.
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Dokumentation von Aufführungen Programmhefte und Abendzettel, die in den meisten Archiven als vergängliche Publikationen gelten, spielen in einem Aufführungsarchiv eine wichtige Rolle. Die aus Programmheften gewonnenen Daten bilden gleichsam einen Stamm in einem Suchwerkzeug, etwa einer Datenbank oder in diesem Fall einer vernetzten Datenumgebung, indem sie eine Zeitachse von Ereignissen erzeugen, die Informationen über Mitarbeiter, Aufführende, Spielstätten, geografische Orte und andere wichtige Dinge liefert. Dieses Datenmodell entstand nach bestehenden lokalen Standards, wurde aber in erster Linie auf FRBR (Functional Requirements of Bibliographic Records) aufgebaut, dem von der IFLA, dem Internationalen Verband der bibliothekarischen Vereine, entwickelten Datenmodell, das die erforderlichen logischen Strukturen liefert, um eine Aufführung zu katalogisieren. Das FRBR-Modell besteht aus drei Gruppen von Entitäten. Die Entitäten der Gruppe eins bilden die Grundlage des FRBR-Modells. Sie umfassen die Produkte einer intellektuellen oder künstlerischen Tätigkeit und sind am besten geeignet, Aufführungsdokumente zu beschreiben. Diese Entitäten heißen Werk, Expression, Manifestation und Item (WEMI). Wie bereits erwähnt, geht es beim Katalogisieren von Aufführungen um eine Reihe von miteinander verknüpften Dokumenten. Wendet der Katalogbearbeiter die FRBR-Entitätengruppe an, kann er die Beziehung zwischen den miteinander verknüpften Dokumenten hierarchisch darstellen, wobei die Entität Werk an der Spitze der Hierarchie steht, gefolgt von Expression, Manifestation und Item. Im Prinzip ist das FRBR-Modell eine ganzheitliche Such- und Zugangsmethode. Wenn man ein Aufführungsdokument einer entsprechenden Entität zuordnet, liefern die Beziehungen zwischen den Entitäten Links, die das Navigieren durch die Hierarchie erleichtern. Dieses Modell ist besonders dann von großer Bedeutung, wenn man es auf eine vernetzte Datenumgebung anwendet wie das für das Pina Bausch Archiv entwickelte Suchwerkzeug. Printmedien wie Programmhefte, Werbebroschüren, Poster, Fotos und Aufführungsvideos werden am häufigsten angefordert und genutzt. Weil sie als vorausweisende, publizierbare Materialien konzipiert sind, erscheinen sie oft in Hochglanzqualität und gelten als mehr oder weniger ‚offizielle‘ Darstellungen der Aufführung. Materialien, die die Aufführung dokumentieren, machen die Masse vieler Sammlungen aus, die in größeren institutionellen Magazinen aufbewahrt werden. Diese Materialien werden als das offizielle Protokoll der Aufführung am ehesten von den Produzenten aufbewahrt und in andere Archive überführt. Im Pina Bausch Archiv werden diese Sammlungen umgesiedelt, digitalisiert und katalogisiert. Digitale Ersatzdokumente werden in die Datenbank hochgeladen und mit dem Stamm verknüpft, der von den aus der Programmreihe eingegebenen Metadaten gebildet wird. Doch weil dieses Projekt mit einer Dokumentationsstrategie betrieben wird, werden diese Materialien kuratiert, kommentiert und interpretiert, während sie verarbeitet werden. So wird beispielsweise ein Video-Annotations-Tool entwickelt, das eine relationale Datenbank nutzt, um Anmerkungen direkt in das verlinkte Datenwerkzeug einzugeben. Die Verarbeitung selbst geht der Entwicklung dieses Werkzeugs voraus. Mehrere Jahre lang haben von Pina Bausch ausgewählte Tänzer Videos nach mehreren Kriterien überprüft und ausgesucht. Deren Anmerkungen werden die ersten sein, aber zusätzliche Mitarbeiter und andere Tänzer fügen weiter Kommentare hinzu, die ins Archiv aufgenommen werden können. Oder Mitglieder des Tanztheaters identifizieren Tänzer, die in einem Bild dargestellt sind.
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Dokumentation als kreativer Prozess Viel ist über Pina Bauschs Schaffensprozess und die Entstehung ihrer Stücke geschrieben worden. Während einige ihrer Werke existierende Texte oder Partituren neu interpretieren, gingen ihre Stücke oft von den grundlegenden Fragen des Lebens aus. Ich will hier nicht die Mechanik dieses Vorgangs rekonstruieren. Doch es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Pina Bausch während ihres gesamten Schaffensprozesses Dokumentationsstrategien und archivarische Prinzipien angewandt hat. Die Stücke wurden sorgfältig dokumentiert, mit Hilfe vieler Medienformate wie Notizen und Notizheften, Videoaufzeichnungen von Proben, Fotos und anderen Bildern, die oft als Anregung wie als Aufführungselemente dienten, Notizen von Tänzern, von Assistenten geführten Regiebücher, die den Ablauf eines Stückes versuchen festzuhalten, Musik und vielen anderen Formaten. Überdies wurden Dokumente nach den Wünschen von Pina Bausch angelegt. Künstler wissen, wie gesagt, um die Vergänglichkeit ihres Werks und vermögen es am besten zu beschreiben und zu bewahren. Archive sind somit ein wesentlicher Bestandteil ihres Schaffensprozesses. Was also sind nun die primären Dokumente eines Stücks von Pina Bausch? Aufnahmen mit drei Kameras, ein Programm von einer japanischen Premiere, ein Probenvideo auf Super-8, eine Kritik aus der New York Times, ein Fado-Liebeslied, ein Pudel, eine Blume, Wasser, ein Stein, ein Schuh, eine Kantine: Ist es zu einfach oder zu vordergründig zu sagen: Aufführung ist Dokumentation? Eine lange Liste von materiellen Objekten, von Tönen, Gerüchen und Gefühlen? Dinge handeln vom Geschichtenerzählen. Ich gebe euch dieses Ding, weil ich euch liebe. Oder weil es mir gegeben wurde. Weil ihr euch darum kümmern werdet. Weil es euer Leben kompliziert machen wird. Weil es jemand anderen neidisch machen wird. Es gibt keine einfache Geschichte im Erbe. Woran wird man sich erinnern und was vergessen?4
4 Edmund de Waal: The Hare With Amber Eyes: A Family’s Century of Art and Loss, New York: Farrar Straus & Giroux, 2010.
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Rekonstruktion als schöpferischer Prozess. Das Tannhäuser-Bacchanal von Pina Bausch 1972 – 2004 – 2013. Ein Probenbericht Stephan Brinkmann
Die Venusbergszene in Richard Wagners Tannhäuser-Bacchanal ist eine von zwei Choreografien, die Arno Wüstenhöfer, ehemaliger Wuppertaler Generalintendant, bei Pina Bausch 1972 in Auftrag gab. Er wollte testen, so Wüstenhöfer, „ob sie die große Form im großen Raum schafft“ (Arno Wüstenhöfer zitiert nach Schlicher 1987: 108). Bereits ein Jahr zuvor hatte Wüstenhöfer Pina Bausch mit der Uraufführung von Aktionen für Tänzer beauftragt, der ersten Choreografie des Folkwang-Balletts für die Wuppertaler Bühnen. Die Ouvertüre der Oper Wagners, zu der die Venusbergszene gehört, war Pina Bausch bekannt. Sie hatte während ihres New Yorker Aufenthalts beim Ballett des Metropolitan Opera House in einer Tannhäuser-Inszenierung eine der drei Grazien getanzt (Linsel 2013: 45). Pina Bauschs Version der Venusbergszene, die sie mit dem Folkwang-Ballett und Studierenden der Tanzabteilung Essen erfand, überzeugte Wüstenhöfer endgültig, ihr den Posten der Ballettdirektorin der Wuppertaler Bühnen anzubieten. Obwohl sie lange zögerte, nahm Pina Bausch Wüstenhöfers Angebot schließlich an. „Ich kann es ja mal probieren“, soll sie damals zu ihm gesagt haben (Linsel 2013: 56). Mit dem Bacchanal hatte die Choreografin aber nicht nur Arno Wüstenhöfer überzeugt. Der Kölner Stadtanzeiger schrieb, Pina Bausch habe damit ihre bisher beste Choreografie entworfen (Reinhard Beuth im Kölner Stadtanzeiger vom 21.3.1972) und die Frankfurter Rundschau fand, die Darstellung „erhebt sich unvergleichlich über westdeutsches Opernballett – und das nicht nur in der technischen Qualität“ (Ulrich Schreiber in der Frankfurter Rundschau vom 25.3.1972). Zwar war in der Rheinischen Post auch von „viel Gymnastik und kaum Erotik“ zu lesen (Heinrich von Lüttwitz in der Rheinischen Post vom 15.3.1972) aber Pina Bausch hatte mit dieser Choreografie über die Grenzen der Folkwang Hochschule hinaus von sich reden gemacht und einen überwiegend positiven Eindruck hinterlassen.
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Das Bacchanal verschwand mit dem Beginn des neu gegründeten Tanztheater Wuppertal vom Spielplan. Die Wagner-Oper war abgespielt und das Bacchanal mit Tänzern entstanden, von denen viele nicht zum Tanztheater Wuppertal gehörten. Als eigenständige Aufführung war die zehnminütige Choreografie zu kurz und mit dreiundzwanzig Tänzern nur mit einem vergrößerten Ensemble realisierbar. Erst im Jahr 2004 war das Bacchanal im Rahmen des Internationalen Tanzfestivals wieder zu sehen, zwei Mal in der Neuen Aula der Folkwang Universität in Essen und einmal im Wuppertaler Schauspielhaus. Warum nahm Pina Bausch dieses Stück dreißig Jahre später wieder auf? „Es war für sie immer wieder einer Herausforderung sich mit ihren Sachen zu konfrontieren“, sagt Barbara Kaufmann, Tänzerin des Tanztheater Wuppertal, dazu. „Sie hat oft die Neugier ausgedrückt, Sachen wiedersehen zu wollen.“ Außerdem, so Barbara Kaufmann weiter, habe Pina Bausch das Tannhäuser-Bacchanal immer als das „Urgestein“ ihres Sacre bezeichnet, jener Choreografie also, die seit 1975 das Erscheinungsbild der Wuppertaler Kompanie entscheidend mitbestimmt und zu den Stücken zählt, die während des vierzigjährigen Bestehens des Tanztheaters am häufigsten aufgeführt worden sind. Ein ganzes Jahr hatte die erste Rekonstruktion mit Studierenden der Folkwang Universität und dem Folkwang Tanzstudio zwischen 2003 und 2004 gedauert. Anhand von unscharfen, dreißig Jahre alten Videos, handschriftlichen Aufzeichnungen von Pina Bausch sowie ihrer Notizen in der Wagner-Partitur war die Venusbergszene unter der Probenleitung von Barbara Kaufmann entstanden. Bereits zuvor hatte Marigia Maggipinto, ehemalige Tänzerin des Tanztheater Wuppertal, damit begonnen, die alten Videobänder zu entschlüsseln und erste Aufzeichnungen anzufertigen, eine Vorarbeit, auf die Barbara Kaufmann zurückgreifen konnte und die sie 2003 fortsetzte, assistiert von Folkwang-Alumna Nina Dipla. Zunächst, schildert Barbara Kaufmann, wurden ohne bestimmte Besetzung der einzelnen Rollen Bewegungen des Stücks gelernt. Dann wurden anhand der Videoaufnahmen Wege und Aufstellungen einzelner Tänzer geklärt und die Rollen an die Studierenden verteilt. Eigentlich waren es zwei Videos, so Barbara Kaufmann weiter, mit denen sie damals gearbeitet hätten. „Auf dem einen konnte man einigermaßen etwas erkennen, schleierhaft aber immerhin, aber nicht viel hören, auf dem anderen konnte man einigermaßen die Musik hören, aber wirklich wenig sehen.“ In einer späteren Phase des Entschlüsselns und Puzzelns sei dann Pina Bausch dazu gestoßen, Bewegungen zeigend und musikalisch Hilfestellung gebend, immer mit dem Kommentar: „Das kenn’ ich“ und „Das kenn’ ich nicht.“ Ein drittes Video, erinnert sich Barbara Kaufmann schmunzelnd, habe Pina Bausch damals dann auch noch aus der Tasche gezogen. Im Tun habe sich Pina Bausch an ihre Bewegungen erinnert und dann vor allem Details mit den Tänzern geklärt. Die konnten auf diese Weise die Bewegungen von ihr persönlich lernen und das Stück danach weiter zusammen proben. Die Idee, das Bacchanal 2013 erneut aufzunehmen und es damit zum dritten Mal auf die Bühne zu bringen, entstand bei Vorüberlegungen zu der vierten Biennale Tanzausbildung, die im Februar 2014 an der Paluccaschule in Dresden stattfand. Jede der dort teilnehmenden staatlichen Ausbildungsstätten präsentierte sich der Öffentlichkeit mit einem kurzen Programm, das einen Bezug zu dem Leitthema der Biennale hatte und die jeweilige Ausbildungsstätte repräsentierte. Das Leitthema der Biennale 2014 lautete „Ausbildung – Beruf: Ein kreativer Prozess“ und Bezüge zum Tannhäuser-Bacchanal sind auch hier gegeben. Die Choreografie steht für Pina Bauschs Eintritt in die professionelle Welt des Theaters mit all seinen Möglichkeiten – und seinen Grenzen. Außerdem wirkten schon bei seiner Uraufführung Tanzstudierende mit und bekamen so die Gelegenheit, die professionelle Welt des Stadttheaters zu erleben. Das Folkwang Tanzstudio – damals auch unter dem Namen Folkwang-Ballett bekannt und 1972 und 2004 beteiligt – ist eine zehnköpfige Kompanie, die seit fünfzig Jahren an der Folkwang Universität arbeitet und Absolventen der Folkwang-Tanzausbildung sowie externen jungen Tänzern den Übergang in die professionelle Tanzwelt erleichtert und gleichzeitig deren künstlerische Entwicklung fördert. Die Kreativität des Einzelnen wird insofern angesprochen, als dass jede Rekonstruktion schöpferische Kräfte der Tänzer freisetzt und zugleich einfordert.
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Es gehe, so Barbara Kaufmann auf die Frage nach kreativen Prozessen während einer Rekonstruktion, nicht nur darum, mit dem Körper Bewegungen nachzuvollziehen, die bereits existieren, sondern vor allem darum, diese auch künstlerisch zu füllen: „Die Imaginationskraft, die muss man ja aus sich selber holen. Ich finde es auch wichtig für junge Tänzer, den Mut zu haben, sich als Künstler zu begreifen und etwas zu gestalten.“ Die Tanzstudentin Lea Benecke, Studentin des dritten Jahrgangs, erläutert den Lernprozess dementsprechend: „Wir haben gelernt, ein Bild zu erschaffen, eine Atmosphäre zu kreieren.“ Nach Pina Bauschs Tod 2009 musste die zweite Rekonstruktion des Tannhäuser-Bacchanals 2013 mit völlig neuen Tanzstudierenden und ohne Pina Bausch stattfinden. Es war klar, dass dies nicht ohne Barbara Kaufmann geschehen könne. Sie hatte die erste Rekonstruktion geleitet und mit Pina Bausch zusammen zur Aufführung gebracht. Barbara Kaufmann besaß neben ihren eigenen Notizen nicht nur Aufzeichnungen von Pina Bausch selbst, sondern hatte vor allem noch in direktem Kontakt Informationen zu Stück und Bewegungen erhalten. Als langjährige Tänzerin des Tanztheater Wuppertal kannte sie auch alle anderen Choreografien von Pina Bausch und hatte für zahlreiche Stücke, wie z.B. Sacre oder Iphigenie auf Tauris, die Proben geleitet und Neueinstudierungen betreut. Auch dadurch war sie mit Pina Bauschs Bewegungssprache vertraut. Ich hatte das Stück zum ersten Mal im Oktober 2004 in Essen und anschließend im Wuppertaler Schauspielhaus gesehen und kannte es bis dahin vom Hörensagen als die Choreografie, die Pina Bausch den Posten der Ballettdirektorin in Wuppertal eingebracht hatte. Es wurde im Oktober 2004 zusammen mit Sacre in einem Abendprogramm in Essen gezeigt und so konnten alle Tänzer, die in Sacre auftraten – unter ihnen auch ich – die Generalprobe des TannhäuserBacchanals sehen. Schon damals war ich beeindruckt von der Komposition und der Musikalität der Choreografie. „Ihre Beherrschung der Polyphonie ist perfekt. Ich habe das eigentlich nirgendwo anders so gesehen“, sagte Hans Züllig, ehemaliger Leiter der Tanzabteilung der Folkwang Universität, einmal über das Tanztheater von Pina Bausch (Hans Züllig zitiert nach Kay Kirchmann). Noch offensichtlicher trifft diese Beschreibung Zülligs auf Pina Bauschs frühe Arbeiten zu: Reine Tanzwerke, orientiert am amerikanischen Modern Dance und am deutschen Ausdruckstanz, die komplex und äußerst musikalisch gebaut sind und zu denen auch die Venusbergszene gehört. Für Musikalität und Polyphonie ist das Tannhäuser-Bacchanal ein Paradebeispiel, agieren dort doch dreiundzwanzig Tänzer zugleich und zuweilen höchst unterschiedlich zu Wagners romantisch wallenden Klängen. Ich konnte 2004 so manches wiedererkennen, was mir durch jahrelanges Sacre-Tanzen vertraut war: Die runden, fließenden Formen der Arme, die kraftvollen Bewegungen aus der Körpermitte heraus, die eine oder andere Hebung und ganz besonders Pina Bauschs langer Bewegungsatem, der in dieser Komposition sicht- und fühlbar wird. Während eines Gesprächs im Januar 2013, das mit der Leitung des Tanztheater Wuppertal und der Pina Bausch Foundation stattfand, wurden die Proben für den Zeitraum vom 17. April bis zum 14. Mai 2013 festgesetzt. Mehr als diese vier Wochen Zeit standen uns nicht zur Verfügung, um das Stück zu rekonstruieren. Wir, das waren Barbara Kaufmann und ich, die das Stück erst lernen und es dann an die Studierenden weitergeben würden. Ab Mitte Mai würde Barbara dann wieder mit Proben und Vorstellungen des Tanztheaters beschäftigt sein und die Proben sollten von mir alleine fortgeführt und das Stück schließlich zur Aufführung gebracht werden. Eine erste Vorstellungsserie des Tannhäuser-Bacchanals wurde für den Tanzabend 2013 der Folkwang Tanzabteilung Mitte Juni geplant. So hätten wir das Stück bereits rekonstruiert und aufgeführt, bevor es im Februar 2014 nach Dresden reisen würde.
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Sichten und Lernen Barbara und ich lernten das Stück selbst, bevor die Proben mit den Studierenden begannen. So vermieden wir ein mühsames Entziffern mit allen Tänzern vor dem Videogerät und gewannen viel Zeit. Etwa fünfzehnmal trafen wir uns von Februar bis März 2013 und lernten den Part jedes einzelnen Tänzers. Das bedeutete oft für eine Einheit von acht Zählzeiten fünf bis zehn unterschiedliche Bewegungsphrasen auf dem Video zu erkennen, anschließend zu erlernen und schließlich zu behalten, denn die Aktionen der Tänzer sind längst nicht alle synchron. Zwar gibt es größere Gruppen, die für kurze Momente auch synchron agieren, aber ebenso schnell lösen sich diese Gruppen wieder auf oder bilden neue Konstellationen untereinander. Eine große Hilfe waren in dieser Phase des Erlernens nicht nur Barbaras Aufzeichnungen von 2004, sondern auch mehrere Videos der Vorstellungen in Essen und Wuppertal aus dem Tanzfestival, auf denen alle Bewegungen, Plätze und Aufstellungen der Tänzer gut zu erkennen waren. Ab und zu zogen wir auch die alten Videos aus den Siebzigern zu Rate. Alles, was wir lernten, schrieben wir nochmals auf – jeder in seinem eigenen System und seiner eigenen Sprache, für manche Bewegungen legten wir auch gemeinsame Bezeichnungen fest, wie z.B. „Arm–Arm“, „Malou“ oder „Erste Männerposition“. Diese Zettel waren mir in den späteren Proben eine große Hilfe, um die Proben zügig und effizient durchführen zu können. Barbara hatte das Stück bereits damals in acht Teile gegliedert und wir behielten diese Aufteilung bei. Jeder Teil wurde in acht, zehn oder vier Schlägen auf die Musik Wagners gezählt, wie z.B. der erste Teil: erste bis dritte Acht, erste Vier, vierte Acht, erste Zehn, fünfte und sechste Acht, zweite Vier, zweite Zehn, dritte Vier, siebte bis neunte Acht. Für jede dieser Zählzeiten sind Bewegungen festgelegt, die solistisch oder synchron getanzt werden. Jeder Tänzer muss wissen, was er wann zu tun hat und wo er in jedem Moment sein soll. Es würde unsere Aufgabe sein, dreiundzwanzig Tänzern die Bewegungen und die dazugehörenden Wege im Raum deutlich zu machen. In dem ersten Teil sind besonders die Männer in Aktion, während die Frauen sich vom Boden heben und wieder zurücksinken. Die Männer arbeiten im Tannhäuser – wie später in Sacre auch – besonders viel mit starken Akzenten am Ende der Bewegungen, in der Fachterminologie terminal accent genannt. Im terminal accent kommen Kraft und Zielbewusstsein zum Ausdruck und Pina Bausch setzte diesen Akzent oft ein, wenn sie für Männer choreografierte. Um diesen Teil besser verstehen und tanzen zu können, waren mir meine Erfahrungen in Sacre sehr hilfreich, denn auch dort gibt es viele Akzente am Ende der Bewegungen und ich konnte schon in dieser ersten Phase des Sichtens und Lernens mit dem eigenen Körper spüren, dass das Tannhäuser-Bacchanal der Vorläufer von Sacre ist. Sechs Männer gibt es im Tannhäuser und für den ersten Teil hatten wir dementsprechend sechs unterschiedliche Männerparts zu lernen, neben den vereinzelten Aktionen der Frauen auf dem Boden und zwei weiblichen Solistenrollen. Teil für Teil arbeiteten wir uns so voran. Mit bestimmten Stellen, besonders den Hebungen von fünf Paaren im dritten Teil, befassten wir uns weniger ausführlich. Wir beschlossen, die Hebungen nicht selbst zu lernen, sondern mit den Studierenden zusammen herauszufinden und sie damit direkt in den Prozess des Rekonstruierens einzubinden. Auch für die Hebungen existierten bereits Aufzeichnungen, zum Teil auch kleine handgezeichnete Strichfiguren in den jeweiligen Positionen. Im Rückblick beschrieb Just Berger, Tanzstudent im dritten Jahr, die Erarbeitung der Lifts durchaus auch als kreativ „da man nicht immer zu hundert Prozent erkennen konnte, wo man anfassen muss bzw. jeder Körper unterschiedliche Hebel hat.“ Für uns Probenleiter war die Rekonstruktion mit einem eigenen Lernprozess verbunden. „Das gemeinsame Suchen und Finden finde ich einen wichtigen und dynamischen Prozess daran“, so Barbara Kaufmann zu dieser Phase. Ebenso wichtig sei die gründliche Vorbereitung, neben dem Austausch derjenigen untereinander, die mit dem Finden der Bewegungen beschäftigt seien. Hinzufügen lässt sich, dass Pina Bausch durch die Beschäftigung mit ihren Bewegungen und ihren Stücken auch körperlich fühlbar und in den Bewegungen anwesend wird und damit durch ihr Werk wirksam bleibt.
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Vermitteln Bevor wir die Proben Mitte April mit den Studierenden begannen, gelang es, Irene Ebel als Assistentin für die Rekonstruktion zu gewinnen. Irene hatte das Bacchanal 2004 als Tänzerin des Folkwang Tanzstudios selbst getanzt, damals die Rolle von Catherine Denisot. Sie war eine der Tänzerinnen, die die zum Teil komplizierten Hebungen getanzt hatte und ihre Mitarbeit war hilfreich, um die Paarhebungen wiederzufinden. Bevor wir begannen, überlegten Barbara und ich bereits, wer von den Studierenden welche Rolle übernehmen sollte, damit wir die Plätze in der Choreografie zügiger verteilen konnten. Es entstanden lange Listen, wer 1972 und 2004 getanzt hatte und wer 2013 übernehmen sollte: Anna – Lotte – Ophelia, Ivan – Ben – Jonas, Tjitske – Thusnelda – Linda oder Carlos – Jae Won – Just. Wenn vorhanden, konnten die Studierenden sogar auf Aufzeichnungen ihrer Vorgänger zurückgreifen. Linda Brodhag, Masterstudierende des Studiengangs Tanzkomposition, berichtet z.B., dass ihr die Notizen von Thusnelda Mercy, die die Rolle 2004 tanzte, geholfen haben, die Bewegungen präziser auszuführen. Um allen Studierenden die Chance zu geben, das Stück zu lernen, besetzten wir einige Männerrollen doppelt, denn wir hatten mehr Männer in der Gruppe der Studierenden als verfügbare Plätze in der Choreografie. Probiert wurde mit vier Masterstudierenden und Studierenden des zweiten und dritten Jahrgangs der Tanzabteilung. Die Studierenden stammten aus Deutschland, Schweiz, China, Taiwan, Italien, Frankreich, Iran, Brasilien und Mexiko. Das Folkwang Tanzstudio war diesmal nicht beteiligt. Wir probten drei Stunden täglich, neben dem Training und den Kursen, die die Studierenden im Rahmen ihres Studiums absolvieren müssen. Die Samstage reservierten wir für die Paarhebungen und bestellten an diesen Tagen nicht alle Tänzer, sondern nur diejenigen, die die Hebungen auch lernen sollten. Obwohl Barbara und ich gut vorbereitet waren, konnten wir ein Nachprüfen einzelner Bewegungen oder Aufstellungen auf einem Video nicht umgehen. Barbara hatte ihren Computer dabei, ich hatte einen TabletComputer zur Hand, was sich als hilfreich erwies, da wir uns so den Gang zum Videogerät sparen konnten. Stattdessen trug ich den Computer oft zu den Tänzern. Wir versuchten tatsächliche Bewegungsausführung und Videoaufnahme nicht zu häufig miteinander zu vergleichen, damit ein eigenes Empfinden der Bewegungen sowie der ganzen Szene seitens der Studierenden entstehen konnte. Eine Videoaufzeichnung des gesamten Stückes zeigten wir erst nach der ersten Probenwoche. Das Sichten der Originalvideos aus den Siebzigern faszinierte die Studierenden dabei besonders. „Zu wissen, dass es sich bei dieser Rekonstruktion um ein Stück handelt, welches vor mehreren Jahrzehnten uraufgeführt wurde, machte die Arbeit für mich noch umso spannender. Manchmal konnten wir alte Videoaufnahmen des Originals sehen“, so Jan Möllmer, Tanzstudent des dritten Jahrgangs. Viele Studierende schätzten die Erfahrung, eine Tanztechnik, die in der Tanzabteilung gelehrt wird, in einer Choreografie nutzen zu können. „Endlich einmal die Technik, die an der Folkwang gelehrt wird in einem Stück anwenden und umsetzen“, äußert sich Linda Brodhag dazu und auch Just Berger erklärt, er habe durch die TannhäuserProben gelernt, warum man all diese Übungen im Unterricht mache. „We’ve got the possibility to get more familiar with an artistic vocabulary that we used until now just in the normal daily class“, schildert Maria Giovanna Delle Donne, ebenfalls aus dem dritten Jahrgang der Tanzabteilung, die Möglichkeit, die sich ihr mit der Rekonstruktion des Tannhäuser-Bacchanals bot. Eine erlernte Tanztechnik konnte auf diese Weise eine Basis sein, auf der wiederum auch ganz neue Erfahrungen gesammelt werden konnten. „Mir sind durch den Unterricht Formen und Qualitäten bekannt gewesen, welche Grundlagen sind für einen Großteil der Bewegungen im Tannhäuser“, beschreibt Jan Möllmer den Zusammenhang zwischen Tanztechnik und der Arbeit an der Venusbergszene. „Und trotzdem war die Umsetzung dann eine ganz andere, neue Art von Herausforderung für mich.“
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Geduld verlangten die Proben aber auch. „Die Probenlänge war oft eine Geduldsprobe. Dadurch habe ich mir mit der Zeit eigene Beschäftigungen gesucht. Ich habe zum ersten Mal in Ruhe Bewegungen wiederholt, bis sie in meinem Körpergedächtnis waren,“ schildert Lea Benecke die Proben. Tim Cecatka, Studierender im dritten Jahr, bekräftigt, dass man sich während der Proben oft in Geduld üben musste: „Geduldig darauf warten, bis die eigene Rolle an der Reihe ist und Geduld haben mit dem eigenen Lernprozess.“ Die Studierenden lernten also nicht nur Bewegungen, die bereits vorhanden waren, sondern mussten herausfinden, wie sie mit einer Probensituation konstruktiv umzugehen hatten und selbständig an den Bewegungen weiterarbeiten. „The way the work was brought, allowed me to swallow it fast and to get into the feeling of the movement by working on it alone“, berichtet Leonor Clary, Studierende des zweiten Jahrgangs, über die Vermittlungsphase des Tannhäuser-Bacchanals. Jeder der Studierenden musste individuelle Strategien des Lernens und Erinnerns entwickeln, gleichzeitig aber auch den eigenen Lernprozess mit den Anforderungen, die die Gruppe an den Einzelnen stellt, koordinieren. Tänzer, so Sigurd Leeder, Partner von Folkwang-Mitbegründer Kurt Jooss, sind vor allem Teil einer Gruppe (Sigurd Leeder zitiert nach Müller 2001: 19), eine Erfahrung, die von allen Studierenden gemacht wurde. Die Arbeit in einem Ensemble sei eine tolle Erfahrung gewesen, erzählt Tim Cecatka und auch Lea Benecke beschrieb die Choreografie vor allem durch den Raum, der der Gruppe gegeben wurde.
Die Venusbergszene wurde hauptsächlich durch uns Probenleiter unter Zuhilfenahme der Videos vermittelt. Aber auch Zeitzeugen waren gegenwärtig. Susanne Linke, 1972 Tänzerin im Tannhäuser-Bacchanal und von 1975 bis 1985 Leiterin des Folkwang Tanzstudios, war zeitgleich zu den Tannhäuser-Proben Gastchoreografin an der Tanzabteilung und kam gelegentlich zu den Proben. Sie gab Ratschläge, erinnerte einige Details zu Bewegungen und Choreografie und teilte uns ihren Eindruck über den Stand der Arbeit mit. Sie hatte vierzig Jahre zuvor im Saal 1 der Tanzabteilung mit Pina Bausch am Tannhäuser-Bacchanal geprobt und so konnten die Studierenden nicht nur Originalaufnahmen aus den Siebzigern sehen, sondern eine Tänzerin erleben, die das Stück noch selbst mitkreiert und auf der Bühne des Wuppertaler Opernhauses getanzt hatte; wenn wir in Saal 1 probten sogar in demselben Saal, in dem damals gearbeitet wurde. Außer Susanne Linke begegnete mir während der Proben auch Tjitske Broersma, die mit Pina Bausch bereits in Essen an der Folkwang Hochschule und anschließend beim Tanztheater Wuppertal getanzt hatte. In der Venusbergszene hatte sie eine der zwei weiblichen Solistenrollen getanzt. Sie besuchte während der Rekonstruktion eines anderen Bausch-Stückes einmal meinen Unterricht, und als ich eine kleine Bewegungsphrase aus dem Bacchanal mit den Studierenden einübte, erkannte sie diese sofort. Die Arbeit mit Pina Bausch, das zeigen Begegnungen mit ehemaligen Tänzern deutlich, ist etwas sehr Nachhaltiges gewesen, das ein enges Verhältnis zu dieser Arbeit hinterließ und es bedarf nur einer Wiederbegegnung mit dem Werk, um die damit verbundene Begeisterung erneut hervorzubringen. Dies ist kaum anders zu erklären, als dass die Stücke von Pina Bausch die darin auftretenden Tänzer auffordern, sich in die Choreografien einzubringen anstatt nur Bewegungen auszuführen oder zu wiederholen. „Ich habe innerhalb der Bewegung gemerkt“, sagt Jan Möllmer dazu, „dass es nie statische Momente gibt. Als Tänzer war es in Tannhäuser immer meine Aufgabe die Bewegung zu beleben. In diesen Momenten, glaube ich, da kann man nicht kopieren. Etwas von mir, sei es eine Idee, ein Gefühl oder irgendeine Energie, muss dazu gehören, damit die Bewegung lebhaft wird. Für mich war das eine sehr kreative Aufgabe, denn in diesen Momenten bin ja wirklich ich gefragt, etwas von mir zu geben.“ Am 14. Mai war Barbaras letzter Probentag in Essen. Es war uns gemeinsam gelungen, das Tannhäuser-Bacchanal in den geplanten vier Wochen zu rekonstruieren und mehrere Durchläufe zu machen, bevor Barbara uns verließ. Hilfreich war auch, dass wir vor ihrer Abreise zwei Tage auf der Bühne der Neuen Aula der Universität proben konnten, obwohl der Termin der Aufführung noch über einen Monat weit entfernt lag. So konnte ein Gespür der Tänzer für den Raum entstehen und Auf- und Abgänge geklärt werden. Danach gingen die Proben an dem Bacchanal weiter, aber der dritte Jahrgang kreierte außerdem noch eine andere Choreografie und wir probten die Venusbergszene von Mitte Mai bis Mitte Juni zwei bis drei mal in der Woche.
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Aufführen Während der Bühnenproben vor den Aufführungen nahmen wir die einzelnen Bewegungsphrasen – wie im Saal auch – oft auseinander und ich schaute mir nur eine Gruppe oder ein Paar an, bevor wir die Szene in ihrer ganzen Komplexität durchlaufen ließen. Dazu wurde oft gezählt, damit die Bewegungsabläufe verlangsamt werden konnten. Alle Tänzer mussten genau und immer wieder platziert werden, so dass die Bewegungen im Raum, aber auch das räumliche Verhältnis der Tänzer untereinander, stimmte und jeder zu sehen war. Auch in diesen Situationen waren die Videos von 2004 hilfreich. Es gab immer etwas zu verbessern und es erforderte die Geduld und die Motivation aller Beteiligten, Bewegungen und Formationen wieder und wieder durchzuspielen. „Das schöne bei Pina ist halt, dass es immer noch was gibt, was man verbessern kann“, hat Lutz Förster, langjähriger Tänzer und inzwischen künstlerischer Leiter des Tanztheater Wuppertal einmal über die Arbeit mit Pina Bausch gesagt (Lutz Förster zitiert nach Anne Linsel) und statt ‚besser‘ ließe sich an dieser Stelle auch ‚genauer‘ sagen. Eine genaue Art und Weise zu arbeiten und zu proben ist es auch, die sich an dem Werk und von dem Werk Pina Bauschs lernen lässt. Barbara Kaufmann benennt Detailliertheit und Genauigkeit als Eigenschaften, die kennzeichnend für die Arbeit Pina Bauschs sind. Vor allem Pina Bauschs Satz „Gefühle sind etwas sehr genaues“ nimmt sie mit in die eigene Probenarbeit. Die Genauigkeit, die Pina Bausch für Gefühle benannte, lässt sich durch die genaue Bewegungsausführung erreichen. Die Tänzerin Gitta Barthel beschrieb die emotionale Nähe zu dem Stück Sacre in einem Interview dementsprechend: „Wenn ich zum Beispiel eine Bewegung tanze, die zentral ist, nach innen geht und die einen Akzent hat, werde ich nach und nach eine selbstzerstörerische Kraft in mir spüren. Und nicht weil ich mir vornehme: ,So jetzt will ich zeigen, dass ich mich selbst zerstöre‘, sondern weil ich die entsprechende Bewegung mache, komme ich in den Zustand, den sie ausdrücken soll.“ (Gitta Barthel zitiert nach Klein 2007: 77). Die Verbindung zwischen Emotion und Bewegung ist ein zentrales Erlebnis in Pina Bauschs Arbeit, wie auch die Antwort von Leonor Clary auf die Frage, was sie von der Venusbergszene gelernt habe, zeigt: „It brought me a bigger comprehension of the link between emotion and movement.“ Auch Tänzer, die nicht direkt mit der Choreografin gearbeitet haben, können die Erfahrung dieses intensiven Zusammenhangs also machen, weil die Gefühle im Werk aufgehoben sind und von den Bewegungen bereitgehalten werden. Just Berger schildert einen vergleichbaren Eindruck: „Ich glaube auch so langsam verstehen zu können, warum jeder, der mit Pina zusammen gearbeitet hat, sie so sehr schätzt – natürlich kann ich das nicht von der menschlichen Seite beurteilen, da ich sie nie kennengelernt habe – aber schon allein ihre Stücke ziehen einen selbst in ihren Bann, den man sich nicht entreißen kann.“ Es galt kurz vor den Aufführungen vor allem, die Studierenden dazu zu ermutigen, über das reine Ausführen von Bewegungen hinauszugehen. „Die Stücke wollen ja auch irgendwas“, sagte Pina Bausch einmal in einem Interview über ihre Stücke (Pina Bausch zitiert nach Kay Kirchmann). Die Venusbergszene ist im Zusammenhang mit der Wagner-Oper zu sehen, kann aber auch unabhängig von ihr bestehen und stellt die Welt „nicht endender Liebesfreuden“ (Pahlen 2008: 136) dar. Pina Bausch folgte mit ihrer Version des Tannhäuser nicht nur der musikalischen Vorgabe Wagners, sondern setzte mit ihr ein Thema tänzerisch in Szene. Sie hielt sich in der Venusbergszene zwar nicht an die von Wagner bezeichneten Gestalten, griff aber Bewegungsformen auf, wie z.B. das Sich-am-BodenWinden der Amoretten, das Fliehen und Suchen der Bacchantinnen und Jünglinge oder das Springen der Faune. Wir hatten von der ersten Probe an über die Motivation der Choreografie gesprochen, uns aber zunächst auf das genaue Ausführen der Bewegungen konzentriert. Nun nahm ich zu einer Bühnenprobe ein Tannhäuser-Textbuch mit. Eine Studentin las die Beschreibung der Venusbergszene vor: „Die Paare finden und mischen sich; Suchen, Fliehen und reizendes Necken beleben den Tanz.“ (Ebd.: 21). An anderer Stelle heißt es: „Aus dem fernen Hintergrund naht ein wilder Zug von Bacchantinnen, welcher durch die Reihen der liebenden Paare, zu wilder Lust auffordernd, daherbraust. Durch Gebärden begeisterter Trunkenheit reißen die Bacchantinnen die Liebenden zu wachsender Ausgelassenheit hin.“ (Ebd.: 23). Und weiter: „Der allgemeine Taumel steigert sich zur höchsten Wut.“ (Ebd.). Ich hoffte, Informationen zum Inhalt der Szene würden die Studierenden unterstützen, sich weiter auf die Venusberg-
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szene einzulassen, die choreografische Form mit eigenem Leben zu füllen und eine Verbindung zwischen Inhalt der Szene und ihrer tänzerischen Verkörperung herzustellen. Äußerungen der Studierenden zeigen, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Venusbergszene stattfand: „I felt the presence of a big symbol hiding behind the story of ‚Tannhäuser auf dem Venusberg‘ and that helped a lot to be convinced by the true feelings that come through the whole body not only dancing it but also watching it“, beschreibt Leonor Clary ihre Gefühle hinsichtlich der Venusbergszene und auch Just Berger erklärt: „Wir konnten uns in die Rollen der Jünglinge, Nymphen und weiterer Wesen einleben.“
Ebenso wichtig war es, sich immer wieder auf Wagners Musik einzulassen. Ihre Sinnlichkeit, ihre ekstatische Stimmung, aber auch ihre Empfindsamkeit musste durch die Körper der Tänzer fühlbar werden. Pina Bausch sagte in Sacre oft zu den Tänzern: „Ihr seid die Musik!“, und ich gab diesen Satz an die Studierenden weiter, denn er gilt sicherlich auch für das Bacchanal Wagners. Pina Bauschs Art und Weise mit Musik zu arbeiten, war alles andere als ein trockenes Zählen von Takten. Sie arbeitete oft mit dem Text einer Musik, wie z.B. in Iphigenie auf Tauris, und eher in musikalischen Bögen als in isolierten Takten. Barbara Kaufmann berichtet von der Arbeit an Iphigenie auf Tauris, dass die Tänzerinnen die Textstelle „ein Laster befleckt“ tänzerisch so gestalten sollten, wie die Sänger es sangen. Viele ehemalige Tänzer von Sacre äußern, sie hätten die Musik niemals gezählt oder in Takte getrennt, sondern sie von Anfang an als Einheit gehört und innerlich eher mitgesungen als mitgezählt. Deutlich wird daran, wie sehr Pina Bausch in der Lage war, Musik nicht nur formal-analytisch zu erfassen, sondern vor allem dynamisch-melodisch zu begreifen und umzusetzen. Die Venusbergszene im Tannhäuser endet mit dem Frauenchor der Sirenen, der in weichen Harmonien, wie aus der Ferne singt: „Naht euch dem Strande / Naht euch dem Lande / wo in den Armen / glühender Liebe / selig Erwarmen / still eure Triebe“ (Pahlen 2008: 27). In Pina Bauschs Choreografie finden die auf der Bühne übrig gebliebenen Tänzer während des Gesangs zu einer gemeinsamen Gruppe zusammen und verlassen in langsam fließenden Bewegungen, einem gemeinsamen Atmen gleich, die Bühne. Auch hier ist die Musik kaum zu zählen, sondern die Tänzer müssen sie hören und die Bewegungen über jedes Metrum hinaus mit ihr in Einklang bringen. Vielleicht hatte Dagmar Schenk auch diese Schlussszene vor Augen, als sie über die Aufführung 2013 in Essen schrieb: „Musik und Tanz sind eins. Schönheit pur auf dem Venusberg.“ (Dagmar Schenk-Güllich in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 21.6.2013). Die Tanzstudierenden nahmen die Musikalität der Choreografie selbst wahr. „Die Arbeit am ‚Tannhäuser‘ war unglaublich schön für mich, da die Bewegungen mit der Musik so wundervoll harmonisieren“, schildert Just Berger seinen Eindruck und Maria Giovanna Delle Donne ergänzt: „The connection between the music and the choreography is particulary strong, so the awareness of the first made more secure the execution of the other.“ Trotz aller formalen, inhaltlichen und musikalischen Vorgaben, die das Stück den Studierenden machte, bot es ihnen letztlich auch die Möglichkeit, etwas über sich selbst herauszufinden. „Was habt ihr von der Arbeit am Tannhäuser gelernt?“, fragte ich die Studierenden Wochen nach der Aufführung. „In erster Linie viel über mich selbst“, antwortete Jan Möllmer darauf. „Wer ich bin, was ich kann und was nicht, wo ich Grenzen habe, oder wo ich wahrscheinlich auch jetzt noch weitergehen könnte, als ich es während der Arbeit an Tannhäuser geschafft habe.“ Zu den vier Aufführungen vom 18. bis zum 21. Juni 2013 kamen auch einige Tänzerinnen der Originalbesetzung wie Susanne Linke, Catherine Denisot, Frances Carty und Alicia Quarg- Goldfarb. Nach den Aufführungen stand man gemeinsam zusammen und erinnerte sich, welchen Platz man vierzig Jahre zuvor getanzt hatte. Auch von der zehn Jahre zurückliegenden Aufführung kamen ehemaliger Mitglieder des Folkwang Tanzstudios oder Folkwang-Alumni. Wenn man, so scheint es, einmal mit Pina Bauschs Arbeit in Berührung kam, so bleibt die Begeisterung, die Hingabe und die Erfahrung, Teil eines besonderen Werkes gewesen zu sein, erhalten. Gelänge es, dies auch kommenden Generationen zu vermitteln, wäre viel gewonnen und das über das Werk Pina Bauschs hinaus. Sie hoffe, so Barbara Kaufmann, die Studierenden haben die Erfahrung gemacht, etwas von sich selbst entdeckt zu haben, was man vorher noch nicht kannte. „Auf jeden Fall ein Stück Neuland.“ Pina Bauschs Werk hält dieses Neuland auch für die Zukunft bereit.
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Resümee Wie lässt sich zusammenfassend begründen, Rekonstruktionen als einen schöpferischen Prozess zu begreifen? Die vorangegangene Schilderung der Tannhäuser-Rekonstruktion zeigt, dass während des Arbeitsprozesses sowie der Aufführung vor einem Publikum vor allem Zusammenhänge erzeugt werden, ein Vorgang, der sich als kreativer Prozess verstehen lässt. Der Zusammenhang zwischen einer im Ausbildungsprozess erlernten Tanztechnik und ihrer Anwendung in einer Choreografie ist eine der Verbindungen, die von den Tänzern hergestellt werden. Weiterhin müssen individuelle Strategien des Erlernens und Erinnerns entwickelt und mit den Anforderungen der Gruppe in Übereinstimmung gebracht werden. Es gilt, Probleme zu erkennen und Lösungen zu finden. Der Zusammenhang zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird durch die Tänzer geknüpft, die das in der Choreografie transportierte Wissen umsetzen und es mit dem Körper ins Heute holen. Die Tänzer sind dazu aufgefordert, eine Verbindung zwischen ihrer Person und der Rolle, die sie einnehmen, herzustellen, indem sie sich mit den Vorgaben des Stückes befassen und diese formal, dynamisch und emotional füllen. Obwohl eine Rekonstruktion vordergründig nach einer Wiederholung der Vergangenheit aussehen mag, geht es doch gerade bei ihr darum, das Neue in der Wiederholung zu entdecken und die Herausforderung anzunehmen, dem Bekannten das Einmalige abzugewinnen. Der Zusammenhang zwischen Emotion und Bewegung, zwischen Bewegung und Musik und zwischen Inhalt und Ausdruck sind weitere Bezüge, die während einer Rekonstruktion gefunden und gestaltet werden müssen. Eine Rekonstruktion bietet den Tänzern also eine Fülle von Möglichkeiten zu schöpfen, zu erfinden, zu erzeugen und herzustellen. Natürlich geht es dabei nicht um das Erzeugen noch nicht dagewesener Körperbewegungen, denn diese sind bereits von einer Choreografie gegeben. Die schöpferische Kraft liegt vielmehr in dem Herstellen von Beziehungen, um zu Kreativität und Freiheit zu finden. Schöpferisch zu sein, bedeutet nicht ausschließlich die Erfindung von Neuem, sondern ebenso, sich bestehender Möglichkeiten bewusst zu werden und eine Wahl zu treffen. Lola Villegas, Tanzstudentin aus dem dritten Jahrgang, beschreibt diese Wahl: „Because suddenly you just stand there naked with the option of closing yourself or to expand and feel free.“
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Filme Bilder aus den Stücken der Pina Bausch (1990, Kay Kirchmann). Pina Bausch (2006, Anne Linsel).
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3 Das Eigene. Auf der Suche nach einem lebendigen Archiv
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Bauschs künstlerisches Erbe in Amerika Royd Climenhaga
Deutsche und amerikanische Traditionen Soll die Wirkung von Pina Bauschs Werk gewürdigt werden, hinkt Amerika stets hinterher. Bauschs amerikanisches Debüt fand erst zehn Jahre nach dem Beginn ihrer Arbeit mit dem Tanztheater Wuppertal statt, und damit lag im Hinblick auf die Entwicklung der Kompanie eine ganze Welt zwischen den ersten eher konventionell choreografierten Gluck-Opern und den Anfängen einer neuen ästhetischen Gestaltung in Stücken wie Kontakthof, Arien und 1980, die bei den ersten Gastspielen der Kompanie in Amerika gezeigt wurden. Den amerikanischen Zuschauern fehlte auch der erforderliche Kontext, um nachvollziehen zu können, was sie da beim Auftritt der Kompanie im Olympic Arts Festival in Los Angeles 1984 und auf den anschließenden Trips zur BAM in New York 1984 und 1985 zu sehen bekamen. Das europäische Publikum vermochte zu erkennen, dass diese frühen Werke aus der Balletttradition hervorgingen und zugleich die Struktur des Tanzes in Frage stellten (wobei dieses Publikum nicht immer positiv darauf reagierte), und begriff nach anfänglichem Widerstand die akribische Gestaltung der wegweisenden Arbeiten der späten 1970er-Jahre. Für Amerikaner war das neue Werk formlos, repetitiv und ohne die reinen Bewegungswerte, die sie gewohnt waren. Das amerikanische Publikum war nicht nur außerstande, Bauschs Entwicklung zu erkennen, sondern auch weder mit der deutschen Tanztradition, aus der Bauschs Werk hervorging, noch mit der jüngeren Geschichte des deutschen Balletts in den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg vertraut. Deutschlands Ballettboom in den 1950er-Jahren erweiterte das Potenzial für den Bühnentanz im großen Stil, das thematische und kontextbezogene Fragen aufwarf, und ließ dank des umfangreichen Repertoires, das sich in der Nachkriegszeit bildete, produktive Spielstätten für innovative Persönlichkeiten entstehen. In Amerika hingegen gab es zwar einige Formen von Crossover zwischen der Welt des Balletts und den eher populären Tanzformen von Jerome Robbins und Paul Taylor, doch die Trennung zwischen Ballett und Modern Dance blieb bestehen, samt ihren unterschiedlichen Ausbildungsprogrammen und Produktionsmitteln. Deutsche Künstler gingen auch aus einer anderen Entwicklung und einem anderen Produktionsmodell hervor und interessierten sich für die Erprobung neuer Formen auf der Bühne, während sich der Prozess der Erprobung in Amerika in einem viel kleineren Rahmen vollzog und sich viel mehr mit der Form befasste. Kurzum: Deutschland und Europa generell waren in der Lage, Bauschs Neuerungen zu akzeptieren und auf ihnen aufzubauen, um eine neue Methode für die Bühne zu schaffen, während amerikanische Tänzer und Zuschauer einfach nicht das Potenzial dieses Werks zu erkennen vermochten, damit es auf amerikanischem Boden Wurzeln schlagen oder gar erblühen könnte.
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Amerikas Choreografen und Tänzer kämpften gerade auf dem umstrittenen Terrain der geradezu explosiv verlaufenden Entwicklung des Postmodern Dance, als Bauschs Werk erstmals an ihrer Küste landete, und das Tanzpublikum war noch überwiegend damit beschäftigt, mit dieser formalistischen Ästhetik Schritt zu halten. Der amerikanische Modern Dance hatte ganz und gar mit der Welt des Balletts gebrochen, und jeder noch bestehende Einfluss wurde im Gefolge von George Balanchines ungeheurer Wirkung auf eine ähnlich formalistische Ästhetik reduziert. Ein paar experimentierfreudige Theaterkünstler nahmen zwar Notiz von Bauschs Ästhetik, aber das Theaterpublikum wusste großenteils noch nicht, wonach es Ausschau halten sollte, um Bauschs Vision zu würdigen. Und während Europa unter dem zunehmenden Einfluss des Tanztheaters eine revolutionäre Wende vollzog, mit Bausch an der Spitze, schnupperte Amerika gelegentlich daran, verfolgte aber überwiegend seine eigenen Interessen in jenen frühen Jahren, in denen Bauschs Werk entstand. Die heutige bunt gemischte Tanz- und Theaterwelt, die auf einer zunehmenden Verfügbarkeit von Formen durch den schnellen Zugang zum Internet und dank internationaler Tourneen basiert, führt zu einer leichteren Aneignung unterschiedlicher Einflüsse und zu einer immer mehr Grenzen überschreitenden Ästhetik für die zeitgenössische Aufführungspraxis. Aber die Tanzwelt im Deutschland wie im Amerika der frühen 1980er-Jahren baute auf Traditionen auf, die durch direkte Teilnahme und Tätigkeit weitergegeben wurden, was oft von einem einzigen Meisterchoreografen ausging. Der Weg zu neuen Werken ließ sich klar beschreiben, und auf beiden Seiten des Atlantik gab es zwei unterschiedliche Wege. Die von Loïe Fuller und Isadora Duncan begründete Tradition des amerikanischen Modern Dance entstammte der gleichen Quelle wie der deutsche Tanz, nämlich Cabaret und Varieté. Doch während die deutsche Tradition von Rudolf von Laban eingeleitet und dann von Labans beiden engsten Mitarbeitern auf jeweils eigene Weise fortgeführt wurde, nämlich im individualistischen Ausdruckstanz von Mary Wigman und im vom Ballett geprägten Werk von Kurt Jooss, verabschiedeten sich die amerikanischen Choreografen des Modern Dance entschiedener vom Ballett und folgten direkten Traditionslinien von Ruth St. Denis und Ted Shawn bis hin zum mythischen Werk von Doris Humphrey und Martha Graham, die beide der Denishawn Company angehörten. Insbesondere Grahams Werk dominierte den amerikanischen Modern Dance seit Ende der 1930er-Jahre bis in die 1950er-Jahre hinein, trotz gelegentlicher Abweichungen durch Choreografen wie Anna Sokolow. Gewiss hatte in dieser Zeit auch José Limón erheblichen Einfluss auf den Modern Dance, und sein Stil nährte sich aus expressionistischen Wurzeln und verkörperte Interessen des Balletts, obwohl er direkt auf seine Arbeit als Tänzer bei Doris Humphrey und Charles Weidman zurückgriff. Aber Graham definierte letztlich den amerikanischen Modern Dance dieser Ära, und ihre Arbeit behielt auch weiterhin viele Jahre danach einen prominenten Stellenwert, selbst als sie nicht mehr der Avantgarde angehörte. Die führende Rolle als Neuerer wurde in den 1960er-Jahren von Merce Cunningham übernommen. Seine Erblinie war ebenso eindeutig: Ein Graham-Tänzer, der in neue Richtungen aufbrach und dessen Arbeit mit John Cage die Judson Church Tänzer und die Anfänge der Bewegung des Postmodern Dance beflügelte. Der amerikanische Modern Dance der späten 1970-Jahre, der besten Zeit von Bauschs innovativer Arbeit, machte sich noch über die Auswirkungen dieser postmodernen Tradition der reinen Bewegungswerte lustig. Bauschs erste Gastspiele bei der BAM, zusammen mit den Arbeiten von Susanne Linke und Reinhild Hoffmann, wurden als provokatives Infragestellen des Inbegriffs von Modern Dance in Amerika empfunden, ja manche erblickten darin sogar eine unverhohlene Attacke auf die formalistische Ästhetik, obwohl dieser rigide Formalismus bereits im Niedergang begriffen war.1 1 Ann Daly weist darauf hin, dass die Trennungslinien zwischen den formalistischen reinen Bewegungswerten und dem Ausdruck der subjektiven Gegenwart des Individuums auf der Bühne, wie er in Bauschs Werk zu erkennen ist, nie so eindeutig gewesen sind. In ihrem Kommentar zu dem Symposium, auf dem deutsche und amerikanische Tänzer und Kritiker über die gegensätzlichen Werte der beiden Tanzarten debattierten, erklärt Daly: „Die Antiformalisten auf dem Symposium trugen nur Scheinargumente vor. Der heutige amerikanische Formalismus ist nicht mehr der rigorose Formalismus der Judson-Zeit. Selbst die Choreografen der Judson Church – vor allem Lucinda Childs, Trisha Brown – inszenieren inzwischen ausgesprochen theatralische Tänze. Und nur selten wird man einen jungen experimentierfreudigen Choreografen finden, der sich mit ‚reiner Form‘ befasst (wenn es denn überhaupt so etwas gibt).“ (Daly: 55)
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Bauschs Rezeption in Amerika und von Amerikanern im Ausland Von wenigen begeisterten Anhängern abgesehen, wurden Bauschs Werke während ihrer ersten Gastspiele in Amerika nicht gut aufgenommen, und die Vorstellung, sie könnten Choreografen und Tänzer in den USA beeinflussen, galt bestenfalls als unwahrscheinlich. Deborah Jowitt erkannte zwar das Potenzial dieses neuen deutschen Tanzes, doch ihrer Meinung nach würde es nicht zu irgendeiner Veränderung der amerikanischen Tanzpraxis führen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass amerikanische Choreografen das ‚Tanztheater‘ nachahmen möchten, egal, wie sehr sie von dieser Arbeit beeindruckt sind. Es mag zwar aufschlussreich sein zu sehen, dass man mit extremen Emotionen auf der Bühne auf innovative Weise umgehen kann, aber ich glaube, dass amerikanische Tänzer noch immer auf die Ausdrucksstärken von Tanz und Form vertrauen.“ Der Gedanke, Tanztheater würde sich irgendwie „Tanz und Form“ entziehen, war typisch, selbst für eine gut unterrichtete und generell wohlwollende Kritikerin wie Jowitt. Arlene Croces Urteil hingegen war vernichtend – sie bezeichnete das Werk als „Eurotrash“ und Bausch als „Entrepreneuse, die die Theater mit ihren Projektionen von sich und ihrem Selbstmitleid füllt“. Nach ihrer Einschätzung von Tanztheater war „Tanz etwas, das es uns kaum je zeigt“, und dann attackiert sie die Unangemessenheit des Bühnenbilds. Angesichts der Erde auf dem Fußboden in Frühlingsopfer erklärt sie: „Wenn schwitzende Tänzer schmutzig werden, verleiht der erdige Boden Sacre ein Element des Ekels“ und schließt apodiktisch: „Natürlich tanzt man nicht auf solchen Bühnen“. Kein gutes Haar lässt sie auch an der Physis der Tänzer, die nicht den ultradünnen Gestalten entsprechen, wie sie von Balanchine populär gemacht wurden. Croces Reaktion mag extrem gewesen sein, entsprach aber durchaus dem allgemeinen Gefühl der Verwirrung, auf das Bauschs Werk stieß. Als Student kaufte ich mir für die Aufführungen Karten für billige Plätze im oberen Rang und konnte dann leicht nach unten ins Parkett gehen, um den Platz eines der vielen Zuschauer einzunehmen, die schon früh die Vorstellung in Scharen verließen. Bauschs Frühwerk war offenbar von der gleichen theatralischen Energie der damaligen Zeit erfüllt wie insbesondere auch die aufwendigen Spektakel von Robert Wilson und das Tanz/Theater-Werk von Meredith Monk. Wilsons Einstein on the Beach (1976) wurde 1984 an der BAM wiederaufgeführt, im selben Jahr also, in dem Bauschs erstes Gastspiel in den USA stattfand. Die Uraufführung von Einstein on the Beach war zwar ein gewisser Erfolg gewesen, doch die Leute wussten noch nicht viel damit anzufangen. Erst nachdem das Stück mehrere Jahre in Europa auf Tournee gewesen war, hielt man die Zeit für gekommen, es auch zu Hause wiederaufzuführen. Monks frühe Tanzopern aus den 1970er-Jahren waren zwar gut bekannt in der Theater- und Tanzwelt, beim Publikum aber nicht beliebt. Dennoch wurde ihr Werk in den frühen 1980er-Jahren im ganzen Land aufgeführt, und auch das Stück The Garden of Earthly Delights des einstigen Gründungsmitglieds des Pilobolus Dance Theater, Martha Clarke, wurde 1984 produziert, gefolgt 1986 von Vienna Lusthaus, beide unter großem Beifall. Aber Amerika konnte Werke von dieser Größenordnung einfach nicht fördern. Ungeachtet des Interesses an Einstein on the Beach und selbst nachdem er eine Finanzierung aus dem Ausland gesichert hatte, bekam Wilson keine amerikanischen Fördergelder für sein monumentales Projekt Civil Wars, das seine Uraufführung beim Olympic Arts Festival erleben sollte, bei dem auch Bausch in den USA debütierte. Wilson ging mit seinem Werk nach Europa, wo er angemessene Mittel für seine Vision erhielt, und selbst als sein Ruf dem von Bausch während der 1980er-Jahre und später entsprach, galt sein Werk in Amerika eher als kulturelles Importgut, das nach seiner Entwicklung in Deutschland oder Norwegen herübergebracht wurde. Monks Gesangspartituren wurden anerkannt und vom angesehenen Label ECM aufgenommen, aber ihre konkrete Arbeit auf der Bühne wurde im Lauf der Jahre immer mehr eingeschränkt. Martha Clarke wiederum entwickelte ihr Werk in den wenigen Jahren nach dem Erfolg von Garden of Earthly Delights weiter, doch ihr großangelegtes Stück Endangered Species (1990) wurde sogar schon vor Ende seiner Laufzeit an der BAM abgesetzt, und Clarke ging für mehrere Jahre nach Europa, bevor sie wieder nach Amerika zurückkehrte.
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Entwicklung neuer Arbeiten Der Spielraum für experimentellen Tanz und experimentelles Theater in Amerika war notgedrungen sehr eng geworden, und der Tanz von der Größenordnung und Universalität von Bauschs Werk hatte keine Chance, sich hier zu etablieren. Noch bestehende größere Kompanien richteten sich in einer bestimmten Tradition ein und kämpften um ihre Erhaltung, um ihr Publikum und um finanzielle Unterstützung. Jedes Werk hingegen, das diese Grenzen erweiterte oder überschritt, wurde unter dem allumfassenden Begriff Performance Art marginalisiert. Er mag zwar das Gefühl vermittelt haben, das Werk gehöre zur Avantgarde, doch damit sorgte er zugleich dafür, dass es nur ein kleines Publikum erreichte und noch weniger finanzielle Unterstützung bekam. Performance-Künstler wie Laurie Anderson waren die Ausnahme, aber sie wurde auch nur als musical act berühmt und baute ihre großen Auftritte (insbesondere United States I-IV) wie Rockkonzerte auf. Als junger Regisseur und Autor neuer Werke suchte ich damals nach einer Möglichkeit, Text, Figur und Story in einer umfassenderen imagistischen und körperbezogenen Aufführungspraxis zu vereinen. Die Universitäten boten Möglichkeiten für Experimente und die Fachbereiche für Theater und Tanz waren die neuen Ausbildungsstätten für Performance geworden, aber meine Theaterausbildung konzentrierte sich typischerweise auf die Interpretation existierender dramatischer Texte, und meine Tanzausbildung baute eindeutig auf formalen Bewegungswerten auf. Außerdem mochten Theater und Tanz zwar im ganzen Land im selben Gebäude auf dem Collegecampus untergebracht sein, doch kamen sie nur selten zusammen und mit Sicherheit nicht in einem von der Fachschaft abgesegneten neuen Werk. Aber als Studenten suchten wir nach etwas Neuem und fühlten uns bereitwillig zu Werken hingezogen, die damals aus Europa kamen, und Bausch war das erste und vielversprechendste Beispiel. Als ich ihr Werk sah, erkannte ich zum ersten Mal, dass es möglich war, eine imagistische und körperbezogene Aufführungspraxis mit einer eher metaphorischen und eklektischen Dramaturgie zu verbinden. Ich reihte mich in die Heerscharen der Bausch-Imitatoren ein, versuchte aber, ihre Strategien meinen eigenen Zielen und Mitteln anzupassen. Indem ich einfach sah, was Bausch zu leisten vermochte, fühlte ich mich ermächtigt, selbst etwas Neues auszuprobieren und außerhalb der Grenzen dessen zu arbeiten, was als richtige Vorgehensweise galt. Ich arbeitete ohne ein Textbuch in einem Theaterkontext und außerhalb eines Bewegungsvokabulars in einem Tanzkontext, und das verschaffte mir den Spielraum, den ich brauchte, um das auszuprobieren, was ich anstrebte. Das hieß aber auch, dass ich meine Arbeit nicht in einer traditionellen Tanz- oder Theaterspielstätte aufführen konnte. Ich war allerdings nicht der Einzige, der unbeirrt solche Vorstöße unternahm und in Bauschs Werk etwas Notwendiges sah, das im normierten konventionellen Theater und Tanz nicht existierte. Bauschs Werk tat uns eine Welt von Möglichkeiten auf, und wir ließen Videobänder von Chantal Ackermans Dokumentarfilm zirkulieren, während einige von uns weiter zur BAM pilgerten und so viel wie möglich von dieser Next Wave der Performance Art aufsogen. Doch diese wenigen Studenten mit einer Neigung zum Experimentieren waren nicht die einzigen, die davon Notiz nahmen. Bauschs Auftritte an der BAM waren ausgesprochen chic geworden, wenn auch eher als kulturelle Kuriosität. Ihr Werk lag noch außerhalb unserer Erfahrungswelt und sicherlich weit über unserem Leistungsvermögen. Wir fragten uns, wie sich diese groß angelegte Ästhetik in die kleine Welt des experimentellen Tanzes und Theaters in Amerika integrieren ließe. Mit Sicherheit hätten wir weder den Raum und die Mittel, um diese großen theatralischen Visionen zu erschaffen, noch die klassisch ausgebildeten Tänzer, die sie umsetzen könnten. Aber Bauschs Entwicklungsprozess bot einen anderen Zugang. Wir wären zwar vielleicht nicht in der Lage, das Produkt nachzuahmen (und würden das eigentlich auch nicht wollen), aber dieser Prozess bot die Chance, neue Werke nach anderen Parametern zu erschaffen, indem wir die Mittel einsetzten, die uns zu Gebote standen, und die Fähigkeiten und das Leben der Künstler selbst zu nutzen. Die Möglichkeit, eine Welt der Bühne statt eine Welt auf der Bühne zu erschaffen, empfanden wir eher als real, sie war mehr mit unserem Leben verbunden.
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Auseinandersetzungen mit Bauschs Arbeit Als Bausch in den Westen Amerikas reiste, um Nur Du (1996) zu entwickeln, gab es in der amerikanischen Performance Art eine neue Energie, ein neues Interesse an gedanklicher und physischer Arbeit sowie die Möglichkeit, Tanz und Theater nach neuen Grundsätzen zu integrieren. Bauschs US-Research ging über vier Stationen (Los Angeles, San Francisco, Austin in Texas und Phoenix in Arizona) und wurde nicht von einem Theater produziert, wie es bei anderen Aufenthalten des Tanztheater Wuppertal auf der ganzen Welt der Fall gewesen war, sondern von einem Konsortium von Universitätsdarstellern. Das Werk war kommerziell nicht rentabel, sondern konnte allein aufgrund der Wirkung gezeigt werden, die es an den akademischen Ausbildungsstätten haben würde. Dass dieses Werk in Amerika notwendig war, eröffnete die Möglichkeit für eine neue Sprache, die an die nächste Generation von Theater- und Tanzkünstlern weitergegeben wurde. Meine eigenen ersten Offenbarungen wurden nun Teil eines Lehrplans, da ich inzwischen in der akademischen Welt unterrichtete, und jedes Mal, wenn ich dieses ChantalAckerman-Videoband herausholte oder einen Gestenkreis in einem Theaterkurs oder auf einer Probe zusammenstellte, erblickte ich das gleiche Licht der Erkenntnis, das ich damals vor zehn und mittlerweile vor dreißig Jahren gesehen hatte. Hier gab es eine neue Möglichkeit der Aufführung, die in meiner Fähigkeit begründet war, als Körper präsent zu sein und Fragen nach meinem Erleben zu stellen. Bauschs künstlerisches Erbe in Amerika beginnt mit diesem Licht der Erkenntnis, das heute nicht nur durch das direkte Erleben des Werks weitergegeben wird, sondern auch in der Art und Weise, wie Bauschs Prozess das Produzieren neuer Werke durch so viele Kompanien hier in Amerika und auf der ganzen Welt durchdringt. Die Idee der Performance ist erweitert worden durch Genre überwindende Vorstellungen, die sich über die Grenzen von Disziplinen hinwegsetzen, insbesondere wenn flüchtige Qualitäten des Liveauftritts stärker durch den präsenten Körper umgesetzt werden. Die Ausbildung, die wir jüngeren Künstlern bieten, spiegelt heute diesen Wandel in der Aufführungspraxis wider, die über die Entwicklung einer Bewegungstechnik oder die Interpretation eines dramatischen Texts hinausgeht und Strategien zur Erarbeitung eines neuen Werks und zur Erkundung physischer Bühnenmethoden umfasst. Bauschs Einfluss ist entscheidend gewesen, da nun eine Generation von Künstlern, die das Werk in den 1980er- und 1990er-Jahren schätzten, die Fachwelt als Leiter neuer Theater- und Tanzkompanien, Ausbilder und Performer betritt. Aber ungeachtet des wachsenden Interesses an der Erschaffung neuer Werke und der Art und Weise, wie das Potenzial für eine entwickelte Praxis inzwischen in unserer Ausbildung integriert ist, sieht die Wirklichkeit beim Produzieren von Werken in Amerika noch anders aus – hier haben das konventionelle Theater und der konventionelle Tanz Vorrang, besonders in der Größenordnung, in der Bausch arbeitet. Noch immer kämpfen wir um die Finanzierung kreativer Aufführungen in diesem Land und haben keine echte Möglichkeit, Innovationen zu unterstützen, und das wiederum setzt eine Dynamik in Gang, die erneut den Spielraum neuer Werke begrenzt und oft unsere besten Choreografen und Regisseure nach Europa treibt. Das Publikum ist nicht gebildet genug, um solche künstlerischen Erkundungen zu erkennen, und die Darsteller können nicht mehr als ein paar Aufführungen bei einem Festival durchstehen und ziehen häufiger marktfähige europäische Importe vor, statt amerikanische Werke zu fördern.
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Die Entstehung eines künstlerischen Erbes Nun folgen wir also auf eine Generation, der bahnbrechende Aufführungen zu verdanken sind, und damit stellt sich die Frage, wie wir dank der vereinten Wirkung dieser hinter uns liegenden Arbeiten weiterkommen werden. Außer fragmentarischen Kritiken und gelegentlichen Aufsätzen über den Entwicklungsprozess gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen über diese Arbeiten, keine echte Technik, die sich formalisieren und unterrichten ließe. Die Tradition von Schlüsselwerken, die im Ballett weitergegeben werden, indem Ballettmeister eine meisterhafte Choreografie mit neuen Tänzern nachschaffen, hilft uns hier nur begrenzt weiter, denn nur ganz wenige Kompanien haben die Kapazität, um Bauschs frühe, eher traditionelle Tanzwerke zu übernehmen, und neuere Werke einer anderen Kompanie zu übertragen kommt einem wie eine bedeutungslose Erfahrung vor. (Ungeachtet der aufschlussreichen Umgestaltung von Kontakthof für Senioren und Teenager. Hier muss man allerdings wissen, dass diese Produktionen vom Tanztheater Wuppertal entwickelt und produziert wurden und damit im Prinzip eher neue Bausch-Werke sind als Reproduktionen, die irgendein Gefühl von Erbe vermitteln.) Der Modern Dance ist stets eher ein Produkt der Kompanie gewesen, die das Stück ursprünglich geschaffen hat, und jedes dauerhafte Erbe ist auf den Einfluss des Werks oder die Weitergabe einer Technik an künftige Generationen angewiesen – genauso wie die anhaltende Wirkung von Stanislawski im Theater auf der Allgegenwart seiner Techniken in der Ausbildung neuer Schauspieler beruht und nicht auf irgendeinem Versuch, die Produktionen des Moskauer Künstlertheaters nachzuahmen. Wenn wir einen Sinn von Erbe in dieser Arena der Aufführungspraxis bewahren wollen, müssen wir in einer anderen Richtung suchen. In Amerika führt die Frage nach dem künstlerischen Erbe im Modern Dance erneut zu Martha Graham zurück. Graham leitete ihre Kompanie noch, als sie schon über neunzig war, auch wenn sich die Kompanie gegen Ende dieser Ära mehr darauf konzentrierte, Klassiker aus dem Repertoire wiederaufzuführen als neue Werke zu entwickeln. Als sie starb, hatte die Kompanie entsprechende Vorlagen, nach denen sie das Repertoire weiter aufführen konnte, sowie ein umfassendes kollektives Gedächtnis, um diese Repertoirestücke am Leben zu erhalten, aber der enorme Einfluss von Graham auf den Modern Dance erforderte schon mehr, um ihr Erbe zu bewahren. Die Martha Graham School of Contemporary Dance bot seit langem die Möglichkeit, die Technik weiterzugeben, und die Graham-Technik ist eine weit verbreitete Komponente der Ausbildung zum Modern Dance in diesem Land, doch ohne Bezug zu den Werken selbst droht die Technik zu einer toten Replik dessen zu verkommen, was einst so kraftvoll neu war. Diese Werke existierten in dokumentarischer Form als Filme, und heutige wie frühere Tänzer der Kompanie führen regelmäßig Werke mit verschiedenen Kompanien und mit Studenten auf. Doch niemand scheint der Aufgabe gewachsen zu sein, die Verbindung zu Grahams Werk gegenwärtig zu erhalten, und vielleicht ist das ja das Wesen eines künstlerischen Erbes: Zu einem eher allgemeinen Einfluss und zum historischen Dokument zu verblassen. Die Kompanie macht weiter und hat sich in jüngerer Zeit stärker darum bemüht, mit Künstlern an neuen Werken zusammenzuarbeiten, die Grahams Einfluss und Bedeutung nachgehen, aber Grahams Erbe ist zu diesem Zeitpunkt nahezu vollständig in der historischen Dokumentation aufgegangen und bietet denen, die an der Erschaffung neuer Werke interessiert sind, nur noch wenig. Merce Cunningham stellte sich der Herausforderung, ein künstlerisches Erbe für eine auf einen einzelnen Künstler fokussierte Kompanie zu bewahren. Er erstellte einen Plan für seine Kompanie, wie eine Abschiedstournee nach seinem Tod zu gestalten, Mitgliedern und Mitarbeitern der Kompanie eine Übergangsunterstützung zu gewähren sowie eine Stiftung zur Bewahrung seiner Anschauungen und Vorstellungen durch eine historische Dokumentation zu gründen und ein digitales Archiv einzurichten sei, das sein Werk für künftige Generationen am Leben erhielt (siehe http://www.mercecunningham.org/history/). Der Plan ist durchaus erfolgreich realisiert worden, auch wenn die finanziellen Ressourcen zu einer vollständigeren Umsetzung von Übergangsstrategien zuweilen nicht dem Bedarf entsprechen und die Phase zwischen der Zeit des Übergangs und der aktiven Aufführung von Cunninghams Werken
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als allzu kurz empfunden wurde. Der Merce Cunningham Trust versucht, die existierenden Materialien zu katalogisieren, wobei er schriftliche und dokumentarische Materialien der Jerome Robbins Dance Division der New York Public Library gestiftet und Elemente von Cunninghams ausgiebiger Zusammenarbeit mit bildenden Künstlern am Walker Arts Center in Minneapolis untergebracht hat. Der Trust hat auch interaktive digitale Projekte in Angriff genommen, um Cunninghams künstlerisches Erbe zu bewahren, und zwar ein Verzeichnis von verfügbaren Medienquellen sowie eine Internetserie von Interviews und Dokumenten (Mondays with Merce), die Cunninghams Arbeit mit Studenten sowie Interviews mit langjährigen Kompaniemitgliedern, freien Mitarbeitern und anderen Künstlern sowie Merce selbst katalogisiert. Die neueste Komponente des Erbe-Projekts ist Merce Cunningham: 65 Years, eine Multimedia-App fürs iPad, die schriftliche und visuelle Materialien präsentiert, als Fortsetzung des schriftlichen Projekts Merce Cunningham: 50 Years von David Vaughan in Zusammenarbeit mit Cunningham. Es muss sich erst noch erweisen, ob diese Elemente das lebendige Erbe von Cunninghams Werken bereichern oder ob sich die Vergänglichkeit dieser Aufführungen nur allzu rasch verflüchtigt. Robert Wilson ist einen anderen Weg gegangen, um ein Erbe-Projekt zu entwickeln: Er hat ein Zentrum errichtet, das nicht nur seine eigenen umfangreichen Archive beherbergt, sondern auch ein kontextbezogenes Museum von Artefakten aus der ganzen Welt darstellt und eine Reihe von Programmen für Studienaufenthalte anbietet, die es jungen und angehenden Künstlern ermöglichen, neue Werke zu entwickeln. Das Watermill Center (http://watermillcenter.org/) wurde zwar schon 1992 gegründet, ist aber besonders seit der Fertigstellung der rund 2.000 Quadratmeter umfassenden flexiblen Arbeitsräume und Außenflächen eine aktive Arbeitsstätte für die nächste Künstlergeneration aus aller Welt geworden. Das Zentrum arbeitet auch an einem Plan, um die sich dort aufhaltenden Künstler in ein wachsendes Netzwerk von New York und internationalen Institutionen und Tagungsstätten einzubinden, die interdisziplinäre Methoden begrüßen. Die Archive enthalten zwar eine Dokumentation von Wilsons Arbeit, doch das künstlerische Erbe seines Entwicklungsprozesses wird durch die kreative Atmosphäre und die methodische Breite bewahrt, welche die Teilnehmer umgeben und die sie mit nach Hause nehmen. Das Zentrum versucht einen Kontext zu schaffen, in dem es sich arbeiten lässt, und „fördert Projekte, die Genres und Kunstformen unter verschiedenen Gesichtspunkten integrieren und mit traditionellen Darstellungsformen brechen“ (http://watermillcenter.org/about). Primäre Aufgabe des Zentrums ist die Förderung von Artists in Residence, während individueller Aufenthalte von einer bis zu vier Wochen für bis zu 15 Künstler oder ganzjährig für Gruppen sowie durch ein International Summer Program, bei dem bis zu 70 Theaterleute, bildende Künstler, Tänzer und multidisziplinäre Künstler aus über 30 Ländern an intensiven Workshops teilnehmen und ihre Werke unter Anleitung von Robert Wilson präsentieren. Das Zentrum fördert auch Verbindungen zu Ausstellungs- und Veranstaltungsorganisationen in New York, bietet Science and Art Workshops an und lädt die Artists in Residence wie das allgemeine Publikum zu einer Vortragsreihe über eine große Vielfalt von Interessensgebieten ein. Wilson bezeichnet seine Gründungsidee für Watermill als einen Versuch, das leidenschaftlich kreative Milieu nachzubilden, in das er geriet, als er zum ersten Mal nach New York kam. „Ich ging in den Sechzigerjahren nach New York und lebte und arbeitete mit einer Gruppe gleichgesinnter Künstler und anderen Menschen. Jeden Donnerstag lud ich die Community, Gastkünstler und Intellektuelle aus allen Wissensgebieten zu mir ein. (…) Zunächst stellte ich mir Watermill als eine Rückkehr ins SoHo der Sechzigerjahre vor, als Ideenfabrik, Aufenthaltsort und Plattform, als Gehäuse und Inkubator, als etwas, das Menschen ermutigt, sich auszutauschen.“ Wilsons überaus visuelle Werke haben eine unauslöschliche Spur in der Geschichte der Theaterpraxis hinterlassen und einen neuen Theaterstil hervorgebracht, den Bonnie Marranca das „Theater der Bilder“ genannt hat, doch sein größtes Vermächtnis könnte sein Versuch sein, dieses produktive Laboratorium für neue Werke zu errichten. Seine Gegenwart hilft gewiss, das Werk zu beleben und seine Vision zur Vollendung zu bringen, doch diese Einrichtung wird den Prozess fortsetzen, und zwar lange nachdem Wilson präsent sein kann. Das Watermill Center bietet einen Zugang zu Wilsons Entwicklungsprozess und die Möglichkeit, sich ihn anzueignen.
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Bauschs künstlerisches Erbe als das Vermächtnis einer historisch bedeutsamen Gestalt ist gesichert, selbst wenn Amerika sich erst noch für die enorme Wirkung erwärmen muss, die sie gehabt hat. Aber diese Wirkung und Gegenwart lebendig und aktiv zu erhalten, ist die eigentliche Aufgabe. Die Pina Bausch Foundation bietet Bauschs umfangreichen Archiven eine geeignete Heimstatt, und die digitalen Materialien eröffnen dank einer immer größeren Verbreitung Möglichkeiten für Forschung und Studium. Schwierig wird es sein, den Schock der Erkenntnis zu bewahren, der die Zuschauer beim Erleben der Stücke auf der Bühne erschütterte, und die Mittel zur Verfügung zu stellen, damit auf diesen Materialien aufgebaut werden kann, um das Gespräch in Gang und Pinas Welt am Leben zu halten. Die gegenwärtigen Pläne, die Verbindungen durch den digitalen Zugang zu erweitern, versprechen, Bauschs globale Reichweite aufrechtzuerhalten, doch wird das Zentrum in Wuppertal die Attraktivität eines dynamischen Arbeitsplatzes entwickeln, der notwendig ist, um den inneren Geist des Werks am Leben zu halten? Wilsons Watermill Center kommt seine abgelegene Lage im Osten von Long Island zugute, damit sich ein konzentriertes Arbeitsmilieu entwickeln kann, aber ihm fehlt das geschäftige Treiben, das ein Ort, an dem Künstler leben und arbeiten, erzeugen würde. Bausch war es immerhin gelungen, einen so unscheinbaren Ort wie Wuppertal in ein Mekka für Theaterbesucher aus aller Welt zu verwandeln, aber wird das geplante Zentrum den gleichen Zustrom von Künstlern bewirken, der notwendig ist, um ein lebendig pulsierendes künstlerisches Erbe zu erzeugen? Jeder anhaltende Einfluss ist zwangsläufig fragmentarisch, aber die Kombination von Forschungsmaterialien und aktiver Praxis wird vielleicht lebenswichtiger sein als eine überlieferte Technik. Das Potenzial ist da, damit Bauschs Werk weiterhin neue Generationen von Tanz- und Theaterkünstlern inspiriert, einen radikalen Umgang mit der Bühne zu schaffen. Bausch war ja ihrerseits von ihrer Arbeit mit Kurt Jooss wie vom produktiven Einfluss ihrer Zeit an der Folkwangschule in Essen inspiriert und inspirierte in den darauffolgenden Jahren Wellen neuer Künstler während ihrer Amtszeit als Direktorin der Schule. Dieser Einfluss ist auch über den Ort eines Archivs oder Arbeitszentrums hinaus spürbar. Noch immer nehme ich den Schock der Erkenntnis wahr, wenn ich meinen Studenten Bauschs Werk durch Videodokumente vorstelle, und Wim Wenders’ Film Pina gewährt einen Blick in Bauschs Welt in großartiger optischer Opulenz. Es genügte ja schon, wenn man von Bauschs Frühwerk erfuhr und kleine Ausschnitte auf Video zu sehen bekam, dass die formalistische Starre des amerikanischen Tanzes zerbrach, und vielleicht werden diese erweiterten Materialien heutige Künstler aufs Neue inspirieren. Das Potenzial ist jedenfalls da für ein neuartiges künstlerisches Erbe, über die archivarische Qualität längst vergangener Künstler hinaus, und die Hoffnung besteht, dass die nächste Generation in der Lage sein wird, diese Materialien zu nutzen, um etwas zu schaffen, das uns alle in Erstaunen versetzt. So warten wir darauf, dass die neue große Innovatorin oder der neue große Innovator die kreative Führungsrolle übernimmt und auf der Bühne eine neue Welt der Möglichkeiten auftut – doch selbst dann wird Bausch noch viele Jahre einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
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Work in Progress. Ein Schulprojekt der Pina Bausch Foundation Katharina Kelter
Die Fragen hören nicht auf, und die Suche hört nicht auf. Es liegt etwas Endloses darin, und das ist das Schöne daran. Wenn ich unsere Arbeit anschaue, habe ich immer noch das Gefühl, ich habe gerade erst angefangen. Pina Bausch Jede Bewegung ist an jedem Tag immer neu. Safet Mistele
Ein Archiv im konventionellen Sinne macht die „Vergangenheit über Materialien, also gegenständlich greifbare, meist originale und authentische Objekte, zugänglich“ (Wegmann 2001: 54), ist eine Institution, „die der selektiven Sammlung und der konservierenden Speicherung von Dokumenten aller Art“ (Wirth 2005: 17) dient. Mit ähnlichen Worten beschreibt Michel Foucault in seiner Archäologie des Wissens das, was er nicht Archiv nennt. Der Begriff des Archivs beschreibt für Foucault weder „die Summe aller Texte, die eine Kultur als Dokumente ihrer eigenen Vergangenheit oder als Zeugnis ihrer beibehaltenen Identität bewahrt hat“ noch „die Einrichtungen die einer gegebenen Gesellschaft gestatten, die Diskurse zu registrieren und zu konservieren, die man im Gedächtnis und zur freien Verfügung behalten will“ (Foucault 1973: 187). Ein Archiv ist im Foucaultschen Sinne kein feststehender Speicher, sondern „das Gesetz dessen, was gesagt werden kann, das System, das das Erscheinen der Aussagen als einzelner Ereignisse beherrscht“ (ebd.).
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Auch für den Tanz kann es kein Archiv im Sinne eines feststehenden Speichers geben. Natürlich existieren konventionelle Tanzarchive; Filmaufnahmen etwa erfüllen den Anspruch des Bewahrens im klassischen Sinne, jedoch lassen sich so bestimmte Qualitäten von Tanz nicht fassen. Daher lohnt es sich, zunächst über den Tanz selbst nachzudenken. Was es im Tanzarchiv eigentlich zu bewahren gilt, glänzt durch seine beständige Abwesenheit (vgl. Schulze 2010a: 149). Die Gegenwart des Tanzes ist bereits im nächsten Augenblick Vergangenheit. Die Bewegungen vergehen mit dem Moment ihres Ausgeführt-Werdens, sind nur noch Erinnerungen „an jenen bewegten Körper, der nicht präsent zu halten ist“. (Brandstetter 2000: 103f.) Was bleibt, sind Spuren der zuvor noch tanzenden Körper, die als archivierte Stellvertreter – etwa Filmaufnahmen, Fotografien, Texte – der Erinnerung und der Rekonstruktion des Tanzereignisses dienen. Die tänzerische Bewegung selbst zeichnet sich in keinen materiellen Träger ein, sondern bleibt an Ort und Zeit ihrer Aufführung gebunden. Doch genau in diesem vermeintlichen Verlust liegt die produktive Kraft eines Tanzarchivs. Das Fehlen von etwas, die Leerstelle, wird zum Ausgangspunkt einer produktiven Tätigkeit. Als „Werk der Abwesenheit“ (Didi-Huberman 1999: 66) entstehen aus dieser Potentialität heraus Übertragungen und Übersetzungen, die die Ereignisse, die es zu bewahren gilt, überhaupt erst hervorbringen und fortführen. Bereits im Zuge seiner Archivierung und medialen Übersetzung durchläuft das Tanzereignis verschiedene Vermittlungsstufen, unterliegt Interpretationen, Analysen und Kontextualisierungen, die sich produktiv auf die Inhalte auswirken, sie verändern (vgl. Schulze 2010b: 11).1 Auch jede Form des Wieder-Holens beinhaltet ein Verändern und Fortführen. Jede Auseinandersetzung mit vergangenen Ereignissen bzw. deren archivierten Stellvertretern ist durch die Perspektive und selektive Auswahl des Archivnutzers geprägt, wodurch ein produktiver Austausch zwischen gegenwärtigem Interesse und archivierter Vergangenheit entsteht. Was Foucault für die Diskursanalyse beschreibt, lässt sich im Feld des Tanzes wiederfinden: Das Archiv ist keine reglose Vergangenheit, keine „untätige Materie“ (Foucault 1973: 14), sondern in ihm „generiert sich eine unendliche Praxis, die eher von der Gegenwärtigkeit des Überlieferten her motiviert ist als von dessen Vergangenheit“ (Thurner 2010: 14). Im Sinne der „Gegenwärtigkeit des Überlieferten“ ist der Prozess der Archivierung und die Auseinandersetzung mit Archivinhalten so kein vom Tanzereignis und vom tänzerischen Produktionsprozess abgekoppelter Bereich, sondern zentraler Bestandteil dessen. Das Ende einer Aufführung, das Vorübergehen und die Abwesenheit der tänzerischen Bewegung markieren keinesfalls das Ende einer Tanzproduktion. Vielmehr beinhaltet der tänzerische Produktionsprozess nicht nur Probenarbeit und Aufführung, sondern auch der Prozess der Archivierung ist Teil der Produktion. Mit Produktion meine ich all jene Aspekte des Tanzes, in denen es um ein Hervorbringen geht, etwa die dramaturgische Arbeit, die tänzerische Geste, das Dispositiv und eben auch den Prozess der Archivierung. Diesen Gedanken der Produktivität des Archivs und der damit einhergehenden prinzipiellen Offenheit und Unabschließbarkeit des tänzerischen Produktionsprozesses möchte ich im Folgenden am Beispiel des Projekts Work in Progress: Das Pina Bausch Archiv entsteht in Wuppertal der Pina Bausch Foundation weiter ausführen.2
1 Zur Archivierung als Übersetzung siehe auch den Aufsatz von Gabriele Klein und Marc Wagenbach in diesem Band. 2 Die folgenden Beschreibungen sind im Rahmen einer Projektbegleitung und meiner Forschungsarbeit im DFG-Graduiertenkolleg „Materialität und Produktion“ (GRK 1678) ab Januar 2013 entstanden.
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Work in Progress. Ein Schulprojekt Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt. So der Titel des Projekts, in dessen Rahmen derzeit das Pina Bausch Archiv entsteht. Neben der Auswahl, Sichtung und Erfassung des Werkbestands des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch ist die Arbeit der Stiftung vor allem durch die geplanten Erweiterungen und Kooperationen als Weiterproduktion der künstlerischen Arbeit Pina Bauschs, als Teil des Produktionsprozesses interessant. Ein konkretes Beispiel hierfür ist das Projekt Work in Progress: Das Pina Bausch Archiv entsteht in Wuppertal in Zusammenarbeit mit der Städtischen Pina-Bausch-Gesamtschule Vohwinkel in Wuppertal. Unter der Leitung von Marc Wagenbach (Pina Bausch Foundation) und Julia Bögeholz (Städtische Pina-Bausch-Gesamtschule Vohwinkel) beschäftigten sich 20 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 12 im Schuljahr 2012/2013 im Rahmen eines einjährigen Projektkurses mit ihrem eigenen sinnlichen Erleben und seinen Dokumentationsmöglichkeiten. Über eine Reflexion ihrer persönlichen und alltäglichen Lebensarchive – Facebook, Tagebuch etc. – wurden Fragen der Archivierbarkeit von Tanz diskutiert. Ziel der Jugendlichen war es, eigene Archive zu erstellen und sich darüber hinaus durch die Reflexion ihres eigenen Tuns mit den Techniken des Archivierens auseinanderzusetzen. Persönliche Geschichten und Erinnerungen sowie das eigene (ästhetische) Erleben von Körper und Raum wurden durch eine künstlerische Auseinandersetzung mit Bewegung und Tanz erforscht. In Workshops mit Tänzern des Tanztheater Wuppertal wurden Erinnerungen in Bewegungen übersetzt, Bewegungen analysiert, Improvisationstechniken erprobt und Choreografien entwickelt. In großen Notizbüchern (Kladden) hielten die Schüler nach jeder Sitzung ihre jeweiligen Erfahrungen fest und dokumentierten so die Ereignisse des Projekts. Entstanden sind Videos, Fotos, Berichte, Skizzen, Aufzeichnungen sowie ein Film, die am Schuljahresende im Rahmen einer Ausstellung in Wuppertal präsentiert wurden. Durch die performative Auseinandersetzung mit Fragen der Inszenierung und Archivierung haben die Schüler des Projektkurses ein Archiv nicht (nur) als Aufbewahrungsort von Materialien, sondern als eigenen kreativen Prozess, als Impulsgeber für zukünftige Produktionen, und als Teil des Produktionsprozesses kennengelernt. Die Arbeit des Projektkurses wurde mit dem ersten Platz in der Sparte TANZ (Klasse 10–13) des Kinder zum Olymp! Wettbewerbs der Kulturstiftung der Länder ausgezeichnet.3
Erinnerung als Bewegungsmaterial In Workshops arbeiteten die Schüler mit zwei Tänzern des Tanztheater Wuppertal, Clémentine Deluy und Anna Wehsarg, sowie Safet Mistele, Student der Folkwang Universität der Künste in Essen und bekannt aus Pina Bauschs Kontakthof. Mit Teenagern ab '14', zusammen. Jeder Workshop, jeder Tänzer setzte andere Akzente und bot den Schülern unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu Tanz und dem Tanztheater Wuppertal. Unter Anleitung von Clémentine Deluy setzten sich die Schüler mit ihren persönlichen Erinnerungen und deren Einfluss auf die Produktion von tänzerischen Bewegungen auseinander. Es wurden Bewegungen gesucht, die für bestimmte Erinnerungen stehen, diese repräsentieren. Die Erinnerungen wurden in tänzerische Bewegungen übersetzt, woraus kurze Choreografien entstanden. Durch diesen bewussten Übersetzungsprozess von Erinnerung in Bewegung wurde der Alltag der Schüler zum Ausgangspunkt und Teil der Choreografie. Die Jugendlichen lernten ihren Körper als lebendiges Archiv, ihre persönlichen Erinnerungen als potentielles Bewegungsmaterial kennen.
3 Zum Schulprojekt siehe auch: Arbeitsbericht NO.2 der Pina Bausch Foundation. Abrufbar unter: http://www.pinabausch.org [Stand: 14.11.2013].
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Als Tänzerin des Tanztheater Wuppertal ist Clémentine Deluy geprägt von der Ästhetik und Arbeitsweise Pina Bauschs. Jede Tanztechnik, Ästhetik, Arbeitsweise, Erfahrung etc. schreibt sich als Erinnerung in den Körper ein. Die individuelle Körperlichkeit und Tänzerbiographie, ebenso wie die Tanzhistorie und der jeweilige gesellschaftliche und kulturelle Kontext sind im Körpergedächtnis gespeichert, bedingen und durchdringen sich gegenseitig und bilden ein „kulturelles Archiv von tänzerischen Bewegungsmöglichkeiten“ (Schulze 1997: 219). Diese Körpererinnerungen materialisieren sich – bewusst wie unbewusst – im Moment der Bewegungsproduktion, werden wiederholt, vermischt, verändert, aktualisiert und gleichzeitig wieder archiviert. Wie eingangs für das Tanzarchiv beschrieben, so kann auch hier von einem produktiven Austausch zwischen aktuellem Interesse und archivierter Vergangenheit, von einer Bewegung zwischen Möglichkeit und ereignishafter Materialisierung gesprochen werden. Pina Bausch hat diesen unvermeidbaren Erinnerungsbezug durch ihr Improvisationsritual des Fragenstellens darüber hinaus bewusst als Produktionsstrategie zur Generierung von Bewegungsmaterial eingesetzt. Sie legte den Fokus auf die Erarbeitung eines Bewegungsmaterials, das explizit auf den vergangenen Erlebnissen, Erfahrungen und Gefühlen ihrer Tänzer basiert.�4 Als Teil dieser Proben- und Aufführungspraxis führt Clémentine Deluy diesen Produktionsprozess – bewusst wie unbewusst – fort. Im Kontext ihrer Arbeit mit den Schülern des Projektkurses erweist sich die Auseinandersetzung mit Erinnerungen in dreifacher Hinsicht als produktiv: durch die Körper- und Bewegungserinnerungen von Deluy sowie die der Schüler, durch die persönlichen Erinnerungen der Schüler und nicht zuletzt durch die Verbindung zur Arbeitspraxis des Tanztheater Wuppertal. Auch Safet Mistele ist geprägt von seinen Erfahrungen während der Produktion von Kontakthof. Mit Teenagern ab '14' und gibt dieses Erfahrungswissen an die Schüler des Projektkurses weiter.
Bewegung und Raum. Orte der Erinnerung Die mit Clémentine Deluy erarbeiteten Bewegungssequenzen wurden zu kleinen Videoclips weiterentwickelt. Die Schüler entwarfen mit Hilfe von Pappkartons, Farben, verschiedenen Bastel- und Naturmaterialien kleine Bühnenbilder für ihre Choreografien. Kostüme und Musik wurden ebenfalls passend zu ihren Bewegungen – und Erinnerungen – ausgewählt. Die Bewegungssequenzen wurden auf Video aufgenommen und in die ebenfalls gefilmten Bühnenbilder projiziert bzw. geschnitten. Die entstandenen Videoclips und die Wahrnehmung ihrer Bewegungen wurden gemeinsam besprochen und reflektiert. Einige Schüler fanden es unangenehm, sich selber in einem Videoclip zu sehen, für andere Schüler stimmte die Wirkung ihres Videos nicht mit dem von ihnen gewollten Ausdruck überein. Eine Schülerin war mit der technischen Umsetzung nicht einverstanden, andere Schüler betonten die Schwierigkeit, im Moment der Videoaufnahme ihre Erinnerung – die Basis ihrer Choreografien – zu fühlen und auszudrücken. Was passiert mit der tänzerischen Bewegung wenn sie in ein anders Medium übertragen wird? Das Erstellen der Videoclips konfrontierte die Schüler mit Fragen der Archivierbarkeit von Bewegung. Medien wie Film und Fotografie zeichnen Bewegungen nicht nur auf, sie sind nie nur passive Instrumente, sondern ihre Materialität und Beobachtungsebene wirken sich entscheidend auf die Inhalte aus. Sie entfalten eine Wirkkraft, die die Modalitäten unseres „Denkens, Wahrnehmens, Erfahrens, Erinnerns und Kommunizierens prägt“ (Krämer 1998: 14) und damit unser Wirklichkeitsverständnis entscheidend mitkonstituiert. Medien beeinflussen die Konstitution und Wirkung der vermittelten Phänomene und erschaffen so neue Realitäten: „Im Gegebensein von Medien tun sich Möglichkeiten der Erfahrung und des Handelns auf, die anders nicht da sind, anders nicht ergriffen werden können, anders nicht zugänglich sind.“ (Seel 1998: 254). Das gefilmte Bühnenbild, die projizierten Bewegungen und die Filmtechnik beeinflussen sich gegenseitig, verändern ihre jeweilige Wirkung und ihre Realität. Nicht nur Proportionen und
4 Zur Arbeitsweise von Pina Bausch vgl. u.a. Servos 2003, Hoghe 1986.
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Größenverhältnisse wurden aneinander angepasst, sondern in einem Bühnenbild musste bspw. nachträglich die Farbgebung verändert werden, um die Bewegungen sichtbar machen zu können. In einem anderen Bühnenraum war eine Stufe eingearbeitet, die bei der Choreografie jedoch tänzerisch nicht berücksichtigt wurde. Dadurch schwebte der Schüler teilweise in der Luft, lief teilweise durch die Stufe hindurch. In anderen Videos fallen Bewegungen aus dem gesetzten Rahmen des Bühnenbildes heraus, gehen bspw. durch Wände hindurch. Die Schüler erlebten eine Differenz zwischen der gestalterischen Idee, den persönlichen Empfindungen und Erinnerungen, die durch die Choreografie ausgedrückt werden sollen und deren Übersetzung und Vermittlung durch die Videoaufnahme. Die eigene Bewegung erscheint durch die zweifache Rahmung von Bühnenbild und Kamera verfremdet. Andere Videos wiederum zeigen ein harmonisches Zusammenspiel von Bühnenraum und Bewegung: Sie ergänzen und unterstützen sich gegenseitig. Die Bewegungen scheinen direkt auf die Handlungsmöglichkeiten, die das Bühnenbild bereithält, zu reagieren.
Skizzenbücher. Ein Film Für den Film Skizzenbücher arbeiteten die Schüler abermals mit Clémentine Deluy zusammen. Das bereits erarbeitete Bewegungsmaterial wurde erneut erinnert und zu neuen Soli und Gruppenchoreografien weiterentwickelt. Bereits im Prozess der Erinnerung traten erste Abweichungen zu den „ursprünglichen“ Choreografien auf; einige Bewegungen wurden vergessen und auch die erinnerten Bewegungen wurden unbewusst – oder bewusst, beispielsweise als Reaktion auf die Analyse der Videoclips – verändert und aktualisiert. Clémentine Deluy unterstützte die Schüler in ihrer Bewegungsfindung. Sie griff einzelne Bewegungen heraus, schlug neue Elemente und konkrete Requisiten und Materialien vor, um die Intensität der Bewegungen zu unterstützen. Den Schülern stand es frei, die Vorschläge umzusetzen oder eigene Ideen einzubringen. Kostüme und Requisiten wurden ausgewählt, die Choreografien weiter verändert und an die verwendeten Materialien angepasst. Zusätzlich zu der Weiterentwicklung der Soli wurden einzelne Bewegungselemente herausgegriffen und zu Gruppenchoreografien weiterentwickelt. Aus einem Stoß gegen die Schulter wird bspw. eine Kettenreaktion: Die Schüler stehen sich im Raum verteilt paarweise gegenüber. Einer der Beiden stößt seinen Partner an der Schulter von sich, der sich durch diesen Impuls umdreht und in die entgegengesetzte Richtung läuft, bis er einen freien Platz erreicht und die Kettenreaktion nun mit einem neuen Partner fortsetzt. Für eine andere Gruppenbewegung lernten die Schüler die Bewegung einer Mitschülerin, die sie dann, in einer Reihe sitzend, synchron ausführen. Die Bewegungssequenzen mussten je so verändert werden, dass sie als Gruppe ausgeführt werden können. Die Dreharbeiten fanden in einer leerstehenden Fabrikhalle satt. Die Halle ist in drei unterschiedlich große Räume unterteilt, die offen miteinander verbunden sind. Am Kopfende befindet sich ein Balkon aus Stahlgitter. Die Wände der Fabrikhalle sind mit großen, bunten Graffitis besprüht. Im Eingangsbereich stehen alte Autos, in einer Ecke liegen Elektrogeräte. Große Holzmöbel stehen verpackt und abgedeckt in einem kleinen Lagerraum, große Holzpaletten sind an einer Wand unordentlich übereinander gestapelt. Die Choreografien der Schüler wurden an jeweils unterschiedlichen Stellen der Halle aufgenommen; für die Gruppenszenen wurde teilweise die komplette Halle genutzt. Die Bewegungen wurden erneut verändert und an die Gegebenheiten und Möglichkeiten des Raums angepasst. Der Raum veränderte die Bewegungen. Der Film trägt den Titel Skizzenbücher und beginnt mit einer Szene, in der die Schüler auf einer Treppe der Fabrikhalle sitzen und in ihren Kladden, ihren Skizzenbüchern, blättern. Immer wieder werden die Kladden laut zugeschlagen, um dann wieder geöffnet und erneut durchgeblättert zu werden. Es folgt eine Szene, in der eine
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Schülerin alleine mitten in der Halle steht und ihren Arm langsam von der Seite nach oben über ihren Kopf führt. Ihr Blick und der Blick der Kamera verfolgen ihre Bewegungen. Die Soli und Gruppenszenen sind montageartig aneinandergeschnitten, was dem Film eine collagenartige Form verleiht und an die Arbeitspraxis des Tanztheater Wuppertal erinnern lässt. Auch Ausschnitte aus den Videos der Bühnenbilder sind Teil des Films. Wie auch die Choreografien und Kladden der Schüler treten sie ein in einen neuen Bedeutungs- und Nutzungszusammenhang, der zu Veränderungen und Aktualisierungen führt. Der Schnitt der einzelnen Filmszenen ist hart und erinnert im Sinne der Skizzenbücher an das Umblättern von Seiten. Tonüberschneidungen und verschiedene Lieder und Melodien verbinden die einzelnen Szenen. Der Film endet mit einem lauten Knall: Das Skizzenbuch wird zugeschlagen.
Wir stellen aus!. Eine Ausstellung Am Ende des Projekts stellten die Schüler ihre Erfahrungen, Erlebnisse, Erkenntnisse und künstlerischen Arbeiten im Rahmen einer einwöchigen Ausstellung vor.5 Eröffnet wurde die Ausstellung von einer Performance der Schüler, die zum einen erneut die Bewegungsarbeit der Schüler aufgriff und zum anderen Objekte, die während des Projekts entstanden sind, integrierte und ausstellte. Eine Schülerin, Keziah, erzählt eine Anekdote aus einem Workshop mit Safet Mistele; eine persönliche Erinnerung, die im Verlauf des Projekts immer wieder auftauchte – etwa im Film Skizzenbücher –, sich veränderte, weiterentwickelte und immer wieder neu zum Ausgangspunkt von Bewegungen wurde. Am Ende ihrer Geschichte schließt Keziah den sogenannten Archivladen auf, ermuntert die Besucher zum Eintreten, während sie erneut zu erzählen beginnt. Einige Schüler stehen inmitten der Besucher. Ihre Gesichter sind zur Decke gewandt und mit ihren Kladden bedeckt. Nach kurzer Zeit nehmen sie die Notizbücher herunter, suchen sich eine neue Position im Raum und legen die Kladden erneut auf ihre Gesichter, stellen sie aus. Andere Schüler rennen vor den Schaufenstern des Archivladens auf und ab, werfen weiße Blätter in die Luft. Im Archivladen präsentierten und repräsentierten verschiedene Stationen den einjährigen Arbeitsprozess des Projektkurses und luden den Besucher zum Gespräch und Austausch ein. Die Ausstellung war durch eine ausdifferenzierte und dichte Aktivitätsfolge gekennzeichnet: Eine meterlange Stoffbahn ist dicht mit Gedanken, Erzählungen, Notizen und Zitaten aus den Kladden der Schüler beschrieben. An einem Fließband befestigt, präsentieren sich diese Gedanken in permanenter Bewegung. An einer anderen Station ist ein Gerüst mit Holzpaletten aufgebaut. Auf und in diesem Gerüst stehen mehrere Laptops, die verschiedene Videos zum Verlauf des Projekts zeigen. Ein Film zeigt Ausschnitte aus den Tanzstunden mit Clémentine Deluy, auf einem Bildschirm ist ein Making-of zu dem Film Skizzenbücher zu sehen, ein anderer Film dokumentiert das Arbeiten der Schüler mit Wasser als Bewegungs- und Inszenierungsmaterial. In einer großen Box liegen die unzähligen Fotos, die während des Projekts entstanden sind, durch- und übereinander und können mit weißen Archiv-Handschuhen – entsprechend der allgemeinen Archivpraxis – herausgenommen und angeschaut werden. In Form von kleinen Altären stellen die Schüler ihre eigenen Lebensarchive aus: Objekte und kleine Gegenstände, die von persönlicher Bedeutung oder Träger von wichtigen Erinnerungen sind. Alle Gegenstände sind für den Besucher überschaubar in Inventarlisten dokumentiert. Die Kladden der Schüler sind in Regalen ausgestellt, Auszüge daraus hängen als Bilder an den Wänden. An einer anderen Station haben die Besucher die Möglichkeit, sich an mehreren Laptops akustisches Material anzuhören – bspw. Erzählungen und Gespräche, die während eines gemeinsamen Bunkerbesuchs des Projektkurses aufgenommen wurden.6 In einem mit schwarzem Stoff abgetrennten Raum wird der Film Skizzenbücher gezeigt. An anderer Stelle sind auf einem Fernsehbildschirm die Videoclips zu den Bühnenbildern zu sehen. Darüber hinaus haben die Schüler für die Ausstellung eigens zwei Spiele entwickelt, die den Besuchern noch einmal auf spielerische Art und Weise ihre Ausein-
5 Die Ausstellung fand im Rahmen der Jubiläumsspielzeit des Tanztheater Wuppertal PINA40 statt. 6 Mit dem Besuch im Bunker wurde der Frage nachgegangen: Wie fühlt sich Dunkelheit an?
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andersetzung mit Archivierung, Erinnerung und Bewegung näherbringen und zum eigenen Nachdenken und Reflektieren anregen sollen. In einer Art Memory-Spiel wird sowohl die Flüchtigkeit von Erinnerungen aufgezeigt als auch die Wirkung von Bewegungen erforscht. In einem weiteren Spiel wird die Archivierungsarbeit und die Archivmaterialien des Projektkurses mit dem Arbeitsprozess und den Materialien des Pina Bausch Archivs verglichen. Die Ausstellung präsentierte nicht nur die Arbeit des Projektkurses und die im Zuge dessen entstandenen „Produkte“, sondern ist selbst Teil des Arbeits- bzw. Produktionsprozesses. Die Inszenierung von Film, Kladden und Bühnenbildern im Ausstellungskontext führt zu Übersetzungen, Neukontextualisierungen und Aktualisierungen; es entsteht ein neuer Nutzungs- und Bedeutungszusammenhang.
Erleben – Dokumentieren – Reflektieren. Archivierung als Produktion Die Schüler des Projektkurses haben sich sowohl theoretisch als auch praktisch mit Tanz, Bewegung und Erinnerung auseinandergesetzt, Strategien der Inszenierung und Formen der Dokumentation kennengelernt, ihre eigenen Archive erstellt und diese mit den Materialien, Arbeitsprozessen und Strukturen des Pina Bausch Archivs verglichen. Sie haben ein Tanzarchiv – und das Pina Bausch Archiv im Speziellen – als einen „Ort ständiger Bewegung“ (Schulze 2010a: 147) kennengelernt. Der Titel des Schulprojekts charakterisiert das Pina Bausch Archiv treffend als ein Work in Progress, als sich stetig weiterentwickelnd, als eine „Bewegungserinnerung in die Zukunft“ (Brandstetter 2000: 110). Die Bedeutung eines Tanzarchivs ergibt sich nicht allein aufgrund der Sammlungswürdigkeit seiner Gegenstände, „sondern allein aus dem ihm gegenüber immer wieder neu eingenommenen Standpunkt und seiner damit einhergehenden Kontextualisierung“ (Schulze 2005: 121). Jede neue Auseinandersetzung mit den archivierten Materialien und Inhalten führt zu Aktualisierungen und Neukonstruktionen. „Das Erinnern existiert nicht vornehmlich durch das Erinnerte“ (Nachbar zit.n. Hardt 2005: 39), sondern durch Akte der Bewegung – etwa Übertragung, Übersetzung und Wiederbelebung –, durch die die archivierten Ereignisse oder Personen überhaupt erst hervorgebracht werden (vgl. Schulze 2005: 123). Der Akt der Archivierung stellt selbst ein Ereignis dar bzw. im Akt der Archivierung wird ein Ereignis produziert (vgl. Hantelmann 2007: 152): „Die Archivierung bringt das Ereignis in gleichem Maße hervor, wie sie es aufzeichnet.“ (Derrida 1997: 35). So spiegelt gerade das Spannungsverhältnis, das die Ereignishaftigkeit des Tanzes und die tänzerische Bewegung mit ihrer „Dokumentation“ eingehen, in besonderem Maße das Charakteristische einer jeden Archivarbeit wider (vgl. Schulze 2005: 128). Das Projekt der Pina Bausch Foundation hat die Schüler des Projektkurses jedoch nicht nur an ein theoretisches sowie praktisches Nachdenken über die Archivierbarkeit von Tanz herangeführt und eine Auseinandersetzung mit dem Prozess der Archivierung ermöglicht, sondern steht vor allem selbst beispielhaft für die Performativität und Produktivität eines Archivs. Die Auseinandersetzung mit dem Pina Bausch Archiv und dem Tanztheater Wuppertal haben als Akte der Bewegung sowohl archiviertes Körper-Wissen übersetzt und übertragen – vor allem durch den Austausch mit Tänzern und Mitarbeitern des Tanztheater Wuppertal – als auch eigene Ereignisse und Produkte hervorgebracht. Genau hierin liegt das produktive Potential der Archivierung. Durch den direkten Austausch mit (körperlichem) Wissen bleibt das Pina Bausch Archiv kein reiner Aufbewahrungsort für tanzgeschichtliche Reliquien, sondern ist selbst Teil des Produktionsprozesses des Tanztheater Wuppertal, Teil seiner eigenen Geschichte.
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„Lebendig ist, wenn es dein Eigenes ist.“ Schülerinterviews zum Schulprojekt der Pina Bausch Foundation Keziah Claudine Nanevie, Linda Seljimi, Michelle Urban
Der folgende Text ist eine Reflexion einiger der Schülerinnen und Schüler des einjährigen Projektkurses: Work in Progress. Das Pina Bausch Archiv entsteht in Wuppertal, der in Zusammenarbeit zwischen der Städtischen Pina-Bausch-Gesamtschule Wuppertal-Vohwinkel und der Pina Bausch Foundation in der Jahrgangsstufe 12 im Schuljahr 2012/13 entstand. Ziel dieses Kurses war es nicht nur, eigene Archive zu erstellen und diese mit den Materialien im Pina Bausch Archiv zu vergleichen, sondern einen eigenen methodischen Zugang in der Vermittlung von Archivarbeit und gleichzeitig auch Tanzgeschichte zu finden. Was sind die Bedürfnisse, Träume und Wünsche von Jugendlichen an ein zukünftiges Pina Bausch Archiv? Inwiefern haben die Sammlungen des Archivs etwas mit der eigenen Lebenssituation von Jugendlichen zu tun? Und wie kann man ein Archiv der Zukunft gemeinsam aufbauen? Das Gespräch führte Marc Wagenbach.
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Marc
as bedeuten Erinnerungen W für euch? Keziah Für mich sind Erinnerung sehr wichtig. Vor dem Projektkurs waren Erinnerungen für mich zwar schon von Bedeutung, aber ich glaube nicht in dem Ausmaß. Man hat sich an den ehemaligen Urlaub erinnert oder an irgendetwas, was vor kurzer Zeit passiert ist. Man hat es aber gar nicht so bewusst wahrgenommen. Durch den Kurs habe ich gemerkt, dass sie eine unglaublich große Rolle spielen. Zum einen, weil ich sie auch in meinem Alltag ständig gebrauche. Und weil ich jetzt weiß, wie ich etwas reflektiere und mich selbst darstelle mit Hilfe meiner Erinnerungen. Deshalb würde ich auf jeden Fall sagen, dass sie von großer Bedeutung sind. Wenn etwas schief gelaufen ist, prägt es meine Identität, dass ich nächstes Mal etwas Anderes mache. Oder dass ich versuche, etwas besser zu machen, weil es auf diesen Erinnerungen aufbaut. Die Erinnerungen sind ein grundlegender Teil der Identität.
Linda Den gesamten Projektkurs hindurch habe ich mir Gedanken gemacht, was Erinnerungen sind. Was bedeuten sie für mich? Sie sind Teil meines Lebens. Durch sie wird alles festgehalten. Manchmal wie Rückfälle. Es sind ja nicht immer nur positive Sachen, sondern oftmals auch negative Dinge, die wichtig für einen sind. Man ist es selbst. Sie spiegeln den eigenen Charakter. Die Person, die man ist. Oder die Person, die man vielleicht mal war. Man kann sein Leben, den Verlauf, in seinen Erinnerungen wiederentdecken. Für mich waren in diesem Projektkurs viele Momente dabei, die sehr wichtig waren. Man hat sehr viel gelernt; hat Dinge gemacht, die man nie gemacht hätte: Mutproben, durch einzelne Erlebnisse, gemeinsam. Man hat gesehen, ok wir sind eine Gemeinschaft. Der Austausch mit den anderen war für uns alle sehr wichtig. Sein Leben lang ist man ja auf einer Suche nach sich selbst.
Marc
nd was ist mit Vergessen? U Sollte man auch vergessen? Keziah Ja, Vergessen spielt auch eine große Rolle. Es ist schwierig. Einige Erinnerungen würde man gerne vergessen, kann es aber nicht. Von andern Dingen sagt man, dass das Vergessen besser wäre. Auch das Vergessen macht einen Teil der Erinnerungen aus. Wenn man sich nicht mehr traut, etwas zu machen, nur weil es schief gelaufen ist, würde man nicht vorwärts kommen. Deshalb muss man vergessen, dass da etwas schief gelaufen ist und es nochmal probieren.
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Marc
ie kann man überhaupt W einen Augenblick festhalten? Keziah Ich denke, den Augenblick an sich kann man nicht festhalten. Man kann sich natürlich immer wieder an eine gewisse Situation erinnern. Aber man wird sie nie auf genau die gleiche Weise haben. Das ist das Einzige, würde ich sagen. Gefühle und Gerüche, die man hatte, könnte man nachempfinden. Aber die Situation an sich und die Art, wie man das Gefühl empfunden hat, das kann man nicht festhalten und auch nicht zurückholen. Wenn ich die Situation z. B. nachspiele, würde es nicht genau dasselbe Gefühl sein. Wenn ich zum Beispiel an unser Tanzen denke. Beim ersten Mal war ich vielleicht noch etwas zurückhaltend. Dann wurde ich immer lockerer. Es war jedes Mal anders. Die Umstände machen viel aus. Ich denke nicht, dass man es richtig festhalten kann.
Marc
as glaubst du verändert sich, W wenn man einen Augenblick aufschreibt? Michelle Ich finde es schwierig Gefühle aufzuschreiben. Gefühle kann man, glaube ich, besser ausdrücken durch beispielsweise Bewegungen. Bewegungen, wie wir sie gemacht haben. Da ist es aber wiederum schwierig, sie richtig zu filmen, wenn man sie dann filmt. Es aufzuschreiben, sehr detailliert. Generell alles zu dokumentieren. Man muss es auf ganz verschiedene Weisen machen, damit man es wie zu einem Puzzle zusammensetzen kann, dann hat man wieder etwas Neues. Das ist dann anders. Mein Freund sagt immer: „An was du dich nicht erinnern kannst, das kann auch nicht so wichtig gewesen sein.“ Dies sehe ich nicht so. Es kann auch sein, dass man sich an Dinge nicht erinnert, die man verdrängt. Ich fand es gut in unserem Projektkurs, dass wir alles aufschreiben konnten, das Einkleben der Fotos in meine Kladde, mein Notizbuch. Ich durfte es machen, wie ich es wollte. Genauso, wie ich es gefühlt habe, habe ich es reingeschrieben. Ich habe gemalt, habe etwas sehr Persönliches erzählt, über meine Oma. War auch schwierig. Aber man kann es dadurch gut verarbeiten, wenn einem dann so etwas passierte. Durch das Aufschreiben konnte ich es mit jemandem teilen. Auch wenn es nur ein Buch ist. Es kann dir nichts sagen. Es kann dir nicht antworten. Aber es ist schön, es loszulassen. Damit es nicht so auf einem liegt.
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Marc
ibt es einen Moment G den du bezogen auf den Kurs nicht vergessen möchtest? Linda Ich werde nie vergessen, wie wir Clémentine Deluy – Tänzerin des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch – im Ballettsaal des Opernhauses in Wuppertal getroffen haben. Ich war mal wieder etwas zu spät – ganz normal. Wir haben alle zusammen einfach diesen Moment genossen. Clémentine hat uns so aufgerüttelt. Jeder hat zugehört. Man konnte eine Stecknadel fallen lassen hören. Sie hat uns einfach machen lassen und wir haben versucht, unserer eigenen Erinnerung eine Form zu geben. Egal, wie du es darstellt. Wir machten es.
Marc
oran denkst du, W wenn du den Begriff „Archiv“ hörst? Linda Ich habe immer gedacht Archive, das sind tote, langweilige Bunker, die nicht lebendig sind. Aber wir haben dann gesagt So funktioniert es nicht. So kann ein Pina Bausch Archiv nicht funktionieren. Weil das Theater, der Tanz lebt. Es muss lebendig sein. Also muss das Archiv auch lebendig sein, so dass es die Menschen sehen, sich dafür interessieren, ich damit auseinandersetzen. Lebendig ist, wenn es dein Eigenes ist. Es ist wichtig, immer die eigene Persönlichkeit miteinzubringen. Jedoch sollte man nie den Kern verlieren. Pina Bausch. Darauf bauen wir alle auf. Wir haben zum Beispiel mit den Tänzern zusammengearbeitet. Die Tänzer verkörpern all das. Durch sie konnten wir die Arbeit von Pina Bausch kennenlernen. Und durch unser eigenes Erleben, konnten wir verstehen, wie dies alles entstanden ist. Was hat Pina Bausch da aufgebaut? Der Prozess macht es aus. Es geht nicht darum, dass wir jetzt versuchen an diese Professionalität der Künstler heranzukommen. Natürlich können wir es nicht, weil wir diese jahrelangen Erfahrungen leider nicht haben. Aber es ist ja nicht minderwertiger, was wir gemacht haben. Es geht bei uns ja um Erinnerungen und unsere Erinnerungen haben ihren eigenen Wert. Aber alleine macht man diese Erfahrungen nicht. Wir haben uns alle gemeinsam auseinandergesetzt. Genau diese gemeinsame Erinnerung ist sehr wichtig.
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Marc
nd was für eine Bedeutung U hat ein Archiv für dich? Keziah Das Wichtigste ist, dass man zeigt, dass Archive nicht – wie schon erwähnt – alte Kartons und Orte mit Ordnern sind, wo irgendetwas verstaubt rumliegt, sondern, dass man mit Archiven arbeiten kann. Ich finde es generell wichtig, dass man die Archivarbeit an Jugendliche heranführt. Wichtig fand ich, dass man zum Pina Bausch Archiv eine Verbindung aufbauen konnte. Vorher kannte ich das Archiv gar nicht, klar Pina Bausch kannte man, aber das es dazu noch dieses Archiv gab. Ich finde, es wäre eine tolle Sache, wenn noch mehr Leute davon wüssten, dass es so etwas gibt. Das man diese Erinnerung wach hält, dass man sich immer wieder damit auseinandersetzt.
Marc
ie soll deiner Meinung nach W ein Archiv der Zukunft aussehen? Michelle Ein Archiv sollte immer für jeden zugänglich sein, der sich dafür interessiert. Man sollte die Materialien, wie zum Beispiel die alten Regiebücher, auf jeden Fall aufbewahren. Es ist nicht dasselbe, wenn man es einfach auf dem Computer abtippt. Ich möchte, dass ein Archiv erst mal zugänglich für jeden ist und man alles behält. Zum einen soll man die Materialien erhalten, die bereits im Archiv sind. Aber vor allem auch das, was man nicht sieht. Was man selbst fühlt, wenn man die Stücke von Pina Bausch sich anschaut. Unsere Gefühle als Zuschauer. Jeder aus unserem Kurs hat mir etwas anderes erzählt. „Hast du das im Stück gesehen?“ „Nein, da habe ich gar nicht drauf geachtet?“ Ich glaube, das Erlebte ist für jeden einzelnen sehr individuell. Ich glaube, dies wird erhalten in den Erinnerungen der jeweiligen Personen. Man gibt es weiter. Ich glaube Pina Bauschs Arbeit wird dadurch erhalten, dass sie so viel Menschen verzaubert hat. Uns jetzt auch. Und ich hoffe, dass geht immer so weiter.
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Marc
ie glaubst du, W kann man das Erbe von Pina Bausch erhalten? Keziah Ich denke dadurch, dass man zum Beispiel versucht dieses Archiv am Leben zu erhalten. Das der Nachwuchs da rein kommt. Das in 20, in 30 Jahren es Menschen gibt, die es auch noch am Leben erhalten. Zu Beispiel behandeln wir gerade Shakespeare in der Schule und das ist Ewigkeiten her. Er wurde auch am Leben erhalten. Ich finde, Pina Bausch ist auch eine so besondere Person gewesen. Und das, was sie gemacht hat und wie sie es gemacht hat. Wie sie zum Beispiel da hingekommen ist. Ihr ganzer Werdegang ist so Besonders, dass ich von mir aus, das auch gerne in 30 Jahren im Unterricht hören würde.
Marc
as würdest du deinen Kindern W oder Freunden von Pina Bausch erzählen? Keziah Ich würde ihnen auf jeden Fall erzählen, dass Pina Bausch auch ganz klein angefangen hat. Und von dieser einen Begebenheit, die ich nicht vergessen kann. Das sie Ballettunterricht genommen hat. Und etwas machen sollte, was sie nicht konnte. Oder von dem sie glaubte, es nicht zu können. Und sagte: „Das kann ich nicht.“ Und daraufhin den Kurs verlassen hat. Bis die Lehrerin sie dann sozusagen zurückgeholt hatte. Und von da an beschlossen hat, nie wieder zu sagen, dass sie etwas nicht kann. Dies ist unabhängig von Zeit oder Persönlichkeit, denn solange man weiß, dass man daran glaubt und bereit ist dafür zu kämpfen, ist es auch machbar. Es ist auf jeden Fall ein Punkt, der mir durch diesen Kurs noch viel bewusster geworden ist. Dass man sich immer wieder überwinden kann, auch wenn man manchmal glaubt, es würde einem nichts ausmachen. Man muss sich an neue Dinge herantrauen.
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Literatur Bausch, Pina: Etwas finden, was keiner Frage bedarf. The 2007 Kyoto Prize Workshop in Arts und Philosophy. Abrufbar unter: http://www.inamori-f.or.jp/laureates/k23_c_pina/img/wks_g.pdf [Stand: 6.10.2013] Brandstetter, Gabriele (2000): „Choreographie als Grab-Mal. Das Gedächtnis der Bewegung.“ In: Brandstetter, Gabriele, Völckers, Hortensia (Hrsg.): Remembering the Body. Körper-Bilder in Bewegung. Osterfildern-Ruit: Hatje Cantz, 102–134 Climenhaga, Royd (2013) (Hrsg.): The Pina Bausch Sourcebook: The Making of Tanztheater. London, New York: Routledge Croce, Arlene (16.07.1984): „Bad Smells.“ The New Yorker. 81–84 Esposito, Elena (1998): „Fiktion und Virtualität.“ In: Krämer, Sybille (Hrsg.): Medien Computer Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 269–296 Daly, Ann, (1986) (Hrsg.): „Tanztheater: The Thrill of the Lynch Mob or the Rage of Woman?“ TDR. Spring: 46–56 Derrida, Jacques (1997): Dem Archiv verschrieben. Eine Freudsche Impression. Berlin: Brinkmann und Bose Didi-Huberman, Georges (1999): Was wir sehen blickt uns an. Zur Metapsychologie des Bildes. München: Fink Foucault, Michel (1973): Archäologie des Wissens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Hantelmann, Dorothea von (2007): How to Do Things With Art. Zur Bedeutsamkeit der Performativität von Kunst. Zürich, Berlin: diaphanes Hardt, Yvonne (2005): „Prozessuale Archive. Wie Tanzgeschichte von Tänzern geschrieben wird.“ In: Odenthal, Johannes (Hrsg.): tanz.de. Zeitgenössischer Tanz in Deutschland – Strukturen im Wandel – eine neue Wissenschaft. Berlin: Verlag Theater der Zeit, 34–41 Hoghe, Raimund (1986): Pina Bausch. Tanztheatergeschichten von Raimund Hoghe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Krämer, Sybille (1998): „Was haben die Medien, der Computer und die Realität miteinander zu tun?“. In: Dies. (Hrsg.): Medien Computer Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 9–26 Macián, José Enrique, Sue Jane Stoker, Jörn Weisbrodt (2011) (Hrsg.): The Watermill Center: A Laboratory for Performance – Robert Wilson’s Legacy. Stuttgart: Daco Verlag Schlicher, Susanne (1987): TanzTheater. Traditionen und Freiheiten. Pina Bausch, Gerhard Bohner, Reinhild Hoffmann, Hans Kresnik, Susanne Linke. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt
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4 Träume, Zukunft. Wie sieht ein Archiv der Zukunft aus?
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Pina lädt ein. Rückblicke Marc Wagenbach
Wir verstehen das Pina Bausch Archiv nicht als Depot oder Aufbewahrungsort, sondern vielmehr als ein Zentrum stetiger Wissensgenerierung, als einen lebendigen Ort, ein Reservoir an Ideen und Erfahrungen, als ein Laboratorium des Transfers, als einen Platz „an dem man sich trifft, spricht, probiert, forscht, lebt und diskutiert.“1 An dem diverse Perspektiven, Brüche und Diskontinuitäten sichtbar sind, in dem Erinnern als ein kreativer Prozess erfahrbar wird. 1 Pina Bausch Foundation (Hrsg.) (2010): Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt, Wuppertal: Pina Bausch Foundation, S. 16.
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Wie schreiben wir Geschichte? Prozesse übersetzen
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RESERVOIRE DER ERINNERUNG Das Werk von Pina Bausch ist unabdingbar
mit dem Wissen und dem Erfahrungshorizont der Tänzer und Mitarbeiter des Tanztheater Wuppertal sowie ihrer engsten Vertrauten verbunden.
Sie bilden einen beispiellosen Wissenspool. Einen lebendigen Speicher ohne den eine Archivierung des Werkes von Pina Bausch nicht denkbar ist.
Geschichten erzählen. Probenprozesse. Stimmungen. Atmosphären. Interviews mit Tänzern, mit Mitarbeitern und Ehemaligen des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Mit Zuschauern. Überall auf der Welt.
7 x 7 x 7. Sieben Fragesteller. Sieben Gesprächspartner. Sieben Minuten. Jeweils sieben Minuten lang interviewen sieben Zuschauer sieben Mitglieder des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Die Interviews werden aufgezeichnet. Fragmentarisches Erinnern.
Zeitlinien – Tänzer recorded! In 30-minütigen Interviews werden Tänzer und Ehemalige der Company zu ihrer Zeit und Arbeit mit dem Tanztheater Wuppertal befragt. Einblicke in die Arbeit. In Prozesse. Subjektives Erinnern.
INFORMATIONEN SAMMELN. ÜBERLIEFERUNGEN SCHAFFEN Dokumentationen von Bühnenbildern. Dokumentationen von Kostümen. Aufnahmen von Proben an der Pariser Oper oder innerhalb der Proben zur Wiederaufnahme von beispielsweise Two Cigarettes in the Dark. Ein Stück von Pina Bausch.
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Tanzerbe im 21. Jahrhundert Strategien des Erinnerns
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Aufbauen Sammlungen zusammentragen, inventarisieren, katalogisieren, beschreiben. Für jedes Material eine individuelle Strategie. Aufbau des physischen Archivs.
Digitalisieren Digitalisierung von Videos, Fotos, Regiebüchern, Arbeitsunterlagen, Programmheften etc. Sicherung problematischster Bestände wie frühe Videoformate. Konservieren. Festhalten. Digitalisate wiederverwendet für Rekonstruktion und Wiederaufnahmen. Erste Ergebnisse zeigen.
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Das Eigene. Auf der Suche nach einem lebendigen Archiv
Das digitale Pina Bausch Archiv Konzeption und Entwicklung eines digitalen Archivs mit einer spezifischen Informationsarchitektur.
Vermittlung Methodische Konzeption und Durchführung erster Vermittlungskonzepte von Tanzgeschichte und die Kooperation des Pina Bausch Archivs mit Schulen vor Ort.
Zusammenarbeit mit Schulen. Mit Universitäten. Workshops. Individuelle Ansätze suchen. Für einen selbst. Für ein lebendiges Archiv.
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Ein Archiv als Lebensraum. Ausblicke und Perspektiven salomon bausch
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Wozu ein Pina Bausch Archiv? Auch wenn sie es nicht so genannt hat – ein Archiv der künstlerischen Arbeit von Pina Bausch gibt es länger als es das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch gibt. Immer hat sie Material um den Entstehungs-, Proben- und Aufführungsprozess ihrer Stücke gesammelt, umfassend und systematisch: Notizen und Manuskripte, Fotos und Videoaufnahmen, Rollenbeschreibungen und Aufzeichnungen von Tänzern, Programme und Plakate, Kritiken und Interviews. Damit nicht genug: Auch Bühnenbilder und Kostüme zu den meisten ihrer Stücke sind noch vorhanden.
Wozu ein Pina Bausch Archiv? Die Frage nach dem „Wozu“ eines Pina Bausch Archivs beantwortet sich zuerst einmal dadurch, dass dieses Archiv seit Beginn ihrer choreografischen Arbeit vorhanden ist, genutzt, gepflegt und erweitert worden ist. Und von Anfang an – das zeigen die Materialien – war dieses Sammeln darauf ausgerichtet, ihre Kunst auch zukünftig immer wieder auf der Bühne sichtbar und lebendig werden zu lassen. Es war stets auf die Aufführung hin angelegt, die Dokumentation sollte die Wiederaufnahme ihrer Stücke ermöglichen. Zu den Besonderheiten des Archivs gehört sicher die schiere Menge der Materialien und ihre Verschiedenartigkeit: Die Versuchung, angesichts dieser überbordenden Fülle ins Aufzählen zu geraten, ist groß. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass sich viele der vorhandenen Materialien in ihrer Bedeutung erst durch die genaue Kenntnis von Pina Bauschs Kunst und der inneren Struktur ihrer Arbeitsweise erschließen. Ihre Manuskripte und Blättersammlungen etwa, auf weißem gelochtem Papier, mit Büroklammern in vorläufiger Ordnung gehalten: Notizen zu Szenen, aufgeschrieben im Moment ihrer Entstehung, Fragmente in der Bewegung des kreativen Prozesses – für einen Laien kaum zu entschlüsseln. Die Erfahrung und der Sachverstand, der hier vonnöten ist, ist von solch zentraler Bedeutung für das Archiv, dass er – gewissermaßen als Schlüssel für die Nutzung von dessen Gesamtheit – im Archiv selbst hinterlegt werden muss.
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Und anders, als es in anderen Institutionen der Fall sein mag, liegt ein bedeutender Teil dieses Wissens nicht in Form archivierbarer Dokumente vor. Ihn tragen Pina Bauschs Wegbegleiter – Tänzerinnen und Tänzer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Tanztheaters und viele andere – als gelebte Erfahrung in ihren Körpern und Köpfen. Grundverschieden von anderen Bereichen des Archivierens ist also, dass dieses Wissen personengebunden ist, es stellt Information dar, die an ein Bewusstsein geknüpft ist, nicht unmittelbar fassbar und nicht unvermittelt archivierbar. Ganz entgegen der landläufigen Meinung, die dem Archivwesen das eher Bürokratische, Angestaubte und bestenfalls noch Technisch-Abstrakte bescheinigt, zeichnet das Pina Bausch Archiv in dieser Hinsicht also etwas ausgesprochen Lebendiges aus: Neben der Sammlung und Verwahrung von greifbaren Gegenständen geht es darum, persönliche Erfahrungen festzuhalten und darüber eine Überlieferungstradition zu schaffen. Von Mensch zu Mensch, von den Zeugen für die Nachwelt. Die Aufgaben des Archivs sind klar umrissen: Vor allem soll es dazu beitragen, die Stücke auf lange Sicht lebendig zu halten, sie in der Aufführung immer wieder wirklich werden zu lassen. Zudem soll es eine Öffnung nach außen ermöglichen und nicht nur einem Fachpublikum detaillierten Einblick in Pina Bauschs Werk verschaffen und denen, die ohnehin von ihrer Tanzkunst fasziniert sind, sondern auch neuen Zielgruppen, die ohne die Existenz und die Arbeit des Archivs den Weg zu einer Aufführung wohl nicht finden würden. Das Archiv selbst, der Sitz der Sammlung in Wuppertal, soll ein lebendiger Ort werden, ein Raum für die persönliche Begegnung all derer, die sich für das Tanztheater begeistern, ein Raum, kreativ zu sein – wissenschaftlich oder künstlerisch.
Kollektive Erfahrung In den nächsten Jahren gilt es für die Pina Bausch Foundation als Trägerin des Archivs, die Sichtung und Archivierung des vorliegenden physischen Materials abzuschließen. Die betreffenden Objekte werden dann zum einen konservatorisch in ihrem Bestand gesichert, zum anderen auch beschrieben und digitalisiert sein. Diese Information wird in die „Linked-Data“-Struktur des digitalen Pina Bausch Archivs eingefügt sein, wie sie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kommunikation und Medien an der Hochschule Darmstadt entwickelt worden ist. Damit ist die Basis – gewissermaßen die „Hardware“ – geschaffen für eines der zentralen Anliegen des Archivs: Anhand der digital vorliegenden Archivbestände können die Menschen, die Teil und Teilhaber von Pina Bauschs Kunst waren und sind, ihre Erfahrungen weitergeben. Über das Video-Annotations-Tool – ebenfalls eine Entwicklung des Darmstädter Teams – können Tänzerinnen und Tänzer mit ihrer tiefgreifenden Kenntnis nun die Video-Sequenzen der vielen tausend Aufführungen bewerten und kommentieren, punktgenau Szene für Szene. Die technische Infrastruktur erlaubt es, den Ereignissen so auf präzise Weise Informationen zuzuordnen, aus der Sicht verschiedener Beteiligter, die auch unterschiedliche Blickwinkel auf das künstlerische Geschehen einnehmen. Wer an der Entstehung eines Stücks mitgewirkt hat, wer in einem Stück getanzt hat, wer als Assistent beteiligt war – jeder hatte ganz unterschiedliche Perspektiven und hat ganz Unterschiedliches in Erinnerung behalten. Dieses Vorgehen ist dabei sowohl auf die Fakten hin zentriert und auf die klare Bewertung einer Szene aus künstlerischer Sicht als auch auf persönliche Erinnerungen, auf „weiches Wissen“, das aber deswegen nicht weniger präzise, nicht weniger wahr ist als ein Gegenstand, der mit den Händen zu greifen ist. Verschiedene Zeitzeugen werden einen unterschiedlichen Blick auf die Vergangenheit haben: Das Wissen, von verschiedenen Menschen erinnert und erzählt, wird in seiner Gesamtheit widersprüchlich sein, lückenhaft und manchmal ungenau. Doch sich widersprechende Aussagen können in der vorliegenden Archivstruktur nicht nur nebeneinander bestehen, sondern machen so auch eine besondere Qualität des Archivs aus: Sie bilden nichts weniger als das Wesen kollektiver menschlicher Erfahrung ab.
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Wie wird individuelle zu kollektiver Erfahrung? Wie teilen Menschen Erlebnisse und Erinnerungen mit, welchen Gesetzen gehorcht die mündliche Weitergabe? 7x7x7: Unter diesem Titel konzipierte Marc Wagenbach 2011 ein Experiment, das im Anschluss an die Neueinstudierung und die Aufführungen von Two Cigarettes in the Dark stattfand. Sieben Fragesteller, Zuschauer der Aufführungen, sprachen jeweils sieben Minuten lang mit sieben Mitgliedern des Tanztheaters, alle 49 Dialoge wurden aufgezeichnet und transkribiert. Die Tänzerinnen und Tänzer äußerten ganz persönliche Erinnerungen an die Arbeit mit Pina Bausch, die Entstehung ihrer Rollen im Stück und die Uraufführung; sie sprachen darüber, wie ihr Wachsen an Jahren und an Lebenserfahrung ihren Blick auf das Stück veränderte. Wer wäre berufener, davon zu berichten, wer könnte genauer Auskunft geben? In spielerischer Atmosphäre war zu erleben, wie sich oral history ereignet, wie Menschen ihre Erfahrung weitergeben.
Lebendige Tanzkunst Der so entstehende, umfassende Wissens- und Erfahrungsschatz um Pina Bauschs Tanzkunst dient vor allem dazu, diese Kunst am Leben zu halten: Wie schon zu ihren Lebzeiten dient das archivierte Material dazu, ihre Stücke auch zukünftig als performative Ereignisse lebendig werden zu lassen. Der Sinn und die Konsequenz dieses Sammelns von Wissen ist, es auch weiterzugeben – an neue Tänzergenerationen im Tanztheater Wuppertal wie auch an andere Kompanien. Ein Beispiel aus der Arbeit der Pina Bausch Foundation ist die Rekonstruktion von Wind von West im Jahr 2013. Uraufgeführt im Dezember 1975 wurde das Stück unter der künstlerischen Leitung von Dominique Mercy rekonstruiert, dank einer Projektförderung des TANZFONDS ERBE und in Form einer internationalen Kooperation mit der Juilliard School in New York, der Folkwang Universität der Künste in Essen und dem Tanztheater Wuppertal. Die Probenleitung hatten ehemalige Tänzer des Tanztheaters übernommen, zum Teil auch aus der Besetzung der Uraufführung, Studierende der beiden Hochschulen standen auf der Bühne. Die Premiere des rekonstruierten Stücks, wie schon 1975 im Rahmen des dreiteiligen Strawinsky-Abends Frühlingsopfer, fand im November 2013 statt. Und nicht nur dank des Wissens und der Erinnerungen der ehemaligen Tänzer war diese Arbeit erfolgreich. Notwendig für die Rekonstruktion war, auf Materialien aus dem Archiv zugreifen zu können: Video-Aufzeichnungen und Fotografien der Aufführungen, historische Programmhefte und Pressematerialien. Anhand der Video-Aufzeichnungen und vorhandener Pläne konnten Bühnenpläne erarbeitet und Rückschlüsse auf die Konstruktion der einzelnen Elemente des Bühnenbildes gezogen werden. Vorhandene originale Kostüme dienten als Vorlage für die Neuanfertigung in der Kostümschneiderei der Wuppertaler Bühnen.
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Und auch eine andere Facette der Stiftungsarbeit zeigte sich bei der Rekonstruktion von Wind von West: die Überlieferung und Traditionsbildung von Künstler zu Künstler, die Vermittlung von Pina Bauschs Tanzkunst an junge Tänzer. Junge Menschen für das Tanztheater begeistern: Ein weiteres Beispiel aus den vergangenen beiden Jahren ist das Projekt Work in Progress: Das Pina Bausch Archiv entsteht in Wuppertal in Zusammenarbeit mit der Anfang 2014 so benannten Pina-Bausch-Gesamtschule in Wuppertal. Mit unkonventionellen Methoden näherten sich die Schülerinnen und Schüler nicht nur dem Œuvre der Choreografin an, sondern auch dem Wesen und der Praxis des Archivierens – und dies in enger Verbindung zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit: Wie sammeln junge Menschen Erinnerungen, wie dokumentieren sie Alltag? Wo archivieren sie bereits selbst, ohne es jedoch so zu benennen? Sicherlich wird die Pina Bausch Foundation in Zukunft auch mit anderen Schulen zusammenarbeiten, die Pina-Bausch-Gesamtschule wird dabei auch langfristig ein wichtiger Entwicklungsraum bleiben.
Ein Archiv als Garten der Inspiration Doch auch auf anderen Wegen will das Archiv Pina Bauschs Kunst sichtbar machen – sie aus der digitalen Datenbasis wieder ans Tageslicht bringen, sie fassbar machen, im Raum zu erleben. Besonders für den endgültigen Standort des Archivs in Wuppertal gilt es, neue Formate zu konzipieren, etwa in Form von Ausstellungen und Installationen, mit der das digitale Archiv visualisiert werden kann. Ab 2014 wird das Pina Bausch Archiv einem Fachpublikum zugänglich sein, Wissenschaftlern, Künstlern und Medienvertretern. Langfristig wird es auch der Allgemeinheit offen stehen, in Wuppertal, aber auch an anderen Orten der Welt. Denn einerseits sind die physischen Objekte der Sammlung natürlich ortsgebunden, andererseits macht es die Digitalisierung des Archivs möglich, sich rund um den Globus mit dem Tanztheater Wuppertal auseinanderzusetzen. Schon heute besteht ein lebendiger Austausch zwischen der Kompanie Pina Bauschs und internationalen Institutionen, entstanden auf der Grundlage persönlicher Begegnungen und gewachsen über Jahrzehnte. Die Brooklyn Academy of Music (BAM) ist seit 1984 der einzige Ort in New York City, an dem das Tanztheater Wuppertal gastiert; 23 Gastspiele sah die dortige Bühne, und entsprechend umfangreiche Materialien lagern in den Archiven des BAM. Nur folgerichtig ist es daher, dass in den vergangenen drei Jahren ein ebenso freundschaftlicher wie intensiver Austausch zwischen Brooklyn und Wuppertal entstanden ist – nicht nur, um Bestände zu sichten, sondern auch, um gemeinsam die Möglichkeiten zu reflektieren, wie die vielschichtige und genre-übergreifende Kunstform des Tanztheaters zu archivieren sei. Fast genauso lange währt die Verbindung des Tanztheaters Pina Bausch mit Japan: Mehr als zwanzig Gastspiele fanden dort in den vergangenen Jahrzehnten statt. Mit Kazuo Ohno war Pina Bausch seit den achtziger Jahren freundschaftlich verbunden; in Yokohama befindet sich das Archiv im Aufbau, das sein Lebenswerk bewahrt. Mit diesem, aber auch mit dem Archiv des zweiten großen Protagonisten des Butoh, Tatsumi Hijikata, steht die Pina Bausch Foundation im Dialog. Die Zusammenarbeit mit den japanischen Archiven soll zukünftig auf zwei Ebenen stattfinden: Auf der konkreten Ebene der historischen Materialien und Dokumente, die den Austausch zwischen den Tanzkulturen bezeugen, und auf der theoretischen, auf der die Archivarbeit selbst reflektiert und weiterentwickelt wird.
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Somit werden New York und Yokohama sicher zu den ersten Orten gehören, an denen die Idee der Hotspots verwirklicht wird, als Zentren internationaler Auseinandersetzung mit dem Werk von Pina Bausch: Bedeutende Teile des digitalen Archivs könnten dann hier zugänglich sein, es könnten aber auch viele verschiedenartige Veranstaltungen stattfinden. Pina Bauschs Kunst kann auch auf diesem Weg weiterhin ihre internationale Wirkung entfalten, und umgekehrt werden diese internationalen Perspektiven die Beschäftigung mit ihrem Werk enorm bereichern. Zuhause in Wuppertal wird sich das Pina Bausch Archiv zu einem lebendigen Archiv entwickeln. Es wird ein Ort sein, der Lust macht, ihn aufzusuchen, der seine Besucherinnen und Besucher willkommen heißt, der Gastfreundschaft vermittelt. Er soll zum Austausch und zur Kommunikation anregen. Er soll ganz unterschiedliche Perspektiven auf das Archivmaterial zulassen und so den Blick auf Pina Bauschs Tanzkunst schärfen, Zeitgenossen und Mitstreiter der Choreografin einbinden, Fachleute und Laien, Gäste von andernorts und die Wuppertaler selbst. Und das Archiv soll ein Ort sein, der inspiriert – zu wissenschaftlicher, aber viel wichtiger auch zu künstlerischer Arbeit, im Bereich des Tanzes, aber auch in ganz anderen Genres, in neuen medialen Formen und Techniken. Ein Ort wie ein Garten, der zum Bleiben animiert, der den Austausch fördert und die Fantasie anregt.
Tanz vergegenwärtigen Pina Bauschs künstlerisches Werk ist inspirierend, reichhaltig und facettenreich. Davon zu lernen ist mehr als lohnend, und vieles, was darin angelegt ist, ist auch für die Arbeit am Pina Bausch Archiv zukunftsweisend. Die Struktur des digitalen Archivs orientiert sich weitestgehend an Pina Bauschs Arbeitspraxis und ihren eigenen Systematisierungen; es gilt nun, darin die Materialien zu bewahren, die rund um die Genese und Aufführung ihrer Stücke entstanden sind – und entstehen. Schon die von ihr selbst kuratierten Festivals zeigten neben ihren eigenen Stücken – und den Arbeiten anderer Tänzer und Choreografen – auch Werke von Künstlern aus anderen Bereichen. Dieser interdisziplinäre Ansatz findet sich wieder in der Zielsetzung, ihr künstlerisches Schaffen auch in neuen Veranstaltungsformaten zu vermitteln. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Öffnung ihres Werks für junge Menschen, die ja bereits in der Kontakthof-Fassung für Teenager manifestiert ist. Die internationale Orientierung der Archivtätigkeit atmet zum einen den Geist von mehreren Jahrzehnten internationaler Gastspiele und internationaler Koproduktionen der Kompanie, zum anderen spiegelt sie schlicht und ergreifend die Ausstrahlung von Pina Bauschs Choreografien rund um den Globus wieder. Indem sie diese Impulse umsetzt, verfolgt die Pina Bausch Foundation die Vision eines lebendigen Archivs. Es wird nicht nur ein Treffpunkt für Fachleute sein, regional wie international, sondern auch für Neugierige und Neulinge; nicht nur ein Ort der Information, sondern auch einer, der mit kreativem Geist beseelt ist und Besucher animiert, selbst künstlerisch zu arbeiten. Im Zentrum dieser lebendigen Archivarbeit steht aber immer das Ziel, Pina Bauschs Kunst als performatives Geschehen gegenwärtig zu halten. Wir haben nicht die Aufgabe, Pina Bauschs Tanzkunst zu verwahren, sondern wollen ihr Lebenswerk zum Zentrum eines kreativen Kosmos machen. Unser Ziel ist es, ihre Stücke am Leben zu erhalten – dadurch, dass sie immer wieder aufs Neue wirklich werden, im Augenblick, auf der Bühne, im Raum und in der Bewegung.
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Die fragen hören nicht auf und die suche hört nicht auf.
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es liegt etwas endloses darin, und das ist das schöne daran.
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wenn ich unsere arbeit anschaue, habe ich immer noch das gefühl,
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ich habe gerade erst angefangen. pina bausch
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Die autoren
Salomon Bausch
Salomon Bausch studierte Rechtswissenschaften und begann 2008 zu promovieren. 2009, nach dem Tod von Pina Bausch, gründete er ihrem Wunsch entsprechend die gemeinnützige Pina Bausch Foundation, in die er ihren gesamten künstlerischen Nachlass einbrachte. Dieser umfasst neben umfangreichen Archivbeständen auch die Urheberrechte an ihren Stücken und Choreografien sowie an den Bühnen- und Kostümbildern von Rolf Borzik. Er ist Vorstand der Foundation und leitet seit 2010 das Archivierungsprojekt Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt.
Stephan Brinkmann
Professor für Zeitgenössischen Tanz an der Folkwang Universität der Künste Essen. Tänzer, Choreograf, Tanzpädagoge und Tanzwissenschaftler. Tanzstudium an der Folkwang Universität, Studium der Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Germanistik und Soziologie an der Universität Köln sowie Zusatzstudium der Tanzpädagogik an der Folkwang Universität. Tänzer beim Folkwang-Tanzstudio und beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch. Eigene Choreografien und internationale Lehrtätigkeit für Zeitgenössischen Tanz. Promovierte in Bewegungswissenschaft an der Universität Hamburg. Thema: „Gedächtnisformen im Tanz.“ Veröffentlichung: Bewegung erinnern. Gedächtnisformen im Tanz (2013).
Royd Climenhaga
Mitglied der Arts Faculty des Eugene Lang College/The New School University in New York City. Er schreibt über zeitgenössische Performance und die historische Avantgarde, wobei ihn im Speziellen die Schnittfläche zwischen Tanz und Theater interessiert. Momentan arbeitet er an der Publikation 20th Century Performance: A History of Interdisciplinary Artistic Practice für den Routledge Verlag. Jüngste Buchpublikationen sind The Pina Bausch Sourcebook (2013, Hrsg.) The Making of Tanztheater und Pina Bausch in der Performance Practitioner Series, ebenfalls erschienen bei Routledge (2009). Außerdem ist Royd als Autor und Consultant tätig, sowie in der Entwicklung und Produktion von neuen Performanceformaten als Co-Artistic Director der „Human Company“.
Katharina Kelter
Seit 2012 Promotionsstipendiatin im DFG-Graduiertenkolleg „Materialität und Produktion“. Sie hat Medien- und Kulturwissenschaft (B.A.) und Medienkulturanalyse (M.A.) an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf studiert. Von 2008 bis 2012 hat sie als Projektmitarbeiterin am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft sowie am Institut für Kunstgeschichte der Heinrich-HeineUniversität gearbeitet. Seit 2013 Projektbegleitung der Pina Bausch Foundation. Ihr Promotionsprojekt bewegt sich im Bereich der medien- und kulturwissenschaftlichen Tanz- und Bewegungsforschung und untersucht die Relationalität von Materialität und Produktion im tänzerischen Produktionsprozess. Publikationen: „Getanzte Erinnerung. Zur Produktivität der Erinnerung bei Pina Bausch.“ In: Skrandies, Kelter, Kollmar (Hrsg.): Bewegungsmaterial. Beiträge zu einer Bildtheorie des zeitgenössischen Tanzes. Düsseldorf: düsseldorf university press (erscheint 2014).
Gabriele Klein
Professorin für Soziologie von Bewegung und Tanz am Fachbereich Bewegungswissenschaft und Leiterin des Studiengangs „Performance Studies“ an der Universität Hamburg. Ihre Arbeits- und Forschungsfelder: Tanz- und Performance-Theorie, zeitgenössische Choreografie, populäre Tanzkulturen, städtische Bewegungskulturen, Übersetzungen von Tanzkulturen. Letzte Buchpublikationen: Stadt Szenen. Künstlerische Produktionen und theoretische Positionen. (2005, Hg. mit W. Sting), Performance. (2005), Tango in Translation. (2009), Methoden der Tanzwissenschaft. (2007, Hg. mit G. Brandstetter), Emerging Bodies. The Performance of Worldmaking in Dance and Choreography (2011, Hg. Mit S. Noeth), Is it real? Die Kultur des HipHop (2012, Hg. Mit M. Friedrich, 5. Aufl.), Performance and Labour, Performance Research 18:1 (2013, Hg. mit B. Kunst) und Dance [and] Theory (2013, Hg. mit G. Brandstetter). Derzeitiges Forschungsprojekt: „Gesten des Tanz – Tanz als Geste. Kulturelle und ästhetische Übersetzungen im Werk des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch“ (unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG).
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Sharon Lehner
Seit 1999 Leiterin des BAM Hamm Archives in Brooklyn New York. Sie studierte sowohl Performance Studies als auch Historical Editing und Archival Management, referierte auf diversen Konferenzen und publiziert Beiträge in beiden Disziplinen. Letzte Projekte beinhalten eine achtzehnmonatige Ausstellung der 150-jährigen Geschichte der Brooklyn Academy of Music (BAM) sowie das dazu erschienene Buch: The Complete Works (2011, Steven Serafin, Hrsg.). Gemeinsam mit darstellenden Künstlern, Experten unterschiedlicher Felder und Archivaren arbeitet sie gegenwärtig an der Entwicklung eines Verbundes, der Strategien der Dokumentation von Aufführungen entwickelt, um das Ephemere in den darstellenden Künsten besser dokumentieren zu können.
Keziah Claudine Nanevie
18 Jahre alt, Abiturientin an der Städtischen Pina-Bausch-Gesamtschule in Wuppertal-Vohwinkel. Hobbys: Modeln, Reisen, sich mit Mode beschäftigen und mit Menschen umgeben, die ihr viel bedeuten. Berufswunsch: Nach dem Abitur erst mal ein Jahr modeln und dann Internationales Management studieren. Hundertprozentig sicher ist sie sich noch nicht. Aber so sieht ihr Plan momentan aus.
Linda Seljimi
18 Jahre alt, Abiturientin an der Städtischen Pina-Bausch-Gesamtschule in Wuppertal-Vohwinkel. Sie möchte nach dem Abitur Psychologie studieren oder auch wahlweise Wirtschaftspädagogik. Sie möchte einen Beruf wählen, bei dem sie mit Menschen arbeiten kann, denen sie wirklich helfen kann im Unterschied zu vielen anderen Psychologen oder Pädagogen.
Bernhard Thull
Professor für Wissensmanagement und Informationsdesign an der Hochschule Darmstadt. Forschungsgebiete: Informationsarchitektur, semantische Technologien, web-basierte Anwendungsentwicklung. Letzte einschlägige Veröffentlichung: Canan Hastik, Arnd Steinmetz, Bernhard Thull: Ontology-Based framework for Real-Time Audiovisual Art. Proc. IFLA World Library and Information Congress, August 17–23, 2013, Singapore, 2013. Für weitere Publikationen siehe http://www.researchgate.net/profile/ Bernhard_Thull.
Michelle Urban
18 Jahre alt, Abiturientin an der Städtischen Pina-Bausch-Gesamtschule in Wuppertal-Vohwinkel. Nach ihrem Abitur möchte sie gerne ein bisschen herumreisen. Sie möchte die Welt sehen. Danach möchte sie am liebsten Psychologie oder Rechtswissenschaften studieren. Andere Menschen zu verstehen und deren Rechte zu vertreten, ist ihr wichtig.
Marc Wagenbach
Von 2009 bis 2013 Wissenschaftlicher Leiter der Pina Bausch Foundation und Entwicklung des Archivierungsprojekts Pina lädt ein. Ein Archiv als Zukunftswerkstatt. Seit 2007 arbeitete er als ein Assistent von Pina Bausch. Er studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Musikwissenschaft und Klassische Archäologie an der Universität Köln und promovierte im Bereich Medienwissenschaft und Ästhetik. Thema: Funktion sinnlichen Erlebens in einer digitalen Alltagswelt. Weitere Veröffentlichung: Digitaler Alltag. Ästhetisches Erleben zwischen Kunst und Lifestyle (2012).
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abbildungen Titel handschriftliche Aufzeichnungen von Pina Bausch zum Stück Der Fensterputzer. Ein Stück von Pina Bausch (1997) © PBF S. 2 + 3 Anne Martin in 1980. Ein Stück von Pina Bausch (1980), Foto: Jan Minarik © Jan Minarik S. 4 + 5 Pina Bausch und Kurt Jooss, Foto: Walter Vogel © Walter Vogel S. 6 + 7 Gastspiel in Nancy 1980 mit Café Müller. Ein Stück von Pina Bausch (1978) Foto: Jan Minarik © Jan Minarik S. 14 Wuppertal 2013 Foto: Sala Seddiki © PBF S. 19 New York City 2012 Foto: Marc Wagenbach © Marc Wagenbach S. 24 aus dem Programmheft zu Palermo Palermo. Ein Stück von Pina Bausch (1989) Foto: unbekannt S. 34 + 35 aus dem Programmheft zu Palermo Palermo. Ein Stück von Pina Bausch (1989), Fotos: Pina Bausch © PBF S. 36 + 37 aus dem Programmheft zu Ten Chi. Ein Stück von Pina Bausch (2004), Foto: Robert Sturm S. 38 Dokumentation des Bühnenbildes von Peter Pabst zu Palermo Palermo. Ein Stück von Pina Bausch (1989), Foto: Gerburg Stoffel © PBF S. 45 Digitalisierung von Negativen, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 46 Digitalisierung von Programmheften, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 50 + 51 Entwicklung Papier Prototyp für Annotationswerkzeug © Hochschule Darmstadt S. 52 Clara Bauer erschließt Programmhefte, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 53 Archivkartons, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 58 Datenwolke Pina Bausch Archiv © Bernhard Thull S. 62 Abb. 1 © Bernhard Thull S. 63 Abb. 2 © Bernhard Thull, Foto: Wilfried Krüger © Wilfried Krüger Abb. 3 © Bernhard Thull, Foto: Jochen Viehoff © Jochen Viehoff S. 64 Abb. 4 © Bernhard Thull S. 65 Abb. 5 © Bernhard Thull, Fotos: Jochen Viehoff © Jochen Viehoff / Wilfried Krüger © Wilfried Krüger S. 67 Abb. 6 Annotationswerkzeug S. 69 Abb. 7 © Bernhard Thull S. 70 Abb. 8 © Bernhard Thull, Foto: Rolf Borzik © PBF S. 74 Digitalisierung von Videomaterial der 1970er Jahre, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 80 + 81 Fotos: Sala Seddiki © PBF S. 83 Videos im Tanztheater Wuppertal Pina Bausch 2009, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 84 Ensemble der Rekonstruktion von Pina Bauschs Tannhäuser-Bacchanal (1972) mit Studenten der Folkwang Universität der Künste in Essen 2013, Foto: Georg Schreiber © Georg Schreiber S. 92 + 93 Ensemble der Rekonstruktion von Pina Bauschs Tannhäuser-Bacchanal (1972) mit Studenten der Folkwang Universität der Künste in Essen 2013, Foto: Georg Schreiber © Georg Schreiber S. 98 + 99 Jan Minarik und Marlis Alt in Blaubart – Beim Anhören einer Tonbandaufnahme von Béla Bartóks Oper „Herzog Blaubarts Burg“. Ein Stück von Pina Bausch (1977), Foto: Rolf Borzik © PBF
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S. 100 + 101 Privat, Foto: Jan Minarik © Jan Minarik S. 102 + 103 aus dem Programmheft zu “...como el musguito en la piedra, ay si, si, si...“. Ein Stück von Pina Bausch (2009), Foto: Pina Bausch © PBF S. 104 + 105 Paul Hess, Cagdas Ermis und Julian Stierle nach einer Aufführung von Das Frühlingsopfer (1975) in Moskau 2013 © Cagdas Ermis S. 106 + 107 handschriftliche Aufzeichnungen von Pina Bausch zum Stück Der Fensterputzer. Ein Stück von Pina Bausch (1997) © PBF S. 108 + 109 Pina Bausch und Ed Kortlandt bei Proben zu Orpheus und Eurydike. Tanzoper von Pina Bausch (1975), Foto: Rolf Borzik © PBF S. 110 + 111 Stühle aus dem Stück Die sieben Todsünden. Tanzabend von Pina Bausch (1976) Foto: Rolf Borzik © PBF S. 114 Ensemble in Wind von West (1975), Foto: Rolf Borzik © PBF S. 123 Ed Kortlandt in Wind von West (1975), Foto: Rolf Borzik © PBF S. 124 + 125 Ed Kortlandt und Jo Ann Endicott in Wind von West (1975), Foto: Rolf Borzik © PBF S. 126 Hatira Bek während des Schulprojektes Work in Progress. Das Pina Bausch Archiv entsteht in Wuppertal! © PBF S. 132 + 133 Screenshot aus dem Film Skizzenbücher, Nico Lörken © PBF S. 134 Clémentine Deluy vor dem Archivladen im Rahmen von PINA40 (2013), Foto: Marc Wagenbach © PBF S. 135 Ausstellung: Wir stellen aus!, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 138 + 139 Screenshot aus dem Film Skizzenbücher, Jacqueline Ribbach © PBF S. 140 + 141 Screenshot aus dem Film Skizzenbücher © PBF S. 142 Leoni Wenzel, Marc Wagenbach, Foto: Julia Bögeholz © Julia Bögeholz S. 147 Barbara Kaufmann vor dem Archivladen im Rahmen von PINA40 (2013), Foto: Marc Wagenbach © PBF S. 150 Performance zur Ausstellung Wir stellen aus!, Keziah Claudine Nanevie, Foto: Marc Wagenbach © PBF S. 151 Screenshot aus dem Film Skizzenbücher, Carolin Wagner © PBF S. 156 Foto: Sala Seddiki © PBF S. 158 + 159 Arbeitsbericht 2011 der Pina Bausch Foundation © PBF S. 161 beim Kostümshooting, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 162 + 163 (1) Arbeitsbericht 2012 der Pina Bausch Foundation © PBF s.163 (2) Clémentine Deluy und Yamini Varatharajan, Foto: Sala Seddiki © PBF S. 164 + 165 Kurt Jooss und Dominique Mercy in Proben zu Der grüne Tisch von Kurt Jooss mit dem Ensemble des Tanztheater Wuppertal, Spielzeit 1973/74, Foto: Rolf Borzik © PBF S. 166 + 167 Arbeiten zum Bühnenbild Die sieben Todsünden. Tanzabend von Pina Bausch (1976), Foto: Rolf Borzik © PBF S. 168 Zeichnung von Rolf Borzik © PBF S. 169 Pina Bausch, Foto: Rolf Borzik © PBF S. 186 + 187 Proben zu Das Frühlingsopfer (1975) von Pina Bausch im Wuppertaler Opernhaus, Foto: Rolf Borzik © PBF S. 190 + 191 Wuppertal 2013, Foto: Sala Seddiki © PBF