Gespräche mit Göttern: Die poetologische Funktion kommunikativer Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz. Dissertationsschrift 9783515117005, 9783515117012, 3515117008

Können literarische Kultbilder in Analogie zur religiösen Kultpraxis auch in der Dichtung als Medium der Kommunikation m

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INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
1. EINLEITUNG UND DISPOSITION DER ARBEIT
2. KULTBILDER ALS MEDIUM DER KOMMUNIKATION IM LITERARISCHEN UND RELIGIÖSEN/KULTISCHEN KONTEXT
2.1 EINFÜHRUNG
2.2 SPRECHENDE STATUEN – DIE LITERARISCHE TRADITION
2.3 DAS KULTBILD IN DER RELIGIÖSEN KOMMUNIKATION
2.4 SPRECHENDE KULTBILDER IN LITERARISCHEN TEXTEN – METHODEN UND PERSPEKTIVEN
2.5 DISPOSITION
3. DAS KULTBILD DES PRIAPUS IN HOR. SAT. 1,8
3.1 EINFÜHRUNG, FORSCHUNGSÜBERBLICK UND FRAGESTELLUNG
3.2 DER LATEINISCHE TEXT: HOR. SAT. 1,8^19
3.3 DIE GLIEDERUNG DES TEXTES
3.4 DIE FUNKTIONALISIERUNG DES PRIAPUS-KULTBILDES IN HOR.SAT. 1,8
3.5 FAZIT: DAS KULTBILD ALS KOMMUNIKATIONSMEDIUM
4. DAS KULTBILD DES PRIAPUS IN TIB. 1,4
4.1 EINFÜHRUNG, FORSCHUNGSÜBERBLICK UND FRAGESTELLUNG
4.2 DER LATEINISCHE TEXT: TIB. 1,4
4.3 DIE GLIEDERUNG DES TEXTES
4.4 DAS KULTBILD DES PRIAPUS
4.5 DER PRIAPEISCHE VORTRAG UND SEINE REFLEXION
4.6 DIE PROGRAMMATISCHE FUNKTION DES KULTBILDES
4.7 DIE EINBETTUNG DER ELEGIE 1,4
4.8 FAZIT: DER HORAZISCHE UND DER TIBULLISCHE PRIAPUS
5. DAS KULTBILD DES VERTUMNUS IN PROP. 4,2
5.1 EINFÜHRUNG
5.2 DIE PROGRAMMATISCHE ELEGIE 4,1 – VORSPIEL ZU VERTUMNUS
5.3 FORSCHUNGSÜBERBLICK UND FRAGESTELLUNG ZU PROP. 4,2
5.4 DER LATEINISCHE TEXT: PROP. 4,2
5.5 DIE GLIEDERUNG DES TEXTES
5.6 VERTUMNUS UND DIE FRAGE NACH DER IDENTITÄT
5.7 ZWISCHENFAZIT
5.8 VERTUMNUS ALS BILDWERK
5.9 FAZIT: VERTUMNUS IM POETOLOGISCHEN VERGLEICH ZU DEN PRIAPI BEI HORAZ UND TIBULL
6. ZWISCHENFAZIT: UNTERSCHIEDE ZWISCHEN RELIGIÖSER UND LITERARISCHER KOMMUNIKATION IN HOR. SAT. 1,8, TIB. 1,4 UND PROP. 4,2
7. KOMMUNIKATION MIT GÖTTERN AUF ANDEREN WEGEN
7.1 EINFÜHRUNG
7.2 MARS UND VENUS IN OVIDS FASTI
7.3 APOLLO BEI PROPERZ
7.4 FAZIT
8. ZUSAMMENFASSUNG
9. BIBLIOGRAPHIE
10. REGISTER
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Gespräche mit Göttern: Die poetologische Funktion kommunikativer Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz. Dissertationsschrift
 9783515117005, 9783515117012, 3515117008

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Jessica Schrader

Gespräche mit Göttern Die poetologische Funktion kommunikativer Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 58

Jessica Schrader Gespräche mit Göttern

POTSDAMER ALTERTUMSWISSENSCHAFTLICHE BEITRÄGE ( PAWB ) Herausgegeben von Pedro Barceló (Potsdam), Peter Riemer (Saarbrücken), Jörg Rüpke (Erfurt) und John Scheid (Paris) Band 58

Jessica Schrader

Gespräche mit Göttern Die poetologische Funktion kommunikativer Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen (GSGG)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11700-5 (Print) ISBN 978-3-515-11701-2 (E-Book)

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort.......................................................................................................... 9 1

Einleitung und Disposition der Arbeit ........................................... 11

2

Kultbilder als Medium der Kommunikation im literarischen und religiösen/kultischen Kontext ......................................................... 18 Einführung ...................................................................................... 18 Sprechende Statuen – Die literarische Tradition ............................ 20 Die hellenistische Dichtung und Kallimachos ............................... 20 Rom – die augusteische Dichtung .................................................. 25 Der kulturgeschichtliche Hintergrund ............................................ 27 Das Kultbild in der religiösen Kommunikation ............................. 32 Was ist ein Kultbild? ...................................................................... 33 Kultpraktische Kriterien ................................................................. 36 Religiöse Kommunikation.............................................................. 37 Formen der religiösen Kommunikation mit Kultbildern................ 38 Abgrenzung zur Epiphanie – das Fallbeispiel des Ianus ................ 45 Archäologischer Befund ................................................................. 49 Sprechende Kultbilder in literarischen Texten – Methoden und Perspektiven ................................................................................... 53 Der unzuverlässige Erzähler........................................................... 53 Intermedialität ................................................................................ 57 Disposition ..................................................................................... 61

2.1 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.4 2.4.1 2.4.2 2.5 3 3.1 3.2 3.3 3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.4.5 3.4.6 3.5

Das Kultbild des Priapus in Hor. sat. 1,8 ....................................... 63 Einführung, Forschungsüberblick und Fragestellung .................... 63 Der lateinische Text: Hor. sat. 1,8 ................................................. 65 Die Gliederung des Textes ............................................................. 67 Die Funktionalisierung des Priapus-Kultbildes in Hor. sat. 1,8..... 68 Selbstvorstellung eines Kultbildes (V 1–7) .................................... 68 Der Aufstellungsort (V 8–16) ........................................................ 78 Das sprechende Kultbild des Priapus zwischen inszenierter Dauerhaftigkeit und brüchigem Rollenkonstrukt ........................... 85 Die Begegnung mit den Hexen (V 17–45) ..................................... 89 Das Finale – Die Masken fallen (V 46–50).................................. 100 Die Einbettung der Satire 1,8 ....................................................... 105 Fazit: Das Kultbild als Kommunikationsmedium ........................ 109

6

Inhaltsverzeichnis

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.6 4.7 4.8

Das Kultbild des Priapus in Tib. 1,4 ............................................ 114 Einführung, Forschungsüberblick und Fragestellung .................. 114 Der lateinische Text: Tib. 1,4 ....................................................... 118 Die Gliederung des Textes ........................................................... 120 Das Kultbild des Priapus .............................................................. 121 Der priapeische Vortrag und seine Reflexion .............................. 126 Priapus – ein unzuverlässiger Referent? ...................................... 126 Überraschende Schlusswendung .................................................. 131 Die programmatische Funktion des Kultbildes ............................ 138 Die Einbettung der Elegie 1,4 ...................................................... 141 Fazit: Der horazische und der tibullische Priapus ........................ 143

5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.6.1 5.6.2

Das Kultbild des Vertumnus in Prop. 4,2..................................... 147 Einführung .................................................................................... 147 Die programmatische Elegie 4,1 – Vorspiel zu Vertumnus ......... 152 Forschungsüberblick und Fragestellung zu Prop. 4,2 .................. 157 Der lateinische Text: Prop. 4,2 ..................................................... 158 Die Gliederung des Textes ........................................................... 161 Vertumnus und die Frage nach der Identität ................................ 162 Die Kommunikationssituation...................................................... 162 Die Selbstvorstellung des Vertumnus – Etruskische Vergangenheit und römische Gegenwart ..................................... 163 Die Etymologien des Namens ‚Vertumnus‘................................. 168 Vertumnus – ein unzuverlässiger Erzähler? ................................. 174 Die literarische Funktionalisierung des unzuverlässigen Erzählers ....................................................................................... 176 Zwischenfazit ............................................................................... 181 Vertumnus als Bildwerk ............................................................... 182 Das Vertumnus-Kultbild und seine intermedialen Bezüge .......... 182 Der Schöpfer des Kultbildes ........................................................ 185 Die werkinterne Funktion des Vertumnus-Kultbildes ................. 191 Fazit: Vertumnus im poetologischen Vergleich zu den Priapi des Horaz und Tibull .......................................................................... 193

5.6.3 5.6.4 5.6.5 5.7 5.8 5.8.1 5.8.2 5.8.3 5.9

6

Zwischenfazit: Unterschiede zwischen religiöser und literarischer Kommunikation in Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2.............. 197

Inhaltsverzeichnis

7 7.1 7.2 7.2.1 7.2.1.1

7.3.2 7.3.3 7.3.3.1 7.3.3.2 7.3.3.3 7.4

Kommunikation mit Göttern auf anderen Wegen ........................ 202 Einführung .................................................................................... 202 Mars und Venus in Ovids Fasti.................................................... 204 Mars .............................................................................................. 206 Die politische Funktionalisierung des Mars in augusteischer Zeit ............................................................................................... 206 Die Invokation des Mars inermis (Ov. fast. 3,1–234) .................. 206 Die Epiphanie des Mars Ultor (Ov. fast. 5,545–598)................... 215 Venus (Ov. fast. 4,1–162) ............................................................ 223 Politische und literarische Parallelen der Venus zu Mars ............ 224 Die Invokation der geminorum mater Amorum ........................... 225 Die Venus-Aretalogie ................................................................... 229 Die Funktionalisierung des Venus-Kultbildes im aitiologischen Dichtungsprogramm ..................................................................... 233 Apollo bei Properz ....................................................................... 240 Die politische Funktionalisierung des Apoll in augusteischer Zeit ............................................................................................... 241 Besuch bei Apollo Palatinus in Prop. 2,31 ................................... 242 Das Aition des Apollo-Palatinus-Tempels (Prop. 4,6) ................. 251 Die Initiierung der Kulthandlung ................................................. 252 Die Apollo-Aretalogie .................................................................. 256 Das Kultbild des Apollo ............................................................... 260 Fazit .............................................................................................. 264

8

Zusammenfassung ........................................................................ 266

9

Bibliographie ................................................................................ 275

10

Register......................................................................................... 297

7.2.1.2 7.2.1.3 7.2.2 7.2.2.1 7.2.2.2 7.2.2.3 7.2.2.4 7.3 7.3.1

7

VORWORT Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2015/16 von der Philosophischen Fakultät der Georg-AugustUniversität Göttingen zur Promotion angenommen wurde. Mein größter Dank gilt meiner Doktormutter Prof. Dr. Ulrike EgelhaafGaiser, die mich bereits während meines Magisterstudiums stets gefördert und in vielfacher Weise unterstützt hat. Sie hat die Arbeit angeregt, mit großem Engagement und persönlichem Interesse von Anfang bis Ende betreut und in zahlreichen Gesprächen durch konstruktive Kritik, Denkanstöße, wertvolle Ratschläge und aufmunternde Worte vorangebracht. Sie hat ihre Rolle als Doktormutter in beispielloser Weise erfüllt und dafür danke ich ihr sehr. Frau PD Dr. Meike Rühl (Osnabrück) sei gedankt für ihre zahlreichen Hinweise, ihre hilfreiche Kritik sowie ihre Bereitschaft, die Zweitkorrektur meiner Arbeit zu übernehmen. Ferner danke ich Prof. Dr. Tanja Scheer, Dr. Anne Viola Siebert (Museum August Kestner Hannover) und Dr. Katharina Lorenz (Nottingham) für anregende Gespräche und Kritik aus althistorischer und archäologischer Perspektive. Dankbar bin ich darüber hinaus allen, die mir mit Hinweisen, Korrekturen, konstruktiver Kritik und aufmunternden Ratschlägen geholfen haben. Stellvertretend genannt seien das Göttinger Doktorandenkolloquium der Klassischen Philologie unter der Führung von Prof. Dr. Heinz-Günther Nesselrath sowie das Kolloquium mit den Gießenern Doktoranden unter der Betreuung von Prof. Dr. Helmut Krasser. Besonderer Dank gebührt auch meinen lieben Kollegen Nils Jäger, Johannes Park, Friederike Gatzka sowie Merryl Rebello, die Teile meines Manuskripts sorgfältig Korrektur gelesen und mich die ganze Zeit hindurch auf vielfältige Art und Weise unterstützt haben. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe der „Potsdamer altertumswissenschaftlichen Beiträge“ danke ich den Herausgebern, insbesondere Prof. Dr. Jörg Rüpke (Erfurt), der mein Projekt durch anregende Kritik und die Bereitstellung unpublizierter Teile seiner Arbeit bereichert hat. Die Graduiertenschule für Geisteswissenschaften Göttingen (GSGG) hat während meiner Promotion Fahrten zu auswärtigen Kolloquien und zuletzt die Druckkosten meiner Arbeit großzügig bezuschusst. Auch dieser Organisation fühle ich mich zu großem Dank verpflichtet. Mein letzter, persönlicher Dank gilt meinen Eltern und meiner Freundin Marieke, die mich immer in allen Lebenslagen unterstützt, ermutigt und aufgebaut haben. Ihr bedingungsloser Rückhalt hat diese Arbeit erst möglich gemacht. Das Buch sei meinen lieben Eltern und Oma Elsbeth gewidmet. Göttingen, Februar 2017

Jessica Schrader

1. EINLEITUNG UND DISPOSITION DER ARBEIT Dass Statuen, die von Künstlern geschaffen wurden, nicht nur schön sind und den Betrachter in den Bann ziehen, sondern so lebensecht wirken können, dass sie gar zu sprechen beginnen, ist ein Topos der Ekphrasis und Poetik/Rhetorik.1 Sprechende Statuen (und Steine) haben zudem eine lange epigrammatische Tradition, die bis in das 7./6. Jh. v. Chr. zurückreicht. Inwiefern ändert sich aber die Funktion der sprechenden Statue, wenn diese nicht nur in kompakter Kürze den Passanten anspricht, sondern eine umfassende Rede hält und wenn es sich dabei nicht nur um ein Kunstwerk, sondern um eine Kultstatue handelt? Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Kultbildern als Medium der Kommunikation in der augusteischen Dichtung und beschreitet damit philologisches Neuland. Schon lange hat die kultpraktische2 und vor allem kommunikative Funktion der Religion in der Religionswissenschaft Beachtung gefunden. Spätestens seit RÜPKES mehrfachen Publikationen zu diesem Thema3 werden antike Religionen als Kommunikationssysteme verstanden. Dabei wird die Ansicht vertreten, dass Kultbilder als Medium der Kommunikation zwischen Menschen und Göttern signalverstärkende Funktion z.B. im Kontext eines Gebets haben konnten.4 Der mediale Aspekt von Kultbildern ist somit auf religionswissenschaftlicher Ebene etabliert. Auch in anderen Nachbarfächern wurde die Funktion von Kultbildern untersucht. So beschäftigt sich die Arbeit von SCHEER5 aus althistorischer Perspektive mit der Funktion von Kultbildern in Religion und Politik, wobei sie bei ihrer Kultbilddefinition neben der Kultpraxis auch die kommunikativen Aspekte des Kultbildes berücksichtigt.6 MARTIN7 hat hingegen aus archäologischer und historischer Perspektive versucht, den erhaltenen, römischen (Tempel-) Kultbildbestand der späten Republik zu rekonstruieren, indem er für die Bestimmung sowohl materielle als auch kultpraktische Kriterien anwendete. Der ausführliche ThesCRABeitrag von LINANT DE BELLEFONDS, KAUFFMANN-SAMARAS–SZABADOS, ICARDGIANOLIO u.a.8 hat darüber hinaus die erhaltenen archäologischen, literarischen und ikonographischen Zeugnisse über die Funktion von Kultbildern im Ritual

1 2 3 4 5 6 7 8

Vergleiche MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 5. Siehe z.B. auch die Arbeiten von GLADIGOW 1985/1986; ders. 1988; ders. 1994. So z.B. RÜPKE 2001 a; RÜPKE 2001 b; RÜPKE 2006 a, 86–118; RÜPKE 2007. RÜPKE 2001 a. SCHEER 2000. SCHEER 2000, 146.SCHEER beschränkt sich bei ihrer Untersuchung auf die Funktion griechischer Kultbilder. MARTIN 1987. Siehe LINANT DE BELLEFONDS 2004; KAUFFMANN-SAMARAS–SZABADOS 2004; ICARDGIANOLIO 2004.

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1 Einleitung und Disposition der Arbeit

zusammengetragen und belegt damit die umfangreiche Bearbeitung des Themas ‚Kultbild‘ in der Wissenschaft. Angesichts dieses intensiven Forschungsinteresses und der Fülle an Forschungsergebnissen ist es umso überraschender, dass diese in der lateinischen Philologie bisher wenig Berücksichtigung gefunden haben. Weder der kommunikative Wert noch die kultpraktische Dimension von Kultbildern in der römischen Literatur wurden beachtet. Niemand hat sich die Frage gestellt, ob Kultbilder in literarischen Texten ebenso eine mediale Funktion übernehmen können wie auf kultpraktischer Ebene oder ob bzw. inwiefern sich die literarische Kommunikation mit Kultbildern von der religiösen unterscheidet. Das Verhältnis von Religion und Literatur sind in der altphilologischen Forschung nur selten behandelt worden.9 Für die lateinische Philologie wird damit eine Leerstelle markiert, die die vorliegende Arbeit zu füllen sucht. Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen daher Kultbilder der lateinischen Literatur, denen die Autoren in ihren Texten einen besonders großen Kommunikationsraum zugewiesen und damit den Leserfokus auf eben jene gelenkt haben. Es handelt sich um die beiden sprechenden Kultbilder des Priapus in Hor. sat. 1,8 und Tib 1,4 sowie das des Vertumnus in Prop. 4,2. Die drei augusteischen Texte exponieren sich durch das Motiv ‚Sprechende Statue‘ in ihren jeweiligen Werken und füllen mit ihren Redeanteilen die Gedichte entweder ganz (Hor. sat. 1,8; Prop. 4,2) oder zum größten Teil (Tib. 1,4). Zudem beanspruchen sie nicht nur in der augusteischen Dichtung, sondern in der gesamten lateinischen Literatur einen Sonderstatus. Denn es sind die einzigen Textbeispiele, in denen nicht die Götter selbst, sondern ihre Kultstatuen eine ausführliche Rede halten. Genau in diesem Punkt unterscheiden sie sich auch von anderen prominenten augusteischen Texten wie Ovids Fasti, Vergils Aeneis oder Livius‘ Ab urbe condita, in denen Kultbilder zwar thematisiert werden, aber entweder nicht in dieser Fülle verbal oder nur non-verbal kommunizieren.10 Der bereits angesprochene Sonderstatus des Motivs der sprechenden Statue gepaart mit dem hohen Redeanteil der jeweiligen Kultbilder lassen vermuten, dass den sprechenden Kultstatuen in den Texten eine ähnliche „signalverstärkende“ Funktion wie in der realen Kultpraxis zukommt und sie auch als Medium in der Kommunikation zwischen Autor und Leser fungieren können. Zugleich macht die Seltenheit dieses literarischen Phä-

9 Siehe z.B. FEENEY 1998. 10 In Ov. fast. 2, 639–684 wird z.B. im Kontext der Terminalia das Kultbild des Terminus thematisiert. Dabei werden dem Kultbild mit tuus est hic ager, ille tuus (V 678) jedoch nur Worte im Loblied der imaginierten Festgemeinschaft in den Mund gelegt. Von selbst spricht Terminus nicht. In Vergils Aeneis lässt sich lediglich non-verbale Kommunikation mittels Kultbildern feststellen. In Verg. Aen. 2,162–175 äußert sich der Zorn der Athene auf die Griechen, weil sie ihr Kultbild (Palladium) entehrt haben, am Kultbild selbst: Es zucken Blitze aus dessen Augen, Schweiß läuft über die Glieder und es springt samt Schild und Lanze in die Luft. Ähnlich in Liv. 40,19,2: Dort wird von Priestern berichtet, dass das Kultbild der Iuno Sospita in Lanuvium geweint habe. Sprechende Kultbilder wie bei Horaz, Tibull und Properz sind auch dort nicht zu finden.

1 Einleitung und Disposition der Arbeit

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nomens in der lateinischen Literatur das zu untersuchende Textkorpus erstaunlich überschaubar. Auf der Suche nach kommunikativen Kultbildern in der römischen Literatur spielte sich die augusteische Zeit (43 v.Chr.–14. n .Chr.) als ein besonders naheliegendes Zeitfenster in den Vordergrund. Denn in diesem Zeitraum initiierte Augustus analog zur Wiederherstellung der res publica ein umfassendes Programm zur Restauration tradierter römischer Normen und Werte, das dem römischen Volk nach der Bürgerkriegszeit wieder das Vertrauen zur Dauerhaftigkeit und Stabilität des inneren Friedens zurückgeben sollte. In diesem Programm war v.a. die Erneuerung der Religion (pietas) das Leitmotiv, in dessen Kontext alte Priesterschaften, Tempel, Kulte etc. eine Restauration erfuhren. Es lässt sich also feststellen, dass die religions-politischen Entwicklungen unter Augustus mit dem Interesse an dem Motiv ‚sprechendes Kultbild‘ in der augusteischen Dichtung einhergingen.11 In der philologischen Forschung haben die drei Texte besonders wegen des überraschenden Sprecherwechsels (vom satirischen bzw. elegischen Ich zum Gott, der mittels seines Kultbilds spricht) innerhalb der Werke Beachtung gefunden.12 Das Untersuchungsspektrum reichte dabei von textphilologischen Fragen über Struktur und künstlerisches Arrangement der einzelnen Texte sowie deren Einbettung im Werk bis hin zu konkreten intertextuellen Anspielungen und Gattungsbezügen. Auf inhaltlicher Ebene wurde die Forschung von der Frage dominiert, welche Funktion der Sprecherwechsel in der Satire und den beiden Elegien habe und warum ausgerechnet Priapus und Vertumnus als Referenten gewählt würden. Bei der Beantwortung dieser Fragen vernachlässigte die philologische Forschung jedoch die Tatsache, dass die Dichter ihre Gottheiten in den Texten mittels ihres Kultbildes kommunizieren lassen, fast völlig. Die religionswissenschaftlichen Erkenntnisse (die Funktion von Kultbildern als Medium der Kommunikation zwischen Menschen und Göttern) wurden nicht auf die Textinterpretationen übertragen. So wurde nicht untersucht, welche Art von Aussagen die Kultbilder als Medium transportieren und inwiefern sie zum Text- bzw. Werkverständnis beitragen können. Ziel der Arbeit ist es nachzuweisen, dass die sprechenden Kultbilder sich dadurch auszeichnen, dass sie vorzugsweise poetologische Botschaften vom Dichter an den Leser vermitteln und verstärken. Dabei legt das Verhältnis von Dichter und Leser die Untersuchung der Medialität von Kultbildern auch auf literarischer Ebene nahe. In den meisten Fällen wurden jedoch in der Forschung nur die Götter selbst, ihre Eigenschaften und der Inhalt ihrer Reden untersucht, ohne den Bezug zum Kultbild zu suchen. Überraschenderweise ist die ansonsten ausgesprochen innovative HorazForschung zur Satire 1,8 hinsichtlich der Funktion des Priapus-Kultbildes am 11 Siehe zur kulturgeschichtlichen Einordnung der augusteischen Zeit Kap. 2.2.3. 12 Der aktuelle Forschungsstand wird zu Beginn einer jeden Einzelinterpretation ausführlich dargelegt (siehe die Kapitel 3.1; 4.1; 5.3) und soll daher an dieser Stelle nur inhaltlich angerissen werden.

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1 Einleitung und Disposition der Arbeit

rückschrittlichsten: Meistens kam sie nicht über die Feststellung hinaus, dass Priapus eine Maske oder Rolle des satirischen Ichs gewesen sei, bei der sich Analogien zwischen Priapus, dem satirischen Ich und dem historischen Horaz feststellen ließen.13 Die neuere Forschung zu Tibulls Priapus suchte modernere Ansätze der Erzähltextanalyse für das Gedicht fruchtbar zu machen: So kennzeichnet sie den Gott narratologisch als unzuverlässig (RADICKE 2006) und sprach dem Text eine programmatische Funktion zu, die auf dem Zusammenhang von Inhalt des Priapus-Vortrages (Knaben-Liebe) und zentralen Punkten des ersten Tibull-Buches (Rolle der Bisexualität) basierte (NIKOLOUTSOS 2007). In der Properz-Forschung sind die poetologischen Ansätze am stärksten etabliert. Dort hat man von Beginn an der Elegie aufgrund des neuen Dichtungsprogrammes des vierten Buches und der so ausführlich hervorgehobenen Eigenschaften des Gottes (Wandelbarkeit, Polarität seines Wesens) eine poetologische Funktion zugewiesen. Gerade letztere Erkenntnis legte die Vermutung nahe, dass es sich bei dem sprechenden Vertumnus-Bild um eine Allegorie der neuen Dichtung des vierten Buches handele (DEREMETZ 1986, BOLDRER 1999, GLOCK 1999, LEESTECUM 2005). Die propagierten Eigenschaften des Gottes spiegelten demnach die Qualitäten der Properz-Dichtung wider. Dem Vertumnus-Kultbild konnte somit eine programmatische Funktion zugewiesen werden. Dabei wurde die Rede des Vertumnus so stark poetologisch gelesen, dass man auch in der ProperzForschung fast verdrängt hatte, dass es sich bei dem Sprecher nicht um eine göttliche Figur, sondern explizit um dessen Kultbild handelt. Aus den Untersuchungen zu Prop. 4,2 ging zwar hervor, dass das Kultbild eine programmatische Funktion im Dichtungsprogramm des vierten Buches übernimmt. Man widmete sich aber nicht der Frage, warum der Dichter ausgerechnet ein Kultbild für eine solche Funktion instrumentalisierte. Genau an diesem Punkt möchte die vorliegende Arbeit ansetzen: Dass Kultbilder programmatisch instrumentalisiert werden können, haben insbesondere die Einzelinterpretationen zu Vertumnus bei Properz, aber auch die zu Priapus bei Tibull bereits erahnen lassen. Aus den dort gewonnenen Erkenntnissen lässt sich vermuten, dass Kultbilder, wenn sie in der augusteischen Dichtung zum Sprechen gebracht wurden, programmatische Funktion erfüllten. Meine Dissertation möchte daher nicht nur alle drei Texte poetologisch untersuchen und die programmatische Funktion jedes einzelnen Kultbildes ermitteln. Sie möchte vor allem durch einen synoptischen Vergleich aller drei sprechenden Kultstatuen folgendes zu klären suchen: Welche literarischen Techniken werden verwendet, um den Kultbildern eine programmatische Funktion zuzuweisen? Lassen sich bei der literarischen Instrumentalisierung des Motivs ‚sprechende Statue‘ trotz der unterschiedlichen Gattungen Ähnlichkeiten (Erzählmechanismen, Funktion) feststellen, die allen drei 13 Siehe dazu z.B. ANDERSON 1972, HABASH 1999 und SHARLAND 2003. Wegweisende Arbeiten wie BRAUND 1996, die die Theatralizität der Satire und die Masken/personae des satirischen Ichs untersucht hat, haben ihre Erkenntnisse nicht auf Hor. sat. 1,8 angewandt.

1 Einleitung und Disposition der Arbeit

15

Kultbildern gemeinsam sind, oder werden dabei die verschiedenen Gattungseinflüsse sichtbar? Warum sind es ausgerechnet die Kultbilder unbedeutender Gottheiten wie Priapus und Vertumnus, die zu sprechen beginnen? Eine solche komparative Untersuchung ist bisher in der lateinischen Philologie noch nicht unternommen worden und stellt damit ein Forschungsdesiderat dar.14 Die Arbeit beschreitet insbesondere Neuland, insofern sie nicht nur die literarische, sondern auch die religiöse Ebene der Kultbilder berücksichtigt. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis der Religionswissenschaft, dass Kultbilder in der rituellen Kultpraxis als Verstärker der Kommunikation zwischen Menschen und Göttern eingesetzt wurden. Sie waren Medium in der Verständigung zwischen der menschlichen und der göttlichen Sphäre. Gerade in diesem Punkt lässt sich die größte funktionale Annäherung zwischen Religion und Literatur vermuten und ein Erklärungsansatz suchen, warum sprechende Kultbilder in Texten poetologisch verdächtig sind. Auch in der Dichtung scheinen Kultbilder, wie anhand des properzischen Vertumnus bereits evident geworden ist, mediale Funktion zu übernehmen. Die Dichter konnten sie instrumentalisieren, um programmatische Aussagen zu treffen. Zugleich hat die ähnliche Funktion in Religion und Literatur zur Folge, dass Gedichte, in denen Kultbilder zu sprechen beginnen bzw. in bestimmte Kommunikationssituationen eingebunden werden, von vornherein von der Dualität zwischen religiöser und literarischer Kommunikation geprägt sind. Zu untersuchen wäre also demnach folgendes: Wie verhalten sich die religiöse und literarische Komponente der Kultbilder in der augusteischen Dichtung zueinander? Lassen sich religiöse Reflexe in den Texten finden? In welcher Weise werden die Kultbilder als religiöses Medium in die literarische Kommunikation des Dichters mit seinem Leser eingebunden? Welche Vorzüge ergeben sich aus der literarischen Verwendung solcher Kultmedien? Die Dissertation ist wie folgt strukturiert: Das Grundlagenkapitel meiner Arbeit (Kap. 2) sucht zunächst der skizzierten Dualität Rechnung zu tragen, indem es literarische und religiöse Komponenten des Kultbildes herausmodelliert. Zunächst sollen die literarischen Besonderheiten und Gattungstraditionen des Motivs ‚sprechende Statue‘ in den Blick genommen werden. Hierbei erweist sich vor allem das voraugusteische Epigramm als wichtiger Wegbereiter. Die kurze Präsentation der Entwicklung dieser literarischen Gattung von realen Aufschriften im 8. Jh. v. Chr. bis zur literarischen Gattung im 14 Irmgard MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a arbeitet zwar zur Intermedialität und dem Verhältnis von Stimme, Schrift und Bild. Jedoch widmet sie sich eher Beispielen der hellenistischen Dichtung, deren Inhalte auch keine sprechenden Kultbilder ins Zentrum stellen. Ivana PETROVIC 2010 hingegen hat das Kultbild des Hermes Perpheraios (Kall. Iamb. 7) als Allegorie der archaischen iambischen Dichtung gedeutet. Jedoch bezieht sie sich in ihren Ausführungen ähnlich wie MÄNNLEIN-ROBERT lediglich auf griechische Beispiele. In der lateinischen Philologie ist die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Kultbild und Dichtung gibt, nur marginal behandelt worden. Nur DEREMETZ 1986, BOLDRER 1999, GLOCK 1999 und LEESTECUM 2005 nehmen an, dass das Kultbild des Vertumnus eine Allegorie der neuen properzischen Dichtung sei.

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1 Einleitung und Disposition der Arbeit

Hellenismus soll darlegen, warum sich ausgerechnet dieses Genre für die Umsetzung des Motivs der sprechenden Statue eignete. Ein kurzer Einblick in das Oevre des hellenistischen Dichters Kallimachos, dessen Werk eine besondere Affinität zu Götterstatuen und Kultbildern aufweist und der erstmalig explizit Kultstatuen in einer ausführlichen Rede über sich selbst sprechen lässt, soll beweisen, dass das Motiv der sprechenden Statue nicht nur auf die Gattung der Epigramme beschränkt war, sondern auch in Aitien oder Iamben Einzug gehalten hat. Davon ausgehend ergeben sich speziell für die Texte der augusteischen Dichtung folgende Fragen: Basieren Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 auf hellenistischen Prätexten? Warum halten sprechende Kultbilder gerade in der augusteischen Zeit Einzug in die Literatur? Sind die Veränderungen auf politischer, kultureller und sozialer Ebene dieser Zeit in den Texten spürbar? Analog zur literarischen Komponente soll in Auseinandersetzung mit religionswissenschaftlichen Vorarbeiten dann eine Definition des Begriffs ‚Kultbild‘ erarbeitet werden, um zu beweisen, dass die Statuen der beiden Priapi und des Vertumnus tatsächlich sprechende Kultbilder und nicht einfache Götterstatuen sind. Dabei lässt sich feststellen, dass es auf ritueller Ebene vor allem sein medialer und kommunikativer Charakter ist, der das Kultbild zum Kultbild macht. Diese These soll anschließend durch eine kurze Darstellung der Einbindungsmöglichkeiten von Kultbildern in verbalen wie non-verbalen Kommunikationssituationen im rituellen Kontext untermauert werden. Auf diesen beiden Standbeinen aufsetzend, können abschließend die Kriterien definiert werden, die die Verwendung von Kultbildern als Medium der Kommunikation in literarischen Texten so attraktiv werden lässt. Die hohe Attraktivität von Kultbildern ergibt sich aus der Kombination ihres medialen Charakters und des Rückgriffs auf das hellenistische Motiv der Selbstbezüglichkeit sprechender Statuen und Kunstgegenstände, durch die die augusteischen Dichter metapoetische Aussagen treffen und so mit ihrem Leser kommunizieren konnten. Zudem werden in den Texten die Kultbilder v.a. durch die Erwähnung der Materialität und ihrer Einbindung in eine rituelle Kommunikationssituation eindeutig als solche definiert. So ergeben sich aus der Verbindung von Materialität, den als mündlich imaginierten Götterreden und der vorliegenden Texte (Schriftlichkeit) intermediale Bezüge, die weiteres poetologisches Potential in sich bergen. Ob und wie die skizzierten Aspekte in Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 umgesetzt werden, ist Bestandteil des Hauptteiles der vorliegenden Arbeit. Die Reihenfolge, in der die Texte analysiert werden sollen, ist chronologisch. Dies liegt nahe, da eine intertextuelle Abhängigkeit angesichts der Motivverwandtschaft denkbar ist. Die ersten beiden Einzelinterpretationen zu Horaz und Tibull (Kap. 3 und 4) stellen das Kultbild des Priapus und dessen Monolog ins Zentrum der Analyse. Die daran anschließende dritte Textanalyse behandelt das sprechende Kultbild des Vertumnus in Prop. 4,2 (Kap. 5). Dabei bildet mehr noch als bei den beiden Priapi die intermediale Untersuchung des Kultbildes einen besonderen Schwerpunkt. Ziel dieser synoptischen Untersuchung ist es, die Gemeinsamkeiten und

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Unterschiede in der poetologischen Verwendung der drei Kultbilder als Kommunikationsmedium darzustellen. Kapitel 6 zieht eine Zwischenbilanz und soll basierend auf den Beobachtungen der vorangegangenen Textanalysen aufzeigen, dass sowohl religiöse als auch literarische Kultbilder mediale Funktion haben, dass sich jedoch die Wege der Kommunikationsübermittlung voneinander unterscheiden. Verschiebungen zur rituellen Kultpraxis machen deutlich, dass die augusteischen Dichter durch die Einbindung von Kultbildern in einen literarischen Kontext in der Lage waren, einerseits die Normen der religiösen Kommunikationswege und andererseits die Grenzen des Mediums ‚Kultbild‘ zu überschreiten. Das letzte Kapitel „Kommunikation mit Göttern auf anderen Wegen“ (Kap. 7) soll die Besonderheit der Kommunikation mit Kultbildern in literarischen Kontexten herausarbeiten. Zu diesem Zweck werden dem überschaubaren Korpus sprechender Kultbilder Texte gegenüberstellt, in denen göttliche Sprecher auftreten. Ausgewählt wurden mit Mars bzw. Mars Ultor (Ov. fast. 3,1–252 [Mars], Ov. fast. 5,545–598 [Mars Ultor]), Venus (Ov. fast. 4,1–162) und Apollo Palatinus (Prop. 2,31 und 4,6) drei Götter, denen im Gegensatz zu den Kultbildern des Priapus und Vertumnus besondere Bedeutung in der augusteischen Zeit zukommt, da sie einerseits auf politischer und andererseits auf literarischer Ebene eine wichtige Rolle spielen. Die Untersuchung soll klären, worin sich die Kommunikationssituationen, in denen diese prominenten Gottheiten auftreten, von denen der sprechenden Kultbilder unterscheiden, und inwiefern sich Schnittmengen feststellen lassen. Im Fazit sollen abschließend sprechende Kultbilder den handelnden Götterfiguren bezüglich ihrer Kommunikation und poetologischen Funktion gegenübergestellt werden. Auf diese Weise lässt sich die Besonderheit des sprechenden Kultbilds in der augusteischen Dichtung bestätigen.

2. KULTBILDER ALS MEDIUM DER KOMMUNIKATION IM LITERARISCHEN UND RELIGIÖSEN/KULTISCHEN KONTEXT 2.1 EINFÜHRUNG Der Ursprung des Motivs der sprechenden Götterstatue, das später von den augusteischen Dichtern Horaz, Tibull und Properz in Form von sprechenden Kultbildern wieder aufgenommen worden ist, lässt sich bis zu den Anfängen der griechischen Literatur zurückverfolgen und ist im Interesse der Dichter an bildender Kunst verwurzelt. Bereits seit Homers Schildbeschreibung (Hom. Il. 18,478–608) und Pseudo-Hesiods Scutum (V 139–320) sind Beschreibungen von Kunstgegenständen, deren Bildlichkeit, Lebendigkeit und Lebensechtheit in der Dichtung reflektiert werden, in der Literatur präsent.1 Mit Beginn des Hellenismus und der Etablierung der Schrift lässt sich allerdings eine Veränderung des Verhältnisses von bildender Kunst und Dichtung beobachten. Fortan steigt die Intensität der Auseinandersetzung poetischer Texte mit den Werken der bildenden Kunst evident. Im Vergleich zu den archaischen und klassischen Texten ändern sich im Hellenismus der Kontext und die Art und Weise, wie diese Werke in der Dichtung beschrieben, erklärt und dargestellt werden. Die Themen kommen nun oftmals aus dem lebensweltlichen oder alltäglichen Bereich. Götter und mythische Figuren werden nicht mehr idealisiert, sondern erhalten menschliche Züge. Man spielt mit der erzeugten Illusion der realistischen Darstellung von Kunstwerken, um sie zugleich durch markante Hinweise auf die Künstlichkeit der Kunst aufzuheben. Zudem wird der Betrachter von Anfang an in die Komposition oder Deutung des Kunstgegenstandes mit einbezogen.2 Dies hat zur Folge, dass die Werke der bildenden Kunst nicht nur aufgrund ihrer Berühmtheit, des künstlerischen Eigenwertes oder zur Demonstration poetischen Könnens in den Fokus der hellenistischen Dichter gelangten, sondern auch als Projektionsfläche poetischer Diskussionen sowie als Möglichkeit, Aussagen über das eigene Werk zu treffen, genutzt wurden. Die Stimme und Sprechfähigkeit der jeweiligen Gegenstände spielte dabei 1

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Siehe zum Verhältnis von Stimme und Bild vor dem Hellenismus MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 13–35. Dass Hephaistos, der Schöpfer des Schildes des Achill, in der archaischen Vorstellung die Fähigkeit hatte, einerseits bewegungs- und stimmfähige Kunstfiguren zu schaffen und andererseits Kunstwerke lebendig erscheinen zu lassen, lässt sich mit einer Art magischen Qualität begründen, die dem Kunstwerk durch den göttlichen Künstler verliehen wurde. Verwiesen sei hierbei z.B. auf die goldenen Dienerinnen des Gottes, die ihm in der Schmiedewerkstatt umherführen und den gehbehinderten Gott stützen (vergleiche Hom Il. 18,417421). Siehe dazu KASSEL 1983, 2f.; MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 17f. Siehe dazu MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 1 f.; 13. Vergleiche auch G. ZANKER 1987, passim; FOWLER 1989, passim; ANDREAE 1998, passim.

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eine besonders wichtige Rolle,3 die sich im Folgenden auch die augusteischen Dichter bei der Funktionalisierung ihrer sprechenden Kultbilder zunutze machten. Doch bevor ich mit der Analyse der Texte beginne und herausarbeite, welche Funktionen die sprechenden Kultbilder in einem literarisch geschlossenen Raum wie dem meiner Texte einnehmen, müssen zunächst sachliche und methodische Grundfragen geklärt werden. Drei Punkte stehen dabei in dem vorliegenden Kapitel im Zentrum: Da das Motiv der sprechenden Statue seine erste Blütezeit in den hellenistischen Epigrammen zu haben scheint, soll diese Gattung im Folgenden genauer untersucht werden. Ein kurzer Überblick über ihre Entwicklung von den Anfängen als Aufschrift von Objekten und Gebäuden im realen Kontext im 8. Jh. v. Chr. zum literarischen Genre im Hellenismus soll deutlich werden lassen, warum sich Epigramme primär für die Umsetzung des Motivs der sprechenden Statue eigneten. Lassen sich hellenistische Prätexte finden, die Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 besonders tangieren und in denen Götter mittels ihrer Kultbilder das Wort ergreifen? Ist auch der Einfluss der kulturellen und sozialpolitischen Veränderungen der augusteischen Zeit in den vorliegenden Texten spürbar? Was unterscheidet diese Texte von anderen augusteischen, in denen ebenfalls Götter zu sprechen beginnen? Dem literarischen Hintergrund der sprechenden Statue soll dann der religiösen Kontext des Kultbildes gegenübergestellt werden. Zunächst soll der Versuch unternommen werden, den Begriff ‚Kultbild‘ zu definieren, um auf dieser Grundlage in den späteren Textanalysen argumentieren zu können. Es soll gezeigt werden, dass sich das Kultbild nicht durch terminologische oder allein durch kultpraktische Kriterien definieren lässt, sondern vor allem sein medialer und kommunikativer Charakter das Kultbild zum Kultbild werden lässt. Durch eine kurze Darstellung der Interaktionspotentiale von Kultbildern im kultpraktischen Kontext soll diese These untermauert werden. Auf diese Weise soll bewiesen werden, dass es sich bei den sprechenden Priapi- und Vertumnus-Statuen des Horaz, Tibull und Properz nicht um Kunstwerke in Form von Götterstatuen handelt, sondern um Kultbilder, deren mediale und kommunikative Potentiale auf kultischer Ebene von den augusteischen Dichtern in ihre Texte überführt und funktionalisiert wurden. Der dritte Teil des Kapitels soll abschließend meine These untermauern, dass die Attraktivität der Verwendung von Kultbildern als Medium der Kommunikation in literarischen Texten insbesondere auf zwei Standbeinen aufsetzt: Einerseits ergibt sich durch die mediale Funktion und Selbstbezüglichkeit der sprechenden Kultbilder die Möglichkeit für den Autor, Aussagen über das eigene Werk zu treffen. In diesem Zusammenhang erweist sich das narratologische Phänomen des „unzuverlässigen Erzählers“ in allen drei Texten als fruchtbares Untersuchungsfeld, dessen Parameter im Folgenden vorgestellt werden sollen, um in den interpretierenden Kapiteln 3–5 darauf zurückgreifen zu können. Andererseits liegt die

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MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 1f.; 13.

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Attraktivität der Verwendung von Kultbildern besonders in dem Potential, mit ihrer Hilfe Elemente der Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Plastizität in einem literarischen Raum zu inszenieren und zu vereinen (intermediale Bezüge). So ist die Möglichkeit gegeben, innerhalb des Textes besondere Dynamiken zu kreieren, die für die poetologischen Interessen des Dichters fruchtbar gemacht werden können.

2.2 SPRECHENDE STATUEN – DIE LITERARISCHE TRADITION 2.2.1 Die hellenistische Dichtung und Kallimachos Die literarische Gattung, die sich besonders gut für die Darstellung des Verhältnisses von bildender Kunst und Poesie sowie das Sprechenlassen von Gegenständen oder Kunstwerken eignete, war das Epigramm. Dabei handelt es sich um kurze Texte, die seit dem 8. Jh. v. Chr. erst in Prosa, dann auch in metrischer Form auf Vasen, Bechern, Weihegaben, Grabstelen, Hermen etc. mit realem Anlass im öffentlichen und im privaten Bereich Griechenlands4 zum Zwecke des Wachhaltens der Erinnerung oder der Weihung von Gegenständen zu finden waren. Das Epigramm zeichnete sich vor allem durch seine enge Verbindung von materiellem Bild und Aufschrift (ἐπίγραµµα= Aufschrift) aus und hob sich dadurch von anderen literarischen Gattungen klar ab. Auch wenn sich das Sprechen von Kunstwerken in der vorhellenistischen Dichtung nur auf wenige Kontexte beschränkte, so war es in der bildenden Kunst doch seit der archaischen Zeit etabliert. Das Phänomen, Inschriften und Kunstobjekte in der ersten Person sprechen zu lassen, findet sich schon in kleinasiatischen Städten des 7./6. Jh. v. Chr. und hat wahrscheinlich altorientalische Wurzeln. Das ‚Sprechen‘ der Objekte wurde dabei über die Bei- und Aufschriften kenntlich gemacht.5 Vergleichbares galt auch speziell für sprechende Statuen: Ähnlich wie Stelen, die in Grabepigrammen in der ersten Person sprechen, sah man diese als beseelt und als personifizierten Ersatzkörper für die Person, die sie darstellten, an. Das Sprechen ihres epigraphischen Ichs wurde ebenfalls durch Aufschriften in Form von Epigrammen auf der Basis der Figuren oder auf Tafeln (Pinakes) markiert.6 Während das archaische Epigramm neben seiner Kürze durch einen nüchternen, strengen Stil, einen verhaltenen, unpersönlichen Ton, eine funktionale Bestimmung (z.B. Name, Stadt, Familie und Alter des Verstorbenen auf Epitaphen) sowie seine Anonymität charakterisiert wurde, entwickelten sich seine Pendants

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Die meisten erhaltenen Epigramme stammen aus dem Grab- und Votivkontext. Siehe dazu DEGANI 1997, 1108. DEGANI 1997, 1108–1110; MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 13. Der archaische Usus, Gegenstände in der Ich-Rede sprechen zu lassen, ist zunächst für Götterbilder, dann von Menschen, Objekten (Gräbern, Grabstelen etc.) und Tieren zu beobachten. Vergleiche MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 27.

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im 5. und 4. Jh. v. Chr. zu beweglicheren und wirkungsorientierteren Formen und wiesen einen Drang zu harmonischen und stilistischen Effekten auf. Weiterhin lassen sich Einflüsse aus anderen literarischen Gattungen wie der Elegie, der Tragödie und der Rhetorik beobachten, die dem Epigramm Pathos und Theatralik verliehen. Speziell im 4. Jh. v. Chr. wurden weitere formale Innovationen hinzugefügt, wie z.B. der Beginn in Form eines Konditionalsatzes oder der Vergleich des Verstorbenen mit einem Heroen. Zudem lassen sich erstmalig vereinzelt Epitaphen mit fiktivem Inhalt finden (Theokritos Chios, epist. 1 FGE), die Dichter gaben ihre Anonymität auf und nannten ihren Namen im Gedicht. Inhaltlich wendet man sich von Ruhm, Heroismus und dem Wunsch, den Menschen zu vergöttlichen, ab. In den Vordergrund tritt nun der Versuch, Götter und Helden menschenähnlicher zu machen. Folgerichtig wendet man sich dem Einfachen und Natürlichen, den knappen und prägnanten Ausdrücken zu. Das Ende des 4. Jhs. v. Chr. markiert einen Einschnitt in der Geschichte des Epigramms. In dieser Zeit entwickelten die hellenistischen Dichter aus dem Epigramm eine neue Form mit veränderter Funktion. Die ursprüngliche Inschrift am Objekt oder Monument wird nun in einen neuen, genuin literarischen Raum überführt. Man beginnt in dieser Zeit, vermehrt Epigramme für Bücher zu verfassen. Damit geht das Konkurrieren mit anderer Buchliteratur einher. Der Anlass ist immer häufiger fiktiv, die Themenwahl ist vielfältig und unabhängig von Denkmalkunst oder Todesvorstellungen, in deren Kontext die Aufschriften vorher zu finden waren. Das Epigramm löst sich somit im Laufe der Zeit von seinem konkreten, haptischen Kontext und wird zum Buchepigramm.7 Charakteristisch für hellenistische Epigramme ist neben dem Bildungsanspruch, den die Gedichte an ihre Leser stellen und der zugleich dichterischer Ausweis für die Fähigkeiten des Poeten ist, vor allem das Wissen des Lesers über den Autor und realen Sender hinter der präsentierten Sprechhandlung. Auf diese Weise erhält der Dichter innerhalb der Epigramme die Möglichkeit, den konventionellen Sprecherrollen (Rolle des Denkmals oder Lesers als imaginärer Sprecher eines Epigramms) eine weitere Perspektive hinzuzufügen: die Person des Dichters als Rolle. Daraus ergeben sich zahlreiche kompositionelle, aber auch poetologische Möglichkeiten.8 Im Kontext des Wandels von der In- bzw. Aufschrift zum Buchepigramm wurden gerade im Epigramm ästhetische und poetologische Diskurse, aber auch neue Formen von Ekphrastik9 und Sehkultur reflektiert. Dichter solcher Epigramme waren beispielsweise Erinna, Nossis, Poseidippos, Kallimachos, Leonidas

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DEGANI 1997, 1108–1110; MEYER 2005, 96–106; 107–126 mit älterer Literatur. Siehe dazu MEYER 2005, 108f. Bei MÄNNLEIN-ROBERT wird die Ekphrastik als „ein − oftmals dramatisierter − Ausschnitt in der Betrachtung, beim Sehen eines Kunstwerkes (…), der es in seinem wesentlichen Wirkmoment, emotional und intellektuell erfasst“ bezeichnet. Siehe MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 5.

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von Tarent, Antipatros von Sidon und Meleager von Gadara.10 Der nunmehr rein literarische Charakter der Epigramme machte zudem neue Darstellungsformen wie die der Repräsentation von Kunstwerken möglich.11 So präsentierten besonders hellenistische Epigramme Kunstwerke sehr lebensnah. Die dort dargestellten Werke wirkten lebendig, konnten den Betrachter täuschen und schienen sich sogar zu bewegen.12 Der höchste Grad an Belebung, der Dichtern möglich war,13 wenn sie in ihren Texten leblose Gegenstände und somit auch Statuen zum Leben erwecken wollten,14 um sie z.B. für ihre eigenen Zwecke zu funktionalisieren, war das Verleihen einer Stimme.15 Die Stimme wird insbesondere in der hellenistischen Dichtung zum Thema gemacht und erhält poe10 Anth. Gr. 6,352 = GOW–PAGE 1965, 284 (Erinna); Anth. Gr. 9,605; 9,604; 6,353 = GOW– PAGE 1965, 439f. (Nossis); Anth. Gr. 16,119 = GOW–PAGE 1965, 498f. (Poseidippos); Anth. Gr. 5,146 = GOW–PAGE 1965, 171f. (Kallimachos); Anth. Gr. 16,182 = GOW–PAGE 1965, 333f. (Leonidas von Tarent); Anth. Gr. 16, 167 = GOW–PAGE 1965, 68f.; Anth. Gr. 16,178 = GOW–PAGE 1965, 69 (Antipatros von Sidon); Anth. Gr. 5,149 = GOW–PAGE 1965, 626; Anth. Gr. 12,57 = GOW–PAGE 1965, 665 (Meleager von Gadara). 11 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 5f. mit angegebener, älterer Literatur. 12 Das Motiv der Lebensnähe von Kunstwerken findet man in den erhaltenen Versinschriften der archaischen und klassischen Zeit nicht. Zwar gibt es auch in dieser Zeit „Ich“-RednerEpigramme, allerdings weisen diese Ich-Erzählungen nicht darauf hin, dass das Weihgeschenk lebendig oder täuschend echt ist, weil darin sehr häufig der Stifter oder das Weihgeschenk selbst erwähnt wurde. Es gibt weder Hinweise auf Lebensnähe noch Anspruch auf realistische Züge der Weihung. Siehe dazu I. PETROVIC–A. PETROVIC 2003, 192; A. PETROVIC 2005, 31–39. Siehe beispielsweise Anth. Gr. 9,604 = GOW–PAGE 1965, 439f. (Nossis) oder die zahlreichen Epigramme, die Myrons Kuh zum Thema haben: Anth. Gr. 9,713–742; 793–798. 13 In der griechischen Literatur war die Vorstellung von der Stimme als wesentlich physischpsychisches Phänomen, als Indikator für Belebtheit und Am-Leben-Sein, sowie bei Abwesenheit als Indikator für Uneigentlichkeit (Hes. Th. 797 f.) und Unbelebtheit (Pi. . 10,90) sehr weit verbreitet. Auf diese Art und Weise wird Stimme bereits in der archaischen Dichtung sowohl für Götter als auch für Menschen verwendet. Siehe dazu MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 187. Bildhauer der späten archaischen und frühklassischen Zeit versuchen die Stille, die ihren Bildnissen und generell leblosen Objekten zueigen ist, zu überwinden. Vor allem die offenen Münder sowohl der frei stehenden Statuen als auch der Architekturbildnisse des ersten Viertels des 5. Jhs. v. Chr. versuchen die Illusion der Belebung zu erzeugen. Siehe dazu STEINER 2001, 31. 14 Aus rhetorischer Sicht lässt sich dieses Phänomen mit der sermocinatio oder auch ethopoeia zusammenbringen. sermocinatio meint nach der Definition von LAUSBERG die der Charakterisierung natürlicher (also erfundener oder historischer) Personen dienende Fingierung von Aussprüchen, Gesprächen und Selbstgesprächen oder unausgesprochene gedankliche Reflexionen der betreffenden Personen. Inhaltlich muss die sermocinatio keine historische Wahrheit beanspruchen. Sie braucht lediglich wahrscheinlich sein, also dem Charakter der sprechenden Person entsprechen. Der Charakter der Person wird durch die fingierte Rede dichterisch gestaltet, daher der Terminus ethopoeia. Siehe dazu LAUSBERG 1960, 407–411. Vergleiche auch Quint. inst. 9,2,29–37, besonders : quin deducere deos in hoc genere dicendi et inferos excitare concessum est (Quint. inst. 9,2,31). 15 Siehe zur Semantik von ‚Stimme‘ in der griechischen Literatur MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 187–190.

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tologische Funktion. Hintergrund dafür ist das reflektierte Wissen um die ursprüngliche Mündlichkeit der nunmehr schriftlichen Dichtung und der sich daraus ergebenden neuen Möglichkeiten. Stimme (αὐδή, φωνή) ist zum einen Medium der lautlichen Performanz und Präsentation des Gedichts, kann zum anderen aber auch zum Thema im Gedicht bzw. zur Metapher für Dichtung selbst werden. Dazu bietet die Stimme den hellenistischen Dichtern die Möglichkeit das ‚schweigende‘ Kunstwerk als solches zu enttarnen und so seine mediale und künstlerische Defizienz zu formulieren. Letztendlich dient sie der Unterscheidung der bildenden Kunst und der Dichtung. Sie wird laut MÄNNLEIN-ROBERT im Unterschied zu Schrift und Bild in der griechischen Dichtung zum Inbegriff der Unmittelbarkeit und Präsenz („Phonozentrismus“).16 Wenn in der hellenistischen Dichtung Bilder oder Kunstwerke als sprechend beschrieben oder dargestellt werden, dann stellen diese zumeist sich selbst in den Fokus des Interesses:17 Sie sprechen über sich, machen Angaben zu ihrem eigenen Material, dem Künstler, der sie schuf, und vor allem über ihr Aussehen und ihre Wirkung.18 Dabei stellen sie besondere Details heraus und fokussieren hauptsächlich die Aspekte, die für den Betrachter von Interesse sein könnten. Die Art und Weise ihrer Selbstdarstellung ist demnach sehr stark von dem Adressaten abhängig. Gleichzeitig werden darin typisch hellenistische Interessen der Kunstbetrachtung reflektiert. Das Phänomen der sprechenden Statue19 zeigt sich vor allem in Dialogepigrammen, die sich in hellenistischer Zeit großer Beliebtheit erfreuten.20 Im Zen16 Siehe dazu MÄNNLEIN-ROBERT 2007a, 7; 190–192. 17 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 33f. 18 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 34. Vergleiche z.B. Anth. Gr. 16, 158 = GOW–PAGE 1965, 279 (Diotimos von Adramyttion): Eine Artemis-Statue betont ihre sich geziemende Bronzedarstellung. Kall. epigr. 24 Pf.: Ein Heros, dargestellt als Relieffigur, beschreibt und lokalisiert sich selbst. In Kall. epigr. 5 Pf. gibt eine sprechende Muschel, ein Weihgeschenk für Aphrodite Zephyritis, ausdrücklich an, dass sie nun ‚leblos‘ sei (V 9: εἰµὶγὰρἄπνους). Anth. Gr. 13,6 = GOW–PAGE 1965, 461f. (Phalaikos): Dort beschreibt sich die sprechende Statue des (Komödien-) Schauspielers Lykon als σῆµα und µνῆµα dieses Mannes und seiner Eigenschaften sowie als Abbild von dessen äußerer Erscheinung (V 8: παράδειγµα τᾶς ὀπωπᾶς) 19 Seit dem 7. Jh. v. Chr. werden sprechende Kunstwerke in der Dichtung immer öfter auf den athenischen Künstler und Architekten Daidalos zurückgeführt, der als menschliches Pendant zum Künstlergott Hephaistos galt (s.o.) und für die epochalen Neuerungen, die in der Bildhauerei im 7. Jh. v. Chr. gemacht wurden (das Öffnen der Augen der Statuen, Schrittstellung, Lösung der an den Körper gepressten Arme vom Rumpf), stand. Als Künstler und Bildhauer v.a. hölzerner und bronzener Statuen konnte er die archaischen Statuen von ihrer steifen Haltung befreien und sie als beweglich darstellen. Nach Platon (Euthyphr. 11 c; Men. 97 d) laufen diese ‚Daidala‘ sogar weg, wenn man sie nicht anbindet. Zudem verleiht Daidalos seinen Werken eine Stimme, wodurch sie ihren lebensechten Charakter erhalten. Als erster Archaismus, bezogen auf diese alte Auffassung von Kunstwerken, können die sprechenden Götterbilder in der Alten Komödie gesehen werden: so z.B. Hermes als Dolmetscher für die eigentlich stumme Statue der Eirene (Aristophanes, Pax 657ff.), der Dialog einer Hermes-Statue mit einer anderen Figur, die nach deren Identität und den Grund des Schweigens fragt. In der Antwort des Hermes finden sich bekannte Topoi zu den Daidala – Stimme und selbstständige

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trum dieser Gespräche zwischen Statue und Betrachter steht ebenfalls häufig die Statue selbst. Allerdings nehmen in diesen Texten oftmals die Bilder bzw. Statuen keine initiative Rolle innerhalb dieses Dialogs ein, da sie lediglich auf die Fragen des Betrachters antworten. Der hellenistische Dichter, der nicht nur Kunstwerke, sondern speziell Götterstatuen und Kultbilder in all seinen Werken – den Hymnen, Aitien, Epigrammen und Iamben – zu Wort kommen ließ, ist Kallimachos.21 In drei seiner sechs Hymnen werden Feste geschildert, in denen Kultstatuen eine prominente Rolle einnehmen.22 Das beste Beispiel in den Aitien bietet die allegorische Interpretation des Apollo von Delos.23 Sowohl in den Hymnen als auch in den Aitien zeigt Kallimachos ein besonderes Interesse an alten Statuen. Während die Statuen in Hymnen oft in ihrem rituellen ‚Setting‘ beschrieben werden, geht es in den Aitien um die Ursprünge und Besonderheiten jeder einzelnen Statue. Auch in den Epigrammen werden Statuen erwähnt. Während die Statuen in den Hymnen und Aitien verehrungswürdig, archaisch oder ungewöhnlich sind, sind sie in den Epigrammen eher bescheiden und anspruchslos.24 Außerdem widmet Kallimachos den sechsten (Phidias-Statue des Olympischen Zeus), den siebten (Hermes Perpheraios) und den neunten Iambos (ithyphallische Statue des Hermes im Dialog mit einem erastes) Kult- bzw. Götterstatuen.25 Am Beispiel des Kallimachos wird demnach ersichtlich, dass das Motiv der Statue keineswegs auf die literarische Form der Epigramme beschränkt war. Speziell in den dialogischen Partien der Aitien und Iamben des Kallimachos, in denen Statuen (über sich) sprechen, lässt sich feststellen, dass diese neben ihrer

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Bewegung (Plato Comicus frg. 204 PCG VII K.-A.). Siehe MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 27– 29 mit weiteren Textstellen. Vergleiche auch KASSEL 1983, 3–7 mit weiteren Textstellen. Vergleiche beispielsweise Anth. Gr. 16, 275 = GOW–PAGE 1965, 499f. (Poseidippos): In diesem Gedicht spricht der Καιρός selbst und wird von einem imaginierten Gegenüber ausgefragt. Anth. Gr. 12,143 (anonym): Ein verliebter Hermes im Dialog mit seinem Gegenüber. Anth. Gr. 16,240 (Philippos): Dialog zwischen Priapus und einem unbekannten Gegenüber, der reife Feigen aus dem Garten pflücken möchte, den der Gott bewacht. Siehe auch Kap. 3.4.3. Im Hymnus auf das Bad der Pallas geht es um das rituelle Waschen und das Bekleiden einer Athena-Kultstatue (Kall. Lav. Pall. 1–142); im Hymnus an Demeter wird die Prozession einer Kultstatue geschildert (Kall. Cer. 118–138); der Hymnus an Apoll beginnt mit der Erwähnung der Öffnung der Tempeltüren und der Begrüßung der Statue durch den Chor der Jugend und der versammelten Verehrer (Kall. Ap. 1–113). Im Delos-Hymnus wird die Ankunft der antiken Statue von Aphrodite auf Delos und die lokalen Rituale zu ihren Ehren geschildert (Kall. Del. 307–315). Der Hymnus an Artemis bietet ein Aition für die ephesische Statue der Göttin und dem rituellen Tanz durch die Amazonen (Kall. Dian. 1–268). Siehe Kall. Aetia Fr. incert. libri 114 Pf. Diese Statue hält die Grazien in ihrer rechten Hand und einen Bogen in der linken. In typischer kallimacheischer Art wird die Erklärung dazu in einem Dialog geliefert, der den Epigrammen nacheifert, die üblicherweise auf den Basen von Statuen zu finden waren. Vergleiche auch I. PETROVIC 2010, 206. So z.B. Kall. epigr.24 Pf.; 33 Pf.; 38 Pf.; 50 Pf.; 51 Pf.; 56 Pf.; 57 Pf. Siehe zur Statuen-Thematik bei Kallimachos I. PETROVIC 2010, 205–208.

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ursprünglichen sakralen und kultischen Funktion vor allem den Zweck ihrer Darstellung thematisieren. Dies steht in engem Zusammenhang mit der für Aitiologie und Archäologie eigentümlichen Intention der Archaisierung, die Kallimachos dort verfolgt.26 Der Drang der Bilder und Statuen, sich selbst in das Zentrum der Texte zu stellen, scheint in der hellenistischen Literatur eine allgemeine Praxis gewesen zu sein und darf laut MÄNNLEIN-ROBERT „als metapoetischer Hinweis darauf verstanden werden, dass in den Selbstbeschreibungen kunstästhetischer Art auch dichtungstheoretische Fragen berührt werden.“27

2.2.2 Rom – die augusteische Dichtung Der Einfluss der hellenistischen Dichtung und insbesondere der des Dichters Kallimachos auf die augusteische Literatur ist unbestritten.28 Angesichts der leitmotivischen Bedeutung der sprechenden Götter- und Kultstatuen bei Kallimachos überrascht es daher nicht, dass gerade Kultbilder auch in der augusteischen Dichtung nachweisbar sind.29 Wie der hellenistische Einfluss sich in den vorliegenden augusteischen Texten niederschlägt und warum gerade das Motiv der sprechenden Kultstatue in augusteischer Zeit auf fruchtbaren Boden fällt, soll im Folgenden skizziert werden. Horaz, Tibull und Properz verwenden in ihren Texten, in denen sie Priapus bzw. Vertumnus eine Stimme verleihen und sie somit „zum Leben erwecken“, bereits tradierte Motive und Techniken, die vor allem aus der Grab- und Weih-

26 Kall. Iamb. 7 Pf. (Diegesis): Eine hölzerne Hermesstatue des Epeios erzählt, wie sie zum Kultbild in Ainos in Thrakien wurde; Kall. Iamb. 9 Pf.: Eine phallische Hermesstatue erzählt im Dialog auf Nachfrage ihr Aition. Die Statue des Delischen Apollo macht ebenfalls innerhalb eines Dialogs mit einem Passanten aitiologische Angaben. Dabei werden auch Größe und Material der Statue beschrieben. Siehe dazu MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 35 Anm. 109 mit zusätzlichen Literaturangaben zu den aufgeführten Textstellen. 27 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 33–35. Vergleiche auch I. PETROVIC 2010, 205–224: PETROVIC beschäftigt sich hier mit dem 7. Iambos des Kallimachos und versucht zu zeigen, wie Kallimachos das Abbild des Hermes Perpheraios als Allegorie für die archaische iambische Dichtung nutzt. Dabei weist PETROVIC Parallelen zwischen der Geschichte des Hermes und der Biographie des Archegeten der iambischen Dichtung, Archilochos von Paros, auf und zieht den Schluss, dass der Dichter die Darstellung der Hermes-Biographie auf der Metaebene als Allegorie für die iambische Dichtung nutzt. 28 Siehe zu kallimacheischen Charakteristika und zur Kallimachos-Rezeption vor allem in augusteischer Zeit ASPER 2004, 51–56 (mit weiterführender Literatur), WIMMEL 1960, passim; THOMAS 1993, 197–215; HUNTER 2006, passim; BARCHIESI 2011, passim; ACOSTA– STEPHENS 2012, 244–269. 29 Der Einfluss des Kallimachos hinsichtlich des Motivs sprechender Objekte ist auch schon in der erhaltenen Literatur der römischen Neoteriker zu erkennen: So übersetzt beispielsweise Catull einen Abschnitt aus den Aitia des Kallimachos, in denen die sprechende Locke der Berenike im Zentrum steht (Catull. 66 – Coma Berenices; vergleiche Kall. Aet. fr. 110 (Pf.)). Siehe dazu THOMSON 1997, 447–465.

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epigrammtradition kommen. So war in beiden Epigrammformen der übliche Sprecher das beschriftete Objekt selbst.30 Die größte Überschneidung mit Grab- und Weihepigrammen bietet sicherlich die ähnlich erzeugte Kommunikationssituation: In beiden Traditionen wird ein angedeuteter Leser oder ein imaginärer Passant31 beispielsweise mittels Imperative32 oder Verbformen in der 2. Person Singular angesprochen und somit zum Adressaten des Epigramms gemacht.33 Dadurch entsteht die Möglichkeit, eine fingierte Dialogsituation zwischen dem Sprecher des Epigramms und dem jeweiligen Gegenüber zu kreieren, indem eine unbekannte Stimme zuerst eine Frage zum Epigrammkontext stellt, die der Sprecher dann beantwortet.34 Auch wenn in den Texten der Augusteer die Worte des Gegenübers nur bei Tibull direkt geäußert werden, während sie bei Properz lediglich indirekt von Vertumnus wiederholt und bei Horaz gar nicht hörbar gemacht werden, ist die dialogartige Situation doch bei allen drei Textstellen erkennbar.35 Die augusteischen Dichter nutzten also die bestehenden epigrammatischen Traditionen der griechischen Vorbilder, um sie dann mit eigenen Innovationen anzureichern und schließlich für ihre Zwecke fruchtbar zu machen. Eine Untersuchung dieser innovativen Elemente, durch die die augusteischen Dichter die Kult-

30 Das Objekt als Sprecher in Weih- und Grabepigramm lässt sich klar seit dem 7. Jh. v. Chr. ausmachen (z.b. CEG 326 (Weihepigramm); CEG 144 (Grabepigramm)). Siehe TUELLER 2008, 16. Daneben treten bei beiden Epigrammformen bis zum 4. Jh. v. Chr. häufig noch der Widmer/Aufsteller sowie speziell bei den Grabepigrammen der Verstorbene als Sprecher auf. Siehe dazu die Statistiken bei TUELLER 2008, 17–22. 31 Der imaginäre Passant ist die häufigste Form des Epigrammadressaten. Diese Rolle kann ihm zumindest für Grabepigramme seit der Mitte des 6. Jh. v. Chr. zugewiesen werden (CEG 28). Für Weihepigramme ist der Passant als Adressat erst für die Zeit nach Alexander d. Gr. bezeugt. Siehe TUELLER 2008, 14; 40. Bei den Weihepigrammen werden daneben noch vom 7.– 4. Jh. v. Chr. hauptsächlich der Widmer oder Aufsteller (CEG 312 – Anacr. 15 Page = Anth. Pal.6,144) sowie die Gottheit (CEG 197), der das Objekt geweiht werden soll, adressiert. Siehe dazu die Statistik bei TUELLER 2008, 28f. Bei den Grabepigrammen ist es hingegen der Verstorbene, der angesprochen wird (CEG 97). Siehe dazu die Statistik bei TUELLER 2008, 33f. 32 Siehe zur Entwicklung der Anrede des Passanten in Epigrammen TUELLER 2008, 37–42. 33 Im Gegensatz zu den Weihepigrammen identifiziert die große Mehrzahl der sepulkralen Epigramme den Adressaten durch alle Epochen hinweg nicht eindeutig. Siehe dazu TUELLER 2008, 32. 34 Dialogepigramme sind nicht vor der griechischen, klassischen Zeit (ab dem 5. Jh. v. Chr.) belegt. CEG 429 ist das frühste sichere Dialogepigramm zwischen einem Passanten und einem geweihten Objekt. Siehe TUELLER 2008, 42f. Poseidippos (ca. 310–240 v. Chr.) gehörte zu den ersten, die das kommunikative Potential des Dialogs für die Aitiologie nutzten, z.B. Anth. Plan. 275. Siehe dazu TUELLER 2008, 195–197. Die Epigramme des Kallimachos weisen keine Dialogsituationen auf. Stattdessen lassen sich Parallelen zu letzteren in seinen Aitien und Iamben ausmachen: z.B. Kall. fr. 114,4–17 Pf. (siehe auch Kap. 2.2.1). Vergleiche TUELLER 2008, 197–202. 35 Siehe zu den Innovationen hinsichtlich der Entwicklung der Figur des Passanten und anderer Innovationen im Grabepigramm der hellenistischen Zeit TUELLER 2008, 65–94 und 112–116. Siehe zur Entwicklung des Weihepigramms in hellenistischer Zeit TUELLER 2008, 95–111.

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bilder textintern zu funktionalisieren suchten, soll zentraler Bestandteil der vorliegenden Arbeit werden. Ähnlich wie das politische System und die Kunst lässt sich auch die Dichtung der augusteischen Zeit generell durch große Experimentierfreude auf der einen Seite und der Verschmelzung von neuen Ansätzen mit ererbten Traditionen auf der anderen Seite kennzeichnen.36 Vor allem hellenistische und im Speziellen kallimacheische Einflüsse lassen sich immer wieder in der augusteischen Literatur, so vor allem im Zusammenhang mit aitiologischen Texten des Properz und Ovid,37 beobachten und konnten bereits am Motiv der sprechenden Statue herausgearbeitet werden.38 Daher ist eine kurze kulturgeschichtliche Einordnung der augusteischen Zeit (43 v. Chr. – 14 n. Chr.), die einige typische Charakteristika beleuchtet, hilfreich.

2.2.3 Der kulturgeschichtliche Hintergrund Das besondere Interesse an Kultstatuen in der augusteischen Dichtung ging mit der neuen politischen Ausrichtung des Augustus einher: Gleichzeitig mit der Wiederherstellung der res publica wurde von Augustus ein umfassendes Programm zur Restauration tradierter römischer Normen und Werte initiiert,39 das schließlich nicht zuletzt durch den Sieg über die Parther 20 v. Chr. und der damit verbundenen Rückgewinnung der römischen Feldzeichen die Zuversicht hinsichtlich der Dauerhaftigkeit des wiederhergestellten Staates und der Stabilität des inneren Friedens im Volke wachsen ließ. Unter diesen Voraussetzungen erklärte Augustus ein neues Zeitalter (aurea aetas) für angebrochen und läutete dieses durch die Saekularfeiern vom 30. Mai bis zum 3. Juni 17 v. Chr. ein.40 In dem moralischen und religiösen Restaurierungsprogramm waren neben virtus und der Bemühung um die öffentlichen Bauten vor allem die Erneuerung von Religion (religio, aber auch des Pflichtbewusstseins gegenüber den Göttern – pietas) und des mos maiorum das Leitmotiv. 29 v. Chr. kündigte Octavian sein religiöses Restaurationsprogramm an und ließ sich darauf vom Senat autorisieren, alte Priesterschaften zu ergänzen, nur noch dem Namen nach existierende Kulte

36 GALINSKY 1998, 225. 37 MILLER 1982, 371–417; MILLER 1983, 26–34; MILLER 1992, 11–31. 38 BARCHIESI 2011, passim. Siehe auch die Literaturübersicht zu den Einflüssen des Kallimachos auf lateinische Texte bei BARCHIESI 2011, 511 Anm. 1. 39 P. ZANKER 1990, 107. 40 Siehe dazu P. ZANKER 1990, 171–177. Nach der Eröffnung des goldenen Zeitalters entstanden zahlreiche, neuartige Bilder mit dem pax-Motiv (Segen, Fülle, Fruchtbarkeit). Das beste Beispiel liefert dafür die Ara Pacis Augustae. Siehe dazu Kap. 5.8.2. Siehe dazu auch P. ZANKER 1990, 177–196; GALINSKY 1998, 106–121 mit anderen pax-Motiven.

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neu zu konstituieren, Statuten, Rituale, Priestertrachten und Kultlieder zu erneuern oder, falls nötig, auch neu zu erfinden.41 Die Verbindung aus tradierten und neuen, im Sinne des Augustus geprägten Elementen schuf dabei neue Kultpraktiken. Ein Beispiel hierfür bilden die Riten der Arvalbrüder (fratres Arvales), eine der neu belebten Priesterschaften unter Augustus, bei der er selbst Mitglied war. Diese verehrten ursprünglich die bäuerliche Fruchtbarkeitsgöttin Dea Dia und führten mehrmals im Jahr altertümliche Zeremonien durch, bei denen sie z.B. Früchte und Ähren herumreichten, sie besprachen und sich im heiligen Hain der Göttin außerhalb der Stadt versammelten. Zur Zeit des Augustus bestand ihre Hauptaufgabe allerdings darin, Fürbitten und Opfer für das Herrscherhaus abzuhalten.42 In dieser Umorientierung spiegelt sich die augusteische Schöpfungskraft wider. Ein Jahr später, ab 28 v. Chr., erfolgte dann zugleich mit der Einweihung des Apollo-Tempels auf dem Palatin das große Programm der Tempelsanierung.43 Die (Wieder-) Einführung und Umgestaltung dieses Kultes lässt erkennen, dass für Augustus das ländliche Ideal (rusticitas) ein elementarer Teil seiner Selbstdarstellung war: Durch seinen Versuch, Altes und Neues in seinem eigenen Interesse miteinander zu verbinden und das alte Rom wiederherzustellen, um alles Neue zu legitimieren, wollte er die enormen Änderungen mit dem Rückbezug auf die Vergangenheit und dem Ideal der Ländlichkeit ausbalancieren. In diesem Kontext wurden solche vergessenen, ländlichen Kulte wiederbelebt, Tempel renoviert und versucht, die römischen Bürger durch Ehe- und Sittengesetzgebung zur idealen Moralität eines bäuerlichen Altroms zu erziehen. Dabei sollte Augustus‘ private Lebensführung den Zeitgenossen als Vorbild dienen. Allerdings zeigt sich in diesem Restaurationsprogramm auch der Widerspruch zwischen Traditionalismus und Modernität, zwischen dem Princeps, der ein bäuerliches, bescheidenes Leben idealisiert und dem Princeps als Initiator eines gewaltigen, meist stadtbezogenen Bauprogramms in Glanz und Marmor. Die Beschäftigung mit Stadt und Land, Gegenwart und Vergangenheit und den damit verbundenen Konflikten war dementsprechend ein beherrschendes Thema in der augusteischen Zeit: Zum einen lässt sich vegetative Bildmotivik im 3. pompejanischen Stil der Wandmalerei beobachten, wobei weniger das Thema „Fruchtbarkeit“ im Zentrum steht, sondern Ausblicke in sakrale Landschaften, die meistens von einem Kultbild oder Votiv beherrscht oder von bukolischer Thematik mit Hirten, Herden, Satyrn und Nym41 M. Terentius Varro hatte in 16 Büchern antiquitates rerum divinarum eine Zusammenfassung von dem Material geschaffen, was man zu den alten Kulten wusste und hatte versucht, das zu rekonstruieren, was in Vergessenheit geraten war. Sein Werk ist elementar für das religiöse Restaurationsprogramm des Augustus. Vergleiche Suet. Aug. 31,2–4. Siehe auch P. ZANKER 1990, 109; GALINSKY 1998, 290. 42 Siehe dazu P. ZANKER 1990, 124–126 und vor allem die umfangreiche Monographie von SCHEID 1990 zum Kollegium der Arvalbrüder und den damit in Verbindung stehenden Kultpraktiken. 43 Siehe zum religiösen Restaurationsprogramm des Augustus P. ZANKER 1990, 108–140; GALINSKY 1998, 288–331; GROS 1976, 15–52. Siehe R. Gest. div. Aug. 20,4.

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phen bestimmt werden. Diese Bilder sind vor allem mit der pietas-Programmatik des Augustus aufgeladen.44 Zum anderen zieht sich das Thema wie ein roter Faden durch die augusteische Literatur: so beispielsweise in Verg. ecl. 2,60–62, Hor. sat. 2,6 oder Tib. 2,5,23–30.45 Im Zuge dieser kulturellen Erneuerung wurden zwar alle alten Tempel erneuert,46 jedoch die verschiedenen Gottheiten mit unterschiedlichem Aufwand verehrt. Die größte Zuwendung erfuhren in dieser Zeit nicht die Götter des alten Staates und die alten Kultplätze, sondern diejenigen Gottheiten, die am engsten mit Augustus in Verbindung standen, so z.B. Apollo auf dem Palatin und Mars Ultor47 auf dem neu geschaffenen Augustus-Forum. Hinzu kam das erst jetzt fertig gestellte Forum Iulium seines Vorgängers und Adoptivvaters Caesar mit dem Tempel der Venus Genetrix. Bereits hier sei darauf hingewiesen, dass die von Augustus favorisierten Gottheiten wie Apollo, Mars oder Venus auch in der augusteischen Literatur präsent sind, aber nicht als sprechende Kultbilder fungieren.48 Auf dieses Phänomen wird an späterer Stelle noch einzugehen sein.49 In Bezug auf Größe und Ausstattung, aber auch durch die mit ihnen verbundenen Rituale und Staatsakte waren all diese neuen Bauten in der Lage, in Konkurrenz zum kapitolinischen Iuppiter-Tempel zu treten.50 Jedoch brachte Augustus auch den Iuppiterkult auf dem Kapitol durch den Bau eines Tempels für Iuppiter Tonans in enge Verbindung mit dem des Iuppiter Optimus Maximus und somit in unmittelbaren Bezug zu seiner Person, indem er ihn durch häufige Besuche ehrte. Die Zeitgenossen bekamen so durch das Nebeneinander von Tempeln, die 44 Siehe dazu P. ZANKER 1990, 279–290; 280, Abb. 222; 285, Abb. 224 c; 288, Abb. 226; GALINSKY 1998, 179–197. Weitere Beispiele sind das sogenannte Tellus-Relief der Ara pacis, Reliefs von säugenden Tieren und Rankenmotive in Kap. 5.8.2. 45 Siehe EIGLER 2002, passim. Auch in der römischen Satire war das Motiv Stadt–Land präsent. Siehe dazu BRAUND 1989, passim und speziell zum Autor Horaz HARRISON 2007, passim. Siehe zu Themen des Goldenen Zeitalters bei Tibull und anderen Autoren NEWMAN 1998, passim. 46 Die Elite wurde gebeten, dieses Bauunternehmen zu unterstützen, und kam dem nach: L. Marcius Philippus, Stiefvater des Augustus, stellte den Tempel des Hercules Musarum 29 v. Chr. wieder her; Sosius den Original Apollo-Tempel (30–28 v. Chr.) und Lucius Cornificius den Tempel der Diana auf dem Aventin. Siehe dazu GALINSKY 1998, 295. 47 Die Statue des Mars Ultor im griechisch-römischen Gewand, die 2 v. Chr. für gleichnamigen Tempel auf dem Augustus-Forum geschaffen wurde, ist in einer Vielzahl von Kopien erhalten. Grundlage für dieses Kultbild war wahrscheinlich eine Statue ca. aus dem 4. Jh. v. Chr. wie der Ares in Halicarnass, der wohl von Leochares geschaffen worden ist. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 203, Abb. 155 a. VERMEULE 1987, 19. 48 Vergleiche Apollo Palatinus in Prop. 2,31,15f. oder Mars Ultor in Ov. fast. 5,545–598. 49 Siehe Kap. 7. 50 Obwohl Augustus dem alten Staatsgott Iuppiter während seiner Regierung weiterhin aufwendige Weihungen darbrachte, soll der Gott sich darüber beklagt haben, dass dieser ihm die Verehrer entziehe (Suet. Aug. 91,2). Tatsächlich hatte Iuppiter in der augusteischen Zeit an Macht verloren (Unterbringung der Sibyllinischen Bücher im Tempel des Apollo Palatinus; Tempel des Mars Ultor als neues Zentrum von Inszenierungen „außenpolitischer“ Handlungen). Siehe dazu P. ZANKER 1990, 114. GALINSKY 1998, 296.

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mit so unterschiedlichem Aufwand errichtet worden waren, einen differenzierten Eindruck von der Bedeutung einzelner Gottheiten. Eindeutig dominierten in dieser Zeit die Kultbauten, die Augustus für seine Götter erbaut hatte.51 Die Künstler, die für dieses Bauprogramm engagiert worden waren, waren dabei in ihrer Motivwahl und Gestaltung stark eingeschränkt. Die propagierte Bescheidenheit des Augustus und seine anspruchslosen Ehrenzeichen begrenzten ebenfalls das künstlerische Repertoire: Ein Großteil der traditionellen Herrscherikonographie wurde wahrscheinlich wegen der „asianischen“ Manier verschmäht, sodass es in augusteischer Zeit kaum Schlachtdarstellungen oder Herrscherverherrlichungen gab. Künstler hatten lediglich die Möglichkeit, die unterschiedlichen Zeichen neu zu kombinieren, sie zu überhöhen, würdevolle Personifikationen samt passender Attribute zu erfinden oder weihevolle Andachtsbilder sowie archaistische oder klassizistische Götterstatuen zu entwerfen. Künstlerische Freiheit gab es an öffentlichen Bauten nur in der Bauornamentik, aber auch für alle Teile der beweglichen Ausstattung (z.B. Statuenbasen). Dort entwickelte man einen Formenreichtum, der weder durch Tradition noch durch einen Kanon eingeschränkt wurde. Als Betrachter dieser neuen Bauten sah man sich mit bisher noch nie da gewesenen, einheitlich konzipierten, Ideologie vermittelnden, aber nicht sehr zahlreichen Bilderfolgen konfrontiert, deren einfache Aussagen sich durch ständige Wiederholung, Betonung und Inszenierung auch den Nichtgebildeten einprägten und für jeden verständlich waren.52 Trotz aller vorgegebenen Schranken zeigte sich eine besondere Innovationskraft in der Formensprache der augusteischen Zeit. So entwickelte sich eine neue Kunstsprache, die vor allem auf archaische und klassische Formenelemente, aber mitunter auch auf hellenistische Typentraditionen zurückgriff.53 Diese wurden miteinander kombiniert, sodass neue Formen entstanden. Der augusteische Archaismus und Klassizismus sollte Teil einer Art „Superkultur“ sein, die das Beste der griechischen Tradition mit dem Besten der römischen vereinigen sollte. Deutlich manifestiert sich die neue, augusteische Kunstsprache u.a. an der statuarischen Ausstattung des Apollo-Tempels auf dem Palatin, in deren Mittelpunkt sowohl klassische als auch archaische Originale standen. Die Kultbildgruppe beispielsweise bestand aus drei Werken des 4. Jhs. v. Chr., die über den Kunstimport aus Griechenland nach Rom gelangten und auf einer Basis in Sorrent dargestellt sind: Eine Apollo-Statue des Skopas, eine Artemis-/Diana-Statue von Timotheos und die Leto-/Latona-Statue von Kephisodot. Zudem standen archaische Bildwerke des Bupalos und Athenis im Giebel des Apollo-Tempels.54

51 P. ZANKER 1990, 110–116. 52 P. ZANKER 1990, 116–119. 53 HÖLSCHER 1987, 16. Siehe generell zum Thema der römischen Bildsprache HÖLSCHER 1987, passim. 54 Plin. nat. 36,13; 36,24; 36,25; 36,32; Nicht nur die sakrale Ausstrahlung, sondern auch die Berühmtheit der klassischen Bildhauer scheint dabei eine Rolle gespielt zu haben. Während

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Gleichzeitig erhielten die Formelemente auch besondere Bedeutung: Während die klassizistischen Formen sich durch Klarheit der Umrisse, Präzision und Einfachheit aber auch Leichtigkeit und Anmut in der Komposition auszeichneten55 – ästhetische Kategorien, die oftmals in die Nähe von moralischen gebracht worden sind –, sprach man den archaischen eine besondere sakrale, altehrwürdige Ausstrahlung zu.56 Fast alle archaistischen Schöpfungen der augusteischen Zeit waren Götterbilder, die mit klassizistischen Formen durchsetzt und durch Kombination zu einem neuen, höheren Stil entwickelt wurden.57 Diese Vorliebe für archaische Formensprache in Verbindung mit Götterbildern lässt sich auch in den drei Texten, die in meiner Arbeit im Zentrum stehen sollen, wieder entdecken: Bei allen drei sprechenden Statuen handelt es sich um archaisierende Kultbilder, deren gegenwärtiger oder vergangener Zustand als relativ roh und unförmig beschrieben wird oder die selbst mit ihrem hohen Alter kokettieren. Der horazische Priapus beschreibt seine einfache Vergangenheit als Feigenstamm (Hor. sat. 1,8,1), der durch einen Handwerker zu einem Gott geformt wurde (Hor. sat. 1,8,2f.) und auch nach dieser Entwicklung noch ein relativ unbearbeitetes Äußeres zu haben scheint (Hor. sat. 1,8,5). Auch der tibullische Priapus wird in einem ähnlichen unbearbeiteten Zustand eingeführt (Tib. 1,4,4–6). Properzens Vertumnus schließlich bezeugt zuerst, etruskischen Ursprungs zu sein, und ordnet sich somit chronologisch in die vorrömische Zeit ein (Prop. 4,2,3); gegen Ende verweist er dann auf seine einstige Gestalt aus Ahornholz, die er besaß, bevor er seine bronzene Form erhielt (Prop. 4,2,59).

Skopas und Timotheos am Mausoleum von Halikarnass, einem der Sieben Weltwunder, mitgearbeitet haben, war Kephisodot der Jüngere, der Sohn des Praxiteles und hatte die Sitzstatue des Dichters Menander nach dessen Tod 291/290 v. Chr. für das Dionysos-Theater in Athen geschaffen. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 241, Abb. 186; 242f. 55 ∆οκεῖ δή µοι µὴ ἄπο σκοποῦ τις ἂν εἰκάσαι τὴν µὲν Ἰσοκράτους ῥητορικὴν τῇ Πολυκλείτου τε καὶ Φειδίου τέχνῃ κατὰ τὸ σεµνὸν καὶ µεγαλότεχνον καὶ ἀξιωµατικόν, τὴν δὲ Λυσίου τῇ Καλάµιδος καὶ Καλλιµάχου τῆς λεπτότητος ἕνεκα καὶ τῆς χάριτος (Dion. Hal. Isokr. 3). In dem Zitat des Dionysios zeigt sich der Einfluss der späthellenistischen Klassizisten, die Polyklet und Phidias als Höhepunkte der Menschen- und Götterdarstellungen betrachteten. Allerdings sind die Wertungen hier nicht mehr ästhetischer, sondern ethischer Natur. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 249. 56 Auch noch in der hohen Kaiserzeit kam den archaischen Formen eine besondere religiöse Ausstrahlung zu. Pausanias berichtet, dass ein künstlerisch ganz unscheinbares altertümliches Herakles-Holzbild dennoch etwas „Göttliches an sich habe“ (Paus. 2,4,5: (…) ἐπιπρέπει δὲ ὅµως τι καὶ ἔν θεον τούτοις). Laut Cic. de orat. 3, 153 wirkt eine Rede, in der altertümliche Sprache verwendet wird, „großartiger und würdevoller“ ([…] aut alia multa, quibus loco positis grandior atque antiquior oratio saepe videri solet) und auch für Quintilian (inst. 8,3,24 f.) bekommt die Sprache Vergils durch den Gebrauch von Archaismen die auctoritas des Alters. Plinius d. Ä. hält die Terracotta-Statuen der Etrusker für sanctiora auro (Plin. nat. 35,158). Vergleiche P. ZANKER 1990, 244. Siehe auch HÖLSCHER 1987, 54–60. 57 P. ZANKER 1990, 244–252.

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Neben der sprechenden Gottheit verbindet der explizite Verweis auf das Alter und die Materialität diese drei Textstellen miteinander und verdeutlicht, dass hier nicht die Epiphanie einer Gottheit vorliegt, sondern der Gott mittels seiner materialisierten Repräsentation, also seines Kultbildes kommuniziert. Die statuarische Präsenz des sprechenden Gottes wird demnach für den Leser eindeutig als solche definiert. Das Korpus der Texte, die solche Charakteristika erfüllen, ist in der augusteischen Dichtung sehr klein und umfasst lediglich die drei hier im Zentrum stehenden Texte. Dabei ist auffällig, dass dort nur Gottheiten niedrigen Ranges zu Wort kommen, während andere, die gerade in der augusteischen Zeit durch das religiöse Restaurierungsprogramm wieder an Prestige gewinnen, wie Apollo58, Mars, Venus oder auch Iuppiter, stumm bleiben. Die mögliche Ursache für diese Beobachtung soll innerhalb dieser Arbeit in einem separaten, abschließenden Kapitel herausgearbeitet werden.59 Der kurze Überblick über die kulturellen und soziopolitischen Veränderungen hat gezeigt, dass im Zuge des religiösen Restaurationsprogramm des Octavian/Augustus v.a. archaisierende Kultbilder auf kultischer wie auf künstlerischer Ebene neue Aufmerksamkeit erfuhren, die auch in der augusteischen Literatur, insbesondere in der Dichtung des Horaz, Tibull und Properz, reflektiert wurde. Da der Terminus ‚Kultbild‘ für die sprechenden Priapi- und Vertumnus-Statuen in meiner bisherigen Arbeit so selbstverständlich benutzt wurde, das Kultbild jedoch mit besonderen Funktionen verbunden ist, die es von der einfachen Götterstatue unterscheiden, soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, den Begriff ‚Kultbild‘ zu definieren und zu untersuchen, inwiefern diese Definition auf die sprechenden Statuen des Horaz, Tibull und Properz zutrifft. Darauf aufbauend sollen folgende Fragen beantwortet werden: Warum sind es ausgerechnet archaisierende Kultbilder, die die augusteischen Dichter in ihren Texten zu sprechen beginnen lassen? Welche der Kultbild-Funktionen auf kultischer Ebene war attraktiv, um auch als Motiv in die Literatur, speziell in die augusteische Dichtung, übertragen zu werden? Dies gilt es im Folgenden zu untersuchen.

2.3 DAS KULTBILD IN DER RELIGIÖSEN KOMMUNIKATION Die Frage nach der Funktion und Bedeutung von Kultbildern ist von unterschiedlichen Fachbereichen gestellt worden. So hat die Klassische Archäologie Kultbilder vor allem unter künstlerischen, also unter formalen, typologischen und stilistischen Aspekten untersucht.60 Die Alte Geschichte hat die gesellschaftliche, religi-

58 Apollo Palatinus beginnt zwar in Prop. 2,31 zu singen. Die Worte seines Gesanges werden dem Leser allerdings nicht als wörtliche Rede mitgeteilt. 59 Siehe Kap. 7. 60 Siehe hierzu die Literaturauswahl bei SCHEER 2000, 3, Anm. 3: v.a. ROBERT 1886, 134f.; SCHEFOLD 1937, 30–75; WILLEMSEN 1939; LIEGLE 1952; BIELEFELD 1954/55, 379–403; HE-

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öse und politische Funktion der Kultbilder analysiert.61 In der Religionswissenschaft wurde die antike Religion der Griechen und Römer als ein Kommunikationssystem definiert, in dem religiöses Handeln als kommunikativer Akt gedeutet wird, zu dessen Verstärkung Kultbilder herangezogen werden.62 Gerade dieser kommunikative Aspekt ist für meine Arbeit relevant, da dort Texte im Zentrum stehen, in denen Kultbilder zu sprechen beginnen (Hor. sat. 1,8; Tib. 1,4 und Prop. 4,2). Zunächst gilt es aber den Begriff ‚Kultbild‘ zu präzisieren.

2.3.1 Was ist ein Kultbild? Um die Frage zu klären, was Kultbilder eigentlich seien, hat die jüngere Forschung versucht herauszufinden, ob es in den erhaltenen Schriften eine antike Terminologie im Bedeutungsfeld ‚Statue‘ gab, die unser heutiges Verständnis von ‚Kultbild‘ im Sinne von „Verehrung genießendes Götterbild im Tempel“ zum Ausdruck bringt. Die Suche nach einem einheitlichen Begriff im Griechischen wie im Lateinischen, welcher das sprachliche Äquivalent zu dem darstellt, was wir als ‚Kultbild‘ verstehen, hat zu einer Erörterung verschiedener Begriffe geführt. SCHEER beschränkt sich dabei auf die besonders wichtigen Bezeichnungen ἄγαλµα63, ξόανον64, ἕδος65 und βρέτας66, da bestimmte Termini im Bedeutungs-

RINGTON 1955; LAUBSCHER 1960; BALD ROMANO 1980; JUNG 1982; MARTIN 1987; VERMEULE 1987; RUTKOWSKI 1987, 407–425; P. BOL 1988, 76–80; R. BOL–HERZ 1989, 89–95. Siehe beispielsweise SCHEER 2000 und BETTINETTI 2001. Siehe RÜPKE 2001 a, 25f. und RÜPKE 2001 b, 74-78.

61 62 63 Ἄγαλµα lässt sich etymologisch von ἀγάλλω („schmücken“) oder ἀγάλλοµαι („prunken, sich über etwas freuen“) ableiten. In der Ilias und Odyssee des Homer scheint der Begriff die Hauptbedeutung ‚wertvolles Geschenk‘ zu haben, das z.B. in Form eines Schmuckstückes aus Edelmetall sowohl im säkularen Bereich (z.B. Hom. Il. 4,144; Od. 4,602; Od. 18,300) als auch im sakralen Bereich gegeben und angenommen werden konnte (z.B. Hom. Od. 3,274; 3,483; 8,509; 12,347). In der archaischen Dichtung zeigt der Begriff ἄγαλµα unterschiedliche Bedeutungsschwerpunkte und reicht in das Begriffsfeld ‚Statue‘: Bei Simonides beispielsweise kann er sowohl ein Menschenbild in Form einer Siegerstatue eines Athleten oder Musikers meinen (Anth. Pal. 13,19) als auch ein Götterbild (Simonides, fr. 157 Bergk = bei Diogenes Laertius 4,45). Letztlich scheint allerdings auch nach der Analyse unterschiedlicher literarischer Gattungen ἄγαλµα ein eher allgemeiner Begriff zu bleiben, der sich weder auf ein bestimmtes Material oder einen bestimmten Standort noch auf einen besonderen Platz in der kultischen Hierarchie festlegen lässt. Siehe dazu SCHEER 2000, 8–18. 64 Auch im Falle von ξόανον lässt sich keine einheitliche Verwendung des Begriffs feststellen. Der Begriff lässt sich etymologisch von ξέω – „bearbeiten, schaben, glätten“ ableiten und bedeutet damit keineswegs ein schlichtes, altes, manchmal nicht anthropomorph ausgestaltetes Holzbild, sondern war häufig mit äußerer Pracht und goldenem Glanz verbunden, worauf die etymologische Ableitung auch hinweist. Siehe SCHEER 2000, 19–21. 65 Auch der Begriff ἕδος zeigt eine relativ breite Bedeutungspalette: Bei Homer wird er zur Bezeichnung eines Göttersessels (Hom. Il. 1,581; 4,406) oder eines topographisch gut befestigten Ortes (Hom Il. 4,406) verwendet. In den frühen Zeugnissen erscheint der Begriff ἕδος

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feld ‚Statue‘ wie beispielsweise ἀνδρίας und εἰκών eher Standbilder von Menschen darstellten.67 Letztlich lässt sich ihrer Meinung nach über den bloßen Gattungsbegriff im Einzelfall weder etwas über das Aussehen noch über den Standort der so bezeichneten Statue sagen, sodass keine konkrete Aussage bezüglich einer Kultbilddefinition gemacht werden kann.68 Wenn in lateinischen Texten über Statuen gesprochen wurde, standen im Wesentlichen vier Termini zur Verfügung: statua, signum, simulacrum und effigies. Diesem Quartett lässt sich der Begriff imago hinzufügen, der eher für Teildarstellungen (z.B. eine Büste) verwendet wurde. Nach einer Untersuchung von ESTIEN69 NE werden im klassischen Latein hauptsächlich zwei Termini gebraucht, um Abbilder als Götter zu charakterisieren: Auf der einen Seite ist signum70 der älteste und häufigste Begriff in Inschriften und der klassischen Literatur und bezeichnet ein sichtbares Zeichen, das die Wahrnehmung des Unsichtbaren, nämlich des Göttlichen erlaubt. Auf der anderen Seite gibt es den spezielleren Terminus simulacrum,71 der die anthropomorphe Darstellung einer Gottheit beschreibt und

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hauptsächlich in der Dichtung, bei Herodot und Thukydides ist er gar nicht bezeugt und ist erst im 4. Jh. v. Chr. auch in der Prosa überliefert, wobei er dort die Bedeutung ‚Götterbild‘ angenommen hat (Isokr. or. 15; Theophrast lap. 47,9). Die Bezeichnung von Menschenbildern als ἕδος ist nicht belegt. Siehe dazu SCHEER 2000, 21–23. Für βρέτας gibt es keine eindeutigen Hinweise zur Herkunft des Begriffs (erstmals bezeugt bei Aischylos, Sept. 95). Dieser findet sich im 5. Jh. v. Chr. ausschließlich in den Werken der Dramatiker, bleibt später im Hellenismus auf Dichtung (Kallimachos, Apollonios Rhodios, Lykophron) beschränkt und wird erst im 1. Jh. v. Chr. auch in der Prosa verwendet. Insgesamt ist es jedoch ein vergleichsweise seltenes Wort. Laut Scheer handelt es sich bei βρέτας weniger um eine ästhetische Kategorie, als vielmehr um einen funktionalen Begriff. βρέτας meint zwar in den meisten Fällen ein Bild, dass nach heutigem Verständnis ein Kultbild bezeichnen würde; aber nicht jedes Götterbild, das Kult empfängt, wird im Griechischen βρέτας genannt. Dennoch scheint ein als βρέτας bezeichnetes Götterbild ein besonderes zu sein. Siehe dazu SCHEER 2000, 24–33. Jedoch scheint die Bedeutung von ἀνδρίας und εἰκών im Kontext von Menschenbildern nicht immer die Regel zu sein. So bezeichnet Herodot (6,118) eine Statue des Apollo als ἀνδρίας. Siehe dazu SCHEER 2000, 33. SCHEER 2000, 8–34. Siehe auch BETTINETTI 2001, 25–63: BETTINETTI nimmt zusätzlich ἵδρυµα und ἀφίδρυµα zu ihrer Begriffsanalyse hinzu, die ebenfalls im Griechischen Statuen von Göttern bezeichnen können. Siehe auch FUNKE 1981, 663–665; NEUDECKER 1999, 905. ESTIENNE 2010, 257–261. Siehe auch FUNKE 1981, 665f. Vergleiche z.B. Plaut. Rud. 659: (…) signum in fano (…); Cic. div. 1,35,77: (…) et ipse et equus eius ante signum Iovis Statoris sine causa repente concidit (…); Cic. Verr. 2,4,5: (…) signum erat hoc quod dico Cupidinis e marmore (…); Cic. Verr. 2,4,37: (…) Apollonis signum ablatum certe non oportuit. Vergleiche z. B. Cic. div. 1,24,46: Matrem Phalaridis scribit Ponticus Heraclides, doctus vir, auditor et discipulus Platonis, visam esse videre in somnis simulacra deorum (…); Cic. Verr. 2,4,18: (…) deorum simulacra restitue.; Cic. Verr. 2,4,46: (…) patella grandis cum sigillis ac simulacris deorum (…); Cic. Verr. 2,4,64: (…) cum audissent simulacrum Iovis optimi Maximi dedicatum (…); Caes. Gall. 6,16: Alii immani magnitudine simulacra habent, quorum contexta viminibus membra vivis hominibus complent ; Caes. Gall. 6,17: Deum maxime Mercurium colunt. Huius sunt plurima simulacra (…).

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manchmal als „Kultstatue“ übersetzt werden kann. Statua72 und imago73 werden hingegen eher für menschliche Repräsentationen verwendet. Effigies schließlich kommt seltener vor und kann sowohl die Abbildung eines Menschen als auch die eines Gottes bezeichnen.74 Ähnlich wie SCHEER stellt auch ESTIENNE vor allem bei der Untersuchung der Termini signum, simulacrum und statua in bestimmten literarischen Gattungen wie der historischen Erzählung des Livius oder den Biographien Suetons Bedeutungsvariationen fest: Teilweise, wenn auch sehr selten, kann sogar derselbe Begriff bei demselben Autor sowohl eine Götter- als auch eine Herrscher- bzw. Menschenabbildung bezeichnen; teilweise ist die semantische Zuordnung unsicher.75 Aus den Begriffsuntersuchungen lässt sich demnach folgern, dass kein spezifischer Terminus existiert, der das Kultbild als Kultbild auszeichnet. Die Scheidung eines Kultbildes von einem Götterbild oder einer Votivstatue76 muss demnach unter anderen Gesichtspunkten bestimmt werden.

72 Vergleiche z. B. Cic. Arch. 30: An statuas et imagines, non animorum simulacra, sed corporum, studiose multi summi homines reliquerunt; Cic. Catil. 3,19: Cum et simulacra deorum depulsa sunt et statuae veterum hominum deiectae (…); Cic. Verr. 2,4,89: (…) quod in C. Marcelli statua; Cic. Verr. 2,4,90: tibi Marcelli statua pro patibulo in clientis Marcellorum fuit?; Caes. civ. 3,105: item Trallibus in templo Victoriae, ubi Caesaris statuam consecraverant, (…). 73 Vergleiche z. B. Cic. fam. 5,12,7: nec minus est Spartiates Agesilaus ille perhibendus, qui neque pictam neque fictam imaginem suam passus est esse, quam qui in eo genere laborarunt; unus enim Xenophontis libellus in eo rege laudando facile omnes imagines omnium statuasque superavit.; Cic. orat. 110: Demosthenes quidem, cuius nuper inter imagines tuas ac tuorum, quod eum credo amares, cum ad te in Tusculanum venissem, imaginem ex aere vidi, nil Lysiae subtilitate cedit, nihil argutiis et acumine Hyperidi, nil levitate Aeschini et splendore verborum. 74 Verg. Aen. 7,443:cura tibi diuum effigies et templa tueri; Quint. inst. 12,10,5: Ille uero ita circumscripsit omnia ut eum legum latorem uocent, quia deorum atque heroum effigies, quales ab eo sunt traditae, ceteri tamquam ita necesse sit secuntur.; Tac. ann. 4,9,11: (…) Attus Clausus ceteraeque Claudiorum effigies longo ordine spectarentur.; Tac. ann. 5,4,9 : simul populus effigies Agripinnae ac eronis gerens circumsistit curiam (…). 75 Siehe z.B. die Semantik von simulacrum bei Sueton: In Aug. 96,2 (apud Actium descendenti in aciem asellus cum asinario occurrit: homini Eutychus, bestiae icon erat nomen; utriusque simulacrum aeneum uictor posuit in templo (…)) meint simulacrum eindeutig das Abbild eines Menschen und eines Tieres, in Suet. Cal. 57 (Olympiae simulacrum Iovis (…) tantum cachinnum repente edidit) hingegen das Abbild eines Gottes. In Liv. 45,27,11 steht simulacrum sowohl mit Göttern als auch mit Menschen in Verbindung (Athenas inde, plenas quidem et ipsas uetustae famae, multa tamen uisenda habentis, arcem, portus, muros Piraeum urbi iungentis, naualia, magnorum imperatorum, simulacra deorum hominumque, omni genere et materiae et artium insignia). ESTIENNE 2010, 259–261; siehe auch LINANT DE BELLEFONDS 2004, 418; MYLONOPOULOS 2010, 5f. 76 Nach FUNKE 1981, 661 bezeichnet ein Götterbild im engeren Sinne die Darstellung einer Gottheit in Relief- oder Rundplastik. Dabei soll es den „dargestellten Gott selbst offenbaren oder zu ihm hinführen und nicht einen in ihm verkörperten Begriff sichtbar machen.“ Zahlreiche epigraphische Texte benutzen zudem einfach Wörter wie θεός oder deus, um ein Göt-

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2.3.2 Kultpraktische Kriterien Eine Definition unter kultpraktischen und formalen Kriterien schlägt MYLONOvor. Drei Gesichtspunkte hält er im Zusammenspiel für wesentlich, damit ein Götterbild zu einem Objekt der Verehrung wird: a) Die Position der Statue (Götterbilder, die z.B. zentral in der Tempelcella platziert sind, werden automatisch als Kultstatuen betrachtet, während die Götterbilder, die lediglich im räumlichen Kontext des Heiligtums stehen, als Votivgaben interpretiert werden), b) die Einbindung der Statue in eine kultische Praxis und c) das äußere Erscheinungsbild der Statue (Material wie z.B. Gold, Elfenbein etc.; anthropomorph/anikonisch). Schließlich kommt aber auch er zu dem Schluss, dass weder die räumliche Position in einem Heiligtum noch ihre Einbeziehung in einen Kult oder ihre Erscheinung das Wesen einer Kultstatue genau definieren können. Denn für jeden der drei Aspekte lassen sich mehrere Gegenbeispiele nennen, die diese Definitionskriterien für eine Kultstatue nicht erfüllen.77 Jedoch hält MYLONOPOULOS die Integration in die rituellen Aktivitäten für den zuverlässigsten Indikator.78

POULOS

terbild zu bezeichnen. Weitere wichtige literarische Quellen wie Pausanias im Griechischen (z.B. Paus. 5,19,5: Die Statue der Athena, an die sich Kassandra klammert, wird nicht als „Bild der Athena“ bezeichnet, sondern als Athenaia) und Plinius d. Ä. im Lateinischen begnügen sich sehr oft damit, die Statue lediglich mit dem Namen der Gottheit zu versehen, die sie darstellten. Dies erschwert häufig die Identifikation und Zuordnung der Statuen innerhalb der Texte. Siehe dazu SCHEER 2000, 50–53; LINANT DE BELLEFONDS 2004, 418; KLÖCKNER 2012, 33. 77 Gegenbeispiele seien an dieser Stelle exemplarisch aufgeführt: a) Die Statue des Poseidon in Elis stand laut Pausanias 6,25,5f. nicht in einem heiligen Bezirk, sondern an dem hektischsten Ort der Stadt (wahrscheinlich der Agora) ohne Integration in ein geweihtes Gebäude oder temenos. Dennoch war die Statue in eines der wichtigsten Kultrituale in Verbindung mit Kultstatuen involviert, der Investitur. b) Da eine einmalige Verehrung einer Statue durch ein Gebet o.ä. diese nicht gleich zur permanenten Kultstatue werden lässt, muss man klar zwischen dauerhaften Kultstatuen und den Götterbildern unterscheiden, die nur gelegentlich oder unter bestimmten Umständen temporär in eine Kultstatue transformiert wurden. Laut PIRENNE– DELFORGE 2008, 107–109 war das hidrysis-Ritual (Riten während der Aufstellung der Kultstatue) ein wichtiger Parameter für die Definition einer Kultstatue. Dadurch wurde die Gottheit in die menschliche Festgemeinschaft integriert und auf symbolischer Ebene bezeichnete das Ritual die erste Kommunikation zwischen Menschen und Göttern. Die Statue wurde so zwar nicht in einen Gott transformiert, aber in eine Kultstatue verwandelt und signalisierte auf diese Weise den Beginn der Interaktion zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre. c) Vor allem in der archaischen Skulptur wird kein Unterschied gemacht zwischen der Visualisierung von jungen Mitgliedern der Gesellschaft (z.B. Kouroi) und der von Göttern: Beide werden bezüglich der physischen Erscheinung mit einem hohen Maß an Perfektion dargestellt. Siehe dazu MYLONOPOULOS 2010, 6–12. 78 MYLONOPOULOS 2010, 6–19.

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Meiner Meinung nach ist genau diese letzte Erkenntnis der Aspekt, unter dem man das Wesen der Kultbilder am ehesten zu greifen suchen sollte und der mir im Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit am fruchtbarsten zu sein scheint.

2.3.3 Religiöse Kommunikation Jörg RÜPKE hat versucht, antike Religionen als Kommunikationssysteme auf der Basis des Kommunikationsmodells von Horst REIMANN und dessen Modifizierung speziell für religiöse Kommunikation durch Ingo MÖRTH79 zu definieren, um durch die Analyse von religiösem Handeln als kommunikativem Akt den Wirklichkeitsraum in antiken Gesellschaften auszuloten.80 Laut RÜPKE bildet die Beziehung zwischen dem Adressaten und dem Adressanten, von dem die Aktion ausgeht, den Ausgangspunkt des Kommunikationsmodells. Von diesem wird ein Signal an den Adressaten (das Ziel) übertragen, der es seinerseits wiederum als Information, Handlungsanweisung o.ä. wahrnimmt. Dabei ist bei der Kommunikation einer Gottheit mit Menschen oder aber auch eines Menschen mit einer Gottheit die Benutzung von Zwischenträgern („Medien“) nicht ungewöhnlich, die beispielsweise in Form von Kultbildern auch den Charakter von Signalverstärkern im Kontext eines Gebetes haben können. In diesem Kommunikationsmodell haben Kultbilder also mediale Funktion im Kontext des religiösen Handelns.81 In diesen Zusammenhang lässt sich auch eine Aussage von Tanja SCHEER82 einordnen, die ebenfalls die Verbindung von Kultpraxis und kommunikativen Aspekten der Religion präzisiert hat und auf dieser Basis die Genese eines Kultbildes wie folgt definiert: „Jede Statue, jede Statuette kann zum Kultbild, zum Sitz der Gottheit werden, sie kann in der Cella eines prächtigen Tempels stehen, im Winkel eines Temenos, auf dem Markt, in einem Privathaus oder auch ungeschützt mitten in der Natur. Die Götter können freiwillig in ihren Bildern Platz nehmen, und man kann sie durch den Erweis kultischer Ehren darin bestärken, dies zu tun. Was das Kultbild zum Kultbild macht, ist weder sein Material noch sein Aussehen im Detail, geschweige denn seine äußerliche Inszenierung. Die Konstituierung des Kultbilds geschieht in dem Augenblick, in dem es ein Gegenüber findet: den Verehrer.“

Diese Definition grenzt das Kultbild durch einen bestimmten Faktor ganz eindeutig von einem normalen Götter- oder Votivbild ab: durch den Verehrer. Erst durch Einbeziehung des Götterbildes in bestimmte Rituale durch den Menschen wird aus einem Götterbild ein Kultbild.83 Darin spiegelt sich der mediale und kommu-

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REIMANN 1968; MÖRTH 1993, 392–414. BRODERSEN 2001, 7. RÜPKE 2001 a, 13–30; RÜPKE 2001 b, 72–78. SCHEER 2000, 146; Siehe auch zur Definition „Kultbild“ GLADIGOW 1998, 9. SCHEER 2000, 111–113: Dass das Kultbild speziell im römischen Staatskult zusätzlich durch das Weiheritual der consecratio als solches konstituiert wurde, kann mithilfe der antiken Quellen nicht bestätigt werden. Eine Weiheformel für Götterbilder ist nicht bekannt. Damit

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nikative Charakter der Kultbilder wider, die benutzt wurden, um die vertikale Kommunikation der Menschen zu den Göttern zu verstärken und die Erfolgschancen der Gebete zu erhöhen. Der mediale Aspekt des Kultbildes in der religiösen Kultpraxis dürfte auch auf literarischer Ebene für die Kommunikation zwischen Dichter und Leser attraktiv sein, zumal für die augusteischen Texte, die im Zentrum dieser Arbeit stehen sollen. Zugleich führt er zu einer religions- wie literaturwissenschaftlich wichtigen Frage: Inwiefern wird der mediale Charakter der Kultbilder aus der Kultpraxis in den literarischen Texten reflektiert und funktionalisiert? Diese Frage wird bei den Textinterpretationen der Kapitel 3–5 eine wichtige Rolle spielen.

2.3.4 Formen der religiösen Kommunikation mit Kultbildern Um mit Göttern in Kontakt zu treten, gibt es verschiedene verbale wie nonverbale Kommunikationsformen. Ihr Spektrum soll im Folgenden aufgefächert werden: Nach antiker Vorstellung wurde die stetige Präsenz von Göttern in Städten nur durch Tempel oder deren Kultbilder, die eine zuverlässige Visualisierung der Gottheiten in materieller Form erlaubten,84 gewährleistet. Laut Varro85 sollen die Römer ihre Götter nach Stadtgründung zunächst 170 Jahre lang völlig anikonisch (ohne menschengestaltige Götterbilder) verehrt haben. Allerdings scheint diese Aussage lediglich der Idealisierung der römischen Frühzeit geschuldet zu sein und entspricht nicht der Quellenlage.86 Dass die römische Frühzeit ihre Gottheiten

argumentiert SCHEER gegen die allgemeingültig akzeptierte Aussage von FUNKE, dass nach Auffassung der Römer das numen der jeweiligen Gottheit durch die Konsekration in das Götterbild eintrete und es mit der Exsekration wieder verlasse (FUNKE 1981, 688, 714). Siehe zur consecratio auch FRATEANTONIO 1997, 359f.; SCHEID 2003, 63–65; 83f.; LAMBRINOUDAKIS 2005, 303–305; RÜPKE 2006 a, 28; 66; 180. Siehe speziell zur dedicatio von Tempeln LAMBRINOUDAKIS 2005, 340–343. 84 Cic. nat. 1,81. 85 Vergleiche Varro frg. 18 Cardauns (bei Aug. civ. 4,31): antiquos Romanos plus annos centum et septuaginta deos sine simulacro coluisse. Quod si adhuc (…) mansisset, castius dii observarentur (…) qui primi simulacra deorum populis posuerunt, eos civitatibus suis et metum dempsisse et errorem addidisse. 86 Spätestens mit dem Bau des Kapitol in Rom im 6. Jh. v. Chr. und der Schaffung eines Kultbildes der capitolinischen Trias (Iuppiter, Iuno, Minerva) durch einen (angeblich) etruskischen Künstler (Plin. nat. 35,127: Volca) wurde ein Großteil der darauf entstehenden öffentlichen Kultstätten mit Kultbildern ausgestattet. Das älteste und erste Götterbild Roms soll eine von Tarquinius Priscus in Auftrag gegebene Kultstatue des Iuppiter Optimus Maximus gewesen sein (Plin. nat. 35,157). Siehe dazu FUNKE 1981, 676–678; MARTIN 1987, 13f.; 28; FRATEANTONIO 1999, 903; NORTH 2000, 13–17.

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grundsätzlich bildlos verehrt habe, ist eher unwahrscheinlich.87 Laut RÜPKE ging der anikonische Kult der Phase anthropomorpher Götterbilder nicht voraus, sondern beide Verehrungsformen existierten nebeneinander.88 Damit eine Gemeinde sich ihres Fortbestands sicher sein konnte, war es u.a. nötig, sich um die Anwesenheit der Götter zu bemühen. Zu diesem Zweck gab es in der Antike bestimmte Rituale, um das Kultbild zu beleben. Auf diese Weise wurde das Wirken einer Gottheit animiert, indem man sie förmlich „einlud“, sich in einem Bild o.ä. niederzulassen. Dabei war jede Form von Kultbild lediglich ein Angebot der Verehrer, das die Gottheit keineswegs annehmen musste. SCHEER hält in diesem Zusammenhang das griechische Wort ἕδος89 aufgrund der Tatsache, dass in Griechenland die stete Identität von Gottheit und Bild sich wegen der widersprüchlichen Quellenlage nicht verallgemeinern lässt und daher das Modell von einer zeitweiligen Präsenz des Gottes in seinem Bild sehr plausibel zu sein scheint, für einen funktionalen Begriff. Es meine nämlich „etwas, auf dem oder in dem die Gottheit Platz nimmt, wo sie sich gerne aufhält, ohne aber zwanghaft dort festgebunden zu sein, also freiwillig dort ist.“90 Ich denke, dass sich dies auch auf das römische Verständnis für die Funktion eines Kultbildes übertragen lässt. Die Rituale, die der Belebung von Kultbildern, der Evokation der göttlichen Macht und der direkten, vertikalen Kommunikation zwischen Menschen und Göttern dienten, lassen sich in non-verbale und verbale Riten einteilen. Eine kurze Vorstellung dieser Praktiken soll einen Einblick in die große Bandbreite des kommunikativen Potentials von Kultbildern geben und zeigen, dass sich das antike Verhältnis von Menschen und Göttern zu einem großen Teil über die religiöse Kommunikation erklären lässt. Die einfachste Form der non-verbalen Interaktion mit einem Kultbild war der Blickkontakt zwischen Verehrer und Bild.91 Dabei war es das Ziel, möglichst nahe an das Kultbild heranzukommen und es sogar zu berühren.92

87 Ein sehr bekanntes Beispiel eines nicht-anthropomorphen, römischen Kultbildes ist der schwarze (Meteor-) Stein des Magna Mater-Kultes, der 205/204 v. Chr. aus Pessinunt importiert wurde (Liv. 29,10,7; Amm. 22,9,5). FRATEANTONIO 1999, 903. 88 RÜPKE 2006 a, 72. Siehe auch GLADIGOW 1994, 9. 89 Der Begriff wird in der Ilias zur Bezeichnung eines Göttersessels (Hom. Il. 1,581; 4,406) oder an anderen Stellen in topographischen Kontexten verwendet: Hom. Il. 4,406 (gut befestigter Ort; Theben); Hom. Il. 5,360 (Sitz/Palast der Götter/Olymp). Vergleiche Kap. 2.3.1. 90 SCHEER 2000, 120–124: Dabei müsse das ἕδος nicht unbedingt menschengestaltig sein. Auch eine Statue sei für die Präsenz der Gottheit nicht wichtig, sondern lediglich ein Angebot an den Gott, sich an einem bestimmten Ort gern aufzuhalten. Siehe dazu auch BETTINETTI 2001, 52–54. LINANT DE BELLEFONDS 2004, 418; PLATT 2011, 104; KLÖCKNER 2012, 34. 91 Vitr. 4,5,1: regiones autem, quas debent spectare aedes sacrae deorum immortalium, sic erunt constituendae, uti, si nulla ratio inpedierit liberaque fuerit potestas, aedis signumque, quod erit in cella conlocatum, spectet ad vespertinam caeli regionem, uti, qui adierint ad aram immolantes aut sacrificia facientes, spectent ad partem caeli orientis et simulacrum, quod erit in aede, et ita vota suscipientes contueantur aedem et orientem caelum ipsaque simulacra videantur exaudientia contueri supplicantes et sacrificantes, quod aras omnes deorum necesse esse videatur ad orientem spectare.

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Weitere vorwiegend non-verbale Handlungen, in die ein Kultbild eingebunden werden konnte, waren v.a. Prozessionen,93 die den Grundbaustein eines Rituals bilden konnten, indem das Kultbild, das sonst im Tempel verborgen wurde, durch Ortsveränderung einem breiteren Publikum, das durch das Stehen am Wegesrand der Prozessionsstrecke aktiv am Ritual teilnahm, zugänglich gemacht wurde.94 Dieser Bewegungsritus konnte durch Tanz95 und Wettkämpfe96 intensiviert werden.97 Ein wichtiges Element war weiterhin das Spenden von Gaben an das Kultbild,98 das den Konventionen des Schenkens (z.B. beim Beschenken des sozial höher Stehenden durch den tiefer Stehenden) unterlag. Solche Gaben bestanden zumeist aus blutigen Tieropfern, welche in der Regel im staatlichen Kult mit Spielen einhergingen, oder unblutigen Opfern99, wie z.B. Blumen, Weihrauch, Kuchen oder Geld. Im Kontext der blutigen Opfergaben sind dabei vor allem die Mähler und Speisungen zu sehen, bei denen das Fleisch der Tieropfer (daps, epulum) von den Kultteilnehmern verzehrt wurde.100

92 GLADIGOW 1994, 15–17; SCHEER 2000, 72–74; RÜPKE 2006 a, 99f.; Berührung konnte auch einen engeren Kontakt meinen: Es gab häufig den Versuch die Kultstatue entweder mit der Hand zu berühren oder sogar zu küssen. Die übermäßige Berührung konnte dabei auch zu Abnutzungsspuren auf dem Material führen. Vergleiche Lucr. 1,316; Cic. Verr. 2,4,94 (Herakles in Agrigent); Plut. Sull. 29. Andere Quellen berichten von regelrechtem Berührungsverbot (Diana/Artemis von Segesta; Cic. Verr. 2,4,77) bzw. der Beschränkung auf einen bestimmten Personenkreis, dem es erlaubt war, das Kultbild zu sehen (Paus. 2,35,11; Cic. Verr. 2,4,99). Siehe dazu auch FRATEANTONIO 1999, 903. Berührung konnte zusätzlich durch gesteigerte Sichtbarkeit in Form von Zurschaustellung (ostentatio) ersetzt werden, vergleiche RÜPKE 2006 a, 100. Es gibt sogar Berichte von sexueller Befriedigung an einem Kultbild (Pseudo Lukian, Amores 13f.; 15f.). Siehe KLÖCKNER 2012, 37. 93 Siehe zu griechischen Prozessionen TRUE 2004, passim. Siehe zu römischen Prozessionen FLESS 2004, passim. 94 Siehe z.B. Lucr. 2,608–643; Paus. 1,29,2; Paus. 3,16,10f.; Paus. 3,20,5; 7; Paus. 7,20,1; Paus. 9,3,1f.; Apul. met. 11, 8–11; 16. 95 Beispiele bieten die Salier (ein 12-Mann-Kollegium, das besonders im März tanzend durch die Straßen zieht; vergleiche Liv. 1,20,4; Fest. 334 L; Plut. Numa 13) oder die Arvalbrüder (tanzend im Dreischritt, tripodium; vergleiche CIL I 28). Siehe zum Tanz in der griechischen/römischen Mythologie, sowie im griechischen/römischen Kult SHAPIRO 2004, passim. 96 Die Prozession der Luperci fand in Form eines Wettrennens statt (vergleiche z.B. Ov. fast. 2,283–380). 97 RÜPKE 2006 a, 100 f. Siehe für die griechische Antike beispielsweise BETTINETTI 2001, 185– 210. 98 Siehe zu den Opferriten ausführlich SCHEID 2003, 79–109. Siehe speziell zu Opferriten der antiken, griechischen Welt HERMARY–LEGUILLOUX 2004, passim. Siehe speziell zu Opferriten der antiken, römischen Welt HUET–SCHEID 2004, passim. 99 Im Zusammenhang mit den unblutigen Opfern war die Libation, also das Ausgießen meistens von Wein aus der patera (flache Schale), die wichtigste Form. Menschen, die ikonographisch mit diesem Attribut versehen worden sind, wurden auf diese Weise als fromm gekennzeichnet. Siehe RÜPKE 2006 a, 102. 100 RÜPKE 2006 a, 102–104; 140–143; Eine Sonderform dieses Ritus war das lectisternium, das zum ersten Mal 399. v. Chr. auf Geheiß der Sibyllinischen Bücher praktiziert wurde (Liv. 5,13,6). In diesem Ritual sollten ausgewählte Götter zu einem Bankett zusammenkommen.

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Im Anschluss an die Speisen fanden häufig Pflegerituale statt, die in Form von Waschen bzw. Baden,101 Ölen (Maßnahme, um v.a. hölzerne Kultbilder zu schützen/konservieren), Ausschwefeln und Bekleiden102 der Kultbilder ausgeübt werden konnten. Gerade durch das Bekleiden der Kultbilder wurde die Anwesenheit der Götter in einer rituellen Epiphanie signalisiert. Auch die Kultteilnehmer selbst mussten sich Reinigungsritualen unterziehen, die vom einfachen Händewaschen oder vom Besprengen des Kopfes bis zum Verbot des Geschlechtsverkehrs direkt vor den Kultausübungen reichen konnten.103 Die verbale Form der Kommunikation mit einer Gottheit war das Gebet. Durch dieses hatte der Verehrer die Möglichkeit, gerade mittels eines Kultbildes mit der von ihm repräsentierten Gottheit auf sehr effektive Weise in Kontakt zu treten.104 Fast alle Rituale wurden von mindestens einem Gebet begleitet. Ohne Ritual hingegen fand kein Gebet statt. Gebetet wurde im Stehen und gelegentlich mit gesenktem Kopf, um sich gegenüber der Gottheit zu verkleinern. Dieser Gestus des Flehens konnte durch Knien oder, indem man sich auf dem Boden wälzte, intensiviert werden. Die Hände wurden in Richtung der Gottheit ausgestreckt, während das Gebet selbst mit lauter Stimme gesprochen oder auch durch ein-

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Dabei repräsentierten Strohpuppen (struppi) oder auch nur Kränze die Kultbilder, die unter freiem Himmel auf Liegen aufgebahrt wurden. Weibliche Gottheiten wurden später hingegen auf Stühle bzw. Sessel (sellisternia) gesetzt. GLADIGOW 1985/1986 117; GLADIGOW 1994, 21–23; RÜPKE 2006 a, 104. Siehe auch beispielsweise Liv. 5,13,6–8; Liv. 29,14,14f.; Liv. 36,1,2; Liv. 40,59,8–11; Val. Max. 2,1,2; Tac. ann. 15,44,2; Suet. Caes. 76. In Rom wird diese Praxis für das Kultbild der Venus Verticordia tradiert. Dieser Gottheit wurde 114 v. Chr. nach einem Inzest von drei Vestalinnen ein Tempel geweiht, an dessen Stiftungstag (1.4.) das Kultbild der Göttin entkleidet und gewaschen wurde: aurea marmoreo redimicula demite collo / demite divitias: tota lavanda dea est. (Ov. fast. 4, 135 f.). Vergleiche Kap. 7.2.2.4. Weiterhin wird ein Baderitual (lavatio) auch für das Kultbild der Magna Mater am 27.3. überliefert (Ov. fast. 4, 337–340; Lucan. 1,598–600; Arr. takt. 33,4; Arnob. 7,32; Amm. 23,3,7; Aug. civ. 2,4), was von den Quindecimviri am Fluss Almo durchgeführt wurde. Vergleiche auch Paus. 2,10,4f. (Aphrodite in Sikyon); Eur. Iph. T. 1039–1045 (Artemis); Kall. h. 5,1–32; 49–55 (Athena). Siehe dazu GLADIGOW 1994, 23; vergleiche auch LINANT DE BELLEFONDS 2004, 419–422 (inkl. der Textquellen S. 425f.). Siehe zur Salbung z.B.: Theophr. char. 16,5; Cic. Verr. 2,4,77; Tib. 1,7,49–52; Paus. 9,41,7; siehe zur typischen Behandlung von griechischen, nackten Marmorstatuen mittels einer Mischung aus Öl und Wachs (γάνωσις) Vitr. 7,9,3; Zur Bekleidung siehe exemplarisch Hom. Il. 6,297 (Kleiderspende der Trojanerinnen an die troische Athene); weitere ausführliche Quellenangaben bei KAUFFMANN-SAMARAS–SZABADOS 2004, 431–437. Siehe auch SCHEER 2000, 54–60. GLADIGOW 1994, 23; RÜPKE 2006 a, 104. Siehe zum Gebet in der griechischen Antike z.B. SCHEER 2000, 67–75; BETTINETTI 2001, 161–183; SCHEER 2001, 31–56; JAKOV–VOUTIRAS 2005, passim; KLÖCKNER 2012, 33. Siehe zum Gebet in der römischen Antike beispielsweise GLADIGOW 1994, 16f.; RÜPKE 2001 a, 13– 30; SCHEID 2003, 97–99; FYNTIKOGLOU 2005, passim; FYNTIKOGLOU–VOUTIRAS 2005, passim; RÜPKE 2006 a, 104f.

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dringliches Flüstern oder still verrichtet wurde.105 Jedoch stellte das Gebet eine spezielle Kommunikationssituation dar, dessen gelungene Übermittlung an die Gottheit unsicher blieb. Um die Chance auf den erfolgreichen Ausgang eines Gebets zu erhöhen, war sowohl in der griechischen als auch in der römischen Religion die präzise und deutliche Anrede inklusive dazugehöriger Epitheta der jeweiligen Gottheit von Vorteil. Vor allem in der römischen Kultpraxis lag das Augenmerk auf der formalen Korrektheit der Riten, die auch Einfluss auf den Erfolg des Gebets hatte. Einmal ausgesprochen, konnte es zudem nicht korrigiert oder wiederholt werden.106 Da das Verhältnis in der Kommunikation Mensch–Gott als reziprok angesehen wurde, konnten die Rituale in der Vorstellung der Verehrer auch Reaktionen der Götter hervorrufen, die sich wiederum am Kultbild äußerten. Die Idee vom belebten Kultbild107 ist uns u.a. in Prodigienlisten und angeblichen Augenzeugenberichten überliefert. Darin wird berichtet, dass Kultbilder auf solche Rituale oder Kommunikationsversuchen der Menschen mit Reden108, Bewegen z.B. in Form von Nicken109, Lachen/Lächeln, Duften, Weinen, Schwitzen und Bluten110 reagieren konnten.111 Auf solche Art und Weise zeigen sie die gelungene Kommunikation zwischen Menschen und Göttern und die Präsenz der Gottheit beim Kultbild in Form einer temporären Epiphanie an. Anhand der permanenten Präsenz ist auch der Unterschied des Kultbildes von der Epiphanie auszumachen. Während das Kultbild eine Gottheit in materieller Form abbildete und/oder ihr einen Aufenthaltsort dauerhaft anbot, der dann von der Gottheit temporär genutzt werden konnte, bezeichnet die Epiphanie die kurzzeitige Erscheinung bzw. das Sichtbarwerden einer Gottheit, wie sie sich beispielsweise im rituellen Geschehen manifestieren konnte.112 Dabei war das göttliche Wesen nicht ortsgebunden oder in einem bestimmten Kultbild fixiert.113

105 Seneca epist. 41,1; Das Gebet konnte auch durch Musik mittels der tibia (Rohrblattinstrument) begleitet werden, um einerseits böse Worte zu überspielen und um andererseits gesungene Gebete musikalisch zu unterstützen. Lesungen von gebetsartigen Texten spielten lediglich eine untergeordnete Rolle. Vergleiche Apul. met. 11,9; Siehe dazu RÜPKE 2006 a, 104f. 106 Siehe dazu GRAF 1998, 831f.; SCHEER 2001, 37f.; SCHEID 2003, 98f. Vergleiche auch RÜPKE 2001 a, passim und RÜPKE 2001 b, passim. 107 Siehe zur Verlebendigung von Kultbildern KLÖCKNER 2012, 32. 108 Paus. 7,22,2 (Orakelmethode einer Hermes-Statue in Pherai). 109 Caes. civ. 3, 105,2–6. SCHEER 2000, 70. 110 Cic. div. 2,58; Plut. Coriol. 38; Plut. Cam. 6,1; Herodot 7,140; Diodor 17,10,4f.; Nonn. Dion. 44,46. 111 Einige Bilder konnten auch Dinge bewirken, die mitunter gefährlich für die Polis werden konnten: So geriet z.B. das Bild im Tempel von Adranos so stark in Bewegung, dass die Tempeltüren von selbst aufsprangen, als vor den Stadttoren der Kampf begann (Plut. Tim. 12). SCHEER 2000, 83–88; ICARD-GIANOLIO 2004, 463–468 (inkl. literarische Quellen für Reaktionen bei den Kultbildern); EGELHAAF-GAISER 2011, 206. 112 Ein großer Teil der Epiphanien findet im Kult statt, meist in Zusammenhang mit einer Kultstiftung und der Übertragung (translatio) von heiligen Bildern, Zeichen und Reliquien. Dadurch, dass Gottheiten nicht an einen bestimmten Ort gebunden oder in einem bestimmten

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Neben dieser sogenannten „primären Form religiöser Kommunikation“ (individuelle Mitteilungsprozesse zwischen Menschen und Göttern und andersherum – vertikale Kommunikation) müssen bei der Darstellung antiker, religiöser Kommunikationsprozesse auch die Signale der sekundären religiösen Kommunikation (horizontale Kommunikation auf menschlicher Ebene) Erwähnung finden. Kommunikationsbedarf bestand schließlich auch für die Vielzahl der beteiligten Instanzen an der menschlich-göttlichen Kommunikation sowie deren Organisation (Wahl, Beschaffung und Finanzierung von Opfertieren und -material, Einrichtung und Unterhaltung von Kultplätzen, Ausbildung und Abstimmung religiöser Spezialisten). Weil solche „Signale sekundärer Kommunikation“ durch räumliche und zeitliche Distanz sowie das Überschreiten von Trägern der primären religiösen Kommunikation gekennzeichnet waren, folgt daraus laut RÜPKE das Bedürfnis nach der materiellen Sicherung des Signals, derer die direkte Primärkommunikation (s.o.) nicht bedarf. Ebenso darf bei der religiösen Kommunikation die Tatsache nicht vernachlässigt werden, dass die Handlungen antiker Religionen oftmals im öffentlichen Raum stattfanden, sodass der individuelle Kommunikationsprozess zwischen Menschen und Göttern zwangsläufig ein Publikum hatte (Tieropfer erforderten eine Festgemeinschaft, Gelübde wurden laut gesprochen, viele Form der Divination fanden im öffentlichen Rahmen statt). Dieses konnte sowohl abwesend als auch präsent sein und durch Metakommunikation (Reden über den Kommunikationsvorgang) bzw. Sekundärmedien wie Inschriften oder Bücher konstituiert werden. Das bedeutet, dass der Kommunikationsakt, den ein Individuum an eine Gottheit richtete, auch Empfänger über den eigentlichen Adressaten hinaus hatte, was von demjenigen, von dem die Kommunikation ausging, berücksichtigt werden und sein eigenes Kommunikationsverhalten beeinflussen konnte. Wenn z. B. ein Feldherr ein Gelübde laut aussprach, demonstrierte er damit nicht nur der Gottheit die pietas des Heeres, sondern auch den Soldaten, die das Gelübde ebenfalls hören sollten.114 Die Öffentlichkeit von Religion hatte somit oftmals eine Zeugenfunktion, die das Gelingen der vertikalen Kommunikation zwischen Menschen und Göttern festhielt oder den sozialen Verpflichtungsregeln wie z.B. Reziprozität unterwarf. Sobald es an Öffentlichkeit mangelte, lassen sich besonders viele Verschriftlichungen dieser Kommunikation in der griechischrömischen, antiken Welt finden, (z.B. Fluchtäfelchen115, Weihinschriften oder

Kultbild fixiert waren, konnten sie bewusst mittels ihrer Adresse herbeigerufen werden. Göttliche Epiphanien konnten aber auch unerwartet und plötzlich z.B. zur Legitimation politischer Ansprüche (Hdt. 1,60) sowie in Krisenmomenten und Schlachten als Hilfe (Hom. Il. 18, 516– 519) erscheinen. Letzteres war ein lang etablierter Topos in der griechischen Antike. Siehe SPEYER 1989, 274–277; CANCIK 1990, 292f.; GRAF 1997, 1150–1152; PLATT 2011, 13–15. 113 SCHEER 2000, 119. Siehe zur Epiphanie beispielsweise GLADIGOW 1988, 98–121; CANCIK 1990, 292f.; GRAF 1997, 1150–1152. 114 Vergleiche z.B. Liv. 10,36,11. 115 Siehe dazu z.B. Kai BRODERSEN, „Briefe in die Unterwelt: Religiöse Kommunikation auf griechischen Fluchtafeln.“ in: ders. (Hrsg.), Gebet und Fluch, Zeichen und Traum. Aspekte religiöser Kommunikation in der Antike, Münster 2001, 57–68.

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Gelübde). Bei der religiösen Kommunikation spielen also nicht nur die Erwartungen eine Rolle, die der Adressant an seinen Adressaten hat, sondern gleichermaßen auch die Erwartungen, die der Adressat (Götter auf der vertikalen, Menschen auf der horizontalen Kommunikationsebene) an den Adressanten hat. Der gesellschaftliche Ort der religiösen Kommunikation lässt sich nur über die genaue Untersuchung aller Kommunikationsbedingungen ermitteln.116 Zusammenfassend lässt sich folgendes feststellen: Das Kultbild ist ein ambivalentes Konzept117, das dialektische Züge trägt und einen medialen Charakter aufweist. Auf der einen Seite manifestierte sich im Kultbild die Präsenz und Macht der Götter, die über das Abbild die Möglichkeit erhielten, ihren Willen zu signalisieren. Somit konnte durch ihre Einbindung in die rituelle Kommunikation der Grenzbereich zwischen Menschen und Göttern ausgelotet werden.118 Auf der anderen Seite waren Kultbilder aber auch sozial abhängig und bedurften nach dem do-ut-des-Prinzip der Menschen, die ihnen ihre Verehrung in Form von Opfern oder besonderer Pflegeritualen erwiesen. Der Verehrer tat dem Kultbild im übertragenen Sinne etwas Gutes, weil er sich von der Gottheit und ihrer numinosen Wirkung eine Gegenleistung versprach. Umgekehrt brauchte die im Kultbild verkörperte Gottheit eben solche Aufmerksamkeit und Fürsorge, um in diesem Kult überhaupt ihre Berechtigung zu finden.119 Somit oszillierte das Kultbild als Kommunikationsmedium zwischen aktiver und passiver Kult- bzw. Ritualbeteiligung. Das Kultbild benötigte in der realen Kultpraxis sein Gegenüber. Diese Definition lässt sich auch auf die Statuen der drei zugrundeliegenden Textpassagen übertragen: Aus Hor. sat. 1,8,3–7 geht hervor, dass die sprechende Priapus-Statue der Satire in den Parkanlagen des Maecenas auf dem Esquilin deswegen aufgestellt worden sei, weil Priapus die Fähigkeit besitze, Diebe und Vögel aus dem Garten zu vertreiben. Diese Kompetenz suggeriert – wenn auch im Text nicht ausgesprochen – ein rituelles do-ut-des-Prinzip, nach dem ein Verehrer dem Priapus opfert, um im Gegenzug den Schutz zu erhalten. Noch deutlicher wird dieser Aspekt in Tib. 1,4,1–3: Dort wird zunächst eine Dialogsituation zwischen dem elegischen Ich und Priapus fingiert, in der dem Fruchtbarkeitsgott zu Beginn ein Schutzdach versprochen wird, wenn er dem Bittsteller im Gegenzug die Kunst beibringe, mit der es ihm gelinge, schöne Knaben für sich zu gewinnen. Zum einen weist das Versprechen eines Schutzes gegen Sonne und Schnee (V 1f.) eher auf die permanente, materielle Präsenz eines Kultbildes denn auf eine temporäre Epiphanie des Priapus hin. Zum anderen wird innerhalb des Textes ein Gegenüber imaginiert, um eine Kommunikationssituation im Kontext einer Votivgabe zu generieren, wie sie in der Kultpraxis auch vorkommen könnte. Auf diese Weise wird Priapus eindeutig als Kultbild definiert.

116 Siehe zu den „sekundären Formen der Religion“ RÜPKE 2001 a, 28–30 und RÜPKE 2001 b, 72–74. Vergleiche auch SCHEER 2001, 47–52. 117 BURKERT 2011, 146. 118 RÜPKE 2006 a, 75. 119 GLADIGOW 1985/1986, 114f.; LINANT DE BELLEFONDS 2004, 418; RÜPKE 2006 a, 148f.

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Auch in Prop. 4,2,11f. berichtet der dort sprechende Vertumnus zunächst von Opfern aus Erstlingsfrüchten zu seinen Ehren. Von diesem Ritus leite man seinen Namen ab, was er selbst jedoch als Irrtum bezeichnet (V 19f.). Der Gott Vertumnus scheint aber letztendlich derjenige zu sein, der am meisten auf sein Gegenüber angewiesen ist und dessen Statue demnach im Text eindeutig als Kultbild ausgewiesen wird: Das Potential zur Vielgestaltigkeit bereit stellend wird seine Gestalt nämlich durch den Willen seines Gegenübers erst bestimmt, indem dieser der Statue bestimmte Attribute anlegt, die die neue, konkrete Form seiner Repräsentation und im übertragenen Sinne auch die des Gottes Vertumnus temporär festlegen. Sie ist somit vom Verehrer abhängig (V 21f.). Demnach sind die sprechenden Statuen meiner Textstellen unter oben stehenden Kriterien allesamt als Kultbilder definierbar, auch wenn die Indizien dafür in unterschiedlicher Deutlichkeit zu Tage treten.

2.3.5 Abgrenzung zur Epiphanie – das Fallbeispiel des Ianus Die Definition und die Darstellung der unterschiedlichen Kommunikationsformen mit Kultbildern haben gezeigt, dass diese die Fähigkeit besaßen, als Medium der Kommunikation zwischen zwei Welten, nämlich der der Götter und der der Menschen, zu fungieren. Diese Kompetenz war attraktiv, um auch als Motiv in die Literatur, speziell in die Dichtung, übertragen zu werden, um dort in ähnlicher Weise als Bindeglied zwischen Autor und Leser zu wirken. Im Zuge dieser Überlegungen soll im Folgenden die Abgrenzung von weiteren erhaltenen Schriften vorangetrieben werden, die thematisch auf den ersten Blick in eine ähnliche Kategorie wie Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 fallen. Denn natürlich existieren auch in anderen hellenistisch beeinflussten Texten der augusteischen, aber auch nachaugusteischen Zeit Götter, die ihre Stimme erheben und zu sprechen beginnen. Jedoch ist ihre Darstellungsweise hier eine andere. Als erstes Beispiel sei zunächst eine Stelle aus dem augusteischen Werk angeführt, bei dem sich am ehesten mit sprechenden Kultbildern rechnen ließe: Ovids Fasti.120 Bei diesem Werk handelt es sich um einen Festtagskalender im elegischen Distichon, der die Herkunft, Namen und Riten römischer Kulte erläutert, indem eine Sprecherfigur die betreffenden Götter danach ausfragt und von diesen Auskunft erhält. Exemplarisch möchte ich hier auf eine Passage aus dem ersten Buch eingehen, in der dem Sprecher Ianus erscheint (Ov. fast. 1,89–100).121

120 Ovid hat die fasti wohl 2 n.Chr. begonnen, musste sie 8 n.Chr. wegen des Exils beenden, hat das Werk allerdings in den neun Jahren seines Exils noch einmal überarbeitet. So wurde es nach dem Tode des Augustus 14 n. Chr. umgewidmet, und zwar nicht dem direkten Nachfolger Tiberius, sondern dessen Neffen und adoptierten Sohn Germanicus. Siehe dazu NEWLANDS 1995, 5; HERBERT-BROWN 1994, 173. 121 Siehe zur Ianus-Stelle BÖMER 1958, 14–36; HARDIE 1991, 47–64; GREEN 2004, 58–135.

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Die Stelle beginnt mit einer rituellen Anrufung. Nachdem der Sprecher den Gott gefragt hat, was für ein doppelköpfiger Gott er sei, den noch nicht einmal die Griechen kennten, und warum er als einziger der Götter sowohl nach vorn als auch nach hinten blicken könne (V 89–92), erscheint ihm der Gott selbst. Seine plötzliche (V 96; V 98) Ankunft wird von einem Glanz begleitet (V 89), seine äußere Erscheinung ruft beim Sprecher Schauder, Furcht und Entsetzen hervor (V 95f.). Diese Beschreibung einer Götterankunft deutet ganz klar darauf hin, dass es sich bei der Erscheinung des Ianus um eine Epiphanie handelt und dass hier nicht die Gottheit mittels ihres Kultbildes kommuniziert.122 Hinzu kommt die Erwähnung von körperlichen Charakteristika und bezeichnenden Attributen, die Ianus zu eigen sind, wie z.B. die Doppelköpfigkeit (V 95), der Stab in der rechten (V 99) und der Schlüssel in der linken Hand (V 99). Die Erwähnung der Attribute ist fester Bestandteil einer typischen Epiphanie-Szene. Laut PLATT lässt sich aus vielen Epiphanie-Erzählungen erkennen, dass die visuelle Manifestation eines Gottes einen korrespondierenden Prozess der Wahrnehmung und Wiedererkennung seitens seines sterblichen Gegenübers benötigt. Dabei handelt es sich um einen komplexen semiologischen Prozess, in dem die relevante Gottheit korrekt nur durch Rückgriff auf die zahlreichen Semata der Form und Attribute, die jeden Gott individuell von einem anderen unterscheidet und die der Mensch durch die materielle Repräsentation kennt, von einem Sterblichen identifiziert werden kann.123 Der Verzicht auf die Erwähnung der Materialität der Götterdarstellung und stattdessen die Betonung der Attribute der erscheinenden Gottheit, die Begleiterscheinung ihrer Ankunft, der temporäre Aspekt (Unmittelbarkeit der Epiphanie im Gegensatz zur dauerhaften Präsenz einer Statue) und die Reaktion des menschlichen Gegenübers sind für die Ianus-Stelle in Ovids Fasti kennzeichnend und scheiden sie zugleich von den drei Textstellen dieser Arbeit.124 Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch in den Silvae125 des Statius machen, in dessen Werk mythologische Figuren, u.a. auch Götter, zu sprechen beginnen. Im Kontext eines realen Anlasses erinnern die Gedichte an Ereignisse aus dem Leben der Patrone des Statius, an die die 32 Gedichte adressiert sind, wie z.B. Geburt, Reise, Hochzeit, Erholung von einer Krankheit oder Todesfälle.126 Die

122 Siehe zu den Charakteristika von Epiphaniebeschreibungen GLADIGOW 1988, 98–102. 123 GLADIGOW 1988, 100f.; PLATT 2011, 52–60. 124 An dieser Stelle sei auch auf die Pygmalion-Passage in Ovids Metamorphosen hingewiesen (Ov. met. 10,243–297). Diese Erzählung über die Transformation einer Statue zu einer Frau soll in der vorliegenden Arbeit trotz des eindeutigen Verweises auf die Materialität und der Belebungsstrategien eines leblosen Gegenstandes unberücksichtigt bleiben. Die Statue wird zwar wie ein Kultbild behandelt (Pygmalion liebkost es, bringt Geschenke, wie ein Verehrer dem Kultbild Opfer, und kleidet sie gar: Ov. met. 10,256–266), sie beginnt aber nicht zu sprechen. 125 Die Silvae sind in fünf Büchern und in unterschiedlichen Metren ab 92 n. Chr. publiziert worden. Siehe dazu CONTE 1994, 481. Carole NEWLANDS spricht sich dagegen für eine Publikation in zwei Teilen von 93–95 n. Chr. aus (NEWLANDS 2002, 1). 126 Siehe zu den Silvae als Gelegenheitsdichtung RÜHL 2006, 81–212.

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Vermischung einer mythologischen Welt mit der Realität sowie die Zuweisung von Reden an Personifikationen oder anthropomorphe Figuren zeigt auf der einen Seite den hellenistischen Einfluss auf die Silvae und bildet auf der anderen Seite die Verbindung zu den Fasti des Ovid. Dort befragt das aitiologische Ich mythologische Charaktere, darunter auch Götter (wie z.B. Ianus im ersten Buch der Fasti), die mit den realen Festen des römischen Kalenders in Verbindung stehen.127 So erinnert die Silve 4,1,128 die nun exemplarisch in den Blick genommen werden soll,129 an den Beginn des 17. Konsulats Kaiser Domitians am 1. Januar 95 n. Chr. (V 1f.).130 Nachdem der Sprecher dieses Ereignis kurz einleitet und eine Atmosphäre des Jubels und der Freude erzeugt (V 1–10), wird Ianus eingeführt (V 11f.), der im Anschluss eine Lobesrede auf Domitian hält (V 17–43). Ähnlich wie der Ianus in Ovids Fasti gleicht auch hier der Auftritt des Gottes einer Epiphanie, wenngleich er in diesem Gedicht nicht so eindrücklich als solche beschrieben wird – Ianus streckt lediglich sein Gesicht hervor (V 12), was eine Unmittelbarkeit seines Auftretens vermuten lässt. Der Anlass des Gedichts scheint die Motivation für die Erscheinung des Gottes zu sein, der als reparator aevi die Kontinuität der Zeit sichert, indem er über den Jahresbeginn wacht.131 Zwar fehlt in der Silve das menschliche Gegenüber, dessen Reaktion und kognitiven Identifikationsprozess (das Erkennen der Gottheit) man daher nicht ablesen kann, jedoch werden auch hier, ähnlich wie in Ovids Fasti, charakteristische Elemente der Gestalt des Ianus erwähnt, die auf seine Zweiseitigkeit abzielen und ihn als Ianus Geminus132 kennzeichnen: Er drückt seinen Dank von beiden Schwellen aus (V 12f.), er wird mit Frieden (V 13) und Krieg (V 14) in Verbindung gebracht, er streckt seine Hände von hier und von dort aus (V 15f.) und spricht mit doppelter Stimme (V 16). Ähnlich wie bei Ovid findet man auch bei Statius in dieser Silve nichts, was auf eine materielle Präsenz des Ianus hinweist. Stattdessen werden seine phänotypischen Charakteristika hervorgehoben und die Unmittelbarkeit seiner Erscheinung zum Ausdruck gebracht, die zudem zum Ende des Gedichtes durch sein Verschwinden in seinen Tempel gesteigert wird (V 44). Von einer dauerhaften Präsenz, wie sie durch die Ortsgebundenheit eines Kultbildes zumindest potentiell vermittelt wird, kann hier also keine Rede sein. Somit scheinen auch die Götterfiguren in den Silvae des Statius anders zu funktionieren als die innerhalb der vorliegenden Arbeit im Zentrum stehenden Texte der augusteischen

127 COLEMAN 1999, 76. Siehe zu mythologischen Figuren als Sprechern in Statius‘ Silvae COLEMAN 1999, passim. 128 Siehe speziell zu dieser Silve 4,1: COLEMAN 1988, 62–82; RÜHL 2006, 310–314. Siehe auch NAUTA 2002, 352–355; 357f. 129 Andere Silven, in denen ebenfalls mythologische Figuren zu sprechen beginnen, sind beispielsweise Stat. silv. 1,1,66–83 (Lacus Curtius an Domitian); 1,2,162–193 (Venus an Violentilla); 2,7,41–104 (Calliope an Lucan); 3,1,91–116; 166–183 (Herkules an Pollius). Siehe einer Übersicht aller Reden in COLEMAN 1999, 79f. 130 COLEMAN 1988, 62; COLEMAN 1999, 67. 131 COLEMAN 1988, 69. 132 COLEMAN 1988, 69.

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Dichtung: Dafür, dass die Götter in den Silven mittels ihres Kultbildes kommunizieren, gibt es keinen Anhaltspunkt. Vielmehr handelt es sich um mythologische Figuren, die Statius einführt und die sich dann mit einer längeren Rede der Hauptperson des Gedichtes, entweder dem Kaiser Domitian oder einer Privatperson, direkt zuwenden oder über sie reden. Angepasst an Adressat und Anlass des Gedichts setzt Statius unterschiedliche mythologische Figuren als Sprecher ein, was ihm viele stilistische Variationsmöglichkeiten und Anspielungen durch mythologische Bilder ermöglicht und gleichzeitig seine eigene sprachliche Virtuosität, aber auch die Bildung seiner Leserschaft zum Ausdruck bringt.133 Dieser Exkurs hat deutlich gemacht, dass es sowohl in der augusteischen als auch in der nachaugusteischen Zeit hellenistisch beeinflusste, lateinische Texte gibt, in denen Götter zu sprechen beginnen. Jedoch wird ihr Auftreten eindeutig als Epiphanie gekennzeichnet, deren Darstellung sich von denen der sprechenden Priapi- und Vertumnus-Statuen unterscheidet. Das Korpus der Texte hingegen, in denen Kultbilder klar materialisiert sowie als solche definiert werden und in denen deutlich wird, dass hier die Gottheiten mittels ihres Kultbildes kommunizieren und in einer längeren Rede zu sprechen beginnen, ist in der lateinischsprachigen Literatur stark limitiert. Nicht einmal die Gattung des lateinischen Epigramms, welche durch Martial in der flavischen Zeit eine Blüte erfährt und in der die Verbindung von Bild und Text so nahe liegt, weist einen mit den augusteischen vergleichbaren Text auf. Die carmina Priapea – eine Gedichtsammlung auf den Fruchtbarkeitsgott Priapus, deren Datierung134 und Autorenschaft135 seit jeher heftig diskutiert wurde und bisher noch nicht eindeutig geklärt werden konnte136 – sollen bei meiner Untersuchung ausgeklammert werden. Aufgrund der Sprecherkongruenz zu Hor. sat. 1,8 und Tib. 1,4 scheint eine eingehende Analyse dieser Texte nahe zu liegen, jedoch funktionieren diese Gedichte auf andere Weise: a) Sie sind entschieden kürzer als meine drei vorliegenden Textstellen, b) dadurch gerät das narrative Element in den Hintergrund, c) das Kultbild wird nicht immer als solches materialisiert (z. B. keine Materialisierung in priap. 1; 2; 3; 5; 7; 8; 12) und d) es findet kein Zusammenspiel zwischen Text und (Kult-) Bild statt (z. B. priap. 4; 6; 27; 28; 58). Hinzu kommt, dass es sich hierbei um eine Anthologie von Gedichten handelt, die alle in Variation entweder Priapus zum Sprecher haben oder thematisch um ihn kreisen.137 Demnach erfüllt dieser Priapus keine literarische bzw. 133 COLEMAN 1999, 80. 134 Es gibt sowohl frühaugusteische Datierungsansätze als auch chronologische Einordnungen nach Martial in das späte 1. Jh. n. Chr. bis sehr frühes 2. Jh. n. Chr. Siehe dazu PARKER 1988, 36f.; GOLDBERG 1992, 35f.. 135 PARKER 1988, 32–36; GOLDBERG 1992, 28–34. 136 Das frühste erhaltene Beispiel lateinischer Priapus-Dichtung können wir in Catulls Weihepigramm (Catull, frg. 1) finden. Siehe GOLDBERG 1992, 25. 137 Siehe dazu die thematische Dreiteilung der Gedichte in beinahe gleich große Gruppen: a) Priapus als Gott, der verehrt und mit anderen Göttern verglichen wird sowie göttliche Gewalt ausübt (27 Gedichte, z.B. priap. 2; 9; 16; 20; 21; 37; 41; 47; 49; 60; 61; 70), b) Verhalten der

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poetologische Funktion, die mit den sprechenden Kultbildern vergleichbar wäre, die innerhalb ihrer jeweiligen Werke singulären Status beanspruchen. Die vorliegenden Gedichte scheinen demnach eine Sonderstellung zu beanspruchen, sodass eine vergleichende, literaturwissenschaftliche Untersuchung von Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 – ein bisheriges Forschungsdesiderat – neue Erkenntnisse hinsichtlich der Funktion der kommunizierenden Kultbilder in literarischen Räumen verspricht.

2.3.6 Archäologischer Befund Bevor ich mich der literarischen Inszenierung von sprechenden Kultbildern zuwende, soll das folgende Teilkapitel zunächst eine Skizze über die uns erhaltenen römischen Kultbilder liefern. Bereits in der späten Republik war die Verehrung der Götter aufgrund von unterschiedlichen Faktoren wie den aufgeklärten Lehren der griechischen Philosophenschulen, aber auch aufgrund eines neuen Machtgefühls resultierend aus den vergangenen militärischen Erfolgen,138 das die Suche nach Möglichkeiten glanzvoller Selbstverherrlichung ins Zentrum rückte und die Götter zu Dienern des persönlichen Erfolgs machte, zumindest in der römischen Oberschicht stark in den Hintergrund geraten.139 Dies spiegelte sich in der Vernachlässigung der religiösen Pflichten wider und führte zum Verfall von Tempeln, zur Verwahrlosung von

Priapus-Statue als Schutz gegen Diebe und Vögel, die roh gezimmert überall anzutreffen ist und obszöne Äußerungen hervorstößt (27 Gedichte, z.B.: 23; 38; 51; 55; 56; 58; 64) und c) Priapus, der sexuell Degenerierte und moralisch als verwerflich geltende Sexualpraktiken ausübt (26 Gedichte, z.B.: 8; 10; 19; 26; 33; 39; 43; 63; 66; 68; 73). Siehe dazu PARKER 1988, 42–44; GOLDBERG 1992, 27; 138 Wie insbesondere Siege und Machterfahrungen die Mentalität der Oberschicht veränderten, kann man an einem Bericht über den homo novus Gaius Marius ablesen: nam post Iugurthinum Cimbricumque et Teutonicum triumphum cantharo semper potavit, quod Liber Pater Indicum ex Asia deducens triumphum usus poculi genere ferebatur, ut inter ipsum haustum vini victoriae eius suas victorias compararet (Val. Max. 3,6,6). Wie sehr das Volk ein solches Selbstverständnis unterstützte, zeigen beispielsweise die pompösen Ehrungen, mit denen Q. Caecilius Metellus Pius von den Städten in den 70er Jahren v. Chr. versehen worden ist, obwohl er lediglich mit mäßigem Erfolg gegen Sertorius in Spanien gekämpft hatte. Die Rede ist von Opfern, Altären, Kopfbekränzungen, ausschweifenden Gastmählern, an denen Metellus in der toga triumphalis teilnahm etc. Siehe dazu Plut. Sertorius 22. Vergleiche P. ZANKER 1990, 18. 139 Im 2. Jh. v. Chr. hatte der Senat den privaten Wohnluxus noch zügeln können und die Magistrate hatten sich um die Errichtung von Gemeinschaftsbauten wie Getreidespeichern, Wasserleitungen, Straßen, Brücken und Basiliken als Wirtschaftszentren gekümmert. Auch die alten Tempel wurden zu dieser Zeit noch in regelmäßigen Abständen erneuert. Aber seit der Diktatur Sullas begann sich der private Wohnluxus in Form von luxuriösen Villen in der Art der Gärten des Lucullus in Rom zu verbreiten, sodass das Stadtbild von dem Gegensatz zwischen arm und reich geprägt wurde. Siehe P. ZANKER 1990, 28–30.

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Kultstatuen, zu unregelmäßig stattfindenden Spielen und unbesetzten Priesterämtern.140 Die Religionspolitik des Augustus, die alte Tempel restaurierte, alte Kulte belebte und neue einführte, versuchte dies durch Neubelebung der staatlichen wie auch privaten Kulte zu verändern. Dabei wurden möglichst alle Schichten des römischen Volkes – die Kaiserfamilie selbst, die Vermögenden der Oberschicht, aber auch weniger reiche Personen – an diesem Prozess mittels Geldspenden beteiligt. Am Ende seines Lebens konnte Augustus zwölf neu errichtete und 82 wiederhergestellte Tempel in seinen Res Gestae verzeichnen.141 Von den in augusteischer Zeit aufgestellten Kultstatuen selbst haben wir nur minimale Reste erhalten.142 Die genaue Anzahl erhaltener Kultbilder aus der augusteischen Zeit zu ermitteln, ist so gut wie unmöglich. Die Identifikation eines Götterbildes als Kultbild erweist sich generell als schwierig: Zum einen war zunächst jedes Götterbild verdächtig ein Kultbild zu sein, da es sich ja durch sein Gegenüber, mit dem es in religiöse Kommunikation tritt, als solches definiert. Hinzu kommt, dass die Römer über keine Vorschriften für die künstlerische Form von Kultbildern verfügten, sondern jedes Götterbild durch Weihung in einem Tempel formaliter zu einem Tempelkultbild gemacht werden konnte. Aufgrund phänotypischer Charakteristika lassen sie sich nicht als solche erkennen. Lediglich

140 Seit den großen inneren Krisen in der Zeit der Gracchen (133–121 v. Chr.) wurden die notwendigen Erneuerungsarbeiten an Tempeln und Versorgungsbauten sowie die Entwicklung einer vernünftigen Stadtplanung und Infrastruktur vernachlässigt. Die großen Feldherren hatten sich eher auf selbstverherrlichende Bauprojekte mit demagogischer Wirkung fokussiert, wohingegen Stadtentwicklung, Wasserleitungen und Kanalisation eher wenig Prestige einbrachten und daher nicht von ihnen verfolgt wurden. Auch der Bau von Tempeln diente der Selbstdarstellung nur unzureichend, zumal dabei meist umfangreiche religiöse Restriktionen eingehalten werden mussten. Hinzu kam, dass der Senat große Freizeitbauten wie Theater und Thermenanlagen aus politischen und moralischen Gründen für unzulässig hielt, sodass die Bauvorhaben der Oberschicht zum großen Teil in den privaten Bereich weichen mussten. In privato solo errichtete man v.a. religiöse Siegesmonumente, die meist einer Schutzgottheit geweiht wurden, da bei einer Votivgabe jede Form von Selbstdarstellung bzw. -verherrlichung möglich war. Auch das Marsfeld war von ‚privaten‘ Siegesheiligtümern geprägt, da siegreiche Feldherrn dort ihren Schutzgottheiten neumodische hellenistische Marmortempel erbauten und die luxuriös ausgestatteten Portiken um sie herum mit berühmten griechischen Kunstwerken ausstatteten, die sie auf ihren Kriegszügen erbeutet hatten (P. ZANKER 1990, 32, Abb. 118). Im Zentrum eines solchen Bezirks konnte allerdings auch die monumentale Statue des Siegers aufgestellt sein, sodass die Götterstatuen neben dieser in den Nischen der Säulenhallen vollkommen zurücktraten, wie man auf einem Relief aus Capua aus dem 1. Jh. v. Chr. sehen kann (P. ZANKER 1990, 33, Abb. 19). Während also die Oberschicht Roms Luxusbauten für ihre persönlichen Gottheiten errichteten, gerieten viele sehr alte Kulte in Vergessenheit. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 28–34; ORLIN 2007, 65–70. 141 Siehe R. Gest. div. Aug. 19f., insbesondere 20,4: Duo et octoginta templa deum in urbe consul sextum ex auctoritate senatus refeci, nullo praetermisso, quod eo tempore refici debebat. Siehe dazu auch Kap. 2.2.3. 142 Siehe dazu MARTIN 1988, 252, Kat. 118 (Fragment von Apollo (?) vom Palatin). 119 (Fragment von Iuppiter Tonans aus Pompeji).

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der Standort bzw. Aufstellungskontext kann, wenn gesichert, zuverlässige Hinweise auf eine Funktion als Kultstatue liefern, da bei der Aufstellung einer Statue beispielsweise in einem Tempel am ehesten von einer kultischen Funktion auszugehen ist.143 Somit kann und soll an dieser Stelle keine genaue Zahl genannt, sondern lediglich ein Überblick über die unterschiedlichen Ursprünge von römischen Kultbildern gegeben werden. Obwohl ein Großteil der Tempelstätten in Rom durch Fragmente, Inschriften und die Forma Urbis in Verbindung mit literarischen Quellen identifiziert werden konnte, haben sich nennenswerte Überreste von Kultbildern (tragbar, oft aus wertvollem Material) seit der Einführung des Kultbildes in Rom um 580 v. Chr.144 nur unter bestimmten Umständen und erst ab dem 2. Jh. v. Chr. erhalten.145

143 Siehe dazu MARTIN 1987, 9. Oftmals sind wir in hohem Maße auf die literarischen Quellen angewiesen (Kultstatue aus delischer Bronze im Iuppiter-Tonans-Tempel laut Plin. nat. 34,10; Apollo-Kultbild des Skopas im Apollo-Palatinus-Tempel laut Plin. nat. 36,25). Siehe dazu MATTERN 2001, 59. 144 In diesem Jahr wurde eine Kultstatue des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Kapitol aufgestellt. Siehe Plin. nat. 35,157. MARTIN 1987, 14f. 145 Dies hängt wohl mit dem Wechsel in der Materialwahl zusammen: Als Material für Götterbilder kamen ab dem 6. Jh. v. Chr. Holz, Terrakotta, Marmor und Bronze in Frage. Nach Plinius d. Ä. wurden bis zur Eroberung Asiens im 2. Jh. v. Chr. lediglich Holz und Terrakotta für die römische Kultbildproduktion verwendet (Plin. nat. 34,34: mirumque mihi videtur, cum statuarum origo tam vetus Italiae sit, lignea potius aut fictilia deorum simulacra in delubris dicata usque ad devictam Asiam unde luxuria), da von diesem schlichten Material im Vergleich zu den kostbaren Prunkbildern eine tiefere Religiosität ausgehe (Plin. nat. 35,157f.: Nach der Erwähnung u.a. eines tönernen Iuppiters durch Vulca aus Veii und eines tönernen Herkules vom gleichen Künstler fasst Plinius d. Ä. zusammen: hae enim tum effigies deorum erant lautissimae, nec paenitet nos illorum, qui tales eos coluere; aurum enim et argentum ne diis quidem conficiebant. durant etiam nunc plerisque in locis talia simulacra;fastigia quidem templorum etiam in urbe et municipiis, mira caelatura et arte suique firmitate, sanctiora auro, certe innocentiora). Aufgrund der Instabilität und Vergänglichkeit des Materials hat sich von den Holzkultbildern gar nichts und von den Terrakotten lediglich Reste der architektonischen Plastik erhalten, aus denen man eine generelle Vorstellung der Kultbildplastik herzuleiten sucht (MARTIN 1987, 20; 25). Erst ab dem 2. Jh. v. Chr. begann man Kultstatuen aus Marmor, vor allem in der Akrolithtechnik, anzufertigen. Siehe dazu MARTIN 1987, 18f.; 195. Allerdings muss die plinianische Aussage hinsichtlich der erhöhten Religiosität bei der Materialverwendung von Holz und Terrakotta mit Vorsicht betrachtet und im Kontext des Moraldiskurses der naturalis historia gesehen werden, weil Plinius d.Ä. an anderen Stellen gegen die inhaltslose Verehrung der Prunkbilder seiner Zeit polemisiert (Plin. nat. 12,3; 12,5: Arborea et simulacra numinum fuere nondum pretio excogitato belvarum cadaveri atque, ut, a diis nato iure luxuriae, eodem ebore numinum ora spectarentur et mensarum pedes), den Kult des Aufwandes (luxuria, avaritia) kritisiert und damit eine traditionalistisch-religiöse Grundhaltung annimmt. Siehe dazu MARTIN 1987, 19f. Siehe zur römischen moralistischen Tradition Plinius‘ d. Ä. CITRONI MARCHETTI 1991, passim. Siehe zu den literarischen Quellen der römischen Holzkultbilder von Fortuna am Forum Boarium, Iuno Regina auf dem Aventin, Apollo Sosianus am Marcellus-Theater und Veiovis auf dem Kapitol MARTIN 1987, 20–25. Siehe zum Material Terrakotta und zu den literarischen Zeugnissen der Terrakotten des Iuppiter Optimus Maximus, Hercules Fictilis und Ianus MARTIN 1987, 25–45.

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Auch die Numismatik hatte einen großen Anteil an der Identifizierung von Kultbildern besonders in der römischen Kaiserzeit. Eine große Anzahl von Kultbildern, die man auf römischen Münzen aus der Kaiserzeit identifizieren konnte, sind Kultstatuen, die man in Tempeln, Schreinen und heiligen Bezirken in der Hauptstadt selbst gefunden hat, und solche, die in Heiligtümern der römischen Provinzen lokalisiert waren.146 Die Kultbilder in Rom, die hier im Vordergrund stehen sollen, stammten dabei aus den unterschiedlichsten Quellen: a) Hellenische oder hellenistische Kultbilder, die nach Rom importiert und in Tempeln aufgestellt worden sind, wie z.B. das Xoanon der Diana auf dem Aventin nach dem Vorbild der Artemis von Ephesos zur Zeit des etruskischen Königs Servius Tullius;147 b) Hellenische oder hellenistische Kultbilder oder andere Kunstwerke, die von ihren ursprünglichen Standorten als Kunstwerke nach Rom gebracht worden sind und nach ihrer Ankunft zu Kultbildern oder Prototypen für Kultbilder geworden sind, wie z.B. die Gruppe des sitzenden Mars und der Venus von Skopas im Tempel des Mars in der Nähe des Circus Flaminius (138 v. Chr.) oder die palatinische Kultbildgruppe des Apollo-Tempels mit der Apollo-Statue von Skopas, der Diana-Statue von Timotheos und der Leto/Latona von Kephisodot;148 c) Kopien oder Adaptionen der unter a) und b) fallenden Statuen, die in Rom als Kultbilder verwendet wurden, wie z.B. Adaptionen des olympischen Zeus, des Zeus von Antiochia oder der alexandrinischen Serapis. Deren Prototypen wurden nicht nach Rom gebracht, sondern verblieben an ihrem ursprünglichen Standort; d) Spezifische griechisch-römische Erzeugnisse als Kultbilder oder Kunstwerke, die zu Kultstatuen wurden, wie z.B. die Statue des Mars Ultor im griechisch-römischen Gewand, die 2 v. Chr. für den gleichnamigen Tempel auf dem Augustus-Forum geschaffen wurde und in einer Vielzahl von Kopien erhalten ist. Grundlage für dieses Kultbild war wahrscheinlich eine Statue ca. aus dem 4. Jh. v. Chr. wie die des Ares in Halicarnassus, die wohl von Leochares geschaffen worden sein soll;149 e) Kultbilder, die außerhalb 146 Laut MARTIN 1987, 9 ist die Zuhilfenahme von römischen Münzen zur Identifikation von römischen Kultbildern mit Vorsicht zu betrachten, da die Münzprägung in der späten Republik eine unabhängige Sprache entwickelt habe, die besonders politische Ideen propagiert und somit keinen großen Wert mehr auf dokumentarische Treue gelegt habe. So bilden z.B. die Denarprägungen ab 98 v. Chr. den Iuppiter Capitolinus im hellenistischen Typus ab, obwohl er realiter in Form eines archaisch etruskischen Bildes aufgestellt war. 147 Dion. Hal. 4,26,2–4. Servius Tullius soll auch nach Plin. nat. 8,197 den Tempel der Fortuna auf dem Forum Boarium errichtet und die Kultbildstatue selbst geweiht haben: Servi Tulli praetextae, quibus signum Fortunae ab eo dicatae coopertum erat, duravere ad Seiani exitum (…). Siehe dazu MARTIN 1987, 15. 148 Plin. nat. 36,25–32. MARTIN 1987, 157. Die palatinische Kultbildgruppe war der erste überlieferte Fall von klassischen Originalen, die in Rom als Kultbilder wiederverwendet worden. Siehe P. ZANKER 1990, 242. 149 Die wichtigsten Denkmäler zur Rekonstruktion der Mars-Ultor-Statue sind ein Relief aus Karthago mit der Kultgruppe des Mars-Ultor-Tempels (Abb. 150) und die Kolossalstatue im Kapitolinischen Museum (Abb. 151), die in domitianischer Zeit das augusteische Kultbild ersetzte und relativ genau wiederholte. Siehe P. ZANKER 1990, 203, Abb. 155 a: Eine Kopie der

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von Rom in der Kaiserzeit geschaffen wurden und entweder nach Rom importiert oder in Rom während der paganen Jahrhunderte reproduziert worden sind.150 Im Unterschied zum archäologischen Befund ist in Bezug auf die augusteische Dichtung auffällig, dass es nicht die Kultbilder hochrangiger Gottheiten sind, die in den literarischen Texten des Horaz, Tibull und Properz zu sprechen beginnen, sondern eher die unbedeutenderen, schlicht gestalteten wie Priapus oder Vertumnus, deren Kultbilder sich meistens aufgrund ihres Materials wie z.B. Holz nicht erhalten haben. Die Kultbilder der Gottheiten „erster Garde“ werden von den Autoren eher auf non-verbaler Kommunikationsebene in den Text integriert und literarisch funktionalisiert, indem sie etwa in die Beschreibung ritueller Handlungen oder Ekphraseis eingebunden werden (z.B. Mars Ultor in Ov. fast. 5,545– 598 oder Apollo Palatinus in Prop. 4,6). Auf diese Besonderheit soll in Kap. 7 eingegangen werden.

2.4 SPRECHENDE KULTBILDER IN LITERARISCHEN TEXTEN – METHODEN UND PERSPEKTIVEN Die Attraktivität von sprechenden Kultbildern als Medium der Kommunikation in literarischen Texten liegt, wie in den vorherigen Kapiteln herausgearbeitet werden konnte, einerseits in ihrem medialen Charakter sowie ihrem Hang zur Selbstbezüglichkeit und andererseits in ihrer Ambiguität zwischen materialisierter Repräsentation eines Gottes und dem dargestellten Gott selbst, mit dem das Kultbild temporär, besonders im Kontext der kultischen Verehrung, gleichgesetzt und dadurch belebt wird.151 Die narratologischen Mechanismen und die intermedialen Bezüge, die aus diesen „Attraktivitätsmerkmalen“ resultieren, sich in den drei Texten greifen lassen und hohes poetologisches Potential in sich bergen, sollen im Folgenden vorgestellt werden.

2.4.1 Der unzuverlässige Erzähler Dass spätestens ab dem Hellenismus die Person des Dichters in den Gedichten immer stärker hervortrat und die Stimm- und Sprechfähigkeit von Objekten und Kunstgegenständen poetologische Funktion erhalten konnte, ist bereits in Kap. 2.2.1 erwähnt worden. Die Selbstbezüglichkeit der sprechenden Bilder und Kunstwerke erlaubte es den Dichtern der hellenistischen Dichtung, Aussagen über das eigene Werk zu machen.

Kultstatue des Mars Ultor, die um 90 v. Chr. datiert wird. Siehe dazu MARTIN 1988, 256f., Abb. 150. 151. 150 Siehe dazu VERMEULE 1987, 17–20. Siehe zur Gruppierung der griechischen und römischen Provinz VERMEULE 1987, 20. 151 Vergleiche GLADIGOW 1998, 9f.

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Auch für die sprechenden Kultbilder der augusteischen Dichter ist zu beobachten, dass sie sich selbst in den Mittelpunkt ihrer eigenen Rede stellen: Der Priapus in Hor. sat. 1,8 erzählt, dass ein faber ihn aus einem Holzklotz geschaffen habe, und berichtet darüber hinaus von seinem kuriosen Erlebnis mit den Hexen Sagana und Canidia. Der Priapus in Tib. 1,4 hält ein Referat darüber, wie er trotz seiner rustikalen Optik imstande sei, schöne Knaben für sich zu gewinnen. Vertumnus erklärt in Prop. 4,2, wie es ihm gelinge, bei einem einzigen Körper, dennoch so viele Formen annehmen zu können. Da alle drei Texte von vornherein durch die Spannung zwischen Leblosigkeit (unbewegliche Repräsentation des Gottes) und Lebendigkeit (der dargestellte, sprechende Gott selbst) geprägt sind und sowohl die beiden Priapi als auch Vertumnus als homodiegetische Erzähler152 immer wieder durch die Inhalte ihrer Aussagen Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit erwecken, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei allen drei Sprechern um „unzuverlässige Erzähler“ handelt. Weil dieses narratologische Phänomen für die einzelnen Analysen immer wieder wichtig sein wird, soll bereits an dieser Stelle auf grundlegende Informationen zum „unzuverlässigen Erzähler“ eingegangen werden. Unzuverlässiges Erzählen wurde erstmalig von Wayne C. Booth 1961 als narratologisches Phänomen beschrieben und ist den wichtigsten erzähltheoretischen Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte zuzurechnen. Vereinfacht lässt es sich folgendermaßen definieren: „Das Erzählen ist unzuverlässig, wenn es gute Gründe gibt, die Darstellung des Erzählers anzuzweifeln, oder wenn seine Behauptungen über das, was in der erzählten Welt der Fall ist, offenkundig falsch sind.“153 Dabei ist wichtig zu beachten, dass die fiktionale Erzählung in Relation zur realen Lebenswelt des Rezipienten noch so unglaubwürdig erscheinen kann, ohne dass der Erzähler deswegen als unzuverlässig bezeichnet werden muss – „vielmehr ist zu fragen, ob die Ausführungen gemäß der textinternen Logik plausibel sind.“154 Übertragen auf die drei vorliegenden Texte bedeutet dies, dass die Tatsache, dass in ihnen leblose Objekte zu sprechen beginnen (ein Ereignis, dass es in der realen Lebenswelt nicht gibt), noch nicht ausreicht, um die sprechenden Kultbilder als

152 Nach MARTINEZ–SCHEFFEL definiert man einen Erzähler als homodiegetisch, der in Erzählungen auftritt, „in denen er selbst an der von ihm erzählten Geschichte als Figur beteiligt ist und in denen dementsprechend die erste Person dominiert (wobei die erste Person in diesem Fall zwei unterschiedliche Rollen des Ichs umfasst: ein erzählendes und ein erzähltes bzw. erlebendes Ich). Siehe MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 81. Vor allem in homodiegetischen Erzählungen tritt unzuverlässiges Erzählen auf. Denn Erzähler, die als Figur Teil ihrer erzählten Welt sind, verfolgen mit ihrer Erzählung meist persönliche Interessen und können daher kaum neutral oder objektiv sein. Vergleiche dazu LAHN–MEISTER 2008, 184. 153 Siehe zum unzuverlässigen Erzählen Wayne C. Booth 1974, Die Rhetorik der Erzählkunst, Heidelberg [engl. 1961]). Siehe dazu auch NÜNNING 1998, 3¸ LAHN–MEISTER 2008, 182. 154 Vergleiche hierzu LAHN–MEISTER 2008, 182 und die Hervorhebung des plausiblen Bezugs des Erzählten zur textinternen Logik durch HORSTMANN 2014, 18. Siehe weiterhin zum unzuverlässigen Erzählen MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 95–107; LAHN–MEISTER 2008, 182–187.

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unzuverlässige Erzähler zu deuten. Der Inhalt ihrer Aussagen muss näher betrachtet werden. Die Definition des unreliable narrator („unzuverlässiger Erzähler“) suchte Ansgar NÜNNING schließlich 1998 in seinen Grundzügen neu zu konzeptualisieren. Laut NÜNNING handelt es sich bei der unreliable narration um ein „relationales, interaktionales Phänomen, bei dem die Informationen und Strukturen des Textes und das von Rezipienten an den Text herangetragene Weltwissen und Werteund Normensystem gleichermaßen zu berücksichtigen sind“. Somit hängt die Feststellung eines unglaubwürdigen Erzählers durch den realen Rezipienten sowohl von textinternen Signalen als auch von außertextuellen bzw. kontextuellen Bezugsrahmen (frames of reference) ab.155 Zu den für meine Textanalysen wichtigen textinternen Signalen gehören nach NÜNNING u.a. folgende:156 – „explizite Widersprüche des Erzählers, andere interne Unstimmigkeiten innerhalb des narrativen Diskurses; – Diskrepanzen zwischen Aussagen und Handlungen des Erzählers; – Divergenzen zwischen der Selbstcharakterisierung des Erzählers und der Fremdcharakterisierung durch andere Figuren; – Unstimmigkeiten zwischen den expliziten Fremdkommentaren des Erzählers über andere und seiner impliziten Selbstcharakterisierung bzw. unfreiwilligen Selbstentlarvung; – Diskrepanzen zwischen der Wiedergabe der Ereignisse durch den Erzähler und seinen Erklärungen und Interpretationen des Geschehens sowie weitere Unstimmigkeiten zwischen story und discourse; […] – die multiperspektivische Auffächerung des Geschehens und Kontrastierung unterschiedlicher Versionen desselben Geschehens; – die Häufung von sprecherzentrierten Äußerungen sowie linguistische Signale für Expressivität und Subjektivität; – die Häufung von Leseranreden und bewussten Versuchen der Rezeptionslenkung durch den Erzähler; – syntaktische Anzeichen für einen hohen Grad an emotionaler Involviertheit (z.B. Ausrufe, Ellipsen, Wiederholungen); – die explizite, autoreferentielle, metanarrative Thematisierung der eigenen Glaubwürdigkeit (z.B. emphatische Bekräftigung); 155 NÜNNING versteht unter den textinternen oder textuellen Signalen für unreliable narration alle formalen und thematischen Merkmale eines Werkes, die, ohne dass sie auf außertextuelle Aspekte zu beziehen sind, den Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer Erzählinstanz nahelegen. Unter dem Begriff ‚außertextuelle bzw. kontextuelle Bezugsrahmen‘ seien hingegen solche Signale für unreliable narration zusammenzufassen, die „sich aus Widersprüchen zwischen der in einem Text entworfenen Fiktionswelt und dem Wirklichkeitsmodell des Rezipienten ergeben.“ Siehe dazu NÜNNING 1998, 27. 156 NÜNNING 1998, 27f. Die Auflistung der textinternen Signale für unzuverlässiges Erzählen nach NÜNNING stellt lediglich eine Auswahl mit Blick auf die für meine Analyse ergiebigsten Textsignale dar.

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eine eingestandene Unglaubwürdigkeit, Erinnerungslücken und Hinweise auf kognitive Einschränkungen […].“

Hinzu kommt laut NÜNNING, dass das Erkennen von unzuverlässigem Erzählen genauso stark von „extratextuellen Referenzen auf das Wirklichkeitsmodell oder den Normalitätsbegriff einer Gesellschaft“ abhänge, sodass immer der jeweilige kontextuelle Bezugsrahmen klar sein müsse. Diese lassen sich nach NÜNNING in zwei Gruppen aufteilen:157 – die textexternen Bezugsrahmen, die sich auf Erfahrungswirklichkeit bzw. das in der Gesellschaft vorherrschende Wirklichkeitsmodell beziehen (z. B. allg. Weltwissen, das jeweilige historische Wirklichkeitsmodell/lebensweltlich vorgegebene Wirklichkeitsauffassung, explizite oder implizite Persönlichkeitstheorien, gesellschaftlich anerkannte Vorstellungen von psychologischer Normalität oder Kohärenz, moralische und ethische Maßstäbe in einer Gesellschaft, individuelles Werte- und Normensystem) – die literarischen Bezugsrahmen/ Konventionen, die in ihrer Gesamtheit die literarische Kompetenz eines Rezipienten konstituieren (z.B. allgemeine literarische Konventionen, Konventionen einzelner Gattungen oder Genres, intertextuelle Bezugsrahmen (Referenzen auf spezifische Texte), stereotype Modelle literarischer Figuren, vom Leser konstruierte Werte- und Normensystem des jeweiligen Textes). Texte mit diesem narratologischen Phänomen zeichnen sich durch eine „doppelte Kommunikation“ aus, in der der Erzähler die textinterne Sprecherinstanz der fiktionalen Erzählung ist, während der reale Produzent des Erzähltextes dagegen der textexterne reale Autor ist. Mithilfe dieser Zweistimmigkeit hat der Autor die Möglichkeit, „am Erzähler vorbei“ eine eigene Botschaft zu vermitteln (implizite Botschaft), die den Behauptungen des Erzählers widerspricht (explizite Botschaft). Die explizite Botschaft des Erzählers ist dabei die nicht eigentlich gemeinte, während die implizite Botschaft des Autors hingegen die eigentlich gemeinte ist.158 Nur wenn der Leser diese Zweistimmigkeit im Text erkennt und in Rechnung stellt, kann die innertextliche Bedeutung der jeweiligen Erzählung überhaupt ans Tageslicht kommen und sich der maximale Leseerfolg für den Rezipienten ein-

157 NÜNNING 1998, 29–31. 158 Erzähltheoretiker wie Wayne C. Booth (The Rhetoric of Fiction, Chicago–London 21983, 70– 76) und Seymour Chatman (Coming to Terms. The Rhetoric of arrative in Fiction and Film. Ithaca–London 1990, 74–109) vertreten die Meinung, dass bei der Erklärung ironischen und unzuverlässigen Erzählens neben dem Erzähler und dem (realen) Autor des Textes noch ein impliziter Autor (implied author) als dritte Instanz als die objektivere Quelle der impliziten Botschaft angenommen werden müsse. Siehe MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 101, Anm. 1. Ansgar Nünning verzichtet bei seiner Neukonzeptualisierung des unzuverlässigen Erzählers auf den impliziten Autor. Siehe dazu NÜNNING 1998, 13–17.

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stellen. Die erzählerische Unzuverlässigkeit kann somit bewusst als Strategie vom Autor in seiner Kommunikation mit dem Leser eingesetzt werden.159 Wie das Phänomen des unzuverlässigen Erzählers in Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 reflektiert wird und die Dichter die sprechenden Kultbilder für ihre poetologischen Zwecke funktionalisieren, soll in den folgenden Kapiteln 3–5 gezeigt werden.

2.4.2 Intermedialität Aufgrund der Ambiguität von materialisierter Repräsentation eines Gottes und dem dargestellten Gott selbst bietet sich den Autoren durch das Motiv der sprechenden Kultstatue die Möglichkeit, die Grenzen des Mediums ‚Kultbild‘ innerhalb eines Textes auszuloten, diese sogar zu überschreiten und für ihre literarischen Zwecke fruchtbar zu machen. Demnach lassen sich den Kultbildern durchaus intermediale Kompetenzen zuschreiben, die in der Forschung auch als „intermediale Bezüge“ bezeichnet werden. Um mit diesem Terminus im Folgenden weiter arbeiten zu können, sei zunächst eine Begriffsdefinition nach dem Modell von Irina RAJEWSKY vorangestellt. Der Begriff der Intermedialität ist laut RAJEWSKY 2002 ein vager und weiter Begriff (termine ombrello/termine ombrellone160), der dementsprechend von ihr auch in Abgrenzung der Begriffe Intra- und Transmedialität definiert wird: „Aus den genannten Gründen ist es vernünftig (…) den Terminus als Hyperonym für die Gesamtheit aller Mediengrenzen überschreitenden Phänomene beizubehalten, also all der Phänomene, die, dem Präfix „inter“ entsprechend, in irgendeiner Weise zwischen Medien anzusiedeln sind.“161

Dem Gegenstandsbereich der intermedialen Forschung ordnet sie drei grundsätzlich heterogene, ausdrücklich zu differenzierende Phänomenbereiche zu: a) die Medienkombination (die „punktuelle oder durchgehende Kombination mindestens zweier, konventionell als distinkt wahrgenommener Medien, die sämtlich im entstehenden Produkt materiell präsent sind, z.B. Photoroman, Klangkunst, Oper, Film“), b) den Medienwechsel (die „Transformation eines medienspezifisch fixierten Produkts bzw. Produktsubstrats in ein anderes, konventionell als dis-

159 Siehe NÜNNING 1998, 17–20; MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 100f.; LAHN–MEISTER 2008, 183f. 160 Siehe zum Terminus Umberto ECO 1994, Apocalittici e integrati. Comunicazioni di massa e teoria della cultura di massa, Mailand (19641), 24 (termine ombrello = Schirmbegriff). Beim termine ombrellone verweist das italienische Suffix -one auf eine größere Einheit, also in diesem Falle den verhältnismäßig größeren Sonnenschirm (ombrellone) im Vergleich zum Regenschirm (ombrello). Vergleiche dazu RAJEWSKI 2002, 6, Anm. 3. 161 RAJEWSKY 2002, 12.

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tinkt wahrgenommenes Medium; nur letzteres ist materiell präsent, z.B. Literaturverfilmung bzw. –adaption“), c) intermediale Bezüge. Letztere beschreiben laut RAJEWSKY ein „Verfahren der Bedeutungskonstitution eines medialen Produkts durch Bezugnahme auf ein Produkt (= Einzelreferenz) oder das semiotische System (= Systemreferenz) eines konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums mit den dem kontaktnehmenden Medium eigenen Mitteln; nur letzteres ist materiell präsent. Bezug genommen werden kann auf das fremdmediale System als solches oder aber auf ein (oder mehrere) Subsystem(e) desselben, wobei letzteres per definitionem auch ersteres impliziert (z.B. Bezüge eines literarischen Textes auf einen bestimmten Film, ein filmisches Genre oder auf den Film qua System; entsprechend Bezüge eines Films auf die Malerei, eines Gemäldes auf die Literatur usw.)“.162 Gerade der letzte Phänomenbereich lässt sich meiner Meinung nach auf die Kultbilder der vorliegenden augusteischen Texte übertragen: Innerhalb von geschlossenen, literarisch konstruierten Räumen wird den Statuen eine Stimme verliehen, die kurzzeitig eine Belebtheit (Mündlichkeit) inszeniert und zugleich eine überlappende Identität mit der von ihr dargestellten Gottheit suggeriert. Gleichzeitig besteht aber auch eine Verbindung zwischen der Statue als materiellem Träger und den jeweiligen Texten, die teilweise einen epigrammartigen Charakter aufweisen (Schriftlichkeit) und dadurch dem Inhalt eine gewisse Dauerhaftigkeit verleihen. Außerdem wird durch die eindeutige Kennzeichnung der Materialität der Kultbilder die Möglichkeit ausgespielt, der Darstellung ein hohes Maß an Plastizität zu verleihen. Somit werden die Kultstatuen in den Texten als ein Bild-TextMedium inszeniert. Gerade im Hinblick auf die Materialität der Kultbilder,163 die in den Texten evoziert wird, lassen sich interessante Beobachtungen machen: Durch die Mischung der unterschiedlichsten literarischen Gattungen (Satire, Elegie, Epigramm) wird dem Autor die Möglichkeit gegeben, gewisse Dynamiken zu erzeugen wie z.B. Beweglichkeit – Unbeweglichkeit, Stabilität – Instabilität, Formfestigkeit – Wandelbarkeit. Dieses Potential steht wiederum in Spannung zu den beschriebenen, archaisierenden Kultbildern der vorliegenden Textstellen, die aus vergänglichem Material (in diesem Falle Holz164) bestehen, fast unbearbeitet sind,165 aber zugleich viel reden und über eine hohe Eloquenz verfügen. Die Materialität der Kultbilder scheint demnach poetologisch attraktiv zu sein. Es ist daher interessant, der Frage nachzugehen, ob sich die mit dem Holz und dessen meist roher, rudimentärer Gestaltung assoziierte Eigenschaft, einerseits ein hohes Alter und damit

162 Siehe zum dargestellten Gegenstandsbereich der intermedialen Forschung mit den drei Phänomenbereichen RAJEWSKY 2002, 15–19. 163 Siehe zu den Anfängen und Frühformen von Kultbildern, der geschichtlichen Entwicklung sowie zum Material in einem kurzen Überblick FUNKE 1981, 670–683. 164 Hor. sat. 1,8,1: (…) truncus (…) ficulnus; Tib. 1,4,1–8; Prop. 4,2,59: stipes acernus. 165 Hor. sat. 1,8,1–7; Tib. 1,4,3–8; Prop.4,2,59f.

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Autorität/Glaubwürdigkeit für die sprechenden Kultbilder zu evozieren, sich aber andererseits durch Zerbrechlichkeit und Unbeständigkeit auszuzeichnen, auch auf die Worte der jeweilig sprechenden Kultstatue übertragen lässt.166 Man könnte nach dieser ersten Beobachtung sogar noch einen Schritt weitergehen: Der von den Dichtern suggerierte unbearbeitete Zustand der Kultbilder im „archaistischen Gewand“ sowie ihr Material ‚Holz‘ werfen nicht nur den Gegensatz von göttlicher Autorität und Vergänglichkeit/Unbeständigkeit der Worte auf, sondern erzeugt zunächst bei der Beschreibung des Kultbildes Leerstellen und damit besonders große assoziative Freiräume, die der Dichter mit Eloquenz zu füllen versucht. Durch die literarische Gestaltung als Rohling wird die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Stimme des Kultbildes gelenkt und ihr somit zusätzliches Gewicht verliehen. Auf diese Weise werden die Narrativierung und Rhetorisierung der vorliegenden Texte dominant und tragen somit ganz entschieden zur Leserlenkung bei. An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr der epigrammartige Charakter der Textstellen: Auch Epigramme liefern dem Leser nicht alle nötigen Informationen, sodass dieser gezwungen wird, die Indizien, die ihm die Epigramme liefern, mit seinem eigenen Wissen aufzufüllen. Diesen Prozess bezeichnet Peter BING als „Ergänzungsspiel“, den Dichter wiederum ausnutzen können, um eine dramatisierte Begegnung von Leser und Monument zu schaffen. Die Texte fordern den Leser damit förmlich auf, „stehen zu bleiben“ und aufmerksam zu sein.167 Ich denke, dass man ähnliche, interaktive Prozesse der literarischen Gattung ‚Epigramm‘ auch in den vorliegenden Textstellen beobachten kann, auch wenn diese nicht primär Imitation eines Steinepigramms oder der Aufschrift eines Kunstgegenstandes sein sollen: Auf der einen Seite soll den Leser keine detaillierte Beschreibung von Äußerlichkeiten der Kultbilder von deren Worten ablenken, auf der anderen Seite ist der Text dadurch umso mehr auf die Aufmerksamkeit eines Publikums bzw. einer Zuhörerschaft angewiesen, um überhaupt seine Berechtigung zu haben. 166 Laut SCHEER 2000, 100–103 scheint gerade das Gegenteil, nämlich die Dauerhaftigkeit, in der realen Kultpraxis ein im Zusammenhang mit Götterbildern besonders wichtiges Kriterium zu sein. Man sei sich zwar der grundsätzlichen Vergänglichkeit der Bilder bewusst, versuche aber trotzdem, diese der Unsterblichkeit der Götter mithilfe von dauerhaftem Material soweit wie möglich anzupassen. SCHEER 2000 führt dabei zur Materialdiskussion auch Lukian. Iupp. trag. 7 an. Dort geht es um die Rangordnung der Götter, die der Platzanweiser Hermes durch die Sitzordnung anhand ihrer Statuen festlegen soll. Dabei sollen vor allem das Material der Statuen und ihr künstlerischer Wert eine Rolle spielen. Nach einer Diskussion mit den Versammlungsteilnehmern werden die sonst geltenden Vorstellungen von der Götter- und der künstlerischen Hierarchie auf den Kopf gestellt: In der ersten Reihe sitzt beispielsweise nicht die „goldene Aphrodite“, sondern die minderrangigen Barbarengötter wie Bendis, Men, Anubis und Mithras. Auf den hinteren Plätzen sitzen hingegen die berühmten, alten Holzbilder, die weder mit einem hohen Materialwert noch mit einem berühmten Schöpfer aufwarten können. Laut SCHEER in den Augen eines religiösen Griechen ein völlig absurdes Bild. 167 Vergleiche hierzu BING 2009, 86–105, der das „Ergänzungsspiel“ der kallimacheischen Epigramme demonstriert. Siehe auch A. PETROVIC 2005, 31f.

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In diesem Zusammenhang ist auch die Betrachtung des Standortes der Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz interessant. Eine Untersuchung schon vorhellenistischer Texte hat ergeben, dass sich dort vor allem die Statuen des Hermes als besonders redefreudig zeigen. Möglicherweise resultiert diese Feststellung aus der Tatsache, dass sich gerade Hermen häufig an allgemein zugänglichen Orten befanden und aufgrund dessen stets ansprechbar und beinahe allgegenwärtig erschienen. Auf diese Weise waren sie bestens geeignet für die imaginierte Kommunikationssituation des Grab- und Weihepigramms, in der Passanten in eigener Initiative und Sache vom gedachten Sprecher der Aufschrift aufmerksam gemacht werden und die sie somit in die Nähe der drei vorliegenden Kultbilder rückt. Auch in der Komödie gehörten sie zum Repertoire.168 Betrachten wir die sprechenden Kultbilder der drei vorliegenden augusteischen Texte, so lassen sich durchaus Parallelen zu Hermes ziehen: Wie Hermes sind sowohl Priapus als auch Vertumnus rangniedrige Götter und gehören nicht zur ersten Riege der römischen Gottheiten wie beispielsweise Iuppiter, Minerva oder Apoll.169 Kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang gerade für Priapus, oftmals für Hermes170 und zumindest zeitweise in der von Properz beschriebenen Entwicklung auch für Vertumnus die rudimentäre Ausarbeitung des Kultbildes. Zusätzlich befinden sich die Aufstellungsorte der drei augusteischen Kultbilder genauso wie die der Hermen unter freiem Himmel und an allgemein zugänglichen Plätzen, die nicht aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades „für sie sprechen“: Während sich der Priapus in Hor. sat. 1,8 im öffentlich zugänglichen Garten des Maecenas auf dem Esquilin (V 14f.) lokalisieren lässt, markiert der Priapus in Tib. 1,4 seinen Standort nicht exakt. Jedoch lassen die Anfangsverse (V 1– 6) mit relativ großer Sicherheit vermuten, dass er zumindest unter freiem Himmel aufgestellt ist. Vertumnus schließlich befand sich im vicus Tuscus, einem sehr belebten Ort am Fuße des Palatin, ebenfalls unter freiem Himmel, in Rom (V 6).171

168 SCHEER 2000, 71f.; STEINER 2001, 134; vergleiche auch KASSEL 1983, 1–12; zur Herme in burlesken Zusammenhängen s. auch Anth. Pal. 16,187 (anonym). Bei Aristophanes werden kleinen, murrenden Hermen Opfertöpfe dargebracht. Siehe dazu Aristophanes, Pax 922. Andere Komödiendichter überliefern vertrauliche Gespräche z.B. zwischen trunkenen Heimkehrern und Hermen (Phryn. Komastai fr. 58.) oder den Auftritt einer Herme vor Gericht (Platon Comicus, fr. 204). Daneben gibt es häufig Vasenbilder, auf denen die Verehrung von Hermen dargestellt ist. Siehe dazu SCHEER 2000, 72 Anm. 405. 169 Nach Fulgentius gehört Vertumnus zu den weniger erhabenen Göttern (semones): semones dici voluerunt deos quos nec caelo dignos ascriberent ob meriti paupertatem, sicut sunt Priapus‘, Epona, Vertumnus, nec terrenos eos deputare vellent pro gratiae veneratione (Fulg. Serm. Ant. 11, p. 115, 5–8 Helm). Siehe dazu MADER 1991, 139. 170 Siehe z. B. Abbildungen von rudimentären Hermes-Darstellungen in LIMC V/2, s.v. Hermes, Abb. 12; 18; 19; 29; 58; 92; 93; 94; 95 b; 95 c; 97 a; 98; 141; 143; 144; 146; 147; 148; 149; 153; 154. 171 AIGNER-FORESTI 2002, 101f.

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Die suggerierte Zugänglichkeit und die damit verbundene erhöhte Ansprechbarkeit der Götter lässt die Kultbilder des Priapus und Vertumnus genauso wie die Hermen zu einem präferierten Medium der Kommunikation in den literarischen Texten werden. Der Standort der Kultbilder ist demnach offenbar ein entscheidender kommunikativer Faktor.

2.5 DISPOSITION Wie gezeigt werden konnte, scheinen die sprechenden Kultbilder der vorliegenden Textstellen bei den augusteischen Dichtern Horaz, Tibull und Properz Ausnahmecharakter in der lateinischen Literatur zu beanspruchen. Damit ergibt sich ein kleines, überschaubares Textkorpus, dessen synoptische Untersuchung ein bisheriges Forschungsdesiderat ist und somit zentraler Gegenstand meiner Dissertation werden soll. Aus den Erkenntnissen, die sich aus dem theoretischen Kapitel ergeben haben, lässt sich folgendes schließen: Die Möglichkeiten zur poetologischen Nutzung von Kultbildern in der Dichtung ergeben sich auf der einen Seite aus ihrem medialen Charakter, der sie in der realen Kultpraxis zum Verstärker der vertikalen Kommunikation zwischen Menschen und Göttern werden ließ. Im literarischen Raum ermöglicht demnach das hellenistische Motiv der Selbstbezüglichkeit der sprechenden Kultbilder den Dichtern die Gelegenheit, auf metapoetischer Ebene implizite Aussagen über das eigene Werk zu treffen, die wiederum vom Leser als solche dechiffriert werden müssen. Auf der anderen Seite ist die Attraktivität in intermedialen Bezügen begründet, die sich aus dem Zusammenspiel der expliziten Betonung der Materialität des Kultbildes, der Worte der Kultbilder inklusive der geschilderten Ereignisse (Mündlichkeit) und der Texte an sich (Schriftlichkeit) ergeben. Den Dichtern eröffnen sich also durch die Verwendung dieser besonderen Medien innerhalb ihrer Gedichte vielschichtige literarische Möglichkeiten in Bezug auf die eigene Kommunikation mit ihren Rezipienten. Zentrale Frage der vorliegenden Arbeit soll demnach sein, auf welche Weise der mediale und intermediale Charakter der Kultbilder in den Texten reflektiert und funktionalisiert wird. Lassen sich eventuell Gemeinsamkeiten in der Verwendung der sprechenden Kultbilder trotz des Vorkommens in unterschiedlichen Gattungen herausarbeiten? Für die weitere Vorgehensweise sollen zunächst folgende Leitfragen an die einzelnen Texte herangetragen werden: a) Wie wird das Kultbild innerhalb der Texte dargestellt und welche Rolle spielt das beschriebene Material? b) Wie und was kommuniziert das belebte Kultbild? Welche Signale weisen darauf hin, dass es sich bei den jeweiligen Sprechern um unzuverlässige Erzähler handelt? c) Welche Funktion erfüllen die einzelnen Kultbilder zum einen in den jeweiligen Texten selbst und zum anderen in den Werken insgesamt? Wa-

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rum werden Priapus und Vertumnus von Horaz, Tibull und Properz herangezogen? Im Folgenden sollen zunächst die beiden „Priapus-Texte“ Hor. sat. 1,8 und Tib. 1,4 analysiert werden, um gerade bei diesen beiden Textstellen, in denen dasselbe Kultbild zu Wort kommt, zu prüfen, ob sich etwaige Gemeinsamkeiten in Form und Funktion herausfiltern lassen. Als Abschluss der synoptischen Betrachtung sollen Prop. 4,2 und der sprechende Vertumnus in den Fokus gerückt und unter ähnlicher Fragestellung untersucht werden.

3. DAS KULTBILD DES PRIAPUS IN HOR. SAT. 1,8 3.1 EINFÜHRUNG, FORSCHUNGSÜBERBLICK UND FRAGESTELLUNG Die vorliegende Satire 1,8 des Horaz zeichnet sich durch eine Besonderheit aus, die sie von den anderen Gedichten des ersten Satirenbuches abhebt. Im Gegensatz zu diesen spricht hier nämlich nicht das satirische Ich zum Leser, sondern das Kultbild des Fruchtbarkeitsgottes Priapus, das ein faber aus einem Holzklotz geschaffen haben soll. Dieses berichtet von einem kuriosen Ereignis: Es habe zwei Hexen, die seinen Standort aufgesucht haben, um magische Riten zu vollziehen, durch seinen lauten Furz in die Flucht geschlagen. Die Satiren oder sermones, wie Horaz sie auch bezeichnet1, zählen neben den Epoden zu den frühesten Werken seiner Dichtung. Zwar wurden letztere tatsächlich früher abgefasst als jene, jedoch hat Horaz zuerst die Satiren in zwei Büchern veröffentlicht. Allerdings hat er diese beiden nicht zeitgleich herausgegeben, sondern in einem zeitlichen Abstand von etwa fünf Jahren. Somit geht man davon aus, dass das erste Satirenbuch bereits im Jahre 35/34 v. Chr. publiziert worden ist, während das zweite erst in einem weiteren Schritt um 31/30 v. Chr. herausgegeben wurde.2 Das erste Buch der Satiren, dessen Bestandteil auch der zu untersuchende Text sat. 1,8 ist, ist Maecenas gewidmet3 und besteht aus insgesamt zehn Satiren. Nach KNORR zerfällt dieses Buch strukturell in zwei Hälften zu je fünf Gedichten, wobei der Beginn jeder Hälfte durch Horazens Wendung an den Patron markiert wird. Zudem lassen sich die zehn Satiren nach inhaltlichen Gesichtspunkten in drei Triaden gliedern: Nach den sogenannten moralisierenden Satiren 1,1–34 folgen die Satiren 1,4–6, die „vom Dichter selbst handeln“,5 und schließlich die Satiren 1,7–9, denen die Forschung häufig einen anekdotischen Charakter bescheinigt.6 Die zehnte und letzte Satire ist nach KNORR diesen neun als Epilog angefügt.7 1 2

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Hor. epist. 1,4,1; 2,2,60. Zur Datierung: WILI 1948, 72; HOLZBERG 2009, 19; 21 f. Abweichend davon stellt GOWERS 2005, 48 fest, dass das erste Satirenbuch bereits 36/35 v. Chr. publiziert worden sei, während HOOLEY 2007, 30 hingegen annimmt, dass das zweite Satirenbuch erst um 30 oder 29 v. Chr. erschienen sei. Vergleiche dazu den jeweiligen Anfangsvers in Hor. sat. 1,1,1 und Hor. sat. 1,6,1. GOWERS 2005, 49; LEFÈVRE 1993, 98; HOLZBERG 2009, 63. KNORR 2004, 127. GOWERS 2005, 49; VAN ROOY 1971, 84; HOOLEY 2005, 60; KNORR 2004, 141; ZETZEL1980, 66 bezeichnet die Satiren 1,7–9 als ainoi (Erzählungen). Siehe zu dieser Strukturierung des ersten Satirenbuches des Horaz KNORR 2004, 91–164. Siehe zur Struktur auch ZETZEL 1980, 59–77; ZETZEL–GUTTMANN 2009, 17–41; GOWERS 2005, 49.

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3 Das Kultbild des Priapus in Hor. sat. 1,8

Die Forschung hat sich mit der Satire 1,8 bisher unter ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten beschäftigt. Zum einen wurde der Text auf sprachlicher Ebene untersucht: Während SCHETTER8 und VAN ROOY9 sich im weiteren Sinne der Struktur und Einbettung der Satire 1,8 gewidmet haben, sah HALLETT10 durch die Konnotation des ficus mit dem Anus bereits in dem eingangs erwähnten ficulnus einen Verweis auf das Ende der Satire. Zum anderen wurde der Fokus auf die inhaltliche Ebene gelegt: Während sich HILL mit dem Sinn und Zweck der Hexenerzählung beschäftigt hat,11 versuchte ein Großteil der Forschung eine Antwort auf die Frage zu finden, warum sich der Autor Horaz in der vorliegenden Satire dazu entschieden hat, nicht mehr sein satirisches Ich zur Sprache kommen zu lassen, sondern das Kultbild des Priapus: Laut STAHL12 nutzt das satirische Ich des Horaz mehrfach eigene Maskeraden (vergleiche Hor. sat. 2,1,62–65), weil sie ihm u.a. erlauben, mehrere Aspekte desselben Gegenstandes aufzuzeigen. Auch BRAUND leitet aus der Analogie von Satire und Drama ab, dass sich die Satiriker, wie u.a. Horaz, selbst Rollen schufen, wie der verärgerte, der spottende oder der lächelnde Satiriker.13 Daran anknüpfend verwies Fritz FELGENTREU14 auf die theatralischen Züge der Satire 1,8 und deutete das Kultbild des Priapus als Maske des satirischen Ichs. Ein wichtiger Wegbereiter solcher Ansätze war ANDERSON, auch wenn er sich bei seiner Aussage zurückhielt („I shall not go so far as to call Priapus a comic version of Horace, although I would not reject such a suggestion.“).15 Stärker festgelegt hat sich Martha HABASH. Sie vermutete hinter dem Sprecher Priapus einen „Horace in disguise“, zog ebenfalls viele Parallelen zwischen dem satirischen Ich und dem Fruchtbarkeitsgott und deutete die Satire 1,8 sogar als Hymnus mit autobiographischen Zügen auf den Autor Horaz selbst.16 Eine ähnliche Argumentationslinie verfolgt Suzanne SHARLAND.17 In der Forschung hat sich demnach die Meinung etabliert, dass das Kultbild des Fruchtbarkeitsgottes Priapus als Maske bzw. Rolle des satirischen Ichs fungiert, wobei der Fokus oftmals auf Parallelen zwischen der Figur des Priapus und den autobiographischen Erlebnissen der historischen Person des Horaz gelegt wurde. Doch handelt es sich bei dem Kultbild des Priapus tatsächlich um ein festes Rollenkonstrukt oder ist es eher das Changieren des Sprechers zwischen unterschiedlichen Stimmen, das die Satire auszeichnet? 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

SCHETTER 1971, 144–161. VAN ROOY 1971, 67–90 untersucht den Bezug der Satire 1,7 zu 1,10 und 1,8. HALLETT 1981, 341–347. HILL 1993, 257–263 versucht Gemeinsamkeiten zwischen den maßgeblichen Akteuren und dem Schauplatz der Satire 1,8 herauszufiltern (Priapus, der Garten und die Hexen). STAHL 1974, 28. BRAUND 1996, 1f. und 11–36. FELGENTREU 1999, 257–282. ANDERSON 1972, 12. HABASH 1999, 285–297. SHARLAND 2003, 97–109.

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Die vorliegende Analyse möchte gemäß der Vorüberlegungen in Kap. 2.4 und im Anschluss an die übergeordnete Fragestellung18 den Schwerpunkt hauptsächlich auf die Zuverlässigkeit des Sprechers der Satire einerseits und die seiner konstruierten Rolle andererseits legen. Dabei soll vor allem der Aspekt der Kommunikation im Zentrum stehen. Untrennbar mit diesem verknüpft ist die Funktion des Kultbildes. Während diese in bisherigen Forschungen weitgehend vernachlässigt worden ist bzw. eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat, möchte ich zeigen, wie der Autor Horaz das kommunikative und intermediale Potential des PriapusKultbildes ausspielt und es somit zum Medium seiner eigenen Satire werden lässt. Zu diesem Zwecke werde ich den vorliegenden Text in zwei größere Abschnitte teilen: während der erste (V 1–16) die Skizzierung des Kultbildes sowie dessen Aufstellungsort untersucht, wird der zweite Teil (V 17–50) vornehmlich die kommunikativen Elemente der „Hexenerzählung“ und dabei v.a. die Funktion des Furzes am Ende der Satire in den Blick nehmen. In Verbindung mit den oben erwähnten Aspekten und der Fixierung auf das Kultbild und die Kommunikation lassen sich für meine Analyse folgende Leitfragen formulieren: Auf welche Weise wird die Rolle des satirischen Ichs als Fruchtbarkeitsgott Priapus konstruiert und wieder dekonstruiert? Wie wird der Sprecher Priapus als unzuverlässiger Erzähler gekennzeichnet und das Medium „Kultbild“ dadurch zum Zwecke der Kommunikation genutzt? Wieso wählt der Autor Horaz ausgerechnet das Kultbild des Priapus als Rollenkonstrukt für das satirische Ich? 3.2 DER LATEINISCHE TEXT: HOR. SAT. 1,819 Der folgende lateinische Text soll als Basis für meine weiteren Untersuchungen dienen.

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Olim truncus eram ficulnus, inutile lignum, cum faber incertus, scamnum faceretne Priapum, maluit esse deum. deus inde ego, furum aviumque maxima formido: nam fures dextra coercet obscenoque ruber porrectus ab inguine palus, ast inportunas volucres in vertice harundo terret fixa vetatque novis considere in hortis. huc prius angustis eiecta cadavera cellis conservus vili portanda locabat in arca ; hoc miserae plebi stabat commune sepulchrum, Pantolabo scurrae omentanoque nepoti. mille pedes in fronte, trecentos cippus in agrum hic dabat, heredes monumentum ne sequeretur.

18 Vergleiche Kap. 2.5. 19 Der Text ist der Edition von BORZSÁK 1984, 181f. entnommen.

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nunc licet Esquiliis habitare salubribus atque aggere in aprico spatiari, quo modo tristes albis informem spectabant ossibus agrum, cum mihi non tantum furesque feraeque suetae hunc vexare locum curae sunt atque labori, quantum carminibus quae versant atque venenis humanos animos ; has nullo perdere possum nec prohibere modo, simul ac vaga luna decorum protulit os, quin ossa legant herbasque nocentis. vidi egomet nigra succinctam vadere palla Canidiam, pedibus nudis passoque capillo, cum Sagana maiore ululantem. pallor utrasque fecerat horrendas aspectu. scalpere terram unguibus et pullam divellere mordicus agnam coeperunt : cruor in fossam confusus, ut inde manis elicerent animas responsa daturas. lanea et effigies erat, altera cerea : maior lanea, quae poenis compesceret inferiorem ; cerea suppliciter stabat, servilibus ut quae iam peritura modis. Hecaten vocat altera, saevam altera Tisiphonen. serpentis atque videres infernas errare canes, lunamque rubentem, ne foret his testis, post magna latere sepulchra. mentior at siquid, merdis caput inquiner albis corvorum, atque in me veniat mictum atque cacatum †Iulius† et fragilis Pediatia furque Voranus. singula quid memorem ? quo pacto alterna loquentes umbrae cum Sagana resonarent triste et acutum, utque lupi barbam variae cum dente colubrae abdiderint furtim terris, et imagine cerea largior arserit ignis, et ut non testis inultus horruerim voces Furiarum et facta duarum. nam displosa sonat quantum vesica, pepedi diffissa nate ficus : at illae currere in urbem. Canidiae dentes, altum Saganae caliendrum excidere atque herbas atque incantata lacertis vincula cum magno risuque iocoque videres.

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3.3 DIE GLIEDERUNG DES TEXTES Bevor ich mich den eingangs erwähnten Leitfragen zu dieser Satire widme, sei zunächst eine kurze, inhaltliche Gliederung des Textes vorangestellt, um die Struktur der vorliegenden Satire zu verdeutlichen. Diese Disposition soll der folgenden Argumentation bezüglich meiner Fragestellung als „roter Faden“ dienen.20 Selbstvorstellung eines Kultbildes (V 1–7) In diesem einleitenden Abschnitt beschreibt das Kultbild des Priapus, der formale Sprecher dieser Satire, seine Genese von einem truncus…ficulnus (V 1) zu einem deus (V 3). Neben seinen phänotypisch auffälligen Eigenschaften und Attributen wird auch seine Funktion als Beschützer der Gärten vor Dieben und Vögeln herausgestellt. Der Aufstellungsort (V 8–16) Weiterführend wird in diesen Versen der Aufstellungsort des sprechenden Kultbildes näher bestimmt: Einst ein Friedhof für Arme und Sklaven (V 8–13), scheint der Garten nun zur gegenwärtigen Situation unseres Sprechers ein freundliches Setting zu sein (V 14–16). Die Begegnung mit den Hexen (V 17–45) Der Sprecher leitet erst zu seiner eigentlichen Erzählung über (V 17–22): Diebe und wilde Tiere bereiteten ihm nicht so viele Sorgen wie diejenigen Gestalten, die bei Nacht sein Territorium beträten, um Knochen und Kräuter zu sammeln. Darauf berichtet das Kultbild im Hauptteil der Satire (V 23–45) von seinem persönlichen Erlebnis mit den beiden Hexen Canidia und Sagana. Detailreich wird in den folgenden Versen der magische Ritus beschrieben, den die beiden vollziehen (V 25–36). Unterbrochen durch eine Wahrheitsbeglaubigung (V 37–39), wird die Erzählung mit dem Erscheinen der Furien auf den Höhepunkt getrieben (V 45). „Die Maske fällt“ (V 46–50) Die aufgebaute Spannung entlädt sich in einem Furz des Kultbildes Priapus. Dadurch erschreckt entfliehen die vermeintlichen Hexen, die durch den Verlust ihrer Zähne, ihrer Haarteile und ihrer magischen Utensilien ihre wahre Identität offenbaren, in die Stadt.

20 Zur Gliederung der Satire 1,8 vergleiche: VILLENEUVE 1958, 90; VAN ROOY 1971, 84; SCHETTER 1971, 144–161; STAHL 1974, 35; ALBRECHT 1986, 135.

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3.4 DIE FUNKTIONALISIERUNG DES PRIAPUS-KULTBILDES IN HOR. SAT. 1,8 3.4.1 Selbstvorstellung eines Kultbildes (V 1–7) Der erste Abschnitt meiner Analyse soll mit Priapus die Sprecherfigur der vorliegenden Satire in den Blick nehmen, die sich in den ersten sieben Versen selbst vorstellt. Zunächst sollen der Gott Priapus und die erhaltenen Zeugnisse seiner kultischen Verehrung sowie seines Vorkommens v.a. in der lateinischen Literatur vorgestellt werden. Daraufhin möchte ich anhand unterschiedlicher Diskrepanzen zeigen, wie der Sprecher die Zuverlässigkeit seiner Aussagen immer wieder außer Kraft setzt. Die vom Sprecher eigens konstruierte Identität als Priapus muss daher in Frage gestellt werden. Bereits in den ersten zweieinhalb Versen lassen sich wichtige Erkenntnisse über die Identität des narrator gewinnen: Mit dem vorliegenden Gedicht wird zum ersten Mal innerhalb des ersten Satirenbuches des Horaz ein Sprecherwechsel vollzogen.21 Dieses wird vor allem durch das olim truncus eram ficulnus, inutile lignum im ersten Vers verdeutlicht.22 Eine biographische Lesart oder gar eine potentielle Identifizierung des Sprechers mit dem satirischen Ich des Horaz scheint hier zunächst ausgeschlossen.23 Dieser Sprecherwechsel hat Konsequenzen für die Kommunikation: Es ist nicht mehr das satirische Ich der sermones 1–7, welches hier unmittelbar zu sprechen beginnt, sondern hier wird eine neue Kommunikationsebene durch eine weitere Sprecherfigur eröffnet. Auf diese Weise schafft sich der Autor Horaz, der grundsätzlich von der persona des satirischen Ichs zu trennen ist, erstmals eine weitere fiktive Ebene der literarischen Distanz. Gleichzeitig wird durch den unmittelbaren Beginn des Priapus-Monologs der Unterschied zur rituellen Kultpraxis evident: In diesem Falle wird die Rede des Fruchtbarkeitsgottes nicht durch einen Verehrer verbal oder non-verbal motiviert,24 sondern Priapus beginnt von sich aus zu sprechen und seine Erzählung in den Fokus des Lesers zu rücken. Doch wer ist der „neue“ Sprecher der Satire? Eine Antwort geben die Verse 2f.: faber…Priapum, / maluit esse deum. deus inde ego (…). Daraus wird deutlich, dass es sich bei dem Erzähler um den Gott Priapus (deus inde ego) handeln muss, der in den folgenden Versen beginnt, sich eine eigene Identität zu geben und ein plastisches Bild von sich zu erzeugen. Priapus25 war ursprünglich der ithyphallische Gott der Fruchtbarkeit und der Sexualität, zugleich Segensspender und Übelabwehrer26, aber auch Schirmherr 21 BROWN 1993, 169; FELGENTREU 1999, 258; SHARLAND 2003, 103; SCHLEGEL 2005, 90; HOLZBERG 2009, 75. 22 SHARLAND 2003, 103. 23 ZETZEL–GUTTMANN 2009, 21. 24 Vergleiche Kap. 2.3.4. 25 Die Etymologie des Namens „Priapus“ ist nicht ganz eindeutig (πρι = davor; αἶπος = Höhe, Berg, aber auch Phallus/ ἤπιος – gütig, wohlwollend; πρίω, πριόω (=πείρω, περάω): durchdringen, überbringen). Siehe zur Etymologie INGALLINA 1974, 76.

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von Schifffahrern, Fischern und der Navigation generell.27 Er gehörte nicht zu den alten, griechischen Gottheiten, da er weder Hesiod28 noch der frühen Dichtung oder den älteren Mythographen bekannt war. Er stammt vom kleinasiatischen Hellespont, wobei besonders die Stadt Lampsakos sich rühmte, die Stätte seiner Geburt zu sein.29 Er galt als Sohn des Dionysos und der Aphrodite.30 Als Aphrodite mit ihm schwanger war und ihn bei Lampsakos gebären sollte, legte ihr – so der Mythos – die eifersüchtige Hera ihre Hand auf den Bauch mit dem Ziel, das Kind (Priapus) missgebildet zur Welt kommen zu lassen, damit Aphrodite es verleugnete. Aus Furcht vor einer eventuell bevorstehenden Schande setzte diese ihr Kind nach der Geburt im Gebirge aus. Dort wurde es von Hirten gefunden, großgezogen und wegen der anormalen Ausprägung seines Geschlechtsteils als Fruchtbarkeitsgarant verehrt.31 Vom heimischen Lampsakos aus verbreitete sich dann sein Kult in der griechischen Welt.32 Dort wurde er als ländliche Vegetationsgottheit verehrt, deren fruchtbarkeits- und schutzversprechende Funktion vor allem am übermäßig großen, erigierten Phallus sichtbar wurde, der neben dem unordentlichen, zottligen Bart – ein Verweis auf seine orientalische Herkunft und im Kontext mit anderen ikonographischen Zeichen, die seine Effemination und seine körperliche sowie moralische Laszivität unterstreichen – zum Charakteristikum der Priapus-Ikonographie werden sollte.33 Bildliche Überlieferungen aus der vorhellenistischen Zeit sind vor allem wegen des häufig vergänglichen Materials zwar selten, aber vorhanden,34 während die schriftlichen Überlieferungen mit frühhel26 Zu Priapus siehe: LULLIES 1954, 1914–1942; LLOYD-JONES 1991, 63–65; MEGOW 1997, 1028–1044; WEEBER 2000, 233–235; HEINZE 2001, 308f.; GOWERS 2012, 267f. 27 RUDD 1966, 69; HEINZE 2001, 308. 28 Siehe Strab. 13,1,12: …οὐδὲ γὰρ Ἡσίοδος οἶδε Πρίαπον... . 29 Paus. 9,31,2; Priap. 55,5f. 30 Paus. 9,31,2; Diod. 4,6,1; nach anderen Quellen war seine Mutter Chione (Schol. Theokr. 1,21) oder auch Dione (Schol. Lukianos Iupp. trag. 6). Wiederum andere Quellen bezeichnen Hermes (Hyg. fab. 160), Adonis (Schol. L P Apoll. Rhod. 1,932f. a) oder sogar Zeus als seinen Vater (Nonnos hist. 34 zu Greg. Naz. inv. [or. 5] 2,32 = Migne G 36.1054). 31 Vergleiche. MEGOW 1997, 1029; HEINZE 2001, 308. 32 Man kann Priapus in der Zeit vor Alexander d. Gr. in größerer Entfernung von seiner Heimat nirgendwo zuverlässig nachweisen. Wahrscheinlich trug erst der Alexanderzug selbst zu seiner Verbreitung bei, da Priapus am Hellespont den durchmarschierenden Truppen und später all denen, welchen sich die Gegend öffnete, auffallen musste. Grund seiner Beliebtheit war wohl seine Beziehung zu Dionysos, dessen Religion gerade zur Zeit Alexanders einen ungeheuren Aufschwung bekam (vergleiche LULLIES 1954, 1939). Indikator des Bekanntheitsgrades in Attika war die Komödie des Priapus von Xenarchos aus dem 4. Jh. v. Chr. Siehe dazu PCG VII, 799, frg. 10 (vergleiche MEGOW 1997, 1029). Wir haben auch Nachricht darüber, dass in einem Festumzug des Ptolemäus Philadelphos im 3. Jh. v. Chr. zwei Priapus-Figuren mitgeführt worden sind, die sich an prominenter Stelle neben der Statue des Dionysos und der des Königs befanden. Von der Art der Darstellung wissen wir laut Athenaios lediglich, dass Priapus einen vergoldeten Efeukranz getragen haben soll, der u.a. die Verbundenheit mit seinem Vater Dionysos zum Ausdruck bringen sollte. Siehe dazu MEGOW 1997, 1030, Nr. 2; OEHMKE 2007, 263f. 33 MEGOW 1997, 1042. 34 MEGOW 1997, 1030, Nr. 6–9.

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lenistischen Epigrammen beginnen.35 Im Späthellenismus (ca. 2. Jh. v. Chr.) erreicht der Kult schließlich auch die italische Halbinsel.36 Dort wurden Priapi im Zuge der Villegiatur gerne in den Gärten z.B. als Schutz vor Vögeln oder Dieben aufgestellt.37 In Rom verdrängte Priapus bald den älteren ithyphallischen oder als Phallus dargestellten Gott Mutunus Tutunus (oder Mutinus Titinus),38 dem nach Festus39 die römischen Frauen zu opfern pflegten und der vor allem im römischen Hochzeitsbrauch eine größere Rolle zu spielen pflegte: Die Neuvermählte musste sich dabei vor der Hochzeitsnacht mit ihrem Ehemann auf ein Abbild des Mutunus Tutunus setzen, was als magischer Akt mit dem Ziel, das Tabu des Anfangs zu brechen, interpretiert wurde.40 In augusteischer Zeit war der Priapuskult dann auch unter den Römern weit verbreitet, allerdings gebührte Priapus bei ihnen nicht mehr die Form der Verehrung, die ihm anfangs z.B. im hellenistischen Alexandria zugekommen war. Es gehörte aber weiterhin zum guten Ton, ein Priapusbild in seinen Gärten aufstellen zu lassen. Neben seiner engen Bindung zum Dionysischen41 waren es jedoch vor allem das bukolische Element42 und schließlich sogar seine Tendenz zum Magischen aufgrund seiner apotropäischen Funktion, welche ihm Eingang in die römische Literatur verschafften.43 Die erhaltene, römische Priapeendichtung taucht in den unterschiedlichsten Quellen und literarischen Gattungen auf, wie z.B. in Epigrammen, Elegien, Eklo35 Anth. Pal. 6,292 (Hedylos von Samos); Anth. Pal. 9,338; 9,437 (Theokr. epigr.34,1–5; Idyll 1,22); Siehe auch dazu OEHMKE 2007, 263f.. Daneben soll ihm der Dichter Euphronios im 3. Jh. v. Chr. durch die Πριάπεια sogar in der bukolischen Dichtung ein eigenes Versmaß geschaffen haben, wodurch die besondere Bedeutung des Priapus zusätzlich, neben seines Vorkommens in dem oben erwähnten Festumzug des Ptolemäus Philadelphos, im Alexandria des 3. Jh. v. Chr. zum Ausdruck gebracht wird. 36 Wahrscheinlich gelangte Priapus in Folge des Kontakts mit der orientalisierten, griechischen Kultur nach Rom. Vergleiche O’CONNOR 1989,24. 37 GRIMAL 1969, 46–49; OEHMKE 2007, 264. 38 LLOYD-JONES 1991, 63. 39 Siehe Festus, s.v. „Mutini Tutini“,p. 143: Mutini Titini sacellum Romae fuit. cui mulieres velatae togis praetextatis solebant sacrificare. 40 Zur Gottheit des Mutunus Tutunus siehe: VAHLERT 1933, 979–987; RADKE 1979, 225f. 41 Nach Paus. 9,31,2 und Diod. 4,6,1 galt Dionysos als Vater des Priapus, was sich auch in seinen ikonographischen Merkmalen niederschlug (vergleiche MEGOW 1997, 1030, Nr. 2). 42 In der bukolischen Dichtung erscheint eine Priapus-Statue bereits im ersten Idyll des Theokritkorpus (Theokr. 1,21–23). Auch in zwei anderen Kontexten des Theokrit (epigr. 3 und 4) tritt derselbe Gott ebenfalls im bukolisch-erotischem Zusammenhang auf. Hieran lässt sich Horazens Auseinandersetzung mit bukolischen Inhalten erkennen. Siehe hierzu FELGENTREU 1999, 271f.. 43 LULLIES 1954, 1939f. Den frühsten lateinischen Bezug zu Priapus können wir in Catulls Weihepigramm (Catull, frg. 1: Hunc lucum tibi dedico consecroque, Priape, / qua domus tua Lampsaci est quaque lege Priapi: / nam te praecipue in suis urbibus colit ora / Hellespontia ceteris ostriosior oris) finden. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass diese Verse, die bei Caesius Bassius (GL = gramm. 6,260) und Victorinus (Ars Grammatica, GL 6,151) überliefert sind, die erste Erwähnung des Priapus in der lateinischen Dichtung gewesen ist, jedoch leiten sie eine Flut von weiteren Anspielungen u.ä. in der lateinischen Literatur mit ein. Siehe dazu FANTHAM 2009, 134f; GOWERS 2012, 263.

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gen, Inschriften oder der Satire.44 Hervorzuheben sind die sogenannten carmina Priapea – ein Kompendium von etwa 80 Epigrammen45 nach hellenistischem Vorbild, dessen Datierung und Autorenschaft nicht eindeutig geklärt werden konnte.46 In diesen Gedichten spricht Priapus meist in der ersten Person.47 Dieser typische Zug der hellenistischen und römischen Priapeendichtung des 3.–1. Jhs. v. Chr. wird auch in der vorliegenden Satire 1,8 verwendet (olim truncus eram, V 1; deus inde ego, V 3)48. Weitere charakteristische Eigenheiten der literarischen Gattung der Priapeen sind der epigrammartige Charakter der Anfangsverse,49 der Verweis auf die eher primitive Beschaffenheit seines Kultbildes50 und die Nennung der typischen Funktion des Priapus: der Schutz des Gartens51 und das Bedrohen potentieller Diebe mit seiner Sichel52 und vor allem mit seinem riesigen Phallus, den er zur Bestrafung einsetzt.53 Diese Charakteristika der priapeischen Literatur lassen sich auch in der Satire des Horaz wiederfinden: Das Kultbild beschreibt sich in Vers 1 selbst als truncus54 (…) ficulnus und weiterhin in einer Apposition als inutile lignum.55 Sowohl die Verwendung des Begriffes truncus, der einen abgeschlagenen Baumstamm bezeichnet, als auch der Ausdruck lignum, das Holz im allgemeinen, aber auch Brennholz im engeren Sinne meinen kann, weisen darauf hin, dass das Kultbild, das dem Rezipienten hier bildlich vor Augen geführt werden soll, aus naturbelassenem und unbearbeitetem sowie vergänglichem Material besteht. Hinzu kommt der Nachsatz in den beiden folgenden Versen 2 und 3, dass der faber unsicher darüber gewesen sei, ob er aus dem erwähntem truncus/lignum lieber eine Bank oder einen Gott machen solle. Der Verweis auf die potentielle Erschaffung eines scamnum erzeugt beim Leser in Bezug auf das Kultbild zusätzlich die Erwar44 So z.B.: Theokr. epigr. 4,9; Anth. Pal. 437,1–12; Mart. 6,72,1–6; Mart. 6,73,5–10; Tib. 1,4; Verg. ecl. 7,33–36; CIL VI, 3708; Hor. sat. 1,8. Vergleiche auch O’CONNOR 1989, 66; FANTHAM 2009, 133. 45 Die Autorenzuweisung ist uneinheitlich. In einigen Ausgaben weist man zwei der Epigramme Tibull zu, während weitere drei Epigramme Teilen der Appendix Vergiliana zugeschrieben werden. Siehe dazu GOLDBERG 2001, 307. 46 Dennoch lassen sich enge Verbindungen zu Cat. frg. 1, Verg. catal. 1a–3a, Tib. 1,4, Ov. fast. 1,391–440; 6,319–346 und Mart. 6,69,1–11 nachweisen. Vergleiche Kap. 2.3.5. 47 Siehe vergleichsweise: priap. 6,1: Quod sum ligneus, ut vides, Priapus (…) ; Anth. Pal. 10,1 (Leonidas von Tarent). 48 Vergleiche auch nachfolgende Analyse von Tib. 1.4. 49 Auf diese Beobachtung wird im Kapitel 3.4.3 einzugehen sein. 50 Anth. Pal. 6,22,5; 10,8,3f.; Verg. catal. 2a,1 f. ; priap. 10 51 Anth. Pal. 16,236 (Leonidas von Tarent); 237; 261; Verg. catal. 1a–3a; ecl. 7.,3f.: Priape, (…) custos es pauperis horti; priap. 15. 52 Anth. Pal. 16,236,3 (Leonidas von Tarent): ἀλλ’ ὡςἐντέταµαι, φώρ, ἔµβλεπε; priap. 30. 53 Vergleiche z.B.:priap. 11; 13; 22; 28.Siehe zu den Charakteristika der Priapeen FELGENTREU 1999, 269f. 54 Genauso bezeichnet sich auch der amator in Ov. am. 3,7,15: truncus iners iacui, species et inutile pondus. 55 Vergleiche auch priap. 73: obliquis quid me, pathicae, spectatis ocellis? / non stat in inguinibus mentula tenta meis. / quae tamen exanimis nunc est et inutile lignum / utilis haec, aram si dederitis erit.

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tungshaltung, dass hier kein kunstvoll verarbeiteter Gegenstand geschaffen wird, sondern eher ein brettartiges Produkt, das von seiner Machart her schlicht gehalten ist.56 Da Priapus nicht nur in den oberen Gesellschaftsklassen, sondern auch in den unteren Bevölkerungsschichten, die ihm ihren bescheidenen Besitz anvertrauten, ausgesprochen populär war, waren seine Bilder oftmals grob aus Holz geschnitzt57 und nur seine wichtigsten Eigenschaften, wie Kopf und Phallus, detailreicher hervorgehoben.58 Grob belassene Kultbilder in der Tradition griechischer ξόανα59 waren bei den Römern keine Ausnahme: So kannten die Römer sowohl ikonische, meist anthropomorphe, als auch, wenn auch seltener, anikonische Kultbilder, wobei beide Verehrungsformen zeitlich parallel existierten.60 Das Göttliche oder das numen wurde in Rom eher in seinen Wirkungen erkannt und verehrt. Die Verehrung des numen konnte daher auch anikonisch erfolgen: Man bedurfte keiner expliziten Vorstellung vom Aussehen der Götter.61 Demnach scheint die in der Satire eher schlichte und auf das Wesentliche der Gottheit Priapus beschränkte Darstellung des Kultbildes nicht weiter abwegig zu sein. Gleichzeitig zeigt sich wegen der optischen Gemeinsamkeit der brettartigen Gestalt von ξόανον und scamnum eine Spannung zwischen der praktischen utilitas der Bank und der göttlichen Macht eines deus, welche die Ambivalenz, die in der Gestalt des Kultbildes steckt, verstärkt. Zusätzlich wird an dieser Stelle im Text das Material des Kultbildes noch genauer bestimmt: Es handelt sich hierbei um Feigenholz (ficulnus). Feigenholz war 56 Die meisten Schriftquellen beschreiben Priapus als einen relativ roh belassenen Holzklotz (priap. 6; 10; 25; 43; 63,12; 73; 83,17; Mart. 8,40), der von bäurischer Hand gefertigt worden ist (Arch. Anth. Pal. X 8; Anon. Anth. Plan. 86; priap. 10; 43,4; 63,10; Colum X 31–34). Siehe auch OEHMKE 2007, 265. 57 Die Kultbilder des Priapus konnten allerdings auch aus wertvollerem Material beschaffen sein: Marmor (Mart. 6,72,4; Verg. ecl. 7,35), Gold (Verg. ecl. 7,35f.), Bronze (Prud. c. Symm. 1,103) oder Glas (Iuv. 2,95). Es ist auch belegt, dass Priapeen aus Gebäck gefertigt sein konnten (Petr. Sat. 60,4; Mart. 14,70). Vergleiche hierzu O’CONNOR 1989, 25. 58 WEEBER 2000, 233; LULLIES 1954, 1932; 1938. 59 Siehe zum Begriff ξόανον bei SCHEER 2000, 19–21: Scheer referiert die Ergebnisse A.A. Donohues (Xoana and the Orogins of Greek Sculpture, Atlanta/Georgia 1988), die gezeigt hat, dass die antiken Zeitgenossen unter einem ξόανον keineswegs ein schlichtes, altes oder gar nicht-anthropomorph gestaltetes Kultbild verstanden haben (u.a. auch aufgrund der etymologischen Ableitung von ξέω -„bearbeiten, schaben, glätten“), sondern dass der Begriff durchaus oft mit äußerer Pracht und Glanz verbunden war. Dennoch halte sich ξόανον als Bezeichnung für ein besonders altes, einfaches Kultbild bis heute in der Forschung. Ξόανον selbst ist ein ab dem 6. Jh. v. Chr. bezeugter griechischer Begriff für Götterbilder aus Holz, Elfenbein oder Stein. Die berühmtesten hölzernen ξόανα entstanden im 8.–7. Jh.v. Chr. Siehe dazu NEUDECKER 2002, 650. 60 Siehe dazu RÜPKE 2006 a, 72. Demnach und auch Dank der minoisch-mykenischen Funde können antike Schriftquellen wie die des Plutarch (nach Plut. uma 8,7f. soll Numa den Römern die Bildlosigkeit vorgeschrieben haben) und des Varro (laut Aug. civ. dei 4,31 hatten nach Varro die alten Römer ihre Götter mehr als 170 Jahre ohne Kultbild verehrt) bestätigt werden. Vergleiche auch GLADIGOW 1994, 9. 61 MARTIN 1987, 11f..

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das übliche Herstellungsmaterial für Priapus-Darstellungen, v. a. im Bereich der Statuetten.62 Der Nachteil von Feigenholz war allerdings die eher schwache Konsistenz: Es war sowohl weich als auch biegsam und ließ sich dementsprechend schlecht bearbeiten.63 Womöglich kann man diesen Punkt bereits als anfänglichen Verweis auf das Ende der Satire deuten.64 Auf dieser Basis können zunächst zwei Dinge festgehalten werden: Zum einen konstruiert sich das sprechende Kultbild eine bescheidene Abstammung von einem schlichten Baumstamm;65 zum anderen führt es seine Genese zu einem Gott auf einen faber zurück. Diese Beobachtung der Entwicklung lässt sich auch sprachlich am Text belegen: Zunächst einmal wird das Endprodukt der Genese besonders durch ein Polyptoton in V 3 hervorgehoben (maluit esse deum. deus inde ego). Das olim (einst) in V 1 und das inde (darauf, dann) in V 3 stellen eine zeitliche Reihenfolge her66 und generieren somit unterschiedliche Entwicklungsphasen des Kultbildes (olim … truncus – inde deus)67. Dadurch werden auf der einen Seite ein starker Kontrast auch in chronologischer Hinsicht und eine überraschende Entwicklung von dem einen Extrem eines ungeformten inutile lignum zu dem anderen Extrem eines lebendig kommunizierenden deus vor Augen geführt. Jedoch wird auf der anderen Seite gerade die Bedeutung der Entwicklung aus Sicht des Kultbildes wiederum geschwächt: Denn der Sprecher und somit die suggerierte Gottheit, die durch das Medium Kultbild zum Leser spricht, hat jene Entwicklung nicht allein und aus eigener Kraft vollzogen, sondern war abhängig von einem faber, dessen schöpferisches Machtpotential im Gegenzug erhöht wird. Dies wird auch sprachlich dadurch deutlich gemacht, dass Priapus in V 2 von sich selbst in der dritten Person spricht (cum faber incertus, scamnum faceretne Priapum), als ob er sich selbst aus der Entfernung betrachten würde.68 Dies zeigt, dass er nicht in seine Entwicklung eingreifen konnte und seine Existenz somit ganz 62 RADSPIELER 1985, 237; LLOYD-JONES 1991, 63; HEINZE 2001, 309. 63 VILLENEUVE 1958, 91; KIESSLING–HEINZE 1959, 137; GOW 1972, 96; O‘CONNOR 1989, 83; FINK 2000, 300; Porph. Hor. sat.1,8,1 (Holder): Merito. am haec materia nullis fabricis idonea est. 64 Siehe FINK 2000, 300. HALLETT 1981, 341–347 hält das Wort ficulnus in V 1, ebenso wie ficus/ficosus/ficetum für ein semantisch eindeutig gefärbtes Wort, mit dem der Römer den menschlichen Anus verbunden hat. Da Priapus diejenigen, die in den von ihm bewachten Garten eindringen wollten, u.a. mit analer Penetration durch sein übergroßes Glied bestraft hat und zusätzlich in dem Priapeum Anth. Pal. 16,240 eine Feigenfrucht (ἰσχάς) mit einem durch den Phallus penetrierten Anus identifiziert werden kann, kann ihrer Meinung nach auch das Attribut ficulnus in V 1 unterschwellig den kundigen Römer auf das Ende der Satire hingewiesen haben. Dieser Ansatz scheint mir nicht völlig abwegig zu sein. Siehe dazu Kap. 3.4.5. 65 Es ist interessant, dass auch das satirische Ich an anderen Stellen des ersten Satirenbuches einen bescheidenen Ursprung bezeugt. Siehe dazu Hor. sat. 1,6,45f.; Hor. sat. 1,6,71; HABASH 1999, 286f. 66 Vergleiche ANDERSON 1972, 8; STAHL 1974, 37; BROWN 1993, 170. 67 Der Gegensatz von olim…inde auch schon im Epigramm von Simias von Rhodos (Anth. Pal. 6,113) zu beobachten: πρόσθεµὲν ... νῦν. 68 So schon SCHLEGEL 2005, 92.

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und gar von der Entscheidungsfreiheit eines Handwerkers abhängig war.69 Diese ernüchternde Erkenntnis ist nun freilich dazu angetan, an der Autorität und Glaubwürdigkeit des hier sprechenden Gottes zu rütteln. Umgekehrt lässt sich die damit herausgehobene Machtposition des faber meiner Meinung nach auch auf die Rolle des Autors Horaz projizieren. Denn letztendlich hängt die in den Versen 1–7 aufgezeigte Personifikation eines unbelebten Gegenstandes und dessen literarische Genese zu einem Kultbild von den geschriebenen Worten und somit von der Entscheidungsfreiheit des Autors Horaz ab. Beide (faber und der Autor Horaz) besitzen die schöpferische Gestaltungsfreiheit, durch die die Entwicklung von einem truncus zu einem deus erst stattfinden kann.70 Dies ist ein Indiz dafür, dass das sprechende Kultbild des Priapus analog zum faber auch ein Werk des Satirikers Horaz ist und diesem damit näher zu sein scheint als es in den Eröffnungsversen 1–7 suggeriert wurde. Die hier aufgezeigte Inkonsistenz im Wesen des deus Priapus, dessen Macht und Wirkung durch sein Kultbild symbolisiert werden sollen und der doch von einem faber abhängig ist, leitet zu einem weiteren Punkt über, der die Inkonsistenzen und Brüche verstärkt und bestätigt. In den ersten drei Versen legt das sprechende Kultbild die Betonung sehr stark auf sein schlichtes Material (truncus, lignum, scamnum). Als Material für Götterbilder kamen ab dem 6. Jh. v. Chr. Holz, Terrakotta, Marmor und Bronze in Frage.71 Priapus‘ Beschreibung seiner kunstlosen und schlichten Erscheinung soll die Altehrwürdigkeit des Gottes unterstreichen und damit auch den aitiologischen Charakter dieser Anfangsverse stärker betonen.72 Dem Leser soll auf diese Weise suggeriert werden, dass das

69 Siehe HILL 1993, 257; FELGENTREU 1999, 259. 70 Die These, dass sich hinter dem faber der Vater des Horaz verbergen solle (HABASH 1999, 286f.) aufgrund seiner Beschreibung in sat. 1,6,71 als pauper, in sat. 1,6,45f. als libertinus und in sat. 1,4,120f. als Handwerker, der Horaz bereits in frühen Jahren geformt hat, scheint mir zu autobiographisch zu sein und lässt sich am vorliegenden Text nicht nachweisen. 71 Nach Plinius d. Ä. waren die Kultbilder in Rom im Material allerdings 400 Jahre lang auf Holz oder Ton beschränkt. Vergleiche z.B.: Plin. nat. 34,34. Plinius d. Ä. hebt in diesen beiden Stellen hervor, dass die Vorfahren für ihre Kultbilder schlichte Materialien wie Holz oder Ton bevorzugten, obwohl ihnen andere Möglichkeiten zur Verfügung standen. Er sieht in dieser Zurückhaltung eine tiefere Religiosität als in der Verehrung prunkender Kultbilder seiner Zeit und nimmt damit eine traditionalistisch-religiöse Grundhaltung ein, die nicht unbedingt mit der als vorbildlich angesehenen Frühzeit übereinstimmen musste. Daher ist den Aussagen über die Verwendung von Holz und Ton für die römischen Kultbilder vor dem 3. Jh. v. Chr. mit Vorsicht zu begegnen (vergleiche MARTIN 1987, 18–20). Tatsächlich lassen sich aus dieser Zeit neben schriftlichen Zeugnissen auch archäologische Befunde römischer Kultbilder aus Holz, Terrakotta und Bronze nachweisen (vergleiche MARTIN 1987, 20–50). Eine Ausnahme bilden dabei Kultstatuen aus Marmor, die sich laut MARTIN 1987, 45–47 in Rom nur in griechischen Importen ausmachen lassen, ansonsten allerdings vor dem 2. Jh. v. Chr. nicht nachweisbar sind. 72 Gowers bezeichnet die horazische Satire 1,8 zurecht als Miniatur-Aition, das einerseits den Herstellungsprozess des Priapus-Kultbildes und seine Standortentwicklung erklärt (V 1–17), und zusätzlich erläutert, warum die Rückseite des hölzernen Priapus-Kultbildes geborsten ist. Siehe GOWERS 2012, 264. Sie auch OEHMKE 2007, 265.

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sprechende Kultbild aufgrund seines Alters und seiner langen Existenz auch eine hohe Glaubwürdigkeit und Autorität besitzt. Eben diese war aber durch die Erwähnung seiner willkürlichen Schaffung durch einen faber und somit durch einen Menschen ins Wanken geraten. Mit dem Außerkraftsetzen der Glaubwürdigkeit arbeitet der Autor auch an dieser Stelle: Auf der einen Seite wird durch das schlichte Material ‚Holz‘ dem Sprecher ein hohes Alter zugeschrieben. Dieser Anspruch kann aber auf der anderen Seite durch die schwache Konsistenz und Brüchigkeit des Feigenholzes, die generelle Vergänglichkeit des Naturstoffes Holz sowie durch den Ausdruck inutile lignum nicht lang aufrechterhalten werden. Hinzu kommt noch, dass der schlichten und kunstlosen Erscheinung des Priapus die kunstvollen Verse dieser Satire in den Mund gelegt worden sind:73 Immerhin spricht der ungeformte Priapus hier in hoch stilisierten hexametrischen Versen (maluit esse deum. deus inde ego, V 3 – Polyptoton), die mit ausschmückenden, der Detaildichte dienenden Attributen (ficulnus, V 1; inutile, V 1; incertus, V 2; maxima, V 4; obsceno, V 5; ruber, V 5; inportunas, V 6; novis, V 7) eine hohe Anschaulichkeit erzeugen, die man einem eher bäurischen, unkultivierten und obszönen Gott74 gar nicht zugetraut hätte. Somit kann man auch hier eine Inkongruenz aus dem behaupteten Alter des Kultbildes und der Vergänglichkeit seines Materials sowie der Schlichtheit desselbigen und der Verwendung von kunstfertigen Worten ablesen. Gerade letztere Erkenntnis kann durch die Beobachtung unterstützt werden, dass diese Diskrepanz von Schlichtheit und Kunstfertigkeit durch die Begriffe truncus und inutile noch weiter hervorgehoben wird. Während inutile für sich selbst spricht, kann truncus neben einem Baumstamm auch einen Tölpel, ähnlich wie stipes,75 bezeichnen.76 Durch diese Selbstinszenierung, die in den ersten drei Versen zum Tragen gekommen ist, stellt sich dem Leser verstärkt die Frage nach der Glaubwürdigkeit bzw. Zuverlässigkeit des Sprechers. Dieser erzeugt von sich ein Bild bzw. für sich eine Identität, die, ähnlich wie das Feigenholz, zwar biegsam ist, aber auch sehr fragil ist, wie wir später noch sehen werden. In den nächsten vier Versen beschreibt der Sprecher seine Attribute und seine Funktion, die er an seinem Aufstellungsort (novis … in hortis, V 7), zu erfüllen hat. Zunächst definiert er sich selbst als furum aviumque maxima formido („größtes Grausen für Diebe und Vögel“, V 3f.). Diese Umschreibung resultiert aus seiner „vogelscheuchenähnlichen“77 Funktion: Das Kultbild des Priapus wurde oft in den Gärten aufgestellt, um diese fruchtbar werden zu lassen und nicht nur Vögel, sondern auch Diebe zu verscheuchen.78 Ob das selbst erzeugte Bild einer maxima 73 74 75 76 77

FELGENTREU 1999, 259; OEHMKE 2007, 265. RADSPIELER 1985, 235. FANTHAM 2009, 144. Vergleiche Cic. nat. deor. 1,84. Vergleiche Verg. georg. 4,109–111: invitent croceis halantes floribus horti / et custos furum atque avium cum falce saligna / Hellespontiaci servet tutela Priapi; Tib. 1,1,17f.: pomosisque ruber custos ponatur in hortis / terreat ut saeva falce Priapus aves. 78 BROWN 1993, 170.

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formido aufrechterhalten werden kann, soll an anderer Stelle besprochen werden.79 Jedoch lässt sich bereits hier feststellen, dass mit dem Begriff maxima formido nochmals ein ganz klarer Kontrast zum truncus und dem inutile lignum in V 1 aufgebaut wird, um ein weiteres Mal die Wandlung zu demonstrieren, die der Sprecher genommen hat. Einst machtlos, scheint das Kultbild nun über ein Machtpotential zu verfügen. Da aber der Sprecher andererseits aufgrund seiner existentiellen Abhängigkeit von der Willkür eines Handwerkers gar nicht so viel Macht haben kann, wie er jetzt behauptet, liegt auch hier ein Widerspruch vor, der auf den weiteren Verlauf vorverweisen könnte. Des Weiteren erwähnt der Priap besonders kennzeichnende Attribute, die der Verteidigung seines Territoriums zu dienen scheinen. In seiner Rechten, die Diebe fernhält (fures dextra coercet, V 4), muss man sich zusätzlich noch eine Sichel vorstellen, die für jeden Räuber als potentielle Drohung galt.80 In V 5 schließlich wird eines der Hauptcharakteristika der Priapus-Ikonographie genannt. Erwähnt wird hier nämlich ein ruber … palus, der von dem Unterleib des Priapus abzustehen scheint (porrectus). Gemeint ist hiermit ein riesiges erigiertes Glied, das mit roter Farbe (Mennig) versehen ist, die die durch den Phallus symbolisierte Fruchtbarkeit verstärken sollte, aber gleichzeitig auch für Rache und Warnung stand.81 Die Verwendung des Begriffs palus, was nichts anderes bedeutet als „Pfahl“, für das erigierte Glied des Priapus-Kultbildes lässt vermuten, dass dieses, abgesehen von seiner Bemalung, ebenso wie die gesamte Darstellung eher schlicht und wenig kunstvoll gestaltet ist. Priapusʾ letztes Attribut in den Versen 6f. ist zugleich auch sein ungewöhnlichstes. Hier wird das Schilf (harundo) erwähnt, das auf seinem Kopf fixiert ist, um freche Vögel (inportunas volucres) davon abzuschrecken (terret, V 7), sich in dem priapeischen Territorium oder auch auf seinem Kopf niederzulassen. Dieses Attribut wird nirgendwo sonst in der Literatur erwähnt.82 Seine Singularität lässt sich auch an der betonten Abgrenzung durch die starke Konjunktion ast (V 6) von den anderen Funktionen des Fruchtbarkeitsgottes ablesen. Wahrscheinlich wird das Schilf an dieser Stelle deswegen erwähnt, weil es durch seine raschelnde Bewegung im Wind die Vögel vertrieb.83 Zudem sollte es der eher schlichten, steifen und rohen Priapus-Darstellung zumindest etwas Bewegung und somit potentielles Leben einhauchen.84 In den Versen 3b–7 liegt demnach das Hauptaugenmerk auf der Schutzfunktion des Priapus, die neben der Fruchtbarkeit einen zweiten großen Teil seiner

79 Siehe Kapitel 3.4.4. 80 KIESSLING–HEINZE 1959, 137; BROWN 1993, 170; HABASH 1999, 287; FELGENTREU 1999, 270; WEEBER 2000, 233; priap. 30,1f.: Falce minax et parte tui maiore, Priape,/ad fontem, quaeso, dic mihi, qua sit iter ; GOWERS 2012, 268. 81 KIESSLING–HEINZE 1959, 137; BROWN 1993, 170; MEGOW 1997, 1042; WEEBER 2000, 233; GOWERS 2012, 268f. 82 KIESSLING–HEINZE 1959, 137; GOW 1972, 96. 83 GOW 1972, 96. HABASH 1999, 288; GOWERS 2012, 269. 84 BROWN 1993, 170.

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göttlichen Macht (numen85) ausmacht.86 Auf den ersten Blick ergibt sich aus den Versen 3b–7 eine Spannung zu den Versen 1–3a: Denn der truncus wird neben der Entscheidungsfreiheit eines faber vor allem durch die Nennung der Funktionen und Eigenschaften des Kultbilds mit Leben erfüllt. Somit wird eine weitere Inkongruenz von Leblosigkeit und Lebendigkeit auf Grundlage des Materials des Kultbildes und der Funktionen, die es erfüllen soll, erzeugt. Doch bei genauerer Betrachtung der in V 3b–7 genannten Aufgabenbereiche und Attribute des Priapus und mit Bezug auf den Inhalt der gesamten Satire 1,8 lassen sich auch hier gegenläufige Beobachtungen machen: Besonders auffällig ist die Ignorierung der sexuellen Komponente des Priapus in der Satire 1,8. Das, was Priapus eigentlich ausmacht, spielt hier gar keine Rolle. Während das Glied in den carmina Priapea eine große Bedeutung einnimmt und u.a. durch orale, vaginale oder anale Penetration als Mittel der Bestrafung für Eindringlinge in sein Territorium dient,87 kommt es in dem vorliegenden Text gar nicht zum Einsatz. Priapus droht noch nicht einmal damit. Lediglich in V 5 ist von seinem obscenoque ruber porrectus ab inguine palus die Rede, der dann allerdings im Verlauf des Textes keine weitere Erwähnung findet. Somit präsentiert uns der Autor Horaz hier einen von den Priapea zu unterscheidenden Priapus mit nicht so stark ausgeprägter Sexualität.88 Die Vernachlässigung der sexuellen Komponente lässt sich auch in den bereits im ersten Vers genannten Begriffen wie truncus und inutile lignum ablesen, die auf die Untätigkeit des Priapus vorausweisen.89 Somit wird das geläufige Bild von einem Priapus eindeutig umgekehrt. Ähnlich zu bewerten ist die Ignorierung des Bartes, der in unordentlicher und zotteliger Manier zu den prägendsten Merkmalen der Priapus-Ikonographie gehörte.90 Es lässt sich nur vermuten, warum er ausgerechnet in dieser Satire fehlt bzw. vom Autor Horaz nicht genannt wird. Vielleicht wurde er als ikonographisches Charakteristikum vorausgesetzt, sodass es hier keiner weiteren Erwähnung bedurfte, zumal er ja auch keine besondere Funktion erfüllte, sondern ein lediglich phänotypisches Erkennungsmerkmal war. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass er 85 Siehe dazu die Definition nach Festus, s.v. „numen“, p. 179: numen quasi nutus die ac potestas. 86 Vergleiche PÖTSCHER 1978, 359–373: Die Grundbedeutung des Wortstammes in der lateinischen Sprache geht auf die verbale Verwendung in den Komposita adnuo, abnuo, innuo, adnuto, abnuto und renuto zurück und bezeichnet den Ausdruck persönlicher Willensäußerung. Wörtlich bedeutet numen das „Nicken“ einer Gottheit als Willensausdruck derselben und symbolisiert demnach ihre Kraft. umen als Wort setzt sich von dem Begriff deus insofern ab, als im Gegensatz zu deus numen einer stärker phänomenalistischen Welt (Zurückhaltung in der Frage nach dem Wesen der Gottheit und eher eine Beschränkung auf ihr festzustellendes Wirken) entspringt. Es gibt auch gewisse Parallelen zwischen den Begriffen numen und nomen. omen galt terminologisch als Inbegriff des Wesens. Somit hatte der Eigenname besondere Bedeutung und wurde als integraler Bestandteil der Persönlichkeit betrachtet. 87 Siehe z.B. priap. 11; 13; 22; 28; SHARLAND 2003, 105. 88 HABASH 1999, 288; SCHLEGEL 2005, 91; 98. 89 Vergleiche ANDERSON 1972, 6; siehe auch Ov. am. 3,7,15: truncus iners iacui, species et inutile pondus. 90 MEGOW 1997, 1042 und Abbildungen.

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aufgrund der betont kunstlosen Gestaltung des Priapus keine Aufmerksamkeit findet. Abschließend ist festzuhalten, dass das Bild und die Erwartungshaltung des Lesers durch die wiederholten Inversionen und Inkongruenzen in der Selbstvorstellung des sprechenden Kultbildes immer wieder gezielt enttäuscht werden. Auf diese Weise werden bereits in diesen ersten sieben Versen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Sprechers Priapus genährt. 3.4.2 Der Aufstellungsort (V 8–16) Der folgende Abschnitt widmet sich dem Aufstellungsort des Priapus-Kultbildes. Ich möchte zeigen, dass hier durch die Worte des Priapus ein literarischer Raum erzeugt wird, der auf der einen Seite auf einen realen Ort in der Stadt Rom Bezug nimmt und daher die Aussagen des Kultbildes plausibilisiert und auf der anderen Seite aufgrund seiner Entwicklung von einem Friedhof zu einem Garten von einer Dualität geprägt ist, wie sie in dem vorangegangenen Kapitel auch dem PriapusKultbild zugeschrieben werden konnte. Durch diese Parallelität bildet der Aufstellungsort einen wichtigen Bestandteil der Identität des Priapus, die in den Versen 1–7 konstruiert wurde. Dadurch werden beide Abschnitte eng miteinander verknüpft. Ein deiktisches huc signalisiert appellartig in V 8, dass hier ein neuer Abschnitt der Satire eingeleitet wird. Bereits am Ende der Selbstvorstellung (V 7) erwähnte der Sprecher, dass das Schilf die inportunas volucres (V 6) von den „neuen Gärten“ (novis … in hortis, V 7) fernhalte. Somit nimmt das huc diese Ortsangabe wieder auf und konstruiert einen neuen, textinternen Raum. Auf diese Weise wird die Perspektive vom bloßen Kultbild zum Kultbild im räumlichen Kontext erweitert.91 Das Adverb prius in V 8 führt den Leser zunächst in die Vergangenheit des Standortes zurück und nimmt somit auf den retrospektiven Aspekt des ersten Abschnittes (V 1–3) Bezug.92 Hinzu kommt das Imperfekt, das zunächst in den Versen 8–13 verwendet wird: Die mit locabat (V 9), stabat (V 10) und dabat (V 13) beschriebenen Handlungen geschahen über einen längeren Zeitraum. Beide Beobachtungen sind somit Indizien dafür, dass das, was in den folgenden Versen beschrieben wird, weiter zurückliegt. Des Weiteren wird deutlich, dass das prius mit dem olim aus Vers 1 korrespondiert. Somit wird die auf Zeitkontrasten beruhende Darstellungsweise aufrechterhalten (dies ist auch im Hinblick auf das später im Text erwähnte nunc (V 14) von Wichtigkeit).93 Dieser erneute Rückgriff auf die Vergangenheit sucht wiederum die Altehrwürdigkeit und Glaubwürdigkeit des Priapus zu betonen. Dabei ist zu beachten, dass der Priap hier nicht nur, wie zuvor, auf seinem hohen Alter insistiert und dadurch versucht, seine Autorität zu 91 SCHETTER 1971, 146. 92 SCHETTER 1971, 148. 93 In ähnlicher Weise ANDERSON 1972, 6; SCHETTER 1971, 147; GOWERS 2012, 271.

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festigen, sondern dass er diesmal auch auf konkrete Ereignisse eingehen kann, die sich vor Ort zugetragen haben. Durch diese Detailkenntnis wird dem Leser suggeriert, dass der Sprecher an dem, was er berichtet, als Augenzeuge teil gehabt hat, wodurch er wiederum an Glaubwürdigkeit gewinnt. Diese ist in der Kommunikation mit dem Leser der Satire 1,8 auch vonnöten, da die Selbstvorstellung des Sprechers in den ersten sieben Versen bereits durch mehrere Inkongruenzen an der seiner Autorität erheblich zweifeln ließ. Somit wirken die Strategien der Beglaubigung der Verunsicherung des Lesers gezielt entgegen. Doch welche Ereignisse werden hier beschrieben? Der Sprecher berichtet, dass hierher die Sklaven (conservus, V 9) die Leichen ihrer toten Mitsklaven (cadavera, V 8) in eine billige Kiste legten94 (vili portanda locabat in arca, V 9), nachdem sie aus den engen Kammern hinausgeworfen worden waren (angustis eiecta … cellis, V 8). Die Begründung, warum dies ausgerechnet hier geschah, wird in Vers 10 geliefert: Die zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Sprechers existierenden neuen Gärten aus V 7 waren einst ein Massengrab (commune sepulchrum, V 10) für das elende, arme Volk (miserae plebi, V 10). Da eine solche Grabstätte meistens einer Vereinigung aus Sklaven oder armen Leuten gehörte, die sich zusammengeschlossen hatte, um sich den Begräbnisort leisten zu können,95 erklärt sich das miserae plebi96 von selbst.97 Diese wird in V 11 durch die Nennung zweier Namen präzisiert,98 hinter denen sich Personen verbergen, die der misera plebs in V 10 angehört haben sollen. Es handelt sich dabei um den Schmarotzer (scurrae, V 11) Pantolabus und den Verschwender (nepoti, V 11) Nomentanus. Während es sich bei Pantolabus um 94 In der Regel besorgten Mitsklaven das Begräbnis von anderen Sklaven. Mit dem Einverständnis des Herren gründeten Sklaven Vereinigungen, die dann für das Begräbnis ihrer Mitsklaven sorgten. Zur Zeit des Horaz und des Augustus waren dies oft Sklaven des gleichen Hauses. Zwei Inschriften belegen diese Praxis für das Ende der Republik: Familiae A. Allieni in fr(onte) p(edes) XV in ag(ro) p(edes) XVI et familiae Pollae Minuciae Q. f(iliae) [CIL VI, 5961] oder A. Clodius A. l(ibertus) Apollodorus Vettia Q. l(iberta) Glucera A. Cascellius A. l(ibertus) icepor monu(mentum) fecerunt socei sibi et sueisque [CIL VI, 10415]. Tote niederen Standes sind z.B. an den Toren des Viminals und des Esquilins bestattet worden. Siehe KIESSLING–HEINZE 1959, 138; LEJAY 1966, 215; GOW 1972, 97; BROWN 1993, 170; FINK 2000, 300; GOWERS 2012, 269. 95 VILLENEUVE 1958, 91. 96 KIESSLING–HEINZE 1959, 138: Die misera plebs bestand aus den niederen, freien Leuten. Die Sklaven wurden nicht zur plebs gezählt. 97 Diese Armenfriedhöfe lassen sich auch archäologisch nachweisen. Außerhalb des agger Servianus (aggere, V 15), der in einer Breite von ca. 50 Fuß die Stadt zwischen Porta Collina und Esquilina abschloss, lag ein von niederen Gesellschaftsschichten verwendeter Begräbnisort. 1874/75 entdeckte man bei Ausgrabungen die sogenannten puticuli (vergleiche Varro ling. 5,25: puticuli, qui locus publicus ultra Exquilias). Dies waren tief in den Boden eingehauene Gruben mit Ausmaßen von ca. 4–5 m², die die Leichen z.B. verstorbener Sklaven aufnahmen. Besagte Bestattungsvereine übernahmen die Kosten der Bestattung und gaben die Toten an libitinarii, die die Leichen für einen billigen Preis in einer arca hinaus schafften. Diese waren wohl nicht als Särge vorgesehen, sondern dienten lediglich dem Transport (viliportanda … in arca, V 9). Siehe dazu KIESSLING–HEINZE 1959, 138. 98 Vergleiche KRÜGER 1863, 73; BROWN 1993, 171.

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einen sprechenden Namen handelt (aus dem griechischen abgeleitet von πάντα λαβεῖν –„jemand, der sich alles unter den Nagel reißt“) sowie typisch für die Parasiten in der Komödie war99 und von Nomentanus100 bereits in Horazens Satire 1,1,101f. die Rede war (quid mi igitur suades? ut vivam aevius, aut sic, / ut omentanus), finden beide nochmals in dem zweiten Satirenbuch des Horaz101 unter Verwendung der gleichen Attribute ihre Erwähnung.102 Die Forschung hat eingehend die Historizität103 oder Literarizität104 dieser Namen erörtert. Für meine Fragestellung ist diese Diskussion jedoch von untergeordneter Bedeutung. Weit wichtiger ist für mich die Erkenntnis, dass der Sprecher Priapus sie aus der misera plebs (V 10) hervorhebt und damit vorgibt, dass es sich bei Pantolabus und Nomentanus um leserbekannte Zeitgenossen handelt. Dabei macht er sich vor allem die Verwendung des sprechenden Namens Pantolabus, die Erwähnung des Nomentanus im ersten Satirenbuch und die aus der Alten Komödie bekannten Rollentypen der scurrae und nepotes zunutze, mit der die beiden Figuren hier bezeichnet werden.105 Doch warum nennt das Kultbild des Priapus ausgerechnet die Namen des Pantolabus und Nomentanus? Sicher nutzt Priapus die Nennung konkreter Namen sowie die suggerierte Bekanntheit beider in erster Linie, um seine Aussagen bezüglich der Vergangenheit seines Standortes als Friedhof zu plausibilisieren und zu untermauern, dass es dort ein commune sepulchrum für die misera plebs tatsächlich gegeben hat. Jedoch scheint es mir kein Zufall zu sein, dass mit Pantolabus und Nomentanus zwei Namen Erwähnung finden, die mit der Alten Komödie 99 VILLENEUVE 1958, 91; GOW 1972, 97; GOWERS 2012, 270. 100 „Ein Mann aus Nomentum“. Siehe GOWERS 2012, 270. 101 Hor. sat. 2,1,21–23: quanto rectius hoc, quam tristi laedere versu / Pantolabum scurram omentanumque nepotem, / cum sibi quisque timet, quamquam est intactus, et odit? 102 KRÜGER 1863, 73; KIESSLING–HEINZE 1959, 139; BÜCHNER 1970, 155. 103 Gerade letztere Nennung im zweiten Sermonenbuch des Horaz hat mehrere Kommentatoren zu dem Schluss kommen lassen, dass beide Personen real gewesen und zum Zeitpunkt des Erscheinens des ersten Buches noch gelebt haben müssten, da sie sonst im zweiten Buch keine Erwähnung mehr finden dürften. Daher vermuten sie auch gerade in der Assoziation zweier zur Niederschrift des ersten Buches noch lebenden Verschwendern mit dem Tod, symbolisiert durch das commune sepulchrum in V 10, den besonderen Witz dieser Verse und deuten dies als „Prophezeiung ihres bösen Endes“ (STAHL 1974, 36) durch den Autor Horaz, der dem ganzen Nachdruck verleiht, indem er den Inhalt des Gesagten als Realität in der Vergangenheit darstellt (KRÜGER 1863, 73; KIESSLING–HEINZE 1959, 139; GOW 1972, 97;STAHL 1974, 36). Dass es sich bei den beiden genannten Personen um reale Personen gehandelt haben könnte, wird auch von Zeugnissen der Scholiasten gestützt (Porph. Hor. sat.1,8,11f. (Holder); Ps. Acro v. Schol. Hor. sat. 1,8,11 (Keller, S. 94 f.)), die man aber meiner Meinung nach mit Vorsicht behandeln sollte. 104 Andere Gelehrte, die die vorliegende Satire in die Nähe der Alten Komödie rücken wollen (FELGENTREU 1999, 274–281), sehen diese Verbindungen besonders in Vers 11 bestätigt. Denn wenn der Friedhof und das Kultbild des Priapus mit einem literarischen Genre gleichzusetzen wären (HABASH 1999, 290), spielt der Autor Horaz hier auf den Ursprung der Satire in der Alten Komödie an, wo scurrae und nepotes übliche, zentrale Figuren bzw. Rollentypen waren (FREUDENBURG 1993, 229; HABASH 1999, 289f.). 105 GOWERS 2012, 270.

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und der Satire des Horaz assoziiert werden können, sodass kundige Leser die Vergangenheit des Priapus-Kultbildes in enge Verbindung mit eben jenen literarischen Gattungen (Komödie und Satire) bringen können. Auf ähnliche Weise hatte das satirische Ich des Horaz selbst bereits in sat. 1,4,1–6 das literarische Genre der Satire in die Nähe der Alten Komödie gerückt.106 Eine derartige Anspielung auf andere Horaz-Satiren in den Worten des Priapus-Kultbildes könnte an dieser Stelle ein Indiz dafür sein, dass hier die Stimme des Fruchtbarkeitsgottes in der Stimme des satirischen Ichs gebrochen wird. In den Versen 12 und 13 wird schließlich der Standort durch das commune sepulchrum genauer definiert, wobei die Maße der Grabfläche angegeben werden. In fronte, d. h. zur öffentlichen Straße oder in die Breite107, wird ein Maß von 1000 Fuß (mille pedes) und in agrum, d.h. in die Tiefe108, ein Maß von 300 Fuß (trecentos, zu erg.: pedes) genannt. Das entspricht ungefähr einer Fläche von 300 m Breite und 90 m Tiefe.109 Somit steht das commune sepulchrum durch seine ansehnliche Fläche im räumlichen Gegensatz zu den angustis … cellis der Sklaven, die in Vers 8 genannt worden sind. Im Vers 12 wird auch das Medium genannt, auf dem diese Maßangaben verzeichnet sind. Es handelt sich dabei um einen cippus (cippus… / hic dabat, V 12f.), der in Form eines Grenzsteines (terminus) bei Grabmälern oder auch bei Grenzen von Äckern die Maße der jeweiligen Fläche sowie die Namen seines Aufstellers mittels auf ihm verzeichneter Inschriften angeben konnte. In Bezug auf die Grabstätten wurde er meist von denen aufgestellt, die das Areal als erste als einen Friedhof nutzten oder die den Begräbnisplatz geschenkt haben.110 In Anbetracht der Tatsache, dass hier Pantolabus und Nomentanus als einzige namentliche Beispiele der miserae plebi (V 10) genannt werden, die auf dem Friedhof bestattet wurden, ließe sich imaginieren, dass auch ihre Namen auf einem solchen cippus verzeichnet gewesen sein könnten.111 Ferner liefert Vers 13 noch einen weiteren wichtigen Hinweis in Bezug auf den cippus. In der dortigen Sequenz heredes monumentum ne sequeretur lässt sich eindeutig die Formel hoc monumentum heredes non sequitur (abgekürzt H M H N S) wiederfinden,112 die als juristischer Ausdruck anzeigte, dass dieses Feld oder 106 Eupolis atque Cratinus Aristophanesque poetae / atque alii, quorum comoedia prisca virorum est, / siquis erat dignus describi, quod malus ac fur, / quod moechus foret aut sicarius aut alioqui / famosus, multa cum libertate notabant. / hinc omnis pendet Lucilius , (…). Siehe zur römischen Satire und der literarischen Tradition der Alten Komödie FERRISS-HILL 2015, passim und speziell zu Hor. sat. 1,8 dies. 2015, 54f. 107 BOTHE 1822, 364; KRÜGER 1863, 73; GOW 1972, 97; GOWERS 2012, 270. 108 BOTHE 1822, 364; KRÜGER 1863, 73; GOW 1972, 97; GOWERS 2012, 270. 109 FINK 2000, 300. 110 BOTHE 1822, 364; KRÜGER 1863, 73; BÜCHNER 1970, 156;GOW 1972, 97; BROWN 1993, 171. 111 KRÜGER 1863, 73; RADSPIELER 1985, 242f.; BROWN 1993, 171 112 Porph. Hor. sat. 1,8,11f. (Holder): … Solet autem privatis monimentis inscribi, quod pedes in fronte, quod in agris habeant; item singularibus plerumque litteris notari solet Hoc monimentum heredes non seque[n]tur, videlicet nequi ius habeat inferendis ibi reliquiis aliorum mortuorum.

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dieser Begräbnisort nicht von den Erben als Eigentum beansprucht werden könne. Somit wurde diese Grabstätte nicht mit dem herkömmlichen Besitz vererbt, sondern stand gewissermaßen nur dem darin Ruhenden selbst zu.113 Dieser Zusatz kann allerdings auch in Bezug auf das commune sepulchrum der Leute, die keine wirklichen heredes haben, als satirischer Spott verstanden werden, der sich gegen die beiden namentlich genannten Personen Pantolabus und Nomentanus richtet.114 Von besonderer Bedeutung für die hier verfolgte Fragestellung ist die Tatsache, dass in den Versen 12f. der cippus in seiner Funktion als Inschriftenmedium in kommunikativer Konkurrenz zu dem suggerierten Sprecher Priapus tritt. Denn Priapus gibt die Inschriften wieder, die in diesem literarischen Konstrukt auf dem cippus verzeichnet sind. Dadurch eröffnet sich eine neue Kommunikationsebene, die in Konkurrenz zu der primären Sprecherinstanz des Priapus tritt. Dieser schlüpft somit hier in die Rolle eines imaginären Lesers, der die Aufschriften des cippus an den Leser der Satire weitergibt und somit dem Inschriftenmedium cippus seine Stimme leiht. Dadurch, dass hier Flächenmaße und eine Grabinschriftenformel zitiert werden, mit denen der zeitgenössische Horaz-Leser durch eigene Erfahrung vertraut gewesen sein müsste, wird Priapus erneut Glaubwürdigkeit zugeschrieben, die wiederum als Gegengewicht zu den bereits aufgezeigten Diskrepanzen wirken könnte. In den Versen 14–16 führt Priapus den Leser wieder zurück in seine Gegenwart, indem er diesen kleinen Abschnitt mit nunc einleitet (V 14): Nun sei es wieder erlaubt auf dem Esquilin zu wohnen (Esquiliis habitare salubribus, V 14) und auf dem „sonnigen Wall“ spazieren zu gehen, wo vor kurzem noch das von weißen Knochen entstellte Feld einen traurigen Anblick bot (quo modo tristes / albis informem spectabant ossibus agrum, V 15f.). Nach der Schilderung der düsteren Vergangenheit folgt nun die Beschreibung der gegenwärtigen, positiven Raumsituation. Offenkundig hat die einstmalige Grabesstätte für Arme und Sklaven eine Entwicklung genommen, wie bereits in V 7 durch das novis…in hortis angedeutet wurde, und ist nun zu einem Ort transformiert worden, der mit Leben gefüllt ist (vergleiche V 14f.). Desweiteren ist der Platz auch mit positiven Adjektiven behaftet: Esquiliis…salubribus115 (V 14) und aggere in aprico (V 15).116 Gleichzeitig wird der Aufstellungsort in V 14 durch die Nennung des Esquilin (Esquiliis, V 14) genauer lokalisiert. In Verbindung mit der Erwähnung der novis…in hortis in Vers 7 lässt sich daraus schließen, dass sich der Aufstellungsort des Priapus-

113 KRÜGER 1863, 73; VILLENEUVE 1958, 91; GOW 1972, 97; RADSPIELER 1985, 243; BROWN 1993, 171; FINK 2000, 300. 114 KIESSLING–HEINZE 1959, 139; BÜCHNER 1979, 156; GOWERS 2012, 271. 115 Vergleiche SCHÖNBERGER 1991, 279: Der Esquilin galt als so gesunde Gegend, dass selbst Augustus sich bei Krankheit in das Haus des Maecenas zurückzog (Suet. Aug. 72: … aeger autem in domo Maecenatis cubabat.); vergleiche HÄUBER 1996, 71: Nach dem Tode des Maecenas (8 v. Chr.) erbte nämlich Augustus als Universalerbe desselben auch dessen horti Maecenatis (Cass. Dio 55,7,5). Siehe auch GOWERS 2012, 271. 116 GOWERS 2012, 271.

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Kultbildes in den sogenannten horti Maecenatis117 befunden haben muss, die auf dem Esquilin der gesunden Luft wegen errichtet wurden.118 Archäologische Untersuchungen belegen die Existenz der MaecenasGärten.119 Zusätzlich werden weitere tatsächlich existierende Orte der Stadt Rom innerhalb der Satire erwähnt, die der zeitgenössische Leser, wenn er über Ortskenntnis der Stadt Rom verfügte, kennen müsste (commune sepulchrum, V 10; Esquiliis, V 14; aggere, V 15). Diese Orte könnte man auch durchaus als Erinnerungsorte bezeichnen, da durch ihre bloße Erwähnung Assoziationen geweckt werden können.120 Zusammen mit dem Verweis auf die ehemalige Funktion des Ortes als Armenfriedhof lassen sich diese Beobachtungen als Aspekte der Beglaubigungsstrategie des Priapus werten. Es ist gut vorstellbar, dass auch in den Gärten des Maecenas tatsächlich irgendein Kultbild des Priapus stand. Ob sich allerdings darin auch ein genau solches Kultbild des Priapus befand, wie der Sprecher es hier beschreibt und wie KIESSLING–HEINZE121 auch tatsächlich vermutet, ist nicht zu belegen. Eindeutig ist aber die kontinuierliche Spannung von Realität und Fiktionalität, die dieser Satire eine Dynamik verleiht. Auch das Leitmotiv „einst – jetzt“ findet sich wieder:122 Entsprechend zum Wandel des Kultbildes vom inutile lignum zum Gott wird nun der radikale Wandel des Ortes von einem Friedhof zu einem Garten bzw. einer parkähnlichen Anlage durch den Kontrast prius – nunc markiert. Abgeschlossen und nochmals hervorgehoben wird dieser Kontrast durch den Nachsatz in den Versen 15f., in dem 117 Siehe zur genauen Lage der horti Maecenatis HÄUBER 1996, 70–74 und GRIMAL 1969, 143– 145. Der Plural horti weist stets auf eine parkartige Gartenanlage. Siehe dazu KIESSLING– HEINZE 1957, 137. 118 Siehe dazu FRAENKEL 1957, 123; KIESSLING–HEINZE 1959, 137; SCHETTER 1971, 148. Vergleiche auch Porph. Hor. sat. 1,8,7 (Holder): < ovis hortis> ideo dixit, quod, cum Esquilina regio prius sepulchris et bustis vacaret, primus Maecenas salubritatem aeris ibi expertus hortos constituit; Ps. Acro v. Schol. Hor. sat. 1,8,7 (Keller, S. 94 ): Vetatque novis (v)] Quia semper exercentur nova cultura, an propter recentem dedicationem Mecenatis ‘novis’, hoc est nuper institutis,aut recens satis, aut quia antea sepulchra erant in hoc loco, in quo modo sunt horti Mecenatis, ubi sunt modo Traianae ? Ante enim tanta misericordia tenebantur maiores, ut etiam publica monumenta pauperibus et servis aedificarent. 119 Über die Gärten des Maecenas sind wir nicht genauer unterrichtet. Aus den Schriftquellen lässt sich schließen, dass sie am agger Servianus (VILLENEUVE 1958, 92; KIESSLING–HEINZE 1959, 138; GOW 1972, 97; BROWN 1993, 171; FINK 2000, 300.), der die Stadt Rom zwischen porta Collina und porta Esquilina abschloss (KIESSLING–HEINZE 1959, 138), gelegen haben (aggere in aprico spatiari, V 15) und die Armengräber bedeckt haben müssten. Das Wohnhaus des Maecenas wird wohl im höher gelegenen Terrain nördlich der porta Esquilina gelegen haben (HÄUBER 1996, 71). Über das Entstehungsdatum der horti Maecenatis und somit auch der Frage, was der Sprecher hier als nunc bezeichnet, kann nur gemutmaßt werden. Die Publikation des ersten Satirenbuches um das Jahr 35 v. Chr. bildet den terminus ante quem für die Errichtung der parkähnlichen Anlage (HÄUBER 1996, 73). 120 Z.B. könnte aggere in V 15 mit der Regierung des Servius Tullius und somit der etruskischen Zeit Roms verbunden werden, ohne dass diese Begriffe direkt genannt werden Vergleiche dazu auch FRAENKEL 1957, 123; GOWERS 2012, 271. 121 KIESSLING–HEINZE 1959, 136. 122 Vergleiche SCHETTER 1971, 146–148; ANDERSON 1972, 6; SCHLEGEL 2005, 94; GOWERS 2012, 266; 271.

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nach der Beschreibung der gegenwärtigen Situation wiederum auf die vergangene Funktion des Platzes als Friedhof hingewiesen wird (quo modo tristes / albis informem spectabant ossibus agrum).123 Jedoch ist es nicht nur der chronologische Kontrast, sondern auch die Gegenüberstellung zweier vollkommen konträrer Landschaften mit unterschiedlichen Funktionen, die die Entwicklung des Aufstellungsortes umso deutlicher werden lässt. Auf der einen Seite steht der Friedhof, auf dem Arme und Sklaven bestattet worden sind und der Tod und Vergänglichkeit symbolisiert. Auf der anderen Seite steht der Garten des Maecenas, der mit Attributen wie salubribus (V 14) oder aggere in aprico (V 15) versehen ist, der bewohnbar (habitare, V 14) sowie begehbar war (spatiari, V 15) und somit für Leben bzw. Lebendigkeit steht.124 In der Mitte befindet sich das Kultbild des Priapus, das zwischen beiden Welten vermittelt. Während Priapus in der antiken Literatur eher im ländlichen, agrarischen bzw. bukolischen Bereich verortet ist,125 finden sich seine Kultbilder nicht nur auf Äckern und Weinbergen, in Gärten, Weiden oder Wäldern, sondern auch in Häusern und Gräbern.126 Somit kann sowohl der ehemalige Aufstellungsort „Friedhof“ als auch der zum Zeitpunkt des Sprechens gegenwärtige Standort horti Maecenatis für Priapus als plausibel erachtet werden.127 Dennoch schillert der Ort aufgrund seiner ambivalenten Geschichte. Verantwortlich für die Entwicklung dürfte Maecenas, der spätere Parkbesitzer, sein.128 Ähnlich wie der faber für die Entstehung des Gottes verantwortlich war, ist auch hier nicht irgendeine höhere, göttliche Kraft für die Transformation des Aufstellungsortes verantwortlich, sondern ein Mensch (Maecenas). Somit 123 Mit den ossibus sind zweifellos die Knochen der Leichname der armen Leute (miserae plebi, V 10) in Anspielung auf das bereits genannte commune sepulchrum (V 10) gemeint, die nicht unbedingt immer regelkonform bestattet und genauso wie die Knochen von Kriminellen unbeerdigt gelassen worden sind. Siehe dazu KIESSLING–HEINZE 1959, 139; GOW 1972, 97; BROWN 1993, 171; HOLZBERG 2009, 75. 124 SCHLEGEL 2005, 94. 125 Vergleiche Theocr. 1,21–23. Auch in zwei anderen Kontexten des Theokrit (epigr. 3 und 4) erscheint derselbe Gott ebenfalls im bukolisch-erotischem Zusammenhang (siehe hierzu FELGENTREU 1999, 271f.). In den römischen Literaturquellen wird Priapus meist als rustikale, agrarische Gottheit beschrieben, als ein Wächter der Ernte, Haine (Mart. 8.40; Petr. sat. 133,3) und Weinberge (siehe hierzu O’CONNOR 1989, 24). 126 MEGOW 1997, 1029; HEINZE 2001, 308. Als ityphallische Gottheit wurde ihm in diesem Kontext die Fähigkeit zugeschrieben, böse Einflüsse abzuwehren. Siehe hierzu insbesondere O’CONNOR 1989, 83 CIL V, 3634 (Locus adsignatus monimento in quo est aedic(u)la Priapi) und CIL VI, 3708 (custos sepulcri pene destricto deus / Priapus ego sum, mortis et vitae locus). Nach HERTER kam dem Phallos eine ganz besondere Rolle im Sepulkralwesen zu. In seiner kleinasiatischen Heimat hat er wohl als Grabfigur fungiert. Zudem wurden Phalloi bis in byzantinische Zeit mit ins Grab gegeben. Siehe dazu HERTER 1938, 1728–1733. 127 Die Verbindung von Friedhof und Garten dürfte für den zeitgenössischen Leser der Satire 1,8 in Bezug auf den hier konstruierten literarischen Raum kein Problem dargestellt haben. Denn seit dem 4./3. Jh. v. Chr. aber auch in augusteischer Zeit bestanden sehr enge Bindungen zwischen Villa bzw. Garten und Gräbern, da sich eine Bestattung in villa oder in horto großer Beliebtheit erfreute. Vergleiche GRAEN 2011, 76f. 128 FRAENKEL 1957, 123; WELCH 2001, 166; 184.

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basieren beide aufgezeigten Entwicklungen (Holzklotz – Gott; Friedhof – Garten) auf menschlicher Gestaltungs- und Entscheidungskraft. Man könnte daher Priapus als einen von Menschen geschaffenen Gott in einer von Menschen geschaffenen Gegend bezeichnen.129 Die Macht und Autorität des Sprechers Priapus wird dadurch, dass er in diesem Abschnitt bezüglich seines Aufstellungsortes nur als passiver Berichterstatter fungiert, der selbst scheinbar keinerlei Einfluss auf die Entwicklung des Ortes genommen hat, wiederum in Frage gestellt. Umgekehrt könnte man vor allem die Verse 14–16 durch die Verknüpfung mit der positiven Genese auch als indirektes Lob auf Maecenas deuten. An dieser Stelle gibt sich die Stimme des satirischen Ichs erneut in der des Priapus zu erkennen.130 Letztlich ist es besonders raffiniert, wenn der Satiriker sein Lob an Maecenas einem Gott in den Mund legt und damit zwar die Rollenkonstruktion des sprechenden Kultbildes durchbricht, aber zugleich den Gönner rühmt. 3.4.3 Das sprechende Kultbild des Priapus zwischen inszenierter Dauerhaftigkeit und brüchigem Rollenkonstrukt In beiden einleitenden Abschnitten der Satire 1,8 wurde dem Leser zum ersten Mal innerhalb des ersten Satirenbuchs des Horaz ein Sprecher präsentiert, der offenbar nicht mit dem der vorherigen Satiren übereinstimmt. Es handelt sich dabei um Priapus, der durch seine Stimme mittels seines Kultbildes mit einem imaginierten Gegenüber kommuniziert. Während jener sich in den Versen 1–7 selbst vorstellt, berichtet er uns in den Versen 8–16 von seinem Aufstellungsort. Im Kapitel 3.4.1 hatte ich bereits auf den typischen Epigrammcharakter der literarischen Gattung der Priapeen hingewiesen. Dieser spiegelt sich auch in dieser Satire wider und erzeugt durch den expliziten Bezug auf Schriftlichkeit in der Rede des Priapus die intermedialen Bezüge des Mediums Kultbild im Text.131 Neben den ekphrastischen Beschreibungen in den Versen 4–7 und dem deiktischen huc in V 8,132 das vom Kultbild zum Aufstellungsort überleitete, sind v.a. die einleitenden Worte olim truncus eram (V 1) fest mit den Weihepigrammen verknüpft, in denen das geweihte Objekt, in diesem Falle das Kultbild des Priapus, das sich an einen imaginierten Passanten richtet, einen kurzen Einblick in seine Genese gibt (sprachlich durch den Kontrast ‚ einst/olim (V 1) – jetzt/nunc 129 FANTHAM 2009, 133. 130 Für diese These spricht auch, dass das erste Satirenbuch dem Maecenas gewidmet zu sein scheint, wie aus den als programmatisch zu verstehenden Satiren sat. 1,1,1 (Qui fit, Maecenas, (…)) und sat. 1,6,1 hervorgeht (non quia, Maecenas, (…)). 131 Vergleiche zur Intermedialität Kap. 2.4.2. 132 Literarische Epigramme imitieren oft Inschriftenkonventionen. Dazu gehören auch ekphrastische und deiktische Elemente (meist Demonstrativa), die den Leser auf bestimmte Dinge im Text hinweisen sollten. Siehe dazu MÄNNLEIN-ROBERT 2007 b, 251–253. Vergleiche zu den Techniken der Weih- und Grabepigrammtraditionen, die die augusteischen Dichter in Texten, in denen Kultbilder zu sprechen begannen, anwendeten, Kap. 2.2.2.

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(V 14)‘ markiert).133 Dies lässt sich auch auf die Satire 1,8 übertragen. Die Verse 1–16 könnten demnach aufgrund der engen Verbindung zu literarischen Epigrammen und Inschriftenkonventionen134 als Inschrift auf der Basis eines PriapusKultbildes dienen, in der drei Themen vorherrschend sind: a) die Umgestaltung eines Naturgegenstandes zu einem Kultbild durch einen faber, b) die äußerlichen und funktionellen Eigenschaften der repräsentierten Gottheit und c) die Umgestaltung des Aufstellungsortes von einem Friedhof zu einem Garten mit indirekter Anspielung auf Maecenas.135 Priapus erfüllt hier somit die Funktion einer sprechenden Inschrift, die als gedachte Aufschrift auf einer Basis zugleich als ständig präsent imaginiert werden kann und dem Text wiederum Konstanz und Stabilität verleiht. Daraus ergibt sich eine Sprechsituation, die vielen epigrammatischen Gedichten136 gemeinsam ist.137 Auf der einen Seite steht ein Sprecher (hier Priapus), dessen Worte im Text die imaginierte Inschrift repräsentieren und zugleich durch die Beschreibung der Genese, der phänotypischen Eigenschaften und seines Aufstellungsortes ein Bild der Priapus-Statue erzeugen. Auf der anderen Seite steht ein Leser, der den Text wahrnimmt, versucht, ihm einen Sinn zu geben, und sich gleichzeitig durch die Lektüre das ursprüngliche Kultbild vor Augen führt und der imaginierten Inschrift seine Stimme leiht. Somit wird durch den epigrammartigen Charakter der Anfangsverse ein sehr enger Bezug von Bild und Text hergestellt (intermediale Bezüge).138 Dass das Motiv der sprechenden Statue als zentrales Leitmotiv sein Vorbild vor allem in dem hellenistischen Dichter Kallimachos findet, ist bereits in Kap. 2.2.1 dargelegt worden. In Bezug auf die vorliegende Horaz-Satire 1,8 hat dabei der intertextuelle Bezug zu den kallimacheischen Iamboi 6, 7 und 9 besondere Beachtung gefunden,139 die uns in Fragmenten erhalten sind. Während der sechste Iambus einen Dialog über die olympische Zeus-Statue des Phidias bietet und der neunte Iambus ein Gespräch eines erastes und einer ityphallischen Statue des Hermes vermuten lässt, präsentiert der siebte Iambus dem Leser die antike Kultstatue des Hermes Perpheraios, die von ihren Ursprüngen und der Einrichtung ihres Kultes in der Stadt Ainos in Thrakien berichtet.140 Die Statue spricht dort

133 Vergleiche dazu ein Epigamm des Simias von Rhodos, Anth. Pal. 6,113, in dem von der Entwicklung eines Ziegenhorns zu einem Bogen für den Jäger Nikomachos durch einen Drechsler die Rede ist. Siehe dazu auch FRAENKEL 1957, 121; ANDERSON 1972, 6; MONTELEONE 1992, 19; HABASH 1999, 285. 134 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 b, 251–253. 135 Siehe dazu SCHETTER 1971, 145. 136 A. PETROVIC 2005, 30; TUELLER 2008, 2. 137 RÜPKE 2009, 126; 133. 138 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 37; TUELLER 2008, 9. Siehe dazu auch MONTELEONE 1992, 88– 90. 139 Siehe dazu SHARLAND 2003, 102; HABASH 1999, 285; GOWERS 2012, 264. 140 Kall. Iambus 7 Fr. 197 Pf.

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von sich in der ersten Person, wobei sich auch dialogische Sequenzen darin vermuten lassen.141 Zwei Fakten fallen dabei besonders ins Auge: Erstens schafft auch diese Statue für sich zunächst eine Form der Identität, indem sie beschreibt, dass sie als Gott der Ainier (Αἰνίων θεός, V 1) lediglich das „Nebenwerk“ eines lanzenfliehenden Pferdebildhauers (φυγαίχµα / …] πάρεργον ἱπποτέκτον[ος, V 2f.) sei. Zweitens scheint auch das Hermes-Kultbild bei Kallimachos aus einfachem Material zu sein, was wiederum in Konkurrenz zu der verwendeten kunstvollen Sprache steht (immerhin ist der Iambus in abwechselnden iambischen Trimetern und Ithyphallika verfasst142). Seine Form muss sogar, ähnlich wie die des Priapus, relativ roh belassen gewesen sein, da die Fischer, wie aus dem weiteren Verlauf der erhaltenen Fragmente klar wird, sonst kaum die Absicht hätten, es als Feuerholz zu nutzen.143 Daraus lässt sich eine mehrfache Parallelität zwischen der Horaz-Satire 1,8 und dem siebten Iambus des Kallimachos erschließen und intertextuelle Bezüge zwischen den beiden Gedichten postulieren. Hinter dieser Intertextualität verbirgt sich zudem auch ein hohes Maß an Raffinesse und Literaturkenntnis, die einem Sprecher wie Priapus, der sich im Text selbst als truncus und inutile lignum bezeichnet, widerspricht. Zusammenfassend arbeitet die vorliegende Satire 1,8 mit Gattungskreuzungen aus den hellenistischen Epigrammen und Iamboi des Kallimachos. Dadurch eröffnet sich auf dieser Basis ein Dialog zwischen dem Sprecher und dem gebildeten Leser. Dieser ist zwar in den ersten 16 Versen nicht besonders evident, aber schimmert im späteren Verlauf des Textes an einigen Stellen stärker durch (vergleiche videres, V 34). Dadurch wird suggeriert, dass einem leblosen Gegenstand (truncus) durch die laute Lektüre eines Textes, der einen eindeutigen Inschriftencharakter aufweist, aber als von Priapus gesprochen imaginiert wird, Leben eingehaucht wird.144 Diese Wirkung wird auch durch die Länge der epigrammartigen Verse intensiviert, die den Umfang gewöhnlicher Epigramme übertrifft. Dadurch avanciert die Satire an dieser Stelle förmlich zu einem „Super-Epigramm“. Anhand dieser Feststellungen lassen sich die in Kap. 2.4.2 postulierten intermedialen Bezüge von sprechenden Kultbildern in Hor. sat 1,8 bestätigen. Das Nebeneinander von Schriftlichkeit, erzeugt durch den epigrammartigen Charakter, von Bildlichkeit, die durch die Statue symbolisiert wird, und von Mündlichkeit sorgt dafür, dass sich das Kultbild des Priapus ähnlich wie der cippus in V 12, der in der Satire 1,8 nur als reiner Inschriftenträger fungiert, als ein komplexes BildText-Medium interpretieren lässt. Vielleicht ist es daher auch kein Zufall, dass eine stereotype Inschriftenformel eines cippus (heredes monumentum ne sequere-

141 I. PETROVIC 2010, 208f. Vergleiche zum Motiv ‚Sprechende Statue‘ bei Kallimachos Kap. 2.2.1. 142 I. PETROVIC 2010, 208. 143 Vergleiche Kallimachos Iambus 7 Fr. 197 Pf., ab V 39. Siehe auch I. PETROVIC 2010, 218. 144 TUELLER 2008, 150.

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tur, V 13) diesen ersten Teil der Satire zum Abschluss bringt. Auf diese Weise wird nicht nur das Kultbild, sondern auch der Text selbst plastisch. Hinzu kommt, dass durch die gattungsbedingt enge Verbindung zwischen den Epigrammen und ihrem materiellem Träger145 eine permanente Präsenz bzw. Verstetigung des Textes erzeugt wird. Dadurch wird Priaps Worten zugleich eine fiktive und literarisch konstruierte Dauerhaftigkeit verliehen, die in der Satire des Horaz Realität gewinnt. Letztlich ist daher die Existenz des Priapus nicht nur textimmanent von dem faber, sondern vor allem von der Überlieferung des ersten Satirenbuchs abhängig. Der inszenierten Dauerhaftigkeit steht jedoch der Sprecher des Priapus entgegen, der zwar versucht, für sich selbst durch den Anspruch eines hohen Alters (olim … inde – prius … nunc) eine altehrwürdige Autorität zu erzeugen, dabei vor allem aber an zwei Dingen scheitert: Zum einen besteht er aus biegsamen und brüchigem Feigenholz, sodass auch im Hinblick auf das Kultbild in seiner suggerierten Funktion als Aufschriftenmedium eine eindeutige Diskrepanz zwischen der Dauerhaftigkeit des Textes, die durch Medienkonkurrenzen hervorgehoben ist, und der Vergänglichkeit des Materials, das an dieser Inszenierung Zweifel hegen lässt, herrscht. Zum anderen lassen sich in den Aussagen des Priapus Indizien finden, die vermuten lassen, dass es sich bei dem sprechenden Fruchtbarkeitsgott um einen unzuverlässigen Erzähler handelt. Denn in beiden Teilen wurden die Autorität und Glaubwürdigkeit des inszenierten Sprechers Priapus auf ähnliche Weise untergraben, sodass im Laufe der Satire immer wieder Passagen auftauchten, in denen Priapus Dinge behauptete, die nicht der Wahrheit entsprachen, sowie Partien, in denen sich die Stimme des satirischen Ichs in der des Priapus brach. Zusammenfassend versucht Priapus in diesen ersten 16 Versen ein lebendiges Bild von sich zu erzeugen und sich eine Identität zu geben, die bei genauerem Hinsehen immer wieder von Diskrepanzen und Spannungen durchsetzt ist und daher an seiner Glaubwürdigkeit mitunter zweifeln lässt. Auf diese Weise wird der aitiologische und epigrammhafte Charakter, der eigentlich durch seine identitätsstiftenden Elemente ein hohes Maß an Autorität vermitteln müsste, ironisiert und relativiert. Dieses Maß an Zweistimmigkeit und Inkongruenzen ist meiner Meinung nach ein Indikator dafür, dass die Stimme des von der Satire 1,8 suggerierten Sprechers Priapus immer wieder zwischen der des Fruchtbarkeitsgottes und der des satirischen Ichs changiert. Daher wird es im Folgenden von zentralem Interesse sein, zu untersuchen, ob sich diese These auch für den narrativen Hauptteil der Satire aufrecht erhalten lässt, und welche Stimme am Ende die Oberhand behält.

145 A. PETROVIC 2005, 31; MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 37.

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3.4.4 Die Begegnung mit den Hexen (V 17–45) Der zweite Teil meiner Analyse ist dem Bericht von der Begegnung des Priapus mit den beiden Hexen Canidia und Sagana gewidmet. Diese Hexenerzählung werde ich in zwei Abschnitte gliedern, die ich unter folgenden Aspekten untersuchen möchte: Im ersten Abschnitt (V 17–45) wird zu zeigen sein, wie der Erzähler zunächst hinter der Schilderung der magischen Handlungen fast völlig zurücktritt, dann aber durch eine ganze Kette satirischer Brüche die aufgebaute Spannung zunehmend unterminiert und versucht die Oberhand zu gewinnen. Dabei spiegelt sich in den Brechungen des Erzählers Priapus die Fragilität seines Kultbildes wider, wodurch die leitmotivische Thematik ‚Kultbild‘ dem Text Kontinuität verleiht. Im zweiten Abschnitt (V 46–50) werde ich mich hingegen mit dem überraschenden Ende der Satire 1,8 beschäftigen. Meine Hypothese ist, dass das Kultbild des Priapus letztlich ein Rollenkonstrukt ist, hinter dem sich das satirische Ich verbirgt. Daran anknüpfend ist schließlich zu zeigen, auf welche Weise der Autor Horaz dieses Kultbild zum idealen Medium seiner Satire erhebt. Während in den Versen 14–16 vom gegenwärtigen, positiv besetzten Standort die Rede war, berichtet der Sprecher in den folgenden Versen von seinem Kummer mit den Hexen, die des Nachts umherstreifen. Auf diese Weise wird zu einem neuen Abschnitt übergeleitet.146 Gestützt wird die Beobachtung durch die erneute Verwendung der ersten Person (cum mihi (…) curae sunt atque labori, V 17f.), wodurch deutlich wird, dass Priapus nun im Begriff ist, von einem eigenen Erlebnis zu erzählen. Er berichtet einleitend davon, dass ihm Diebe und wilde Tiere, die öfters diesen Ort heimsuchen (suetae), nicht so sehr Kummer und Sorgen bereiteten (V 17f.) wie die Frauen, die mittels Zaubersprüche und -tränke die menschlichen Sinne verdrehen (V 19f.). Gegen letztere habe er auch kein Gegenmittel, sodass er schließlich nicht verhindern könne (V 20f.), wenn sie bei Mondschein (V 21f.) Gebeine und Zauberkräuter suchten (V 22). Anhand dieser Einleitung wird deutlich, dass Priapus sich nicht unbedingt wie ein gewöhnlicher Priapus ‚benimmt‘, den man aus der römischen Literatur kennt: Während das Glied in den carmina Priapea eine große Bedeutung in seiner Wächter-Funktion einnahm und u.a. durch orale, vaginale oder anale Penetration als Mittel der Bestrafung für Eindringlinge in sein Territorium diente,147 kommt es hier trotz der eindeutig bedrohlichen Situation gar nicht zum Einsatz. Vielmehr beteuert der Sprecher sogar, dass er vor allem gegen die Hexen nichts ausrichten könne. Dies wird auch stilistisch im Text mittels doppelter Verneinung und Alliteration unterstrichen: has nullo perdere possum / nec prohibere modo. Auf diese 146 Zunächst wird in V 17 ein temporaler cum-Satz begonnen, der bis zur Penthemimeres in V 20 reicht (cum (…) sunt (…) humanos animos, V 17–20). Dieser Temporalsatz gehört zum Typus jener nachgestellten cum-Sätze, die ein neues Moment anschließen und die Erzählung weiterführen. Haupt- und cum-Satz sind dabei einander gegensätzlich zugeordnet. Siehe dazu KÜHNER–STEGMANN II 1962, 430, § 204, Anm. 2. Vergleiche auch SCHETTER 1971, 149. 147 Siehe z.B. priap. 11; 13; 22; 28; SHARLAND 2003, 105.

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Weise wird das in den Anfangsversen aufgezeigte Motiv der Macht bzw. Ohnmacht hier fortgeführt. Gleichzeitig wird durch diese Aussage eine Assoziation zu V 1 hergestellt. Man hat den Eindruck, dass der einstige Zustand der Nutzlosigkeit (inutile lignum) ungeachtet der handwerklichen Erhebung zum Gott im Grunde immer noch Geltung hat. Auch die anderen Attribute und phänotypischen Charakteristika, die im ersten Abschnitt aufgezählt wurden, wie die rechte Hand, die Diebe fernhält (fures dextra coercet, V 4), oder das Schilf auf seinem Kopf (V 6f.), erweisen sich als wirkungslos. Auf diese Weise wird die ambitionierte Selbstdarstellung als deus inde ego, furum aviumque maxima formido (V 3f.) außer Kraft gesetzt und die Grenzen seiner Macht aufgezeigt.148 Zugleich wird die implizierte Erwartungshaltung, die beim Leser gerade durch besagte Verse 3 und 4 geweckt worden ist, nicht erfüllt. Darin bestätigt sich erneut die Diskrepanz zwischen vorgespiegelter Macht (maxima formido) und tatsächlicher Ohnmacht (has nullo perdere possum / nec prohibere modo) die an der Autorität des Priapus zweifeln und ihn unglaubwürdig erscheinen lässt. Wie werden nun die potentiellen Eindringlinge charakterisiert? Der Sprecher selbst definiert sie zunächst als weibliche Wesen (quae, V 19; has, V 20), die mit unterschiedlichen Zaubermitteln gegen Menschen agieren (V 19f.). Damit werden magische Riten umschrieben, die mithilfe von carmina (Beschwörungen/Zauberformeln)149 und venena (Zaubertränke)150 am Standort des Priapus vollzogen werden, um menschliche Sinne zu verwirren.151 Aufgrund ihrer Handlungen kann man die Frauen also durchaus als Hexen bezeichnen, obwohl das Wort maga an keiner Stelle fällt. Das Umschreiben ihrer Handlungen anstelle des Aussprechens ihrer Bezeichnung könnte als weiteres Indiz für die Furcht des Priapus vor den Hexen gelten und das Motiv seiner Machtlosigkeit fortführen. Die Handlungen der Frauen werden durch die Verse 21f. zusätzlich konkretisiert. simul ac vaga luna decorum / protulit os (V 21f.) deutet an, dass die Zauberhandlungen der Frauen bei Mondaufgang ihren Anfang nehmen.152 Mondlicht war für magische Handlungen existentiell und generell ein wichtiges Element der Magie.153 Somit wird die Erzählung um eine weitere wichtige Zeit-Komponente erweitert: Nicht nur die Differenzierung in Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch in Tages- und Nachtzeit spielt nun eine Rolle und führt das Motiv des Zeitwandels fort. Denn während es erlaubt ist, bei Tageslicht auf dem sonnigen 148 SCHETTER 1971, 149; ANDERSON 1972, 9; STAHL 1974, 38; HILL 1993, 258; SCHLEGEL 2005, 95. 149 GOW 1972, 98; INGALLINA 1974, 79f.; GOWERS 2012, 272; vergleiche auch Hor. epod. 17,4. 150 INGALLINA 1974, 83; GOWERS 2012, 272. 151 versant (…) humanos animos als das Hauptmotiv der magischen Handlungen. Vergleiche BROWN 1993, 172. 152 SCHETTER 1971, 151. 153 Mondlicht wurde häufig auch mit Gottheiten wie Diana oder Hekate identifiziert. Siehe dazu; KIESSLING–HEINZE 1959, 140; SCHETTER 1971, 151; INGALLINA 1974, 85f.; BROWN 1993, 171. Vergleiche auch Verg. Aen. 4,513: falcibus et messae ad lunam quaeruntur aenis pubentes herbae.

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Wall spazieren zu gehen (nunc licet (…) aggere in aprico spatiari, V 14f.), finden zur Nachtzeit Zauberhandlungen am Aufstellungsort des Priapus statt. Quin ossa legant herbasque nocentis präzisiert die Intention der Hexen, zum ehemaligen Friedhof zu kommen: Sie wollen dort Knochen154 und schädliche Kräuter (Zauberkräuter155) sammeln. Die Knochen (ossa, V 22) verweisen erneut auf die ehemalige Funktion des Ortes als Nekropole.156 Aufgrund dieser unerwarteten Wende der Rede wird der Leser trotz der so positiv gemalten Örtlichkeit des Parks in die negativ behaftete Vergangenheit des Friedhofes zurückversetzt. Somit schillert der vom Sprecher erzeugte Handlungsraum am Scheidepunkt des epigrammatischen und narrativen Abschnitts der Satire durch die Faktoren Zeit und Raum und bildet eine Scharnierstelle mit mehrfachen völlig unerwarteten Wechseln. Mit vidi egomet leitet Priapus pathetisch seine Hexenerzählung daraufhin ein und versucht den Wahrheitsgehalt der vorigen Verse 17–22 wie der folgenden Aussagen sicherzustellen, indem er sich selbst als Augenzeuge bezeichnet.157 Gleichzeitig wird durch das Perfekt von vidi angedeutet, dass es sich bei dem Erlebnis um ein einmaliges Ereignis in der Vergangenheit handeln muss, das die einstmalige Friedhofsatmosphäre aktualisiert und letztlich durch den erfolgreichen Racheakt des Priapus endgültig beendet. Während Priapus in den Versen 17–22 nur allgemein angedeutet hatte, dass sein Aufstellungsort neben Dieben und wilden Tieren besonders von Hexen heimgesucht werde, werden diese Frauen in V 23–26 nun näher beschrieben. Es handelt sich dabei um Canidia, die zusammen mit ihrer größeren (maiore, V 25158) Begleiterin Sagana heulende Laute (ululantem, V 25) von sich gibt. Die Figuren der Sagana und vor allem der Canidia sind im Frühwerk des Horaz keine unbekannten Personen. Während Sagana nur einmal in den nach dem ersten Satirenbuch publizierten Epoden (ep. 5.25) auftritt, taucht Canidia an mehreren Stellen der beiden Frühwerke auf: ep. 3.8, ep. 5, ep. 17, sat. 2,1,48 und sat. 2,8,95.159 Auch dort spielen diese Figuren die Rolle der bösen Hexe, welche sie auch in unserer Satire 1,8 innehaben. Parallel zu den beiden Figuren Pantolabus und Nomentanus in V 11 wurde auch die Historizität der Canidia und Sagana aufgrund der Angaben der Scholias154 In der Magie spielten auch organische Bestandteile von Lebenden und Toten eine Rolle. Hexen sammelten die Knochen von Toten mit der Intention, dass sie durch deren Besitz die Geister der Toten kontrollieren konnten. Siehe hierzu GOW 1972, 98; INGALLINA 1974, 23. 155 venena und herba können sich teilweise begrifflich überdecken. Siehe dazu INGALLINA 1974, 83. 156 SCHETTER 1971, 149. 157 KIESSLING–HEINZE 1959, 140; BROWN 1993, 172; GOWERS 2012, 273. 158 Canidia scheint dennoch im Hinblick auf die folgenden Verse die dominantere der beiden Hexen zu sein. Siehe dazu KIESSLING–HEINZE 1959, 140; BROWN 1993, 172; GOWERS 2012, 274; Ps. Acro v. Schol. Hor. sat. 1,8,25 (Keller, S. 96); Porph. Hor. sat. 1,8,25 (Holder). 159 Vergleiche VILLENEUVE 1958, 92; GOW 1972, 98; BROWN 1993, 172; GOWERS 2012, 273. Besonders in Epode 5 wird die Boshaftigkeit der Hexe Canidia illustriert, indem beschrieben wird, wie Canidia aus dem Mark eines Knaben einen Liebeszauber braut.

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ten postuliert.160 Dass es sich bei den beiden um tatsächlich lebende Frauen gehandelt haben mag, die in enger Verbindung zum historischen Horaz standen, lässt sich aber anhand des vorliegenden Textes nicht bestätigen. Generell sollte man vorsichtig sein, den Text autobiographisch zu verstehen, weshalb ich Canidia und Sagana im Folgenden als weitere literarische Figuren in Horazens „SatirenKabinett“ ansehen möchte. Viel wichtiger als die Diskussion um die Historizität der beiden Hexen ist für meine Fragestellung der Anspruch der werkimmanenten Bekanntheit, der durch die Erwähnung der Canidia und Sagana für die beiden Figuren erhoben wird. Beide dienen dadurch erneut der Beglaubigung der Aussagen des Priapus und sollen den Schein der Realität des Erlebten wahren. Gleichzeitig wird der Leser durch ihre Charakterisierung als Hexen subtil vom literarisch konstruierten Raum ‚Garten‘ wieder zu dem des Friedhofs zurückgeführt. Durch ihr Eindringen in diesen abgegrenzten Raum, aber vor allem auch durch ihre Flucht zurück in die Stadt (V 47), welche ihr Herkunftsort zu sein scheint, werden literarische Gegenräume zum Aufstellungsort des Priapus konstruiert: a) Garten – Friedhof und b) Garten/Friedhof – Stadt. Während das ortsfeste Kultbild durch die Aufstellung an dem Garten/Friedhof seinen Anteil hat, kann es hingegen an der Stadt aus mangelnder Beweglichkeit keinen Anteil haben. Daher dürften ihm die Namen der beiden Frauen nicht bekannt sein. Die Nennung der Namen Canidia und Sagana, die im Werk des Horaz mehrfach vorkommen und dem kundigen Horaz-Leser bekannt sein dürften, sind analog zu Pantolabus und Nomentanus ein weiteres Indiz dafür, dass sich hier in der Stimme des Fruchtbarkeitsgottes das satirische Ich des Horaz zu Gehör bringt. In den Versen 23–26 versucht Priapus die Beglaubigung seiner Aussagen durch eine detaillierte Schilderung seiner visuellen Eindrücke zu untermauern, indem er die Kleidung der Canidia und das Aussehen beider Frauen illustriert. Canidia trägt einen schwarzen Mantel (nigra…palla, V 23) und kommt mit nackten Füßen und gelösten Haaren daher (pedibus nudis passoque capillo, V 24). Letztere Eigenschaft lässt sich wohl auf beide Frauen übertragen, auch wenn sie für Sagana nicht explizit erwähnt wird. Die Farbe Schwarz wurde besonders von den Unterweltsgottheiten bevorzugt, die im Folgenden angerufen werden sollen. Daher sind sowohl der Mantel (palla, V 23) der Canidia, als auch das Opfertier (agnam, V 27), das im Folgenden getötet wird, schwarz.161 Am Ende dieses Abschnittes wird explizit beiden Hexen eine Blässe zugeschrieben, die ihnen ein schauriges Aussehen verleiht (pallor utrasque / fecerat horrendas aspectu, V 160 Vergleiche dazu KIESSLING–HEINZE 1959, 140; GOW 1972, 98; BROWN 1993, 172; FINK 2000, 300. Siehe auch Ps. Acro v. Schol. Hor. sat. 1,8,25 (Keller, S. 96); Porph. Hor. sat. 1,8,23f. (Holder); Porph. Hor. sat. 1,8,25 (Holder). 161 Die Beschreibung des Aussehens der beiden Hexen ähnelt stark der der zaubernden Medea in Ov. met. 7,183: nuda pedem, nudos umeris infusa capillos. Siehe auch Serv. zu Aen. 4,518: in sacris nihil solet esse religatum und bei Ps. Demokrit war für eine Zauberhandlung solutis crinibus et nudo pede ausdrücklich vorgeschrieben (Colum. 11,3,64). Magische Handlungen mussten zudem mit nackten Füßen und gelöstem Haar verrichtet werden: denn, wer den anderen durch Magie binden will, soll selbst nicht gebunden sein. KIESSLING–HEINZE 1959, 140; INGALLINA 1974, 94; FINK 2000, 300.

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25f.). Diese muss besonders gut mit dem schwarzen Mantel oder der Dunkelheit der Nacht kontrastieren,162 sodass hier die Schaurigkeit nicht nur wörtlich durch horrendas in V 26, sondern auch bildlich durch eine Schwarz-Weiß-Malerei förmlich vor Augen geführt und illustriert wird. Doch nicht nur der visuelle Eindruck ist es, der diesem Abschnitt eine schaurige Atmosphäre verleiht, sondern auch die akustischen Reize, die mittels der geschilderten Kommunikation evoziert werden: Der Sprecher bezeugt gesehen zu haben (V 23), wie Canidia zusammen mit Sagana heult. Das ululare richtet sich an die Mächte der Unterwelt,163 sodass die beiden Hexen innerhalb des Textes eine Kommunikation mit einer ganz neuen Instanz, nämlich der Unterwelt, eröffnen. Gleichzeitig ahmt das Verb ululare das akustische Phänomen des Heulens durch seine klanglich als ähnlich empfundene Lautgestalt sprachlich nach und verleiht somit der Erzählung des Sprechers eine zusätzliche Spannungskomponente. Die narratio entwickelt an dieser Stelle eine gewisse „Hörspielwirkung“. Akustische Elemente beleben auf diese Weise das Bild der Erzählung, wobei der Erzähler immer mehr zurücktritt. Anschließend (V 26–29) schildert Priapus sehr detailliert die magischen Handlungen. Die Szene erinnert an eine Sequenz aus Homers Odyssee (11,1– 149), in der Odysseus einen Widder mit schwarzem Fell opfert und dessen Blut in eine Grube fließen lässt, um mit den Seelen der Toten sprechen zu können.164 Der Sprecher beschreibt demnach hier eine Form der Nekromantie.165 Das Blut des Lammes bildet dabei das Medium oder Lockmittel für dessen Adressaten: die manis (…) animas (V 29), die im Begriff sind, mit den beiden Hexen zu sprechen. Die beiden Magierinnen sind dabei die Adressanten, die mittels des Mediums Blut eines Opfertieres (pullam … agnam, V 27), Kontakt zu den Unterweltsgottheiten herstellen wollen. Die Adressaten (manis (…) animas, V 29) scheinen diese Signale auch dekodiert zu haben, da sie im Begriff sind, Antworten zu geben (responsa daturas, V 30).166 Da seinerseits Priapus hier die prospektive Kommunikation der Magierinnen nur beobachtet und erzählend wiedergibt, tritt seine Stimme hinter denen der Magierinnen und der Manen zurück. Dadurch, dass seine Stimme zwischenzeitig in der Erzählung aufgeht, manifestiert sich bereits an dieser Stelle der narratio erneut das Motiv der Machtlosigkeit. Das unterstreicht zum einen, dass Priapus seiner Rolle als deus und maxima formido nicht gerecht wird, und weist zum anderen auf das Ende der Erzählung voraus.

162 KIESSLING–HEINZE 1959, 140. 163 KIESSLING–HEINZE 1959, 140; BROWN 1993, 172. Vergleiche auch Medea in Ov. met. 7,190: ternis ululantibus ora solvit. Tib 1,2,47f.: Haec cantu finditque solum Manesque sepulcris / elicit et tepido devocat ossa rogo. 164 KIESSLING–HEINZE 1959, 140f.; LEJAY 1966, 212; BÜCHNER 1970, 156; GOW 1972, 99; RADSPIELER 1985, 244; BROWN 1993, 173; FINK 2000, 301; GOWERS 2012, 274. Vergleiche auch Homer, Od. 11,145–149. 165 VILLENEUVE 1958, 92; KIESSLING–HEINZE 1959, 141. 166 Zum Kommunikationsmodell siehe RÜPKE 2001 a, 24–30.

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Einen ersten Höhepunkt erreichen die magischen Handlungen durch den Einsatz einer Woll- und einer Wachspuppe, die auf einen Bindezauber (defixio167) verweisen. Die hier dargestellte defixio lässt sich der Kategorie des Liebeszaubers zuordnen, wie bei der Analyse der Handlungen und literarischen Prätexte ersichtlich wird.168 Bestandteil eines Liebesbindezaubers (lat. defixiones amatoriae, griech. φιλτροκατάδεσµοι169) konnte neben der Anrufung von Unterweltsgottheiten auch die Verwendung von kleinen, menschenähnlichen Defixionsfiguren170 sein, wie sie innerhalb dieser Satire beschrieben werden (lanea et effigies erat, altera cerea, V 30). Diese sind Teil eines hier geschilderten Analogiezaubers und stehen symbolisch für Dominanz und Unterwerfung. Die wollene Puppe soll dabei Canidia darstellen, der zuvor der aktivere Part der beiden Hexen zugeschrieben worden ist. Diese Figur wird auch im Text eindeutig als die dominantere gekennzeichnet. Sie ist größer (maior, V 30), besteht aus Wolle (lanea, V 30 und 31) und somit aus einem Material, dem ähnlich wie der Gottheit des Priapus eine apotropäische Funktion zugeschrieben wird.171 Sie ist diejenige, die die andere Figur straft (V 31). Demnach steht die wächserne Figur symbolisch für die Person, die durch diesen Zauber gefügig gemacht werden soll, aber innerhalb unseres Textes nicht näher spezifiziert wird. Sie wird im Gegensatz zur Wollpuppe als die unterwürfige Figur gekennzeichnet (inferiorem, V 31), die demütig bittend versucht, die Strafen (poenis, V 30) von sich abzuwenden. Das Material Wachs ist im Gegensatz zu Wolle das unbeständigere Material172, das den Bindezauber unterstützen sollte.173 167 Für eine bestimmte Art dieses Zaubers ist das Wort schließlich zum Terminus technicus geworden. Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Wirkung des Zaubers einem durchbohrenden Stich ähnelt und den betroffenen Menschen dadurch lähmt und seiner Kräfte beraubt. Siehe dazu KUHNERT 1901, 2373f. Vergleiche auch VILLENEUVE 1958, 92; LEJAY 1966, 212; VAN ROOY 1973, 80; INGALLINA 1974, 102; SCHÖNBERGER 1991, 280; GRAF 1996 a, besonders 110f., 115. 168 VILLENEUVE 1958, 92; KIESSLING–HEINZE 1959, 142; LEJAY 1966, 212; SCHÖNBERGER 1991, 280; BROWN 1993, 173; GRAF 1996 a, 110; FELGENTREU 1999, 272–274. 169 GRAF 1996 a, 161. 170 Man fand z. B. in einem attischen Grab im Kerameikos, das durch Vasenfunde um 400 v. Chr. datiert werden konnte, Überreste einer Schachtel, deren Deckel aus Bleifolie bestand und mit einer Namensliste von 9 Männern beschrieben war. In der Schachtel selbst befanden sich kleine Bleistatuetten, die u.a. mit einem deutlich männlichen Geschlecht und auf dem Rücken gefesselten Händen dargestellt waren. Diese Figuren wurden den Riten einer Gerichtsdefixion zugeordnet und bezeugen, dass nicht nur Texte, sondern auch gefesselte oder in anderen Fällen mit Nadel oder Nägeln durchbohrte (unterwürfig dargestellte) Figuren zu einem solchen magischen Ritus dazugehören konnten. Solche „Zauberpuppen“ lassen sich für den gesamten Mittelmeerraum nachweisen. Siehe dazu GRAF 1996 a, 122–124. 171 GOWERS 2012, 275. 172 Wachs wurde in Verbindung mit solchen magischen Liebesriten auch oft mit Nadeln o.ä. durchstochen. Vergleiche Ov. epist. 6,91f.: devovet absentis simulacraque cerea fingit, / et miserum tenuis in iecur urget acus oder Ov. am. 3,7,28–30: (…) num misero carmen et herba nocent, / sagave poenicea defixit nomina cera/et medium tenuis in iecur egit acus? Siehe auch BOTHE 1822, 366, GOW 1972, 99, INGALLINA 1974, 102 und insbesondere RÜPKE 2006 a,

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Diese Miniaturszene, der durchaus theatralische Züge zugeschrieben werden können,174 weist darüberhinaus intertextuelle Bezüge auf. Zum einen erinnert sie an Theokrits Idyll 2,1–63 (Φαρµακεύτριαι), in der gleichermaßen mitten in der Nacht bei Mondlicht zwei Frauen, Simaithia und ihre Sklavin Thestylis, einen magischen Ritus vollziehen, der den Geliebten der Simaithia, den jungen Daphnis, der sich anderen Liebschaften zugewandt hat, zurückbringen soll.175 Auch dort werden neben anderen Zauberpraktiken Defixionspuppen angewendet.176 Zum anderen lassen sich Ähnlichkeiten zu Vergils Ekloge 8,64–109 feststellen, in der Alphesiboeus davon singt, wie mit Hilfe der Magie (u.a. der Analogiezauber) Amaryllis ihren Daphnis zurückgewinnen kann (v.a. Verg. ecl. 8,80–90).177 Diese inhaltlichen Parallelen legen nahe, dass es sich auch bei der Zauberhandlung in unserer Satire 1,8 um einen Liebeszauber handelt, wie es bei Theokrit und Vergil eindeutig der Fall ist. Ein neuer Höhepunkt der Erzählung wird anschließend mit der Anrufung von Hekate178 und Tisiphone179 erreicht180 (Hecaten vocat altera, saevam / altera Tisiphonen, V 33f.). Die Herbeirufung beider Gottheiten kann aufgrund ihrer Funk-

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168, Abb. 17. Wachs wurde in diesem Kontext auch im Feuer zerschmolzen. Vergleiche Verg. ecl. 8,80–90. Siehe auch RADSPIELER 1985, 245. Siehe zur Deutung dieses Abschnittes: BOTHE 1822, 366; VILLENEUVE 1958, 92; KIESSLING– HEINZE 1959, 142; LEJAY 1966, 212; GOW 1972, 99; INGALLINA 1974, 101–103; SCHÖNBERGER 1991, 280; RADSPIELER 1985, 244f.; BROWN 1993, 171; SCHLEGEL 2005, 96; GOWERS 2012, 275. Siehe FELGENTREU 1999, 274–277. Siehe GRAF 1996 a, 159; Theokr. Id. 2,10: νῦν δέ µιν ἐκ θυέων καταδήσοµαι („Jetzt aber will ich ihn binden durch Zauber.“) Theokrit, Id. 2,28f.: ὡς τοῦτον τὸν κηρὸν σὺν δαίµονι τάκω, / ὢς τάκοιθ’ ὑπ’ἔρωτος ὁ Μύνδιος αὐτίκα ∆έλφις („So wie ich nunmehr dies Wachs mit Hilfe der Göttin zerschmelze, ebenso schmelze vor Liebe sogleich der Myndier Delphis.“) Siehe zur Intertextualität: RUDD 1966, 71; GOW 1972, 99; VAN ROOY 1973, 80; FELGENTREU 1999, 272–274. Hes. theog. 411–452; Hekate wird auch mit Artemis/Diana und Selene/Luna identifiziert. Siehe dazu Theokrit, Idyll 2,33 und RADSPIELER 1985, 245; INGALLINA 1974, 103f. Hekate war die höchste Gottheit und Schutzpatronin der römischen Magie, wurde von Zauberern und Hexen besonders nachts an Gräbern oder Weggabelungen (Dreiwege, daher auch ihr Beiname Trivia (FINK 2000,301)) für die Unterstützung des Gelingens ihrer Zauberpraktiken angerufen und taucht in diesem Kontext besonders häufig bei den Dichtern der augusteischen Zeit (mit Ausnahme des Properz) auf (siehe dazu INGALLINA 1974, 103; RADSPIELER 1985, 245; FINK 2000, 301; GOWERS 2012, 275; Verg. Aen. 4,510f.). Charakteristisch für diese Gottheit ist ihre Dreigestalt, die v.a. durch ihre drei Köpfe signifikant wird. Tisiphone ist neben Alecto und Megaira eine der drei Erinyen bzw. Furien (Laut Hesiod, theog. 161–185 soll Gaia die Erinyen geboren haben, nachdem der Titan Kronos seinen Vater Uranos mit einer Sichel entmannt hatte) und im Speziellen die personifizierte Rache (vergleiche KIESSLING–HEINZE 1959, 142; LEJAY 1966, 213; INGALLINA 1974, 105f.; RADSPIELER 1985, 245; FINK 2000, 301; GOWERS 2012, 275). Im Text ist sie durch das Attribut saevam (V 33) genauer spezifiziert. Die Anrufung weiblicher Gottheiten könnte bereits durch die Opferung eines weiblichen Lammes (pullam…agnam, V 27) im Text angedeutet worden sein. Siehe dazu RÜPKE 2006 a, 102.

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tionen in engem Zusammenhang mit den bereits geschilderten defixiones amatoriae gesehen werden. Beweis für die gelungene Anrufung der Hekate und Tisiphone ist das Erscheinen von Schlangen und Unterweltshündinnen181 (serpentis atque videres / infernas errare canes, V 34f.). Mit dem Erscheinen der beiden Unterweltsgottheiten wird zugleich ein neues Spannungsmoment innerhalb der Erzählung geschaffen. Der Wechsel der Sprechhaltung von einer deskriptiven Berichterstattung zu einer direkten Ansprache an den Leser (videres, V 34; Potentialis der Vergangenheit) und dessen daraus resultierende Einbeziehung in das Erlebte sollen der verstärkten Visualisierung und Beglaubigung des Erzählten dienen.182 Der angedeutete Dialog mit dem Leser wird hier besonders evident. Im Folgenden wird durch die Mondszene ein deutliches Kippmoment eingeleitet. Es entspricht der Gattung Satire, dass in Momenten höchster Spannung eine ganze Sequenz ironisierender Elemente die Erzählung unterlaufen und das komische Finale vorbereiten. Dementsprechend entwickeln die Verse der Satire, in denen geschildert wird, wie der Mond sich vor Scham hinter den großen Gräbern versteckt, um kein Zeuge dieser Ereignisse zu werden (V 35f.), ein hohes Maß an Ironie: Dem Mond wird im Allgemeinen eine hohe Wirkmacht v.a. bei erotischen Zauberhandlungen zugeschrieben. Er wird im magischen Akt symbolisch vom Himmel heruntergeholt.183 In diesem Falle ist der Mond aber bei Ansicht des Hexenzaubers von Scham ergriffen und versteckt sich hinter den Gräbern, um kein Zeuge dessen sein zu müssen. Damit erzeugen diese Verse einerseits einen Kontrast zwischen der Beweglichkeit des Mondes, der die Macht hat, sich diesen Zauberhandlungen zu entziehen (post magna latere sepulchra, V 36184), und der Unbeweglichkeit des Kultbildes des Priapus, der nicht über diese Macht verfügt.185 Zugleich scheint aber auch die Bewegungsfreiheit des Mondes die Macht der beiden Hexen erstmals in Frage zu stellen. Am dramatischen Höhepunkt der narratio erfolgt eine abrupte Durchbrechung der erzählerischen Illusion, die durch das at in V 37 eingeleitet wird. Priapus meldet sich dort mit einer emphatischen Selbstbeglaubigung zu Wort, indem 181 Während die Schlangen als Symbole der Furien gedeutet werden können, deren Haare, Arme und Gürtel mit Schlangen versehen waren und diese zu ihren charakteristischen phänotypischen Eigenschaften zählten, wurde Hekate typischerweise von ihren stygischen Hündinnen begleitet (Verg. Aen. 6,257f.: (…) visaeque canes ululare per umbram / adventante dea). Vergleiche KIESSLING–HEINZE 1959, 142; INGALLINA 1974, 103–107; RADSPIELER 1985, 245; BROWN 1993, 173; FINK 2000, 301; GOWERS 2012, 275f. 182 Vergleiche SCHETTER 1971, 154; SCHLEGEL 2005, 96. 183 Indem der Mond sich aus Scham hinter den Grabsteinen versteckt, spielt Horaz indirekt auf einen der bekanntesten Topoi der literarischen Magie in der griechisch-römischen Welt an: Das Herunterholen des Mond mit dem Ziel des Gelingens des erotischen Zaubers. Siehe dazu OGDEN 2002, 116 f. Für weitere literarische Bezüge zu diesem Topos siehe OGDEN 2002, Nr. 13f., 45, 65f., 68f., 89–92, 94, 96–104, 106, 155, 157, 214–23, 244. 184 Hier haben wir durch ein Hyperbaton wieder ein Beispiel für die kunstvolle Gestaltung des Textes, der den Inhalt des Gesagten durch Worte bildlich vor Augen führt. Die Handlung des Versteckens wird durch die Rahmung des latere zwischen magna und sepulchra wiedergegeben. 185 Siehe dazu KIESSLING–HEINZE 1959, 142; BROWN 1993, 173.

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er beteuert, dass ihm, wenn er lüge (V 37), die Raben auf den Kopf ‚scheißen‘ (V 37f.) und Iulius, Pediatia und der Dieb Voranus kommen mögen, um ihn zu ‚bepissen‘ und zu ‚bekacken‘ (V 38f.). An dieser Stelle bricht Priapus eindeutig aus seiner bisherigen Sprechhaltung aus. In der Struktur eines Eides186 bekräftigt er, nachdem der Mond sich als einziger Zeuge neben ihm aus Scham verweigert habe (V 35f.), dass er bei einer Lüge die Bereitschaft zeige, sich dem höchsten Maß an Selbsterniedrigung auszusetzen, die Mensch und Tier ihm zufügen könnten. Dabei verwendet er skatologische Begriffe wie merdis caput inquiner albis / corvorum (V 37f.) oder mictum atque cacatum (V 38), die in einem effektvollen, komischen Kontrast zu dem von Schauern und Spannung durchzogenen Bericht der vorigen Verse stehen.187 Paradoxerweise erscheint aus sprachlicher Sicht Priapus an dieser Stelle zum ersten Mal glaubwürdig und vollkommen dominant gegenüber der Stimme des satirischen Ichs zu sein, da in den Versen 37–39 keine stilisierten, kunstvoll ausformulierten Ausdrücke mehr vorzufinden sind, sondern dem Leser die unverhüllte Derbheit des Priapus entgegen prallt, wie sie auch in den carmina Priapea für ihn typisch ist.188 Zum ersten Mal sind also Sprache und Gottheit innerhalb der Satire kongruent. Aus inhaltlicher Sicht muss man allerdings sagen, dass durch die Verwendung der Fäkalsprache die Wirkung dieses Eides, der einer formkorrekten Sprache bedarf, abgeschwächt wird. Der Grundgedanke des ius iurandum (des „römischen Eides“) liegt darin begründet, dass der Schwörende die Götter anfleht, ihn zu unterstützen, wenn er die Wahrheit sage oder sein Wort halte. Wenn er aber, und da ergibt sich der Bezug zur Wahrheitsbeteuerung des Priapus, wissentlich einen Meineid schwöre oder den Versprechenseid breche, sollen ihn die Götter bestrafen.189 Genau in diesem letzten Punkt liegt auch der Unterschied zu unserer Eidformel des Priapus in den Versen 37–39. Nicht die Götter sollen ihn bei einer Falschaussage strafen, sondern Vögel (V 37f.) oder Menschen190 (V 38f.191), de186 STAHL 1974, 39; SCHLEGEL 2005, 97. Die Verwendung der ‚Gerichtssprache‘ und die folgende Einleitung der eidartigen Struktur werden meiner Meinung nach bereits durch den Begriff testis in V 36 angedeutet und eingeleitet. 187 KIESSLING–HEINZE 1959, 142; BÜCHNER 1970, 157; SCHETTER 1971, 153; SCHÖNBERGER 1991, 280; SCHLEGEL 2005, 97; GOWERS 2012, 276f. 188 Vergleiche priap. 3: Obscure poteram tibi dicere: 'da mihi, quod tu / des licet assidue, nil tamen inde perit. / (…) simplicius multo est 'da pedicare' Latine / dicere. quid faciam? crassa Minerva mea est; priap. 38,1–2: simpliciter tibi me, quodcunque est, dicere oportet / natura est quoniam semper aperta mihi… 189 Vergleiche STEINWENTER 1917, 1253; Polyb. 3,25. 190 HILL 1993, 259. 191 †Iulius† ist korrupt. Siehe dazu BORSZÁK 1984, 182. Iulius war einer der vornehmsten Gentilnamen dieser Zeit, der nicht dazu geeignet wäre, einen verdorbenen Menschen, der Kultbilder mit seinen Fäkalien beschmiert, darzustellen, sodass die von Wilamowitz vorgeschlagene Korrektur zu Ulius angemessener wäre. Vergleiche dazu KIESSLING–HEINZE 1959, 142; FINK 2000, 301. Nach den Scholiasten gab es einen römischen Ritter namens Pediatus, der mit der Zweideutigkeit seines Geschlechtes (Travestie) spielte und sich zur Unzucht missbrauchen ließ. Daher wird ihm an dieser Stelle auch die feminine Endung seines Namens beigegeben.

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nen gegenüber er sich zunächst am Anfang des Textes als furum aviumque / maxima formido (V 3f.) präsentiert hatte und die ihm im Vergleich zu den Hexen keine größere Sorge bereiteten (V 17f.). Aus der Sicht des Priapus zeigt die Bereitschaft, sich als Gottheit Vögeln und der Willkür von Menschen zu unterwerfen, zunächst erneut den Versuch, seine Aussagen tatkräftig zu untermauern. Allerdings spiegeln sich in diesem Adynaton der unterwürfige Charakter des Priapus und damit auch das Motiv seiner Machtlosigkeit wider, die die Wirkkraft seines Schwures in Frage stellen. Somit wird gerade der Moment, in dem Priapus zum ersten Mal wirklich mit dem Sprecher kongruent zu sein scheint und mit dem höchsten Maß an Glaubwürdigkeit aufwarten will, satirisch untergraben. Der Durchbruch der ‚eigentlichen‘ persona des Priapus ist allerdings nur ein Zwischenspiel, da der Sprecher in den Versen 40–45 von der skatologischen zu seiner alten, stilisierten Sprechhaltung zurückkehrt und die Erzählung mit seinen weiteren Ausführungen auf ihren endgültigen Höhepunkt führt. Als ob er die Wahrheit seiner Erzählung nochmals unterstreichen wollte, leitet er die Sequenz (memorem, V 40) mit einer rhetorischen Frage ein,192 von der in den nachfolgenden Versen drei weitere indirekte bzw. rhetorische Fragen abhängen:193 Durch quo pacto … triste et acutum (V 40f.) wird von der Zwiesprache zwischen Sagana und den umbrae berichtet. Dabei wird ein Bezug zu den Versen 28f. hergestellt, in denen die Hexen das Blut eines geopferten Lammes in eine Grube fließen ließen, um auf diese Weise die Manen bzw. Totengeister anzulocken. Die Verwendung des Imperfekts resonarent bestätigt nicht nur die erfolgreiche Herstellung der Kommunikation, sondern verstetigt diese zu einem längeren Dialog. Die zusätzliche Präzisierung der Antwort durch triste et acutum intensiviert die akustische Dimension194, die bereits mit ululantem in V 25 zu Gehör gebracht wurde. Darauf wird zunächst berichtet, wie die beiden Hexen Wolfsbart (lupi barbam, V 42) und den Zahn einer bunten Schlange (variae cum dente colubrae, V 42) insgeheim (furtim, V 43) in der Erde vergraben (abdiderint (…) terris, V 43).195 Im gleichen Atemzuge wird erwähnt, wie die Wachsfigur (imagine cerea,

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Vergleiche dazu VILLENEUVE 1958, 93; KIESSLING–HEINZE 1959, 143; STAHL 1974, 36; RADSPIELER 1985, 246; SCHÖNBERGER 1991, 280; Porph. Hor. sat.1,8,39 (Holder); der furque Voranus soll nach dem Scholiasten Porphyrios ein Freigelassener des Q. Lutatus Catulus und ein sehr diebischer Mensch gewesen sein. Vergleiche VILLENEUVE 1958, 93; KIESSLING– HEINZE 1959, 143; SCHÖNBERGER 1991, 280; GOWERS 2012, 277; Porph. Hor. sat.1,8,39 (Holder). BROWN 1993, 174. Siehe zur Gliederung der praeteritio SCHETTER 1971, 155. LEJAY 1966, 214; GOWERS 2012, 277f. Beide Gegenstände können als Prophylaxe zur Abwehr von Gegenzaubern gewertet werden, wobei v.a. dem barba lupi genau wie dem Material Wolle, wie schon in Bezug auf die Defixionsfiguren gezeigt werden konnte, in der Antike ein hohes Maß an apotropäischer Wirkung beigemessen wurde. Vergleiche VILLENEUVE 1958, 93; KIESSLING–HEINZE 1959, 143; RUDD 1966, 71; LEJAY 1966, 214; INGALLINA 1974, 107f.; RADSPIELER 1985, 246; SCHÖNBERGER 1991, 280; GOWERS 2012, 278; Plin. nat. 28,157: veneficiis rostrum lupi resistere inveteratum aiunt ob idque villarum portis praefigunt.

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V 43196) das Feuer, in das sie geworfen worden ist, anfacht und aufflammen lässt (largior arserit ignis, V 44). Dadurch werden die akustischen Momente der Erzählung durch den visuellen Aspekt des Feuers ergänzt.197 Letztlich wird in den Versen 44f. die praeteritio endgültig abgeschlossen. Der Sprecher schildert, wie er als „nicht ungerächter Zeuge“ vor den Stimmen der Furien und den Zauberriten der beiden Hexen erschauert ist. Dabei bildet der Ausdruck non testis inultus in Korrespondenz zum vidi egomet in V 23, mit dem die Hexenerzählung eingeleitet worden ist, den Rahmen der Handlung und schließt sie somit ab.198 Mit dieser heroischen Apposition zu Priapus wird auf das Finale der narratio vorverwiesen, indem suggeriert wird, dass die Zauberpraktiken der beiden Magierinnen nicht ungestraft bleiben werden. Allerdings wird der Leser dann im nächsten Vers durch das retardierende Moment horruerim und den Wendepunkt, der im Enjambement folgt, überrascht: Entgegen der Ankündigung resultiert zunächst in erster Linie Furcht und Schrecken aus den Stimmen der Furien und den Handlungen der Hexen (V 45).199 Dabei wird das sprechende Kultbild erstmals aus seiner Beobachterrolle herausgeholt und zu einer emotionalen Reaktion aktiviert. Hatte es sich selbst in V 4 noch als maxima formido präsentiert, so ist es nun selbst von dieser besetzt. Durch diesen Widerspruch gerät die Autorität des Priapus endgültig ins Wanken.200 Zudem bestätigt das ironische Spannungsverhältnis von einem non testis inultus und horruerim voces Furiarum wiederum die Machtlosigkeit des Priapus, die besonders in den Versen 20f. angedeutet wurde. Auf diese Weise wird die tatsächliche Impotenz des statuarisch so potenten Priapus zu einem Höchstmaß getrieben. Darüberhinaus wird zum einen 196 imago in V 43 ist ein noch stärkerer Begriff für ein menschliches Abbild als effigies in V 30, das mitunter auch göttliche Abbilder meinen kann. Siehe zur Begrifflichkeit ESTIENNE 2010, 257–271. 197 Nach dieser Darstellung und Meinung vieler Kommentatoren sollte somit wohl der zu bindende Liebhaber auf die gleiche Art wie das Wachsbild umkommen oder dessen Herz geschmolzen werden. Vergleiche KIESSLING–HEINZE 1959, 143; RUDD 1966, 71; LEJAY 1966, 214; BROWN 1993, 174; FINK 2000, 301.Auch dieses Motiv hat einen intertextuellen Bezug zu Theokrits Idyll 2,28–29, in dem Simaithia im Zuge ihres Liebeszaubers analog zum Herz ihres Geliebten Wachs zum Schmelzen bringt. Nach GRAF (GRAF 1996 a, 160f.) bedeutet allerdings die Zerstörung der Defixionsfigur die Auflösung und daraus resultierende Wirkungslosigkeit des Zaubers. Somit lässt sich neben der Dominanz des satirischen Ichs in der Stimme des Erzählers auch an dieser Stelle ablesen, dass Horaz literarische Tradition über Realien stellt. 198 HILL 1993, 259. 199 ANDERSON 1972, 9; BROWN 1993, 174; GOWERS 2012, 278. O’CONNOR 1989, 86 sieht in horruerim eine ambivalente Bedeutung. Neben der Furcht kann horrere auch die Starre des erregten Phallus meinen, wodurch horruerim in Hor. sat. 1,8,45 ein indirekter Bezug zu Priapus‘ erigierter mentula, mit der er Eindringlinge bestrafte, wäre, sodass es neben non testis inultus einen weiteren, latenten Hinweis auf das Ende darstellen würde. Allerdings würde meiner Meinung nach mit dieser Bedeutung das ironische Spannungsverhältnis zwischen non testis inultis und horruerim voces Furiarum verloren gehen, was der Szene an Witz nehmen würde. Nichtsdestoweniger scheint die Ambivalenz an dieser Stelle vom Autor gewollt zu sein. 200 SCHLEGEL 2005, 99.

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das Machtpotential des Mediums Stimme und der Kommunikation besonders evident und zum anderen das Machtverhältnis von normativem Kult (repräsentiert durch das Kultbild des Priapus) und der Magie karikiert, sodass die praeteritio „singula quid memorem?“ das Finale der Erzählung vorbereitet. 3.4.5 Das Finale – Die Masken fallen (V 46–50) Im letzten Abschnitt der Satire möchte ich zeigen, auf welche Weise der Satiriker Horaz das Kultbild des Priapus zum Medium seiner Kommunikation mit dem Leser werden lässt und welche entscheidende Rolle dem Furz des Fruchtbarkeitsgottes dabei zukommt. Die entscheidenden Konsequenzen aus dem horruerim werden durch ein erläuterndes nam in Vers 46 eingeleitet. Priapus illustriert daraufhin in drastischer und anschaulicher Weise, wie ihm aufgrund der in ihm erwachsenen Angst und der nicht mehr zu steigernden Anspannung ein Furz (pepedi, V 46) entfährt.201 Dieser hat eine so durchschlagende Wirkung, dass es dem Kultbild die „Hinterbacken zerreißt“ (diffissa nate, V 47).202 Das Geräusch, das dabei entsteht, vergleicht er mit dem Platzen einer Blase (displosa sonat quantum vesica, pepedi, V 45). Diese Laute werden auch im Text vor allem durch die Verwendung von f-, pund s-Lauten hörbar gemacht: nam displosa sonat quantum vesica pepedi / diffisa nate ficus, was parallel zum ululantem in V 25 als Onomatopoesie bezeichnet werden kann und somit den entscheidenden Moment der Erzählung hörbar werden lässt.203 Durch den beschriebenen Effekt in Bezug auf das Kultbild in V 47 und das Hörbarwerden dieses Geräusches mithilfe von sprachlichen Stilmitteln wird dem Leser die mächtige Wirkkraft dieses Furzes eindringlich verdeutlicht. Welche Wirkung dieser auf den weiteren Verlauf der Erzählung hat, wird in den folgenden Versen in einem Moment der Peripetie evident, der die komplette Handlung auf den Kopf stellt. Die Furcht des Priapus schlägt unvermittelt in die Angst der beiden Magierinnen vor diesem lauten Knall um. Eilig fliehen sie daher in die Stadt

201 SCHETTER 1971, 158. 202 Aus physikalischer Sicht handelt es sich bei dem hier genannten Furz um keinen tatsächlichen. Vielmehr lässt er sich auf das Geräusch zurückführen, das entsteht, wenn Holz bei hoher Hitze zu bersten beginnt. Da bei den Zauberriten der Canidia und Sagana auch Feuer zur Anwendung kam, das durch das Hineinwerfen der wächsernen Defixionspuppe noch angefacht wurde (imagine cerea / largior arserit ignis, V 43f.), kann man sich gut vorstellen, dass dieser Vorgang für das Bersten des Feigenholzes ausschlaggebend gewesen ist, woher sich das diffissa nate letztlich erklären würde. Somit schillert der Furz zwischen einem menschlichem Verdauungsgeräusch im Zuge der Anthropomorphisierung des Kultbildes und dem Resultat eines physikalischen Prozesses. Siehe dazu HILL 1993, 258; SCHMIDT 1995, 139. 203 Ein ähnliches Bild lässt sich auch bei Lukrez wiederfinden, wo das Donnern bei einem Gewitter mit dem Effekt einer platzenden Blase verglichen wird. Lucr. 6,130f.: nec mirum, cum plena animae vesicula parva / saepe ita dat parvum sonitum displosa repente. Vergleiche KIESSLING–HEINZE 1959, 143; SCHETTER 1971, 158; GOWERS 2012, 278.

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(V 47).204 Auf ihrer Flucht offenbaren die beiden Frauen ihre wahre Identität, indem zum einen Canidia ihre Zähne (V 48), zum anderen Sagana ihre Perücke verliert (V 48f.205) und beiden die Zauberkräuter und magischen Binden206 aus den Händen fallen (V 49f.). Letztlich handelt es sich bei den beiden Gestalten doch nur um zwei armselige Frauen, deren Hexenfassaden, die in den vorherigen Versen in der Erzählung aufgebaut worden sind, durch den Furz zum Einsturz gebracht worden sind.207 Besonders evident wird dies anhand der verwendeten Stilistika. Die Zähne, die der Canidia aus dem Mund fallen (dentis, V 48), erinnern an den Schlangenzahn (dente colubrae, V 42), der als Apotropaion in der Erde vergraben worden ist, während man mit der Perücke der Sagana (caliendrum, V 48) den bereits erwähnten Wolfsbart (lupi barbam, V 42) assoziieren kann. Darin spiegeln sich wiederum die von den beiden Frauen evozierten Gottheiten wider, deren Kommen durch das Erscheinen von stygischen Hündinnen (infernas (…) canes, V 35) und Schlangen (serpentis, V 34) signalisiert worden ist. Gerade der Verlust der Zähne und der Perücke bei den beiden Frauen deutet auf die komplette Aufgabe und den Verlust ihrer Rollen als Hexen hin. Somit wird das schaurige Bild ihrer phänotypischen Eigenschaften, das vor allem in den Versen 23–26 erzeugt worden ist, zugleich stark kontrastiert und letztlich vollends aufgehoben.208 Ein Furz ist also die Form der Rache, die bereits in V 44 durch das non testis inultus angedeutet worden ist. Die Spannung, die sich bis dahin sukzessive aufgebaut hatte, wird kurz und knapp durch das pepedi in V 46 gelöst. Hatte der Sprecher in V 19–21 betont, dass er nichts gegen die Hexen ausrichten könne (V 20f.), steht diese Aussage nun im Widerspruch zum Ende der Erzählung. Der Furz und die daraus resultierende Enttarnung der Hexenmaskerade sowie die Flucht der beiden Frauen führen zu einem dramatischen Rollentausch innerhalb der Satire, indem der Machtbereich des Sprechers Priapus durch die zurückgewonnene Wächterfunktion wieder hergestellt worden ist. Die beiden Frauen hingegen, deren Machtlosigkeit nun offenbar wird, werden durch ihre überstürzte Flucht dem Gelächter preisgegeben (cum magno risuque iocoque videres, V 50), sodass der ganzen Racheaktion zum Ende eine komische Pointe beigefügt wird, wie es für die Gattung Satire üblich ist.209

204 Man vergleiche auch die antithetische, kontrastierende Wirkung des Verses 47: Der Sprecher furzt in Folge seiner eigenen Angst (pepedi / diffissa nate ficus, V 47), aber (at) dennoch sind es die Hexen, die fliehen. 205 Caliendrum meint hier eine Perücke bzw. ein falsches Haarteil. Siehe BOTHE 1822, 367; KIESSLING–HEINZE 1959, 144; GOW 1972, 100. 206 Bei den incantata vincula handelte es sich um verzauberte Bänder mit unterschiedlichen Farben, die den Defixionspuppen mitunter umgelegt wurden. Siehe dazu BOTHE 1822, 367; VILLENEUVE 1958, 93; KIESSLING–HEINZE 1959, 144; LEJAY 1966, 229; GOW 1972, 100; BROWN 1993, 174; Veneris vincula auch bei Verg. ecl. 8,78. 207 Das Motiv der Demaskierung hat laut Horaz in ähnlicher Form wohl schon bei Lucilius stattgefunden. Vergleiche dazu Hor. sat. 2,1,62–65. 208 SCHETTER 1971, 158f. 209 RUDD 1966, 72; HABASH 1999, 294; FELGENTREU 1999, 278 sieht auch hier den Bezug zur Alten Komödie.

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Pepedi ist neben der Angstbekundung das einzige und gleichzeitig auch entscheidende Mal, dass der Sprecher Priapus aus seiner passiven Beobachterposition heraustritt und in die Erzählung aktiv eingreift.210 Nach der expliziten Beglaubigung in V 37–39 wird er hier erneut innerhalb seiner eigenen narratio hörbar gemacht. Die Anthropomorphisierung des Kultbildes wird auf diese Weise auf einen Höhepunkt getrieben, indem der sprechende Priap unerwartet zum Handlungsträger wird.211 Dabei sorgt besonders die Ambivalenz zwischen einem menschlichen Verdauungsgeräusch und einem physikalischen Prozess für ein komisches Überraschungsmoment. Die abrupte Beeinflussung des Plots durch den Gott wirkt wie ein deus ex machina, der in dramatischen Aufführungen der Handlung durch sein plötzliches Erscheinen neue Impulse verleihen oder sie aber auch zum Ende führen konnte.212 Allerdings lässt sich die Vertreibung der Hexen nicht mit der Macht von Priaps numen erklären, sondern vielmehr mit dem Verlust der Kontrolle über die anale Muskulatur infolge seiner Furcht, die für ein komisches Moment sorgen musste.213 Dies führt uns wiederum zum Anfang der Satire zurück,214 in dem sich Priapus selbst als truncus ficulnus und inutile lignum (beides V 1) vorgestellt hatte. Dieses Motiv lässt sich auch am Ende des Textes wiederfinden: der Sprecher Priapus bezeichnet sich dort nämlich als pepedi / diffissa nate ficus und macht somit wie zu Anfang darauf aufmerksam, dass er aus Feigenholz besteht, und offenbart nun durch die Erwähnung der geborstenen Hinterbacken die Brüchigkeit seines Materials. HALLETT215 hält sowohl das Wort ficulnus in V 1 als auch ficus in V 47 für sexuell belegte Wörter, mit denen der Römer den menschlichen Anus verbunden hat. Da Priapus normalerweise diejenigen, die in den von ihm bewachten Garten eindringen wollten, u.a. mit analer Penetration durch sein übergroßes Glied bestraft hat und zusätzlich in dem Priapeum Anth. Pal. 16,240 eine Feigenfrucht (ἰσχάς) mit einem durch den Phallus penetrierten Anus identifiziert werden kann, kann ihrer Meinung nach das Attribut ficulnus in V 1 unterschwellig bereits dort auf das Ende der Satire hingewiesen haben. Ich denke, dass diese These auch aufgrund der von mir aufgestellten Beobachtungen durchaus aufrecht erhalten werden kann. Paradoxerweise spiegelt sich somit in der Rache des Priapus seine eigentliche Machtlosigkeit am deutlichsten wider. In den carmina Priapea bestraft Priapus unerlaubte Eindringlinge mit analer, vaginaler oder oraler Penetration durch seinen übermäßig großen Phallus.216 Trotz dessen Erwähnung im vorliegenden Text (V 5) kommt der Phallus innerhalb der Satire nicht zum Einsatz. Stattdessen erfolgt die Vertreibung der Hexen auf umgekehrtem, analem Wege und als Resultat 210 211 212 213

GOWERS 2012, 278f. Vergleiche SCHMIDT 1995, 139. MONTELEONE 1992, 24; ZIMMERMANN 1997, 490. RUDD 1966, 72; ANDERSON 1972, 13; HABASH 1999, 294; WELCH 2001, 185; SCHLEGEL 2005, 98. 214 RUDD 1966, 72. 215 HALLETT 1981, 341–347. 216 Siehe z.B. priap. 11; 13; 22; 28, 51; 69; SHARLAND 2003, 105.

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seiner Angst.217 Damit ist das numen dieses Gottes auf einen Furz reduziert218 und wird hier gar in Form einer Travestie karikiert. Auch der Furz selbst lässt sich als parodistische Epiphanie deuten. Die Erzeugung von Gerüchen gehörte zwar zu den festen Komponenten antiker Rituale, da Frömmigkeit vor allem riechbar war. Allerdings handelte es sich dabei um Wohlgerüche,219 die für das Erscheinen einer Gottheit signifikant waren. Auf diese Weise wird die Figur des Priapus, wie man sie aus anderen literarischen Texten kennt, zusätzlich ins Gegenteil verkehrt. Der Punkt, der insbesondere dafür spricht, dass das Rollenkonstrukt des Priapus nicht bis zum Ende der Satire aufrecht erhalten wird und sich dahinter das satirische Ich verbergen muss, zeigt sich am Ende des Textes (V 48–50). Bezeichnenderweise fällt dabei der Zeitpunkt der Selbstentlarvung mit dem innertextlichen Tausch der Machtverhältnisse zwischen Priapus und den Hexen zusammen. In der Demaskierung der Hexen lässt sich nämlich das von der Forschung oftmals herauskristallisierte und als programmatisch verstandene „Motto“ der sermones, welches in Hor. sat. 1,1,24f. zum Ausdruck kommt, wiedererkennen: quamquam ridentem dicere verum / quid vetat.220 Das Ziel der Horazischen Satire „lachend die Wahrheit zu sagen“, das auch an anderen Stellen seines Werkes reflektiert wird,221 wird im vorliegenden Text szenisch umgesetzt. Die Wahrheit offenbart sich in der Demaskierung der Hexen (V 48f.), die auf diese Weise dem Gelächter preisgegeben werden, aber auch in der des Sprechers Priapus, der seine Rolle als Fruchtbarkeitsgott durch diese typisch horazsatirische Pointe seiner Hexenerzählung vollends dekonstruiert und sich damit als das satirische Ich des Autors Horaz entlarvt. Der scherzhafte Charakter, der das Lachen (ridentem) hervorruft, zeigte sich über die ganze Satire hinweg − von der widersprüchlichen Selbstvorstellung des Sprechers Priapus über die spektakuläre Inszenierung der Hexenerzählung, die an der Autorität eines Erzählers wie Priapus in hohem Maße zweifeln ließ, bis zum enttarnenden Furz des Kultbildes. Somit resultiert das ridentem in der Satire 1,8 aus dem dicere verum. Gleichzeitig lädt der Sprecher den Leser dazu ein, an dem Lachen teilzuhaben, indem er ihn wie in V 34 direkt anspricht (videres, V 50).222 217 218 219 220

HALLETT 1981, 341–347; WELCH 2001, 185; SCHLEGEL 2005, 99; GOWERS 2012, 278f. WELCH 2001, 185. GLADIGOW 1988, 99. Siehe dazu WILI 1948, 81; STAHL 1974, 28; ALBRECHT 1986, 168; LEFÈVRE 1993, 89; HILL 1993, 261; SCHMIDT 1995, 137; HOLZBERG 2009, 66. 221 Hor. sat. 1,10,14f.: ridiculum acri / fortius et melius magnas plerumque secat res. Siehe dazu ALBRECHT 1986, 172. Hor. ars 338: ficta voluptatis causa sint proxima veris. Siehe dazu RADSPIELER 1985, 244. 222 Beachtenswert ist an dieser Stelle besonders die Erwähnung cum magno risuque iocoque videres (V 50). Denn diese Iunktur taucht in ähnlicher Form bereits an anderer Stelle des ersten Satirenbuch des Horaz auf: In sat. 1,5 berichtet das satirische Ich im Zuge der Schilderung seiner Reise nach Brundisium von seiner vorletzten Station Gnatia. Dort macht sich seine Reisegruppe über ein stolz präsentiertes Weihrauchwunder lustig und gibt es der Lächerlichkeit preis. Vergleiche dazu Hor. sat. 1,5,97–100: (…) dein Gnatia Lymphis / iratis extructa dedit risusque iocosque, / dum flamma sine tura liquescere limine sacro / persuadere cupit. Dem wörtlichen Zitat entspricht die inhaltliche Parallele, da in beiden Satiren unterschiedli-

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Das Lachen soll sich dabei hauptsächlich auf die beiden Magierinnen richten. Allerdings handelt es sich hier, wie für die Horazischen Satiren üblich, um kein verspottendes Lachen mit dem Ziel, die beiden Hexen an den Pranger zu stellen oder gesellschaftlich zu ächten.223 Vielmehr gilt es Canidia und Sagana zu entzaubern, zu entmachten und sie lediglich als alte, furchtsame Weiber mit Gebiss und Perücke zu offenbaren. Dies lässt sich, wie SCHMIDT gesehen hat, auch an dem Motiv ihrer Flucht erkennen, die keiner Vertreibung gleichkommt, sondern eher einer Integration oder Rückholung in die Gesellschaft, was durch das at illae currere in urbem (V 47) signifikant belegt werden kann.224 In dieser Art und Weise, Lachen zu erzeugen, spiegelt sich nunmehr eindeutig am Ende der Satire das satirische Ich im Kultbild des Priapus wider. Wurde in den Versen 1–7 die fiktive Identität eines Sprechers namens Priapus erzeugt, beginnt diese Fassade im Laufe der Erzählung vor allem in Ermangelung an Glaubwürdigkeit, sexueller Potenz und Macht zu bröckeln, bis sie schließlich, initiiert durch einen Furz, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann und sich hinter dem Rollenkonstrukt des Priapus das satirische Ich offenbart.225 Auf diese Weise spielt das Motiv der Selbstpräsentation am Anfang und zum Ende des vorliegenden Textes eine entscheidende Rolle. Zwar versucht der Sprecher Priapus seine Identität durch die ficus in V 47 aufrecht zu erhalten. Jedoch gewinnt die Stimme des satirischen Ichs schließlich doch die Oberhand.226 Letztlich betont der Furz das abrupte und überraschende Ende der Satire. Die Erzählung suggeriert zwar, dass er durch äußere Umstände bei Priapus hervorgerufen wurde, doch letztlich ist es der Satiriker selbst, der dadurch das Kippmoment der Handlung einleitet und die Satire einem schnellen Ende zuführt. In einem Moment, in dem der Fruchtbarkeitsgott am unkontrolliertesten ist, wird die verbale Dominanz des satirischen Ich also am stärksten. In diesem kurzen, aber den Augenblick der Peripetie und der Enttarnung einleitenden Moment der Erzählung spiegelt sich gleichermaßen das von Horaz angestrebte Prinzip der Kürze (brevitas) wider, durch die sich die Horazische Satire u.a. von der des literarischen Vorgängers Lucilius absetzt. Dieses schon typisch kallimacheische Ideal zeigt sich nicht nur in dem Furz selbst oder in der Kürze der kompletten Satire 1,8 generell (mit 50 Versen die zweitkürzeste Satire im gesam-

223

224 225 226

che Formen des Aberglaubens scherzhaft verlacht werden (FELGENTREU 1999, 261f.; ANDERSON 1972, 13). Diese evidenten Bezüge können nur vom satirischen Ich hergestellt werden. Dies wäre gar nicht so abwegig, da in den 30-er Jahren v. Chr., also im Entstehungszeitraum der Satiren, Vertreibungen von Hexen, Magiern und Astrologen durch Octavian und Agrippa mit Hilfe des Maecenas stattfanden. Siehe dazu ANDERSON 1972, 7; INGALLINA 1974, 18–22; FELGENTREU 1999, 263; Hor. sat. 1,4,78–85; Hor. sat. 2,1,39–42. WILI 1948, 81; SCHMIDT 1995, 139. FELGENTREU 1999, 274–281 hat bereits auch die theatralischen Züge innerhalb der Satire 1,8 erkannt. Er interpretiert Priapus als Maske des satirischen Ichs. Vor allem HABASH 1999, 285–297 hat in ihrem Aufsatz „Priapus: Horace in Disguise?“ (und in Anlehnung an HABASH auch SHARLAND 2003, 97–109) versucht autobiographische Züge der historischen Person des Horaz hinein zu interpretieren. Ich finde die Gleichsetzung des satirischen Ichs und der historischen Person des Horaz problematisch und ziehe es daher vor von der Identitätsstiftung des satirischen Ichs des Horaz zu sprechen.

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ten ersten Satirenbuch),227 sondern kann auch in sat. 1,5 beobachtet werden. Dort bietet das satirische Ich dem Leser einen ähnlich unerwarteten Schluss, indem es das Ende des Papieres gleichzeitig zum Ende der Reise nach Brundisium avancieren lässt (Brundisium longae finis chartaeque viaeque est, V 104). Gemeinsam mit der ähnlichen Iunktur in sat. 1,5 (risusque iocosque, V 98; magno risuque iocoque, sat. 1,8, V 50) könnten diese Enden als markante Lachpausen bzw. Lesezeichen innerhalb der einzelnen Satiren gewertet werden. Offenbar lässt sich eine Kontinuität innerhalb des ersten Satirenbuches hinsichtlich dieses Motives feststellen. Um diese These zu bekräftigen, sollen im folgenden Kapitel die Satiren 1,7 und 1,9 untersucht werden, die den vorliegenden Text einbetten. 3.4.6 Die Einbettung der Satire 1,8 Zur Untermauerung meiner These soll im Folgenden die Perspektive erweitert und die Einbettung der Satire 1,8 im ersten Satirenbuch des Horaz untersucht werden. Anknüpfend an die in der Forschung vielfach nachgewiesene Triadenstruktur des ersten Satirenbuches und der Zusammengehörigkeit der Satiren 1,7–9,228 möchte auch ich mich auf die meinen Text umrahmenden Satiren 1,7 und 1,9 konzentrieren. In diesem Abschnitt soll untersucht werden, wie sich der Sprecher innerhalb dieser drei Satiren von einem objektiven Erzähler der dritten Person zu einem Dialog sprechenden Ich-Erzähler entwickelt und welche Position dabei die Satire 1,8 einnimmt. Weiterhin soll durch den Vergleich ähnlicher Motive wie das der Rache, der Macht und des abrupten Endes sowie die Demonstration der verknüpfenden Überleitungen zwischen allen drei Satiren gezeigt werden, dass es sich bei dem Sprecher der Satire 1,8 nur um das satirische Ich selbst handeln kann. In sat. 1,7229 beschreibt das satirische Ich in der dritten Person einen Rechtstreit zwischen dem ehemaligen Praetor Rupilius Rex und dem wohlhabenden, halbgriechischen Geschäftsmann Persius, in dem Brutus, der Statthalter von Asia minor und Caesar-Mörder, den Vorsitz hat. Nachdem Persius im witzigen Wortschwall seine Sache wiedergegeben (salso multoque fluenti, V 28) und dafür stürmische Heiterkeit beim Publikum erregt hat, trägt der eher grobe Rupilius Rex seine Sicht der Dinge unter Verwendung von Schimpfwörtern vor (expressa (…) convicia, V 29). Da der Streit nicht zu schlichten zu sein scheint, endet die Satire schließlich mit dem ambivalenten Spruch des Persius: „per magnos, Brute, deos te 227 Vergleiche ALBRECHT 1986, 153; SHARLAND 2003, 103, 107f.; MUECKE 2007, 110. Siehe auch besonders Hor. sat. 1,10,9f.: est brevitate opus, ut currat sententia, neu se / impediat verbis lassas onerantibus auris; Hor. sat. 1,4,13–21. 228 RUDD 1966, 64–85; VAN ROOY 1971, 84; ANDERSON 1972, 5; 12f.; STAHL 1974, 37f.; MAURACH 2001, 81; KNORR 2004, 141f.; HOOLEY 2007, 60; HOLZBERG 2009, 74–78. 229 Der Schauplatz der Satire 1,7 wurde von der Forschung aufgrund der im Text erwähnten Proskription des Rupilius Rex (proscripti Regis Rupili, V 1) in die Jahre 43 oder 42 v. Chr. datiert. Siehe dazu RUDD 1966, 64; MAURACH 2001, 81; HOOLEY 2007, 57; HOLZBERG 2009, 74.

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/ oro, qui reges consueris tollere, cur non / hunc Regem iugulas? operum hoc mihi crede, tuorum est.“ Die Zusammenhänge zwischen den Satiren 1,7 und 1,8 zeigen sich sowohl auf struktureller als auch auf inhaltlicher Ebene. Beide Texte zeichnen sich zunächst durch ihre Kürze aus (sat. 1,7 ist mit 35 Versen die kürzeste), was für die angestrebte brevitas in den sermones spricht.230 Weiterhin schildern die Sprecher beider Satiren die Geschehen zum größten Teil aus der passiven Beobachterrolle, wobei der Sprecher in sat. 1,8 erst zum Schluss durch den besagten Furz aktiv in die Handlung eingreift und sich nur latent dialogische Strukturen aufweisen lassen.231 Auf inhaltlicher Ebene lassen sich in beiden Satiren vor allem zwei Motive feststellen, die beide miteinander verbinden. Auf der einen Seite wäre das Motiv der Rache zu nennen, das auf das Ende der jeweiligen Satire vorausweist. Vor allem ANDERSON hat auf diese Verknüpfung zwischen den beiden Texten hingewiesen, die durch wörtliche Assonanzen markiert wird:232 sat. 1,7,1–3: sat. 1,8,19f.: proscripti Regis Rupili pus atque vene- quantum carminibus quae versant atque num / hybrida quo pacto sit Persius venenis / humanos animis (…) ultus, opinor / omnibus et lippis notum et tensoribus esse.

sat. 1,8,44f.: largior arserit ignis, et ut non testis inultus / horruerim voces Furiarum et facta duarum. Ähnlich verhält es sich mit den jeweiligen Enden der Satiren. In beiden wird die Spannung langsam aufgebaut (in sat. 1,7 wird noch nicht einmal der Gegenstand des Rechtsstreits genannt) und schließlich schlagartig gelöst. Während es in sat. 1,8 der Furz ist, der die Handlung ihrem Ende zutreibt, setzt in sat. 1,7 das gerissene Wortspiel als Überraschungspointe den Schlusspunkt. Mit einem per magnos deos (V 33) versucht Persius letztlich Brutus zu beschwören und zu erreichen, dass Rupilius Rex den Gerichtsstreit verliert. In der unmittelbar anschließenden Satire 1,8 wird dem Leser allerdings suggeriert, dass Priapus der Sprecher von dieser sei (vergleiche auch sat. 1,8,3: maluit esse deum. deus inde ego). Natürlich ist Priapus kein Gott, den man sich unter einem magnus deus vorstellt. Somit

230 HOOLEY 2007, 57; ZETZEL–GUTTMANN 2009, 29; HOLZBERG 2009, 74. 231 LOWE 1979, 153–157. 232 Vergleiche ANDERSON 1972, 9f.; KNORR 2004, 145; 148.

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werden beide Satiren zusätzlich miteinander verbunden und gleichzeitig eine witzige, aber auch überraschende Überleitung erzeugt.233 Die nachfolgende neunte Satire ist entschieden länger als die beiden vorangegangenen, enthält aber gleichermaßen eindeutige Bezüge zu sat. 1,8. In sat. 1,9 spaziert das satirische Ich auf der Via Sacra entlang und trifft nichts ahnend auf einen anonymen Schwätzer, der sich um die Aufnahme in den Maecenas-Kreis bemüht. Als dem satirischen Ich anscheinend keine andere Rettung mehr bleibt, taucht zufällig (casu venit obvius illi / adversarius, V 74f.) durch Apollos Beihilfe und Initiative (sic me servavit Apollo, V 78) der zuvor im Stich gelassene Prozessgegner des Schwätzers auf, der diesen davon zerrt und das satirische Ich schließlich von dem lästigen Zeitgenossen befreit (V 73–78). Auch innerhalb dieser Satire lassen sich sowohl auf sprachlicher wie inhaltlicher Ebene Verknüpfungspunkte ausmachen. Während in der achten Satire dialogische Strukturen nur ansatzweise realisiert wurden, dominiert in der neunten Satire die dialogische Form, die hauptsächlich die Kommunikation zwischen dem satirischen Ich und dem Schwätzer wiedergibt. Zwar erzeugt auch hier ein IchErzähler die Rahmenbedingungen der Erzählung; dennoch steht, anders als in sat. 1,7, die direkte Konversation zwischen dem satirischen Ich und dem Störenfried im Vordergrund.234 Somit lässt sich in den Satiren 1,7–9 auf kommunikativer Ebene durchaus eine Entwicklung bzw. Steigerung feststellen: während das satirische Ich in sat. 1,7 eher passiver Beobachter und distanzierter Erzähler ist und in sat.1,8 zumindest an einigen Stellen vom Ich-Erzähler Priapus ein imaginierter Adressat angesprochen wird (z. B. videres in V 34 und 50), dominieren in sat. 1,9 dialogische Strukturen. Somit lässt sich die sat. 1,8 als Übergangssatire zwischen einem eher objektiven/passiven Erzähler der dritten Person zu einem den direkten Dialog wiedergebenden Ich-Erzähler interpretieren, bei dem das satirische Ich und der Autor Horaz weitgehend zusammenfallen. Auf inhaltlicher Ebene lässt sich gleich zu Anfang der Satire 1,9 ein entscheidender Bezug zu Satire 1,8 feststellen. In ersterer beschreibt der Sprecher, der sich unmissverständlich als satirisches Ich deuten lässt, wie er auf der Via Sacra entlang spaziert (ibam forte via sacra, V 1). Da die Via Sacra zur Zeit des Horaz den Esquilin und damit den Aufstellungsort des Kultbildes des Priapus mit dem Forum Romanum, dem Zentrum der Stadt Rom, verbunden hat,235 lässt sich aus dieser Einleitung schließen, dass das satirische Ich direkt vom Esquilin und damit vom Schauplatz der vorherigen Satire kommt. Diese evidenten topographischen Bezüge (unterstütz durch die Flucht der Hexen in urbem in V 47, dessen Zentrum das Forum Romanum bildet) müssen einem zeitgenössischen Leser aufgefallen sein und sprechen meiner Ansicht nach aufgrund der lokalen Nachvollziehbarkeit

233 VAN ROOY 1971, 84, 86; LOWE 1979, 156; MAURACH 2001, 87; KNORR 2004, 146, 148; HOLZBERG 2009, 74. 234 RUDD 1966, 77; ANDERSON 1972, 13; MAURACH 2001, 87; KNORR 2004, 149; HOOLEY 2007, 68. 235 Siehe dazu SCHMITZER 1994, 13; HOOLEY 2007, 61; HOLZBERG 2009, 76.

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in hohem Maße dafür, dass die Sprecher von sat. 1,8 und 1,9 zumindest ansatzweise zur Deckung zu bringen sind. Hinzu kommt, dass in beiden Satiren Störenfriede vertrieben werden, die unerlaubterweise in das Territorium des Maecenas eindringen wollen. In sat. 1,8 vollziehen Canidia und Sagana in der Gartenanlage des Maecenas ihre magischen Riten bis sie vom Furz des Fruchtbarkeitsgottesin die Flucht geschlagen werden. In sat. 1,9 versucht der Schwätzer die Aufnahme im Maecenas-Kreis zu erlangen (vergleiche besonders sat. 1,9,43–60), was das satirische Ich seinerseits durch Abwimmeln zu verhindern sucht.236 Somit kommt beiden Sprechern eine Wächterfunktion in Bezug auf Maecenas und dessen Einflussgebiet zu,237 wodurch in beiden Satiren ein gewisses Machtpotential des Sprechers deutlich wird. Dieses wird allerdings auch in sat. 1,9 unterminiert, da sich das satirische Ich hier nicht eigenmächtig vom Schwätzer befreien kann, sondern am Ende auf das Eingreifen Apollos angewiesen ist. Dieser Schluss lässt klare Referenzpunkte zur Satire 1,8 und zur Satire 1,7 erkennen. Auch sat. 1,9 endet überraschend und an einem Punkt, an dem sich der Erzähler anscheinend nicht mehr anders zu helfen weiß. Dort sorgt der zuvor unerwähnte Gott Apollo, der parallel zu sat. 1,8, wie ein deus ex machina seinen Willen durch nonverbale Kommunikation durchsetzt, in seiner Funktion als Schützer der Musen, aber auch als Unheilabwehrer bzw. Rächer der Hybris238 dafür, dass der Schwätzer letztlich doch seinen Gerichtstermin wahrnehmen muss und von seinem Ankläger zum Prozess geschleppt wird (sic me servavit Apollo, V 78).239 Somit werden alle drei Satiren am Schluss durch das Motiv der Rache in Verbindung mit einer überraschenden Klimax beendet.240 Die Ähnlichkeit der Motive innerhalb der drei Satiren241 und besonders auch der Übergang von Satire 1,8 auf 1,9 lässt meines Erachtens darauf schließen, dass der Text der Satire 1,8 durch das Motiv der Selbstvorstellung/ -präsentation in den Versen 1–7 nur implizieren will, dass hier mit dem Kultbild des Priapus ein anderer Sprecher vorliegt und dieses mit dem einleitenden olim trucus eram seine 236 Vergleiche hier auch den sprachlichen Bezug der beiden Satiren untereinander: (…) quantum carminibus quae versant atque venenis / humanos animos: has nullo perdere possum (1,8,19f.) und hunc neque dira venena nec hosticus auferet ensis / nec laterum dolor aut tussis nec tarda podagra (1,9,31f.). Siehe dazu VAN ROOY 1971, 85. venenum kommt auch in 1,7,1 vor, sodass die drei Satiren insgesamt auch motivisch miteinander verbunden werden. 237 KIESSLING–HEINZE 1959, 136; RUDD 1966, 81; VAN ROOY 1971, 84; SCHMITZER 1994, 14; MAURACH 2001, 87; WELCH 2001, 184; HOOLEY 2007, 61, 63; ZETZEL–GUTTMANN 2009, 29; HOLZBERG 2009, 75. 238 Vergleiche die frühklassische Darstellung des Apollo im Westgiebel des Zeus-Tempels in Olympia, SIMON 1985, 142, Abb. 136; Vergleiche die frühaugusteische Darstellung an den Tempeltüren des Apollo-Tempel auf dem Palatin, SIMON 1990, 31. Siehe dazu auch Properz 2,31 und Kap. 7.3.2. 239 RUDD 1966, 77; VAN ROOY 1971, 86; ANDERSON 1972, 13; STAHL 1974, 37; SCHMITZER 1994, 26, 30; MAURACH 2001, 88. 240 VAN ROOY 1971, 84. 241 Im Gegensatz zu ZETZEL–GUTTMANN 2009, 29, die meinen, dass nur die Tatsache, dass alle drei Satiren ainoi seien, sie miteinander verbinde.

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Stimme erhebt. In Wahrheit ist es jedoch das satirische Ich, das der Autor Horaz in der Rolle des Priapus sprechen lässt und auf diese Weise das Kultbild zum Medium seiner Kommunikation mit dem Leser macht. 3.5 FAZIT: DAS KULTBILD ALS KOMMUNIKATIONSMEDIUM Ausgangspunkt meiner Interpretation war ein narratologischer Ansatz, der insbesondere die Verlässlichkeit des satirischen Sprechers hinterfragt hat. Es hat sich herausgestellt, dass die Stimme des Sprechers der Satire 1,8 über weite Strecken des Textes zwischen der des Fruchtbarkeitsgottes Priapus und der des satirischen Ichs changiert. Förmlich ejakulationsartig tritt die Stimme des Priapus stellenweise dominant hervor, findet den Höhepunkt ihrer Autorität in der skatologisch geprägten Beglaubigungsformel (V 37–39), wird dann allerdings immer wieder durch inhaltliche und sprachliche Divergenzen unterminiert und schließlich, initiiert durch den demaskierenden Moment des Furzes, als Stimme des satirischen Ichs selbst entlarvt. Aus Perspektive der Erzähltechnik lässt sich diese Beobachtung mit dem Phänomen des unreliable narrator („unzuverlässiger Erzähler“) erklären, dessen Definition bereits in Kapitel 2.4.1 dargelegt wurde. Einige der von NÜNNING herausgearbeiteten textinternen Signale für einen unreliable narrator lassen sich auch auf den Erzähler der Satire 1,8 übertragen: explizite Widersprüche des Erzählers sowie Diskrepanzen zwischen seinen Aussagen und Handlungen (z. B. schlicht gestaltetes Kultbild vs. kunstvoll gestaltete Sprache), Unstimmigkeiten zwischen expliziten Fremdkommentaren des Erzählers über andere und seiner implizierten Selbstcharakterisierung bis hin zu seiner unfreiwilligen Selbstentlarvung (Moment des Furzes), Häufung von Äußerungen und linguistischen Signalen von Expressivität und Subjektivität (z.B. horrendas aspectu, V 26), Häufung von bewussten Versuchen der Rezeptionslenkung durch Leseranreden (videres in V 34 und 50), emotionale Involviertheit (horruerim, V 45) oder die emphatische Bekräftigung der eigenen Glaubwürdigkeit (V 37–39). Weiterhin können auch extratextuelle Referenzen herausgearbeitet werden. Dazu zählen die Verwendung unterschiedlicher literarischer Gattungskonventionen (der epigrammartige und aitiologisch geprägte Charakter der Anfangsverse 1–16, die Anklänge an die Komödie, Satire) und die intertextuellen Bezüge (zu denken wäre dabei z.B. an Theokrits Idyll 2,1– 63 oder zu den Iamben des Kallimachos). Aufgrund der Feststellung textinterner Signale sowie extratextueller Bezüge lässt sich demnach der von Horaz eingeführte Sprecher Priapus somit durchaus als unreliable narrator deuten.242 Wie bereits in Kapitel 2.4.1 dargelegt wurde, zeichnen sich Texte mit diesem narratologischen Phänomen durch eine „doppelte Kommunikation“ bzw. Zweistimmigkeit aus, mit der der Autor die Möglichkeit hat, „am Erzähler vorbei“ eine

242 Vergleiche NÜNNING 1998, 23–31. Vergleiche auch LAHN–MEISTER 2008, 182–186 und MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 96–106.

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eigene Botschaft zu vermitteln, sodass die erzählerische Unzuverlässigkeit bewusst als Strategie vom Autor eingesetzt werden könne. Diese Beobachtung lässt sich auch auf die vorliegende Satire übertragen, in der der Autor den unzuverlässigen Erzähler Priapus auf metapoetischer Ebene instrumentalisiert: In Hor. sat. 1,8 fungiert das Priapus-Kultbild als Rolle des satirischen Ichs, welches den Versuch unternimmt, diese bis zum demaskierenden Moment des Furzes und der damit verbundenen Enttarnung als satirisches Ich und gleichzeitiger, vollkommener Entlarvung als unreliable narrator anzunehmen und konsequent aufrecht zu erhalten.243 Auf diese Weise wird das Kultbild für Horaz zum Medium seiner Kommunikation mit dem Leser, aber gleichzeitig auch zum Medium seiner eigenen Satire, da nicht nur an der Demaskierung der Hexen, sondern auch an der des satirischen Ichs das von der Forschung oftmals als programmatisch interpretierte „Motto“ der Horazischen Satiren aus sat. 1,24, ridentem dicere verum, sichtbar geworden ist. Doch warum ist es ausgerechnet ein Kultbild, das Horaz sich als Rolle für sein satirisches Ich gewählt hat, und warum handelt es sich dabei gerade um das des Fruchtbarkeitsgottes Priapus?244 Einerseits waren Kultbilder, wie auch das des Priapus, stets in besonderer Weise in rituelle Kommunikation eingebunden, da man mit ihrer Hilfe den Grenzbereich zwischen Menschen und Göttern ausloten konnte.245 Auf diese Weise hatten Kultbilder per se mediale Funktion in der Kommunikation zwischen Menschen und Göttern und konnten deren Kontakt untereinander verstärken.246 Ein weiterer entscheidender Punkt ist die enge Verbindung zwischen dem Kultbild und seiner Basis mit der darauf befindlichen Inschrift. Diese Intermedialität lässt sich auch v.a. auf die epigrammartigen Anfangsverse 1–16 übertragen, in denen sich der Autor Horaz den bei Epigrammen generell engen Bezug von Text und Bild zunutze macht: Die epigrammatischen Verse imaginieren das PriapusBildwerk und seinen Aufstellungsort und lassen den Leser durch das Lesen wiederum die ursprünglich visuelle Wahrnehmung des Kultbildes rekonstruieren.247 Auf dieser Oberfläche werden gleichzeitig mehrere literarische Genres und Elemente wie der Epigramm- und Inschriftencharakter, die Aitiologie, Ekphrasis und 243 Auf die theatralischen Züge der Satire 1,8 hatte v.a. FELGENTREU 1999, 274–281 hingewiesen. Auch im römischen Kult war es gelegentlich möglich, dass Menschen die Rolle eines Gottes kurzzeitig übernehmen konnten. Dieser Rollenwechsel vollzog sich vornehmlich durch einen Wechsel der Kleidung oder das Anlegen einer Maske bzw. von Schminke. Siehe dazu GLADIGOW 1998, 10f. 244 Siehe zur Rolle des Priapus folgende Textstellen, die u.a. biographische Interpretationen motiviert haben: a) In Hor. sat. 1,2,68–71 lässt das satirische Ich einen Penis über die Verrücktheit seiner Verlangen sprechen. Vergleiche dazu auch SCHLEGEL 2005, 90. b) In Suet. vita Hor. p. 115–116 ROSTAGNI wird erwähnt, dass Augustus Horaz u.a. als purissimum penem bezeichnet haben soll (Praeterea saepe eum inter alios iocos „purissimum pene“ et „homuncionem lepidissimum“ appellat, unaque et altera liberalitate locupletavit.). Vergleiche auch SCHLEGEL 2005, 107. 245 RÜPKE 2006 a, 75. 246 RÜPKE 2006 a, 72. 247 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 37.

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in den nachfolgenden Versen 17–50 auch die Erzählung miteinander verwoben. Somit wird durch den Monolog des Kultbildes auch die literarische Vielfalt der Horazischen Satire an den Leser kommuniziert und diesem demonstriert. Andererseits sollte sich in der Präsenz des Kultbildes auch die Präsenz des jeweiligen Gottes widerspiegeln. Kultbild und Epiphanie waren demnach nicht weit voneinander entfernt.248 Durch die potentielle Präsenz der Götter in Kultbildern, die auf kultischer Ebene als Medium der (meist non-verbalen) Kommunikation zwischen Göttern und Menschen dienten (vergleiche Kap. 2.3.4), unterstellte ein zeitgenössischer Leser auch sprechenden Kultbildern in Texten generell ein hohes Maß an Autorität. Aber genau das Spiel mit dieser Glaubwürdigkeit des Sprechers sowie letztlich das Außerkraftsetzen derselben machen den eigentlichen Witz der Satire aus, die ihren Esprit gerade erst durch die Verwendung eines Kultbildes als fiktiven Sprecher erhält. An keiner anderen Stelle der Horazischen sermones wird eine Götterstatue als Sprecher gewählt und dieser als einziger Erzählfigur eine ganze Satire gewidmet, sodass der vorliegende Text in diesem Punkt Singularität beanspruchen kann und Priapus sich somit von den fiktiven Sprechern anderer Satiren (auch denen des zweiten Buches) abhebt.249 Die Verwendung der Gottheit Priapus erweist sich dabei insofern als attraktiv, als Horaz sich bei seiner Wahl vor allem die Tatsache zunutze gemacht hat, dass die Gestalt und das Wesen des Priapus wie auch das Medium Kultbild an sich, das sich in der Grauzone zwischen Belebtheit und Unbelebtheit befindet,250 generell von Gegensatzpaaren bestimmt worden sind und dadurch wiederum komische Inkongruenzen erzeugt werden konnten. O’CONNOR bezeichnete Priapus als reconsilatio oppositorum, der Urbanes und Ländliches, Schönes und Hässliches, aber auch Elegantes und Einfaches miteinander vereine.251 Auch ein Blick auf seine Darstellungsformen kann diese These unterstützen: Auf der einen Seite verkörpert er durch seinen riesigen Phallus männliche Zeugungsfähigkeit und Potenz, auf der anderen Seite trägt er in seinen gängigsten Darstellungsformen Frauenkleider.252 Diese Gegensatzpaare oder Spannungen zeichneten sich auch innerhalb des Textes ab und sorgten dafür, dass an der Autorität und Glaubwürdigkeit des Priapus in seiner Funktion als narrator starke Zweifel entstanden. So konstruiert sich z.B. der Sprecher Priapus in den Versen 1–3 eine Genese von einem truncus…ficulnus zu einem deus, die allerdings wiederum von der Willkür eines faber abhängig war. Damit wird das Hierarchiegefälle, das üblicherweise zwischen Göt-

248 RÜPKE 2006 a, 74. Vergleiche auch Kap. 2.3.4. 249 In Hor. sat. 2,2 mimt das satirische Ich z.B. zwar in seinem Monolog die Rolle des Bauern Ofellus, indem er seine Lehren wiedergibt. Allerdings wird dieser Rollenwechsel explizit für den Leser markiert (nec meus hic sermo est, sed quae praecepit Ofellus / rusticus, abnormis sapiens crassaque Minerva, V 2f.), sodass von Anfang an klar ist, dass das satirische Ich weiterhin, auch wenn er die Worte des Ofellus zitiert, der Sprecher des Textes ist (bis auf die wiedergegebene, direkte Rede des Ofellus zum Schluss der Satire 2,2 (V 116–136). 250 RÜPKE 2006 a, 74. 251 O’CONNOR 1989, 17f.. 252 HABASH 1999, 288; OEHMKE 2007, 263.

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tern und Menschen herrscht, außer Kraft gesetzt.253 Er beschreibt sich weiterhin als furum aviumque / maxima formido, konnte allerdings nichts gegen Eindringlinge wie die beiden Hexen ausrichten. Er generiert für sich ein hohes Alter, besteht allerdings selbst aus dem brüchigen Material Feigenholz, welches bereits auf das Ende der Satire hinweisen sollte. Auch sein Aufstellungsort schillert zwischen einer negativ konnotierten Vergangenheit in seiner Funktion als Friedhof und einer positiv besetzten Gegenwart in Form von Parkanlagen. Diese durch Maecenas bedingte Entwicklung steht dabei ebenfalls sinnbildlich für die Machtlosigkeit bzw. Passivität des Priapus, auch an dieser Genese keinen Anteil zu haben. Den prägendsten Gegensatz stellt allerdings die Ignorierung der sexuellen Komponente des Priapus im Text dar, die ganz entscheidender Bestandteil seines numen sowie auch der bildlichen Darstellung ist. So findet die Rache des Priapus trotz eines vorhandenen Phallus nicht durch diesen, sondern auf umgekehrten, nämlich analem Wege statt, indem sein Furz einerseits zur überstürzten Flucht der beiden Hexen und anderseits zu der Demaskierung aller Hauptbeteiligten führt.254 Der Furz des Kultbildes Priapus karikiert und parodiert also auf der einen Seite das numen und die Potenz des Fruchtbarkeitsgottes, beinhaltet allerdings auf der anderen Seite das entscheidende, demaskierende Moment der gesamten Satire. Das Gelächter, das dadurch entsteht, trifft hauptsächlich die beiden Frauenfiguren Canidia und Sagana. Allerdings handelt es sich dabei nicht um ein spottendes Lachen, sondern der Witz steckt dabei eher in der Offenbarung ihrer eigentlichen Existenz. Zusammen mit der fehlenden sexuellen Komponente, der Karikatur des Gliedes und des vielleicht in V 1 darauf vorausweisenden ficulnus bzw. inutile lignum spricht dies für einen entscheidenden Punkt der Horazischen Satire, die nicht darauf aus ist, ihren Gegner der Lächerlichkeit preiszugeben, sondern das Lachen eher im Erkennen der Wahrheit begründet sieht.255 Somit spiegelt sich in dem Kultbild des Priapus ein Charakteristikum der Horazischen Satire wider und lässt sich durchaus als Medium derselben deuten. Unter der Prämisse, dass sich hinter der Rolle des Priapus-Kultbildes das satirische Ich des Horaz verbirgt, könnte man sich nun die Fragen stellen, ob sich das Lachen (magno risuque iocoque, V 50) über die beiden Hexen nicht auch am Ende auf den parodierten bzw. karikierten Priapus und damit auch auf das satirische Ich selbst übertragen und wie sich die Qualität und Intention des satirischen Gelächters präzise beschreiben ließe. Der Gott Priapus stand zwar sehr oft aufgrund des Kontrasts zwischen seiner überproportionalen Männlichkeit und der durch Kleidung und Attitüde ausgedrückten Effeminierung an der Schwelle zum „Komischen Alten“.256 Aber da er ein Gott war, der Gutes verhieß, war er vor der Lächerlichkeit geschützt. Sein Alter, das auch im Text betont wird, verlieh ihm zu253 RÜPKE 2006 a, 146. 254 Diese Entsexualisierung geht auch mit der Entwicklung der Ikonographie in augusteischer Zeit einher, in der nicht nur Größe und Präsenz seines Phallos eingeschränkt wurden, sondern auch seine Verwandtschaft zu Pan nicht mehr wesensbestimmend war. Siehe dazu OEHMKE 2007, 272. 255 Siehe dazu SCHMIDT 1995, 121–143. Hor. sat. 1,4,78–85; Hor. sat. 2,1,39–42. 256 Vergleiche dazu LEFÈVRE 1974, 42–46; 53–59.

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sätzlich eine gewisse Ehrwürdigkeit, die dann spätestens ab augusteischer Zeit auch in der bildlichen Darstellung mit der archaistischen Version des langgewandeten Priapus257 noch betont wurde. Allerdings wurden dabei seine derb-sexuellen Züge geglättet oder komplett verdrängt, was auf Kosten der Präsenz und Größe des Phallus geschah.258 Diese Parallele zur bildlichen Darstellung zeigt somit, dass das Kultbild des Priapus, wie es im Text der Satire dargestellt wird, durchaus mit parodistischen Gegensätzen wie der Reduzierung des Gliedes auf einen Furz spielt. Diese Kontraste sind wiederum auch für die erhaltenen, plastischen Darstellungsformen der augusteischen Zeit belegt, haben aber nicht zur Lächerlichkeit des Kultbildes beigetragen. Somit wird das satirische Ich selbst in der Rolle des Kultbildes nicht der Lächerlichkeit preisgegeben. Zusammenfassend erfüllt das Kultbild hauptsächlich zwei Funktionen: Auf der einen Seite ist es das Medium, durch das Horaz mit seinem Leser auf vielgestaltige Art und Weise kommuniziert. Auf der anderen Seite ist es aber auch das Medium, an dem das Ziel der Horazischen Satire (ridentem dicere verum) veranschaulicht wird. Das Kultbild des Priapus schillert somit zwischen einem fiktiven Sprecher, der in den ersten Versen etabliert wird, dem Rollenkonstrukt des satirischen Ichs und einem exemplarischen Demonstrationsobjekt satirischer Dichtung. Genau diese Ambivalenz zwischen Aktivität und Passivität spiegelt sich wiederum auch in der Darstellung der Gottheit selbst wider, die ebenfalls zwischen männlich-fertiler Potenz, symbolisiert durch sein Glied, und Effeminierung, symbolisiert durch Bekleidung und Attitüde, schillert.259 Aufgrund dieser unterschiedlichen Facetten kann die Wahl des Priapus-Kultbildes den Programmcharakter der sat. 1,8 in besonderer Weise unterstreichen.

257 MEGOW 1997, Nr. 114; OEHMKE 2007, Tafel 22, Abb. 7. 258 OEHMKE 2007, 272. 259 OEHMKE 2007, 272.

4. DAS KULTBILD DES PRIAPUS IN TIB. 1,4 4.1 EINFÜHRUNG, FORSCHUNGSÜBERBLICK UND FRAGESTELLUNG Eng anknüpfend an das vorangegangene Kapitel zu Hor. sat. 1,8 soll im Folgenden die vierte Elegie des ersten Buches des Corpus Tibullianum untersucht werden. Dem Autor Tibull, dessen Lebensdaten sich lediglich aus seinen eigenen Werken sowie denen seiner Zeitgenossen1 näherungsweise rekonstruieren lassen (geboren vermutlich 59 oder 54 v.Chr., gestorben zwischen 19 und 17 v.Chr.), können mit großer Sicherheit die ersten beiden Bücher des sogenannten Corpus Tibullianum zugeschrieben werden.2 Auch die Datierung dieser beiden Bücher lässt sich nur durch werkinterne Hinweise erschließen: So ist das späteste Ereignis, welches in Buch 1 erwähnt wird, der Triumph des Messalla über Aquitanien an seinem Geburtstag, dem 25. September 27 v. Chr., sodass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass dieses Buch kurz nach diesem Sieg bzw. höchstwahrscheinlich vor dem nächsten Geburtstag des Messalla im Jahre 26 v. Chr. publiziert worden ist. Somit ist davon auszugehen, dass zwischen der Publikation der zuvor behandelten Horaz-Satire 1,8 und der nun zu behandelnden Tibull-Elegie 1,4 noch nicht einmal 10 Jahre liegen. Auf diese Weise ist immerhin die Möglichkeit einer indirekten Einflussnahme der Horazischen Satire auf die vorliegende Elegie des Tibull durch Rezeption gegeben, wenngleich Tibull an keiner Stelle seines Werkes die Beeinflussung von anderen Autoren namentlich erwähnt. Dadurch, dass der Name Messalla in den Eröffnungsgedichten der Bücher 1 und 2 des Corpus Tibullianum genannt wird3 und der elegische Sprecher wiederholt seine Loyalität gegenüber Messalla (vgl. z. B. Tib. 1,3 und 1,7) bekundet, kann man davon ausgehen, dass beide Bücher eben jenem Aristokraten M. Valerius Messalla Corvinus in seiner Funktion als literarischer Patron gewidmet sind.4 Das erste Buch besteht aus zehn Elegien. Damit folgt Tibull den Beispielen seiner Zeitgenossen Horaz und Vergil, die ebenfalls ihr erstes Buch der Satiren bzw. das Buch der Eklogen aus jeweils zehn Gedichten zusammenstellten. Dabei lassen

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Vergleiche dazu z.B. Hor. carm. 1,33 und epist. 1,4; Ovids Totenklage in Ov. am. 3,9; Epigramm des Domitius Marsus. Siehe eine ausführliche Synopse relevanter Textstellen für die Rekonstruktion von Tibulls Lebensdaten in MALTBY 2002, 33–39. MARX 1894, 1319 f.; FISHER1983, 1933–1935; MALTBY 2002, 39 f.; C. NEUMEISTER – K. NEUMEISTER 2002, 537; GALL 2006, 106f. Tib. 1,1,53; 2,1,31; 2,1,33. Siehe zu Messalla und dem Literaturzirkel SMITH 1964, 34–40; PUTNAM 1973, 6; MURGATROYD 1980, 10; MALTBY 2002, 41 f.

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sich allerdings aus der Anordnung der Gedichte keine Rückschlüsse über ihre chronologische Genese machen.5 Strukturell lässt sich Buch 1 des Tibull als Ringkomposition beschreiben. Dabei bilden die Eröffnungs- und Schlussgedichte 1,1 und 1,10 den Rahmen, der durch Thematik miteinander verbundene Zweierpaare umschließt: So entsprechen die Elegien 2 und 3, in denen die Sehnsucht nach Delia im Zentrum steht, den Gedichten 8 und 9, die von der Sehnsucht nach dem Knaben Marathus geprägt sind. Hingegen werden die zentralen Gedichte 5 und 6, die die Untreue der Delia beklagen, von den sogenannten „genre-poems“ 4 und 7 flankiert,6 die zum einen den priapeischen Vortrag zur Knabenliebe, der im Folgenden behandelt werden soll, und zum anderen eine Geburtstagsode an Messalla zum Thema haben. Somit werden jeweils zwei zusammengehörige Gedichte durch ein einzelnes voneinander abgegrenzt.7 Betrachtet man nun die vorliegende vierte Elegie, so hebt sich diese inhaltlich durch zwei Besonderheiten von den vorangehenden ab: 1.) Nach den ersten drei Elegien stellt die vierte hinsichtlich ihres Sprechers und dessen Sprechhaltung eine Überraschung dar. War es zuvor das elegische Ich, das dem Leser seine subjektiv-erotische Welt präsentierte, führt der Autor Tibull in diesem Gedicht zum ersten Mal innerhalb seines Werkes einen Sprecher ein, der nicht mit dem elegischen Ich der bisherigen Stücke übereinstimmt.8 Dabei handelt es sich genauso wie in der Horaz-Satire 1,8 um das Kultbild des Fruchtbarkeitsgottes Priapus: Nachdem dieses zu Beginn des Gedichts vom elegischen Ich in direkter Rede um Rat gefragt worden ist, mit welcher Technik es ihm gelinge, junge, hübsche Knaben für sich zu gewinnen, antwortet es im Gegenzug in der Sprechhaltung eines praeceptor amoris mit einem langen Vortrag über die Knabenliebe, in dem es dem Fragenden mehrere thesenartige Vorschriften präsentiert.9 Wie in der Satire wird somit auch in diesem Gedicht das Motiv der sprechenden Statue aufgenommen, in die Gattung der römischen Liebeselegie transferiert und, abweichend von Horaz, nicht in einer narrativen, sondern in einer didaktischen Erzählform mittels eines imaginierten Dialogs zwischen dem elegischen Ich des Tibull und der Statue des Fruchtbarkeitsgottes Priapus präsentiert.10 2.) Noch wichtiger als die formalen Veränderungen der bisherigen elegischen bzw. poetischen Praxis Tibulls sind die inhaltlichen Innovationen. Nachdem in 5 6

MARX 1894, 1320; MALTBY 2002, 49. Zur Bezeichnung der Elegien 1,4 und 1,7 des Tibull als „genre-poems“ siehe LITTLEWOOD 1970, 661–669; DETTMER 1980, 68–76; MILLER 1999, 185; NIKOLOUTSOS 2007, 55. 7 Vergleiche zur Struktur des ersten Buches: LITTLEWOOD 1970, 661–669; DETTMER 1980, 68– 82; MURGATROYD 1980, 11f.; MUTSCHLER 1985, 160–167; MALTBY 2002, 49–52; GALL 2006, 108. 8 Nur an zwei weiteren Stellen werden im ersten Buch des Tibull größere Sprechpartien von anderen locutores übernommen als dem elegischen Ich: in Tib. 1,6,51–54 (Priesterin der Bellona) und in Tib. 1,8,55–66 (Marathus). 9 Vergleiche MURGATROYD 1980, 128. 10 MURGATROYD 1977, 112; MURGATROYD 1980, 128; MUTSCHLER 1985, 76; RADICKE 2006, 195f.

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den drei Gedichten zuvor die puella Delia im Zentrum der Begierde stand, ändern sich die sexuellen Neigungen des elegischen Ichs, und es wendet sich nun im Allgemeinen dem Thema „Päderastie/Knabenliebe“ zu, über das Priapus in den Versen 9–72 ausgiebig referiert. Dabei wird zugleich eine neue Figur namens Marathus, der in V 81 vom elegischen Ich erstmalig erwähnt wird (heu heu quam Marathus lento me torquet amore11) und sein neues Liebesobjekt zu sein scheint, in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. So wird mit der vorliegenden Elegie innerhalb des ersten Buches der sogenannte „Marathus-Zyklus“ eingeführt, der sich in der achten und neunten Elegie fortsetzt.12 Von den erhaltenen literarischen Quellen aus der augusteischen Periode ist diese Gedicht-Trilogie die längste poetische Sequenz mit dem Thema „Knabenliebe“ bzw. Homosexualität.13 Zusammenfassend scheint sich Tib. 1,4 ähnlich wie Hor. sat. 1,8 werkimmanent zu exponieren, weil hier auf der einen Seite mit der Statue des Priapus eine neue Sprecherfigur, mit der sich zugleich auch die Sprechhaltung verändert, und mit dem Thema „Knabenliebe“ ein neues Thema etabliert werden. Die Forschung hat sich bei der Analyse von Tib. 1,4 bisher mit ganz unterschiedlichen Aspekten beschäftigt. So wurde der Text zunächst auf sprachlicher und struktureller Ebene untersucht: Hervorzuheben wären hierbei im Wesentlichen LITTLEWOOD14 und, an diesen anknüpfend, DETTMER15 und MUTSCHLER16, die sich u.a. der Struktur und dem künstlerischen Arrangement des ersten Buches 11 Dieses sowie alle weiteren lateinischen Textzitate werden folgender Textausgabe entnommen: LENZ 1971, 68–73. 12 Das Auftreten des Marathus ist mit Sicherheit in 1,4,81–84 und in 1,8 zu belegen. In der Forschung wird auch der erwähnte, aber unbenannte Knabe in 1,9 als Marathus identifiziert. Zum einen gibt es physische Ähnlichkeiten zwischen dem namenlosen Jungen in 1,9 und Marathus in 1,8 (1,8,9ff. und 1,9,13ff.), und beide benutzen ihre Tränen, um zu ihrem Willen zu kommen (1,8,67f.; 1,9,37f.). Beide sind zudem in ein Mädchen verliebt (1,8,69; wahrscheinlich 1,9,39ff.). Vergleiche MURGATROYD 1980, 9. 13 ANDRÉ 1965, 45; MILLER 1999, 185; MALTBY 2002, 215; NIKOLOUTSOS 2007, 55. Die drei Gedichte des Marathus-Zyklus gehören zu einer langen und gut etablierten Tradition der männlichen homoerotischen Dichtung, die bis auf die archaische Lyrik zurückgeht und der Jahrhunderte später in der römischen Literatur ein neuer Impetus gegeben wurde (VERSTRAETE 2005, 299f.). Tibull folgt hier insbesondere der griechischen Lyrik und Elegie, den griechischen und römischen Bukolik und hellenistischen Epigrammen (MALTBY 2002, 215), v.a. Kall. Iamb. frg. 193. 197. 199 Pf. (Iambus 3, 7 und 9); Meleagers Gedichte an den Jungen Myiscus: Anth. Pal. 12,23. 59. 65. 70. 94. 101. 106. 110. 144. 154. 167. 256; Theokr. Idyll 11; Theokr. epigr. 4; Catull, 15. 16. 21. 23. 24. 48. 81. 99 (Iuventius-Zyklus), Verg. ecl. 2. Die Position des Gallus ist unklar, während Properz sehr zurückhaltend bezüglich dieses Themas ist (2,4 und – auf mythologischer Ebene – 1,20); Der Sprecher in Ov. am. 1,1,20 schlägt vor, dass auch Jungen ein geeignetes Thema für die Elegie seien. Der Sprecher in Ov. Ars 2,683f. macht jedoch klar, dass er selbst der Homosexualität eher distanziert gegenübersteht; so lässt er keine homoerotischen Gedichte in seine Amores einfließen und erwähnt auch nicht Marathus in am. 3,9, wo er die literarischen Erfolge des Tibull auflistet (SCHUSTER 1930, 98–100; WIMMEL 1968, 19–21; BRIGHT 1978, 228–230; MALTBY 2002, 45; VERSTRAETE 2005, 299–306.) Siehe auch Hor. epod. 11. 14 LITTLEWOOD 1970, 661–669. 15 DETTMER 1980, 68–82. 16 MUTSCHLER 1985, 37-200.

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von Tibull gewidmet haben. FINEBERG17 hingegen hat exemplarisch an Tib. 1,4 versucht, eine Verbindung der häufig verwandten Anaphern zu den im Gedicht oft wiederkehrenden Gefühlen wie Frustration, Verlust und Sehnsucht herzustellen. Auf textphilologischer Ebene hat schließlich BERNAYS18 jüngst Vorschläge zur Verbesserung der korrupten Verse 43 und 44 gemacht. Ein anderer Forschungsansatz hat sich auf inhaltlicher Basis hauptsächlich mit der Figur des Marathus und seinem Auftreten im sogenannten Marathus-Zyklus im ersten Buch des Tibull auseinandergesetzt. Während MURGATROYD19 Marathus als puer delicatus zu charakterisieren sucht, analysiert MCGANN20 die drei Marathus-Gedichte im Ganzen und bescheinigt Tibull am Ende eine substantielle Leistung, da dieser durch die Beachtung der Bipolarität sexueller Gefühle mit der literarischen Konvention seiner Zeit breche, in der die getrennte Behandlung homound heterosexueller Neigungen die Regel sei. VERSTRAETE21 hingegen versucht zu zeigen, wie Tibull das männliche homosexuelle Verlangen und die Beziehung seines elegischen Ichs mit dessen geliebtem Marathus unter Berücksichtigung der erhaltenen früheren griechischen und römischen Liebesdichtung darstellt. Neuere Forschungen haben schließlich den Text unter anderen Blickwinkeln betrachtet. So untersucht RADICKE22 Tib. 1,4 narratologisch mit dem Ziel, den Vortrag des Priapus unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Kommunikationsebenen und Leserlenkung als unzuverlässige Rede zu charakterisieren. NIKO23 LOUTSOS hingegen attestiert dem vorliegenden Text eine programmatische Funktion und zeigt unter Ablehnung autobiographischer Lesarten, dass Tibulls rhetorische Fähigkeiten eine untrennbare Verbindung zwischen der Knabenliebe und den zentralen Punkten des ersten Buches, wie z.B. die Rolle des Geschlechts und der Dichtung, erzeugen; Dieses Gedicht könne daher nicht als eine Reflexion päderastischer Traditionen in der römischen Gesellschaft gelesen werden. Die vorliegende Analyse möchte dagegen in enger Anknüpfung an die vorangegangene Interpretation zu Hor. sat. 1,8 ihr Augenmerk auf drei Schwerpunkte legen und damit v.a. die beiden zuletzt genannten Forschungsansätze fortführen und erweitern. In einem ersten Abschnitt sollen die Eingangsverse 1–8 hinsichtlich der Beschreibung des Kultbildes untersucht werden. Darin sollen besonders die Gegensätze/Spannungen bzw. die Bipolarität aufgezeigt werden, durch die das Kultbild sowohl hinsichtlich seiner Optik als auch seiner Fertigkeiten geprägt ist. Dieser erste Teil soll die Grundlage für den zweiten Schwerpunkt meiner Analyse legen, der besonders den Vortrag des Priapus (V 9–72), aber auch das überraschende Ende der Elegie (V 73–84) in das Zentrum rücken wird. Ähnlich 17 18 19 20

FINEBERG 1999, 419–428. BERNAYS 2002. MURGATROYD 1977, 105–119. MCGANN 1983, 1976–1999. Siehe zur Analyse des Marathus-Zyklus auch BRIGHT 1978, 228–240. 21 VERSTRAETE 2005, 299–312. 22 RADICKE 2006, 195–210. 23 NIKOLOUTSOS 2007, 55–82.

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wie in der Horaz-Satire 1,8 soll hier, anknüpfend an RADICKE, die Zuverlässigkeit des Sprechers untersucht werden. Gerade die Bipolarität, die sich bereits in der Beschreibung der Kultstatue manifestiert hat, setzt sich –so meine These- in dem Referat des Gartengottes fort. Zugleich soll hier gezeigt werden, dass die Elegie weniger von dem festen Rollenkonstrukt des Priapus lebt als von dem Changieren des Sprechers zwischen zwei Polen, nämlich der Stimme des elegischen Ichs und der des Fruchtbarkeitsgottes, welches schließlich mit Hilfe von ähnlichen Überraschungsmechanismen wie in Hor. sat. 1,8 in der Enttarnung des Priapus als Stimme des elegischen Ichs und in der Entlarvung des Vortrages als vana magisteria seinen Höhepunkt findet. Abschließend soll erneut die Funktion des Kultbildes innerhalb der gesamten Elegie 1,4 beleuchtet und herausgearbeitet werden, auf welche Weise Tibull das Priapus-Kultbild als Medium der Kommunikation über die Elegie hinausgreifend für sein erstes Buch fruchtbar macht. Dabei soll vor allem auf poetologischer Ebene der Frage nachgegangen werden, in welcher Weise das poetische Programm der Tibull-Elegien im Kultbild des Priapus reflektiert wird. Zusammenfassend ergeben sich demnach für die Untersuchung folgende Leitfragen: Wie bipolar ist das Kultbild des Priapus und woran manifestiert sich dies am Text? Wie setzt sich diese Bipolarität vor allem in dem Vortrag des Priapus fort? Welche mediale Funktion erfüllt das Kultbild innerhalb der Elegie 1,4 und warum eignet sich in diesem Kontext vor allem ein Priapus besonders gut?

4.2 DER LATEINISCHE TEXT: TIB. 1,4 Als Grundlage für alle weiteren Untersuchungen dient der Text von LENZ:24

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'Sic umbrosa tibi contingant tecta, Priape, ne capiti soles, ne noceantque nives: quae tua formosos cepit sollertia? certe non tibi barba nitet, non tibi culta coma est; nudus et hibernae producis frigora brumae, nudus et aestivi tempora sicca Canis.' sic ego; tum Bacchi respondit rustica proles armatus curva sic mihi falce deus: 'o fuge te tenerae puerorum credere turbae, nam causam iusti semper amoris habent. hic placet, angustis quod equom conpescit habenis, hic placidam niveo pectore pellit aquam, hic, quia fortis adest audacia, cepit; at illi virgineus teneras stat pudor ante genas.

24 LENZ 1971, 68–73.

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sed ne te capiant, primo si forte negabit, taedia: paulatim sub iuga colla dabit. longa dies homini docuit parere leones, longa dies molli saxa peredit aqua; annus in apricis maturat collibus uvas, annus agit certa lucida signa vice. nec iurare time:Veneris periuria venti inrita per terras et freta summa ferunt. gratia magna Iovi: vetuit pater ipse valere, iurasset cupide quicquid ineptus amor: perque suas inpune sinit Dictynna sagittas adfirmes crines perque Minerva suos. at si tardus eris, errabis. transiet aetas. quam cito non segnis stat remeatque dies, quam cito purpureos deperdit terra colores, quam cito formosas populus alta comas! quam iacet, infirmae venere ubi fata senectae, qui prior Eleo est carcere missus equos. vidi iam, iuvenem, premeret cum serior aetas, maerentem stultos praeteriisse dies. crudeles divi! serpens novus exuit annos, formae non ullam fata dedere moram. solis aeterna est Baccho Phoeboque iuventas,: nam decet intonsus crinis utrumque deum. tu, puero quodcumque tuo temptare libebit, cedas: obsequio plurima vincet amor. neu comes ire neges, quamvis via longa paretur et Canis arenti torreat arva siti, quamvis praetexens picta ferrugine caelum venturam anticipet imbrifer arcus aquam: vel si caeruleas puppi volet ire per undas, ipse levem remo per freta pelle ratem. nec te paeniteat duros subiisse labores aut opera insuetas adteruisse manus, nec, velit insidiis altas si claudere valles, dum placeas, umeri retia ferre negent. si volet arma, levi temptabis ludere dextra: saepe dabis nudum, vincat ut ille, latus. tum tibi mitis erit, rapias tum cara licebit oscula: pugnabit, sed tamen apta dabit. rapta dabit primo, post adferet ipse roganti, post etiam collo se inplicuisse velit. heu male nunc artes miseras haec saecula tractant: iam tener adsuevit munera velle puer. at tu, qui venerem docuisti vendere primus,

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quisquis es, infelix urgeat ossa lapis. Pieridas, pueri, doctos et amate poetas, aurea nec superent munera Pieridas. carmine purpurea est +isi coma: carmina ni sint, ex umero Pelopis non nituisset ebur. quem referent Musae, vivet, dum robora tellus, dum caelum stellas, dum vehet amnis aquas. at qui non audit Musas, qui vendit amorem, Idaeae currus ille sequatur Opis, et tercentenas erroribus expleat urbes et secet ad Phrygios vilia membra modos. blanditiis volt esse locum Venus ipsa : querelis supplicibus, miseris fletibus illa favet.' haec mihi, quae canerem Titio, deus edidit ore: sed Titium coniunx haec meminisse vetat. pareat ille suae ; vos me celebrate magistrum, quos male habet multa callidus arte puer. gloria cuique sua est: me, qui spernentur, amantes consultent: cunctis ianua nostra patet. tempus erit, cum me Veneris praecepta ferentem deducat iuvenum sedula turba senem. heu heu, quam Marathus lento me torquet amore! deficiunt artes, deficiuntque doli. parce, puer, quaeso, ne turpis fabula fiam, cum mea ridebunt vana magisteria.

4.3 DIE GLIEDERUNG DES TEXTES Inhaltlich lässt sich die gesamte Elegie in drei große Abschnitte teilen: a) eine den Vortrag einleitende Sequenz (V 1–8), b) den Vortrag des Priapus im Zentrum der Elegie (V 9–72) und c) eine Schlusssequenz mit Einführung der Figur des Marathus.25 Einleitung: Quae tua formosos cepit sollertia? (V 1–8) In dieser einleitenden Passage bittet das elegische Ich den Fruchtbarkeitsgott Priapus um Rat: Mit welcher Fertigkeit gelingt es Priapus trotz seiner eher rustikalen Optik schöne Knaben für sich zu gewinnen (V 1–6)? Die Verse 7 und 8 bereiten die direkt anschließende Antwort des Gottes vor.

25 Vergleiche zur Gliederung der Elegie: PONCHONT 1968, 28f.; CAIRNS 1979, 207; MURGATROYD 1980, 128; BALL 1983, 66–78; LEE-STECUM 1998, 132–155; MALTBY 2002, 215.

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Hauptteil: Der Vortrag des Priapus (V 9–72) Kernstück der Elegie bildet die Antwort des Priapus auf die vorangegangene Frage in Form eines ausführlichen Vortrages, in dem er dem elegischen Ich Ratschläge in Sachen „Knabenliebe“ erteilt. Die einzelnen Thesen lassen sich durch Überschriften zusammenfassen: a) „Sei vorsichtig vor den gefährlichen Reizen der jungen Knaben!“ (V 9–14), b) „Habe Geduld!“ (V 15–20), c) „Habe keine Scheu davor, falsche Schwüre zu leisten!“ (V 21–26), d) „Sei nicht zögerlich!“ (V 27– 38), e) „Gib dem Knaben in all seinen Wünschen nach!“ (V 39–56), f) „Ihr Knaben, zieht die Dichter und Musen den materiellen Geschenken vor!“ (V 57–72). Schluss: eheu quam Marathus lento me torquet amore! (V 73–84) Der Schlussabschnitt stellt in zweierlei Hinsicht eine Überraschung für den Leser dar: Auf der einen Seite wird ihm in V 73 verdeutlicht, dass der Ratschlag nicht dem elegischen Ich selbst galt, sondern einem gewissen Titius. Diesem ist es allerdings nicht vergönnt, die Ratschläge praktisch umzusetzen, da seine Ehefrau dies zu verhindern weiß (V 74). Auf der anderen Seite präsentiert sich das elegische Ich nun als Lehrer der Päderastie (vos me celebrate magistrum, V 75). Dieser bleibt, trotz aller vorgespielter Expertise, die er in seiner heterosexuellen Beziehung zu Delia erworben zu haben scheint, in seinem Werben um den Knaben Marathus, der hier zum ersten Mal wörtlich erwähnt wird, selbst erfolglos. Letztlich handelt es sich bei der vorliegenden Elegie auch um eine Ringkomposition: Das Gedicht beginnt mit der Vorstellung und Frage an das Kultbild des Priapus, welches diese in einem ausschweifenden Referat zu beantworten sucht, und endet schließlich wieder mit dem elegischen Ich, welches in den letzten Versen die Rolle des Lehrers, wenn auch nicht Erfolg versprechend, übernimmt.26

4.4 DAS KULTBILD DES PRIAPUS Im ersten Abschnitt meiner Interpretation soll das Kultbild des Priapus in den Blick genommen werden, welches besonders in den ersten acht Versen durch die direkte Ansprache des elegischen Ichs imaginiert wird. Wie schon in Hor. sat. 1,8 sollen hier die Spannungen bzw. Bipolaritäten aufgezeigt werden, durch die das Priapus-Kultbild hauptsächlich geprägt ist und die sich v.a. in den beschreibenden Attributen manifestieren. Die Elegie beginnt im Gegensatz zur horazischen Satire nicht unmittelbar mit dem Monolog des Gottes, sondern damit, dass das elegische Ich selbst in den ersten drei Distichen zu Priapus, der durch sein Kultbild repräsentiert wird, spricht (V 1–6). Auf diese Weise wird eine glaubwürdige Kommunikationssituation zwischen der Gottheit und dem elegischen Ich fingiert, die dem Ritual des Gelübdes sehr ähnlich ist und durch die der Gott Priapus scheinbar zum Reden motiviert wird. Damit ähnelt der Modus der Gesprächsaktivierung des Gottes dem „ovidi26 MALTBY 2002, 216.

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schen Schema“ in den Fasti, in denen Götter durch Gebete als Beistand für die eigene Dichtung herbeigerufen werden (vergleiche z.B. Kap. 7.2.1.2). Die Grundstruktur eines Gelübdes bestand aus der Bitte an eine Gottheit um eine bestimmte Leistung, nach deren Erfüllung vom Bittenden eine bestimmte Gegenleistung in Aussicht gestellt wird.27 Somit imitiert das Eröffnungsdistichon die Sprache des religiösen Rituals und täuscht damit eine Feierlichkeit vor, die in Anbetracht der Fortführung des Gedichts zum Thema „Knabenliebe“ nicht aufrecht erhalten werden kann.28 Bereits in dem ersten Verspaar sic umbrosa tibi contingant tecta, Priape, / ne capiti soles, ne noceantque nives lässt sich einerseits das Gelübde des elegischen Ichs an den Fruchtbarkeitsgott ablesen und andererseits mehrere wichtige Erkenntnisse hinsichtlich des Priapus-Kultbildes gewinnen, das in den ersten achten Versen zwar materiell kaum greifbar gemacht wird, aber dennoch als solches für den Leser zu identifizieren ist. Zunächst versucht das elegische Ich den Gott damit zu locken, ihm und seiner Forderung gewogen zu sein, indem er ihm ein schützendes und zugleich Schatten spendendes Dach verspricht (umbrosa … tecta, V 1), welches das Kultbild vor Sonnenstrahlung und Schnee bewahren soll (ne capiti soles, ne noceantque nives, V 2).29 Dies impliziert, dass das Kultbild des Priapus ganzjährig schutzbedürftig und dem Wetter in allen Lagen und Jahreszeiten ausgesetzt ist. Wahrscheinlich soll daher zukünftig ein Baum dem Kultbild Schutz bieten, wenn Priapus der Forderung des Bittenden nachkomme.30 Das Angebot des Sprechers, einen permanenten Schutz für den angesprochenen Priapus zu schaffen, ist meines Erachtens der eindeutigste Indikator dafür, dass der Fruchtbarkeitsgott in den folgenden Versen mittels einer dauerhaften Präsentationsform, seinem Kultbild, kommuniziert. Aus der Erwähnung der Wettereinflüsse und der Schutzbedürftigkeit des Priapus lässt sich herleiten, dass es sich bei dem Material des Kultbildes eher um un27 HAASE 2002, 345f.; RÜPKE 2006 a, 161–164. 28 WIMMEL 1968, 21f.; MURGATROYD 1980, 132; MALTBY 2002, 216f. WIMMEL 1968 weist zusätzlich auf die bukolischen Assoziationen dieses Eingangsverses hin (v.a. Verg. ecl. 1.1: patulae…sub tegmine fagi). Laut MALTBY 2002, 216f. ist die rituelle Forderung mit sic zum ersten Mal bei Cat. 17,5–7 bezeugt (sic tibi bonus ex tua pons libidine fiat, /…/ munus hic mihi… da). Vergleiche auch Verg. ecl. 9,30–32: sic tua Cyrneas fugiant examina taxos, / sic cytiso pastae distendant ubera vaccae: / incipe, si quid habes; Hor. carm. 1,3,1; Prop. 1,18,11; Tib. 2,5,121f. Siehe zum Gebet Kap. 2.3.4. Vergleiche auch Kap. 6 und Kap. 7.2.1.2. 29 Vergleiche SMITH 1964, 264; PUTNAM 1973, 89; MURGATROYD 1980, 132; MILLER 2002, 137; NIKOLOUTSOS 2007, 62. Vergleiche auch Theoc. epigr. 4,13ff.; Verg. ecl. 7,35f.; priap. 50. 30 Als ländlicher Gott der Gärten, Obstplantagen und Weinberge wurden Kultbilder des Priapus hauptsächlich im Freien aufgestellt (priap. 14,8; 63,1; 83,12; Hor. sat. 1,8,37). Gelegentlich hatte er seine eigenen Tempel (Anth. Pal. 6,254; priap. 1,3; 14,2; 82; 86,8; Petron. 17), manchmal wurde ihm unter einem Baum Schutz geboten (priap. 83,6). Vergleiche auch Kap. 3.4.1 sowie SMITH 1964, 264; ANDRÉ 1965, 46; MALTBY 2002, 217. Ansonsten werden der Aufstellungsort des Kultbildes und der Zeitpunkt, zu dem dieser Dialog stattfindet, im Gegensatz zu der vorangegangenen Elegie 1,3 nicht genauer bestimmt, was allerdings für die Interpretation dieser Textstelle keine Rolle spielt. Vergleiche dazu LEACH 1980 a, 66; NIKOLOUTSOS 2007, 62.

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beständiges Material wie z.B. Holz, das für viele Priapi üblich war und aus dem auch das Kultbild in Hor. sat. 1,8 bestand, als um nachhaltiges wie z.B. Stein handeln muss.31 Letzeres wäre sicherlich für meteorologische Extreme (soles – Sonnenhitze und nives – Schnee/Winterkälte, V 2) weniger anfällig und bedürfte dementsprechend nicht unbedingt eines schattigen Unterstandes. Weiterhin könnte man in der Gesamtbetrachtung der Elegie und als deren Zweitleser diese Stelle als einen Hinweis darauf interpretieren, dass die Lehren, die von Priapus im folgenden Referat propagiert werden, ebenso wie sein Kultbild von geringer Nachhaltigkeit sind und dem fazitähnlichen vana magisteria (die beiden letzten Wörter der Elegie) subtil vorgreifen. Nach diesem Versprechen folgt die eigentliche Bitte des elegischen Ichs: Es möchte von Priapus wissen, mit welcher Kunstfertigkeit (sollertia) es ihm gelungen sei, schöne Männer für sich zu gewinnen: quae tua formosos cepit sollertia? Priaps äußerliche Anziehungskraft wird zudem vom Sprecher als Grund für den erzielten Erfolg im Folgesatz ausgeschlossen: Denn schließlich steche sein Bart nicht glänzend hervor und sein Haupthaar sei ungepflegt (non tibi barba nitet, non tibi culta coma est, V 4). Im letzten Distichon der Anrede verweist er schließlich nochmals explizit auf die Ohnmacht des Gottes, indem er, das erste Verspaar inhaltlich aufgreifend, seine Wehr- und Schutzlosigkeit gegenüber den Wettereinflüssen betont. Stilistisch wird dies vor allem durch die Frontstellung des nudus (Anapher; V 5 und 6) sowie durch die parallele Wortstellung der beiden Verse unterstrichen. Auch in diesen vier Versen lassen sich unterschiedliche Bipolaritäten in Bezug auf die Darstellung des Priapus-Kultbildes ausmachen. Zum einen steht seine Fähigkeit, schöne Männer für sich einzunehmen, in Kontrast zu seinem eigenen eher ungepflegten Erscheinungsbild (V 3), das ihm von außen verliehen zu sein scheint. Generell entsprechen die Jungen, die optisch gefallen (vergleiche z.B. formosos, V 3; tenerae … turbae, V 9), dem Gegenteil von der Beschreibung des Priap (siehe V 4; nudus, V 5 f.; rustica, V 7). In dieser Kombination wirkt die Frage nach der sollertia parodistisch.32 Ähnliche Spannungen entstehen auch bei der Forderung nach der Preisgabe der sollertia bei gleichzeitiger Beschreibung des Priapus als nudus (V 5 und 6) – ein Adjektiv, das nicht nur „nackt“ oder „unbedeckt“, sondern auch „wehrlos“ bzw. „mittellos“ bedeuten kann.33 Damit wird subtil Bezug auf den ithyphallischen Zustand des Kultbildes genommen, da die meisten Kultbilder des Priapus aus wenig bis unbearbeitetem Holz bestanden, von primitiverer Machart und kaum mit weiteren Attributen ausgestattet waren.34 Dennoch waren in der Priapus-Ikonographie zwei Attribute besonders charakteristisch: zum einen der zottelige Bart, der auch in V 4 seine Erwähnung findet, und 31 Vergleiche zum Material der Priapi Kap. 3.4.1. Siehe auch SMITH 1964, 264 32 ANDRÉ 1965, 46; LEE-STECUM 1998, 133f.; MILLER 2002, 138; NIKOLOUTSOS 2007, 62. 33 CAIRNS 1979, 36–38; MURGATROYD 1980, 134; MALTBY 2002, 217; vergleiche z.B. Lucr. 5,1292; Caes. Gall. 1,25,4; Cic. Tusc. 2,33; Liv. 23,19,6; Ov. ars 3,5; Sen. contr. 9,6,2; Mart. 9,56,6. 34 Vergleiche zum Aussehen des Priapus Kap. 3.4.1; SMITH 1964, 264; MURGATROYD 1980, 133f.

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zum anderen natürlich das Glied, als wichtigstes Merkmal.35 Letzteres spielt allerdings, genauso wie in Hor. sat. 1,8, in Tib. 1,4 überhaupt keine Rolle und bleibt eine Leerstelle innerhalb des Textes.36 Es findet, mit Ausnahme der Nacktheit, die das Vorhandensein eines Gliedes zumindest suggerieren könnte, noch nicht einmal Erwähnung, obwohl es sich im Kontext der Knabenliebe anbieten würde. Auf diese Weise bleibt das Hauptcharakteristikum des Priapus, mit dem er normalerweise Eindringlinge aus seinem Territorium vertreibt oder bestraft, durch Verlagerung der Leserperspektive auf den Vortrag ausgespart; Priapus wird dadurch zum „Experten“ erhoben. Somit bricht diese Elegie mit der literarischen Konvention des Priapus. Interessant ist in diesem Zusammenhang besonders die Verwendung des Begriffes sollertia. Dieser setzt sich aus den lateinischen Wörtern sollus (= totus) und ars zusammen und meint etwa die Verbindung aus Cleverness und Kunstfertigkeit oder Fähigkeit zu etwas mit eindeutig praktischem Bezug.37 Ob man Priapus, wie er hier beschrieben wird, die praktische Umsetzung seiner Lehren selbst zutrauen könnte, ist ob der Leerstelle seines Gliedes zweifelhaft, weswegen der Leser seine konstruierte Rolle als Experte für Päderastie in Frage stellen kann. Somit kann auch diese Erkenntnis auf die Erfolglosigkeit seiner Lehren vorverweisen. Das Distichon der Verse 7 und 8 macht zunächst durch das einleitende sic ego deutlich, dass der Sprechpart des elegischen Ichs nun beendet ist, und leitet zugleich zum Vortrag des Priapus über: tum Bacchi respondit rustica proles / armatus curva sic mihi falce deus (V 7f.). Zunächst wird der Versuch unternommen, die Expertenrolle des Priapus durch Bezeichnungen als Bacchi … rustica proles und deus zu unterstreichen und die Glaubwürdigkeit des Gottes zu verstärken. Zudem scheint der Gartengott trotz Nicht-Erwähnung seines Gliedes gegen potentielle Gegner gewappnet zu sein, da er mit einer krummen Sichel bewaffnet ist. Jedoch scheitert dieses Unternehmen an den Spannungen, die sich zu den bereits erwähnten Eigenschaften des Priapus ergeben. Bacchi…rustica proles verweist zunächst auf die Abstammung des Gottes von Bacchus.38 Vor allem die Verwendung der Bezeichnung proles wird oftmals in feierlicher oder epischer Sprache verwendet, sodass die Verse angesichts ihres elegischen Kontextes einen spöttischen Unterton erhalten.39 Hinzu kommt, dass das Attribut rustica auf der einen Seite die ländliche Herkunft des Gottes illustriert, auf der anderen Seite aber auch 35 Vergleiche Kap. 3.4.1. 36 RADICKE 2006, 205; NIKOLOUTSOS 2007, 65. 37 BRÉGUET 1980, 67; MALTBY 2002, 217; sollertia bezieht sich besonders auf den Bereich der technai, wie z.B. der Astrologie (Cic. div. 1,91; Manil. 1, 73 e 95) oder der Architektur (Vitr. 5,5,8; 6,1,10), der Dichtung (Hor. ars 407) oder der trickreichen Erotik (Ov. am. 1,8,87 f.). Siehe dazu FILIPPETTI 2010, 130. 38 Zur Herkunft des Priapus siehe Kap. 3.4.1; Tibull folgt hier der üblichen Tradition (vergleiche Anth. Pal. 10,2,8; 15,8; Diod. Sic. 4,6,1. ). Auch das Epitheton des Priapus rustica ist häufig (Anth. Pal.6,22,5; Ov. trist. 1,10,26; priap. 14,7; 68,1; 81,1); vergleiche auch SMITH 1964, 265; MILLER 2002, 138.. 39 MURGATROYD 1980, 134; MALTBY 2002, 218.

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negativ konnotiert ist und mit etwas „Bäuerlichem“ resp. „Tölpelhaftem“ assoziiert werden kann.40 In dieser Hinsicht steht der Begriff rustica in starker Spannung zu der dem Priap zugeschriebenen sollertia41, welche durch seinen Vortrag in einer artifiziellen Sprache transportiert werden soll und dem Inhaber Geschick und Kunstfertigkeit abverlangt, die man einem Gott wie Priapus aber kaum zutraut. In der vorliegenden Elegie erscheint er allein phänotypisch alles andere als kunstfertig und in anderen Schriftquellen wie beispielsweise den carmina Priapea wird er als nicht gerade eloquent und eher ungebildet beschrieben.42 Schließlich könnte auch die Tatsache, dass das Kultbild mit einer krummen Sichel bewaffnet ist (armatus curva … falce, V 8), den Leser hinsichtlich der Beschreibung des Priapus in diesen ersten Versen irritieren. Wurde diesem im ersten Distichon ein schützendes Dach vor den Wettereinflüssen versprochen und dessen Schutz- und Wehrlosigkeit in den Versen 5f. besonders durch das anaphorische nudus verstärkt, steht das armatus diesen Beschreibungen entgegen. Der Gott scheint sich für den kommenden Vortrag zu rüsten, als ob er an einem Kampf teilnehmen wollte.43 Dieses beinahe episch-heroische Element44 ruft zusätzlich in Verbindung mit einer Sprecherfigur wie Priapus und durch dessen unerwartete Warnung vor den Knaben zu Beginn des Vortrages (V 9) Komik hervor, die die Autorität des designierten Experten zum Thema „Knabenliebe“ in Frage stellt.45 Das komische Element wird zusätzlich durch die krumme Sichel verstärkt, die antithetisch zu seinem sonst erigierten Phallus zu sehen ist. Damit könnte ebenfalls auf die unzureichende Expertise seines Vortrages vorverwiesen werden. Zusammenfassend lässt sich nach Untersuchung der ersten Verse festhalten, dass in der Elegie Tib. 1,4 dem Leser zunächst zwei Sprecher suggeriert werden, von denen der eine das elegische Ich ist, der den Gott Priapus, als zweiten Sprecher, um Ratschläge zum Thema Knabenliebe bittet.46 Doch noch bevor der Vortrag beginnt, werden beim Leser erste Zweifel geweckt, ob es sich bei dem Vortragenden tatsächlich um einen Experten in diesem Thema handelt. Denn schon die Einführung und Beschreibung des Priapus-Kultbildes in Tib. 1,4 ist von vielerlei Widersprüchlichkeiten und Bipolaritäten geprägt, die zu einer ersten Irritation des Lesers führen und dessen Bedenken nähren, ob Priapus tatsächlich der geeignete Lehrer für dieses Thema ist. Dabei wird besonders, wie es auch in Hor. sat. 1,8 zu beobachten war, auf der einen Seite mit dem Gegensatz von primitivem Aussehen und elaborierter Sprache und auf der anderen Seite mit der Potenz des Gottes gespielt, die in unterschiedlicher Art und Weise karikiert wird und daher 40 Vergleiche zur negativen Konnotation des Begriffes rusticus z.B.: Cic. de orat. 3,42; Ov. am. 2,4,19; Mart. 4,55,27. 41 LEE-STECUM 1998, 136. 42 Vergleiche dazu SMITH 1964, 264; priap. 3,10; 68,1. 43 Vergleiche für die militärische Sprache in Verbindung mit Priapus: priap. 9,14; 11,2; 55,4; Copa 23f. Siehe auch MURGATROYD 1980, 134. 44 Den Antagonismus zwischen Epik und Elegie in diesem Text erkennt auch NIKOLOUTSOS 2007, 61. Siehe auch BALL 1983, 68; LEE-STECUM 1983, 136. 45 Vergleiche NIKOLOUTSOS 2007, 62. 46 Vergleiche auch NIKOLOUTSOS 2007, 62.

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zwischen Macht und Ohnmacht oszilliert. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist somit die Folgende: Können die Widersprüche, die sich in der Beschreibung des Kultbildes ergeben haben, auch auf den Vortrag des Priapus übertragen werden, und könnte somit diese einleitende Passage bereits auf die unzureichende Glaubwürdigkeit des Päderastie-Referates hinweisen? Diese Frage soll nun im nächsten Abschnitt meiner Analyse näher beleuchtet werden.

4.5 DER PRIAPEISCHE VORTRAG UND SEINE REFLEXION Im Folgenden möchte ich von oben stehender Frage ausgehend die restlichen Verse der Elegie aus zwei Blickwinkeln betrachten: In einem ersten Schritt soll vor allem der Vortrag des Priapus (V 9–72) in den Blick genommen und die Zuverlässigkeit des Sprechers geprüft werden. Als Ausgangspunkt dienen die Überlegungen von Jan RADICKE47, der Tib. 1,4 bereits in Bezug auf die unzuverlässige Rede bzw. den unzuverlässigen Sprecher, wie er u.a. von NÜNNING definiert wird,48 untersucht hat. Dabei möchte ich mich allerdings auf drei Stellen beschränken und darin besonders markante Aspekte hinsichtlich meiner Fragestellung herausarbeiten: den überraschenden Beginn der Rede (V 9f.), den Augenzeugenbericht aus dem Mittelteil, in dem sich die Dominanz der Stimme des elegischen Ichs über die des Priapus bereits andeutet (V 33–35), sowie den Schlussteil der Rede, in dem Priapus schließlich vollkommen aus seiner Rolle als Liebeslehrer ausbricht (V 57–72). In einem zweiten Schritt werde ich mich der Reflexion des Vortrages durch das elegische Ich zuwenden (V 73–84) und mithilfe signifikanter Textstellen zeigen, dass auch die Stimme des tibullischen Priapus (ähnlich wie in der horazischen Satire) lediglich ein Rollenkonstrukt des Elegikers Tibull ist, das nicht bis zum Ende des Textes aufrecht erhalten werden kann.

4.5.1 Priapus – ein unzuverlässiger Referent? Die Rolle des Liebeslehrers (praeceptor/magister amoris), die Priapus in den Versen 9–72 einnimmt, lässt sich hauptsächlich bis in die griechischen Epigramme und Hirtendichtung (vor allem im Hellenismus)49 sowie in die Neue Komödie 47 RADICKE 2006, 195–210. Auch MILLER 1999, 181–224 hatte bereits auf die Polyphonie bzw. Pluralität der Stimmen in den Gedichten des Tibull hingewiesen. 48 Siehe zum „unzuverlässigen Erzähler“ und zu seiner Definition durch NÜNNING Kap. 2.4.1. 49 Praecepta für einen παιδικὸς ἔρως werden zuerst bei Kall. fr. 571 Pf. erwähnt, wo Erchius als ein Lehrer für Knabenliebe erwähnt wird. Auf ähnliche Weise wird auch Bion in Moschus 3.83 Gow als jemand beschrieben, der das Küssen von Jungen unterrichtet. In Bion fr. 13 Gow gibt ein alter Mann einem jungen Knaben Liebesunterricht. Siehe dazu MURGATROYD 1980, 130. Vergleiche im Speziellen zu Priapus: Theokr. epigr. 4 (ein Liebender weist einen Ziegenhirten an, Priapus mit der Bitte, ihn von seiner Liebe zu Daphnis zu befreien, aufzusuchen oder aber ihm dabei zu helfen, ihn für sich zu gewinnen); Theokr. Idyll 1,81–91 (Priapus

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zurückverfolgen und wurde später in die lateinische Elegie übertragen.50 Außer bei Tibull51 taucht sie auch im ersten Buch des Properz52 sowie in den Amores von Ovid auf53 und wird schließlich sogar zur vorherrschenden Sprechhaltung für dessen Ars amatoria und Remedia amoris.54 Priapus zum Liebesexperten zu erheben, basierte hauptsächlich auf seiner alexandrinisch geprägten Konstruktion. Als Sohn der Aphrodite55 sowie als lustvoller Fruchtbarkeitsgott und Liebhaber von Jungen56 war er dazu prädestiniert,57 die Rolle des Hauptsprechers in der Elegie zu übernehmen. Jedoch scheint gerade dieser Autoritätsanspruch nicht vollkommen berechtigt zu sein, wie man schon anhand der Verse 1–8 erahnen kann. Wie RADICKE richtig festgestellt hat, ist der Vortrag des Priapus nämlich durch zahlreiche Widersprüche und Gedankensprünge geprägt; er beinhaltet für einen designierten Liebesexperten unpassende Aussagen und scheint demnach von der Fähigkeit, einen praxisorientierten Ratschlag zu erteilen, weit entfernt zu sein.58 So wird der ganze Vortrag völlig unerwartet damit eingeleitet, dass Priapus seinen Zuhörer davor warnt, sich auf zarte Knaben einzulassen (o fuge te tenerae puerorum credere turbae, V 959). Nachdem in V 3 nach der Technik gefragt worden ist, mit der man schöne Männer für sich gewinnen könne, erscheint der darauf folgende Ratschlag zunächst kontraproduktiv. Als Liebeslehrer wirkt Priapus somit bereits in der programmatischen Eröffnung der Rede sehr unglaubwürdig, da man als Rezipient schnell den Eindruck gewinnen könnte, dass hier nicht der Leh-

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spricht mit Daphnis über seine unglückliche heterosexuelle Liebe); Moschus 3 Gow; Anth. Pal. 6,26 (Hedylus); 6,292 (Hedylus); Vergleiche MALTBY 2002, 216. Die Forschung meint, dass die Quelle der Erotodidaxis in der römischen Elegie die neue griechische Komödie gewesen sei. Bei Plautus und Terenz lassen sich Anweisungen einer lena, einer meretrix oder eines peritus adulescens finden und aus den erhaltenen Fragmenten des Menander verleiht dieser Annahme weiteren Boden (z.B. 258; 541; 566; 646 K), aber die didaktische Einstellung und die Beanspruchung von Expertise kann noch weiter zurückverfolgt werden (z.B. Theogn. 1353ff.; Aristoph. eccl. 893ff.). Vergleiche dazu SMITH 1964, 265f.; MURGATROYD 1980, 130; MALTBY 2002, 215f. Neben Tib. 1,4 noch Tib. 1,2,19f., Tib. 1,6 und 1,8. Prop. 1,1,35–38; 1,7; 1,9; 1,10,15–30; 1,20. Ov. am. 1,4; 1,8; 2,19; 3,1,49–52; 3,4. MALTBY 2002, 216. Priapus wird außer in Tib. 1,4 häufig vor und in der augusteischen Literatur erwähnt. Vergleiche z.B.: Afranius Frg. 403 f. R (als Prolog-Sprecher); Cat. 47,4 Frg. 1; Verg. ecl. 7,33–36; georg. 4,110f.; Copa 23f.; Hor. sat. 1,8; epod. 2,21; Tib. 1,1,17f.; Ov. fast. 1,391ff.; 6,319ff.; met. 9,347; 14,640; trist. 1,10,26 und Carmina Priapea passim. Siehe auch MURGATROYD 1980, 128f. Vergleiche Kap. 3.4.1. Theoc. Epigr. 4; schol. ad Theoc. Idyll 1,81; Anth. Pal. 16,240 (Philippus); 241 (Marcus Argentarius); 243 (Antistius); Lucian Dial. Deor. 273–5; priap. 3; 5; 6; 13 etc. MURGATROYD 1980, 130f. RADICKE 2006, 196. Konstruktion von fuge (statt noli) + Infinitiv ist selten und poetisch. Dies kann hier als Echo auf Lucr. 1,1052 verstanden werden: fuge credere Memmi. Später auch in Hor. carm. 1,9,13; 2,4,22; Pers. 6,65; Stat. Theb. 9,139 verwendet. Vergleiche MURGATROYD 1980, 135; MALTBY 2002, 218.

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rer, sondern eher ein verschmähter Liebhaber aus ihm spricht.60 Demnach ließe sich schon in der Anfangspassage der erste Hinweis auf das Schillern der Sprecherstimme zwischen zwei unterschiedlichen Rollen ausmachen und erste Inkongruenzen bezüglich der Sprechhaltung belegen. Im direkten Anschluss daran lassen sich die ersten Zweifel etwas relativieren: Indem Priapus exemplarisch die attraktiven Eigenschaften unterschiedlicher Jungen aufzählt (V 11–14), gerät das fuge in Vergessenheit, während das eigentliche Thema wieder in den Vordergrund gerückt wird. Dabei unterstützt die Struktur des Textes die inhaltliche Aussage, da eine männlich konnotierte Tätigkeit oder Eigenschaft im Hexameter mit einer femininen im Pentameter kontrastiert wird (equom conpescit – placidam niveo pectore61 pellit aquam, fortis … audacia – virgineus teneras … pudor ante genas).62 Die unterschiedlichen Typen von Jungen reflektieren damit das Wesen des Priapus, das, wie im Kap. 3.5 gezeigt werden konnte, ebenfalls zwischen maskulinen und femininen Zügen schillert und damit das in V 9 beobachtete Oszillieren der Sprechstimme zusätzlich unterstreicht. Während der Sprecher im nächsten Abschnitt seine Rolle als Liebeslehrer wieder ganz und gar auszufüllen scheint und seine Rede so fortführt, als ob er zuvor zur Knabenliebe aufgerufen und nicht von ihr abgeraten hätte (V 15–20),63 gestaltet sich die nächste These etwas problematischer (V 21–26). Der Gott empfiehlt dem Bittsteller, vor einem Meineid nicht zurückzuschrecken (nec iurare time, V 21) und bekräftigt dieses Argument u.a. damit,64 dass sowohl die Göttin Diana (Dictynna, V 25) bei ihren Pfeilen als auch die Göttin Minerva bei ihren Haaren einen solchen Meineid erlaubten (V 25f.). Aus dem Munde eines Priaps und in seiner Rolle als Liebeslehrer scheinen diese Worte glaubhaft zu sein und die Lesererwartungen zunächst zu erfüllen.65 Jedoch enthält auch dieser Abschnitt durch die Erwähnung der Diana und Minerva im Kontext von falschen Liebesschwüren einen ironischen Unterton, der meiner Meinung nach die Autorität der Aussage untergräbt. Denn als keusche und jungfräuliche Göttinnen wären sie die 60 Vergleiche BALL 1983, 69; LEE-STECUM 1998, 136–138; RADICKE 2006, 197f. 61 niveus ist normalerweise ein weibliches Attribut. Bei Männer war eher die Sonnenbräune aufgrund der Arbeiten unter freiem Himmel üblich. Vergleiche dazu MILLER 2002, 138. 62 Der Hexameter vertritt als epischer Vers eher das Heroische und somit den männlichen Part, während der um einen Versfuß verkürzte Pentameter (vergleiche Ov. am. 1,1) den weiblichen Part repräsentiert. Siehe dazu auch SMITH 1964, 266f.; PUTNAM 1973, 90f.; MURGATROYD 1980, 136f.; MALTBY 2002, 219f. 63 PUTNAM 1973; 91; MURGATROYD 1980, 137–139; MALTBY 2002, 220f.; MILLER 2002, 139. Siehe auch RADICKE 2006, 198. 64 Der Schwur eines Liebenden, der nie zu den Ohren der Göttern vordringt, sowie der Meineid eines Liebenden, der von den Winden und der See davongetragen wird und dem Liebenden nicht mehr negativ angelastet werden kann (V 21f.), ist eine bekannte, antike Redensart: Hesiod 23; Frag. Trag. Graec. Adesp. 525; Plato, Phileb. 65 C; Symp. 183 B; Cornut. Theol. Graec. 24; Publil. Syr. 38; besonders auch Anth. Pal. 5,6 (Kallimachos); Ov. am. 2,8,19; Seneca Rhet. Controv. 2,2; Prop. 2,16,47; Lygd. 3,6,49. VergleicheSMITH 1964, 270. Siehe für weitere antike Textzitate MALTBY 2002, 221f. 65 RADICKE 2006, 198.

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letzten, die ein solches Fehlverhalten billigten, und es wäre unwahrscheinlich, dass Liebende auf sie bzw. ihre Attribute (Diana – Pfeile (perque … sagittas, V 25), Minerva – Haare (crines perque … suos, V 26)) schwören.66 Auf diese Weise wirkt das Argument inkonzin und unterstreicht die Unzuverlässigkeit des Sprechers. Aufgrund dieser Beobachtung scheinen die Verse 21–26 den folgenden Ratschlag vorzubereiten, der den Leser erneut verwundert und den zweiten markanten Höhepunkt bezüglich der Unzuverlässigkeit des Sprechers darstellt: Priapus warnt darin den Zuhörer, seine Jugend nicht unnütz zu verschwenden, da die menschliche Schönheit nicht von allzu langer Haltbarkeit sei (V 27–39). Diese Empfehlung ist allerdings nicht mit dem zweiten praeceptum in Einklang zu bringen, in dem der Gott den Bittsteller dazu aufgefordert hatte, sich in Geduld zu üben (V 15–20).67 Sprachlich stehen sich in diesen beiden Abschnitten die Anaphern longa dies (V 17 und 18), annus (V 19 und 20) und quam cito (V 28, 29 und 30) gegenüber und verstärken den vorliegenden Widerspruch zusätzlich.68 An dieser Stelle spricht Priapus weniger als Liebeslehrer denn als verschmähter Liebhaber.69 Als ein solcher argumentiert er ähnlich wie das elegische Ich in Tib. 1,1.70 Innerhalb dieses Abschnittes kann man den Ausruf crudeles divi (V 35) sicherlich als stärkstes Indiz für das brüchige Rollenkonstrukt des Priapus und als Gipfel der Inkongruenz in der bisherigen Rede deuten. Nachdem durch den Sprecher mittels Einsatz seines Augenzeugenberichts in den Versen 33f. (vidi, V 33) der Versuch unternommen worden ist, die zuvor getätigte Aussage transiet aetas. / quam cito… (V 27f.) durch eigene Erfahrungen anzureichern und damit hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit aufzuwerten,71 klingt crudeles divi aus dem Munde des Priapus – selbst ein Gott, wenn auch ein relativ hierarchisch niedrig stehender sehr paradox und komisch.72 Somit scheitert der Versuch des priapeischen Sprechers, seinen Aussagen Autorität zu verleihen, ausgerechnet an der Stelle, an der 66 SMITH 1964, 271f.; PUTNAM 1973, 92; MURGATROYD 1980, 140; BALL 1983, 70; LEESTECUM 1998, 141; MALTBY 2002, 223; MILLER 2002, 139. 67 LEE-STECUM 1998, 142f.; MALTBY 2002, 223; RADICKE 2006, 198f. 68 BALL 1983, 71; LEE-STECUM 1998, 143; MALTBY 2002, 223; MILLER 2002, 139. 69 RADICKE 2006, 199. 70 In diesem Zusammenhang erinnert der Ratschlag sogar indirekt an eine frühere Stelle in Tibull, in der das elegische Ich anmahnt, dass es sich nur in der Jugend gezieme, sich der Liebe zu verschreiben und man dementsprechend diese Zeit nutzen müsse, bevor es zu spät sei. Siehe Tib. 1,1,69–74: interea, dum fata sinunt, iungamus amores: / iam veniet tenebris Mors adoperta caput; / iam subrepet iners aetas, nec amare decebit, / dicere nec cano blanditias capite. / nunc levis est tractanda Venus, dum frangere postes / non pudet et rixas inseruisse iuvat. 71 Vergleiche auch Tib. 1,2,91; Der Gebrauch eines Beispiels aus dem Bereich der persönlichen Erfahrungen ist für didaktische Dichtung charakteristisch. Siehe dazu auch Lucr. 4,577–9; 6,1044–55; Verg. georg. 1,316–38; häufig auch in Ovids Ars amatoria und Remedia amoris. Vergleiche dazu MURGATROYD 1980, 143; MALTBY 2002, 225f. Ähnliche Beglaubigungsstrategien ließen sich auch in Hor. sat. 1,8,23 erkennen. Vergleiche zudem Verg. ecl. 8,99; Ov. am. 1,8,11 und Iuv. 15,45. MALTBY 2002, 167. 72 MURGATROYD 1980, 143; MALTBY 2002, 226; MILLER 2002, 140.

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sich seine Glaubwürdigkeit auf dem Höhepunkt befinden sollte. Stattdessen wird dessen Ausbruch aus der Rolle des Fruchtbarkeitsgottes zum ersten Mal eindeutig evident und bestätigt auf diese Weise die Beobachtung des Oszillierens der Sprecherstimme zu Beginn der Rede (V 9). Nachdem der fünfte Ratschlag (V 39–56), in dem Priapus dazu rät, allen Wünschen des geliebten Knaben nachzukommen (tu, puero quodcumque tuo temptare libebit, / cedas: obsequio plurima vincet amor73, V 39f.), um bei diesem etwas zu erreichen (tum tibi mitis erit, rapias tum cara licebit / oscula (…), V 53– 56), in Bezug auf meine Fragestellung unauffällig ist,74 kann man den letzten Abschnitt (V 57–72) als Höhepunkt der Rede insgesamt bezeichnen. In ihm äußert Priapus zunächst Kritik an dem gegenwärtigen Zeitalter, das die Künste, wie er sie vermittelt, verkenne (heu male nunc artes miseras haec saecula tractant, V 57), und verflucht die Tatsache, dass die jungen Knaben seiner Zeit zu materialistisch geprägt seien (V 58–60). Daher fordert er die Jungen auf, sich eher den Musen und Dichtern als den Geschenken zuzuwenden (Pieridas, pueri, doctos et amate poetas, V 61), da Gedichte immortalitas verhießen (V 61–66)75, und verflucht erneut diejenigen, die seiner Aufforderung nicht Folge leisten, mit einem Leben als umherziehender Kybele-Priester und der damit verbundenen Kastration (V 67– 70).76 Zur Unterstreichung seiner Meinung und seiner Autorität führt er am Ende (V 71f.) Venus auf, die seine Ansicht bestätige (blanditiis volt esse locum Venus, V 71). 73 Vergleiche Verg. ecl. 10,69: omnia vincit amor. 74 RADICKE 2006, 200. Siehe zur Struktur dieses Abschnittes MURGATROYD 1980, 145; MALTBY 2002, 227; RADICKE 2006, 199 ist der Ansicht, dass Priapus in diesem Teil seine Rolle als Liebeslehrer angemessen ausfüllt. Das obsequium und die Bereitschaft, Leiden auf sich zu nehmen, ist ein gängiges Motiv in der römischen Liebeselegie (servitium / militia amoris; vergleiche Ov. am. 1,9; Prop. 1,10,21–30; Ov. ars 2,177–272; siehe dazu auch PUTNAM 1973, 93f.; BALL 1983, 71f.; MALTBY 2002, 227) und manifestiert sich in dem vorliegenden Text hauptsächlich in den Versen 41–52, in denen Beispiele für aufzunehmende Strapazen gebracht werden. Jedoch steht meiner Meinung nach dieses Argument in Kontrast zu den Versen 21–26: Wurde dort gepredigt, dass Meineide, falsche Versprechungen sowie Notlügen im Kontext der Liebe erlaubt seien, soll man dem Geliebten nun in allem gehorchen, wonach er begehrt, ohne darüber nachzudenken und ohne von Meineiden/falschen Versprechungen Gebrauch zu machen, um an sein Ziel zu gelangen. Somit liegt hier eine weitere Inkonsistenz innerhalb der Rede des Priapus vor, die an der Glaubwürdigkeit und an der Effizienz seines Wissens zweifeln lässt. Siehe dazu LEE-STECUM 1998, 144f. 75 Zur Unterstreichung seiner Aussage führt er erneut mythologische Exempla ein, nämlich die des Königs Nisus von Megara und des Pelops. Vergleiche dazu MILLER 2002, 142. 76 Kybeles Priester, die Galli, waren Eunuchen und führten ein Leben als durch Städte wandernde Bettler (Babrios 141 Crus.; Phaedr. 4.1; Dio. Hal. loc. cit.; Lucr. 2,624ff.). In ihren Prozessionen folgten sie dem Abbild der Kybele, das auf einem Wagen platziert war (Lucr. 2,601f.; Verg. Aen. 6,784f.; Ov. fast. 4,185f.), begleitet von lauter Musik. Die Selbstbeschneidung der Galli wurde in der lateinischen Literatur oft erwähnt (Prop. 2,22,15f.; Iuv. 2,115f.; Mart. 9,2,13f.; 11,84,3f.; Stat. Theb. 10,170ff.; Val. Fl. 8,241f.) sowie ihre Bettelei (Cic. leg. 2,9,22; 2,16,40; Ov. fast. 4,350ff.). Sie wurden als effeminiert und wertlos erachtet (Iuv. 8,171ff.; Mart. 14,204; Aug. civ. 7,26). Siehe dazu SMITH 1964, 284f.; PUTNAM 1973, 96f.; MURGATROYD 1980, 153; MALTBY 2002, 235; MILLER 2002, 142.

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Eingeleitet durch das emphatische heu in Vers 57 und unterstrichen durch das nunc im gleichen Vers bricht Priapus an dieser Stelle nun vollkommen aus seiner Rolle als Liebeslehrer heraus. Dieser Bruch lässt sich auch innerhalb der Rede erkennen. Zum einen ändert sich der Adressat seines Vortrages: Seine Worte richten sich nämlich nun nicht mehr an das elegische Ich, das ihn eingangs zu diesem Vortrag motiviert hat, sondern nunmehr in einer fiktiven Anrede an die jungen Knaben selbst (V 61), um sie zum rechten Verhalten in der Liebe zu bewegen. Dies spricht nicht unbedingt dafür, dass er als Liebesexperte von der Effizienz der von ihm vermittelten Worte überzeugt ist.77 Zum anderen ändert sich die Intention des Vortrages: Es handelt sich nun nicht mehr um eine Liebeswerbung um junge Knaben, sondern um eine Werbung für Liebesdichter, die bisher von ihren begehrten Jungen zugunsten von wertvollen Geschenken (vergleiche V 60 und 62) verschmäht worden sind. Diese Worte klingen aus dem Munde des Priapus nicht glaubwürdig, aus dem Munde des elegischen Ichs, das den Reichtum und das Streben danach verachtet (vergleiche Tib. 1,1,1–6; 41–44;51f.), allerdings schon. Dieses fragte zu Beginn der Elegie (V 3) Priapus zum Thema Knabenliebe um Rat, was darauf schließen lässt, dass es selbst bisher erfolglos gewesen ist. Oszillierte die Stimme des Priapus während des Vortrages noch zwischen der des Gottes und der des elegischen Ichs, scheint nun zum Ende des Referats die des elegischen Ichs vollkommen dominant zu sein.78

4.5.2 Überraschende Schlusswendung Mit der Erwähnung der Venus und deren Gunst für Menschen, die dem Vortrag gemäß der Liebe den richtigen Stellenwert zumessen (V 71f.), endet die Rede und somit auch der Dialog zwischen dem elegischen Ich und Priapus; der Sprecher nutzt die letzten Verse der Elegie, um den Inhalt zu reflektieren. Hinsichtlich der bereits erwähnten Beobachtungen in Bezug auf das Changieren der Sprecherstimme zwischen der des Priapus und des elegischen Ichs lassen sich meiner Meinung nach vor allem im letzten Abschnitt der Elegie Erkenntnisse gewinnen, die zum einen bestätigen, dass der Dialog, der hier präsentiert wird, lediglich fingiert ist, und zum anderen deutlich werden lassen, dass es sich bei dem eigentlichen Sprecher der Elegie um das elegische Ich des Tibull handelt. Der Teil beginnt in V 73 für den Leser mit mehreren Überraschungsmomenten: Nachdem der Anfang der Elegie ohne weitere Rahmenerzählung oder Anschluss an vorangegangene Elegien direkt in den Dialog eingestiegen war, ändert sich durch haec mihi, quae canerem Titio, deus edidit ore (V 73) plötzlich die Sprechhaltung. Völlig überraschend wird mit diesem Vers zugleich eine neue Figur eingeführt (Titio), die dem Leser zusätzlich als der eigentliche vom Gott Priapus ge77 Die Wendung an die Knaben am Schluss des Lehrvortrages korrespondiert auch mit der Warnung vor ihnen zu Beginn der Rede (MUTSCHLER 1985, 82). 78 MILLER 2002, 141; RADICKE 2006, 201f.

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wollte Adressat dieses Referats über die Knabenliebe präsentiert wird. Dies konnte der Rezipient nicht erwarten, wurde doch durch die Einleitung der Elegie suggeriert, dass es das elegische Ich selbst sei, das hier in seinem eigenen Interesse den Fruchtbarkeitsgott um Rat bittet und ihm dafür sogar ein Schutzdach in Aussicht stellt (sic ego; tum (…) respondit (…) / (…) mihi (…) deus, V 7f.).79 Damit steht das Ende der Elegie in eindeutigem Widerspruch zum Anfang. Dass es sich bei Titius um eine bestimmte, historische Person handelt, ist unwahrscheinlich. So konnte der Name „Titius“ in juristischen Texten im Sinne eines „Herrn Jedermanns“ oder „Herrn XY“ verwendet werden. Der Name dient hier meiner Meinung nach lediglich als Platzhalter, um einen unerwarteten Effekt zu erzeugen, mit dem im Leser Zweifel über die zuvor getätigten Aussagen des Priapus erregt werden, und um diese letztlich als fingiert zu kennzeichnen.80 Der folgende Vers 75 stellt für den Leser ein weiteres Überraschungsmoment dar und führt als Vorstufe auf die endgültige Enttarnung der Stimme des Priapus zu. Wurde besonders in dem letzten Abschnitt der Rede (V 57–72) offenbar, dass hier die Stimme des elegischen Ichs dominant ist, so okkupiert es in Vers 75 selbst die Rolle des magister amoris (vos me celebrate magistrum) und dispensiert damit den Priapus vollkommen aus seiner Verantwortung als Liebeslehrer. Dabei leitet besonders deus edidit ore (V 73) den Übergang des elegischen Ichs von der Rolle des Ratsuchenden zu der des Liebeslehrers ein und markiert somit einen entscheidenden Wendepunkt: Auf der einen Seite ist edidit ore die letzte dem Gott in diesem Text zugeschriebene Handlung, bevor er endgültig daraus entschwindet, auf der anderen Seite ist diese Iunktur typisch für Orakel, sodass spätestens in V 75 durch die Vereinnahmung der Priapus-Rolle deutlich wird, dass sich das elegische Ich selbst zum vates stilisiert, das die Lehren des Priapus verkündet.81 Auf diese Weise wird klar, dass der erste Eindruck des Lesers revidiert werden muss: Die zu Beginn suggerierte Sprechsituation eines Dialogs zwischen dem elegischen Ich und Priapus ist fingiert.82 Dementsprechend handelt es sich um eine zitierte Version eines fiktiven Priapus-Vortrages, die besonders in den Schlussversen ein-

79 BRIGHT 1978, 236; BRÉGUET 1980, 68; CAIRNS 1979, 173; MURGATROYD 1980, 156; MCGANN 1983, 1983; MUTSCHLER 1985, 82f.; LEE-STECUM 1998, 151; MILLER 2002,143; RADICKE 2006, 207. 80 SMITH 1964, 286; BRIGHT 1978, 236f; CAIRNS 1979, 173f.; MURGATROYD 1980, 156; MUTSCHLER 1985, 83; MALTBY 2002, 236; MILLER 2002, 143; RADICKE 2006, 207f. 81 Vergleiche Verg. Aen. 7,194; Ennius frag. sc. 43V3. Siehe dazu SMITH 1964, 287; PUTNAM 1973, 97. In diesem Zusammenhang ist die Verwendung von canerem in V 73 sehr interessant, da es u.a. auf der einen Seite „prophezeien“ und auf der anderen Seite „singen“ bedeuten kann. Auf diese Weise schafft der Sprecher eine enge Verbindung zu den Versen 57–72, in denen er zur Liebe zu den Musen und Dichtern aufgerufen hatte (Pieridas, V 61; doctos (…) poetas, V 61; Pieridas, V 62; carmine, V 63; carmina, V 63; Musae, V 65; Musas, V 67). Siehe dazu RADICKE 2006, 207. 82 RADICKE 2006, 202 spricht in diesem Zusammenhang von einem Monolog mit „Öffentlichkeitscharakter“, da er sich, wie noch zu zeigen sein wird, an Marathus und einen allgemeinen Rezipientenkreis richtet.

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deutig durch die Stimme des elegischen Ichs geprägt ist.83 Durch die Selbsternennung zum magister macht das elegische Ich die Lehren zu seinen eigenen und identifiziert sich sogar mit ihnen. An dieser Stelle wird dem Leser somit klar, dass es sich bei der Figur des Priapus lediglich um einen dem elegischen Ich vorgeschalteten Sprecher handelt und dessen Stimme mit der des elegischen Ichs kongruent sein muss.84 Doch welche Autorität besitzen die referierten Lehren nach diesen Erkenntnissen noch? Nachdem in dem fingierten Referat mehrere Widersprüche und Inkonsistenzen aufgedeckt werden konnten, die auf die fehlende Praktikabilität der Lehren verwiesen haben, lassen sich auch in diesem letzten Abschnitt (V 73–84) mehrere Indikatoren für die Erfolglosigkeit der praecepta herausarbeiten: Durch die Erwähnung des Titius und die Weitergabe der Lehre an ihn in V 73 kommt eine neue Rezeptionsebene ins Spiel. Auf diese Weise wird ein Multiplikatoreffekt suggeriert, der deutlich machen soll, dass die Ratschläge zur Knabenliebe so schlüssig sind, dass sie ihr Publikum finden und erfolgreich sein werden. Von der Annahme ausgehend, dass die Figur des Titius tatsächlich lediglich Platzhalter für eine unbestimmte „Person xy“ ist, kann dessen Einführung zugleich eine überraschende Öffnung des Adressatenkreises auf eine allgemeine Leserschaft der Elegie bedeuten. Dadurch sähe sich der Leser unversehens selbst angesprochen, dem zum einen die (angeblichen) Lehren des Priapus über das vermittelnde elegische Ich zugestellt werden sollen und der zum anderen direkt aufgefordert wird, das elegische Ich als magister amoris zu feiern: vos (=Leser) me celebrate magistrum (V 75). Auf diese Weise soll aus der Erwähnung des Titius der Anschein erweckt werden, dass die Lehre nicht nur Gegenstand einer Unterredung zwischen zwei einzelnen Dialogpartnern, sondern durchaus für einen größeren Rezipientenkreis gedacht sei, der den Leser dieses Textes miteinschließt, und dadurch über eine hohe Autorität verfüge.85 Allerdings wird diese Erwartung durch den nächsten Vers (V 74) nicht erfüllt: Denn die Ehefrau des Titius verbietet es ihrem Gatten, sich an diese Tipps zur Knabenliebe zu erinnern (sed Titium coniunx haec meminisse vetat). Aus der Nennung der unbekannten und nicht näher spezifizierten coniunx kann man zwei Folgerungen ableiten, die beide auf die Erfolglosigkeit der Lehren des Priapus vorverweisen: Es stellt sich zunächst folgende Frage: Wenn die Weitergabe der praecepta an Titius (ille, V 75) durch Verbot der coniunx scheitert und Titius selber lediglich Platzhalter für jeden beliebigen Leser der tibullschen Elegie ist, wie sollen dann die Lehren an vos (V 75) gelangen, die bereits als elegische Leserschaft identifiziert werden konnten und das elegische Ich selbst als magister amoris feiern sollten? Durch das Verbot der Weitergabe durch die coniunx werden Priapus und seine Lehren demnach entmachtet: Während der Text zunächst suggeriert, dass der 83 MURGATROYD 1977, 113; LEE–STECUM 1998, 151; FINEBERG 1999, 427; RADICKE 2006, 205; FILIPPETTI 2010, 130. 84 MURGATROYD 1980, 155; MILLER 2002, 143; RADICKE 2006, 209. 85 RADICKE 2006, 202.

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Fruchtbarkeitsgott die Weitergabe an Titius präferiert (haec mihi, quae canerem Titio, deus edidit ore, V 73), wird sein Wunsch durch eine einfache coniunx verhindert (sed Titium coniunx haec meminisse vetat, V 74), was Priapus als „orakelnde Gottheit“ eigentlich hätte vorausahnen müssen. Dadurch wird seine Autorität in der vertikalen Kommunikation zwischen Mensch und Gott entschieden untergraben. Zugleich ist die vom Gott autorisierte Adresse seiner Lehren damit ganz offensichtlich gescheitert. Stattdessen scheint das elegische Ich seinerseits selbstständig Kundschaft für sich und seine Lehren zu suchen (V 75) und verstärkt dadurch die Entmachtung des Priapus und dessen damit verbundene Verdrängung aus dem Text zusätzlich. Zum andern entsteht durch das Einschreiten der Gattin gegenüber ihrem Mann (pareat ille suae, V 75) zunächst vordergründig eine gewisse Komik, wenngleich die Umkehrung der Geschlechterkonventionen für die Römische Liebeselegie typisch ist. Wenn Titius allerdings Stellvertreter für den idealtypischen, elegischen Leser ist und dadurch für ein großes Lesepublikum steht, wie es in V 74 zunächst suggeriert wird, dann wird dieser Status in V 75 durch die Erwähnung der coniunx, die ihm den Umgang mit den praecepta verbietet, ausgehebelt: Denn Verheiratete gehörten im Gegensatz zu Unverheirateten/Ungebundenen nicht zum Leserkreis römischer Liebeselegie. Damit weist nicht nur das Einschreiten der coniunx, sondern auch der mit der coniunx verbundene Ausschluss des Titius aus dem potentiellen Rezipientenkreis der römischen Liebeselegie auf die Erfolgslosigkeit der priapeischen Lehren voraus. Diese Beobachtung wird durch die Tatsache gesteigert, dass sich das elegische Ich als magister für eine Lehre feiern will, die es nicht selbst erdacht hat, sondern die es nur in der Rolle des Priapus referiert und damit nur reproduziert. Dies wird innerhalb des Textes durch eine starke Fokussierung des Sprechers auf seinen Ruhm deutlich gemacht und durch unterschiedliche Flexionen der Personal- oder Possessivpronomina der ersten Person Singular markiert (me, V 75, 77, 79, 81; mea, V 84). Auf diese Weise driftet Priapus endgültig aus dem Text. Zusätzlich wird die Klientel genauer definiert (me, qui spernentur, amantes / consultent: cunctis ianua nostra patet, V 77f.), die sich hinter vos (V 75) zu verbergen scheint. Doch diese Selbstdefinition als Liebeslehrer aller Verschmähten wirkt an dieser Stelle unter Berücksichtigung aller bisherigen Erkenntnisse lächerlich und geradezu parodistisch. Denn da die vorgetragenen praecepta, wie oben gezeigt, widersprüchlich zueinander und in sich nicht konsistent sind, und zudem die Weitergabe der Ratschläge mit höchster Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleiben wird, kann der elegische praeceptor seine selbst konstruierte Expertenrolle nicht aufrecht erhalten und wirkt an dieser Stelle unglaubwürdig und komisch. Dies wird schließlich sogar durch das Geständnis des elegischen Ichs auf die Spitze getrieben, dass es selbst dem homosexuellen Verlangen zu einem Jungen verfallen sei, welches jedoch bisher unerwidert und erfolglos geblieben sei (V 81). Damit gibt sich der selbst ernannte magister amoris endgültig als unzuverlässig zu erkennen und enttarnt die zuvor referierten Lehren letztlich als unbrauchbar. Sie sind damit weit entfernt von einer sollertia, wie sie dem Leser noch zu Beginn des Textes (V 3) suggeriert wurde, und es stellt sich die Frage, warum die verschmäh-

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ten Liebenden ausgerechnet den elegischen Lehrer um Rat fragen sollten. Am Ende des Textes dominieren also die artes pueri86 (quos male habet multa callidus arte puer, V 76) die sollertia Priapi, die das elegische Ich für sich in Anspruch nimmt und die sich schließlich als nutzlos erweist. Demnach kann sich das elegische Ich durchaus selbst zu der Klientel zählen, die seiner Meinung nach eines Liebesratschlages bedarf und die er in den Versen 75–78 genauer definiert. In diesem Kontext scheint sich das elegische Ich aus der Perspektive eines Lesers, der die Aussagen als unbrauchbar enttarnt hat, selbst zu unterminieren, wenn es in den Versen 79 und 80 in einem geradezu feierlichen Ton für seine Zukunft prognostiziert, dass eine Zeit kommen werde, in der eine Schar junger Männer ihn als alten Mann, der Liebeslehren vermittelt, begleiten und ihm darin folgen werde (cum me Veneris praecepta ferentem / deducat87 iuvenum sedula turba senem).88 Dieser Zukunftswunsch setzt allerdings voraus, dass die praecepta nachhaltig sind und begründeten Anspruch auf aeternitas haben. Doch da die Lehren voller Widersprüche sind, kann vor allem auch die Prognose von Nachhaltigkeit durch iuvenum sedula turba nicht aufrecht erhalten werden. Damit wirkt dieser Blick in die Zukunft durch den Kontrast der suggerierten Wichtigkeit der Lehren und deren tatsächlichen Bedeutungslosigkeit aus Sicht des Sprechers unfreiwillig komisch und aus Sicht des Lesers unglaubwürdig und fast schon satirisch.89 Den Höhepunkt bringen schließlich die Schlussverse der Elegie (V 81–84), in denen das elegische Ich seine Neigung zu Knaben enthüllt und zugleich seine bisherigen Aussagen als vollkommen nutzlos kennzeichnet. Der Abschnitt beginnt mit einer erneuten Überraschung für den Leser: Es kommt zu einer abrupten Umkehrung von dem prognostizierten Erfolg in der Zukunft zum gegenwärtigen Misserfolg.90 Das elegische Ich gesteht, eingeleitet durch ein emphatisches heu heu, dass es unglücklich in den Knaben Marathus91 86 artes sind hier (V 76) in ähnlicher Bedeutung wie dolus oder fraus zu verstehen (so auch V 82). Siehe dazu auch z.B. Sall. Iug. 48,1; Verg. Aen. 1,657, 2,106, 2,152, 2,195, 7,477, 7,765, 11,760, 12,631; Prop. 1,1,17, 3,24,25, 4,5,38; Ov. am. 1,2,8, 2,12,4; Ov. ars 1,265, 2,12; Ov. fast. 3,294. Das Leitmotiv der artes wird bereits in V 57 eingeführt, in dem der Sprecher die Behandlung seiner Künste (carmina) bejammerte. Dabei geht mit der Einführung der Künste der Beginn des vollkommenen Zusammenbruchs der priapeischen Liebeslehrer-Fassade einher. 87 Deducere ist ein Terminus technicus dafür, dass unterschiedliche Bürger nach Hause oder zur Arbeit begleitet werden, wobei immer erotische Obertöne dabei eine Rolle spielen. Siehe dazu PUTNAM 1973, 98; LITTLEWOOD 1983, 2154. 88 Vergleiche zu diesen Versen 79f.SMITH 1964, 288; PUTNAM 1973, 98; BRÉGUET 1980, 68; MURGATROYD 1980, 158; LEE–STECUM 1998, 152; MALTBY 2002, 237. 89 Veneris praecepta ferentem kann ambivalent betrachtet bzw. übersetzt werden und damit auf die obige Argumentation subtil verweisen. Auf der einen Seite kann es „Liebeslehren vermitteln/bringen“ und auf der anderen Seite auch „Liebeslehren ertragen“ bedeuten. Letztere Übersetzungsmöglichkeit könnte auf die Erfolglosigkeit der Lehren im Allgemeinen und des Priapus in seiner Beziehung zu Marathus im Speziellen anspielen. Siehe auch MILLER 2002, 143. 90 Vergleiche MILLER 2002, 143. 91 Siehe zu Marathus insbesondere ANDRÉ 1965, 45; MURGATROYD 1977, 105–119; GAULY 1995, 98–105.

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verliebt sei (heu heu, quam Marathus lento me torquet amore, V 81). Die Neigung zu Knaben hatte sich zwar in dem Vorherigen bereits angedeutet, dass allerdings mit Marathus ein neues Objekt der Begierde in die Tibullischen Elegien eingeführt wird, kommt unvermittelt und ist dadurch sehr effektvoll, da in den bisherigen Texten die heterosexuelle Beziehung zu der puella Delia im Zentrum stand. Dadurch wird auch in Verbindung mit V 75 klar, dass der Vortrag des Priapus ein Produkt des elegischen Ichs sein muss.92 In diesem Kontext ist es auch vorstellbar, dass besonders die Verse 57–72, in denen Priapus die Knaben auffordert, die Musen und Dichter zu lieben, indirekt an Marathus gerichtet waren und um ihn werben sollten.93 Der formale Sprecher dieser Verse, Priapus, wird hier besonders deutlich als brüchiges Rollenkonstrukt enttarnt. Die Nutzlosigkeit der vorgetragenen Liebeslehren und damit auch die Unzuverlässigkeit des Sprechers offenbaren sich endgültig in der Erwähnung des Marathus und in der schmerzvollen Erinnerung des elegischen Ichs an die eigene Erfolglosigkeit in seinem Werben um den jungen Knaben. Programmatisch greift die Elegie 1,4 damit den Elegien 1,8 und 1,9 vor, in denen sich die Qual (torquet) des elegischen Ichs in seiner erfolglosen Liebe zu Marathus entfalten wird.94 Durch den Aufruf der eigenen negativ konnotierten Liebesbeziehung zu einem jungen Mann bricht die in den Versen 73–80 aufgebaute Fassade des selbstbewussten und selbstdesignierten magister amoris vollkommen zusammen: Das elegische Ich zweifelt nun an seinen eigenen Fähigkeiten und Listenreichtum (deficiunt artes, deficiuntque doli, V 82). Mit dieser programmatischen Negierung wird der Abschluss der Elegie vorbereitet. Der Sprecher bittet Marathus flehentlich, seiner Aufforderung Folge zu leisten und damit seine Qual zu beenden (parce, puer, quaeso, V 83). Ansonsten befürchte er, dass er zum schimpflichen Gerede der Leute werde (ne turpis fabula fiam, V 83), indem sie seine Lehren als inhaltslos verlachen (mea ridebunt vana magisteria, V 84). Am Ende gesteht sich das elegische Ich also selbst ein, dass seine Lehren in der Praxis versagt haben.95 Diese Erkenntnis wird dem Leser im Verlauf des ersten Buches bei Tibull rückblickend auch bestätigt, da das elegische Ich auch in den anderen beiden Marathus-Elegien 1,8 und 1,9 bei dem Jungen kein Erfolg hat. Im Zusammenhang mit diesen werkinternen Vorausblicken bewahrheiten sich die in den Versen 83 und 84 geäußerten Befürchtungen und entpuppen sich letztlich als wahrheitsgemäße (Ab-)Wertungen für die hier präsentierte Erotodidaxis. Somit lässt sich auch diese Beobachtung durchaus als paradox bezeichnen: Während die Wahrheit eigentlich

92 MURGATROYD 1977, 114; BRÉGUET 1980, 68; CAIRNS 1979, 175; MCGANN 1983, 1985; MUTSCHLER 1985, 83; C. NEUMEISTER 1986, 64f.; LEE–STECUM 1998, 153; FINEBERG 1999, 427f. 93 RADICKE 2006, 209. Diese Beobachtung könnte auch durch die Verwendung des emphatischen heu unterstrichen werden: Während es in V 57 Priaps Ausbruch aus der Rolle des Liebeslehrers markiert, wird es in V 81 gar zu heu heu gesteigert, welches im Gegenzug den endgültigen Ausbruch des elegischen Ichs aus seiner Rolle als praeceptor amoris einleitet. 94 MUTSCHLER 1985, 83; RADICKE 2006, 209f. 95 MUTSCHLER 1985, 83; RADICKE 2006, 209.

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zum Autoritätsgewinn der eigenen Aussagen führen sollte, führt eben dieser Inhalt der Wahrheit im vorliegenden Text zum Autoritätsverlust. Der Begriff fabula (V 83) ist an den Aspekt der Mündlichkeit gebunden, kann u.U. jeglicher Wahrheit entbehren96 und wird hier im Text zusätzlich durch das turpis negativ konnotiert. Die assoziierte Mündlichkeit wirkt auch dem immer wieder auftauchenden aeternitas-Gedanken für die erotodidaktischen Ratschläge im Text entgegen, der durch das umbrosa … tecta-Versprechen in V 1 initiiert und durch die Multiplikationsversuche durch Titius (V 73f.) und den Aufruf einer zukünftigen Klientel für die praecepta (V 76–78 und 79f.) angedeutet und verstärkt wurde. Die Bezeichnung der Lehren als fabula setzt somit deren nachhaltige Effizienz außer Kraft und kennzeichnet sie als unzuverlässig. Gleichzeitig werden die Schriftlichkeit des Textes und die damit verbundene Dauerhaftigkeit zur kurzzeitigen Mündlichkeit degradiert, wodurch die Lehren an Autorität verlieren. Der letzte Vers erklärt die Entwicklung des Textes zur fabula, indem die imaginierte Reaktion der Rezipienten miteinbezogen wird (ridebunt, V 84). Dadurch wird ähnlich wie zuvor ein Multiplikatoreffekt erzeugt und die Reaktion des Publikums durch das Futur als sicheres Ereignis in der Zukunft generalisiert. Man könnte dies auch als einen Versuch der Rezeptionslenkung deuten. Der Text will demnach, ähnlich wie in Hor. sat. 1,8, in der der Satiren-Leser durch ein cum magno risuque iocoque videres zum Lachen eingeladen wurde, ein Lachen beim elegischen Publikum evozieren. Denn die vom Text suggerierte Befürchtung, der Leser könne die Lehren als vana magisteria verspotten97, wenn Marathus das elegische Ich weiterhin quäle, hat sich nach allen aufgezeigten Widersprüchen und Inkongruenzen nur bestätigt. Auf diese Weise überträgt sich das Lachen des Publikums nicht nur auf die in den Versen 9–72 geschilderten praecepta, die widersprüchlich sind, sondern auch auf das elegische Ich selbst, das erst Priapus als Sprecher des Vortrages fingiert, sich dann selbst zum magister amoris erhebt und für andere zur Konsultation bereit steht, aber selbst mit diesen Ratschlägen in seiner eigenen Affäre zu Marathus erfolglos ist und sie somit als unbrauchbar enttarnt. Demnach könnte man vana magisteria auch aufgrund seiner exponierten Stellung direkt am Ende des Textes als Fazit der erotodidaktischen Lehren verstehen,98 das in Kontrast zu der geforderten sollertia (V 3) steht, aber den Kreis zu o fuge te tenerae puerorum credere turbae (V 9) schließt.99 Im Vergleich zu Hor. sat. 1,8 lässt sich in diesem Kontext des Lachens, welches in beiden Texten ein entscheidendes Moment darstellt, folgendes feststellen: Dort wurde der suggerierte Sprecher Priapus zwar auch spätestens durch den Furz zum Ende der Satire als Stimme des satirischen Ichs entlarvt und die beiden ver96 Vergleiche dazu Rhet. Her. 1,8,13; Cic. de inv. 1,27; Cic. Mil. 42; Cat. 69,5; Quint. inst. 2,4,2; Mar. Victorin. rhet. 1,19 p. 202,18; Mart. Cap. 5,550; Schol. Ter. p. 167. 33; Isid. orig.1,44,5; Serv. Aen. 1,235; Prisc. rhet. 1,1 p. 551; Sen. contr. 10,5,27. 97 Magisterium in der Bedeutung ars praeceptoris oder actio praecipiendi ist ein seltenes Wort zu augusteischer Zeit und lediglich zuvor bei Plaut. Bacc. 148 und Most. 33 sowie Manil. 4,190 zu finden. Siehe dazu MURGATROYD 1980, 158; MALTBY 2002, 237. 98 MALTBY 2002, 237. 99 PONCHONT 1968, 30.

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meintlichen Hexen als alte, hässliche Frauen enttarnt, das daraus resultierende Lachen richtete sich dort aber nicht gegen Priapus bzw. das satirische Ich des Horaz, sondern vielmehr gegen die beiden Frauengestalten, gegenüber denen der Sprecher durch ihre Vertreibung, wenn auch ungewollt, die Oberhand behalten konnte. Im Gegensatz dazu wird die Elegie 1,4 zwar auch besonders durch die Enttarnung der nutzlosen Lehren zum Lacherfolg für den Leser, allerdings geschieht dies auf Kosten des Priapus bzw. des elegischen Ichs.

4.6 DIE PROGRAMMATISCHE FUNKTION DES KULTBILDES Wie bereits einleitend erwähnt, wurde die Elegie 1,4 in der Forschung oftmals als „genre-poem“ bezeichnet, da sie inhaltlich durch die präsentierte ars amandi neue literarische Gattungselemente einfließen lässt und sich zugleich auch thematisch von den vorherigen Elegien durch die Einführung des Marathus unterscheidet und somit innerhalb des ersten Buches einen neuen Zyklus einleitet.100 Durch diese innovativen Elemente scheint die Vermutung nahe zu liegen, dass nach dem Einleitungsgedicht 1,1 auch der vorliegenden Elegie 1,4 programmatische Funktion zukommt. Wie sich diese gestaltet und welche Rolle dabei der Dichter ausgerechnet dem Kultbild des Priapus zuschreibt, soll nun im Folgenden untersucht werden. Erwartungsgemäß verfügen gerade die Proömien über eine hohe poetologische Aussagekraft. So lässt auch der Dichter Tibull sein elegisches Ich in 1,1 die Basis für sein Dichtungsprogramm, aber auch für seine Wertewelt sowie seine politischen Ansichten legen. Seine Dichtung zeichnet sich dabei neben der eigentlichen liebeselegischen Thematik vor allem durch das Lob des Landlebens aus, welches eine eminente Rolle in seiner Poesie einnimmt. In diesem Kontext visualisiert das elegische Ich sich selbst als einen Bauern oder Hirten, der ein einfaches und vor allem friedvolles Leben auf dem Lande führt (me mea paupertas vita traducat inerti / dum meus adsiduo luceat igne focus, V 5f.), welches es idealiter mit seiner puella gemeinsam verbringen möchte. Gleichzeitig drückt der Sprecher zudem seine Abneigung gegenüber den konventionellen, männlichen Bestrebungen aus, wie z.B. dem Anhäufen von Geld und Reichtum sowie einer militärischen Laufbahn (vgl. V 1–4).101 Es ist nun bezeichnend, dass ausgerechnet in diesem Zusammenhang, in dem das poetologische Programm der carmina konstituiert wird, auch ein PriapusKultbild seine Erwähnung findet: In 1,1,17f. fingiert das elegische Ich einen Priapus als Wächter für seine Obstgärten, der ebenfalls wie der Priapus in Tib. 1,4 mit einer Sichel bewaffnet ist (pomosisque ruber custos ponatur in hortis / terreat ut saeva falce Priapus aves).102 Es scheint, dass in diesem programmatischen Ge100 LITTLEWOOD 1970, 661–669; DETTMER 1980, 68–76; LEACH 1980 b, 79–84; LEE-STECUM 1998, 132; NIKOLOUTSOS 2007, 55. 101 KUHLMANN 2006, 419; NIKOLOUTSOS 2007, 56. 102 Siehe zur roten Farbe und zur Schutzfunktion des Priapus Kap. 3.4.1.

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dicht bereits das Priapus-Kultbild aufgestellt wird, das in 1,4 schließlich zu Wort kommen soll. Die Tatsache, dass es im ersten Gedicht Erwähnung findet, würde zusätzlich dafür sprechen, dass ihm auch in der Elegie 1,4 programmatische Funktion zukommt.103 Wie ich bereits in dem Kapitel 3.5 gezeigt habe, zeichnet sich die Gestalt und das Wesen des Priapus vor allem durch Gegensatzpaare bzw. Bipolaritäten aus, weshalb seine Gottheit prädestiniert war, komische Inkongruenzen zu erzeugen. Dies wurde besonders an seinen unterschiedlichen Darstellungsformen deutlich, die zum einen seine männliche Potenz durch seinen riesigen Phallus unterstrichen, zum anderen jedoch seine Effeminierung betonten, indem sie ihn z.B. in weiblichen Kleidern darstellten, unter denen sich Brüste abzeichneten.104 So fallen gerade in der Figur des Priapus die Geschlechterstereotypen auseinander, und gerade diese Eigenschaft macht den Fruchtbarkeitsgott aus Tib. 1,4 ähnlich wie in Hor. sat. 1,8 als Sprecher für ein Gedicht der römischen Liebeselegie attraktiv, die ihrerseits gewohnt ist, gesellschaftliche Konventionen vor allem im Kontext der traditionellen Geschlechterrollen aufzubrechen (vergleiche z.B. das Motiv des servitium/militia amoris).105 In Bezug auf die vorliegende Elegie werden diese Beobachtungen an mehreren Stellen deutlich: a) Der Bruch mit den konventionellen Geschlechterrollen wird inhaltlich anhand der Abwendung von Delia und der Zuwendung zur homoerotischen Liebe zu Marathus erkennbar. b) Gleichzeitig zeichnen sich das Spiel mit den Geschlechtergrenzen und die Umkehrung der Geschlechterkonventionen auch in dem Oszillieren der Erzählerstimme ab. Priapus gibt sich als praeceptor amoris aus und schlüpft damit zunächst in die aktive, überlegene Expertenrolle, während der Leser gezwungen wird, die eher passive Rolle des Schülers zu übernehmen. Im Laufe der Elegie wird Priapus allerdings, wie gezeigt werden konnte, als Rollenkonstrukt des elegischen Ichs entlarvt. Durch diesen Erkenntnisprozess mutiert der Leser in Relation zum Sprecher zum überlegenen Part.106 c) Die Nichterwähnung des Gliedes als wichtigstes Attribut des Priapus und Ausdruck seiner Männlichkeit hatte auf seine eigene Machtlosigkeit und Impotenz in Bezug auf schöne Knaben bereits vorverwiesen. Ähnlich wie in Hor. sat. 1,8 wird Priapus dadurch auch in dieser Elegie karikiert. Setzt man diese Beobachtungen wieder in Beziehung zum programmatischen Einleitungsgedicht, so spiegeln das Kultbild des Priapus und dessen päderastische Lehren durch das Spiel mit den Geschlechtergrenzen die Abwendung des elegischen Ichs von männlichen Konventionen seiner zeitgenössischen Gesellschaft wider. Somit steht das Priapus-Kultbild einerseits symbolisch für das dichterische 103 CAIRNS 1979, 14; MUTSCHLER 1985, 77; LEE–STECUM 1998, 133; NIKOLOUTSOS 2007, 68. 104 O’CONNOR 1989, 17f.; HABASH 1999, 288; OEHMKE 2007, 263. Vergleiche auch LIMC VIII/2, 685, Abb. 76 (eine Priap-Statuette aus Marmor [Genf, Mus. MF 1319] aus dem späten 1./frühen 2. Jh. n. Chr. mit gegürteten Chiton, unter dem die Abzeichnung weiblicher Brüste erkennbar ist). 105 LITTLEWOOD 1983, 2155; NIKOLOUTSOS 2007, 64. 106 NIKOLOUTSOS 2007, 63.

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Programm des Tibull, welches er in Tib. 1,1 eröffnet, und andererseits sinnbildlich für die bisexuelle Dichtung im Werk.107 In diesem Zusammenhang ist auch nochmals auf das primitive sowie ungepflegte Erscheinungsbild (V 3f.) und die Nacktheit (V 5f.) des Priapus einzugehen, die im Text beschrieben werden. CAIRNS vermutet, dass sich Tibull mit der Erwähnung der Nacktheit auf die Armut des Gottes bezieht.108 Dahinter steht das Konzept der Nacktheit der Liebe als ein Zeichen ihrer Armut, das laut CAIRNS mindestens auf die hellenistische Epoche zurückgeht.109 Bei Tibull wird dieser hellenistische Topos der Armut gleichzeitig mit dem Mangel an Erfolg bei der homosexuellen Liebe zu Knaben verbunden.110 Im Vergleich dazu spiegelt sich diese Armut auch in dem programmatischen Anfangsgedicht des Tibull wider (Tib. 1,1,5f.). Das Aussehen des Kultbildes mit seiner einfachen Ausstattung und seinem mutmaßlichen Aufstellungsort unter freiem Himmel in ländlichem Ambiente (vgl. rustica proles, V 7) reflektiert demnach in hohem Maße die idealisierten Lebensvorstellungen des elegischen Ichs, wie es sie in Tib. 1,1 präsentiert. Betrachtet man schließlich das erste Buch der carmina des Tibull insgesamt, stellt man fest, dass neben der stilisierten rusticitas und paupertas auch die Erfolglosigkeit bei den Geliebten programmatisch zu sein scheint und sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht. Das elegische Ich kann weder auf heterosexueller Ebene bei Delia noch auf homosexueller Ebene bei Marathus einen Erfolg für sich verbuchen, sodass die im letzten Vers von Tib. 1,4 erwähnten vana magisteria für die Konstruktion des Tibullischen Ichs im ersten Buch konstitutiv zu sein scheinen. In seiner Beziehung zu der puella beschreibt der Elegiker erst seine Situation als exclusus amator (1,2), dann seine Trennung von Delia durch seinen Aufenthalt auf Korfu (1,3) und schließlich die vollständige Abkehr von ihr (1,5 und 1,6). In seiner Affäre mit Marathus zeigt sich ein ähnliches Bild: Das elegische Ich deutet bereits in 1,4 seinen Misserfolg in dieser Beziehung an (1,4,81– 84). Wie sich herausstellt, scheint Marathus selbst in ein Mädchen verliebt zu sein, das der Elegiker in 1,8 anspricht und das den Knaben schließlich in 1,9 völlig für sich gewonnen zu haben scheint, während der Sprecher sein erträumtes Glück erneut nicht erlangt. Am Ende wird klar: Das ideale Leben, welches das elegische Ich für sich in der ersten programmatischen Elegie evoziert hat, ist und bleibt lediglich eine Traumwelt bzw. Illusion, in der der Elegiker nie zu seinem Liebesglück kommt und es beim haec mihi fingebam (Tib. 1,5,35) bleibt.111 107 Vergleiche NIKOLOUTSOS 2007, 65. 108 Ähnlich beschreibt Ovid auch Amor: et puer est nudus Amor, sine sordibus annos / et nullas vestes, ut sit apertus, habet. / quid puerum Veneris pretio prostare iubetis? / quo pretium condat, non habet ille sinum (Ov. am. 1,10,15–18; ähnlich auch in Plat. symp. 203 c. Siehe auch Kap. 4.4. 109 Siehe Philostratus, epist. 7 (44) ad init. 110 CAIRNS 1979, 36–38. 111 Dem elegischen Ich gelingt es im ersten tibullischen Buch neben seinen erfolglosen Beziehungen zu Delia und Marathus auch nicht, sein idealisiertes Landleben mit den Pflichten seinem Patron Messalla gegenüber zu vereinbaren: Auf der einen Seite propagiert es eine friedvolle Welt und verabscheut kriegerische Auseinandersetzungen (vergleiche z.B. Tib. 1,1,75–

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Auch für den Gott Priapus liefert die Literatur Beispiele für seine Erfolglosigkeit in Liebesangelegenheiten. So lassen sich in den Fasti des Ovid gleich zwei exemplarische Stellen finden: Der erste Text steht im Kontext der Erklärung, warum der Esel das Opfertier für Priapus sei (Ov. fast. 1,391–440). Dieser habe nämlich im Zuge des Dionysosfestes durch sein Wiehern Priapus davon abgehalten eine der Najaden, Lotis, zu begatten (ecce rudens rauco Sileni vector asellus / intempestivos edidit ore sonos, 1,433f.) und ihn damit zum Gespött der Festgemeinde gemacht. Der zweite Text (Ov. fast. 6,319–349) beschreibt eine ähnliche Situation: Auf dem Kybelefest versucht Priapus sich an Vesta heranzumachen, unwissend, dass sie die keusche Wächterin des Heiligen Feuers der Römer und Göttin von Heim und Herd war. Gerade als er sich ans Werk machen wollte, wieherte erneut der Esel des Silen (ibat ut inciperet longi deus Hellesponti, / intempestivo cum rudit ille sono, 6,341f.), wodurch Vesta entfliehen konnte.112 Angesichts dieser Parallelität scheint Priapus nicht nur aufgrund seines bipolaren Wesens und Aussehens als Sprecher für die Elegie 1,4 geeignet zu sein, sondern zugleich sinnbildlich für die Erfolglosigkeit des elegischen Ichs in seinen Liebesbeziehungen zu stehen. Damit wird das Kultbild des Priapus in Tib. 1,4, ähnlich wie das des Horaz in sat. 1,8, zum Demonstrationsobjekt des Tibullischen Programmes und damit zum Medium seiner Elegie.

4.7 DIE EINBETTUNG DER ELEGIE 1,4 Zur Unterstützung meiner These soll im Folgenden die engere Einbettung der vorliegenden Elegie untersucht werden, die in der Forschungsliteratur meiner Meinung nach bisher eher unbeachtet geblieben ist bzw. lediglich unter dem formalen Aspekt der Werkstruktur bearbeitet wurde. Wie festgestellt, zeichnet sich Tib. 1,4 besonders durch seinen Innovationscharakter aus, da Tibull hier sowohl durch den fingierten Vortrag über die Knabenliebe als auch durch die Erwähnung des Marathus ein neues elegisches Thema einführt. Die vorliegende Elegie erzeugt demnach ähnlich wie die Elegie 1,7, die den Geburtstag des Messalla würdigt, einen thematischen Bruch und lässt neue Gattungselemente einfließen.113 Jedoch ist es nicht nur der Inhalt, der die Elegie 78; 1,10), auf der anderen Seite ist es seinem Patron Messalla zur militärischen Treue verpflichtet (Tib. 1,3; 1,7). Siehe zur poetischen Welt des Tibull, wie er sie kreiert und manipuliert, BRIGHT 1978. 112 Siehe zu den beiden Textstellen BÖMER 1958, 46–49; 361–363; FANTHAM 1983, 185–216; RICHLIN 1992, 158–79; NEWLANDS 1995, 60–62, 124f.; BARCHIESI 1997, 239–246; FRAZEL 2003, 61–97; GREEN 2004, 181–203; LITTLEWOOD 2006, 101–112. Vergleiche auch Ov. met. 9,347f. Eine bekannte hellenistische oder römische literarische Quelle für diese Erzählung scheint es nicht zu geben (vergleiche FANTHAM 1983, 185). Siehe zum Motiv des Priapus als Vergewaltiger Theokr. ep. 3, in dem Priapus und Pan versuchen wollen, sich an den schlafenden Daphnis heranzumachen (vergleiche Frazel 2003, 64). 113 Vergleiche auch Kap. 4.1.

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zu etwas Besonderem macht, sondern auch die Position innerhalb des ersten Buches. Das Gedicht folgt auf zwei Elegien, in denen die puella Delia im Zentrum des Interesses stand. In 1,2 beschreibt das elegische Ich seine Situation als exclusus amator, der sich nicht mit den etablierten männlichen Konventionen zu identifizieren scheint, und konstruiert gegen Ende des Gedichts mit der Erwähnung des ferreus ille (ab V 65), der Delia verlassen hat, um durch kriegerische Erfolge zu Ruhm zu gelangen (V 65–70), einen Gegenpol zu seiner persona, die ein ruhiges Leben auf dem Lande mit Delia favorisiert (V 71–74). In 1,3 befindet sich das elegische Ich selbst in der Rolle eines Soldaten, der trotz seiner Beziehung zu Delia Messalla auf einen militärischen Kriegszug folgen muss und schließlich auf der Phäakeninsel krank darniederliegt. Darauf beginnt der Sprecher erneut, sich von den mores der Gegenwart zu distanzieren, indem er die Vergangenheit idealisiert und preist, in der Männer noch nicht in den Krieg ziehen mussten, sondern ein ruhiges Leben auf dem Lande führten (V 35–48). Aus Angst vor dem Tode beginnt er sein Epitaphion zu evozieren (V 53–56) und beendet die Elegie mit der Erwartung, dass seine Delia ihm während dieser Zeit treu bleibe und in die Arme falle, falls er dies überlebe (V 83–94).114 Es lässt sich demnach hinsichtlich der Abkehr des elegischen Ichs von Delia eine Entwicklung bis zu Tib. 1,4 ablesen: War der Elegiker in 1,2 lediglich durch einen Wächter und eine Tür von seiner puella getrennt (nam posita est nostrae custodia saeva puellae, / clauditur et dura ianua firma sera, V 5f.), ist es in 1,3 bereits die Ägäis, die zwischen ihnen liegt (V 1–3); In 1,4 spielt Delia schließlich überhaupt keine Rolle mehr. Parallel dazu scheint sich der Sprecher auch vermehrt von männlichen Rollenbildern und entsprechenden gesellschaftlichen Konventionen zu distanzieren: Während er in 1,2 den vir der Delia dafür tadelt, wegen des Ruhmes in den Krieg zu ziehen, befindet er sich in 1,3 selbst in der Rolle und evoziert eine idealisierte Vergangenheit als Gegenpart zu seiner eigenen Gegenwart. In 1,4 schließlich gewinnt die Entwicklung durch die Einführung der homosexuellen Liebe eine ganz neue Stoßrichtung. Somit lässt sich diese Elegie durchaus als Höhepunkt der ersten Buchhälfte charakterisieren. Gleichzeitig befindet sich der Text auf struktureller Ebene gerade an einer Schnittstelle zwischen der Sehnsucht nach Delia (1,2 und 1,3) und der Distanzierung zu ihr (1,5: asper eram et bene discidium me ferre loquebar: / at mihi nunc longe gloria fortis abest, 1,5,1f.; 1,6: (…) iam Delia furtim / nescio quem tacita callida nocte fovet, 1,6,5f.), an deren Ende die Zuwendung zu Marathus steht (1,8 und 1,9).115 Genau diese Werkpositionierung zwischen heterosexuell und homosexuell geprägten Elegien passt wiederum gut zu einem imaginierten Sprecher wie Priapus, der beide Geschlechtskomponenten in seiner Figur vereint. Man kann vielleicht sogar sagen, dass sein Kultbild aufgrund männlicher und weiblicher Merkmale ideal ist, um einerseits diesen thematischen Wechsel zu illustrieren,

114 Siehe zur Zusammenfassung der Elegien Tib. 1,2 und 1,3 NIKOLOUTSOS 2007, 58f. 115 Vergleiche dazu auch MILLER 1999, 185.

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aber andererseits die Bisexualität des elegischen Ichs zu versinnbildlichen.116 Auf diese Weise handelt es sich bei dem Kultbild nicht nur um das Medium, an dem die programmatischen Aussagen des Werkes demonstriert werden, sondern zugleich werkintern um einen thematischen Marker, der den Zustand zwischen der Abwendung von Delia und der Zuwendung zu Marathus symbolisiert.

4.8 FAZIT: DER HORAZISCHE UND DER TIBULLISCHE PRIAPUS Unter Berücksichtigung der eingangs gestellten Leitfragen und in enger Anknüpfung an die bisherigen Erkenntnisse aus der Horaz-Satire 1,8 komme ich am Ende dieser Untersuchung zu folgenden Schlüssen: Obwohl das Motiv der sprechenden Priapus-Statue in unterschiedliche Literaturgattungen (Satire und Liebeselegie) übertragen worden ist und in beiden Texten unterschiedliche Erzählformen vorliegen (Hor. sat. 1,8: narrativ, Monolog; Tib. 1,4: didaktisch, fingierter Dialog), lassen sich dennoch ähnliche Erzählmechanismen darin finden. Es hat sich am Ende herausgestellt, dass die Stimme des Sprechers ähnlich wie die der Horaz-Satire über weite Strecken der Elegie zwischen der des Priapus und der des elegischen Ichs oszilliert.117 Konnten bereits in der Beschreibung des Kultbildes erste Irritationen und Bipolaritäten festgestellt werden (V 1–8) und wurde bereits dort ähnlich wie in Hor. sat. 1,8 mit dem Motiv der Machtlosigkeit (suggerierte Schutzbedürftigkeit, Leerstelle Glied) gespielt, setzen sich diese in der suggerierten Rede des Priapus nahtlos fort. So schwanken die einzelnen praecepta aus dem Munde des Gottes zwischen Liebesratschlägen eines glaubwürdigen Experten und denen eines selbst verschmähten Liebenden, der an das elegische Ich erinnert. Sie finden den Höhepunkt ihrer Autorität in dem Augenzeugenbericht in V 33f., werden jedoch sofort in V 35 durch crudeles divi unterminiert und spätestens am Ende, eingeleitet durch die unerwartete Wendung im Vortrag (V 57–72) sowie durch die überraschenden Momente in der anschließenden Reflexion (V 73; V 75; V 81–84), schrittweise als Stimme des elegischen Ichs enttarnt. Dabei sind bei diesem Prozess zwei Erkenntnisse entscheidend: a) Die konstruierte Rolle des praeceptor amoris, die erst Priapus zugeschrieben wird, wird später vom elegischen Ich in toto okkupiert (Enttarnung 1). b) Die übernommene Rolle des Liebeslehrers wird zunächst vom elegischen Ich versucht aufrecht zu erhalten (vgl. V 75–80), jedoch spätestens durch das Geständnis der eigenen Erfolglosigkeit in der Knabenliebe am Ende (V 81–84) vollkommen destabilisiert, sodass sich der Vortrag letztlich wirkungsvoll als vana magisteria entpuppt (Enttarnung 2). Zusammenfassend könnte man somit in der vorliegenden Elegie von einer doppelten Enttarnung sprechen.

116 Vergleiche dazu auch MCGANN 1983, 1995f. 117 RADICKE 2006, 203.

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Aus narratologischer Perspektive lassen sich auch diese Beobachtungen mit dem Phänomen des unzuverlässigen Erzählers118 erklären, welches ich bereits in Hor. sat. 1,8 feststellen konnte.119 So können auch hier einige der von NÜNNING herausgearbeiteten textinternen Signale auf den Sprecher der Elegie 1,4 übertragen werden: explizite Widersprüche des Erzählers sowie Diskrepanzen zwischen seinen Aussagen und Handlungen (z.B. V 3 und 9), Unstimmigkeiten zwischen expliziten Fremdkommentaren des Erzählers über andere und seiner implizierten Selbstcharakterisierung bis hin zu seiner unfreiwilligen Selbstentlarvung (V 57– 72; V 73; V 75; V 81–84), Häufung von Äußerungen und linguistischen Signalen von Expressivität und Subjektivität (z.B. heu male nunc artes miseras haec saecula tractant, V 57), der bewusste Versuch der Rezeptionslenkung durch den Erzähler (fingierter Dialog; ridebunt, V 84), die emotionale Involviertheit durch Ausrufe (o fuge, V 9; crudeles divi, V 35; heu, V 57; heu heu, V 81), explizite Thematisierung der eigenen Glaubwürdigkeit (z.B. Augenzeugenbericht vidi, V 33) bis hin zur selbst eingestandenen Unglaubwürdigkeit (V 81–84). Zusätzlich können auch extratextuelle Referenzen herausgearbeitet werden. Dazu zählen die Verwendung unterschiedlicher literarischer Gattungskonventionen (Erotodidaxis in Verbindung mit pseudo-epischen Anklängen) und die Verwendung bestimmter Texte als potentielle Gattungsmuster wie Theokrits Epigramme und Idyllien sowie die Iamben des Kallimachos. Aufgrund der Feststellung intratextueller sowie extratextueller Bezüge lässt sich der vorliegende Sprecher als unzuverlässig deuten. Es greifen also sowohl in der Horaz-Satire 1,8 als auch in Tib. 1,4 ähnliche Mechanismen in der Erzähltechnik: a) Beide Texte suggerieren dem Leser Priapus als Sprecher, b) in beiden Texten lassen sich Inkongruenzen an der Beschreibung seines Kultbildes und Wesens ausmachen, die sich schließlich auch in seinen Worten fortsetzen, und c) die Stimmen beider Götter oszillieren zwischen der des satirischen bzw. elegischen Ichs und der des Priapus und lassen sich durch unerwartete Wendungen im Text letztlich als Stimme des satirischen bzw. elegischen Ichs enttarnen und daher als unzuverlässige Sprecher interpretieren. Analog zu Hor. sat. 1,8 fungiert auch der Priapus in Tib. 1,4 als ein Rollenkonstrukt des elegischen Ichs und wird daher zum Medium der Kommunikation des Tibull mit seinem Leser.120 Zwar hat sich am Ende ergeben, dass die Lehren selbst widersprüchlich sind und in Bezug auf das elegische Ich und Marathus nicht zu funktionieren scheinen, sodass sich das daraus resultierende Lachen auf Priapus bzw. das elegische Ich fokussiert. Das Gedicht selbst aber funktioniert als Text wiederum genau deswegen, da er besonders durch den Mechanismus der doppelten Enttarnung auch im Vergleich zur Horaz-Satire an Esprit gewinnt. Letztendlich stellt sich der maximale Leseerfolg erst durch die maximale Demontage des Priapus bzw. des elegischen Ichs und dessen Lehren als turpis fabula bzw. vana magisteria ein. 118 Vergleiche hierzu NÜNNING 1998, 23‐31; MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 96‐106; LAHN– MEISTER 2008, 182–186. 119 Vergleiche Kap. 3.5. 120 BRIGHT 1978, 237; SHEA 1998, 39; RADICKE 2006, 202f.; NIKOLOUTSOS 2007, 63.

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Doch welche mediale Funktion erfüllt das Priapus-Kultbild in dem vorliegenden Text und warum ist das des Fruchtbarkeitsgottes besonders attraktiv für die tibullische Elegie? Ähnlich wie bei Horaz konnte ich auch dem Priapus-Kultbild des Tibull eine programmatische Funktion zuweisen. Während in Hor. sat. 1,8 nicht nur an der Demaskierung der Hexen, sondern auch an der Enttarnung des satirischen Ichs das von einem Großteil der Forschung als programmatisch interpretierte „Motto“ der Horazischen Satire aus sat. 1,1,24 (ridentem dicere verum) sichtbar geworden ist, wird auch das Tibullische Programm, welches im Proöm 1,1 etabliert wird, in der vorliegenden Elegie reflektiert. Dabei kongruiert besonders die Abkehr von konventionellen, männlichen Bestrebungen (Tib. 1,1,1–4) mit dem durch Priapus verkörperten Brechen der Geschlechterkonventionen bzw. deren Umkehrung sowie die propagierte Armut (Tib. 1,1,5f.) mit der einfachen Darstellung und Ausstattung des Kultbildes. Hinzu kam das Motiv der Erfolglosigkeit in der Liebe: Während diese sich in Tib. 1,4 hauptsächlich in den widersprüchlichen praecepta, welche sich letztlich als vana magisteria entpuppten, und in der eigenen Erfolglosigkeit des Elegikers beim Knaben Marathus widerspiegelten, scheinen sie für das erste Buch des Tibull, in dem das elegische Ich nie „zum Zuge kommt“, insgesamt programmatisch zu sein. Darüber hinaus ließ sie sich auch in anderen Texten (Ov. fast. 1,391–440 und 6,319–349) in Verbindung mit der Figur des Priapus beobachten. Aufgrund dieser Kongruenzen kann man meiner Meinung nach das Kultbild des Fruchtbarkeitsgottes parallel zum Priap in Hor. sat. 1,8 als ideales Demonstrationsobjekt des Tibullschen Programms und Medium seiner Elegie bezeichnen. Letztlich spielte auch die Positionierung der vorliegenden Elegie unter Berücksichtigung der Gegensätze, durch die Priapus geprägt ist, bei der Frage nach der Funktion des Kultbildes eine ganz entscheidende Rolle. Durch Anordnung an der inhaltlich markanten Schnittstelle zwischen der Sehnsucht nach Delia (Tib. 1,2 und 1,3), der Distanzierung von derselben (1,5 und 1,6) sowie der Zuwendung zu Marathus (1,8 und 1,9) und daher am Wendepunkt von der Abkehr von der heterosexuellen Beziehung und der Zuwendung zur homosexuellen versinnbildlicht das Kultbild des Priapus regelrecht eben diese Bisexualität. Dadurch wird es zum werkinternen, thematischen Marker und Symbol der bisexuellen Orientierung des elegischen Ichs. Zusammenfassend kann man festhalten, dass das Priapus-Kultbild in Tib. 1,4 trotz Einbettung in eine andere literarische Gattung ähnliche Funktionen erfüllt wie in Hor. sat. 1,8. Zum einen ist es das Medium, mit dem das elegische Ich mit dem Leser kommuniziert und das durch seine absolute Demontage zum maximalen Leseerfolg der Elegie beiträgt. Zum anderen ist es auch hier das Medium, in dem das Programm der Tibullischen Elegie reflektiert wird und anhand dessen sogar die sexuellen Neigungen des elegischen Ichs symbolisiert werden. Das Kultbild des Priapus schillert somit auch hier zwischen einem Rollenkonstrukt des elegischen Ichs, einem Demonstrationsobjekt Tibullischer Elegie und zusätzlich einem Marker, der über die Elegie 1,4 hinaus inhaltlich auf einen thematischen Umbruch im ersten Buch vorbereitet. Aufgrund dieser Erkenntnisse und parallel

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zu Hor.sat. 1,8 unterstreicht somit auch hier die Wahl des Priapus-Kultbildes den Programmcharakter der Elegie 1,4.

5. DAS KULTBILD DES VERTUMNUS IN PROP. 4,2 5.1 EINFÜHRUNG Im Folgenden soll die zweite Elegie des vierten Buches des Properz analysiert werden, in der abweichend von Hor. sat. 1,8 und Tib. 1,4 nicht der Fruchtbarkeitsgott Priapus zu sprechen beginnt, sondern Vertumnus, der romanisierte Gott der Wandelbarkeit mit etruskischem Ursprung. Doch bevor ich mich der Untersuchung dieser Elegie widme, soll zunächst der Dichter Properz und vor allem die Struktur seines Werkes betrachtet werden. Denn bei keinem anderen augusteischen Dichter ist die Entwicklung seines Werkes innerhalb der vier Bücher so deutlich ablesbar wie bei Properz.1 So unterscheiden sich sein erstes und sein letztes Buch in auffälliger Weise strukturell und inhaltlich voneinander: Lag der Schwerpunkt im ersten Gedichtbuch noch eindeutig auf elegischen Themen, rücken im zweiten und dritten Buch immer stärker andere Motive ins Zentrum, bis der Fokus schließlich im letzten Buch auf aitiologische Inhalte gerichtet wird. Daher ist es für das Verständnis und die Analyse von 4,2 unumgänglich, zunächst das Konzept, auf dem das properzische Werk basiert, kurz darzulegen. Von der historischen Person des Properz2 ist heute so gut wie nichts bekannt; es lassen sich auch nur wenige Informationen über seine Herkunft und Jugend aus seinem überlieferten Werk extrahieren. Properz scheint um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. im umbrischen Asisium (heute Assisi)3 geboren worden zu sein und stammte aus einer wohlhabenden Familie. Das Todesdatum ist unsicher. Sein Werk selbst enthält keine Hinweise auf datierbare Ereignisse nach 16 v. Chr. Rekonstruieren lässt sich, dass er 2 n. Chr. tot war, als Ovid in den remedia amoris schrieb: vel tua, cuius opus Cynthia sola fuit.4

1 2

3

4

HUTCHINSON 2006, 1–5; FLACH 2011 a, 3. Der Elegiker selbst nennt sich nie anders als Propertius (vergleiche Prop. 2,8,17; 2,14,27; 2,24,35; 2,34,93; 3,3,17; 3,10,15; 4,1,71; 4,7,49). Sein praenomen Sextus wurde von Sueton überliefert (Suet. Verg. 30 in Bezug auf Prop. 2,34,65f.: Aeneidos vixdum coeptae tanta extitit fama, ut Sextus Propertius non dubitaverit sic praedicare: Cedite Romani scriptores, cedite Grai: / nescio quid maius nascitur Iliade). Siehe dazu RICHARDSON 2006, 6; KEITH 2008, 1. Vergleiche Prop. 1,22,9f.; 4,1,63f.; 4,1,121–126. Der Name des Geburtsortes wurde von LACHMANN mittels Konjektur in Prop. 4,1,125 erschlossen und durch viele Inschriften der Familie der Propertii, die man in dieser Gegend gefunden hat, auch bekräftigt. Siehe dazu C. NEUMEISTER–K. NEUMEISTER 2001, 415. Siehe dazu GALL 2006, 111; RICHARDSON 2006, 12. Weiteres zum Leben des Properz bieten C. NEUMEISTER–K. NEUMEISTER 2001, 415; HUTCHINSON 2006, 83f.; RICHARDSON 2006, 6; 207; KEITH 2008, 19–44; SYNDIKUS 2010, 11.

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Zu Beginn seines dichterischen Schaffens steht die Liebe zu und die Begegnungen mit der vom Elegiker Properz verehrten Cynthia im Zentrum. 5 Seine Beziehung zu ihr wird Hauptthema in der ersten Sammlung von Gedichten, die unter dem Namen Monobiblos 29 oder 28 v. Chr. veröffentlicht worden ist.6 Die Publikation brachte dem Dichter sofortigen Ruhm und Erfolg und verschaffte ihm Zugang zum Kreis des Maecenas, dem er in Folge auch sein zweites Buch (26–25 v. Chr. publiziert7) widmete (Adressat in Prop. 2,1; direkte Ansprache in Prop. 2,1,17).8 Mit dieser zweiten Veröffentlichung verändert sich auch der Inhalt seiner Gedichte zunehmend. Nicht mehr Cynthia allein steht im Mittelpunkt seines Schaffens, sondern Properz beginnt sich nunmehr augusteischen und nationalrömischen Themen sowie homerischen Stoffen zu öffnen und versucht diese mit elegischen Kontexten zu verbinden und zu einem Ganzen zu vereinen. Besonders deutlich wird dies in seinem dritten Buch (erschienen nach 23 v. Chr.).9 Unverkennbar ist darin der starke Einfluss, den vor allem die Römeroden des Horaz10 auf die Gedichte des Properz ausgeübt haben. Denn wie Horaz die ersten sechs Gedichte seines dritten Odenbuches zum Zyklus der Römeroden verband, so eröffnet Properz sein drittes Gedichtbuch ebenfalls mit fünf vergleichbaren, programmatischen Elegien. Auch motivisch erfuhr er durch Horaz maßgebliche Anregung (der Tod mache Arm und Reich, Hoch und Niedrig gleich, Bekenntnis zur paupertas, Absage an avaritia) und entwirft nicht zuletzt auch ein neues Selbstverständnis als Dichter.11 So gibt das elegische Ich in der ersten Elegie des dritten Buches vor, 5

Siehe Prop. 1,1,1f.: Cynthia prima suis miserum me cepit ocellis, / contactum nullis ante cupidinibus. Cynthia prima sind die ersten beiden Wörter der Monobiblos, sodass dieser Figur durch die exponierte Wortstellung programmatische Funktion zugesprochen werden kann. Siehe zu Cynthia HODGE–BUTTIMORE 2002, 63f.; MANUWALD 2006, 226–228; RICHARDSON 2006, 3–5; 146; FLACH 2011 b, 3. 6 C. NEUMEISTER–K. NEUMEISTER 2001, 415; HUTCHINSON 2006, 8; RICHARDSON 2006, 8; KEITH 2008, 2f.; SYNDIKUS 2010, 14. 7 Ausschlaggebend für diese Datierung sind zum einen die Erwähnung des kürzlichen Todes von Cornelius Gallus in Prop. 2,34,91f., dessen Selbstmord auf 26 v. Chr. datiert wird, und zum anderen die Nennung von Arabia in Prop. 2,10,16, die auf die sich gerade in der Vorbereitung befindende Expedition (25–24 v. Chr.) des Aelius Gallus, des Präfekten von Ägypten, dorthin anspielt. Siehe dazu RICHARDSON 2006, 9. 8 Vergleiche Prop. 2,3,3f.; 2,24,1f.; C. NEUMEISTER–K. NEUMEISTER 2001, 415; GALL 2006, 111f.; RICHARDSON 2006, 8; SYNDIKUS 2010, 12. 9 Das dritte Buch des Properz muss nach 23 v. Chr. verfasst worden sein. Zum einen wird in Prop. 3,18 der Tod von Augustus‘ Neffen Claudius Marcellus beklagt, zum anderen lassen sich starke Anklänge an die drei Odenbücher des Horaz ausmachen (besonders in Prop. 3,1, 3,2 und 3,9), sodass man die Komposition des dritten Properz-Buches nach der Veröffentlichung der drei Odenbücher annehmen kann. Siehe dazu C. NEUMEISTER–K. NEUMEISTER 2001, 415; RICHARDSON 2006, 10. 10 Trotz der erkennbaren Anlehnung an die Römeroden des Horaz erwähnt Properz an keiner Stelle seines Werkes den Namen dieses Dichters, während er den Dichter Vergil in 2,34,61– 80 lobt. Siehe dazu RICHARDSON 2006, 10. 11 Properz stellt sich zudem in Prop. 2,25,1–4 und vor allem in Prop. 2,34,85–92 in die Nachfolge römischer Vorläufer wie Varro Atacinus, Catull, Calvus und Gallus. Siehe dazu BECKER 1971, 478f.; RICHARDSON 2006, 10; SYNDIKUS 2010, 15; FLACH 2011 a, 3–6.

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Kallimachos und Philetas nachzuahmen12 und legt damit die Hoffnung auf Nachruhm nicht mehr auf die Dichtung, die er mit Cynthia erlangt hat. Diese ist nun nicht mehr die zentrale und dominante Figur seines Werkes.13 Stattdessen treten neue Personen auf, die der einstigen, einzigen puella den Rang ablaufen: Lygdamus in 3,6, Paetus in 3,7, Maecenas in 3,9, Postumus und Galla (eine mysteriöse erste Liebe) in 3,12, Lycinna (eine neue puella) in 3,15, mit der sich das elegische Ich in 3,20 erstmalig verabredet, Marcellus in 3,18 und Tullus in 3,22. In der letzten Elegie des dritten Buches nimmt das elegische Ich schließlich vollkommen Abschied von Cynthia (vergleiche besonders Prop. 3,25,5–10).14 Hatte Properz zu Beginn des dritten Buches darauf gepocht, Kallimachos nachahmen zu wollen, so hat er sich bisher weder durch Versmaß noch durch Inhalt von einem der römischen Dichter, die er im zweiten Buch zu seinen Vorläufern zählte,15 entschieden abgesetzt. Wenn er sich tatsächlich in die Tradition des alexandrinischen Dichters stellen und zum römischen Kallimachos werden wollte, musste sich dies auch in einer Veränderung des Inhalts seines Werkes abzeichnen.16 Dieses leistete Properz schließlich mit seinem vierten Buch, das nicht vor 16 v. Chr. herausgegeben worden ist17 und sich ganz entschieden von den bisherigen Gedichtbüchern abgrenzt. Es besteht aus lediglich elf Elegien und zeichnet sich strukturell vor allem dadurch aus, dass hier abgesehen von den programmatischen Gedichten18 nicht nur nach gewohnter Manier erotische Gedichte19 präsentiert werden, sondern auch

12 Vergleiche Prop. 3,1,1f.: Callimachi Manes et Coi sacra Philitae / in vestrum, quaeso, me sinite ire nemus. Siehe auch Prop. 3,1,33–36. 13 Wird Cynthia noch im ersten Buch des Properz als einleitendes Wort gebraucht und insgesamt 30-mal namentlich erwähnt, findet sie im zweiten noch 23-mal, im dritten lediglich dreimal und im vierten Buch fünfmal namentliche Erwähnung. 14 Die Stellenangabe bezieht sich auf die Ausgabe von HEYWORTH 2007, 145f.: nil moveor lacrimis; ista sum captus ab arte / semper ad insidias, Cynthia, flere soles. / flebo ego discedens, sed fletum iniuria vincit: tu bene conveniens non sinis ire iugum. limina iam nostris valeant lacrimantia verbis / nec tamen irata ianua fracta manu. RICHARDSON 2006, 11; FLACH 2011 a, 6f. 15 Varro, Catull, Calvus und Gallus. Vergleiche Prop. 2,34,85-92. 16 FLACH 2011 a, 7. 17 Die spätesten historischen Ereignisse, die sich im vierten Buch eindeutig identifizieren und auf das Jahr 16 v. Chr. datieren lassen, finden sich mit der Unterwerfung der Sugambrer in 4,6,77 und mit dem Tod Cornelias (Tochter der Scribonia, der ersten Frau des Augustus und somit Stieftochter desselben) in 4,11. Auf dieser Grundlage wird auch das letzte Gedichtbuch des Properz 16 v. Chr. datiert. Siehe dazu BECKER 1971, 450; GÜNTHER 2006, 354; HUTCHINSON 2006, 2; 230; RICHARDSON 2006, 12; RÜPKE 2009, 124; SYNDIKUS 2010, 16; FLACH 2011 b, 276. 18 Prop. 4,1 (Proöm, Darlegung des poetischen Programmes), 4,6 (Sieg des Augustus in Actium und Lobpreis des palatinischen Apollo-Tempels) und 4,11 (Abschiedsrede der verstorbenen Cornelia). 19 Prop. 4,3 (Liebesbrief der Arethusa an den fernen Gatten Lycotas), 4,5 (Verfluchung der toten Kupplerin Akanthis), 4,7 (Rede der toten Cynthia) und 4,8 (Eifersuchtsszene der Cynthia).

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aitiologisch geprägte nach dem Vorbilde des Kallimachos,20 die jeweils individuell oder in Paaren einander abwechseln.21 Inhaltlich ist das Werk von Themen wie Grab und Tod22 durchzogen und nicht nur an Kallimachos, sondern auch an den Werken des Vergil orientiert.23 Die Elegie Prop. 4,2 bildet den Beginn einer Reihe von aitiologischen Gedichten,24 die chronologisch in die römische Frühzeit des Romulus und Tatius oder früher fallen und somit den zeitlichen Kontrast zwischen „damals“ und „jetzt“, also der augusteischen Gegenwart des elegischen Ichs, evozieren.25 Die Diskontinuität des vierten Buches spiegelt sich auch in diesem Gedicht wider: Es ist das erste Gedicht im gesamten Opus des Properz, in dem die Stimme des elegischen Ichs vollständig absent ist und stattdessen der Gott Vertumnus zu sprechen be20 Prop. 4,2 (Ursprung des Gottes Vertumnus), 4,4 (Ursprung des mons Tarpeius), 4,9 (Ursprung der ara maxima) und 4,10 (Ursprung des Kultes von Jupiter Feretrius). 21 Zur Struktur und Form des vierten Gedichtbuches des Properz siehe NETHERCUT 1968, 449– 464; GALL 2006, 121f.; GÜNTHER 2006, 353–356; HUTCHINSON 2006, 16–21. Die variatio bezüglich des Themas und des Stils hat dazu geführt, dass von einigen Gelehrten vermutet wurde, dass das vierte Buch des Properz nach dessen Tod durch eine andere Person zusammengestellt worden sei. Einige hielten es noch nicht einmal für das Werk des Properz. Siehe dazu GÜNTHER 2006, 353. 22 Der Tod war immer präsent in dem Bewusstsein einer Generation, die zur Zeit römischer Bürgerkriege lebte, wie sie beispielsweise auch in Prop. 1,21 und 1,22 (Perusinische Bürgerkriege) reflektiert werden. Die Elegie wurde traditionell mit der Klage assoziiert und ihr Metrum wurde gewöhnlich in Grabinschriften benutzt. Das Thema „Tod“ wurde von allen Elegikern behandelt, wenngleich ihm im Werk des Properz eine besondere Wichtigkeit zugesprochen worden ist. Siehe zum Thema „Liebe bis in den Tod“ beispielsweise 1,6,27f.; 1,14,14; 2,1,47; „Begräbnis des Dichters bei Anwesenheit seiner puella“ z.B. in 1,17,19–24; 2,1,55f.; 2,13,17–58; 2,24,33–38; „Epitaph“ z.B. in 2,13,35f. oder 4,11 (Grabinschrift der toten Cornelia). Properz lässt Tote auch wieder zu Wort kommen wie beispielsweise den Geist der toten Cynthia in 4,7. Siehe dazu MALTBY 2006, 160–164. 23 BECKER 1971, 477; HUTCHINSON 2006, 4–7; 16. Es lassen sich deutliche Parallelen zwischen der 10. Ekloge des Vergil, in der Gallus auftritt, und den Gedichten des Properz aufweisen. Ähnlich wie in Prop. 1,4 möchte auch der vergilische Gallus mit seiner Geliebten bis zum Tod verbunden sein (Verg. ecl. 10,42f.), wie in Prop. 1,8 befürchtet auch der Gallus in Verg. ecl. 10,46–49, dass seine Geliebte, die ihn verlassen hat, mit ihren bloßen Füßen auf Schnee gehen muss und wie in Prop. 1,18 hält auch Gallus seine Liebesklage in Wäldern (Verg. ecl. 10,9; 43; 52) und schnitzt den Namen seiner Geliebten in die Rinde von Bäumen (Verg. ecl. 10,53f.). Siehe dazu KNOX 2006, 137–141; SYNDIKUS 2010, 27. Die Aeneis kündigte Properz sogar schon fünf Jahre vor ihrem Erscheinen als ein Werk an, das noch bedeutender sein werde als die Ilias des Homer (Prop. 2,34,61–66). Die Nähe zum Epos des Vergil zeigt sich vor allem im vierten Buch des Properz. BECKER 1971, 477 fragt sich sogar, „ob ohne die Aeneis die späten Elegien des Properz überhaupt zustande gekommen wären.“ Zu den Inspirationen, die Vergil Properz mit seinem Epos gab, siehe BECKER 1971, 450–457; 459; 462; 464–467; 477–479. Wie eng Properz seine Elegie an das Epos heranführen konnte, zeigt sich in 4,1: wie Euander in Verg. Aen. 8,337–361 Aeneas zu den Orte führt, die später von Roms Größe künden werden, so erklärt der Dichter Properz einem Gast, dem er das Rom seiner Zeit zeigt, wie weit Vergangenheit und Gegenwart auseinanderklaffen. Siehe weitere Stellen in FLACH 2011 a, 7–10. Vergleiche auch WELCH 2005, 21f. 24 RICHARDSON 2006, 424; FLACH 2011 b, 225. 25 FANTHAM 1997, 122.

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ginnt und mit seiner Rede das ganze Gedicht füllt.26 Solche markanten Einschnitte konnten ebenfalls bereits in Hor. sat. 1,8 und Tib. 1,4 beobachtet werden. Das gleiche Phänomen findet sich auch in den Folgeelegien Prop. 4,3 (Arethusa) und Prop. 4,11 (Cornelia). In großen Teilen anderer Gedichte des vierten Buches tauchen, wenn auch nur partiell, ebenfalls andere Sprecher auf: Horus in Prop. 4,1,71–134, Tarpeia in Prop. 4,4,31–66, Acanthis in Prop. 4,5,21–62, Apollo in Prop. 4,6,37–54, Cynthia in Prop. 4,7,13–94 und Herkules in Prop. 4,9,16–20; 33– 50; 65–70. Mit Ausnahme der Figur des Horus sind all diese Sprecher Frauen oder Götter. Durch die Erwähnung ihres Namens, das Ansprechen eines imaginären Gegenübers und das Bewusstsein, dass im Folgenden durch die Verwendung der 1. Person Singular diese neuen Figuren im Begriff sind zu reden, heben sie sich eindeutig von dem bisherigen Sprecher im Text, dem elegischen Ich, ab und können somit klar von diesem unterschieden werden.27 Die vorgängige Elegie 4,1 ist wegweisend für das Verständnis des letzten Gedichtbandes von Properz und steht somit in enger Verbindung mit der zu analysierenden Elegie 4,2. Denn in diesem Proöm gibt sich der Dichter selbst eine neue Identität als römischer Kallimachos (V 64) und kündigt verschiedene neue Motive und Elemente an wie beispielsweise das Besingen von heiligen Bräuchen, Festtagen und alten Ortsnamen (V 69), die darauf in 4,2 aufgegriffen und erstmalig umgesetzt werden. Daher soll im Folgenden zunächst das Einleitungsgedicht des vierten Buches in den Blick genommen werden, um daraus Rückschlüsse für die Interpretation von Prop. 4,2 ziehen zu können.

26 Der Sprecherwechsel wird durch die Erwähnung des Namens und der Herkunft des Sprechers markiert: accipe Vertumni signa paterna dei. / Tuscus ego , et Tuscis orior (…), Prop. 4,2,2f. 27 HUTCHINSON 2006, 13. Siehe zum Begriff der sermocinatio/ethopoeia LAUSBERG 1990, 407– 411.

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5.2 DIE PROGRAMMATISCHE ELEGIE 4,1 – VORSPIEL ZU VERTUMNUS Die Eröffnungselegie 4,128 spiegelt den Grundcharakter des gesamten vierten Buches wider, da dort mithilfe von unterschiedlichen Sprechern zwei verschiedene poetische Konzepte, nämlich Aition und Elegie, reflektiert werden. Diese werden einerseits innerhalb dieses Gedichtes einander gegenübergestellt, stehen aber andererseits auch im gesamten vierten Gedichtbuch zueinander in Opposition.29 Die Elegie beginnt mit der direkten Rede des elegischen Ichs, das seinem Gegenüber (hospes, 4,1,1), ähnlich wie Euander im achten Buch der Aeneis seinem Gast Aeneas, die Stätten zeigt (Verg. Aen. 8,306–365), die später von der Größe Roms künden werden. Wie ein Stadtführer zählt er ihm Orte des gegenwärtigen, prächtigen augusteischen Roms auf, konfrontiert diese mit ihrer einfachen Vergangenheit, indem er u.a. auch auf alte Kulte und Ereignisse der römischen Urgeschichte (4,1,1–38) verweist und eröffnet somit den Kontrast zwischen dem „einst“ und „jetzt“.30 Nach dem Rückbezug auf den trojanischen Ursprung Roms und der kurzen Aufzählung dessen, was zur Größe Roms beigetragen hat (4,1,39– 56)31, kündigt Properz dem Leser dann seine poetische Neuausrichtung und die Orientierung an dem hellenistischen Vorbild und dessen dichterischem Anspruch an (moenia namque pio conor disponere versu, 4,1,57; sacra deosque canam et cognomina prisca locorum, 4,1,6932; ut nostris tumefacta superbiat Umbria libris, / Umbria Romani patria Callimachi, 4,1,63f.). Besonders in Vers 69 kommt das aitiologische Vorhaben dieses Werkes zum Ausdruck und stellt explizit die Parallele zu den Aitia des Kallimachos her.33 Ähnlich wie Horaz und Vergil, die sich 28 Aus der Forschungsliteratur zur Eröffnungselegie des vierten Buches von Properz sollen insbesondere die Ausführungen von Tara S. WELCH 2005, 19–34 herausgehoben werden, auf denen meine Beobachtungen zu Prop. 4,1 zu einem großen Teil fußen. WELCH untersucht darin das Zusammenspiel von Topographie und properzischer Dichtung und kommt zu dem Schluss, dass die vielfältigen Perspektiven auf Roms Orte, deren Erklärung in 4,1 versprochen wird, dafür sorgen, dass es möglich sei, dass die unterschiedlichen Monumente nicht nur auf eine Weise zu verstehen seien, sondern in Abhängigkeit vom Rezipienten auch auf unterschiedlichen Wegen. Mit diesem neuen Dichtungsprogramm wende sich der Dichter nun im vierten Buch als erstes nun der Vertumnus-Statue zu, um diese propagierte Flexibilität an dem Kultbild zu „testen“ (WELCH 2005, 34). 29 ALBRECHT 1982, 220; RICHARDSON 2006, 414f.; HUTCHINSON 2006, 13; 16. Aufgrund der Heterogenität des Eröffnungsgedichtes von Buch 4 mittels der unterschiedlichen Sprecher wurde dieses von einigen Editoren in zwei verschiedene Gedichte geteilt. Siehe dazu BURCK 1966, 409; LEFÈVRE 1966, 428; NEWMAN 1997, 265; GÜNTHER 2006, 358. 30 BECKER 1971, 464, 467, 477; FANTHAM 1997, 122; LEE-STECUM 2005, 22; WELCH 2005, 20–22; HUTCHINSON 2006, 6; FLACH 2011 a, 7–9. 31 Die arma scheinen einen entscheidenden Anteil an der Größe Roms gehabt und die Lücke zwischen „einst“ und „jetzt“ gefüllt zu haben (vergleiche 4,1,46; 47; 54). Siehe dazu WELCH 2005, 22f. 32 Ovid kündigt seine fasti ähnlich an. Vergleiche Ov. fast. 1,1f.: Tempora cum causis Latium digesta per annum / lapsaque sub terras ortaque signa canam ; Ov. fast. 1,7f. : Sacra recognosces annalibus eruta priscis / et quo sit merito quaeque notata dies. Siehe dazu auch FEDELI 1965, 92. 33 PILLINGER 1969, 173; 177f.; BUTRICA 1996, 154, 156

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damit rühmten, das carmen Aeolium (Hor. carm. 3,30,13f.) und das carmen Ascraeum (Verg. georg. 2,176) nach Italien gebracht zu haben, inszeniert sich der Sprecher hier selbst als Callimachus Romanus (Prop. 4,1,64).34 Die augusteischen Vertreter der elegischen Dichtung strebten bei aitiologischen Themen stets danach, dem hellenistischen Dichter Kallimachos von Kyrene nachzueifern, der bei ihnen als der princeps elegiae galt.35 Insofern überrascht der gezogene Vergleich zum literarischen Vorbild nicht. Wenngleich es bereits andere Autoren gegeben hat, die sich entweder in lateinischer Sprache mit Aitien griechischen Ursprungs auseinandergesetzt haben (Gallus, Catull) oder sich in griechischer Sprache mit römischen Aitien beschäftigt haben (Butas), so ist das vierte Buch des Properz doch zumindest die erste erhaltene Sammlung von aitiologischen Gedichten römischen Ursprungs und in lateinischer Sprache.36 Der beanspruchte Titel Callimachus Romanus und der Erstlingsanspruch bzw. Sonderstatus scheint insofern gerechtfertigt.37

34 LEFÈVRE 1966, 442. 35 Siehe dazu Prop. 3,1,1f.; 3,9,43; Hor. epist. 2,2,91–101; Ov. rem. 381. Dies wird auch von späteren Autoren bestätigt: beispielsweise vom römisch-flavischen Rhetorik-Lehrer Quintilian (Quint. inst. 10,1,58) und in der zweiten Hälfte des 4. Jh. n. Chr. vom lateinischen Grammatiker Diomedes (Diomedes I 484 K). 36 In Rom war die Aitiologie lange Zeit lediglich in Prosaschriften wie Cato, Origines oder Varros antiquitates rerum divinarum Thema. Die poetischen Aitia wurden erst durch die Neoteriker bekannt, die das Interesse an Kulten von ihren hellenistischen Vorbildern übernahmen. So übersetzt beispielsweise Catull einen Abschnitt aus den Aitia des Kallimachos (Catull. 66 – Coma Berenices; vergleiche Kall. Aet. fr. 110 (Pf.). Siehe dazu THOMSON 1997, 447–465). Der erste augusteische Elegiker Cornelius Gallus (zur Vorbildfunktion des Gallus für Properz siehe NEWMAN 1997, 17–53; KNOX 2006, 141–144) soll bereits vor Properz ein aitiologisches Gedicht über den Ursprung der gryneischen Grotte des Apollo in Aeolis verfasst haben. Dieses ist uns allerdings nicht mehr erhalten und findet lediglich in Verg. ecl. 6,64–73 im Lied des Silenus Erwähnung. Daher konnte die Forschung zumindest vermuten, dass Gallus bereits vor Properz eine aitiologische Gedichtsammlung verfasst hatte und somit Gallus und nicht Properz als erster die Aitiologie in die augusteische Elegie eingeführt habe (siehe dazu MILLER 1982, 378f.; 413). Desweiteren ist noch ein einziges Fragment des griechischen Dichters Butas bei Plut. Rom. 21,8 (I.l. p. 63 Ziegler; = SH 234 Ll.–J.–P.) in einem Abschnitt über die Lupercalien überliefert. Plutarch weist dort Butas als einen Dichter aus, der mythische Aitien über römische in elegischen Distichen verfasste (Βούτας δέ τις, αἰτίας µυθώδεις ἐν ἐλεγείοις πὲρι τῶν Ῥωµαικῶν ἀναγράφων, φησὶ (…)), wie hier den römischen Kult der Lupercalienfeier. Eine weitere Paraphrase seines Werkes finden wir bei Arnobius um 300 n. Chr. in seiner apologetischen Schrift adversus nationes, V 18 p. 271,16–272,2 (= SH 235 Ll.–J.–P.) zu einem Aition über den Kult der Bona Dea. Den Fragmenten nach zu urteilen, scheint das Werk des Butas in griechischer Sprache offensichtlich eine Kombination der hellenistischen Form des aitiologischen elegischen Kollektivgedichtes nach kallimacheischen Vorbild mit römischen Themen und zumindest potentiell Wegbereiter des properzischen Werkes gewesen zu sein. Siehe dazu LOEHR 1996, 68–70. 37 Siehe dazu MILLER 1982, 371–374; 378f.; 413; LOEHR 1996, 68–70; 72. Ovid erwähnt Properz in einer Reihe mit bedeutenden Liebeselegikern: Ov. trist. 4,10,51–54: Vergilium vidi tantum, nec avara Tibullo / tempus amicitiae fata dedere meae. / successor fuit hic tibi, Galle, Propertius illi; / quartus ab his serie temporis ipse fui. Vergleiche auch Ov. ars 3,333; Ov. trist. 5,1,17.

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Gleichzeitig beginnt der elegische Sprecher besonders in den Versen 55–60 das Bild eines literarischen Baumeisters von sich zu etablieren und in den Versen 65– 69 als selbst ernannter Callimachus Romanus die imaginierten Besucher dazu zu drängen, die Monumente nach seinem eigenen poetischen Talent und somit mithilfe seiner eigenen Dichtung zu beurteilen (siehe v.a. scandentis quisquis cernit de vallibus arces, / ingenio muros aestimet ille meo, 4,1,65f.).38 Somit scheint im vierten Buch sein Thema der puella Cynthia vollends durch die Stadt Rom ersetzt zu sein und die Übertragung von ausgewählten Monumenten in einen von ihm geschaffenen literarischen Raum auf sein ingenium zurückzugehen. Die dadurch implizierte Analogie zwischen der realen Stadt Rom und dem Aitienbuch hatte sich bereits in V 57 durch moenia namque pio conor disponere versu vorangekündigt39 und spiegelt sich darauf besonders in tibi surgit opus (V 67) wider, da opus zum einen sehr stark literarisch/poetisch konnotiert ist40 und surgere zum anderen gewöhnlich im Kontext der Architektur41 verwendet wird. Zusammen mit der Anspielung auf Romulus als Stadtgründer (V 67f.)42 und der Ankündigung, dass der Dichter die cognomina der Orte43 erklären wolle, wird deutlich, dass Properz im programmatischen Einleitungsgedicht die Monumente selbst und das, was man über sie sagt, nebeneinander stellt. Dem Rom aus Stein stellt er ein Rom an die Seite, das er durch seine eigene Dichtung evoziert.44 Auf diese Weise wird er zum Schöpfer seines eigenen literarischen Roms. Jedoch wurde dieser programmatische Entwurf einer aitiologischen, elegischen Gedichtsammlung (Prop. 4,1,57–70) im letzten Buch lediglich partiell umgesetzt.45 Diese strukturelle Entscheidung kündigt sich bereits in der zweiten Gedichthälfte von Prop. 4,1 an. Dort tritt nämlich ab V 71 ein neuer Sprecher auf, der sich in V 77f. selbst als Horus vorstellt (me creat Archytae suboles, Babylonius Orops, / Horon, et a proavo ducta Conone domus) und den Dichter mit seiner Warnung gegen das neue poetische Programm unterbricht (Quo ruis imprudens? fuge discere fata, 38 WELCH 2005, 26. In 2,1,3f. war es noch sein ingenium, das für die Liebesdichtung über Cynthia verantwortlich war: non haec Calliope, non haec mihi cantat Apollo: / ingenium nobis ipsa puella facit. 39 Vergleiche HUTCHINSON 2006, 71. Hutchinson weist ebenda auch auf die Parallele der Dichterfigur zur Gründerfigur Aeneas hin (siehe pio…versu, V 57 und zuvor in V 44 umeros…pios). 40 Vergleiche beispielsweise Lucr. 6,815; Tib. 1,9,8; Ov. met. 6,241; Petron. 81,5; Plin. nat. 15,130; Verg. Aen. 5,284; Quint. inst. 10,1,69; Plaut. Cas. 7; Cic. Att. 16,11,1 ; Hor. sat. 2,1,2 ; Mart. 2,77,6. 41 Vergleiche beispielsweise Verg. georg. 3,29; Verg. Aen. 1,437; 1,448; 10,476; Plin. nat. 31,49. 42 Die Geschichte von der Vogelschau, die die Stadtgründung Roms durch Romulus begünstigte, wird bei Liv. 1,6f. erzählt. 43 Gemeint sind die Bezeichnungen, die beispielsweise Feldherren wegen einer besonderen Tat o.ä. erlangten und die existierende Identitäten neu definierten. Vergleiche beispielsweise Varro ling. 8,17; Cic. inv. 2,28; Cic. Mur. 31; Cic. Att. 15,1a,2. 44 WELCH 2005, 25–27. 45 LOEHR 1996, 72.

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Properti! / non sunt a dextro condita fila colo.46 V 71f.). Auch wenn der Text suggeriert, dass Horus direkter Dialogpartner des elegischen Ichs ist und mit seiner Rede auf die erste Gedichthälfte reagiert, lassen sich keine konkreten Hinweise aus dem Text gewinnen, die bestätigen können, dass mit dem in V 1 angesprochenen hospes eben jener Horus gemeint ist.47 Horus ist eine schillernde Figur, in der sich die ambivalente Natur des vierten Buches sehr gut widerspiegelt. Charakterisiert als Seher und Astrologe (vergleiche V 77f.48; V 81–92; 119f.) wirft er dem Dichter vor, mit seiner neuen Form der Dichtung Tränen hervorzurufen (accersis lacrimis, V 73), sodass selbst Apollo sich bereits von ihr abgewandt habe (aversus cantat Apollo; / poscis ab invita verba pingenda lyra, V 73f.). Dieser war in der bisherigen Dichtung des Properz nicht nur Inspiration zur elegischen Dichtung,49 sondern auch in der Funktion des Mahners aufgetreten, um entgegenzuwirken, wenn der Dichter durch andere literarische Gattungen wie das Epos von der Elegie abgebracht wurde (Prop. 3,3,13– 26). Seine von Horus behauptete Abwendung ist ein starkes Zeichen dafür, dass das jetzige Schaffen in Frage gestellt wird.50 Im weiteren Verlauf des Gedichts scheint Horus nun selbst die Rolle des Gottes einnehmen zu wollen. Jedoch erweist sich Horus im Gegensatz zu Apoll als eine instabile Instanz, die bei ihren Aussagen ständig um Beglaubigungsstrategien, die ihre Autorität unterstreichen sollen, bemüht ist.51 Zur Beglaubigung seines Horoskops für das elegische Ich des Properz bezieht Horus sich auf biographische Aussagen des Dichters (V 119–134) und nutzt zum Ende des Gedichtes sogar Apollo als Mittel, um sich Autorität zu verschaffen. Eingeleitet durch die Verse 46 Zum Motiv des Spinnens als Metapher und der Doppelbedeutung von condita siehe WELCH 2005, 28. 47 RICHARDSON 2006, 419 meint den hospes in V 1 mit Horus gleichsetzen zu können. HUTCHINSON 2006, 73f. hingegen lehnt diese Annahme ab. GÜNTHER 2006, 358 vermutet, dass die Bezeichnung hospes in Analogie zur vergilischen Aeneis Buch 8 (Verg. Aen. 8,364) gewählt worden sei, wo Euander seinem Gast Aeneas die Stätte des zukünftigen Rom zeige. Vergleiche dazu auch FEDELI 1965, 74. 48 Horos führt seine Wurzeln auf Conon und Archytas zurück, die beide berühmte Mathematiker und Astronomen in hellenistischer Zeit gewesen sind. Siehe dazu WELCH 2005, 33; HUTCHINSON 2006, 75; FLACH 2011 b, 220. 49 Prop. 1,2,27–30; 2,31; 3,1,37f. (lycio … deo in V 38 bezeichnet an dieser Stelle Apollo. Das lycio bezieht sich auf das Orakel des Apollo in Patara/Lykien. Siehe dazu RICHARDSON 2006, 321f.; 3,2,9. 50 Vergleiche hierzu BUTRICA 1996, 154; HUTCHINSON 2006, 74. 51 Vergleiche beispielsweise certa feram certis auctoribus; aut ego vates / nescius aerata signa movere pila. V 75f.; di mihi sunt testes non degenerasse propinquos / inque meis libris nil prius esse fide. V 79f.; siehe auch die Arria-Passage in V 89–98 und die Cinara-Passage in V 99–102 mit anschließender Lobpreisung der eigenen Seherqualitäten V 103–108. Die Erzählungen, die Horus für seine Beglaubigungsstrategien wählt, handeln alle von Frauen, die einen Gegensatz zum Katalog in der ersten Gedichthälfte bilden, in dem mit Euander, Aeneas, den Patres, Fabius Lupercus, Lucumo, Titus Tatius, Romulus und Remus, Caesar, Iulus, den Decii und den Bruti nur Männer aufgezählt werden. Der Fokus auf Frauen in der zweiten Gedichthälfte unterstreicht die Ambivalenz des vierten Buches zwischen Erotik und Geschichte ebenfalls. Siehe dazu WELCH 2005, 29–31.

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133f. wird zumindest durch das (…) dictat Apollo / et vetat insano verba tonare Foro suggeriert,52 dass die abschließenden Verse 135–150, in denen der Sprecher den Dichter noch einmal eindringlich dazu auffordert, sich der elegischen Dichtung hinzugeben (vergleiche besonders die Verse 135f.: at tu finge elegos, fallax opus53 (haec tua castra), / scribat ut exemplo cetera turba tuo), vom Gott selber gesprochen werden.54 Die Versuche des Horus, seine Glaubwürdigkeit zu steigern, werden allerdings immer wieder ins Wanken gebracht. So stellt man sich etwa die Frage, warum Horus in seiner Funktion als Mahner und Verfechter der elegischen Dichtung erst ab Vers 71 auftritt, nachdem das poetische Ich des Properz bereits 70 Verse lang die Gelegenheit dazu hatte, sein aitiologisches Programm und die Grundinhalte seiner Dichtung zumindest ansatzweise vorzustellen. Auch inhaltlich fallen einige Ungereimtheiten auf: So meint Horus, dass die neue Dichtung des Properz Tränen hervorrufe (V 73), obwohl die bisherigen Verse 1–70 keinen Verdacht hinsichtlich dieser Behauptung aufkommen ließen. Eine Passage der Horus-Rede hingegen (Arria-Episode, V 89–98) und das Ereignis der Perusinischen Kriege in den Versen 127–130 (s.o.), von deren Konsequenzen der Landenteignung der historische Autor Properz selbst betroffen war und auf die er selbst in seinen Gedichten Prop. 1,21 und 22 anspielt (s.o.), lassen die Evokation von Trauer zumindest vermuten. Die größte Ambivalenz zeigt sich auf inhaltlicher Ebene darin, dass Horus dazu aufruft, zur elegischen Dichtung zurückzukehren, selbst aber in seiner eigenen Rede immer wieder epische und tragische Anklänge platziert (vergleiche Troia, V 87; Troica Roma, V 87; Calchas, V 109; Aulide, V 109; Agamemnoniae (…) cervice puellae, V 11155; Atrides, V 11256; Danai, V 113; Troia, V 114; 7auplius, V 11557; victor Oiliade, V 11658; die Passage schließt mit den Worten hactenus his-

52 Zu den Versen 133f. kann vor allem durch das Wort tonare ein intertextueller Bezug zu Kall. Aet. fr. 1,20–24 (Pf.) hergestellt werden – ein Auszug aus dem Telchinen-Prolog, in dem gesagt wird, dass das Donnern nicht die Sache des Apollo, sondern die des Zeus sei. Siehe dazu WELCH 2005, 28f.; HUTCHINSON 2006, 83f. 53 Man beachte die Opposition zwischen dem von Properz gewählten Bild eines Bauwerkes für die aitiologische Dichtung (V 67: tibi surgit opus), das nun durch Horus/Apoll in V 135 als fallax opus bezeichnet wird. GLOCK 1999, 199. 54 Siehe dazu LEFÈVRE 1966, 440, Anm. 35; HUTCHINSON 2006, 84. 55 Hier wird auf das Ende der Iphigenie angespielt, die der Göttin Artemis geopfert wurde. Siehe dazu HUTCHINSON 2006, 80; RICHARDSON 2006, 421; FLACH 2011 b, 222. 56 Agamemnon ist der Sohn des Atreus. Siehe FLACH 2011 b, 222. 57 Nauplius war der König von Euboia, der mit Leuchtfeuern, die er an den Klippen des steilen Kaps Kaphareus angebracht hatte, um die griechischen Steuerleute zu täuschen, die Flotten der Griechen zerschellen ließ, weil sein Sohn durch die Machenschaften des Odysseus ums Leben gekommen war. Siehe dazu HUTCHINSON 2006, 80f.; FLACH 2011 b, 223. 58 Hier ist Aiax, der Sohn des Königs Oileus von Lokris gemeint, der die Seherin Kassandra vom Standbild der Pallas Athene wegriss, bei dem sie Schutz suchte, und sie vergewaltigte. Siehe dazu HUTCHINSON 2006, 81; FLACH 2011 b, 223.

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toriae, V 119).59 Auf diese Weise wird Horus‘ Rolle als Mahner zur Elegie vollends ad absurdum geführt. Ziehen wir eine kurze Bilanz, so werden in Prop. 4,1 zwei rivalisierende Wege der Dichtung aufgezeigt, wobei bis zum Ende der Elegie unklar bleibt, welchen der beiden der Dichter Properz beschreiten wird. Eine erste Antwort wird scheinbar durch Prop. 4,2 gegeben, die durch Vertumnus einen aitiologischen Charakter erhält, sodass der Leser glauben könnte, der Dichter wende sich nun der Aitiologie vollends zu. Jedoch spätestens durch Prop. 4,3 wird mit dem Thema der Arethusa und ihrem Brief an den Geliebten, der sich mit dem römischen Heer in der Ferne befindet, wird deutlich, dass die angekündigte neue Dichtungsform aufgrund des hier vorliegenden historischen Kontextes und der anderen Sprecherkonstellation nicht aufrecht erhalten wird. Die Dichtung des vierten Properzbuches oszilliert demnach zwischen diesen beiden Gattungen, ohne dass eine Seite das Übergewicht erhält. Diese Wandlung wird in der Eröffnungselegie thematisiert und spiegelt sich besonders in der Figur des Horus wider, der selbst zwischen dem neu eingeführten Seher und der bereits bekannten Figur des Apollo changiert, sodass der Leser an einigen Stellen nicht sicher sein kann, wessen Worte er eigentlich rezipiert. Mit Blick auf die Folgeelegie, die einige der eben genannten Elemente wie das Spiel mit den unterschiedlichen Literaturgattungen wieder aufnimmt, bildet das Einleitungsgedicht demnach ein praeludium für Prop. 4,2.

5.3 FORSCHUNGSÜBERBLICK UND FRAGESTELLUNG ZU PROP. 4,2 Die Forschung hat versucht, sich dem „aitiologischen Auftaktgedicht“ des Vertumnus aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern. Zum einen wurde der Text sprachlich untersucht: Während zuletzt DOMINICY 2009 textkritische Überlegungen zu 4,2 angestellt hat, wurde von mehreren Seiten immer wieder auf die Nähe der Elegie zu Kallimachos (Aitia fr. 114; Iambus 7 und 9) und auf den starken grab- und weihepigrammartigen Charakter (PILLINGER 1969, SUITS 1969, DEE 1974, MILLER 1982, SHEA 1988, GLOCK 1999, BOLDRER 2001) sowie seinen Hymnus-Bezug (MADER 1991) hingewiesen. Zum anderen wurde der Text auf inhaltlicher Ebene analysiert: Dort wurde der Fokus einerseits auf die Figur und den Mythos des Vertumnus gelegt (MARQUIS 1974, BOLDRER 2001) und andererseits dessen poetologische Funktion untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich die Kultstatue des Vertumnus aufgrund seiner Eigenschaften, wie z.B. seiner Wandlungsfähigkeit, der Polarität seines Wesens und Standortes und seiner Nähe zur im Werk fingierten Dichterfigur des elegischen Ichs (SUITS 1969, MARQUIS 1974, SHEA 1988, MADER 1991, LINDHEIM 1998, O’NEILL 2000, BOLDRER 2001; WELCH 2005) sowie seiner Äußerungen, die sich inhaltlich u.a. mit dem romanitasGedanken und seiner eigenen Identitätsfrage (DEE 1974, SHEA 1988, LINDHEIM 1998, BOLDRER 2001, LEE-STECUM 2005, WELCH 2005, RÜPKE 2009) auseinan59 LEFÈVRE 1966, 441.

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dersetzen, durchaus als Allegorie der „neuen“ Dichtung des Properz deuten lässt, wie sie im ersten Programmgedicht des vierten Buches etabliert worden ist (DEREMETZ 1986, BOLDRER 1999, GLOCK 1999, LEE-STECUM 2005). Sich aus diesen Forschungen ergebende, weiterführende Überlegungen wie beispielsweise zur ambivalenten opus-Bezeichnung der Vertumnus-Statue in V 64 (DEREMETZ 1986, BOLDRER 1999, GLOCK 1999, LEE-STECUM 2005) oder zur Rolle der Figur des in V 61 erwähnten Künstlers Mamurius sind bisher lediglich marginal behandelt worden (DEREMETZ 1986, GLOCK 1999, WELCH 2005). Die vorliegende Analyse möchte hingegen die Vertumnus-Elegie nicht nur rein poetologisch lesen, sondern auch den kultpraktischen Aspekt bei der Interpretation des Gedichtes berücksichtigen und sich somit vom Gros der bisherigen Forschungsliteratur absetzen. In einem ersten Abschnitt (V 1–56) soll in Anlehnung an meine Erkenntnisse über die Attraktivität der Verwendung von sprechenden Kultbildern in literarischen Räumen das Augenmerk auf die programmatische Funktion des Vertumnus gelegt und damit die Ergebnisse der bisherigen Forschung zu Prop. 4,2 erweitert werden. In einem zweiten Teil (V 57–64) soll schließlich das Kultbild, das sich vor allem in den Schlussversen manifestiert, sowie seine intermedialen Bezüge und die sich daraus ergebenden literarischen Möglichkeiten, analysiert werden. Dabei sollen vor allem das Spiel mit Mündlichkeit und Schriftlichkeit sowie die Rolle des im Text erwähnten Künstlers Mamurius im Zentrum stehen. Zusammenfassend ergeben sich für die Untersuchung somit folgende Leitfragen: Wie stellt sich der Gott Vertumnus dem Leser im Text vor und lassen sich seine Worte mit erhaltenen Zeugnissen über den Vertumnus-Kult in Rom zur Deckung bringen? Welche narrative Strategien lassen sich bei seiner Identitätsschaffung erkennen? Wie instrumentalisiert der Dichter dieses Identitätskonstrukt auf poetologischer Ebene für seine Zwecke? Wo lassen sich intermediale Bezüge feststellen und wie werden sie metapoetisch fruchtbar gemacht?

5.4 DER LATEINISCHE TEXT: PROP. 4,2 Quot editiones, tot Propertii60 - der Text des vierten Buches von Properz ist in hohem Maße korrupt.61 Diese Verderbtheit zeigt sich in der vorliegenden Elegie vor allem daran, dass die Versabfolge in den unterschiedlichen Textausgaben nicht einheitlich ist. Grundlage für die folgende Untersuchung soll im Wesentli-

60 HEYWORTH 2007, LXV; BUTRICA 2012, 42. 61 Vergleiche dazu HUTCHINSON 2006, 22f. Speziell zum Edieren von Properz siehe BUTRICA 2012, 42–93; insbesondere zur Entstehungsgrundlage der vorliegenden Ausgabe siehe HEYWORTH 2007, VII–LXXXI.

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chen die Textausgabe von Stephen HEYWORTH sein, die im weiteren Verlauf mit Verstranspositionen zitiert wird.62

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Qui mirare meas tot in uno corpore formas accipe Vertumni signa paterna dei. Tuscus ego, et Tuscis orior, nec paenitet inter proelia Volsinios deseruisse focos. haec me turba iuvat; nec templo laetor eburno: Romanum satis est posse videre forum. hac quondam Tiberinus iter faciebat, et aiunt remorum auditos per vada pulsa sonos; at postquam ille suis stagnum concessit alumnis, Vertumnus verso dicor ab amne deus; seu, quia vertentis fructum praecerpimus anni, Vertumni rursus creditur esse sacrum. prima mihi variat liventibus uva racemis, et coma lactenti spicea fruge tumet; hic dulces cerasos, hic autumnalia pruna cernis, et aestivo mora rubere die; insitor hic solvit pomosa vota corona cum pirus invito stipite mala tulit; mendax fama, vaces : falsa es mihi nominis index; de se narranti tu modo crede deo. opportuna mea est cunctis natura figuris: in quacumque voles verte, decorus ero. indue me Cois: fiam non dura puella; meque virum sumpta quis neget esse toga? da falcem et torto frontem mihi comprime faeno: iurabis nostra gramina secta manu. arma tuli quondam et, memini, laudabar in illis. corbis in imposito pondere messor eram. sobrius ad lites; at cum est imposta corona, clamabis capiti vina subisse meo. cinge caput mitra : speciem furabor Iacchi; furabor Phoebi, si modo plectra dabis. cassibus impositis venor ; sed harundine sumpta Faunus plumoso sum deus aucupio. est etiam aurigae species Vertumnus, et eius traicit alterno qui leve corpus equo. sub petaso pisces calamo praedabor, et ibo mundus demissis institor in tunicis.

62 HEYWORTH belässt Verse, die er an anderer Stelle vermutet, an ihrer ursprünglichen Stelle und kennzeichnet seine These lediglich durch Versnummerierung. Siehe HEYWORTH 2007, 153–156.

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pastor me ad baculum possum curvare, vel idem scirpiculis medio pulvere ferre rosam. nam quid ego adiciam, de quo mihi maxima fama est, hortorum in manibus dona probata meis? caeruleus cucumis tumidoque cucurbita ventre me notat, et iunco brassica vincta levi; nec flos ullus hiat pratis, quin ille decenter impositus fronti langueat ante meae. at mihi, quod formas unus vertebar in omnes, nomen ab eventu patria lingua dedit, et tu, Roma, meis tribuisti praemia Tuscis, unde hodie Vicus nomina Tuscus habet. tempore quo sociis venit Lycomedius armis63 atque Sabina feri contudit arma Tati, vidi ego labentes acies et tela caduca, atque hostes turpi terga dedisse fugae; sed facias, divum sator, ut Romana per aevum transeat ante meos turba togata pedes. sex suberunt versus; te qui ad vadimonia curris non moror : haec spatiis ultima creta meis. stipes acernus eram, properanti falce dolatus ante 7umam pauper paupere in urbe deus. at tibi, Mamurri, formae caelator aenae, tellus artifices ne terat osca manus, qui me tot docilem potuisti fundere in usus. unum opus est, opera non datur unus honos.

63 Nach HEYWORTH 2007, LXIII–LXIV gibt es in den überlieferten Handschriften des Werkes Anzeichen von Textverschiebungen, die hauptsächlich durch Auslassung und versuchte Textkorrektur zustande gekommen sind. Demnach vermutet er, dass auch die Verse 51–54 in Prop. 4,2 vielleicht ebenfalls in ihren ursprünglichen Positionen mit Versen, die uns nicht mehr erhalten sind, ausgelassen worden seien. HEYWORTH nimmt an, dass von den Manuskripten ausgehend jeweils ein Vers vor und nach den Versen 51–54 zu ergänzen bzw. ausgelassen worden sei und markiert dies in der vorliegenden Ausgabe mit spitzen Klammern (vergleiche HEYWORTH 2007, 156). Diese Vermutung habe ich bei meiner Textinterpretation unbeachtet gelassen, da der Editor u.a. keine angemessene Begründung für seinen Textvorschlag geliefert hat. Daher ist dieser Korrekturvorschlag auch nicht im oben stehenden lateinischen Text übernommen worden.

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5.5 DIE GLIEDERUNG DES TEXTES Im Folgenden soll eine kurze inhaltliche Gliederung des Textes vorgenommen werden, die von einer Einteilung in fünf größere Abschnitte ausgeht:64 1. Vertumnus stellt sich vor (V 1–6) Nach Horus‘ Auftritt in 4,1 wird in 4,2 mit dem Gott Vertumnus (Vertumni … dei, V 2) eine neue Sprecherfigur eingeführt, die sich und ihre etruskische Herkunft in den Versen 1–6 einem imaginären Gegenüber vorstellt. 2. „Falsche“ Etymologien (V 7–18) Vertumnus trägt zunächst zwei Alternativvorschläge zur Genese und Bedeutung seines Namens vor. Die erste Etymologie (V 7–10) wird mithilfe des Standortes am Tiber und dessen Veränderung des Flussbettverlaufes konstruiert. Die zweite (V 11–18) leitet der Sprecher/Gott von der Tatsache ab, dass ihm jeweils die ersten Früchte der sich verändernden Jahreszeiten geopfert werden. 3. „Richtige“ Etymologie (V 19–48) Nachdem Vertumnus die beiden erstgenannten Namensableitungen als falsch verworfen hat (V 19f.), gibt er Auskunft über die wahre Herleitung. Diese leite sich von seinem Hauptcharakteristikum, jede erdenkliche Gestalt annehmen zu können (V 21f.), ab. Es folgt daraufhin ein exemplarischer Katalog der Formen, in die er sich verwandeln kann (V 23–48). 4. Aition des Standortes Vicus Tuscus (V 49–56) Vertumnus berichtet, wie die Etrusker den Römern im Kampf gegen die Sabiner geholfen und zum Dank dafür von Rom ein eigenes Viertel in der Stadt mit dem Namen Vicus Tuscus erhalten haben. Als Augenzeuge beschreibt er dabei die Niederlage und Flucht der Sabiner. 5. Schlussepigramm (V 57–64) Nach dem Hinweis auf den begrenzten verbleibenden Raum und darauf, die kostbare Zeit des imaginären Gegenübers nicht mehr länger in Anspruch nehmen zu wollen (V 57f.), folgen Schlussverse, die u.a. aufgrund ihrer Kürze und ihres Inhalts (Entstehungsprozess des Vertumnus-Kultbildes durch den Künstler Mamurius; Nähe zum Epitaph) einen epigrammartigen Charakter haben.

64 Siehe zur Gliederung RICHARDSON 2006, 424.

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5.6 VERTUMNUS UND DIE FRAGE NACH DER IDENTITÄT Im ersten Abschnitt möchte ich mich zunächst mit der Sprecherfigur auseinandersetzen, die sich selbst in dem Gedicht als der etruskische Gott Vertumnus vorstellt und versucht, sich auf zweierlei Wegen eine Identität zu verschaffen: zum einen über den etruskischen Ursprung des Gottes und seines Kultbildes auf dem vicus Tuscus in Rom (V 3–6; 49–54) und zum anderen über die Etymologie seines lateinischen Namens (V 7–48). Nach Darstellung der typisch epigrammatischen Kommunikationssituation der Elegie sollen die Selbstvorstellung des Sprechers Vertumnus, seine etruskische Vergangenheit und sein gegenwärtiger Standort ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. In Abgleich mit der historischen Quellenlage soll dargelegt werden, dass das Wesen des Gottes, wie es sich im Text darstellt, Ambivalenzen aufzeigt, die bereits für das vierte Gedichtbuch des Properz festgestellt werden konnten. Durch die Analyse der drei Etymologien im Kontext des Gesamtgedichtes soll der Sprecher der Elegie als unzuverlässiger Erzähler entlarvt und untersucht werden, welche Strategie der Autor mit diesem narratologischen Phänomen verfolgt und wie er es möglicherweise für seine literarischen Zwecke funktionalisiert hat.

5.6.1 Die Kommunikationssituation Nach der Rede des Horus/Apoll und dessen Mahnung an den Sprecher von Prop. 4,1, der Liebeselegie treu zu bleiben, beginnt das zweite Gedicht des vierten Buches in mediis rebus mit der Anrede eines imaginären, anonymen Passanten (qui mirare …/ accipe, V 1f.) durch den Gott Vertumnus, der mittels seiner Statue (angedeutet bereits in V 1 durch in uno corpore) mit diesem in Kontakt tritt. Durch diesen abrupten Sprecherwechsel, der in V 2 deutlich markiert wird, wird die folgende Rede von der vorherigen abgegrenzt. Das imaginäre Gegenüber wird von Vertumnus als Bewunderer von dessen Fähigkeit, sich trotz eines Körpers in so viele Gestalten zu verwandeln (qui mirare meas tot in uno corpore formas, V 1), dargestellt. Damit wird vom Sprecher gleich im ersten Vers die Haltung des Rezipienten vorweg genommen. Durch die Ansprache eines Gegenübers wird signalisiert, dass es sich im Folgenden nicht um einen reinen Monolog des Vertumnus handelt, sondern eher um einen, wenn auch einseitig gestalteten, Dialog, der ähnlich wie bei Hor. sat. 1,8 und Tib. 1,4 von epigrammartigen Elementen wie denen des Weih- oder Grabepigramms (s.o.) durchzogen ist. Der stärkste epigrammatische Charakter zeigt sich in den Versen 57f., in denen Vertumnus beteuert, den Passanten nicht länger aufhalten zu wollen, da dieser anscheinend einen Termin bei Gericht hat (te qui ad vadimonia curris / non moror).65 Weitere Imperative und Verben in der zweiten Person Singular weisen zusätzlich im gesamten Gedicht auf eine Dialogimitation 65 HUTCHINSON 2006, 87.

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hin (accipe, V 2; cernis, V 16; crede, V 20, verte, V 22, indue, V 23; da, V 25; iurabis, V 26; clamabis, V 30; cinge, V 31; dabis, V 32; curris, V 57).66 Wie bereits in Ansätzen bei Horaz und Tibull beobachtet werden konnte, verwendet auch Properz einerseits die bereits hellenistisch bezeugte Technik des fingierten „Frage- und Antwortspiels“ für sein aitiologisch geprägtes Gedicht und anderseits das Motiv der sprechenden Statue, wie sie vor allem in hellenistischen Dialogepigrammen67 beliebt waren und namentlich besonders von Kallimachos geprägt worden sind.68 Dessen Gedichte sind die einzigen uns erhaltenen, die in diesem Stil, der über die gewöhnlichen Grenzen eines Epigramms hinausgeht, verfasst worden sind. Sie waren zu ihrer Zeit eine Neuheit, die nachfolgende Autoren und vor allem die augusteischen Dichter motivierte, Vergleichbares zu schaffen.69 Auf der Ebene der Kommunikation lassen sich bereits in den ersten beiden Versen interessante Beobachtungen machen: Während das imaginäre Gegenüber in eine sehr einfache Form der non-verbalen Interaktion mit dem Kultbild in Form des mirare tritt, ist dies anscheinend für das Kultbild der Auslöser, die verbale Initiative zu ergreifen und auf sich aufmerksam zu machen. In der römischen Kultpraxis allerdings ergriff üblicherweise der Mensch und nicht der Gott mittels seines Kultbildes die Initiative, um verbal mit seinem Gegenüber in Kontakt zu treten.70 Anhand dieses Beispiels lässt sich der Unterschied zwischen realer religiöser Kommunikation im Kontext der Kultpraxis und der literarischen epigrammatischen Kommunikation erkennen: Während in der realen Kultpraxis der Mensch die vertikale Kommunikation mit der jeweiligen Gottheit mittels des Mediums Kultbild initiiert, macht in dem vorliegenden Text das Standbild des Gottes auf sich aufmerksam. Properz folgt somit bezüglich der Kommunikationsinitiative der Vertumnus-Statue in V 1f. eindeutig epigrammatischen Traditionen. Die Charakterisierung der Statue als Kultbild erfolgt erst in den folgenden Versen.

5.6.2 Die Selbstvorstellung des Vertumnus – Etruskische Vergangenheit und römische Gegenwart Die Antwort auf die Antizipation der Eröffnungsfrage in V 1 gibt der Gott darauf selbst in den folgenden Versen, indem er, von sich selbst in der dritten Person sprechend (Vertumni…dei), vorgibt, dem Gegenüber seine signa paterna zu erläutern. Über die Bedeutung der signa paterna konnte sich die Forschung bisher 66 SUITS 1969, 479–481; WARDEN 1980, 103; BOLDRER 1999, 37; GLOCK 1999, 200–203; HUTCHINSON 2006, 87–89; RÜPKE 2009, 126–134. Vergleiche auch Kap. 2.2.2. 67 MÄNNLEIN-ROBERT 2007 a, 35. Siehe auch Kap. 2.2.1. 68 Vergleiche zur Technik des „Frage- und Antwortspiels“ beispielsweise Kall., Aet. Fr. 114 (Pf.), Ia. 9, Fr. 199 (Pfeiffer) und zum Motiv der sprechenden Statue Kall. Ia. 7 Fr. 197 (Pf.). Siehe zum Einfluss des Kallimachos auf Prop. 4,2 PILLINGER 1969, 177–181; DEE 1974, 43f.; MARQUIS 1974, 492; MILLER 1982, 371–392; LOEHR 1996, 83; BOLDRER 1999, 42–45; BOLDRER 2001, 96. 69 PILLINGER 1969, 180f. 70 Vergleiche hierzu Kap. 2.3.4.

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nicht einigen. Ich denke, dass der Dichter hier vor allem mit der Polysemie des Wortes signum spielt, das u.a. ganz allgemein „Zeichen“ oder „Merkmale“, aber gerade in Verbindung mit der Gottheit Vertumnus auch „Statue“ meinen kann.71 Letztere Übersetzungsmöglichkeit könnte daher besonders durch die Verwendung des Plurals unterschwellig zum einen auf die unterschiedlichen Etymologien seines Namens, die der Gott im Anschluss liefert, und zum anderen auf seine von ihm deklarierte Haupteigenschaft, die Wandlungsfähigkeit (V 19–22), vorverweisen.72 Diese Beobachtung in Kombination mit dem Wechsel von der dritten in die erste Person Singular zu Beginn der Vorstellung (Tuscus ego, et Tuscis orior, V 3) geben einen ersten Hinweis darauf, dass der Gott Vertumnus und sein Standbild spätestens ab V 3, wenn es explizit um das Aition der Statue geht, eine Einheit bilden.73 Hier wird somit ganz klar das Motiv der sprechenden Statue markiert und ihren Worten durch den Wechsel in die erste Person zusätzliche Glaubwürdigkeit verliehen. Bevor er zur Etymologie seines Namens kommt, beginnt der Gott sich in den nächsten Versen selbst vorzustellen: Er berichtet, dass er Etrusker sei, aus Volsinii stamme (V 3) und es nicht bereut habe, während einer Schlacht seine Heimat verlassen zu haben (V 4). In den nächsten beiden Versen definiert er seinen aktuellen Standort: Anscheinend befindet er sich gegenwärtig in Rom, an einem Ort, von dem aus er das Treiben (haec…turba, V 5) auf dem Forum Romanum beobachten kann (V 6), was ihm lieber sei, als in einem Tempel aus Elfenbein zu stehen (nec templo laetor eburno, V 5). Mit diesen kurzen Hinweisen auf seine Vergangenheit und seine Gegenwart verleiht Vertumnus seiner Person Kontur und fängt an, sich auf literarischer Ebene eine eigene Identität zu kreieren. Gleichzeitig erfolgen durch den Verweis auf seine evocatio in V 3f. und den Tempel-Bezug in V 5f. (auch wenn er für sich selbst einen Elfenbein-Tempel ablehnt und einen öffentlichen Platz vorzieht) die ersten Andeutungen darauf, dass es sich bei dem Sprecher nicht nur um eine gewöhnliche Vertumnus-Statue, sondern um ein VertumnusKultbild handelt. Doch was wissen wir tatsächlich über den Gott, den Properz hier zu Wort kommen lässt? Das ausführlichste Zeugnis der römischen Gottheit Vertumnus oder Vortumnus liefert die vorliegende Textstelle bei Properz.74 Aus den erhalte71 Gerade in Verbindung mit paterna kann diese Junktur hier „Herkunfts-/Ahnenmerkmale“ o.ä. meinen, allerdings wurde das Kultbild des Vertumnus, wie bereits in früheren literarischen Zeugnissen bestätigt wird, als signum Vortumni bezeichnet (Cic. Verr. 2,1,154; Liv. 44,16,10). Außerdem wurden antike römische Götter gewöhnlich als pater angesprochen, sodass auch die Junktur signa paterna im Bedeutungsspektrum ‚Statue‘ nicht abwegig zu sein scheint. Siehe SUITS 1969, 481; MARQUIS 1974, 492; GLOCK 1999, 216; BOLDRER 2001, 99; WELCH 2005, 36; RICHARDSON 2006, 424. 72 WELCH 2005, 52. 73 HUTCHINSON 2006, 89. 74 Während die Hauptzeugnisse Prop. 4,2 und Ov. met. 14, 623–771 Vertumnus überliefern, tradiert der früheste Beleg bei Varro, ling. 5,46 Vortumnus. Die übrigen Zeugnisse weichen hingegen voneinander ab: Ein Teil überliefert Vertumnus (beispielsweise Tib. 3,8 (=4,2)), der andere Vortumnus (beispielsweise Cic. Verr. 2,1,154; Hor. sat, 2,7,14). Weitere literarische Erwähnungen lassen sich bei Liv. 4,23,5; 4,25,7; 4,61,2; 5,17,6; 6,2,2 (Nennung der Gottheit

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nen literarischen Quellen lässt sich insgesamt ableiten, dass die Römer glaubten, Vertumnus sei ein etruskischer Gott, der in die römische Religion integriert wurde. So bezeichnet ihn schon Varro in ling. 5,46 als deus Etruriae princeps. Wenig später erwähnt Livius einen Gott namens Voltumna,75 bei dessen Tempel (ad Voltumnae fanum) in der Nähe von Volsinii das concilium Etruriae, eine Versammlung der zwölf führenden Stadtstaaten Etruriens, stattgefunden haben soll. Auch in Prop. 4,2,3f. und 49f. bestätigt der Gott selbst seine etruskische Herkunft.76 Doch es lassen sich weder der Name Vertumnus/Vortumnus noch ein von ihm abgeleiteter Personen- oder Ortsname bzw. überhaupt eine Spur seiner Existenz in Etrurien archäologisch nachweisen.77 Die Gottheit, an deren Schrein die etruskische Bundesversammlung stattgefunden hat, wurde in ihrer eigenen Sprache Veltha oder Veltune/Velthune genannt. Die Vermutung liegt daher nahe, dass dieser Gott aus Etrurien nach Rom „importiert“ und dort mit dem lateinischen Namen Vertumnus bzw. Vortumnus versehen wurde.78 Wann die Gottheit nach Rom gekommen ist, lässt sich nicht genau klären. Auf literarischer Ebene setzt Properz ihre Einführung in die frührömische Zeit des Romulus und postuliert damit für ihn, ähnlich wie Horaz und Tibull für ihre Priapi, ein hohes Alter. Als die Etrusker den Römern bei ihren Auseinandersetzungen mit den Sabinern, die von Titus Tatius angeführt wurden,79 geholfen hätten (vergleiche V 49–54 und V 59–64), hätten sie zum Dank für die Unterstützung einen eigenen, kleinen Teil der Stadt erhalten, der den Namen vicus Tuscus bekam und in dem das Kultbild nun stehe.80

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Voltumna) und indirekt ohne Namensnennung bei Ov. fast. 6,409f. finden. Auch in den Inschriften sind beide Formen überliefert: Vertumnus beispielsweise in CIL III 1420610; V 7235; IX 5892; XI 4644 a und Vortumnus in CIL VI 803; VI 804; IX 327; IX 2320. Siehe dazu EISENHUT 1958, 1669; MARQUIS 1974, 491; 496; SMALL 1997, 235; BOLDRER 2001, 88–90. Siehe Liv. 4,23,5; 4,25,7; 4,61,2; 5,17,6; 6,2,2. Die Bezeichnung bei Varro in Verbindung mit den Erwähnungen bei Livius hat dazu geführt, dass Vertumnus mit der wichtigen etruskischen Gottheit Voltumna gleichgesetzt wurde. Allerdings muss deus Etruriae princeps nicht unbedingt einen höheren Rang in der Hierarchie der etruskischen Götter meinen. In Etrurien scheint die einflussreichere Gottheit Tin oder Tinia, ein himmlischer Gott mit Parallelen zu Iuppiter/Zeus, gewesen zu sein. Siehe dazu RADKE 1979, 318; SMALL 1997, 235; BOLDRER 1999, 5; WELCH 2005, 37. In Rom selbst gehörte Vertumnus ähnlich wie Priapus zu den Göttern niederen Ranges im römischen Pantheon. Siehe dazu EISENHUT 1958, 1685; SUITS 1969, 477; WARDEN 1980, 103; MADER 1991, 139; BOLDRER 1999, 22; BOLDRER 2001, 87. Vergleiche Fulg. serm. ant. 11p. 115, 5–8 Helm. MARQUIS 1974, 496–499; RADKE 1979, 318. MARQUIS 1974, 496–499; SMALL 1997, 235; WELCH 2005, 37; 48. Laut Varr. ling. 5,74 soll Titus Tatius den Vertumnus-Kult neben vielen anderen eingeführt haben: (…) et arae Sabinum linguam olent, quae Tati regis voto sunt Romae dedicatae: nam, ut dicunt annales, vovit Opi, Florae, Vediovi Saturnoque, Soli, Lunae, Volcano et Summano, itemque Larundae, Termino, Quirino, Vortumno, laribus, Dianae, Lucinaeque; (…). Siehe dazu MARQUIS 1974, 494; GLOCK 1999, 206. Mit dem in V 51 erwähnten Lykomedier (Lycomedius) scheint Properz den Etruskerfürsten Lucumo nach dem etruskischen Herrschergeschlecht zu meinen (vergleiche Fest. p. 107 L; FEDELI 1965, 116; HUTCHINSON 2006, 97; RICHARDSON 2006, 428; FLACH 2011 a, 227). Die Version des Properz deckt sich mit der des Varro, die bei Servius überliefert ist. Siehe Serv.

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Auf historischer Ebene lässt sich der Import des Gottes und sogar die Einführung eines offiziellen Vertumnus-Kultes mutmaßlich um das Jahr 264 v. Chr. ansetzen, als die Stadt Volsinii von den Römern unter Marcus Fulvius Flaccus erobert wurde und dieser die Gottheit durch evocatio nach Rom brachte.81 Gestützt wird diese These dadurch, dass es einen Tempel für Vertumnus auf dem Aventin gegeben hat, für den mit dem 13. August ein Festtag belegt ist82 und von dem wir durch Festus wissen, dass darin ein Gemälde des M. Fulvius Flaccus, des Siegers über Volsinii, als Triumphator untergebracht war.83 Dass Vertumnus einen eigenen Tempel besaß, wird bei Properz nicht direkt bestätigt. Der Gott selbst erwähnt lediglich, dass er sich nicht über einen elfenbeinernen Tempel freue (V 5), sondern es ihm genüge, die Menschenmenge auf dem Forum Romanum sehen zu können (V 6).84 Anhand dieser Verse werden mehrere Dinge deutlich: Wie schon für Horaz und Tibull festgestellt worden ist, macht der Dichter auch hier ganz bewusst nicht den abgeschiedenen „Tempelgott“, sondern den „Straßengott“ Vertumnus zum Sprecher seiner Elegie,85 der aufgrund seiner Nähe zu den Menschen (turba) unmittelbar ansprechbar ist, somit eine höhere Erreichbarkeit besitzt und sogar selbst die Gesprächsinitiative ergreift. Diese Fähigkeit wurde bereits in der Anrede eines imaginären Dialogpartners festgestellt, den Vertumnus zum Stehenbleiben und Zuhören bringt (V 2; V 57f.). Somit scheint auch bei Properz der Faktor „Kommunikationspotential“ bei der Wahl der sprechenden Gottheit eine große Rolle zu spielen. Der Ort, an dem die Vertumnus-Statue unter freiem Himmel stand,86 war der sogenannte vicus Tuscus, wie sich einerseits literarisch, vor allem durch die Verse 5f. und 49f. der vorliegenden Textstelle,87 anderseits aber auch ansatzweise

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Aen. 5,560: Varro tamen dicit, Romulum dimicantem contra Titum Tatium a Lucumonibus, hoc est Tuscis, auxilia postulasse. unde quidam venit cum exercitu: cui, recepto iam Tatio, pars urbis est data: a quo in urbe Tuscus dictus est vicus. Siehe FEDELI 1965, 115f.; MARQUIS 1974, 495; GLOCK 1999, 205; O’NEILL 2000, 262; WELCH 2005, 45f.; HUTCHINSON 2006, 97; GLOCK stellt über einen Vergleich eine große Nähe der properzischen Schilderungen zu Varro fest. In Varro, ling. 5,46; Fest. p. 38 L; Liv. 2,14; Tac. ann. 4,65 werden allerdings andere etruskische Anführer wie Caeles und Porsenna erwähnt. Siehe dazu EISENHUT 1958, 1673; MARQUIS 1974, 494f.; BOLDRER 1999, 15; GLOCK 1999, 205f.. Ähnlich wie in Liv. 5,21,1–5; Macr. Sat. 3,9,1–9. Siehe dazu RICHARDSON 2006, 425; HUTCHINSON 2006, 89. Siehe CIL I2, p. 325 (Commentarii diurni). Vergleiche dazu EISENHUT 1958, 1675f.. Fest. p. 228 L.: Picta quae nunc toga dicitur, purpurea ante vocitata est, eaque erat sine pictura. Eius rei argumentum est … pictum in aede Vertumni, et Consi, quarum in altera M. Fulvius Flaccus, in altera T. Papirius Cursor triumphantes ita picti sunt. Siehe dazu EISENHUT 1958, 1670–1676; 1679; SUITS 1969, 485f.; MARQUIS 1974, 493–495; RADKE 1979, 317f.; BOLDRER 1999, 13–15; GLOCK 1999, 203–206; BOLDRER 2001, 87; WELCH 2005, 36–41; HUTCHINSON 2006, 89; FLACH 2011 b, 225. DEREMETZ 1986, 148. O’Neill 2000, 262f. EISENHUT 1958, 1671. Vergleiche auch Varro ling. 5,46; Serv. Aen. 5,560. Andere Quellen bezeugen seinen Standort im vicus Turarius. Vergleiche Ps. Ascon. ad Cic. Verr. 2,1,154, p. 255, 1f. Stangl; Porph. Hor. epist. 1,20,1; Schol. Cruq.ad Hor. sat. 2,3,228. Siehe dazu EISENHUT 1958, 1677–1679;

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archäologisch nachweisen lässt.88 Das Viertel lässt sich im Süden des Forum Romanum entlang der gleichnamigen Hauptverkehrsstraße lokalisieren, die beim Castor-Tempel beginnt, an den tabernae veteres, der Basilica Sempronia bzw. Iulia vorbeiführt und am Ende den Circus Maximus, das Forum Boarium und den pons Sublicius entlang des westlichen Abhangs vom Palatin verbindet.89 Die Gegend des vicus Tuscus war eine der belebtesten in Rom und zeichnete sich vor allem durch eine Vielzahl unterschiedlicher Händler von Luxusgegenständen wie Kleidung oder Schmuck aus.90 Die Nähe des Viertels zum Forum Romanum und dem Treiben, das sich aus den diversen Handelsmöglichkeiten erschließen lässt, machen die Aussagen des Vertumnus in den Versen 5 und 6 plausibel. Worüber der vorliegende Text allerdings schweigt, ist die Tatsache, dass diese Gegend zur Zeit des Properz vor allem für ihr Rotlichtmilieu bekannt war, es dort vor Prostituierten nur so gewimmelt haben muss und das Viertel demnach einen eher zweifelhaften Ruf hatte.91 Diese Konnotation im Gedicht aufzurufen, hätte den aitiologischen Charakter, der in der Einleitungselegie versprochen wurde und nun im vorliegenden Gedicht erstmalig umgesetzt werden sollte, überlagert, da die Assoziation eher zu anderen literarischen Gattungen, wie z.B. der römischen Liebeselegie oder der Komödie, passt. Dennoch denke ich, dass dem zeitgenössischen Leser diese Verbindung aufgrund des hohen Bekanntheitsgrades des Bezirkes präsent gewesen sein muss. Eine weitere Facette des Bezirkes ist, dass im vicus Tuscus auch viele Buchhändler angesiedelt waren und sich direkt in der Nähe der Vertumnus-Statue der angesehene Verlagsbuchhandel der Sosii92 befand.93 Somit bietet der Standort des Vertumnus-Kultbildes aufgrund seiner etruskischen Vergangenheit und Funktion als Erinnerungsort zwar die Grundlage für den aitiologischen Inhalt des Gedichtes, ruft aber gleichzeitig durch seine zeitgenössische Nutzung Assoziationen zum Rotlichtmilieu, zum Buchhandel und in Kombination mit der Semantik von Wörtern, die auch dem Begriffsfeld der Literatur

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FEDELI 1965, 115f.; MARQUIS 1974, 494f.; RADKE 1979, 318; SMALL 1997, 235; BOLDRER 1999, 7; O’NEILL 2000, 262–264; WELCH 2005, 36; 38f.; FLACH 2011 b, 227. 1549 wurde auf dem vicus Tuscus eine Basis gefunden, die zumindest epigraphisch die Existenz einer Vertumnus-Statue in Rom, allerdings lediglich für die Zeit Diokletians, bezeugt. Vergleiche CIL VI 804: Vortumnus temporibus Diocletiani et Maximiani. Siehe dazu EISENHUT 1958, 1678; SMALL 1997, 235; BOLDRER 1999, 7; 36; WELCH 2005, 38. Vergleiche Liv. 27,37,15; Cic. Verr. 2,1,154. Siehe PAPI 1999 a, 196. Vergleiche Mart. 11,27,11; CIL VI 9393; VI 9976; VI 33923; VI 37826; XIV 2433. Siehe zum vicus Tuscus EISENHUT 1958, 1677–1679; BOLDRER 1999, 7–9; PAPI 1999 a, 195–197; WELCH 2005, 36; 38–39; RICHARDSON 2006, 425. Vergleiche Plaut. Cist. 559–563; Curc. 482–485; Hor. sat. 2,3,226–230. Es war auch ein Ort, der bei Umzügen von Zirkusspielen überquert wurde. Vergleiche Cic. Verr. 2,1,154; Ov. fast. 6,405. Siehe BOLDRER 1999, 7; 24; GLOCK 1999, 203; O’NEILL 2000, 268f.; WELCH 2005, 39. Vergleiche Hor. epist. 1,20,1f.; Hor. ars 345f. Siehe dazu BOLDRER 1999, 7; GLOCK 1999, 216; PAPI 1999 a, 196; BARTELS 2001, 745. SHEA 1988, 64; GLOCK 1999, 216; O’NEILL 2000, 259–270; WELCH 2005, 44.

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entnommen werden können,94 zu Texten mit erotischen/liebeselegischen Inhalten auf.95 Demnach scheint der vicus Tuscus einen Transformationsprozess durchlaufen zu haben. Auf diese Weise spiegelt sich im Standort der Kultstatue in 4,2, ein wichtiger Bestandteil der literarisch produzierten Identität des Vertumnus, auf assoziativer Ebene die Ambivalenz und das Schillern der Eröffnungselegie zwischen Aitiologie und Elegie, die programmatisch für das vierte Buch ist. Somit beeinflussen sich im Text die literarische Konstruktion des Vertumnus und sein Aufstellungsort gegenseitig. An die etruskische Vergangenheit und Bedeutung des Aufstellungsortes erinnert dagegen der Name des Platzes. Die Bezeichnung vicus Tuscus scheint für Properz aitiologisch verwertbar und, wie wir gesehen haben, entscheidender Bestandteil der göttlichen Identität des Vertumnus zu sein. Dies ist ganz im Sinne des aitiologischen Programms, welches sich der Dichter selbst in 4,1,69 auferlegt hat: sacra deosque canam et cognomina prisca locorum. Insofern ist der Versuch des Vertumnus, im Kontext seiner Selbstvorstellung in den folgenden Versen (V 7–56) die Bedeutung seines Namens auf dreierlei Weisen herzuleiten, um daraus Rückschlüsse auf sein Wesen und somit auch auf seine Identität schließen zu können, nachvollziehbar.96

5.6.3 Die Etymologien des Namens ‚Vertumnus‘ Der Gott nimmt mit seiner Etymologie wieder die eingangs indirekt gestellte Frage des imaginären Gegenübers auf, wie es ihm bei einem einzigen Körper gelinge, so viele Formen anzunehmen. Er stellt darauf drei unterschiedliche etymologische Ursprünge vor, die alle in irgendeiner Form auf dem lateinischen Verb vertere basieren,97 von denen vorgeblich jedoch nur die letzte (V 21–56) wahr ist, während er die beiden ersten (V 7–10 und V 11–18) als falsch bezeichnet.98 Dieses Phänomen, das später vor allem in den fasti des Ovid zum dominanten Erklärungsprinzip werden sollte, wird in der Forschung als aitiologische „Mehrfacherklärung“ bezeichnet:99 Gewöhnlich wird in der aitiologischen Dichtung ein 94 Laut SHEA 1988, 64f. können einige Wörter der vorliegenden Elegie semantisch auch mit Literatur/Büchern in Verbindung gebracht werden, wie corpore (V 1), formas (V 1), signa (V 2), index (V 19), figuris (V 21), aber auch harundine (V 33) oder calamo (V 37). 95 O’NEILL 2000, passim; WELCH 2005, 43f. 96 Vergleiche SHEA 1988, 64; LOEHR 1996, 79. 97 BOLDRER 1999, 20. 98 SUITS 1969, 477; DEREMETZ 1986, 132; MADER 1991, 132; O’NEILL 2000, 261. 99 In den fasti ist das Auflisten unterschiedlicher Aitiologien eine beliebte didaktische Technik des Dichters. An mehreren Stellen bieten das aitiologische Ich oder andere Informanten, die herangezogen werden, vielfache oder alternative Erklärungen für einen bestimmten Brauch oder Namen (vergleiche Ov. fast. 1,115–144; 319–334; 633f.; 2,31–34; 81f.; 283–380; 381– 424; 449f.; 475–480; 3,121–126; 229–252; 543–674; 771–788; 839–846; 4,85–90; 170–178; 783–806; 5,1–110; 363–368; 617–620; 621–660; 727f.; 6,1–100; 571–620; siehe auch 1,643– 646; 5,167f.; 6,8; 433–435), wobei der Sprecher sich nicht immer auf eine der angebotenen Varianten festlegt, sondern Aporie demonstriert. Ovid hat sich hinsichtlich dieses Phänomens

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Sachverhalt mit einer Erklärung verknüpft. Werden jedoch, wie hier bei Properz, mehrere Erklärungen für einen Sachverhalt angeboten, wird das Verhältnis der einzelnen Erklärungen zum Sachverhalt unklar und in Frage gestellt. Mehrfacherklärungen scheinen grundsätzlich „die Frage nach der eigentlichen, richtigen, einen Erklärung aufzuwerfen“.100 Welchen Wahrheitsanspruch hat also dieses Erklärungsprinzip? Die Wahrheit der aitiologischen Mehrfacherklärung in Ovids fasti besteht nach LOEHR weder in der prinzipiellen Möglichkeit der (je für sich exklusiv gedachten) Einzelerklärungen noch in alternativen Einzelwahrheiten, sondern in der komplexen Harmonie der Teile.101 Ich denke, dass diese Erkenntnis auch zum größten Teil auf das vorliegende properzische Gedicht übertragen werden kann. Durch die erste Etymologie wird versucht, Namen und Aufstellungsort direkt miteinander zu verknüpfen. Vertumnus berichtet, dass dort, wo er jetzt stehe, vor seiner Zeit der Tiber so nah vorbei geflossen sei (V 7), dass man angeblich (aiunt, V 7) den Klang der Ruderschläge habe hören können. Nach der Veränderung des ursprünglichen Flusslaufes und der damit einhergehenden Landgewinnung nenne man den Gott Vertumnus (Vertumnus verso dicor ab amne deus, V 10). Die zweite Etymologie wird durch ein einleitendes seu (V 11) direkt mit der ersten verknüpft, sodass jede für sich zwar eine etymologische Alternative darstellt, aber beide zusammen dennoch durch die Verse 19 und 20 von der dritten Ableitung abgegrenzt sind und eine geschlossene Einheit bilden. Anstelle der topographischen Merkmale wird nun im Sinne der zu klärenden signa paterna (V 2) der Fokus auf die kultischen Charakteristika des Vegetationsgottes Vertumnus gelegt und seine rituelle Bedeutung in den Vordergrund gestellt.102 Man glaube (creditur, V 12), der Gott trage deshalb den Namen, da man ihm die Erstlingsfrüchte der jeweiligen Jahreszeiten (quia vertentis fructum praecerpimus anni, V 11)103 immer wieder opfere (Vertumni rursus creditur esse sacrum, V 12). In den darauf folgenden Versen 13–18 liefert Vertumnus Beispiele für die ihm darge-

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einerseits an Vorläufern der Tradition aitiologischer Dichtung orientiert. So lässt sich das Prinzip der Mehrfacherklärung schon bei Kall. Aet. fr. 79 Pf. (Dieg. I 7–36) (drei Antworten auf die Frage, warum Frauen bei schweren Geburten die Göttin Artemis als Geburtshelferin anrufen, obwohl diese Jungfrau ist) und Kall. fr. 6 Pf.; Schol. Flor. 30–35 [ad fr. 3–7] (vier Genealogien zu den Chariten) finden. Andererseits finden wir ähnliches auch in lateinischer Prosaliteratur, in der Autoren wie Varro kultische oder andere Ursprünge erklären (vergleiche Varro ling. 5,30; 5,34; 5,43; 5,48; 5,49; 5,51; 5,154). Bei Properz erscheinen Mehrfacherklärungen neben 4,2 noch in 4,10, der Iuppiter-Feretrius-Elegie. Siehe dazu MILLER 1992, 12– 14; LOEHR 1996, 193–209; NEWLANDS 2006, 355–362. Zum Prinzip multipler Erklärungsversuche in anderen Gattungen, wie beispielsweise dem Lehrgedicht De rerum natura des Lukrez oder im Epos, siehe HARDIE 2009, 231–263. LOEHR 1996, 161. LOEHR 1996, 368. Siehe auch MILLER 1992, 12–14; HUTCHINSON 2006, 90f. LOEHR 1996, 200–201. Vergleiche Tib. 3,7 (= 4,1),169: placidus nobis per tempora vertitur annus. Siehe FEDELI 1965, 109.

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brachten Opferfrüchte: Trauben, Kornähren, Kirschen, Pflaumen, Brombeeren, Obstkränze.104 Beide Namenserklärungen werden jedoch in V 19 von Vertumnus als mendax fama und als falsa (…) mihi nominis index bezeichnet. Dieses Urteil kommt in seiner Entschiedenheit einigermaßen überraschend.105 Dennoch lässt sich in den beiden ersten Alternativen jeweils ein Hinweis dafür finden, dass sich der Sprecher von der präsentierten Etymologie distanzieren möchte: aiunt (V 7) und creditur (V 12) sind beides Indikatoren dafür, dass hier explizit die Meinung oder der Glaube anderer Personen wiedergegeben wird. Die Bezeichnung beider als fama, welche hauptsächlich mündlicher Natur ist und ein Gerücht bezeichnen kann,106 und deren Inhalt gerade in Verbindung mit mendax Glaubwürdigkeit abgesprochen wird, verstärkt diesen Eindruck nochmals. Es gehört an dieser Stelle zur argumentativen Strategie des Gottes, die Aussagekraft dieser beiden ersten Etymologien zu mindern, um die dritte, die er für die richtige hält, besonders stark zu betonen.107 Verstärkt wird dieser Gestus dadurch, dass er sein imaginäres Gegenüber dazu anhält, nur der dritten etymologischen Ableitung Glauben zu schenken (de se narranti tu modo crede deo,108 V 20). Er kennzeichnet sie dadurch als seine eigene und grenzt sie somit gleichzeitig von den anderen beiden ab, indem er für seine Ausführungen keiner anderen Gewährsmänner oder umlaufenden Gerüchte, deren Namensableitung er wiedergibt, bedarf wie die ersten beiden Etymologien, sondern nur seine eigene Autorität ins Zentrum rückt.109 Dieser Vers dient demnach dazu, das imaginäre Gegenüber bzw. den Leser zunächst glauben zu machen, dass den folgenden Worten ein Höchstmaß an Glaubwürdigkeit beigemessen werden könne – denn der Gott selbst sollte schließlich als Namensträger die Herkunft seiner Bezeichnung kennen.110 Die Selbstbezeichnung des Gottes als narranti 104 Vergleiche zu den ersten beiden Etymologien DEE 1974, 45–48. 105 O’NEILL 2000, 261. 106 Vergleiche beispielsweise Caes. Att. 10,8b,1; Sall. Iug. 9,3; Cic. prov. 33; Cic. fam. 12,4,2; Prop. 3,12,9; Liv. 1,35,7; Liv. 3,7,5; Liv. 3,61,11; Liv. 9,38,9; Liv. 10,46,16; Ov. met. 5,262; Ov. trist. 3,12,44; Ov. Pont. 3,4,20; Tac. Agr. 9,7; Tac. hist. 2,96; Tac. hist. 3,13; Tac. ann. 3,44;. Stat. Theb. 3,344.; Lucan. 1,469. 107 Vergleiche GLOCK 1999, 209f.; RÜPKE 2009, 127f. Siehe auch HUTCHINSON 2006, 91f.; RICHARDSON 2006, 426. Etymologische Mehrfacherklärungen ähnlicher Art ließen sich vor Properz bereits in den Büchern 5 und 6 von Marcus Terentius Varros Werk De lingua latina finden (Varro ling. 5,34: verschiedene etymologische Ableitungen des Wortes ager). Dort verleiht Varro seiner Präferenz durch Betonung im Text ebenfalls gelegentlich Ausdruck (vergleiche Varro ling. 5,43: ego maxime puto; 5,49: huic originis magis concinunt…). Siehe dazu LOEHR 1996, 190f. 108 Vergleiche Prop. 2,18,37: credam ego narranti, noli committere, famae. Siehe HUTCHINSON 2006, 92. 109 Es kann aufgrund der Quellenlage (Hauptquellen sind die vorliegende Properz-Elegie sowie Ov. met. 14,623–771) nur Spekulation bleiben, ob wir es bei den ersten beiden Etymologien mit Namensableitungen des Vertumnus zu tun haben, die tatsächlich im Volksmund existiert haben, bzw. ob die dritte, die in Prop. 4,2 als eigene gekennzeichnet wird, hingegen ein rein literarisches Konstrukt des Dichters Properz ist. Siehe dazu EISENHUT 1958, 1669; MARQUIS 1974, 491; SMALL 1997, 235; BOLDRER 2001, 88f. 110 LOEHR 1996, 202.

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bildet dabei ein Gegengewicht zu aiunt, creditur und fama, wenn man der etymologischen Bedeutung von narrare, wie Varro sie uns überliefert, Glauben schenken möchte. Dieser leitet das Verb davon ab, durch narrare jemanden narus (wissend, kundig) machen zu können, und verknüpft es zudem noch mit der rhetorischen narratio, die den Zuhörer über den Gegenstand der Rede informiert.111 Dadurch weckt der Sprecher beim Zuhörer bzw. Leser zusätzlich eine hohe Erwartungshaltung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit seiner dritten Etymologie. Basierend auf der Ableitung seines Namens aus dem Lateinischen von omnes und vertere, nimmt Vertumnus schließlich in den Versen 21–56 auf die eingangs gestellte Frage des imaginären Interlocutors Bezug.112 Damit setzt er die dritte Etymologie nicht nur durch die unterschiedliche Gewichtung der Glaubwürdigkeit auf eine andere Ebene, sondern auch durch Umfang und Komplexität (36 Verse gegenüber 12 Versen). Jedoch fällt die eigentliche Antwort auf V 1 sehr kurz aus: Der Gott schreibt sich selbst lediglich eine opportuna natura für cunctis figuris (V 21) zu. Man könne ihn in alles verwandeln, was man wolle, er werde stets decorus sein (V 22).113 Was danach folgt, ist ein Katalog von Transformationsmöglichkeiten, die einander meist antithetisch gegenübergestellt werden, polarisieren und somit das ambivalente Wesen des Vertumnus versinnbildlichen:114 weiblich und männlich (non dura puella – vir, V 23f.), ein Mäher (V 26; messor, V 28) zu Frieden- (V 25) und zu Kriegszeiten (V 27), in der Gegenwart (da; comprime (V 25)) und in der Vergangenheit (tuli quondam et, memini, laudabar (V 27); eram (V 28))115, nüchtern (sobrius ad lites, V 29) und betrunken (capiti vina subisse meo, V 30), in der Gestalt des Bacchus (speciem Iacchi, V 31)116 und des Apoll (Phoebi, V 32), als Jäger mit Netzen (V 33) und mit der Leimrute (V 34), als Wettfahrer im Pferderennen (V 35) und als Kunstreiter (V 35f.)117, als Fischer (V 37), Kleinhändler (institor, V 38), Hirte (pastor, V 39) und Blumenverkäufer (V 39f.). Darauf folgt die kurze Darstellung seiner maxima fama, die darin besteht, das Wachstum von Gartenpflanzen wie Gurken, Kürbissen, Kohl und Blumen zu begünstigen (V 41–46). Abgeschlossen wird dieser Abschnitt durch den Dank an Rom

111 Varro ling. 6,51: narro, cum alterum facio nar[r]um, a quo narratio, per quam cognoscimus rem gestam. quae pars agenda est [ab] a di[a]cendo ac suntaut coniuncta cum temporibus aut ab his: eorum hoc genus videntur ἔτυµα. Dem OLD und dem Georges zufolge kann narrare „eine Nachricht geben, erzählen, schildern, beschreiben“ sowohl in mündlichen als auch in schriftlichen Kontexten bedeuten (siehe dazu OLD, s.v. „narro“ und Georges, s.v. „narro“). Durch die semantische Verbindung des Wortes mit mündlicher Kommunikation kann zumindest der Verdacht der Fiktionalität erweckt werden. 112 GLOCK 1999, 205; 210; BOLDRER 2001, 88. 113 Vergleiche auch Tib. 4,2 [3,8],13 f.: talis in aeterno felix Vertumnus Olympo / mille habet ornatus, mille decenter habet. Siehe dazu BOLDRER 1999, 54; BOLDRER 2001, 89. 114 MADER 1991, 133. 115 GLOCK 1999, 210. 116 Iacchus = Bacchus. Siehe FEDELI 1965, 113; HUTCHINSON 2006, 94; RICHARDSON 2006, 220; 426; FLACH 2011 b, 226. Vergleiche auch Prop. 2,3,17; 3,17,30. 117 Gemeint ist in diesen Versen ein desultor – ein Reiter, der von Pferd zu Pferd springt. Siehe FEDELI 1965, 113; RICHARDSON 2006, 427.

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dafür, dass die Etrusker mit dem vicus Tuscus für ihre Hilfe gegen die Sabiner und Titus Tatius beschenkt worden sind (V 47–56). Das Potential, die unterschiedlichsten Formen von Gestalten annehmen zu können, welche durch sein Kultbild für das menschliche Gegenüber visualisiert werden, scheint die Fähigkeit des Gottes auszumachen118 und wird innerhalb dieser Verse durch die antithetische Komposition noch verstärkt.119 Der Transformationsgabe scheinen oberflächlich keine Grenzen gesetzt zu sein: Weder Geschlechter, Zeit, Topographie (Stadt (V 29f.; 35–40) – Land (V 25–28; 31–34120) noch andere Götter (Bacchus, V 31; Apollo, V 32; Faunus, V 34) scheinen der Wandelbarkeit Grenzen zu setzen. Ähnlich wie sein Standort schillern auch der Gott und seine Kultstatue zwischen äußerst gegensätzlichen Erscheinungsformen. An der Konkretisierung seiner äußeren Form lässt der Gott sein Gegenüber teilhaben (vergleiche V 22). Dieses wird sogar von Vertumnus aufgefordert (indue, V 23; da, comprime, V 25; cinge, V 31), aktiv an der Rollengestaltung teilzunehmen, indem es seiner Statue im Kontext der religiösen Kultpraxis bestimmte, für die jeweilige Gestalt signifikante Attribute als Gaben beilegt oder an ihr befestigt (Cois, V 23; toga, V 24; falcem, torto … faeno, V 25, corbis V 28; corona (V 30); mitra (V 31); plectra (V 32); cassibus (V 33); harundine (V 33); petaso, calamo (V 37); demissis…in tunicis (V 38), baculum (V 39), scirpulis, rosam (V 40)).121 Vertumnus, der selbst amorph zu sein scheint, stellt somit das Potential zur Vielgestaltigkeit bereit. Seine konkrete Form jedoch ist abhängig vom Gegenüber, das durch Attributbeigabe temporär das Äußere des Vertumnus-Kultbildes und dadurch stellvertretend auch das des Gottes bestimmt.122 Das Kultbild stellt daher einen Spiegel dessen dar, der ihm im rituellen Kontext gegenübertritt.123 Damit kommt sein Hauptcharakteristikum, von dem sich nicht nur sein Name ableitet, sondern das sein Wesen und damit auch seine Identität ausmacht, erst durch das Gegenüber zur wahren Entfaltung. 118 Laut ZGOLL 2004 gibt es „bestimmte Gottheiten, bei denen die Vielfalt der angenommenen, ‚wesensfremden‘ Erscheinungsformen besonders auffällt und auch betont wird, und wieder andere, denen in den Texten die Eigenschaft, viele Erscheinungsformen anzunehmen, geradezu als typisches Charakteristikum zu geschrieben wird.“ Besonders betont werde die Vielzahl verschiedener Erscheinungsformen etwa bei Zeus/Jupiter, von dem es in der kleinen Schrift Lukians Über die Opfer (Lukian. Sacr. 30,5; bei Philostrat Ap. 4,7 ist die Rede vom „vielgestaltigen“ Zeus Homers) heiße, er habe noch mehr Gestalten angenommen als Proteus selbst. Proteus oder Vertumnus dagegen ordne man einer Gruppe von göttlichen Personen zu, deren Fähigkeit zur Annahme zahlreicher, verschiedener Gestalten, wie die Texte überliefern, als eine ihrer Haupteigenschaften zu gelten habe. Siehe dazu ZGOLL 2004, 205; Vergleiche auch BOLDRER 1999, 22. 119 Das Verknüpfen von Widersprüchen (coincidentia oppositorum) wird oftmals als Ausdruck der göttlichen Allmacht benutzt. Vergleiche z.B. Eur. Bacch. 860 f.; Hor. carm. 2,19,27; Prop. 3,17,5; 4,6,69f.; Sen. Ag. 345. Siehe MADER 1991, 137. 120 Mader 1991, 140; Boldrer 2001, 98. 121 Zur non-verbalen Kommunikation mit Kultbildern siehe Kap. 2.3.4. 122 BOLDRER 1999, 23; GLOCK 1999, 210f.; O’NEILL 2000, 271f.; BOLDRER 2001, 98; ZGOLL 2004, 212. 123 GLOCK 1999, 211.

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Ein signifikantes Beispiel für diesen Prozess liefern die Verse 31f.: cinge caput mitra: speciem furabor Iacchi; / furabor Phoebi, si modo plectra dabis. „Die äußere Gestalt zu rauben“ beschreibt bildlich genau das, was passiert, wenn dem Vertumnus ein bestimmtes Attribut beigefügt wird: Sein Kultbild nimmt auf diese Weise ein anderes Aussehen an, der Gott ist es aber nicht (vergleiche V 1 und 47).124 Dieser bleibt immer gleich, wobei sein eigentliches Aussehen im Dunkeln bleibt.125 Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Leser anhand des Textes bis auf das Material (V 59; 61) keine konkreten Aussagen über das Aussehen und die Gestalt des eigentlichen Vertumnus-Kultbildes (ohne Beigaben) erhält.126 Diese Beobachtung innerhalb der dritten Etymologie führt zu Problemen auf mehreren Ebenen: Auf der Ebene der realen Kultpraxis erschwert ein solch geschilderter Umstand die vertikale Kommunikation zwischen Menschen und Göttern. Denn, wie im Kapitel 2.3.4 angedeutet, war für den erfolgreichen Ausgang eines Gebets in der griechischen und römischen Religion v.a. die präzise Anrede der jeweiligen Gottheit von Vorteil. Dabei legte vor allem die römische Kultpraxis hohen Wert auf formale Korrektheit, wenn die Kommunikation mit einer Gottheit gelingen sollte.127 Eine Gottheit wie Vertumnus, die sich ihres etruskischen Ursprungs rühmt, während sie ihren Namen aus dem Lateinischen ableitet, die abhängig von der Wahl des Verehrers Gestalten unterschiedlichster Art annehmen kann, während ihre eigene verborgen bleibt, lädt somit förmlich dazu ein, einen kultpraktischen Fehler (z.B. falsche Anrede) zu begehen, der die erfolgreiche Kommunikation mit dem Gott u.U. scheitern lassen könnte. Auf literarischer Ebene hingegen stehen die oben genannten Beobachtungen in Widerspruch zu der Tatsache, dass sich das sprechende Kultbild in aitiologischepigrammatischer Tradition (s.o.) trotz dieser Abhängigkeit selbst erklärt und sich zum Vertumnus-Experten stilisiert. Hinzu kommt, dass es seine wahre Identität 124 Ausdrücke wie furari, esse species (vergleiche Verg. georg. 4,406 bei Proteus) gehören im Vergleich zu se vertere und verti in aliquid (Metamorphosenterminologie (vergleiche Verg. Aen. 7,328; Prop. 4,2,47; Verg. georg. 4,411; 4,441), ZGOLL 2004, 209) zur Verkleidungsterminologie und sind deutliche Hinweise auf den Scheincharakter des bloß oberflächlichen, nicht aber wesenhaften Vorgangs der Transformation. Trotz aller unterschiedlichen Erscheinungsformen bleibt das Wesen des Gottes konstant. Siehe dazu ZGOLL 2004, 212; RÜPKE 2009, 130; 133. 125 „Verwandlungen“ von Göttern waren in der Antike keine Verwandlungen. Götter besaßen nach antiker Vorstellung eine eigene, ganz bestimmte Gestalt. Menschen gegenüber präsentieren sie sich jedoch meist in eine andere Gestalt gehüllt, die sie temporär annehmen und die eindeutig als Scheinbild gekennzeichnet wird (vergleiche Cic. nat. deor. 1,81). Demnach verwandeln sie sich nicht, sondern verhüllen sich und geben sich eine bestimmte Erscheinungsform (vergleiche Eur. Alc. 1159; Eur. Hel. 1688). Zgoll definiert diese Transformation dementsprechend nicht als Metamorphose, sondern als Allophanie, die auch Vertumnus betrifft. Siehe ZGOLL 2004, 175–179; 295. 126 Laut SMALL 1997, 235 haben sich bis heute keine zweifelfreien Repräsentationen der Statue erhalten, sodass man auch von archäologischer Seite aus keine Hinweise auf das Aussehen der Vertumnus-Statue hatte. Siehe auch EISENHUT 1958, 1686; HUTCHINSON 2006, 89. 127 Siehe dazu SCHEER 2001, 37f.; SCHEID 2003, 98f. Vergleiche auch RÜPKE 2001 a, passim.

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mittels einer Etymologie darstellen will, durch die es dem Leser verdeutlicht, dass seine eigene nie ans Tageslicht kommen kann, da sein Wesenskern durch die Beigaben des jeweiligen Gegenübers permanent verhüllt wird. Wie ernst darf der Leser also den Versuch des Vertumnus nehmen, für sich über den Namen eine klare Identität zu definieren, die zugleich bis zum Schluss deutungsoffen bleibt?128

5.6.4 Vertumnus – ein unzuverlässiger Erzähler? Die bereits festgestellten Diskrepanzen und Widersprüche in Bezug auf den Sprecher Vertumnus, die auch im Zusammenhang mit den sprechenden PriapusKultbildern in Hor. sat. 1,8 und Tib. 1,4 ermittelt werden konnten, legen nahe, dass es sich bei dem Sprecher in Prop. 4,2 ebenfalls um einen unzuverlässigen Erzähler handeln könnte.129 In den Gedichten von Horaz und Tibull waren die festgestellten Elemente des unzuverlässigen Erzählers Indiz dafür, dass die imaginierte persona des sprechenden Gottes sich als ein brüchiges Rollenkonstrukt erweist, das auf den Autor zurückgeht. Mittels dieser „doppelten Kommunikation/Zweistimmigkeit“ hat der Autor die Möglichkeit, „am Erzähler vorbei“ eine eigene Botschaft zu vermitteln, die den Behauptungen des Erzählers widerspricht. Die erzählerische Unzuverlässigkeit kann somit ganz bewusst als Strategie vom Autor eingesetzt werden.130 Die Fragen, die sich aus dem Anfangsverdacht ergeben, sind die folgenden: Lassen sich in der properzischen Elegie 4,2 insgesamt noch weitere Signale des unzuverlässigen Erzählers nachweisen? Was leistet dieses narratologische Prinzip für die Interpretation der gesamten Elegie und den Umgang mit dem bereits festgestellten Phänomen der Mehrfachaitiologie? Aufgrund der ausführlichen Darlegung in den vorherigen beiden Textanalysen sollen zur Beantwortung der ersten Frage nur die wichtigsten Elemente dieses Phänomens in der vorliegenden Elegie beleuchtet werden: Zunächst fallen innerhalb des Textes an unterschiedlichen Stellen explizite Widersprüche des Erzählers auf:131 So betont Vertumnus zu Beginn des Gedichtes stolz, dass er Etrusker sei (V 3f.; V 49–54). Die Etymologie seines Namens, die seine natura auszumachen scheint (V 1; V 21f.; V 47; V 64), basiert jedoch auf dem lateinischen Verb vertere und die Erscheinungsformen, die er annehmen kann (vergleiche besonders V 33–40), sind Spiegel des alltäglichen Lebens der ihn in Rom umgebenen Gesellschaft (turba, V 5; turba togata, V 56) ganz in der 128 RÜPKE 2009, 133. 129 Siehe dazu NÜNNING 1998, passim; MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 95–107; LAHN–MEISTER 2008, 182–187. 130 Siehe LAHN–MEISTER 2008, 183f. Vergleiche auch Kap. 2.4.1. 131 NÜNNING 1998 hat in seinem Aufsatz versucht, die Merkmale eines unzuverlässigen Erzählers zusammenzustellen (vergleiche Kap. 2.4.1). Die folgenden Ausführungen zum unzuverlässigen Erzähler in Prop. 4,2 orientieren sich sehr stark daran. Vergleiche NÜNNING 1998, 27; MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 100–104; LAHN–MEISTER 2008, 182–184; 187.

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Nähe des Stadtzentrums.132 Der Gott scheint romanisiert worden zu sein (vergleiche V 5f.; V 48–50), während das Etruskische der Vergangenheit angehört (V 3f.; V 27; V 49–54).133 Vertumnus bezeichnet zudem u.a. die zweite Etymologie seines Namens, die sich vom Opfer der ersten Früchte der jeweiligen Jahreszeiten ableitet (V 11), als mendax fama. Im Zuge der dritten Etymologie zählt er allerdings die ertragreichen Gemüseerzeugnisse des Gartens zu seiner maxima fama134 (V 41–46). Aufgrund der unterschiedlichen Verwendung des Wortes fama im Kontext seiner kultischen Verehrung klingt diese Gegenüberstellung widersprüchlich.135 Hinzu kommt, dass Vertumnus‘ fama, die innerhalb dieses Textes vom Sprecher ins Zentrum gestellt wird, doch eher aus der militärischen Hilfe der Etrusker für die Römer resultiert. Denn deswegen wurde ja der vicus Tuscus so benannt und scheint das VertumnusKultbild dort aufgestellt worden zu sein. Vertumnus nimmt innerhalb der dritten Etymologie im Zuge seiner Wandelbarkeit ein hohes Maß an Beweglichkeit für sich in Anspruch (vergleiche V 23 und besonders V 26 und 39), die an die Vorstellung einer belebten Statue anknüpft, die ein bronzenes Kultbild (V 59–64) jedoch faktisch niemals umsetzen könnte.136 Zusätzlich kommt es an mehreren Stellen zur expliziten autoreferentiellen Thematisierung der eigenen Glaubwürdigkeit des Sprechers:137 In V 20 leitet der 132 Vergleiche dazu Hor. sat. 2,3,226–230: hic simul accepit patrimoni mille talenta, / edicit, piscator uti, pomarius, auceps, / unguentarius ac Tusci turba inpia vici, / cum scurris fartor, cum Velabro omne macellum / mane domum veniant. Siehe GLOCK 1999, 211; O’NEILL 2000, 262; LEE-STECUM 2005, 34. 133 SUITS 1969, 486; DEE 1974, 49; BOLDRER 1999, 25f.; O’NEILL 2000, 262; BOLDRER 2001, 89; LEE-STECUM 2005, 38; WELCH 2005, 49. 134 Fama hier wohl eher in der Bedeutung „Ruf, Ruhm, Berühmtheit“. Vergleiche beispielsweise Plaut. Rud. 935; Caes. civ. 3,55,2; Cic. Arch. 21; Hor. ep. 2,1,56; Hor. sat. 2,8,66; Verg. Aen. 1,463; Verg. Aen. 11, 221; Verg. Aen. 10,468; Liv. 10,30,4; 29,3,15; Prop. 1,7,9; Prop. 2,3,41; Prop. 4,11,12; Ov. met. 3,546; Ov. trist.3,7,50; Tac. Agr. 18,7. 135 LOEHR 1996, 203. 136 DEE 1974, 48f.; 52; RÜPKE 2009, 129. 137 NÜNNING 1998, 28. NÜNNING führt in seinem Aufsatz als Signal für den unzuverlässigen Erzähler noch zwei weitere Punkte an. Zum einen nennt er die Häufung von sprecherzentrierten Äußerungen sowie linguistische Signale für Expressivität und Subjektivität: Zu diesem Punkt sei beispielsweise auf die Verse 3–6 verwiesen, in denen der Erzähler stolz auf seine etruskische Vergangenheit eingeht und seine Zufriedenheit über seinen jetzigen Standort in der Nähe des Forum Romanum ausdrückt. Genannt seien auch die Verse 41f., in denen der Sprecher seine gärtnerischen Kompetenzen zu seiner maxima fama erhebt oder die Verse 55f., in denen er Iuppiter bittet, dass das römische Volk auf ewig an seiner Statue vorbeigehe (siehe NÜNNING 1998, 28). Zum anderen führt er eine Häufung von Leseranreden und bewusste Versuche der Rezeptionslenkung durch den Erzähler an: Hierbei sei zunächst auf die Verse 1f. verwiesen (qui mirare meas tot in uno corpore formas, / accipe Vertumni signa paterna dei), in denen ein imaginäres Gegenüber und damit in zweiter Instanz auch der Leser vom Erzähler direkt angesprochen und zum Zuhören animiert wird. In den Ausführungen der Etymologien werden dem Leser durch cernis (V 16) die erwähnten reifen Kirschen, Pflaumen und Brombeeren bildlich vor Augen geführt. Im Zuge der dritten Etymologie verwendet der Erzähler im Zuge des in quamcumque voles verte, decorus ero mehrere Anreden, um dem Le-

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Sprecher beispielsweise die dritte Etymologie, die er dem imaginären Gegenüber als die richtige verkaufen will, mit der Aufforderung de se narranti tu modo crede deo ein, um seine Glaubwürdigkeit hinsichtlich seiner folgenden Worte zu unterstreichen. Die Zuverlässigkeit der Aussagen über seine Vergangenheit betont er durch Verben, die seine eigene Wahrnehmung zum Ausdruck bringen und das Geschilderte als Selbst-Erlebtes ausweisen: memini (V 27), vidi ego (V 53). In diesem Kontext sei auch der mit einer praeteritio eingeleitete Abschnitt über die maxima fama des Vertumnus (nam quid ego adiciam, (…),138 V 41–46) erwähnt, die alle folgenden Aussagen als ohnehin bekannt voraussetzt und damit die Zuverlässigkeit des Gesagten steigert. Ein entscheidendes Element des narratologischen Phänomens des unzuverlässigen Erzählers sind die Unstimmigkeiten zwischen expliziten Fremdkommentaren des Erzählers über andere und seiner impliziten Selbstcharakterisierung bis hin zu seiner unfreiwilligen Selbstentlarvung..139 Die Stimme des elegischen Ichs, das sich dem Leser in Prop. 4,1 bereits als Callimachus Romanus präsentiert und sich zu einer Dichterfigur stilisiert hat, die dem tatsächlichen Autor Properz sehr nahe zu stehen scheint, kann in der Elegie 4,2 besonders deutlich in V 57 sex suberunt versus und V 58 haec spatiis ultima creta meis als solche entlarvt werden. Denn dort tritt das Bewusstsein dafür besonders stark zutage, dass es sich bei den Worten des Vertumnus in Wahrheit um Dichtung handelt, die auch nur begrenzten Raum einnehmen kann. Vor allem in Kombination mit den letzten Versen 59–64, die eindeutig einen Inschriftencharakter aufweisen, wird klar, dass aus der anfangs suggerierten Mündlichkeit Schriftlichkeit wird, für die letztlich nur der Dichter verantwortlich sein kann. Aufgrund der Feststellung entscheidender Elemente des narratologischen Phänomens lässt sich der von Properz eingeführte Sprecher Vertumnus somit durchaus als unreliable narrator deuten.140

5.6.5 Die literarische Funktionalisierung des unzuverlässigen Erzählers Wie oben bereits angedeutet, hat der Autor mit diesem Erzählertypen die Möglichkeit, eigene Botschaften - meist auf metapoetischer Ebene - zu vermitteln. Er kann somit Gott und Kultbild zum Medium seiner eigenen Kommunikation machen, indem er beispielsweise die intermedialen Möglichkeiten des sprechenden Kultbildes poetologisch funktionalisiert und fruchtbar macht. Dass das Kultbild des Vertumnus durchaus Parallelen zum neuen Dichtungsprogramm des vierten ser somit an seinen Ausführungen imaginär teilhaben zu lassen und seine Wandelfähigkeit zu unterstreichen: indue (V 23), da, comprime (V 25), iurabis (V 26), clamabis (V 30), cinge (V 31), dabis (V 32). Die Leseranrede in V 57f. leiten das Ende des Dialogs und damit auch des Gedichtes ein: te qui ad vadimonia curris / non moror (siehe NÜNNING 1998, 28). 138 HUTCHINSON 2006, 96. 139 NÜNNING 1998, 28; LAHN–MEISTER 2008, 185f. 140 Vergleiche NÜNNING 1998, 23–31. Vergleiche auch LAHN–MEISTER 2008, 182–186 und MARTINEZ–SCHEFFEL 2007, 96–106.

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Properz-Buches aufweist,141 lässt sich aufgrund der bisherigen Beobachtungen zur Etymologie des Kultbildes und seinem Standort nachweisen, die parallel zur properzischen Dichtung einerseits von aitiologisch-elegischen Ambivalenzen und andererseits von Transformationsprozessen geprägt sind. Hinzu kommt die Beobachtung, dass die evozierte Figur des Dichters als seine patria Assisi/Umbrien bezeichnet (Prop. 4,1,64; 121–126), sich aber gleichzeitig ebenfalls mit seiner Wahlheimat Rom identifiziert (Prop. 4,1,60; 67). Somit schafft sich die Dichterfigur ebenfalls eine ambivalente Identität, sodass man von einer Überschneidung zwischen dieser und dem Wesen des Vertumnus sprechen kann.142 Auf diese Weise erhält die argumentative Abgrenzung der dritten Etymologie von den ersten beiden, die Deklarierung jener als eigene Aussage sowie die darin enthaltene Betonung der Wandelfähigkeit eine zusätzliche poetologische Gewichtung. Aufgrund der Tatsache, dass der Sprecher Vertumnus als unzuverlässiger Erzähler entlarvt werden konnte und unter der Voraussetzung, dass der Autor dieses narratologische Phänomen nutzt, um eigene, mitunter werkbezügliche Aussagen zu treffen, was sich schon aufgrund der bereits genannten Parallelen zwischen Vertumnus und dem neuen Dichtungsprogramm und der Dichterfigur andeuten ließ, können die zunächst als falsch verworfenen ersten beiden Etymologien in einem anderen Licht betrachtet werden. Wie zuverlässig ist also die Bezeichnung dieser beiden Namenserklärungen als mendax fama durch einen Sprecher wie Vertumnus? Zur Beantwortung dieser Frage sollen nochmal alle drei Etymologien nebeneinander gestellt werden. LOEHR hat meiner Meinung nach richtig beobachtet, dass bestimmte Aspekte der ersten beiden Etymologien, die sich durch topographische und kultische Charakteristika auszeichnen, im Zuge der dritten Etymologie wieder aufgenommen werden. Nach dem Katalog der potentiellen Transformationen des Vertumnus (V 23–40), deklariert sich der Gott selbst zunächst als Garten- und Vegetationsgottheit (V 41–46) und macht diese Fähigkeit zu seiner maxima fama (V 41). Daraufhin erklärt er, wie es zu der Namensgebung seines Standortes (vicus Tuscus, V 50) gekommen sei und bedankt sich bei der Stadt Rom für diese praemia (V 48–54). Vertumnus inkorporiert also die beiden Namenserklärungen, die er erst als mendax ausgewiesen hatte, letztlich in der von ihm und durch ihn autorisierten dritten Etymologie: Die topographische Charakteristik, die auch der ersten Etymologie zugrunde lag, verbindet er mit der Namenserklärung seines Standortes vicus Tuscus; die kultisch-religiöse Charakteristik der Verse 11–18 integriert er als maxima fama im Kontext seiner für seinen Namen verantwortlichen Verwandlungsfähigkeit.143 Als inkorporierter Bestandteil der

141 Das Kultbild des Properz ist in der Forschung schon mehrmals als Allegorie der neuen properzischen Dichtung gesehen worden, wie sie in der Einleitungselegie des vierten Buches präsentiert wird (siehe dazu DEREMETZ 1986, 130; 144; BOLDRER 1999, 51; GLOCK 1999, 216f.; LEE-STECUM 2005, 40. Aufgrund der Tatsache, dass die Vertumnus-Elegie nicht nur poetologisch zu lesen ist, würde ich dieser These nicht voll und ganz zustimmen. 142 MARQUIS 1974, 500; ZGOLL 2004, 291–294; WELCH 2005, 36; 42f. 143 LOEHR 1996, 199–207.

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dritten Namensableitung gewinnen die ersten beiden somit am Ende doch an argumentativer Gewichtung und bekommen von Vertumnus Autorität zugewiesen. Im Sinne der Mehrfacherklärung liegt die Wahrheit über das Wesen des Vertumnus und damit über das Wesen der neuen Properz-Dichtung demnach nicht in der einen dritten Etymologie allein, sondern in der Summe der Erklärungsversuche. Somit erheben am Ende alle drei Herleitungen Anspruch auf Plausibilität und die Mehrfacherklärung konstituiert damit die Vielgestaltigkeit des Gottes bzw. der Dichtung auf poetologischer Ebene.144 Die Bewertung der ersten beiden Etymologien als mendax fama, die aber dennoch zur Charakterisierung des Vertumnus beitragen, stellt sich letztlich als unzuverlässig heraus. Welchen Sinn ergibt es also unter dieser Prämisse, zunächst zwei Etymologien vehement als falsch zu bezeichnen und sie von der eigenen, präferierten dritten Ableitung abzugrenzen? Meiner Meinung nach handelt es sich bei den ersten beiden Ableitungsversuchen um eine Art von praeteritio. Sie werden zwar als mendax abgetan, erhalten aber gleichzeitig dadurch auch besondere Betonung. Wenn Vertumnus also ein Medium der Kommunikation für den Autor Properz ist und wenn, wie LOEHR sagt, die ersten beiden verworfenen Etymologien dennoch zu dessen Charakterisierung beitragen und nicht falsch sind, dann könnten die in den Versen 7–10 und 11–18 erzeugten Bilder auch poetologische Aussagen enthalten.145 In der ersten Etymologie spielt der Gott auf den veränderten Flusslauf des Tibers im Zusammenhang mit der Trockenlegung der velabrum-Marsch an (V 9).146 Am Ende des vicus Tuscus markierte die Vertumnus-Statue die Ecke des Bereiches, der einst zur velabrum-Marsch, einer seichten Stelle am Tiber, gehörte, und trennte sie vom Forum Romanum. Dort wurden Besucher aus dem Norden, die über den Tiber nach Rom kamen und die Stadt beispielsweise mit Handelsgütern versorgten, willkommen geheißen und Fremde zu Römern gemacht.147 In Verbindung mit dieser Assoziation bildet die erste Etymologie des Vertumnus einen angemessenen Anfangspunkt der aitiologischen Dichtung des Properz und seines poetischen Rundgangs durch die Stadt, da mit ihr der ‚Beginn‘ als solcher versinnbildlicht wird. Zum einen diente die Vertumnus-Statue selbst realiter als topographischer Orientierungspunkt.148 Zum anderen sollen auf mythologischer Ebene Romulus und Remus als Säuglinge in ihrem Körbchen am velabrum angeschwemmt und dort von der Wölfin gefunden worden sein,149 die symbolisch für die Gründung und den Anfang der Stadt Rom stehen, der zu Ehren Properz das 144 LOEHR 1996, 204f.; GLOCK 1999, 214f. 145 Auch GLOCK hält die beiden Passagen nicht nur für bloße Exkurse: Mit den Versen 7–10 biete der Text durch die etymologische Deutung die Erklärung für die Verehrung der Gottheit an ihrem Standort und liefere so ein eigenes Kultaition, das in dieser Deutlichkeit an keiner anderen Stelle des Gedichtes benannt werde. Die Verse 11–18 dienten der Beschreibung des Kultbildes und seien der inhaltlichen Erklärung vorgeschaltet. Siehe GLOCK 1999, 209. 146 BOLDRER 2001, 88; HUTCHINSON 2006, 90. 147 WELCH 2005, 36–39; 50; RICHARDSON 2006, 425. 148 Cic. Verr. 2,1,154; Liv. 44,16,10. Siehe dazu GLOCK 1999, 216. 149 RICHARDSON 2006, 425.Siehe Liv. 1,4,1–7.

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vierte Gedichtbuch geschaffen hat (vergleiche Prop. 4,1,67: Roma, fave, tibi surgit opus). Hinzu kommt, dass der Fluss Tiber bereits vor der Stadtgründung Roms existierte und als Konstante der römischen Geschichte mit Dauerhaftigkeit in Verbindung gebracht werden kann.150 Die Etymologie des Vertumnus mit dem Tiber zu verknüpfen, lässt diese Assoziation auf den Gott und somit auch auf poetologischer Ebene auf die neue Properz-Dichtung übergreifen. Interessanterweise bildet der Fluss, der im Apenninus am Monte Fumaiolo entspringt und Richtung Süden fließt, auch zugleich die Grenze zwischen Etrurien,151 dem Herkunftsort des Vertumnus, und Umbrien, der Heimat des Dichters Properz.152 Auch wenn der Tiber die unterschiedlichen Herkunftsregionen des Vertumnus und der Dichterfigur geographisch voneinander trennt, werden sie dennoch durch seine Erwähnung auf literarischer Ebene in der ersten Namenserläuterung miteinander verbunden und in der Stadt Rom zusammengeführt. In Kombination mit der zweiten Namenserklärung könnte durch die erste Etymologie auch die Parallele zum Gott des Anfangs und Endes, Ianus, gezogen werden. Dieser war zunächst, mythologisch gesehen, der Vater des Flussgottes Tiberinus153, sodass diese beiden Gottheiten genealogisch eng miteinander verknüpft waren. Noch stärker wiegt die Tatsache, dass sich der Ianus-Tempel auch ganz in der Nähe des Vertumnus-Standortes auf dem vicus Tuscus ebenfalls bei dem Verlagsbuchhandel der Sosii befand,154 sodass hier auch hinsichtlich der Topographie eine assoziative Verbindung zum etruskischen Gott gezogen werden kann. Ianus und Vertumnus weisen dazu Ähnlichkeiten in ihren Wesensmerkmalen auf: Beide sind von hohem Alter und werden mit dem Ursprung Roms sowie dem Krieg zwischen Romulus und Tatius in Verbindung gebracht,155 beide sind mehrgestaltig,156 beide stehen in enger Beziehung zum Jahresverlauf. Während Ianus das Jahr beginnen lässt, ist Vertumnus mit dem Wechsel der Jahreszeiten verknüpft (V 11f.). Und beiden werden doppeldeutige Persönlichkeiten zugeschrieben – Ianus als Gott der Tür und des Durchgangs sowie des anfangenden und beginnenden Jahres, Vertumnus als Umlenker des Tibers, als ländliche Gottheit einerseits und Gott der Verwandlung andererseits.157 Als Gott der Transformationen, als Zeuge der Ereignisse zu Beginn der Stadtgründung Roms und als Pendant zu Ianus, dem Gott des Anfangs,158 wird das Kultbild des Vertumnus 150 Siehe Ov. fast. 5,635f.: Thybri, doce verum! tua ripa vetustior Urbe est:/principium ritus tu bene nosse potes. 151 Siehe Verg. Aen. 8,473: amnis Tuscus. 152 UGGERI 2002, 530f. Siehe auch Ov. fast. 1,233f. 153 RADKE 1979, 149. 154 Vergleiche Hor. epist. 1,20,1f. Siehe SHEA 1988, 64; BOLDRER 1999, 16. 155 Titus Tatius, der König der Sabiner, soll u.a. den Kult des Ianus in Rom eingeführt haben. Vergleiche Varro ling. 5,74; Dion. Hal. ant. 2,50,3; Liv. 1,55,2; Serv. Aen. 1,291. Vergleiche STENGER 2002, 44. 156 Man stellte Ianus doppelgesichtig dar. Siehe RADKE 1979, 148. 157 RADKE 1979, 319f.; BOLDRER 1999, 16. 158 Ianus stand auch am Beginn eines jeden Opfers. Vergleiche Aug. civ. 7,3; 7,9; Paul. Fest. p.45, 24–25 L.; Cic. nat. deor. 2,67. Siehe RADKE 1979, 319f.

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somit zum geeigneten Sprecher zu Beginn einer Serie von römischen, aitiologischen Elegien.159 Auch die Erstlingsfrüchte der unterschiedlichen Jahreszeiten, die dem Gott geopfert werden, könnten meiner Meinung nach poetologisch gewertet werden.160 So könnten diese sinnbildlich für die literarische Pionierarbeit stehen, die inhaltlich mit der ersten römischen aitiologischen Gedichtsammlung einhergeht (siehe oben). Dieser Punkt wird durch das Motiv des „Pfropfens“, also in diesem Falle der Veredelung eines Birnbaumes durch eine Apfelfrucht, in den Versen 17f. verstärkt, das poetologisch auf die Vermischung zweier unterschiedlicher Gattungen im letzten Buch des Properz übertragen werden kann.161 Der insitor wäre somit der Autor Properz, der bereits in 4,1 den ambivalenten Charakter des vierten Buches angedeutet hatte (s.o.), mit der folgenden Dichtung sein Gelübde einlöst (insitor hic solvit pomosa vota corona, V 17), sein bisher rein elegisches Werk durch aitiologische Gedichte „veredelt“ und damit zwei unterschiedliche literarische Gattungen zu einer Einheit werden lässt.162 Zusätzlich kann dem opus auch Dauerhaftigkeit und damit erneut der Ewigkeitsanspruch der properzischen Dichtung zugesprochen werden: Einerseits impliziert der Begriff sacrum, mit dem die Erstlingsfrüchte als die Form von Kultbrauch, die dem Gott geschuldet wird, umschrieben werden, eine Regelmäßigkeit.163 Andererseits bedeutet Veredelung durch Pfropfung im agrartechnischen Sinne auch Konservieren, indem man durch ein Verfahren der nicht-sexuellen, künstlichen Fortpflanzung Kopien herstellen und so das Veredelte in Kopie bewahren kann, wodurch die Reproduktion des bereits Kultivierten als eine Art „Massenspeicher“ fungiert. Dieser Aspekt des Pfropfens kann als poetologische Aussage funktionalisiert werden.164 Unter der Voraussetzung, dass der Autor durch das Rollenkonstrukt des unzuverlässigen Erzählers Vertumnus mittels der beiden erstgenannten, zuerst verworfenen Etymologien dennoch im Zuge der Mehrfacherklärung und durch Einsatz 159 Vergleiche MARQUIS 1974, 499f. 160 Das Opfern von Früchten (V 11–18), Gemüse und Blumen (V 41–46) für Vertumnus rückt den Gott zugleich in die Nähe des Priapus, den Schutzgott des Gartens, dessen Kultbild bereits in Hor. sat. 1,8 und Tib. 1,4 zu Wort gekommen ist und prominenter Sprecher in den Carmina Priapea ist. Mit diesem hat er mehrere Elemente gemeinsam: a) Er ist Schutzgott der dona hortorum: vergleiche Prop. 4,2,13–18; 41–46; Priap. 83,1f.; 84,6–15; 85,10–14; b) Beide verfügen über ein primitives, hölzernes Kultbild (vergleiche Prop. 4,2, 59; Tib. 1,1,11 f.; Hor. sat. 1,8,1; 3); c) Beide tragen eine Sichel als Attribut (Prop. 4,2,25; Tib. 1,4,8; Priap. 6,2; 11,2; 30,1; 33,6; 55,1; d) Beide sind Gottheiten von geringerer Bedeutung im römischen Pantheon (Vergleiche Fulg. serm. ant. 11 p. 115, 5–8 Helm). SUITS 1969, 477–479; WARDEN 1980, 103; MADER 1991, 139; BOLDRER 1999, 22. 161 Siehe dazu WIRTH 2011 a, 9: „Versetzen, Einfügen, Einwachsen – das sind die Umschreibungen der Aufpfropfung als einer Agrartechnik, mit der seit der Antike im Obst-, Oliven- und Weinanbau Pflanzen veredelt werden. Veredeln heißt dabei zum einen: Kultivieren, impliziert also eine qualitative Steigerung durch einen technischen Eingriff.“ 162 WIRTH 2011 a, 11; WIRTH 2011 b, 156; 160. 163 HUTCHINSON 2006, 90f.; RÜPKE 2009, 127f. 164 WIRTH 2011 a, 9; 15; WIRTH 2011 b, 156.

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der praeteritio poetologische Aussagen treffen kann, werden durch das Aufrufen bestimmter Motive vor allem auf assoziativer Ebene Aspekte wie beispielsweise Dauerhaftigkeit und literarische Pionierarbeit mit der neuen Dichtung des Properz in Verbindung gebracht. Bei den vermeintlich falschen Namensableitungen schimmern diese Deutungsmöglichkeiten, die vordergründig topographische und kultische Charakteristika aufgreifen, durch. Letztlich bieten auch die Verse 7–10 und 11–18 ein ambivalentes Bild, indem sie zwischen Etymologie für den Namen des Vertumnus und poetologischer Aussage über die Dichtung des vierten Properz-Buches oszillieren.

5.7 ZWISCHENFAZIT Die schillernde Natur des vierten Gedichtbuches spiegelte sich in der Selbstvorstellung des Vertumnus wider, der sich einerseits über seine etruskischen Wurzeln, andererseits über seinen römischen Namen eine neue Identität zu verschaffen suchte. Aufgrund der aitiologischen und elegischen Konnotationen seines Standortes am vicus Tuscus und der Charakterisierung eines unzuverlässigen Erzählers innerhalb der Etymologien changierte der Sprecher zwischen dem Gott Vertumnus und dem elegischen Ich des Autors Properz. Durch die so entstehende doppelte Kommunikation konnten Vertumnus und sein Kultbild dem Autor dazu dienen, eigene, in diesem Falle poetologische, Botschaften zu versenden. Es konnte gezeigt werden, dass nicht nur die dritte Etymologie, die sich ganz und gar auf die Transformationsgabe des Vertumnus stützt, sondern auch die beiden ersten, zunächst als mendax fama verworfenen Namensableitungen, zur Wesenszeichnung des Gottes beitragen und daher mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für autoreneigene Aussagen funktionalisiert wurden. Dabei ließen sich poetologische Aspekte wie die Dauerhaftigkeit aus den topographischen und agrarischen Motiven herausfiltern, die sich auf das properzische Werk übertragen ließen. Letztendlich lässt sich feststellen, dass in 4,2 das ambivalente Dichtungsprogramm des vierten Buches komprimiert dargestellt ist und schließlich im Medium des Kultbilds verkörpert wird. Dieses manifestiert sich am Ende des Gedichts, dessen Beschreibung bei der Analyse bisher vernachlässigt worden ist (V 59–64). Im nächsten Kapitel soll untersucht werden, auf welche Weise der Dichter das intermediale Potential des Kultbildes poetologisch fruchtbar macht und sich damit auf literarischer Ebene in die römische Erinnerungslandschaft einschreibt.

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5.8 VERTUMNUS ALS BILDWERK Im folgenden Abschnitt möchte ich mich hauptsächlich den letzten sechs Versen des Gedichtes widmen. In diesem Kapitel soll vor allem das Kultbild im Zentrum stehen, dessen Genese dem Leser im Schlussteil von 4,2 vorgestellt wird. Dabei soll vor allem Folgendes untersucht werden: Lassen sich intermediale Bezüge erkennen, und wie werden diese auf metapoetischer Ebene funktionalisiert? Welche Assoziationen weckt die Evokation des Künstlers Mamurius und in welchem Verhältnis steht er zum Dichter? Welche Funktion erfüllt das Vertumnus-Kultbild im vierten Gedichtbuch, aber auch im gesamten Werk des Properz?

5.8.1 Das Vertumnus-Kultbild und seine intermedialen Bezüge Wie bereits oben angedeutet worden ist, spiegeln sich in den Versen 57f. eindeutig die Worte des Dichters in der Stimme des elegischen Ichs wider. Denn hier tritt das Bewusstsein des Sprechers dafür zutage, dass es sich bei den vorangegangenen Versen nicht um einen mündlichen Vortrag handelt, sondern um einen Text in Versform (sex superant versus), dem einerseits anscheinend nur ein bestimmter Platz zugestanden wird und der andererseits mit den letzten sechs Versen zu Ende gebracht wird (haec spatiis ultima creta meis).165 Nachdem Vertumnus in den Versen 1–56 seine Verwandlungsgabe detailliert ausgeführt hat, findet nun auch im Text eine Transformation statt: Durch die Angabe des begrenzten Platzes beginnt die (fingierte) mündliche Rede sich als Text zu materialisieren und verleiht Vertumnus einen statuarischen Charakter: Die vorgegebene Variabilität und Beweglichkeit des Vertumnus, die besonders im Kontext der dritten Etymologie ausgespielt wurde, kommt somit ab V 57 zur Ruhe. Gleichzeitig wird aus dem imaginierten Vorbeigehenden, der hier erneut direkt angesprochen wird (te, qui ad vadimonia curris,/ non moror, V 57f.) und bisher als Zuhörer vorgestellt war (accipe Vertumni signa paterna die, V 2), somit der imaginierte Leser. In diesem Zusammenhang ließen sich die versus gerade im Kontext der Erklärung und Herleitung des göttlichen Namens von vertere in omnis formas (vergleiche beispielsweise V 47) im doppelten Sinne verstehen: Einerseits als vierte Etymologie des Vertumnus (versus = Vers) und anderseits auch als latente Umschreibung des Resultats des Transformationsprozesses (versus als Partizip Perfekt Passiv von vertere).166 165 Dieses Bild ist dem Bahnwettkampf im Zirkus entnommen. Dort markierte ein mit Kreide gezogener Strich das Ziel der Rennstrecke. Vergleiche dazu DEE 1974, 53; FLACH 2011 b, 228. 166 SHEA 1988, 70 und WELCH 2005, 43 nehmen an, dass durch das sex superant versus bereits an dieser Stelle ein Hinweis auf die anderen sechs Figuren gegeben wird, die im weiteren Verlauf des vierten Properz-Buches zur Sprache kommen werden (Arethusa in 4,3; Tarpeia in 4,4; Acanthis in 4,5; Cynthia in 4,7; Hercules in 4,9; Cornelia in 4,11).

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An dieser Stelle bricht der Text also von der imitierten Mündlichkeit, die durch die imaginierte Dialogsituation getragen wird, endgültig in die Schriftlichkeit um. Gab es im Gesamtverlauf des Gedichts bisher (V 1–56) bereits immer wieder epigrammartige Elemente, die die Vorstellung von einer Inschrift, die auf der Basis der Vertumnus-Statue angebracht sein könnte, konstituierten (siehe oben), fehlte dem Gedicht jedoch die epigrammatische Kürze, die für eine Inschrift Erkennungsmerkmal sein sollte. Erst durch die präparativen Verse 57f., die durch sex superant versus einerseits explizit auf eine Textform verweisen und andererseits die letzten sechs Verse vom bisherigen Gedicht abgrenzen, entsteht der Eindruck, dass an dieser Stelle im Gedicht ein Einschnitt vorgenommen wird.167 Kürze und Inhalt der Verse 59–64, die für Statuen- und Weihepigramme typische Motive wie „Geschichte“ und Material des Standbilds und das Lob auf den Künstler enthalten168 und sich damit auch vom Kontext der vorangegangenen Verse absetzen, unterstreichen den Eindruck, dass gerade die letzten sechs Verse eine Inschrift bzw. ein Epigramm imitieren wollen. Ähnlich wie Priapus in Hor. sat. 1,8169 übernimmt Vertumnus hier somit die Funktion einer sprechenden Inschrift, die als gedachte Aufschrift auf der Basis der Vertumnus-Statue zugleich als ständig präsent imaginiert werden kann und dem Text wiederum Konstanz und Stabilität verleiht.170 Diese Beobachtungen verfestigen sich anschließend in den letzten sechs Versen, in denen die Genese des Kultbildes aus der Sicht des Vertumnus (eram, V 59; me, V 63) dargestellt wird. Zunächst wird auf den Entwicklungsprozess des Materials eingegangen und in diesem Zusammenhang dem Kultbild selbst ein hohes Alter und ein langer Aufenthalt in Rom bescheinigt,171 indem es analog zu den Versen 49–54 bis in die Zeit vor Numa zurückgeführt wird (ante 7umam (…) paupere in urbe, V 60). Das Material sei erst Ahornholz gewesen und das Kultbild selbst zu diesem Zeitpunkt noch wenig kunstvoll gestaltet und flüchtig bearbeitet (stipes, V 59; properanti falce dolatus,172 V 59; pauper paupere in urbe deus, V 60). Dann kommt es erneut zu einem Transformationsprozess, der innerhalb des Textes durch die stark betonte Einleitung at markiert wird (V 61). Denn der oskische Künstler Mamurius, dessen Fähigkeiten mit formae caelator aenae (V 61) und artifices (…) manus (V 62) beschrieben werden und die sich auf die Ausarbeitung seiner Kunstwerke übertragen lassen, hat ein neues Kultbild (me tot 167 Die Umsetzung epigrammartiger Elemente gerade zu Beginn und Schluss (siehe oben) als eine Art Ringkomposition und Rahmung des Textes unterstützen diese Wirkung. Siehe dazu BOLDRER 1999, 40. Vergleiche auch GLOCK 1999, 201; GÜNTHER 2006, 366. 168 GLOCK 1999, 201. 169 Vergleiche Kap. 3.4.3. 170 RÜPKE 2009, 133. DEREMETZ 1986, 145 will dabei auch den Vergleich zu Hor. carm. 3,30 herstellen: Exegi monumentum aere perennius / (…). Siehe zur Interpretation des monumentum in Hor. carm. 3,30 auch ZGOLL 2010 a, passim. 171 Vergleiche Hor. sat. 1,8,1–3: olim truncus eram ficulnus inutile lignum, / cum faber, incertus scamnum faceretne Priapum, / maluit esse deum; Tib. 1,10,20; Ov. Met. 7,279. Siehe dazu FEDELI 1965, 117f. 172 Vergleiche Tib. 2,5,28; Mart. 6,73,1; Priap. 10,3f.; 63,9–10; Colum. 10,31–32.

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docilem … in usu, V 63) geschaffen. Dafür hat er nicht vergängliches Material wie Holz verwendet, sondern dauerhafte Bronze. Durch Mamurius wurde aus dem anfänglichen stipes acernus (V 59) schließlich unum opus (V 64).173 Wenn man in 4,2 tatsächlich die komprimierte Version des ambivalenten Dichtungsprogrammes des vierten Buches sieht, das sich im Medium des Vertumnus-Kultbildes manifestiert, dann lassen sich die letzten sechs Verse, die von der Transformation des Kultbildes von einem rohen, hölzernen zu einem kunstvoll ausgearbeiteten, bronzenen künden, auch analog zur Transformation der properzischen Dichtung von der reinen Liebeselegie des ersten Buches zu der aitiologischen Prägung im vierten Buch setzen. Die These, dass das beschriebene Kultbild des Vertumnus hier durchaus mit einem Werk der Literatur und damit im übertragenen Sinne auch mit der neuen Dichtung des Properz gleichgesetzt werden kann, lässt sich festigen, wenn man sich einerseits den Inhalt der Inschrift und andererseits das verwendete Vokabular vom Ausgangs- und Endpunkt des Transformationsprozesses des Kultbildes untersucht. Zunächst darf nicht vernachlässigt werden, dass der Inhalt des Inschriftenimitats trotz der Anklänge an Weih- und Grabepigrammtraditionen dennoch literarisch geformt ist.174 Properz markiert seine Statue somit eindeutig als literarisches Konstrukt. Diese Beobachtung lässt sich durch die Betrachtung des verwendeten Vokabulars festigen: Denn sowohl stipes acernus als auch opus lassen sich mit dem Begriffsfeld ‚Literatur‘ in Verbindung bringen: Einerseits kann stipes acernus nicht nur das verwendete Material des Kultbildes meinen, sondern auch eine Anspielung auf das Schreibmaterial Ahornholz sein, das in der Antike sehr beliebt war.175 opus hingegen kann nicht nur das Kunstwerk des Kultbildes an sich meinen, sondern auch ein literarisches Werk im Allgemeinen (siehe oben).176 Parallel zum Gott Vertumnus, der sich in seinem Kultbild manifestiert, wird auf literarischer Ebene auch die Properz-Dichtung des vierten Buches somit in einem opus verbildlicht. Damit erfüllt Properz sein Versprechen aus 4,1,67 (Roma, fave, tibi surgit opus) und versucht auf poetologischer Ebene seinen Namen und sein Werk dauerhaft in die „Erinnerungslandschaft“ Rom, genauer gesagt in das Zentrum der Stadt, einzuschreiben.177 173 Vergleiche auch Kall. Aet. fr. 100 (Pfeiffer), wo Kallimachos berichtet, dass das Götterbild der Hera auf Samos ursprünglich ein roh behauener Holzpfahl war, der dann später durch das gut geglättete Werk des Skelmis ersetzt wurde. Siehe HUTCHINSON 2006, 98; SYNDIKUS 2010, 315. 174 Zu Beispielen für epigraphische, lateinische Weihinschriften aus der römischen Republik und Kaiserzeit siehe SCHUMACHER 1988, 109–139, z.B. CIL I2 626 (Nr. 61 SCHUMACHER 1988). Zu Beispielen für epigraphische, lateinische Grabinschriften aus der römischen Republik und Kaiserzeit (geordnet nachgesellschaftlichen Zugehörigkeiten: Senatoren/Ritter, Soldaten, Zivilisten) siehe SCHUMACHER 1988, 232–293, z.B. CIL I2 1212 (Nr. 191 SCHUMACHER 1988). Für Beispiele zu literarischen Grab- und Weihepigrammen vergleiche Kap. 2.2.2. 175 SHEA 1988, 65. 176 DEREMETZ 1986, 144f.; BOLDRER 1999, 51; LEE-STECUM 2005, 40; WELCH 2005, 27. 177 Vergleiche WELCH 2005, 27. Nach Plinius d. Ä. habe sich der Brauch, Statuen aus Bronze aufzustellen, schon früh über die ganze Welt verbreitet und man habe damit Folgendes beab-

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5.8.2 Der Schöpfer des Kultbildes Der Dichter Properz stellt sich vor allem durch die ambivalente Natur des Begriffes opus dem Toreuten Mamurius gegenüber, dessen Erwähnung auf literarischer und poetologischer Ebene ganz bestimmte Konnotationen weckt. In der Figur des Mamurius fließen in besonderer Weise Kunstschöpfung und Kultpraxis zusammen. Der Toreut galt in augusteischer Zeit als der mythische Schaffer der elf bronzenen Schilde, die in der Frühzeit Roms im Auftrag König Numas dem vom Himmel gefallenen ancile genau nachgebildet waren.178 Das ancile und seine elf Kopien gehörten zu den „Unterpfändern der Herrschaft“ (pignora imperii)179, den religiösen Garanten für die Dauer von Roms Macht.180 Er wird somit als Künstler (caelator, V 61) gewürdigt, aber seine Kunst bezieht sich auf Kultobjekte.181 Durch die Erwähnung des Künstlers und die assoziative Verbindung zu den ancilia wird auch erneut das Motiv der Dauerhaftigkeit bzw. Ewigkeit aufgerufen, das sich im ersten Schritt auch auf das Denkmal Vertumnus übertragen ließe, das den Etruskern von den Römern am vicus Tuscus gesetzt wurde zum Dank für ihre militärische Unterstützung gegen die Sabiner. Jedoch habe Vertumnus die kriegerischen Auseinandersetzungen nach eigener Aussage lediglich gesehen und war nicht selbst aktiv daran beteiligt (vidi ego labentis acies et tela caduca, / atque hostis turpi terga dedisse fugae, V 53f.), obwohl er, wie er selbst sagt, durchaus kompetent im Umgang mit Waffen gewesen sei (arma tuli quondam et, memini, laudabar in illis, V 27). In diesem Kontext könnte die Aufstellung eines Vertumnus-Standbildes in Frage gestellt werden. Wahrscheinlich steht Vertumnus, unter der Voraussetzung, dass er tatsächlich mit dem etruskischen Gott Vel-

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sichtigt: excepta deinde res est a toto orbe terrarum … et in omnium municipiorum foris statuae ornamentum esse coepere propagarique memoria hominum et honores legendi aevo basibus inscribi, ne in sepulcris tantum legerentur (Plin. nat. 34,1). Siehe dazu ZGOLL 2010 a, 483 inkl. Anm. 41. EISENHUT 1958, 1672; RADKE 1979, 318; DEREMETZ 1986, 135; 146; GLOCK 1999, 207f.; 215; LEE-STECUM 2005, 37f.; HUTCHINSON 2006, 98f.; RICHARDSON 2006, 428; FLACH 2011 b, 228. Vergleiche auch Dion. Hal. ant. 2,71 als frühstes Zeugnis für die Verbindung des Mamurius mit dem ancile sowie neben Properz Ov. fast. 3,259–392, Plut. 7um. 13; Min. Fel. 24,11; Paul. Fest. 117,13 L.. Siehe dazu GLOCK 1999, 207; GÜNTHER 2006, 366. Die fehlende Erwähnung des Mamurius bei beispielsweise Livius (vergleiche Liv. 1,20,3f.), Varro und Vergil hat die Annahme aufkommen lassen, dass dieser Künstler ein Konstrukt der augusteischen Zeit sei. Dementsprechend solle auch seine angebliche Erwähnung (Mamuri Veturi) im Lied der Salier (carmen saliare), die er als Belohnung für die Anfertigung der Kopien erhalten haben soll, eine Erfindung sein. Bei Ennius (ann. 114) wird dagegen sogar eine Version überliefert, nach der Numa die Schilde von der Nymphe Egeria erhalten haben soll. Dennoch könnte die Überlieferung von Mamurius immerhin einen wahren historischen Kern beinhalten, da die Veturii sich bis ins 7. Jh. v. Chr. zurückverfolgen lassen und die gens Veturia 499 v. Chr. sogar einen Konsul stellte (Liv. 2,19,1). Siehe dazu Philips 1999, 787. Varro, ap. Serv. Verg. Aen. 7,188. GRAF 1996 b, 679f. Zur Vertumnus-Verehrung siehe Kap. 5.6.2 und 5.6.3. Auch die ancilia wurden in kultische Handlungen wie den Waffentanz der Salier eingebunden. Siehe GRAF 1996 b, 679f.

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tha/Veltune/Velthune, an deren Schrein die etruskische Bundesversammlung stattgefunden hat (Kap. 5.6.2), gleichzusetzen ist, symbolisch für die Volksgruppe der Etrusker. Die Fähigkeit der Statue zur Inkorporation von etwas Größerem ließe sich demnach bereits auf historischer Ebene nachweisen. Aus diesen Erkenntnissen folgen zwei Beobachtungen: a) Die Verknüpfung der Statue mit dem Künstler Mamurius, der in augusteischer Zeit als Schöpfer der ancilia als pignora imperii Roms galt, ließe sich demnach auch auf Vertumnus übertragen, der somit ebenfalls mit einem pignus und Garant für Langlebigkeit assoziiert werden kann. Aufgrund der bereits festgestellten Analogien zwischen Kunstwerk und literarischem Werk ließe sich dieser Aspekt auch auf das vierte Buch des Properz übertragen. Blickt man zurück auf die Verse 55f., manifestierte sich der Wunsch nach Dauerhaftigkeit bereits dort: sed facias, divum Sator, ut Romana per aevum / transeat ante meos turba togata pedes. Die gebetsähnliche Bitte des Vertumnus an Iuppiter, die Toga tragende, also römische Menge182 auf ewig vor seinen Füßen vorbeiziehen zu lassen, bringt auf der Textebene das Verlangen des Vertumnus zum Ausdruck, als Kultbild dauerhaft wahrgenommen zu werden sowie Verehrung zu finden183 und im übertragenen Sinne als Properzens neue Dichtung einen stetigen Rezipientenkreis zu haben.184 Durch die Bitte ordnet sich Vertumnus hierarchisch dem höchsten Gott der Römer unter, nähert sich ihm allerdings gleichzeitig durch die Bezeichnung als

182 Die Toga war, so das Dekret des Augustus von 18 v. Chr., die Kleidung, die römischen Männern vorbehalten war. Nur mit dieser durften bestimmte Bereiche Roms seit augusteischer Zeit, wie beispielsweise das im Text erwähnte Forum Romanum, betreten werden (siehe Suet. Aug. 40,5: Etiam habitum vestitumque pristinum reducere studuit, ac visa quondam pro contione pullatorum turba indignabundus et clamitans: en Romanos, rerum dominos, gentemque togatam! negotium aedilibus dedit, ne quem posthac paterentur in foro circave nisi positis lacernis togatum consistere.). Nicht-Römern war es verboten, dieses Kleidungsstück zu tragen. Die Toga definiert also das vom Text intendierte Publikum zunächst als römisch und männlich, wenngleich auch belegt ist, dass die Toga in der Frühzeit von beiderlei Geschlechtern getragen werden konnte. Bei den Frauen wurde sie allerdings in republikanischer Zeit durch die stola ersetzt und im Gegenzug zur Tracht von Ehebrecherinnen und Prostituierten degradiert (Mart. 2,39; Iuv. 2,70). Siehe dazu HURSCHMANN 2002, 654f. Ähnlich wie beim Standort der Vertumnus-Statue, der ebenfalls mit dem Rotlichtmilieu in Verbindung gebracht werden kann, lässt sich somit auf assoziativer Ebene eine Ambivalenz für das intendierte Publikum turba togata feststellen. 183 LEE-STECUM 2005, 38. 184 Die Bezeichnung divum Sator für Iuppiter Optimus Maximus ist epischer Natur. Vergleiche hierzu insbesondere eine Szene aus Vergils Aeneis: Iuppiter (hominum sator atque deorum, Verg. Aen. 1,254) garantiert den Römern (Romanos, gentem…togatam, Verg. Aen. 1,282) Ewigkeit (Verg. Aen. 1,278f.). Vergleiche auch beispielsweise Verg. Aen. 11,725 (hominum sator atque deorum), Stat. Theb. 1,178f. (deorum terrarumque sator), 3,488 (sator terraeque deumque), 5,22 (deum sator), 7,155; 734 (divum sator), 9,511; 11,248 (sator…divum). Siehe hierzu FEDELI 1965, 116; DEE 1974, 53; HUTCHINSON 2006, 97f. Die Etymologie des Wortes sator – ein Begriff, der wörtlich „Säer“ bzw. „Pflanzer“ und im übertragenen Sinne „Zeuge, Vater, Urheber“ meint (siehe OLD, s.v. sator) – steht dabei in enger Verknüpfung zu Vertumnus als Land- und Vegetationsgottheit, wie er sich besonders in seiner zweiten Namensherleitung (V 11–18; V 41–46) präsentiert.

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sator an, welche man durchaus als Anspielung auf die maxima fama des Vertumnus verstehen kann. b) Vertumnus präsentiert sich in diesem Kontext typisch augusteisch und bildet damit eine Projektionsfläche für die augusteische Entwicklung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen: Indem er als Symbol für die militärische Unterstützung der Etrusker fungiert, ohne selbst am kriegerischen Geschehen teilgenommen zu haben, vereinigt er die Aspekte Krieg und Frieden in seinem Wesen.185 Dieser Aspekt war bereits im Zusammenhang mit der dritten Etymologie und den antithetischen Paarungen aufgekommen: Dort gab Vertumnus einerseits vor, Waffen getragen und damit Ruhm erlangt zu haben und andererseits auch als messor auf dem Feld zu arbeiten (vergleiche V 27f.). Auf diese Weise wird hier, wie bereits oben festgestellt werden konnte, erneut die Parallele zu Ianus hergestellt. Dessen wichtigster Kultbau am Forum Romanum mit topographischer Nähe zum Standbild des Vertumnus war ein vermutlich ursprünglich hölzerner, bronzebeschlagener Doppeltorbau, der in augusteischer Zeit komplett aus Bronze erneuert wurde und die doppelgesichtige Bronzestatue des Ianus geminus verwahrte. Der Tempel besaß im Osten und Westen je ein Flügeltor, sodass die beiden bärtigen Gesichter des Kultbildes in die jeweilige Richtung blickten. Der Tempel hatte durchaus symbolischen Charakter, da das römische Heer zu Beginn eines jeden Krieges durch die Tore des Ianus marschierte und damit den Anfang einer militärischen Auseinandersetzung markierte. Unter Augustus wurden die Flügeltore 29 v. Chr. in einem von der zeitgenössischen Bevölkerung noch nie gesehenen archaisierenden Ritual feierlich geschlossen.186 Dieser Vor185 Diese Beobachtung lässt sich gut in den augusteischen Zeithintergrund einbetten. Bei den Saecularfeiern, die das goldene Zeitalter einläuteten (siehe dazu auch Kap. 2.2.3), wurde in z.T. uralt anmutenden Ritualen die Fruchtbarkeit und das Heil beschworen, in denen es um die Überhöhung der neuen Sittlichkeit und des neuen Staates ging. In drei nächtlichen Zeremonien wurden den Moiren, den Eileithyien und der Terra Mater, in denen bei Tage Iuppiter, Iuno Regina und Apollo, Diana und Latona. Im Laufe der nächsten Jahre entstanden an verschiedenen Monumenten unterschiedliche, neuartige Bilder des Segens und der Fülle. Die frühste und reichhaltigste Komposition dieser Art ist uns im sogenannten Tellus-Relief der Ara Pacis Augustae (13–9 v. Chr.) erhalten. Abgebildet ist dort eine mütterliche Gottheit in klassisch würdevollem Gewand auf einem Felsen sitzend, zwei spielende Säuglinge im Arm haltend, mit Früchten im Schoß, mit einem Kranz aus Ähren und Mohn im Haar, mit verschiedensten Pflanzen im Hintergrund, ein ruhendes Rind und ein weidendes Schaf zu ihren Füßen und zu ihren Seiten je links und rechts die zwillingshaften Verkörperungen der Meerund Landwinde. Als ihr Pendant war Roma auf einem Waffenhügel sitzend dargestellt. Auch an diesem Monument sind damit die Aspekte Krieg und Frieden miteinander vereint. Der Betrachter sollte die beiden Bilder zusammen anschauen, um an ihnen zu sehen, wie der segenreiche Frieden durch die wiedererstarkte virtus der römischen Waffen gewonnen und gesichert waren. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 171–179; GALINSKY 1998, 100–107; Abb. 41–42; 141–155. 186 Dieser Ritus wird von Numa hergeleitet (Liv. 1,19,2) und ist zum ersten Mal für das Jahr 235 v. Chr. belegt (Varro ling. 5,165). Siehe dazu GRAF 1998 a, 859. Vergleiche auch Ov. fast. 1,277–288: Verbunden mit einem panegyrischen Lob auf Germanicus und im Kontext einer aitiologischen Erklärung wird dort der Wirkungszusammenhang von Sieg, Herrschaft und Frieden in Verbindung mit der Gottheit Ianus entfaltet. Dazu und zu Ianus als Garant der mi-

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gang wurde zu einem wichtigen rituellen Ausdruck seiner Friedenspolitik gemacht.187 Damit steht auch der Gott Ianus zu dieser Zeit in unmittelbarer Verbindung mit Krieg und Frieden. Neben seiner Inaktivität im Krieg gegen die Sabiner sind es vor allem die kultischen Charakteristika der Vegetationsgottheit Vertumnus (Fruchtbarkeit der Erstlingsfrüchte der jeweiligen Jahreszeiten, V 11–18; Fruchtbarkeit der Erzeugnisse des Gartens, V 41–46; maxima fama, V 41), die in Kombination mit der Betonung dieser Kompetenz als maxima fama somit in typisch augusteischer Manier Friedensassoziationen weckt.188 Zum einen nahmen die quindecimviri am Tag vor den Saekularfeiern 17 v. Chr., die das goldene Zeitalter unter Augustus einläuten sollten, auf dem Aventin ebenfalls feierlich u.a. Erstlingsfrüchte vom Volk entgegen, die dann während der Feier wieder verteilt wurden.189 Zum anderen standen Darstellungen von der Fruchtbarkeit der Natur sinnbildlich für die Pax Augusta und die aurea aetas wie z.B. das sogenannte Tellus-Relief an der Ara Pacis,190 Reliefs von säugenden Tieren191 oder die Rankenmotive,192 die nicht nur verschiedenartige Blätter, Blüten und Früchte aufwiesen, sondern auch krabbelndes oder kriechendes Getier.193 Auch in der römischen Literatur spielten Motive wie Ruhe und Frieden nach Jahren des Bürgerkriegs eine sehr große Rolle.194 Speziell in der augusteischen Liebeselegie und vor allem bei dem Autor Tibull war das Motiv der rusticitas sehr präsent, insbesondere die Idealisierung des einfachen Lebens auf dem Lande.195

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litärischen Erfolge Roms, der römischen Herrschaft und eines glücklichen Verlaufs der römischen Geschichte siehe KRASSER 2008, 270–273. Siehe dazu RADKE 1979, 148; P. ZANKER 1990, 110; GRAF 1998 a, 859. Laut WELCH 2005, 48f. bilden diese Passagen eine Miniatur von Vergils georgica (2,136–76), den laudes Italiae. P. ZANKER 1990, 173. P. ZANKER 1990, 177–179; siehe auch die Abbildung in P. ZANKER 1990, 179, Abb. 136. Siehe dazu die Abbildungen von drei Reliefs eines öffentlichen Brunnens in Praeneste aus der frühen Kaiserzeit mit säugenden Wildschweinen, Löwinnen und Schafen. P. ZANKER 1990, 181f., Abb. 138 a–c. Die Ranken gehören zu den am häufigsten benutzten Chiffren der augusteischen Bildersprache. P. ZANKER 1990, 184–188. Siehe auch P. ZANKER 1990, 184, Abb. 140 und P. ZANKER 1990, 185, Abb. 141. Zur vegetativen Bildmotivik in Wandmalerei und Reliefkunst siehe Kap. 2.2.3. Ein herausragendes Beispiel bietet dabei die vierte Ekloge des Vergil (40 v. Chr. zu Ehren der Konsulschaft des Pollio), dessen zentrale und größte Innovation in der Erwähnung des goldenen Zeitalters liegt, das direkt zu seiner Zeit wieder zurückkehren soll (… toto surget gens aurea mundo, V 9), und zugleich auch die paradiesähnlichen Zustände dieses neuen Zeitabschnitts evoziert: Tiere bringen freiwillig Milch nach Hause (V 21), Rinder fürchten sich nicht vor Löwen (V 22), aus der Erde sprießen ohne menschlichen Einfluss Blumen (V 18– 20; V 23–25) und andere Vegetation (V 28–30) hervor. Von den griechischen und römischen Autoren ging Vergil mit dieser Darstellung der Rückkehr der aurea aetas bis zu diesem Zeitpunkt am weitesten. Siehe dazu GALINSKY 1998, 90–93. Siehe dazu v.a. Tib. 1,1,6–10: Ipse seram teneras maturo tempore vites / rusticus et facili grandia poma manu: / nec Spes destituat, sed frugum semper acervos/praebeat et pleno pinguia musta lacu. GALINSKY 1998, 270.Zu Augustus und dem Motiv der Ländlichkeit als Teil seiner Selbstdarstellung siehe Kap. 2.2.3.

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Indem Properz den Toreuten erwähnt, schafft er zusätzlich eine intertextuelle Parallele zum siebten Iambus des Kallimachos und zum darin erwähnten Schöpfer des Hermes Perpheraios Epeios, der seit hellenistischer Zeit als Erbauer des trojanischen Pferdes galt. Damit wählen sowohl Kallimachos als auch Properz mit Epeius und Mamurius die berühmtesten Künstler der jeweiligen Frühzeit, deren Kunstwerke zudem noch die Gemeinsamkeit besitzen, ihre Betrachter zu täuschen: Mamurius durch die täuschend echt aussehenden Kopien des ancile und Epeius durch das trojanische Pferd, in dem sich die Griechen verbargen und so Troja erobern konnten. Die Statue des Vertumnus zeigt diese Eigenschaft in ihrem Potenzial zur Vielgestaltigkeit, die es dem Betrachter erschwert, hinter seinen Erscheinungsformen den eigentlichen Gott zu erkennen.196 Speziell das Täuschungspotential der Vertumnus-Statue bringt das Kultbild mit dem unzuverlässigen Erzähler Vertumnus zusammen und stellt den Toreuten Mamurius und den Dichter Properz auf eine künstlerische Stufe. Durch die Evokation des Mamurius wird durch den Dichter Properz nicht unbedingt der Versuch unternommen, in einen Paragon197 mit dem bedeutenden Toreuten zu treten, da der Text - beispielsweise durch Komparative oder Superlative - eine solche paragonale Situation nicht herbeiführt. Dennoch lässt sich feststellen, dass hier opera unterschiedlicher Medien von Properz einander gegenübergestellt werden, mit dem Ziel, das eigene literarische Werk bewusst qualitativ von dem toreutischen Werk des Mamurius abzugrenzen. Damit soll markiert werden, dass es sich dabei, ähnlich wie bei der dritten Etymologie, um eine eigene, literarische Neu-Konstruktion handelt. Die Abgrenzung von der plastischen Kunst wird besonders durch drei Punkte deutlich, in denen die unterschiedlichen Medien gegeneinander ausgespielt werden: a) Während die eigentliche Gestalt des opus von Mamurius (die Statue), wie wir oben gesehen haben, im Unklaren bleibt und jede äußerliche Veränderung temporär sowie von den Gaben seines Gegenübers abhängig ist, ist das opus des Properz sehr wohl in der Lage, sich durch die Einflüsse unterschiedlicher literarischer Gattungen wie Elegie, Aitiologie und Epigramm, zu verändern. Der Toreut Mamurius liefert demnach lediglich die Basis-Vorlage für alle weiteren Transformationen, die extern und nicht durch ihn selbst beeinflusst werden. Der Dichter Properz hingegen ist für die Veränderungen in seinem Werk selbst verantwortlich. Somit gelingt es dem Dichter im Gegensatz zum Künstler, die Wandelbarkeit der Gottheit Vertumnus im Gedicht und im übertragenen Sinne auch die Wandlungsfähigkeit seiner eigenen Kunst abzubilden.198 In diesen Zusammenhang lässt sich 196 Siehe dazu GLOCK 1999, 202f. 197 Die Konkurrenz zwischen Dichter/Wortkunst und Künstler/Bildkunst bzw. der Rang- und Wettstreit der Bildenden Künste wird mit dem Begriff Paragon (Vergleich) bezeichnet – ein Erklärungsmodell, das sehr häufig an die Ekphrasis herangetragen wird. Bereits Homers Schildbeschreibung in der Ilias (Il. 18,468–608) impliziert einen Wettstreit zwischen Sprache und Bildkünsten, den spätere Ekphraseis stets aufgreifen. Zum Begriff und zur Geschichte der Paragone siehe PFISTERER 2003, passim. 198 Vergleiche DEREMETZ 1986, 130; LOEHR 1996, 205f.; GLOCK 1999, 214f.

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der letzte Vers und der darin enthaltene Gegensatz unum opus – non unus honos ambivalent deuten: Von dem Künstler Mamurius wurde mit dem Kultbild ein einziges Kunstwerk (unum opus)199 geschaffen, dem auf kultpraktischer Ebene mehrere Gaben (honos) durch Verehrer zuteil werden (vergleiche V 23–40).200 Von dem Dichter Properz wurde mit Vertumnus ein literarisches Kultbild geschaffen, das das neue Dichtungsprogramm verkörpert, das aufgrund des Einflusses unterschiedlicher Literaturgattungen Ehrungen auf mehreren Ebenen erfahren kann. Während also in dem ersten Fall der Statue Vertumnus honores von seinem Gegenüber erbracht werden, betreffen die honores im zweiten Falle das literarische Werk und somit auch den Dichter Properz. b) Während die Kunst des Mamurius v.a. auf der perfekten Nachahmung eines Originals beruht, das selbst nicht besonders raffiniert gestaltet201 und auch die bronzene Vertumnus-Statue womöglich ästhetisch eher „unterkomplex“ war (vergleiche Kap. 5.6.3), versucht Properz in diesem Gedicht zu verdeutlichen, dass es sich bei seinem Werk, dem vierten aitiologischen Gedichtbuch, um ein neuartiges und eigenständiges handelt (vergleiche v.a. Kap. 5.6.5), dessen Medium Text in seiner Komplexität der Darstellung des Wandlungspotential des Gottes gerecht wird. c) Die letzten sechs Verse weisen Elemente von Grabepigrammen auf. Besonders die Verse 61–63 ahmen dabei innerhalb eines Epigramms ein Epitaph auf den bereits toten oskischen Künstler Mamurius nach.202 Der Text suggeriert, dass sein Name trotz seines Ablebens in der römischen Frühzeit aufgrund der Inschrift auf der Basis der Vertumnus-Statue immer noch mit dieser in Verbindung gebracht wird und er somit aufgrund der bloßen Erwähnung „weiterleben“ kann. Nicht nur die Statue, sondern auch der Name ihres Schöpfers ist somit dauerhaft präsent und in der Lage, eine lange Zeitspanne zu überdauern. Jedoch müsste der Betrachter, um diesen Konnex mittels der Inschrift zu erkennen, direkt vor die Statue auf dem vicus Tuscus treten. Der Faktor ‚Dauerhaftigkeit‘, der aus der Verbindung der Statue mit dem darauf verewigten Namen des Toreuten Mamurius hervorgeht, ist daher standortgebunden. Wenngleich durch die Aufstellung in der Nähe des Forum Romanum eine hohe Publikumsfluktuation gewährleistet sein sollte (vergleiche V 5f.; V 55–58), ist dieses bronzene opus längst nicht so topographisch flexibel wie das literarische, mit dem der Name des Dichters Properz in Verbindung steht und das potentiell einen breiteren Rezipientenkreis erreichen

199 unum opus steht hier einerseits in Kontrast zu den vielen ancilia, die Mamurius geschaffen haben soll, und zu den vielen Gaben, die seine Statue empfängt. Siehe dazu HUTCHINSON 2006, 99. 200 RICHARDSON 2006, 428. 201 Die ancilia der Salier hatten die Form einer 8. Siehe GRAF 1996 b, 679. Vergleiche auch Ov. fast. 3,377f.: idque ‚ancile‘ vocat, quod ab omni parte recisum est, / quaque notes oculis, angulus omnis abest. 202 Vor allem klingt das geläufige „Ruhe sanft“-Motiv des sit tibi terra levis im Wunsch tellus artifices ne terat Osca manus (V 62) an. Vergleiche SUITS 1969, 479–481; DEE 1974, 53; SHEA 1988, 71; BOLDRER 1999, 40f.; GLOCK 1999, 201.

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könnte. Hinsichtlich des Ewigkeitsanspruchs ist das Werk des Dichters Properz gegenüber dem Werk des Künstlers Mamurius im Vorteil.203 Durch die Abgrenzungsversuche wurde zugleich deutlich, dass der Text im Vergleich zum Bild ein grundsätzlich anderes intermediales Potential hat.204 In Verbindung mit der Elegie 4,1, in der sich Properz zum poetischen Baumeister Roms stilisiert hatte (Roma, fave, tibi surgit opus, V 67), wird die Künstlerfigur des Mamurius und die erneute ambivalente Verwendung von Wörtern, die sowohl dem Begriffsfeld ‚Architektur‘ als auch ‚Literatur‘ zugeordnet werden können, instrumentalisiert, um dem Leser zu signalisieren, dass sein eigenes ‚Bauvorhaben‘, die Erschaffung seines eigenen literarischen Roms, in der zweiten Elegie des vierten Buches durch die Aufstellung seines ersten poetischen Konstrukts einen Anfang genommen hat. Getreu der Verse 65f. in 4,1 (scandentis quisquis cernit de vallibus arces, ingenio muros aestimet ille meo) stellt er hier der bronzenen Vertumnus-Statue des Toreuten Mamurius eine Vertumnus-Statue an die Seite, die er durch seine eigene Dichtung evoziert. Auf diese Weise baut er seine Rolle als Schöpfer seines eigenen literarischen Roms weiter aus.

5.8.3 Die werkinterne Funktion des Vertumnus-Kultbildes Der epigrammartige Charakter und die etruskische Geschichte der VertumnusStatue bringen das Gedicht 4,2 buchübergreifend in die Nähe der beiden Schlussepigramme der Monobiblos des Properz. Letztere zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie zusammen mit 1,20 thematisch nichts mit Cynthia, die programmatisch im Zentrum der ersten Buches steht, zu tun haben. Stattdessen hatte das elegische Ich des Properz in 1,21 und 1,22 auf die blutigen Bürgerkriege 41/40 v. Chr. zwischen dem Triumvirn Octavian und dem Konsul Lucius Antonius bei der etruskischen Stadt Perusia (heute Perugia) wegen der dortigen Veteranenansiedlung Bezug genommen und schmerzliche Erinnerungen damit in Verbindung gebracht. In 1,21 spricht ein gewisser Gallus (1,21,7), der Perusia gegen die Belagerungstruppen Octavians verteidigt hatte und nun durch unbekannte Hände selbst verletzt wurde (1,21,7f.), im Stile eines Grabepigramms einen vorbeigehenden, verletzten Soldaten an, der aus den Perusinischen Bürgerkriegen (miles ab Etrus203 Vergleiche hinsichtlich dieses Topos Pind. P. 6,5–14: Dort deutet Pindar an, dass das „Schatzhaus der Lieder“ im Tal des Apollon dem Ruhm des Gefeierten einen sichereren Schutz bietet als die Schatzhäuser in Delphi den Statuen der Sieger. Somit ist auch hier das literarische Werk vor dem Bauwerk in Bezug auf den Ewigkeitsanspruch im Vorteil. Siehe dazu FRÄNKEL 1993, 489, Anm. 9. Siehe auch Pind. 7. 5,1–6: Auch dort fühlt sich Pindar, dessen Lied die Möglichkeit hat, Aegina zu verlassen, dem Bildhauer überlegen, der lediglich ein Werk schaffen kann, das an seine Standfläche gebunden ist. Siehe dazu KASSEL 1983, 2. Vergleiche auch Hor. carm. 3,30. 204 Nach RAJEWSKY 2002, 15-19 würde das Werk des Mamurius (bestehend aus Bild und Inschrift) dem intermedialen Phänomen der Medienkombination zugeordnet werden, während Properzens Vertumnus-Gedicht dem Phänomen des intermedialen Bezugs zugeschrieben werden würde.

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cis saucius aggeribus; 1,21,2) kommt. 1,22,2 wird durch quaeris eine Gesprächssituation des elegischen Ichs und dem angesprochenen Tullus (1,22,1) eingeleitet, der nach dessen Herkunft und Familie fragt (1,22,1f.). Diese Frage weckt bei dem Leser die Erwartung, dass Properz diesem Schlussgedicht die Form einer Sphragis205 verleiht – die traditionelle Form, in der sich ein Dichter zum Ende seines Werkes oder Gedichts nennt und von sich und seinen Lebensumständen berichtet. Stattdessen berichtet das elegische Ich von dem Bürgerkrieg, den seine Heimat getroffen habe: In diesem Gemetzel habe es einen nahen Verwandten verloren, der nicht einmal bestattet werden konnte (tu proiecta mei perpessa es membra propinqui,/ tu nullo miseri contegis ossa solo; 1,22,7f.). In den Versen unmittelbar darauf betont es, dass es in Umbrien, genauer in Assisi, wie man später erfährt (4,1,121–126), geboren sei, also in nächster Nähe zur Stadt Perusia (proxima supposito contingens Umbria campo / me genuit terris fertilis uberibus; 1,22,9f.),206 die ursprünglich sogar selbst eine umbrische Siedlung war.207 An dieser Stelle stellt das elegische Ich also die direkte literarische und topographische Verbindung seiner Heimat Umbrien und der Heimat des Vertumnus Etrurien her, indem es sie hier an ein Negativereignis (sic mihi praecipue, pulvis Etrusca, dolor; 1,22,6) knüpft.208 In der Elegie 4,2 erinnert die Vertumnus-Statue hingegen einerseits durch ihre etruskische Vergangenheit an ein positives Geschehen, indem der Gott sich als Denkmal für die militärische Hilfe der Etrusker im „Bürgerkrieg“ der Römer gegen die feindlichen Sabiner unter Tatius deklariert. Zum Dank hätten die Römer den Etruskern ein eigenes Viertel, den vicus Tuscus, in ihrer Stadt geschenkt (vergleiche V 49–52). Die Vertumnus-Statue als Manifestation der neuen Dichtung des Properz kann somit durchaus als Siegesmonument bezeichnet werden. Andererseits können, wie oben dargestellt, vor allem durch die eher passive Haltung der Gottheit im Kriegsgeschehen und ihre kultischen Charakteristika (Fruchtbarkeit, rusticitas) Friedensassoziationen durch die Vertumnus-Statue geweckt werden. Diese Ambivalenz in 4,2 bildet damit das positive Gegengewicht zu den beiden Schlussgedichten 1,21 und 1,22 der elegischen Monobiblos des Properz. Wurde dort eher auf verlust- und trauerreiche Kämpfe Etruriens in Verbindung mit Landenteignung angespielt, wird in 4,2 der Sieg der Römer durch die Hilfe der Etrusker in Verbindung mit Landschenkung (vicus Tuscus) betont und der Gedanke an friedvolle Zeiten aufgerufen. Durch die Assoziation Perusias mit der Heimat der Dichterfigur Properz am Ende des ersten Buches sowie durch die Deutung der Vertumnus-Statue als Verkörperung des neuen properzischen Dichtungsprogramms im vierten Buch wird eine Verbindung zwischen diesen beiden Büchern hergestellt, die programmatisch unterschiedlich gestaltet sind und schließ-

205 Siehe zur Sphragis GÄRTNER 2001, 819f. 206 Siehe zu Prop. 1,21 und 1,22 STAHL 1985, 99–129; SYNDIKUS 2010, 100–105. 207 Perusia war ursprünglich eine umbrische Siedlung, die dann Mitglied des etruskischen Zwölfstädtebundes (Liv. 9,37,12) und schließlich 295 v. Chr. unterworfen wurde. Siehe dazu UGGERI 2000, 654. 208 Siehe dazu WELCH 2005, 42.

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lich durch den Text auch konträr konnotiert werden.209 Da alle drei genannten Gedichte poetologisch markante Stellen innerhalb der einzelnen Bücher einnehmen (1,21 und 1,22 als Schlussgedichte der elegischen Monobiblos und 4,2 als erstes aitiologisches Gedicht im vierten Buch des Properz), kann den jeweils unterschiedlich gefärbten Assoziationen durchaus aussagekräftiges Gewicht zugeschrieben werden. Denn die positive Verbindung des aitiologischen Gedichts mit der Siegesthematik und der damit verbundenen Friedensassoziation (s.o.) gegenüber dem negativen Charakter der elegischen Gedichte passt zum aitiologisch geprägten Dichtungsprogramm des vierten Buches. Der Stadt Rom für die Zuteilung von Raum (vicus Tuscus) für die Etrusker zu danken, den späteren Aufstellungsort der Vertumnus-Statue und somit auf poetologischer Ebene die Grundlage der neuen properzischen Dichtung wurde, kann somit gleichzeitig auch als Dank an die Stadt für den neuen, poetischen Stoff, also den neuen, literarischen Raum gedeutet werden. Diese Beobachtung kongruiert mit der Analogie zwischen Architektur und Dichtung bzw. zwischen dem Bild des Baumeisters und des Callimachus Romanus, welches der Dichter Properz bereits im ersten Gedicht des vierten Buches von seinem elegischen Ich etabliert hat (siehe oben; 4,1,55–60 und 65–69). Die Vertumnus-Statue als Siegesdenkmal kann somit unter all den bisher zusammengetragenen Prämissen auf poetologischer Ebene auch als Monument für die neue, aitiologische Dichtung des Properz gesehen werden, die sich gegen die anfänglich elegische Dichtung durchgesetzt hat und mit der sich Properz nun im literarischen Rom ein Denkmal setzt.

5.9 FAZIT: VERTUMNUS IM POETOLOGISCHEN VERGLEICH ZU DEN PRIAPI BEI HORAZ UND TIBULL Unter Berücksichtigung der eingangs gestellten Leitfragen komme ich zu folgenden Ergebnissen: Obwohl das Motiv der sprechenden Statue erneut in eine andere elegische Subgattung übertragen worden ist (aitiologische Gedichtsammlung) und somit eine andere Erzählform vorliegt (erklärend-begründende Erzählung), lassen sich auch hier ähnliche Erzählmechanismen aufweisen, wie in den beiden Priapusgedichten. Auch Prop. 4,2 inszeniert eine Gottheit als Sprecher, hier der ursprünglich etruskische Gott Vertumnus. Auch Vertumnus weist explizite Widersprüche in seinen aitiologisch-etymologischen Ausführungen auf (s.o.), was ihn ebenfalls als unzuverlässigen Erzähler kennzeichnet. Erneut oszilliert die Stimme des Erzählers 209 Vielleicht hängt die unterschiedliche Darstellung von Bürgerkriegsassoziationen mit dem zeitlichen Wandel von der krisenhaften frühaugusteischen Zeit, in welche die thematisierten perusinischen Kriege fallen und unter deren Einfluss somit die Gedichte 1,21 und 1,22 betrachtet werden müssen, zur hochaugusteischen Zeit mit Beginn des Prinzipats 27 v. Chr. sowie der Einläutung des goldenen Zeitalters durch die ludi saeculares 17 v.Chr. und der damit verbundenen pax Augusta zusammen, unter deren Eindruck das vierte Buch verfasst worden sein könnte. Siehe dazu CONTE 1994, 250–252; GALINSKY 1998, 226–229.

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somit zwischen der Stimme des Gottes Vertumnus und des aitiologischen/ elegischen Ichs des Properz. Von allen drei sprechenden Kultbildern wird die poetologische Verwendung des Vertumnus auch gerade in Verbindung mit der Eröffnungselegie 4,1 am deutlichsten markiert. Vertumnus dient demnach als Rollenkonstrukt des Properz und wird damit zum Medium seiner poetischen Kommunikation. Durch die Selbstbezüglichkeit des Sprechers und durch das Phänomen des unzuverlässigen Erzählers eröffnete sich der Dichter die Möglichkeit, eigene poetologische Aussagen zu treffen. Auf diese Weise konnte er dem Vertumnus-Kultbild auch programmatische Funktion zuweisen. Über die Etymologie des Namens und den Standort des Kultbilds, die von aitiologisch-elegischen Ambivalenzen und Transformationsprozessen geprägt sind, sowie aufgrund der schillernden Identität der bereits in 4,1 evozierten Dichterfigur ließen sich Parallelen zum neuen Dichtungsprogramm des vierten Buches nachweisen. Es konnte gezeigt werden, dass Letzteres durch das Gedicht 4,2 komprimiert dargestellt und durch Vertumnus verkörpert wird; sein Kultbild fungiert somit, ähnlich wie die beiden Priapi, als Demonstrationsobjekt der neuen properzischen Dichtung, die als erste erhaltene Sammlung von aitiologischen Gedichten römischen Ursprungs in lateinischer Sprache gelten kann. Doch gegenüber den beiden Texten des Horaz und Tibull ist es in der vorliegenden Elegie vor allem die Intensivierung der intermedialen Bezüge (Elemente von Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Plastizität), die innerhalb des Textes vielfältige Dynamiken erzeugt. Diese kann für die poetologischen Interessen des Dichters fruchtbar gemacht werden. Während bei den beiden Priapi nur jeweils zu Gedichtbeginn intermediale Bezüge im Vordergrund stehen (Hor. sat. 1,8,1–16; Tib. 1,4,1–8), sind sie bei Properz ständig präsent und werden gegen Ende sogar noch forciert. Durch die Manifestation des ambivalenten Kultbildes (Statue und Manifestation des neuen Dichtungsprogamms) in den letzten Versen (V 59–64) bricht auch der Text von Mündlichkeit zur Schriftlichkeit um. In der Manier eines Weihepigramms, das die Inschrift einer Statue imitiert, wird am Gedichtende von der Entwicklung des Kultbildes von einem Holzstamm zu einer Bronze-Statue berichtet. Die semantisch ambivalenten Begriffe stipes acernus und opus verknüpfen dabei das Kunstwerk mit einem literarischen Werk. Dadurch konnte die Annahme untermauert werden, dass durch das Kultbild tatsächlich die Dichtung des vierten Buches verbildlicht wurde und Plastizität erhielt. Diese Parallelisierung von Kultbild und Dichtung hatte zwei Konsequenzen: Zum einen ließ sich der Aspekt der Dauerhaftigkeit, der durch die Figur des Toreuten Mamurius, des Schöpfers der ancile-Kopien, der Garanten der römischen Herrschaft, aufgerufen wurde, auch auf das literarische Werk übertragen. Zum anderen entstand durch die Evokation des Mamurius für Properz die Möglichkeit, sein eigenes literarisches Werk in Form der Vertumnus-Elegie von der Bronzestatue Vertumnus des Mamurius abzugrenzen und der plastischen Statue seine literarische Statue an die Seite zu stellen, um seine Rolle als literarischer Baumeister Roms zu festigen.

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Der epigrammatische Charakter der Schlussverse in Verbindung mit dem thematischen Bezug zu Etrurien stellte eine Verbindung zwischen dem aitiologischen vierten Buch und den Schlussgedichten 1,21 und 1,22 der elegischen Monobiblos her. Die positive Assoziation des aitiologischen Gedichtes mit dem Sieg der Römer über die Sabiner sowie die damit verbundene Landgewinnung der Etrusker (vicus Tuscus) gegenüber den negativen Bürgerkriegsassoziationen der beiden Schlussgedichte unterstreicht damit die neue poetische Orientierung des vierten Buches. Warum kommt nun aber ausgerechnet das Kultbild des Vertumnus in diesem Gedicht zu Wort? Eine wichtige Eigenschaft, die sich der Dichter nicht nur poetologisch, sondern auch intertextuell und für die Evokation unterschiedlicher literarischer Gattungen zunutze macht,210 ist sicherlich die Wandlungsfähigkeit des Gottes, die in der dritten Etymologie mittels antithetisch gegenübergestellter Transformationsmöglichkeiten hervorgehoben wird und zur neuen Dichtung des vierten Buches passt. Da dieser Ableitungsversuch durch die Bezeichnung der beiden anderen Etymologien als mendax fama als eigener markiert und durch keine weitere Quelle bestätigt wird, scheint die Wandelbarkeit zum literarischen Konstrukt des Vertumnus zu gehören. Wie oben bereits angedeutet worden ist, sind die wichtigsten Zeugnisse zu Vertumnus das vorliegende Properz-Gedicht und die Vertumnus-Pomona-Passage aus dem 14. Buch von Ovids Metamorphosen. Der Gott scheint demnach nicht die Prominenz gehabt zu haben, wie sie ihm im vorliegenden Text zugeschrieben wird, weil er unbedeutend war und sein Ursprung größtenteils im Dunkeln lag (vergleiche Kap. 5.6.2); er bietet daher einen Freiraum, der durch Literaten wie Properz gefüllt und für eigene Zwecke funktionalisiert werden kann. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der etruskische Ursprung des Vertumnus: Einerseits verbindet er die Gottheit mit der evozierten Dichterfigur des Properz, deren Geburtsort Umbrien sich in geographischer Nähe zu Etrurien befindet. Andererseits kann eine eigentlich nicht-römische, etruskische Gottheit, die ihren Namen und ihre Identität jedoch von dem lateinischen Verb vertere herzuleiten sucht, die sich zusätzlich mit typisch augusteischen Zügen präsentiert (Ambivalenz von Krieg und Frieden, rusticitas) und in das römische Stadtbild integriert wurde, auch sinnbildlich für die Integration der für die Römer neuartigen, aitiologischen Dichtung in die Römische Liebeselegie verstanden werden. Doch letztlich sind es besonders die intermedialen Bezüge, wie sie in den letzten Versen hergestellt werden, die der Dichter Properz von allen drei Dichtern am meisten ausschöpft und die die literarische Funktionalisierung des VertumnusKultbildes für ihn so attraktiv werden lassen: Dem Dichter ist es durch die verwendeten Elemente von Schriftlichkeit, Mündlichkeit und Plastizität und besonders durch die Analogie von Architektur und Dichtung möglich, sein neues Dichtungsprogramm zu präsentieren und zu demonstrieren. Dabei spielt der Aspekt der Dauerhaftigkeit, der bereits in den Etymologien zu Vertumnus auf der Assoziationsebene angedeutet und schließlich 210 WELCH 2005, 53.

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im Zuge der Manifestation des Kultbildes auf den Höhepunkt getrieben wurde, eine bedeutende Rolle. Dadurch, dass Properz das Vertumnus-Kultbild als Verkörperung seiner neuen poetischen Orientierung nutzte, sollte sich die Dauerhaftigkeit auch auf den Poeten und seine Dichtung übertragen. Somit dient das Vertumnus-Kultbild dem Versuch des Properz, sich mit der neuartigen Kombination aus römischer Aitiologie und römischer Liebeselegie, wie in 4,1 angedeutet, als Callimachus Romanus zu etablieren, sich im übertragenen Sinne damit im literarischen Rom ein Denkmal zu setzen und sich und sein Werk schließlich unsterblich zu machen.

6. ZWISCHENFAZIT: UNTERSCHIEDE ZWISCHEN RELIGIÖSER UND LITERARISCHER KOMMUNIKATION IN HOR. SAT. 1,8, TIB. 1,4 UND PROP. 4,2 Das Grundlagenkapitel (insbesondere Kap. 2.3.4) hatte sich bereits mit den unterschiedlichen Integrationsmöglichkeiten von Kultbildern in die verbale und nonverbale religiöse Kommunikation auseinandergesetzt. Es wurde festgestellt, dass vor allem der mediale Charakter der Kultbilder in der vertikalen Kommunikation zwischen Menschen und Göttern attraktiv war, um auch in der Dichtung als Medium des Poeten in seiner literarischen Kommunikation mit dem Leser instrumentalisiert zu werden. Die Untersuchungen der drei Textstellen des Horaz, Tibull und Properz, in denen Kultbilder zu sprechen beginnen, haben diese These bestätigt. Der synoptische Vergleich der poetologischen Funktionen von Kultbildern wurde im vorangegangenen Kapitel gezogen (vergleiche Kap. 5.9). Die sprechenden Kultbilder der augusteischen Dichtung erfüllten demnach eine ähnliche Funktion in den literarischen Texten wie in der realen Kultpraxis. Analog zu den Göttern, die mittels ihrer Repräsentationen mit den Verehrern in der realen Kultpraxis auf unterschiedliche Art und Weise kommunizieren konnten (vergleiche Kap. 2.3.4), dienten sie den Dichtern im Text als Rollenkonstrukt ihres satirischen oder elegischen Ichs, ermöglichten ihm metapoetische Aussagen zu treffen und das Dichtungsprogramm zu demonstrieren. Jedoch konnte bei der Textanalyse auch festgestellt werden, dass die Dichter im Unterschied zum Kult andere Wege der Kommunikation nutzten. So folgten sie bei der Instrumentalisierung der Kultbilder nicht unbedingt der rituellen Praxis religiöser Kommunikation, sondern primär literarischen Konventionen. Dadurch entstanden mitunter deutliche Verschiebungen zur realen Kultkommunikation, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden sollen: In der Kultpraxis wurden Kultbilder auf verbaler Ebene vor allem als Verstärker der Kommunikation des Verehrers mit der Gottheit genutzt. Dabei ging die Initiative von dem Verehrer aus, der mittels eines Gebets versuchte, sein Begehren erfolgreich zu übermitteln und somit die Gottheit und deren Wirken zu aktivieren (siehe Kap. 2.3.4). Auf der literarischen Ebene fand die Kommunikation mit Kultbildern dagegen oft auf umgekehrtem Wege statt. Die Kommunikation musste nicht unbedingt von einem Verehrer bzw. einem imaginären Dialogpartner ausgehen, der die Initiative des Gesprächs ergreift und die Aussagen des Kultbildes durch seine Fragen vorantreibt und lenkt, sondern konnte auch von den Kultbildern selbst ausgehen, die sich mit ihren Ausführungen an ein fingiertes Gegenüber richteten und sich so auf unterschiedliche Weise ins Zentrum des Interesses zu stellen suchten. Eine solche „Egozentrik“ steht zwar der realen Kultpraxis entgegen, passt dafür aber besonders gut zu der Vermutung von MÄNNLEIN-ROBERT,

198 6 Zwischenfazit: Unterschiede zwischen religiöser und literarischer Kommunikation dass durch selbstbeschreibende Elemente auch dichtungstheoretische oder poetologische Fragen tangiert werden könnten (Kap. 2.2.1). Für ihre genuin literarische Form der Kommunikation nutzten die Dichter epigrammatische Traditionen wie die des Grab- und Weihepigramms. Die dort fingierte Kommunikationssituation lässt die Übertragung auf den Kontext sprechender Kultbilder attraktiv erscheinen: Ein imaginärer Passant wird von einem Monument am Wegesrand, unter freiem Himmel und/oder an stark frequentierten Plätzen angesprochen und damit zum Adressaten gemacht. Die dadurch imaginierte Dialogsituation animiert das Kultbild zum Sprechen. Die epigrammatische Tradition (ein lebloses Objekt wird durch Aufschrift zum Sprechen gebracht) begründet die Intermedialität und Selbstbezüglichkeit der sprechenden Kultbilder, die die poetologische Qualität in besonderem Maße hervorhebt (siehe Kap. 2.2.2). Im Kontext der epigrammatischen Tradition konnten die sprechenden Kultbilder auch durch die Frage eines imaginierten Dialogpartners aktiviert werden, die entweder in den Texten direkt oder indirekt wiedergegeben wurde (siehe Kap. 2.2.2). Hinsichtlich einer solchen Kommunikationsaktivierung lassen sich die drei Texte auf einer Skala anordnen: Das sprechende Kultbild der Horaz-Satire steht am deutlichsten in der epigrammatischen Tradition: Priapus beginnt dort in einer monologischen Erzählung unvermittelt und ohne erkennbare Aktivierung durch einen Verehrer von sich, seinem Standort und seinem Erlebnis mit den Hexen Canidia und Sagana zu sprechen. Bei Properz ist zumindest eine non-verbale Kommunikationsaktivierung des Kultbildes erkennbar: Der Monolog des Vertumnus wird durch die bloße Bewunderung eines imaginären, unbekannten Passanten motiviert, der sich fragt, warum der Gott sich trotz eines Körpers in so viele Formen verwandeln könne. Daraufhin gibt der Gott in einem langen Vortrag seine Antwort. Der Priapus bei Tibull hingegen wird als einziger von allen drei Kultbildern verbal zum Sprechen animiert. In dieser Elegie wird zuerst ein Dialog zwischen dem elegischen Ich und Priapus fingiert, der der Struktur eines Gelübdes aus dem rituellen Kontext sehr ähnelt: So verspricht das elegische Ich dem Fruchtbarkeitsgott ein Schutzdach, wenn er im Gegenzug dafür seine Technik erfährt, schöne Knaben für sich zu gewinnen (V 1– 6). Allerdings lässt die Dominanz des darauf folgenden priapeischen Vortrages (V 9–72) die zu Beginn gestellte Frage und das Gegenüber als Gesprächspartner in den Hintergrund geraten. Das Referat wird somit ganz klar in den Fokus gerückt. Die Möglichkeiten, Kultbilder in non-verbale Kommunikation einzubinden, waren auf Ebene der rituellen Kultpraxis vielfältig (z.B. das Spenden von Gaben an das Kultbild; vergleiche Kap. 2.3.4). Auf literarischer Ebene fand die Darstellung solcher Kommunikationsformen in unterschiedlichem Ausmaß statt: In Hor. sat. 1,8 wird Priapus durch die beiden Hexen Canidia und Sagana aufgrund seiner Funktion als Fruchtbarkeitsspender in magische Liebesrituale eingebunden, die in der Antike als radikale Inversion der ‚normalen‘ religiösen Rituale verstanden wurden. Jedoch hat der Gott trotz seiner vermeintlichen sexuellen Potenz keinen aktiven Anteil an den magischen Ritualen. Seine Passivität und seine Beobachterrolle unterstützen eher die Machtlosigkeit des Gottes, die in der ganzen Satire ausgespielt wird. Horaz lässt Priapus die schaurigen Handlungen der Hexen als

6 Zwischenfazit: Unterschiede zwischen religiöser und literarischer Kommunikation

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Zuschauer beschreiben und setzt mit dem Furz auf einen narrativen Höhepunkt, in dem sich die Pointe des Gedichts letztlich entfaltet (siehe Kap. 3.4.4 und 3.4.5). In Tib. 1,4 verspricht zwar das elegische Ich dem Priapus eine Gabe (votum: Schutz des Kultbildes gegen Wettereinflüsse), damit er seinem Wunsch nachkommt (sic umbrosa tibi contingant tecta, Priapi, V 1). Jedoch gerät dieses Versprechen durch den anschließenden Monolog des Fruchtbarkeitsgottes in Vergessenheit. Der Leser erfährt in dieser Elegie nichts über dessen Erfüllung (siehe Kap. 4.4). Die kultische Kommunikationssituation hat somit nur als Initiator des Priapus-Vortrages zum Thema „Knabenliebe“ fungiert, wird aber nicht über das gesamte Gedicht aufrecht erhalten. Das Kultbild des Vertumnus in Prop. 4,2 hingegen ist am meisten in eine nonverbale Kultpraxis eingebunden (siehe Kap. 5.6.3). Der Dichter verortet es im Kontext vor allem seiner zweiten Etymologie (V 11–18) in einem unblutigen Opferritus, innerhalb dessen dem Gott Erstlingsfrüchte wie Trauben, Kornähren, Kirschen, Pflaumen und Brombeeren sowie Obstkränze gespendet werden. In Verbindung mit der dritten Etymologie (V 21–56) schreibt der Dichter dem BronzeKultbild des Vertumnus eine Vielzahl von Transformationsmöglichkeiten zu, über deren Form der Verehrer entscheiden soll und auch dazu aufgefordert wird: in quacumque voles verte, decorus ero (V 22). Durch das Anlegen eines charakteristischen Attributs könne das Gegenüber bestimmen, welche Form Vertumnus annehmen solle. Da es gerade für letztere Handlung bis auf Properz keine weiteren Zeugnisse gibt, ist es fraglich, ob es einen solchen Ritus tatsächlich gegeben hat oder ob die suggerierte Wandelfähigkeit des Vertumnus nur dem Dichtungsprogramm des vierten Properz-Buches unterworfen worden ist. Damit wäre es lediglich literarisches Konstrukt. Anhand dieser wenigen Beispiele ist deutlich geworden, dass sich die literarischen Kommunikationssituationen, in denen die augusteischen Dichter ihre Kultbilder integrieren, von denen der realen, rituellen Kultpraxis unterscheiden, aber dass andererseits auch Reflexe auf reale Kultpraktiken platziert werden (Magie, votum, Opfer). In diesem Zusammenhang ließe sich auch vermuten, dass die Tatsache, dass alle drei sprechenden Kultbilder als unzuverlässige Erzähler enttarnt werden konnten, die Unsicherheit im Kontext der realen Kultpraxis über den Kommunikationserfolg zwischen Mensch und Gott sowie die Deutungsoffenheit der an der Statue visualisierten Signale (z.B. Schwitzen, Weinen etc.; vergleiche Kap. 2.3.4) in den Gedichten reflektiert.1 Die Texte, in denen Kultbilder als Kommunikationsmedium eingesetzt werden, sind demnach automatisch von einer ständig präsenten Dualität von religiöser und literarischer Kommunikation geprägt. Gleichzeitig ist festzustellen, dass die Texte mit der religiösen Vorstellung spielen, dass die Gottheit nach Initiierung der Kommunikation temporär in ihrem Kultbild Platz nimmt und es belebt, sodass es zu einer kurzzeitigen Identität von Kultbild und Gottheit kommt (siehe Kap. 2.3.4). Die Ambivalenz, die dadurch 1

Siehe zur schnell scheiternden verbalen Kommunikation zwischen Menschen und Göttern SCHEER 2001, 37f.; SCHEID 2003, 98f. Vergleiche auch RÜPKE 2001 a, passim.

200 6 Zwischenfazit: Unterschiede zwischen religiöser und literarischer Kommunikation entsteht, wird in den Texten durch Spannungen zwischen dem Objekt Kultbild und der belebten Gottheit evident. Wenn der Gott mittels seines Kultbildes in der Dichtung kommuniziert, setzt dieses zunächst mediale Grenzen (Festlegung des Sprechers auf eine bestimmte Repräsentationsform). Über diese Grenzen können sich die Dichter jedoch in ihren Texten hinwegsetzen. Denn sie haben im Gegensatz zu Künstlern oder Bildhauern die Möglichkeit, das Changieren zwischen einem haptischen Kultbild, das in seiner Darstellungsform fixiert ist, und einem belebten Gott, der sein Kultbild temporär beseelt, aber per se mehrere Aspekte und Darstellungsformen in sich vereint und damit die medialen Grenzen des Bildes sprengen kann, abzubilden und die dadurch entstehenden Spannungen literarisch fruchtbar zu machen. So suggeriert Hor. sat. 1,8 eine Kommunikationssituation, in der ein beschädigter Priapus seinem Gegenüber berichtet, wie es zu seiner Fraktur gekommen sei. Zu Beginn des Textes lässt sich jedoch nichts von einer Beschädigung des Priapus erahnen. Während der Text also die Möglichkeit besitzt, eine erzählerische Dynamik zu entwickeln, Lücken zu lassen und langsam auf die Pointe zuzuarbeiten, ist dies dem Medium Kultbild, dessen Darstellungsform festgelegt und dessen Rezeption weniger leicht zu steuern ist, nicht oder allenfalls bedingt möglich. Horaz und Tibull instrumentalisieren darüber hinaus die Ambiguität des Gottes Priapus für ihre literarischen Zwecke. In beiden Texten stellt die Ignorierung des priapeischen Phallus den prägendsten Gegensatz von Kultbild und Gottheit dar. Das Glied war entscheidendes Charakteristikum der priapeischen Ikonographie, hatte Schutzfunktion, symbolisierte Fruchtbarkeit und diente als Mittel der Bestrafung. Beide Texte suggerieren eine Potenz des Priapus (Hor. sat. 1,8,3f.: furum aviumque / maxima formido;Tib. 1,4,3: Quae tua formosos cepit sollertia?), die innerhalb des Gedichtes ins Gegenteil verkehrt wird. So findet bei Horaz die Rache des Priapus an den beiden Hexen trotz eines vorhandenen Phallus nicht durch diesen, sondern auf umgekehrten, analem Wege statt. Sein Furz vertreibt die Hexen und führt zugleich zur Demaskierung aller Protagonisten (siehe Kap. 3.4.5). Bei Tibull findet das Glied des Priapus nicht einmal Erwähnung. Dies ist ein früher Indikator für die Erfolglosigkeit der Liebesratschläge zum Thema Knabenliebe (siehe Kap. 4.4 und 4.6). Während das Kultbild in der Darstellung der Ambiguität des Priapus begrenzt ist,2 hat der Text die Möglichkeit, das Schillern des Priapus zwischen Potenz und Impotenz zum Ausdruck zu bringen. Bei Properz steht die propagierte Wandelbarkeit des Gottes in Kontrast zu der Begrenztheit des Kultbildes (siehe Kap. 5.6.4).Vertumnus täuscht damit innerhalb der dritten Etymologie ein hohes Maß an Beweglichkeit und Verwandlungsgabe vor (vergleiche V 23 und besonders V 26 und 39), die ein bronzenes Kultbild (V

2

Es gibt plastische Priapus-Darstellungen, die den Gott gleichzeitig mit erigiertem Glied und Frauenkleidern abbilden, und somit seine Bipolariät zum Ausdruck bringen. Die Darstellung des Schillerns zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit ist dabei nicht möglich. Siehe Kap. 3.5.

6 Zwischenfazit: Unterschiede zwischen religiöser und literarischer Kommunikation

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59–64) faktisch niemals umsetzen könnte. Der Gegensatz zwischen Gott und Kultbild wird hier besonders evident. Die Textbeispiele haben neben der Verflechtung von Religion und Literatur folgendes gezeigt: Die Kommunikationssituationen, in denen Götter mittels ihres Kultbildes zu sprechen beginnen, sind vom Schillern des Sprechers zwischen Gott und Kultbild geprägt, das im ambivalenten Konzept ‚Kultbild‘ begründet liegt. Dadurch entstehen Spannungen und Inkongruenzen, die der Dichter für seine literarischen Zwecke fruchtbar machen kann. Mit Hor. sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 liegen uns die einzigen Texte der augusteischen Literatur vor, in denen Götter wie Priapus oder Vertumnus mittels ihres Kultbildes verbal kommunizieren. Sie beanspruchen damit einen Sonderstatus in der Dichtung dieser Zeit. Es gibt jedoch in der augusteischen Dichtung eine Vielzahl von Texten, man denke z.B. nur an Ovids Fasti oder Vergils Aeneis, in denen Götter nicht durch ihr Kultbild sprechen, sondern als göttliche Figuren auf anderen Wegen in Kommunikationssituationen eingebunden werden. Aus diesen Zeugnissen sollen im Folgenden exemplarisch aus Ovids Fasti und den Elegien des Properz fünf Textstellen herausgegriffen und den beiden Priapi und Vertumnus gegenübergestellt werden. Auf diese Weise soll die Besonderheit des Kultbildes als Medium der Kommunikation in der augusteischen Dichtung präzisiert werden.

7. KOMMUNIKATION MIT GÖTTERN AUF ANDEREN WEGEN 7.1 EINFÜHRUNG Dass Götter mittels ihres Kultbildes verbal kommunizieren, ist keinesfalls die Regel in der lateinischen Literatur, sondern, wie wir an dem kleinen Korpus solcher Texte gesehen haben, die Ausnahme. In den meisten anderen Texten, man denke beispielsweise nur an Ovids Fasti, an Vergils Aeneis oder an den Großteil der properzischen Elegien, treten hingegen häufig Gottheiten auf, die in anderer Form verbal mit den Menschen in Kontakt treten. Diese werden in unterschiedlichen Kommunikationssituationen, meist in Gestalt eines handelnden, sich bewegenden Subjektes, dessen Gestalt menschenähnlich, aber mit den für die jeweilige Gottheit spezifischen Attributen versehen ist, präsentiert: z. B. als Redner im Kontext von Götterdialogen,1 als mythologische Figuren zur Exemplifizierung,2 als Handlungsträger im narrativen Kontext,3 als Adressaten in Hymnen/Gebetsstrukturen4 oder als Etymologie- und Kultexperten für Monatsnamen.5 Aber es ist nicht nur die Kommunikationssituation, die die bislang behandelten Texte von anderen augusteischen unterscheidet, sondern auch die Wahl der Sprecher. Sind es in jenen eher die unbedeutenderen Götter, deren Statuen zu sprechen beginnen, werden die Kultbilder von Gottheiten, die im Unterschied zu den beiden Priapi und Vertumnus der „ersten Garde“ des römischen Pantheons angehören, an keiner Stelle der augusteischen Literatur zum Sprechen gebracht. Während solch hochrangige Götter selbst als agierende Subjekte im Text fungieren, wird ihr bildliches Repräsentationsobjekt auf andere Weise in Kommunikationssituationen eingebunden. So werden ihre Kultbilder von den Autoren auf nonverbaler Kommunikationsebene in den Text integriert und literarisch funktionalisiert, indem sie, wie noch gezeigt wird, z.B. in die Beschreibung ritueller Handlungen oder Ekphraseis eingebunden werden. Unterscheiden sich die Kommunikationssituationen, in denen prominente Gottheiten auftreten, grundsätzlich von denen der sprechenden Kultbilder oder lassen sich Schnittmengen zu diesen feststellen? 1 2

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So z.B. der Dialog zwischen Iuppiter und Venus in Verg. Aen. 1,223–304. So z.B. in Ov. am. 1,7–12. Dort überführt das elegische Ich gegensätzliche Gottheiten wie Venus und Minerva in den Zuständigkeitsbereich der jeweilig anderen Göttin, um seiner recusatio Gewicht zu verleihen. So z.B. Venus, die ihrem Sohn Aeneas erstmalig in Verkleidung gegenübertritt (Verg. Aen. 1,305–417) oder Diana, die Aktaeon in einen Hirsch verwandelt, weil er ihr beim Baden zugeschaut hat (Ov. met. 3,138–252. So z.B. die hymnenähnliche Partie auf Venus in Ov. fast. 4,91–132 nach dem Vorbild des Hymnus auf Venus Genetrix in Lucr. 1,1–43. So z.B. Venus als Inspirationsgottheit für den Monat April in Ov. fast. 4,1–18.

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203

Um diese Frage zu beantworten, sollen im Folgenden Textbeispiele untersucht werden, in denen die Gottheiten Mars, Venus und Apollo auftreten. Diese Göttertrias zeichnete sich besonders in augusteischer Zeit durch zwei Gemeinsamkeiten aus: Einerseits wurden alle drei durch den princeps auf politischer Ebene in hohem Maße zu Propagandazwecken und zur Schaffung einer neuen Staatsgenealogie und -ideologie genutzt. In diesem Kontext wurden ihre materiellen Kultbilder in neuen Tempeln auf dem Augustus-Forum (Mars Ultor, Venus Genetrix), dem Palatin (Apollo Palatinus) und auf dem Caesar-Forum (Venus Genetrix) aufgestellt. Andererseits wurden sie aber auch von zeitgenössischen Dichtern wie Ovid und Properz auf unterschiedliche Weise in die jeweilige Dichtung integriert und dort funktionalisiert. Aus dieser Dualität ergeben sich komplexe Kommunikationssituationen in unterschiedlichen literarischen Gattungen, die die Untersuchung der obigen Frage auf besonders fruchtbaren Boden fallen lassen. Im folgenden Kapitel sollen daher exemplarisch die Textstellen Ov. fast. 3,1– 252 (Mars), 5,545–598 (Mars Ultor), 4,1–162 (Venus), Prop. 2,31 und 4,6 (Apollo Palatinus) in den Blick genommen werden. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie einerseits wie Hor.sat. 1,8, Tib. 1,4 und Prop. 4,2 als Eingangsgedichte oder aufgrund ihrer Mittelstellung im Werk programmatische Funktion übernehmen (Ov. fast. 3,1–252; 4,1–162 und Prop. 4,6) und anderseits als architectural ecphraseis augusteischer Tempelanlagen mit engem Bezug zu deren Kultstatuen in ähnlicher Weise wie die sprechenden Kultbilder den Bezug zu Dichtung und Kunstwerk evozieren (Ov. fast. 5, 545–598 und Prop. 2,31). Alle fünf Texte weisen demnach das Potential auf, Götter nicht nur als einfache Handlungsträger auftreten zu lassen, sondern sie auch auf poetologischer Ebene zu funktionalisieren. Daher sollen die Passagen nach folgenden Kriterien untersucht werden: 1) Medialität Wie wird der jeweilige Gott oder dessen Kultbild im Text vom Autor präsentiert? Lassen sich in der Beschreibung der lebendig imaginierten Götterfiguren Reflexe ihrer nachweislichen Kultbilder (-typen) erkennen? Welche Parallelen und Unterschiede lassen sich dabei feststellen? 2) Kommunikation Welche Kommunikationsformen von und mit Göttern sind in den Texten greifbar? Wie wird die Kommunikation mit den jeweiligen Gottheiten aktiviert/initiiert? Welche Rolle spielen der Aufstellungsort und die Zugänglichkeit von Kultbildern sowie der Auftrittsort lebendiger Götter in Kommunikationssituationen? 3) Literarisierung/Funktionalisierung Welche Funktion erfüllen die unterschiedlichen Kommunikationssituationen mit den Gottheiten im jeweiligen literarischen Kontext? Welchen Grund könnte es haben, dass Kultbilder von Göttern, die stark in die Politik des Augustus eingebunden waren, in den Texten der augusteischen Literaten zwar evoziert und beschrieben, aber im Gegensatz zu den Priapi- und Vertumnus-Kultbildern als nicht sprechend vorgestellt werden?

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Es soll an dieser Stelle angemerkt sein, dass nicht jedes im Folgenden analysierte Textbeispiel eine vollständige Beantwortung all dieser Fragen liefern kann. Vielmehr soll sich eine solche aus dem synoptischen Vergleich der in diesem Kapitel ermittelten Ergebnisse mit denen zu den sprechenden Kultbildern ergeben.

7.2 MARS UND VENUS IN OVIDS FASTI Als erstes sollen Textstellen aus Ovids Fasti6 exemplarisch näher betrachtet werden – ein Werk, das aufgrund seiner Programmatik für eine solche Untersuchung prädestiniert ist. Bereits im ersten Distichon offenbart der Dichter dem Leser sein poetisches Vorhaben: tempora cum causis Latium digesta per annum / lapsaque sub terras ortaque signa canam (Ov. fast. 1,1f.). Der Dichter Ovid möchte also die Zeiten (tempora – darunter sind wohl Festtage, Kulte und Rituale zu verstehen) mit ihren Ursprüngen (causis) und Himmelszeichen/ Sternen (signa) besingen (canam). Dies erreicht er, indem er sich die Festtage des zeitgenössischen römischen Kalenders in chronologischer Reihenfolge zum Thema macht, ihre Ursprünge und Abläufe schildert und sich der mythischen Aitiologie der im Laufe eines Jahres zu sehenden Sternzeichen widmet. Somit lassen sich die Fasti als aitiologisches Lehrgedicht im elegischen Distichon7 nach der Vorlage des römi6

7

Von den Fasti des Ovid sind uns heute lediglich die ersten sechs (Januar bis Juni) von anfänglich geplanten zwölf Büchern erhalten (insgesamt 4972 Verse; die ursprüngliche Konzeption von zwölf Büchern skizziert der Dichter in Ov. trist. 2,549–552). Es gibt in diesen erhaltenen Fasti lediglich drei Hinweise auf weitere Bücher (Ov. fast. 3,57f.; 199f.; 5,145–148). Ansonsten ist von der zweiten Werkhälfte nichts überliefert. Siehe MILLER 2002, 167; WULFRAM 2008, 214–217. Die Fasti waren 8 n. Chr. – zum Zeitpunkt der Verbannung (relegatio) des Ovid – noch nicht abgeschlossen. Siehe FANTHAM 1998, 1–4; SCHMITZER 2001, 141–144; BOYLE 2003, 1; GREEN 2004, 15–25; HOLZBERG 2005, 46; WULFRAM 2008, 216. Werke ähnlichen Inhalts hatte es bereits vor Ovid mit Hesiods „Tage und Werke“ und später v.a. zu hellenistischer Zeit von alexandrinischen Poeten gegeben: Simias von Rhodos verfasste ein elegisches Werk namens „Monate“ um 300 v. Chr., in dem es um Monate und die Ursprünge ihrer Namen geht. Zudem schrieb Eratosthenes „Katasterismoi“, Aratus „Phaenomena“ und nicht zuletzt Kallimachos von Kyrene (305–240 v. Chr.) aus Alexandria die „Aitia“ (aitiologische Legenden, verbunden mit griechischer Geschichte, Gebräuchen und Riten). Ebenso erwähnenswert ist auf römischer Seite das Werk des M. Terentius Varro Antiquitates rerum humanorum et divinarum libri XXXXI, das 47/46 v. Chr. erschienen ist und eine Abhandlung über Stätten, Gebäude, Kultobjekte etc. ist, jedoch auch Priesterkollegien, Kultstätten, Feste und Rituale behandelt. Ohne diese Schrift wäre das augusteische Restaurationsprogramm nicht möglich gewesen. Siehe dazu CARDAUNS 1976, 125–133; P. ZANKER 1990, 108–110; SALLMANN 2002, 1131f. Verrius Flaccus ließ seinerseits zwischen 6–9 n.Chr., also fast zeitgleich zu dem Erscheinen von Ovids Fasti, einen Marmorkalender in Praeneste aufstellen, der als Homage für Augustus gedacht war. Siehe dazu HERBERT-BROWN 1994, 8; 26; RÜPKE 1995, 114–123; MILLER 2002, 174. Zwar sind von Verrius Flaccus, dem Grammatiker und Lehrer der Enkel des Augustus, keine eigenen Werke erhalten. Jedoch ist laut RÜPKE anzunehmen, dass die Fasti Praenestini ein Auszug aus dem nicht mehr erhaltenen Werk De fastis oder De anno Romanorum des Flaccus sind, sodass dieser zumindest an der Redaktion einer ersten Textvorlage beteiligt gewesen sein dürfte. Siehe BÖMER 1957, 22f.; RÜPKE 1995, 122f.; RÜPKE 2006 b, 117f.; 153. Vergleiche auch Suet. gramm. 17.

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schen Kalenders beschreiben. Strukturell ist das Werk demnach so angelegt, dass jedes Buch sich mit einem Monat befasst, wobei diese in die einzelnen Tage des offiziellen Kalenders8 aufgeteilt und zusätzlich von Sequenzen durchzogen werden, die sich mit den mythologischen Aitiologien von Sternbildern befassen. Die Passagen in den Fasti, die sich für oben genannte Fragestellung ergiebig erweisen können, sind solche, in denen Götter vom Erzähler als Experten bzw. Informanten herangezogen werden, um Erklärungen zu Monatsnamen, die mit den Gottheiten selbst in enger Verbindung stehen, oder zu der Entstehung ihnen gewidmeter Festtage mit den daran geknüpften Kultriten zu geben (ähnlich wie Vertumnus in Prop. 4,2). Die eloquenten Ausführungen der Götter dienen dem Kalendererklärer dazu, seine vorgeblich mangelnde Fachkompetenz auszugleichen, und dem Dichter dazu, dem Inhalt seiner Dichtung ein Höchstmaß an Autorität zu verleihen.9 Andererseits sind auch solche Partien einschlägig, in denen Götter als handelnde Figuren in einem bestimmten topographischen (z.B. ihrem Heiligtum) oder ihnen geweihten rituellen Kontext auftreten, der sie in Kombination mit der Beschreibung ihres Äußeren assoziativ in die Nähe ihrer Kultbilder rückt. Als erstes sollen Textstellen untersucht werden, in denen die Gottheiten Mars und Venus auftreten. Beide erweisen sich als erstrangige Kandidaten für eine solche Untersuchung: Sie sind a) auf politischer Ebene sehr eng mit der augusteischen Ideologie verknüpft sind und b) wird diese auf literarischer Ebene auch in den Fasti vor allem durch die Nebeneinanderstellung als Monatsgötter der Bücher 3 und 4 abgebildet. Eine Paarung, die der Dichter der Fasti für seine poetologischen Zwecke, wie noch gezeigt werden soll, ausnutzte und daher durchaus gewollt war.

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HERBERT-BROWN 1994, 2. Im Laufe der Fasti scheint die Unsicherheit des Aitiologen immer weiter zuzunehmen, was daran erkennbar ist, dass die Zahl der sachverständigen Götter oder auch Menschen, die er während seiner Erklärungen befragt oder die ihn von sich aus unterweisen, zum Ende der Fasti deutlich wächst. Während der Erzähler in Buch 1 nur drei Informanten benötigt (Ov. fast. 1,89–288 (Ianus); 1,465–468 (Carmentis); 1,657–664 (Muse)), in Buch 2 nur zweimal eine mündliche Quelle nennt (Ov. fast. 2,269 (Musen); 2,584 (per senes)), in Buch 3 wiederum drei Experten nennt (Ov. fast. 3,167–258 (Mars); 3,259–392 (Nymphe der Diana); 3,697–710 (Vesta)), sind es in Buch 4 schon sieben (Ov. fast. 4,195–372 (Erato); 4,377–384 (senior); 4,687–712 (hospes); 4,807–862 (Quirinus); 4,905–942 (Flamen des Quirinus)), ebenso viele in Buch 5 (Ov. fast. 5,1–110 (Polyhymnia, Urania, Kalliope); 5,183–378 (Flora); 5,447–492 (Merkur); 5,635–662 (Tiber); 5,697–720 (Merkur)) und in Buch 6 sogar zehn (Ov. fast. 6,1–100 (Juno, Gattin des Herkules, Concordia); 6,213–218 (Sancus); 6,225–234 (Gattin des Flamen Dialis); 6,249 (Vesta); 6,399–416 (anus); 6, 481–484 (Bacchus); 6,651–710 (Minerva); 6,799–812 (Musen)). Siehe dazu HOLZBERG 2005, 173–178. Ein zweites Indiz für die steigende Unsicherheit ist die Tatsache, dass der aitiologische Erzähler vor der Entscheidung für eine der gelieferten Alternativerklärungen für die Monatsnamen Mai und Juni kapituliert und sich ihr entzieht. Vergleiche dazu Ov. fast. 5,108–110 und 6,97–100. Siehe zur aitiologischen Mehrfacherklärung als dominantes Erklärungsprinzip in Ovids Fasti speziell für die Proömien der Bücher 5 und 6 LOEHR 1996, 214–359. Siehe auch eine Übersicht aller Mehrfacherklärungen in den Fasti bei LOEHR 1996, 359–365.

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7.2.1 Mars Ein gutes Beispiel für die fastentypische Kommunikation mit Göttern bietet Mars, der seinerseits in Ov. fast. 3,1–8 als „Monatsgottheit“ besungen, in 3,167–258 als aitiologischer Experte für die Matronalia herangezogen wird und schließlich in 5,545–598 seinen neu eingeweihten Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustus-Forum besucht. Diese Passagen sollen im Folgenden exemplarisch herausgegriffen und nach oben genannten Kategorien untersucht werden.

7.2.1.1 Die politische Funktionalisierung des Mars in augusteischer Zeit Gleich zu Beginn des dritten Buches wird der Gott Mars eingeführt, der in klassischer Zeit als der Gott des Krieges galt.10 Für die religiöse Aufwertung des Mars zur Zeit des Augustus sind vor allem zwei Gründe erwähnenswert:11 Zunächst wäre die caesarische Kalenderreform zu nennen,12 durch die sich die systematische Einteilung der mit den sieben Planetengöttern verbundenen Wochentage allgemein etablierte. Auch Mars gehörte zu solchen Göttern und wurde daher häufig, vor allem auch in den römischen Provinzen, als solcher Wochengott dargestellt.13 Den zweiten Grund für das neu gewonnene Ansehen des Mars zur Zeit des princeps Augustus bildet das Gelöbnis (42 v. Chr.) und die Errichtung des MarsUltor-Tempels (2 v. Chr.) auf dem Augustus-Forum, das zum Repräsentationszentrum des neuen Staates unter Kaiser Augustus werden sollte.14

7.2.1.2 Die Invokation des Mars inermis (Ov. fast. 3,1–234) Das Proöm des dritten Buches beginnt mit der Anrufung des Mars durch den aitiologischen Erzähler und leitete damit eine besondere Kommunikationssituation ein: Die Invokation gleicht einem Musenanruf und weist Elemente des Gebets auf.15 Die Struktur vieler literarisch überlieferter Gebete im antiken Griechenland 10 11 12 13

RADKE 1979, 203; SIMON 1984 a, 505f. SIMON 1984 a, 506f.; SIMON 1990, 142–144. Siehe zur Caesars Kalenderreform RÜPKE 1995, 369–391; WOLKENHAUER 2011, 208–237. In der Gestalt eines Planetengottes findet er sich hingegen mit flatterndem Mantel als Nimbus im Panzerrelief der Statue in Caesarea (Cherchel) in Nordafrika. Darauf ist er als bärtiger Mars dargestellt, wie er auch aus den Nachbildungen der Kultstatue des Mars-Ultor-Tempels bekannt ist.Siehe Abb. 179 in SIMON 1990, 142. 14 Siehe dazu genauer Kap. 7.2.1.3. Bereits in der Schlacht gegen die Caesarmörder bei Philippi (42 v. Chr.) hatte Octavian einen Tempel für Mars Ultor gelobt, der allerdings erst 2 v. Chr. eingeweiht werden konnte. Inzwischen hatte Mars zum zweiten Male als Rächer gegen die Parther fungiert. Die wiedergewonnenen Feldzeichen wurden deshalb in der Cella dieses neuen Tempels ausgestellt. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 198. 15 Mit dem Musenanruf liegt eine Sonderform des Gebets, eine Anrufung/invocatio vor, allerdings ohne, wie es im Gebets- oder Hymnenstil üblich ist, auf frühere Leistungen hinzuwei-

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und Rom war anders als die zumeist zweigliedrigen „echten“ Gebete im Kult in den meisten Fällen dreiteilig.16 Im ersten Teil (invocatio) soll die Aufmerksamkeit des Gottes erregt („Höre mich“) oder die Gottheit herbeigerufen werden (lat. ades). Dabei werden oft in Form von Relativsätzen oder Partizipien Epiklesen oder Charakteristika der Gottheit angeführt. In einem zweiten Teil (pars epica) rechtfertigt der Beter seinen Anspruch auf Erhörung durch die Aufzählung früherer Opfer, Riten oder vergangener erfolgreicher Gebetskommunikation. Im dritten Teil (preces) wird abschließend die eigentliche Bitte formuliert.17 Die vorliegende Einleitung weist in ähnlicher Form eine Dreiteilung auf: In dem ersten Distichon erfolgt die invocatio (V 1f.): Eingeleitet durch die Anrede bellice als erstes Wort des dritten Buches wird der in V 2 dann namentlich erwähnte Mars sogleich als kriegerisch gekennzeichnet und mittels der typischen Gebetsformel ades (V 2) herbeigerufen.18 Parallel dazu folgt die Aufforderung durch den Erzähler, die typischen Attribute, die mit der Mars-Ikonographie in Verbindung stehen und für ihn seit dem 4. Jh. v. Chr. bis in die Spätantike bezeichnend sind, abzulegen: Schild (clipeo, V 1), Lanze (hasta, V 1) und Helm (casside, V 2). Handfeste, archäologisch nachweisbare, ikonographische Reflexe lassen sich somit hier konstatieren. Dass mit dieser Beschreibung auf eine konkrete Mars-Darstellung bzw. auf ein konkretes Mars-Kultbild angespielt werden soll, lässt sich hingegen nicht bestätigen. Für eine genaue Zuschreibung ist die literarische Darstellung zu stereotyp.19 Vielmehr dient die Aufzählung der Rüstungsgegenstände der Untermauerung der Mars-Bezeichnung als bellice.

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sen oder eine Gegengabe zu versprechen. Siehe SCHMITZER 2000, 514. Auch BÖMER 1958, 141 hat auf die Parallele des Proöms zur Gebetsstruktur hingewiesen. So ist bereits das älteste überlieferte Gebet der griechischen Literatur, das Gebet des Chryses in Hom. Il. 1,37–42 an Apollo, auf diese Weise gegliedert. Nach JAKOV und VOUTIRAS kommt das dreiteilige Schema nur in literarisch überlieferten, griechischen Gebeten als Konsequenz ihres rhetorischen Aufbaus vor. Die wenigen bekannten echten, griechischen Kultgebete enthalten hingegen lediglich die Anrufung der Gottheit und die Formulierung des Anliegens. Siehe zum Aufbau des griechischen Gebets JAKOV–VOUTIRAS 2005, 116f. Für das echte, römische Bittgebet sind ebenfalls zwei Teile notwendig: invocatio und die preces. Auch bei den Römern scheint der dreiteilige Aufbau nur in literarisch überlieferten Gebeten vorzukommen, deren preces in unterschiedlichen Varianten (Hinweis auf die Pietät des Beters, Erinnerung an vergangene, göttliche Hilfe usw.) rhetorisch erweitert werden konnte. Siehe dazu GRAF 1998 b, 831; SCHEER 2001, 31; FYNTIKOGLOU 2005, 158–160. Siehe dazu GRAF 1998 b, 831; SCHEER 2001, passim. Siehe dazu FRAZER 1929, 1; BÖMER 1958, 141. Siehe zu Mars auch SIMON 1990, 135–145, GORDON 1999, 946–950, LEY 1999, 950f. Siehe zur Gebetssprache in echten, römischen Gebeten FYNTIKOGLOU 2005, 160–162. Die frühste inschriftlich gesicherte Mars-Darstellung befindet sich auf einer praenestinischen Ciste aus dem späten 4. Jh. v. Chr. und bildet den Gott bereits mit den drei Attributen Helm, Schild und Lanze ab (SIMON 1984 a, 510, Nr. 11). Bis in die Spätantike sind diese Waffen typisch für die Mars-Ikonographie (SIMON 1984 a, 546, Nr. 366), die sich in unterschiedlichen Haupttypen unterscheidet: Typus U (stehend, bärtig, mit (meist korinthischem) Helm, Muskelpanzer (oft verziert) und Beinschienen, Lanze in der erhobenen Rechten; siehe SIMON 1984 a, 516f., Nr. 25–50), Typus P (stehend, unbärtig, nackt, mit (meist korinthischem) Helm, Lanze in der erhobenen Rechten, am linken Arm Schild oder Schwert; siehe SIMON 1984 a,

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In den Versen 3–6 rechtfertigt der aitiologische Erzähler ähnlich der pars epica seinen Anspruch auf Erhörung. Allerdings geschieht dies nicht, indem er auf frühere Opfer, Riten oder vergangene, erfolgreiche Gebetssituationen verweist, sondern er legitimiert die Invokation des Mars damit, dass der Name des Monats März, den er besingen möchte, seinen Namen von dem Kriegsgott habe und Mars daher nun mit dem Dichter in Verbindung stehe und seine Inspiration darstelle (V 3f.). Durch die kriegerische Charakterisierung des Mars zu Beginn des Proöms, der aufgrund dieser Funktion zunächst nicht primär mit Dichtung in Verbindung gebracht wird, sieht der Dichter selbst die Rechtfertigung der invocatio für notwendig an (forsitan ipse roges, quid sit cum Marte poetae, V 3). Er will eigens nacherklären, dass und warum er die richtige Gottheit angerufen hat. Denn dies war für die Erfüllung des Wunsches im Gebet von entscheidender Wichtigkeit.20 Zur Stützung seiner Argumentation führt er Minerva als Exemplum (Palladis exemplo, V 7) auf, die er ebenfalls mit einem ambivalenten Betätigungsfeld auszeichnet – einerseits führt sie wilde Kriege (fera bella, V 5), anderseits hat sie Zeit für schöne Künste (ingenuis artibus, V 6). Dieser Teil des Proöms stellt im Kontext der dichterischen Inspiration zunächst ein leicht irritierendes Moment dar. Eigentlich sind die Musen die erwiesenen Inspirationsgottheiten, die um Beistand für die Bewältigung eines Themas gebeten wurden. Doch konnten auch Götter invoziert werden, die entweder für die Dichtung zuständig sind (wie Apollo) oder zum Inhalt des jeweiligen Gedichtes passen (wie Venus in der Elegie).21 Letzteres trifft auf Mars zu, soll sich der Monatsname März doch von ihm ableiten. Dennoch wird zunächst durch seine Darstellung im ersten Distichon der größtmögliche Gegensatz zwischen seiner Charakterisierung als Krieger und der Dichtung, die er inspirieren soll, generiert. Gesteigert wird dies durch die Aufrufung der Minerva, die sich bereits durch ambivalente Tätigkeitsbereiche wie Krieg auf der einen Seite sowie Handwerk und sogar Musik22 auf der anderen Seite auszeichnet.23 518f., Nr. 51–85), Typus C (stehend, unbärtig, mit (meist korinthischem) Helm, Panzer und Beinschienen, die Lanze haltend, während die andere Hand Schild oder Schwert hält oder sich auf den Schild stützt; SIMON 1984 a, 520, Nr. 90–107) und Typus T (nackt und unbärtig wie P, aber in tänzerischer Haltung mit einer Schärpe um den Körper, tropaeum oder signum tragend; SIMON 1984 a, 521, 118–129). Siehe zur Ikonographie des Mars SIMON 1984 a, passim. Seit der Schlacht von Philippi 42 v. Chr. wurde das Schwert als die Waffe des Rächers am Caesarmord bei der Mars-Darstellung hervorgehoben. Bei der Mars-Ultor-Statue wurde auf dieses Attribut verzichtet und die beiden älteren Waffen (Schild und Lanze) gerieten wieder stärker in den Vordergrund. Zusätzlich zeichnen sich die Mars-Ultor-Statuen durch das Beiwerk und die Verzierungen (z.B. der Greif) an Helm, Panzer und Schild aus, die sich in flavischen Umbildungen und anderen Nachbildungen erhalten haben, durch Beinschienen in Kombination mit Sandalen oder nackten Füßen, einem vollen, lockigen Bart sowie einer langen, schmalen Schärpe aus. Siehe dazu SIMON 1984 a, 553–555. 20 GRAF 1998 b, 831. 21 SCHMITZER 2000, 515. 22 An den Minusculae Quinquartus (13.6.) verehrten die Musiker Minerva (Fest. 134,3–6 L.; Varro ling. 6,17). Ihr Tempel auf dem Aventin war bis in das frühe 2. Jh. v. Chr. Treffpunkt des collegium poetarum (Fest. 446f. L) und ihre Funktion als Kriegerin und Schutzherrin der

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Im letzten Distichon folgen schließlich die preces: Das aitiologische Ich fordert Mars auf, dem Beispiel der Minerva zu folgen und die Lanze abzulegen. Der Kriegsgott soll sich entwaffnen und im übertragenden Sinne der Fasti-Dichtung widmen (V 7f.). Im Vergleich zu den sprechenden Kultbildern, die keiner großen Gesprächsmotivation bedürfen, sondern von sich aus sehr redselig scheinen, geht die Kommunikationsinitiative zu Beginn des dritten Buches eindeutig vom aitiologischen Erzähler der Fasti aus. Dieser übernimmt zunächst selbst einen gehörigen Redeanteil und will die Aufmerksamkeit des Kriegsgottes mittels eines Gebets und der captatio benevolentiae in V 3f. erhaschen. Dabei kontrastiert die anfängliche Skizzierung des kriegerischen Mars durch das erste Wort des dritten Buches (bellice, V 1) und seiner Präsentation in voller Rüstung (V 1f.) mit der geforderten Entwaffnung des Gottes durch den aitiologischen Erzähler am Ende des Proöms (quod inermis agas, V 7f.). Auf diese Weise wird eine Klammer gebildet. Die anfänglich martialische Kennzeichnung des Gottes, der zur Unterstützung der Dichtung über den ihn geweihten Monat herbeigerufen wird, suggeriert zunächst eine andere Lesererwartung. Denn schließlich sollte doch ein Kriegsgott als Experte für Dichtung kriegerischen Inhalts hinzugezogen werden, sodass durch seine Invokation der Bezug zum Epos o.ä. hergestellt wird.24 Verfolgt man dann jedoch den weiteren Verlauf des dritten Buches, wird diese Erwartung enttäuscht. Denn dieses Buch, das geprägt ist von Festtagen und Aitien zur Gründung Roms, handelt mehr von Erotik im Zusammenhang mit dem Kriegsgott,25 denn von Krieg.26

Musiker verband sie mit dem Tubilustrium am 23. 3. (Ov. fast. 3,850). SCULLARD 1985, 209f.; PHILLIPS 2000, 213. 23 Die Verbindung des Mars mit der Minerva ist nicht abwegig: Beide wurden am fünftägigen Fest der Quinquatrus verehrt (ab dem 19. März) – einem eigentlich Mars geweihten Fest, an dem die Salier einen Tanz aufführten sowie die heiligen ancilia und die Waffen des Heeres zeremoniell gereinigt wurden, an dem allerdings auch die Weihe des Minerva-Tempels auf dem Aventin stattgefunden hat, in dem sie in ihrer Funktion als Schützerin des handwerklichen Gewerbes und auch der Künstler verehrt wurde. Am fünften und letzten Tag des Festes fand das Tubilustrium (Fest der Reinigung der Trompeten) statt, bei dem Mars und Minerva ein Opfer erhielten. Auch weist Minerva Parallelen zu Mars in der Ikonographie auf: Bereits in den ältesten bekannten Bildüberlieferungen trägt Minerva in Angleichung an die griechische Athene neben langen Chiton, Peplos und Aegis, (meist korinthischen) Helm, Lanze und Schild. Bei Ovid wird sie außerdem an anderen Stellen seines Werkes ebenfalls als bellica bezeichnet: Ov. met. 2,752; 4,754; 5,46; Ov. fast. 3,814; Ov. Pont. 4,1,32 (siehe ThlL s.v. bellicus, -a, -um, 1812). Siehe auch RADKE 1979, 217–219; CANCIANI 1984, passim; SCULLARD 1985, 143–147; HINDS 1992 a, 99–102; LEY 2000, 215f.; PHILLIPS 2000, 213. Während Minerva somit auch für den musischen Bereich Patronin sein kann, nimmt der Zuständigkeitsbereich der Musen zwar die Bereiche Tanz, Musik, Dichtung und alle intellektuellen Beschäftigungen ein, jedoch nie die bildende Kunst und das Handwerk. Siehe WALDE 2000, 513. 24 BARCHIESI 1997, 62. 25 Im Laufe des dritten Buches tritt Mars zweimal selbst als amator auf: Zum einen bei der Vergewaltigung der Rhea Silvia, aus der die Zwillinge Romulus und Remus hervorgehen (Ov. fast. 3,9–70) und zum anderen in dem Mythos von seiner Liebe zu Minerva (Ov. fast. 3,675–694). Siehe dazu HOLZBERG 2005, 168.

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Römische Normvorstellungen ins Gegenteil zu verkehren, ist ein Charakteristikum des Wertesystems in der elegischen Gegenwelt.27 Somit kann auch die Entwaffnung des Mars, der die Inspirationsgottheit für das dritte Buch ist und somit mit der Dichtung desselbigen auf einer Stufe steht, als elegisches Kennzeichen und daher als programmatisch gewertet werden.28 Die Aufforderung an Mars, die Waffen abzulegen, ist zugleich ein kühnes Unternehmen des Fasti-Erklärers, handelt es sich doch bei den aufgezählten Rüstungsgegenständen um die entscheidenden Charakteristika, die das Wesen (bellicus) des Mars ausmachen. Die Bucheröffnung des dritten Buches wäre somit ein Ort, an dem das „Machtverhältnis“ zwischen dem Dichter und der inspirierenden Gottheit einerseits sowie dem Dichter und dem vorgegeben Rahmen der Kalenderdichtung anderseits ausgehandelt wird. Der Dichter ruft Mars als Monatsgottheit für den März zur Unterstützung an, ist aber zugleich auch in der Lage, dessen Wesen ins Gegenteil, in einen waffenlosen, friedfertigen Mars, zu verkehren, um ihn seiner eigenen Dichtung anzupassen bzw. ihm einen Platz darin gewähren zu können.29 Denn schließlich definiert sich der aitiologische Erzähler des Ovid in V 3 selbst als Poet (poetae). In diesem Zusammenhang sprengt er das selbstgewählte Korsett der Kalenderdichtung, indem er nicht sofort nach dem Invokationsgebet den Gott zu Wort kommen und ihn, wie in V 4 suggeriert wird, über die Etymologie des Monatsnamen oder das Aition der Märzkalenden referieren lässt. Stattdes26 Siehe dazu HOLZBERG 2005, 167f. Gordon führt zusätzlich drei Indizien an, die dafür sprechen, dass sich der Zuständigkeitsbereich des Mars in frührömischer Zeit nicht nur auf den Krieg beschränkte. So ist belegt, dass er in einer lustratio agri aus dem 2. Jh. v. Chr. als Schutzgott der Felder und Tiere eines agrarischen Gutes angerufen worden ist (Cato agr. 141). Zudem stand das ver sacrum, bei dem in Notfällen der gesamte menschliche, tierische sowie pflanzliche Ertrag eines Jahres den Göttern geweiht wurde, mit Mars in enger Verbindung. Zuletzt sprechen archaische ikonographische Zeugnisse dafür, dass Mars mit der Aufnahme von Kindern in die Familie verbunden wurde. Siehe dazu SIMON 1984 a, 505f.; GORDON 1999, 948f. Vergleiche auch FRAZER 1929, 1f. 27 Siehe HOLZBERG 1990, 3–16. 28 Die Entwaffnung des Mars ist nicht nur ein literarisches Konstrukt des Ovid, sondern spiegelt sich auch in der Ikonographie, zumindest der des Mars Ultor, wider: Zum Mars-Ultor-Tempel auf dem Augustus-Forum gehörte eine Kultbildgruppe, die heute nicht mehr erhalten ist, deren Reflexe die archäologische Forschung allerdings in einer Reliefdarstellung dreier Statuen in Algier zu sehen glaubt. Darauf sind die Kultstatue des Mars Ultor, der auf seiner rechten Seite von Venus mit dem Eros und auf seiner linken von einer Hüftmantelstatue flankiert wird, die mit dem vergöttlichten Caesar in Verbindung gebracht wurde. Der kleine Eros reicht, zu Füßen der beiden Götter stehend, seiner Mutter Venus das Schwert des Mars. Die Entwaffnung des Mars soll dabei laut P. ZANKER auf den Frieden hindeuten, der auf den gerechten Krieg folgt. Siehe P. ZANKER 1990, 196–204. Siehe auch Abb. 151 in P. ZANKER 1990, 200. 29 Der aitiologische Erzähler hatte bereits im Proöm des ersten Buches (Ov. fast. 1,13f.) angekündigt: Caesaris arma canant alii, nos Caesaris aras / et quoscumque sacris addidit ille dies. Vergleiche auch SCHMITZER 2001, 144. MERLI 2000, 37–68 weist im Gegenzug darauf hin, dass Mars nicht nur durch elegisch, sondern auch durch ennianisch-epische Merkmale gekennzeichnet ist. Siehe zum elegischen Entwurf des Mars durch Ovid HINDS 1992 a, 88– 112; SCHMITZER 2001, 161–172. Sieh zu den Fasti als ein Mischung aus Elegie und Epos HINDS 1992 a, passim.

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sen lässt er den Gott direkt nach dem Gebet nicht auftreten oder kommunizieren und versetzt ihn zunächst in die Position eines Zuhörers, wie durch das invenies in V 8 angedeutet wird. Dabei ist es bezeichnenderweise nicht der angesprochene Kriegsgott, der selbst einen Weg findet, waffenlos tätig zu werden, sondern es ist der poeta, der die inventio besorgt.30 Zu diesem Zweck nutzt er das programmatische Stichwort inermis in V 8 aus, um dem Gott einen Vergleichsfall eines früheren waffenlosen Auftritts vor Augen zu führen. Es handelt sich dabei um die Schilderung der Vergewaltigung der römischen Vestalin Rhea Silvia31 durch den Kriegsgott, aus der die Geburt des Zwillingspaares Romulus und Remus hervorgeht (V 9–40). Diese Erzählung stellt ein ovidisches Novum dar. Denn in keiner anderen Version dieses Mythos wird berichtet,32 wie Rhea Silvia von Mars schwanger wurde. Diese Lücke wird hier also durch Ovid geschlossen. Dabei vergewaltigt Mars die zur Keuschheit verpflichtete Vestalin im Schlaf, ohne dass sie davon etwas merkt (V 21–24). In diesen Versen ist die Beschreibung der Gewalt auf ein Minimum reduziert. Hier wird demnach die gewaltfreie Vorgeschichte der Gründung Roms und die unkriegerische Zeichnung des Mars weiterhin betont und fortgesetzt.33 Die Beschreibung dient also keinem anderen Zweck als einerseits die neue Rolle des waffenlosen Mars zu stärken (tunc quoque inermis eras, V 9), der die Züge eines amator der liebeselegischen Welt bekommt (cum te Romana sacerdos / cepit, V 9f.)34 und den Gott andererseits mit der Gründungssage Roms in Verbindung zu bringen, welche den Beginn des dritten Buches mit dem des vierten verknüpft. Der poeta verschafft Mars durch dieses Aition erst eine Zugangsberechtigung zu seinem Werk.35 Der Gründungsmythos Roms, der in V 69f. kurz eingeleitet wird, leitet schließlich zur neuen Kalenderordnung über, die durch den Stadtgründer Romulus eingeführt wird, der den ersten Monat des Jahres nach seinem Vater benennt.36 Der Dichter lässt Mars auch im Kontext des Aitions zum Namen seines Monats nicht als Experten zu Wort kommen, sondern schildert nur dessen vermeintliche damalige Reaktion auf die Ehrerweisung seines Sohnes (dicitur haec pietas grata fuisse deo, V 78). Es ist der Kalendererklärer selbst, der die Entwicklung der Kalenderordnung von Romulus bis Caesar beschreibt (V 79–166). Schließlich bildet die caesarische Kalenderordnung den Rahmen seiner eigenen Dichtung, sodass kein anderer Experte für die Darstellung ihrer Genese in Frage kommen könnte. In diesen Versen gerät Mars vollkommen in den Hintergrund. Erst ab V 167 initiiert der Erzähler die verbale Kommunikation mit Mars, indem er ihn zum zweiten Mal invoziert und als Experten für das Aition des Frauen30 31 32 33 34

HINDS 1992 a, 89f. Siehe zu Rhea Silvia BÖMER 1958, 110f.; 141; KÄPPEL 2001, 950f. Vergleiche Enn. ann. 35–51; Dion. Hal. 1,77; Liv. 1,4,1–3. SCHMITZER 2001, 161–163. Mars bzw. Ares ist bereits in Homers Odyssee 8,266–305 als Fremdgänger gekennzeichnet. Dort hat er ein Verhältnis mit Aphrodite, die eigentlich mit Hephaistos verheiratet ist. 35 HINDS 1992 a, 93. 36 Siehe zum Kalender des Romulus und zur Frühgeschichte des römischen Kalenders RÜPKE 1995, 191–244.

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festes der Matronalia37 funktionalisiert ( „(…), Gradive38, (…)/ dic mihi: matronae cur tua festa colunt?“, V 169f.), die ebenfalls am ersten Tag seines Monats März abgehalten wurden, in dessen Kontext auch noch weitere ihm geweihte Kultrituale stattfanden.39 Wie bereits zu Beginn des dritten Buches festgestellt werden konnte, geht auch in der vorliegenden Passage im Unterschied zu den sprechenden Kultbildern die Kommunikationsinitiative ganz eindeutig vom Erzähler der Fasti aus. Von sich aus scheint Mars nicht zu sprechen, sondern muss erst durch den Erzähler aktiviert (advocor, V 174) und durch seine gezielte Frage (V 167–170) zum gezielten Antworten motiviert werden. Demnach scheinen der Kriegsgott und sein Redeanteil inhaltlich und strukturell von dem aitiologischen Dichtungsprogramm der Fasti vereinnahmt worden zu sein. Er redet nicht, wie die sprechenden Kultbilder der augusteischen Literatur, explizit von sich und seiner Geschichte, sondern erklärt gemäß der Programmatik des Werkes den Ursprung eines Festes direkt zu Beginn des ihm gewidmeten Monats März. Somit wird der Bezug zu ihm nicht direkt, sondern über Umwege auf der Ebene der Kalenderfesttage und der dazugehörigen Kulte in seinem Monat hergestellt. Bevor der Gott zu sprechen beginnt, wird die betont unkriegerische Zeichnung des Mars auch hier fortgesetzt. Parallel zu V 3 wird zunächst durch den aitiologischen Erzähler erneut auf die ungewöhnliche Verbindung des als typisch männlich assoziierten Kriegsgottes (cum sis officiis, Gradive, virilibus aptus, V 169) zu den Matronen hingewiesen. Darauf wird erstmalig ab V 171 eine Reaktion des Mars selbst auf die Aufforderungen des Erzählers beschrieben. Den Forderungen aus den ersten Versen des Buches sich zu entwaffnen (V 1f. und 7f.), kommt er zumindest teilweise nach, indem er seinen Helm zwar ablegt,40 die Lanze aber immer noch in seiner Rechten hält (sic posita dixit mihi casside Mavors41,/ 37 Bei den Matronalia handelte es sich um einen speziellen Festtag für römische Ehefrauen und Mütter an den Kalenden des März, dessen Ursprung Ovid in der Zeit des Romulus und seiner Auseinandersetzung mit den Sabinern verortet (Ov. fast. 3,179–234). Als erster Tag des Jahres war er ein wichtiges Datum im sogenannten Kalender des Romulus, der lediglich eine Dauer von zehn Monaten gehabt haben soll und uns nicht erhalten sind (siehe RÜPKE 1995, 192f.). Zudem wurden die Kalenden des März bei den Römern den Frauen zugeschrieben, die als matronae in ihrer Doppelfunktion als Mutter und Ehefrau des pater familias den Gott Mars ehrten. Es ist bezeugt, dass an diesem Tag die Töchter ihren Müttern (Plaut. Mil. 691) und die Ehemännern ihren Frauen (Suet. Vesp. 19) Geschenke machten. Die Männer beteten für den Bestand der Ehe und die Frauen selbst bedienten ihre Sklaven am Tisch. Gleichzeitig war dieser Tag auch der Geburtstag des Tempels der Iuno Lucina (Geburtsgöttin; Iuno war die Mutter des Mars) auf dem Esquilin (Ov. fast. 3,245–252), der in enger Verbindung mit den Matronalia stand. Siehe zu den Matronalia und dem Iuno-Lucina-Tempel FRAZER 1929, 48f.; BÖMER 1958, 154f.; SCULLARD 1985, 129–137; FREYBURGER 1999, 1032f. Siehe speziell zum Iuno-Lucina-Tempel GIANELLI 1996, passim. 38 Siehe zu Gradivus als Beiname des Mars BÖMER 1958, 139; RADKE 1979, 139f. 39 Das wichtigste Kultritual war der Tanz der Mars-Priesterschaft, der Salier (Tänzer oder Springer). Siehe dazu SCULLARD 1985, 130–134. 40 Auch die erhaltene Mars-Ikonographie überliefert Beispiele für einen Mars ohne Helm, wie z. B. den „Ares Ludovisi“ oder den Mars, der seinen Helm betrachtet oder einen Fuß darauf stellt. Siehe dazu SIMON 1984 a, 514f., Nr. 23; 527, Nr. 207; 529, Nr. 230; 552, Nr. 416a. 41 Siehe zu Mavors als Beiname des Mars RADKE 1979, 209.

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sed tamen in dextra missilis hasta fuit, V 171f.).42 In der Mars-Ikonographie taucht der Gott in der erhaltenen nachaugusteischen pompejanischen Wandmalerei beim Typus folgenden Motivs immer ohne Helm auf: der fast ganz bekleidete, aufrecht sitzende Mars, auf dessen Knie Venus den linken Arm stützt, die selbst fast ganz entblößt ist und schräg lagert. Anbei befinden sich auch stets ein Eros oder mehrere Eroten.43 Das Ablegen des Helmes durch Mars könnte demnach eine assoziative Anspielung auf seinen elegischen Bezug darstellen. Die unvollständige Entwaffnung wird auch von Mars selbst in den ersten Versen seiner Rede reflektiert, in denen er seine ambivalente und sogar paradoxe Situation schildert, dass er als Kriegsgott (deus utilis armis, V 173) zu den Friedenswerken (studiis pacis, V 173) gerufen werde, die für ihn Neuland seien (in nova castra, V 174). Im Zusammenhang mit den bisherigen Beobachtungen lassen sich auch in diesem ersten Distichon der Mars-Rede Indizien für programmatische Werkaussagen feststellen. Zunächst lässt sich der Beginn der Rede (nunc primum, V 173) ambivalent lesen: Zum einen kann es mit „jetzt erst“ übersetzt werden und zum Ausdruck bringen, dass Mars es nach 172 Versen kaum erwarten kann, auf die Frage des aitiologischen Erzählers zu antworten und sein Wissen zu demonstrieren.44 Zum anderen kann es auch „jetzt zum ersten Mal“ meinen und im übertragenen Sinne auf die Innovation des Dichters Ovid verweisen, einen Kriegsgott wie Mars nicht im epischen Kontext zu verorten, sondern für seine eigenen aitiologischen und elegischen Zwecke zu instrumentalisieren. Die Mischung aus Epos und Elegie, die durch die Invokation des Mars auf das dritte Buch projiziert wird, spiegelt sich besonders in der Iunktur gressus in nova castro fero wider. Einerseits handelt es sich insgesamt um eine epische Diktion.45 Andererseits ist gerade die Verbindung in nova castra mit dem elegischen Topos militia amoris konnotiert.46 Speziell castra wird auch in der Eröffnungselegie des vierten Buches bei Properz im übertragenden Sinne für die Liebeselegie als litera42 Siehe dazu HINDS 1992 a, 98f. 43 Die Darstellung des Paares Mars und Venus war in der Plastik und Wandmalerei sehr beliebt. Siehe SIMON 1984 a, 544–549; 556–558. Unter der großen Anzahl pompejanischer Wandbilder, die das Thema umsetzen, nehmen die, in denen beide sitzen, die größte Zahl ein. Jedoch sind die erotischen Darstellungen des Mars und der Venus für die augusteische Zeit (späterer 2. Stil und in der ersten Hälfte des 3. Stils) in der Wandmalerei kaum nachzuweisen. Denn die angeblichen Mars- und Venus-Darstellungen aus der Zeit des Augustus müssen eher als Venus und Anchises interpretiert werden. Wahrscheinlich hatte die strenge Ehegesetzgebung des Augustus selbst im privaten Bereich dieses Thema verhindert. Vergleiche SIMON 1984 a, 547f., Nr. 376–379; 557. Zwei silberne Kantharoi aus der spätrepublikanischen Zeit (3. Viertel 1. Jh. v. Chr.) zeigen Mars und Venus u.a. in erotischer Vereinigung. Dort ist ebenfalls ohne Helm und Rüstung dargestellt. Das Motiv scheint also auch schon vor der augusteischen Zeit bekannt gewesen zu sein. Siehe SIMON 1984 a, 548, Nr. 383. Generell scheint das Fehlen des Helms in der Mars-Ikonographie in Kombination mit Venus häufig zu sein. Siehe SIMON 1984 a, 548, Nr. 381, Nr. 382, Nr. 383, Nr. 384. In vielen Fällen trägt er auch bei seiner Darstellung mit Venus eine Lanze in einer seiner Hände, dann allerdings mit Helm. Siehe z. B. SIMON 1984 a, 544, Nr. 347, Nr. 348; Nr. 351; 545, Nr. 360. 44 HINDS 1992 a, 98f.; SCHMITZER 2001, 163. 45 BÖMER 1958, 155; HINDS 1992 a, 99. 46 Siehe zum elegischen Topos militia amoris HOLZBERG 1990, 10f.; 12–16.

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rische Gattung verwendet (at tu finge elegos, fallax opus [haec tua castra!], V 135).47 Zudem hatte Ovid selbst im Proöm zum zweiten Buch der Fasti (Ov. fast. 2,1–18) seinen Elegien bescheinigt, nun „zum ersten Mal mit größeren Segeln zu fahren“ (nunc primum velis, elegi, maioribus itis, V 3) und sein neues aitiologisches Vorhaben als haec mea militia est (V 9) bezeichnet. Im zweiten Teil des Proöms stilisierte der Dichter sich zu jemandem, der nur die Waffen trage, die er tragen kann. Dabei handele es sich nicht um martialisches Kriegsgerät (V 9–14). Er widme sich hingegen mit seinem Gedicht – denn das scheint seine Waffe zu sein – den (Ehren-) Namen und dem Ruhm Caesars (V 15–18). Darin manifestiert sich ein wesentliches Charakteristikum der Fasti: die Integration von arma in nicht-martialischen Kontexten.48 Es scheint, dass das poetologische Programm des Werkes, das im Proöm des zweiten Buches bereits angelegt wird, durch die Invokation des Mars in Buch 3 bis zum Beginn seiner Rede reflektiert wird. Auf diese Weise lässt der Dichter Ovid Mars selbst die ambivalente Programmatik des dritten Buches der Fasti legitimieren. Im weiteren Verlauf seiner Rede gesteht er, es nicht zu bereuen, die Seiten gewechselt zu haben, damit Minerva nicht denke, dass sie die einzige Grenzgängerin zwischen Kriegs- und Dichtungskunst sei (V 175f.).49 In V 179–234 folgt die elaborierte Antwort auf die Frage, warum er als Kriegsgott an den Matronalia von Frauen verehrt werde. Im Grunde setzt sich die unkriegerische Zeichnung des Mars auch in seinen eigenen Worten fort. Seine Erzählung kombiniert die Themen ‚Krieg‘ und ‚Frauen‘, da sie die Auseinandersetzung zwischen den Römern und ihren Nachbarvölkern nach dem Raub der Sabinerinnen beschreibt. Diese wäre beinahe eskaliert, wenn sich nicht die Frauen zwischen die feindlichen Parteien gestellt und so den Krieg zwischen Schwiegervätern und Schwiegersöhnen verhindert hätten (V 229–234). Die Helden sind die Frauen, die die unterschiedlichen Parteien von ihren Waffen trennen (V 225–228). Mars erklärt also den Ursprung eines Festes, bei dem ebenfalls eine Entwaffnung im Zentrum steht, die ursächlich dafür ist, dass Frauen seinen Festtag am 1. März feiern. Frauen erinnern sich also paradoxerweise am ersten Tag des Mars-Monats an das Ende von kriegerischen Auseinandersetzungen (quia committi strictis mucronibus ausae / finierant lacrimis Martia bella suis, V 231f.) und damit an die Umkehrung des üblichen Einflussgebietes des Mars, an den Mars inermis.50 Diese Rolle des Mars wird somit durch den Auftritt des Gottes selbst etabliert, sodass er

47 HUTCHINSON 2006, 84. 48 Siehe zum Proöm des zweiten Buches der Fasti ROBINSON 2011, 51–69. Auch im Proöm des ersten Buches präsentiert der aitiologische Erzähler Erklärungen von Religion und Kulten als Alternative zum Thema martialische arma (siehe HINDS 1992 b, 114). Vergleiche Ov. fast. 1,13f. Siehe zum Proöm des ersten Buches der Fasti GREEN 2004, 27–44. 49 Vergleiche HINDS 1992 a, 99–101; SCHMITZER 2001, 163f. 50 Vergleiche zu Mars im Kontext der Matronalia BÖMER 1958, 154–159; HINDS 1992 a, 99– 112; MERLI 2000, 69–129.

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konsequenterweise auch nicht im Folgenden als Experte für die Salier, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Mars stehen, herangezogen wird.51 Im Gegensatz zu den sprechenden Kultbildern, hinter deren Stimme sich der Autor selbst verbirgt, sodass sie durch den Inhalt ihrer Reden selbst zum Demonstrationsobjekt des dichterischen Programms werden können, sind die Grenzen zwischen dem Dichter und der Gottheit Mars, die in der programmatischen Bucheröffnung mittels eines Gebets invoziert wird, schärfer gezogen. Sie erscheinen als zwei eigenständige Einheiten, die miteinander in den Dialog treten, ohne ineinander überzugehen. In diesem vom Dichter geschaffenen kommunikativen Raum, dessen Grenzen lediglich durch die Kalenderordnung vorgegeben sind, hat der Dichter die Möglichkeit, sich über die religiösen Hierarchien der realen Kultpraxis zwischen Menschen und Göttern hinwegzusetzen: Er kann bestimmen, wann sie zu Wort kommen, und ist sogar in der Lage, ihr Wesen so zu manipulieren, dass es dem eigenen poetologischen Programm angemessen ist. Auf diese Weise instrumentalisiert er nicht konkrete Repräsentationen der Gottheiten, sondern macht sich die Götter selbst als literarische Figuren in ihrem ganzen Darstellungsspektrum, in dem mitunter auch ikonographische Vorbilder reflektiert werden, für seine Zwecke zunutze.

7.2.1.3 Die Epiphanie des Mars Ultor (Ov. fast. 5,545–598) Im Kontext des Aitions zum Mars-Ultor-Tempel und der Ursachenerklärung für den Mars-Beinamen Ultor erscheint der Gott persönlich (Mars venit…/ Ultor…ipse, V 550f.) und nimmt eine zentrale Passage im fünften Buch zum Monat Mai ein.52 Im Gegensatz zum soeben behandelten Mars-Auftritt im dritten Buch wird der Gott hier nicht mittels eines Gebets vom Erzähler herbeigerufen, sondern steigt vom Götterhimmel hinab, um anlässlich der dedicatio53 seines eigenen 51 In Ov. fast. 3,259–262 wird die Nymphe Egeria, eine Geburts- und Quellgottheit, um Unterstützung bei der Erläuterung des Grundes, warum die Salier die Waffen des Mars tragen und warum sie den Mamurius besingen, angerufen. Siehe dazu BÖMER 1958, 161f. 52 Siehe zur Komposition des fünften Buches der Fasti und der Stellung der Verse 545–598 darin RIEDL 1989, 3–12. Siehe zur Darstellung des Augustus-Forums und des Mars-UltorTempels bei Ovid BOYLE 2003, 98–103; 205–211. 53 Die dedicatio ist in den lateinischen Texten die häufigste Bezeichnung sowohl im Bereich der privaten als auch offiziellen Weihungen für den Vorgang, Lebewesen, Gegenstände und Immobilien (Grundstücke, Tempel, Altäre, Votivgaben) in die göttliche Sphäre zu integrieren. Dies konnte entweder durch den Willen der Götter selbst geschehen oder durch den Willen und die Handlung eines Menschen, wenn sie von dem jeweiligen Gott gutgeheißen werden. Konsekrierte Lebewesen oder Gegenstände wurden als göttlicher Besitz betrachtet und in enger Beziehung zum jeweiligen Gott gesehen. Ab der späten Republik konnte der Terminus consecratio synonym zu dedicatio verwendet werden. Formal gesehen unterscheiden sich die Begriffe folgendermaßen: consecratio beschreibt den rechtmäßigen und permanenten Transfer eines Objektes oder Lebewesens in die göttliche Sphäre (Kategorie res sacra) durch einen pontifex. dedicatio meint, dass der Weihende (ein hoher Offizieller des Staates oder eine offiziell designierte Privatperson, die die weihende Gemeinde oder die weihende Person reprä-

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Tempels am 12. Mai54 eben jenen auf dem Augustus-Forum selbst zu betrachten (V 549–552). Hier scheint der Auftritt des Gottes nicht durch die Anrufung des Dichters, sondern einerseits durch das Ritual bzw. durch den von den Fasti des Ovid vorgegebenen Festtag und andererseits durch den neuen Tempelbau, den er anschauen will, motiviert. Den Tempel hatte Octavian bereits in der Schlacht gegen die Caesarmörder bei Philippi 42 v. Chr. dem Mars Ultor gelobt, ihn dann allerdings erst 2 v. Chr. eingeweiht.55 Er war Teil des neuen Augustus-Forums, in dem der neue Staatsmythos, für den Vergils Aeneis sicherlich ein Wegbereiter war, propagiert wurde. In diesem Mythenkonstrukt war nicht nur die zukünftige Herrschaft der Iulier, sondern die komplette Geschichte Roms als eine vom Schicksal prädestinierte Heilsgeschichte eingeschlossen. Das Forum in Kombination mit dem Mars-UltorTempel war dabei als Repräsentationszentrum des neuen Staates konzipiert. Durch den mythologischen Teil des Bildprogramms des Forums und des Tempels wurden durch Mars, Vater der Zwillinge Romulus und Remus und daher Ahnherr der Römer, und Venus, Mutter des Aeneas und Ahnherrin der Iulier, zwei Mythenkreise miteinander verbunden, die beide Götter zu Stammeltern der Römer werden ließen. Das Augustus-Forum inklusive des Mars-Ultor-Tempels war das Monument, in dem der neue Staatsmythos am umfangreichsten durch Augustus propagiert wurde. Dadurch sollte die Herrschaft der nachfolgenden Iulier legitimiert werden. Das Thema Bürgerkrieg, in dessen Kontext der Mars-Ultor-Tempel eigentlich gelobt wurde, wurde somit 40 Jahre später u.a. nach der Einleitung der aurea aetas durch die Saekularfeiern 17 v. Chr.56 durch das mythologische Bildprogramm der Anlage überlagert und in den Hintergrund gerückt.57 Die Beschreibung der Ankunft des Mars Ultor zu Beginn des Textes trägt Züge einer typischen Epiphanieszene:58 Die Materialität eines Kultbildes bleibt unerwähnt, stattdessen werden die Attribute der erscheinenden Gottheit, die Begleiterscheinung ihrer Ankunft, der temporäre Aspekt (Unmittelbarkeit der Epiphanie im Gegensatz zur dauerhaften Präsenz einer Statue) und die Reaktion des menschlichen Gegenübers betont. Die Unmittelbarkeit des göttlichen adventus wird hier durch ungewöhnliche Veränderungen am Himmel angekündigt: Orion (das Aition dieses Sternbildes wurde zuvor in den Versen 493–544 beschrieben)

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sentierte) in erster Linie das Besitzrecht auf den zu weihenden Gegenstand aufgibt. Siehe dazu FRATEANTONIO 1997, 359f.; LAMBRINOUDAKIS 2005, 303–305 und speziell zur dedicatio von Tempeln LAMBRINOUDAKIS 2005, 340–343. Als Tag der Weihe des Mars-Ultor-Tempels lässt sich neben dem 12. Mai, der auf den Fasti des Ovid beruht, auch der 1. August 2 v. Chr. bei Cassius Dio (Cass. Dio 60,5,3) ausmachen. Siehe zum Weihedatum des Mars-Ultor-Tempels RIEDL 1989, 74–85; HERBERT-BROWN 1994, 95; SPANNAGEL 1999, 41–59. Inzwischen hatte Mars zum zweiten Male als Rächer gegen die Parther 20 v. Chr. fungiert. Die wiedergewonnenen Feldzeichen wurden deshalb in der Cella dieses neuen Tempels ausgestellt. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 198.Siehe zur Einweihung und Vorgeschichte des Augustus–Forums und des Mars-Ultor-Tempels SPANNAGEL 1999, 15–85. Siehe P. ZANKER 1990, 171–196; GALINSKY 2013, 96–123. P. ZANKER 1990, 196–204; GALINSKY 1998, 197–213; SCHLANGE-SCHÖNINGEN 2012, 10–14. Vergleiche Kap. 2.3.5.

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sowie die anderen Sterne beeilen sich, das Himmelszelt zu verlassen, und die Nacht ist kürzer als gewöhnlich, da sich der Morgenstern und der Tag schneller als üblich erheben (V 545–548). Die Licht- und Zeitverhältnisse werden demnach durch die Erscheinung des Gottes beeinflusst. Auf die Ankunft des Mars wird durch das Klirren seiner Waffen, die zunächst akustisch vom aitiologischen Erzähler wahrgenommen werden (fallor, an arma sonant? non fallimus, arma sonabant, V 549),59 hingewiesen. Die Frage zu Beginn des Verses 549 zeigt einerseits die überraschte Reaktion des Erzählers, der anscheinend keinen Einfluss auf das Erscheinen des Mars Ultor hatte, und suggeriert andererseits die Eigeninitiative des Gottes. Die endgültige Ankunft wird schließlich durch Kriegssignale angekündigt (Mars venit et veniens bellica signa dedit, V 550).60 Im Gegensatz zum Mars inermis des dritten Buches wird Mars Ultor bereits in den ersten Versen seines Eintrags durch seine Attribute und Begleiterscheinungen arma (V 549) und bellica signa (V 550) als kriegerisch gekennzeichnet.61 Seine Fähigkeit, vom Tempel aus wilde Kriege zu beginnen (hinc fera Gradivum bella movere decet, V 556) sowie seine Bezeichnung als Gradivus (V 556), die er auch im Kontext der Matronalia (3,169) erhalten hatte, und armipotens in V 559 bauen schließlich vollkommen den Gegensatz zum Mars des dritten Buches auf.62 Die überraschte Reaktion auf das Erscheinen des Gottes kann als Mittel der Distanzierung des Erzählers von der Figur des augusteischen und kriegerischen Mars Ultor gewertet werden,63 der zwar eher zu einem Epos und nicht zum Wesen der Fasti-Dichtung passt, dem aber just an diesem Ort zum beschriebenen Anlass der von Ovid vorgegebenen Kalenderordnung ein ‚Gastspiel‘ eingeräumt wird.64 Der

59 Vergleiche auch die Erscheinung der Venus in Ov. am. 3,1,34: fallor, an in dextra myrtea virga fuit. 60 Siehe zur Beschreibung der Epiphanie des Mars Ultor RIEDL 1989, 12–16. 61 SCHMITZER 2001, 166; siehe zur Bedeutung des arma sonare BARCHIESI 2002, 4f. 62 Das Augustus-Forum und der Mars-Ultor-Tempel wurden unter Augustus in der Tat für diplomatisch-militärische Staatsakte und Zeremonien genutzt: Hier legten junge Männer die toga virilis an und wurden in die Militärlisten eingetragen, der Senat beschloss im Tempel über Krieg, Frieden und Triumph, von dort zogen Militärgouverneure aus, die siegreich heimgekehrten Feldherrn legten dort ihre Triumphalinsignien nieder und Barbarenfürsten gelobten dort Treue und Freundschaft. Damit erhielt vor allem der Tempel bestimmte Vorrechte, die bis dahin dem kapitolinischen Iuppiter-Tempel vorbehalten waren. Die Anlage insgesamt wurde dadurch zum Repräsentationsplatz für die augusteische ‚Außenpolitik‘ und für alles, was mit virtus und Waffenruhm in Verbindung gebracht werden konnte. Somit ist die kriegerische Kennzeichnung des Mars Ultor durch die zeitgenössische Funktion der Anlage vorgegeben. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 216f. 63 In den Fasti kommt es ganz selten zu einer Epiphanie, ohne dass der Dichter die Gottheit dazu auffordert oder herbeiwünscht. Dabei ist auffällig, dass es sich dann um Passagen handelt, in denen eine Gottheit zu Ehren von Mitgliedern des augusteischen Kaiserhauses auftritt. RIEDL 1989, 13f.; 23. 64 Dies wird auch zum Ende des Kalendereintrags durch den Dichter selbst zum Ausdruck gebracht: non visa est fortem scaena decere deum (V 598). In seinem früheren elegischen Gedicht ars amatoria (ars 1,177–228) hatte Ovid den Feldherrn der Kampagne gegen die Parther, den Adoptivsohn des Augustus Gaius, mit ultor adest (ars 1,181) bezeichnet. Wie hier

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unmittelbare Auftritt des Mars scheint vom Kalenderdichter herbeigeführt worden zu sein, um die Besonderheit dieser Szene zu markieren. Im Zentrum dieser Passage steht nicht eine Rede des Gottes selbst zum Ursprung seines Heiligtums; vielmehr nutzt der Erzähler das angebliche Vorhaben des Mars Ultor, sich seinen Tempel anzuschauen, um dem Leser eine detaillierte Beschreibung der prachtvollen Anlage zu geben (V 559–568). Der häufige Einsatz von Verben aus dem Bedeutungsfeld „sehen“ verstärkt diesen Eindruck (templa … conspicienda, V 552; perspicit, V 559; perspicit, V 561; videt, V 563; videt, V 565; spectat, V 567) und die Tempuswahl (Präsens) unterstützt die Lebendigkeit der Beschreibung.65 Vor der konkreten Visualisierung des Tempels wird dieser mit dem Attribut ingens (V 553) versehen, was auf die Pracht der Anlage vorverweist.66 Es folgt die Erwähnung von Trophäen aus Gigantenkämpfen (digna Giganteis haec sunt delubra tropaeis, V 555), die allerdings keine nähere Erläuterung erfahren. Die eigentliche Beschreibung ab V 559 beginnt mit dem Giebel, in dem die unbesiegten Götter (invictos...deos) die höchste Stelle innehaben sollen (V 559f.).67 Die Türen seien mit Waffen von verschiedener Gestalt und Rüstungen aus allen Ländern ausgestattet, die von den römischen Soldaten erbeutet worden sind (V 561f.).68 Die Verse 563–566 müssen sich auf das Augustus-Forum selbst beziehen. hinc (V 563)… hinc (V 565) lässt vermuten, dass dem Leser an dieser Stelle die Beschreibung der beiden Exedren, die den Mars-Ultor-Tempel flankierten und sich gegenüber lagen, inklusive der daran anschließenden Porticus mit den dort aufgestellten summi viri präsentiert werden:69 Auf der einen Seite stand die Darstellung des aus Troja flüchtenden Aeneas, mit seinem Vater Anchises, der die Penaten in der Hand hielt, auf den Schulter und seinem Sohn Iulus an der Hand in der vom Tempel aus rechten Exedra und den Statuen von Ahnen des iulischen Adels davor (V 563f.), auf der anderen Seite stand die Darstellung des Romulus

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innerhalb der Ekphrasis durchmischt der Dichter auch dort die Gattung Elegie mit kriegerischer Thematik. Siehe NEWLANDS 2013, 66f. Vergleiche BARCHIESI 2002, 7–9. Siehe zum Aufbau und archäologischen Befund sowie zur Ausstattung und Rekonstruktion des Augustus-Forum und des Mars-Ultor-Tempels auch GANZERT–KOCKEL 1988, passim; GANZERT 1996, passim; KNELL 2004, 72–83. Vergleiche auch KOCKEL 1995, passim. In der Giebelmitte rekonstruiert die Forschung nach einem Relief von einem claudischen Altar mit der Darstellung des Mars-Ultor-Tempels (P. ZANKER 1990, 199, Abb. 150) den bärtigen Mars, ausgestattet mit einem Helm, Hüftmantel, freiem Oberkörper, Lanze in seiner Rechten, einem Zepter in der seiner Linken und das in der Scheide geborgene Schwert, seinen Fuß auf eine Weltkugel setzend. Diese aggressive Darstellung des Kriegsgottes kann als Gegenbild zum entwaffneten Mars aus dem Tempelinneren betrachtet werden. Zu seiner Rechten im Giebel stand Venus mit Chiton und Mantel bekleidet und durch den kleinen Eros auf ihrer linken Schulter und das Zepter als solche gekennzeichnet. Zur Linken des Mars befindet sich Fortuna mit Füllhorn und Steuerruder. Diese drei Gottheiten könnten mit Ovids invictos…deos, die die höchste Stelle im Giebel innehaben sollen, gemeint sein (V 559f.). Siehe zum Bildprogramm des Giebels P. ZANKER 1980, 14; P. ZANKER 1990, 204. Siehe zu den tela und arma in V 561f. FRAZER 1929, 68; BÖMER 1958, 324f. Siehe zum Grundriss des Augustus-Forums mit einer Rekonstruktion des Statuenprogramms P. ZANKER 1990, 197, Abb. 149; SPANNAGEL 1999, Tafel 1, Abb. 2.

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(Iliaden, V 565)70 mit den spolia opima auf den Schultern in der Exedra und den Statuen der summi viri davor (V 565f.).71 Die Beschreibung schließt mit der Tempelfront ab, die mit dem Namen des Augustus versehen ist. Die Evokation eben dieses Baustifters lässt Mars den Tempel noch größer erscheinen (V 567f.), wodurch ein typisch panegyrischer Gestus markiert wird.72 NEWLANDS ordnet diese Partie einer Subgattung von Ekphrasis73 zu, die sie als architectural ecphrasis bezeichnet.74 Gerade in der römischen Kaiserzeit 70 In der klassischen Zeit sind Rhea Silvia und Ilia eine Person. Daher stammt das Metronymikon Iliades für Romulus. Siehe BÖMER 1958, 325 mit Verweis auf Ov. fast. 2,383, dazu BÖMER 1958, 110f. 71 Ov. fast. 5,563–565 spielte eine fundamentale Rolle in archäologischen Debatten um die Rekonstruktion des Augustus-Forums. Vergleiche BARCHIESI 2005, 285f. Die Statuen des Aeneas und Romulus sind nicht mehr erhalten, aber ihr Aussehen kann aufgrund zahlreicher Statuetten, Reliefs und Wandmalereien rekonstruiert werden. So geben beispielsweise zwei Wandmalereien von einer Hausfassade in Pompeji die beiden Statuengruppen wieder. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 205, Abb. 156 a und b; SPANNAGEL 1999, Tafel 3, Abb. 4–5. Die Gegenüberstellung sollte allerdings nicht beide Helden in Konkurrenz zueinander setzen, sondern ihre Darstellungen sollten vielmehr zwei unterschiedliche Tugenden versinnbildlichen. Die Figur des Aeneas symbolisiert die pietas, die er in höchster Gefahr den Göttern und seinem Vater erwiesen hat. Die Figur des Romulus hingegen wird durch das Tragen seiner Rüstung und der spolia opima, der Rüstung, die er einem feindlichen Anführer im Zweikampf abgenommen hatte, in einem Moment des Triumphs dargestellt und wird somit zum exemplum virtutis. Ohnehin galt Romulus als erster Trimphator der römischen Geschichte, der über den König Akron von Caenina im ersten Jahr der Stadt triumphiert haben soll (Liv. 1,10,4–7; Prop. 4,10,1–16). Eine weitere Gegenüberstellung dieser beiden Figuren findet sich an der Ara pacis. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 204–213; GALINSKY 1998, 204–206; ausführlich zu Aeneas und Romulus auf dem Augustus-Forum SPANNAGEL 1999, 86–255. Siehe zu den Statuen der Iulier und der summi viri P. ZANKER 1980, 14–17; HOFTER 1988, 194–200; P. ZANKER 1990, 213–217; GALINSKY 1998, 206f.; ausführlich SPANNAGEL 1999, 256–358; GEIGER 2008, passim. 72 Siehe FANTHAM 2002 a, 207. 73 Ekphraseis haben ihren literarischen Ursprung bei Homer, der uns zwei unterschiedlichen Arten von Ekphraseis überliefert: Beschreibungen von Kunstwerken (Schildbeschreibung in Hom. Il. 18, 478–608) und Gebäuden (Haus des Hephaistos in Hom. Il. 18,368–379; Palast des Alkinoos in Hom. Od. 7,78–132). Siehe dazu NEWLANDS 2013, 57. 74 In der augusteischen Zeit sind uns zwei einflussreiche, detaillierte Beispiele der architectural ecphrasis von augusteischen Gebäuden überliefert: Ovids vorliegende Beschreibung des Mars-Ultor-Tempels und die Beschreibung des Tempels des Apollo Palatinus in Prop. 2,31 (siehe Kap. 7.3.2). Obwohl die Fasti aufgrund ihres aitiologischen Inhalts und der vorgegebene Kalenderstruktur eigentlich für Baubeschreibungen prädestiniert sind, ist die vorliegende architectural ecphrasisdie einzige in dem ganzen Kalendergedicht. Siehe RIEDL 1989, 23; NEWLANDS 2013, 64. Die römische architectural ecphrasis steht ebenfalls in enger Verbindung zum Epos. Die erste formale Beschreibung eines historischen Gebäudes taucht bei Naevius (poet. 19 Barchiesi) auf, der den Zeus-Tempel von Agrigent beschreibt. Durch die damit verbundene narrative Rückblendung auf Ereignisse früherer Zeiten treten zwei entscheidende Merkmale der architectural ecphrasis, Manipulation der Zeit und die Einarbeitung der Beschreibung von Kunstwerken, zutage, wodurch das Fragment zu einer „Super-Ekphrasis“ mutiert. Ähnlich, aber ausführlicher funktioniert beispielsweise die Beschreibung des Tempels der Juno in Karthago in Verg. Aen. 1,446–97. NEWLANDS 2013, 59. Siehe auch die Beschreibung des Apollo-Tempels in Cumae Verg. Aen. 6,9–36.

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konnte dieses Mittel der Beschreibung als ein Ausdruck von Macht und Status des Besitzers, der oft mit Momenten der Panegyrik verbunden wurde, dienen. Auf diese Weise konnte der Dichter in die Rolle eines rhetorischen Architekten schlüpfen. Das Errichten und die Restauration von Monumenten wurde ein wichtiges Instrument der imperialen Macht.75 Denn sie konnte auf diese Weise ein Mittel der Glorifizierung des Herrschers durch seine Monumente sein. Die Beziehung zwischen dem Gebäude, dem Besitzer und dem Dichter-Architekten verlieh dieser Subgattung der Ekphrasis eine besonders selbst-reflexive Form.76 Mit der Beschreibung des Tempels und seiner Umgebung lässt der Erzähler also den Leser an der visuellen Wahrnehmung des Kriegsgottes partizipieren, indem der Erzähler den Leser förmlich bei der Besichtigung der Anlage an die Hand nimmt und ihn durch „die Augen des Mars blicken lässt“.77 Auf diese Weise wird der Erzähler zum Exegeten oder kompetenten „Reiseführer“ für die Anlage. Der Gott selbst spricht dabei nicht und muss dies auch nicht. Denn anders als bei den sprechenden Kultbildern bringt der aitiologische Erzähler des Ovid die Anlage des Mars-Ultor-Tempels selbst zum „Sprechen“, indem der Blick des Mars immer wieder auf bestimmte Teile des Areals gerichtet wird, somit für ihn und dadurch auch für den Leser immer neue Perspektiven entstehen und schließlich ein konkretes Gesamtbild der Anlage generiert wird, das nicht zuletzt die Aufmerksamkeit aller involvierten Rezipienten erregt. Das evozierte Gesamtbild der Anlage ist dabei ganz evident nicht auf Ästhetik fokussiert, sondern vor allem auf die augusteische Ideologie.78 In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass weder das Mars-Ultor-Bild im Tempelgiebel noch das Kultbild in der cella selbst Beachtung in der Ekphrasis finden.79 Die Bezeichnung als Mars Ultor ipse (s.o.) allein soll offenbar direkte Assoziationen zum Giebelund Kultbild des Gottes wecken, sodass die phänotypische Beschreibung unberücksichtigt bleiben kann. Auch wenn das Äußere des Mars-Bildes selbst innerhalb der Ekphrasis eine Leerstelle bleibt, spiegeln doch die beschriebenen Teile des Forums und seiner Ausstattung wie ein „Baukasten“ Teilaspekte des Mars Ultor wider. Das, was er mit seinem Blick am Tempel oder am Forum fokussiert, kann auf den Gott selbst zurückprojiziert werden. Die gemeinsame Bezeichnung des Gottes und der Anlage als ingens (et deus est ingens et opus, V 553) stärken dabei die Vermutung des Zusammenhangs zwischen Gott und Platzanlage: –

Die marstypischen Aspekte Krieg/Sieg/Triumph/Rache werden in den Trophäen aus den Gigantenkämpfen (V 555) gespiegelt, durch seine Kriegsbe-

75 Vergleiche beispielsweise die Res Gestae des Augustus oder das Monumentum Ancyrum. NEWLANDS 2013, 58. 76 NEWLANDS 2013, 58. 77 HERBERT-BROWN 1994, 96. 78 SCHMITZER 2001, 169f.; NEWLANDS 2013, 65. 79 Die Kultstatue des Mars Ultor in seinem Tempel auf dem Forum Augustum, das 2 v. Chr. eingeweiht wurde, ist nicht mehr erhalten, sondern muss aus kleinformatigen Nachbildungen, monumentalen Kopien und Umbildungen erschlossen werden. Eine Auswahl von diesen bietet SIMON 1984 a, 514–516, Nr. 24. Siehe auch SIMON 1990, 144; P. ZANKER 1990, 201–204.

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reitschaft gegenüber Feinden aus dem Osten und Westen (V 556–558), seine Charakterisierung als armipotens (V 559), die Bezeichnung der Götterdarstellungen aus dem Giebel des Mars-Ultor-Tempels als invictos…deos (V 560) und die beschriebenen Waffen und Rüstungen, die aus aller Welt von den römischen Soldaten erbeutet wurden (V 561f.). Mit Aenean oneratum pondere caro in V 563 lässt sich zwar im Speziellen die Flucht des Aeneas mit seinem Vater und seinem Sohn aus dem brennenden Troja (Ausdruck für pietas s.o.) verbinden. Die Iunktur kann aber auch im Allgemeinen eine intertextuelle Anspielung auf das Epos der Aeneis sein, dessen zweite Hälfte v.a. die kriegerischen Auseinandersetzungen in Latium schildert. Auch Romulus (V 565) wird mittels der erwähnten spolia opima in martialischem Kontext beschrieben. Die Begriffe aus dem Wortfeld „Krieg“ stechen besonders hervor: Giganteis…tropaeis (V 555), fera bella movere (V 556), lacesset (V 557), domandus erit (V 558), armipotens (V 559), invictos…deos (V 560), diversae tela figurae (V 561), armaque terrarum milite victa suo (V 562), Iliaden umeris ducis arma ferentem (V 565). Mars‘ Rolle als mythischer Stammvater der Römer/Iulier und seine Einbindung in die augusteische Staatsideologie spiegelt sich bei der Beschreibung des Statuenprogramms des Augustus-Forums wider: hinc videt Aenean…hinc videt Iliaden (V 563–566). Seine Augustusnähe zeigt sich zunächst in V 553f.: Dort wird Rom als die „Stadt seines Sohnes“ bezeichnet, was sich sowohl auf Romulus als auch auf Augustus beziehen kann. Zudem erscheint Mars Ultor, als er den Namen des Augustus an der Front des Tempels gesehen hat, die ihm selbst gewidmet ist, das ganze Werk gleich noch größer (spectat et Augusto praetextum nomine templum / et visum lecto Caesare maius opus, V 567f.). Dem Kriegsgott Mars Ultor wird ein Bewusstsein dafür angelegt, dass es nicht er und sein Tempel sind, die dieser Anlage allein Bedeutung verleihen, sondern dass diese erst durch den princeps Augustus, einem Menschen, aufgewertet wird. Wurde die Platzanlage erst als ingens bezeichnet (…est ingens et opus, V 553), mutiert sie nach Ansicht des Gottes allein durch den Namen des Augustus zum maius opus (V 568). Das ganze Bildprogramm inklusive Mars Ultor ist letztlich auf den princeps und Baustifter zugeschnitten.

Die Leerstelle des materiellen Mars-Ultor-Kultbildes wird demnach intermedial durch die Beschreibung der Anlage aus der Perspektive des lebendigen Gottes Mars Ultor vom Autor gefüllt. Aus der architectural ecphrasis konstituiert sich das Kultbild, das durch die dedicatio vom Gott temporär eingenommen werden konnte.80 Dieser intermediale Bezug wäre damit eine neue Variante zu Ovids ansonsten intertextueller Praxis des supplierenden Erzählens, bei dem der Rezipient

80 Siehe Kap. 2.3.4.

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Informationslücken mit anderen Texten auffüllen muss.81 Die Kommunikation mit dem Leser findet dabei auf visueller statt auf verbaler Ebene statt. Es fällt auf, dass der visuelle Fokus des Mars Ultor ganz evident auf dem kriegerischen Aspekt der Anlage liegt, wenngleich die Beschreibung von Giebel, Türen, Statuenprogramm und Inschrift eher pointiert denn detailliert ausfällt. Es scheint, dass die neue Staatsideologie, die durch Forum und Tempel die umfangreichste Propaganda erfuhr,82 und schließlich auch der Ruhm des Augustus auf kriegerischen Erfolgen basiert. Dieser Aspekt, der unter Augustus in den Hintergrund geraten ist, wird in diesem Text in Erinnerung gerufen.83 Dies wird im weiteren Verlauf des Kalendereintrags durch das Aition zum Beinamen Ultor im Kontext des Bürgerkrieges mit den Caesarmördern bei Philippi (V 569–578)84 und der Rückgewinnung der römischen Feldzeichen von den Parthern, die Crassus 53 v. Chr. bei Carrhae schmachvoll verloren hatte (V 579–594),85 unterstützt.86 Die Leerstelle des Kultbildes legt außerdem nahe, dass der erschienene Mars ipse anlässlich der dedicatio in seinen Tempel einziehen und selbst den Ehrenplatz in der cella vereinnahmen wird. Dies könnte durch den Aspekt der Zugänglichkeit unterstützt werden: Dadurch, dass die Tempeltüren geschlossen sind87 und somit das Kultbild in der cella nicht sichtbar wird, wird der Leser umso mehr auf Mars ipse verwiesen. Zugleich ist festzustellen, dass die Rolle des staunenden Betrachters, die in anderen architectural ecphraseis regulär vom Erzähler, hier jedoch vom Gott selbst eingenommen wird, der mit dem Betrachteten wiederum in enger Verbindung steht,88 ein zusätzliches Mittel der Distanzierung von den beschriebenen Kriegsdarstellungen und der damit verbundenen Herrscherpanegyrik89 zu sein scheint. Dies könnte demnach eine Variante des oben festgestellten Charakteristikums der Fasti-Programmatik sein, das Thema arma in nicht-martialische Kontexte zu integrieren.90 Da einerseits das selbst gewählte Korsett des Kalenderge81 Im ovidischen Werk wurden vor allem an den Fasti verschiedenste theoretische Ansätze der Klassischen Philologie und Literaturtheorie erprobt. Begünstigt wurde dies durch die unvollendete Form und thematische sowie stilistische Vielfalt des Kalendergedichts im Vergleich zu den anderen Werken Ovids. In den letzten Jahren setzte in der Forschung eine im weiten Sinne politische Lektüre der Fasti ein, deren breit angelegtes Konzept von Intertextualität auch nicht-literarische Dokumente und sogar Monumente umfasste. Vergleiche zur Intertextualität speziell bei Ov. fast. 5,545–598 zu Ennius und Vergils Aeneis BARCHIESI 2002, passim. Siehe auch FANTHAM 2002 a, passim; BARCHIESI 2005, 287; MURGATROYD 2005, 97–140 (Ovid und Vergil); 171–205 (Ovid und Livius); 235–267 (Ovid und Ovid). Siehe speziell zur Intertextualität im Aition der Vinalia (Ov. fast. 4,877–900) MERLI 2007, passim. 82 P. ZANKER 1990, 198. 83 Vergleiche auch BARCHIESI 2002, 16–22. 84 BÖMER 1958, 325f.; RIEDL 1989, 40–52; SPANNAGEL 1999, 60–78. 85 BÖMER 1958, 326; RIEDL 1989, 52–74; SPANNAGEL 1999, 60–78. 86 Siehe zu beiden Aitien HERBERT-BROWN 1994, 95–108; BARCHIESI 2002, 9–11. 87 Die Tatsache, dass Mars verschiedene Waffen und Rüstungen aus unterschiedlichen Ländern genau sehen (perspicit) kann (V 561f.), legt nahe, dass die Tempeltüren geschlossen sind. 88 NEWLANDS 2013, 64. 89 Vergleiche RIEDL 1989, 12–40. 90 Vergleiche BARCHIESI 2002, 17.

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dichts das Thema und das Bildprogramm des Augustus-Forums und des MarsUltor-Tempels den Inhalt vorgegeben hatten, musste Ovid einen Weg finden, beides mit dem poetologischen Programm der Fasti in Einklang zu bringen. Die architectural ecphrasis mit dem Gott Mars Ultor als Betrachter bot ihm dabei die Möglichkeit, sich einerseits als Autor durch die göttliche Epiphanie und die visuelle Kommunikation von dem kriegerischen Thema und dem mit der Gesamtanlage verbundenen Herrscherlob zu distanzieren. Andererseits konnte er es aber dennoch mittels der Figur des Mars Ultor zum Ausdruck bringen und durch dessen Bewunderung (V 568) für den eigentlich ihm gewidmeten Tempel sogar noch steigern.91 Die Epiphanie des Mars Ultor ist also nicht einfach nur dem Anlass geschuldet, sondern verleiht dem Text sowohl auf intermedialer sowie politischer als auch auf poetologischer Ebene Tiefe.

7.2.2 Venus (Ov. fast. 4,1–162) Im folgenden Abschnitt soll die literarische Funktionalisierung der Göttin der Liebe und des erotischen Verlangens, Venus,92 in den Fasti unter ähnlichen Kategorien wie Mars untersucht werden. Bei ihr lassen sich zunächst vergleichbare Kommunikationsmechanismen wie bei Mars erkennen (Invokation als Inspirationsgottheit, hymnische Aretalogie und Einbindung im Ritual). Der Unterschied zu den Mars-Stellen liegt nur darin, dass diese in einer zusammenhängenden Szene mit verschiedenen Abschnitten präsentiert werden und nicht in zwei getrennten. Zudem kommt ihr ähnlich wie dem Kriegsgott als Venus Genetrix eine relevante Rolle in der augusteischen Ideologie zu, die der Erzähler der Fasti für seine literarischen Zwecke nutzt.

91 Vergleiche BARCHIESI 2002, 12; NEWLANDS 2013, 66f. Ein ähnliches Verfahren lässt sich auch beim Aition zum Beinamen Ultor beobachten. Das Gelöbnis des Tempels, die im Zusammenhang mit den blutigen Auseinandersetzungen des Bürgerkrieges gegen die CaesarMörder geschildert wird, spricht nicht der aitiologische Erzähler aus, sondern er gibt die direkte Rede des Octavian wieder (V 569–578). Die Rückgewinnung der Feldzeichen von den Parthern, die auf diplomatischen, denn kriegerischen Wege stattgefunden hat (siehe RIEDL 1989, 59f.; P. ZANKER 1990, 188–196) wird hingegen vom Kalendererklärer selbst übernommen (V 579–594). 92 Der erste offizielle Tempel der Venus wurde ihr in Rom erst in der mittleren Republik, nämlich 295 v. Chr. (Liv. 10,31,9), errichtet. Der Stiftungstag fiel auf denselben Tag, an dem die Vinalia rustica, das Weinfest am 19. August, an dem auch Venus neben Iuppiter Anteil hatte, gefeiert wurden. In der Not des 2. punischen Krieges 217/15 v. Chr. ließ Q. Fabius Maximus den zweiten Venus-Tempel (ein Doppeltempel zusammen mit Mens) in der Nähe des Iuppiter-Capitolinus-Tempel errichten – ein Beweis für die Bedeutung dieses Heiligtums. Siehe zu Venus RADKE 1979, 311–315; SIMON 1990, 213–228; SCHMIDT 1997, 192–195; RIVES 2002, 17–20.

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7.2.2.1 Politische und literarische Parallelen der Venus zu Mars Zunächst lässt sich eine erste Parallele bezüglich ihres Auftrittes in dem Kalendergedicht zur Mars-Passage feststellen: Auch Venus lässt der Dichter, ähnlich wie Mars, zu Beginn eines Buches, nämlich im Proöm des vierten (Ov. fast. 4,1–18) über den Monat April, auftreten und zu Wort kommen.93 Der Dichter nimmt die Einführung der Göttin zum Anlass, um einerseits den Bezug zum Proöm des ersten Buches (vergleiche Ov. fast. 4,11f. mit Ov. fast. 1,1f.),94 das dem Leser das Dichtungsprogramm der Fasti offenbart, und andererseits zum Proöm des dritten Buches über den Monat März, der ihrem Gatten Mars gewidmet ist, herzustellen.95 Somit sind die Proömien der Fasti-Bücher 3 und 4 im Gegensatz zum Proöm des ersten Buches, das in seiner überarbeiteten Fassung dem Prinzen und Patron Germanicus gewidmet wurde, und des zweiten Buches mit seiner Adressierung an Caesar (Ov. fast. 2,15–18), Göttern gewidmet. Diese zeichnen sich in der ovidischen Kalenderordnung hauptsächlich durch zwei Aspekte aus: Nach ihnen werden die Monate März und April benannt. Sie spielen, eingebettet in den Familienmythos der Augustus-Familie, eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung des neuen Staatsmythos, indem durch diese beiden Gottheiten zwei Mythenkreise, der Troja- und der Romulus-Mythos, miteinander verbunden werden konnten:96 Venus war die Mutter des Aeneas und hatte daher eine enge Verbindung zum trojanischen Mythos.97 Mars wurde durch 93 Die Verbindung der Göttin Venus mit dem Monat April war nichts Ungewöhnliches. Schon Horaz besang den April als den Monat der dem Meer entsprungenen Venus (carm. 4,11,15) und auch Ovid selbst hat in seiner früheren Dichtung die Kalenden des April der Venus zugeschrieben, die auf den Monat des Mars folgen soll (ars 1,405f.). Bereits im Proöm des ersten Buches der Fasti wurde darauf vorverwiesen, dass Mars und Venus die Schutzgottheiten der Monate März und April seien (1,39f.: Martis erat primus mensis, Venerisque secundus: / haec generis princeps, ipsius iller pater). Siehe dazu HERBERT-BROWN 1994, 81. 94 FANTHAM 1998, 87. 95 Ab 217 v. Chr. ist die Gruppierung der Venus mit Mars, die in der augusteischen Zeit eine besondere Bedeutung bekommen sollte, zum ersten Mal bezeugt. Im Kontext des Notzustandes des 2. punischen Krieges wurde auf Rat der Sibyllinischen Bücher nicht nur der Bau des Venus-Tempels befohlen, sondern auch ein lectisternium (Götterbewirtung) nach griechischem Vorbild zum ersten Mal in Rom durchgeführt, bei dem Venus gepaart mit Mars als fünfte und sechste Gottheit von insgesamt zwölf Göttern sich dasselbe Speisesofa teilten (Liv. 22,10,9). Siehe dazu SIMON 1990, 213; FANTHAM 1998, 115. 96 P. ZANKER 1990, 198–204; FANTHAM 1998, 87. 97 Bereits der früheste nachgewiesene Kult der Venus wies Verbindungen zu Aeneas auf. Laut Strabon 5,3,5 gab es in der Nähe von Lavinium einen panlatinischen Schrein der Aphrodite. Spätestens seit dem 2. Jh. v. Chr. wurde überliefert, dass Aeneas eine Statue der Venus, die den Namen Frutis (vielleicht eine Korruptel vom griechischen Aphrodite) dort feierlich weihte. Während des 3. Jh. v. Chr. wurde die Rolle der Venus als Mutter des Aeneas immer wichtiger. 249 v. Chr. eroberten die Römer das Heiligtum von Eryx auf Sizilien. Dieser ursprünglich wahrscheinlich indigene Kult lässt u.a. auch griechische Traditionen erkennen, die den Kult mit Aeneas in Verbindung brachten (Verg. Aen. 5,759–760; Strab. 13,1,53). Im 1. Jh. v. Chr. wurde Venus zunehmend von führenden römischen Politikern als Ahnherrin des römi-

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seine Liaison mit der Königstochter aus Alba Longa Rhea Silvia zum Vater der beiden Zwillinge Romulus und Remus. Rhea Silvia wiederum soll aus dem trojanischen Geschlecht des Aeneas stammen, sodass sie und ihre Söhne in die Genealogie des Augustus eingeordnet werden konnten und sie die augusteischen Dichter daher auch meist Ilia (Troja=Ilion) nannten.98

7.2.2.2 Die Invokation der geminorum mater Amorum Sowohl mit Mars als auch mit Venus führt der Erzähler in den Proömien einen direkten Dialog. Ähnlich wie im Mars-Proöm des dritten Buches scheint auch hier die Kommunikationsinitiative nicht von der Göttin auszugehen, sondern erneut vom Erzähler der Fasti, der versucht, sich die Göttin gewogen zu machen („alma, fave“, dixi, „geminorum mater Amorum!“,V 1). Venus muss erst durch die Ansprache des Gegenübers aktiviert und zur Aufmerksamkeit genötigt werden, die sich aus der Zuwendung ihres Gesichtes ableiten lässt (ad vatem vultus rettulit illa suos, V 2). Doch im Unterschied zu der besprochenen Mars-Passage enthüllt sich hier eine ganz andere Beziehung des Erzählers zu der Göttin, die wesentlich von der Ebene des Frage-/Antwortspiels zur Aitiologie des Monats April, in dem Venus besonders verehrt wird, abweicht: Zwischen ihm und der Liebesgöttin scheint eine besondere Intimität zu herrschen. Nach dem Versuch der captatio benevolentiae in V 1 tritt die Göttin in fast barschem Ton erstmals verbal in Erscheinung quid tibi … mecum (V 3).99 Der Grund dafür zeigt sich in V 3f.: Der poeta habe doch vorgehabt maiora, also höhere Dichtung wie Tragödie oder Epos,100 zu singen. Dies kann der Leser Ovids schen Volkes instrumentalisiert (Cornelius Sulla, Pompeius). Insbesondere die Iulier und Caesar, die ihre Vorfahren auf Iulus, den Sohn des Aeneas zurückführten, ließen der Göttin eine besondere Rolle, als Stammmutter ihres Geschlechts zukommen. Bereits 68 v. Chr. hatte Caesar in der laudatio funebris auf seine Tante Venus Genetrix als Ahnherrin der Iulier proklamiert. 46 v. Chr. weihte Caesar dieser Venus Genetrix einen Tempel als Mittelpunkt seines neuen Forum Iulium (vergleiche MORSELLI 1995, passim; GROS 1995, passim) und führte ihr zu Ehren Spiele ein. Das dazugehörige Kultbild der Venus Genetrix ist selbst nicht erhalten, allerdings Reflexe davon auf anderen Medien. Vergleiche dazu SCHMIDT 1997, 198, Nr. 23; 214, Nr. 236; 215, Nr. 243; 216, Nr. 257; 222, Nr. 328; Nr. 329; Nr. 332; 226, Nr. 368; 227, Nr. 379. Vor 29 v. Chr. ließ Octavian bereits die fast nackte Venus Genetrix zum Zeichen seiner göttlichen Abkunft auf Münzen prägen. Unter ihm als Kaiser Augustus wurde die Medienpräsenz des Venus-Kultes noch im Kontext ihrer Einbettung in den neuen Staatsmythos gesteigert: Im Mars-Ultor-Tempel wurde sie auf dem Forum Augustum verehrt und im römischen Nationalepos, der Aeneis des Vergil, wurde sie als Beschützerin und Gründerin Roms beschrieben (Verg. Aen. 1,223–296). Siehe dazu SIMON 1980, 216–219; 224; P. ZANKER 1990, 52–65; HERBERT-BROWN 1994, 81–86; SCHMIDT 1997, 193–195; RIVES 2002, 17–20. 98 P. ZANKER 1990, 198; HERBERT-BROWN 1994, 81f.; FANTHAM 1998, 87. 99 Vergleiche Ov. fast.3,3 (forsitan ipse roges quid sit cum Marte poetae), wo das aitiologische Ich die suggerierte Frage des Mars wiedergibt. Im Proöm zu Buch 4 handelt es sich um die Umkehrung der Kommunikationssituation aus Buch 3. Siehe MILLER 1991, 30. 100 In der Hierarchie der Gattungen stehen Tragödie und Epos höher als die Elegie. Siehe FANTHAM 1998, 90. Hierbei handelt es sich um eine Perversion der recusatio. Venus fragt das ai-

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nur als Anspielung auf die Abschiedsrede an Venus aus dem letzten Gedicht seiner Liebeselegien Amores (3,15) verstehen, zumal Venus in beiden Passagen ähnlich adressiert wird: quaere novum vatem, tenerorum mater Amorum (Ov. am. 3,15,1).101 Zugleich kann ihr durch die andeutungsreiche Erinnerung an die „alte Wunde“102 in seinem Herzen ein Lächeln abgerungen werden. Diese Anspielung nutzt der Erzähler, um auf seine literarische Vergangenheit, seine elegische Liebesdichtung, die er vor Jahren unter den „Feldzeichen der Venus“103 verfasst hat, einzugehen. Im Anschluss daran stellt er diese einerseits seinem gegenwärtigen Dichtungsprogramm der Fasti im Allgemeinen (s.o.) und andererseits dem poetischen Vorhaben für das vierte Buch im Speziellen gegenüber: nunc teritur nostris area maior equis: / tempora cum causis annalibus eruta priscis / lapsaque sub terras ortaque signa canam. venimus ad quartum, quo tu celeberrima mense: / et vatem et mensem scis, Venus, esse tuos. (V 10–14).104

Bewegt durch seine Wort drückt Venus ihre Unterstützung für sein Projekt aus, indem sie mit Myrte aus Kythera seine Schläfen berührt und ihre Hilfe auch verbalisiert: ‚coeptum perfice‘ dixit ‚opus‘ (V 16).105 Durch die Berührung der Venus scheint dem Erzähler das Wissen um die Aitien des Monats April eingeflößt worden zu sein (subito causae patuere dierum, V 17), sodass er seine poetische Reise unter guten Bedingungen fortsetzen kann.106 So wird Venus nach der ovidischen Liebesdichtung nun auch zur Inspirationsquelle der neuen aitiologischen Dichtung.107 Dass Ovid ausgerechnet Venus zur Muse für seine Aitien macht, erscheint ungewöhnlich, da die Göttin keine gängige Inspirationsquelle für die überlieferte aitiologische Dichtung ist108 und ihre hier beschriebenen Attribute sowie ihr Auftreten eher eine weitere intertextuelle Anspielung auf die erotische Venus in Ov. am. 3,1 sind, die in Verkleidung der Elegie die Bühne des Proöms betritt.109 Zunächst könnte in der einzigen konkreten Information, die der Text zu ihrer Gestalt,

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tiologische Ich nicht nach seiner Intention, höhere Dichtung zu verfassen, sondern danach, warum er zu ihr als seiner ehemaligen elegischen Inspirationsquelle zurückkehre. MILLER 1991, 30. MILLER 1991, 29; HINDS 1992 a, 86f.; BARCHIESI 1997, 54; FANTHAM 1998, 88.Vergleiche auch Hor. carm. 4,1,1f. Siehe zu Horaz und seine Beziehung zu Venus im Proöm des vierten Odenbuch und in früheren Stellen der carmina BARCHIESI 1997, 54f. Die Wunde der Liebe ist ein elegischer Topos. Ein typisches Beispiel liefert Prop. 2,12,11– 13. Vergil macht von dem Motiv im Kontext der Dido-Passage ernsteren Gebrauch (Verg. Aen. 4,1–4). Ovid arbeitet es noch weiter aus (Ov. am. 2,9,4–7; Ov. ars 1,23f.; 1,165f.). Siehe MILLER 1991, 31; FANTHAM 1998, 90. Tua signa gehören parallel zu gressus in nova castra fero Ov. fast. 3,174 zum elegischen Topos der militia amoris (s.o.). BARCHIESI 1997, 56. Vergleiche Ov. rem. 40: ‚propositum perfice‘ dixit ‚opus‘. Siehe MILLER 1991, 34. FANTHAM 1998, 88; 94. MILLER 1991, 33f. In Kall. Aet. fr. 7,13f. (Pfeiffer) ölen beispielsweise die Musen den Dichter ein und verleihen ihm Inspiration. Siehe dazu BARCHIESI 1997, 58; FANTHAM 1998, 93. Siehe ZGOLL 2010 b, passim.

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genauer zu ihrem Gesicht liefert, ähnlich wie in den Amores eine versteckte Andeutung auf die Liebesgöttin stecken: In beiden Texten wird Venus lächelnd beschrieben (subrisit, Ov. am. 3,1,33; in Ov. fast. 4,1,2 ist von vultus die Rede, wodurch ihr die Möglichkeit gegeben wird zu lachen: risit, V 5110). Denn bereits bei Homer wird Aphrodite an einigen Stellen als φιλοµµειδής („gern lächelnd“) bezeichnet111 und das griechische Pendant ὑποµειδιάω zu subrideo wird in den Anacreontea (28,14) ebenfalls für Aphrodite verwendet.112 Da erst in V 14 der Name der Venus erwähnt wird, konnte bisher nur der kundige Ovid-Leser gleich im ersten Vers durch die Anrede alma…geminorum mater Amorum113 die Verbindung zur Liebesgöttin herstellen, die bereits Patronin seiner Amores-Dichtung gewesen war. Neben dem Namen ist vor allem die Erwähnung ihres Attributs Cytheriaca…myrto (V 15), mit dem sie dem Erzähler Inspiration einflößt, wichtiger und eindeutiger Indikator für die Identifikation der Göttin: Zum einen weist Cytheriaca auf ihre Heimatinsel Kythera im Südosten der Peloponnes hin, und zum anderen ist die Myrte die Pflanze der Venus.114 Durch dieses Attribut lässt sich eine erneute Verbindung zu Ov. am. 3,1 und der dort auftretenden Liebesgöttin ziehen. ZGOLL sieht den deutlichsten Hinweis dafür, dass dort Venus in der Maskerade der Elegie auftritt, in der Erwähnung des Myrtenzweigs, den sie in ihrer Rechten hält (Ov. am. 3,1,34).115 Als heilige Pflanze der Venus ist der Myrtenzweig ein typisches Attribut der Göttin. Die ikonographische Überlieferung unterstützt dieses Argument. Vor allem im Bildtypus der sogenannten Venus Pompeiana, der in erster Linie in den Landstädten Campaniens aus dem 1. Jh. v. Chr. nachweisbar ist, zeigt sich die Göttin stehend in statuarisch aufrechter Haltung, bekleidet und z.T. von Gestalten aus ihrem Gefolge (Eroten o.ä.) umgeben. Dabei hält sie analog zu Ov. am. 3,1,34 (in dextra myrtea virga fuit) in ihrer rechten Hand den Zweig wie ein Erkennungszeichen oder Zepter.116 110 Vergleiche zum erwähnten Lächeln der Venus mit anschließender Aufheiterung des Himmels in den Versen 5f., Ennius 446–447 (Skutsch) und Verg. Aen. 1,254f. 111 Hom. Il. 3,424; 4,10; 5,375; Hom. Od. 8,362. 112 Vergleiche HUNTER 2006, 40. Siehe auch ZGOLL 2010 b, 168. 113 Nach FANTHAM 1998, 89f. haben die gemini Amores mit höchster Wahrscheinlichkeit eher einen Bezug zu Amor (Zuneigung) und Cupido (Begierde) als zu den platonischen Eros und Anteros. Es lässt sich aufgrund einer Münze eines Verwandten des Iulius Caesars (94 oder 90 v.Chr.), die Venus mit zwei Eroten darstellt, und wegen Ovids Beschäftigung mit der Venus Genetrix ab 4,19 an auch nicht die Verbindung zu einem zeitgenössischen Kultbild ausschließen, das nicht mehr erhalten ist. 114 BÖMER 1958, 207; FANTHAM 1998, 93f. 115 In Ov. ars. 3,53–56 gibt Venus dem elegischen poeta ebenfalls ein Blatt ihrer Myrte und Beeren zur dichterischen Inspiration. Siehe GIBSON 2003, 108f. Auch in Ov. ars 3,181 taucht die Verbindung von Venus und der Myrte auf: Paphias myrtos. Vergleiche BÖMER 1958, 207. 116 BARCHIESI 1997, 57f.; ZGOLL 2010 b, 165–169. Siehe eine Venus Pompeiana von der Außenwand der „Via dell‘ Abbondanza“ (jetzt Museo Archeologico Nazionale di Napoli) in Pompeji, das auf die Zeit kurz vor dem Vesuv-Ausbruch 79 n. Chr. datiert wird. Siehe eine Abbildung davon in SIMON 1990, 225, Abb. 285 und in ZGOLL 2010 b, 167. Vergleiche auch SCHMIDT 1997, 199, Nr. 35a.

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Die im Text erwähnten Attribute der Göttin sind also ähnlich wie bei Mars stereotyp. Der liebeselegische Aspekt der Venus konstituiert sich vor allem durch die intertextuellen Bezüge zur ovidischen Amores-Dichtung (Selbstzitat), in der die Attribute spezifische Bedeutung erhalten. Meiner Meinung nach nutzt der Dichter Ovid den Auftritt der Inspirationsgottheit Venus und die Assoziationen, die durch sie ausgelöst werden, zu Beginn des vierten Buches, um auf die Ambivalenz der Fasti zu verweisen, die, wie oben zu Buch 3 bereits angedeutet, erotische und aitiologische Elemente in sich vereinen. Zudem kann er seine eigene literarische Entwicklung demonstrieren, indem er durch die Göttin und den intertextuellen Bezug sowohl auf seine elegische Liebesdichtung in der Vergangenheit als auch auf seine neue aitiologische Dichtung der Gegenwart bzw. Zukunft verweist.117 Dass Venus als Göttin im Proöm des vierten Fasti-Buches Einzug erhält und als Monatsgöttin zur aitiologischen Inspirationsquelle erhoben wird, ist zunächst erneut dem selbst auferlegten literarischen Rahmen der Kalenderordnung zuzuschreiben. War die Göttin lange Zeit die Inspiration für die elegische Liebesdichtung des Ovid, kann diese Rolle in der aitiologischen Kalenderdichtung nicht mehr aufrecht erhalten werden. Somit muss Venus, die dem Leser im Proöm noch als geminorum mater Amorum begegnet, ähnlich wie die Dichtung des Ovid selbst eine Entwicklung vollziehen. Verfolgt man den weiteren Verlauf des vierten Buches, lässt sich feststellen, dass es nicht viele spezielle Venus-Feiertage (Veneralia am 1. April; Vinalia am 23. April) im April gab, sodass Ovid der Göttin in seinem Kalendergedicht erst Platz verschaffen musste.118 Hinzu kommt, dass im vierten Buch eine andere Venus geehrt wird als in der Liebesdichtung. Jene ist eine weit bedeutendere Macht als die Göttin aus Ovids Liebeselegie und spielt sowohl für die gens Iulia als auch für Rom sowie die ganze Natur eine wichtige Rolle.119 Dies lässt sich auch am Inhalt des vierten Buches ablesen. Im Gegensatz zum Buch des entwaffneten Mars, das von Erotik geprägt ist,120 kommt der Dichter auf die Liebesmacht der Venus außer in der hymnenartigen Aufzählung ihrer Leistungen für Götter, Menschen und Zivilisation121 (V 91–132) nicht zu sprechen. Ausgerechnet dem vierten Buch, das der Venus gewidmet ist, fehlt also eine zentrale erotische Erzählung.122 Die Macht der Venus scheint also im vierten Buch auf 117 MILLER 1991, 33f. 118 BARCHIESI 1997, 56; FANTHAM 2002 b, 32; FARRELL 2004/2005, 45. 119 Siehe zur Poetologie des Proöms des vierten Buches MILLER1991, 29–34; HERBERT-BROWN 1994, 86–95; FANTHAM 1998, 88f. 120 Siehe Kap. 7.2.1.2. 121 FANTHAM 1998, 106. 122 Ein gutes Beispiel bietet die Erzählung vom Raub der Proserpina, die bereits Gegenstand von Ovids Metamorphosen gewesen war (Ov. met. 5,341–571) und hier im vierten Buch der Fasti erneut behandelt wird (V 417–620): Während sich in den Metamorphosen der Unterweltsgott Pluto aufgrund von Amors Pfeil in Proserpina verliebt (Ov. met. 5,363–384), fehlt dieses Motiv im Venus-Buch. Die Göttin der Liebe und Leidenschaft vertritt hier sogar das Gegenteil, nämlich die pudicitia, wie vor allem noch am Eintrag der Venus Verticordia zu zeigen sein wird. Die Keuschheit der Göttin zeichnet sich thematisch an mehreren Stellen, vor allem in

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einem anderen Feld zu liegen. Damit wird durch das Proöm des vierten Buches ein Aition für die dichterische Entwicklung des Ovid eingeleitet, die ihrerseits mit Hilfe der göttlichen Figur der Venus versinnbildlicht wird. Im Gegensatz zu den sprechenden Kultbildern wie Priap und Vertumnus, in deren Texten eine solche Entwicklung auf der intermedialen Ebene mittels der Transformation des Materials zum Ausdruck gebracht worden ist,123 lässt sich diese in den Fasten an der Inspirationsquelle Venus selbst ablesen: Denn diese muss sich erst von der geminorum mater Amorum zu einer aitiologischen Venus entwickeln, um so die neue Identität des Fasti-Dichters, die er sich in fast. 1,1f. gibt, authentisch reflektieren zu können. Wie wird diese Entwicklung im weiteren Verlauf vollzogen?

7.2.2.3 Die Venus-Aretalogie Direkt nach dem Dialog der Verse 1–18 wird vom Kalenderdichter ein neuer Aspekt der Venus betont: Die genealogische Verbindung der Göttin zu Rom und Augustus. Ihre besondere Beziehung zum Kaiser lässt sich bereits aus den Versen 19–22 ablesen, in denen der Erzähler den princeps direkt anredet und ihm verkündet, dass der April wegen seiner Abstammung von Venus auch sein Monat sei und er ihm deshalb Beachtung schenken möge.124 Zum Beweis führt er darauf eine Ahnenreihe an, in der die Monatsgöttin Venus als Großmutter des Iulus und somit als Vorfahrin des julisch-claudischen Kaiserhauses erscheint (V 23–60). Nachdem der aitiologische Erzähler die Verbindung zwischen Venus, dem römischen Volk und insbesondere Augustus dargelegt hat, folgt ab V 61 die Darstellung zweier konkurrierender Etymologien für den Monatsnamen Aprilis, deren Glaubwürdigkeit vom Erklärer unterschiedlich gewichtet wird: Er selbst glaube (auguror125), dass sich der Monatsname vom griechischen ἀφρός ([Meeres-] Schaum) aus Aphrodite ableite.126 Daher versucht er, eventuelle Zweifel an der griechischen Etymologie des römischen Monatsnamen zu beseitigen (nec tibi sit mirum Graeco rem nomine dici, V 63), indem er auf die griechischen Ursprünge von Teilen Italiens (Itala nam tellus Graecia maior erat, V 64) verweist (V 61–84). Darauf berichtet der Erzähler von Menschen (sunt, qui, V 85), die der Venus die Monatszuschreibung nicht gönnen (V 85–90). Aus diesem Grund leiten sie den Monatsnamen vom Frühling (ver, V 87), der sogenannten offenen Jahreszeit

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Form der Vesta zum Abschluss des vierten Buches (V 949–954) ab (vergleiche auch V 223– 244; V 291–328; V 591f.). Siehe FARRELL 2004/2005, 45f.; HOLZBERG 2005, 168–171. Vergleiche Hor. sat. 1,8,1–8; Prop. 4,2,59–64. Siehe zur Verbindung der Venus mit dem iulischen Kaiserhaus in Ov. fast. 4,19–132 HERBERT-BROWN 1994, 87–93. Siehe zur Bedeutung FANTHAM 1998, 102. Vergleiche Varro ling. 6,33. Siehe zur griechischen Etymologie des Monatsnamen FANTHAM 1998, 101f.

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(ab aperto tempore, V 89), der die Erde öffnet und fruchtbar macht (aperit…omnia; …fetaque terra patet, V 87f.), ab (memorant,127 V 89). In diesem Kontext erfolgt ab V 91–132 die hymnenartige Partie auf Venus – die einzige Stelle im vierten Buch, die auf ihre Macht in Bezug auf Liebe eingeht. Mit ihr sucht der Erzähler das Argument dieser Menschen zu widerlegen.128 Dabei wird vor allem Venus als personifizierte Erotik, als die Macht, der die Menschheit ihre Zivilisierung zu verdanken habe (vergleiche V 91–114 und V 125–132), in den Vordergrund gestellt. Dabei wird auch behauptet, dass Venus bzw. die Liebe den Menschen als erste ihre rauen Sitten weggenommen und Schmuck, Sauberkeit und Pflege gegeben (V 107f.)129 sowie die Inspiration vor allem für liebeselegische Dichtung130 und die damit verbundene Eloquenz sowie tausend anderer Künste eingeflößt habe (V 107–114).131 Dadurch mutiert die Göttin über ihre Funktion als Kulturstifterin schließlich zu einer „Universalgottheit“ (mille per hanc artes motae, V 113), wobei ihre Verbindung zu Fruchtbarkeit und Liebe immer wieder betont wird.132 Lediglich in den Versen 117–124 wird der Duktus unterbrochen: Durch die Verse 117f. wird die besondere Beziehung der Göttin zur Stadt Rom eingeleitet (quid … / Urbe tamen nostra ius dea maius habet), indem der Erzähler drei unterschiedliche Verbindungen zwischen Venus und der Mutterstadt Roms, Troja, herstellt. Zuerst wendet sich der Erzähler an den römischen Bürger und erinnert ihn daran, dass Venus einst für sein Troja Waffen getragen (pro Troia, Romane, tua Venus arma ferebat, V 119) und sich dabei an der Hand verletzt hatte (V 120). Damit wird einerseits auf ihr Eingreifen in den Kampf gegen die Griechen angespielt, mit dem sie Aeneas retten wollte und bei dem sie verletzt wurde.133 Andererseits wird ein konträrer Bezug zu der Entwaffnung des Mars zu Beginn von

127 FANTHAM 1998, 108. 128 Vergleiche auch den Hymnus des Lukrez auf Venus Genetrix (Lucr. 1,1–43), in dem vor allem die Fruchtbarkeit der Göttin und ihre Macht auf die Natur gepriesen werden. Dieser Text scheint als ältestes Beispiel der lateinischen Poesie für einen gebetsartigen Hymnus auf eine Gottheit zu Beginn des Werkes die ovidische Aretalogie der Venus stark beeinflusst zu haben. Siehe FANTHAM 1998, 106f. Vergleiche auch speziell zum Proöm bei Lukrez GALE 2007, 208–228. 129 Bereits in seiner ars amatoria hatte Ovid die Verbindung von Pflege, Schmuck und ein hohes Maß an Kultiviertheit betont (Ov. ars 3,101–128). In diesem Kontext trat auch Venus auf, um dem elegischen poeta Inspiration einzuflößen (Ov. ars. 3,43–56). Siehe zur Epiphanie der Venus in den ars amatoria GIBSON 2003, 104–109. Vergleiche auch FANTHAM 1998, 110f. 130 Die Assoziation zu dieser Gattung wird durch die aufgerufene liebeselegische Terminologie in den Versen 109–112 erzeugt: Das carmen vigilatum (V 109), das nachts vor verschlossenen Türen gesungen wird, durch dessen Eloquenz (eloquiumque, V 111) der amans die dura puella zu erweichen sucht (V 109–112) ist eine Umschreibung für das Paraklausithyron. Siehe BARCHIESI 1997, 58f.; FANTHAM 1998, 111. Vergleiche Ov. am. 1,6; Tib. 1,6; Prop. 1,16. 131 MILLER 1991, 34; HOLZBERG 2005, 172. 132 Siehe speziell zu den Versen 91–114 dieser Passage FERRARINO 1958, passim. Siehe Venus im Proöm des Lukrez GALE 2007, 208–228. 133 Vergleiche Hom. Il. 5,311–343; Ov. met. 14,477f. Siehe BÖMER 1958, 215; FANTHAM 1998, 112f.

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Buch 3 und der damit in Verbindung stehenden militia amoris (s.o.) hergestellt.134 Die Verse 121f. spielen auf das Urteil des trojanischen Königssohn Paris an, der Venus vor Iuno und Minerva zur Schönsten wählte und im Gegenzug die schöne Helena zur Frau bekam (caelestesque duas Troiano iudice vicit, V 123).135 Das letzte Distichon dieser Passage stellt die Verbindung der Venus zu Anchises her, dem Sohn des Assaracus (Assaracique nurus dicta est, V 123). Aus dieser entstand Aeneas, sodass der magnus Caesar sich von den Ahnen aus dem Hause des Iulus ableiten konnte (V 124).136 Gerade die letzten beiden Verse zeichnen Venus als Aeneadum genetrix.137 Zum Schluss des Abschnittes (V 125–132) verweist der Erzähler wieder auf den Anfang der Passage, indem er resümiert, dass der Frühling am besten zur Venus passe (nec Veneri tempus quam ver erat aptius ullum, V 125; V 129), weil beide mit Fruchtbarkeit und Schifffahrt in Verbindung gebracht werden können (V 126–128; 131f.).138 Welche Funktion könnte die Einbettung der hymnusartigen Venus-Aretalogie innerhalb der Etymologie des April beanspruchen? Hymnen wurden schon seit Beginn der griechischen Literatur gerne als Werkeröffnung verwendet.139 Die vorliegende Venus-Aretalogie ist zwar nicht als direkter Hymnus an die Göttin Venus gerichtet, wie sich an der fehlenden Anrede erkennen und durch die Einbettung in die etymologische Diskussion erklären lässt. Es lassen sich jedoch hymnenartige Strukturen aufzeigen.140 Im Unterschied zur Prädikation im meist anaphorischen Du-Stil der Hymnen weist die vorliegende Textpassage eine im anaphorischen Er- bzw. Sie-Stil auf. Dieser wird mit illa (V 91) … illa (V 92) … illa (V 95) … illa (V 96) … illa (V 97) besonders in den Anfangsversen des Abschnitts evident, in der ein Teil der göttlichen Machtbereiche geschildert wird. Ansonsten ist die hymnentypische Aretalogie der Venus das vorherrschende Element dieser Textpassage, die die Göttin vor allem in der zweiten Hälfte als Venus Genetrix zeichnet (s.o.). Die Einleitung des zweiten Teils mit der Aussage, dass die Göttin zwar in ihrer in den Versen 91–116 beschriebenen Funktion (s.o.) überall hochverehrt und durch ihre vielbesuchten Tempel hoch angesehen ist (ubique potens templisque frequentibus aucta, V 117), aber speziell in Bezug auf die Stadt Rom ein maius ius (V 118) besitze, grenzt die Venus Genetrix eindeutig von der mit Fruchtbarkeit und Erotik in Verbindung stehenden Venus der vorigen Distichen ab. Der Komparativ maius 134 HOLZBERG 2005, 171f. 135 Das Paris-Urteil ist Bestandteil der Vorgeschichte des trojanischen Krieges in der Kypria (PEG I, 38 f. und fr. 1–14). Siehe dazu STOEVESANDT 2000, 335. 136 Siehe z.B. Verg. Aen. 1,254–296. 137 Vergleiche Lucr. 1,1; Siehe BARCHIESI 1997, 60; FANTHAM 1998, 112f. 138 Man beachte in diesem Abschnitt das Polyptoton und Anapher ver…vere…vere (V 125f.), das in V 131 fortgeführt wird (vere) und an die Anapher zu Beginn der hymnenartigen Partie erinnert (V 91, 92, 95, 96, 97). Siehe auch eine weitere Anapher in nunc…nunc (V 127f.). Vergleiche FANTHAM 1998, 113. 139 Vergleiche beispielsweise den Beginn von Hom. h. 2 und 5. Siehe dazu RACE 1992, 19–36; FUHRER 1998, 792–794; FURLEY 1998, 788–791. 140 Siehe zu Stilistika des Hymnus in griechischer und lateinischer Literatur NORDEN 1913, 143– 176.

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könnte im Kontext der aitiologischen Werkprogrammatik der Fasti Indikator für die Fokusverschiebung auf den genealogischen Aspekt der Venus sein. In diesen Zusammenhang könnte auch das Ende der hymnenartigen Aretalogie mit der Preisung des Frühlings als Jahreszeit der Göttin eingeordnet werden. Dort steht erneut vor allem die Darstellung von Fruchtbarkeit und Wachstum in der Pflanzenwelt im Fokus (V 125–128), für die Venus verantwortlich gemacht wird (et formosa Venus formoso tempore digna est, V 129). Auf poetologischer Ebene ist die enge Versverbindung in Kombination mit den obigen Beobachtungen, in denen bereits die Liebesgöttin Venus mit Dichtung und deren Inspiration verknüpft wurde, auffällig: Sie könnte anzeigen, dass die genealogische Seite der Göttin, die Venus Genetrix der Verse 117–125, die neue Inspirationsquelle des vierten Fasti-Buches ist. Dafür könnten die aufkeimenden, blühenden Pflanzen im Monat Frühling sinnbildlich stehen. Denn zu dieser Zeit beginnen auch die Schiffe auf dem Gewässer, dem Venus entsprungen ist (materna per aequora, V 131),141 zu fahren. Ihre betonte Verbindung zu Mars in den letzten Versen (utque solet, Marti continuata suo est, V 130), die sich aus beider Assoziation mit dem Frühling (s.o.) und aus ihrer besonderen Beziehung in der augusteischen Genealogie ergibt (V 19–60; v.a. tempora dis generis continuata dedit, V 60),142 schafft eine Nähe zu der in den Versen 117–124 beschriebenen Venus Genetrix.143 Die Durchdringung dieser Verse mit Elementen aus dem Hymnus, der einerseits eine beliebte literarische Werkeröffnung war und gleichzeitig eine Nähe zum kultischen Gebet und zum Herbeirufen von Göttern aufwies,144 könnte demnach auf der Ebene der Intertextualität und der Kultpraxis ein weiterer Indikator für den gebildeten Leser sein, dass in diesen Versen etwas Neues begonnen, eingeleitet und eventuell auch invoziert wird. Gleichzeitig wird innerhalb des Abschnitts verdeutlicht, dass Venus nicht nur zur Liebeselegie inspirieren kann, wie sie es bisher bei Ovid getan hat, sondern durchaus aitiologisches Potential hat. Verfügt sie doch über ihre universale Kompetenz im Bereich der Künste und über eine enge Verbindung als Venus Genetrix zu Troja, den Römern und der AugustusFamilie, die bereits von anderen Dichtern künstlerisch umgesetzt wurde. Somit dient die hymnenartige Partie einerseits als Marker für den Beginn der Transformation der ovidischen Inspirationsquelle von der elegischen zur aitiologischen Venus, anderseits aber auch der poetologischen Rechtfertigung.

141 Aphrodite/Venus weist eine sehr enge Verbindung zum Meer auf, in dem der Samen des Kronos für ihre Geburt sorgte und das Meer somit als ihre Mutter angesehen werden kann. Siehe BÖMER 1958, 215; FANTHAM 1998, 114. 142 Vergleiche BARCHIESI 1997, 61; FANTHAM 1998, 114. 143 Vergleiche auch GALE 2007, 217–219. 144 Vergleiche die Gebetsstruktur bei GRAF 1998 b, 831 und die Hymnenstruktur bei FURLEY 1998, 789.

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7.2.2.4 Die Funktionalisierung des Venus-Kultbildes im aitiologischen Dichtungsprogramm Im Anschluss an die hymnische Aretalogie folgt das Aition der Veneralia an den Kalenden des April (V 133–162).145 Adressiert an die Mütter und Töchter Latiums sowie an die, die keine langen Kleider und Haarbinden tragen (V 133f.),146 fordert der Erzähler zunächst die Angesprochenen zur Reinigung des Venus-Kultbildes im Wasser (V 135–138) auf. Danach sollen die Frauen selbst unter grüner Myrte baden, wie es einst auch Venus selbst zum Schutz vor den lüsternen Satyrn getan habe (V 139–144). Es folgt die Erklärung, dass man an dem Ort der Fortuna Virilis147 Weihrauch spende, damit diese dafür sorge, dass Männer nicht den nackten Körper der Frauen sehen (V 145–150).148 Darauf schließt sich die Beschreibung des Opfers und des Gebets für Venus Verticordia (V 151–156) sowie das Aition ihres Tempels (V 157–162) an. Dieser soll ihr zu Ehren auf Anordnung der Sibylle von Cumae errichtet worden sein, als Rom in seiner Frühzeit vom Weg der Keuschheit abgewichen sei (Roma pudicitia proavorum tempore lapsa est, V 157).149 Der Eintrag wird durch die Bitte an Venus Verticordia abgeschlossen, mit gnädigem Blick auf die Söhne des Aeneas zu schauen und die römischen Frauen zu beschützen. Die hymnenartige Aretalogie auf Venus, die die Göttin noch mit einem ambivalenten Wesen, aber mit dem Fokus auf die Venus Genetrix gezeichnet hatte, 145 Siehe zum Fest der Veneralia am 1. April des Jahres SCULLARD 1985, 149f. 146 Mit V 134 sind die meretrices gemeint, denen es verboten war, die Kleidung und Haartracht ehrenwerter Frauen, wie Stola mit Saum (instita) oder vitta zu tragen. Stattdessen trugen sie kürzere Tuniken und eine Toga (vestis meretricia), die auch Frauen trugen, die wegen Ehebruchs verurteilt wurden. Siehe BÖMER 1958, 215f; FANTHAM 1998, 117. 147 Fortuna Virilis ist ihrem Namen nach das Gegenstück zur Fortuna Muliebris und Fortuna Virgo/ Virginalis. Da der Schutz des weiblichen Lebens ein alter Aspekt der Fortuna gewesen war, scheint die Fortuna Virilis weniger eine Schutzgottheit von Männern denn eine Vermittlerin der Beziehungen zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht zu sein. Daher kann die Verbindung zu Venus und den Kalenden des April kaum zufällig sein. Siehe BÖMER 1958, 216f. Vergleiche COARELLI 1995, passim. 148 Siehe dazu FANTHAM 2002 b, 35f. Aus dieser Schilderung lässt sich laut SCULLARD ableiten, dass ursprünglich zwei getrennte Kulte (der der Fortuna und der der Venus) auf irgendeine Art miteinander vermengt worden sind. Siehe dazu SCULLARD 1985, 149. 149 Venus Verticordia stellte einen Teilaspekt der Venus dar (die ‚Herzensverwandlerin‘). Ursprünglich war sie die Göttin der sich versagenden Liebe, galt aber im Volksmund als die „Abwenderin ungeordneter Begierden“. Der Kult der Venus Verticordia wurde vor oder zur Zeit der Kriege gegen Hannibal in Rom (wohl 216 v. Chr.) mit einem Kultbild (simulacrum) eingeführt, das von Sulpicia gestiftet wurde, der Frau des in diesem Jahre zum pontifex gewählten Q. Fulvius Flaccus und in schwieriger Konkurrenz als sanctissima femina ausgewählt (Val. Max. 8,15,12). Erst im Jahre 114 v. Chr. erhielt sie im Zuge der Krise wegen eines Inzests, der angeblich von drei Vestalinnen begangen worden ist, auf Rat der Sibyllinischen Bücher einen Tempel auf dem Kapitol. Dessen genauer Standort ist allerdings nicht bekannt. Ebenfalls geben die Schriftquellen über die römischen Tempel keine Hinweise über deren Kultbilder und auch archäologische Zeugnisse fehlen. Siehe dazu BÖMER 1958, 215; RADKE 1979, 315–317; SCULLARD 1985, 149f.; SCHMIDT 1997, 193f.; FANTHAM 1998, 121f.; COARELLI 1999, passim; FANTHAM 2002 b, 36f.

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bildet somit die Verknüpfung zum Ritual des Bades der Venus und leitet jenes ein. Der Beginn der Venus-Verticordia-Passage rite deam colitis unterstützt diesen Eindruck. Einerseits wird dadurch auf die hymnenartigen Strukturen der Verse 91–132 zurückverwiesen, und andererseits werden dieselben Verse durch die Verwendung der zweiten Person Plural auch auf die in V 133f. adressierten Mädchen und Frauen projiziert, für die der Kalendererklärer somit als „virtueller Vorsänger“ für ihr Gebet gewirkt hat.150 Die Wiedergabe eines realen Gebetes im Kontext dieser Feierlichkeiten dürfte sich für den aitiologischen Erzähler ohnehin als schwierig erweisen, da ihm als Mann151 der Zutritt zu diesen Ritualen sicherlich versagt geblieben ist. Unter dem Aspekt der untersagten Zugänglichkeit lassen sich darüber hinaus zwei Dinge ableiten, die für die weitere Argumentation wichtig sind: 1) Der Kalenderdichter verfügt über einen dichterischen Freiraum, den er bei allgemein zugänglichen Veneres nicht hatte. 2) Da er das Aussehen der Venus Verticordia nicht kennen kann, muss er sie hypothetisch mit ihm bekannten Bildtypen (Venus anadyomene und Venus pudica), wie wir noch sehen werden, imaginieren. Venus Verticordia ist damit von vornherein ein experimentelles Konglomerat. Dass der zeitgenössische römische Kalender am 1. April ausgerechnet ein Venus-Fest vorgibt, das u.a. der Venus Verticordia zu Ehren abgehalten wird, spielt dem Dichter Ovid in die Hände.152 Hatte er in den Versen zuvor mithilfe der Darstellung der Venus-Entwicklung von der geminorum mater Amorum zur Venus Genetrix im Wesentlichen auf die Entwicklung seiner eigenen Dichtung von der reinen Liebeselegie zur aitiologischen Dichtung aufmerksam gemacht,153 wird dieser poetische Progress durch das Aition für Venus Verticordia nun praktisch umgesetzt. Denn durch die Verbindung dieser Venus mit der Keuschheit (V 141– 144; 157–162) und ihrem sprechenden Namen Verticordia (verso…corde, V 160; die ‚Herzensverwandlerin‘) stellt sie das absolute Gegenteil zur geminorum mater Amorum dar und scheint im Blick auf den Inhalt des vierten Buches auch programmatische Funktion zu übernehmen.154 In diesem Zusammenhang kann auch die beschriebene Waschung des Kultbildes der Venus Verticordia (V 135–144) poetologisch fruchtbar gemacht werden. Denn es ist ein Ritual, für das es keinen anderen Nachweis in Rom gibt. Da-

150 Colere kann u.a. „eine Gottheit durch Gebete, Opfer und andere Zeremonien verehren“ bedeuten, sodass sowohl die hymnusartige Struktur in Versen 91–132 als auch die Waschung des Kultbildes (V 135–138) mit colere gemeint sein kann. Siehe ThlL s.v. „colo“, 1682–1687. 151 Dass der Erzähler männlich ist, wird beispielsweise in Ov. fast. 6,21 deutlich, wo er als o vates, Romani conditor anni bezeichnet wird. 152 Vergleiche die fasti Philocati, die die Kalenden des Aprils als Veneralia bezeichnen (CIL I2 p. 262). Vergleiche die fasti Praenestini in CIL I2 p.235 weisen zu den Kalenden des Aprils folgenden Zusatz auf: frequenter mulieres supplicant Fortunae virili humiliores etiam in balineis quod in iis e aparte corporis utique viri nudantur qua deminarum gratia desideratur. 153 Siehe Kap. 7.2.2.2. 154 Vergleiche HOLZBERG 2005, 170.

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mit scheint es ähnlich wie die dritte Etymologie des Vertumnus bei Properz ein literarisches Konstrukt vom Dichter sein.155 Der Sprecher fordert in seiner Beschreibung der rituellen Reinigung die Frauen auf, dem Kultbild, über dessen Aussehen der Leser nichts näher erfährt, Bänder und Schmuck abzunehmen, es vollständig zu waschen, den Nacken zu trocknen, Bänder und Schmuck wieder anzulegen und es mit Rosen und anderen Blumen zu versehen (V 135–138). Im Vergleich zu den sprechenden Kultbildern bei Horaz, Tibull und Properz, verhält sich das hier beschriebene Götterbild sehr passiv. Die Gottheit scheint die Reinigung geschehen zu lassen und greift auch nicht aktiv in die aitiologische Narration ein. Falls diese Kulthandlung ein ovidisches Konstrukt ist (es gibt keinen realen Nachweis für ein solches Ritual im Kontext des VenusVerticordia-Kults), kann Ovids Beschreibung wie bei Properz nur eine literarische Funktion im Kontext des vierten Buches erfüllen. Welche könnte diese sein? Ein Blick auf anderweitig bezeugte Waschungen könnte bei der Beantwortung dieser Frage hilfreich sein: Die Waschung von Kultbildern hatte neben der Befreiung von Schmutz o.ä. und der Erneuerung der göttlichen Macht auch reinigende Funktion.156 Vor allem in der griechischen Vorstellung war die Befleckung/ Unreinheit, hervorgerufen z.B. durch Blutschuld, Tod, Geburt, Menstruation, Geschlechtsverkehr, Krankheit, Inzest, Kannibalismus etc., eine Störung der religiösen und gesellschaftlichen Ordnung, die dem menschlichen und v.a. dem weiblichen Körper, aber auch Göttern anhängen konnte. Reinigungsrituale wie u.a. das Waschen konnten von dieser Unreinheit befreien (Kathartik).157 Wenn auch die Kathartik in der römischen Religion eine geringere Rolle zu spielen schien als in der griechischen, könnte dieser Aspekt doch bei der Waschung des Kultbildes der Venus Verticordia auf poetologischer Ebene wichtig sein. Denn auch beim Waschen der Venus-Statue könnte eine jährliche Reinigung der Gottheit von den Sünden ihrer Verehrer vom Dichter suggeriert sein.158 155 Eine lavatio der Magna Mater wird von Ovid in 4,337–340 überliefert. Pausanias beschreibt ein Bad des Aphrodite/Venus-Kultbildes in Sicyon (2,10,4f.). Man nimmt an, dass eine bei Paestum gefundene Anlage dem kultischen Bad der Venus Verticordia/Fortuna Virilis dienen könnte. GLADIGOW 1994, 23; FANTHAM 1998, 117f.; LINANT DE BELLEFONDS 2004, 425. 156 Siehe dazu LINANT DE BELLEFONDS 2004, 419–421. 157 Siehe zur Kathartik HEINZE 1999, 352f. 158 Eine panitalische Göttin, die von der Poebene bis nach Lukanien Verehrung fand, war Mefitis, die an vielen Orten und früh bereits mit Venus gleichgesetzt wurde. Sie war die Göttin des Schwefels, dem man reinigende Kraft zusprach. So badete man in Schwefelquellen und zündete ihn zum Räuchern an, wie es schon Odysseus nach dem Freiermord bei Homer getan haben soll (Hom. Od. 22,481f.). Venus Mefitis war also die Heilerin der Übel, also jeglicher Form der Befleckung. Zudem waren und sind Schwefelquellen, da sie heilsame und beseitigende Wirkung auf Muttermale, Sommersprossen oder andere Hautverunreinigungen haben, Bäder für die Schönheit und können sogar fördern für die weibliche Fruchtbarkeit sein. Daher stehen sie unter dem Schutz der Venus. Für Rom ist ihr Kult am Esquilin belegt (Varro ling. 5,49). In der Liebeselegie bei Properz 4,8,83–86 findet der Schwefel ebenfalls reinigende Verwendung, als Cynthia unerwartet in das Haus des Geliebten kommt und ihn mit zwei Hetären auf dem Bett vorfindet. Nachdem sie sie vertrieben hat, reinigt sie alles, was die Mädchen berührt haben mit Wasser und Schwefel. Die frühste stadtrömische Vorläuferin der Ve-

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Auch der Text spielt in Mikroerzählungen auf zwei „Sündenfälle“ an und liefert damit die Begründung für das beschriebene Reinigungsritual: In den Versen 140– 144 leitet der Erzähler das Aition ein, warum die Frauen und Mädchen unter grüner Myrte baden sollen. Er erklärt, dass Venus, als sie einst nach einem Bad am Ufer nackt ihre nassen Haare trocknete, von Satyrn beobachtet wurde und zum Schutz mit Myrte ihre Blöße bedeckte. In V 157 wird hingegen auf die historische Tatsache angespielt, dass der Tempel der Venus Verticordia als Wiedergutmachung für einen Inzestfall dreier Vestalinnen (s.o.) gestiftet worden sei.159 Vor allem das erste Aition, welches im Gegensatz zum zweiten „Sündenfall“ ebenfalls ein ovidisches Konstrukt zu sein scheint (s.u.), bietet den größten literarischen Freiraum für den Dichter und ist somit hinsichtlich der poetologischen Funktion sehr aussagekräftig. Nach der beschriebenen Reinigung des VenusKultbildes wird hier auf verschiedenen Ebenen das Resultat der Waschung – die Reinheit der Gottheit oder im übertragenen Sinne die pudicitia – betont. Dieser Aspekt wurde bereits bei der Schilderung der Reinigung tangiert: Wenngleich das verwendete Kultbild selbst nicht näher beschrieben wird, findet dort zumindest das durch das Material bedingte Farbenspiel Erwähnung. marmoreo …collo (V 135) spielt einerseits auf das Material Marmor an, kann andererseits aber auch bei Ovid synonym für die blasse oder weiße Farbe des Kultbildes genutzt werden,160 was wiederum den gereinigten Zustand der Statue reflektiert. Die Beschreibung der Attribute redimicula als aurea evoziert einerseits göttliche Schönheit, andererseits aber auch Sittlichkeit161 – Werte, die mit der Gottheit in direkte Verbindung gebracht werden können. Im Aition über den Brauch, beim Reinigungsritual unter grüner Myrte zu baden, lassen sich erneut ikonographische Reflexe feststellen, die die pudicitia hervorheben: Die Beschreibung der nackten Venus, die sich am Ufer ihr nasses Haar trocknet, ist eine klare Anspielung auf den ursprünglichen AphroditeAnadyomene-Typus mit dem charakteristischen Kennzeichen des sich die Haare Auswindens,162 der später auch für die römische Venus übernommen worden ist.

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nus war neben der Venus Mefitis vom Esquilin die Venus Cloacina vom Forum Romanum, die ebenfalls reinigende Funktion hatte. SIMON 1990, 221–223. SCULLARD 1985, 150. Vergleiche FANTHAM 1998, 118. Siehe Ov. am. 2,11,15; Ov. met. 3,481. Vergleiche Prop. 4,7,85: aurea Cynthia. Siehe zur Evokation der göttlichen Schönheit v.a. in der Junktur Venus aurea: Verg. Aen. 10,16; Ov. met. 10,277; Stat. silv. 3,4,22. Siehe zur moralischen Qualität des aureus, a, um z.B. Lucr. 3,12; Tib. 1,6,58; Hor. carm. 4,2,22f. Siehe dazu HABERMEHL 2013, 64. Der mythologische Hintergrund dieses Motivs ist ihre Geburt aus dem Meer, die bereits im 5. Jh. v. Chr. von Phidias bildlich dargestellt wurde (siehe dazu DELIVORRIAS 1984, 113–116). Der Anadyomene-Typus hat vor allem in hellenistischer Zeit sowohl eine große Ausbreitung als auch eine ständige Variation erfahren, wodurch die Erstellung eines Stemmas schwer fällt. Vermutet wird eine Abhängigkeit zu dem berühmten Gemälde des Apelles im koischen Asklepion aus dem späten 4. Jh. v. Chr. (DELIVORRIAS 1984, 54–57, Nr. 423), von dem sich trotz zahlreicher schriftlicher Überlieferungen lediglich eine vage Vorstellung gewinnen lässt. Vermutlich zeigte es die Göttin in dem Moment, als sie dem Meer entstieg, und ihr Unterkörper noch im Wasser von den durchsichtigen Wellen verdeckt war, während sie mit beiden

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Der Erzähler greift damit, wie oben bereits erwähnt, aus Unkenntnis über das wahre Aussehen der Venus Verticordia auf einen bekannten Bildtypus zurück. BÖMER vermutet, dass Ovid dieses Aition angebracht habe, um das Motiv der Aphrodite/Venus anadyomene im Gemälde des Apelles aus dem späten 4. Jh. v. Chr. zu erklären, das im Tempel des Iulius Caesar ausgestellt war.163 Diese Vermutung ließe sich noch erweitern: Denn das Verdecken des nackten Körpers, wie es vom aitiologischen Erklärer in V 143 dargestellt wird, ist ebenfalls ein Reflex des Typus der Aphrodite/Venus pudica. Unter dem pudica-Motiv ist generell das Verdecken der Brust- und Schampartie mit den Händen zu verstehen, das bereits seit dem 7. Jh. v. Chr. belegt ist.164 Unter der Bezeichnung Venus pudica sind alle Darstellungen zusammengefasst, die folgende Charakteristika aufweisen: Die Göttin trägt keine Kleidung, steht mit einem leicht angewinkelten Spielbein, den Kopf leicht zur Seite gewendet, eine Hand bedeckt den Schoß, die Gebärde der anderen Hand kann variieren. Der Typus und seine Varianten gehen alle auf die erste vollplastische Darstellung der nackten Göttin zurück: die nackte Aphrodite Knidia des Praxiteles165 aus dem 4. Jh. v. Chr.166 Somit hat auch diese Darstellung ein berühmtes griechisches Vorbild aus dem Hellenismus, dessen Original sich nicht in Rom befand, aber dessen Ruhm bis nach Rom reichte und dessen Venuspudica-Motiv zu den bekanntesten und am häufigsten umgearbeiteten Bildtypen gehörte.167

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Händen den Schaum aus den feuchten Haaren drückte. Das Werk wurde später von Augustus nach Rom gebracht und als Bild der Stammmutter seines iulischen Geschlechts im Tempel des Divus Iulius geweiht (vergleiche Plin. nat. 35,91). Das Anadyomene-Motiv fand auch in der plastischen Darstellung zahlreiche Umsetzungen sowohl für Aphrodite (DELIVORRIAS 1984, 54–57, Nr. 424–455 (nackte Aphrodite); 76f.; Nr. 667–687 (halbbekleidete Aphrodite)) als auch für Venus (SCHMIDT 1997, 202, Nr. 78–87 (halbbekleidete Venus); 206f., Nr. 133– 146 (nackte Venus)). Siehe auch BÖMER 1958, 216; FANTHAM 1998, 119. Siehe BÖMER 1958, 216. Vergleiche auch FANTHAM 1998, 119. DELIVORRIAS 1984, 49. Siehe zu Beispielen der frühsten Darstellungen DELIVORRIAS 1984, 47, Nr. 358; 359; 364. Bei der Aphrodite von Knidos handelt es sich um das berühmteste Werk des Praxiteles, dessen Entstehung Thema späterer Anekdoten wurde (so z.B. Plin. nat. 36,20f.). Die Berühmtheit des Werkes lockte viele Besucher in den ringsum offenen Tempel nach Knidos und sorgte dafür, dass König Nikomedes von Bithynien die Statue unbedingt erwerben wollte (Plin. nat. 36,20f.). Später soll sie in frühchristlicher Zeit nach Konstantinopel gebracht und beim Brand des Lauseion 476 n. Chr. zerstört worden sein. Die Nachklänge der Aphrodite Knidia in römischen Kopien, hellenistischen Umbildungen, Kleinkunstwerken und der Münzprägung sind in Relation zu der Berühmtheit des Werkes und im Gegensatz zu anderen Typen der Aphrodite nicht zahlreich. Siehe zur ursprünglichen Aufstellung, sowie schriftlichen und statuarischen Überlieferung DELIVORRIAS 1984, 49–52, Nr. 391–408. Siehe zur Venus pudica SCHMIDT 1997, 204–206, Nr. 109–132 (Venus pudica stehend und unbekleidet); SCHMIDT 1997, 202f., Nr. 88–101 (Venus pudica stehend und halbbekleidet). Siehe zur Aphrodite pudica DELIVORRIAS 1984, 52–54, Nr. 409–422 (Aphrodite pudica stehend und unbekleidet; kaiserzeitliche Wiederholungen von Statuen dieses Typus aus dem Hellenismus); DELIVORRIAS 1984, 82f., Nr. 736–742 (Aprodite pudica stehend und halbbekleidet). DELIVORRIAS 1984, 227.

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Spinnt man den Gedanken von BÖMER weiter, dann könnte das vorliegende Aition des Ovid nicht nur die Erklärung für das Aphrodite/Venus anadyomene-Motiv, sondern auch für das der Venus pudica sein, die sich beide in der Erzählung widerspiegeln. Damit nutzt Ovid intermediale Bezüge auf bekannte, real existierende Darstellungstypen, um seinen eigenen aitiologischen Erläuterungen durch diese Referenzen mehr Autorität zu verleihen.168 Im Kontext aller bisherigen Beobachtungen ließe sich die These aufstellen, dass die Abfolge beider statuarischer Reflexe von der einen Venus, die sich beim Haare Abtrocknen nackt präsentiert, zur anderen, die schamhaft die Blöße verdeckt, sinnbildlich für die Transformation von der elegischen Venus als geminorum mater Amorum zur aitiologischen Venus Genetrix steht. Der Text unterstützt diese Überlegung, indem er vor allem eine Tugend der Venus hervorhebt: die pudicitia. Dies manifestiert sich zunächst an der veränderten Funktion der Myrte: Ließ sie sich zu Beginn des vierten Fasti-Buches als Merkmal der liebeselegischen Venus aus den Amores deuten,169 ist es nun die eigene Anweisung der Venus, diese Pflanze zur Bedeckung der Scham und zur Wahrung der pudicitia zu nutzen (V 139; 143f.).170 Die Notwendigkeit zur pudicitia, d.h. den Körper aus Scham zu verdecken, wird durch die Betonung des Voyeurismus in den Mikroaitien, in denen beide göttliche Akteurinnen eine Rolle spielen, begründet sowie durch deren Bildcharakter betont: Im Aition zu der Frage, warum die Frauen unter grüner Myrte baden (V 139f.), werden die Satyrn dafür verantwortlich gemacht (V 141f.), die die Göttin Venus verbotenerweise nackt beim Bade gesehen haben (viderunt, V 142). Ihre Schamlosigkeit wird im Text durch die Bezeichnung als turba proterva hervorgehoben.171 Das zweite Aition stellt die Frage, warum die Frauen im Bad der Fortuna Virilis Weihrauch spenden (V 145f.). Hier ist es der Ort selber, der stellvertretend für Fortuna Virilis jeden Makel des nackten Frauenkörpers sieht, sobald sie die Kleidung abgelegt haben (ille locus… / vitium nudi corporis omne videt, V 147f.). In diesem Falle muss der Ort sehen, um dazu beitragen zu können, dass der Makel mittels des Weihrauchopfers verdeckt und den Männern verheim-

168 Es ist mir keine erhaltene, ikonographische Darstellung des Typus Aphrodite/Venus anadyomene bekannt, die diese Venus im Umfeld von Satyrn zeigt. Es gibt allerdings vorpraxitelische Darstellungen von nackten Frauen mit Satyren, wobei die darauf abgebildeten weiblichen Figuren nicht immer eindeutig als Aphrodite identifiziert werden können. Siehe DELIVORRIAS 1984, 48f., Nr. 382: Glockenkrater aus dem späten 5. Jh. v. Chr.; Nr. 383: Glockenkrater aus dem späten 5./frühen 4. Jh. v. Chr.; Nr. 389: Silberner Fingerring aus dem späten 5. Jh. v. Chr.. Ebenso ist mir keine erhaltene, ikonographische Darstellung des Typus Aphrodite/Venus pudica bekannt, die sich ihre Blöße mit Myrte verdeckt. Weiterhin sind mir außerhalb von Ovid auch keine literarischen Zeugnisse über dieses Aition bekannt. 169 Siehe Kap. 7.2.2.2. 170 Vergleiche FANTHAM 1998, 119. 171 Vergleiche eine sehr ähnliche Episode, die von Oenone berichtet wird: me satyri celeres (silvis ego tecta latebam) / quaesierunt rapido, turba proterva, pede (Ov. epist. 5,135f.). Helena nennt in Ov. epist. 27 und 77 Paris und seine Augen protervus. Siehe FANTHAM 1998, 119.

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licht wird (V 149f.).172 Somit wird die pudicitia der Venus auch aitiologisch durch den Kalendererklärer begründet. Ein weiteres Argument zur Bestätigung meiner These ist der Textaufbau. Denn der Leser, der das vierte Buch der Fasti in fortschreitender Lektüre rezipiert, wurde bereits vor der Passage zu den Veneralia mit der hymnenartigen Aretalogie auf Venus konfrontiert, die mit Assoziationen zur Venus Genetrix und ihrer Funktion als neue Inspirationsquelle geendet hatte.173 Der Fasteneintrag zum Festtag der Venus Verticordia weist dabei zu Beginn bei der Beschreibung des Reinigungsrituals keine Namensbezeichnung für das Kultbild auf, sondern beschreibt es lediglich als dea (deam, V 133; dea, V 136). Der Name Venus erscheint erst ab V 153, und ihr Beiname findet gar erst in V 160 Erwähnung. Unter diesen Voraussetzungen werden durch die Evokation der dea und der Reinigung ihres Kultbildes zu Beginn der April-Kalenden beim Rezipienten Assoziationen zur Venus Genetrix und deren Kultbild geschaffen. Zum Ende des Textes wird diese Vorstellung sogar ganz konkret: In den Versen 161 und 162 spricht der aitiologische Erzähler die Göttin nochmals direkt an (respice…diva…tuere, V 162). Auf diese Weise hebt sich das Distichon vom Rest des Textes ab. Durch die Betonung der Schutzfunktion hinsichtlich der Nachkommen des Aeneas (Aeneadas, V 161) und der pudicitia der jungen, römischen Frauen (tuas … nurus, V 162) überschneiden sich erstmals am Ende der Textpassage die Kompetenzgebiete der Venus Verticordia, der der Festeintrag gewidmet ist, und der Venus Genetrix, die kurz zuvor in der hymnusartigen Partie evoziert wurde.174 Sie scheinen eins zu sein, werden im Text nur noch als diva bezeichnet, und grenzen sich gleichzeitig eindeutig von der zu Beginn des vierten Buches herbeigerufenen geminorum mater Amorum durch ihre Eigenschaften ab. Die Transformation der elegischen Inspirationsgottheit Venus zur aitiologischen scheint nunmehr abgeschlossen.175 Somit funktionalisiert der Dichter in den Versen 1–162 kommunikative Momente der rituellen Kultpraxis wie die Invokation von Gottheiten, hymnenartige Strukturen sowie den non-verbalen Kultakt der Reinigung am Kultbild, um anhand der Transformation der Venus nicht nur auf seine dichterische Entwicklung aufmerksam zu machen, sondern auch um zu rechtfertigen, dass er als ehemaliger Liebeselegiker durchaus in der Lage ist, aitiologische Dichtung zu verfassen. Dabei spielt er mit dem Changieren der Venus zwischen einer lebenden, handelnden Götterfigur (Proöm) zu einem Kultbild (Ritual der Waschung) und wieder zu einer lebendigen Götterfigur (Reaktion auf den Satyrnblick in den Mikroaitien), in der sich wiederum Reflexe anderer Venus-Bilder der Kunst (Venus anadyomene und Venus pudica) erkennen lassen. Die Tatsache, dass Venus als Inspirationsquelle in seinem aitiologischen Konstrukt erfolgreich „umgewandelt“ werden konnte, lässt auch auf die erfolgreiche Transformation des Poeten zum Aitiendich172 Vergleiche FANTHAM 1998, 120. 173 Siehe Kap. 7.2.2.3. 174 Die oben angegebenen Reflexe des Venus-Genetrix-Kultbildes (s.o.) zeigen die Göttin nie ganz nackt, sondern immer mit einem Kleidungsstück versehen. pudicitia scheint als Eigenschaft ikonographisch zur Ikonographie dieses Venus-Aspektes zu passen. 175 Vergleiche HERBERT-BROWN 1994, 93–95.

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ter schließen. Letztendlich können die Anfangsverse des vierten Buches als Aition der ovidischen Dichtungsgenese interpretiert werden.176

7.3 APOLLO BEI PROPERZ Die letzte Gottheit, die hinsichtlich der oben genannten Fragestellung untersucht werden soll, ist Apollo.177 Trotz seiner immensen Bedeutung in augusteischer Zeit (siehe Kap. 7.3.1) spielt Apollo als göttlicher Akteur in den Fasti des Ovid keine besondere Rolle. Dies lässt sich höchstwahrscheinlich damit erklären, dass lediglich die Monate Januar bis Juni in den Fasti abgehandelt werden, während die Apollo-Feste eher in der zweiten Hälfte des Jahres angesiedelt sind.178 In Vergils Aeneis ist Apollo hingegen vor allem in seiner Funktion als Orakelgott, der die Geschicke des Aeneas und seiner Gefährten leitet und vorantreibt, etwas stärker präsent (auf Delos, in Cumae).179 Jedoch lässt er sich dort als handelnde Götterfigur oder Kultbild nicht richtig greifen, sodass diese Stellen für die Untersuchung unberücksichtigt bleiben müssen. Aufgrund dieser Tatsache werde ich mich abschließend erneut den Elegien des Properz zuwenden. Dort hat Apollo überwiegend poetologische Funktion, indem er, wie in Kap. 5.2 beschrieben, an mehreren Stellen im Werk entweder als 176 Vergleiche auch FARRELL 2004/2005, 42–53. Laut FARRELL wird Venus im vierten Buch durch Assoziationen zu anderen Göttinnen, wie Ceres oder Vesta, die zwar auch in ihrem Monat gefeiert und daher in diesem Buch literarisch Einzug halten, aber weniger sinnbildlich für die literarische Gattung Liebeselegie stehen, zu einer komplexen Figur transformiert. Deren Komplexität erstreckt sich auch auf ihren Kult, ihre Schöpfungskraft und ihre Manifestationen. 177 Für das Jahr 496 v. Chr. ist bereits eine Befragung der Sibyllinischen Bücher im kapitolinischen Iuppiter-Tempel – die Sibyllen waren Priesterinnen des Apollo – bezeugt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Apollo noch keinen eigenen Tempel in Rom. Lediglich einen heiligen Ort auf dem Marsfeld (Apollinar(e)), an dem 431 v. Chr. dann auch der erste Apollo-Tempels Rom errichtet wurde (s.u.). Dort wurde er zwar auch als Heilgott verehrt, jedoch war seine reinigende Funktion der heilenden übergeordnet. Im Kontext des Triumphes diente er der Reinigung von der Blutschuld des Krieges: Zu diesem Zwecke wurde apollinischer Lorbeer verwendet und die pompa triumphalis zog durch die porta triumphalis, die sich in räumlicher Nähe zum Apollo-Tempel auf dem Marsfeld befand. Der Zug bewegte sich dann in Richtung Iuppiter-Tempel auf das Kapitol, endete dort und verband somit beide Tempel und Gottheiten miteinander. Die Verknüpfung zwischen Apollo, Iuppiter und dem römischen Triumph ist also keine Neuerfindung des Octavian/Augustus, sondern ist bereits von Beginn der ApolloVerehrung an gegeben. Siehe dazu SIMON 1984 b, 363f. 178 Siehe z.B. die ludi Apollinares vom 6.–13. Juli (vergleiche SCULLARD 1985, 220f.und 226f.) und der Einweihungstag des Apollo-Sosius-Tempels am 23. September (vergleiche SCULLARD 1985, 265). Siehe zur Beziehung zwischen Apollo, Augustus und den zeitgenössischen Dichtern MILLER 2009, passim. 179 Siehe zu Apollo auf Delos Verg. Aen. 3,73–101. Siehe zu Apollo in Cumae, der durch die Prophetin Sibylle zu Aeneas spricht Verg. Aen. 6,42–263. Vergleiche auch Verg. Aen. 2,121; 2,430; 3,79; 3,119; 3,154; 3,162; 3,251; 3,275; 3,395; 3,434; 3,479; 4,144; 4,345; 4,376; 6,9; 6,101; 6,344; 7,241; 8,336; 9,638; 9,649; 9,654; 9,656; 10,875; 11,785; 12,393; 12,405; 12,516. Siehe zu Apollo in Vergils Aeneis MILLER 2009, 95–184.

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Inspirationsquelle oder als Mahner vor anderen literarischen Gattungen als der Elegie auftritt. Jedoch ist dies nicht die einzige Rolle, die Properz ihm im Werk zuweist. Als Apollo Palatinus erhält er in unterschiedlichen Darstellungsformen (als Statue und als agierende Götterfigur) an zwei Stellen einen Auftritt– zum einen im Kontext der Eröffnung der area Apollinis in Prop. 2,31 und andererseits innerhalb des Aitions zum palatinischen Apoll-Tempel in Prop. 4,6.

7.3.1 Die politische Funktionalisierung des Apoll in augusteischer Zeit Apoll stand in Relation zu den beiden bisher betrachteten Gottheiten Mars und Venus mit dem princeps Augustus in ganz besonderer, intimer Beziehung180 – stilisierte sich Octavian/Augustus doch bereits seit 42 v. Chr. konsequent zum Schützling eben jenes Gottes: z.B. mittels verwendeter Apollo-Symbole wie Dreifuß, Sphinx oder Lorbeer, die auf seinen Monumenten zu finden waren, die er zum Siegeln benutzte oder auf Münzen prägen ließ, und nicht zuletzt durch die unmittelbare Verbindung seines Wohnhauses mit dem Apollo-Tempel181 auf dem Palatin.182 Der mythologische Handlungsrahmen ‚Apollo‘ erwies sich für die Ausbildung eines politischen Selbstverständnisses und den Aufbau einer neuen Ordnung als sehr geeignet. Die politische Entwicklung des Octavian/Augustus geht mit der veränderten Darstellungsweise des Apollo einher und ist daran ablesbar: Der Bezug des Gottes zu Moral und Disziplin ließ ihn vor und während der Bürgerkriegsphase gegen Marc Anton und seine Verbündete/Geliebte Kleopatra, die in Actium 31 v. Chr. kulminierte, als Reiniger und Rächer jeder Art von hybris auftreten, wie u.a. an den Darstellungen des Apollo-Palatinus-Tempels abzulesen war.183 Nach dem Sieg über Marc Anton und Kleopatra wandelte sich die apollinische Darstellungsform: Apollo wurde nicht mehr als rächender Bogenschütze gezeigt, sondern als Sänger mit Kithara zum Gott des Friedens und der 180 Es gab bereits früh eine Verbindung zwischen dem Gott Apollo und den Iuliern. C. Iulius, Konsul 431 v. Chr., weihte den ersten Apollo-Tempel in Rom auf dem südlichen Mars-Feld (Liv. 4,29,7), den Tempel des Apollo Medicus (Liv. 40,51,6). Dieser wurde zur Zeit des Augustus durch C. Sosius ab den späten 30-ern v. Chr. erneuert. Siehe zur Frage, warum sich Oktavian zu Beginn seiner politischen Karriere mit einem bedeutungsloseren Gott verband, MILLER 2009, 23–30; 176f. 181 P. ZANKER 1990, 90; siehe zum Haus des Augustus IACOPI 1995, passim. 182 Bereits seit Sulla waren Apollo und seine Symbole wie Dreifuß, Sibylle, Kithara und Sphinx als Versprechen für eine bessere Zukunft auf Münzen erschienen. P. ZANKER 1990, 57. 183 Siehe Kap. 7.3.2. Als kanonischer nackter Bogenschütze begegnet uns Apollon im griechischen Raum seit dem Ende des 7. Jhs. v. Chr. Siehe LAMBRINUDAKIS 1984 b, 314.; PALAGIA 1984, 193, Nr. 38; 194, Nr. 41; 195, Nr. 43. In der hellenistischen Zeit war der bewaffnete Apollon in der hellenistischen Rundplastik den erhaltenen Statuen nach kein häufiges Thema mehr, jedoch umso beliebter in der gleichzeitigen Kleinkunst und auf Münzen. Siehe KOKKOROU-ALEWRAS 1984 b, 323f. Der Bogen gehörte auch an römischen nackten ApolloStatuen zum häufigsten Attribut. SIMON 1984 b, 437; 336, Nr. 3; 370f., Nr. 24; 373, Nr. 36; 374f., Nr. 40f.; 375, Nr. 43f.; 377f., Nr. 52; 379f., Nr. 54; 380, Nr. 56; 381f., Nr. 57; 382, Nr. 59.

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Versöhnung stilisiert, der zusammen mit seiner Schwester Diana 17 v. Chr. die aurea aetas184 einleitete (siehe Hor. carm. saec. 1).185 Genau diese Darstellungsform präsentiert sich dem Betrachter in dem Kultbild des Apollo Palatinus. Diese musische oder poetische Seite des Apollo186 gepaart mit seiner politischen Funktionalisierung unter Augustus ist es, die die Dichter der augusteischen Zeit in ihren Werken gerne nebeneinander stellen.187 Die Funktionalisierung des Apollo Palatinus in den Elegien des Properz soll im Folgenden unter der oben genannten Fragestellung untersucht werden.

7.3.2 Besuch bei Apollo Palatinus in Prop. 2,31 Das zweite Buch der Elegien des Properz188 zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Beziehung des elegischen Ichs zu seiner puella Cynthia zwar immer noch im Zentrum des Buches steht, aber nicht mehr alleiniger Mittelpunkt seines Schaffens ist. Der poeta präsentiert sich experimentierfreudiger, indem er die Grundthemen des ersten Buches im zweiten variiert. Auffallend gegenüber der Monobiblos ist, dass er in seinen Gedichten kaum mehr einzelne Freunde in bestimmten Lebenssituationen adressiert, sondern sich nun an eine allgemeine Leserschaft 184 Siehe zur aurea aetas P. ZANKER 1990, 171–196; GALINSKY 1998, 90–121. 185 P. ZANKER 1990, 57–65; 91, Abb. 68; MILLER 2009, 15–30. Als Kitharöde und Leierspieler ist Apollon im griechischen Raum seit der Mitte des 7. Jhs. v. Chr., allerdings mit kurzem Chiton und keinem langen Gewand, belegt. Siehe dazugehörige Abbildungen bei LAMBRINUDAKIS 1984 b, 314; LAMBRINUDAKIS 1984 a, 304, Nr. 1004; KOKKOROU-ALEWRAS 1984 a, 282, Nr. 793. In der hellenistischen Zeit herrscht dann v.a. in der Rundplastik die Darstellung als Gott der Musik vor: entweder als Kitharöde im langen Gewand oder als nackter bzw. halbnackter Kitharöde. Siehe dazu KOKKOROU-ALEWRAS 1984 b, 321–323. Die Leier/ Lyra /Kithara gehörte auch an römischen Apollo-Statuen besonders beim Apollo im langen Gewand zum häufigsten Attribut. Siehe SIMON 1984 b, 437; 367, Nr. 7; 367f., Nr. 8; 371, Nr. 25, 373, Nr. 37; 375, Nr. 42; 375–377, Nr. 45–50; 382f., Nr. 60; 385f., Nr. 65; 386, Nr. 66. Siehe auch die Darstellung des Apollo Actius auf einem Denar 16 v. Chr. mit Kithara in der Linken und patera in der Rechten. SIMON 1984 b, 400, Nr. 230. Ab 16 v. Chr. werden Münzen mit Apollo als Kitharöden und der Aufschrift ACT oder APOLLIII ACTIO produziert. Siehe MILLER 2009, 192. 186 Neben seiner Funktion als Orakel- und Reinigungsgott, der die Stadt von der Pest und das Heer von der Blutschuld befreite, wurde Apollo für die Römer zur Republikszeit zum Gott der Musen und des Theaters. Ab 208 v. Chr. wurden jährlich die ludi Apollinaris am ApolloTempel auf dem Marsfeld gefeiert, bei denen u.a. griechische Dramen von den parasiti Apollinis aufgeführt wurden. Später begann Caesar vor diesem Tempel ein steinernes Theater zu errichten, das unter Augustus fertiggestellt und nach dessen Neffen Marcellus benannt wurde. SIMON 1984 b, 364. Bereits seit Hesiod (theog. 94f.) weiß man von der Verbindung des Apoll mit Sängern und Kitharisten. Zusätzlich war er der Anführer der Musen (musagétes). Siehe dazu GRAF 1996 c, 865; WALDE 2000, 512. Siehe zu ikonographischen Darstellungen Apollos in Verbindung mit den Musen SIMON 1984 b, 415–417, Nr. 371–403. 187 MILLER 2009, 298f.. Siehe zu Stellen der augusteischen Dichtung, in denen Apollo nur als Patron der Dichtung und Musik ohne Assoziation mit Augustus auftritt, MILLER 2009, 300– 331. 188 Vergleiche Kap. 5.1.

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wendet. Sein Bekanntheitsgrad scheint in diesem Zeitraum189 gestiegen zu sein, sodass seine Elegien nicht mehr nur einem kleinen Zirkel zugänglich sind.190 Mit diesen Umständen geht einher, dass die zeitgenössische, augusteische Welt in die Dichtung des Properz Einzug hält.191 Die vorliegende Elegie bietet somit ein glänzendes Beispiel für letztere Beobachtung. Anlass des Gedichtes ist ein Besuch des elegischen Ichs in der neuen area Apollinis auf dem Palatin,192 bestehend aus Apollo-Tempel, der DanaidenPortikus und Bibliotheken. Diese Anlage wurde von Augustus bereits 36 v. Chr. nach einem Blitzeinschlag193 in das für sein Privathaus vorgesehene Baugrundstück gelobt, am 9. Oktober 28 v. Chr. eingeweiht und in diesem Zusammenhang für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.194 Das Besondere dieser Anlage war die enge Verbindung des Tempels mit dem Wohnhaus des Augustus, das über eine Rampe unmittelbar mit dem Tempel verbunden war und auf diese Weise die enge Verbindung zwischen Augustus und dem Gott repräsentierte.195 Das zentrale Thema der Tempelausstattung war die Reinigung von der Schuld der Bürgerkriege 31–30 v. Chr. gegen Marc Anton und Kleopatra.196 Garant dafür war Apollo, hinter dem Augustus stand, wie durch die Verbindung von Tempel und Wohnhaus

189 Alle datierbaren Gedichte des zweiten Buches sind zwischen 28 und 26 v. Chr. verfasst. Siehe dazu RICHARDSON 2006, 9; SYNDIKUS 2010, 14f.; 106. 190 Dafür spricht seine Aufnahme in den Maecenas-Kreis um 27/26 v. Chr. Vergleiche Kap. 5.1. Siehe CAIRNS 2006, 320f. 191 Siehe zum Inhalt und Aufbau des zweiten Buches des Properz SYNDIKUS 2006, passim. 192 Der Palatin hatte eine zentrale Bedeutung für das römische Selbstverständnis. Der Hügel galt als die Wiege Roms, woran das Luperkal und die Hütte des Romulus erinnerten. Siehe TAGLIAMONTE 1999, passim; PAPI 1999 b, passim; HEIL 2011, 53f. 193 Cass. Dio 49,15,5f. Die danach folgenden Haruspices erklärten, dass der Gott sich diesen Platz wünsche (Suet. Aug. 29,3). HEIL 2011, 64. Vergleiche auch WELCH 2005, 81. 194 Siehe zum Heiligtum des Apollo Palatinus und seine Bedeutung innerhalb der augusteischen Kultur MILLER 2009, 186–196. Zur politischen Tragweite des Apollo-Palatinus-Projektes auch in der Phase seiner Planung, Bekanntmachung und beginnenden Verwirklichung BALENSIEFEN 2009, passim. 195 Während dem zeitgenössischen Rezipienten der Ausgangspunkt der Besichtigung bekannt gewesen sein dürfte, ist der moderne Leser, wenn er den Weg des elegischen Ichs genau nachvollziehen will, auf die wenigen archäologischen und vor allem auf die literarischen Zeugnisse angewiesen, da über die genaue Topographie der area Apollinis bis heute noch keine Sicherheit herrscht. Sicher hingegen ist die Lage des Apollo-Tempels selbst. Aus archäologischer Sicht ist die vorliegende kurze Ekphrasis wegen ihrer zahlreichen, teils genauen Angaben sehr hilfreich. Siehe zur Topographie des Areals CARETTONI 1988, 263–267; WELCH 2005, 81–83; HEIL 2011, 57–60. Siehe auch P. ZANKER 1983, passim; LEFÈVRE 1989, passim. 196 Da Octavian vorgab, den Sieg bei Actium mit der Hilfe des Apollo errungen zu haben, wurde das palatinische Heiligtum des Gottes auch mit Siegesbildern ausgestattet: z.B. stand das Votiv für Apollo Actius auf einem Podium, das mit den rostra der ägyptischen Schiffe verziert war (siehe P. ZANKER 1990, 91, Abb. 68) und auf den Tempeltüren war die Tötung der Niobiden und die Vertreibung der Gallier aus Delphi dargestellt. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 90– 96; HEIL 2011, 64.

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angedeutet wurde.197 Das römische Volk sollte auf dem Palatin von den Sünden des Bürgerkriegs reingewaschen werden, was durch die Motive der area Apollinis verdeutlicht werden sollte. Genau diese monumentalen Ausdrucksmittel, die durch Augustus bereit gestellt werden, macht sich der Elegiker Properz literarisch zunutze, um sie als Entschuldigung bei seiner puella Cynthia zu verwenden.198 Was folgt, ist also nach dem Mars-Ultor-Auftritt im fünften Fasti-Buch (Kap. 7.2.1.3) die zweite erhaltene architectural ecphrasis der augusteischen Literatur: eine Beschreibung der monumentalen und ornamentalen Ausstattung der area Apollinis beginnend mit der Portikus (V 3f.) und endend mit der Kultbildgruppe um Apollo Palatinus (V 15f.).199 Im Unterschied zur Ekphrasis bei Ovid findet bei Properz auch das Tempelinnere und das Kultbild Erwähnung. Obwohl der Gott selbst im Gedicht nicht verbal kommuniziert, kommt seinem Kultbild und dessen Aufstellungskontext auf anderer Kommunikationsebene eine tragende Rolle zu. In Prop. 2,31 befindet sich das elegische Ich gerade auf dem Weg zu seiner puella, als es durch die Eröffnung just dieser Anlage aufgehalten wurde (quaeris cur veniam tibi tardior? aurea Phoebi / porticus am magno Caesare aperta fuit., V 1f.). Denn er konnte sich der Schönheit des Gebäudes und des Kultbildes des Gottes selbst, das er in den Versen 3–16 anschaulich beschreibt, nicht entziehen. Die direkte Adressierung an Cynthia (quaeris, V 1)200 im Eröffnungsvers des Gedichts rückt den Dichter und damit seine Position als Betrachter im weiteren Verlauf der Elegie in den Fokus. Im Vergleich zur architectural ecphrasis in den Fasti wird die Beschreibung der Tempelanlage nicht aus der Perspektive eines Gottes geschildert, hinter der sich der aitiologische Sprecher verbirgt, sondern aus der des Elegikers, der Cynthia und auch den Leser durch seine Augen blicken lässt. Die subjektive Beschreibung dient der Entschuldigung für seine Verspätung bei der puella und wird somit bereits in den ersten beiden Versen vorbereitet.201 Das Event der Tempeleröffnung (V 1f.) und die besonders betonte visuelle Wirkung der Tempelanlage (eingeleitet durch aurea in V 2) und des Apollo-Palatinus197 Siehe dazu GALINSKY 1998, 213; FLACH 2011 b, 97; HEIL 2011, 53–55. Siehe zur ‚augusteischen‘ Bedeutung dieses Tempels P. ZANKER 1990, 90–96. Siehe zur Anlage und der Beziehung zwischen Augustus und Apollo GALINSKY 1998, 213–224. Was die Ausstattung des Apollo-Palatinus-Tempels betrifft, weiß die Forschung vieles nur durch die detaillierte Beschreibung des Properz (so z.B. die Ikonographie der Türen, die Statuen um den Altar und den Wagen des Sonnengottes auf dem Giebel). Siehe MILLER 2009, 197. 198 Siehe zur folgenden Analyse HEIL 2011, passim, der in seinem Beitrag durch eine intermediale Analyse von Prop. 2,31 überzeugend den Zusammenhang von monumentaler Erzählkunst der augusteischen area Apollinis und deren Funktionalisierung für die literarischen Zwecke des Properz dargestellt hat. Vergleiche auch NEWLANDS 2013, 61. 199 Siehe zur Selektivität der properzischen Beschreibung MILLER 2009, 199. Auch WELCH 2005, 91–96 stellt fest, dass das elegische Ich bei der Beschreibung den Bezug zu Octavian/Augustus auslässt. Der dichterische Rundgang Properz preist ihrer Ansicht nach nicht den princeps und seinen Sieg, sondern eher die Macht und Schönheit der Kunst. 200 Cynthia wird in Prop. 2,31 an keiner Stelle namentlich erwähnt, aber da sie in 2,30 und 2,32 direkt adressiert wird, lässt sich dies für 2,31 auch annehmen. HEIL 2011, 55f.; NEWLANDS 2013, 61. 201 NEWLANDS 2013, 61.

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Kultbild (V 15f.) werden als Grund für die Verspätung vorgeschoben und haben vorgeblich die volle Aufmerksamkeit des elegischen Ichs auf sich gezogen, sodass es vom eigentlich geplanten Weg zur puella abgebogen war. Im Gegensatz zu den sprechenden Kultbildern, die unter freiem Himmel an stark frequentierten Plätzen stehend verbal auf sich aufmerksam machen müssen, haben Apollo Palatinus und die ihm gewidmete Tempelanlage dies nicht nötig. Die Rezipienten, das elegische Ich inklusive, kommen zu ihnen. Die Kommunikation mit ihrem Gegenüber findet auf non-verbaler Ebene statt und wird vom Dichter für die Pointe seiner Elegie auf besondere Weise instrumentalisiert, wie noch zu zeigen sein wird. Aurea (V 1)202 leitet in exponierter Stellung zu Beginn der Ekphrasis eine eindrucksvolle Beschreibung der Anlage ein, die im Folgenden mehr oder weniger durch additives „name-dropping“ der auffälligsten Sehenswürdigkeiten fortgeführt wird und den Fokus auf die Ästhetik der Anlage legt.203 Die Erwähnung des Kaisers (magno Caesare, V 2) verbindet einerseits die Textstelle mit implizitem Lob auf den princeps und schafft andererseits die enge Verbindung zwischen Kaiser und Tempelanlage.204 Der princeps gewährt die temporäre Zugänglichkeit zur Anlage und zum Kultbild, deren bildliche Beschreibung im Zentrum des Gedichtes steht. Er wird somit als Initiator in enge Verbindung zum Gedicht gesetzt. Denn während Augustus Stifter des Heiligtums und des Kultbildes und daher verantwortlich für das Bildprogramm der area Apollinis ist, ist Properz Schöpfer des Gedichts, das diese Anlage beschreibt. Daraus lässt sich eine Analogie zwischen beiden Instanzen (princeps und Dichter) konstruieren. Im Folgenden wird die Ausstattung bzw. das Bildprogramm der Tempelanlage beschrieben, die analog zu Mars Ultor verschiedene Aspekte des Gottes thematisiert (Rächer, augusteischer Siegesgott, Sänger) und auf ihn zurück spiegelt. Als erstes wird die Säulenhalle als digesta (V 3) beschrieben, deren Säulen aus numidischem, gelbfleckigem Marmor (Giallo antico [Poenis (…) columnis, V 3)]), bestanden und somit sehr kostspielig waren.205 Zwischen den Säulen standen die Standbilder der 50 Töchter206 des Danaos207 von Argos (inter quas Danai femina

202 203 204 205 206

Siehe zur Ekphrasis in Prop. 2,31 auch NEWLANDS 2013, 60–64. Siehe zur Beschreibung der area Apollinis HEIL 2011, 56f. Vergleiche NEWLANDS 2013, 61. WELCH 2005, 85f.; FLACH 2011 b, 97. Die Danaiden sollen als Wasserträgerinnen gestaltet gewesen sein und standen als Bestandteil der Säulenhalle, in deren Mitte sich der Apollo-Tempel erhob, mit dem Kultbild des Gottes in direkter Verbindung. Das Motiv der Wasser tragenden Danaiden ist mehrdeutig. Laut Ov. ars. 1,73f. sollen die Danaiden-Figuren zusammen mit ihrem Vater Danaos eine Gruppe gebildet haben. Bezieht man die Danaiden auf den Vater, könnte das Wasser auch zur Vorbereitung ihrer Hochzeit mit den Söhnen des Aigyptos der Steigerung der Fruchtbarkeit oder Reinigung vor der Hochzeit dienen und somit in diesem Kontext gedeutet werden. Bezieht man die Danaiden auf den opfernden Gott im Tempel, der sich nach der Tötung der Pytho selbst entsühnt, könnte das Wasser, das die Danaiden tragen, auch zur rituellen Reinigung nach dem Mord an ihren Ehemännern im Mythos gedeutet werden. Siehe HEIL 2011, 67f. Siehe speziell zu den Danaiden und ihrer sich entsühnenden Darstellung HEIL 2011, 71–73. Siehe auch

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turba senis, V 4), die laut Mythos von unglaublicher Schönheit gewesen sein sollen. Auch wenn sie mit Apollo Palatinus in keine direkte, mythologische Verbindung zu setzen sind,208 weckt doch ihre Erwähnung in Verbindung mit ihrem wunderschönen Äußeren starke rezeptionsästhetische Erwartung.209 Unter der Voraussetzung, dass das elegische Ich seine Eindrücke in der Reihenfolge schildert, in der ein Besucher gewöhnlich die Anlage auf dem Palatin besichtigte,210 folgte dann die marmorne Apoll-Statue auf dem Vorplatz zum Tempel (V 6),211 die in den Augen des elegischen Ichs in das Gewand des Kitharöden Apoll gekleidet ist und in dem er schöner als der Gott selbst in seinem Geburtsort Delos zu sein scheint (hic equidem Phoebo visus mihi pulchrior ipso, / marmoreus, V 5f.). Die Darstellung zeigt den Gott, wie er zur stummen Lyra den Mund zu öffnen scheint (…tacita carmen hiare lyra, V 6). Die exponierte Stellung des mamoreus zu Beginn des V 6, die Beschreibung als Phoebo (…) pulchrior ipso (V 5) sowie die Rahmung des Kultbildes zwischen den prunkvollen punischen Säulen (V 3), den Danaiden (V 4) und den Kühen Myrons (V 7f.) kennzeichnen die äußere Statue des Apollo eindeutig als Standbild, wenn nicht sogar Kunstwerk. Damit wird diese Apollo-Statue, wie noch zu sehen sein wird, ganz klar von dem Apollo-Kultbild in der cella unterschieden.212

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WELCH 2005, 86f. Sie sieht in dem Mythos der Danaiden das Thema Bürgerkrieg zwischen Octavian und Marc Anton/Kleopatra integriert. Danaos floh vor seinem Bruder Aigyptos aus Ägypten nach Argos. Aigyptos verfolgte seinen Bruder und zwang ihn seine 50 Töchter mit seinen 50 Söhnen zu verheiraten. In der Hochzeitsnacht töteten dann die Danaiden auf Befehl ihres Vaters ihre Ehemänner. Nur Hypermestra verschonte ihren Mann Lynkeus. Danach gibt es unterschiedliche Versionen des Mythos: Entweder werden die Mädchen entsühnt und heiraten erneut oder werden von Lynkeus getötet und danach zur Strafe in der Unterwelt Wasser in ein löchriges Fass schöpfen. Siehe dazu HEIL 2011, 65. RICHARDSON 2006, 302; Paus. 2,19,3f. berichtet lediglich, dass Danaos dem Apollo Lykios einen Tempel errichtete. Siehe dazu FLACH 2011 b, 97. Im Vergleich zu Apollo ist der Bezug der sich entsühnenden Danaiden zu Augustus stärker: Bereits mit dem Gelöbnis des Tempels 36 v. Chr. nach dem Blitzeinschlag und den daraus resultierenden Befragen der Haruspices stellte sich Octavian in die republikanische Tradition von Tempelgründungen, die der Senat zwecks Entsühnung von Prodigien beschlossen hatte. Siehe HEIL 2011, 64. Aufgrund archäologischer Funde rekonstruiert man heute, dass die Danaiden im neo-attischen Stil als Peplophoren dargestellt waren, die mit der einen Hand ihren Saum hoben und mit der anderen ein Wassergefäß auf dem Kopf trugen. Auch wenn das letztere Attribut im Text nicht explizit erwähnt wird, kann man dennoch davon ausgehen, dass dieses Detail vom zeitgenössischen Leser auch ohne Nennung gedanklich hinzuaddiert wird. Siehe dazu HEIL 2011, 57– 59. Die aufzählende Abfolge hic (V 5), tum (V 9), deinde (V 15) deutet an, dass das elegische Ich die Teile des Komplexes in der Reihenfolge beschreibt, in der sie „bei seinem Gang durch die Anlage in sein Blickfeld treten“. Siehe HEIL 2011, 57. Vergleiche WELCH 2005, 91; MILLER 2009, 198. FLACH 2011 b, 97f. Vergleiche WELCH 2005, 92.

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Um den Altar des Tempels herum standen vier Kühe, die vom Elegiker für getreue Nachbildungen der Standbilder des Myron gehalten werden (armenta Myronis, / quattuor, artificis vivida signa, boves, V 7f.).213 Das tum in V 9 leitet schließlich die Beschreibung des Tempelgebäudes ein. Dieses erhob sich inmitten der Anlage und erstrahlte in hellem Marmor. Der Vergleich des Tempels auf dem Palatin mit dem Heiligtum seiner Geburtsstätte Delos, der bereits in den Versen 5f. eröffnet wurde, wird hier fortgeführt. Der Palatin lasse Apollo nicht nur besser aussehen, sondern sei ihm auch lieber als seine alte Heimat Ortygia („Wachtelland“; dichterisch für Delos; patria Phoebo carius Ortygia, V 10).214 Das Tempelgebäude selbst, insbesondere der Wagen des Sonnengottes auf dem Giebelfirst und die Türflügel des Eingangs, die hier ihre Erwähnung finden, bestehen aus wertvollem Elfenbein – einem Material, das sonst Götterbildern vorbehalten ist (V 11f.).215 Die Pracht der Flügeltüren definiert sich allerdings nicht nur durch ihr wertvolles Material, sondern zugleich durch die jeweils auf ihnen abgebildeten Darstellungen, die beide Apoll als gnadenlosen Rächer charakterisieren und die traurigen Folgen seines Zorns eindrucksvoll illustrieren. Somit steht die hohe ästhetische Qualität der Türen in Kontrast zu den darauf abgebildeten Szenerien. Die eine Szene bezieht sich auf das Ende der Gallier, die unter Brennus 279 v. Chr. zu dem heiligen Hain von Delphi gestürmt waren, um den dortigen Apoll-Tempel zu plündern, und die der Gott darauf zur Strafe mit einem gewaltigen Strahl aus Blitz und Donner sowie durch die Naturgewalten eines Schneesturms und Erdbebens vom Gipfel des Parnass hinunterstieß. Die andere Darstellung zeigt die Tochter des Tantalus, Niobe, die sich vor der apollinischen Mutter Leto mit ihren zwölf Kindern gebrüstet hatte. Zur Buße ihres Hochmuts verhängten Apollo und Artemis das Strafgericht über ihre Kinder (altera deiectos Parnasi vertice Gallos, / altera maerebat funera Tantalidos, V 13f.).216 Durch die Personifizierung wecken die Türen nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine emotionale Reaktion: Sie klagen regelrecht über das traurige Ende der Gallier und der Niobe.217

213 Dadurch wird an dieser Stelle ein Bezug zu der „Säugenden Kuh“, einem Kunstwerk des Myron, hergestellt, welches er in der Blütezeit der athenischen Bildhauerkunst geschaffen hatte. Siehe Welch 2005, 93; FLACH 2011 b, 98. Neben der bereits erwähnten sakralen Aura der archaischen und klassischen Bildwerke und der Berühmtheit der klassischen Bildhauer, die die neue Kunstsprache der augusteischen Zeit prägten, spielten offenbar auch die Wertungen einer klassizistischen „Kunsttheorie“, die im späteren 2. Jh. v. Chr. im Osten aufgetreten war, bei der Auswahl eine Rolle. So galt Myron dabei als größter Tierbildner unter den klassischen Bildhauern. Siehe dazu P. ZANKER 1990, 243. Die Kühe des Myron sind auch zum Thema zahlreicher griechischer Epigramme geworden, z.B. Ant. Pal. 9,713–742; 793–798. Siehe NEWLANDS 2013, 62. 214 FLACH 2011 b, 98. 215 FLACH 2011 b, 98. 216 RICHARDSON 2006, 303; FLACH 2011 b, 98f. 217 NEWLANDS 2013, 62.

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Das Gegenbild dazu bildet am Ende das Apoll-Kultbild im Innern des Tempels selbst.218 In der gleichen Pose eines friedvollen Kitharöden, das in den Versen 15f. als der mittlere Teil einer Kultbildgruppe,219 bestehend aus seiner Mutter Latona/Leto und seiner Schwester Diana/Artemis, beschrieben wird, stellt es eine Wiederholung und damit einen Bezug zu der Statue des marmornen Apoll vor dem Tempel her. Im Unterschied zu der äußeren Statue, die mit mamoreus ihre Materialität betont, ist davon hier keine Rede. Es wird vielmehr suggeriert, dass es der Gott selbst ist, der in der Statue anwesend ist (deus ipse, V 15) und ihr somit Lebendigkeit verleiht. Das Apollo-Bild in der Tempelcella ist damit eine Steigerung zum Apollo-Bild auf dem Vorhof.220 Dass es sich hierbei tatsächlich um das Apollo-Kultbild der Tempelcella handelt, wird an keiner Stelle erwähnt und kann nur aus dem Kontext des Gedichts und der Beschreibung seiner Position zwischen Mutter und Schwester geschlossen werden. Die Mittelposition suggeriert seine Wichtigkeit und markiert ihn zugleich als Hauptgott dieser Göttertrias. Das Kultbild wird somit aus dem direkten Bezug zum marmornen Apoll in den Versen zuvor und, ähnlich wie bei der architectural ecphrasis bei Ovid, aus der Beschreibung des elegischen Ichs konstituiert.221 Auch die beschriebene Haltung der beiden Statuen spielt eine entscheidende Rolle für die Interpretation des Gedichts. Die Apollo-Statue auf dem Vorplatz des Tempels wird zwar mit geöffnetem Mund (hiare, V 6), aber schweigender Leier dargestellt (tacita (…) lyra, V 5). Die Lyra könnte an dieser Stelle als tacita bezeichnet worden sein, weil Apollo sie nach dem Bürgerkrieg bei Actium eben erst ergriffen und noch nicht angeschlagen hat. Erst nach Actium wendet sich der Gott den Friedenswerken zu, die durch die Lyra symbolisiert werden.222 Tacita könnte an dieser Stelle jedoch auch zum Ausdruck bringen, dass die Statue, die im Vergleich zum Tempel-Apollo ganz evident als Bild gezeichnet wurde, als ein solches 218 Die Kultbildgruppe des Apollo-Palatinus-Tempels soll nach der opinio communis auf der Seite B der frühkaiserzeitlichen Basis von Sorrent angebildet sein. Die Darstellung zeigt Apollo in der Mitte zwischen Latona und Diana mit seiner Kithara in der Linken. Was seine Rechte trug bleibt unklar, aber Vergleiche mit Münzen und Kitharödenreliefs lassen zumindest vermuten, dass es sich auch um eine patera gehalten haben kann. Siehe SIMON 1984 b, 367f.(literarische Zeugnisse zu Apollo Palatinus); 417, Nr. 404; MILLER 2009, 190, Abb. 7; HEIL 2011, 70f.. Vergleiche auch ein Relief in der Villa Albani in Rom. Dargestellt sind dort Apollo mit der Kithara in der Linken, der vor Diana und Latona auf einen Rundaltar zuschreitet, an die ihm Victoria eine Spende in die mit der Rechten haltenden patera eingießt. SIMON 1984 b, 412, Nr. 351. Dazu auch MILLER 2009, 191, Abb. 8. 219 Die abbildende Wortstellung inter matrem deus ipse interque sororem betont die Mittelposition des Apollo. Siehe zur statuarischen Ausstattung des Apollo-Tempels auf dem Palatin Kap. 2.2.3. Siehe auch WELCH 2005, 91; HEIL 2011, 56. MARTIN 1988, 262f.beschreibt Fragmente einer Statue, die dem Apollo Palatinus von der Hand des Skopas zugeschrieben werden. 220 Siehe HEIL 2011, 78f. 221 Vergleiche auch MILLER 2009, 202f. 222 Vergleiche auch dazu das Aition für den Apollotempel auf dem Palatin von Properz (4,6,67– 70: Actius hinc traxit Phoebus monumenta, quod eius / una decem vicit missa sagitta rates. / bella satis cecini: citharam iam poscit Apollo / victor et ad placidos exuit arma chorus.). Siehe HEIL 2011, 73f. Vergleiche auch MILLER 2009, 201.

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nicht singen kann. Tacita wäre demnach eine Art „Distanzmarker“ und demnach Gegenpol zu dem sonat des Tempel-Apoll in V 16. Das Apollo-Kultbild im Tempel ist zumindest, wie durch das sonat zum Ausdruck gebracht wird, hörbar, die äußere Apoll-Statue hingegen nicht. Dadurch wird nicht nur die Lebendigkeit des Tempel-Apollo gesteigert, sondern das elegische Ich nähert sich auch einer unmittelbaren Gotteserfahrung an. Jedoch bekommt der Leser den Inhalt und Wortlaut dessen, was der Gott ertönen lässt, nicht zu hören. Auf diese Weise entsteht zunächst eine interpretatorische Leerstelle,223 aus der sich folgende Fragen ergeben: Wie zugänglich sind dem elegischen Ich der augusteische Apollo und seine Botschaft tatsächlich? Welche Funktion könnte die Tempelstatue des Apollo im Gedicht des Properz übernehmen? Die unspezifische Botschaft des Apollo Palatinus schuf für Properz literarische Freiräume, die ganz anderen Zwecken dienen konnten, so z.B. einer elegischen Entschuldigung bei seiner puella Cynthia. Archäologische Bildzeugnisse legen nahe, dass die eigentliche Botschaft dieser Anlage die Entsühnung war.224 Dieses wird von Properz in 2,31 in der architectural ecphrasis wörtlich zunächst nur marginal aufgegriffen. Die Rolle des Apollo als unerbittlicher Rächer, wie sie z.B. durch die Darstellungen auf den Tempeltüren zum Ausdruck gebracht wird (V 12–14), wird nicht vollkommen ausgeblendet, jedoch mit eigenen Akzenten versehen. So wird die Unerbittlichkeit des Apoll bei der Beschreibung der Türen nicht betont. Die Tür betrauert (maerebat, V 14) die dargestellten Opfer. Dadurch wird eine Emotionalität impliziert, die Cynthia erweichen und zugänglich für die Entschuldigung des elegischen Ichs machen soll. Der Text hingegen betont eher die Schönheit des Bauwerks und vor allem die musische Komponente des Apollo.225 Hinzu kommt, dass das elegische Ich zum Leier spielenden Gott eine Verbindung aufzubauen sucht. equidem und mihi schaffen in V 5 den Bezug zum logischen Subjekt und somit eine enge Beziehung zwischen elegischem Ich und dem Gott. Der elegische Sprecher weiß sogar, dass der palatinische Tempel dem Gott lieber ist als seine eigentliche Heimat auf Delos (V 10). Die Nähe zwischen elegischem Ich und Apollo findet mit der Beschreibung des Tempelkultbildes des Apollo ihren Höhepunkt in den Versen 15f. Im Vergleich zur Apollo-Statue, die auf dem Vorplatz des Tempels zur tacita lyra den Mund zu öffnen scheint, jedoch stumm bleibt, lässt das Kultbild Lieder erklingen (carmina sonat, V 16). Das Präsens sonat verstärkt dabei die Lebendigkeit der Handlung und schafft nach den Vergangenheitstempora der Ekphrasis und durch seine exponierte Endstellung einen direkten Bezug zur einzig anderen Präsensform quaeris zu Beginn der Elegie. Im Kontext der Entschuldigung für sein 223 RICHARDSON 2006, 303; FLACH 2011 b, 99. Vergleiche auch MILLER 2009, 202f. 224 Siehe zur Interpretation der Danaiden und des Apollo-Kultbildes im historischen Kontext HEIL 2011, 64–77. HEIL 2011 hat versucht in seinem Aufsatz nachzuweisen, dass die Pointe des vorliegenden Gedichts nur mittels einer intermedialen Analyse dekodiert werden kann, die „nicht nur Ekphrasis, sondern, soweit noch vorhanden oder rekonstruierbar, auch das beschriebene Bau- oder Kunstwerk zu ‚lesen‘ und zu interpretieren sucht und dann beide ‚Texte‘ aufeinander bezieht.“ 225 Von den Taten des Oktavian ist hingegen keine Rede. Siehe WELCH 2005, 93f.

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Zuspätkommen bei Cynthia wird an dieser Stelle deutlich, dass das elegische Ich den klingenden Apoll der Tempelcella für sein Anliegen instrumentalisiert. Denn an dieser Stelle überschneiden sich die gegenwärtige Kommunikationssituation des elegischen Ichs und das Lied des jugendlichen Apolls. Das sonat des Apoll liefert die Antwort auf Cynthias quaeris. Die Entschuldigung des elegischen Ich konstituiert sich damit durch das bisher im Text eher klein gehaltene Sühnemotiv der Anlage. Aus dem bisherigen Nebenmotiv, das im Text kaum herauszulesen war, wird nun die Hauptsache. Der Gestus des Apollo, den das elegische Ich für seine Entschuldigung bei Cynthia fruchtbar macht, manifestiert sich in dem Pythius (V 16). Eine solche Bezeichnung ist auffällig, nachdem er in V 1, 5 und 10 jeweils als Phoebus angesprochen wird. Das Adjektiv ist meines Erachtens doppeldeutig. Laut HEIL kennzeichnet es den Gott als denjenigen, der den Drachen Pytho getötet hat und sich danach selbst entsühnt.226 Dadurch, dass die Entsühnung im Text keine Erwähnung findet und nur vom Vorwissen des Lesers abhängig ist, scheint mir diese Assoziation denkbar, allerdings nicht eindeutig im Text angelegt. Meiner Meinung nach kann durch das Pythius jedoch durchaus die Verbindung zum delphischen, Orakel kündenden, Wahrheit sprechenden Apollo gezogen werden,227 sodass dem Inhalt des sonat mehr Autorität verliehen werden kann. Übertragen auf das sonat hieße das, dass der Gott Apoll ein Entschuldigungslied erklingen lässt, dessen Inhalt im Text nicht weiter ausgeführt wird, aber das durch den Dichter und seine architectural ecphrasis im intermedialen Kontext der area Apollinis mittels des Kultbildes zum „Klingen“ gebracht wird (sonat, V 16). Durch die enge Verbindung zwischen dem Gott und dem Dichter (siehe V 5, 10, 16) wäre das Gedicht über den Apollo-Palatinus-Tempel somit das Entschuldigungslied des elegischen Ichs für Cynthia, die hinter dem Gott ihren Geliebten erkennen soll. Der Dichter Properz nutzt also das palatinische Bauensemble und die daran haftende enge Beziehung zwischen Apollo und dem princeps sowie die ikonographische Bedeutung der erwähnten Darstellungen in Bezug auf die Bürgerkriegsphase für die Pointe seiner Elegie.228 Dabei ergibt sich der maximale Erfolg dieser raffiniert verklausulierten Entschuldigung aus dem Vorwissen über die Bedeutung der palatinischen Anlage. Erst durch das Attribut Pythius (V 16) und die Beschrei-

226 Apollo wird in der Kultbildgruppe mit Latona und Diana auf Vasenbildern des 5. Jhs. v. Chr. wiederholt als opfernd und sich nach dem Sieg über die Pytho entsühnend präsentiert. Vergleiche z.B. DAUMAS 1984, 263, Nr. 645 a; 263, Nr. 645 b.; 264, Nr. 652 c; 264, Nr. 654. Siehe zum Beginn des Apollo-Orakels in Delphi, bei dem Apollo Pytho tötete und den Beinamen Pythius erhielt GRAF 1996 c, 864f.; SCOTT 2014, 31–50. Vergleiche auch den homerischen Hymnos auf Apoll von seiner Geburt auf Delos bis zur Tötung der Pytho (Hom. h. Apol.1– 374). Den Sieg Apollos über die Pythonschlange feiert auch Kall. h. 2,97–104. Auf die Reinigung des Apoll im Tempe-Tal weisen laut Tert. coron.¨7,5 Kallimachos und Aelian. var. hist. 3,1 hin. Siehe dazu HEIL 2011, 69f., Anm. 61. Vergleiche auch HEIL 2011, 79f. 227 Vergleiche OLD s.v. „Pythius, -a, -um“. 228 Siehe zur Bedeutung der im Text erwähnten Darstellungen der area Apollinis für die properzische Elegie HEIL 2011, 77–80.

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bung des Kultbildes als sonat (V 16) wird die besondere Rolle des Apollo, die hier funktionalisiert wird, auch im Text konkreter. Auch das Kultbild des Apollo ist in Kombination mit seinem Aufstellungskontext und der musischen Nähe von Gott/Kultbild und elegischem Ich ein Medium für den Dichter in der Kommunikation seines elegischen Ichs mit Cynthia, die hier auf impliziter Ebene stattfindet. Die architectural ecphrasis ermöglicht es dem Dichter, Apollo-Kultbild sowie die area Apollinis mit ihrem politischem Thema (Actium; Entsühnung von den Bürgerkriegen) in eigener Sache zu funktionalisieren. Ähnlich wie bei Mars Ultor ist sie auch hier ein Instrument, um die Macht des Dichters auszuspielen. Durch dieses literarische Mittel ist es dem Dichter möglich, das Kultbild sowie die Anlage in seinem Interesse zu schildern, dienstbar zu machen und beide dabei nach Belieben groß und klein zu schreiben. Groß, da Apollo dem Dichter als exemplum dient: Wenn ein Gott sündigen und sich sühnen kann, dann kann dies doch auch das elegische Ich, zumal es im Verhältnis zu Apollo eine geringere Schuld begangen hat (zu spät kommen). Klein, weil Apollo als Entschuldigung gegenüber einer zornigen Geliebten herhalten muss, die damit stärker gewürdigt wird als der Gott selbst. Dass die Wahl auf die area Apollinis und das Apollo-Kultbild gefallen ist, ist im Kontext der Entschuldigungsgeste speziell für Cynthia nicht nur durch das ikonographische Angebot zu plausibilisieren: Weist doch die puella aufgrund ihres Namens per se eine enge Verbindung zum Gott auf.229 Die architectural ecphrasis ist in der Dichtung demnach eine Methode, Kultbilder nicht nur zu konstituieren, sondern ihre Aufstellungskontexte im eigenen Interesse „sprechen zu lassen“. Der Dichter kann sich dabei über die rezeptionsästhetischen Grenzen eines realen Kunstwerkes hinwegsetzen.230 Durch eine solche Beschreibung ist der Text darüber hinaus in der Lage, dem Leser permanente Zugänglichkeit zum Tempelinneren und Kultbild zu verschaffen, selbst dann, wenn er verschlossen ist.

7.3.3 Das Aition des Apollo-Palatinus-Tempels (Prop. 4,6) Dass das vierte Buch des Properz sich inhaltlich und strukturell von den drei ersten unterscheidet, ist bereits in Kapitel 5.1 und 5.2 ausführlich dargelegt worden. Typisch ist vor allem der aitiologische Charakter des letzten Buches, der auch auf das vorliegende Gedicht Prop. 4,6 ausstrahlt. Im Zentrum steht dort das Aition des Apollo-Tempels auf dem Palatin (V 11f.), das diese Elegie thematisch sehr eng mit Prop. 2,31 verbindet. Die exponierte Stellung genau in der Mitte des vierten Buches verleiht der Elegie eine zusätzliche Bedeutung.231 229 Der Name Cynthia kommt vom Hügel Cynthus auf der Insel Delos, dem Geburtsort der Götter Apoll und Diana. Mit der Namenswahl spielt Properz auf die Dichtung des Kallimachos an, der das Epitheton Kynthios für Apollo ein paar Mal nutzte. Siehe dazu MANUWALD 2006, 227. 230 Vergleiche auch NEWLANDS 2013, 63. 231 Siehe zur Struktur des vierten Buches HUTCHINSON 2006, 16–21.

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Das Gedicht führt die Errichtung des palatinischen Tempels in Rom auf die Hilfe des Gottes in der Schlacht von Actium 31 v. Chr. zurück (V 55–68). Diese aitiologische Aussage entspricht allerdings nicht den historischen Fakten – wurde doch der Tempel bereits 36 v. Chr. nach einem Blitzeinschlag dem Apollo gelobt und 28 v. Chr. eingeweiht.232 Die Datierung der Elegie auf 16 v. Chr.233 und die Tatsache, dass im gleichen Jahr die ludi quinquennales zu Ehren des Actium-Sieges stattfanden, lässt zumindest vermuten, dass es einen Zusammenhang zwischen Elegie und Festtag geben könnte.234 Der Text hingegen liefert keinen Hinweis auf diesen bestimmten Anlass, jedoch evozieren gerade Anfangs- (V 1–10) und Schlusspartie (V 71–86) der Elegie eine konkrete Kulthandlung und ein konviviales Dichterfest.

7.3.3.1 Die Initiierung der Kulthandlung Die unhistorische Begründung für den Tempelbau lässt vermuten, dass das vorliegende Aition ein literarisches Konstrukt des Properz ist.235 Dies könnte bereits mit dem ersten Vers angedeutet werden: sacra facit vates.236 Das aitiologische Dichter-Ich stilisiert sich dort selbst zum vates, initiiert in dieser Rolle die Weihehandlungen (sacra) und führt sie aus. Seine Selbstdefinition ist dabei ambivalent zu betrachten, bezeichnet der Begriff doch einerseits einen Propheten im Kontext der divinatio237 und andererseits den göttlich inspirierten, prophetischen Sänger im Zusammenhang mit Dichtung.238 Prophet und Dichter sowie die hier beschriebene Weihehandlung und Dichtung stehen daher in enger Verbindung zueinander. Pro232 Auch wenn das Gelöbnis des Tempels eine andere Ursache hatte, war der Tempel durch die enge Verbindung zwischen Apollo-Tempel und Augustus-Haus eines der zentralen Symbole der augusteischen Herrschaft und Denkmal des dreifachen Triumphs aus dem Jahr 29 v. Chr. Siehe I. PETROVIC 2008, 196. 233 Die Datierung 16 v. Chr. resultiert aus der Erwähnung des Sieges über die Sugambrer (V 77f.). Siehe dazu GÜNTHER 2006, 374; HUTCHINSON 2006, 168; SYNDIKUS 2010, 331. 234 NEWMAN 1997, 369; GÜNTHER 2006, 374; I. PETROVIC 2008, 197; SYNDIKUS 2010, 331. 235 Bei Properz sind die Stellen, die Actium oder den Triumph im Allgemeinen behandeln, meistens recusationes, in denen der Erzähler das Thema Liebe in scharfen Kontrast zum Thema Krieg setzt. Bei Actium handelt es sich – so die Behauptung des Dichters – um ein Thema, dass er nicht besingen könne oder meiden wolle. So z.B. in Prop. 2,1,17–34: Er würde es besingen, wenn er nur in der Lage dazu wäre. Der Grund seiner Unfähigkeit sei seine Natur als Dichter. Dabei vergleicht sich Properz mit Kallimachos, der ebenfalls große, militärische Themen mied (Prop. 2,1,39f.). Siehe dazu I. PETROVIC 2008, 191. 236 Der Begriff sacra erinnert an die poetische Neuausrichtung des Properz, die in 4,1,69 verkündet wurde (sacra diesque canam et cognomina prisca locorum) und kennzeichnet die Elegie als Aition. 237 Siehe zur griechischen Divination BURKERT 2005, passim. Zur römischen Divination BELAYCHE–RÜPKE 2005, passim. 238 Siehe dazu BENDLIN 2002, 1150f.; HUTCHINSON 2006, 155f. Zum vates-Konzept bei Properz NEWMAN 1967, passim. RIESENWEBER 2007, 342 hält den in V 1 erwähnten vates sogar für einen „Fremdkörper“, da der Terminus den Dichter oder Seher, aber nicht den Opferpriester bezeichne.

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perz verschafft dem Gedicht somit von Beginn an einen sakralen Rahmen, in dessen Kontext die Ambivalenz zwischen Sakralität und Dichtung fortgeführt wird.239 Dabei bleibt im Unklaren, ob der Dichter mit sacra facit vates einen Kultakt performativ herbeiführt oder damit andeutet, dass diese Kulthandlung ausschließlich im Gedicht stattfindet und seine eigene poetische Schöpfung ist. Die folgenden Verse 1–8 schwanken zwischen der Inszenierung von bestimmten Kulthandlungen wie Tieropfer oder Libationen sowie Bezügen zu bestimmten Dichtervorbildern. Dabei bedienen sich die Verse, die bestimmte Kultrituale beschreiben, einer mimetischen Darstellung: Darin schlüpft der Erzähler in die ambivalente Rolle eines vates, der die Opferhandlungen selbst durchführt und dem Leser die Szenerie und den Ereignisverlauf schildert. Die Erkennbarkeit einer fortschreitenden Handlung von einem zeremoniellen Opferritus zu Beginn des Gedichts (V 1–10) bis zum abendlichen Dichter-Symposion (V 69–86) sowie die Aufforderungen (sint, V 2; cadat, V 3; certet, V 4; ministret, V 5; eat, V 6; spargite, V 7; libet, V 8; ite, V 9; sint, V 9) an das imaginierte Publikum, mittels derer die Handlung vorangetrieben wird, sind dabei typisch für mimetische Gedichte.240 Nach der Aufforderung zum andächtigen Schweigen241 und der Opferung einer jungen Kuh (iuvenca, V 1f.)242 werden im nächsten Distichon (V 3f.) mit Philiteis…corymbis und Cyrenaeas …aquas die griechischen Vorbilder der Gattung Elegie, Philetas von Kos und Kallimachos von Kyrene, aufgerufen,243 denen das aitiologische Ich sich gegenüberstellt (serta…Romana). Die Verse 5 und 6 gehen wieder in den sakralen Bereich über und inszenieren nun einen Brandherd als Stätte eines Rituals (focus, V 6), auf dem Lavendel und Weihrauch gespendet werden und den Wolle dreimal umläuft.244 Das nächste Distichon (V 7f.) ist auf zwei Ebenen lesbar: spargite me lymphis spielt einerseits auf das standardmäßige Reinigungsritual bei Opferungen an und stellt andererseits die Verbindung zu V 4 und Kallimachos (Cyrenaeas …aquas) her. carmen und tibis verweisen einerseits auf die musische Begleitung der Opferzeremonie am Altar (recentibus aris), andererseits aber auch auf die Dichtung und ihre instrumentale Begleitung.245

239 Bereits in Prop. 3,1,1–6 hatte Properz seine Dichtung auf eine religiöse Ebene gehoben. Jedoch ernannte er sich dort zum sacerdos, nicht zum vates (Prop. 3,1,3). Vergleiche FLACH 2011 b. Eine solche Inszenierung rückt die Elegie gleichzeitig in die Nähe des KallimachosHymnos auf Apoll, in dem der Dichter zu Beginn eine ähnliche Atmosphäre erzeugt. Siehe NEWMAN 1997, 369; WELCH 2005, 104f.; I. PETROVIC 2008, 197–199; MILLER 2009, 80f. 240 Zu mimetischen Gedichten ALBERT 1988, 20–25. Siehe auch Kap. 7.2.2.4 und die Reinigung des Venus-Kultbildes: Hier wie dort lässt sich eine Götterinszenierung im Rahmen eines imaginierten Festrituals feststellen. 241 Vergleiche Kall. h. 2,17; HUTCHINSON 2006, 156; RICHARDSON 2006, 447. 242 HUTCHINSON 2006, 156. 243 Das Paar taucht auch in Prop. 2,34,31f., Prop. 3,1,1 und 3,9,43f. auf. Siehe HUTCHINSON 2006, 156; RICHARDSON 2006, 447f.; RIESENWEBER 2007, 340f. 244 HUTCHINSON 2006, 156; RICHARDSON 2006, 448. 245 NEWMAN 1997, 369; HUTCHINSON 2006, 156f. RIESENWEBER 2007, 340–345 ist ebenso wie HUTCHINSON 2006, 155 der Ansicht, dass sich hinter der Opferhandlung durch den vates eine Allegorie für das Dichten verbirgt.

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Nachdem fraudes und noxae in V 9 durch ein rituelles ite procul verbannt worden sind,246 offenbart das aitiologische Ich in den Versen 10–12, auch wenn es nicht in verbale Kommunikation mit dem Gott tritt, dass die Opfer-Zeremonie dem Apollo gebührt und für ihn inszeniert wurde (pura … laurea, V 10),247 damit er ihm als seinem vates seine neue Dichtung (novum … iter) erleichtert (mollit, V 10). Die Unterstützung scheint ihm sicher, da der Apollo-Palatinus-Tempel in Rom sein Dichtungsgegenstand sein werde (Palatini referemus Apollinis aedem,V 11f.). Die Erwähnung des Tempels lässt zugleich auf die Lokalisierung des Altars schließen. Für sein Vorhaben bittet der vates bei der Muse Kalliope (Musa…Calliope, V 11f.) um zusätzlichen Segen. Er prophezeit, seine Dichtung diene auch dem Ruhm Caesars, dem Schützling des Apollo (V 13), weshalb er sich auch wünscht, dass Iuppiter sich Zeit dafür nehme (V 14).248 Die Verschmelzung von sakraler und poetischer Ebene wird in den Versen 11–14 auf den Höhepunkt getrieben: Im Kontext einer imaginierten Kulthandlung wird die properzische Dichtung über den Apollo-Palatinus-Tempel zur Opfergabe für eben jenen Apollo249 – ein Dichtungsgegenstand, der der Gunst der Muse Kalliope250 würdig ist und für den sogar der höchste Gott Iuppiter zum Publikum wird. Die Konstellation von Apollo, Caesar und Iuppiter ist dabei nicht zufällig gewählt. So waren Apollo und Iuppiter im Kontext des Triumphes eng miteinander verbunden: Apollo diente generell im Triumph dem Heer zur Reinigung von der Blutschuld des Krieges, wofür apollinischer Lorbeer verwendet wurde. Der Triumphzug zog dann durch die porta triumphalis, die sich in räumlicher Nähe zum Apollo-Tempel auf dem Marsfeld befand, und endete schließlich am Iuppiter-Tempel auf dem Kapitol, sodass beide Gottheiten in diesem Kontext miteinander verbunden waren.251 Die im Text aufgerufene Triumph-Assoziation weist somit einerseits auf den Sieg Caesars (V 13f.) in der Schlacht bei Actium voraus, lässt sich allerdings auch durch die enge Verbindung zwischen vates, Dichtungsgegenstand und Apollo mit einem literarischen Triumphzug des Dichters assoziieren: Ein solcher Triumph wird dann dank seiner neuen Dichtung, die er im Eröffnungsgedicht des vierten Buches angekündigt hatte (siehe Kap. 5.2), von Apollo ermöglicht und von ihm begleitet (pura novum vati laurea mollit iter, V 10). Durch diese Triumph-Assoziation des Apollo erhält die vorliegende Elegie im Gesamtwerk des vierten Buches einerseits ganz besonderes Gewicht; andererseits 246 Vergleiche Kall. h. 2,2; HUTCHINSON 2006, 157; RICHARDSON 2006, 448. 247 HUTCHINSON 2006, 157. 248 Bereits in Prop. 2,10,19f. hatte das elegische Ich prophezeit, dass es durch das Besingen der Augustus-Feldzüge ein vates magnus werde und hatte sich gewünscht, dass das Schicksal ihm diese Bitte vergönne. Dieser Wunsch scheint mit Prop. 4,6 nun in Erfüllung zu gehen und seiner Rolle als vates Glaubwürdigkeit zu verleihen. Vergleiche auch WELCH 2005, 109. 249 Das Lied als Opfergabe hat eine lange literarische Tradition (u.a. homerische Hymnen, Sappho, Alkaio, Anakreon). Siehe dazu I. PETROVIC 2012, 155–169. 250 Kalliope wird unter den neun Musen am häufigsten erwähnt und besonders individualisiert dargestellt. Siehe WALDE 1999, 199. 251 Siehe dazu SIMON 1984 b, 363f.

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weist gerade Apollos Rolle im Triumph auch auf seine Funktion in der vorliegenden Elegie voraus.252 Hatte die Selbstbezeichnung des Sprechers als vates bereits in V 1 eine enge Verbindung zwischen Prophezeiung und Dichtung geschaffen, wird diese nun um eine weitere Funktion des Apollo erweitert, der als Orakelgott und Musenanführer zu beiden Tätigkeiten inspiriert. Der vates, der vorliegende Dichtungsgegenstand und der Gott Apollo sind somit innerhalb dieser Elegie stark miteinander verknüpft. Dass ausgerechnet diese Gottheit in einem aitiologischen Kontext bei Properz auftritt, scheint angesichts der eher epischen Thematik (Schlacht von Actium) ungewöhnlich, übernahm der Gott doch in der properzischen Dichtung bisher die Rolle der Inspirationsquelle zur liebeselegischen Gattung .253 Dieser friedvolle, elegische Aspekt Apolls wird auch im vorliegenden Text im Zusammenhang mit der Triumphanspielung des Dichters (pura…laurea, V 10) reflektiert; sie deutet auf Apollos Funktion hin, das Heer von seiner Blutschuld im Krieg durch Lorbeer zu reinigen. Diese Assoziation weist eventuell auch auf sein unkriegerisches Verhalten im weiteren Verlauf des Gedichtes voraus. Doch nicht nur Apollo sorgt für elegische Anspielungen im Kontext der vates-Inszenierung. Ebenso wird durch die Erwähnung des Philetas von Kos und Kallimachos von Kyrene (s.o.) sowie das Anrufen der Inspirationsquelle Kalliope auf die Gattung der Elegie verwiesen. Schließlich hatten beide in der bisherigen Dichtung des Properz ähnliche Funktion wie Apollo übernommen (vergleiche Prop. 3,3,39– 50).254 Somit wird durch den vates nicht nur ein sakraler, sondern auch ein elegischer Rahmen evoziert, in den Apollo und dementsprechend auch der Dichtungsgegenstand integriert sind.255 Entgegen dem Versprechen in V 11 und 13, den palatinischen Tempel zu preisen und ein Lied zu Caesars Ruhm zu verfassen, spielt weder das Monument noch der princeps in der vorliegenden Elegie eine große Rolle.256 Stattdessen stehen der Gott Apollo und dessen Eingreifen in die Schlacht bei Actium im Zent252 Das Motiv des Triumphes spielte bereits in den vorangegangenen Büchern des Properz eine wichtige Rolle, in denen der Dichter ihn in die Sphäre der Liebe hineinzog. So wie er militärische Auseinandersetzungen mit feindlichen Völkern ablehnt, aber den „Krieg“ mit einer Frau auf dem Bett gutheißt und zu seinem Gebiet erklärt, nennt er sich selbst Triumphator in der Liebe (Prop. 2,14,21–24) oder beschriebt, wie Amor über ihn triumphiert (Prop. 2,8,40). Das dritte Buch wird gar mit einem prächtigen Triumphzug des Dichters eröffnet (Prop. 3,1,7–14). Vergleiche auch Prop. 3,4,11–22. Siehe zur Entwicklung des Triumph-Motivs bei Properz I. PETROVIC 2008, 191–195. 253 Auch dass der Dichter Properz eine ganze Elegie einem Thema widmet, in dem der Höhepunkt des Bürgerkrieges zwischen Octavian und Mark Anton in der Schlacht bei Actium zu Augustus Ruhm (Caesaris in nomen ducuntur, V 13) geschildert wird, scheint der bisherigen Dichtung zu widersprechen, in der sich der poeta im negativen Sinne als Opfer der Bürgerkriege zeichnete (siehe Kap. 5.8.3). 254 Ursprünglich Muse für das Kriegstaten verherrlichende Epos trat sie also bei Properz in der liebeselegischen Dichtung in paradoxer Umkehr ihrer Zuständigkeit auf. Siehe WALDE 1999, 199; WELCH 2005, 96. 255 Siehe auch zur alexandrinischen Programmatik der Eröffnungsverse 1–12 WELCH 2005, 105. 256 Vergleiche WELCH 2005, 97f.

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rum der Elegie, deren Inhalt und Struktur ab V 15 zunächst an einen Hymnus auf den Gott erinnern. Nachdem sich das Ich demnach in den Versen 1–10 als vates inszeniert hat, der an einem Altar Opfer für Apollo begeht, feiert es nun mit seiner Opfergabe (Dichtung), wie in einem Hymnus üblich,257 eine der bedeutendsten Leistungen des Apollo Palatinus, der den Sieg bei Actium zu seinen anderen aretai, wie z.B. die Tötung der Pytho (s.o.), zählen kann.258 Auf religiöser Ebene lassen sich innerhalb dieses Abschnittes somit unterschiedliche Ebenen der Kommunikation feststellen: Zunächst kommuniziert der Erzähler als vates durch die Opferhandlung non-verbal mit Apollo (V 1–10). Verbale Kommunikation findet durch Aufforderungen an die imaginierte Festgemeinschaft statt (V 1–10), wodurch sich das Ich typisch mimetisch als „Festordner“ inszeniert. Auch mit der Muse Kalliope wird verbal kommuniziert, die anstelle von Apollo zur Dichtungsinspiration angerufen wird und damit zur eigentlichen aitiologischen Erklärung und Handlung des Apollos überleitet. Das Apollo-Bild konstituiert sich in der Schilderung dieser Handlung, indem es den Gott als Akteur in verschiedenen Rollen zeigt.

7.3.3.2 Die Apollo-Aretalogie Inhaltlich beschreibt der vates in den Versen 15–24 den Schlachtort (V 15–18) und die Situation vor Kampfbeginn (V 19–24). Thematisch erinnert die Szene an die Schildbeschreibung in Vergils Epos Aeneis (Verg. Aen. 8, 671–728) und stellt somit den Versuch dar, dem historischen Ereignis ein dem aitiologischen Hintergrund würdiges Setting zu verleihen. Vergleicht man die properzische Darstellung jedoch mit dem zeitgenössischen Pendant, ist auffällig, dass es innerhalb dieses Abschnittes zu keinerlei Kampfbeschreibung oder Schilderung von militärischer Auseinandersetzung kommt.259 Wie man an der elegischen Behandlung (Vermeidung von Kriegsbeschreibung) epischer Thematik (siehe Verg. Aen. 8,671–728) erkennen kann, wird der gattungsgebundene Rahmen, der durch den vates zu Beginn konstruiert worden ist, somit aufrecht erhalten. Die Distanzierung von kriegerischen Themen setzt sich auch in den weiteren Versen fort. Denn gerade als sich die Schlachtreihen auf dem Meer formieren 257 Vergleiche Kap. 7.2.2.3. 258 Siehe MILLER 2009, 82. 259 Es wird lediglich erwähnt, dass sich auf dem Meer vor Actium zwei Flotten gegenüberstehen (vergleiche Verg. Aen. 8, 678–688), die zwar beide die gleichen Materialvoraussetzungen mitbringen (moles / pinea, V 19f.), auf die jedoch das Kriegsglück ungleich verteilt ist (nec remis aequa favebat avis, V 20). Auf diese Weise wird der siegreiche Ausgang des Krieges für Augustus vorweggenommen. Die Flotte des Gegners (altera classis, V 21), der bis auf das pilaque feminea (V 22) nicht genauer illustriert wird, wird negativ gezeichnet (V 22) und mit der Missgunst des vergöttlichten Romulus verknüpft (Teucro damnata Quirino, V 21). Dagegen werden die Segel der augusteischen Flotte (Augusta ratis, V 23), von Iuppiter begünstigt (plenis Iovis omine velis, V 23; vergleiche auch Verg. Aen. 8,682), und sie selbst mit Siegeszeichen ausgestattet ist (signaque iam patriae vincere docta suae, V 24). Siehe MILLER 2009, 82–84.

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wollen (V 25f.),260 bricht Apollo von seiner Heimat Delos zu der Seeschlacht bei Actium auf und stellt sich neben Augustus auf das Hinterdeck des Schiffes. Drei Blitze des Iuppiter begleiten dabei seine Erscheinung (V 27–30), wodurch sein Auftritt den Charakter einer Epiphanie erhält.261 Mit seiner unkonventionellen Schilderung der Ankunft des Apollo (V 27f.) weicht Properz, nachdem er bisher strukturell Vergils Vorbild gefolgt ist, demonstrativ von der epischen Schildbeschreibung ab: Denn dort beschreibt Vergil den Kampf erst unter den Sterblichen, dann unter den Göttern (Verg. Aen. 689–703). Letzteren beendet Apollo Actius allein durch das Spannen seines Bogens (Verg. Aen. 704f.; Actius haec cernens arcum intendebat Apollo / desuper.). Dadurch wird die Sieghaftigkeit des Apollo betont. Properz spielt hingegen mit seiner Version auf den DelosHymnos des Kallimachos an: Dort wird der Gott ebenfalls als Beschützer (ἕρκος)262 und Helfer (βοηθόος)263 seiner Heimat beschrieben (vergleiche se vindice, V 27). V 28 verweist analog zum Hymnos darauf, dass die Insel Delos vor der Geburt des Apoll beweglich war264 und erst der Gott ihr Stabilität verlieh, durch die sie den Winden trotzen konnte.265 Viel entscheidender ist jedoch, dass Delos sich im kallimacheischen Hymnos rühmt, Geburtsort des Phoibus Apollon, des Meisters der Lieder, zu sein und ihn zuerst als Gottheit gerühmt zu haben.266 Durch diesen intertextuellen Bezug wird der Gott im Zuge seines Aufbruchs von Delos für den kundigen Leser als der musische Apollo gezeichnet, der auch im bisherigen elegischen Konstrukt seine Daseinsberechtigung findet. In diesen Kontext passt auch folgende Beobachtung: Apolls Herbeieilen wird im Text nicht durch ein Gebet des Augustus initiiert, sondern durch die Situation kurz vor dem Ausbruch der Schlacht ausgelöst. Es scheint, als würde Apollo auch hier seine bisherige Funktion der elegischen Dichtung des Properz beibehalten. Statt einer epischen Schlachtbeschreibung werden mit Apolls Ankunft Schlachtund Epos-Assoziationen abgebrochen. An ihre Stelle treten intertextuelle Bezüge zu Kallimachos‘ Hymnen ganz im Sinne des programmatischen Callimachus Romanus aus Prop. 4,1,64 und Assoziationen zum musischen, friedvollen Apollo.

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Siehe dazu HUTCHINSON 2006, 159f. Vergleiche Kap. 2.3.5. HUTCHINSON 2006, 160. Kall. h. 4,24. Kall. h. 4,27. Kall. h. 4,191–194. HUTCHINSON 2006, 160; MILLER 2009, 84f. Siehe zum Bezug der Elegie 4,6 auf den DelosHymnos von Kallimachos I. PETROVIC 2008, 199–205. 266 Siehe Kall. h. 4,1–10 und daraus v.a. 4–6: ∆ῆλος δ‘ ἐθέλει τὰ πρῶτα φέρεσθαι / ἐκ Μουσέον, ὅτι Φοῖβον ἀοιδάων µεδέοντα / λοῦσε τε καὶ σπείρωσε καὶ ὡς θεὸν ᾒνεσε πρώτη. Hinzu kommt, dass Properz mit dem Namen seiner puella Cynthia von Beginn seines poetischen Schaffens an einen Bezug zu Delos und Apoll geschaffen hat. So wird Apollo in Kall. h. 4,10 mit dem Beinamen Κύνθιος versehen, dessen Name sich ebenso wie der der Cynthia vom Hügel Cynthus auf der Insel Delos ableiten lässt. Siehe dazu MANUWALD 2006, 227.

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Apolls Position bei Augustus auf dem Schiff (V 29f.),267 das Hinterdeck (puppis), ist auch der Ort, an dem üblicherweise die Statuen der Schutzgottheiten der jeweiligen Schiffe angebracht waren. Somit ist der hintere Teil des Schiffes der geeignete Standort für die Schutzgottheit des Augustus.268 Die Beziehung zwischen Augustus und Apollo sowie die Statue des Lyra spielenden Gottes sind bereits in Prop. 2,31 im Zusammenhang mit dem Apollo-Palatinus-Tempel thematisiert und hervorgehoben worden. Somit kann nach den bisherigen Beobachtungen und im Kontext des Aitions zum besagten Tempel auch hier meiner Meinung nach die Assoziation zum Kultbild des musischen Apollo mit der Ankunft des Gottes hergestellt werden. In den folgenden Versen 31–36 versucht das erzählende Ich zunächst die Ankunft des aktischen Apoll zu evozieren, indem es das Äußere des Gottes beschreibt: Es handele sich explizit nicht um den langhaarigen, Leier spielenden Apoll (V 31f.),269 sondern um den Bogen schießenden Gott (V 33–36). Jedoch wird dessen Waffe als wichtigstes Attribut in beiden Distichen nicht erwähnt. Der Dichter deutet sie lediglich durch intertextuelle Anspielungen an: V 33f. spielt auf den Zorn des Apollo auf Agamemnon an, der den Apoll-Priester Chryses beleidigt hatte, woraufhin der Gott seinen Bogen rächend auf das griechische Heer richtete (siehe Hom. Il. 1,43–52).270 Die Verse 35f. spielen hingegen auf die erste Großtat des Apollo mit seinem Bogen an: die Tötung der Pytho in Delphi.271. Ein vollständiger Apollo Actius ist der properzische Apoll aufgrund der allenfalls angedeuteten Darstellung als Bogenschützen damit nicht, sondern eher, ähnlich wie Mars in Ovids Fasti, ein Apollo inermis.272 Als solcher kann der Gott, der in V 37–54 zu Wort kommt, als der musische Apoll enthüllt werden, der entgegen der Aussage des Erzählers/vates (V 31f.) in den kommenden Versen nun doch sein carmen inerme singt. Dass Apoll in V 37 sogleich mit seiner Rede einsetzt und nicht erst den Bogen auf seine Feinde richtet, ist vor dem Hintergrund seiner Darstellung als Schütze (V 33–36) sowie Vergils Aeneis (8,704f.) überraschend. Zudem spricht er Augustus im Stile einer Feldherrnrede vor der Schlacht an, die hautsächlich von Aufforderungen (vince mari, V 39; solve metu patriam, V 41; nec te… / terreat, V 47f.; committe rates, V 53) und Siegesversicherungen (iam terra tua est. tibi militat arcus / et favet ex umeris hoc onus omne meis, V 39f.; ego temporis auctor / ducam laurigera Iulia rostra manu, V 53f.) an den princeps geprägt ist.273 Dass der Gott ausgerechnet an dem Ort eine Rede hält, an dem auch die Statuen der Schutzgottheiten der Schiffe angebracht waren, weckt zusätzliche Assoziationen

267 Die Position ist die gleiche, die Vergil dem siegreichen Augustus zuweist (Verg. Aen. 8,680f.). 268 MILLER 2009, 85f. 269 Vergleiche auch Prop. 2,31,5f. Siehe WELCH 2005, 98f. 270 HUTCHINSON 2006, 161. 271 HUTCHINSON 2006, 161; MILLER 2009, 87f. 272 Siehe im Gegensatz dazu WELCH 2005, 100. 273 MILLER 2009, 89.

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zu einem sprechenden Kultbild oder insbesondere auch an das sprechende Kultbild des Gottes Vertumnus vier Elegien zuvor (Kap. 5).274 Die friedvolle Ausrichtung des musischen Apollo spiegelt sich in seiner Rede wider: Zunächst hebt er in den Versen 37–42 Augustus‘ Schutzfunktion für die Heimat hervor (servator, V 37; solve metu patriam, V 41; te vindice, V 41), die auch ihm zuvor (z.B. V 27 und V 35f.) zugeschrieben wurde. Damit wird Augustus gegenüber Apollo eindeutig der aktivere Part in der Schlacht zugesprochen und der Fokus auf den künftigen Kaiser gerichtet. Der Gott Apollo hingegen ordnet sich selbst und seinen Bogen dem Ruhm des Augustus unter (V 39f.) und verheißt lediglich, dessen Schiffe mit laurigera…manu zum Sieg zu führen (V 53f.).275 Ergänzend dazu wird die unmartialische Beschreibung der ActiumSchlacht weiter fortgesetzt. So kommt dem Bogen des Apollo, dessen Einsatz bereits in V 39f. vom Gott selbst prophezeit wurde, und seinem aktiven Beitrag zur Schlacht lediglich in V 55 Beachtung zu: et pharetrae pondus consumit in arcus. Dabei hat ihm doch im Aitienkonstrukt des vates der Einsatz seines Bogens in der Schlacht überhaupt erst den Tempel auf dem Palatin beschert (V 67f.). Die Vermeidung der Beschreibung von kriegerischen Handlungen des Apoll wird damit dem Bogen schießenden Gott und seiner Tat nicht gerecht, passt allerdings zum carmen inerme des elegischen Apolls, dessen Rolle bis zum Ende der Rede aufrecht erhalten wird. Im Anschluss daran werden der ganze Kampf und dessen Ausgang in einem einzelnen Distichon zusammengefasst, das eindeutig den Fokus auf den positiven Ausgang für Rom (vincit Roma fide Phoebi … , V 57f.) legt.276 Das Motiv des Sieges ist, wie bereits durch die Triumphassoziation in V 10–14 angedeutet wurde, auch hier ambivalent deutbar: Der beschriebene Sieg meint nicht nur den Sieg, den Octavian mit Hilfe von Apollo errungen hat, sondern lässt sich auch durch die enge Verbindung von vates, Dichtungsgegenstand und Gottheit auf die Ebene der properzischen Dichtung übertragen. Dies lässt sich vor allem an dem verwendeten Vokabular ablesen, das teilweise doppeldeutig ist: Der Lorbeer des Apoll in laurigera…manu (V 54) weckt Assoziationen a) zum Triumph und b) zum elegischen vates in V 10, dem ebenfalls Lorbeer zur neuen Dichtung verhelfen sollte. Iulia rostra ducere in V 54 stellt eine Verbindung zur Dichtung in der Iunktur carmina ducere (V 13) her.277 Die größte Aussagekraft steckt jedoch in vincit Roma fide Phoebi (V 57) selbst. Denn fide kann in diesem Zusammenhang nicht nur „Treue“ oder „Schutz“ bedeuten, sondern auch „Lyrasaite“ und demnach synonym für Dichtung stehen. Durch die enge Verbindung von vates, Dichtungsgegenstand und Apollo, ist der Apollo-Palatinus-Tempel demnach nicht nur ein Siegesmonument für Octavian, 274 275 276 277

MILLER 2009, 86f. Siehe für weitere Apollo-Augustus-Parallelen MILLER 2009, 89–91. MILLER 2009, 91. Rostra kann dabei einerseits auf die Vorderseite der Schiffe verweisen, kann aber auch die Rednerbühne meinen, wodurch sich eine semantische Nähe zu carmina ducere ergibt. Siehe OLD s.v. „rostrum“. Vergleiche auch Prop. 3,3,31f.: et Veneris dominae volucres, mea turba, columbae / tingunt Gorgoneo punica rostra lacu.

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das auf der Unterstützung des Gottes bei Actium fußt, sondern auch eines für den Dichter Properz, durch dessen Dichtung der Tempel im literarischen Rom konstruiert wird (Actius hinc traxit Phoebus monumenta, V 67).278 Der Tempel des Apollo Palatinus wird durch die Apollo-Figur zum elegischen Monument des Properz, mit dem er sich, ähnlich wie in Prop. 4,1 oder 4,2, als Callimachus Romanus und als poetischer Architekt in der Dichtungslandschaft Rom ein weiteres Denkmal setzt. Durch den Bezug zu Apollo Palatinus schafft er zugleich eine enge Verbindung zwischen dem ersten princeps und Neugestalter Roms und stellt sich mit diesem auf eine Stufe. Der Höhepunkt seines dichterischen Selbstbewusstseins ist damit erreicht. Ausdruck findet dies durch die Bewunderung, das Getöse und den Applaus Caesars Idalio… ab astro, Tritons und der Meeresgöttinnen, wodurch erneut Triumphassoziationen geweckt werden (V 59–62).279 Somit scheint dies am Ende nicht nur dem Sieg des Augustus, sondern auch der literarischen Inszenierung des Properz und seinem elegischen Werk zu gelten. Mit diesem Siegesjubel wird die Schilderung der Kriegsereignisse abgeschlossen (bella satis cecini, V 69).

7.3.3.3 Das Kultbild des Apollo Trat der Gott bisher als handelnder Akteur in verschiedenen Bereichen auf, lässt sich im letzten Abschnitt der Elegie eine stärkere Rollenfixierung auf den musischen Gott ausmachen, die schließlich in konkreten Reflexen auf das apollinische Kultbild auf dem Palatin kulminiert. Sowohl der vates als auch sein Gott nehmen nach dem scharfen Abbruch (Absage an die bella) formal ihre ursprünglichen Rollen wieder ein (musischer Apoll und Poet: citharam iam poscit Apollo / victor, V 69f.; ingenium potis irritet Musa poetis, V 75),280 die sie innerhalb der Elegie nie vollständig abgelegt haben. Auch das Setting wechselt: Nach der Inszenierung der sakralen Zeremonie zu Beginn der Elegie soll nun nach Beendigung des Krieges zum Ende des Gedichts ein convivium in einem Dichterhain (molli…luco, V 71)281 stattfinden, zu dem die Festgesellschaft (candida convivia, V 71) inklusive Apollo (ad placidos exuit arma choros, V 70) und der Dichter wandern mögen. Die Bezeichnung des Apollo als victor (V 70) lässt bei diesem imaginierten Festzug Assoziationen zu einem Triumphzug des Dichters aufkommen, den der Gott anführen soll. Wiederholungen von Wörtern wie molli (V 71 und V 5 molle bzw. V 10 mollit), blandae (V 72 und V 5 blandi), und Musa (V 74 und 11) schaffen eine terminologische Verbindung zur sakralen Zeremonie zu Beginn der Elegie.282 In dieser Szenerie, die ähnlich wie die V 1–10 vollständig im Konjunktiv verfasst ist, folgt abschließend eine 278 279 280 281 282

WELCH 2005, 109. I. PETROVIC 2008, 203. NEWMAN 1967, 94; WELCH 2005, 105f.; I. PETROVIC 2008, 205; MILLER 2009, 92. HUTCHINSON 2006, 167; RICHARDSON 2006, 453. WELCH 2005, 107.

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betonte Distanzierung von kriegerischer Dichtung mit augusteischen Themen:283 Während der Dichter anfangs einen sakralen Kontext erzeugte, um den augusteischen Stoff dichterisch umsetzen zu können, schafft er nun einen konvivialen Raum, in dem sich an seiner Stelle nun andere Dichter (ille…hic…hic, V 77–84) kriegerischen Stoffen, gesponnen aus den Taten des Augustus, widmen sollen.284 Nicht mehr Wasser (vergleiche V 1–10), sondern die Muse und Wein, der synonym steht für Bacchus, sollen dabei für die poetische Inspiration des ingenium sorgen (V 73–76).285 Auch die Evokation des Bacchus selbst dient der Markierung von Distanz zum Augusteischen, weil er im Gegensatz zu Apollo weniger augusteisch besetzt war.286 Der poeta selbst will nach eigener Aussage die Nacht mit patera und carmine verbringen, bis der Tag Sonnenstrahlen in seinen Wein hineinwerfe (V 85f.). Mit der thematischen Distanzierung von den aufgeführten augusteischen Themen (V 69; 77–84) insistiert der Dichter somit auf seiner Identität als elegischer Dichter, auf der sein Leistungsbewusstsein beruht. Jedoch lässt sich dieser poetische Freiraum nur aufrecht erhalten, wenn auch im Verhältnis zu Octavian/Augustus die Möglichkeit besteht, auf Distanz zu gehen und damit seine Autarkie zu behaupten.287 Dementsprechend fällt der panegyrische Aspekt des Gedichtes gering aus,288 der Fokus liegt auf Apollo und Properzens ganz eigener Version der Actium-Schlacht.

283 Vergleiche I. PETROVIC 2008, 205. 284 HUTCHINSON 2006, 168f.; RICHARDSON 2006, 453f. Die Distanzierung wird wahrscheinlich bereits durch V 72 markiert: blandae utrimque fluant per mea colla rosae. Blumengirlanden symbolisieren den unmilitärischen Lebensstil des Elegikers. Vergleiche HUTCHINSON 2006, 167. Die Rose war auch ein gängiges Attribut der Venus-Ikonographie. Siehe SCHMIDT 1997, 227. 285 Apoll und Bacchus rufen auch Assoziationen zu den Gegnern im Bürgerkrieg Octavian und Marc Anton auf, die sich jeweils mit den beiden Gottheiten identifizierten, jedoch hier friedlich beieinander sind. Siehe WELCH 2005, 109; I. PETROVIC 2008, 205f. Bacchus wird bei Properz eingesetzt, um eine Veränderung in seiner Dichtung zu markieren (vergleiche auch Hor. carm. 3,25,1f.). Siehe dazu vor allem Prop. 3,17, passim, wo der Erzähler Bacchus bittet, ihn von dem Liebesleid und der Liebesdichtung zu befreien, und Prop. 4,1,62–64, wo der Gott mit der patriotisch aufgeladenen, aitiologischen Dichtung des Properz verbunden wird, mit der der Poet zum Callimachus Romanus mutieren will. Dazu HUTCHINSON 2006, 168. Siehe zu Dionysos/Bacchus als Dichtergott in der augusteischen Dichtung HUNTER 2006, 42– 80. Im ca. 330 v. Chr. gestalteten Westgiebel des sechsten Apollo-Tempels in Delphi wird Bacchus/Dionysos als Pendant zum Apollon des Ostgiebels ebenfalls Leier spielend dargestellt. Darin manifestiert sich an einem prominenten Ort die Verbindung von Apollo und Bacchus im musischen Bereich, die für Autoren wie Ovid und Properz einschlägig wurde. Siehe dazu KRASSER 1995, 93f. 286 Einen ähnlichen Grund führt KRASSER 1995, 97 für die Sonderstellung des Bacchus in der ersten Odenedition des Horaz an. Anders sieht es hingegen im vierten Odenbuch des Horaz aus. Der Gott dieses Werkes ist im Gegensatz zu den drei Büchern zuvor der palatinische Apollo, was ganz evident in Hor. carm. 4,6,29f. ausgesprochen wird. Siehe dazu KRASSER 1995, 142–149. 287 Vergleiche auch KRASSER 1995, 82–91, der für Hor. carm. 1,31 ähnliches herausarbeitet. 288 Panegyrische Elemente in Bezug auf Augustus werden direkt lediglich in V 13f. und V 37f. formuliert.

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Die Innovationskraft der Elegie 4,6 wird auch durch das letzte Distichon hervorgehoben, in dem die besondere Verbindung des Dichters mit seinem palatinischen Apoll evident wird: patera und carmine erinnern an Eigenschaften, die auch dem Kultbild des palatinischen Apolls in Prop. 2,31 zugeschrieben werden konnten.289 Während dort die patera unerwähnt bleibt, findet sie nun Erwähnung. Das Kultbild spiegelt sich somit in der Pose des Dichters. Dabei sei zugleich auf die ambivalente Funktion der patera290 in diesem speziellen Zusammenhang verwiesen: Einerseits als Libationsgefäß im sakralen Ritual (vergleiche die Libation in V 7f.) anderseits als Trinkschale im konvivialen Kontext (vergleiche in mea vina in V 86) verwendet, reflektiert sie die ambivalente Rolle des aitiologisch-elegischen Ichs als musisch inspirierter Sänger und symposialer poeta. Sie steht damit symbolisch für das konsequente Mischen aitiologisch-augusteischer Stoffe und elegischer Themen/Topoi im vierten Buch.291 Hinsichtlich der properzischen Selbstbeschreibung als vates/poeta, seiner Dichtung und Apollo lässt sich zum Ende des Gedichtes feststellen, dass Properz sich mit seiner elegischen Version der Schlacht bei Actium und dem Tempel auf dem Palatin ein Monument im literarischen Rom setzt, das mit dem augusteischen konkurriert. Darüber hinaus erzeugt er die Vision, selbst die Stellung des Gottes und seines Kultbildes darin einzunehmen.292 Properz beschränkt sich in der zentralen Elegie seines vierten Buches bewusst nicht auf eine bestimmte Repräsentation des Apollo, sondern nutzt das volle Spektrum des Gottes (Orakel, Triumph, Dichtungsinspiration, rächender Bogenschütze, Musenanführer, Octavian-Bezug in einem aitiologischen Kontext), um es für seine poetologischen Zwecke fruchtbar zu machen.293 Er spielt dabei hauptsächlich mit dem divergenten Wesen des Bogenschützen und Musenanführers Apollo Palatinus, das bereits in der Beschreibung der monumentalen Tempelausstattung in Prop. 2,31 reflektiert wurde. Die Inszenierung eines sakralen Rahmens lässt den Sprecher in die Rolle des vates schlüpfen, der durch seinen ApolloBezug und die im Gedicht gespendeten „elegischen Opfergaben“ in der Lage ist, im Kontext eines Aition zu einem augusteischen Triumphmonument dennoch einen elegischen Apollo im Gewande eines Bogenschützen zu invozieren. Diese Ambivalenz wird im weiteren Verlauf des Gedichtes konsequent aufrecht erhalten, indem Apollo trotz des kriegerischen Kontextes gemäß seiner bisherigen Rolle in der properzischen Dichtung unkriegerisch präsentiert wird. Die Mischung elegischer und augusteischer Komponenten lässt den Gott schließlich in die Nähe des vierten Buches rücken, das sich ebenfalls durch eine solche Ambivalenz, d.h. aitiologische und elegische Züge, auszeichnet. Das We289 Vergleiche HUTCHINSON 2006, 169. 290 Siehe zur Funktion der patera SIEBERT 1999, 40–44; BENDLIN 2000, passim. 291 Eine ähnliche Ambivalenz zeigt sich auch in dem Wein, in dem sich die Sonnenstrahlen spiegeln (donec / iniciat radios in mea vina dies, V 85f.), da einerseits der Wein für Bacchus steht und andererseits die Sonnenstrahlen mit Apollo in Verbindung gesetzt werden können. Vergleiche HUTCHINSON 2006, 169. 292 Vergleiche WELCH 2005, 108. 293 Vergleiche WELCH 2005, 110f.

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sen der Properz-Dichtung wird somit im Wesen des Gottes bildhaft verkörpert. Daraus resultiert, dass nicht nur Kultbilder mediale Funktion in literarischen Texten übernehmen können, sondern auch Götter als handelnde Subjekte. Diese genießen im Gegensatz zu ihren Kultbildern den Vorteil, dass sie weit weniger auf einen bestimmten Repräsentationsaspekt ihres Wesens festgelegt sind und als handelnde Subjekte variabler in literarische Kontexte eingebunden werden können. Auch wenn der vates in V 11 verspricht, über den Apollo-Palatinus-Tempel zu berichten, so erfährt der Leser doch keine konkreten Hinweise zum Bau selbst. Stattdessen präsentiert der Dichter in seinem Aition lediglich seine Version von der Ursache des Tempelbaus: Apollos Eingriff in die Schlacht von Actium, der Octavian zum Triumph verhalf. Die Leerstelle des Siegesmonuments wird somit durch die Worte des Dichters und die von ihm beschriebene Handlung des Apollo gefüllt. Beide (Dichtung und Gott) sind somit, nicht zuletzt durch die Wesensüberschneidung, Bausteine in der aitiologischen Begründung für die Errichtung der Apollo-Palatinus-Anlage. Damit mutiert die Properz-Elegie über den Tempel am Ende zu einem literarischen Monument (Actius hinc traxit Phoebus monumenta, V 67). Die Analogie zwischen Dichtung und Architektur ist zudem eine gedichtübergreifende Grundkomponente des vierten Buches. In Prop. 4,2 setzte sich der elegische Dichter eine wandelbare Kultstatue des Vertumnus. In Prop. 4,6 wird er nun zum Architekten seines eigenen Apollo-Palatinus-Tempels im literarischen Rom und sucht sich durch den monumentalen Charakter seines Gedichts zu verewigen. Zu diesem Zweck bringt er das augusteische Apollo-Heiligtum im realen Rom mit seinem literarischen Raum zur Deckung: So wie Octavian sich als Actiumsieger und quasi Neugründer Roms stilisiert, so nimmt Properz für seine aitiologischelegische Romdichtung eine ähnliche, wenn auch genuin literarische Gründungs/Innovationsleistung in Anspruch. So wie Octavian den Apollo-Palatinus-Tempel (laut Aition) als Zeugnis dieses historischen Ereignisses errichten ließ, so baut der Dichter den Tempel mit seinem Aition als ein poetisches Denkmal auf. So wie der Gott zum Triumph des Octavian beigetragen hat, so wird auch die Dichtung zum Triumph des Dichters beitragen. So wie Octavian die enge Verbindung speziell zu Apollo sucht, so nimmt der poeta Properz am Schluss seines Gedichtes selbst die Pose des Apollo-Palatinus-Kultbildes ein. Der Dichter schreibt sich auf diese Weise göttlichen Status zu und bezieht darin sein opus ein, sodass aus dem Tempel für Apoll auch ein Tempel für Properz wird. Somit stilisiert er sich auf dem inszenierten Höhepunkt seiner Dichtung nicht nur zu einem vates Apollinis, sondern zu einem alter Apollo. Im Gegensatz zu den sprechenden Kultbildern geht es hier nicht um die Entlarvung des Dichters hinter der Stimme des Kultbildes, sondern um das Gegenteil: Die Transformation des Dichters zum Gott.

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7.4 FAZIT Zu Beginn des Kapitels wurden unter den Kategorien „Medialität“, „Kommunikation“ und „Literarisierung/Funktionalisierung“ drei unterschiedliche Fragenfelder formuliert, nach denen die Textstellen, in denen Gottheiten wie Mars, Venus oder Apollo als handelnde Subjekte auftreten oder in Form von Kultbildern in nonverbalen Kommunikationssituationen geschildert werden, analysiert werden sollten. Ziel war es zu klären, wo die Abgrenzung zu den sprechenden Kultbildern liegt und ob sich diese Szenen anderer Darstellungstechniken bedienen. Die Untersuchung hat folgendes ergeben: Medialität An den Stellen, in denen lebendig imaginierte Götterfiguren auftreten (Mars im Proöm des Fasten-Buchs 3 oder Venus im Proöm des Fastenbuchs 4), wird zumeist auf allgemeine Reflexe von Kultbildertypen zurückgegriffen. Es wird also nicht auf bestimmte Kultbilder angespielt, sondern auf einen Stereotyp. Die Erwähnung der bekanntesten Attribute (Helm, Schild und Lanze bei Mars zu Beginn von Buch 3 und die Myrte der Venus im Proöm von Buch 4) dient der Identifikation der jeweiligen Götter, die im literarischen Kontext der Passagen in ihrer Funktion als Gottheit eine ganz bestimmte Rolle einzunehmen pflegen. Es ist auffällig, dass der Rückgriff auf allgemeine Kultbildtypen vor allem dort stattfindet, wo der Erzähler aus kultpraktischen Gründen keinen Zugang zur Gottheit und ihrem Bild gehabt haben kann. Daher muss er versuchen, diese Wissenslücke mit ihm bekannten Kultbildreflexen zu füllen (z.B. die Waschung des VenusVerticordia-Kultbildes, das mit der Venus anadyomne und der Venus pudica verbunden wird, da der Erzähler als Mann keinen Zugang zu diesem Kult haben dürfte). Eine Anspielung auf konkrete Kultbilder findet nur dort statt, wo der Aufstellungsort klar definiert wird und dem Erzähler auch zugänglich ist (Apollo Palatinus und dessen Tempel auf dem Palatin).294 Die Zugänglichkeit zieht noch eine weitere mediale Scheidung nach sich: Wenn auch in Prop. 2,31 gleich zwei Apollo-Statuen erwähnt wurden (V 5f. und V 15f.), die im Apollo-Palatinus-Typus dargestellt wurden, ließ sich dennoch klar zwischen diesen beiden differenzieren: Die Statue außerhalb der cella wird durch die Betonung ihrer Materialität (marmoreus, V 6) sowie ihrer Umgebung (Rahmung durch Danaiden und den Kühen des Myron) eindeutig als Kunstwerk beschrieben. Die andere Statue, in der die Präsenz des Gottes am höchsten ist (deus ipse, V 15), wird durch ihren Aufstellungsort (cella des Tempels) und ihre Positi-

294 Bei der Beschreibung des Mars-Ultor-Tempels und des Augustus-Forums sind die Tempeltüren verschlossen, sodass das Mars-Kultbild in der cella für den Erzähler und damit auch für den Leser nicht sichtbar werden kann. Der Text selbst liefert keine konkreten Hinweise zu einem Mars-Kultbild. Vielmehr setzt sich dieses durch die architectural ecphrasis der Anlage baukastenförmig zusammen. Siehe Kap. 7.2.1.3.

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on (inter matrem…interque sororem, V 15) ganz evident als Kultbild definiert. Einfaches Götterbild und Kultbild werden hier somit klar voneinander geschieden. Kommunikation Hinsichtlich der Kommunikation ist in den Texten eine deutliche Scheidung feststellbar, je nachdem, ob in den jeweiligen Szenen mit dem Gott oder mit dem Kultbild kommuniziert wird. Die Aktivierung der Götter in den Fasti-Proömien ähnelte den realen Gebets- oder Hymnenstrukturen am meisten (siehe Mars in Ov. fast 3,1–252 oder Venus in Ov. fast. 4,1–162). Dies ließ sich sowohl am ähnlichen Aufbau (Gliederung der Gebete) als auch an stilistischen Ähnlichkeiten nachweisen (Du- bzw. Er/Sie-Stil in Hymnen). Gelegentlich war es nicht das Gebet, das die Gottheit invozierte, sondern der Anlass (Mars Ultor erscheint als Epiphanie und beschaut anlässlich der dedicatio seinen Tempel). Die dort geschilderten Kommunikationssituationen stehen damit der formalen, religiösen Kommunikation sehr nahe. Wenn Kultbilder in Ritualen aufgerufen wurden, findet entweder nur eine non-verbale Kommunikation statt (die architectural ecphrasis konstituiert das Kultbild des Mars Ultor dadurch, dass sie aus seiner Perspektive geschildert wird; Reinigung des Venus-Kultbildes) oder die Botschaftsübermittlung seitens der Gottheit an den elegischen Sprecher ist unvollständig und muss durch den Leser vervollständigt werden (vergleiche sonat in V 16 des Apollo-Palatinus-Kultbildes in Prop. 2,31, dessen Inhalt sich durch die architectural ecphrasis ergibt). In Prop. 4,6 hingegen wird zwar viel über den Gott Apollo, aber nicht mit ihm geredet. Vielmehr handelt es sich dort um eine aitiologische Exegese des Kultbildes, die dem Leser erklärt, warum Apollo am Palatin mit Leier und patera dargestellt ist. Hier findet somit das Kultbild des Apollo Palatinus, das in Prop. 2,31 noch ohne patera dargestellt wurde, seine Vervollständigung. Die dritte Kategorie „Literarisierung/Funktionalisierung“ soll im abschließenden Fazit der Arbeit untersucht werden. Durch einen synoptischen Vergleich der bedeutendsten Gottheiten der augusteischen Zeit Mars, Venus und Apollo mit den archaisierenden Priapi- und Vertumnus-Kultbildern soll die Besonderheit der sprechenden Kultbilder gegenüber den prominenten Götterfiguren herausgearbeitet werden.

8. ZUSAMMENFASSUNG Im Kern dieser Arbeit stand eine poetologische Deutung der sprechenden Kultbilder bei Horaz, Tibull und Properz. Die Ergebnisse der fünf Fallbeispiele bei Ovid und Properz (siehe Kap. 7) haben hingegen gezeigt, dass in der augusteischen Dichtung nicht nur archaisierende, sprechende Kultbilder wie das des Priapus oder Vertumnus poetologische Funktion übernehmen und damit als Medium der Dichtung instrumentalisiert werden können, sondern auch römische Gottheiten der „ersten Garde“ wie Mars, Venus oder Apollo. In Gestalt eines handelnden, sich bewegenden Subjektes werden diese von den Dichtern in unterschiedlichen Kommunikationssituationen programmatisch genutzt. Jedoch unterscheidet sich die Art und Weise der kommunikativen Einbindung und der damit in Verbindung stehenden poetologischen Instrumentalisierung von sprechenden Kultbildern und Gottheiten grundsätzlich voneinander. Wie gezeigt werden konnte, adaptieren die Dichter in ihren literarischen Texten das Motiv des Kultbildes und dessen medialen Charakter für ihre Zwecke. Dabei folgen die sprechenden Kultstatuen nicht den Regeln der rituellen Kommunikation, sondern literarischen Konventionen aus den Epigrammen sowie den Iamben des Kallimachos (siehe Kap. 6). Der synoptische Vergleich der sprechenden Kultbilder als Kommunikationsmedium hat ergeben (siehe Kap. 5.9), dass alle drei Autoren trotz unterschiedlicher Gattungen (Satire, Liebeselegie, Aitiologie) und verschiedener Erzählformen (narrativ, didaktisch, erklärend) einen ähnlichen Mechanismus verwenden, der sich grundlegend von dem der agierenden Gottheiten unterscheidet: So suggerieren alle drei Texte zunächst mit Priapus oder Vertumnus eine vergleichsweise unbedeutende Gottheit als Sprecher, die entweder unmittelbar (Hor. sat. 1,8; Prop. 4,2) oder nach direkter Ansprache eines Gegenübers (Tib. 1,4) zu reden beginnt. Im Vergleich zu den vorangegangenen Gedichten der jeweiligen Bücher wird mit der Einführung der sprechenden Kultbilder erstmalig ein Sprecherwechsel vollzogen, der durch die so entstandene neue Kommunikationssituation die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich zieht. Die erhöhte Aufmerksamkeit stellt sich auch als notwendig heraus, da bewiesen werden konnte, dass allen drei sprechenden Kultbildern programmatische Funktion in ihren jeweiligen Werken zukommt. Diese offenbarte sich im Laufe des Gedichtes durch die Destabilisierung des göttlichen Sprechers, dessen Stimme in allen drei Gedichten zwischen Gott und satirischem bzw. elegischen Ich der jeweiligen Dichter changierte. Vor allem widersprüchliche Aussagen und die immer wiederkehrende Thematisierung der eigenen Glaubwürdigkeit mündeten sowohl bei den beiden Priapi als auch bei Vertumnus zunächst in der Identifizierung des Sprechers als eines unzuverlässigen Erzählers und schließlich in der Entlarvung des imaginierten Gottes als Stimme des Dichter-Ichs. Auf diese Weise ließ sich folgendes feststellen: a) Das

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Phänomen des unzuverlässigen Erzählers lässt sich auch außerhalb narrativer Textformen finden und b) fungieren alle drei Kultbilder als Rollenkonstrukte in den jeweiligen Texten und werden damit zum Medium der Dichter in ihrer Kommunikation mit dem Leser. Die Grenzen zwischen Dichter und Gott verschwimmen bei der literarischen Funktionalisierung von Kultbildern. Die traditionell poetologische Selbstbezüglichkeit der sprechenden Kultbilder seit Kallimachos und die Entscheidung, die Sprecher der vorliegenden Texte als unzuverlässige Erzähler zu gestalten, eröffneten dem Dichter die Möglichkeit, mittels des Kommunikationsmediums „Kultbild“ in ihren Texten einerseits Werkund Selbstaussagen zu treffen und den sprechenden Statuen andererseits programmatische Funktion zuzuweisen. Dabei entpuppte sich der Moment der vollkommenen Entlarvung des Gottes als Rollenkonstrukt des satirischen oder elegischen Ichs als besonders wichtig, da sich in ihm zugleich das Dichtungsprogramm des jeweiligen Werkes auf unterschiedliche Weise offenbarte: In Hor. sat. 1,8 spiegelt sich im Furz des Priapus und der anschließenden Demaskierung und Vertreibung der Hexen das für das erste horazische Satirenbuch programmatische ridentem dicere verum. In Tib. 1,4 wurde in den widersprüchlichen praecepta zum Thema Knabenliebe, die sich zum Schluss als vana magisteria entpuppten, die Erfolglosigkeit des elegischen Ichs bei seinen Geliebten Delia und Marathus reflektiert, die für das erste Buch des Tibull programmatisch zu sein scheint. In Prop. 4,2 wird das ambivalente Dichtungsprogramm des vierten Properz-Buches (Liebeselegie und Aitiologie) zunächst durch die breit ausgeführte Wandlungsfähigkeit des Vertumnus evident (V 1–56), dessen Stimme sich spätestens durch die Transformation des mündlichen Vortrags zum Text und der damit verbundenen Manifestation des Dichtungsprogramms in einer Statue (V 57–64) als die des Dichters entpuppt. Damit fungieren alle drei Kultbilder als Demonstrationsobjekt für die Dichtungsprogrammatik des Horaz, Tibull und Properz. Auch Götter wie Mars, Venus und Apollo, die zu augusteischer Zeit massiv in die Staatsgenealogie und -ideologie eingebunden sind, können als agierende Götterfiguren in den jeweiligen Kontexten eine poetologische und programmatische Funktion übernehmen. Jedoch sind dabei im Vergleich zu den sprechenden Kultbildern die Grenzen zwischen Dichter und Gott viel schärfer gezogen. Sie werden von vornherein und eindeutig als eigenständige Figuren gezeichnet, die der Dichter dann für seine literarischen Zwecke instrumentalisiert. Dadurch wird es möglich, die Götterfiguren in vielfältigen Kommunikationssituationen auftreten zu lassen, die sowohl verbaler (Gebet/Hymne; vergleiche Mars in Kap. 7.2.1.2 und Venus in Kap. 7.2.2.3), als auch non-verbaler Natur sein können (rituelle Waschung, Opfer; vergleiche Venus in Kap. 7.2.2.4 und Apollo in Kap. 7.3.3.1). Da keine Zwischeninstanz eingeschaltet ist (wie beim Kultbild), ist die Scheidung der göttlichen persona von der Ich-persona im Text eindeutiger. Das „Machtverhältnis“ zwischen Dichter und Gott fällt eindeutig zugunsten des Dichters aus. Besonders evident wird dies bei der Einführung der jeweiligen Gottheit: Während bei Horaz, Tibull und Properz imaginiert wird, dass die sprechenden Kultbilder von sich aus die Kommunikationsinitiative ergreifen, spielt in den Situationen, in denen Götter als Inspirationsgottheit oder als Akteur auftreten, wie z.B. die Proö-

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mien in Buch 3 und 4 in Ovid’s Fasti oder die Mittelelegie im vierten Buch des Properz, die Invokation der jeweiligen Gottheit eine Rolle. Wie in einer realen Gebetssituation entscheidet der Dichter dabei, welche Gottheit er herbeiruft, von welcher Gottheit er sich inspirieren lässt und in welcher Gestalt sich die Gottheit präsentiert. Im Unterschied zu einer realen Gebetssituation entscheidet er auch, wann die Gottheit zu Wort kommt. Die Gottheiten werden im Dichtungskontext zu Figuren des Poeten und ganz evident als seine Eigenleistung markiert. Er besitzt auch die Macht, den jeweiligen Gott seinen Bedürfnissen anzupassen: So war Ovid in den Fasti in der Lage, den Kriegsgott Mars zu entwaffnen (Kap. 7.2.1.2) oder Venus von einer Inspirationsgöttin der Liebeselegie zu einer der Aitiologie angemessenen Venus Genetrix zu transformieren (Kap. 7.2.2.4). Genauso konnte Properz in Prop. 4,6 einen musischen Apoll in einem aitiologischen Kontext auftreten lassen, der eigentlich den Bogen schießenden Apoll gefordert hätte (Kap. 7.3.3). Die religiöse Vielgestaltigkeit der agierenden Götterfiguren unterstützt den Dichter dadurch, dass die jeweiligen Gottheiten im Unterschied zu den in Holz und Stein gearbeiteten Priapus- und Vertumnus-Kultbildern an keine permanent festgelegte Repräsentationsform gebunden sind. Stattdessen kann der Dichter auf das volle Darstellungs- und Bedeutungsspektrum der jeweiligen Gottheiten zurückgreifen und jeden Aspekt der Gottheit in seinen literarischen Kontext integrieren (vergleiche z.B. Apollo in Prop. 4,6 [Kap. 7.3.3.], bei dem sich Assoziationen zum Orakel, Triumph, Bogen schießenden Rächer und Dichtung ergaben). Wie im letzten Kapitel aufgezeigt werden konnte, umfasste dies u.a. auch das Spiel mit Reflexen auf bestimmte Kultbildtypen, deren assoziative Einbindung im Kontext ritueller Handlungen zur poetologischen Aussage beitragen konnte (vergleiche die Assoziation zum Statuentypus der Venus anadyomene und der Venus pudica in Kap. 7.2.2.4). Im Fall der sprechenden Kultbilder scheint deren Objektcharakter sie zunächst auf ein bestimmtes Äußeres festzulegen, das im Vergleich zu den handelnden Götterfiguren als ständig präsent sowie unbeweglich imaginiert und durch die Betonung des Materials besonders ihren Status als sprechender Gegenstand hervorhebt. Dieses Faktum scheint zunächst im Vergleich zu den agierenden, prominenten Götterfiguren ein gravierender Nachteil in Bezug auf die flexible Integration in literarische Kontexte zu sein. Doch bei genauerem Hinsehen eröffnet sich gerade durch den Objektcharakter der sprechenden Kultbilder und auch durch die Wahl der unbedeutenden Gottheiten, deren Kultbilder zum Medium der Kommunikation gemacht worden sind, ein zusätzliches poetologisches Potential, das den vermeintlichen Nachteil zum Vorteil verkehrt. Zunächst einmal ist die äußere Gestalt aller drei Statuen trotz ihrer klaren Zeichnung als materielle Kultbilder (vergleiche Kap. 2.3.4; siehe auch Kap. 2.2.3) nicht so genau festgelegt wie gedacht: Sowohl der horazische als auch der tibullische Priapus zeichnen sich durch ihr relativ unbearbeitetes Äußeres aus, dessen entscheidendes Merkmal (das Glied) in beiden Werken nicht zum Einsatz kommt. Bei Properz wird dem Vertumnus-Bild zwar eine Entwicklung von einem flüchtig bearbeiteten Ahornstamm zu einer Bronze-Statue bescheinigt, die durch die Gaben der Verehrer jegliche Form annehmen kann. Über das eigentliche Aussehen

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der Statue erfährt der Leser allerdings nichts. Durch die mangelnde Beschreibung des Kultbildes bzw. seine äußere Gestaltung als Rohling wird die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Stimme des Gottes gelenkt und somit ihren Worten besonderes Gewicht verliehen. Die Dichter machten sich für die programmatische Funktionalisierung der Kultbilder vor allem das Wesen des jeweiligen Gottes zunutze, das in dessen eigenen Worten jeweils reflektiert wurde: So wurde bei Priapus vor allem das bipolare Wesen des Fruchtbarkeitsgottes herausgekehrt, das durch Gegensatzpaare und Spannungen (z.B. Leerstelle Glied, aber Schutzfunktion; männliche und weibliche Attribute) geprägt war (vergleiche Kap. 3.5; 4.8), die sich im Text abzeichneten und teilweise komische Inkongruenzen erzeugen konnten (vergleiche Kap. 3.4.1; 4.6). Zusammen mit der oftmals rudimentären Ausgestaltung seines Kultbildes (vergleiche Kap. 3.4.1), die den Dichtern ebenfalls weiteren Gestaltungsspielraum lieferte, wurde somit bereits früh auf seine Funktion als unreliable narrator hingewiesen. Bei der in den römischen Pantheon integrierten etruskischen Gottheit Vertumnus wurde das hohe Alter und das in alle Richtungen wandelbare Wesen gar vom Dichter im Kontext der drei Etymologien zugunsten der lateinischen Ableitung von omnes vertere konstruiert (siehe Kap. 5.6.3; 5.6.4; 5.9), um sie seinen eigenen literarischen Interessen anzupassen. Bei Vertumnus waren es besonders die vielfältigen Wissenslöcher, die sich vor allem hinsichtlich der Herkunft und des Wesens dieser Gottheit auftaten und durch die literarischen Konstrukte des Dichters zu seinen eigenen poetologischen Zwecken aufgefüllt worden sind. Das Kultbild des Gottes Vertumnus bot bei der literarischen Gestaltung in Anbetracht anderer archäologischer und literarischer Quellen sicherlich den größten Freiraum für den Dichter (vergleiche Kap. 5.6.2). Anhand dieser Beobachtungen lässt sich erkennen, warum gerade solche Kultbilder wie die vorliegenden als Medium der Kommunikation von Dichtern funktionalisiert worden sind. Neben dem Aspekt der suggerierten Zugänglichkeit aufgrund ihres Standortes unter freiem Himmel und an stark frequentierten Plätzen wie dem Forum Romanum (vergleiche Kap. 2.4.2) scheint vor allem der literarische Freiraum, den die beiden eher unbedeutenden Gottheiten dank ihrer plastischen „Unförmigkeit“ bieten, eine große Rolle zu spielen. Augusteische Götter hingegen sind in ein engeres Korsett gepresst. Die engeren Vorgaben für die augusteischen Götter könnten auch meines Erachtens der wichtigste Grund sein, warum in diesem speziellen Zeitraum Kultbilder von Gottheiten wie Mars, Venus oder Apollo, die mit der Politik und der Staatsideologie/-genealogie des Augustus in enger Verbindung stehen, in Texten stumm bleiben: Solche Götter sind, wie an den exemplarischen Textstellen bei Ovid und Properz in Kapitel 7 gesehen werden konnte, stark durch ihren politischen Bezug auf eine bestimmte Rolle bzw. Aussage oder auf ein bestimmtes Äußeres festgelegt, damit vorbelastet und bieten somit kaum literarisch fruchtbaren Interpretationsspielraum, den die archaisierenden Kultbilder wie Priapus und Vertumnus hingegen liefern. Ähnlich den Bildhauern, denen bei der Schaffung neuer augusteischer Bauten Schranken gesetzt worden sind, würden auch die augusteischen Dichter, wenn sie das Kultbild eines Gottes, der dem augusteischen Kanon

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angehörte, tatsächlich zur Sprache kommen ließen, in ihrer künstlerischen Freiheit beschnitten werden (vergleiche Kap. 2.2.3). Eine Ausnahme bildete dabei jedoch die architectural ecphrasis: Mit ihr bot sich den Dichtern ein geeigneter Mittelweg, einerseits die Grenzen der augusteischen Vorgaben einzuhalten, andererseits sich jedoch in gewissem Maße dichterische Freiheiten zu verschaffen. Diese Subgattung der Ekphrasis war ein literarisches Mittel, mit dem vor allem die Beziehung zwischen Bauwerk (Kunstwerk oder Gebäude), Besitzer und Dichter (in seiner Rolle als literarischer Architekt) durch einen Beschreibenden hervorgehoben wurde. Allerdings kommt diese Verbindung nur zweimal in der augusteischen Literatur (Prop. 2,31 und Ov. fast. 5,545–598; siehe Kap. 7.2.1.3 und 7.3.2) zum Einsatz. Beide Textbeispiele setzen die architectural ecphrasis auf ähnliche Weise ein: In Prop. 2,31 wird im Zuge der Beschreibung des Apollo-Palatinus-Tempels zwar auch das Kultbild erwähnt, aber nicht zum Sprechen gebracht. Die interpretatorische Leerstelle, die durch das sonat in V 16 evoziert wird, wird stattdessen durch die architectural ecphrasis des elegischen Ichs gefüllt, das sich der ikonographischen Vorlage des Augustus bedient. Somit nutzt der Dichter das vorgegebene Korsett der augusteischen Bildkunst für seine Zwecke, indem er nicht die komplette Anlage beschreibt, sondern lediglich die Punkte herausgreift, die seiner elegischen Dichtung zuträglich sind. Auf diese Weise charakterisiert er das Kultbild des Apollo Palatinus durch die visuell dominierte Beschreibung seiner Umgebung. Ähnlich verhält es sich mit Mars Ultor im fünften Buch von Ovid’s Fasti. In diesem Kalendereintrag wird das Kultbild des Mars Ultor im Zuge der Beschreibung des Tempels und des Augustus-Forums an keiner Stelle wörtlich erwähnt. Jedoch ließ sich feststellen, dass das Kultbild durch die architectural ecphrasis konstituiert wird, die wesentliche Aspekte des Gottes wie Krieg, Einbindung in die Staatsideologie und Augustusnähe hervorhob. Die Leerstelle des Mars-UltorKultbildes wurde demnach hier durch die Beschreibung der Anlage aus der Perspektive des Kriegsgottes gefüllt. Gleichzeitig bot sich für den Dichter durch die besondere Perspektivierung der Ekphrasis die Möglichkeit, sich von kriegerischen und panegyrischen Elementen zu distanzieren, die seinem Dichtungsprogramm nicht angemessen schienen. Die enge Verbindung von künstlerischer Schöpfung und Dichtung, die bei der architectural ecphrasis durch die Augen eines Besuchers evoziert wurde, ist besonders bei den untersuchten Priapi- und Vertumnus-Kultbildern stark ausgeprägt. Als Demonstrationsobjekt der Dichtungsprogramme von Horaz, Tibull und Properz sind es vor allem die intermedialen Bezüge (vergleiche Kap. 2.4.2), die sich durch das Evozieren der Statue ergeben und das größte poetologische Potential in sich bergen. Sie grenzen die sprechenden Kultbilder ganz evident von agierenden Göttern wie Mars, Venus oder Apoll ab. So wird die Dichtungsprogrammatik durch das Demonstrationsobjekt „Kultbild“ auf eine besondere poetologische Ebene gehoben. Die Belebung eines toten Gegenstandes durch Sprache innerhalb eines vom Dichter konstruierten literarischen Raums sowie das daraus resultierende Zusammenspiel der Elemente Mündlichkeit, Schriftlichkeit und Plastizität

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im Kultbild ermöglicht die Inszenierung eines Bild-Text-Mediums. Mittels dessen ergibt sich die Möglichkeit für den jeweiligen Autor, nicht nur die Grenzen des Mediums „Kultbild“ auszuloten, sondern auch andere literarische Gattungen wie das Weih- und Grabepigramm in die satirischen, liebeselegischen und aitiologischen Gedichte zu importieren. Daraus entwickeln sich gewisse Dynamiken wie z.B. Beweglichkeit – Unbeweglichkeit, Stabilität – Instabilität oder Formfestigkeit – Wandelbarkeit, die wiederum in Spannung zu den eloquenten, aber archaisierend und oft unbearbeiteten Kultbildern stehen. Im Gegensatz zur architectural ecphrasis gibt es dabei keinen Exegeten, der innerhalb eines literarisch konstruierten Raumes ein Monument oder Kunstwerk beschreibt und deutet. Das sprechende Kultbild vereint vielmehr all diese Komponenten in sich und seiner direkten Rede. Die intermedialen Bezüge wurden in den untersuchten Texten in unterschiedlichem Maße und unterschiedlichen Schwerpunkten umgesetzt: Horaz hebt vor allem durch den epigramm- und inschriftenartigen Charakter der Eingangsverse das Element der Schriftlichkeit in den Vordergrund, sodass der Text als Inschrift auf der Basis eines Priapus-Kultbildes imaginiert wird (Kap. 3.4.3) und das Kultbild somit an Plastizität gewinnt. Bei Tibull spielen die intermedialen Bezüge innerhalb der Elegie Tib. 1,4 im Vergleich zu Horaz und Properz keine nennenswerte Rolle. Bis auf die Betonung seiner rudimentären Gestalt mit zottigem Bart und Sichel erhält man so gut wie keine Anhaltspunkte zu intermedialen Bezügen. Mit Vertumnus in Prop. 4,2 wird der Einsatz intermedialer Bezüge auf den Höhepunkt getrieben (vergleiche Kap. 5.8): Vor allem in den letzten Versen wird durch das Umbrechen der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit eine Statue mit Inschrift imaginiert, durch die das ambivalente Dichtungsprogramm des vierten Buches, das sich in den Worten des Vertumnus widerspiegelte und dadurch Dauerhaftigkeit und Plastizität erhielt. Durch die stetige Präsenz der Analogie von Dichtung und Monument/Statue, die sich bereits in der Eröffnungselegie des vierten Buches abzeichnete, bot sich Properz auf diese Weise die Möglichkeit, sich mit seinem Aition zum Vertumnus-Kultbild ein Denkmal in seinem literarischen Rom zu setzen und sich unsterblich zu machen. Die Verbindung von Kunstwerk, Dichter und Dichtung scheint Properz somit von den drei untersuchten augusteischen Dichtern am stärksten umgesetzt zu haben. Bei ihm geht die Funktion des Kultbildes über die des einfachen Demonstrationsobjektes der Werkprogrammatik deutlich hinaus. Der intermediale Chrakter der sprechenden Priapi- und Vertumnus-Kultbilder trug darüber hinaus im Gegensatz zu den handelnden Götterfiguren dazu bei, dass erstere nicht nur innerhalb der einzelnen Gedichte programmatische Funktion übernehmen konnten, sondern auch durch ihre werkinterne Positionierung poetologische Aussagekraft beanspruchen konnten. Während Mars, Venus und Apollo an den traditionell erwartbaren Stellen programmatische Funktion übernahmen (Mars und Venus jeweils in den Proömien der fasti Buch 3 und 4; Apollo in der Mittelelegie Prop. 4,6), waren die sprechenden Priapi und Vertumnus nicht an eine solch exponierte Position gebunden. Dessen ungeachtet konnte herausgear-

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beitet werden, dass die literarische Position im Werk interpretatorisch nicht unbedeutend war. Die Einbettung der sprechenden Kultbilder wurde dabei von den drei Autoren erneut in unterschiedlichem Ausmaß vorgenommen, sodass sich eine Klimax abzeichnet, in der Properz erneut den ersten Platz einnimmt: Bei Horaz bildet die Priapus-Satire eine Scharnierstelle zwischen dem beobachtenden Erzähler in Hor. sat. 1,7 und dem in einen Dialog eingebundenen Ich-Erzähler in Hor. sat. 1,9, sodass die drei Gedichte auch durch inhaltliche Parallelen zu einer Triade verwoben werden (vergleiche Kap. 3.4.6). Die „Strahlweite“ scheint beim horazischen Priapus-Kultbild am geringsten zu sein, wenngleich ihm als einziger göttlicher Sprecher des ganzen ersten Satirenbuches ein Sonderstatus zukommt. In Tib. 1,4 nutzt der Dichter den bipolaren Objektcharakter des Kultbildes für seine poetischen Zwecke, indem er das Priapus-Kultbild innerhalb des ersten Buches als thematischen Marker verwendet (vergleiche Kap. 4.7). Während der intermediale Charakter der Statue innerhalb des Gedichts keine Rolle spielt, kommt dem Kultbild innerhalb des ersten Buches somit eine besondere Funktion zu. Denn es ist auf struktureller Ebene gerade an einer Schnittstelle zwischen der Sehnsucht nach der Geliebten Delia (Tib. 1,2 und 1,3) und der Distanzierung zu ihr (Tib. 1,5 und 1,6) positioniert, an deren Ende die Zuwendung zu Marathus steht (Tib. 1,8 und 1,9). Damit markiert die Priapus-Elegie einen inhaltlichen Wendepunkt in der sexuellen Orientierung des elegischen Ichs, indem es strukturell und thematisch die Abwendung von Delia bzw. die Zuwendung zu Marathus einleitet. Diese Werkpositionierung steht sinnbildlich für die thematische Entwicklung des kompletten ersten Buches. Die Elegie Prop. 4,2 folgt hingegen sofort nach dem Einleitungsgedicht des vierten Buches, in dem die ambivalente Werkprogrammatik desselben präsentiert worden ist (siehe Kap. 5.2). Diese manifestiert sich durch das Vertumnus-Kultbild in komprimierter Form zu Beginn des aitiologischen Rundgangs (Prop. 4,2; 4,4; 4,6; 4,9; 4,11) durch das literarisch konstruierte Rom, wie ihn Properz in seinem letzten Buch präsentiert (vergleiche Kap. 5.6.5). Durch die konsequente Analogie von augusteischen Monumenten und Dichtung beschränkt sich die Positionierung des Vertumnus-Kultbildes somit nicht nur auf das Gedicht oder das vierte Buch, sondern muss zugleich als Teil des konstruierten Stadtbildes gedacht werden und wird damit auf eine andere poetologische Ebene gesetzt. Properz weitet damit die intermedialen Möglichkeiten eines Kultbildes am meisten aus. Am Ende bleibt festzuhalten, dass es vor allem die Medialität des Kultbildes als Zwischenträger sowie die intermedialen Bezüge sind, die die Kommunikation der Dichter mittels eines sprechenden Kultbildes von der mittels handelnder Götterfiguren unterscheidet. Durch die Elemente der Mündlichkeit, Schriftlichkeit und der Plastizität bietet sich den Dichtern auf ganz unterschiedlichen Ebenen eine Vielzahl von poetologischen Möglichkeiten, das Wesen ihrer Dichtung zu demonstrieren und ihm gleichzeitig Dauerhaftigkeit zu verleihen. Um dies erreichen zu können, sind die Autoren auf dichterische Freiräume angewiesen – eine Freiheit, die ihnen in augusteischer Zeit die archaisierenden Kultbilder eher unbedeutender Götter im literarischen Rahmen „kleinerer“ Gattungen wie Satire, Liebeselegie und Aitiologie gewähren konnten. Vergleichbare Spielräume konnten

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die Kultbilder prominenter Götter wie Mars, Venus und Apollo, deren literarische Funktionalisierung gerade in dieser Zeit durch die starke Einbindung in die augusteische Staatsideologie und -genealogie beschnitten worden war, nicht gewähren. Womöglich sind diese Komponenten auch hauptverantwortlich dafür, warum das Korpus der sprechenden Kultbilder in augusteischer Zeit so klein geblieben ist.

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SYNDIKUS 2010 TAGLIAMONTE 1999

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TRUE 2004

TUELLER 2008

UGGERI 2000 UGGERI 2002 VAHLERT 1933 VERMEULE 1987 VERSTRAETE 2005

WALDE 1999 WALDE 2000 WARDEN 1980 WEEBER 2000 WELCH 2001 WELCH 2005 WILI 1948 WILLEMSEN 1939 WIMMEL 1960

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10. REGISTER ALLGEMEINES REGISTER Actium 241, 248, 251f., 254–257, 259–263 Allegorie 14, 158 Analogie 14, 154, 186, 193, 195, 197, 245, 263, 271f. ancile 185f., 189, 194 Ansprechbarkeit 61 M. Antonius 241, 243 Apelles 237 Apollo 32, 60, 107f., 151, 155, 157, 162, 172, 203, 208, 240–267, 269–271, 273 Apollo Actius 258 Apollo inermis 258f. Apollo Palatinus 17, 28–30, 241–264, 270 Apollo Pythius 250 Apollo-Statue des Skopas 30, 52 area Apollinis 241, 243–245, 251 Cumae 240 Delos 24, 240, 246f., 249, 257 Kitharöde 241, 245f., 248, 257, 259f., 268 Lorbeer 259 Musenanführer 255, 262 Orakelgott 255, 268 Rächer 108, 241, 245, 247, 249, 262, 268 Sieg 245, 257, 268 Aretalogie 229–232, 256–260 hymnische 223, 228, 233, 239 Armut 140, 145, 148 Augenzeugenbericht 126, 129, 143f. Augustus 13, 27, 28–30, 32, 50, 187f., 206, 216, 219, 221f., 225, 229, 241, 243, 245, 257–259, 261, 269f. ara Pacis 188 augusteische Dichtung 11, 13–15, 17, 19, 25–27, 32, 48, 53, 163, 201, 225, 266, 272 augusteische Kunstsprache 30f., 270 augusteische Zeit 13, 16f., 19, 25, 30– 32, 48, 50, 70, 113, 185–187, 203, 206, 240, 242, 267, 272f.

Augustus-Forum 29, 52, 203, 206, 216, 218, 221, 223, 270 aurea aetas 27, 188, 216, 242 Iulii 216, 221, 228f. Octavian 191, 216, 259, 262f. Restauration 13, 27, 32, 50 Staatsideologie, -mythos 216, 218, 220–224, 232, 269f., 273 Aeneas 152, 216, 218, 221, 224f., 231, 233, 240 Anchises 218, 221, 231 Assaracus 231 Iulus 218, 221, 229, 231 summi viri 218f. Aventin 166, 188 Bacchus/ Dionysos 69, 141, 172, 261 Bipolarität 117f., 121, 123–125, 128, 139, 141, 143, 145, 272 Bisexualität 14, 140, 143 Brennus 247 brevitas 104, 106 Bürgerkrieg 13, 188, 192, 195, 216, 241, 243f., 251 Caesar (Gaius Iulius) 29, 237, 254 Forum Iulium 29 carmina Priapea 48f., 70f., 85, 89, 97, 125 cippus 81f., 87 convivium 260 Crassus 222 Cynthia 148f., 151, 154, 191, 242, 245, 249– 251 Danaos 245f. Dauerhaftigkeit 58, 85, 135, 137, 180f., 183, 185, 190f., 195f., 271f. Dea Dia 28 Delia 115f., 121, 136, 139f., 142f., 145, 267, 272 Demaskierung 103, 109f., 112, 145, 200 Demonstrationsobjekt 113, 141, 145, 194, 215, 267, 270f. deus ex machina 102, 108 Diana/ Artemis 30, 128f., 242, 247f. Diana-Statue des Timotheos 30, 52

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10 Register

Dualität 15, 78, 197–201, 203 Ekphrasis 11, 53, 110, 202, 219f., 245, 249, 270 architectural ecphrasis 203, 219–223, 244, 248–251, 265, 270f. Ekphrastik 21, 85 Enttarnung 104, 118, 134, 137, 139, 143– 145, 162, 177, 199, 263, 266f. Epeios 189 Epigramm 11, 15f., 19–22, 24, 26, 48, 58f., 69, 71, 85–88, 109f., 126, 161–163, 173, 183, 189, 191, 195, 198, 266, 271 Buchepigramm 21 Dialogepigramm 23, 162f., 198 Ergänzungsspiel 59 Grabepigramm 20, 25f., 60, 161f., 184, 190, 198, 271 Passant 26, 60, 85, 162, 182, 198 Steinepigramm 59 Super-Epigramm 87 Weihepigramm 25f., 60, 85, 162, 183f., 194, 198, 271 Epiphanie 32, 41f., 44, 45–49, 103, 111, 215–223, 257, 265 Erzähltextanalyse 14 Esquilin 44, 60, 82f., 107 Etymologie 161f., 164, 168–174, 177, 179, 181f., 187, 189, 194f., 200, 202, 210, 229, 231, 235, 269 exclusus amator 140, 142 Forum Romanum 107, 164, 167, 178, 187, 190, 269 Furz 67, 100–104, 106, 108–110, 112f., 199f., 267 Fruchtbarkeit 28, 44, 68, 76, 188, 192, 200, 231f. M. Fulvius Flaccus 166 Gegensatzpaare 111, 269 genre-poem 115, 138 Glaubwürdigkeit 67, 74f., 78f., 82, 85, 88, 90f., 97f., 103f., 109, 111, 121, 124f., 128–131, 133f., 137, 143f., 155f., 164, 170f., 175f., 178, 205, 238, 266 Götterfiguren als Experten 205f., 209, 215 als Handlungsträger 47, 202f., 205, 239f., 263f., 266–268, 271 als Inspirationsgottheit 208, 210, 223, 226, 228, 230, 232, 239, 241, 261f., 267 als Monatsgottheit 206, 210 als Universalgottheit 230

Hekate 95f., 101 Helena 231 Hellenismus 16, 19, 23, 53, 69, 126, 140, 237 hellenistische Dichtung 24f., 27, 54, 71, 87 Hermes 60, 86f. Hermes Perpheraios 24, 86, 189 Homosexualität 116f., 134, 139f., 142, 145 Horus 151, 154–157, 161f. Ianus 45–48, 179, 187f. Ianus geminus 187 Inkongruenz 79, 88, 128, 139, 144, 201, 269 Inschrift 110, 176, 183f., 190, 222, 271 Inschriftenkonvention 86 Intermedialität 57–61, 110, 191, 198, 221, 229, 272 intermediale Bezüge 16, 20, 57f., 61, 85f., 182–184, 194f., 238, 271f. mediale Grenzen 200 Medienkombination 57 Medienwechsel 57f. Intertextualität 87, 95, 189, 221, 226, 228, 232, 257f. Iuno/Hera 69, 231 Iuppiter 29, 32, 60, 186, 254, 257 Iuppiter Optimus Maximus 29 Iuppiter Tonans 29 ius iurandum 97 Kalender 204–206, 210–212, 215, 217, 222, 224, 228 Kallimachos 16, 20, 24f., 27, 86f., 104, 149f., 152f., 163, 189, 253, 255, 257, 266f. Callimachus romanus 151, 153f., 176, 193, 196, 257, 260 Kleopatra 241, 243 Knabenliebe 14, 115–117, 121f., 124–126, 131–133, 136, 143, 199f., 267 Kommunikation 11–13, 15, 19, 38, 57, 61, 65, 79, 93, 100, 107, 110, 113, 117, 163, 173, 197, 203, 222f., 244, 265, 272 doppelte 56, 109, 174, 181 Gesprächsaktivierung 121, 198, 203 horizontale 43 Initiative 163, 197, 199, 203, 209, 212, 225, 267 Kommunikationspotential 166 Kommunikationssituation 26, 42, 44, 60, 121, 132, 162f., 183, 198–203, 206, 250, 264, 266f.

10 Register literarische 197–201 non-verbal 12, 16, 37–40, 53, 68, 108, 111, 163, 197f., 202, 245, 256, 264f., 267 religiöse 33, 37, 43f., 50, 163, 197–201, 265f. verbal 12, 16, 37–39, 41, 68, 163, 197f., 201f., 211, 254, 256, 267 vertikale 38f., 43f., 61, 134, 163, 173, 197 Kultbild/-statue 11–20, 24f., 27, 32–45, 46, 48–53, 58, 61, 64f., 71–74, 76, 78, 80f., 83–86, 88f., 96, 102, 104, 107, 109– 113, 117f., 121–123, 125f., 138–140, 142–145, 161–165, 167f., 172f., 175– 177, 179, 181–185, 190–198, 200f., 203, 205, 212, 220–222, 233, 235f., 239f., 242, 244f., 248f., 251, 260–265, 267, 269, 271, 273 ἄγαλµα 33 archaisierend 31f., 58f., 266, 269, 271f. Aufstellungsort 60f., 67, 78–86, 89, 107, 112, 162, 164, 168f., 177, 194, 198, 203, 258, 264, 269 bewegen 42 bluten 42 βρέτας 33 consecratio 37f. Denkmal 263, 271 duften 42, 103 ἔδος 33, 39 lachen/lächeln 42 literarisches 190, 194, 235f., 252, 267, 269 Ortsgebundenheit 47, 92 nicken 42 reden 42 schwitzen 42 signum 34f. simulacrum 34f. sprechend 29, 45, 49, 54, 57, 59–61, 67, 73, 85, 209, 212, 215, 229, 245, 259, 263, 266–268, 272f. weinen 42 ξόανον 33, 72 Kultpraxis 12, 15, 17, 19, 28, 36–38, 44, 61, 68, 122, 163, 172f., 185, 190, 197–199, 215, 232, 239, 253 ausschwefeln 41 Bad 234, 238 bekleiden 41 Berührung 39

299

Bewunderung 198 Blickkontakt 39 dedicatio 215, 221f., 265 divinatio 252 do-ut-des-Prinzip 44 fratres Arvales 28 Gebet 11, 38, 41f., 122, 173, 202, 206– 209, 211, 215, 232–234, 257, 265, 267f. invocatio 206–208, 210, 216, 223, 225–229, 268 Gelübde 198f. Hymnus 202, 231, 234, 256f., 265, 267 Kathartik 235 Libationen 253, 262 Mahl 40f. Ölen 41 Opfer (-gaben) 40, 45, 170, 198f., 208, 253f., 256, 267 Prozession 40 Reinigung 41, 233, 235f., 239, 253f., 265 Tanz 40 Triumph 254f., 259, 262f. Verehrer 37, 39, 42, 44f., 68, 190, 197– 199, 235, 268 Votivgabe 36, 44 waschen 41, 235, 267 Wettkampf 40 Kunst bildende 18, 20 faber 63, 73f., 76, 84, 86, 88, 111 Kunstfertigkeit 123–125 Kunstgegenstand 18, 59 Kunstimport 30 Künstler 11, 30, 158, 161, 183, 185f., 189–191, 200 Künstlichkeit 18 Kunstwerk 18–20, 22–24, 52, 54, 183f., 186, 189f., 194, 246, 251, 264, 271 Kybele 130, 141 Lachen 103–105, 112, 137f., 144 Ländlichkeit 28, 84, 111, 124, 138, 140, 142 (siehe auch rusticitas) Latona/Leto 247f. Latona-Statue des Kephisodot 30, 52 Lebendigkeit 22, 25, 39, 42, 54, 58, 88, 111, 175, 248f., 270 Lotis 141 ludi quinquennales 252

300

10 Register

Machtlosigkeit 90, 93, 98f., 101f., 112, 123, 125f., 134, 139, 143, 198 Maecenas 44, 60, 63, 83–85, 107f., 112, 148f. Magie 70, 89–95, 99f., 101f., 198f. apotropäische Funktion 70, 94, 101 defixio 94–96, 101 Hexen 54, 67, 89–95, 98f., 101–104, 107f., 112, 138, 145, 198, 200, 267 Mond 96 Wachspuppe 94, 98 Wollpuppe 94, 98 Mamurius 158, 161, 183–186, 189–191, 194 Marathus 115–117, 120f., 135–140, 142– 144f., 267, 272 Marker 143, 145, 232, 272 Mars 17, 32, 52, 203, 205–207, 215, 223– 225, 230, 232, 241, 264–271, 273 Mars-Ikonographie 207, 213, 215 Mars inermis 206–215, 228 Mars Ultor 17, 29, 52f., 203, 206, 215– 223, 244f., 251, 265, 270 Maske 14, 64, 67, 101, 104 Materialität 16, 42, 46–48, 51, 53, 57f., 61, 69, 74, 87f., 173, 183f., 216, 236, 264, 268 Ahornholz 183, 268 Bronze 74, 175, 184, 187, 190f., 194, 199f., 268 Elfenbein 36, 164, 247 Feigenholz 64, 72f., 75, 88, 102, 111f. Gold 36 Holz 41, 53f., 58f., 63, 71f., 74f., 85, 123, 184, 194, 268 Marmor 74, 236, 245f., 248 Stein 123, 268 Terrakotta 74 Wachs 94, 98 Wolle 94, 98 matronalia 206, 214, 217 Medium 11, 15, 17, 23, 37, 45, 57, 65, 73, 81, 85, 89, 100, 110–113, 141, 143, 145, 181, 184, 189f., 197, 200, 266, 271 Bild-Text-Medium 58, 87, 271 Inschriftenmedium 82 Kommunikationsmedium 17, 38, 44, 53, 61, 109–113, 118, 144, 178, 194, 199, 201, 251, 263, 266–269 Medialität 13, 16, 19, 44, 203, 264f., 272

signalverstärkende Funktion 12, 37, 61, 197 Mehrfacherklärung 168f., 178, 180 M. Val. Messalla Corvinus 114f., 141f. militia amoris 139, 213, 231 Minerva 60, 128f., 208f., 214, 231 mos maiorum 27 Mündlichkeit 20, 23, 58, 61, 87, 137, 176, 183, 194f., 270–272 Muse 208, 226, 261 Kalliope 254–256 Musenanruf 206 Myron 246f., 264 Nacktheit 140 Nekromantie 93 nepos 79–81 Niobe 247 Numa 183, 185 Orakel 132, 134, 262 Palatin 60, 167, 241, 243f., 247, 259f., 262, 265 Paris 231 pfropfen 180 Phidias 24 Philetas 149, 253, 255 Phonozentrismus 23 pietas 13, 27, 29, 43 Pinakes 20 Plastizität 20, 58, 87, 194f., 270–272 poeta 261–263 poetologische Funktion 14–17, 20, 23, 49, 103, 110, 113, 145, 178–181, 184f., 191–195, 197f., 203, 214f., 223, 232, 234–236, 239f., 249–251, 259f., 262f., 266–269, 272 (siehe auch programmatische Funktion) Praxiteles 237 Priapus 12–17, 19, 25, 31f., 44, 48, 53f., 60– 62, 63-113, 114–146, 147, 183, 194, 198–203, 229, 265–272 Bart 69, 123, 271 Effeminierung 69, 112f., 139 Erfolglosigkeit 141, 143, 145, 200, 267 Garten 70f., 79, 82–86, 92, 102, 108, 112, 138, 188 Friedhof 78–86, 91f., 96, 112 Mutunus Tutunus/Mutinus Titinus 70 Phallus 69, 71f., 76, 89, 102, 111–113, 124, 139, 143, 200, 268f. praeceptor amoris 115, 121, 126–129, 131f., 134–136, 139, 143, 145 Priapus-Kult 68–71

10 Register Rache 101, 112, 200 programmatische Funktion 14f., 117f., 138– 141, 143, 145, 154, 177, 184, 190–194, 212–215, 222, 232, 266f., 269–272 (siehe auch poetologische Funktion) Pytho 256, 258 Religion 33 Fluchtäfelchen 43 Gelübde 43 Öffentlichkeit 43 Weihinschriften 43 religio 27 Remus 178, 211, 216, 225 res publica 13, 27 Rhea Silvia 211, 225 Rolle (-nkonstrukt) 64f., 85–89, 103f., 109f., 112f., 118, 126–129, 134, 136, 139, 142, 144f., 174, 180, 194, 197, 214, 252, 260, 267 Romulus 150, 154, 165, 178f., 211, 216, 218, 221, 224f. Rotlichtmilieu 167 rusticitas 28, 125, 140, 188, 192, 195 (siehe auch Ländlichkeit) Schriftlichkeit 16, 20, 58, 61, 85, 87, 137, 176, 194f., 270–272 Schwätzer 107f. scurra 79–81 Selbstbeglaubigung 96f. Selbstbezüglichkeit 16, 19, 23, 53, 61, 194, 197f., 267 Selbstentlarvung 103, 109, 144, 176 servitium 139 Sibylle von Cumae 233 Skatologie 97f., 109 Sosii 167, 179 Sphragis 192 spolia opima 219, 221 Sprechen 20, 220 Sprecherwechsel 68, 115, 162, 266 Statue 11, 24, 25, 33f., 36, 46, 58, 60, 143, 158, 162, 164, 172, 175, 182–184, 186, 189–194, 216, 246f., 249, 258, 269 ἀνδρίας 34 anikonisch 36, 38f., 72 anthropomorph 36, 39, 47, 72, 102 effigies 34f. εἰκών 34 imago 34f. Götterbild/-statue 16, 18f., 24f., 32, 36– 39, 50, 74, 111, 163, 235, 265

301

sprechend 11f., 14–16, 19, 23, 27, 86, 115, 163f., 193, 267 statua 34f. Votivbild/ -statue 35, 37 Stimme 18, 22f., 25, 41, 47, 58f., 64, 85f., 97, 100, 104, 109, 118, 126, 131–133, 137, 139, 143f., 150, 182, 193f., 263, 266f., 269 Terminus 12 Tiberinus 179 Tisiphone 95f., 101 Titus Tatius 150, 165, 172, 179 Titius 121, 132–134 Traum 140 Travestie 103 Umbrien 177, 179, 192, 195 unzuverlässiger Erzähler/ unreliable narrator 14, 19, 53–57, 61, 88, 109f., 117, 129, 134, 136f., 144, 162, 174–181, 189, 193f., 199, 266f., 269 vates 132, 252–256, 258–260, 262f. Venus/Aphrodite 17, 32, 52, 69, 127, 130f., 203, 205, 216, 223–240, 241, 264–271, 273 Erotik 231 Fortuna virilis 233, 238 geminorum mater amorum 225–229, 234, 238f. Myrte 226f., 233, 236, 238, 264 Schifffahrt 231f. Transformation 232, 239 Veneralia 228, 233, 239 Venus Genetrix 29, 203, 223, 231–234, 239, 268 Venus-Ikonographie 227 Aphrodite Knidia 237 Venus anadyomene 234, 236–239, 264, 268 Venus pudica 234, 237–239, 264, 268 Venus Verticordia 233–237, 239 Vinalia 228 Weihrauch 233, 238 Vergänglichkeit 59, 88 Vertumnus 12–17, 19, 25f., 31f., 45, 48, 53f., 60–62, 147–196, 199–203, 229, 235, 259, 263, 265–272 Erstlingsfrüchte 169, 180, 188, 199 Etrurien 164–167, 172–175, 179, 186f., 191–193, 195, 269 evocatio 164, 166 Frieden 187f., 192f., 195

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10 Register

Krieg 187f., 195 Siegesmonument 192f. Transformation 171f., 177, 179, 181– 184, 189, 194f., 199 Veltha/Veltune/Velthune 165, 186 Vertumnus-Kult 164–169 Vesta 141 Vestalin 236 via Sacra 107 vicus Tuscus 60, 161f., 165f., 168, 172, 175, 177–179, 181, 185, 190, 192, 195

virtus 27 Wandelbarkeit 14, 45, 83f., 147, 171f., 175, 177f., 189, 195, 199f., 267, 269, 271 Wandmalerei 28, 213 Zeus Olympischer Zeus 24, 52, 86 Zugänglichkeit 61, 203, 222, 234, 245, 251, 264, 269 Zuverlässigkeit 65, 75, 78, 118, 126, 176f.

10 Register

STELLENREGISTER Aelianus, Claudius VH 3,1: 250 Aischylos Sept. 95: 34 Ammianus Marcelinus 22,9,5: 39 23,3,7: 41 Anthologia Graeca 5,146: 22 5,149: 22 6,352: 22 6,353: 22 9,604: 22 9,605: 22 9,713–742: 22 9,793–798: 22 12,57: 22 12,143: 24 13,6: 23 16,119: 22 16,158: 23 16,167: 22 16,178: 22 16,182: 22 16, 275: 24 16,240: 24 Anthologia Palatina 5,6: 128 6,22,5: 71, 124 6,26: 127 6,113: 73, 86 6,254: 122 6,292: 69, 127 9,338: 69 9,437: 69f. 9,713–742: 247 9,793–798: 247 10,1: 71 10,2,8: 124 10,8,3f.: 71 12,23: 116 12,59: 116 12,65: 116 12,70: 116 12,94: 116 12,101: 116 12,106: 116 12,110: 116 12,144: 116 12,154: 116

12,167: 116 12,256: 116 13,19: 33 15,8: 124 16,187: 60 16,236,2: 71 16,240: 73, 102, 127 16,241: 127 16,243: 127 Anthologia Planudea 10,8: 72 86: 72 Appendix Vergiliana Copa 23f.: 125, 127 Apuleius met. 11,8–11: 40 met. 11,9: 42 met. 11,16: 40 Aristophanes Eccl. 893: 127 Pax 657ff.: 23 Pax 922: 60 Arnobius d.Ä. 7,32: 41 Arrian takt. 33,4: 41 Asconius Pedianus ad Cic. Verr. 2,1,154: 166 Augustinus civ. 2,4: 41 civ. 4,31: 38, 72 civ. 7,3: 179 civ. 7,9: 179 civ. 7,26: 130 Bion Frg. 13: 126 Caesar civ. 3,55,2: 175 civ. 3,105,2–6: 42 Gall. 1,25,4: 123 Gall. 6,16: 34 Gall. 6,17: 34 Carmina Priapea priap. 1: 48 priap. 1,3: 122 priap. 2: 48f. priap. 3: 48, 97, 127 priap. 3,10: 125 priap. 4: 48 priap. 5: 48, 127

303

304

10 Register priap. 6: 48, 72, 127 priap. 6,1: 71 priap. 6,2: 180 priap. 7: 48 priap. 8: 48f. priap. 9: 49 priap. 9,14: 125 priap. 10: 49, 71f. priap. 10,3f.: 183 priap. 11: 71, 77, 89, 102 priap. 11,2: 125, 180 priap. 12: 48 priap. 13: 71, 77, 89, 102, 127 priap. 14,2: 122 priap. 14,7: 124 priap. 14,8: 122 priap. 16: 49 priap. 19: 49 priap. 20: 49 priap. 21: 49 priap. 22: 71, 77, 89, 102 priap. 23: 49 priap. 25: 72 priap. 26: 49 priap. 27: 48 priap. 28: 48, 71, 77, 89, 102 priap. 30: 71 priap. 30,1: 76, 180 priap. 33: 49 priap. 33,6: 180 priap. 37: 49 priap. 38: 49 priap. 38,1f.: 97 priap. 39: 49 priap. 41: 49 priap. 43: 49, 72 priap. 43,4: 72 priap. 47: 49 priap. 49: 49 priap. 50: 122 priap. 51: 49, 102 priap. 55: 49 priap. 55,1: 180 priap. 55,4: 125 priap. 55,5f.: 69 priap. 56: 49 priap. 58: 48f. priap. 60: 49 priap. 61: 49 priap. 63: 49 priap. 63,1: 122 priap. 63,9f.: 183

priap. 63,10: 72 priap. 63,12: 72 priap. 64: 49 priap. 66: 49 priap. 68: 49 priap. 68,1: 124f. priap. 69: 102 priap. 70: 49 priap. 73: 49, 71 priap. 81,1: 124 priap. 82: 122 priap. 83,1f.: 180 priap. 83,6: 122 priap. 83,12: 122 priap. 83,17: 72 priap. 84,6–15: 180 priap. 85,10–14: 180 priap. 86,8: 122 Cassius Dio 55,7,5: 82 60,5,3: 216 Catull 15: 116 16: 116 17,5–7: 122 21: 116 23: 116 24: 116 47,4: 127 48: 116 66: 25, 153 69,5: 137 81: 116 99: 116 Frg. 1: 48, 70f. CEG 97: 26 144: 26 197: 26 312: 26 326: 26 429: 26 Cicero Arch. 21: 175 Arch. 30: 35 Att. 15,1a,2: 154 Att. 16,11,1: 154 Catil. 3,19: 35 de orat. 3,153: 31 div. 1,24,46: 34 div. 1,35,77: 34 div. 1,91: 124

10 Register div. 2,58: 42 fam. 5,12,7: 35 fam. 12,4,2: 170 inv. 1,27: 136 inv. 2,28: 154 leg. 2,9,22: 130 leg. 2,16,40: 130 Mil. 42: 137 Mur. 31: 154 nat. 1,81: 38, 173 nat. 1,84: 75 nat. 2,67: 179 orat. 110: 35 prov. 33: 170 Tusc. 2,33: 123 Verr. 2,1,154: 164, 167, 178 Verr. 2,4,5: 34 Verr. 2,4,89: 35 Verr. 2,4,90: 35 Verr. 2,4,18: 34 Verr. 2,4,37: 34 Verr. 2,4,46: 34 Verr. 2,4,64: 34 Verr. 2,4,77: 40f. Verr. 2,4,94: 40 Verr. 2,4,99: 40 CIL I 28: 40 I2, p. 235: 234 I2, p. 262: 234 I2, p. 325: 166 I2 626: 184 I2 1212: 184 III 1420610: 165 V 3634: 84 V 7235: 165 VI 803: 165 VI 804: 165, 167 VI 3708: 70, 84 VI 9393: 167 VI 9976: 167 VI 10415: 79 VI 33923: 167 VI 37826: 167 IX 327: 165 IX 5892: 165 IX 2320: 165 XI 4644a: 165 XIV 2433: 167 Columella 10,31-34: 72 10,31f.: 183

11,3,64: 92 Cornutus, Lucius Annaeus Theol. Gr. 24: 128 Diodor 4,6,1: 69f., 124 17,10,4f.: 42 Diogenes Laertios 4,45: 33 Dionysios von Halikarnassos ant. 1,77: 211 ant. 2,50,3: 179 ant. 2,71: 185 ant. 4,26,2–4: 52 Isokr. 3: 31 Ennius ann. 35–51: 211 ann. 114: 185 scaen. 43V3: 132 Euripides Alc. 1159: 173 Bacch. 860f.: 172 Hel. 1688: 173 Iph. T. 1039–1045: 41 Festus p. 38 L: 166 p. 107 L: 165 p. 134,3–6 L: 208 p. 143: 70 p. 179: 77 p. 228 L: 166 p. 334 L: 40 Fulgentius serm. ant. 11: 60, 165, 180 GL 6,151: 70 6,260: 70 Herodot 1,60: 43 7,140: 42 Hesiod scut. 139–320: 18 theog. 94f.: 242 theog. 161–185: 95 theog. 411–452: 95 theog. 797f.: 22 Homer h. Apol. 1–374: 250 Il. 1,37–42: 207 Il. 1,43–52: 258 Il. 1,581: 33, 39 Il. 3,424: 227 Il. 4,10: 227

305

306 Il. 4,144: 33 Il. 4,406: 33, 39 Il. 5,311–343: 230 Il. 5,375: 227 Il. 5,360: 39 Il. 6,297: 41 Il. 18,368–379: 219 Il. 18,468–608: 189 Il.18,478–608: 18, 219 Il. 516–519: 43 Od. 3,274: 33 Od. 3,483: 33 Od. 4,602: 33 Od. 7,78–132: 219 Od. 8,266–305: 211 Od. 8,362: 227 Od. 8,509: 33 Od. 11,1–149: 93 Od. 12,347: 33 Od. 18,300: 33 Od. 22,481f.: 235 Horaz ars 338: 103 ars 345f.: 167 ars 407: 124 carm. 1,3,1: 122 carm. 1,9,13: 127 carm. 1,31: 261 carm. 1,33: 114 carm. 2,4,22: 127 carm. 2,19,27: 172 carm. 3,25,1f.: 261 carm. 3,30: 183, 191 carm. 3,30,13f.: 153 carm. 4,1,1f.: 226 carm. 4,2,22f.: 236 carm. 4,6,29f.: 261 carm. 4,11,15: 224 carm. saec. 1: 242 epist. 1,4: 114 epist. 1,4,1: 63 epist. 1,20,1f.: 167, 179 epist. 2,1,56: 175 epist. 2,2,91–101: 153 epod. 2,2,1: 127 epist. 2,2,60: 63 epod. 3,8: 91 epod. 5: 91 epod. 5,25: 91 epod. 11: 116 epod. 17: 91 epod. 17,4: 90

10 Register sat. 1,1,1: 63, 85 sat. 1,1,24: 103, 110, 145 sat. 1,2,68–71: 110 sat. 1,4,13–21: 105 sat. 1,4,78–85: 112 sat. 1,4,120f.: 74 sat. 1,5,97–100: 103 sat. 1,5,98: 105 sat. 1,5,104: 105 sat. 1,6,1: 63, 85 sat. 1,6,45f.: 73f. sat. 1,6,71: 73f. sat. 1,7: 272 sat. 1,7–9: 63 sat. 1,7: 105–109 sat.1,8: 12–14, 16, 19, 45, 48f., 54, 60, 62, 63–113, 127, 139, 141, 143– 145, 147, 151, 162, 180, 198, 200f., 203, 266f., 271 sat. 1,8,1: 58, 180 sat. 1,8,1–3: 31, 183 sat. 1,8,1–7: 58 sat. 1,8,1–8: 229 sat. 1,8,1–16: 194 sat. 1,8,3: 180 sat. 1,8,3f.: 200 sat. 1,8,3–7: 44 sat. 1,8,5: 31 sat. 1,8,14f.: 60 sat. 1,8,23: 129 sat. 1,8,37: 122 sat. 1,9: 105–109, 272 sat. 1,10,9f.: 105 sat. 1,10,14f.: 103 sat. 2,1,2: 154 sat. 2,1,21–23: 80 sat. 2,1,39–42: 112 sat. 2,1,48: 91 sat. 2,1,62–65: 64, 101 sat. 2,2,2f.: 111 sat. 2,2,116–136: 111 sat. 2,3,226–230: 167, 175 sat. 2,6: 29 sat. 2,7,14: 164 sat. 2,8,66: 175 sat. 2,8,95: 91 Hygin fab. 160: 69 Isidor orig. 1,44,5: 137 Isokrates or. 15: 34

10 Register Iuvenal 2,70: 186 2,95: 72 2,115f.: 130 8,171: 130 15,45: 129 Kallimachos Aetia Frg. 1,20–24 Pf.: 156 Aetia Frg. 6 Pf.: 169 Aetia Frg. 7,13f. Pf.: 226 Aetia Frg. 79 Pf.: 169 Aetia Frg. 100 Pf.: 184 Aetia Frg. 110 Pf.: 25, 153 Aetia Frg. 114 Pf.: 24, 157, 163 Ap. 1–113: 24 Cer. 118–138: 24 Del. 307–315: 24 epigr. 5 Pf.: 23 epigr. 24 Pf.: 23f. epigr. 33 Pf.: 24 epigr. 38 Pf.: 24 epigr. 50 Pf.: 24 epigr. 51 Pf.: 24 epigr. 56 Pf.: 24 epigr. 57 Pf.: 24 frg. 115,4–17 Pf.: 26 frg. 199 Pf.: 163 frg. 571 Pf.: 126 h. 2,17: 253 h. 2,97–104: 250 h. 4,1–10: 257 h. 4,10: 257 h. 4,24: 257 h. 4,27: 257 h. 4,191–194: 257 h. 5,1–32: 41 h. 5,49–55: 41 Iamb. 3: 116 Iamb. 6: 24, 86, 109 Iamb. 7: 15, 25, 86f., 109, 116, 157 Iamb. 9: 24f., 86, 109, 116, 157, 163 Lav. Pall. 1-142: 24 Livius 1,4,1–3: 211 1,4,1–7: 178 1,6f.: 154 1,19,2: 187 1,20,3f.: 185 1,20,4: 40 1,35,7: 170 1,55,2: 179 2,14: 166

2,19,1: 185 3,7,5: 170 3,61,11: 170 4,23,5: 164f. 4,25,7: 164f. 4,29,7: 241 4,61,2: 164f. 5,13,6: 40 5,13,6–8: 41 5,17,6: 164f. 5,21,1–5: 166 6,2,2: 164f. 9,38,9: 170 10,30,4: 175 10,31,9: 223 10,46,16: 170 22,10,9: 224 23,19,6: 123 27,37,15: 167 29,3,15: 175 29,10,7: 39 29,14,14f.: 41 36,1,2: 41 40,19,2: 12 40,51,6: 241 40,59,8–11: 41 44,16,10: 164, 178 45,27,11: 35 Lucius Afranius Frg. 403: 127 Lukan 1,469: 170 1,598–600: 41 Lukian Dial. deor. 273–275: 127 Iupp. trag.7: 59 Lukrez 1,1: 231 1,1–43: 202, 230 1,316: 40 1,1052: 127 2,601f.: 130 2,608–643: 40 2,624: 130 3,12: 236 4,577–579: 129 5,1292: 123 6,130f.: 100 6,815: 154 6,1044–1055: 129 Lygdamus 3,6,49: 128

307

308 Macrobius sat. 3,9,1–9: 166 Manilius 1,73 e 95: 124 4,190: 137 Marius Victorinus rhet. 1,19: 137 Martial 2,39: 186 2,77,6: 154 6,69,1–11: 71 6,72,1–6: 70 6,72,4: 72 6,73,1: 183 6,73,5–10: 70 8,40: 84 9,2,13f.: 130 9,56,6: 123 11,27,11: 167 11,84,3f.: 130 14,70: 72 14,204: 130 Martianus Capella 5,550: 137 Minucius Felix 24,11: 185 Moschos id. 3,83: 126f. Nonnos Dion. 44,46: 42 Ovid am. 1,1: 128 am. 1,1,20: 116 am. 1,2,8: 135 am. 1,4: 127 am. 1,6: 230 am. 1,7–12: 202 am. 1,8: 12 am. 1,8,11: 129 am. 1,8,87f.: 124 am. 1,9: 130 am. 1,10,15–18: 140 am. 2,11,15: 236 am. 2,12,4: 135 am. 2,8,19: 128 am. 2,9,4–7: 226 am. 2,19: 127 am. 3,1: 226f. am. 3,1,33: 227 am. 3,1,34: 217, 227 am. 3,1,49–52: 127 am. 3,4: 127

10 Register am. 3,7,15: 71, 77 am. 3,7,28–30: 94 am. 3,9: 116 am. 3,15: 226 ars 1,23f.: 226 ars 1,73f.: 245 ars 1,165f.: 226 ars 1,177–228: 217 ars 1,181: 217 ars 1,265: 135 ars 1,405f.: 224 ars 2,12: 135 ars 2,177–272: 130 ars 2,683f.: 116 ars 3,5: 123 ars 3,43–56: 230 ars 3,53–56: 227 ars 3,101–128: 230 ars 3,181: 227 ars 3,333: 153 epist. 5,135f.: 238 epist. 6,91f.: 94 fast. 1,1f: 152, 204, 224 fast. 1,7f.: 152 fast. 1,13f.: 210 fast. 1,39f.: 224 fast. 1,89–100: 45f. fast. 1,89–288: 205 fast. 1,115–144: 168 fast. 1,233f.: 179 fast. 1,277–288: 187 fast. 1,319–334: 168 fast. 1,391–440: 71, 127, 141, 145 fast. 1,433f.: 141 fast. 1,465–468: 205 fast. 1,633f.: 168 fast. 1,643–646: 168 fast. 1,657–664: 205 fast. 2,1–8: 214 fast. 2,15–18: 224 fast. 2,31–34: 168 fast. 2,81f.: 168 fast. 2,269: 205 fast. 2,283–380: 40 fast. 2,381–424: 168 fast. 2,449f.: 168 fast. 2,475–480: 168 fast. 2,584: 205 fast. 2,639–684: 12 fast. 2,383: 219 fast. 3,1–8: 206 fast. 3,1–234: 206–215

10 Register fast. 3,1–252: 17, 203, 265 fast. 3,3: 225 fast. 3,9–70: 209 fast. 3,57f.: 204 fast. 3,121–126: 168 fast. 3,167–258: 205f. fast. 3,169: 217 fast. 3,174: 226 fast. 3,179–234: 212 fast. 3,199f.: 204 fast. 3,229–252: 168 fast. 3,245–252: 212 fast. 3,259–262: 215 fast. 3,259–392: 185, 205 fast. 3,294: 135 fast. 3,534–674: 168 fast. 3,675–694: 209 fast. 3,697–710: 205 fast. 3,771–788: 168 fast. 3,814: 209 fast. 3,839–846: 168 fast. 4,1–18: 202 fast. 4,1–162: 17, 203, 223–240, 265 fast. 4,19–132: 229 fast. 4,85–90: 168 fast. 4,91–132: 202 fast. 4,135f.: 41 fast. 4,170–178: 168 fast. 4,185f.: 130 fast. 4,195–372: 205 fast. 4,350: 130 fast. 4,337–340: 41, 235 fast. 4,377–384: 205 fast. 4,687–712: 205 fast. 4,783–806: 168 fast. 4,807–862: 205 fast. 4,877–900: 222 fast. 4,905–942: 205 fast. 5,1–110: 168, 205 fast. 5,108–110: 205 fast. 5,145–148: 204 fast. 5,167f.: 168 fast. 5,183–378: 205 fast. 5,363–368: 168 fast. 5,447–492: 205 fast. 5,563–565: 219 fast. 5,635f.: 179 fast. 5,635–662: 205 fast. 5,545–598: 17, 29, 53, 203, 206, 215–223 fast. 5,617–620: 168 fast. 5,621–660: 168

fast. 5,697–720: 205 fast. 5,727f.: 168 fast. 6,1–100: 168, 205 fast. 6,8: 168 fast. 6,21: 234 fast. 6,97–100: 205 fast. 6,213–218: 205 fast. 6,225–234: 205 fast. 6,249: 205 fast. 6,319-346: 71, 127, 145 fast. 6,319–349: 141 fast. 6,399–416: 205 fast. 6,405: 167 fast. 6,409f.: 165 fast. 6,433–435: 168 fast. 6,481–484: 205 fast. 6,571–620: 168 fast. 6,651–710: 205 fast. 6,799–812: 205 met. 2,752: 209 met. 3,138–252: 202 met. 3,481: 236 met. 3,546: 175 met. 4,754: 209 met. 5,46: 209 met. 5,262: 170 met. 5,341–571: 228 met. 5,363–384: 228 met. 6,241: 154 met. 7,183: 92 met. 7,190: 93 met. 7,279: 183 met. 9,347f.: 127, 141 met. 10,243–297: 46 met. 10,256–266: 46 met. 10,277: 236 met. 14,477f.: 230 met. 14,623–771: 164, 170 met. 14,640: 127 Pont. 3,4,20: 170 Pont. 4,1,32: 209 rem. 40: 226 rem. 381: 153 trist. 1,10,26: 124, 127 trist. 2,549–552: 204 trist. 3,7,50: 175 trist. 3,12,44: 170 trist. 4,10,51–54: 153 trist. 5,1,17: 153 Paulus Diaconus Fest. p. 45, 24–25 L: 179 Fest. p. 117, 13 L: 185

309

310 Pausanias 1,29,2: 40 2,4,5: 31 2,10,4f.: 41, 235 2,35,11: 40 3,16,10f.: 40 3,20,5: 40 5,19,5: 36 6,25,5f.: 36 7,20,1: 40 7,22,2: 42 9,3,1f.: 40 9,31,2: 69f. 9,41,7: 41 PCG VII, 799 Frg. 10: 69 PEG I, 38f.: 231 Frg. 1–14: 231 Persius 6,65: 127 Petron sat. 17: 122 sat. 60,4: 72 sat. 81,5: 154 sat. 133,3: 84 Phaedrus 4,1: 130 Philostrat epist. 7: 140 Phrynichos Komastai Frg. 58: 60 Pindar ). 5,1–6: 191 ). 10,90: 22 P. 6,5–14: 191 Plato Comicus Frg. 204: 24, 60 Platon Euthyphr. 11 c: 23 Men. 97 d: 23 Phil. 65 C: 128 Symp. 183 B: 128 Symp. 203 C: 140 Plautus Bacc. 148: 137 Cas. 7: 154 Cist. 559–563: 167 Curc. 482–485: 167 Mil. 691: 212 Most. 33: 137 Rud. 659: 34

10 Register Rud. 935: 175 Plinius d.Ä. nat. 8,197: 52 nat. 12,3: 51 nat. 12,5: 51 nat. 15,130: 154 nat. 28,157: 98 nat. 34,1: 185 nat. 34,10: 51 nat. 34,34: 51, 74 nat. 35,91: 237 nat. 35,158: 31 nat. 35,127: 38 nat. 35,157: 38, 51 nat. 35,158: 51 nat. 36,13: 30 nat. 36,20: 237 nat. 36,24: 30 nat. 36,25: 30, 51 nat. 36,25–32: 52 nat. 36,32: 30 Plutarch Cam. 6,1: 42 Coriol. 38: 42 )um. 8,7f.: 72 )um. 13: 40, 185 Rom. 21,8: 153 Sert. 22: 49 Sull. 29: 40 Porphyrio Hor. epist. 1,20,1: 166 Hor. sat. 1,8,1: 73 Hor. sat. 1,8,7: 83 Hor. sat. 1,8,11f.: 80f. Hor. sat. 1,8,23f.: 92 Hor. sat. 1,8,25: 91f. Hor. sat. 1,8,39: 98 Priscian rhet. 1,1: 137 Properz 1,1,1f.: 148 1,1,17: 135 1,1,35–38: 127 1,2,27–30: 155 1,4: 150 1,6,27f.: 150 1,7: 127 1,7,9: 175 1,8: 150 1,9: 127 1,10,15–30: 127 1,10,21–30: 130

10 Register 1,14,14: 150 1,16: 230 1,17,19–24: 150 1,18: 150 1,18,11: 122 1,20: 116, 127, 191 1,21: 150, 156, 191–193, 195 1,21,2: 192 1,21,7f.: 191 1,22: 150, 156, 191–193, 195 1,22,2: 192 1,22,9: 147 2,1,3f.: 154 2,1,17: 148 2,1,17–34: 252 2,1,39f.: 252 2,1,47: 150 2,1,55f.: 150 2,3,3f.: 148 2,3,17: 171 2,3,41: 175 2,8,17: 147 2,8,40: 255 2,10,16: 148 2,10,19: 254 2,12,11–13: 226 2,13,35f.: 150 2,14,21–24: 255 2,14,27: 148 2,16,47: 128 2,18,37: 170 2,22,15f.: 130 2,24,33–38: 150 2,24,35: 147 2,25,1–4: 148 2,30: 244 2,31: 17, 32, 155, 203, 242–251, 264f. 2,31,15f.: 29 2,32: 244 2,34,31f.: 253 2,34,61–80: 148 2,34,61–66: 150 2,34,65f.: 147 2,34,85–92: 148 2,34,91: 148 2,34,93: 147 2,4: 116 3,1: 148 3,1,1: 253 3,1,1f.: 149, 153 3,1,1–6: 253 3,1,3: 253

311 3,1,7–14: 255 3,1,33–36: 149 3,1,37f.: 155 3,2: 148 3,3,17: 147 3,3,31f.: 259 3,3,39–50: 255 3,4,11–22: 255 3,6: 149 3,7: 149 3,9: 148f. 3,9,43: 153, 253 3,10,15: 147 3,12: 149 3,12,9: 170 3,15: 149 3,17: 261 3,17,5: 172 3,17,30: 171 3,18: 148f. 3,20: 149 3,22: 149 3,24,25: 135 3,25,5–10: 149 4,1: 151–157, 176 4,1,55–60: 193 4,1,60: 177 4,1,62–64: 261 4,1,63f.: 147 4,1,64: 177, 257 4,1,65–69: 193 4,1,67: 177, 179 4,1,69: 252 4,1,71: 147 4,1,71–134: 151 4,1,121–126: 147, 177 4,1,125: 147 4,1,135: 214 4,2: 12, 16, 19, 45, 49, 54, 62, 147–196, 199, 201, 203, 263, 267, 271f. 4,2,3: 31 4,2,11f.: 45 4,2,13–18: 180 4,2,19f.: 45 4,2,23: 200 4,2,25: 180 4,2,26: 200 4,2,39: 200 4,2,41–46: 180 4,2,59: 31, 58, 180 4,2,59–64: 200, 229 4,2,60: 58

312 4,3: 149, 151, 157, 182 4,4: 150, 182, 272 4,4,31–66: 151 4,5: 149, 182 4,5,21–62: 151 4,5,38: 135 4,6: 17, 53, 203, 251–263, 265, 268, 271f. 4,6,37–54: 151 4,6,67–70: 248 4,6,69f.: 172 4,6,77: 149 4,7: 149, 182 4,7,13–94: 151 4,7,49: 147 4,7,85: 236 4,8: 149 4,8,83–86: 235 4,9: 150, 182, 272 4,9,16–20: 151 4,9,33–50: 151 4,9,65–70: 151 4,10: 150, 169 4,11: 149–151, 182, 272 4,11,12: 175 Prudenz c. Symm. 1,103: 72 Pseudo-Acro Hor. sat. 1,8,7: 83 Hor. sat. 1,8,11f.: 80 Hor. sat. 1,8,25: 91f. Publilius Syrus 38: 128 Quintilian inst. 2,4,2: 137 inst. 8,3,24: 31 inst. 9,2,29–37: 22 inst. 10,1,69: 154 inst. 12,10,5: 35 Res gestae divi Augusti 19f.: 50 20, 4: 50 Rhetorica ad Herennium 1,8,13: 137 Sallust Ag. 345: 172 Iug. 9,3: 170 Iug. 48,1: 135 Seneca epist. 41,1: 42 Seneca d.Ä. contr. 2,2: 128

10 Register contr. 9,6,2: 123 contr. 10,5,27: 137 Servius Aen. 1,235: 137 Aen. 1,291: 179 Aen. 4,518: 92 Aen. 5,560: 166 Aen. 7,188: 185 Statius silv. 1,1,66–83: 47 silv. 1,2,162–193: 47 silv. 2,7,41–104: 47 silv. 3,1,91–116: 47 silv. 3,1,166–183: 47 silv. 3,4,22: 236 silv. 4,1: 47f. Theb. 1,178f.: 186 Theb. 3,344: 170 Theb. 3,488: 186 Theb. 5,22: 186 Theb. 7,155: 186 Theb. 7,734: 186 Theb. 9,139: 127 Theb. 9,511: 186 Theb. 10,170: 130 Theb. 11,248: 186 Strabon 5,3,5: 224 13,1,12: 68 13,1,53: 224 Sueton Aug. 31,2–4: 28 Aug. 40,5: 186 Aug. 72: 82 Aug. 91,2: 29 Aug. 96,2: 35 Caes. 76: 41 Cal. 57: 35 Vesp. 19: 212 vita Hor. p.115f. (Rostagni) vita Verg. 30: 147 Tacitus Agr. 9,7: 170 Agr. 18,7: 175 ann. 3,44: 170 ann. 4,65: 166 ann. 5,4,9: 35 ann. 15,44,2: 41 hist. 2,96: 170 hist. 3,13: 170 Tertullian coron. 7,5: 250

10 Register Theognis 1353: 127 Theokritos eid. 1,21–23: 70, 84 eid. 1,81–91: 126 eid. 2,1–63: 95, 109 eid. 2,10: 95 eid. 2,28f.: 95, 99 eid. 2,33: 95 eid. 11: 116 epigr. 3: 70, 84, 141 epigr. 4: 70, 84, 116, 126f. epigr. 4,9: 70 epigr. 4,13: 122 Theokritos Chios epist. 1 FGE: 21 Theophrast char. 16,5: 41 lap. 47,9 Tibull 1,1–4: 145 1,1,5f.: 140, 145 1,1,6–10: 188 1,1,11: 180 1,1,17f.: 75, 127, 138 1,1,53: 114 1,1,69–74: 129 1,1,75–78: 140f. 1,2: 140, 142, 272 1,2,47f.: 93 1,2,91: 129 1,3: 140–142, 272 1,4: 12, 16, 19, 45, 48f., 54, 62, 70f., 114–146, 147, 151, 162, 180, 199, 201, 203, 266f., 271f. 1,4,1–3: 44 1,4,1–6: 60 1,4,1–8: 58, 194 1,4,3: 200 1,4,3–8: 58 1,4,4–6: 31 1,4,8: 180 1,5: 140, 142, 272 1,5,35: 140 1,6: 140, 142, 230, 272 1,6,51–54: 115 1,6,58: 236 1,7: 115, 141 1,7,49–52: 41 1,8: 140, 142, 272 1,8,9: 116 1,8,55–66: 115

1,8,67f.: 116 1,8,69: 116 1,9: 116, 140, 142, 272 1,9,8: 154 1,9,13: 116 1,9,37f.: 116 1,9,39: 116 1,10: 141 1,10,20: 183 2,1,31: 114 2,1,33: 114 2,5,23–30: 29 2,5,28: 183 2,5,121f.: 122 3,7,169: 169 3,8: 164 3,8,13f.: 171 Valerius Flaccus 8,214f.: 130 Valerius Maximus 2,1,2: 41 3,6,6: 49 8,15,12: 233 Varro ling. 5,25: 79 ling. 5,30: 169 ling. 5,34: 169f. ling. 5,43: 169f. ling. 5,46: 164–166 ling. 5,48: 169 ling. 5,49: 169f., 235 ling. 5,51: 169 ling. 5,74: 165, 179 ling. 5,154: 169 ling. 5,165: 187 ling. 6,17: 208 ling. 6,33: 229 ling. 6,51: 171 ling. 8,17: 154 Vergil Aen. 1,223–296: 225 Aen. 1,223–304: 202 Aen. 1,254: 186 Aen. 1,254f.: 227 Aen. 1,254–296: 231 Aen. 1,278f.: 186 Aen. 1,282: 186 Aen. 1,305–417: 202 Aen. 1,446–497: 219 Aen. 1,463: 175 Aen. 1,657: 135 Aen. 2,106: 135

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Aen. 10,16: 236 Aen. 10,468: 175 Aen. 10,875: 240 Aen. 11,221: 175 Aen. 11,725: 186 Aen. 11,760: 135 Aen. 11,785: 240 Aen. 12,393: 240 Aen. 12,405: 240 Aen. 12,516: 240 Aen. 12,631: 135 catal. 1a–3a: 71 catal. 2a,1f.: 71 ecl. 1,1: 122 ecl. 2: 116 ecl. 2,60–62: 29 ecl. 4,9: 188 ecl. 4,18–20: 188 ecl. 4,21: 188 ecl. 4,22: 188 ecl. 4,23–25: 188 ecl. 6,64–73: 153 ecl. 7,33–36: 70, 127 ecl. 7,35: 72 ecl. 7,35f.: 122 ecl. 8,64–109: 95 ecl. 8,78: 101 ecl. 8,80–90: 95 ecl. 8,99: 129 ecl. 9,30–32: 122 ecl. 10,9: 150 ecl. 10,42f.: 150 ecl. 10,43: 150 ecl. 10,46–49: 150 ecl. 10,52: 150 ecl. 10,53f.: 150 ecl. 10,69: 130 georg. 1,316–338: 129 georg. 2,136–176: 188 georg. 2,176: 153 georg. 4,109–111: 75 georg. 4,110f.: 127 georg. 4,411: 173 georg. 4,441: 173 Vitruv 4,5,1: 39 5,5,8: 124 6,1,10: 124 7,9,3: 41

p o t s da m e r a lt e rt u m s w i s s e n s c h a f t l i c h e b e i t r äg e

Herausgegeben von Pedro Barceló, Peter Riemer, Jörg Rüpke und John Scheid.

Franz Steiner Verlag

ISSN 1437–6032

26. Attilio Mastrocinque Des Mystères de Mithra aux Mystères de Jésus 2008. 128 S. und 7 Taf. mit 15 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09250-0 27. Jörg Rüpke / John Scheid (Hg.) Bestattungsrituale und Totenkult in der römischen Kaiserzeit / Rites funéraires et culte des morts aux temps impériales 2010. 298 S. mit 64 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09190-9 28. Christoph Auffarth (Hg.) Religion auf dem Lande Entstehung und Veränderung von Sakrallandschaften unter römischer Herrschaft 2009. 271 S. mit 65 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09347-7 29. Pedro Barceló (Hg.) Religiöser Fundamentalismus in der römischen Kaiserzeit 2010. 250 S. mit 26 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09444-3 30. Christa Frateantonio / Helmut Krasser (Hg.) Religion und Bildung Medien und Funktionen religiösen Wissens in der Kaiserzeit 2010. 239 S. mit 8 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09690-4 31. Philippe Bornet Rites et pratiques de l’hospitalité Mondes juifs et indiens anciens 2010. 301 S., kt. ISBN 978-3-515-09689-8 32. Giorgio Ferri Tutela urbis Il significato e la concezione della divinità tutelare cittadina nella religione romana 2010. 266 S., kt. ISBN 978-3-515-09785-7 33. James H. Richardson / Federico Santangelo (Hg.) Priests and State in the Roman World

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2011. 643 S. mit 24 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09817-5 Peter Eich Gottesbild und Wahrnehmung Studien zu Ambivalenzen früher griechischer Götterdarstellungen (ca. 800 v.Chr. – ca. 400 v.Chr.) 2011. 532 S., kt. ISBN 978-3-515-09855-7 Mihály Loránd Dészpa Peripherie-Denken Transformation und Adaption des Gottes Silvanus in den Donauprovinzen (1.–4. Jahrhundert n. Chr.) 2012. X, 312 S. und 13 Taf. mit 35 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09945-5 Attilio Mastrocinque / Concetta Giuffrè Scibona (Hg.) Demeter, Isis, Vesta, and Cybele Studies in Greek and Roman Religion in Honour of Giulia Sfameni Gasparro 2012. 248 S. mit 48 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10075-5 Elisabeth Begemann Schicksal als Argument Ciceros Rede vom „fatum“ in der späten Republik 2012. 397 S., kt. ISBN 978-3-515-10109-7 Christiane Nasse Erdichtete Rituale Die Eingeweideschau in der lateinischen Epik und Tragödie 2012. 408 S., kt. ISBN 978-3-515-10133-2 Michaela Stark Göttliche Kinder Ikonographische Untersuchung zu den Darstellungskonzeptionen von Gott und Kind bzw. Gott und Mensch in der griechischen Kunst 2012. 360 S. und 32 Taf. mit 55 Abb. ISBN 978-3-515-10139-4 Charalampos Tsochos Die Religion in der römischen

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Provinz Makedonien 2012. 278 S. und 44 Taf. mit 58 Abb., 5 Ktn. und 3 Plänen, kt. ISBN 978-3-515-09448-1 Ioanna Patera Offrir en Grèce ancienne Gestes et contextes 2012. 292 S. mit 22 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10188-2 Vera Sauer Religiöses in der politischen Argumentation der späten römischen Republik Ciceros Erste Catilinarische Rede – eine Fallstudie 2012. 299 S., kt. ISBN 978-3-515-10302-2 Darja Šterbenc-Erker Die religiösen Rollen römischer Frauen in „griechischen“ Ritualen 2013. 310 S., kt. ISBN 978-3-515-10450-0 Peter Eich / Eike Faber (Hg.) Religiöser Alltag in der Spätantike 2013. 293 S. mit 24 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10442-5 Nicola Cusumano / Valentino Gasparini / Attilio Mastrocinque / Jörg Rüpke (Hg.) Memory and Religious Experience in the Greco-Roman World 2013. 223 S. mit 24 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10425-8 Veit Rosenberger (Hg.) Divination in the Ancient World Religious Options and the Individual 2013. 177 S. mit 11 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10629-0 Francesco Massa Tra la vigna e la croce Dioniso nei discorsi letterari e figurativi cristiani (II–IV secolo) 2014. 325 S. mit 23 Abb., kt. ISBN 978-3-515-10631-3 Marco Ladewig Rom – Die antike Seerepublik Untersuchungen zur Thalassokratie der res publica populi romani von den Anfängen bis zur Begründung des Principat 2014. 373 S. mit 12 Abb., 2 Tab. und 2 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-10730-3 Attilio Mastrocinque Bona Dea and the Cults of Roman Women

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Können literarische Kultbilder in Analogie zur religiösen Kultpraxis auch in der Dichtung als Medium der Kommunikation mit dem Leser dienen? Können Dichter Kultbilder instrumentalisieren, um programmatische Aussagen zu treffen? Diesen Fragen geht Jessica Schrader in ihrer Studie nach. Sie widmet sich mit Hor. sat. 1,8, Tib 1,4 und Prop. 4,2 drei Texten der augusteischen Dichtung, die in der gesamten lateinischen Literatur einen Sonderstatus beanspruchen: In ihnen sind es erstmals nicht die Götter selbst, hier Priapus und Vertumnus, sondern ihre Kultstatuen, die eine ausführliche Rede halten. Anhand

von Einzelinterpretationen und durch synoptische Vergleiche ermittelt Schrader unter Berücksichtigung der kommunikativen und kultpraktischen Dimension die poetologische Funktion der drei Kultbilder und zeigt die in den Gedichten herrschende Dualität zwischen religiöser und literarischer Kommunikation auf. Abgrenzend dazu arbeitet die Autorin anhand von Fallbeispielen aus Ovids Fasti und Properz, in denen die Götter Mars, Venus und Apoll als Handlungssubjekte auftreten, die Besonderheit der Kommunikation mit Kultbildern in literarischen Kontexten heraus.

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ISBN 978-3-515-11700-5