Tali dignus amico: die Darstellung des patronus-cliens-Verhältnisses bei Horaz, Martial und Juvenal 9783823380719


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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis der Schriften Lukians
A. Einleitung
1. Aufbau und Inhalt
1.1 Inhaltliche Paraphrase der Schrift
2. Forschungsstand zu Lukians Apologia
3. Bemerkenswertes zu Stil und Sprache der Schrift
4. Ein byzantinisches Rezeptionsbeispiel
5. Exkurs I: Form, Funktion und Programm der Lukianischen ἀπολογία
5.1 Die Apologie als ‚autobiographische‘ Literaturform der Antike
5.2 Die fiktiven Gerichtsszenarien bei Lukian
5.3 Rechtfertigung für literarisches Schaffen in Lukians fiktivenApologien
5.4 Die Selbstverteidigung des Autors als literaturgeschichtlicherDiskurs
5.5 Lukians Apologien: literarisches Programm und intratextuelleVernetzung des Gesamtwerks
6. Exkurs II: Das sophistische (Erfolgs-)Narrativ in seinenSpielarten bei Lukian
7. Zur Gestalt des vorliegenden Texts
B. Text und Übersetzung
C. Erläuterungen
D. Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Textausgaben und Übersetzungen
Sekundärliteratur
Register
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Tali dignus amico: die Darstellung des patronus-cliens-Verhältnisses bei Horaz, Martial und Juvenal
 9783823380719

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CLASSICA MONACENSIA

Lukians Apologie Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Markus Hafner

Lukians Apologie

CLASSICA MONACENSIA

Münchener Studien zur Klassischen Philologie

Herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Band 50 · 2017

Lukians Apologie Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Markus Hafner

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.narr.de E-Mail: [email protected] Printed in Germany ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-8233-8071-9

Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................... 7 Abkürzungsverzeichnis der Schriften Lukians ................................... 9 A. Einleitung ........................................................................................... 11 1. Aufbau und Inhalt .................................................................................. 11 1.1 Inhaltliche Paraphrase der Schrift ........................................................ 13 2. Forschungsstand zu Lukians Apologia ................................................ 15 3. Bemerkenswertes zu Stil und Sprache der Schrift .............................. 17 4. Ein byzantinisches Rezeptionsbeispiel ................................................ 19 5. Exkurs I: Form, Funktion und Programm der Lukianischen ἀπολογία .................................................................................................. 21 5.1 Die Apologie als ‚autobiographische‘ Literaturform der Antike 21 5.2 Die fiktiven Gerichtsszenarien bei Lukian ..................................... 23 5.3 Rechtfertigung für literarisches Schaffen in Lukians fiktiven Apologien ................................................................................................. 29 5.4 Die Selbstverteidigung des Autors als literaturgeschichtlicher Diskurs ...................................................................................................... 33 5.5 Lukians Apologien: literarisches Programm und intratextuelle Vernetzung des Gesamtwerks ............................................................ 36 6. Exkurs II: Das sophistische (Erfolgs-)Narrativ in seinen Spielarten bei Lukian ................................................................................................ 44 7. Zur Gestalt des vorliegenden Texts ...................................................... 48

B. Text und Übersetzung ...................................................................... 52 C. Erläuterungen .................................................................................... 66 D. Literaturverzeichnis ........................................................................ 131 Abkürzungen ................................................................................................ 131 Textausgaben und Übersetzungen (in chronologischer Folge der vorliegenden Auflage) ................................................................................. 133 Sekundärliteratur ......................................................................................... 134

Register .................................................................................................. 157 Namen- und Sachregister (deutsch/lateinisch) ..................................... 157 Namen- und Sachregister (griechisch) ................................................... 159

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Vorwort Während sich viele Texte des Schriftstellers Lukian von Samosata (ca. 115/125-180/190 n. Chr.) wie die fantastischen „Wahren Geschichten“, die Reise des „Ikaromenipp“ zum Mond oder die zynisch-beißenden „Totendialoge“ großer Berühmtheit erfreuen und zur Weltliteratur gezählt werden, fristet ein Großteil des Korpus, das wohl 79 genuin von Lukian stammende Schriften umfasst, ein unbeachtetes Dasein. Hierzu zählt eine Textgruppe, deren formgebendes Strukturelement eine Apologie („Verteidigungsrede“) darstellt. Darin wird eine Art ‚Meta-Diskurs‘1 über zeitgenössische Rhetorik geführt: Lukians Apologien karikieren die zeitgenössische rhetorische Praxis, indem sie z. T. absurde Anlässe und Szenarien vorführen. In dialogischdramatischen wie erzählenden Texten entpuppt sich die Gerichtsrede in fiktiven Prozessen als sophistische Epideixis („Schaurede“). Hier demonstriert der Autor seine Bildung und verteidigt sein literarisches Programm gegen Kritiker. In apologetischen Autofiktionen2 des satirischen Sprechers kommt es auch zur Selbstironisierung: Ein Autor wird zum Ziel von Angriffen imaginärer Ankläger. Durch die Konstruktion von Ankläger- und Verteidiger-Rollen wird Polyphonie erzeugt und so die agonale Performanz gerichtlicher Prozesse nachgebildet. In der Schrift Apologia,3 mit der sich Lukian innovativ der literarischen Tradition bemächtigt, reflektiert der Autor über die Rolle der Rhetorik und das Prestige, welches Bildung dem Sophisten verheißt. In seiner Apologie vermittelt Lukian die eigene, rhetorisch-literarische Kunstfertigkeit. Mit dieser Arbeit liegt erstmals eine vollständige Behandlung der Schrift Apologia vor, die eine Einführung, eine moderne Übersetzung4 sowie ausführliche Erläuterungen umfasst: In letzteren liegen die Schwerpunkte auf 1

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Zum Satirischen als einer transgenerischen, „parasitäre[n], metadiskursive[n] Gegenposition“ vgl. Mahler (1992) 55. Laut Mahler bricht Satire prinzipiell mit Konversationsmaximen herkömmlicher literarischer Gattungen und Diskurse. Im Sinne rhetorischer dissimulatio/Ironie muss die Sprechhaltung der Unaufrichtigkeit gegenüber entsprechenden Konversationsmaximen für die Rezipienten jedoch erkennbar bleiben (ebd. 43). Colonna (2004) 21-66 betrachtet Lukian gar als den Archegeten des sich in seinem Werk selbst fingierenden Autors. Der Text (lib. 65) steht inhaltlich in engem Bezug zu Lukians De Mercede Conductis (lib. 36). Hierzu erscheint noch in diesem Jahr: Hafner, M., Lukians Schrift „Das traurige Los der Gelehrten“ (De Mercede Conductis Potentium Familiaribus, lib. 36): Einführung und Kommentar, Stuttgart 2017 (Hermes Einzelschriften). Ältere Übersetzungen stammen von Christoph Martin Wieland 1788-89 und August Friedrich Pauly 1827-32.

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kulturgeschichtlichen, literaturwissenschaftlichen, sprachlich-stilistischphraseologischen sowie textkritischen Erklärungen. Bislang spielte der Text in der Forschung eine nur marginale Rolle, obwohl sich an ihm grundlegende literarische Techniken erkennen lassen, die auf das übrige Œuvre Lukians übertragbar sind: Ihre Rekonstruktion ermöglicht so eine neue Perspektive auf die rhetorische Ausbildung und das literarische Können des Autors sowie insgesamt auf eine Lukianische Poetik. Nach einer Einleitung (A), die schematisch skizziert Aufbau und Inhalt, den Forschungsstand, Bemerkungen zu Sprache und Stil, zu einem byzantinischen Rezeptionsbeispiel sowie zum hier abgedruckten griechischen Text umfasst, verorte ich in zwei Exkursen (A.5-6) die Schrift im Kontext des Lukianischen Werks, um so eine rein partikularistische Behandlung des Texts zu vermeiden. Es folgen in synoptischer Darstellung der griechische Text5 nebst deutscher Übersetzung (B) sowie kommentierende Erläuterungen (C). Verzeichnisse über Abkürzungen und Forschungsliteratur (D) sowie Register von Namen und Sachen runden die Arbeit ab. Besonderer Dank gebührt den beiden Herausgebern der Reihe Classica Monacensia, Prof. Dr. Martin Hose und Prof. Dr. Claudia Wiener (München), die das Projekt durch hilfreiche Ratschläge und sorgfältige Durchsicht gefördert haben. Teile der Arbeit entstanden im Jahr 2015 an der „Fondation Hardt pour l’étude de l’antiquité classique“ in GenfVandœuvre: Mein Dank gilt besonders Dr. Gary Vachicouras und Prof. Dr. Pierre Ducrey. Für weiterführende Gespräche und Hinweise danke ich ferner Dr. Sven Page (stellvertretend für die Organisatoren der „Darmstädter Diskussionen“) sowie Dr. Christian Fron (Heidelberg).

München & Heidelberg im Frühjahr 2017 Markus Hafner

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Dieser entspricht weitestgehend M. D. Macleods OCT: Macleod (1980). Zu den textuellen Abweichungen von Macleod s. u. A.7.

Abkürzungsverzeichnis der Schriften Lukians6 Abd. = Abdicatus. Alex. = Alexander. Am. = Amores. Anach. = Anacharsis. Apol. = Apologia. Asin. = Asinus. Astr. = De Astrologia. Bacch. = Bacchus. Bis Acc. = Bis Accusatus. Cal. = Calumniae Non Temere Credendum. Cat. = Cataplus. Charid. = Ps.-Luc. Charidemus. Cont. = Contemplantes. Cyn. = Cynicus. DDeor. = Dialogi Deorum. DIud. = Dearum Iudicium. DMar. = Dialogi Marini. DMeretr. = Dialogi Meretricii. DMort. = Dialogi Mortuorum. Dem.Enc. = Demosthenis Encomium. Demon. = Demonax. Deor.Con. = Deorum Concilium. Dips. = Dipsades. Dom. = De Domo. Electr. = Electrum. Eun. = Eunuchus. Fug. = Fugitivi. Gall. = Gallus. Halc. = Halcyon. Harm. = Harmonides. Herc. = Hercules. Herm. = Hermotimus. 6

Herod. = Herodotus. Hes. = Hesiodus. Hipp. = Hippias. Hist.Cons. = Quomodo Historia Conscribenda Sit. Icar. = Icaromenippus. Im. = Imagines. Ind. = Adversus Indoctum. IConf. = Iuppiter Confutatus. ITr. = Iuppiter Tragoedus. Iud.Voc. = Iudicium Vocalium (= Lis Consonantium). Laps. = Pro Lapsu Inter Salutandum. Lex. = Lexiphanes. Luct. = De Luctu. Macr. = Macrobii. Merc.Cond. = De Mercede Conductis. Musc.Enc. = Muscae Encomium. Nav. = Navigium. Nec. = Necyomantia. Ner. = Philostr. Nero. Nigr. = Nigrinus. Ocyp. = Ocypus. Par. = De Parasito. Patr.Enc. = Patriae Encomium. Peregr. = De Morte Peregrini. Phal. 1, 2 = Phalaris 1, 2. Philopatr. = Ps.-Luc. Philopatris. Philops. = Philopseudes. Pisc. = Piscator. Pr.Im. = Pro Imaginibus. Pr.Merc.Cond. = Pro Mercede Conductis ( Apol.). Prom. = Prometheus. Prom.Es. = Prometheus Es In Verbis.

Die Abkürzungen orientieren sich aus Gründen der Übersichtlichkeit am Diccionario Griego-Español, Bd. 3, Madrid 1980, unter der Leitung von F. R. Adrados (vgl. http://dge.cchs.csic.es/lst/lst1.htm, 15.04.2016). Der Ausweis von Pseudepigraphie innerhalb des Corpus Lucianeum folgt Macleods OCT-Edition.

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Pseudol. = Pseudologista. Rh.Pr. = Rhetorum Praeceptor. Sacr. = De Sacrificiis. Salt. = De Saltatione. Sat. = Saturnalia. Scyth. = Scytha. Sol. = Soloecista. Somn. = Somnium Sive Vita Luciani. Symp. = Symposium Sive Lapithae.

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Syr.D. = De Syria Dea. Tim. = Timo. Tox. = Toxaris. Trag. = Tragodopodagra. Tyr. = Tyrannicida. VH 1, 2 = Verae Historiae 1, 2. Vit.Auct. = Vitarum Auctio. Zeux. = Zeuxis.

A.

Einleitung

1. Aufbau und Inhalt Die Schrift gliedert sich in vier Teile: (I.) ein Proöm, worin der ‚Autor‘ der Schrift De Mercede Conductis (nach Wielands Version „Das traurige Los der Gelehrten“)7 ein imaginäres Gespräch mit dem Leser Sabinos beginnt und das Thema der Apologia vorstellt; (II.) die Anklagerede des Sabinos gegen den Sprecher (bzw. ‚Autor‘), der sich heuchlerischer Doppelmoral schuldig gemacht habe und selbst ein Abhängigkeitsverhältnis eingegangen sei, das dem in Merc.Cond. beschriebenen ähnle; (III.) die Verteidigung des Sprechers, worin Sabinosʼ Plädoyer im Einzelnen widerlegt und zugleich die Stasislehre parodiert wird; (IV.) einen prägnanten Schluss, worin die Verteidigung siegt. I. Proöm: §§1-2 1. Imaginierte Reaktion des Lesers Sabinos auf die Lektüre von Merc.Cond.: Entrüstung über den Widerspruch von Schrift und Leben: §1 2. Szenenwechsel: Der ‚Autor‘ von Merc.Cond. will in Sabinosʼ Rolle als Ankläger gegen sich selbst auftreten: §2 II. Beginn der actio: Anklage (offensio) des Sabinos: §§3-7 1. Beliebtheit von Merc.Cond. beim Publikum; Lob der Schrift, Kritik am Autor: §3 2. Plagiatsvorwurf; Vergleich mit einer diebischen Krähe, dem heuchlerischen Gesetzgeber Salaithos, einem maskierten Schauspieler und einem dressierten Affen: §§4-5 7

Die Schrift Merc.Cond. (lib. 36) bietet einen Bericht über die Leiden der Philosophen und Gebildeten, die sich als Klienten in aristokratischen Häusern verdingen. Ihr Klientendienst erscheine, so der Sprecher, lediglich als Freundschaft, es handle sich jedoch um nichts anderes als Knechtschaft (vgl. Merc.Cond. 1 εἰ χρὴ φιλίαν τὴν τοιαύτην αὐτῶν δουλείαν ἐπονομάζειν). Der Text gliedert sich in vier Teile: (I.: §§1-4) eine Einleitung, in welcher der Sprecher das Thema und den dissuasiven (apotreptischen) Charakter der Schrift vorstellt und die Leiden der Hausphilosophen zur Warnung des Timokles in das Bild eines Schiffbruchs fasst; (II.: §§5-9) die Diskussion und Widerlegung der Gründe, ein Hausphilosoph zu werden, wobei der Sprecher nach Art eines Historiographen den Wahrheitsgehalt der Aussagen prüft; (III.: §§10-41) eine Beschreibung der Leiden vor (III.1: §§10-20), während (III.2: §§21-38) und nach dem plötzlichen Ende (III.3: §§3941) der Anstellung; abschließend (IV.: §42) wird das Beschriebene mittels einer allegorischen Ekphrasis veranschaulicht.

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3. Enttarnung des Widerspruchs zwischen Schein und Sein; die Rache der Adrasteia: §6 4. Gedankenexperimente über die Diskrepanz zwischen Wort und Tat: §7 III. Apologie (defensio) des Satirikers: §§8-15a a) In Form der praeteritio präsentierte Verteidigung; Parodie topischer Argumente des status qualitatis (ποιότης): concessio und remotio: §§8-10 1. Der Autor hat mehrere Verteidigungsstrategien im Auge: Zuflucht bei höheren Gewalten (concessio), Argumente dafür finden sich in Gestalt von Homerversen: §8 2. Das Argument, er sei der Bewunderer seines Arbeitgebers, der ihn zu seinem Handeln veranlasst habe (remotio), ist ebenso unglaubwürdig: §9 3. Ein weiteres Argument, expliziert in Euripides-Versen: Die Anstellung bewahre einen vor der Armut: §10 b) Verteidigung mit Blick auf den βίος: Konformität mit höheren Normen (comparatio) gemäß dem status qualitatis: §§11-14 4. Die zuvor genannten Verteidigungsstrategien sind im Grunde nutzlos; Synkrisis zweier Arten von μισθοφορία, einer verdienstlichen und einer niederträchtigen: §11 5. Die Anstellung des Sprechers in der Verwaltung Ägyptens ist mit hohem Verdienst beim Kaiser verbunden: §12 6. Argument a maiore: Selbst der Kaiser müsse im Grunde als Lohnempfänger betrachtet werden: §13 7. Ein verantwortungsvoller Dienst eröffne die Möglichkeit, Gutes und Nützliches zu bewirken (comparatio): §14 c) Peroratio: Abschließende Worte mit Rekurs auf die concessio: §15a 8. Der Sprecher weist es von sich, weise zu sein bzw. gelten zu wollen (vgl. Sokrates); stattdessen zähle er seit langem zu den Starsophisten und Vielverdienern: §15a IV. Epilog: §15b: Imaginierter Sieg der Verteidigung, Gleichgültigkeit gegenüber den Anklägern

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1.1 Inhaltliche Paraphrase der Schrift Proöm §§1-2: Worte eines kritischen Lesers Der sich als ‚Autor‘ von Merc.Cond. bezeichnende Sprecher stellt die Überlegung an, was sein Freund Sabinos bei der Lektüre der Schrift gedacht oder gesagt haben mag (vgl. 1.1-3). Gewiss habe er lachen müssen, doch sei ihm auch der Widerspruch zwischen der in Merc.Cond. niedergeschriebenen Anklage und dem sklavischen Lebensstil des Autors aufgefallen. Dieser Widerspruch erscheine ihm als „großer Misston“ (1.16 πολλὴ γοῦν ἡ διαφωνία) oder eine Palinodie zum Schlechteren (vgl. 1.18). Aus dem ‚Jäger‘ wird nun ein ‚Gejagter‘, wie der Verweis auf ein berühmtes Kinderspiel zeigt (1.8-9): Der Satiriker selbst wird zum Ziel satirischer Attacken. In einem fingierten Redeagon will er den Part des anklagenden Sabinos übernehmen, wenngleich die Kritik als Freundschaftsdienst wahrgenommen wird (2.2-3). Der Maskenwechsel soll unter dem Vorsitz des RhetorikPatrons Hermes stattfinden (2.4-5). Die Bühne ist frei für ‚Sabinos‘, der mit dem „Schneiden und Brennen“ (2.6-8) beginnen soll. Anklage §§3-7: Sabinosʼ Plädoyer gegen die Doppelmoral des Satirikers ‚Sabinos‘ beginnt seine Anklage, formell eine Gerichtsrede (δικανικὸς λόγος). Bei der Darlegung des Sachverhalts8 erkennt er den Erfolg von Merc.Cond. beim Publikum an (vgl. 3.1-2): Das einfache Volk und auch die Gebildeten hätten es geschätzt (3.2-3 καὶ ἐν πολλῷ πλήθει δειχθέν […] καὶ ἰδίᾳ παρὰ τοῖς πεπαιδευμένοις). Dies sei auf formelle Qualitäten (3.4-5), die gründlichen Nachforschungen des Autors (3.5-6) sowie die Klarheit von Stil und Sprache (3.6) zurückzuführen. Auch der didaktische Nutzen des Buchs wird betont (3.7). Da jedoch der Verfasser selbst gegen die in Merc.Cond. formulierten Mahnungen verstoße (worin er v. a. das Streben nach materiellem Gewinn kritisierte), dürfte eine Verteidigung gegen die Ankläger, die sich über die Diskrepanz von Leben und Lehre lustig machen, schwierig werden: Diese kommen §§4-7 zu Wort. Ihre imaginären Reden

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Laut Bompaire (1958) 246 Anm. 5 entspricht Apol. 3 formell der narratio eines Plädoyers. Obwohl nicht alle Anforderungen an den Redeteil der διήγησις (z. B. in der bei Aristot. rhet. 1416b-1417b besprochenen Form) erfüllt werden, erscheint die Zuordnung durchaus diskutabel, da etwa Apol. 3.8-14 knapp und präzise das Thema (Abweichung des Autors von seinen Idealen) vorgestellt wird.

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orientieren sich am rhetorischen Maßstab des εἰκός („Plausibilität, Wahrscheinlichkeit“: Vgl. 4.1-2). Formell wird dabei der Übergang zur argumentatio (§§4-7) markiert. Die Ankläger werfen dem Autor von Merc.Cond. vor, er sei ein Plagiator, der sich „mit fremden Federn schmücke“ (da das Werk nicht zu seiner Person passe: 4.2-4), oder aber mit jenem Gesetzgeber von Kroton, Salaithos, zu vergleichen, dessen Doppelmoral berüchtigt war (§4). Er ähnle einem schlechten Schauspieler sowie dem Affen, den Kleopatra einst besessen habe: Dieser habe äußerlich die menschliche Tanzkunst nachgeahmt, dann jedoch seine wahre, tierische Natur offenbart (§5). Der Angeklagte müsse damit rechnen, dass die Göttin des unentrinnbaren Schicksals danach trachte, ihn zu vernichten (§6). Schließlich vergleicht ‚Sabinos‘ den Fall mit der fiktiven Redeübung, der Redner Aischines, der einen anderen moralisch anklagte, sei selbst der vorgeworfenen Vergehen überführt worden. Alles in allem gleiche der angeklagte Autor einem kranken Medikamentenhändler, dem seine eigene Arznei nicht helfe (§7). Verteidigung §§8-15a: Verteidigung des Satirikers: Rhetorische Finten, argumentative Schlüsse Der Angeklagte unternimmt, wieder aus Sabinosʼ Rolle geschlüpft, eine refutatio der vorgebrachten Anschuldigungen. Zuerst präsentiert er ScheinArgumente in Form der praeteritio (§§8-10, bevor er zur eigentlichen Verteidigung übergeht: §§11-15a): Es handelt sich um ein gewissermaßen metarhetorisches Plädoyer, in dem verschiedene Verteidigungs- und Rechtfertigungsstrategien der rhetorischen Theorie behandelt werden. Zuerst erwägt der Sprecher die Möglichkeit, mittels der Strategie der συγγνώμη/ concessio Zuflucht bei höheren Gewalten zu suchen, die das Handeln der Menschen determinierten, um so die Schuld von sich abzuwälzen (§8). Hierauf prüft er die Rechtfertigungsstrategie der μετάστασις/remotio, bei welcher Schuld auf eine andere Person abgewälzt wird, etwa auf eine maßgebliche moralische Autorität. Dies brächte ihm jedoch zusätzlich den Vorwurf der Schmeichelei ein (§9). Auch ein entlastender Rekurs auf die Armut, der man durch eine bezahlte Anstellung entfliehen wolle, wie literarische Zitate beweisen sollen (vgl. Merc.Cond. 5), ist unbrauchbar (§10). Die §§8-10 vorgetragenen Verteidigungsstrategien erscheinen als verfehlt. Die folgende Rechtfertigung des Sprechers für seinen Lebensstil orientiert sich ebenfalls an den Regeln der Stasislehre: Bezahlte Anstellungen sind gemäß einem Rekurs auf die Strategie der ἀντίστασις/comparatio nicht verwerflich, wenn man dadurch der Gemeinschaft nützliche Dienste erweisen könne (§11); die Stellung des Sprechers innerhalb der römischen Ver14

waltung Ägyptens erscheint als verantwortungsvolle Tätigkeit im Bereich der Rechtsprechung (§12); analog hierzu sei selbst der Kaiser ein Lohnempfänger, da er für seine Fürsorge Bezahlung in Form von Verehrung erhalte (§13). Eine solche Tätigkeit ermögliche es, wie der Sprecher erneut betont, Freunden zu helfen und Nützliches zu bewirken (§14): Dies ist i. S. d. comparatio zu deuten, gemäß der eine ‚Untat‘ (hier: Lohnarbeit) durch den verhältnismäßig größeren Nutzen zu rechtfertigen sei, der für die Allgemeinheit entstehe. Andererseits erscheint μισθοφορία als eine universelle soziale Norm, die das Handeln des Einzelnen entschuldigt, was auch als Verweis auf die Strategie der συγγνώμη/concessio deutbar ist. In der peroratio weist es der Sprecher in Anlehnung an die Sokratische „Apologie“ von sich, weise zu sein oder sich um ein tugendhaftes Leben bemüht zu haben. So verliert der Vorwurf einer (auf Philosophen zutreffenden) moralischen Verfehlung an Gewicht. Dagegen inszeniert er sich als ein reisender Starsophist, den Sabinos schon vor Jahren bei Rhetorentätigkeiten in Gallien kennenlernte. Epilog §15b: Absage an die Ankläger Der Sprecher erklärt die Verteidigung gegen die imaginären Ankläger für erfolgreich: Sabinos, für den allein die Apologie inszeniert wurde, soll ihm einen „weißen und vollständigen Stimmstein überreichen“, d. h. ihn freisprechen. Die Meinung der anderen Ankläger berühre ihn nicht.

2. Forschungsstand zu Lukians Apologia Lukians Schrift Apologia ist trotz der in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Beachtung, die das Werk des Satirikers in Fachkreisen insgesamt gefunden hat,9 bislang kaum auf weitergehende Aufmerksamkeit in der Forschung gestoßen. Manche Untersuchungen konzentrierten sich u. a. auf den Einsatz der Affenfabel Apol. 5, v. a. hinsichtlich deren Quellen, Paralleltexten sowie Rezeption, wie Crusius (1894), Luria (1930), Anderson (2009). Eine umstrittene Frage war und ist das in Apol. 12 thematisierte Amt des Sprechers in der römischen Verwaltung Ägyptens, das u. a. Stein (1915), Pflaum (1959) und vander Leest (1985) zu identifizieren suchten. 9

Vgl. die Forschungsüberblicke Alexiou (1990) 9-22, Macleod (1994) sowie Fuentes González (2005). Neuere Einführungen bieten Ligota/Panizza (2007) 1-16 sowie Hopkinson (2008) 1-10. Die einführende Monographie von Baumbach/von Möllendorff (2017) konnte hier nicht mehr berücksichtigt werden. Zum Leben Lukians vgl. Nesselrath (2001); zur Kritik an einer biographistischen Annäherung von Möllendorff (2002).

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Die dabei vorgenommenen Identifikationen bilden z. T. noch immer das Grundgerüst für biographistische Fragen nach dem Leben ‚Lukians’, was ohne Zweifel einen ‚Höhepunkt’ bei Schwartz (1965) fand.10 In dieser Forschungstradition ist Martin (2010) zu verorten, der der Frage nach der Kenntnis Lukians über ägyptische Bräuche und Realien nachgeht. Von Interesse war und ist ferner der Apol. 13 thematisierte Kaiserkult, wobei das System reziproken Gabentauschs in Reinform präsentiert wird, wie Bowersock (1973), Price (1984), Jones (1986), Swain (1996) und (2007) herausarbeiteten: Betont wird die gemäß antiker Erwiderungsmoral konstruierte Gegenseitigkeit von Wohltaten zwischen Kaiser und Untertanen; der Passus aus Apol. wurde wiederholt mit Texten anderer Literaten der Kaiserzeit in Verbindung gebracht. Schließlich stellten Bompaire (1958) 246f. in einem Standardwerk der Lukianforschung sowie Papaioannou (1976) 108f. Überlegungen zur Rhetorizität des Texts an. Entgegen früheren v. a. biographistischen Untersuchungen konzentrieren sich neuere Studien auf die verschiedenen Masken und Rollen, welche die Sprecher und Protagonisten in den Texten Lukians ein- und übernehmen. Angesichts deren Vielschichtigkeit schließt Saïd (1993) auch für Apol., das sprechende ‚Ich‘ sei wie auch sonst bei Lukian lediglich eine Maske. Mittels dieser literarischen Technik wolle der ‚Lügengeschichtsschreiber‘ die Leser ständig auf Irrwege führen. Die Verteidigungsrede Apol. ziele auf keine Form der Introspektion ab, vielmehr handle es sich um eine stilsichere rhetorische Übung. Statt um eine Autobiographie handle es sich angesichts der Vielzahl von Rollen um einen Diskurs über die Multiplizierbarkeit von Identitäten.11 Laut Whitmarsh (2001) 293 sei es gar eine Funktion von Apol., die autoritative Geltung der Sprecherstimme aus der vorangegangenen Schrift Merc.Cond. subversiv zu untergraben, indem sich die Rhetorik der Anklage nun gegen den Satiriker selbst richte. Ähnlich sieht Goldhill (2002) 71 die Schrift als “wittily self-conscious play with the strategies of self-justification”. Einen entsprechenden selbstreflexiven ‚MetaDiskurs‘ erkennt auch Obermeier (1999) 42f. in Apol. Instruktiv ist der übergreifende Ansatz bei Whitmarsh (2005) 79-81: Die literarische ‚Apologie’ habe sich in der Antike und tendenziell verstärkt in der Zweiten Sophistik zu einer Art ‚autobiographischen‘ Schreibens entwickelt, wie er am Beispiel zeitgenössischer lateinischer wie griechischer Werke aufzeigt. Auch Lukians Schriften Apol., Pisc., Pr.Im. und Bis Acc., in denen sich Protago10

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Vgl. bereits Galavotti (1932). Schon Helm (1927) Sp. 1750f. 1766 nennt Merc.Cond. spekulativ (aufgrund angeblicher zeitlicher Nähe zu Apol.) eine „Altersschrift“. Vgl. zu den Rollen Lukianischer Protagonisten auch Dubel (1994).

nisten für angebliche, mit früherer Literaturproduktion in Verbindung stehende Verfehlungen vor einem Tribunal verteidigen müssen, seien Reflexe dieser literarischen Tendenz.12 Obermeier (1999) 25-43 sieht diese Art von “Auctorial Self-Criticism” in Stesichorosʼ „Palinodie“, der Folgeschrift von dessen „Helena“ (vgl. PMG 187-191 sowie PMG 192-193; Isokr. or. 10.64) begründet: Mit diesem Werk sei in der gesamten Antike und bis in das europäische Mittelalter ein einflussreicher Diskurs und eine Ausdrucksform für die apologetische Haltung von Autoren hinsichtlich ihres literarischen Schaffens begründet worden: Lukians Apol. parodiere dieses “Stesichorean Paradigm” jedoch, denn “the self-criticism is always reversed, the author vindicated, and his literary creatorship asserted.” (43). Schließlich verfolgt Schmitz (2008) 215f. konsequent seinen bereits (1997) entwickelten Ansatz, die Verbindung von Macht(-streben) und Bildung bei den EliteMitgliedern des griechischen Ostens, v. a. den (Star-)Sophisten, habe einer wirkmächtigen zeitgenössischen Ideologie entsprochen. Diese Erkenntnis bezieht Schmitz auf Apol. 12, wo vom Amt in der Verwaltung Ägyptens die Rede ist.13

3. Bemerkenswertes zu Stil und Sprache der Schrift Wie andere seiner Texte schreibt Lukian auch die Apologia in z. T. kanonische Diskurse der klassischen griechischen Literatur ein, was v. a. über Zitate und Anspielungen geschieht. Zentral für Apol. sind die Homerische Ilias (sechs Verweise) und die Euripideischen Tragödien (vier Verweise). Stilistisch greift Lukian die klassizistische Formensprache seiner Zeit auf, den Attizismus, der auf dem attischen Griechisch des 5./4. Jh. v. Chr. beruht. Hierauf deuten in Apol. ausgefeilte attische Tempora (z. B. 2.1 λέλεκταί, 15.10 ἐνεγκάμενον)14 oder Wortformen (vgl. 13.8 das attische νεῲ statt dem in dieser Zeit geläufigen dorischen ναοὶ); bemerkenswert ist die Verwendung des erstarrten Reflexivpronomens ἑαυτόν statt σεαυτόν (2.1)15 oder attisch ξυμβουλή statt συμβουλή (2.2). Auch der gerne von Lukian verwendete Optativ (z. B. im Rahmen eines Potentialis wie 4.1-2 οὐκ 12 13

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Whitmarsh (2005) 81. Bereits Saïd (1993) 265f. bringt Apol. mit Pisc. in Verbindung. Vgl. hierzu die Schlussfolgerungen bei Schmitz (2008) 216: „Für Lukian kann dieser Platz im Zentrum der Macht nur in enger Verbindung mit Rom gesichert werden; er muß also die >nationalen< Vorbehalte, die eben ein Resultat seiner Auffassung von Bildung waren, hier hintanstellen.“ Vgl. hierzu allg. A.6. Schmid (1887) 232f. Vgl. Schmid (1887) 228: „Die Formen von ἑαυτοῦ werden als Reflexiva auch für erste und zweite Person verwendet“.

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ἀπεικότα γοῦν λέγοιεν ἄν, εἰ λέγοιεν, 4.8 φαίη τις ἄν, 6.1 φαῖεν ἄν, 12.6 εἰ σκέψαιο, δόξαιμ' ἄν σοι) deutet auf eine attizistische Schreibweise.16 Dass Lukian sich nicht streng an die Vorlagen des Attizismus hielt, zeigt die Variation der Modi (vgl. 14.7 den Optativ ὡς μὴ […] εἴη statt finalem Konjunktiv trotz vorangegangenem Haupttempus)17 oder Negationen (z. B. μή statt οὐ trotz Abhängigkeit von einem verbum dicendi 13.3). Manche Wortbedeutungen weichen vom klassischen Attisch ab wie 5.13 ἐπὶ πολὺ18 oder 12.10 das aktivische δικαιολογούντων. Lukian, in dessen Werk hyperattizistische Exzesse verspottet werden (Lex. 20, Symp. 40), zeigt sich auch in Apol. als gemäßigter Attizist. Wenn der Sprecher §§11ff. auf die römische Verwaltung zu sprechen kommt, verwendet er griechische termini für genuin römische Institutionen, die jedoch Bereichen der griechischen Kultur entwendet sind, wie 12.11 ἄρχων (lat. praefectus; so entspricht 12.5 und 7 ἀρχή lat. provincia oder imperium),19 11.19 und 23 ἔθνος (lat. provincia), 11.22 προστασία (lat. praefectura, patronatus), 11.24 φάλαγγας und στρατόπεδον (lat. legio); 11.23 ἐπιτροπεύειν bezieht sich auf die Tätigkeit des ἐπίτροπος (lat. procurator), ebd. ἁρμόττειν auf diejenige des ἁρμοστής (lat. praefectus). Römische Ämter erwähnt Lukian etwa auch Alex. 60 (Ädil), 55 und 57 (Proprätor), Demon. 18 (Senator), 16 und 50 (Prokonsul), Lex. 10, Nav. 14 (Prätor), Tox. 33 (Präfekt).20 Die Untersuchung von Stil und Sprache der Schrift lässt den Wunsch nach sprachlicher Abwechslung erkennen. Ein rhetorisch geschulter Stil, bei dem ein puristischer Attizismus vermieden wird, wechselt mit einer Sprache, die vom gesprochenen zeitgenössischen Griechisch beeinflusst scheint: Hierauf deutet die syntaktische Variation bei Modi und Negationen, die nur selektiv attizistischen Regeln folgen. Schließlich lassen sich im Bereich der Sprache griechische Nachbildungen lateinischer Konzepte oder typisch römischer Institutionen feststellen. Oszillierende Darstellungsweisen, Stilmittel (wie Homoioteleuta), literarische Anklänge und Zitate, my16

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Zur Wiederbelebung des Optativs im Attizismus vgl. Anlauf (1960), wo literarische mit nicht-literarischen Quellen gewinnbringend verglichen werden; ferner Wahlgren (1995). Zu den Vermischungen der Modi bei Lukian s. Du Mesnil (1867) 15ff., Schmid (1887) 243. Du Mesnil (1867) 36. Vgl. Mason (1974) 26 s. v. ἀρχή 5. Zum römischen Setting vgl. Dubuisson (1984-1986) 195, passim; zu den Lateinkenntnissen Lukians vgl. Rochette (1997) 243f. 266f.; skeptischer mit Blick auf Latein-Kenntnisse im griechischen Osten während der Kaiserzeit ist Cameron (2011) 529-531. 641-644; er unterstreicht jedoch die Wichtigkeit des Lateinischen als Verwaltungssprache.

thologische Exempla sowie die bildliche, anekdotenreiche Sprache sorgen für stilistische variatio und einen Wohlklang der Diktion.

4. Ein byzantinisches Rezeptionsbeispiel Kurz vor der Schwelle des 12. zum 13. Jahrhundert verfasste ein anonymer Autor einen humoristischen Text, der auf programmatische Weise auf Lukians Apologia Bezug nahm. Es handelt sich um eine invektivische „Grabrede auf die Verfasser von Grabreden“ (Μονῳδία εἰς μονῳδοῦντας, hier: Anon. Inv.).21 In 20 Paragraphen22 richtet sich die Sprecher-Instanz höhnisch an die Verfasser von Grabreden, die, unersättlich in ihren Klagen, selbst bei fröhlichen Anlässen betrübt seien und sich im Grunde bereits im Reich der Toten aufhielten – eine humorvolle Begründung dafür, dass sich eine Grabrede an noch lebende Personen richtet. Da es sich bei dem Text jedoch selbst um eine Grabrede handelt, muss sich der Autor notwendig in Widersprüche verstricken, wie er gleich zu Beginn (§§1-2) andeutet. Dabei greift er auf Formulierungen zurück, die Sabinos in Luc. Apol. gegen den Sprecher und Autor von Merc.Cond. verwendet, um dessen Heuchelei und den Widerspruch zwischen Wort und Tat aufzudecken.23 Die Überein21

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Hierzu Sideras (2002), Christidis (2003). Zur Datierung Sideras (2002) 11-14, der auf den Seiten 31-33 („Lukianos und Anonymos“) ausschließlich die Konvergenzen von Anon. Inv. mit Luc. Luct. herausarbeitet, die jedoch auf die Verwandtschaft des Themas zurückgeführt werden. Zwar erkennt Christidis (2003) einen klaren Bezug zwischen Anon. Inv. und Luc. Apol., doch fordert er aus dem Befund v. a. textkritische Revisionen. §§1-3: προοίμιον; 4-19: θρῆνος vermischt mit ψόγος; 20: zum Fluch umgestaltete εὐχή. Dabei handelt es sich um eine Subversion bzw. Parodie der in byzantinischen Grabreden üblichen Gemeinplätze. Hier werden sie als Argumente gegen deren Verfasser herangezogen. Dies sind a) Anon. Inv. 1 (die Leser der Schrift werden bei der Lektüre lachen und weinen: εἴ τις τουτὶ διέλθοι σύγγραμμα, πάντως οὐκ ἀγελαστὶ κλαύσεται) und Luc. Apol. 1 (Sabinos lachte wohl bei der Lektüre: οὐκ ἀγελαστὶ διεξῄεις αὐτὸ); b) Anon. Inv. 2 (mögliche Anklagepunkte der Leser: Der Sprecher ähnle Bellerophon aus der Korinthischen Sage, dem ein Buch den Untergang brachte: τῷ τοῦ Κορινθίου πεπονθέναι μύθου, ταὐτὸ δόξαντος κατˈ ἐμαυτοῦ, ὃ Βελλεροφόντης, γεγραφότος τὸ βιβλίον) und Luc. Apol. 3 (τὸν τοῦ Κορινθίου μῦθόν τι πεπονθέναι, κατὰ σαυτοῦ ὁ Βελλεροφόντης γεγραφὼς τὸ βιβλίον); Anon. Inv. 2 (ἢ ὅμοιά με φήσει τῷ Σαλαίθῳ ποιεῖν, ὃς πικρότατον τοῖς Κροτωνιάταις κατὰ μοιχῶν νόμον θεὶς καὶ θαυμαζόμενος ἐπὶ τούτῳ, μετὰ μικρὸν αὐτὸς ἑάλω μοιχεύων τἀδελφοῦ τὴν γυναῖκα) und Apol. 4 (ὅμοιά σε τῷ Σαλαίθῳ ποιεῖν, ὃς πικρότατον κατὰ μοιχῶν θεὶς τοῖς Κροτωνιάταις νόμον καὶ θαυμαζόμενος ἐπ' αὐτῷ μετὰ μικρὸν αὐτὸς ἑάλω μοιχεύων τοῦ ἀδελφοῦ τὴν γυναῖκα); Anon. Inv. 2 (κινδυνεύω τε γὰρ μιμεῖσθαι ταῦτα, ἃ οὐ καλῶς ἔχειν ἡγοῦμαι, καὶ τὸν ἧλον ἐκκρούειν ἥλῳ πειρᾶσθαι) und Luc. Apol. 9 (εὑρίσκωμαι ἥλῳ, φασίν, ἐκκρούων τὸν ἧλον); Anon. Inv. 2 (ἀπολογίαν τε οὐκ ὁρῶ, ἥτις ἂν εὐπρόσωπος πρὸς τοὺς κατηγοροῦντάς μοι γένοιτο)

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stimmungen gehen soweit, dass Christidis (2003) 392 den Anfang der byzantinischen Schrift als Kompilation der Lukianischen Apologia auffasst. Interessanter ist jedoch der inhaltliche Zusammenhang zwischen beiden Schriften: Die Sprecher-Instanz der Μονῳδία εἰς μονῳδοῦντας antizipiert zu Beginn die Vorwürfe der Rezipienten, die auf den Widerspruch deuten, dass sie Grabreden immerhin im Rahmen einer Grabrede kritisiert – wobei der metaliterarische Text auf virtuose Weise von einer genauen Kenntnis der Gattung Zeugnis gibt, indem deren übliche Topoi überzeichnet präsentiert werden. Bereits der Sprecher der Lukianischen Apologia führt zu Beginn einen fiktiven Leser ein, der den Widerspruch zwischen Worten und Taten des Sprechers kritisiert sowie dessen Unternehmen, eine Apologie in eigener Sache zu verfassen. Und bereits bei Lukian führt der Sprecher das literarische Unternehmen ad absurdum, wenn statt einer seriösen Palinodie vielmehr eine Präsentation und gleichzeitig Abwertung topischer Verteidigungs-Strategien erfolgt. Gerade in dieser metaliterarischen Apologie erweist der Sprecher seine Kenntnis zentraler rhetorischer Strategien. In der Enttarnung der topischen Elemente als solcher führt er jedoch die Grenzen entsprechender Verteidigungsreden vor und karikiert sie geradewegs. Beide Texte verhandeln also auf parodistische Weise literarische ‚MetaDiskurse‘ über die Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Textsorte (ἀπολογία bzw. μονῳδία), worin jeweils über die entsprechenden literarischen wie rhetorischen Konventionen reflektiert wird. Ein solches Verfahren findet sich in vielen Lukianischen Texten, z. B. in VH, wo in einer Erzählung von wundersamen Reisen, Völkern und Geschehnissen historiographische Schreibweisen parodiert und ebenfalls deren Spielräume ausgelotet werden. Der byzantinische Anonymus orientierte sich beim Verfassen seiner invektivischen „Grabrede auf die Verfasser von Grabreden“ deutlich an der literarischen Technik Lukians und v. a. den Lukianischen ‚Meta-Diskursen‘ über literarische Schreibweisen, wie dies im Bereich der dikanischen Rede exemplarisch Lukians Apologia vor Augen führt.

und Luc. Apol. 3 (οὐχ ὁρῶ τὴν ἀπολογίαν ἥτις ἂν εὐπρόσωπός σοι γένοιτο πρὸς τοὺς κατηγοροῦντας); vgl. ferner phraseologische Ähnlichkeit bei einer seltenen Junktur Anon. Inv. 2 (πλείστην ὅσην λοιδορίαν κατασκεδάσαι) und Luc. Apol. 3 (πολλὴν λήθην κατασκεδάσαι).

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5. Exkurs I: Form, Funktion und Programm der Lukianischen ἀπολογία ἀπολογία μὲν γὰρ Σωκράτους ἐστὶν καὶ Αἰσχίνου καὶ Ὑπερίδου καὶ Δημοσθένους καὶ τῶν πλείστων σχεδόν τι ῥητόρων καὶ σοφῶν (Luc. Par. 56).24

5.1 Die Apologie als ‚autobiographische‘ Literaturform der Antike In der Kaiserzeit ist ein Anstieg ‚biographischer‘ Texte zu beobachten, die den βίος einer in bestimmter Hinsicht herausragenden Person nachzeichnen und dabei auf das Instrumentarium der epideiktischen Rhetorik (ψόγος oder ἐγκώμιον) zurückgreifen.25 Auch das Interesse an ‚autobiographischer‘ Schreibweise, im Sinne einer Narrativik, welche die Person des Autors in den Blick nimmt, lässt sich verzeichnen,26 was jedoch auch der für den Hellenismus ungünstigen Überlieferungslage geschuldet ist. Dabei wird v. a. die literarisch-rhetorische „Apologie“ ihrer rein dikanischen Funktion entkleidet; sie avanciert zu einem Medium auktorialer Selbststilisierung par excellence.27 Klassisches Vorbild hierfür ist Platons „Apologie des Sokrates“.28 Doch schon im 5. Jh. v. Chr. schrieb Antiphon eine „Apo24

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„Eine Apologie gibt es nämlich von Sokrates, von Aischines, Hypereides, Demosthenes und fast den meisten Rednern und Weisen…“ Die Vorläufer dieser βίος-Literatur liegen v. a. im 4. Jh. v. Chr., vgl. Isokratesʼ „Euagoras“ oder Xenophons „Agesilaos“. Da für den Hellenismus die Überlieferungslage ungünstig ist (lediglich Satyrosʼ Euripides-Vita ist z. T. erhalten: FGrH 90 F 125-130), ergibt sich für die Kaiserzeit das Bild einer ‚Renaissance‘ biographischen Schrifttums: Vgl. Plutarchs „Leben der Kaiser“ (überl.: Galba, Otho) und die „Parallel-Viten“, Philostrats „Apollonios von Tyana“, Diogenes Laertiosʼ „Leben der Philosophen“, Lukians Alex., Demon., Peregr. Vgl. Momigliano (1971), Pelling (1990), Schirren (2005), Hägg (2012); zur Kaiserzeit Swain/Edwards (1997). Zur antiken ‚Autobiographie‘ (avant la lettre: ein moderner Begriff) vgl. Niedermeier (1919), Misch (1949), bes. 3-21, Baslez et al. (1993). Man zählt hierzu (Ps.-?)Platons „7. Brief“, Isokratesʼ „Antidosis“, Xenophons „Anabasis“, Augustusʼ „Tatenbericht“ (Res gestae), Marc Aurels „Briefe an sich selbst“, Augustinusʼ „Bekenntnisse“. Vgl. Reichel (2005); HWRh 1 (1992) Sp. 1267-1276 s. v. Autobiographie, autobiographisches Schreiben (R.-R. Wuthenow), bes. Sp. 1271ff. (Aufrichtigkeits-Topos sowie pseudodokumentarischer Charakter); DNP 2 (1997) Sp. 349-351 s. v. Autobiographie II-III (H. Görgemanns). Vgl. Whitmarsh (2005) 79: “it is notable how many examples of what modern scholars call ‘autobiographyʼ are really what ancient theorists would have called rhetorical apologiai (‘defence-speechesʼ).” Zum Echo bei Lukian vgl. Luc. Apol. 15 die auf Sokrates bezogene Leugnung des Sprechers, ein Weiser zu sein (Pl. Apol. 21d-22e) und seine Gleichgültigkeit den Anklägern gegenüber (was im anti-rhetorischen Gestus in Pl. Apol. Vorläufer findet); ferner Bis

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logie“, im 4. Jh. v. Chr. Isokrates die „Apodosis“, Demosthenes die „Kranzrede“, der Redner Lykurg wohl zwei „Apologien“.29 So zählte später etwa der Patriarch Photios ἀπολογίαι von Lysias, Isokrates und Demosthenes zu seiner Bibliothek.30 In der Kaiserzeit entstanden Werke wie Nikolaosʼ von Damaskus Περὶ τοῦ ἰδίου βίου/Περὶ τῆς ἑαυτοῦ ἀγωγῆς (FGrH 90 F 131139, 138 als ἀπολογία bezeichnet), Flavius Josephusʼ Ἰωσήπου βίος (gegen die Kritik des rivalisierenden Historiographen Justus von Tiberias, vgl. 338: ὅθεν ἀπολογήσασθαι γὰρ νῦν ἀνάγκην ἔχω καταψευδομαρτυρούμενος), Aelius Aristidesʼ or. 33 (gegen den Vorwurf, der Sprecher vernachlässige seine Heimatstadt) oder die frei am Platonisch-Sokratischen Vorbild orientierte Apologie Pro se de magia des Apuleius von Madaura, worin sich der Sprecher gegen Zauberei-Vorwürfe verteidigt.31 Dabei evozierte der gerichtliche terminus ἀπολογία zwar prinzipiell die Vorstellung einer dikanischen Rede. Doch wurden mit dieser Chiffre auch in weiterer Hinsicht Texte versehen, worin sich eine Person pro domo gegen Kritik, Vorwürfe oder polemische Attacken zur Wehr setzte. Noch bei den rhetorisch versierten Kirchenmännern des 4. Jh. wie etwa Gregor von Nazianz fand die ursprünglich forensische Technik des ἀπολογητικὸς λόγος im Rahmen der Verteidigung gegen potentielle Kritiker Verwendung: In Brief und Rede wurde der jeweilige βίος als vorbildlich dargestellt, wobei man wie in der paganen Tradition auf autobiographische und protreptische Elemente rekurrierte.32 Die apologetische Haltung beschränkte sich nicht auf die defensio: Vermittels der refutatio fiktiver Kritik konnte sich ein Literat oder Redner indirekt profilieren und Prestige zuschreiben. Absehbare Gegenargumente wurden von vornherein entkräftet. Den Vorteil, den ein zur Apologie gegen Verleumdung oder Anklage stilisiertes, indirektes Selbstlob gegenüber einer selbstverherrlichenden Darstellung (περιαυτολογία) hat, beschreibt Plutarch in De laude ipsius 4 (540c) (αὑτὸν δ' ἐπαινεῖν ἀμέμπτως ἔστι

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Acc. 33 (der Dialog imitiert Pl. Apol. 17b9-c11 und gibt sich als ‚gerichtsfremd‘) mit Braun (1994) ad loc., Demon. 11 (Apologie des Demonax) mit Clay (1992) 3427. Pisc. ist durchzogen von Anspielungen auf Pl. Apol.: Vgl. Pisc. 7, 9, 18, 23 mit 17a-b; Pisc. 11 mit 21b-d; Pisc. 33 mit 36d; ferner Prom.Es 6. Vgl. auch Dions Stilisierung als Sokrates, wie er Pl. Apol. erscheint, mit Döring (1979) 91-101. Ferner Philostr. VA 4.46 p. 85. Autobiographisches Schreiben in der Form einer Apologie findet sich auch in (Ps.-?) Platons „7. Brief“: Vgl. Brisson (2000), Erler (2005). Vgl. hierzu Bergjan (2001), bes. 179-181 (Bezug zu frühchristlichen Apologetikern). Zu Josephus, aus dessen Feder auch das apologetische Werk Contra Apionem stammt, vgl. Hadas-Lebel (1993), zu Apuleius vgl. Hunink (1997), Harrison (2000) 39-88, Hammerstaedt (2002). Vgl. Elm (2015) 54: “Apologia as autobiography was thus an essential aspect of the selffashioning of the bishop as true philosopher and leader, outperforming his peers”.

πρῶτον μέν, ἂν ἀπολογούμενος τοῦτο ποιῇς πρὸς διαβολὴν ἢ κατηγορίαν).33 Klassisch formuliert wird dies in Isokratesʼ „Antidosis“ (or. 15.8), wo der Redner den Nachteil anspricht, sich selbst zu loben, da er so nicht alles, was er behandeln wolle, einarbeiten dürfe und sich auch der Gefahr aussetze, Anstoß zu erregen. Wenn er hingegen einen Prozess sowie einen verleumderischen Ankläger voraussetze und sich der Form der Verteidigungsrede (ἀπολογίας σχῆμα) bediene, dann habe er einen ausreichenden Grund, nach Belieben über alles zu sprechen.34 5.2 Die fiktiven Gerichtsszenarien bei Lukian Im Werk Lukians gibt es zahlreiche fiktive ‚Prozess-Schriften‘ bzw. ‚prozessuale Einlagen‘, in denen die Protagonisten im Rahmen imaginärer Gerichtsverhandlungen Anklagen oder Verteidigungen gegen Opponenten vortragen, oder in denen es zu einem Rededuell zwischen Anklage und Verteidigung kommt. Dies verdeutlicht die folgende Übersicht:

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„Sich selbst zu loben, ohne dafür getadelt zu werden, ist zuerst einmal erlaubt, wenn du dies im Rahmen einer Verteidigung tust gegen Verleumdung oder Anklage“. Hierzu vgl. auch den Überblick bei Whitmarsh (2005) 81-83. Εἰ μὲν οὖν ἐπαινεῖν ἐμαυτὸν ἐπιχειροίην, ἑώρων οὔτε περιλαβεῖν ἅπαντα περὶ ὧν διελθεῖν προῃρούμην οἷός τε γενησόμενος, οὔτ' ἐπιχαρίτως οὐδ' ἀνεπιφθόνως εἰπεῖν περὶ αὐτῶν δυνησόμενος· εἰ δ' ὑποθείμην ἀγῶνα μὲν καὶ κίνδυνόν τινα περὶ ἐμὲ γιγνόμενον, συκοφάντην δ' ὄντα τὸν γεγραμμένον καὶ τὸν πράγματά μοι παρέχοντα, κἀκεῖνον μὲν ταῖς διαβολαῖς χρώμενον ταῖς ἐπὶ τῆς ἀντιδόσεως ῥηθείσαις, ἐμαυτὸν δ' ἐν ἀπολογίας σχήματι τοὺς λόγους ποιούμενον, οὕτως ἂν ἐκγενέσθαι μοι μάλιστα διαλεχθῆναι περὶ ἁπάντων ὧν τυγχάνω βουλόμενος.

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24 der Tyrann Phalaris mittels seiner Gesandten aus Akragas

Konsonant Tau (ohne Redebeitrag)

§27: der Tyrann Megapenthes §§7-19: Prometheus (Plädoyer gerät z. T. zu einer Gegenklage gegen Zeus: §20) §38: Πλοῦτος

Feinde, Neider und Gerüchte, welche Phalarisʼ Taten in schlechtem Licht erscheinen ließen: §1 (ohne Redebeitrag)

Konsonant Sigma

§§26-27: Kyniskos mit Hilfe der Zeugen ‚Lampe‘ und ‚Bett‘

§6: Hermes als Anwalt des Zeus

§§36-37: Timon

Phal. 1 (lib. 1)

Iud.Voc. (lib. 16)

Cat. (lib. 19)

Prom. (lib. 23)

Tim. (lib. 25)

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Verteidigung

Anklage

Schrift

Hermes als Streitschlichter

– (Hephaistos lehnt §5 die Rolle des δικαστής ab)

Unterweltsrichter Rhadamanthys

Vokale des griechischen Alphabets (τὰ Φωνήεντα)

Priester des Delphischen Orakels

Richtervorsitz

ἀδικία in vielerlei Hinsicht

a) Täuschung des Zeus (Opferbetrug) b) Erschaffung des Menschen c) Feuerdiebstahl

ὠμότης, ὕβρις des Tyrannen

erlittene ἀδικία des Sigma durch Tau (κατάχρησις, πλεονεξία)

willkürliche und grausame Herrschaft (ὠμότης)

Anklagepunkt

§39: Hermes zwingt Timon zum Einlenken

Sieg Anklage

Sieg Anklage

– (der Attizismus, gemäß dem θάλαττα privilegiert wird vor θάλασσα, muss zur Niederlage von Sigma führen)

– (fehlt; Phal. 2, das Plädoyer eines Delphiers, stellt eine Verteidigung des Phalaris dar)

Prozessausgang

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Parrhesiades: §§29-37

der ‚Syrer‘: gegen Ῥητορική §§30-32, gegen Διάλογος §34 Lykinos: §§7-85

Lykinos: §§17-28 (mit Unterstützung durch Homer: §§24-26) untalentierter Sophist (Plädoyer §26 angedeutet) ein Tyrannenmörder

§§25-27: Diogenes (Vertreter der Vit.Auct. attackierten Philosophen)

1) ἡ ‘Ρητορική: §§26-29 2) ὁ Διάλογος: §33

der Kyniker Kraton: §§2-3 (vgl. §1)

die in Im. gelobte Frau (laut schol. ad Pr.Im.: Panthea), verlesen von Polystratos: §§1-14

§25: γλῶττα (Zunge/Sprache des Sophisten)

anonymer ἀντιλέγων (vgl. §3; ohne Redeeinsatz)

Pisc. (lib. 28)

Bis Acc. (lib. 29)

Salt. (lib. 45)

Pr.Im. (lib. 50)

Pseudol. (lib. 51)

Tyr. (lib. 53)

mit ὦ ἄνδρες δικασταί tituliertes anonymes Richtergremium

– (fehlt; imaginärer Ort ist ein δικαστήριον)

Appellationsgericht

– (vgl. §3: πολλῆς […] ἀπολογίας σοι δεήσει πρὸς τοὺς πεπαιδευμένους)

ἡ Δίκη und Hermes setzen Gerichte ath. Bürger auf dem Areopag ein

ἡ Φιλοσοφία (Ἀλήθεια und Ἀρετή als Zeuginnen)

fälschliche Behauptung, ein Tyrannenmörder zu sein

ἀδίκημα, ὕβρις (sprachliche Vergehen)

Schmeichelei (κολακεία), generell Probleme der Literaturkritik

Generalanklage Kratons gegen die Tanzkunst (ὄρχησις)

κάκωσις (Rhetorik) ὕβρις (Dialog)

ὕβρις: Beleidigung der Philosophen in bzw. durch Vit.Auct.

– (fehlt)

statt einer Verurteilung Rufmord (§27)

offener Ausgang (vgl. §29)

Sieg Verteidigung (vgl. §85: Kraton überzeugt)

Doppelter Sieg Verteidigung

Sieg Verteidigung

25

26 1) Kronos als Stellvertreter der Reichen: §§25-30 2) die Reichen: §§3639 Autor der Schrift Merc.Cond.: §§8-15 Sprecher in der Rolle eines Klienten (ἀπολογία i. S. einer ἐπίδειξις: §19) der Dichter Hesiod spricht §§4-6 eine ποιητικὴ ἀπολογία der Räuber Sostratos vor dem Totengericht: §§2-3

1) Armer: §§19-24 2) Kronos als Stellvertreter der Armen: §§31-35

Leser Sabinos: §§1-7

angedeutet §19: der Patron und Empfänger der Schrift Asklepios (ohne Redebeitrag)

Lykinos: §§1-3, 7-9

§1 erwähnt: der Angeklagte ist bereits der λῃστεία überführt (ἐξελήλεγξαι)

Sat. (lib. 61)

Apol. (lib. 65)

Laps. (lib. 66)

Hes. (lib. 67)

DMort. 24 (lib. 77)

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ein zum zweiten Mal enterbter Sohn, (ἀποκηρυττόμενος), der eine Gegenklage erhebt

Vater des Angeklagten (ohne Redeeinsatz)

Abd. (lib. 54); vgl. Sen. Mai. controv. 4.5

Unterweltsrichter Minos

– (fehlt)

– (fehlt)

§2 angedeutet: Hermes Logios (Patron der Redner); §15: Sabinos

§§25-36 fungiert Kronos auch als vermittelnder Schiedsrichter der Interessen von arm und reich

mit ὦ ἄνδρες δικασταί tituliertes anonymes Richtergremium

Einspruch des Sostratos: er habe nur unter dem Zwang der Moiren gehandelt

Hesiod habe keinen Einblick in die Zukunft

unpassender Morgengruß (ὑγίαινε statt χαῖρε)

διαφωνία zwischen literarischem Werk und Leben

ungleiche Verteilung der Güter bei den Menschen, πλεονεξία der Reichen

unterlassene Hilfeleistung gegen die Stiefmutter

§3: Sieg Verteidigung (dem Toten werden die Strafen erlassen)

§9: Sieg Anklage

Andeutung §19: Sieg Verteidigung

Andeutung §15: Sieg Verteidigung

– (fehlt)

– (fehlt)

Die Liste umfasst Schriften, in denen fiktive Charaktere sich innerhalb von Prozessszenarien verteidigen (i. d. R. ἀπολογία genannt; vgl. aber DMort. 24: §3 ἐπερώτησις i. S. v. „Nachbefragung, -verhandlung“; Iud.Voc.: κατηγορία, d. h. „Anklage).35 So wird in der Schrift Prometheus in Anlehnung an Aischylosʼ Tragödie „Der gefesselte Prometheus“ der Titan auf Zeusʼ Befehl mit Hilfe von Hephaistos (im Beisein des Hermes) im Kaukasus angeschmiedet. Da man noch auf die Ankunft des Adlers wartet, der Prometheus die Leber aushacken soll, beginnt man aus Langeweile einen Prozess auf den Felsen, bei dem Hermes als Sprachrohr des Zeus den Ankläger gibt; Prometheus verteidigt sich §§7-19 ausgiebig gegen die schon bei Hesiod thematisierten Vorwürfe (Erschaffung des Menschen, Feuerdiebstahl, Opferbetrug). Die Absurdität des Prozesses wird dadurch gesteigert, dass Hermes sich auf das ‚sophistische Glanzstück‘ des Titanen freut, das die Langeweile vertreiben soll (Prom. 4 ἀκρόασιν […] σοφιστικήν, vgl. Minos zu Sostratos DMort. 24.3: σοφιστής τις εἶναι δοκεῖς). Prometheus erscheint als eloquenter Sophist, der, seiner Bildung vertrauend, literarische Anspielungen in einer Rede verarbeitet: Dies erinnert an die kaiserzeitlichen Deklamationen, die zu klassischen Themen vor einem Publikum gehalten wurden. Von seiner Rede wird Prometheus nicht profitieren: Hermes meint am Ende, der Titan solle froh sein, dass Zeus die Apologie nicht persönlich gehört habe, sonst würde er ihm als Strafe noch 16 Geier senden (Prom. 20). Die Schrift zeigt Lukians kreativen Umgang mit der LiteraturTradition: Der Titan Prometheus hält eine rhetorisch ausgefeilte Verteidigungsrede und kreiert eine Prosa-Komposition des Aischyleischen Modells. Diese orientiert sich dabei an zeitgenössischen epideiktischen Reden. Dies verdeutlicht auch die Lukianische Apologie Laps., wo das Ich, ein griechischer Klient in Rom, in eigener Sache spricht. Nachdem er seinen 35

Beachtung verdienen in diesem Kontext noch weitere Schriften Lukians: Etwa Eun., wo Lykinos seinem Freund Pamphilos vom ‚Prozessstreit‘ zwischen Diokles (vgl. dessen κατηγορία §6 sowie §§10-13) und Bagoas darüber, ob sich Eunuchen wie Bagoas auf Professoren-Posten bewerben dürften, berichtet. Ferner Prom.Es, wo zwar keine Gerichtsterminologie, etwa ἀπολογία, verwendet wird, die Haltung gegenüber dem Adressaten, der §1 den ὁπόσοι ἐν δίκαις εὐδοκιμεῖτε ξὺν ἀλήθείᾳ ποιούμενοι τοὺς ἀγῶνας zugerechnet wird, jedoch durchaus apologetisch ist: Behandelt wird der ambivalente Vorwurf, der Sprecher sei ein ‚literarischer Prometheus‘. Vgl. ferner den ἀγὼν λόγων in Dom. (zwei λόγοι, vgl. §14), Peregr. (Rede pro und contra Peregrinos durch den Kyniker Theagenes §§3-6 sowie einen Anonymus §§7-31), Rh.Pr. (zwei ῥητόρων διδάσκαλοι) und Somn. (Παιδεία vs. Ἑρμογλυφική). Fug. 2 will Zeus die ἀπολογία des Peregrinos vor dessen Selbstverbrennung wiedergeben, wird jedoch unterbrochen. Vgl. ferner Pseudol. 5-9 (der personifizierte Ἔλεγχος). Somn. 17-18 trägt, da sich der Sprecher gegen kritische ficti interlocutores verteidigt, ebenfalls apologetische Züge.

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patronus bei der morgendlichen salutatio falsch begrüßt hat (ὑγίαινε statt χαῖρε, also in etwa „Gesundheit“ statt „Sei gegrüßt“), liefert er in seiner beredten Verteidigung zahlreiche literarische Belege für die Verwendung der Grußformel ὑγίαινε. 36 Am Ende (Laps. 19) äußert der Sprecher selbstironisch, man könne nun glauben, er habe den Fehler absichtlich gemacht, um eine wortreiche Verteidigungsrede zu halten. Es sei zu befürchten, der adressierte patronus würde die Worte weniger als Apologie und vielmehr als Ausgangspunkt für eine epideiktische Rede betrachten.37 Beide Texte repräsentieren zwei Haupttypen der Lukianischen Apologie. Fiktive Prozessszenarien werden in einen dialogisch-dramatischen (wie in Prom.) oder erzählerischen Rahmen (wie in Laps.) ‚eingebettet‘.38 Es wird die Fiktion erzeugt, es fände ein – wenn auch bewusst fantastischer – Prozess statt. Oft spielt der Prozess eine untergeordnete Rolle für die Schrift (z. B. Cat. 26-27, Pseudol. 25, Tim. 36-38). Bisweilen bilden Prozesse jedoch das konstitutive Element des Textes (z. B. Iud.Voc., Pr.Im., Tyr., Abd., Apol., Laps., Hes.). Wenn die Anforderungen an einen Prozess (z. B. Tribunal, Richter oder ein Schiedsgericht) nur zu einem Mindestmaß gegeben sind, ist der Prozess nur eine Art ‚dikanische Fassade‘ für eine epideiktische Rede oder die gerichtliche Terminologie schafft einen Rahmen für weiter gefasste Diskurse wie Literaturkritik (v. a. Hes., vgl. Prom.Es). So verteidigt sich Lykinos Salt. 7-85 gegen Kratons Vorwürfe gegen die Tanzkunst, indem er deren Inhalte der παιδεία zurechnet und sie dadurch aufwerten kann, so dass Kraton am Ende selbst zum Anhänger des Tanzes wird.39 Obwohl dabei die termini κατηγορεῖν (Kraton) bzw. ἀπολογεῖσθαι (Lykinos) verwendet werden, wird nicht ständig die Vorstellung von Prozessplädoyers evoziert (vgl. Hes., Laps., Phal. 1 oder Sat. 19-39, bes. 36-39). Als eigentliche Prozessschriften erscheinen dagegen Abd., Apol., Bis Acc., Iud.Voc., Pisc., 36 37 38

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Vgl. hierzu Mestre/Vintró (2010). Allg. Rutherford (1995). τοιοῦτον φανῆναι τὸν λόγον, ὡς μὴ ἀπολογίαν, ἀλλˈ ἐπιδείξεως ἀφορμὴν εἶναι δοκεῖν. Diese Dichotomie ist inspiriert von der traditionellen Einteilung der Platonischen Dialoge in „dramatische“ (rahmenlos, in wörtlicher Rede) und „diegematische“ (berichtender Rahmen, Einleitung von Redebeiträgen mit Zitatformeln wie „sagte er“ etc.). Vgl. die Unterscheidung von διήγησις und μίμησις. Ferner von den Graden der Mittelbarkeit des Erzählens (distance) bei Genette (1994): Die Darstellung kann im narrativen Modus (größere Distanz) oder im dramatischen Modus (geringere Distanz) erfolgen. Vgl. das auf die angelsächsische Romantheorie zurückgehende Begriffspaar showing vs. telling. Vgl. Kratons Worte Salt. 3: πολλῆς […] ἀπολογίας σοι δεήσει πρὸς τοὺς πεπαιδευμένους κτλ. Zum rhetorischen Charakter der Schrift vgl. Petrides (2013) 446: “The stronger impression On Dance gives is, granted the pun, of a sophisticated exercise in sophistic argumentation, which needs to be examined within its own discursive margins rather than treated as an authentic defence of pantomime”.

Tyr., wo die Prozess-Fiktion – wenngleich spielerisch – aufrechterhalten wird und der Prozess das konstitutive Element der Schrift bildet. Innerhalb der Dialogschriften, in welche die meisten Apologien eingebettet sind, fügen sich die Plädoyers in das dialogisch-dramatische Muster aus Rede und Gegenrede (Cat. 26-27, DMort. 24, Prom. 6-19, Tim. 36-38, Pisc. 25ff., Bis Acc. 26-34, Salt., Pr.Im., Sat. 19-36, Hes.). Dies ahmt eine Gerichtssituation nach: Damit folgen die Texte einer dialektischen Komposition aus rhetorischer offensio und defensio. In erzählenden Texten werden die Plädoyers dagegen rhetorisch inszeniert: Die Sprecherstimme tritt als Verteidigerin in eigener Sache auf und kleidet eine epideiktische Rede in ein gerichtliches Plädoyer (z. B. Phal. 1, Iud.Voc., Tyr., Abd., Laps.). Doch kann auch hier eine dialogischdramatische Dimension zum Vorschein kommen, wenn etwa – wie in Apol. – ein imaginärer Ankläger in Form eines fictus interlocutor durch die Technik rhetorischer Charakterzeichnung ‚erschaffen‘ wird (allg. zur Argumentation gegen fiktive Opponenten Quint. inst. 5.11.3-5). 5.3 Rechtfertigung für literarisches Schaffen in Lukians fiktiven Apologien In manchen dialogisch angelegten Texten Lukians tritt eine Autorfigur auf, die sich gegen fiktive Ankläger vor Gericht für ihr eigenes literarisches Schaffen verteidigt: Neben Apol. (Bezug auf Merc.Cond.) sind auch Pisc. (Vit.Auct.) und Pr.Im. (Im.) ‚Verteidigungs- bzw. Antwortschriften‘, in denen sich eine Autor-Instanz verteidigt. In Pisc. muss sich der Protagonist Parrhesiades in Athen gegen berühmte, wieder zum Leben erweckte Philosophen verteidigen, die er angeblich durch antiphilosophische Polemik in Vit.Auct. beleidigt hatte. Auch in Pr.Im. spricht Lykinos eine ἀπολογία (15) in eigener Sache, um den Vorwurf einer Frau, er habe ihr in Im. übermäßig geschmeichelt, zu widerlegen.40 In diese Reihe passt auch Apol., da sich hier der Autor von Merc.Cond. gegen den Vorwurf der Heuchelei von Seiten eines kritischen Lesers verteidigen muss. Auch in Bis Acc. verteidigt sich der anonyme ‚Syrer‘ (als Logograph und Rhetor bezeichnet) vor dem athenischen Areopag erfolgreich gegen die Vorwürfe der ‚Rhetorik‘ und des philosophischen ‚Dialogs‘, die sich beide durch dessen literarische Innovationen abgewertet fühlen.41 Die Bezüge auf eine Autorfigur und literarisch40

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Vgl. hierzu Bretzigheimer (1992), Swain (1996) 314f., Sidwell (2002), von Möllendorff (2004). Luc. Hes. muss sich Hesiod für seine ‚hellseherische‘ Dichtung verteidigen.

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rhetorische Produktion stehen Lukians προλαλιαί nahe, in denen jeweils die Sprecher-Figur Bemerkungen über sich selbst macht oder mittels Anekdoten, Mythen oder Bildbeschreibungen auf Vorwürfe reagiert,42 wie z. B. Bacch. 7-8 (der Sprecher nennt sich selbstironisch einen berauschten Alten), Herc. 7-8 (Vorwürfe gegen das hohe Alter des Sprechers), Electr. 6 (Vorwurf, die Literatur des Sprechers halte nicht das, was sie verspreche), Dips. 9, Herod. 7-8, Zeux. 1-2, 10, Harm. 3-4, Scyth. 9-1143 sowie Prom.Es (mehrdeutiger Vorwurf, ein ‚literarischer Prometheus‘ zu sein). Auch das Proöm von VH zeigt einen (ironischen) Umgang der Erzähler-Instanz mit dem Vorwurf, zum Kreis der Autoren von Lügengeschichten zu zählen.44 Die Referenzen auf eine Autorfigur und deren apologetische Bemühungen sind wie in anderen Lukianischen Texten nicht autobiographisch zu verstehen oder als kohärente Bezüge auf eine reale Autorfigur (Lukian).45 Auch die ἀπολογίαι in Pisc., Pr.Im. und Apol., worin jeweils auf eine vorangehende Schrift rekurriert wird, sollten nicht als autobiographische Zeugnisse gelesen werden. Dies verdeutlicht ein Blick auf die Rhetorizität sowie Theatralität in diesen Texten: Zum rhetorischen Charakter der Schriften trägt v. a. die Technik bei, den Gegnern des Lukianischen Sprechers eine Stimme zu verleihen, die ihm gegenüber Vorwürfe äußert. Diese Vorwürfe gehen dabei stets ad personam des Autors (in Pisc.: Parrhesiades, Pr.Im.: Lykinos, Apol.: ‚Autor‘ von Merc.Cond., ähnlich Bis Acc. gegen den ‚Syrer‘).46 Die Gegner (Pisc.: berühmte Philosophen um Platon und Diogenes, Pr.Im.: mächtige Frau, vielleicht Panthea, Apol.: Leser Sabinos) sind als Ethopoiien bzw. sermocinatio42

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Zu Lukians rhetorischen ‚Vorreden‘ (so wird Lukians Bacch. und Herc. in der Hs. Γ der Titel προλαλιά gegeben): Anderson (1977), Branham (1985), Nesselrath (1990). Vgl. auch Villani (2000), Santini (2001). Diese acht Schriften konstituieren laut Nesselrath (1990) 115 Anm. 9 das Korpus der προλαλιαί. Diskutabel ist die Zuordnung z. T. bei Prom.Es. und Somn. Vgl. 1.4 (μοι δοκῶ καὶ τὴν παρὰ τῶν ἄλλων κατηγορίαν ἐκφυγεῖν αὐτὸς ὁμολογῶν μηδὲν ἀληθὲς λέγειν). Zu den ‚Rollen‘/‚Masken‘ der Lukianischen Sprecher-Figuren vgl. Saïd (1993), Dubel (1994), Whitmarsh (2001) 248-253, Goldhill (2002) 67-82, Whitmarsh (2005) 80-83, bes. 81 (“These texts are not ‘autobiographical’ in the sense of constructing a coherent, continuous narrative; but they do make deliberate and knowing use of the genre of the apologia to construct an identity for the author as a culturally and generically transgressive figure”), Ní-Mheallaig (2010). Zur Skepsis angesichts biographistischer Deutungen s. bereits Baldwin (1973) 18. Vgl. Saïd (1993) 264: “toutes les apologies de Lucien sont intégrées dans des dialogues qui donnent la parole à ses adversaires (le Pêcheur et la Double accusation) ou comprennent […] une partie qui fait entendre la voix de l’accusation (l’Apologie) et que’elles traitent toujours du rapport entre l’œuvre et l’expérience vécue.“

nes modelliert:47 Es handelt sich um fingierte Charaktere, wie sie als Stilfiguren in Übungsreden erzeugt wurden. Man denke an frühere sophistische Glanzstücke wie Gorgiasʼ „Verteidigung des Palamedes“ oder Antiphons „Tetralogien“. Dabei musste das ἦθος des sich verteidigenden Charakters plausibel nachgeahmt werden.48 Die sprechende Person muss vergegenwärtigt, ihre Anwesenheit heraufbeschworen werden.49 Lukian überzeichnet in seinen Texten gewissermaßen die gerichtliche Forderung audiatur et altera pars. Zudem müssen ihre Worte wahrscheinlich klingen. Als Anlass für die Apologie dienen in Apol. so Gedanken und Worte des Sabinos, wie sie von einem kritischen Leser zu erwarten wären (vgl. Apol. 1.6 δοκῶ μοι ἀκούειν σου λέγοντος). Der fiktive Ankläger wird i. d. R. mit einer rhetorischen Floskel wie z. B. „es könnte einer einwenden“ (φαίη τις ἄν, d. h. subiectio) eingeführt.50 So gewährt Lukian einen Blick auf das rhetorische Grundgerüst seiner Texte und offenbart die Fiktionalität der Dialog-Anlage als solche: Auch Pantheas Worte werden in Pr.Im. 23 mit der Floskel Τάχα οὖν φαίης eingeleitet, bevor der tatsächliche Redebeitrag folgt (μᾶλλον δὲ ἤδη εἴρηκας). Dabei wird die subiectio mittels Ethopoiie in einen wirklichen Einwand verwandelt. Auch in Apol. 2.1 wird Sabinosʼ Vorwurf erst nur als möglich angedacht (Ταῦτα μὲν πρὸς ἑαυτόν ὡς τὸ εἰκός λέλεκταί σοι), dann tritt er ‚leibhaftig‘ auf (2.9-10). Innerhalb der rhetorischen Komposition ist v. a. die Rolle der ὑπόκρισις zentral: Der terminus verweist auf die Betörung der Richter mittels der Erzeugung glaubwürdiger Worte.51 Darunter kann auch das Deklamieren des Redners in der Rolle einer historischen oder fiktiven Person verstanden

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Hierzu Lausberg (31990) 407-411 §§820-825. Vgl. die Definition Herm. prog. 9.1ff. Ἠθοποιία ἐστὶ μίμησις ἤθους ὑποκειμένου προσώπου […]. ἐκεῖ μὲν γὰρ ὄντος προσώπου λόγους πλάττομεν κτλ. So kommt es durch Ethopoiie zur Verdoppelung der Sprechrollen (Ankläger und Verteidiger). Zur dieser Technik der kaiserzeitlichen Deklamationskunst: Webb (2006) 39f. Vgl. Bretzigheimer (1992) 165. Zur subiectio/ἀπόκρισις vgl. Lausberg (31990) 381-383 §§771-775, bes. 381 §771: „Die subiectio ist ein in die Rede hineingenommener fingierter (also monologischer) Dialog mit Frage und Antwort […] zur Belebung der Gedankenfolge. Der fingierte Dialogpartner ist meist die Gegenpartei“. Vgl. das Kapitel Περὶ ὑποκρίσεως bei Cassius Longinus (3. Jh. n. Chr.) fr. 48.370-378 Patillon (Ὑπόκρισίς ἐστι μίμησις τῶν κατ' ἀλήθειαν ἑκάστῳ παρισταμένων ἠθῶν καὶ παθῶν καὶ διαθέσεις σώματός τε καὶ τόνοι φωνῆς πρόσφοροι τοῖς ὑποκειμένοις πράγμασι. Δύναται δὲ μέγιστον εἰς πίστιν, καὶ τὸν ἀκροατὴν ἄγειν ἐπίσταται λαμβάνουσα ταῖς ἐπιβουλαῖς τε καὶ γοητείαις, παραγωγαῖς τε καὶ παρακρούσεσιν. Ἡ μὲν γὰρ πίστις τε καὶ ἀπόδειξις καὶ μετ' ἀνάγκης ἄγει, ἡ δ' ὑπόκρισις ἀπάτῃ δελεάζουσα καθέλκει τὴν γνώμην τοῦ κριτοῦ πρὸς τὸ δοκοῦν τῷ λέγοντι).

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werden (vgl. Aristid. or. 28.6). Mittels ὑπόκρισις52 ‚schlüpft‘ der Sprecher von Apol. in die Rolle des Sabinos (vgl. 2.4). So schlüpft auch Pr.Im. Polystratos in die Rolle des Lykinos und übernimmt die Funktion des Sprachrohrs seines Freundes, um dessen ἀπολογία lebensecht zu übermitteln.53 Die ὑπόκρισις verweist jedoch auch auf den Bereich des Theaters: ὑποκρίνεσθαι ist terminus technicus für die Tätigkeit des Schauspielers (ὑποκριτής).54 Theatralität zeigt sich in den Apologien Apol. und Pr.Im. in den jeweils verschiedenen Sprechrollen der Vertreter von Verteidigung und Anklage, die geradezu als ‚Dramenfiguren‘ erscheinen: So schlüpft Polystratos Pr.Im. zuerst in Pantheas Rolle, d. h. er spielt den Anklage-Part, später dann in Lykinosʼ Rolle (Part der Verteidigung), wenn er als ὑποκριτής vor Panthea und anderen Zuschauern (vgl. 29 πρὸς τῶν θεατῶν) ein δρᾶμα aufführen will. Auch Apol. ist ein ‚Stück‘ für zwei Rollen (vgl. Apol. 4-5: Sabinos verunglimpft den Gegner als schlechten Schauspieler). Dieser Masken- und Sprecher-Wechsel erinnert an die von Lukian in Salt. verteidigte pantomimische Tanzkunst, wo auch ein Maskenwechsel zentral war.55 Mit dem Wechsel des äußeren σχῆμα musste auch der innere τρόπος bzw. das ἦθος, das der jeweiligen Rolle entsprach, neu kalibriert werden.56 Salt. 65 (auch 35, 82) werden Tanzkunst und Redekunst auf eine Ebene gestellt.57 52

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Webb (2006) 41 definiert die rhetorische ὑπόκρισις als “the standard term for rhetorical performance (actio), but the addition of the character as the direct object of the verb emphasises the representational nature of the activity of declamation”. Polystratos wird Pr.Im. 16 (vgl. 29) ὑποκριτὴς τῆς ἀπολογίας genannt. Hierzu Bretzigheimer (1992) 164f. Zu dieser Ambiguität vgl. Goldhill (2002) 70. Vgl. Lada-Richards (2007) 152-160, Webb (2008), Petrides (2013) bes. 440ff. Laut Salt. 66 zeigt sich die ‚Bildung‘ eines Schauspielers darin, mehrere Rollen spielen zu können. Es ist Voraussetzung für Gebildete, den Rollenwechsel eines Schauspielers als intellektuell ansprechendes Ereignis wahrzunehmen. So stellt sich der Sprecher von Apol. die Aufgabe, Sabinosʼ ἦθος glaubhaft bzw. rhetorisch virtuos zu spielen. Vgl. Petrides (2013) 440 (“the exterior of the mask was understood to provide entrance to the interior of the character: the σχῆμα was ticket to the τρόπος or ἦθος”). Bei Webb (2008) bes. 47 wird der Pantomime in den Vordergrund gerückt (“the dancer needed to prompt the spectators to contribute imaginatively to the creation of the scenario as a whole, imagining settings and even other characters”). Zu inschriftlichen Belegen für die Beliebtheit des Pantomimus in der Kaiserzeit vgl. Robert (1930), François-Garelli (2004). ὁ σκοπὸς τῆς ὀρχηστικῆς ἡ ὑπόκρισίς ἐστιν, ὡς ἔφην, κατὰ τὰ αὐτὰ καὶ τοῖς ῥήτορσιν ἐπιτηδευομένη, καὶ μάλιστα τοῖς τὰς καλουμένας ταύτας μελέτας διεξιοῦσιν· οὐδὲν γοῦν καὶ ἐν ἐκείνοις μᾶλλον ἐπαινοῦμεν ἢ τὸ ἐοικέναι τοῖς ὑποκειμένοις προσώποις καὶ μὴ ἀπῳδὰ εἶναι τὰ λεγόμενα τῶν εἰσαγομένων ἀριστέων ἢ τυραννοκτόνων ἢ πενήτων ἢ γεωργῶν, ἀλλ' ἐν ἑκάστῳ τούτων τὸ ἴδιον καὶ τὸ ἐξαίρετον δείκνυσθαι κτλ. Vgl. Branham (1989) 18. 20f. 205-210, Webb (2006) 40, Lada-Richards (2007) 152-160.

Auch Apol. trägt Züge sowohl sophistischer wie auch schauspielerischer Performanz, wobei die Grenze zwischen Redner und Schauspieler undeutlich bleibt: Beide streben nach perfekter Verkörperung der jeweiligen Figur (Ethopoiie) und geben deren Worte so wieder, wie diese sie gesprochen haben dürfte.58 Vergegenwärtigt wird eine abwesende Person, deren Rolle bzw. Maske (πρόσωπον) plausibel gespielt wird. Dies lässt Lukian seine Sprecher und Protagonisten virtuell verkörpern, in fiktiver Performanz. 5.4 Die Selbstverteidigung des Autors als literaturgeschichtlicher Diskurs Die Verteidigung einer Autor-Instanz gegen Vorwürfe an ihrem Schaffen, wie von Lukian in Pisc., Pr.Im., Apol., Bis Acc. und z. T. den προλαλιαί verarbeitet, findet sich in der antiken Literatur zu einem Diskurs ausgebildet, dessen Hauptlinien im Folgenden grob aufgezeigt werden sollen.59 So erwähnt der Alexandrinische Dichter Kallimachos im berühmten Prolog der „Aitien“ seine literarischen Kritiker, die er als böse Rachegeister und Musenfeinde („Telchinen“) bezeichnet (Ait. I fr. 1.1 Pf. μοι Τελχῖνες ἐπιτρύζουσιν ἀοιδῇ). Sie werfen ihm vor, dass er keine langen, epischen Gedichte produziere und Kleinpoesie schreibe. Der Sprecher rechtfertigt die Wahl seines poetischen Stils mit dem Rückgriff auf die Erzählung von seiner ‚Dichterweihe‘ durch den Musengott Apoll, dessen göttliche Intervention seinen dichterischen Pfad vorgezeichnet habe, womit Kallimachos den Gestus der recusatio als Bekenntnis zur ‚kleinen‘ Dichtung vor ‚großer‘ Epik begründet (Ait. I fr. 1.21-28 Pf.). So legitimiert er seine Dichtung angesichts der Vorwürfe der anonymen Telchinen. Zentral für das Lukianische Literaturprogramm sind jedoch v. a. die Stücke der Alten Komödie: In der sogenannten Parabase konnte der Chor den Dichter verteidigen (z. B. Aristoph. Nub. 518-562; Eup. fr. 89 PCG „Baptai“). Poetologische Aussagen konnten auch von Protagonisten auf der Bühne getroffen werden.60 Dabei wurde Bezug auf die Karriere des Autors 58

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Vgl. die Definition von Ethopoiie Hermog. prog. 9.1-2 (μίμησις ἤθους ὑποκειμένου προσώπου). Diese Kategorie überlappt sich z. T. mit den Selbstverteidigungen von Philosophen und Rednern für Leben und Lehre, prominenterweise Platons „Apologie des Sokrates“ und Isokratesʼ „Antidosis“. Im Folgenden werden jedoch ausschließlich Texte besprochen, in denen sich Autor-Figuren konkret für literarisches oder dichterisches Schaffen rechtfertigen. Vgl. Aristoph. Ach. 204-571 (Dikaiopolisʼ Verteidigung gegen die zornigen athenischen ‚Patrioten‘), bes. 377-382. 496-556, Thesm. 1160-1163 (Euripidesʼ Rechtfertigung vor

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genommen, Angriffe von Kritikern ad personam wurden abgewehrt.61 Komödienschreiber konnten sich auch selbst als Charaktere auf der Bühne darstellen: So tritt in Kratinosʼ „Pytine“ („Die Flasche“) der Dichter selbst auf, von Κωμῳδία der κάκωσις („schlechte Behandlung“) bezichtigt: Anstatt Komödien zu konzipieren, betrinke er sich die ganze Zeit über (vgl. schol. ad Eq. 400a = Cratin. test. ii Pytine: τὴν δὲ μέμφεσθαι αὐτῷ ὅτι μὴ κωμῳδοίη μηκέτι, σχολάζοι δὲ τῇ μέθῃ). Keith Sidwell konnte zeigen, dass Lukian diese Konstellation in Bis Acc. aufgegriffen hat:62 Wie in Kratinosʼ „Pytine“ tritt in Lukians Bis Acc. eine ‚Autor‘-Figur (der ‚Syrer‘) als dramatis persona auf die Bühne und verteidigt sich und ihr literarisches Programm redegewandt im Prozess. Beide Autor-Figuren lenken den Vorwurf der Untreue jeweils auf die Frau (Κωμῳδία/Ῥητορική) zurück, die sich mit weit schlechteren Männern (d. h. Dichtern/Rednern) eingelassen habe.63 Wie der Komödiendichter nutzt Lukian die fiktive Agon-Situation dazu, auf Literaturkritik zu reagieren bzw. sie imaginär zu antizipieren: Er modelliert die herkömmliche Rhetorik zur Anklägerin, welcher der Syrer genauso kritisch gegenübersteht wie dem philosophischen Dialog Platonischer Provenienz, den Lukian in vielen Schriften für seine Zwecke adaptiert. Auch Luc. Pisc. erinnert an die Struktur eines Stücks der Alten Komödie: Eupolisʼ „Demen“ (vgl. Eup. fr. 99-146 PCG). Darin kommen große Staatsmänner und Gesetzgeber der athenischen Vergangenheit aus dem Hades zurück, um nach der misslungenen Sizilienexpedition Athens als Richter der Gegenwart aufzutreten. Dieser Konstellation scheint die Szenerie der wiederauferstandenen Philosophen in Pisc. (vgl. Eupolisʼ Figur Pyronides mit Lukians Parrhesiades) nachmodelliert zu sein.64 Womöglich musste sich schon bei Eupolis ein alter ego des Dichters gegen Anklagepunkte der wiedererstandenen Richter verteidigen.65 In jedem Falle beweisen spätere Zeugnisse, dass die komische Verspottung des Dichters bzw. eines alter ego auf der Bühne ein Charakteristikum der Alten Komödie

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den zornigen Frauen beim Thesmophorienfest) sowie Ran. 738ff. den Dichter-Wettstreit zwischen Aischylos und Euripides. Vgl. Sidwell (2014) 267: “The most obvious first-person Old Comic poet-narratives are the parabases […], and the fact that Lucian often uses his on-stage character among other things in literary defences might appear to point in this direction.” Vgl. hierzu schon ansatzweise Hirzel (1895) 302f. mit Anm. 3; ferner die Testimonia PCG IV, 219. Es ist an Aristophanes zu denken, der Kratinos 424 v. Chr. in den „Rittern“ verspottet hatte, vgl. Eq. 526-536. Hierzu s. Hirzel (1895) 305f. Vgl. auch Sidwell (2009). Dies versucht Sidwell (2014) 269ff. zu zeigen.

war.66 Laut dem Literaturtheoretiker Platonios verteidigten sich die Dichter in den Parabaseis mittels des Chores gegen Vorwürfe oder erteilten Ratschläge in öffentlichen Angelegenheiten.67 Man kann davon ausgehen, dass die Apologien der Komödiendichter durch den Chor oder eine dramatis persona auf die Rezeption der Alten Komödie wirkten. Auch in Lukians Texten wird, jedoch nicht zum Zwecke autobiographischer Enthüllungen, ein Dichter bzw. Autor mit kritischen Vorwürfen konfrontiert (s. u. A.5.5). Im Bereich der lateinischen Literatur bietet die römische Satire Parallelen solcher Apologien pro domo, wie sie maßgeblich in der Alten Komödie68 sowie in den Texten des hellenistischen Dichters Kallimachos69 ausgeprägt wurden: Hor. serm. 2.1 etwa greift der in Prozessen geschulte Anwalt Trebatius die persona des Satirikers an, der seine Satirendichtung gegen die Angriffe verteidigt und die Vermutung zurückweist, dadurch hochgestellten Freunden zu schaden.70 Die Sprecher-Instanz macht deutlich, dass sie weiterhin unbesorgt satirische Verse dichten werde. Auch serm. 2.7 wird ihr anlässlich des Saturnalien-Fests und der damit einhergehenden Redefreiheit (vgl. 2.7.4-5: libertate Decembri […] utere) vom Sklaven Davus eine Strafpredigt gehalten, wobei generell die literarische Produktion attackiert wird. Entsprechend müssen sich die satirischen Sprecher bei Persius (1.40-47)71 und Juvenal (1.149-171) in ihren programmatischen Auftaktsatiren der Kritik von ficti interlocutores in der Gestalt von kritischen Rezipienten erwehren.72 Die Selbstverteidigungen der Autor-Figur formen einen grundlegenden satirischen Diskurs: Auch Martial verteidigt sich in den Epigram66

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Vgl. Plut. qu. conv. 2.1.12 (634d) τῶν κωμικῶν ἔνιοι τὴν πικρίαν ἀφαιρεῖν δοκοῦσι τῷ σκώπτειν ἑαυτούς κτλ. Vgl. Proleg. ad Aristoph. 2.8-12 Koster οἱ ποιηταὶ διὰ τοῦ χοροῦ ἢ ὑπὲρ ἑαυτῶν ἀπελογοῦντο ἢ περὶ δημοσίων πραγμάτων εἰσηγοῦντο. Zu diesem wenig bekannten Literaturtheoretiker: Nesselrath (1990a) 30-34. Zu “Old Comedy as on-stage self-representation by its poets” vgl. Sidwell (2014) 273. 261-264 (Verspottung der Dichter-persona in der Römischen Satire). Vgl. die personifizierten Literaturkritiker des Kallimachos, Φθόνος und Μῶμος (Kall. h. 2.105-113), mit dem livor-Diskurs in der lateinischen Literatur: Beispielhaft genannt sei der anonymisierte Kritiker-Vorwurf im programmatischen Prolog der Phaedrus-Fabeln (fab. 1 pr. 5 Calumniari si quis autem voluerit). Vgl. programmatisch 2.1.82-83 (si mala condiderit in quem quis carmina, ius est | iudiciumque). Vgl. schon Lucil. fr. 1015-1016 Marx = 1085-1086 Warmington die Inszenierung einer Attacke gegen die Sprecher-persona (gaudes, cum de me ista foris sermonibus differs. | et male dicendo in multis sermonibus differs.). Vgl. die Anrede des advocatus diaboli Pers. 1.44 (quisquis es o modo quem ex adverso dicere feci). Hierzu Braund (1996) 39f. und (2009) 467f., Plaza (2006) 167-256 (“Humour directed at the Persona”).

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men gegen anonyme Kritiker (maligni) seines literarischen Schaffens (7.35), wobei er bisweilen sogar auf die Unterstützung wohlwollender Leser i. S. v. Verbündeten zurückgreift (etwa 4.86, 7.26, 7.72).73 5.5 Lukians Apologien: literarisches Programm und intratextuelle Vernetzung des Gesamtwerks Bei Lukian gibt die Konstruktion fiktiver Vorwürfe der Autor-Person die Möglichkeit, ihre Standpunkte darzustellen. Ein Autor tritt vor ein internes Publikum,74 das eine vermittelnde Instanz zum realen, anonymen (und so vom Autor nicht kontrollierbaren) Publikum darstellt. Es kommt zu einer Selbst-Dramatisierung des Autor-Ichs75 innerhalb einer fiktiven Szenerie. Man erkannte in der Anklage gegen den ‚Autor‘ in Apol. eine Subversion der auktorialen Stimme von Merc.Cond. und deren Rhetorik.76 Der Leser Sabinos erscheint als satirischer Ankläger, der das Ziel hat, inneres Sein von äußerem Schein zu trennen.77 Dem Autor von Merc.Cond. werden so dieselben Laster vorgeworfen wie den von diesem selbst in Merc.Cond. attackierten Schein-Philosophen.78 Die kritischen Reaktionen des Rezipienten entlarven die in Merc.Cond. vorbildlich erscheinende Sprecher-persona und lassen den Modell-Leser Sabinos eine skeptische Position einnehmen: Am

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Laut Keulen (2004) 244 zeigt sich auch bei Lukians Zeitgenossen Gellius und Apuleius die satirische Tendenz, Figuren darzustellen, welche die intellektuellen Neigungen und Eigenschaften der Autoren selbst tragen: “Their sophisticated Roman audience was prepared to look behind the masks of the literary personae featuring in their works, and to recognize authorial views and allusions to the contemporary intellectual debate.” Zu einem solchen Autor-Publikum-Verhältnis vgl. Gal. Lib.Prop. und Ord.Lib.Prop.; Lib. or. 1 und 5. Branham (1989) 31-37 (“comic self-dramatizations”). Ähnlich Goldhill (2002) 71. Vgl. Whitmarsh (2001) 292: “In numerous ways, the Apologia proposes, at least in the first instance, to subvert the authority of the voice in On salaried posts by turning back its own rhetoric”, laut 293 ein “ongoing process of subversion and re-establishment of the authority of Lucian’s own literary voice”). Dies negiert politische Deutungen wie diejenige bei Swain (1996) 322 (Rehabilitierung Lukians im römischen Herrschaftssystem). Dies entspricht der Lukianischen Technik, eine Hauptperson oder ein Sprecher-Ich selbst zu einem Teil der satirischen Welt werden zu lassen und so ein Gefühl der Ernüchterung und der Provokation bei den Rezipienten zu erzeugen, wie Branham (1989) 205-210 plausibel am Beispiel des Sprecher-Ichs von Luc. Alex. zeigt. Vgl. Branham (1989) 210 (“seriocomic stratagem”), 57 (“the disorienting and subversive effects of humor”).

Anfang wird der Standpunkt der Sprecher-persona von Merc.Cond. kritisch hinterfragt, ihr Status destabilisiert und demontiert.79 Doch fühlt sich der Sprecher wie in Pisc. und Pr.Im. auch in Apol. nicht dazu herausgefordert, seine moralische Integrität im Rahmen der Verteidigung herauszustellen (wie z. B. Isokrates in der „Antidosis“). Es zeigt sich bald, dass die Verteidigungen bei Lukian eher dem Zweck dienen, das satirische Potential der vorangegangenen Texte jeweils noch zu erweitern80 und der Autor-persona weiteres Prestige zuzuschreiben. So greift der Verteidiger in Lukians Apologien die Schwächen der Anklage auf und verteidigt sich in hochironischen Reden, die deutlich einen sophistischen Habitus hervortreten lassen.81 Das Sprecher-Ich nutzt die Vorwürfe, um das angebliche Skandalon jeweils in einen Nachweis literarisch-rhetorischer Kennerschaft umzumünzen. Bei den Verteidigungen handelt es sich im Grunde um Schaureden (ἐπιδείξεις), bei denen der Sprecher rhetorische Erfindungsgabe und Behändigkeit beweisen kann.82 Selbstironisch wird dieses Verfahren Apol. 13.2-3 beleuchtet, mit der Ankündigung, der Sprecher wolle sich „übertrieben verteidigen“ (καθ' ὑπερβολὴν ἀπολογήσασθαι). Entgegen einer durchaus plausiblen Erwartungshaltung, der Sprecher werde im Rahmen einer Palinodie jeweils Abbitte für seine literarischen ‚Vergehen‘ leisten (Apol. 1.18-21, Pr.Im. 15), wird der angegriffene Standpunkt vielmehr affirmativ untermauert. Besonders in Apol. macht sich der Sprecher über solche seriösen und ‚reuevollen‘ Apologien lächerlich, indem er (Apol. 8-10) deren Topik auf79

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Zum Hinterfragen der Erzähler-persona vgl. Keulen (2004) 239f., König (2007) 279f. Zur Verteidigung der Dichter-persona vgl. die loci classici Cat. carm. 16.5; Mart. 1.4.8 (lasciva est nobis pagina, vita proba) und bereits als Topos Apul. Apol. 11 (quasi ullum specimen morum sit versibus ludere), wo der Sprecher seine poetische Lizenz (versibus ludere) verteidigt, die nichts über den Charakter des Autors aussage, wobei er u. a. auf Cat. carm. 16.5-6 verweist: Vgl. insg. Apul. Apol. 9-13 mit Hunink (1997) Bd. 2 ad loc. (weitere Literaturverweise). Auch Luc. Prom.Es 2 deutet auf die Fiktionalität literarischen Schaffens (εἴδωλα ἄττα ἐπιδεικνύμεθα). Instruktiv ist Braund (1996) 56. 59 zur Rolle des Sprecher-Ichs der römischen Verssatire. Hierzu s. Saïd (1993) 265: „enfin Lucien tente de se disculper en satiriste. […] [I]l établit la cohérence de sa conduite de manière paradoxale, en montrant qu’en fait il a toujours été payé ou, si l’on veut, vendu.“ Zu Luc. Pisc. vgl. Košenina (1996) 236: „Zunächst bestätigt und verstärkt er die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, um ihnen so für seine Widerlegung Profil und Schärfe zu verleihen.“ Vgl. Branham (1989) 30f., Obermeier (1999) 42: “Lucian emerges from the comedy vindicated, in an intertextual way re-affirming the initial premise in [Vit.Auct.] but having turned seeming self-criticism and retribution into another triumph of his verbal craft.”

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zeigt.83 Apol. 15 wird schließlich der Sinn und das Ziel einer Apologie, mit welcher die Unschuld des Sprechers bewiesen werden soll, in Frage gestellt. Mit dem Anklang des Titels „Apologie“ an die Verteidigungsrede des Sokrates, wie sie außer durch Xenophon v. a. durch Platon in literarischen Rang erhoben wurde, sowie durch die Übernahme der poetischen Lizenz der Alten Komödie, sich für literarisches Schaffen und gegen Vorwürfe an der Autor-persona zu verteidigen, wird in Lukians Apol. auf eine Poetologie Bezug genommen, die auch für andere Texte seines Werks geltend gemacht werden kann: das Projekt einer Verbindung von Platonisch-Sokratischer Literatur und Alter Komödie (vgl. Bis Acc. 34, Pisc. 25-26, Prom.Es 6). In den Apologien rezipiert Lukian beide literarischen Traditionen, wenn die satirische Autor-persona in fiktiven Gerichtsprozessen redegewandt Vorwürfe widerlegt. Die Apologien legen Zeugnis ab vom innovativen Schaffen eines Autors, der aus der literarischen Tradition neue Formen satirischen Schreibens entwickelt84 und humorvoll Distanz erzeugt: Erwarten die Rezipienten z. B. etwas Analoges zu Platons „Apologie des Sokrates“, treffen sie stattdessen auf die Apologie eines dreisten ‚Starsophisten‘, was den Gegensatz zum literarischen Modell nicht größer machen könnte.85 Auch Platons „Phaidros“ dient in gewisser Hinsicht als Vorbild für Lukians „Apologie“:86 Nachdem Sokrates Phaidr. 237b-241d eine improvisierte Antwortrede auf die von Phaidros rezitierte Rede des Lysias (beide Reden betonen die Vorzüge unerotischer Freundschaft) gehalten hat, fürchtet er, sich an Eros versündigt zu haben und will eine Widerrede für Eros produzieren. Entsprechend hält er 243e-257b eine zweite Rede, in der er für die gegenteilige Auffassung plädiert und Eros verherrlicht. Bei seiner Palinodie beruft sich Sokrates 243b wie Lukians Sabinos Apol. 1 auf Stesichoros, der durch seinen Widerruf Entschädigung dafür leisten musste, Helena zuvor beleidigt zu haben (vgl. PMG 187-191 sowie 192-193; Isokr. or. 10.64). So könnte der Leser von Lukians Apol. bei der Erwähnung der Stesichoreischen „Palinodie“ auch eine Abbitte des Sprechers für die in der Schrift Merc.Cond. geäußerten Beschuldigungen erwarten: Doch der Angegriffene wird von Ste83

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Vgl. Obermeier (1999) 42 (“Lucian lays open the thoughts and motives of an author who wishes to apologize”). Luc. Apol. “can […] be considered a metatextual document relating to auctorial apologies, for it discusses them more than it engages in them.” Vgl. Branham (1989) 28-37, bes. 31f. (“self-advertisement posing as self-defense”). Zu Lukians ironischem Umgang mit der identitätsstiftenden Literaturtradition vgl. Branham (1989) 104. Lukian spielt Apol. 1 (Sprichwort ὀστράκου μεταπεσόντος: Phaidr. 241b4-5; Erwähnung von Stesichorosʼ Palinodie: Phaidr. 243b) auf die Schrift an. Zur Beliebtheit des „Phaidros“ im 2. Jh. n. Chr. vgl. Trapp (1990).

sichoros (und Sokrates) abweichen und seinen Standpunkt umso deutlicher herausstellen (vgl. Apol. 11-15). Über die Textform der Apologie für ein anderes Werk eröffnet Lukian Verbindungen und Deutungslinien zwischen Vit.Auct. und Pisc., Im. und Pr.Im., Merc.Cond. und Apol. Dadurch wird den Rezipienten das Angebot gemacht, die Texte i. S. v. zusammengehörigen ‚Schriftenpaaren‘ linear zu lesen.87 Das ‚Fortschreiben‘ des Werkes durch solche Verknüpfungen unterbreitet v. a. das Angebot, intratextuelle Referenzen wahrzunehmen: Bei der Lektüre von Pisc., Pr.Im. und Apol. wird die Kenntnis der vorangegangenen Texte (Vit.Auct., Im., Merc.Cond.) vorausgesetzt. Dies schafft eine Art von ‚Werkbewusstsein‘; das Korpus der Texte Lukians wird zum autoritativen Referenzsystem bzw. ‚Kanon‘, wodurch scheinbar verstreut angeordnete Schriften des Œuvres vernetzt werden. Die Wahrnehmung, es handle sich bei den multithematischen und stilistisch z. T. sehr divergenten Texten um ein kohärentes Korpus, könnte die noch antike Hinzufügung pseudepigraphischer Texte zu Lukians Werk erklären oder den Willen, sich in Lukianische Diskurse durch Imitation einzuschreiben. ‚Werkbewusstsein‘ zeigt sich v. a. darin, dass in Lukians Texten auf andere Texte verwiesen wird (vgl. VH 2.47 ἐν ταῖς ἑξῆς βίβλοις διηγήσομαι) oder über den Entstehungsprozess eines Buches bzw. die Publikation eines anderen Textes desselben Œuvres reflektiert wird: So ist aus dem λόγος, wie der Sprecher von Merc.Cond. seine Mahnung an Timokles nennt (z. B. 4), in Apol. 1 ex post ein βιβλίον geworden (bzw. ein σύγγραμμα). Ähnlich wird Pisc. 26 die Schrift Vit.Auct. als πάχυ βιβλίον bezeichnet. Im. 23 wird mit βιβλίον antizipativ der in derselben Schrift geführte Dialog bezeichnet, der verwandelt in ein Buch zukünftigen Rezipienten zur Verfügung steht. Pr.Im. 14 wird die Neu-Edition oder Überarbeitung einer bereits in Umlauf geratenen Rede (Im.) thematisiert.88 So können die Rezipienten die Texte einem Werk zuordnen, in das sich letztere mittels intratextueller Verweise einschreiben. Gleichzeitig schützte die Etablierung eines solchen Binnenreferenzsystems oder Werks vor möglichen Verwirrungen über die Identität des Autors, wie sie die Hinzufügung pseudepigraphischer Texte mit sich brachte. 87

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Für eine einheitliche Konzeption des Dialogpaars Im.-Pr.Im. votieren Bretzigheimer (1992) 162-166 und von Möllendorff (2004) 15 mit Anm. 37. Zur Kohärenz von Vit.Auct. und Pisc. vgl. Bruns (1888) 97: Erst in der zweiten Schrift löse sich für den Hörer „die Spannung, in die ihn das noch immer nicht ganz erklärte Räthsel der Auctio versetzt hatte.“ Biographistische Vermutungen finden sich bei Schwartz (1965) 109 mit Anm. 2. 126. Anderson (1976) 166 Anm. 46 bietet Spekulationen zum Verlust weiterer ‚Folge-Schriften‘ in der Überlieferung. εἰ μεταρρυθμιεῖς τὸν λόγον ἤδη διαδεδομένον κτλ. Vgl. Bompaire (1993) LII.

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Welcher Text stammte noch von Lukian, welcher folgte lediglich seinem Stil? Lange vor der Einführung des Urheberrechts89 scheinen Kontroversen über den Autor eines literarischen Textes alltäglich gewesen zu sein, wie exemplarisch der Fall von Lukians Zeigenossen Galen zeigt, der sich über literarische Fälschungen, die unter seinem eigenen Namen kursierten, beklagt.90 Galen spricht wiederholt von der Gefahr unkontrollierter Verbreitung von Schriften, in deren Verlauf die Autorschaft eines Textes bestritten werden konnte.91 So scheint Lukian mit Hilfe der Konstruktion eines Nexus zwischen einzelnen Texten seine Autorschaft bekräftigt zu haben. Als Kohärenz-Marker dienen nebst Anspielungen92 v. a. formale und inhaltliche Kontinuität:93 Entsprechend können die fiktiven Prozess-Szenarien in Lukians Werk wie auch die eigentlichen Apologien des Satirikers (Apol., Bis Acc., Pisc., Pr.Im.), denen jeweils eigener literarischer Wert beizumessen ist, als typisch für Lukian gelten. Die Bildung von Schriftenpaaren im Gesamtwerk Lukians deutet auf ein Bewusstsein des Autors für das durch die Verbreitung der Texte entstehende Problem der Autorschaft und damit verbunden den Willen zur Selbstkanonisierung des Œuvres. Das Bestreben, Autorschaft gewissermaßen mit einem Folgetext zu ‚stempeln‘ und damit zu ‚schützen‘, mag auch stets wiederkehrende Muster in Lukians Texten, wie z. B. das Auftreten der Figur Lykinos oder die Entlarvung von ScheinGebildeten, ferner die Abfassung formal ähnlich gestalteter Schriften wie der Dialogi minores veranlasst haben. Die Texte konnten aufgrund repetitiv eingesetzter Elemente vom Rezipientenkreis als ‚Lukianisch‘ eingeschätzt werden. Solche Kohärenz-Marker konnten als σφραγῖδες des Autors gelten, der sein Werk auf unverwechselbare Weise ‚stempelte‘ und als ihm zugehö89 90

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Vgl. zu dessen Entstehung Rose (1993). Vgl. Gal. HNH I Kühn vol. 15 24, 104-105 = CMG V 9.1 p. 14f., 54f., HNH II Kühn vol. 15 praef. 109 = CMG V 9.1 p. 57, Lib.Prop. Kühn vol. 19 8 = SM 2 p. 91 = Boudon-Millot Prol. Zu Klagen über Werkplagiate vgl. Mart. 1.29, 1.38, 1.52 und 53. Zum Plagiat in der Antike: Stemplinger (1912), Ziegler (1950), Speyer (1971), Syme (1972), Mülke (2008) 83ff. (das Kapitel „Offene Literatur und „work in progress“?“), Martínez (2011), McGill (2012) bes. 10-12. Vgl. Hanson (1998) 30 (“publication of one’s writing throughout antiquity consisted of giving out copies to one’s friend with the expectation that they would share the work with others and arrange for additional copies to be made”). Ní-Mhellaigh (2014) 20-22 analysiert die Vergleiche von Texten mit zerbrechlichen Gegenständen bei Lukian: Die irreversible Verbreitung von Schriften thematisiere er vielerorts. So ist Fug. 1 (Selbstverbrennung des Peregrinos in Olympia) intratextueller Verweis auf Luc. Peregr. Vgl. Phal. 1-2, VH 1-2, Im.-Pr.Im., Vit.Auct.-Pisc., Merc.Cond.-Apol. oder die Skythendialoge Tox., Scyth. und Anach. Letztere offenbaren bei sequenzieller Lektüre ein bestimmtes Narrativ: Vgl. Hafner (2015).

rig deklarierte. Die σφραγίς als repetitiv eingesetzter Selbstverweis bzw. ‚Marker‘ war ursprünglich Teil des kitharodischen Nomos, wobei ein Dichter mit der Nennung seines Namens ein Werk „siegelte“ und damit als Eigentum kennzeichnete. Besonders hellenistische Dichter wie Kallimachos in den „Aitien“,94 Vergil (georg. 4.559-566) oder Horaz (carm. 3.30, ep. 1.20.20-28) kennzeichneten in Schlussgedichten den Text als ihr Eigentum. Oft ging eine solche σφραγίς mit der Verteidigung des eigenen innovativen literarischen Stils einher, wie es sich für Timotheos, der sein dichterisches Programm gegen konservative Kritik verteidigte,95 oder Kallimachos (vgl. h. 2.105-113 das Auftreten von Φθόνος und Μῶμος, der personifizierten Literaturkritik)96 zeigen lässt. Schon die Parabaseis der Alten Komödie vermittelten Botschaften der Dichter. Lukian, der nie als er selbst auftritt, dürfte die σφραγίς fiktionalisiert haben, indem er im Rahmen fiktiver Gerichtsprozesse Autoren-Figuren wie den ‚Syrer‘, Parrhesiades, Lykinos oder den anonymen Autor von Merc.Cond. auftreten und sich in Apologien gegen Kritik an literarischen Produktionen wehren ließ. Die Streitgespräche zwischen Anklage und Verteidigung, ein wiederkehrendes Konzept in Lukianischen Texten, deuten auf den innovativen Umgang des Schriftstellers mit einem besonderen rhetorischen Kunstmittel: der Antilogie, die zum Instrumentarium der Sophistik gehörte. Man denke an Antiphons „Tetralogien“ oder die in den antiken προγυμνάσματα angewandte Methode, einen Wettstreit gegenseitiger Ansichten durchzuführen und einen Satz zunächst als wahrscheinlich, sodann als unwahrscheinlich zu erweisen (κατασκευή: Ausarbeitung des Themas bzw. confirmatio; ἀνασκευή: Widerlegung/refutatio: Vgl. Aphth. prog. 5-6; Hermog. prog. 5).97 Ein Zeitgenosse Lukians, der Sophist Maximos von Tyros, behandelte in mehreren seiner Reden („Dialexeis“) den in einer Vorrede ausgeführten Standpunkt in der Folge kontrovers: So wird etwa or. 16.1b mittels der Metaphorik von κατηγορία und ἀπολογία an eine vorangegangene Rede angeknüpft (δῶμεν τήμερον τὴν ἀπολογίαν τῷ ἑτέρῳ τῶν λόγων). Auf die Technik einer gegen sich selbst gerichteten Anklage (ἀνασκευή), worauf der fiktive ‚Gegner‘ durch die Verteidigung in unhaltbare Widersprüche verwi94 95

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Hierzu Kranz (1961) 102f. Vgl. Tim. Pers. 215-248; Poll. 4.66; allg. DNP 11 (2001) Sp. 819f. s. v. Sphragis Nr. 3 (H. A. Gärtner). Μῶμος steht in der Folge auch bei Lukian für Literaturkritik: Vgl. Bacch. 8. Zur Personifikation vgl. Deor.Con. passim, DIud. 2, Herm. 20, Hist.Cons. 33, Icar. 32, ITr. 18ff. Erbe der sophistischen Antilogik war die fiktive juristische Übungsrede der römischen Rhetorik, controversia: der anspruchsvolle Abschluss der kaiserzeitlichen Rednerausbildung (Tac. dial. 35).

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ckelt wird, greifen noch im 4. Jh. Iulian (ep. Ath. 273c-274a, 281c-282b) und Gregor von Nazianz (or. 2.1 τὸ μέν τι κατηγορήσας ἐμαυτοῦ, τὸ δὲ ὑπεραπολογησάμενος) zurück, um ihre jeweilige Position in Brief oder Rede publizistisch zu rechtfertigen.98 Das Sprechen in utramque partem bewies noch bis in die Spätantike die rhetorische Fertigkeit eines Autors: „Denn ob nun in Form einer Palinodie die vorher ausgeführte Ansicht zurückgenommen wird, ob in Gerichtsreden für und wider die Integrität einer Person gestritten wird, ob in deliberativen Auseinandersetzungen entgegengesetzte Standpunkte verfochten werden – in rhetorischer Beziehung handelt es sich um das gleiche Kunstmittel.“99 Lukian machte mit Vorliebe hiervon Gebrauch. Mittels ἠθοποιία werden in seinen Texten Gegenstimmen und eine Polyphonie erzeugt, die keine Beschränkung auf eine einzelne Perspektive zulässt.100 Die Konstruktion rhetorischer Antagonismen variiert virtuos Ansprüche und Themen der zeitgenössischen Deklamationskultur: In Apol. findet der Prozess unter dem Vorsitz des Hermes Logios statt, was auf den Charakter des Textes als rhetorisches Übungsstück verweist.101 Die Rezipienten des Textes dürfen sich in die Rolle der Hörer sowie der Richter versetzen. Als Publikum der ἐπιδείξεις wird ihnen das Angebot unterbreitet, selbst über die Validität der Argumente und den Prozessausgang zu entscheiden.102 98

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Insofern irrt Fuhrmann (1979) 690, wenn er meint, der „Weg der künstlich vorausgesetzten Anklage [sei seit Isokratesʼ „Antidosis“] denn auch nicht wieder begangen worden.“ Bruns (1888) 99 mit Verweis auf Maximos von Tyros. Vgl. Branham (1989) 57. 102 zu Lukians Imitation sowie Subversion des Platonischen Dialogs (“Lucian’s technique is not to persuade us of the truth of one of two opposed dogmas but to generate comically disorienting contrasts between traditional “truths,” and thereby to reveal both the kind of validity that inhabits the tradition and why that validity is merely partial”). 103f. (“incongruity of any single way of seeing a subject”). Von Möllendorff (2000) 562-564 spricht von der „Widerstrebigkeit von Selbstaffirmation und ironischer Selbstdemontage“ bei Lukian. Das ‚Sprecher-Ich‘ geißle die Diskrepanz von „Schein und Sein, Anspruch und Umsetzung, Theorie und Praxis“ (563), sei jedoch selbst dieser Diskrepanz verfallen (z. B. Apol., Pr.Im., Philops.). Somit werden in den Texten verschiedene Formen der ‚Selbstdemontage‘ literarisch vorgeführt. Vgl. Said (1993) 264. Nicht unterschätzt werden sollte der Aspekt trügerischer Rhetorik: Vgl. Kahn (1978). Vgl. Bruns (1888) 101: „Die Vortheile des apologetischen Vorgehens liegen ja auf der Hand. Die Theilnahme des Hörers ist von vornherein stärker in Anspruch genommen; es ist das Recht des Angegriffenen, sein Publikum tiefer in die Betrachtung von Einzelheiten und persönlichen Dingen hineinzuziehen, als es dem objektiv Vortragenden erlaubt wäre. Der Hörer, vor welchem zu eigener Entscheidung die Gründe für und wider scheinbar unparteiisch entwickelt werden, lässt sich nur um so wirksamer beeinflussen.“

Schon in Isokratesʼ „Panegyrikos“ erscheint sprachlich-literarisch verstandene Bildung als das wichtigste Instrument menschlicher Kommunikation. Noch in Lukians Zeit bedeutete Teilhabe hieran Sozialprestige.103 Auch Lukians Apologien liegt ein solches Konzept von παιδεία zugrunde:104 Ideale Bildung ereignet sich ausschließlich im sprachlichen Vollzug, als kommunikative Interaktion, welche die Rezipienten im aktiven Nachvollzug verfolgen und beurteilen können. Wenn die Prozessparteien zur Untermauerung ihrer Standpunkte und Überbietung des Gegners Zitate klassischer Texte verwenden oder mit rhetorisch kunstfertigen Überzeugungsstrategien operieren, dann positioniert sich der Autor dieses Streitgesprächs auch selbst im kaiserzeitlichen παιδεία-Diskurs. Im Streitgespräch lassen sich poetologische oder stilistische Aussagen vermitteln. Über den Bezug auf ein gegenwärtiges Problem können auch politische Themen verhandelt werden.105 Beide Parteien vergewissern sich innerhalb des Diskurses der eigenen Bildung sowie derjenigen des Gegenübers und bestätigen durch das Austauschen von Bildungswissen mit Gleichgesinnten die soziale Zugehörigkeit zur gebildeten Elite. Die in Apol., Pr.Im. und Pisc. vorliegende Diskussion zwischen dem Autor einer Schrift und den kritischen Rezipienten zeichnet einen Diskurs über die Rezeption literarischer Werke sowie deren Voraussetzungen nach. So konnten sich die Rezipienten von Merc.Cond. (sowie Apol.) in Sabinos, dem kritischen Leser, wiedererkennen. Über diese Vermittlerfigur nehmen auch sie Teil an einem Gespräch, in dem unterschiedliche Bildungsthemen wie die Frage, was valide und eher topische Argumente sind, diskursiv verhandelt werden.106 Damit führen Lukians fiktive Streitgespräche παιδεία lebendig vor Augen.

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Zur Sprache als Kriterium von Bildung in der Zweiten Sophistik vgl. Schmitz (1997) 83ff. Zu „Breite“ und „Tiefe“ der performativ erwiesenen Bildung vgl. von Möllendorff (2004) 22, Johnson (2010) 168. Vgl. exemplarisch zu Lukians Dialogi minores von Möllendorff (2010). Vgl. Horst (2013) 141ff. Die Lukianischen Dialoge bieten Rückschlüsse auf entsprechende Aushandlungsprozesse von Werten an: Vgl. Branham (1989) 104.

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6. Exkurs II: Das sophistische (Erfolgs-)Narrativ in seinen Spielarten bei Lukian In Lukians Apol. ändert das Sprecher-Ich in der Rolle des Verteidigers plötzlich seine argumentative Strategie. In die rhetorische Apologie eingeschrieben wird ein ‚autobiographischer’ Bericht, worin der Sprecher sein Amt in Ägypten (Apol. 12-14) sowie eine Gallienreise (Apol. 15) beschreibt. Diese Erwähnung ist als ‚Glaubwürdigkeitsformel’ lesbar.107 Wie bereits in Sokratesʼ sowie Isokratesʼ Apologien dargestellt, verlangte die Verteidigung eines Angeklagten auch die Darstellung seines vergangenen Lebens, da früheres Handeln das gegenwärtige als authentisch beglaubigen und zugleich legitimieren konnte. Das eigene Ich, umrissen im Leben und Denken, sollte dabei als zwischen einst und jetzt identisch erscheinen: Das Argument dieser Identitätstopik, über die Zeiten hinweg und trotz veränderter Umstände stets derselbe gewesen zu sein, erwies den Sprecher als wahren Philosophen bzw. (wie im Falle Lukians) Sophisten und formte seinen βίος zu einem „ästhetischen Gegenstand“.108 Sein Amt in der Αἰγυπτία ἀρχή weist den Sprecher als Mitglied der Verwaltungs-Elite des Imperium Romanum aus, die Anekdote von dem einstigen Treffen zwischen Sabinos und dem Sprecher in Gallien betont die Identität desselben als eines weitgereisten Starsophisten. Man hat beides wiederholt für bare Münze genommen und darin seltene Durchblicke auf den βίος Lukians gesehen.109 Es ist jedoch methodisch fragwürdig, in ausgewählten Texten Lukians biographistische Vermutungen anzustellen,110 bei ande107

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Zu dieser Strategie der Autorisierung in den Reden Dions von Prusa vgl. Krause (2003) 21-24. Krause beschreibt die Selbstdarstellung des Intellektuellen bei Dion im Spannungsfeld von Rhetorik und Philosophie, d. h. als ῥήτωρ, σοφιστής und φιλόσοφος. Wenngleich sich Lukian nicht zum Philosophen stilisiert, weist die von ihm inszenierte ‚Bildungsbiographie‘ markante Ähnlichkeiten mit dem sophistischen βίος Dions auf. Fuhrmann (1979) 689 (über Apologie und Identität bei Sokrates und Isokrates). Fuhrmann (1979) 686 sieht beim Einsatz autobiographischer Elemente in apologetischen Kontexten eine zweifache Begründungsstruktur am Werk: a) den Anspruch auf Individualität („Ich bin etwas Besonderes“) und b) den Anspruch auf Identität („ich bin stets derselbe gewesen“). Besonders in Isokratesʼ „Apodosis“ (or. 15.7) werden diese Ansprüche eindrücklich auf den Punkt gebracht (der Sprecher hoffte, καὶ τὰ περὶ ἐμὲ μάλιστα γνωσθήσεσθαι καὶ τὸν αὐτὸν τοῦτον μνημεῖόν μου καταλειφθήσεσθαι πολὺ κάλλιον τῶν χαλκῶν ἀναθημάτων). S. hierzu Schwartz (1965), Jones (1986) 9f. Vgl. Baldwin (1973) 16f. mit Anm. 52, Alexiou (1990) 16-18. Vgl. die Kritik bei Schirren (2005) 146. Nach Nesselrath (1990) 116, Lukian “avoided any reference to himself that might have seemed to personal”, was ebd. jedoch nur für die frühen προλαλιαί gilt, während Lukian in die späteren persönliche Gefühle oder Reakti-

ren den fiktionalen Charakter zu betonen und eine “authorial distance”111 zu den sprechenden und handelnden Figuren vorauszusetzen. Denn jede Schrift setzt neu zu bestimmende Kontexte und Sprecher-Rollen voraus. In Somn. (Traumerzählung), Apol., Bis Acc., Laps., Prom.Es (rhetorisch durchstilisierte Apologien) sowie den προλαλιαί (kunstvolle Eröffnungsreden) Bacch., Dips., Electr., Harm., Herc., Herod., Scyth., Zeux. zeichnet das Sprecher-Ich jeweils eine ‚Bildungsbiographie‘ nach. Es porträtiert sich selbst in verschiedenen Skalierungen als erfolgreichen Sophisten.112 Charakteristika sind rhetorischer Erfolg beim Publikum, die Reisen des Sophisten an verschiedene, weit auseinanderliegende Orte der unter den Römern stabilisierten οἰκουμένη sowie die Kontaktaufnahme mit der dortigen Bevölkerung über die rhetorische Tätigkeit (Apol.: Gallien, Ägypten, Bis Acc.: Ionien, Griechenland, Italien, Gallien, Dips.: Nordafrika, Electr.: Norditalien, Herc.: Gallien, Herod.: Makedonien, Laps.: möglicherweise Italien/Rom, Scyth.: Makedonien, Somn.: möglicherweise113 Syrien, vgl. Syr.D.). Zentral ist auch das Bemühen um ein gutes Verhältnis mit der lokalen Honoratioren- bzw. Gebildetenschicht sowie herausragenden, für ein Patronageverhältnis geeigneten Personen (vgl. Harm., Laps., Scyth.). Konsequenzen der rednerischen Tätigkeit sind Ruhm (Harm., Scyth.) und Reichtum (Apol., Herod., Somn.). Zusammengefasst entsprechen diese Aspekte den Versprechungen der personifizierten Παιδεία Somn. 13 (σχῆμα εὐπρεπὲς καὶ τιμὴν καὶ δόξαν καὶ ἔπαινον καὶ προεδρίας καὶ δύναμιν καὶ ἀρχὰς καὶ τὸ ἐπὶ λόγοις εὐδοκιμεῖν). Allen diesen Texten ist gemeinsam, dass sie das (wie ich es hier nennen möchte) ‚Erfolgs-Narrativ‘ eines Starsophisten nachzeichnen, dies jedoch stets indirekt, da die Texte durch deutliche Fiktionalitätssignale gekennzeichnet sind, z. B. als Traum, Verteidigungsrede oder Epideixis

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onen auf das Publikum eingestreut habe. Dies vernachlässigt jedoch den Fiktionalitätsgehalt von Herc. oder Bacch. und das darin konstruierte sophistische Narrativ, das keine biographischen Rückschlüsse erlaubt. Vgl. Branham (1989) 20f. 28-37. Laut Saïd (1993) 265 sei die für autobiographisches Schreiben typische Distanz zwischen erzählter Vergangenheit und Gegenwart bei Lukian nicht zu finden. Vgl. 270 („l’œuvre de Lucien et donc aux antipodes de l’autobiographie. […] On pourrait, en le parodiant, dire que le «je» de Lucien, précisément parce qu’il est toujours le «je» d’un rôle, est paradoxalement plus sincère que le «je» de l’autobiographie, parce qu’il ne cherche jamais à faire prendre le «je» de l’écrivain pour un «je» réel.“). Vgl. Nesselrath (1990) 140 und Goldhill (2002) 67-82. In Anlehnung an Serge Doubrovsky könnte man von einer Spielart der Autofiktion sprechen: Vgl. hierzu Zipfel (2009). Zu Lukian Colonna (2004) 21-66. Vgl. Somn. 18 (πρὸς ὑμᾶς ἐπανελήλυθα). §17 (Einwürfe kritischer Hörer) wird diese Fiktion durchbrochen.

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(sophistische Vortragssituation) inszeniert werden. Auch die Rahmenhandlungen der Texte entbehren i. d. R. Angaben zu Ort, Zeit und Akteuren. Durch unscharfe Vagheit und Abstraktheit erscheint das Gesagte verallgemeinert. Trotzdem teilen viele Texte formale Merkmale wie die Anrede des Adressaten bzw. Publikums sowie einen proleptischen Bezug auf einen imaginären Vortrag. Obwohl keine die Texte verbindende Kohärenz von Sprecher-Ich und Angesprochenen feststellbar ist und rhetorischer Auftritt und sophistischer Erfolg aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden, sind die Inszenierungen und Auftritte doch Charakteristika eines literarischen ‚Porträts‘. Das breite Spektrum entsprechender Darstellungen deutet auf ein großes Interesse an solchen Inszenierungen.114 Lukians Schriften Somn. und Apol. nehmen hierbei besondere Stellung ein: In der „Traumschrift“ wird retrospektiv der Beginn des sophistischen Werdegangs geschildert. Darin eingefügt sind wiederum Prophezeiungen von ‚Frau‘ Παιδεία über die von ihr gewährten Möglichkeiten (Reisen, Ruhm, Reichtum, Erfolg etc.). Diese Versprechungen der „Bildung“ zeichnen, wenn auch z. T. ironisch überhöht, das biographische Narrativ eines erfolgreichen Sophisten nach.115 In Apol. scheinen diese ‚früheren‘ Versprechungen (Somn. 9-13, passim) eingelöst: Denn hier resümiert der Sprecher ‚rückblickend‘ die Segnungen der Bildung, die seine Karriere in der römischen Reichsverwaltung begünstigt haben, wie auch die Vorteile, die das Leben im Zeichen der παιδεία mit sich gebracht hat. Somn. 15 wird der sophistische βίος in das Bild des im Wagen der Demeter fahrenden Heros Triptolemos gefasst. Triptolemos hatte sich bereits im 4. Jh. v. Chr. zur einer Symbolfigur gewandelt, mit welcher der kulturelle und politische Führungsanspruch Athens in der griechischen Welt plausibel gemacht wurde. Während Triptolemos im Mythos von Eleusis den Drachenwagen besteigt, um das Wissen über den Ackerbau in die Welt zu bringen (Hom. h. Dem. 153 mit Richardson ad loc.; Soph. fr. 596-617a TrGF; Ov. met. 5.642-661; Ps.-Apollod. bibl. 1.32: τὴν ὅλην οἰκουμένην δι' οὐρανοῦ αἰρόμενος κατέσπειρε), habe laut Isokr. or. 4.28-30 und Aristid. or. 1.31-38 die Polis Athen gleich dem Heros der Welt Anteil an ihren Kulturleistungen gegeben. Ein ursprünglich eleusinisches Geschehen wurde damit im Laufe der Zeit vollständig athenisiert.116 In Lukians „Traumschrift“ er114

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Zu den literarisch inszenierten Konversionen des Rhetors Lukian vgl. Kasulke (2005) 107-132. Vgl. Branham (1989) 28: “the praise of “culture” coincides rhetorically with an artful celebration of the speaker’s own powers as self-praise becomes the vehicle for demonstrating the special mastery the speaker’s reputation implies.” Zum Wandel des Kulturheros Triptolemos in der Antike s. Nesselrath (2013).

scheint Triptolemos als ‚Proto-Sophist‘, der im Wagen der Παιδεία über die gesamte οἰκουμένη getragen wird.117 Der in einer traumhaften Prophezeiung erlebte Flug vom Osten in den fernen Westen (Somn. 15) ist eine Chiffre für die Möglichkeit, durch die angewandte Kenntnis klassischer attischer Sprache, Literatur und Rhetorik (was insgesamt der Begriff παιδεία umfasst) die Welt zu bereisen und ebendafür Ruhm zu ernten.118 Bemerkenswerterweise wird auch Flor. Verg. 2.4 der Flug des Triptolemos im Demeter-Wagen als Bild für die umtriebigen Touren der Sophisten durch die Welt verwendet.119 Damit spiegeln Lukians Texte das universale Konzept des römischen Weltreichs, wie es in der Literatur des 2. Jh. n. Chr. dargestellt wurde: Einheit, Mobilität und ‚unbegrenzte Möglichkeiten‘ werden exemplarisch mittels sophistischer Tätigkeit veranschaulicht. Wie in Lukians „Traumschrift“ werden auch in der „Apologie“ programmatische Aussagen über die sophistische Sprecher-persona gemacht. Auch hier wird das Porträt eines erfolgreichen sophistischen βίος entworfen. Dieser wird in Somn. durch den Vergleich mit dem Kulturheros Triptolemos ‚mythopoietisch‘ überhöht.120 Darin werden Anspruch und Selbstbewusstsein der zeitgenössischen Starsophisten z. T. humorvoll dargestellt,121 z. T. ist der Text protreptisch lesbar, als Mahnung, den Weg der 117

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Vgl. Somn. 15 (ἀρθεὶς δὲ εἰς ὕψος ἐγὼ ἐπεσκόπουν ἀπὸ τῆς ἕω ἀρξάμενος ἄχρι πρὸς τὰ ἑσπέρια πόλεις καὶ ἔθνη καὶ δήμους, καθάπερ ὁ Τριπτόλεμος ἀποσπείρων τι εἰς τὴν γῆν). Zum Flug über die Erde vgl. auch Fug. 25, Nav. 44, Rh.Pr. 6, sowie Cont. und Icar. Die Wissbegierde lässt den Menschen (vgl. VH 1.5) zu anderen Völkern wandern, um dort Erfahrungen und Weisheit zu sammeln. So treibt es die Skythen Toxaris und Anacharsis zu den Griechen, um deren παιδεία zu erlernen: Vgl. Anach. 14, Scyth. 4, Tox. 57; allg. hierzu Hafner (2015). Vgl. Hopkinson (2008) 107: “the chariot-ride represents Lucian’s future travels as a speaker, and what he modestly refrains from mentioning is that the rhetorical performances ‘sownʼ by him during his travels have brought him worldwide fame.” Dort stattet das Sprecher-Ich einem Baetiker Bericht von seinen Reisen vor der Ankunft in Tarraco (span. Tarragona) ab: vides, hospes, quae spatia caeli peragraverim, quae maris quaeve terrarum. non aliter mehercules, si conferre parvis magna licet, sacer ille iuvenis terras pervolitavit, cui Terra mater capaces oneraverat frugibus amictus, et cum alite serpente currum ipsa iunxisset, nisi toto orbe peragrato vetuit suas redire serpentes. Zur Beliebtheit des Triptolemos als eines Sinnbilds für ein Goldenes Zeitalter im 2. Jh. n. Chr. (Abb. auf Bronze-Medaillons des Antoninus Pius und der Faustina): LIMC 8.1 (1997) 56-68 s. v. Triptolemos (G. Schwarz). Vgl. Raina (2001) 409, Pirrotta (2012) 375. 381. Vgl. Gera (1995), Humble/Sidwell (2006), Iannucci (2009). In Lukians Texten wird die zeitgenössische Rhetorik, v. a. diejenige der deklamatorischen Übungen, häufig verspottet, vgl. Bis Acc. (der ‚Syrer‘ verunglimpft ‚Rhetorik‘ und die ihm sinnlos erscheinenden Deklamationen) mit Branham (1989) 35. Laut Iannucci (2009) 109-112 ist Παιδεία in Somn. eine Karikatur, die zweideutige Moral und blanken

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Bildung durch Orientierung an einem erfolgreichen Rollen-Modell einzuschlagen. Die in Somn. prophezeiten Versprechungen der Bildung werden in Apol. gewissermaßen aus der erfolgreichen Rückschau des Sophisten wiederaufgenommen: Wie Triptolemos hat den Sprecher, einen Sophisten, die Bildung in Gestalt der ῥητορικὴ τέχνη von der Provinz Ägypten bis in das im fernen Westen gelegene Gallien geführt. Die Wahl einer losen Briefform in Apol. scheint dies zu unterstützen: Bereits in den unter Platons und Epikurs Namen überlieferten Privat-Briefen dient der Brief als Vehikel für die Darstellung protreptischer Inhalte oder einer nachahmenswerten vita. Die Briefform vermittelt Authentizität und Vertrautheit gegenüber den angesprochenen Freunden und versucht vermeintlich den textinternen Adressaten, darüber hinaus einen textexternen, weiteren Rezipienten-Kreis von bestimmten Ansichten des Adressanten zu überzeugen. So nimmt auch in Luc. Apol. die Bezeugung des Sprechers, bei dem angetretenen Amt handle es sich um eine gesellschaftlich prestigevolle und nützliche Position, breiten Raum ein.122 Lukians Texte, in denen ein solcher sophistischer βίος inszeniert wird, sind nur insofern autobiographisch, als sie die Spielräume des Sophisten in der öffentlichen Wahrnehmung ausloten.123 Die Rollen des Sprecher-Ichs spiegeln gesellschaftliche Selbstpositionierungen wider, sind zugleich Affirmationen und Karikaturen des Wegs, den Παιδεία verheißt.

7. Zur Gestalt des vorliegenden Texts Der abgedruckte griechische Text entspricht mit wenigen Ausnahmen dem Oxford Classical Text von Macleod (1980) 366-374. Die Änderungsvorschläge von Nesselrath (1984) wurden berücksichtigt. Macleod teilt in seinem Apparat mit, dass er die Handschriften ΓE (γKlasse) wiedergegeben und codices mixti (γ und β) wie N und C berück-

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Materialismus vertritt. Auch Pirrotta (2012) zweifelt an den Versprechungen der Bildung Somn. 9-13. Vgl. Branham (1989) 29 (“rhetorically effective and wryly distanced”), Saïd (1993) 270, Gera (1995) 250, Goldhill (2002) 67-69. Dagegen betonen Schouler (1994) sowie Humble/Sidwell (2006) den protreptischen Zug. Elm (2015) 54 erkennt noch bei den geistlichen Ämtern im 4. Jh. n. Chr. einen ähnlichen Zwang zur Rechtfertigung der eigenen, fragilen Position: “These apologies with their autobiographic elements […] had to be particularly persuasive also because what being a bishop entailed was not yet certain and needed to be “written” at every pressure filled moment: each new office holder truly needed to write himself prestige.” Vgl. Branham (1989) 102: “Lucian’s “characters” are highly stylized expressions of the cultural données of tradition, not just ideas and beliefs, but the tacit assumptions and ego-ideals of aging ideologies.”

sichtigt habe. Die Überlieferung ist zwar einsträngig, jedoch ist über die ‚Mischhandschriften’ sowie Korrekturen in ΓΕ (wie Ea) die β-Klasse indirekt sichtbar. Der vorliegende Originaltext wurde ausgehend von Macleod systematisch mit früheren Editionen verglichen. In diesen fanden sich neben Diskussionen zu Form und Inhalt des Textes auch Hinweise auf Parallelstellen sowie Kommentare zu Sprache und Stil (vgl. die Übersicht über ältere Textausgaben im Literaturverzeichnis). Herangezogen wurden Schmid (1777) 80-104, Lehmann (1822) 285-302 und 692-714, Jacobitz (1836/1966) 435445, Bekker (1853) 142-148, Dindorf (1858) 267-273, Fritzsche (1862) 195212, Dindorfs Didotiana (21884) 198-204, Sommerbrodt (1889) LXXXILXXXIV, 102-109, 245-247, der von Kilburn besorgte sechste Band der Loeb-Reihe – Kilburn (1968) 191-213 –, García Valdés (2004) sowie die Scholiensammlung bei Rabe (1906) 235-238. Die Schrift ist hauptsächlich in Handschriften der Texttradition γ überliefert:124 Dazu zählen der namengebende und wichtigste codex Γ (Vaticanus Graecus 90; 10. Jh., 78 Werke, mit einem Supplement aus dem 15. Jh.), ferner Ε (Harleianus 5694, 10. Jh., 19 Werke) sowie diverse Handschriften jüngeren Datums (codices recentiores), in denen die Schrift überliefert ist, wie X (Vaticanus Palatinus 73; 13. Jh., 33 Werke, mit einem Supplement), V (Vaticanus Graecus 89; 14. Jh., 75 Werke) oder F (Guelferbytanus 86.7, 15. Jh.). Zudem zählen codices mixti (z. T. der β-Tradition, z. T. der γTradition zugehörig) aus dem 14./15. Jh. zu den Überlieferungsträgern von Apol., darunter C (Parisinus Graecus 3011; 14. Jh., 75 Werke, mit einem Supplement aus dem 15. Jh.), A (Vaticanus Graecus 87; 14. Jh., 76 Werke), Σ (Vaticanus gr. 224; 14. Jh., 27 Werke) sowie der wichtige Textzeuge N (Parisinus gr. 2957; 15. Jh., 79 Werke): Dieser zeigt in Apol. Konkordanzen mit ΓΕ, ist also zunächst dem Überlieferungsstrang der γ-Klasse zuzuordnen. Andererseits gibt es Übereinstimmungen mit den Korrekturen in E (durch Arethas von Caesarea im 9./10. Jh.: Ea) sowie in Γ (durch Alexander von Nizäa: Γa, spätere Korrekturen: Γc, Γd), für die man als Vorlage Texte der β-Klasse annimmt: So kann N zumindest auch als Reflex von β gelten.125 Die Lesarten dieser Handschrift sind entsprechend für die Schrift Apol., die in keiner nur dem β-Strang zuzuordnenden Hs. überliefert ist, von Bedeutung.

124 125

Die Auflistung orientiert sich an García Valdés (2004) XIII-XXI. XXVIIIf. García Valdés (2004) XXVIIIf. Vgl. XXIX: „El copista de N, con buen tino, nos da buenas lecturas.“

49

Mit Blick auf die Zusammengehörigkeit der Schrift mit Merc.Cond. ist festzustellen, dass beide Schriften nur in den veteres (ΓΕ) und späteren codices mixti (ACΣN) der γ-Klasse überliefert sind. Innerhalb der sogenannten ‚Schriften-Akoluthien’126 der γ-Klasse, wie sie in Γ vertreten ist, steht die Schrift Ἀπολογία an Position 65. Damit ist sie zwischen Laps. (Nr. 64) und Harm. (Nr. 66) positioniert. Für Leser, die Lukians Werk in sequenzieller Lektüre rezipierten, fügte sich Apol. damit thematisch eng in das textuelle Umfeld ein: Auffällig ist zum einen die Nähe der Schrift zu den rhetorischen Übungsreden (Nr. 53 Tyr., 54 Abd.) und Prolalien, in denen das sophistische Sprecher-Ich die Beziehung zum Publikum seiner rhetorischen Auftritte und literarischen Produktion thematisiert (Nr. 60 Dips., 62 Herod., 63 Zeux., 66 Harm., 67 Hes., 68 Scyth.). Zum anderen wird auch im direkten textuellen Umfeld (Nr. 64 Laps. und 66 Harm.) das Bemühen um Patronage zur Erringung von Prestige thematisiert: In Harm. steht das erfolgreiche Werben um einen patronus im Mittelpunkt, von dem augenscheinlich der literarisch-rhetorische Ruhm des Sprechers abhängt. In Laps. ist das Setting wie in Apol. römisch (Diskussion über lateinische Grußformeln bei der salutatio). Auch in dieser Schrift drückt der Sprecher tiefe Bewunderung für seinen Förderer, den patronus Asklepios, aus (der Name spiegelt klar das Thema der Gesundheitswünsche wider), wobei das Patronageverhältnis wie in Apol. v. a. aus humoristischer Perspektive beleuchtet wird. Auffällig ist schließlich, dass auch Nr. 64 Laps. und 67 Hes. apologetischen Charakter haben (s. o. A.5). Damit liegt im Fall der Hs. Γ eine Gruppierung der Texte nach strukturellen Gesichtspunkten vor, die aus Sicht einer linearen Lektüre des Werks kohärente Zyklen bilden. Die Motive ‚Apologie‘ sowie ‚Werbung um Patronage‘ wurden vom Autor oder bei späteren Neuanordnungen der Texte offenkundig als wiederkehrende ‚Markenzeichen‘ dieses Werkteils betrachtet. Im Folgenden wird eine Übersicht über die im Kommentar vertretenen Abweichungen von Macleods OCT-Ausgabe gegeben. Begründungen und Diskussionen finden sich jeweils ad locc.

126

50

Vgl. Mras (1911) 5f. und passim.

Textstelle

Macleod

vorliegender Text

Αpol. 1.4 Αpol. 1.15-16

καὶ πᾶσιν οἷά ἐστι τῶν τρυφώντων πλουσίων τὰ σφιγγία καὶ τὰ κουράλλια; τοῦ νῦν – πρὸς τὸ χεῖρον· τοῦτ' ἂν εἴη οὐχ ὑπὲρ – Ταῦτα μὲν καὶ τὰ τοιαῦτα δέδοικα μὴ < > προσλαβὼν

καὶ ἐπὶ πᾶσιν athetiert

Αpol. 1.16 Αpol. 1.18 Αpol. 2.7 Apol. 8.1

Αpol. 9.5-6

Αpol. 12.1 Apol. 15.3

μισθαροῦντας ἀλλὰ τῷ ἐκ τοῦ πολλοῦ δήμου

τοῦ νῦν πρὸς τὸ χεῖρον τοῦτ' ἂν εἴη, οὐχ ὑπὲρ

Ταῦτα μὲν καὶ τοιαῦτα

δέδοικα μὴ πρὸς τῇ ἐπιφερομένῃ κατηγορίᾳ κολακείας αἰτίαν προσλάβω μισθαρνοῦντας ἀλλὰ τῶν ἐκ τοῦ πολλοῦ δήμου

51

Text und Übersetzung*

B.

65 ΑΠΟΛΟΓΙΑ1 1.1

Πάλαι σκοπῶ πρὸς ἐμαυτόν,2 ὦ καλὲ Σαβῖνε,3 ἅτινά σοι εἰκὸς ἐπελθεῖν ἢ εἰπεῖν ἀναγνόντι ἡμῶν τὸ περὶ τῶν ἐπὶ μισθῷ συνόντων βιβλίον·4 ὅτι μὲν γὰρ οὐκ ἀγελαστὶ5 διεξῄεις αὐτὸ καὶ πάνυ μοι πρόδηλον. ἃ δὲ μεταξὺ καὶ ἐπὶ6 πᾶσιν ὑπὸ σοῦ ἐλέγετο, ταῦτα νῦν 5 ἐφαρμόττειν7 ζητῶ τοῖς ἀνεγνωσμένοις.8 εἰ τοίνυν μὴ κακὸς ἐγὼ μαντικήν,9 δοκῶ μοι ἀκούειν σου λέγοντος·10 Εἶτα τίς11 αὐτὸς ταῦτα γεγραφὼς καὶ κατηγορίαν οὕτω δεινὴν κατὰ τοῦ τοιούτου βίου διεξελθών,12 ἔπειτα πάντων ἐκλαθόμενος, ὀστράκου, φασί,13 μεταπεσόντος14 ἑκὼν ἑαυτὸν φέρων ἐς δουλείαν οὕτω περιφανῆ καὶ περί10 βλεπτον ἐνσέσεικεν; πόσοι15 Μίδαι καὶ Κροῖσοι καὶ Πακτωλοὶ ὅλοι μετέπεισαν αὐτὸν ἀφεῖναι μὲν τὴν ἐκ παίδων φίλην καὶ σύντροφον ἐλευθερίαν,16 πρὸς αὐτῷ δὲ ἤδη τῷ Αἰακῷ γενόμενον καὶ μονονουχὶ τὸν ἕτερον πόδα17 ἐν τῷ πορθμείῳ18 ἔχοντα παρέχειν ἑαυτὸν ἕλκεσθαι καὶ σύρεσθαι καθάπερ ὑπὸ κλοιῷ τινι χρυσῷ 15 τὸν αὐχένα δεθέντα;19 [οἷά ἐστι τῶν τρυφώντων πλουσίων τὰ σφιγγία καὶ τὰ κουράλλια;]20 πολλὴ γοῦν ἡ διαφωνία21 τοῦ νῦν 22 πρὸς τὸ σύγγραμμα23 καὶ τὸ ἄνω τοὺς ποταμοὺς χωρεῖν καὶ ἀνεστράφθαι τὰ πάντα24 καὶ παλινῳδεῖν πρὸς τὸ χεῖρον25 τοῦτ' ἂν εἴη, οὐχ ὑπὲρ Ἑλένης μὰ Δί' οὐδ' ὑπὲρ τῶν ἐπ' Ἰλίῳ γενομένων, ἀλλ' 20 ἔργῳ ἀνατρεπομένων τῶν λόγων καλῶς πρότερον εἰρῆσθαι δοκούντων.26 2.1 Ταῦτα μὲν πρὸς ἑαυτόν27 ὡς τὸ εἰκός28 λέλεκταί σοι. ἐπάξεις δὲ ἴσως καὶ πρὸς αὐτὸν ἐμὲ ξυμβουλήν τινα τοιαύτην οὐκ ἄκαιρον, ἀλλὰ φιλικὴν καὶ οἵῳ σοι χρηστῷ καὶ φιλοσόφῳ ἀνδρὶ πρέπουσαν.29 ἢν μὲν οὖν κατ' ἀξίαν ὑποδὺς τὸ σὸν πρόσωπον ὑποκρίνωμαι,30 εὖ 5 ἂν ἡμῖν ἔχοι καὶ τῷ Λογίῳ θύσομεν· εἰ δὲ μή, ἀλλὰ σὺ προσθήσεις τὰ ἐνδέοντα.31 ὥρα τοίνυν μετασκευάσαντας ἡμᾶς τὴν σκηνὴν32 ἐμὲ μὲν σιωπᾶν καὶ ἀνέχεσθαι τεμνόμενον 33 ἐπὶ σωτηρίᾳ, σὲ δ' ἐπιπάττειν τῶν φαρμάκων καὶ τὴν σμίλην ἅμα πρόχειρον ἔχοντα καὶ τὸ καυτήριον διάπυρον.34 καὶ δὴ παραλαβὼν τὴν ῥήτραν σὺ 10 ταῦτα πρός με ὁ Σαβῖνος ἤδη λέγεις.35 *

52

Vorbemerkung: Im deutschen Übersetzungstext finden sich ausschließlich Anmerkungen zur Übersetzung sowie zu historischen wie mythologischen Namen, Sachen und Orten. Andere Anmerkungen (z. B. zu Textkritik, Stilistik, vergleichbaren Textstellen sowie Intra- und Intertextualität) finden sich dagegen im griechischen Originaltext.

Apologie §1 Schon länger frage ich mich, mein lieber Sabinos, was Dir wahrscheinlich in den Sinn kam oder was Du sagtest nach der Lektüre meines Buchs „Die gegen Bezahlung Gesellschaft leisten“ [d. h. „Das traurige Los der Gelehrten“, Lukians De Mercede Conductis]: Dass Du es nämlich nicht ohne Gelächter durchgelesen hat, ist mir glasklar. Was jedoch während oder nach der Lektüre von Dir gesagt wurde, dies bemühe ich mich nun dem Gelesenen anzufügen. Und wenn es um meine Hellseherkunst nicht schlecht bestellt ist, dann scheint es mir, als hörte ich Dich Folgendes sagen: „Wer ist der Autor, der dies schreibt und ausführlich eine so gnadenlose Anklage gegen jenen Lebensstil vorbringt, danach alles vergisst und, nachdem, wie man sagt, die Scherbe auf die andere Seite gefallen ist, aus eigenem Antrieb auf eine so offenkundige und berüchtigte Knechtschaft losstürmt? Wie viele vom Schlage eines Midas, eines Kroisos oder eines Paktolos36 haben ihn überzeugen können, von der ihm von klein auf lieben und vertrauten Freiheit Abschied zu nehmen? Als er bereits vor Aiakos37 persönlich gekommen war und den einen Fuß fast schon im Fährboot hatte, da ließ er sich freiwillig zerren und wegreißen, als hätte er den Nacken mit irgendeinem goldenen Ring umschlossen? [Von der Art, wie bei den im Luxus schwelgenden Reichen die Hals- und Korallenketten sind?] Ein großer Widerspruch freilich zwischen seinem jetzigen Lebensstil und der Schrift: Einem ‚die Ströme, sie fließen bergauf‘, einem ‚alles kehrt sich um‘, und einem ‚Widerruf, der es noch schlimmer macht‘ mag dies entsprechen. Doch nein, beim Zeus, kein solcher Widerruf, wie der zugunsten von Helena oder der Ereignisse in Troia. Nein, sondern indem Worte, die zuvor noch gut gesagt zu sein schienen, durch Tatsachen verkehrt wurden.“ §2 Das ist es wahrscheinlich, was Du Dir gesagt haben wirst. Und vielleicht wirst Du auch an mich einen Rat in diesem Stil herantragen, der nicht ungelegen kommt, sondern freundlich gemeint ist und zu einem anständigen Mann und Philosophen wie Dir passt. Wenn ich nun in Deine Rolle geschlüpft bin und sie angemessen spiele, so soll es uns gut damit sein und wir wollen dem Logios38 opfern. Wenn aber nicht, dann magst Du das Fehlende selbst hinzufügen. Jetzt ist es aber Zeit: für uns, die Szene zu wechseln; für mich, zu schweigen und zu meinen eigenen Gunsten das Schneiden und, sofern es zur Rettung unentbehrlich ist, das Brennen zu ertragen; für Dich ist es jedoch Zeit, schmerzstillende Mittel aufzustreuen, dazu das Skalpell griffbereit zu haben und das glühende Brenneisen. Und schon ergreifst Du das Wort und sprichst als ‚Sabinos’ nun Folgendes zu mir: 53

3.1

Πάλαι39 μέν, ὦ φιλότης,40 εἰκός, εὐδοκίμηταί41 σοι τουτὶ τὸ σύγγραμμα καὶ ἐν πολλῷ πλήθει δειχθέν,42 ὡς οἱ τότε ἀκροασάμενοι διηγοῦντο, καὶ ἰδίᾳ παρὰ τοῖς πεπαιδευμένοις ὁπόσοι ὁμιλεῖν αὐτῷ καὶ διὰ χειρὸς ἔχειν ἠξίωσαν.43 ἥ τε γὰρ τῶν λόγων 5 παρασκευὴ οὐ μεμπτὴ44 καὶ ἡ ἱστορία45 πολλὴ καὶ ἐμπειρία τῶν πραγμάτων46 καὶ ὅτι ἕκαστα σαφῶς ἐλέγετο,47 καὶ μέγιστον, ὅτι χρήσιμα48 πᾶσιν ἦν καὶ μάλιστα τοῖς πεπαιδευμένοις, ὡς μὴ ὑπ' ἀγνοίας σφᾶς αὐτοὺς εἰς δουλείαν ὑπάγοιεν. ἐπεὶ δέ σοι μετέδοξε βελτίω ταῦτα εἶναι καὶ τὴν μὲν ἐλευθερίαν μακρὰ χαίρειν 10 ἐᾶν, ζηλῶσαι δὲ τὸ ἀγεννέστατον ἐκεῖνο ἰαμβεῖον49 ὅπου τὸ κέρδος, παρὰ φύσιν δουλευτέον,50 ὅρα ὅπως μηδεὶς ἔτι ἀκούσεταί σου ἀναγινώσκοντος αὐτό, ἀλλὰ μηδὲ ἄλλῳ παράσχῃς τῶν τὸν παρόντα σου βίον ὁρώντων ἐπελθεῖν τὰ γεγραμμένα,51 εὔχου δὲ Ἑρμῇ τῷ χθονίῳ καὶ τῶν ἀκηκο15 ότων πρότερον πολλὴν λήθην κατασκεδάσαι,52 ἢ δόξεις τὸν τοῦ Κορινθίου μῦθόν τι53 πεπονθέναι, κατὰ σαυτοῦ ὁ Βελλεροφόντης γεγραφὼς τὸ βιβλίον. μὰ γὰρ τὸν Δί' οὐχ ὁρῶ τὴν ἀπολογίαν ἥτις ἂν εὐπρόσωπός σοι γένοιτο πρὸς τοὺς κατηγοροῦντας, καὶ μάλιστα, ἢν σὺν γέλωτι αὐτὸ ποιῶσιν ἐπαινοῦντες μὲν τὰ γεγραμ20 μένα καὶ τὴν ἐν αὐτοῖς ἐλευθερίαν, αὐτὸν δὲ τὸν συγγραφέα δου4.1 λεύοντα ὁρῶντες καὶ ἑκόντα ὑποτιθέντα τὸν αὐχένα τῷ ζυγῷ.54 οὐκ ἀπεικότα55 γοῦν λέγοιεν ἄν, εἰ λέγοιεν ἤτοι ἄλλου του γενναίου ἀνδρὸς εἶναι τὸ βιβλίον καὶ σὲ τὸν κολοιὸν ἀλλοτρίοις πτεροῖς ἀγάλλεσθαι·56 ἢ εἴπερ σόν ἐστιν, ὅμοιά σε τῷ Σαλαίθῳ ποιεῖν, 5 ὃς πικρότατον κατὰ μοιχῶν θεὶς τοῖς Κροτωνιάταις νόμον καὶ θαυμαζόμενος ἐπ' αὐτῷ μετὰ μικρὸν αὐτὸς ἑάλω μοιχεύων τοῦ ἀδελφοῦ τὴν γυναῖκα. περὶ πόδα57 τοίνυν καὶ σὲ τὸν Σάλαιθον ἐκεῖνον εἶναι φαίη τις ἄν· μᾶλλον δὲ πολὺ μετριώτερος ἐκεῖνος, ἔρωτι μὲν ἁλούς, ὡς ἔφασκεν ἀπολογούμενος, ἑκὼν δὲ μάλα εὐψύχως 10 ἐς τὸ πῦρ ἁλλόμενος, καίτοι ἐλεούντων αὐτὸν ἤδη Κροτωνιατῶν καὶ ἐνδιδόντων φυγήν, εἰ βούλοιτο. τὸ δὲ σὸν οὐ παρὰ μικρὸν ἀτοπώτερον, ἀκριβοῦντος μὲν ἐν τοῖς λόγοις τὴν τοῦ τοιούτου βίου δουλοπρέπειαν καὶ κατηγοροῦντος εἴ τις εἰς πλουσίου τινὸς ἐμπεσὼν καὶ καθείρξας ἑαυτὸν ἀνέχοιτο μυρία τὰ δυσχερῆ πάσχων

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§3 „Schon lange, mein Freund, und wie zu erwarten, findet diese Deine Schrift Beifall, sowohl bei der großen Menge, der sie präsentiert wurde – denn so erzählten es diejenigen, die damals zuhörten – als auch im privaten Rahmen bei allen Gebildeten, die sie kennenzulernen und in Händen zu halten für würdig erachteten. Denn das Arrangement der Worte ist nicht zu verachten, die Information und die Sachkompetenz umfangreich, da zudem jedes Detail klar dargestellt wurde; die Hauptsache ist aber, dass es für alle, besonders für die Gebildeten, den Nutzen hatte, sich nicht selbst aus Unwissenheit in die Sklaverei zu begeben. Da Du jedoch auf einmal Deine Ansicht ändertest und dachtest,58 dies sei doch eine bessere Sache, und Du der Freiheit auf lange Sicht Lebewohl sagtest, indem Du jenem höchst schamlosen jambischen Vers nacheifertest: ‚wo Nutzen ist, ist wider die Natur zu schuften gut‘,59 pass auf, dass niemand mehr hören wird, wie du das Buch vorträgst, und lass es keinesfalls zu, dass einen anderen von denen, die Deinen jetzigen Lebensstil sehen, Abschriften erreichen: Bete lieber zu Hermes Chthonios,60 dass er über die, die schon früher davon gehört haben, einen großen Schleier des Vergessens breite. Sonst wird es den Anschein haben, Dir sei in etwa die in der korinthischen Sage geschilderte Situation widerfahren: Du ein ‚Bellerophon, der das Buch gegen sich selbst verfasst hat‘.61 Ich sehe nämlich nicht, bei Zeus, welche noch so treffliche Verteidigungsrede Dir gegen die Ankläger gelingen sollte, vor allem, wenn sie sich einen Spaß daraus machen, zwar die Schrift und die darin zum Vorschein kommende Unabhängigkeit zu loben, dem Verfasser selbst jedoch dabei zuzusehen, wie er Sklavendienste leistet und seinen Nacken freiwillig unters Joch legt. §4 Nicht ohne Grund dürften sie es demnach behaupten, wenn sie behaupteten, dass das Buch entweder von einem anderen edlen Mann stamme und Du, die Dohle, Dich mit fremden Federn schmückest, oder dass Du, sofern es von Dir sei, ähnliche Dinge wie Salaithos62 betriebest, der den Einwohnern von Kroton das schärfste Gesetz gegen Ehebrecher gab63 und, hierfür bewundert, kurze Zeit später persönlich dabei erwischt wurde, wie er mit der Frau seines Bruders die Ehe brach.64 Treffsicher könnte man also behaupten, auch Du seist wie der berühmte Salaithos: Doch war jener weit bescheidener, da er ein Opfer der Liebe geworden war, wie er zu seiner Verteidigung angab, und höchst verwegen freiwillig ins Feuer sprang, obwohl die Krotoniaten bereits Mitleid mit ihm hatten und ihm die Verbannung in Aussicht gestellt hatten, wenn er wollte.65 Dein Verhalten ist dagegen viel ungehöriger, da Du zwar in Deinen Sätzen die sklavische Gesinnung eines solchen Lebensstils genau beschreibst und Anklage erhebst, wenn einer es in Kauf nimmt, in das Haus eines Reichen zu geraten und es zum eigenen Verlies zu bestimmen, 55

καὶ ποιῶν,66 ἐν γήρᾳ δὲ ὑστάτῳ67 καὶ σχεδὸν ἤδη ὑπὲρ τὸν οὐδὸν68 οὕτως ἀγεννῆ λατρείαν ἐπανῃρημένου καὶ μονονουχὶ καὶ ἐμπομπεύοντος αὐτῇ. ὅσῳ γοῦν πᾶσιν ἐπισημότερος εἶναι δοκεῖς,69 τοσούτῳ καταγελαστότερος ἂν δόξειας εἶναι ἀντιφωνοῦντος τοῦ νῦν βίου τῷ βιβλίῳ.70 5.1 Καίτοι τί δεῖ καινὴν ἐπὶ σὲ κατηγορίαν ζητεῖν μετὰ τὴν θαυμαστὴν τραγῳδίαν71 λέγουσαν μισῶ σοφιστήν, ὅστις οὐχ αὑτῷ σοφός;72 οὐκ ἀπορήσουσι δὲ οἱ κατηγοροῦντες καὶ ἄλλων παραδειγμάτων 5 ἐπί σε, ἀλλ' οἱ μὲν τοῖς τραγικοῖς ὑποκριταῖς Hominem occidi iussus ab imperatoreDona templi cogenti tyranno dedi