Systemisches Innovations- und Kompetenzmanagement: Grundlagen – Prozesse – Perspektiven 3834901431, 9783834901439

In diesem Lehrbuch werden zunächst die theoretischen und begrifflichen Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanageme

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German Pages 344 [341] Year 2006

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Systemisches Innovations- und Kompetenzmanagement: Grundlagen – Prozesse – Perspektiven
 3834901431, 9783834901439

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Gustav Bergmann/Jürgen Daub Systemisches Innovations- und Kompetenzmanagement

Gustav Bergmann/Jürgen Daub

Systemisches Innovations- und Kompetenzmanagement Grundlagen – Prozesse – Perspektiven 2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

Mit Beiträgen von: Dr. Gerrit Jan van den Brink, Prof. Dr. Rainer Elschen, Cordula Emse, Michael Fraedrich, Dr. h. c. Eberhard Heinke, Dr. Andreas Rinker, Prof. Dr. Bernd Rolfes, Jochen Sanio

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Dr. Gustav Bergmann ist Professor für BWL, insbesondere Marketing, an der Universität Siegen und systemischer Berater besonders für KMU. Jürgen Daub M.A. ist freiberuflicher Soziologe, Sozialforscher und systemisch arbeitender Berater.

1. Auflage Oktober 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ulrike Lörcher / Katharina Harsdorf Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8349-0143-1 ISBN-13 978-3-8349-0143-9

Einführung

Einführung

Nichttriviale Vorbemerkungen (Geleitwort von John Erpenbeck) Innovation tut not. Deutschland darf im Wettbewerb um Technologie und Wachstum, um Kompetenzentwicklung und Arbeitsplätze im internationalen Maßstab nicht weiter zurückfallen. Es muss aufholen, will es das „skills race“ unseres Jahrzehnts erfolgreich bestehen. Innovation ist nicht an sich etwas Positives. Sie bildet jedoch eine Basis für positive Entwicklungen von Menschen, Unternehmen, Organisationen, Netzwerken und Regionen. Unter Innovationen verstehen wir, wie die Autoren dieses Buches detailliert ausführen, grundlegende technische bzw. soziale Neuerungen, die sozial akzeptiert werden und ökonomische Erfolge für die sie hervorbringenden Systeme – Menschen, Unternehmen, Organisationen, auch Netzwerke und Regionen – zu erzeugen in der Lage sind. Der wirtschaftliche Nutzen von Innovationen hängt letztlich von der Umsetzung in diesen Systemen ab. Damit zielt die hier vertretene Innovationsauffassung auf Verhaltensänderungen von Menschen in diesen Systemen und dieser Systeme für Menschen. Solche Verhaltensänderungen sind als Lernprozesse zu beschreiben. Die Entstehung von Neuem ist immer ein selbstorganisativer Prozess: ob in der Natur oder in sozialen Systemen, ob auf der Ebene des Individuums, des Teams, des Unternehmens, der Organisation, der Region, des nationalen oder internationalen Netzwerks. Innovation braucht Kompetenz, Kompetenz ermöglicht Innovation. Es ist nahe liegend, dass Menschen, Unternehmen, Organisationen, Netzwerke und Regionen, welche die besten Fähigkeiten zur Selbstorganisation besitzen, über die besseren Ausgangsbedingungen für Innovationen verfügen. Kennzeichnet man Kompetenzen generell als Selbstorganisationsdispositionen des (geistigen und physischen) Handelns dieser Systeme ist einsichtig, warum gerade Kompetenzen im Mittelpunkt innovativer individueller und sozialer Lern- und Arbeitsprozesse stehen. Dafür ist eine kompetenzbezogene Lernkultur notwendig. Sie ist als ein entscheidender Motor innovativer Entwicklung zu betrachten. Sie muss die Gesamtheit der möglichen Lernorte – mit den Schwerpunkten Arbeitsprozess, soziales Umfeld und zunehmend elektronisches Netz – im Blick haben, selbstgesteuerte und selbstorganisierte, non-formelle und informelle Lernprozesse hinreichend berücksichtigen und Lernprodukten in Form impliziten („hidden“, „tacit“) und wertbeladenen Wissens wie Erfahrung und Expertise eine hohe Bedeutung zumessen. Warum dies nicht nur in der grauen Theorie, sondern auch in der farbigen Praxis so ist, bildet einen wesentlichen Teil dessen, was die Autoren ausführen, insbesondere im Kapitel über menschliches Verhalten und Kommunikation.

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Einführung

Fast unendlich viel ist inzwischen zum Innovationsmanagement, viel zum Kompetenzmanagement publiziert worden. Dennoch bedurfte es dringend eines Buches wie es hier vor Ihnen liegt. Warum? Um das zu begründen kann man sich sinnvoll des durch von Foerster eingeführten, von Bergmann und Daub gern verwendeten Begriffs des Nichttrivialen bedienen. Die Autoren entwickeln nichttriviale Anschauungen von Innovation, Kompetenz und Managementprozess. Diese Anschauungen mögen verstörend, ja ärgerlich sein, weil sie mit gewohnten Sicherheiten, mit sicheren Gewohnheiten brechen. Die Autoren weisen wieder und wieder darauf hin, dass die Wirklichkeit nicht so wirklich ist, wie wir es wüschen mögen, eher Konstruktion als Rekonstruktion. Dass angesichts der Dynamik und Komplexität moderner Unternehmen und Wirtschaftsprozesse das Stellschraubendenken trivialer Maschinen trivial falsch ist und oft zum Gegenteil des gut Gemeinten, gern Gewollten führt. Basis der nichttrivialen Anschauungen der Autoren ist ein breit ausgearbeitetes, oft erprobtes und vielfach verwendetes Selbstorganisationsverständnis. Dieses hat Einsichten des – teilweise radikalen – Konstruktivismus von Maturana und Varela in den weniger radikalen Unternehmensalltag eingebracht. Es sei hinzugefügt, dass die grundlegenden Einsichten, die in diesem Buch gewonnen werden, auch von anderen Selbstorganisationstheorien gestützt werden. In Giddens Strukturationstheorie schieben sich zwischen die institutionelle Strukturebene des Unternehmens und die Handlungsebene die Regeln und Ressourcen, von denen die Handelnden Gebrauch machen: sie werden als Handlungsmodalitäten oder Modalitäten der Strukturation beschrieben. Sie umfassen Deutungsschemata (von Bezeichnetem in der Kommunikation), Ressourcen (mit denen Herrschaftsansprüche in Form von Machtausübung umgesetzt werden), sowie Normen (die legitimierte Positionen durch Sanktionen sichern). Im selbstorganisativen Wechselspiel dieser drei Ebenen reproduzieren und produzieren sich die bestehenden Strukturen neu. Es handelt sich um den Übergang von einem selbstorganisierten Ordnungszustand zu einem nächsten, wobei Strukturen bzw. Regeln der Sinnkonstitution und der Legitimation sowie die Ressourcen einerseits Medium des Handelns sind, andererseits aber auch das Produkt eben jenes Handelns verkörpern. Der Grundgedanke des Konzepts der Dualität von Struktur ist also ein Selbstorganisationsansatz. Eine andere Selbstorganisationstheorie, Hakens Synergetik, deckt ebenfalls die benannten Problemkreise ab. Vor allem erklärt sie wie keine andere Theorie die Wert- und Sinnstabilisierung von komplexen sozialen Systemen wie auch ihre plötzliche Instabilität, ja zuweilen Chaotisierung. Sie erklärt ebenfalls die Unvorhersehbarkeit der Wissensgewinnungs- und Handlungsprozesse solcher Systeme und die gerade daraus erwachsende Möglichkeit von Innovation. Vor allem aber erklärt sie, wahrscheinlich als einzige Theorie, die Entstehung von Regeln, Werten, Normen und Sinnvorstellungen als Ordner der Selbstorganisation, welche die nötige Stabilität im unvorhersehbaren, kontingenten Wandel erst ermöglichen. An solche Einsichten knüpfen die Autoren verbal ausformuliert an.

VI

Einführung

Eine nichttriviale Innovationstheorie entwickeln sie, ausgehend von Schumpeters Idee der „schöpferischen Zerstörung“ als Theorie solcher Prozesse, die nicht primär durch das „Was“, also im Vorhinein festgelegter Unternehmensziele, sondern durch das „Wie“ bestimmt werden – eben durch selbstorganisierte, wert- und sinngeordnete Arbeits- und Entwicklungsprozesse, welche die Gratwanderung zwischen „Macht der Gewohnheit“ und ständiger dynamischer Veränderung erfolgreich bewältigen. Eine nichttriviale Kompetenztheorie wie die hier vertretene begreift Kompetenzen nicht als bloße Fähigkeiten oder Qualifikationen, sondern, wie erwähnt, als Dispositionen selbstorganisierten geistigen und physischen Handelns. Eine solche Sicht gestattet, die Kontextbedingungen entsprechenden Handelns von Individuen, aber auch von Unternehmen und Organisationen zu begreifen und zu gestalten. Aber auch die Dispositionen selbst können, bei Individuen durch Kompetenztrainings, bei Unternehmen und Organisationen durch intendiertes Handeln im sozialen Raum – am Markt, im sozialen Umfeld, in politischen Zusammenhängen – gezielt entwickelt werden. Genau auf diese Kontext- und Dispositionsveränderung zielen die hier gegebenen Antworten ab, wissend, dass intendierte, gezielte Entwicklung den Erfolg näher heranholt, ihn aber nicht garantieren kann. Eine nichttriviale Managementtheorie haben die Autoren, hat insbesondere Bergmann mit seiner Theorie des achtphasigen „Solution Cycle“, begründet und immer weiter entfaltet. Es handelt sich um einen weitgehend universellen Zyklus selbstorganisativer Prozessabläufe den beispielsweise die Synergetik so beschreibt: alte Struktur ÆÄnderung der Kontrollparameter/Instabilität Æ Herausbildung instabiler/stabiler Moden und Konsensualisierung ersterer durch letztere Æ Emergenz neuer Moden/neuer Ordnungsparameter Æ Entstehung neuer Attraktoren/Einlaufen in eine neue Stabilität Æ neue Struktur. Diese Struktur wird im „Solution Cycle“ zu einem handhabbaren und inzwischen sehr erfolgreichen Managementinstrument geformt. Innovation tut Not. Kompetenzentwicklung tut Not. Ein Systemisches Innovationsund Kompetenz – Management kann helfen, Deutschlands Position in Europa und Europas Position in der Welt durch notwendige Veränderungen zu stabilisieren, aber auch durch den Erhalt von Stabilität die notwendigen Veränderungen zu ermöglichen.

Vorwort der Autoren Bei den Konzerten seiner Jazzband erzählt der erfolgreiche Unternehmer und Saxofonist August Wilhelm Scheer (IDS Scheer) gerne auch, wie das Management von den Prinzipien des Jazz lernen kann. Jazz wird bekanntermaßen von virtuosen Solisten in einem harmonischen Zusammenspiel praktiziert. Jazz lebt von Überraschungen, Improvisationen und einer emotionalen Spannung. Schnelles Reagieren, Spontaneität und Kreativität sind Elemente, die man in der Jazzband benötigt und die sich zugleich in Krisensituationen als hilfreich erweisen.

VII

Einführung

Das Generalthema (die Agenda?) wird variiert, dann aber improvisiert (selbstorganisiert). In weiten Bögen finden die zeitweiligen Solisten wieder zum Thema zurück. Während ihrer Ausflüge werden sie von den kompetenten Mitspielern aufmerksam beobachtet und wirksam aber dezent unterstützt. Nicht alles wird im Voraus versucht zu planen. Die Zuhörer (Kunden) zieht die Überraschung (Innovation) in Bann und Harmonien, Rhythmen (Standards) und die Melodie binden das Ganze wieder zusammen. Im Jazz hilft der Swing, die Spannung erzeugt die Energie und hält die Beziehung zwischen Musikern und Zuhörern höchst vital. Die begeisternde Musik entsteht erst aus dem Zusammenspiel. Die Beziehungen untereinander (relational) und der jeweilige Kontext entscheiden über die Wirkung. Jazz dient auch uns als Inspiration und Flow erzeugende Begleitung. So danken wir Musikern wie Keith Jarrett, Bill Frisell, Silje Neergard, Lars Danielsson, Diana Krall, Ralph Towner, Jonas Hellborg, Joe Zawinul, Markus Stockhausen u. v. a für ihre wunderbare Musik. Danken möchten wir auch John Erpenbeck von der ABWF Berlin, dessen breites und tiefes Wissen wir anzapfen durften. Er betreute zwei unserer Forschungsprojekte, die wesentliche Erkenntnisse zur Innovations- und Kompetenzentwicklung ergaben (Forschungsprojekte Metakompetenz und Kompetenzentwicklung des BMFW und des europäischen Sozialfonds). Dank auch an die Förderer. Vor allem Praxiseinblicke und die Überprüfung von Hypothesen ermöglichte das Forschungsprojekt „Prolog – Design als Prozess“ des Landes NRW. Wir danken auch hier für die Unterstützung. Zahlreiche Akteure aus der Unternehmenspraxis ermöglichten uns erhellende Einblicke in die Unternehmensrealität: Gerd Meurer, Stefan Bergmann, Norbert Verlande, Uwe Rummel, Marc Staiger, Jürgen Witt, Thomas Ullmann, Rainer Briel, Johannes Brockmann, Robert Kebbekus, Paul Pape Senner sowie Eva und Jürgen Ferchland seien hier besonders genannt. Viele Kollegen und besonders Studierende ermöglichten durch ihr kritisches Nachfragen ein Schärfen der Gedanken. Sarah Nawroth hat nicht nur die Texte redigiert und in Form gebracht, sondern auch viele hilfreiche Anstöße gegeben. Danken möchten wir auch unseren Ehefrauen Jutta und Sylvia sowie unseren Kindern für Anregungen, Kritik und Großzügigkeit. Letztere lehrten uns besonders Phantasie, Vitalität und nützliche Unvernunft: „Der vernünftige Mensch passt sich der Welt an, der Unvernünftige versucht beharrlich, die Welt sich anzupassen. Deshalb hängt aller Fortschritt vom Unvernünftigen ab.“ (George Bernard Shaw) Wir wünschen allen Lesern viel Freude und mindestens eine neue Sichtweise beim Lesen. Gustav Bergmann und Jürgen Daub, Köln und Siegen im Mai 2006

VIII

Inhalt

Inhalt

Einführung ............................................................................................................................... V Inhalt ........................................................................................................................................IX 1 Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements ....................................1 1.1 Innovation und Kompetenz – ein Spannungsfeld.................................................1 1.2 Die Sphären des Innovations- und Kompetenzmanagements ............................8 1.3 Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen...................................................15 1.3.1 Vom »Auch« zum »Und«?...........................................................................15 1.3.2 Wie ist die Geschichte der Einseitigkeit abgelaufen?...............................16 1.3.3 Der sozio-kulturelle Wandel: Von der Moderne bis zur ReVision.........17 1.3.4 Neue Lebensstile und Formen – Zwischen Askese und Sinnlichkeit ....22 1.3.5 Der Ursprung ist das Ziel ............................................................................23 1.3.6 Die möglichen Entwicklungen der Formensprache.................................23 1.4 Die grundsätzlichen Probleme und Lösungsansätze des Managements .........28 2 Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements....................................35 2.1 Der theoretische Bezugsrahmen ............................................................................35 2.1.1 Schritte des Wandels: Vom mechanistischen Denken zum Systemdenken ...............................................................................................35 2.1.2 Der Paradigmenwechsel: Vom Steuerungsdenken zur systemischen Selbstorganisation ........................................................................................37 2.1.3 Die relationale Wende: Relationalisimus, Kontextualismus oder wie Wirklichkeit sozial konstruiert wird ..........................................................40 2.1.4 Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit: Sustainable Innovation ....................42 2.1.5 Systemisch lösungsorientiertes Management...........................................48

IX

Inhalt

2.1.6 Lean Management und andere wenig dauerhafte Moden des Managements................................................................................................51 2.2 Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz ..........................................53 2.2.1 Innovation......................................................................................................53 2.2.2 Systemisch: Innovationen in sozialen Systemen ......................................54 2.2.3 Die Bedeutung von Innovationen für Unternehmen ...............................60 2.2.4 Innovationsarten...........................................................................................61 2.2.5 Prozessinnovationen ....................................................................................67 2.2.6 Kultur- und Organisationsinnovation .......................................................68 2.2.7 Innovationsmanagement .............................................................................69 2.3 Kompetenz und Kompetenzentwicklung ............................................................74 2.4 Definitionen zur Kompetenz..................................................................................76 2.5 Information und Wissen .........................................................................................79 2.5.1 Individueller Wissenserwerb ......................................................................82 2.5.2 Organisationales Wissen..............................................................................83 2.5.3 Wissensspeicherung .....................................................................................85 2.5.4 Technische Voraussetzungen des Wissensmanagements........................88 2.6 Lernen und Kompetenzentwicklung ....................................................................88 2.7 Lernen .......................................................................................................................91 2.7.1 Das Lernstufenkonzept................................................................................94 2.7.2 Lernkulturen und Kompetenzentwicklung ..............................................97 2.7.3 Die lernende und kompetente Unternehmung ........................................99 2.7.4 Vernetzung und Kooperation ...................................................................103 3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements ....105 3.1 Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens...............................................105 3.1.1 Unbewusstes und persönlichkeitsspezifisches Verhalten .....................106 3.2 Relationalismus – oder: der Kontext und die Beziehungen prägen das Verhalten.................................................................................................................112 3.3 Lösungsansätze einer systemisch- relationalen Verhaltensforschung............116 3.3.1 Die relationale Persönlichkeit ...................................................................116

X

Inhalt

3.3.2 Basic Desires – die unbewussten Leitmotive ..........................................118 3.3.3 Kulturdiagnosen als Beschreibung des Kontexts ...................................120 3.4 Das Projekt- und Team-Management – die interne Kommunikation.............122 3.4.1 Dominante Koalition..................................................................................123 3.4.2 Innovationsteam .........................................................................................123 3.4.3 Rollentausch im Innovationsprozess .......................................................125 3.4.4 Teambuilding mit allen Kompetenzen ....................................................127 3.4.5 InnovationsmanagerInnen ........................................................................128 3.5 Marktkommunikation: Erzeugung von Aufmerksamkeit und Verständigung........................................................................................................130 3.6 Das Marktinteraktionsmodell ..............................................................................131 3.6.1 Der Kommunikationsplanungsprozess als Solution Cycle...................133 3.6.2 Beschreibung eines Kampagnenprozesses..............................................135 4 Der Managementprozess ...............................................................................................141 4.1 Das Prozessdesign: Finden, was fehlt – Gelingen gestalten – reflektierend lernen ...............................................................................................141 4.2 Die Phasen des Managementprozesses ..............................................................145 4.2.1 Die perzeptiven Phasen des Innovationsprozesses................................147 4.2.2 Die kreativen Phasen des Innovationsprozesses ....................................178 4.2.3 Methoden der Kundenintegration: CoP, Usability QFD, Workshops, Science of shopping ..............................................................193 4.2.4 Selektion, Planung und Strukturierung: Gemeinsam entscheiden im Dialog (Phase 4 Selektieren und Planen) ...........................................205 4.2.5 Gelingen gestalten (Phase 5 Verwirklichung).........................................216 4.2.6 Die reflektiven Phasen des Innovationsprozesses (Phase 6 Veränderungen spüren).............................................................................238 4.2.7 Wissensmanagement und Lernsysteme (Phase 7 Lernen) ....................244 4.2.8 Abschluss und Loslösung (Phase 8).........................................................257 5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung...............................261 5.1 Konventionelle Strukturen ...................................................................................262 5.2 Projektorganisation ...............................................................................................263

XI

Inhalt

5.3 Organische Organisationsformen........................................................................265 5.4 Zirkuläre Organisation .........................................................................................266 5.5 Laterale Teamorganisation ...................................................................................266 5.6 Cluster und Fraktale..............................................................................................267 5.7 Innovative Reservate .............................................................................................268 5.8 Netzwerkstrukturen und die magische Zahl 150 ..............................................271 5.9 Die Entwicklung zum metakompetenten Unternehmen .................................276 6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements ..................283 6.1 Was sollen wir tun? ...............................................................................................284 6.2 Innovationsmanagement und Kompetenzentwicklung – kultiviert und erfolgreich...............................................................................................................287 6.3 Ethik als Chance zur praktischen Orientierung.................................................288 6.4 Allgemeine Probleme bei der Entwicklung einer Unternehmensethik..........290 6.5 Konkrete Probleme des Innovationsmanagements...........................................292 6.6 Eckpunkte einer kommunikativen Ethik............................................................293 6.7 Grundformen der Systemethik ............................................................................293 6.8 Neuere Ansätze der Systemethik.........................................................................294 6.9 Kommunikative Ethik: Dialoge, Partizipation und Spielräume......................296 6.9.1 Win/Win-Prinzip: Kooperative Lösungen...............................................297 6.9.2 Ethik als Lernprozess: Integratives Vorgehen.........................................298 6.9.3 Kultiviertes Innovationsmanagement als Erfolgsfaktor........................299

7

Perspektiven des Innovations- und Kompetenzmanagements ................................301 7.1 Veränderungen im Innovations- und Kompetenzmanagement......................302 7.2 Ausblick ..................................................................................................................305

Literaturverzeichnis .............................................................................................................311 Stichwortverzeichnis ............................................................................................................329

XII

Innovation und Kompetenz – ein Spannungsfeld

1 Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

1.1

Innovation und Kompetenz – ein Spannungsfeld

Ganz zu Anfang stellt sich die Frage, was das Innovative an einem Buch zum Innovationsmanagement sein kann, wo es doch zahllose Publikationen zum Themenkreis gibt. Zum einen legen wir mit dem systemisch –relationalen Ansatz eine zeitgemäße Theorie zugrunde, die hilft, eine erfolgreichere Praxis zu gestalten. Zum anderen verknüpfen wir die Bereiche Innovation und Kompetenz in einem Spannungsbogen und bringen damit eine neue Sichtweise zum Thema der Unternehmensentwicklung ein. Es geht um die erneuernde Entwicklung und den Erhalt des Bewährten. Wir schlagen uns dabei bewusst nicht auf eine Seite, sondern versuchen, die Balance zu wahren. Das herausragende Ziel ist es, Wege zum Vitalen Unternehmen aufzuzeigen. Kurz gesagt, wie man Unternehmen in die Lage versetzt, nachhaltig erfolgreich am Markt zu agieren. In diesem Buch werden die wesentlichen Grundlagen zum Veränderungs- und Entwicklungsmanagement prägnant und anschaulich erläutert. Dabei bleiben wir in der Möglichkeitsform, das heißt, wir beschreiben aus unserer Sicht Optionen und wahrscheinliche Entwicklungen, ohne Anspruch auf Alleingültigkeit. Alles lässt sich auch anders darstellen und sehen. Es bleibt immer denkbar, dass wir uns irren oder zu einseitig darstellen. Wir erheben nicht den Anspruch, die besten Lösungen erkannt zu haben, weil diese optimalen Wege u. E. auch gar nicht existieren. Wir freuen uns schon, wenn wir gute, nützliche Lösungen anregen und im Sinne von Heinz von Foerster so handeln, dass neue Möglichkeiten entstehen. Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt hat in seinem schmalen Essayband „On Bullshit“ Überlegungen angestellt, die zu dem Ergebnis kommen, dass wir weder sichere Aussagen über die Realität um uns, noch über uns selbst treffen können. Als größter „bullshit“ kann also die zur Schau gestellte Gewissheit gelten. Lassen Sie als LeserInnen also stets Ihre Version kritisch mitlaufen. Das Knowledge Management, die Lernende Organisation, das Projektmanagement und die Produktentwicklung sind alle als Formen der Innovation zu sehen. Nach der Erläuterung der theoretischen und begrifflichen Grundlagen, beschreiben wir die Basis

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Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

von Innovationsprozessen in Form von Wissen und Lernen. Den Kontext bilden die sozioökonomischen, technologischen und globalen Entwicklungen sowie die Akteure mit ihren Rollen, Funktionen und Charakteren. Anschließend beschreiben wir den typischen Ablauf von Innovationsprozessen in acht detaillierten Schritten. Betrachtungen zur Kompetenzentwicklung und zur organisatorischen Gestaltung runden das Buch ab.

Innovation als akzeptierte Erneuerung Innovation heißt Erneuerung und beschreibt den Prozess der Verwirklichung einer kreativen Idee, Erfindung, Erkenntnis oder eines neuen Konzeptes. Produktideen werden zu marktreifen Angeboten entwickelt, Organisationen geraten in kontinuierliche Veränderungsprozesse, Unternehmen lernen und entwickeln sich. In allem geht es um die verbessernde Veränderung evolvierend oder in revolutionären Sprüngen. Alois Schumpeter hat schon vor 60 Jahren den Effekt und die Essenz der Innovation mit „schöpferischer Zerstörung“ (1926) umschrieben:

„ „Der fundamentale Antrieb, der die kapitalistische Maschine in Bewegung setzt und hält, kommt von den neuen Konsumgütern, den neuen Produktions- oder Transportmethoden, den neuen Märkten, den neuen Formen der industriellen Organisation, welche die Kapitalistische Unternehmung schafft“ (Schumpeter, 1993, S. 137) und weiter: „Dieser Prozeß der ‹‹schöpferischen Zerstörung›› ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum“ (Schumpeter, 1993, S. 138). „Der Kapitalismus ist also von Natur aus eine Form oder Methode der ökonomischen Veränderung und ist nicht nur nie stationär, sondern kann es auch nie sein“ (Schumpeter, 1993, S. 136). Innovationen sind somit ein Wesenselement einer dynamischen Wirtschaft. Innovationen weisen jedoch ein inneres Paradox auf, die Macht an Gewohntem festzuhalten und die Ignoranz derer die das Vorhandene optimieren und kontrollieren. So zerstört die einfache Erneuerung oft gute Werte und Routinen und missachtet wichtige Erfahrungen. Im Extrem wäre ein hoch innovatives, also sich permanent veränderndes Unternehmen ein wenig verlässlicher Partner.

Kompetenz als selbstorganisierte Problemlösefähigkeit Kompetenz verstehen wir als eine selbstorganisierte Problemlösefähigkeit, die einem Akteur oder einem Kollektiv (soziales System, Team, Unternehmen) von außen zugeschrieben wird.1 Damit steht Kompetenzmanagement im Spannungsfeld zur Innovation, weil hier gute Erfahrungen erhalten und Fähigkeiten routiniert stabilisiert werden sollen. Mit Dirk Baecker können wir davon sprechen, dass das kompetente Unternehmen, sich in vielen Bereichen gerade nicht verändern darf.2 Die zentralen Kompeten1 2

2

Erstmals haben Erpenbeck und Heyse die Kompetenz als Selbstorganisationsdisposition definiert. Dieser Definition folgen wir in diesem Buch. Vgl. Erpenbeck/Heyse 1999. Baecker 2001

Innovation und Kompetenz – ein Spannungsfeld

zen beschreiben die „innere Intelligenz“ des Systems, die es ermöglicht, eigenständige Marktlösungen anzubieten. Die Kompetenz dient hiermit als Leitfaden für die innovative Entwicklung von Unternehmen. Die Kompetenzentwicklung sehen wir als eine Art interaktiven Entdeckungsprozess. Menschen entdecken ihre Fähigkeit im Austausch mit anderen. In einem Unternehmen besteht das Kompetenzmanagement somit hauptsächlich in der Beobachtung von Problemlösefähigkeiten in der sozialen Interaktion.

Innovationen sind Prozesse Innovativ zu sein ist die Parole der Zeit. Jedes Unternehmen versucht Innovationsprozesse in Gang zu bringen und neue oder veränderte Produkte, Prozesse oder Dienstleistungen zu entwickeln. Die Aufmerksamkeit der Akteure liegt dabei meistens auf dem „was“ und selten auf dem „wie“ der Innovation. So liegt im Fokus der Handelnden zumeist das neue Produkt und kaum der Entstehungsprozess. Man ist vorwiegend so auf das Ziel fixiert, dass der Weg dahin eher als Hindernislauf wahrgenommen, denn als kreativer Prozess gesehen wird. Innovationsprozesse sind Lernprozesse und um als Akteur in ihnen handeln zu können, sollten die Prozessdynamiken verstanden werden. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um zuschreibbare Kausalitäten, nach einer simplen „Wenn-dann-Logik“, sondern Innovationsprozesse sind komplexe Lernprozesse. Diese zu verstehen bedeutet mehr, als sie nur zu erklären, also auf vermeintliche „Gesetzmäßigkeiten“ zurückzuführen. Innovationsprozesse sind Lernprozesse in Unternehmen und sie folgen der inhärenten Sinnstruktur des jeweiligen sozialen Systems Unternehmung beziehungsweise Organisation. Diesen „Sinn des Unternehmens“ zu erkennen, als die Melange aus der Art und Weise der Produktion, der Gestalt der Hierarchiepyramide, der Zielorientierung, der Kommunikationsweisen und des Umgangs mit Lernen, bildet den Rahmen von Innovationsprozessen. Die Akteure im Unternehmen verhalten sich weitgehend so, wie das System Unternehmung ihnen Handlungsweisen lehrt. Sie verlassen diese Gewohnheiten allerdings genau so schnell, wenn es angebracht erscheint. Dies macht uns nicht zuletzt Günther Ortmann klar, wenn er über den Zusammenhang von Regeln und Ausnahmen in der Verknüpfung mit den „Produktionsbedingungen sozialer Ordnung“ reflektiert.3 Er nennt die Normalität von Abweichung in Organisationen auch „Zonen tolerierter Differenz“.4 Die Abweichung von Normen und Regeln in Organisationen gehört sozusagen zur Funktionsweise dazu. Allerdings ist diese „Regelverletzung“ limitiert, „ »Die anderen« beobachten sie und agieren und reagieren

3 4

Siehe Ortmann, G. 2003a Regel und Ausnahme. Paradoxien sozialer Ordnung. Frankfurt/Main. S. 37 ff. Siehe Ortmann, G. 2003b Organisation und Welterschließung. Dekonstruktionen. Wiesbaden. S. 140 ff.

3

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Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

ihrerseits, jedenfalls häufig, und wenn eine Regel schon nicht ihre Einhaltung evoziert, dann oft genug doch die Not der Legitimation ihrer Verletzung.“5 Innovativ sein heißt also auch, Grenzen überschreiten und Regelverletzungen im sozialen System zu begehen. Aufforderungen, sich in einer ganz bestimmten Art und Weise „innovativ“ zu verhalten, sind allerdings genauso widersinnig, wie es die Aufforderung „sei spontan“ ist. Kreativität und innovatives Verhalten bildet sich mehr oder weniger gut aus den gegebenen Lernbedingungen im Unternehmen. Sind diese „lernförderlich“, so sind die Wege zu Innovationen deutlich leichter zu gehen. Neues entsteht emergent, ist also aus den Ausgangsbedingungen nicht unbedingt erkennbar. Ein verordnetes innovatives Verhalten ist letztlich ebenso innovativ, wie verordnete Spontaneität wirklich spontan ist. Also bleibt alles beim Alten? Nein, Innovationsfähigkeit und innovatives Verhalten kann gelernt werden, wenn die Bedingungen dafür bekannt sind und konsequent gefördert werden. Innovatives Verhalten fällt nicht vom Himmel, es bedarf ganz bestimmter Konstitutionsbedingungen, um erfolgreiche Innovationsprozesse in Gang zu bringen. Kurz gesagt: Kreativität und die daraus hoffentlich resultierende Innovativität ergeben sich besonders, wenn „innovative Reservate“ aufgesucht werden können, in denen ohne Druck, ohne Effizienz an neuen Lösungen experimentiert werden darf. Effizienz und Kontrolle unterminieren die Neigung zur Entwicklung des Neuen. Derzeitig stehen die Methoden des Innovations-, Wissens- und Kompetenzmanagements verstärkt im Mittelpunkt der Diskussionen. Kurz skizziert: Wissensmanagement ist der Versuch, in Organisationen das zu finden, was gesucht wird - man ist darum bemüht, die komplexe Wissensbasis einer Organisation transparent und zugänglich zu machen. Innovationsmanagement hingegen soll das finden, was nicht gesucht wird, soll Handlungsweisen hervorbringen, die Neues entstehen lassen. Innovatives Kompetenzmanagement hingegen soll die bestmöglichen Bedingungen für die Individuen in Organisationen realisieren, wie etwas gesucht und gefunden werden kann. Soll also Wissensmanagement den Austausch relevanten Handlungswissens ermöglichen, das Innovationsmanagement die Ressourcen für innovatives Handeln managen, so soll Kompetenzmanagement die Kontextbedingungen in Organisationen so gestalten, dass sich die Wissensträger, die Individuen, und deren innovative Kompetenzen möglichst frei entfalten können. Wissensmanagement ist, wenn man es genau betrachtet, eigentlich eine unmögliche Aufgabe oder wie es Wilson sagt: „The nonsense of knowledge management.“6 Man kann also genau genommen Wissen gar nicht managen, sondern nur den Informationsprozess innerhalb der Organisation. Wissen erwirbt immer nur das Individuum, Wissenserwerb ist ein mentaler Prozess des Begreifens, Verstehens und Lernens, der sich ausschließlich im Gehirn eines Individuums abspielt. Das Individuum konstruiert neues Wissen ausschließlich in seinem Gehirn, von außen wird nichts eins zu eins über5 6

4

Ortmann 2003b, a.a.O., S. 140. Wilson, T.D. 2002: "The nonsense of 'knowledge management'" Information Research, 8(1), paper no. 144 [Available at http://InformationR.net/ir/8-1/paper144.html]

Innovation und Kompetenz – ein Spannungsfeld

nommen. Jeder Vorgang des Wissenserwerbs oder Lernens ist ein subjektiver Vorgang. Die Informationen, welche das Individuum von außen erhält, muss es aktiv in seine vorhandene Wissensstruktur einbauen, muss sie umbauen. Erst die Aktivität des Lernenden bringt neues Wissen für ihn hervor. Hinzu kommt noch, dass dieses neu konstruierte Wissen auf der Basis biografisch-historischer Strukturationen des Lernens im Individuum erfolgt. Ein Individuum lernt infolgedessen immer nur im Kontext seiner eigenen mentalen Lernressourcen. Wissensmanagement kann also streng genommen nur Informationsmanagement sein, da das in den Individuen vorhandene Wissen in einer Organisation nicht von einem Kopf in den anderen transferiert werden kann. Wohl aber können die Bedingungen des Informationsaustausches und der Lernkultur beeinflusst werden. Wissensmanagement ist somit in zwei Bereiche aufzuteilen, in den IT-Bereich, dann ist es nichts als Informationsmanagement und den Subjekt-Bereich, dann ist es Management der Kontextbedingungen.7 Kompetenzmanagement soll die Entfaltung von selbstorganisierten Lernprozessen befördern. Innovation und Kompetenz sind die verschiedenen Seiten einer Medaille. Innovation ist gekennzeichnet durch Entwicklung, Lernen und Veränderung. Eine Organisation sollte sich allerdings nicht unentwegt verändern, sondern wirklich überlebensfähig wird sie erst durch die Ausbildung von positiv wirkungsvollen Routinen und durch Differenzieren und Systematisieren von Erfahrungen. Eine gesunde Organisation erhält ihre Strukturen durch Erneuerung und erneuert sich auf der Basis ihrer Kompetenzen. Kompetenzen verstehen wir als Fähigkeit zur Selbstorganisation. Bei einzelnen Akteuren äußert sich das in der Fähigkeit, selbständig Probleme lösen zu können. Kompetente Unternehmen sind in der Lage, sich auf unterschiedliche Kontexte einzustellen. Wenn Innovationen angeregt werden sollen, ist es wichtig, Routinen und gewohnte Abläufe zu stören oder zu verstören (Pertubation) und weitere Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungschancen zu befördern. Beispielsweise konstruieren Manager die Wirklichkeit ihres Unternehmens durch spezielle Geschichten, die sie über sich und das Unternehmen erzählen und veranlassen Andere, ähnliche „Erzählungen“ zu verbreiten. Sie regen den Veränderungsprozess über eine ganz bestimmte Kommunikation an. Gelingen und Erfolg sind allerdings nicht direkt erzielbar, sondern die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens kann durch geeignete Kommunikation deutlich erhöht werden. Beeinflusst wird somit das Umfeld der jeweils handelnden Akteure, nicht die Akteure direkt. Modernes Innovationsmanagement hat grundsätzlich die Aufgabe, einen geeigneten Rahmen (Strategie, Regeln) für Entfaltung und Lernen zu schaffen, eine passende Atmosphäre (Kultur, Evokation) zu entwickeln und Anregungen (Initiative, Provokation) zu geben.

7

Siehe Sveiby, K. E. 2001: What is knowledge management? Brisbane: Sveiby Knowledge Associates. Available at: www.sveiby.com/faq.html/Whatis [Site visited 11th August 2003], zitiert nach Wilson

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1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

Erfolgreiche Innovationen zeichnen sich dadurch aus, dass das Erkennen und „Erkenntlichmachen“ von hilfreichen Mustern zum rechten Zeitpunkt geschieht. Innovationen sind Konstrukte, welche von den jeweiligen Akteuren als nützliche Lösungen anerkannt werden. Ob sie etwas „Neues“ sind, ist dabei immer eine subjektive Bewertung und außerdem kontextabhängig. Folglich kann durchaus ein „altes“ Muster bestimmten Akteuren als hilfreiche Neuerung ins Bewusstsein gerückt werden. Es hängt also ausschließlich vom Kontext ab, wie und ob Innovationen entstehen und welche Bewertung sie erfahren. Sie stellen in ihrer optimalen Ausprägung neue Chancen dar, Erfolg zu haben. Innovationen eröffnen neue Wahlmöglichkeiten, indem sie von anderen Akteuren als Kontingenz (Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten) wahrgenommen werden. Innovationen sind demzufolge Entdeckungen und Nutzungen eines neuen Orientierungsmusters.8

Unternehmen als soziale Systeme Unternehmen konstituieren sich als selbstreferenzielle soziale Systeme aus gemeinsamen Wissensbeständen und Kommunikationen. Soziale Systeme neigen zur Reproduktion des Bestehenden, weil sie sich aus vorhandenen Kommunikationsformen immer wieder neu bilden. So ist es nicht verwunderlich, dass nur wenig neue Informationen in diesen Systemen wahrgenommen und akzeptiert werden. Insofern erscheint es wesentlich zu überlegen, wie neues Wissen diesen Systemen zugeführt werden kann. Die Einrichtung von innovativen Reservaten und die irritierende kommunikative Störung sind Möglichkeiten, ein Unternehmen in Veränderung zu bringen. Heinz von Foerster hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass Menschen und somit auch soziale Systeme wie Unternehmen und Märkte keine trivialen Maschinen sind.9 Als hoch komplexe und dynamische Phänomene sind sie in ihrer Entwicklung kaum plan- und steuerbar. Der Abschied vom Voluntarismus (Machbarkeitsdenken) erscheint notwendig, da Intention, Interventionsmöglichkeiten und Wirkung auseinander laufen. Die „Wirklichkeit“, d.h. das Verhalten der Kunden, der Mitarbeiter des Marktes, der Wettbewerber usw., lässt sich nicht durch ein Mehr an technischer „Datenverarbeitung“ vorhersagen. Die Technikgläubigkeit und Zahlenverliebtheit führt vielmehr zu einer einseitigen Informationsakzeptanz und Verengung. Die Unternehmen entwickeln Produkte „mit dem Rücken zur Welt“. Die Konzentration auf die Verarbeitung scheinbar „objektiv“ messbarer Markt- und Prozessdaten führt zu einem fehlenden kritischen Hinterfragen der Basisdaten. Die Verarbeitungsbedingungen bei der Wahrnehmung und Kommunikation der Basisdaten werden vernachlässigt. Dennoch besitzen die Verarbeitungsbedingungen entscheidenden Einfluss auf Qualität der Information und damit auf die Qualität des Innovationsprozesses.

8 Bergmann 2003a, a.a.O. 9 Vgl. Foerster, 1999

6

Innovation und Kompetenz – ein Spannungsfeld

Die Fähigkeit, dass ein Unternehmen seine aktuelle oder gar zukünftige Situation anhand situativer Faktoren „objektiv“ bestimmen kann, ist aus systemischer Sicht nicht zu halten. Externe Daten bewirken zwar bestimmte Reaktionen des Unternehmens, diese Reaktionen sind jedoch sehr stark von der Organisation des Unternehmens, d.h. den internen Beziehungen, den Prozessen und den häufig impliziten Regeln abhängig. Die Situation des Unternehmens in seinem relevanten Kontext ist das Produkt einer kollektiven Wirklichkeitskonstruktion des Unternehmens selbst. Dieser Perspektivenwechsel lenkt die Konzentration auf die Art und Weise, wie diese Wirklichkeitskonstruktion gebildet wird. Wirklich erfolgreiche und innovative Unternehmen verlassen sich auf ihre Kernkompetenzen, das was sie wirklich gut können und das heißt nicht nur besonders effizient und effektiv einzelne Produkte herstellen, wie meist missverstanden wird. Dauerhaft erfolgreiche Unternehmen haben eine realistische gemeinsame Vision und Identität entwickelt, die über den Status quo hinaus weist und grundsätzliche Weiterentwicklungen auf der Basis von übergreifenden Problemlösefähigkeiten ermöglicht. Darüber hinaus konzentrieren sie sich auf die originären und wesentlichen Aufgaben, haben ein lernfreundliches und fehlertolerantes Klima geschaffen. Innovative Unternehmen brauchen wenige Hierarchieebenen und geben den Mitarbeitern genügend Möglichkeiten zur Übernahme von Verantwortung und zur Selbstorganisation.10 Innovationen weisen allerdings ein inneres Paradox auf. Der Filmemacher und Regisseur Greenaway spricht von der Tyrannei des Bestehenden, deutet also auf die Macht der Gewohnheit und die Ignoranz der Optimierer und Kontrolleure des Vorhandenen. Trotzdem zerstört die einfache Erneuerung oft gute Werte und Routinen und missachtet wichtige Erfahrungen. Kompetenzmanagement steht somit im Spannungsfeld zur Innovation. Sollen hier doch gerade gute Erfahrungen erhalten werden. Mit Dirk Baecker können wir davon sprechen, dass das kompetente Unternehmen sich in vielen Bereichen gerade nicht verändern darf.11 Das Paradox der Veränderung heißt mit Nietzsche: „Werde, der du bist“ also konsolidiere durch Erneuerung, bleib im Werden. Es gilt also, Neues mit Hingabe zu schaffen, aber auf der Basis guter Erfahrung. So verstrickte sich auch Schumpeter in Widersprüche, als er in seinen Spätwerken die Vorteile der Großkonzerne im Innovationsprozess pries und den dynamischen Unternehmer damit wieder als unwichtig erklärte.12 Wir werden noch sehen, dass Innovationen zwar oft auch in großen Unternehmen initiiert, aber dafür dynamische kleinere Einheiten benötigt werden. Während früher die bahnbrechenden Pionierleistungen einzelnen Erfindern und Unternehmern (Siemens, Daimler, Bosch, Ford) zugeschrieben wurden, werden Innovationen heute eher als Leistung von vielen Akteuren in Entwicklungsteams, Forschungsnetzwerken und

10

Bergmann, G. Meurer, G. 2002 Die Balanced-Scorecard als Basismodul eines ausgewogenen und wirksamen Managementsystems. Arbeitspapier: www.esgelingt.de, Downloadbereich 11 Baecker, D. 2001 Organisation als System. Frankfurt/Main 12 Schumpeter 1926

7

1.1

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

Lernwerkstätten gesehen. Die Komplexität und Dynamik erfordert die sinnvolle Kooperation vieler Experten, Promotoren und Prozessbegleiter. Der Schwerpunkt dieses Lehrbuches liegt deshalb auch auf der Betrachtung des Vorgehens, des Prozessdesigns und der Koordination der Beteiligten: Das Wie dominiert das Was. Innovationsmanagement ermöglicht Neuerungs-, Lern- und Entwicklungsprozesse durch die Gestaltung eines klaren Rahmens, einer stimmigen Atmosphäre und der Stimulierung durch Impulse. In innovativen Unternehmen entsteht ein Klima der Weiterentwicklung, Inspiration und des Engagements. Aus starren Organisationen erwachsen Vitale Unternehmen, die sich in der Turbulenz der Märkte im Zeichen von Globalisierung, Digitalisierung, neuen Technologien und gesellschaftlicher Dynamik am effektivsten bewähren. Innovative und zugleich kompetente Unternehmen weisen folgende Eigenschaften auf:

„ eine innovative Atmosphäre und Kultur (Würdigung des Neophilen), „ Dauerhaftigkeit und Durchhaltbarkeit, „ Vielfalt der Akteure, Angebote und Methoden (Diversity), „ die permanente Weiterentwicklung und Lern- und Lösungsorientierung sowie „ die dialogorientierte Reflexion des Erkennens, Entscheidens und Handelns.

1.2

Die Sphären des Innovations- und Kompetenzmanagements

Es ist relativ müßig, die allgemeine und spezielle Kontextentwicklung en detail zu skizzieren, weil nur subjektive Wahrnehmungen geschildert werden können und sowieso alle Phänomene einem permanenten komplexen Wandel unterzogen sind. Deshalb möchten wir uns darauf beschränken, einige wichtige Aspekte und typische Systemsituationen zu skizzieren, die jeweils spezielle Verhaltensweisen, Strukturen und Methoden erfordern. Im Wesentlichen sind vier Sphären zu unterscheiden:

„ der soziale bzw. gesellschaftliche Wandel (Altersstruktur, soziale Schichtung, Armut)

„ ökologische Entwicklungen (Ressourcen, Klimawandel, Emissionen, Öko-Tech) „ der technologische mediale Wandel (Internet, neue Technologien und Medien) „ ökonomische Entwicklungen und die Globalisierung (Internationale Vernetzung, „4 Welten“)

8

Die Sphären des Innovations- und Kompetenzmanagements

Soziale Systeme befinden sich in unterschiedlichen Kontexten, die vereinfachend als instabil bis turbulent bezeichnet werden können. Je nach Charakter des Kontextes bilden sich auch die sozialen Systeme in einem Wechselverhältnis aus. Stabile Systeme sind effizient, überschaubar und transparent, turbulente hingegen organisch, selbstorganisierend und spontan. Es existiert keine grundsätzliche Wertigkeit, sondern eine unterschiedliche Überlebensfähigkeit in verschiedenen Situationen. Turbulente, also komplexe sich schnell verändernde Systeme koevolvieren mit eben solchen Kontexten. Zum Überleben bedürfen sie der Fähigkeit zur spontanen Änderung und organischen Selbstorganisation. Stabile Systeme können effizient gemanagt werden, in dem erprobte Muster optimiert werden. Hier reicht das Anpassungslernen aus. Die Bedrohung liegt in der Kontextvariation, die auch plötzlich auftreten kann und damit das effiziente System überfordert. Dann ist das Veränderungslernen notwendig, um sich auf spontane auftretende Neuerungen einstellen zu können. Eine gewisse Multistabilität erlangt eine Organisation erst, wenn sich an metasystemischen Mustern orientiert wird, die aus Deutero-Lernprozessen erwachsen, in denen reflektierend Lernen gelernt wird. Grundsätzlich sind die Umfelder durch zunehmende Turbulenz gekennzeichnet. Turbulenz oder Chaos entstehen aus erhöhter Entwicklungsdynamik unübersichtlicher, vernetzter und komplexer Kontextsituationen. Dabei kann in systemischer Hinsicht nicht von einer Zunahme von Ereignissen gesprochen werden, jedoch, durch die mediale Verknüpfung, von einer Zunahme der Wirkungsintensität. Auch wenn die Anzahl der Ereignisse konstant bliebe, wären mehr Ereignisse spürbar. Auch im Innovationsbereich lassen sich vermehrt solche turbulenten Fluktuationen erkennen. Der modische Wandel beschleunigt und überlagert sich. Viele koexistierende, sich zum Teil widersprechende Wertetrends erschweren dabei die Orientierung und technische Neuerungen revolutionieren die Innovationspraxis und ihre Anwendungsfelder.

Innovationssysteme vs. Routinesysteme Die Kontexte und Situationen, mit denen sich Akteure und Organisationen konfrontiert sehen, können variieren von stabilen, überschaubaren und wohlstrukturierten bis hin zu turbulenten und damit sich verändernden, komplizierten Systemen. Routinesysteme bewähren sich in relativ stabilen Kontexten. Da sich wenig ändert, können Erfahrungen systematisiert und Abläufe standardisiert werden. Der Vorteil liegt hierbei in der effizienten und robusten Ausgestaltung. Routinesysteme sind deshalb besonders in „marktfernen“ Bereichen einsetzbar, wie zum Beispiel der Produktion von Standardprodukten.

9

1.2

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

Innovationssysteme eignen sich besonders für turbulente Kontexte. Sie müssen in marktnahen Bereichen eingesetzt werden, wo es darauf ankommt, schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren oder neue Impulse zu geben. Innovationssysteme sind weniger effizient, da sie Spielräume für die Erprobung von Neuem, zur Kompensation von Unerwartetem und die freie Kreation benötigen. In jeder Unternehmung oder Gruppe werden beide Formen mehr oder minder benötigt. In Designbüros oder Werbeagenturen, die sich auf die Entwicklungen von neuen Produkten oder Kampagnen konzentrieren, werden Innovationssysteme dominieren. In der Produktion eines Serienbausteins können Routinen, die Qualität und Effizienz steigern helfen. In Organisationen ist bei der Gestaltung angemessener Strukturen, Prozesse und der Verhaltensorientierung auf die Charakteristik des Kontextes zu achten.

Abbildung 1-1:

Kontext und System Situation

Turbulenz, Dynamische Komplexität

Substanzielle Unsicherheit

Strukturelle Unsicherheit Risiko

Übersichtlichkeit, geringe Dynamik

Sicherheit, Überschaubarkeit

Entscheidungsfeld Modell Spiele, Sculpturing Soziale Systeme, Fußball Simulationsmodelle Entscheidungsbäume, Schachspiel Monetäre Modelle

Informationsgrundlagen

Prozesse, Methoden

Strukturen

Analoge Methoden, Netzwerkanalysen

Heterarchie Selbstorganisation

Szenarien Simulationen PlanungsRechnungen

Dialogische Bewertung und Entscheidung, Solution Cycle Emergente Methoden Fire fighting Systeme

KER Cash flow etc.

Anweisungssysteme

Projekte und Teams Task forces Experten Projekte Liniensystem Fremdorganisation

Nachfolgend sind die allgemein strukturellen und innovationsspezifischen Problemfelder im Überblick aufgelistet: Ausgangspunkt sind die allgemeinen Umfeldprobleme, die alle gesellschaftlichen Bereiche tangieren. Daraus entwickeln sich Probleme auf den Absatzmärkten. Diese wiederum äußern sich spezifisch in Innovationsprojekten.

10

Die Sphären des Innovations- und Kompetenzmanagements

Abbildung 1-2:

Problemfelder des Innovations- und Kompetenzmanagements

allgemeine Umfeldprobleme:

„ Schneller Wandel und Koexistenz von Trends in Mode, Design und Technik „ Technische und soziale Komplexität „ Wechselseitige Abhängigkeiten „ Ökologische Krisen und Ressourcenverknappung „ Unübersichtlichkeit Marktprobleme:

„ Sättigungseffekte „ Orientierungslosigkeit „ Information Overload und Markenhypertrophie „ Individualisierung des Konsums „ Prosumententrend Spezifische Innovations- und Kompetenzprobleme in Projekten:

„ Mangelnde Kreativität „ Hohe Flopraten „ Mangelnde Koordination „ Innovationsphobien „ Know How und Kompetenz-Defizite „ Lernhemmnisse „ Umweltbelastungen „ Motivationskrisen und Widerstände in Veränderungsprozessen In der unübersichtlichen Situation unserer Gegenwart lassen sich einige allgemeine Entwicklungslinien aufzeigen:

Sozialer und sozio-ökonomischer Wandel Die sozio-ökonomische Entwicklung ist weltweit sehr unterschiedlich ausgeprägt. Eine Tendenz zur Polarisierung der Konsumwelten zeichnet sich ab. Neben einem Trend zu Luxusgütern, einer schrillen Erlebniswelt, entstehen auch Bedürfnisse nach

11

1.2

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

robusten, einfachen und kostengünstigen Produkten (Aldi Prinzip, smart shopping). Es existieren in vielen Bereichen unterschiedliche Trends nebeneinander. Die Konsumenten suchen nach Orientierung und Sicherheit, was sich in wachsender Marken-, Ökologie-, Gesundheits- oder Qualitätsorientierung manifestiert. Daneben gibt es aber auch Nachfrage nach günstigen Convenience Angeboten (Fast Food, Billigreisen). Einige Nutzer versuchen wieder mehr Einfluss auf die Gestaltung zu nehmen, nicht zuletzt, um ein individuelles Produkt zu kreieren. Dieses Phänomen wird auch mit dem Kunstwort „Pro-sument“ beschrieben. Heute ist es für viele schon selbstverständlich, etwa das Fahrrad oder den PC individuell aus einzelnen Komponenten zu gestalten und gestalten zu lassen. Wir leben in einer Informationsgesellschaft, einer Gesellschaft also, in der Service und Kommunikation in den Vordergrund treten. Service Design wird zu einem wichtigen Kommunikations- und Gestaltungselement. Darüber hinaus können die Erkenntnisse der Perzeptionsforschung (Konstruktivismus) zu neuen Gestaltungsüberlegungen führen. Da sich jedes Individuum subjektiv seine Wirklichkeit konstruiert, sollten die Innovationen entweder auf spezifische Wahrnehmungstypen ausgerichtet sein oder multisensual eine Vielzahl sinnlicher Erfahrungen möglich machen, welche die Eigenschaften der Angebote als vorteilhaft erscheinen lassen. Verschiedene Anspruchskomponenten können so zu neuen Bedarfsbündeln kombiniert werden.

Ökologische Entwicklungen und Globalisierung Die globale Umweltkrise erfordert energie- und ressourceneffiziente Produkte. In sogenannten Entwicklungsländern sind funktionale und robuste Lösungen überlebensnotwendig. In den Wohlstandsländern existieren Tendenzen, ökologische Produkte als angenehmen Luxus, als verantwortlichen Konsum (Öko-Ethik) oder zum Kostensparen zu verwenden.13 Insbesondere die Verknappung fossiler Ressourcen wird zur Entwicklung erneuerbare Energie nutzender Innovationen führen. Hier ist an Weiterentwicklungen der Solarenergie, der Windkraft sowie an neue Antriebsformen wie Hybridantriebe, Brennstoffzellen usw. zu denken. Wichtige Stichworte zu diesem Bereich sind auch die Dezentralisierung und Selbstorganisation. Es wird wahrscheinlich immer sinnvoller, dezentral, also nahe am Ort der Nutzung Energie zu gewinnen. Großkraftwerke können lediglich die Grundlast abdecken und es werden dabei sehr lange Leitungswege benötigt, die den Wirkungsrad erheblich reduzieren. Es wird aber auch zu neuen Formen der gemeinschaftlichen Nutzung (Carsharing) und der Kooperation führen. Auch die Initiativen zur dezentralen Entwicklung und 13

12

Bergmann, 1994

Die Sphären des Innovations- und Kompetenzmanagements

Produktion ermöglichen eine eigenständige Entwicklung auch bisher benachteiligter Regionen und Milieus.14 Letztlich ändert sich der Umgang mit der Ressource Zeit. Es gibt deutliche Anzeichen für eine wachsende Bedeutung gegenseitiger Wertschätzung, Aufmerksamkeit und damit eine Entschleunigung der Prozesse, um dem „rasenden Stillstand“ zu entgehen und Zeitsouveränität zurück zu gewinnen.

Technologischer Wandel Unter technologischem Blickwinkel lassen sich vor allem folgende Aspekte hervorheben:

„ Die Konzentration auf Kernkompetenzen wird von Kooperationen begleitet (Small Companies, large Networks). Die Wertschöpfungsketten werden neu konfiguriert (z. B. „Wintel“, Windows und Intel).

„ Die Digitalisierung ermöglicht das gleichzeitige Verkaufen und Behalten, weil Original und Kopie nicht unterscheidbar sind.

„ Die Chancen der Miniaturisierung und Flexibilisierung: Das Konzept des Form Follows Function wird durch die Mikrochip-Technologie geradezu ad absurdum geführt. Es ergeben sich ideale Freiheitsgrade ergonomischer, metaphorischer und ästhetischer Gestaltung. Gerade Geräte mit hohen technologischem Standard können frei von ihrer eigentlichen Aufgabe geformt, mit anderen Elementen kombiniert und damit verständlicher und benutzerfreundlicher gestaltet werden. Diese Überlegungen werden vor allem unter dem Begriff des Interface-Designs und Interaction-Designs diskutiert: Computer als Teilelemente von Produkten befähigen zur vereinfachten analogen Eingabe und Interpretation ungenauer Anforderungen (Fuzzy Logic). In der visuellen Kommunikation ist das Ende der Mechanik eingeläutet. DesktopPublishing-Anwendungen ermöglichen heute nicht nur die kostengünstige, schnelle und kreative graphische Gestaltung, sie haben zugleich die Entwicklung zur digitalen und immateriellen Produktion eingeleitet. Satz, Layout, aber auch Repro und Belichtung werden darum neu konzipiert. Eine vorläufige Endstufe bildet die direkte Verknüpfung von digitalen Daten mit der digital gesteuerten Druckmaschine (Computer to plate). Die Verschmelzung verschiedener Medien und Technologien führt zu vollkommen neuen Angebots- und Vertriebsstrategien. So fusioniert der PC zunehmend mit multimedialen Geräten wie dem Fernsehen und der Internetschnittstelle.

14

Vgl. F. Bergmann 2004

13

1.2

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

Neue Technologien lösen zudem den Trade-off zwischen Vielfalt und Aufwand, beziehungsweise Umweltschonung, teilweise auf. Durch Simulation kann eine ressourcensparende und fehlerselektierende Vorauswahl und Veränderung vorgenommen werden. Die Tendenz zum Software-Design lässt eine Immaterialisierung und flexible Variation zu. „Time to market“, so heißt die neue Messgröße im Innovationsprozess. Das Setzen von Standards und die schnelle Kundenbindung (Follow the Free) erlangen überragende Bedeutung. Es müssen sehr schnell die kritischen Massen erreicht werden. Überfluss, nicht Knappheit steigert den Wert. CAD-Technologien ermöglichen ein beschleunigtes und zugleich integratives Vorgehen. Individuelle Gestaltungswünsche können dabei ohne großen Zusatzaufwand berücksichtigt werden. Der Konsument kann sich als Mitgestalter oder Prosument betätigen. Design und Fertigung werden flexibel und variabel strukturiert und ermöglichen die „Losgröße 1“. Dabei werden Kostenführerschaft und Differenzierung kombiniert (Mass Costumization). Die Neuen Medien ermöglichen einen intensiven und direkten Dialog mit den Kunden (Einkauf am Bildschirm). Die unmittelbare Response unterstützt das Interaktionsmarketing im Sinne der Vernetzung, Kooperation und Kommunikation. So verschmelzen die Sphären von Anbieter und Kunde zunehmend. Die Anzahl der Informationsquellen und -arten nimmt heute dramatisch zu. In der Vielfalt virtueller Welten verschwimmen Realität und Fiktion. Vor allem Bilder prägen die Wahrnehmung: „Ich sehe, also bin ich“, müsste man in modernster Übertragung der Cartesianischen Philosophie („Ich denke, also bin ich“) sagen. In der multimedialen Informations- und Erlebnisflut werden Orientierung, Identifikation und Reduktion zu dringenden Bedürfnissen. So entstehen virtuelle Formen der Kooperation in räumlicher Distanz und zugleich ein Bedürfnis nach intensivem, persönlichem Austausch. Es bilden sich vollkommen neuartige Inventions- und Innovationsbereiche aus. Die besonders bedeutenden Technologien sind die Biotechnologie, der Komplex Multimedia/Telekommunikation/Internet und die Lasertechnik. In diesen Bereichen ergeben sich sehr schnelle und auch von Fachleuten kaum vorhersehbare Entwicklungen. Neben etablierten Konzernen engagieren sich mit Venture Capital vor allem Newcomer auf diesem risikoreichen Gebieten (Neue Märkte). Es ergeben sich insbesondere Schwierigkeiten in den Seed-Phasen, wo noch kein ökonomischer Erfolg erkennbar ist. Zahlreiche neue Patente und weitere Schutzrechte bieten ein Reservoir an Möglichkeiten, neue Produkte zu entwickeln.

Globaler Wandel Gegenwärtig wachsen die internationalen Märkte enger zusammen und münden in einer verstärkten Interdependenz und Vernetzung. Gleichzeitig zeigt sich aber auch 14

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

ein Trend zur Regionalisierung und Individualisierung der Werte, Interessen und Ansprüche. Innovative Unternehmen müssen sich also auf die Märkte einstellen, können aber Besonderheiten als Beschaffungsquellen und Marktnischen nutzen. Durch die Verknüpfung der Sphären entstehen globale Zielgruppen, die weltweit ähnliche Lebensstile pflegen. Parallel dazu entdecken Völker und ethnische Gruppen ihre Traditionen neu, besinnen sich auf regionale Qualitäten und auch individuelle Werte. Die globale Vernetzung führt bei uns zur notwendigen Veränderung in eine Dienstleistungs- und Hochtechnologie-Gesellschaft. Die politischen Grenzen scheinen sich immer mehr aufzuweichen. Es entstehen weltweite Bündnisse und Kooperationen in Form von Strategischen Allianzen, Netzwerken und Joint Ventures.

1.3

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

Innovative Entwicklungen werden oft durch die Kunst beziehungsweise Künstler angestoßen, die ästhetische Irritationen erzeugen. So entsteht ein fruchtbares Spannungsfeld zwischen Kunst und Wirtschaft, aus dem neue Wahrnehmungsweisen, Sicht- und Hörweisen entstehen. Kurz wollen wir erläutern, wie die Entwicklung der Formensprachen fortschreiten könnte.

1.3.1

Vom »Auch« zum »Und«?

Vielleicht befinden wir uns in einem Epochenwandel: Weg vom Entweder-oder, hin zum „Und“. Weg von der einheitlichen Zentralität zur ausgewogenen Ganzheit. Schon 1955 hat der Künstler Wassily Kandinsky einen Aufsatz zum „Und“ veröffentlicht, in dem er beschreibt, dass das 19. Jahrhundert vom „Entweder-oder“ geprägt war und das 20. Jahrhundert den Übergang zum „Und“ bildet.15 Mit der modernen Gesellschaft hält sich aber die Tendenz zum „Entweder-oder“ noch beharrlich. Einzelne Persönlichkeiten dominieren Betriebe, prägen die Kunst oder lenken Staaten. Baumeister prägen ganze Stadtbilder nach einem Formenkanon. Nun scheint sich ein Wandel langsam zu vollziehen, weil das einseitige „Entweder-oder“ in chaotischer Welt nicht mehr durchhaltbar ist. Erst sehr spät im ausgehenden 20. Jahrhundert drängt sich die Vielfalt des „Und“ in den Vordergrund. Autoritäten werden relativiert, Nebengötter akzeptiert, die gesamte Gesellschaft pluralisiert. Die Addition, die Vervielfachung des Gleichen steigert sich 15

Vgl. W. Kandinsky, 1955 und G. Bergmann, 1996

15

1.3

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

zum Rausch und zum Rauschen der Postmoderne. Ein Lärm um nichts, ein Aufbruch, neue Freiheiten, Gleichzeitigkeit der Phänomene, unverbindlich unverbunden. Zunächst kann von einem „Auch“ gesprochen werden: „Das gibts auch noch und was hätten sie sonst noch im Programm?“ Es ist eher eine Addition vieler Dinge, als eine differenzierte Heterogenität zu beobachten. Es existiert kaum mehr der Impetus des Erfinders, Gestalters und Pioniers, sondern die Diktatur der aktuellen Nachfrage oder Quote. Alles ist möglich, anything goes. Kein Mode- oder Designdiktat ist mehr wirksam, aber auch es tauchen auch keine faszinierenden Neuigkeiten auf. Das Einerlei wird zu jeder Zeit, in jeder Menge, auch ungefragt, aber nicht originell präsentiert. „Auch“ ist kein Bindewort. Es deutet auf Vielfalt ohne inneren Zusammenhang, während „Und“ als Bindewort gerade die Verbindung herstellt. Aus der wahllosen Vielheit erwächst damit die systemische Vernetzung der Dinge. Jedoch kann man die üppigen Optionen nicht mehr wahrnehmen, er oder sie leben in der ständigen Gefahr, das gerade „Angesagte“ zu verpassen. Gerade in dieser Situation könnte eine strukturierte, differenzierte Vielfalt des „Und“ fehlen. Eine Verbindung und Verknüpfung der fraktal zersplitterten Sphären. Erkenntnisse und Erfahrungen könnten neue Orientierung geben. So wäre das „Und“ nicht als aufzählendes Auch, sondern als verbindendes „Und“ denkbar. Vielleicht dialektisch kontrastreich, aber in einer ergänzenden Verbindung befindlich. In der cartesianischen Tradition des wissenschaftlichen Denkens trennen wir Geist und Physis, obwohl dies nicht trennbare Phänomene sind. Wahrheiten werden objektiv formuliert, die Wahrnehmungen der Vielen auf eine gültige Wahrheit reduziert. Hier dominiert das Entweder-oder und wird zuweilen zum Auch der nebeneinander agierenden Spezialisten gewandelt. Wirkliche Zusammenhänge in systemisch ganzheitlicher Form bleiben ungenutzt.

1.3.2

Wie ist die Geschichte der Einseitigkeit abgelaufen?

Man kann die Kunstgeschichte bemühen, um diesen Wandel nachzuzeichnen: Die Moderne war gekennzeichnet durch den oft ideologisch anmutenden Willen zur Einheit. Viele Künstler und Gestalter wollten Theorien und Schulen formen. Mit der Postmoderne ist dieser monistische Drang aufgebrochen worden. Vielfalt und Aufbruch sind die Kennzeichen, wenn auch beliebige Wahllosigkeit einsetzte. Erst mit einer revidierten Moderne können wir eine differenzierte und strukturierte Vielfalt wiederfinden, wo das „Und“ als individuelle Gestaltung für den Sinn und die Sinnlichkeit der jeweiligen Situation oder der Beteiligten wiedergefunden wird. Aus der üppigen Vielfalt ist immer wieder eine einseitige Scheibe herausgeschnitten worden, um später aus perfekten Systemen Umerziehungen, Guillotinierungen und Straflager zu begründen. Einheitliche Systeme bedürfen der Kontrolle von Grenzen. Vielfalt und Andersartigkeit gilt als bedrohlich. Immer wieder gab es Bestrebungen der Vereinheitlichung und Grenzsetzung (bzw. Ausgrenzung).

16

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

Mit dem „Und“ treten aber auch Unschärfen, Vielfalt und Unordnung auf. Die Unschärfen des „Und“ sind das Thema unserer chaotischen Welt, unseres turbulenten Kontextes. Das „Und“ nicht verstanden als quantitative Addition im Sinne des „Mehr desselben" oder „Weiter so“, sondern als Aufblätterung der Vereinheitlichung. Vielleicht auch als Chance der neuen Gleichmacherei des Kapitalismus zu entgehen, wie sie in Form langweiliger, weil überall gleicher „Erlebnisermüdungen“, Gebäudeleitsysteme, Fastfood-Ketten und verordneter übermoderner Einheits-Architektur daherkommt. Die neue Gleichmacherei erscheint in vielen Gewändern: Zum Beispiel in Form der Standards und Vorschriften. Man denke nur an Traufhöhen, Giebelschrägen, Pfannenfarben usw. „Muzak" nennt man die allgegenwärtige „Bedudelungsmusik“ im öffentlichen Raum. Klassik, Schlager, Jazz und Pop werden zu einem entropischen Brei vermischt, der für ein anspruchsvolles Ohr unerträglich wird. Als Öko-Audit, Qualitätsrichtlinie, Umweltverträglichkeitsprüfung wird ebenfalls vieles über einen Leisten geschlagen und somit die Einzigartigkeit in Vielfalt vermieden. Die Medien versinken im wahllosen Einerlei, die Franchiseketten bieten von Siegen bis Hamburg das gleiche Programm in additiver, einfältiger Vielzahl. City-Centers glänzen alle mit den gleichen Installationen, durchrationalisierte Dorfgaststätten werden mit grauem Plastik und Spiegelverglasungen unschön vereinheitlicht. Springbrunnen und Glasaufzüge „verunschmücken“ Einrichtungshäuser. Die Sinnlichkeit und Individualität geraten ins Abseits, obwohl viel von individualisierten Angeboten und one to one Marketing die Rede ist.

1.3.3

Der sozio-kulturelle Wandel: Von der Moderne bis zur ReVision

In langen Wellen habe sich über die Jahrhunderte verschiedene Stile und Formensprachen abgewechselt. Die Zyklen der Veränderung verkürzten sich dabei zusehends. Man denke nur an die lange Periode der Gotik und die aktuell geradezu flirrende Vielfalt paralleler Stile. Nach der neuzeitlichen Entwicklung zur Moderne sollen wir uns – nun seit etwa 30 Jahren – in der Postmoderne befinden. In der folgenden Abbildung ist diese Entwicklung skizziert. Das stilistische Pendel schwenkte zwischen Stringenz und arabesker Verzierung hin und her. Die Zyklen verkürzten sich, bis heute ist eine Koexistenz konträrer Stilrichtungen festzustellen.16 In der Postmoderne wurde die Stringenz der Moderne durch sprühende Vielfalt, Zitate und Metaphern ersetzt. Jeder wurde zum Künstler ernannt (Beuys) und Warhol deklamierte: „All is pretty“. Neben vielen neuen interessanten Ansätzen kann man dabei aber einen hartnäckigen Trend erkennen: Beliebigkeit und Oberflächlichkeit 16

Vgl. genauere Darstellung in G. Bergmann, 1994. Vgl. auch J. Huber,1986 zu der alternierenden Entwicklung in der Stil- und Kulturentwicklung

17

1.3

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

verkaufen sich gut in Zeiten der allgemeinen Verunsicherung und „Fun“-Kultur. Die „Mc Donaldisierung“ und belanglose Beliebigkeit koexistieren mit einer zweiten (revidierten) Moderne, die zunehmend die beliebige Banalität durch bewusste Pluralität ergänzt. Pluralität wird dabei nicht als manierierte Oberflächenschmückung und „Verhübschung“, sondern als differenzierte und an Mustern orientierte strukturierte Vielfalt verstanden. Damit wird die Modernisierung selbstreflexiv. Ihre Erfolge erweisen sich vielfach als Irrwege und so kann die Postmoderne als Übergangsphase zu einer neuen Kulturepoche interpretiert werden. Versuchen wir es noch einmal chronologisch:

1.3.3.1

Die Moderne: Erstarrte Entwicklung

Die Moderne ist die Beschreibung einer ästhetisch philosophisch ökonomischen Epoche. Allerdings lässt sie sich kaum exakt zeitlich und inhaltlich beschreiben. Es existiert kein einheitlicher Normen- und Formenkanon. Am ehesten ist die Moderne mit den epochalen Wandlungen seit dem Beginn der Neuzeit in Europa zu identifizieren. Sie ist mit der Abkehr von religiösen Dominanzen und der damit verbundenen geistigen Neuorientierung verknüpft. In der Kunst stehen die späten Werke des spanischen Malers Goya für das erste Indiz einer neuen Zeit. Erstmals wird die Zukunft als prinzipiell offen und unübersichtlich erfahren. Daraus resultiert die kritisch krisenhafte Bewusstheit. Die Entwertung der Erfahrung und das Schwinden fester Sinnbezüge sind charakteristisch. Es verschwinden die klaren objektiven Maßstäbe und Kategorien. Die Aufklärung besiegte den (Aber)Glauben, gaukelte Gewißheit und exakte Wahrheiten vor, löste die Fesseln, führte aber auch zur allgemeinen Verunsicherung und Desorientierung. Realismus, Romantik, das Fragmentarische und Ironische sind alles Konzepte der Moderne, die sich in zeitlicher Folge aneinanderreihen.17 Die Moderne begann chaotisch in der Renaissance, um dann immer klarere Formen anzunehmen. Es wechselten sich verschiedene Stile in zeitlicher Reihenfolge ab, die inhaltlich zum Teil sehr unterschiedliche Konzepte aufwiesen. Erst im 20. Jahrhundert und genauer gesagt nach dem 1. Weltkrieg bildete sich ein klarer Formenkanon heraus, der sich über die Kunst, Architektur bis hin zum Design erstreckte. Die Architektur und das Design fanden nach vielen widersprüchlichen Zyklen zu einer immer klareren Form. Letztlich mündete die Moderne in strengen Richtlinien und planbaren Konzeptionen (Bauhaus, Funktionalismus) und fühlte sich der permanenten Innovation und Evolution verpflichtet. Die Linearität des Denkens und Handelns wird später von der Postmoderne aufgelöst. Zunächst bildet sich jedoch eine kritische Variante heraus. Die Antimoderne wächst in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts mit der zunehmenden Stringenz und Einseitigkeit heran. Mit der Arte Povera werden Formen provokativ inszeniert und neue Fragen gestellt. Die Concept Art kreierte die konzeptionelle Installation. Moderne Kunst wird letztlich sogar häßlich und grotesk und provokativ. Je klarer und 17

18

Vgl. besonders P. Burke, 1986

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

eindeutiger die Stile wurden, desto mehr grenzte sich die Avantgarde ab. Design und Architektur folgten, da sie mehr von der Ökonomie bestimmt und abhängig sind, dem modernen Weg zunächst weiter. Die Moderne erlahmte und erstarrte. Kunst kam so ihrer Funktion als schöpferische Irritation nicht mehr nach.

1.3.3.2

Die Postmoderne: Entropische Entwicklung

Die Postmoderne ist ein Sammelbegriff für diverse aktuelle Trends und Tendenzen in der Kunst, der Architektur, dem Design und der Philosophie und weniger eine Bezeichnung einer klar definierbaren Epoche. Ihre inhaltliche Orientierung gewinnt die Postmoderne aus ihrem kritischen Verhältnis zur Moderne. Im Gegensatz zur Moderne werden hierbei nicht der Glauben an das stetige lineare Wachstum, sondern eher dessen Grenzen betont. Die Postmoderne äußert sich in einem üppigen Stil- und Formenpluralismus und hat die Kategorien avantgardistisch, traditionell beziehungsweise epigonal überholt. An die Stelle der historischen Entwicklung tritt das Zitat und die Metapher. Die Fragmentierung, die Auflösung des Formenkanons, Ironie und ein Hang zum Karnevalismus sind ebenso Kennzeichen, wie der Verlust an Tiefe, die IchBezogenheit und die allgemeine Unbestimmtheit. Als typische Beispiele sind das um 1970 startende Memphis Design, der Dekonstruktivismus und beliebige Paradoxien zu nennen. Die Syntropie, also Werthaltigkeit und Ökologie spielt in diesen Ansätzen noch keine große Rolle. Die Postmoderne ist aus den pluralistischen und funktionalistischen Vorläufern als bunter oft spielerischer Gegenentwurf zu erklären. Sie sprengt die engen Grenzen und Vorschriften, erweitert den Vernunftbegriff und schafft neue Spielräume. Sie kann hingegen noch nicht als neue Epoche bezeichnet werden. Wahrscheinlich ist die Postmoderne vielmehr ein Übergang zu einer neuen Epoche, ein Aufbruch ohne klare Orientierung. Deswegen ist es auch sehr schwierig, über zukünftige Entwicklungen zu spekulieren. Die Optionen sind zahlreich und noch dominiert keiner der Subtrends. Einen ähnlichen Zwischentrend hat es mit dem Manierismus zwischen der Renaissance und dem Barock schon einmal gegeben (1520–1650). Die Übersteigerung der Wirklichkeit, Verzerrungen der Perspektive und das Interesse am Problematischen haben den Begriff geprägt. Noch heute werden überzogene selbstverliebte Gestaltungen als manieristisch bezeichnet. Wahrscheinlich wird es der Postmoderne genau so ergehen. Der Manierismus war in seiner Unschlüssigkeit zwischen Anklage und Angst, Rebellion und Weltflucht ein Ausdruck krisenhafter Gesellschaftszustände und einem Übergang zu einer neuen Epoche, eben der Moderne. Die Postmoderne hat wieder neue Entwicklungen ausgelöst, aber noch sind die Ergebnisse als eher entropisch18 zu werten. Die Vielfalt ist beliebig, wenig brauchbar und manieriert. Sie dient der Zerstreuung und „verschlimmbessert“ mehr als sie verschönt und löst. Sie kann 18

Der Begriff Entropie entstand der Thermodynamik. Es handelt sich um einen Prozess der Vereinheitlichung. Syntropie ist der wertschaffende Prozess. Vgl. Darstellung bei G. Bergmann, 2001, S. 220

19

1.3

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

lediglich als Aufbruchs- und Umbruchsphase gesehen werden. Ein Konzept und Sinn sind kaum erkennbar. Die Sinnlichkeit wird im schrillem „Alles jetzt und gleich“ ertränkt. Aus der Dialektik von Moderne und Postmoderne erwächst so vielleicht die Syntropie einer revidierten Idee. Es lässt sich ein Entwicklungsmuster erkennen. Der Aufbruch aus dem alten Paradigma beginnt mit entropischer Vielfalt, die wahrscheinlich zu größerer Differenziertheit und Struktur tendiert.

1.3.3.3

Die ReVision der Moderne: Sinnlich Syntropische Entwicklung?

Die Revision soll die Verbindung von Erfahrung und Erneuerung beschreiben. Auf der Basis von guter Erfahrung werden Innovationen entwickelt, die speziell auf Nutzer ausgerichtet sind. Herkunft und Zukunft werden verknüpft, um ein Lernen zweiter Ordnung zu realisieren. Insofern erscheint es sinnvoll, die Wirkungen der Moderne und die Kritik daran zu nutzen, um ein Modell einer syntropischen Entwicklung zu skizzieren. Sinnlich syntropische Entwicklung heißt dann, die Gestaltungen werthaltig und in Bezug auf individuelle Sinnespräferenzen auszurichten. Wer die Prinzipien der Moderne verficht, muss zunächst einmal die Ästhetik des Funktionalismus beschreiben. Aus der Funktion ergibt sich keine Legitimation. Alles, was gut funktioniert, ist deshalb noch nicht gut. Die Parole vom form follows function klingt absurd und kann sich unsinnig auswirken. Außerdem existiert kein eindeutiger technischer Fortschritt mehr. Die Anwendungen und Innovationsbereiche sind wahllos dominiert durch wirtschaftliche Interessen und zumeist durch diejenigen, die das Alte in etwa erhalten oder gar rekonstruieren wollen. Es wird nicht entwickelt, sondern krampfhaft erhalten. Die engen Rahmenbedingungen des Bauens und Gestaltens kanalisieren in der Tat. Von freiem Entwurf kann kaum die Rede sein. Vielmehr zeichnet sich der kreative Innovator durch die geschickte Umgehung der Restriktionen wie Bauvorschriften, Budgets, Corporate Designs etc aus. Banale Serienproduktion, typisiert zugunsten niedriger Kosten und niedrigen Zeitverbrauchs verdrängt die eigenständige Gestaltung. Dabei ist das Mass Customization, also die spezielle Ausrichtung von Produkten auf der Grundlage systematischer und serieller Modulfertigung schon in einigen Teilen der Industrie gute Praxis. Kritischer Antimodernismus existiert praktisch nicht mehr, weil er keine ökonomische Relevanz besitzt. Erst wenn die Unternehmen merken, dass sich inhumane Artefakte erfolgsmindernd auswirken, werden Alternativen eine Chance bekommen. An diesem Wendepunkt stehen wir heute. Nach den Zeiten der „Sklaverei“ erscheint der Silberstreif der gestalterischen Freiheit am Horizont. Die Entfernung zwischen Möglichkeiten im Entwurf und den realen Ergebnissen ist zu groß geworden. Nutzer nehmen schon allein aus ökonomischen Gründen mehr Einfluss und wollen die Gestaltungen mit den Erfordernissen der Zukunft in Deckung bringen. Ein Produkt verliert an Wert, wenn es nicht den Zeiterfordernissen entspricht oder durch Veränderung entsprechen kann.

20

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

Beispiele aus der Architektur: Da wo Politik und Wirtschaft eine unheilige Allianz eingehen, entsteht die steinerne oder besser gesagt versteinerte Stadt. Große Machtgebilde formen gemäß ihrer Ideologie: monumental, machtvoll, unmenschlich. Wenn in der Moderne die Trennung von Raum und Zeit durch eine einheitliche Zeitrechnung ermöglicht wurde und dadurch lokale Bindungen radikal aufgelöst und Menschen orientierungslos entwurzelt wurden, so wird in Zukunft eine neue Orientierung anhand zeitstabiler Muster erarbeitet werden können. Es ist zu erwarten, dass der alte Topos von der Geschichte als Lehrmeisterin genauso schwindet wie der naive Fortschrittsoptimismus. Traditionen erscheinen als kostümierte Erinnerung, subjektive Erfahrungen haben geringere Bedeutung. Es wird vielmehr an archetypischen Strukturen angeknüpft, die allen Menschen zugänglich sind und immer Geltung hatten. Sie können als kollektive Urerfahrung bezeichnet werden. Ein Bündel von Trends und Entwicklungen wird zugleich wirksam in einer ambivalenten Gleichzeitigkeit vieler Dinge und Erkenntnisse. Dabei wird nicht das beliebige „anything goes“, „jeder ist und kann alles“ gepredigt, sondern es wird mehr Gleichberechtigung herrschen. Wissenschaft hat nicht per se recht und keine privilegierte Stellung mehr. Es sind nicht alle Künstler, es gibt aber mehr Formen der Kunst und der Lebensstile nebeneinander. Die zweite Moderne kann die Moderne revidieren und formt differenzierte Strukturen aus der postmodernen beliebigen Vielfalt.19 Sie bleibt plural, aber mit Struktur und Sinn. Im gleichen Zuge mit den zerbröckelnden Großgebilden, bersten auch die verbindlichen Formensprachen. Die Vertikale wird durch die Horizontale in der Architektur relativiert. Diese Entwicklung entspricht der zunehmenden Dezentralität und Heterarchie. Solare Vernetzungen schmiegen sich in den Kontext. Organische Formen und Gestaltungen passen sich den jeweiligen Erfordernissen an, temporäre Strukturen wandeln sich. Die Sphären aus Gewerbe, Wohnen und Konsum verschmelzen zu einer Einheit. Die schroffe Vertikale wird durch horizontale Dynamik abgelöst. Architektur ragt nicht mehr nur empor, sondern wendet sich zu und lädt ein. Aus monumentalen Palästen werden flexible „Zelte“ gemäß den organischen Strukturen im Wirtschaftsleben. Beispielsweise weisen die revidiert modernen Gebäude eine klare Struktur auf, spielen mit Farben, aber es wird nicht wahllos dekoriert und zitiert. Es zeigen sich erste Anzeichen, dass eine syntropische Entwicklung möglich ist, wie sie schon in den 70er Jahren von C. Alexander in seiner Pattern Language skizziert wurde.20 Es entsteht eine sinnvolle Differenzierung. Beispiele sind der ökologische Funktionalismus, die mittelalterliche Symbolik und die sinnlich natürliche Ästhetik mit arabesken Andeutungen. Die Formensprache orientiert sich damit zunehmend an sinnlicher Symbolik, klarer Struktur, reflektierter Ernsthaftigkeit und dem Vorbild der Natur.21

19 20

Vgl. U. Beck, 1993 Alexander, C., Ishikawa, S., Silverstein, M.C.: A Pattern Language 1977 21 Vgl. Bei Boccola, S. ,1995 insbesondere Arte Povera und Concept Art

21

1.3

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

1.3.4

Neue Lebensstile und Formen – Zwischen Askese und Sinnlichkeit22

Die skizzierten Spielregeln (Best Patterns) und Persönlichkeitsbilder (Brain Map) bilden das Gerüst einer neuen revidierten Formensprache und veränderter Lebensstile, die sich strukturiert vielfältig entwickeln, also sich auf individuelle Ansprüche beziehen und damit eine strukturierte, differenzierte Vielfalt ausbilden. Ökologie, Selbstorganisation, Vielfalt, Identität, Menschlichkeit, Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit, Gebrauchsfähigkeit, Verständlichkeit, Echtheit (Authentizität) und Differenziertheit bilden dabei wichtige Eckpunkte. Sinnlichkeit und Askese finden zu einer natürlichen Symbiose. Vor der Moderne gab es kaum häßliche Dinge. Die Gestaltung orientierte sich an Nützlichkeit und Natur. Zudem bestand bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ein allgemeiner Formenkanon, der auch weniger talentierten Gestaltern die Möglichkeit gab, sich an Mustern und Regeln der Ästhetik zu orientieren. Heute stehen sich das maßlose Massendesign auf der einen und die Unikatorientierung der Avantgarde auf der anderen Seite gegenüber. Die Formensprache der Zukunft kann in ihren Grundlinien beschrieben werden: Sie wird sich syntropisch entwickeln und sinnlich orientiert sein. Sie entspricht damit einer fast naturgemäßen Erwartung und Hoffnung. Gegenwärtig sind viele Gebrauchswerte zu reinen Tauschwerten mutiert. „Die ureigensten Bedürfnisse, und die beseelte Arbeit des Handwerkers müssen dafür getilgt werden. Erst wenn die Dinge nur noch reine abstrakte Warenformen sind, kann ihnen der jeweilig gewünschte Zweck wieder eingehaucht werden(...)“, sagte schon Karl Marx. Doch dieser Pseudo-Sinn der Produkte lässt die Nützlichkeit und die Sinnlichkeit vermissen. Jeder flüchtet sich mit seinen Dingen in seine Welt und entfremdet sich dabei von den Anderen. Der Widerspruch zwischen Ich und Welt, zwischen Individuum und Masse, Kunst und Design wird immer größer. Waren die Funktionalisten noch auf eine serielle Massenproduktion aus, die allen die schönen Dinge zugänglich macht, wird heute nur noch eine schillernde Erlebniswelt propagiert. Die Funktionalisten haben sich in die profane Welt der Fabrikleuchten, Heizkörper und Normschreibplätze zurückgezogen, während die postmodernen Stardesigner die diversen Lifestyles ausstatten. Dieses „verhübschte“ Individualdesign schreitet derweil fort in alle Ritzen der Existenz. Eigentlich angetreten, um für mehr Offenheit und Entwicklung zu sorgen, werden heute Gebrauchsgegenstände mit einem manierierten Expressionismus überzogen. Aufdringlich und beliebig, unverschämt und höchst umweltschädlich verurteilt sich diese überzogene und üppige Gestaltung selbst. Design substituiert die Aura des Originals. Design degeneriert zum Styling, dient der Verhübschung des Lebens der happy few. Nette Gegenstände verklären die Realität für Viele: Jedem seine Türklinke, jedem sein Designerbett. Täuschung und dann Enttäuschung (kognitive Dissonanz) sind die Folge. Der Formenkanon ist im eigensinnigen Rausch verloren gegangen. In Zukunft wird die Entropie belangloser 22 Zukunftsweisende und ungewöhnlich interessante Ideen sind bei O. Aicher 1991 zu finden

22

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

Beliebigkeit wahrscheinlich zunehmend durch eine sinnliche, sich entwickelnde und syntropische Gestaltung ergänzt. Es wird eine Renaissance der guten, nützlichen Dinge geben und teilweise hat sie schon begonnen. Die Gleichzeitigkeit resultiert aus der Tendenz zum Gegenpol des Gegenwärtigen. Bedürfnisse und Technologie müssen in Einklang gebracht werden. Es wird nicht alles gebraucht, was technisch möglich ist. Zukünftige Produkte werden immateriell, dienlich, nützlich, gebrauchbar und langlebig sein. Dinge werden genutzt werden soweit sie Nutzen stiften, aber nicht unbedingt in das Eigentum überführt. Nutzen statt besitzen ist die Devise. Was soll man Risiken, Mühen und Kosten des Eigentums tragen, wenn es möglich ist, das gerade geeignete Produkt fallweise zu leihen? Warum sollte der Nutzer ewig passiv bleiben? Eine zukünftige Gestaltung sollte Veränderung im Laufe der Zeit erleichtern. Sie wird dadurch fehlerfreundlich und kann sich fortentwickeln.

1.3.5

Der Ursprung ist das Ziel

Mit zunehmender Virtualisierung, Abstraktion und Bindungslosigkeit suchen wir nach Ursprünglichem, Echtem, Authentischem und nach Identität. Insofern hat Karl Kraus recht mit seinem Spruch „der Ursprung ist das Ziel.“ Es wird nach Verknüpfungen und Wurzeln gesucht, gerade in einer Zeit, die wenig Orientierung gibt. Als wesentliche Aspekte der zukünftigen Formensprache (vielleicht eines neuen Formenkanons) lassen sich folgende festhalten: Die Formen werden ursprünglich, archaisch, folgen ökologischen Regeln, lehnen sich an die Natur an (Bionik), zeugen von Charakter und Echtheit, sind eher inexakt, spielerisch und unscharf, sprechen eine verständliche Sprache, sind damit fehlerfreundlich, unaufdringlich und eher aufheiternd. Formen werden vom Inhalt sprechen ohne reine Anzeichenfunktionen zu übernehmen. Die Symbolsprache (Konnotationen) wird große Bedeutung erlangen. Im übrigen werden viele Formen nebeneinander existieren. Eine Prognose lässt sich zudem wagen: Es wird ernsthafte Überlegungen zu einer bedürfnisgerechten Gestaltung geben. Die Formensprache muss also neben den allgemeinen Trends auch differenziert auf Persönlichkeitsbilder (Brain Map) bezogen werden.

1.3.6

Die möglichen Entwicklungen der Formensprache

Hier folgen Beschreibungen von Gestaltungsrichtungen, die schon teilweise verwirklicht wurden sowie von ästhetischer Neuorientierungen, die in der Diskussion erst langsam an Bedeutung gewinnen.

23

1.3

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

1.3.6.1

Ganzheitsgestaltungen – Die Sphären finden auf der „Piazza“ wieder zusammen

Ursprünglich waren Räume und Gebäude für sehr viele Zwecke zu verwenden. Es existierte noch eine Einheit zwischen Leben und Arbeiten. Im Zuge der Modernisierung sind die Bereiche immer mehr differenziert worden nach Funktionen. LeCorbusier träumte noch von der differenzierten Stadt, heute ist sie erschreckende Wirklichkeit. Es gibt spezielle Gebäude und Bereiche für bestimmte Zwecke. Häuser für das Singen, für das Tanzen, das Rechtsprechen, fürs Kaffeetrinken, Einkaufen usw. Die Bereiche für Freizeit, Einkaufen, Arbeiten etc. wurden künstlich getrennt. Die Differenzierung aller Lebensbereiche (wie auch in der Wissenschaft) hat zu Spezialistentum und Vereinzelung geführt. Das Trennen und Sezieren hat die Sinnlichkeit reduziert und gewaltige gesellschaftliche und ökologische Probleme evoziert. Heute kann jeder mit jedem kommunizieren und trotzdem trifft man sich sehr wenig – keiner hat Zeit. Der Individualist ist lost in cyberspace und sehnt sich nach unmittelbarem Austausch. Wir müssen mühsam unsere Einkäufe und Sportaktivitäten auf der grünen Wiese erledigen, haben Transportprobleme, verlieren Zeit und fühlen uns im Massentrubel eher gestresst. Gerade wegen der Sphärentrennung entstehen Probleme. Zukünftige Architektur müsste zur Ganzheit zurückfinden und damit diese Mobilitätserfordernisse reduzieren. Es ist durchaus denkbar, dass wir in Zukunft mehr verweilen, weil wir alles von zuhause erledigen können und körperlich mobil werden, um uns mit interessanten Menschen zu treffen. Eine Wiederentdeckung der Piazzakultur23 könnte die angenehme Folge sein. Der Architekturkritiker Cristopher Alexander zeigt in seiner Mustersammlung gelungener Architektur und Stadtplanung auf den Nutzen informaler Anziehungs- und Treffpunkte. In unmittelbarer Nachbarschaft dienen Plätze, Treffpunkte oder das Village Green als Tauschbörsen und Verständigungsorte, welche die Lebensqualität erhöhen und das Zusammenleben koordinieren helfen.

1.3.6.2

Reurbanisierung

Mit Reurbanisierung ist die Wiedereingliederung von städtischen Vierteln gemeint, die eine längere Zeit zum Beispiel industriell genutzt wurden und nun wieder für Wohnungen und Kleingewerbe aufbereitet werden. Dafür existieren viele Beispiele wie der Technologiepark in Gelsenkirchen oder die Hafenbebauung in Amsterdam. Dort hat man sich zum Beispiel einen an tradierten Vorbildern anknüpfenden Stil genutzt. Strukturierendes Material (Backstein und Zedernholz) und die Integration bestehender Gebäude, verleihen dem Gebäude eine unmittelbare Verbindung. So könnte man beispielsweise die behutsame Bautechnik des Architekten Peter Zumthor bezeichnen. Er versucht sich in das Bestehende einzufühlen und behutsame Ergänzungen oder Neuschöpfungen zu gestalten, die aber in engem Bezug zum Umfeld

23

24

Die italienische „Piazza“ ist der Ort des Informationsaustausches, des spontanen Kontaktes und Austausches

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

entstehen. So findet er in Dialogen zu anschlußfähigen Architekturen und nutz die Erfahrung.24

1.3.6.3

Temporäre und situative Gestaltungen – Zelte statt Paläste

Die Entwicklung und Veränderung von Gestaltungen in der Zeit wird am besten durch temporäre Objekte realisiert. Büros werden nicht mehr auf Dauer errichtet, sondern nur auf Zeit genutzt. Entweder die Büros werden umgebaut oder von verschiedenen Gruppen genutzt. Wenn es technologisch möglich ist, über große Distanzen zu kommunizieren, können Treffpunkte auf Zeit und an verschiedenen Orten genutzt werden. Es entstehen solare Organisationen ohne feste Struktur. Der Mensch renomadisiert sich, unterhält mobile, temporäre Büros. Die Räume werden wieder mehr durch die Vorgänge in der Architektur bestimmt. Sie verwandeln sich je nach den jeweiligen Prozessen, die in ihnen vorgehen. Zelte statt Paläste ist die Devise. In der Situativen Ästhetik wird je nach Situation und Atmosphäre spontan eine angemessene gesucht. Situative Ästhetik heißt auch, dass stark mit dem jeweiligen Kontext korrespondiert wird. Zum Beispiel werden der jeweiligen Region angepasste Müllsammler, Werbetafeln und Bushaltestellen entworfen.

1.3.6.4

Sinnliche Ästhetik – die Veruneinheitlichung

Besonders Hugo Kückelhaus25 hat mit seinen Sinnesparks unsere Wahrnehmung geschärft und grundlegende Anregungen zur sinnlichen Ästhetik geleistet. In der Natur entsteht alles nur durch Gebrauch, nicht auf einen Zweck gerichtet. So entsteht das Auge nicht in finaler Anpeilung des Sehvermögens, sondern durch evolutionäre Schritte der Vorteilhaftigkeit. Die Haut ist weniger Abgrenzung, als vielmehr ein fließender Prozess, ein Übergang in die Mitwelt, der den Kontakt ermöglicht. Alles ist Entwicklungsgeschehen in der Natur. Die Problematik ist die Isolierung des Organismus von allen Reizen und Überraschungen. Das Konstante ist unnatürlich und unmenschlich. Wir verschanzen uns in unseren gebauten Hüllen, ohne zu lernen indem wir uns aussetzen. Die monotone Reizlosigkeit und die wirre Überreizung führen zur Abhängigkeit von Konstanz oder weiterer Stimulierung. Die Strategie zielt auf die Ausschaltung aller Faktoren, welche die entscheidenden Funktionen des Körpers leiten, reizen und Eigenart verleihen. Gesundheit ist kein genormter Zustand, sondern unterliegt der Dynamik. Ein Wechselspiel zwischen Offenheit und Begrenzung ist für die gesunde und dialektische Entwicklung notwendig. Durch Gleichförmigkeit wird die Entwicklung aufgehalten, bis sie nicht mehr in Bahnen gehalten werden kann. Ein Prozess entsteht durch die Hinausverlagerung des Schwerpunktes. Der Mensch muss also das Wagnis des Ungleich24

P. Zumthor, 1998. Vgl. bspw. der Bau des Museums Columba in Köln, die Kunsthalle in Bregenz oder das Thermalbad in Vals, CH 25 Vgl. H. Kückelhaus 1988

25

1.3

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

gewichtes auf sich nehmen, um fortzuschreiten. In der chinesischen Schrift ist der Mensch sogar als Schritt dargestellt. Die moderne Gestaltung versucht uns alle Veränderung und wechselvollen Reize vom Leibe zu halten. Klimaanlagen versuchen die Temperatur konstant zu halten. Treppen und Türen sind genormt. Böden und Wände immer im Lot. Sogar wird versucht, die Helligkeit immer konstant zu halten. Architektur kann dazu beitragen, den Menschen in Entwicklung zu halten. Dazu müssen Sinneserfahrungen wieder möglich gemacht werden. Die Wand muss als bauliches Element zum Schritt in den Abstand zu mir selbst herausfordern. Wände als Körper ohne feste Form. Mit der Hand begreifen lernen, mit dem Fuß wieder verstehen lernen. Reizung einen Weg zu gehen, um etwas zu verlassen und es erneut – vielleicht anders – wiederzufinden. Es können Verlockungen entstehen, mich selbst zu überschreiten, mich also zu entwickeln. Die humane Ästhetik ist eine besonders auf die grundlegenden Bedürfnisse abgestellte Gestaltung, die das so genannte menschliche Maß findet und sinnlich positiv erfahrbar ist. Ein anderes Beispiel ist Low tech, eine einfach und robuste Gestaltung, die keinen sonderlich aufwendigen Einsatz von Technik und Elektronik benötigt und an archaische Formen erinnert.

1.3.6.5

Ökologischer Funktionalismus

„Wir müssen mit der Natur bauen, nicht gegen sie.“, sagt der Architekt Thomas Herzog. Ein gutes Beispiel hierfür ist seine Architektur. Er baute für Wilkhahn neue Produktionshallen mit konsequentem Energiemanagement, solaren Elementen und einer zeitstabilen Formensprache. Es werden höchst funktionale Bauten mit ökologischen Konzepten kombiniert. Traditionen des Bauhauses werden kombiniert mit Umwelttechnik und natürlicher Materialwahl. Die Leichtigkeit und Sinnlichkeit wird durch die Materialien Stahl, Holz und Glas erhöht. Moewes hat dazu die passende Schrift veröffentlicht. Unter dem Titel „Weder Hütten noch Paläste“ erörtert er seine Konzeption des ökologischen Bauens: „Langlebige, möglichst nutzungsneutrale Gebäude mit geschlossenen Nordfassaden sowie großen Tiefen und Volumina und dadurch geringem Oberflächenanteil.“26 Große verglaste Südfassaden und Blockrandbebauung sind weitere wichtige Forderungen. Und insbesondere macht er den Zwang zum Neubau in der Wachstumsgesellschaft zu einer Hauptursache der Umweltprobleme. Es gibt keinen Neubau der Energie spart. Vorhandenes muss verbessert und besser ausgenutzt werden. Eng damit verbunden ist die Solare Ästhetik, eine Gestaltung nach dem Vorbild der Sonne.

26 Vgl. G. Moewes, 1995, S. 202 ff.

26

Exkurs: Die Entwicklung der Formensprachen

1.3.6.6

Naturästhetik – das sinnliche Naturerlebnis27

Die klassische Naturästhetik widmete sich den Naturschönheiten. Für den gebildeten Stadtmenschen war Natur etwas Äußeres. Die Reize der Natur kompensieren die abstrakten und technisierten Aspekte der modernen Lebenswelt. Natur wird einerseits als Gebrauchsmittel und Produktionsfaktor verstanden und andererseits als romantisches und erbauliches Kontrastmittel. Die neuere ökologische Naturästhetik bezieht die Natur wieder in den eigenen Kontext als Mitwelt ein. Das zugrundeliegende Paradigma ist der eher naturnahe Landschaftsgarten. Hierbei wird nicht wie in der französischen Gartenarchitektur der Landschaft eine Struktur aufgezwungen, sondern eine Mittelposition zwischen Gestaltung und offenem Werden eingenommen. Im Sinne der Mimesis (Adorno) wird das Andere in seiner Eigenart anerkannt. Natur wird Spielraum gewährt, so dass ungeplante Gestalten und Formen entstehen können. Hierin ist der Begriff der Selbstorganisation angelegt. Oberflächen- und Imagedesigner arbeiten an der Verdrängung der Wirklichkeit. Sie schaffen nur noch Atmosphären und stillen keine Sehnsucht mehr. Die Universalisierung des Ästhetischen hat zu beliebiger Vielfalt der Praktiker geführt. Aber Praxis ohne Theorie ist Ideologie. Insofern ist unser zeittypisches Styling und Erlebnisdesign Ausdruck einer relativ belanglosen Übergangszeit. Schon wächst die Sehnsucht nach Echtem und Authentischem.

1.3.6.7

Zeithaltigkeit – der ökologische Ansatz der Entschleunigung

Zukünftige Produkte müssen ökologisch sein. Was heißt das aber? In erster Linie entspinnt sich eine Kontroverse zwischen Beschleunigern und Entschleunigern. Die technischen und soziökonomischen Entwicklungen haben Schwindel erzeugt. Einige wollen die Probleme vor allem technisch lösen – insbesondere durch Beschleunigung. Viele Akteure koppeln sich aus dem rasenden Stillstand aus und versuchen die Dinge wieder genauer, tiefer und persönlicher wahrzunehmen, wieder einen Standpunkt zu finden. Die Entschleunigung äußert sich in einer Rückkehr zur Mitweltorientierung, es wird mehr seitlich als nach vorne geschaut. Sinnliche und sinnvolle Dinge treten ins Zentrum des Interesses. Es wird das Verhalten angepasst und nicht versucht, das alte Verhalten durch technische Lösungen beizubehalten. Entschleunigung wird erreicht durch Konzentration, Differenzierung und Konzentration auf das Wesentliche.

1.3.6.8

Bionik

An der Universität Bremen werden gegenwärtig Verfahren entwickelt, die Haut des Hais zu imitieren, um eine Pockenbildung an der Oberfläche von Schiffen zu verhindern. Bisher werden die Rümpfe der großen Ozeanschiffe mit hoch giftigen Farben geschützt. Der Hai gibt, im Gegensatz zu Walen, bspw. Parasiten keine Möglichkeit 27 Vgl. dazu darstellend und vertiefend K.P. Liessmann, 1994, S.233. Als Ursprungsquellen sind

G. Böhme, 1992, W. Zacharias 1995 und die Beschreibungen der Wabi Sabi Tradition bei L. Koren, 1995 zu empfehlen

27

1.3

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

sich häuslich auf seiner Oberfläche nieder zu lassen. Aus der Mikroanalyse der Haut konnten Erkenntnisse des Funktionsprinzips ermittelt werden. Diese Musterextraktion und Musterübertragung aus der Natur auf die Technik wird als Bionik bezeichnet.

1.3.6.9

Medienästhetik – mediale Sinnlichkeit

Die neuen Medien unterscheiden sich von den herkömmlichen ästhetischen Gestaltungsmitteln durch ihren universellen Einsatzbereich und die Möglichkeit, alles Gestaltete unendlich oft zu wiederholen und zu multiplizieren. Sie ergeben damit eine sehr große gestalterische Freiheit. Bisweilen dominiert die Technik und das Kunstwerk verliert seine Aura. Jeder Dilettant kann sich im Gefühl wiegen, gestalten zu können. Noch hat eher der Techniker als der ästhetische Gestalter Zugriff auf diese Medien. Das Medium wird zur Botschaft (Mc Luhan). Mit der Medienkunst entstand das Zeitalter der Simulation (Baudrillard). Das Medium ist nicht mehr Mittel zur Wahrnehmung, sondern schafft Wirklichkeiten selbst. Einerseits wird die Wahrnehmungsfähigkeit geschärft und erweitert, andererseits das Bewusstsein getrübt und verwirrt. Auf jeden Fall ist noch keine angemessene Ästhetik multimedialer Darstellung gefunden. Eine begreifbare, vielfältige Optik, speziell für den jeweiligen Anwendungsbereich ist geboten. Hier werden die erfolgreichen Ansätze aus der Zusammenarbeit von Ästhetik, Psychologie und Technik erwachsen. In Zukunft wird sich die grafische Aufbereitung mit Icons und Labels mit ausgewogener Farbwahl und intelligenter Manier präsentieren. Dabei bietet das Medium alle Möglichkeiten zur zukunftsfähigen Gestaltung. Interface Design kann sich im Gebrauch verändern, entwickeln und benötigt dabei wenig Ressourcen.

1.4

Die grundsätzlichen Probleme und Lösungsansätze des Managements28

Mit Heinz von Foerster gehen wir davon aus, dass konventionelle Ansätze der Managementwissenschaft auf einem trivialen Grundverständnis basieren. Unternehmen, Märkte und selbst Menschen werden als triviale Maschinen interpretiert, deren Funktionsweisen durchschaubar und einfach erklärbar und die in ihrem Verhalten prognostizierbar sind. Auch im Hinblick auf die Erfolglosigkeit mancher Konzepte scheint uns eine Problematisierung und „De-Trivialisierung“ sinnvoll.

28

28

Vgl. Darstellung in Bergmann 2004

Die grundsätzlichen Probleme und Lösungsansätze des Managements

Wirklichkeitsproblem Wie oben erwähnt, konstituieren sich Unternehmen aus Kommunikationen zwischen Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in und für das betreffende Unternehmen tätig sind. Neben den unterschiedlichen Interessen existieren auch noch unterschiedliche Wahrnehmungen der Wirklichkeit. Menschen konstruieren ihre Wirklichkeit autobiografisch. So entsteht das zusätzliche Problem, der Ausbildung einer gemeinsamen Wirklichkeitssicht. In der konventionellen Managementlehre wird dieses Phänomen negiert. Dabei sind „(...)Ereignisse nicht das was passiert, sondern dass, was erzählt werden darf“, wie der Gedächtnisforscher Harald Welzer anschaulich formuliert.29 Wirklichkeit ist das, was wirkt. Wirksam wird dann das, was als Wirklichkeit vereinbart wird.

Verständigungs- und Vermittlungsproblem Kommunikation ist kein Prozess der Übertragung von Informationen vom Sender zum Empfänger. Vielmehr werden in Kommunikationsprozessen unwillkürlich Reize ausgesendet und uminterpretiert. Sender sind zugleich Empfänger. Es werden Assoziationen angestoßen, Reaktionen ausgelöst und dadurch Verhalten in unbestimmter Form verändert. Alles was ich an Informationen aussende wird von der anderen Seite höchst individuell wahrgenommen und interpretiert. Es wird eine Kommunikation somit zur gegenseitigen Impulsgebung für individuelle Wirklichkeitskonstruktion. Wie der Schriftsteller Max Frisch treffend formuliert hat: Jeder Versuch sich mitzuteilen, kann nur mit dem Wohlwollen der anderen gelingen. Der Systemtheoretiker Luhmann sagte, dass Verständigung durch Kommunikation eher unwahrscheinlich ist.30 Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Akteure verstehen, weil ihre Gedächtnisse andere Kontexte bereitstellen, in denen verstanden wird. Verständigung ist unwahrscheinlich, weil sich die Akteure nicht erreichen. Und sie verständigen sich nicht, wenn die Inhalte nicht gegenseitig akzeptiert werden. Das, was erfolgen sollte, erfolgt nicht. Der Kybernetiker von Wiener formulierte dazu: Du weist erst, was Du gesagt hast, wenn Du die Antwort hörst. Er spielt hier auf die doppelte Kontingenz an. Beide Seiten interpretieren Kommunikationsinhalte sehr individuell, weisen also unterschiedliche und mannigfaltige Interpretationsspielräume auf. Durch passende Umfeldgestaltung, durch die Wahl gelingender Muster, kann Verständigung aber wahrscheinlicher werden. Gute Beziehungen schaffen die Voraussetzung für vitale Entwicklungen. Genauso wie Menschen gesundheitlich robuster sind, die einen freundschaftlichen und intensiven Austausch mit ihrem Umfeld pflegen, entwickeln sich auch soziale Systeme gedeihlicher in kooperativen Sphären.31 Im salutogenetischen Sinne geht es also darum, Kontexte zu kreieren, in denen vertrauensvolle Beziehungen mit höherer Wahrscheinlichkeit entstehen. 29 30 31

Vgl. Welzer 2005 Vgl. Luhmann 1981 und 1984 Vgl. Ferrucci 2005 S. 65

29

1.4

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

Komplexitätsproblem Ein weiteres Problem resultiert daraus, dass mit diesen diversen Wirklichkeitssichten Planungen sehr oft scheitern. Der Humorist Karl Valentin sagte dazu treffend: Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen. Bert Brecht neigt in dieselbe Richtung: Ach mach nur einen Plan, und mach noch einen Plan du armer Wicht, funktionieren tun sie alle nicht. Die Kontexte entwickeln sich unübersichtlich und komplex, so dass sie wenig handhabbar erscheinen. Es liegen offene und unbestimmte Problemsituationen vor, die durch substanzielle Unsicherheit gekennzeichnet sind. Kurz gesagt: keiner weiß, wo das eigentliche Problem steckt, welche Ursachen es hat und wie man es lösen kann. Diese Situationen unterscheiden sich fundamental von den wohl definierten Problemen, die in den betriebswirtschaftlichen Kerngebieten, wie Finanzen oder Kostenrechnung vorliegen – und sind deshalb kaum vergleichbar. Aus monetären Vergangenheitsbetrachtungen lassen sich kaum Lösungen entwickeln. Vielmehr kann man lediglich abbilden, wie die gegenwärtige Finanzsituation aussieht. Bücher zur Entscheidungstheorie enden merkwürdigerweise mit der Beschreibung von Methoden auf der Ebene von Risiko- oder einfachen Unsicherheitssituationen. Wahrscheinlich beschränken sich die Autoren auf die Routinesituationen, um rechenbare Modelle präsentieren zu können. In Theorie und Praxis wird dann empfohlen, noch präziser und intensiver zu planen. Damit erzeugen wir das Planungs- oder Komplexitätsproblem. Das Wort Plan stammt jedoch vom lateinischen Wort für Ebene. Man möchte sich ein Abbild und Übersicht schaffen. Wenn man das bedenkt wird deutlich, welche Bedeutung der Visualisierung komplexer Zusammenhänge zukommt. Es sind verschiedene Situationen vorstellbar. Sicherheit bedeutet, dass klare, entscheidbare Fragen vorliegen. In Risikosituationen liegen Handlungsalternativen vor, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu prognostizierbaren Wirkungen führen. Auch diese Situationen kann man noch zu entscheidbaren und damit im Prinzip trivialen Fragen zählen. Mit der strukturellen Unsicherheit beginnt der Bereich der unentscheidbaren Fragen. Hier ist man mit verschiedenen Alternativen und deren möglichen Wirkungen konfrontiert, ohne die Wahrscheinlichkeit des Eintretens prognostizieren zu können. Damit haben wir non-triviales Terrain betreten. Besonders bei substanzieller Unsicherheit, wo nicht einmal die Handlungsalternativen klar sind, wo also sehr unterschiedliche Ansichten über die Situation als solche und die möglichen Wirkungen bestimmter Aktionen vorliegen, kann man nicht mehr mit logischen, auf bewusster Wahrnehmung beruhenden Verfahren agieren. Die Vertreter der klassischen Betriebswirtschaftslehre tendieren besonders in der Theorie dazu, diese Situationen zu trivialen Fragen zu transformieren. Dies gelingt in der Theorie durch die Einführung einer Gestalt deus ex machina, wie im klassischen Drama. In einer aussichtslosen Situation erscheint plötzlich eine neue Figur (der weiße Gandalf, die Kavallerie, Götter etc.), die den Wendepunkt zum Guten markiert. In der Ökonomie ist das die Gestalt des homo oeconomicus und das Modell des vollkomme-

30

Die grundsätzlichen Probleme und Lösungsansätze des Managements

nen Marktes. Im Sinne einer „unzulässigen Vereinfachung“ (Watzlawick) werden Unsicherheitssituationen in triviale und überschaubare, unentscheidbare Fragen in entscheidbare überführt. Auf dieser trivialen Basis kann man dann Algorithmen zur Anwendung bringen und wissenschaftliche Preise gewinnen, nur leider kein kleines Unternehmen am Markt erhalten. Sinnfälliger erscheint uns, Modelle und Methoden zu verwenden, die den nontrivialen Situationen in etwa entsprechen. Schachspiel ist bspw. trivial für jemanden, der das Spiel und dessen einfache Regeln beherrscht. Leistungsfähige Computer sind schon lange in der Lage, den Menschen in der Leistungsfähigkeit zu übertreffen. Die moderne Forschung zur künstlichen Intelligenz widmet sich deshalb eher komplexen Modellen wie dem Fußballspiel.32 Strategische Entscheidungen sind mit substanzieller Unsicherheit verbunden. Es ergeben sich daraus angemessene analoge Methoden, flexible und auf Selbstorganisation ausgerichtete Strukturen und dynamische Prozesse. So können analoge Abbilder der sozialen Systeme Einblick in die Systemdynamik gewähren. Der Dialog dient als sinnvolle Methode, um nicht-entscheidbare in entscheidungsfähige Fragen zu überführen, weil hierbei alle Anspruchsträger ihre Ansprüche und Sichtweisen einbringen können und damit mehr Erkenntnisse und Engagement der Akteure möglich erscheinen.

Innovationsproblem Das Neue entsteht selten und eher zufällig. Den Unternehmen wohnt ein Erhaltungsmechanismus inne, weil sich soziale Systeme immer wieder aus ihren Elementen (Kommunikationen, dem Tratsch und den Gerüchten von gestern) neu erschaffen. Diese Elemente sind jedoch die Kommunikationen von gestern. Es bedarf schon deutlicher Irritationen und Abschweifungen um substanziell Neues zu ermöglichen.

Unbewusstseinsproblem Menschliches Verhalten wird vorwiegend unbewusst beeinflusst, so dass ein „rationales“ Entscheidungsverhalten eher unwahrscheinlich ist. Menschen sind zwar zu willentlichen Entscheidungen in der Lage, können aber nur dann für sie persönlich positiv wirkende Entscheidungen treffen, wenn sie im Einklang mit ihrem Unbewussten handeln.33

Sinn- und Seelenproblem Zahlreiche Unternehmen agieren seelenlos, das heißt sie wählen Strategien, die wenig mit ihrer Identität zu tun haben und zudem wirken sich diese Aktionen gegen die notwendige Sorge für Andere aus (Sinn- und Seelenproblem). Es geht darum, die Seele 32 33

Siehe unter anderem: www.robocup.org Vgl. dazu Roth 2001, Pauen 2004 und Pinker 2004

31

1.4

1

Der Kontext des Innovations- und Kompetenz-Managements

zu entdecken und das Seelenlose („reine Geldmaschinen“, A. de Geus) in ein beseeltes System zu überführen. Dann sind eigenständige und charaktervolle Angebote möglich, welche die Identität stärken und den Weg aus der Beliebigkeit weisen. Eines der größten Probleme von Unternehmen und deren Akteuren ist die Orientierungslosigkeit in wirtschaftlich agierenden Systemen. Die Sorge für Andere und die selbständige Handlungskompetenz erzeugen Sinnhaftigkeit des Handelns.34 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die als soziale Gebilde noch einen inneren Zusammenhang formen, können Sinn stiften, weil in diesen kleinen Systemen noch eine gegenseitige Sorge, ein Mitdenken des Anderen ermöglicht ist. Menschen sind in ihren Entscheidungen und Handlungen von unbewussten Leitmotiven beeinflusst. Sinn entsteht, wenn sie einer Sache, einem Problem, einem Menschen nicht indifferent gegenüberstehen, sich also um die Entwicklung sorgen. Auch ist das Verhalten viel weniger von monetären Vorteilen als von individuellen Werten bestimmt. Ein Unternehmen, in dem diese Sinnhaftigkeit (Leidenschaft, Engagement, Sorge etc.) fehlt oder nicht berücksichtigt wird, muss höhere Kosten in Kauf nehmen, da alle Anstrengungen bezahlt und kontrolliert werden müssen.35 Es erscheint als Illusion, dass große Konglomerate beseelt und als Einheit agieren und wahrgenommen werden. Vielmehr kann man davon ausgehen, dass sich in Konzernen, diejenigen Akteure aufhalten, die sich entweder einen sicheren Job verschaffen oder aber – besonders in höheren Etagen – eine Position erhaschen wollen, die ihnen zumindest eine hohe Abfindung, wenn nicht ein weit überdurchschnittliches Einkommen auf Dauer bescheren soll. Man kennt sich nicht, vertraut sich nicht und versucht das Beste für sich herauszuholen.

Das Problem der Größe: Es gibt kleine Unternehmen oder keine Konzerne und andere Großinstitutionen tendieren aufgrund der sehr indirekten und unpersönlichen Zusammenhänge zum Psychopathischen. Wenn man einen Konzern als Akteur betrachtet, zeigt er wesentliche Merkmale schwerer psychischer Störungen: selbstbezogen, gierig, unverantwortlich und rücksichtslos agieren diese Gebilde und externalisieren wesentliche Teile ihrer Risiken und Kosten.36 Es kümmert in den meisten Konzernen wenig, ob eine einzelne Person in persönliche Schwierigkeiten gerät.37 Wenn das Management entscheidet, dass nur noch Schließungen von Abteilungen oder Massenentlassungen vorgenommen werden müssen, dann werden diese „Maßnahmen“ durchgeführt, auch wenn krasse Fehler der Führungsriege zu den Problemen geführt haben. Die Inszenierung als Heroen beschert den Top Managern in diesen anonymen Großunternehmen augenscheinlich einen unangreifbaren Nimbus. Auch bei einer Aneinanderreihung von Fehlern sind noch exorbitante Abfindungen zu zahlen. Ein unternehmerisches Risiko – mit der Übernahme persönlicher Verantwortung – 34 35 36 37

32

Vgl. Frankfurt 2005 S. 15 und S. 48 Weitere Ausführungen hierzu unter Bergmann 2004 Vgl. Bakan 2005 insbes. S. 39 ff. Siehe auch: www.thecorporation.com Vgl. Maier 2004

Die grundsätzlichen Probleme und Lösungsansätze des Managements

ist (zumindest für die Autoren) nicht erkennbar. Viele Großkonzerne agieren staatsnah mit intensivem Lobbyismus. Risiken und Altlasten (wie in der Atomindustrie oder neuerdings in der Genforschung) werden geschickt auf die Allgemeinheit übertragen, Gewinne aus diesen Geschäften jedoch privatisiert. In kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) kann man derartige Absicherungen, Subventionen nicht erlangen und Fehler führen zumeist unmittelbar zu Unternehmenskrisen. Nur weil es noch mittelständische Unternehmen gibt, kann man von einer Marktwirtschaft reden. Sie bilden das Rückgrat der Wirtschaft. Circa 99% der Unternehmen sind dem Mittelstand zuzurechnen, die etwa 42 % der Umsätze mit über 70 % der Beschäftigten erwirtschaften und zudem über 80% der Auszubildenden betreuen.38 Es bleibt zu fragen, welche Art von Persönlichkeiten Großkonzerne überhaupt als Arbeitsfeld in Betracht ziehen. Wenn diese Personen sich bewusst sind über die strukturellen Zustände, dann gibt das allerdings zu denken. Gleichwohl bilden sich in Großunternehmen Subkulturen heraus, in denen vertrauensvoll agiert werden kann. In Konzernen können diese Kleinstrukturen bewusst gefördert werden, um Kleinbetreibe zu simulieren. Unter diesen Umständen ist ein dezentrales, selbstorganisiertes und verantwortliches Handeln zu etablieren. Es bilden sich kleine Subsysteme, in denen noch ein innerer Zusammenhang des Handelns zu erkennen ist. Konzerne funktionieren, wenn sie als Konglomerat kleinerer „Dörfer“ und „Stämme“ organisiert sind. Im Folgenden wollen wir darstellen, wie der systemisch-relationale Ansatz zu einer „De-Trivialisierung“ der Managementtheorie und –praxis beitragen kann. Zunächst stellen wir die systemische Selbstorganisationstheorie vor, um dann auf Modelle der Relationalität und interaktivistischen Konstruktion einzugehen.

38

Vgl. IFM 2004

33

1.4

Der theoretische Bezugsrahmen

2 Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Die theoretische Basis des Managements befindet sich im deutlichen Wandel. Das Denken in Systemen, die Entwicklung zur Selbstorganisation, die relationale Wirklichkeitsauffassung und das Nachhaltigkeitsprinzip ergeben neue Möglichkeiten, das Management vor dem Hintergrund komplexer Herausforderungen erfolgreich zu gestalten. Daraufhin wollen wir die Bereiche Innovation und Kompetenz eingehend erläutern und wesentliche Definitionen anbieten.

2.1

Der theoretische Bezugsrahmen

Im Folgenden stellen wir die Entwicklung zum Systemdenken, die Selbstorganisation als Leitprinzip, die relationale Wirklichkeitsentwicklung und den Ansatz der Sustainability kurz vor.

2.1.1

Schritte des Wandels: Vom mechanistischen Denken zum Systemdenken

Die Forschung über Entwicklungsbedingungen und Management von Organisationen ist ein noch relativ junger wissenschaftlicher Bereich ohne klare inhaltliche Abgrenzung, noch methodisch klarer Betonung.39 Ein berühmter erster systematischer Ansatz waren die Studien von Frederick W. Taylor. Der Taylorismus bzw. das von Frederic Taylor geprägte Scientific-Management war ein erstes System der wissenschaftlichen Betriebsführung, welches auf dem Prinzip der Zerlegung von Arbeitsvorgängen und deren Optimierung beruhte. Das Unternehmen wurde als triviale Maschine gesehen, die menschliche Arbeitsleistungen integriert und optimiert. Hiervon unterscheiden sich der Bürokratieansatz von Max Weber und Henry Fayol. Für Max Weber ist die Analyse der bürokratischen Herrschaft von Interesse und Bürokratie ist für ihn eine Herrschaftsform in einer sehr wirksamen Art. Diese Ansicht setzt dabei voraus, dass sich eine Unternehmensorganisation in einem mehr oder minder statischen Umfeld befindet. Als ein Vertreter der administrativen Version gilt Henry 39

Siehe zum Stand der Diskussionen u.a. Kieser, A. 2002 Organisationstheorien. Stuttgart sowie Mintzberg Strategy Safari und G. Morgan

35

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Fayol, der eine bestmögliche Organisation nur dann für denkbar hält, wenn überschaubare und eindeutige Beziehungen innerhalb einer Organisation bestehen. Diese Überlegungen wurden weitergeführt und es entfaltete sich durch die Aufgabenanalyse die Unterscheidung in Aufbau- und Ablauforganisation.40 Kritisch zu sehen ist bei diesem Ansatz speziell die kategorische Missachtung der System-Umwelt-Beziehung und die mangelnde Einbeziehung verhaltenswissen-schaftlicher Erkenntnisse. Motivationsorientierte Sichtweisen sind als eine Alternative zu dem bis dato zugrunde liegenden mechanistischen Grundkonzept des arbeitenden Menschen entstanden. Neben der Erneuerung des mechanistischen Menschenbildes durch die Annahme eines sozial motivierten Gruppenwesens stand die Förderung der Arbeitszufriedenheit als günstige Voraussetzung für eine hohe Leistung im Vordergrund. Aus diesem Ansatz entwickelte sich ein breiter Diskurs der Organisationspsychologie, dessen Schwerpunkte in den Themengebieten Arbeitszufriedenheit, Arbeitsmotivation, Führung und Analyse von sozialen Prozessen in Gruppen lagen. Diese Darlegungen bilden den Hintergrund zu den aktuellen Theorien der Organisationsentwicklung und des Innovationsmanagements. Hierbei ist derzeit eine Forschungslücke zu erkennen: Trotz aller Bedeutsamkeit der psychologischen Faktoren sind auf die in diesen Ansätzen im Vordergrund stehenden Fragestellungen von Gestaltungs- und Steuerungsproblemen, sowie auf strukturelle Problemlagen innerhalb des Systems „Unternehmen“ und zu Fragestellungen hinsichtlich der Beziehungen zwischen System und Umwelt bisher nur unzureichende Antworten in den Wirtschaftswissenschaften gefunden worden. Bei den entscheidungsorientierten Theorien differenziert man zwischen einer mathematischen und einer verhaltenswissenschaftlichen Zielrichtung. Mathematisch orientierte Ansichten favorisieren die Spieltheorie mit formalanalytischen Reflektionen zu bestmöglichen Verhaltensstrategien in konflikthaften Konstellationen. Der methodische Vorteil der Theorie, eine mathematische Struktur zur logisch widerspruchsfreien Hypothesenbildung zu besitzen, wird durch den großen Nachteil erkauft, dass speziell Randbedingungen von Unternehmensorganisationen nur schwer oder gar nicht erfassbar sind. Verhaltensorientierte Ansätze beobachten das Entscheidungsverhalten in Organisationen, gestützt auf Hypothesen über grundlegende Eigenschaften zur Entscheidungsfindung, wie ein limitiertes Spektrum der Informationsverarbeitung oder die Bereitwilligkeit, sich in Organisationen einzusetzen. Organisationsstrukturen werden hierbei als entpersonalisierte Handlungen von Organisationsmitgliedern dargestellt. Das Konzept der Anreiz-Beitrags-Theorie sieht Individuen durch Anreize Anderer angeregt, sich in einer Organisation zu engagieren. Die Individuen erbringen allerdings nach diesem Ansatz nur so lange Beiträge für die Organisation, wie sie glauben, dass die Anreize größer als ihre geleisteten Beiträge oder zumindest gleich sind. Schwierig

40

36

Insbesondere durch Kosiol. E. 1959: Organisationsforschung. Berlin

Der theoretische Bezugsrahmen

erscheint bei diesem Ansatz die Bewältigung der Komplexitätsproblematik im Hinblick auf Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes. Insbesondere wie innovatives Verhalten bewirkt werden kann, ist hiermit nicht zu klären. Der situativ orientierte Ansatz konzentriert sich ganz auf die Organisationsstruktur, die je nach Unternehmen anders geformt sein kann. Es wird in empirischen Untersuchungen aufgezeigt und erklärt, welche Bedingungen vorherrschen müssen und es werden eingeschränkte Gestaltungsempfehlungen gegeben. Die Organisationsstruktur wird als eine Variable in Abhängigkeit von Umweltveränderungen oder von der vorherrschenden Technologie aufgefasst. In diesem Ansatz geht man davon aus, dass es nur jeweils eine zur Umwelt besonders gut passende Struktur für die Organisation gibt, die kaum Alternativen lässt. Organisationen können also ihre Umwelt nicht beeinflussen. Im Fokus der Untersuchungen der neuen Institutionenlehre stehen strukturelle, verhaltenswirksame und die Effizienz betreffende Faktoren ebenso im Blickpunkt, wie die Veränderung ökonomischer Institutionen. Institutionen sind in diesem Kontext sanktionierbare Erwartungen, welche sich auf die Verhaltensweisen von Personen beziehen. Insofern informieren Institutionen Akteure über die eigenen Handlungsmöglichkeiten und ihre Grenzen sowie über an sie gestellte Erwartungen. Die Hauptrichtungen innerhalb der Institutionenlehre sind die Theorie der Verfügungsrechte, die AgencyTheorie und die Transaktionskostentheorie. Dabei konzentriert sich die Theorie der Verfügungsrechte auf die aufgrund der Existenz von Gütern entstehende und durchsetzbare Verhaltensbeziehung zwischen Handelnden. Die Agency-Theorie fokussiert die Nutzenaspekte von Auftragnehmer-Auftraggeber-Beziehungen. Die Transaktionskostentheorie fokussiert die Leistungsbeziehungen zwischen im ökonomischen Kontext Handelnden.41 Allerdings befasst sich keiner dieser Theorieansätze dezidiert mit den systemischen Aspekten von Handlungen und Handlungsfolgen. Deshalb erachten wir es als notwendig, die genannten Theorieansätze zu erweitern und von einem rationalen zu einem relationalen Ansatz voranzuschreiten. „Theorien dienen primär dazu, beobachtbare Phänomene zu erklären. Die Transaktionskostentheorie erklärt jedoch nicht, was sie vorgibt zu erklären.“42

2.1.2

Der Paradigmenwechsel: Vom Steuerungsdenken zur systemischen Selbstorganisation

Der systemtheoretisch-kybernetische Ansatz ist der Disziplin übergreifende wissenschaftliche Ansatz von Systemtheorie und Kybernetik. Als der Gründungsvater der für 41

Siehe u.a. Picot, A./Dietl, H./Franck, E. 1999: Organisation, eine ökonomische Perspektive. Stuttgart 42 Siehe hierzu u.a. Bergmann, G. 2003 Arbeitspapier (Working Paper) 1/2003:Systemische Transaktionsnutzentheorie; www.esgelingt.de, Downloadbereich

37

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

die Theoriebildung richtungsweisenden Prägung von Systemkonzepten gilt Ludwig v. Bertalanffy. Seine Theorie der Selbstregulierungsfähigkeit offener biologischer Systeme führte schließlich, durch Generalisierung, zu einer „Allgemeinen Systemtheorie“. Der Ursprung seiner Überlegungen war die Hypothese, dass es bestimmte allgemeine Entwürfe gebe, die quer durch das Spektrum der wissenschaftlichen Disziplinen gelten. Eine Mutmaßung, die den interdisziplinären Charakter der allgemeinen Systemtheorie begründete.43 Der bedeutungsvolle Punkt für die Betriebswirtschaft ist, dass es mithilfe der systemtheoretischen Betrachtungsweise möglich wurde, die Unternehmensumwelt methodisch zu verstehen und eine Theorie auszubilden. Hier fand ein Paradigmenwechsel statt, der bis heute noch nicht in seiner ganzen Tragweite für die Betriebswirtschaft, wie auch für andere Forschungsbereiche, erfasst ist.44 Die Kybernetik45 fußt auf Arbeiten von Norbert Wiener und ist die Wissenschaft über Steuerung und Regelung von Systemen. Sie basiert auf der ursprünglichen systemtheoretischen Annahme der Offenheit von Systemen und beschäftigt sich mit Reaktionsmöglichkeiten von Systemen auf Umwelteinflüsse. Kybernetische Ansätze erklären, wie Systeme ihre Systemzustände stabil halten bzw. lenken. So werden etwa alle Subsysteme eines Systems „Unternehmung“ als kybernetische Regelkreise verstanden, das „soziotechnische System“ als ein mehrstufiger, vernetzter Regelkreis begriffen.46 Steuerung wurde nun als eine Beeinflussung durch Inputveränderungen angesehen, es findet keine rückwirkende Betrachtung statt, sondern die Steuerung ist auf einen Sollzustand hin ausgerichtet, nur das Ergebnis der Steuerung wird rückgekoppelt und auf den Sollwert hin korrigiert. Im sozialen System, so glaubte man bisher in einer „technologisch“ ausgerichteten Forschung, werden diese „Reglerfunktionen“ von den Entscheidungsträgern wahrgenommen. Dieser Aspekt der Selbstregulierung ist ein wesentlicher Bestandteil des systemisch-kybernetischen Denkens.47 Die Theorie der Selbstorganisation stellt einen weiteren Schritt hin zu einem Metakonzept über die systemtheoretisch-kybernetischen Denkweise und Methoden dar. Sie geht über die oben erwähnte Kybernetik 1. Ordnung hinaus. Sie umfasst alle Entwicklungsgänge der Selbstorganisation, die in einem System entstehen und in diesem „Selbst-Ordnung“ erfolgen lassen bzw. erhalten. So ist eine Organisation als das Produkt menschlichen Handelns, aber nicht unbedingt menschlicher Absichten zu verstehen und eben diese Tatsache lässt die „Regulierungsmöglichkeiten“ von sozialen Systemen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Die Systemische Theorie bietet Modelle zur De-Trivialisierung der Interaktion und Kommunikation an. Verständigung muss 43 44

Bertalanffy, L. v. (1968) General System Theory. New York Siehe zum Paradigmenwechsel auch Steinmann, H./Schreyögg, G. 1997: Management. Grundlagen der Unternehmensführung. Wiesbaden 45 Kybernetes (griech.) = Steuermann 46 Siehe Wiener, N. 1963: Kybernetik. Düsseldorf 47 Für einen Überblick zur modernen Konzeption von Selbstorganisation vgl. Krohn, W./ Küppers, G./Paslack, R. 1987: Selbstorganisation – Zur Genese und Entwicklung einer wissenschaftlichen Revolution. In: Schmidt, S. J. (Hrsg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Frankfurt

38

Der theoretische Bezugsrahmen

als eher unwahrscheinlich gelten, weil Menschen autobiografisch wahrnehmen und Bedeutung beimessen. Märkte (also Anbieter-Nutzer-Systeme) können als Soziale Systeme verstanden werden, die ebenfalls kontextuell beeinflusst werden können. Insofern sind Innovationsmodelle auf die verständigungsorientierte Kommunikation zwischen Anbieter und Nutzer auszurichten. Es sind die Formen, Voraussetzungen und Folgen von Innovationen, seien sie technischer oder sozialer Art, anders zu bewerten als es bisher geschehen ist. Konkret heißt dies, es ist der Prozess, in dem Innovationen erzeugt werden, unter einem anderen Blickwinkel zu untersuchen, um wirklichkeitsnahe Formen der Beeinflussung und Regulierung zu erfassen, zu bewerten und Handlungsoptionen herauszuarbeiten. Im Interaktionsverhältnis von Anbieter und Nutzern von Innovationen wird in Theorie und Praxis ein triviales Kommunikationsmodell verwendet. Systemisch-relationale Ansätze gehen von einer wechselseitigen Beeinflussung und Aushandlung von Wirklichkeiten aus. Wenn eine Idee zur Innovation mutieren soll, ist das Erkennen und Anerkennen des Nutzens auf der Nutzerseite entscheidend. Es gibt eine Anzahl von Theorieansätzen, die den Bereich der Selbstorganisation intensiv diskutieren oder sich dieser Erkenntnisse bedienen. Dies sind die Theorie der Autopoiese, die Theorie selbstreferentieller Systeme, die Theorie dissipativer Strukturen und das Forschungsgebiet der Synergetik mit der Theorie komplexer Phänomene und spontaner Ordnungen.48 Mit der Theorie der Selbstorganisation wird zum ersten Mal ein einheitlicher theoretischer Entwurf vorgelegt (Kybernetik der Kybernetik oder Kybernetik 2. Ordnung), der über die Kybernetik 1. Ordnung hinausgeht. Der moderne Wissenschaftsdiskurs konzentriert sich dabei im Wesentlichen auf zwei Problembereiche: Zum einen steht das kognitive System als selbstreferentielles System im Mittelpunkt der Diskussionen. Es handelt sich hier um die Vorstellung der nicht objektiv abzubildenden externen Realität außerhalb des Betrachters. Realitätsbeschreibungen werden als ein Konstrukt der Wirklichkeit, die vom Beobachter selbst hergestellt wird, verstanden. Dies ist der konstruktivistische Ansatz in der Systemtheorie. Des Weiteren versteht man Systeme als strukturell selbst-organisierend, insofern können sie ihre eigenen Zustände selbst determinieren. Die klassische Organisationstheorie versteht Strukturveränderungen noch als Wirkung von Zielvorstellungen eines einzelnen Akteurs, also in der linear-kausalen Begründungslinie. Ein Akteur führt Änderungen durch oder veranlasst Andere es zu tun, weil er bestimmte Probleme glaubt erkannt zu haben und er bestimmte Lösungskonzepte bevorzugt. Diese Argumentationsmuster unterstellen, dass Vorhaben von Akteuren wie geplant umgesetzt werden und die umgesetzten Realisierungen erfolgreiche Antworten darstellen. Solche Vorstellungen hinsichtlich Lösungsansätze sind für die Bewältigung von Komplexität unzureichend. Die vorgeschlagene Handlung des „anordnenden“ Akteurs müsste per definitionem eine überlegene Problemlösung darstellen, um ihre Umsetzung zu recht48

Vgl. hierzu u.a. Maturana, H.R. 1982: Erkennen. Die Verkörperung von Wirklichkeit; sowie Prigogine, I. 1979: Vom Sein zum Werden. München, Zürich; Ayres, R.U. 1988: SelfOrganization in Biology and Economics. Laxenburg und Haken, H. 1990: Synergetik. Berlin

39

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

fertigen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese Voraussetzung zentraler Organisierbarkeit meistens nicht gegeben ist, da der einzelne Akteur die gesamte Komplexität der jeweiligen Problemstellungen nicht abschließend erfassen und damit letztlich auch keine tragbaren Lösungen entwickeln kann. Diese Erkenntnisse haben auch einen deutlichen Einfluss auf die Vorstellung der „Organisierbarkeit“ von Innovationsmanagement oder innovativem Verhalten.

2.1.3

Die relationale Wende: Relationalisimus, Kontextualismus oder wie Wirklichkeit sozial konstruiert wird

Bedenklich leichtfertig formulieren zahlreiche Zeitgenossen ihre Sicht der Wirklichkeit als Tatsachenbericht. Schon Heinz von Foerster hat lakonisch formuliert: „Der Erfinder der Wahrheit ist ein Lügner.“ Wirklichkeit wird relational, in der Interaktion mit Anderen, konstruiert. Ästhetische Urteile erhalten apodiktischen Charakter („das ist doch schön“), die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen wird mit erstaunlicher Selbstgewissheit („Design ist ein Erfolgsfaktor“) nachgewiesen. Zuweilen werden Schuldige und Ursachen eindeutig benannt. So wird der Erfolg von Strategien und Produkten schon in der Entstehungsphase gepriesen – auch wenn sie sich schon bald als Flops erweisen. Medizinische Therapien gelten als unwirksam oder höchst wirksam – je nach Standpunkt. Erkrankungen werden auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zurückgeführt, „Killer Games“ führen angeblich zu aggressivem Verhalten. Kompetenzen und Eigenschaften werden eindeutig Menschen als „objektive“ Merkmale zugeordnet. Alles wird eindeutig und oft monokausal erklärt, bis sich das Gegenteil herausstellt. Dabei ist doch zu erwägen, ob nicht derjenige Akteur als erfolgreich bezeichnet werden sollte, der – auf welche Art und wie auch immer – heilt, löst, hilft, unterstützt und neue Möglichkeiten erzeugt. Seit langem ist bekannt, dass Menschen in unterschiedlichen Kontexten sehr unterschiedliches Verhalten äußern und vollends unterschiedliche Ergebnisse erzielen. Das gilt sowohl für sehr positive, wie sehr negative Resultate. Der Sozialforscher Milgram hat schon vor vielen Jahren deutlich machen können, dass eine spezielle kontextuelle Figuration bedingungslosen Gehorsam erzeugen kann.49 Auch die so genannten Standford Experimente führen zu ähnlichen Ergebnissen. Es genügt auch ein Blick in die Krisengebiete menschlicher Beziehungen. Im Gegensatz zu diesen negativen Erscheinungen, ist aber auch bekannt, dass förderliche, freundliche und angstfreie Umgebungen Flow, Kooperation, Hilfsbereitschaft und gegenseitige Achtung erzeugen können. Kürzlich hat der Sozialpsychologe Harald Welzer die Entwicklung zu Gehorsam und Grausamkeit aufgezeigt und dabei die kontextuellen Bedingungen, die Be49

40

Vgl. Milgram., S 1974: Das Milgram Experiment. Hamburg

Der theoretische Bezugsrahmen

ziehungskonstellationen beschrieben, die ganz normale Durchschnittsmenschen zu Tätern mutieren lassen, die „das Töten schon nach wenigen Tagen zu einer normalen Arbeit werden lassen (...).“50 Damit verknüpft er sehr überzeugend die Einflüsse von Erbe und Umwelt auf das menschliche Verhalten. Zahlreiche Probleme aus sehr unterschiedlichen Bereichen lassen sich kaum lösen, wenn man bei der Betrachtung von Einzelakteuren und „objektiven“ Beschreibungen verharrt. Menschen weisen danach keine unveränderlichen Merkmale und Eigenschaften auf, sondern wirken je nach Situation und Beziehung unterschiedlich. Persönlichkeit und Seele eines Menschen existieren danach eher in der Interaktion zwischen Akteuren, als dass sie einem Individuum zuzuordnen wären. Diese Erkenntnis kann jeder Leser auch in der Alltagserfahrung nachvollziehen, wo man je nach Beziehungskonstellation anders eingeschätzt wird. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei der Beurteilung von Schülern in verschiedenen Schulen von verschiedenen Lehrern. Auch quantenphysikalisch lässt sich Wirklichkeit nicht objektiv messen und deuten. Je nach Perspektive des Beobachters stellen sich die Dinge verschiedenartig dar. Unsere individuelle Form der Signalverarbeitung und damit Information ist insofern von Wirklichkeit nicht zu unterscheiden. So wie wir die Welt sehen und interpretieren, so ist sie – für uns, aber nicht unbedingt für Andere. Wirklichkeit ist immer nur über Information erfahrbar.51 Wie wir eingehende Signale mit Bedeutung versehen und bewerten, hängt von unserer in Emotionen gebündelten Erfahrung, unseren Assoziationen ab. Die Bedeutung von Dingen und – um mit Villem Flusser zu sprechen – Undingen hängt von der Beobachterperspektive ab. So entstehen Probleme in Interaktionen mit Anderen und den dabei ausgelösten „Informationen“. Probleme entstehen in der Interaktion zwischen Menschen, sie werden sozial konstruiert, soll heißen, sie resultieren aus differenten Wirklichkeitsbeschreibungen, verschiedenen Erkenntnissen aus denselben Ereignissen. Wenn man also Lösungen ermitteln und anwenden möchte, erscheint es notwendig, den Blick auf Beziehungen und Kontexte zu erweitern und alle Beobachtungen als individuelle Wahrnehmungen in den Dialog mit Anderen einzubringen. Lösungen können ebenso wie Probleme sozial konstruiert werden. In einem relationalen Ansatz gehen wir davon aus, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als glaubhaft erzählte und sozial vereinbarte Wirklichkeiten gelten müssen. Alle Beschreibungen von Akteuren, Institutionen aber auch Situationen und Ereignissen sind als Beobachter spezifisch zu interpretieren.52 Es ist insofern auch problematisch, von so genannten harten Fakten zu reden. Zukunft kann sowieso nur als individuelle Vorstellung skizziert werden. Über Ereignisse und deren Bedeutung in der Gegenwart kann man sich trefflich streiten. Heute wirkt das, was in dem betref50 51 52

Vgl. Welzer 2005: Das Kommunikative Gedächtnis und „Täter“ sowie Reich (2005) Vgl. dazu A. Zeilinger 2005: Einsteins Schleier. S. 220 ff. Vgl. Welzer 2005 Gedächtnis

41

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

fenden Kontext erzählt werden darf. Aber auch die Vergangenheit wird kommunikativ erzeugt. Kurz gesagt: Nichts ist so, wie es erzählt werden wird. Oder: Wirklichkeit entsteht zwischen den Subjekten. Insofern kann man auch nicht vom Wesentlichen sprechen oder sich auf dasselbe konzentrieren. Das Wesen der Dinge und der Menschen erklärt sich erst relational, also je nach Betrachterperspektive. Unsere Tour d`horizon zu neueren Entwicklungen der Managementansätze wollen wir mit Bemerkungen zur Sustainability abschließen. Hier ist ein besonderes Spannungsfeld zu entdecken, da Innovationen teilweise der Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit widersprechen. Das Neue verdrängt das noch Gute oftmals mit dem Nachteil hohen Ressourcenverbrauchs.

2.1.4

Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit: Sustainable Innovation

Die Globalisierung, wenn es die denn wirklich gibt, scheint kulturell einseitig abzulaufen. Weite Teile der Erde sind vom Wohlstand mehr und mehr abgekoppelt, die Konsumformen in den Industrieländern verschärfen die ökologische Krise und durch die Strategien im Bereich der Genforschung droht ein Ausverkauf des natürlichen Erbes der Natur und der Menschheit. Kritiker weisen auf die negativen externen Effekte hin.53 Mit dem Cluetrain Manifest wird an die ursprünglichen Prinzipien der New Economy erinnert.54 Spätestens mit der UN Konferenz zur Nachhaltigkeit in Johannesburg ist das Thema Sustainability wieder aktuell und in allen Köpfen. Leider widerspricht die modische und kurzatmige Beschäftigung mit dem Thema völlig dem Inhalt. Gerade Marketingakteure scheinen dem Gedanken an Dauerhaftigkeit und Durchhaltbarkeit zu entsagen. Hier wollen wir klären, wie der Ansatz des Sustainable Developments mit marktorientiertem Management in Einklang zu bringen ist. Neben der kurzfristig zielenden Werbung existiert auch ein Bedürfnis nach langfristiger Marken- und Imagebildung, dem Aufbau dauerhafter Beziehungen oder der Verstetigung der Innovationspolitik.55

53

Vgl. Toscani, O. 1996: Beigbeder, F. 2001, Klein, N. 2001. Zur Kritik des Konsumerismus siehe W. Kroeber-Riel 1984 S. 662 ff. 54 Vgl. R. Levine, C. Locke u.a. 2000: Selbstorganisation, Unabhängigkeit, Heterarchie etc. Zum Beispiel ist der für viele überraschende Erfolg von Google erklärbar, wenn man beachtet, wie die Betreiber konsequent den Charakter des Netzes genutzt haben. Das Netz ist ein sich selbst organisierender, lebendiger Organismus, der sich der Kontrolle und Steuerung entzieht. Hierarchische Datenbanken und Verzeichnisse sind hier schnell unterlegen. Google gibt die Kontrolle an den User ab. Komplexität wird vom Benutzer fern gehalten, weil ihn nur die Lösung interessiert. Das Innenleben nähert sich in seiner komplexen Struktur der des Internets selbst. 55 Dauerhafte Orientierung verschafft dem Management die Möglichkeit größerer Zeithaltigkeit. Nur wer die Grundprinzipien und metasystemischen Regeln (Best Patterns) der Umsysteme authentisch abbildet, hat eine Chance dauerhaft zu überleben. Hierarchische, auf Be-

42

Der theoretische Bezugsrahmen

Zunächst möchten wir aber die zentralen Begriffe näher erläutern. Nachhaltigkeit oder Sustainability sind Begriffe, die ursprünglich der Forstwirtschaft entstammen. Schon seit einigen hundert Jahren wird der Baumbestand in Europa trotz Nutzung zumindest quantitativ erhalten. Waldbauern pflanzen mehr Bäume als sie einschlagen und das oft auch zu einem Zeitpunkt, wo sie nicht mehr Nutznießer der Ernte werden können. Dieses altruistische Verhalten findet ebenfalls in Eigentümer geführten Unternehmen Anwendung, wo die Inhaber für die Folgegenerationen vorsorgen. Der Nachhaltigkeitsgedanke wird also in der Wirtschaft praktiziert und geht weit über ökologische Bereiche hinaus. Menschen sind – wie wir schon eingangs dieses Buches erwähnten – nicht immer rein ökonomisch an ihrem kurzfristigen Vorteil interessiert. Verhalten wird auch durch weitere Leitmotive und Muster geprägt.56 Sustainability ist eine Grundhaltung, die Entscheidungen und Verhaltensweisen mit möglichst geringen negativen Neben- und Folgewirkungen erzeugt. Sie ist also durch Fairness, Kooperationsbereitschaft und Vorsorge gekennzeichnet. Anders ausgedrückt wird für intra- und intergenerative Gerechtigkeit gesorgt, Gerechtigkeit gegenüber anderen Menschen und den folgenden Generationen geübt. Alle Maßnahmen sollen danach so gewählt werden, dass das Image und der Ruf keinen Schaden erleiden, rentabel gearbeitet sowie der Ausgleich und Einklang mit der sozialen und natürlichen Mitwelt gesucht wird. Dahinter steht keine Lehre oder Moral, sondern der Gedanke, dass auf lange Sicht nur Verhaltensweisen erfolgreich sind, die sich als win/win Lösungen für alle Betroffenen (Stakeholder) und die natürlichen Systeme herausstellen. Durchhaltbarkeit wird aus dem ökologischen Kontext kommend auf soziale und individuelle Zusammenhänge erweitert. Alle Entscheidungen und deren Konsequenzen sollen danach ökonomisch, ökologisch, sozial und persönlich durchhaltbar sein. Durchhaltbarkeit heißt dann immer auch, dass die Werte quantitativ und qualitativ erhalten bleiben oder weiterentwickelt werden. Die vier Säulen der Nachhaltigkeit:

„ Ökonomisch: Dauerhafte durchhaltbare Investitionen tätigen, solide Finanzierung „ Sozial: Faire Politik, win/win solutions, Entwicklung langfristig guter Images und Beziehungen

„ Ökologisch: Erhalt der Ressourcen in Quantität und Qualität, Schaffung von Kreisläufen und Werten

„ Individuell: Durchhaltbares, das heißt: effektives vertrauensvolles, zuverlässiges und kooperatives Verhalten

herrschung ausgerichtete Systeme weisen nur eine geringe Halbwertzeit auf (Vgl. Big Blue, Yahoo! und bald Microsoft). 56 Vgl. Bergmann 2003a

43

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Durchhaltbarkeit oder Nachhaltigkeit deutet auf Bestandssicherung. Erst mit dem Begriff der Entwicklung kommen wir zu einem sich wertsteigernd verändernden System. In Folge sollen deshalb die Begriffe Entwicklung sowie Entropie und Syntropie erläutert werden. Der Begriff Entwicklung kommt wahrscheinlich aus dem alten Ägypten. Dort bezog er sich auf das Entwickeln der Papyrusrolle. Der Papyrus musste „entwickelt”, d.h. entrollt werden, damit man ihn lesen konnte. In diesem ursprünglichen Sinn ist Entwicklung ein Prozess des Öffnens, der Entfaltung. Auf die Gesellschaft bezogen könnte man sagen: Entwicklung hat das Ziel, vorhandene menschliche und natürliche Chancen zu öffnen und zu entfalten. Entwicklung ist ein umfassender Prozess, der – gewollt oder ungewollt – jederzeit abläuft. Dieser Prozess schließt wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Aspekte ein. Entwicklung kann stattfinden auf der Ebene des Individuums, von Gruppen, Unternehmen und Organisationen und auf staatlicher (oder supranationaler, globaler) Ebene. Der Begriff Emergenz beschreibt das Phänomen, dass aus Entwicklungsprozessen Ergebnisse entstehen, die aus den Ausgangsbedingungen nicht ersichtlich waren. Emergente Prozesse erweisen sich somit als überraschende und spontane Ordnungsund Musterbildungen. Alle Entwicklungen können in eine wertschaffende oder schadende Richtung ablaufen: Entropie ist in der Thermodynamik ein Maß für die Zerstreuung von Energie und Materie. Wenn wir etwas gestalten, transportieren, nutzen oder produzieren, wird Energie und Materie in einen anderen Zustand und an einen anderen Ort versetzt. Sie werden entropisch zerstreut, d.h. von einem Zustand der Ordnung durch die Eliminierung der Unterschiede in eine maximale Unordnung überführt. Syntropische Prozesse, also differenzierende Aktivitäten ermöglichen die Begrenzung der Entropie, z.B. durch Recycling oder die Schaffung von Strukturen und Werten.

Zerstreuung ist entropische Kommunikation Das Konzept lässt sich unschwer auf psycho-soziale Prozesse übertragen. Der syntropische Vorgang ist die eher unwahrscheinliche „informierende” Kommunikation, denn es wird etwas in Form gebracht. Im Gegensatz dazu ist die entropische und wahrscheinliche Entwicklung die „Deformation”, also zum Beispiel zerstreuende und informationsarme Kommunikation. 57 Beim nachhaltigen Management geht es um die dauerhafte Wertsteigerung. Es wird nach Möglichkeiten gesucht, werthaltige Ordnungen zu erhalten oder höhere Niveaus von Erkenntnis zu erreichen. Was im Einzelnen als werthaltiger erkannt wird, hängt vom Aushandlungsprozess der Beteiligten mit ihren unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten ab. Mit der Erkenntnis syntropischer Entwicklungen ist es nicht getan. Es

57

44

Vgl. Bergmann 2006a

Der theoretische Bezugsrahmen

geht darum, die wertschaffenden Prozesse in Gang zu setzen und/oder zu fördern. Bei allen guten Vorsätzen, das Entscheidende ist, was verwirklicht wird.58

Möglichkeiten der Verwirklichung Wenn man soziale Systeme verändern und diesem Fall in Richtung Nachhaltigkeit beeinflussen will, dann muss man zunächst ihre Komponenten und ihre Binnenlogik verstehen. Durch die Irritation von Routinen und die Labilisierung von Strukturen werden Veränderungen eingeleitet. Konkrete Ansatzpunkte für Sustainable Development ergeben sich in allen Bereichen und Ebenen eines Unternehmens. Es ist sinnvoll, die Kultur und Ethik des Unternehmens auf Nachhaltigkeit einzustimmen. Das Top Management muss sichtbar hinter den Initiativen stehen und das Projekt fördern. Die Akteure sollten eigenverantwortlich in einem klar abgesteckten Rahmen arbeiten können. Nach den anfänglich euphorischen Phasen ist vom Anfang her wichtig, auch die Überwindung von Widerständen und die Lösung von hartnäckigen Problemen durch effektive Interventionen zu ermöglichen. Die wesentlichen Wirkungen gehen von Produkten und der Form der Produktentwicklung aus. Die Umweltverschmutzung fährt sozusagen mit den Produkten aus dem Werkstor. Unfaire Kontrakte, die Übernutzung von Ressourcen oder die Ausnutzung von geringen Sozialstandards sind direkt mit der Art des Produktprogramms verknüpft. Besonders Ulrich von Weizsäcker und F. Schmidt-Bleek haben zahlreiche Ansatzpunkte zur nachhaltigen Innovationspolitik und Produktgestaltung entwickelt und zusammengestellt.59 Im Zentrum ihrer Betrachtungen steht dabei die ökologische Effektivität, also die Erzeugung von Nutzenpotenzialen bei erheblich reduziertem Naturverbrauch. Auch die Kommunikation der Angebote und die Darstellung der Dienste und Leistungen kann maßgeblich zur dauerhaften Unternehmenspolitik beitragen Im Zentrum steht die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kunden und Mitarbeitern sowie weiteren Stakeholdern. Produktion, Logistik und Vertrieb sind wesentliche Ansatzpunkte zur Ressourcenund Kosteneinsparung auch bei Unternehmen, die vornehmlich interne Potenziale nutzen wollen. So haben zum Beispiel der Otto Versand oder auch die Henkel AG ihre Nachhaltigkeitsinitiativen im Bereich der Logistik und Produktion angesetzt und dabei wesentliche Veränderungen erreicht. Zur Transformation eines Systems in Richtung Nachhaltigkeit dient unter anderem auch, die Vorteile zu veranschaulichen.

58 59

Vgl. auch G. Meurer 2001 Vgl. von Weizsäcker, U. 1997 und Schmidt-Bleek, F. 1994

45

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Die Vorteile nachhaltiger Politik Nachhaltigkeit wird oft als Wirtschaftsromantik in Abrede gestellt. Doch zahlreiche Beispiele zeigen, dass diese Politik eher ökonomische Vorteile erzeugt. Ethik und Ökologie lohnen sich. So sind Sustainability Fonds an der Börse oft renditestark und relativ risikoarm.60 Viele namhafte Unternehmen haben sich durch Ökologie und Fairness wirtschaftliche Vorteile erarbeitet. Beispiele sind der Otto Versand, die Henkel AG, Eternit, Body Shop um nur einige zu nennen. Ihre Performance übersteigt den Branchenschnitt bei weitem. Folgende Gründe für diese Entwicklung sind zu nennen:61

„ Sensibilisierung: Mit einer nachhaltigen Politik werden Stakeholder für die Thematik sensibilisiert. Dadurch werden zunehmend mehr Akteure mit dem Thema vertraut und mutieren zu „kritischen Sympathisanten“.

„ Innovationsanregung: Nachhaltige Entwicklungsaktivitäten ermöglichen deutliche Innovationsanregungen und Lerneffekte. Alle Akteure werden angeregt, Gewohnheiten und Usancen zu hinterfragen und neue Wege zu beschreiten.

„ Marktchancen und Imageverbesserung: Unternehmen können Pioniergewinne realisieren und sich in neu entstehenden Märkten etablieren. Teilweise entwickeln sich spezielle Bereiche der Nachhaltigkeit auch zur Kernkompetenz (vgl. Body Shop). Zudem kann ein Unternehmen gegenüber allen Stakeholdern die Glaubwürdigkeit steigern und sich als „positiver Pionier“ im Meinungsbild verankern.

„ Höhere Qualität der Produkte: Die Anstrengungen im Bereich der Nachhaltigkeit führen zumeist zu einer weiteren Steigerung der Qualität, weil man sich noch stärker mit den Kundenbedürfnissen auseinandersetzt. Dauerhafte Unternehmensführung wirkt als bester Schutz zur Wert- und Vermögenssicherung, weil sich die Konzentration auf die syntropische Entwicklung richtet. Damit verbunden sind auch die größere Rechtssicherheit und deutliche Risikominderungen.

„ Loyalität und Kundenbindung: Automatisch werden über dauerhafte Strategien die Beziehungen zu den Kunden intensiviert. Käufer ziehen in erhöhtem Maße Nachhaltigkeitskriterien (ökologisch, fair) in ihre Kaufentscheidungen mit ein. Aktuelle Kunden kommunizieren das Konzept und machen so neue Kunden auf das Angebot aufmerksam.

„ Motivation und Engagement: Alle Akteure qualifizieren sich im Umgang mit neuen Technologien, wirken bei der sinnvollen Verbesserung mit und sind so über die Einbindung stärker engagiert und motiviert.

60

Vgl. insbes. Interview mit W. Humpert in diesem Band. Es ist sehr auffällig, dass besonders Eigentümer geführte Unternehmen signifikant erfolgreicher sind, weil hier der unternehmerische Impetus größer ist 61 Vgl. Bergmann, G. 1994 S. 80 ff., 1996 S. 99 f. und Hardke, A./Prehn, M. 2002 S. 72 ff.

46

Der theoretische Bezugsrahmen

„ Konsens und Vertrauenseffekte: Nachhaltige Politik vermindert den öffentlichen Druck und vermehrt die Zustimmung der Stakeholder. Die konsequente Mitweltorientierung führt zum Abbau von Dissonanzen, Friktionen und Reaktanz.

„ Kosteneinsparung: Einige Unternehmen konzentrieren sich in der Umweltpolitik vornehmlich auf die Kostenreduzierung. Oft geht Emissionsminderung mit einer Kostenreduzierung einher. Großunternehmen wir zum Beispiel Henkel oder Otto Versand haben gerade durch Veränderungen der Logistik und Energienutzung große Erfolge erzielt. Der wichtigste Ansatzpunkt erscheint uns, eine dialogische Kultur zu verankern, wo wichtige Entscheidungen gemeinsam entwickelt werden.

Verankerung in der Unternehmenswelt mit dialogischen Bewertungs- und Entscheidungsverfahren Peter Ulrich hat anschaulich beschrieben, dass eine, wenn auch oft vorteilhafte, nachhaltige Politik im Unternehmen methodisch und organisatorisch verankert sein muss.62 Insbesondere Bewertungsvorgänge sind auf das universelle Ziel Vitalität oder Lebensdienlichkeit auszurichten. Unserer Auffassung nach erscheint die Balanced Scorecard als effektives Instrument dazu. Die erweiterten Kriterien ergeben sich aus Mustern zukunftsfähigen Verhaltens, die von dauerhaften und sich ständig weiterentwickelnden Unternehmen verwendet werden. Diese Best Patterns bilden die Basis für die Bewertungskriterien, die wiederum von möglichst unterschiedlichen Personen im Dialog verwendet werden sollten. Die Balanced Scorecard (BSC) ist in der systemischen Variante das wesentliche Strategietool zur nachhaltigen Unternehmensführung. Die BSC wirkt als Bindeglied zwischen Unternehmensstrategie und Realisation, sie verbindet strategische Ziele mit konkreten Maßnahmen und Controlling-Kennzahlen. Ein dialogisch genutztes Entscheidungssystem ermöglicht die Einregelung von Partikularinteressen und nicht systemdienlichem Verhalten. Wahrscheinlich hätten die Managementmoden wie Fusionen und Shareholder Value (als Spekulantenorientierung) vermieden werden können.63 Das Prinzip der Ausgewogenheit („Balance“) kann auf „nachhaltigkeitsrelevante“ Aspekte bezogen werden, wie Ökologie, Beziehungen und Unternehmenskultur. Der Zweck ist, eine gemeinsame Verständigung über Ziele und vordringliche Maßnahmen zur nachhaltigen Weiterentwicklung des Unternehmens zu erreichen. Gelingende Kommunikation entsteht von innen nach außen unter intensiver Mitwirkung der Mitarbeiter und Kunden und weiterer Stakeholder in einer „dialogischen“ Kultur.

62 63

Vgl. P. Ulrich 2002, S. 41 ff. sowie S. 155/6 Zum Beispiel sind alle kleineren eigenständig agierenden Automobilfirmen (Porsche, BMW) erfolgreicher als die Konglomerate und Fusionen (GM, DaimlerChrysler)

47

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Entscheidung im Dialog der Stakeholder Eine dialogethische Konzeption64 verspricht gerade in systemischer Sicht brauchbare Ergebnisse, da hierbei die mannigfaltigen Sichtweisen und Interessen sinnvoll berücksichtigt werden können. Zudem erweisen sich Unternehmen und Konzepte als besonders erfolgreich, die ökologisch, sozial ausgewogen und verantwortlich, also ethisch fundiert sind. Verantwortliche Politik erspart Transaktionskosten, regt zu Innovationen an und motiviert. Es geht nicht um Schuld und Ursachenzuschreibung, sondern um die Übernahme von Verantwortung. Die Akteure müssen die Wirkungen der Interventionen „ver-antworten“, also „response-able“ sein. Mit gemeinsam im Dialog entwickelten Entscheidungen wird es wahrscheinlicher, dass Intention, Intervention und Wirkung wieder in Einklang kommen. Der wesentliche ethische Imperativ kann in Anlehnung an Heinz v. Foerster folgendermaßen lauten: „Handle stets so, dass mehr Vitalität entsteht.“ Die dauerhafte Weiterentwicklung, das Lernen und die Verständigung sind in diesem Konzept integriert. Ein auf Kooperation und dauerhafte Beziehungen, auf Ressourceneffektivität und die Kultur der Nachhaltigkeit und Verantwortung ausgerichtetes Marketing wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Dauer durchsetzen. Es trägt zur Kultivierung dessen bei, von dem es auf Dauer profitieren möchte – den Märkten.65 Die Zukunft des Innovationsmanagement heißt somit Sustainability.

2.1.5

Systemisch lösungsorientiertes Management

Ein Problem wird hier nicht dadurch gelöst, dass man es in seine Teile zerlegt, sondern indem man es im Zusammenhang sieht. Das Element kann nur in seiner Funktion im Ganzen verstanden werden. Es tritt Informationsverlust ein, es wird unzulässig verkürzt, wenn zerstückelt wird. Analytische Vorgehensweisen (Analyse gr. ana-lysis = Auflösung), also die Untersuchung durch Zerlegen in die einzelnen Bestandteile, führt nicht zu erweiterter Erkenntnis. Lösungen sollten im Ganzen gesucht werden. Die geschieht durch diagnostische Verfahren (Diagnose Ursprung gr. gi-gnoskein = erkennen, unterscheidende Beurteilung), also Verfahren die eine zusammenfassende Beschreibung der wichtigsten Merkmale liefern, auch wenn man sich auf einzelne Elemente konzentriert. Es wird deshalb der Fokus nicht auf die Analyse von Einzelproblemen oder individuelle Akteure gelegt sondern vielmehr werden die (Kommunikations-) Beziehungen zwischen den Elementen betrachtet. Nicht Menschen sondern Kommunikationsbeziehungen können sinnvoll verändert werden. Es hat sich gezeigt, dass diese systemische Betrachtungsweise zu oft sehr wirksamen und schnellen Verbesserungen führt. Es tritt Erfolg ein, ohne dass er in jedem Falle erklärt werden kann. 64

Vgl. Darstellung bei Bergmann, G. 2001, S. 209 ff. und Bergmann, G. (2001c) und im Kapitel 8 dieses Buches 65 Vgl. Bergmann, G. zur Dialogethik, Bergmann, G. 2001a

48

Der theoretische Bezugsrahmen

Veränderung durch Kommunikation Eine verbessernde Veränderung von Organisationen, Netzwerken etc. ist nur in wenigen Fällen durch rein technische oder betriebswirtschaftliche Methoden und Erkenntnisse möglich. Die Problemlagen liegen sehr viel tiefer. Organisationen, Netzwerke etc. bilden sich in erster Linie aus Kommunikation und sind nur durch die Modifikationen der kommunikativen Handlungen zu verändern. Dabei hängt es letztlich von der Fähigkeit und Bereitschaft ab, neue Felder entdecken und bearbeiten zu können um Innovationsprozesse aktiv anzugehen und umzusetzen.66 Innovationen entstehen aus Lernprozessen und unterliegen komplexen systemischen Grundsätzen. Sie sind zugleich der Ausdruck der Lernfähigkeit eines Systems, der optimalen Strukturation und einer gelingenden Kommunikation. Um aktives Innovationsverhalten erfolgreich in einem System hervorzurufen, muss eine bestmögliche Lernumgebung für die Akteure garantiert werden. Ebenso müssen die Regeln und Ressourcen durch die Akteure so aktiviert werden, dass sie Innovationserfolge zeitigen. Die Struktur des Handlungssystems, in dem die Akteure sich bewegen, existiert nur subjektiv, sie ist die „Erinnerungsspur“ im Gedächtnis der Akteure.67 Infolgedessen muss diese Erinnerungsspur so ausgeprägt sein, dass innovatives Handeln wahrscheinlich wird. Darüber hinaus ist eine gelingende Kommunikation innerhalb eines Systems, also beispielsweise einer Organisation oder eines Netzwerkes, von entscheidender Bedeutung für dessen Innovationsfähigkeit.68 Gemeint ist damit die Optimierung der Verständigungsverhältnisse, die Art und Weise wie, was und von wem kommuniziert wird, „(…)organizational knowledge emerges through the dayto-day social interactions and is supported by language.”69 Organisationen begründen sich als selbstreferenzielle soziale Systeme aus gemeinschaftlichen Wissensbeständen und Kommunikationen. Innovationen sind daher eher unwahrscheinlich, da soziale Systeme vielmehr die Reproduktion des Bestehenden vollziehen, weil sie sich aus den bestehenden Kommunikationsformen und Interaktionsmustern wieder neu bilden. Es ist somit nicht erstaunlich, dass eigentlich nur wenig neue Informationen in Systemen wahrgenommen und anerkannt werden. Darum ist es für die Schaffung innovationsrelevanter Systemkonfigurationen von Bedeutung, auf welche Weise neues Wissen einem Systemen zugeführt werden kann. Hierzu bieten die Einrichtung von „innovativen Reservaten“ und eine „irritierende kommunikative Störung“ Chancen, eine Organisation zu verändern, beziehungsweise veränderungswirksame Kommunikations- und Handlungsressourcen zu etablieren. Die Akzeptanz von Innovationen wird bei rein „technoidem“ Denken, welches Innovationen letztlich nur mit technischen Entwicklungen identifiziert, unwahrscheinlicher. Es er-

66 67 68 69

Siehe Bergmann, G. 1999 Siehe Giddens, A. 1988 Siehe Bergmann, G. 2003a Chanal, V. 1999

49

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

fordert vielmehr eine Diagnose der Grundmotive von Akteuren um Zufriedenheit und Begeisterung auszulösen, welche als Grundbausteine für Innovationen dienen.70

Neues schaffen durch Irritation Wenn Innovationen angeregt werden sollen, ist es wichtig, Routinen und gewohnte Abläufe zu stören oder zu verstören (Pertubation) und weitere Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungschancen zu befördern. Beispielsweise konstruieren Manager die Wirklichkeit ihres Unternehmens durch spezielle Geschichten, die sie über sich und das Unternehmen erzählen („Story telling“) und veranlassen Andere, ähnliche „Erzählungen“ zu verbreiten. Sie regen den Veränderungsprozess über eine ganz bestimmte Kommunikation an. Gelingen und Erfolg sind allerdings nicht direkt erzielbar, sondern die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens kann durch geeignete Kommunikation deutlich erhöht werden. Beeinflusst wird somit das Umfeld der jeweils handelnden Akteure, nicht die Akteure direkt. Modernes Innovationsmanagement hat grundsätzlich folgende Aufgabe:

„ einen geeigneten Rahmen (Strategie, Regeln) für Entfaltung und Lernen zu schaffen,

„ eine passende Atmosphäre (Kultur, Evokation) zu entwickeln „ und Anregungen (Initiative, Provokation) zu geben. Erfolgreiche Innovationen zeichnen sich dadurch aus, dass das Erkennen und „Erkenntlichmachen“ von hilfreichen Mustern zum rechten Zeitpunkt geschieht. Innovationen sind Konstrukte, welche von den jeweiligen Akteuren als nützliche Lösungen anerkannt werden. Ob sie etwas „Neues“ sind, ist dabei eine subjektive Bewertung und vor allen Dingen kontextabhängig. Folglich kann durchaus ein „altes“ Muster bestimmten Akteuren als hilfreiche Neuerung ins Bewusstsein gerückt werden. Es hängt also ausschließlich vom Kontext ab, wie und ob Innovationen entstehen und welche Bewertung sie erfahren. Sie stellen in ihrer optimalen Ausprägung neue Chancen dar, Erfolg zu haben. Innovationen eröffnen neue Wahlmöglichkeiten, indem sie von anderen Akteuren als Kontingenz (Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten) wahrgenommen werden. Innovationen sind demzufolge Entdeckungen und Nutzungen eines neuen Orientierungsmusters.71 Weil allerdings durch ein aktives Innovationsverhalten bestehende Strukturen und Prozesse in Frage gestellt, lieb gewordene Privilegien bedroht und eigene Kompetenzen entwertet werden, begrenzt man sich meistens auf die Optimierung des Bestehenden. Dabei sind marginale Verbesserungen und Rationalisierungsinnovationen in kleiner werdenden Nischen dann meistens das höchste Maß an Entwicklung. Sicherlich hat man eine vorübergehende Bestform geschaffen, aus der auszubrechen und

70 71

50

Siehe Bergmann 2003a, a.a.O. Bergmann, G. 2003a, a.a.O.

Der theoretische Bezugsrahmen

neue Entwicklungen anzustoßen allerdings noch schwerer geworden ist. Dabei zeigt sich, dass je höher der Professionalisierungsgrad von Organisationen ist, um so schwieriger ist deren Veränderung. Fehlendes innovatives Verhalten wird in Organisationen aber auch in Netzwerken regionaler, interregionaler oder gar internationaler Akteure häufig durch Benchmarking und durch Nachahmung von „Good practice“ Modellen ersetzt. Durch bloßes Kopieren geht allerdings die eigene Innovationsfähigkeit noch mehr verloren und vorgegebene Modelle sind in der Regel nicht auf die eigene Organisation ohne erhebliche „Reibungsverluste“ zu übertragen. Die Innovationsfähigkeit einer Organisation, eines Netzwerkes etc. wird nicht durch die ständige Variation neuer „Best-of-Modelle“ erhöht, sondern durch die Analyse der eigenen Bedingungen und Veränderungspotenziale. Wirkliche Veränderungen geschehen an den Grenzen des Systems, da wo es mit anderen kommuniziert und da wo es seine Identität verlässt.

2.1.6

Lean Management und andere wenig dauerhafte Moden des Managements

Viele Organisationen haben nach dem „lean“ Rausch der 1990er Jahre noch ihre letzten Überhangpotenziale abgeschafft, man ist jetzt ganz „schlank“ und es fehlen die Kompetenzen und Ressourcen für wirkliche Veränderungen.72 Dass die Lean-Theorie teilweise dazu geführt hat, eine erstarrte Replikation des Bestehenden zu bewirken, ist nicht zuletzt partiell in den Entwicklungen der japanischen Wirtschaft nachzuvollziehen. Das Organisationen und Netzwerke zur ihrer innovativen Entwicklung Redundanzen benötigen, wurde allerdings schon frühzeitig aufgezeigt.73 Es fehlen somit in vielen Organisationen die Kompetenzen für wirkliche innovative Veränderungen, ja oftmals schon für die Erkenntnis der Veränderungsnotwendigkeiten. Moden im Management, die schon nach wenigen Jahren wieder in Vergessenheit geraten: Zu erinnern wäre hier neben dem Lean-Management an die Shareholder-value Orientierung, die dazu führte, das Unternehmen und ihren Managern der Blick für Kunden (die, die das Geld ins Untenehmen bringen) und die Mitarbeiter (bilden die kollektive Kompetenz des Unternehmens) verloren ging. Auch das Fusionsfieber hat zu zahlreichen Misserfolgen geführt (AOL Time Warner, Daimler-Chrysler usw.). Das Business Reingeneering wurde von den Autoren Hamer/Champy selbst als wenig erfolgreich beschreiben.

72

„Nach dem Schlankheitswahn in der Automobilindustrie, schlägt das Pendel dort inzwischen ebenso in die andere Richtung aus: Statt weiter auf „lean“ zu setzen und rigoros Outsourcing zu betreiben, übernehmen die Hersteller wichtige Aufgaben wieder selbst oder verlagern einige Aktivitäten sogar wieder in die Konzerne zurück.“ Aus: Muks – automotive ticker 02/2003, S.4 73 Siehe Grabher, G. 1994: Lob der Verschwendung: Redundanz in der Regionalentwicklung. Berlin

51

2.1

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

In Organisationen, Netzwerken bis hin zu politischen Handlungszusammenhängen werden „Reformen“ vorgenommen, die eigentlich nur das Bestehende variieren, gehandelt wird oftmals nach der unausgesprochenen Devise „mehr desselben“. Dass durch diese Einstellung an den eigentlichen Problembereichen vorbei gesehen wird, ist eine Erkenntnis, deren Trivialität augenscheinlich ist, aber in weiten Bereichen von Organisationen und Gesellschaft bisher keine Folgen zeitigt. Die „Logik des Misslingens“ wird in vielen Feldern erfahrungsgemäß fortgesetzt. Veränderungen und Reformen kaschieren vorwiegend nur die Fehler früherer Fehlentscheidungen und des grundlegenden Unverständnisses von Prozessen der Veränderungen und des Lernens in Sozialen Systemen.74 Neuerdings wird dies dann fälschlicherweise mit der „Fehlerfreundlichkeit“ einer Managementkultur verdeckt. Wobei die Fehlerfreundlichkeit nicht im eigentlichen Sinne vorhanden ist, sondern damit nur fehlende Diagnosekompetenzen kompensiert werden. Diese Sichtweise gehört ebenso, wie das Märchen von der „Null-Fehler-Produktion“ der 1990er Jahre, zu den sich hartnäckig erhaltenden Handlungsrezepten alt hergebrachter Reformkonzeptionen.75 Innovationsfähigkeit hat sehr viel mit Lernfähigkeit zu tun. Wenn heutzutage von „Lernenden Organisationen“ die Rede ist, so meint man damit sich innovatorisch erfolgreich verändernde Systeme. Viele der Ansätze über „Lernende Unternehmen“, „Lernende Organisationen“, „Lernende Netzwerke“ bis hin zu „Lernenden Regionen“ gehen davon aus, dass diese abstrakten Gebilde lernen und zwar durch die Erhöhung des Wissenskanons der in ihnen handelnden Menschen. Die Innovationsfähigkeit von Organisationen hängt aus dieser Perspektive stark von der Lernfähigkeit der Individuen ab. Da eine Organisation aber nur dann an den „Lernforstschritten“ der Individuen teilhat, wenn diese sie in der Arbeit anwenden, versucht man heutzutage mit „Wissensmanagement“ diese Schwierigkeiten zu kontrollieren. Die Wissensbasis soll somit institutionalisiert werden und der Organisation unabhängig von den „Wissensträgern“, den Mitarbeitern, zur Verfügung stehen. Bei den Versuchen der Operationalisierung von Wissen werden aber leider meistens die „systemischen“ Bedingungen für das Entstehen von Wissen zu wenig beachtet, weil man sich nur auf die personale Ebene konzentriert. So verfügen die Unternehmen zwar über „kenntnisreiche“ Mitarbeiter, das System selbst ist allerdings wenig lernfähig, beziehungsweise begünstigt und fördert die innovatorischen Kompetenzen der Akteure nicht genügend. So haben Weiterbildungsoffensiven, Wissensmanagementverfahren oder Veränderungen im Arbeitsablauf (Teamarbeit etc.) unter dem Gesichtpunkt innovatorischen Erfolgs zumeist nur recht bescheidene Ergebnisse vorzuweisen.

74 Dörner, D. 1999: 75 Vgl. hierzu u.a. Probst, G. ; Büchel, B. 1994 und auch Senge, P. 1996

52

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

2.2

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

Im Folgenden werden die wesentlichen Begriffe rund um das Thema Innovation und Kompetenz erläutert. Wir beginnen mit Erläuterungen zum Themenkomplex Innovation und Innovationsmanagement und widmen uns dann dem Konstrukt Kompetenz und wichtigen Begriffen zu diesem Bereich wie Wissen, Information, Lernen usw.

2.2.1

Innovation

Innovation ist ein schillerndes Phänomen. Ursprünglich stammt der Begriff vom lateinischen Wort „Innovatio“, welcher Erneuerung aber auch sich Neuem hingeben bedeutet. Innovation hat also mit Aufbruch und Veränderung, mit Hingabe und Leidenschaft, aber auch mit der Orientierung an Erfahrungen zu tun. Innovation ist ein Sammelbegriff für Verbesserungen und Neuerungen. Sie reichen von marginalen Detailänderungen bis zu grundlegenden Neuentwicklungen. Das Innovationsspektrum umfasst:

„ Um- und Durchsetzung von Entdeckungen und Erfindungen „ Qualitative Veränderungen von Eigenschaften, Strukturen oder Abläufen „ Umgestaltung und Verbesserung konventioneller Realisationen „ Lancieren und Verbreitung von Neuentwicklungen und Neukreationen „ Finden neuer An- und Verwendungsmöglichkeiten Heute existieren vielfältige Definitionen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Beschreibungen:

„ „An innovation is an idea, practise or object that is perceived as new by an individual or other unit of adoption.“76 Diese klassische Definition von E.M. Rogers, dem Begründer der Diffusionstheorie, zeigt wesentliche Merkmale einer Innovation auf. Entscheidend ist u.E., dass eine Idee, Verfahrensweise oder ein Ding gemeint sein kann und es irgendjemandem als neu erscheinen muss. Einen weiteren Aspekt der Akzeptanz einer Neuerung betont:

„ „Innovation from idea generation to problem solving to commercialization is a sequence of organizational and individual behaviour patterns connected by formal ressources allocation decision points.“77

76 77

Rogers 1985 Goldhar 1980 S. 284

53

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Innovationen sind also Ideen, die von einer bestimmten Gruppe als neu wahrgenommen und auch als nützlich anerkannt werden. Die Devise lautet, etwas hinzuzufügen was fehlte, weniger etwas reduzieren und abschneiden, was als fehlerhaft gilt. Innovationen geben Impulse, erzeugen mehr Möglichkeiten, zeigen Wege auf und sind eher aus einem ganzheitlichen Ansatz der Fülle und der Chancen zu generieren. Innovationen erzeugen das Neue und Andere. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass die Situation verbessert und gelöst, also sinnvoll verändert wird. Viele Veränderungen werden zumindest als negativ störend oder verschlechternd empfunden, andere führen gar zu einer von vielen nachteilig empfundenen Situationen. Trotzdem bieten aber Veränderungen neue Chancen zur Entwicklung, zum Lernen und zur Lösung starrer Gewohnheiten. Vitale Systeme benötigen Wandel und Vielfalt als Wesensbedingungen. Lebendige Unternehmen müssen versuchen, sich verbessernd zu verändern, da sich das Umfeld permanent turbulent und diskontinuierlich entwickelt. Nur in sehr überschaubaren, gleichförmigen und strukturierten Kontexten können Routinesysteme Effizienzvorteile erzielen. Nur wenn sich der Kontext wenig komplex und dynamisch darstellt, ist es besser, bewährte, eingespielte Routinen und Strukturen zu erhalten. Andernfalls erscheint es sinnvoll – so paradox das klingen mag – bei hoher Fehlerhäufigkeit, Neues zu probieren und zu variieren. Nur so kann schnell gelernt werden, sich an neue Bedingungen anzupassen. In einer Atmosphäre der Felerfreundlichkeit und Kreativität steigen zudem das Engagement und die Motivation, da hier Spielräume bestehen, sich einzubringen und seine Ideen zu verwirklichen. Innovation ist zudem ein Teamentwicklungsprozess, denn für die erfolgreiche Erneuerung werden mehrere Personen benötigt. Diese Tendenz verstärkt sich in komplexen Kontexten.

2.2.2

Systemisch: Innovationen in sozialen Systemen

Gegenstand der Innovation sind Unternehmen und Organisationen sowie das, was sie nach außen anbieten (z.B. Produkte) und die externen Beziehungen. Alles dies sind soziale Systeme, die sich aus drei wesentlichen Elementen zusammensetzen:

„ Informationen, „ Identität „ und Beziehungen. Wie oben schon erläutert wurde, sind es diese „Kommunikationen“, die den Charakter und den Zusammenhalt ausmachen. Die Unterschiede zu Anderen bilden die Basis für Identität (Bindungskraft, Zusammenhalt, Orientierung). Je mehr sich das System unterscheidet, desto besser ist es zu identifizieren. Es erhält mehr Informationen, da sich die Akteure mehr zum System bekennen. Zudem verbes-

54

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

sern sich die Beziehungen. Gute Beziehungen erzeugen mehr Informationen usw. Die drei Elemente fördern sich also gegenseitig. Damit eine sinnvolle Weiterentwicklung geschehen kann, sind wenige aber klare Regeln, ein offener partnerschaftlicher Umgang und die kooperative Öffnung zu anderen Organisationen grundlegend. Eine Unternehmung muss sich von anderen unterscheiden und eigenständig bleiben, aber darf sich auch nicht einmauern. Attraktivität entsteht aus Eigenständigkeit und Offenheit. Das Problem dabei ist, dass von einem System oft nur bestimmte Bereiche sichtbar sind wie Symbole (Marke, Produkt), die Geschichten, die über die Firma erzählt werden, die Rituale und Regeln. Die eigentlichen Werte oder gar das System selbst sind nur indirekt erkennbar. Der Kulturkern des Systems und seine äußeren Merkmale sollten möglichst in Einklang gebracht werden, damit sich Andere gut orientieren können. Das heißt, das Erscheinungsbild (CD, Logo, Werbung), die Geschichten über die Firma (PR, Image etc.) sowie die Regeln und Rituale (Spielregeln, Leitlinien, Verträge) sollten aus der Identität der Unternehmung entspringen, ein konsistenter Ausdruck dessen sein.78

Abbildung 2-1:

Schichten eines Systems

Soul Sichtbares Erscheinungsbild Geschichten Rituale, Regeln, Usancen Werte Kulturkern

Vitale Systeme brauchen wenige Prinzipien, wenige Regeln und viel Autonomie, dann können sich Lösungen entwickeln, die organisch erwachsen. Es entsteht Ordnung aus dem Chaos, wenn ein klarer aber breiter Rahmen gegeben ist und geeignete Atmosphären geschaffen werden. Zu viele Regeln, Kontrollen, Ziele und Vorschriften bremsen die Selbstorganisation. Der vitale Kern entfaltet sich nur in offener Klarheit. Es lassen sich also Regeln finden, die schon in anderen Zusammenhängen zum Erfolg geführt haben. Wenn man diese dann anwendet, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Ähnliches wie im Referenzsystem geschieht. 78

Vgl. Hofstede 1997

55

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Systemisch heißt zunächst nichts weiter, als systemdienlich. Unternehmen verstehen wir als soziale Systeme, die sich aus Kommunikationen bilden. Es werden von Akteuren Unterscheidungen vorgenommen, die innen und außen differenzieren. Organisationen kann man nicht finden, handhaben oder beraten, weil sie sich nur in einer von anderen Systemen unterscheidbaren Form der Kommunikation beschreiben lassen.79 Unternehmen sind damit Interaktionsgemeinschaften, die durch Veränderung der Kommunikationen verändert werden. Probleme werden wie Lösungen sozial konstruiert oder anders ausgedrückt: Probleme sind oft Kommunikations- oder Beziehungsprobleme. Sie entstehen relational in der Interaktion zwischen mindestens zwei Akteuren und wenn man die Sprache und den Umgang durch die Änderung der Kontextbedingungen irritiert, entstehen neue Optionen zur Vitalisierung des Unternehmens. Zuweilen kann man durch jedwede Veränderung und Irritation überprüfen, ob das Unternehmen noch lebensfähig ist und es gegebenenfalls wiederbeleben.

2.2.2.1

Idee

Eine Idee ist nach Platon das sinnlich nicht fassbare, ewig seiende Urbild eines Dinges. Nach Immanuel Kant ist die Idee ein Grundbegriff der Erkenntnistheorie, der in der Vernunft seinen Ursprung und keine Entsprechung im Bereich der Erfahrung hat. Eine Idee ist also etwas zumindest subjektiv Neues, etwas als neu Erkanntes. Eine Idee entspringt zum Beispiel einer Verknüpfung von bisher getrennten Gedanken im Gehirn. Durch die Kombination vorhandener Aspekte entsteht eine neue Lösung, die nicht aus der Erfahrung stammt. Ideen gehen insofern Erfindungen voraus, die in der Regel viele Ideen voraussetzen. Die Kreation ist der Prozess der Ideengewinnung.

2.2.2.2

Invention

Eine Invention ist eine Erfindung, also eine vollkommen neue Erkenntnis zumeist auf technischem Gebiet. Eine Invention kann ein wesentlicher Teil einer Innovation sein, wird aber erst dazu, wenn diese Erfindung realisiert werden kann und Akzeptanz findet. Viele Patente werden bisher gar nicht genutzt, weil kein darstellbarer Nutzen erkannt wird oder die Realisation zu schwierig oder kostenaufwendig ist.

2.2.2.3

Kreation

Die Kreation, also die Erkenntnis oder die spontane Ideenentwicklung kann ein singulärer Prozess sein. Förderlich ist ein kreatives Umfeld, eine Atmosphäre, in der die Ideenentwicklung wahrscheinlicher wird. Die Rückführung der Kreation oder Innovation auf eine Einzelperson erscheint insofern als fragwürdig.

79

56

Vgl. dazu z.B. Simon, 1998 S. 29

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

2.2.2.4

Forschung und Entwicklung (F&E)

Forschung und Entwicklung wird als ein technisch dominierter Innovationsbereich gesehen, der die Grundlagenforschung, die angewandte Forschung sowie die Entwicklung und Konstruktion von Neuerungen einschließt. Es werden neue Erkenntnisse gewonnen und in wesentlich verbesserte Anwendungen (Produkte, Komponenten, Dienste, Materialien) überführt. Das F&E Management hat die Aufgabe, Impulse für neue Erkenntnisprozesse zu geben, die Rahmenrichtlinien (Strategien, Regeln Ziele) zu erlassen, zu kontrollieren und weiterzuentwickeln sowie die notwendige Atmosphäre (Kultur, Philosophie) für diese Innovationsprozesse zu schaffen.

2.2.2.5

Produkt und Design

Im Zentrum der Betrachtung steht das Produkt als marktfähiges Leistungsangebot. Das Produktangebot besteht aus dem Produktkern, den akzessorischen, ebenfalls nutzenstiftenden Eigenschaften wie Ästhetik, Funktion, Symbolik, physische Konsistenz, der Verpackung und dem nutzenmindernden Preis und der Transaktionskosten (Beschaffungskosten und -zeit). Das Angebot kann sowohl materiellen, als auch immateriellen Charakter aufweisen. Convenience (Lebensmittel), Shopping (Mode, Geschenke) und Speciality Goods (Gebrauchsgüter) lassen sich nach Preis, Ego-Involvement, Komplexität und Individualitätsgrad unterscheiden. Besonders bedeutsam erscheint die mit dem Produkt verbundene Unsicherheit, ob es die gewünschten Eigenschaften aufweist und damit zur Bedürfnisbefriedigung beiträgt. Produkte sind Ausdruck der Kommunikation des Unternehmens oder der Projektgruppe, der sie entstammen. Wenn der Charakter die Qualität oder das Image verändert werden sollen, ist die Kultur des Umgangs, die Atmosphäre und der Rahmen, in dem sie entwickelt und produziert werden, zu verändern.

57

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Abbildung 2-2:

2.2.2.6

Produktarten I

Design

Design heißt zunächst einmal Gestaltung. Zumeist wird unter Design die äußere und innere Ausgestaltung unter ästhetischem Primat verstanden. Die ansprechend, formschöne Gestaltung wird ergänzt durch eine funktional, hoch qualitative, gestaltoptimierte Konstruktion. Design soll also Ästhetik und Technik optimal verbinden.80 Das Corporate Design umfasst das Industrial Design mit materiellen Produkten und Konzepten und Dienstleistungen, das Communication Design mit der visuellen und medialen Kommunikation sowie dem Interface oder Interaction Design. Komplett wird das ganzheitliche Unternehmensdesign mit den Interior und Exterior Design, also der Gestaltung von Architektur und Innenarchitektur (Environment Design).81

Abbildung 2-3:

Corporate Design

Industrial Design

Communication Design

Environment Design

Produktdesign Modedesign Konzeptdesign

Visuelle u. mediale Kommunikation Interface Design

Interior Design Exterior Design

Corporate Design

80 81

58

Vgl. Bergmann, G. 2003 Siehe Bergmann, G. 1994, S. 8 ff.

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

Designqualitäten Die Designqualitäten und damit insbesondere ästhetische Eigenschaften unterliegen sehr unterschiedlicher Beurteilung. Der Qualitätsbegriff wird tendenziell über das eigentliche Produkt hinausgehend auch auf die kommunikativen Effekte bezogen. Beispielsweise lässt sich der Schutz vor Imitationen weniger durch Schutzrechte, als vielmehr durch die unverwechselbare und nur bedingt zu kopierende Symbolkraft ganzheitlicher Corporate Communication erreichen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Qualität der internen und externen Austauschbeziehungen. Zur Ausbildung einer Total Quality und damit einzigartigen Marktpositionen ist es zudem sinnvoll, eigene Organisationsstandards und Kommunikationsformen zu entwickeln.

Innovations- oder Designobjekte Objekte des Designs können, neben materiellen Produkten und deren visueller Kommunikation sowie gesamter Organisationen und Unternehmen, auch immaterielle Leistungen wie Konzepte, Software, Service und Dienstleistungen sein. Funktionen und Eigenschaften eines Designobjektes werden neben den konstruktiven Elementen und der Einpassung in ein modulares Gesamtprogramm im wesentlichen durch die Formgebung, die Farbgestaltung, die Auswahl des Materials inklusive der Oberflächen sowie durch den Einsatz von Zeichen und Symbolen geprägt. Design inklusive der Konstruktion umfasst in diesem Zusammenhang alle genannten Gestaltungsmittel. Wie kann durch das Corporate Design das Erscheinungsbild und Image einer Unternehmung verbessert werden? Erläutern Sie das an einem Beispiel.

2.2.2.7

Innovationsarten

Da Unternehmen im Bereich Innovationen stets gefordert sind, sich weiter zu entwickeln, stellt sich nun die Frage: Wie können Unternehmen das Produktangebot erweitern? Dies kann auf zwei Arten geschehen: Durch die Akquisition und über Neuproduktentwicklung. Bei der Akquisition sind drei Arten zu unterscheiden:

„ Zukauf innovativer Unternehmen, dies ist z. B. die Strategie von Nestle oder Unilever, VW, Microsoft, Bertelsmann

„ Erwerb von Patenten und weiterer Schutzrechte von anderen Unternehmen „ Lizenz- oder Franchiseabkommen Allerdings sind dies keine Neuentwicklungen von Produkten sondern bedeutet lediglich den Erwerb von Rechten an bestehenden Produkten/Dienstleistungen.

59

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Bei der Neuproduktentwicklung gibt es zwei Arten zu unterscheiden:

„ Entwicklung von neuen Produkten in einer eigenen F&E-Abteilung „ Entwicklung durch unabhängige Entwicklungslabors/-forscher Daneben lässt sich aber auch eine Unterscheidung vornehmen, die sich auf die strategischen Entscheidungen eines Unternehmens bezieht. Es lassen sich sechs Produktinnovations-Kategorien unterscheiden:

„ Weltneuheit: Neues Produkt für völlig neuen Markt (z. B. mobile phone ab ca. 1990)

„ Neue Produktlinien: Neue Produkte, die den Unternehmen den Zugang zu einem bereits existierenden Markt ermöglichen (z. B. Salomon als Hersteller von Skibindungen fertigt Skier)

„ Produktlinienergänzung: Neue Produkte, die etablierte Produktlinien des Unternehmens ergänzen (z. B. Schweizer Taschenmesser mit integriertem USB Stick)

„ Verbesserte bzw. weiterentwickelte Produkte: Neue Produkte, die leistungsfähiger sind oder einen größeren Nutzen versprechen (z. B. neuer Prozessor oder Software im Computer)

„ Repositionierte Produkte: Existierende Produkte, die auf neuen Märkten/Segmenten angeboten werden (z. B. Mp3-Player für das Auto)

„ Kostengünstigere Produkte: Neue Produkte, die bei niedrigeren Kosten eine vergleichbare Leistung bringen

2.2.3

Die Bedeutung von Innovationen für Unternehmen

Innovationen erfüllen in Unternehmen zahlreiche strategische Aufgaben, wie eine Studie von Booz, Allen & Hamilton ergab.82 Die sechs wichtigsten Gründe seien hier genannt. (Die Prozentangaben geben Auskunft darüber, wie häufig die einzelne strategische Aufgabe von den befragten Unternehmen genannt wurde. Mehrfachnennungen waren möglich).

82 vgl. www.strategy-business.com

60

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

Abbildung 2-4:

Die Bedeutung von Innovationen für Unternehmen

Erhaltung der Position als „Produktinnovator”

46 %

Verteidigung des erreichten Marktanteils

44 %

Einstieg in zukünftige neue Märkte

37 %

Besetzung eines Segments vor den Konkurrenten

33 %

Neuartige Anwendung einer Technologie

27 %

Ausnutzen von Stärken des Vertriebs

24 %

Innovationen können nach sehr unterschiedlichen Kriterien differenziert werden. Am häufigsten wird nach dem Wirkungsbereich gegliedert. Danach lassen sich folgende Innovationen unterscheiden:

„ Produkt oder Service bezogene Innovation „ Prozessinnovation „ Kultur- und Organisationsinnovation „ Innovationen nach dem auslösenden Impuls „ Evolutionäre und revolutionäre Innovation Diese verschiedenen Arten der Innovation bedingen sich teilweise gegenseitig. Eine Neuproduktentwicklung kann eher in einem innovativen Umfeld gelingen, auch müssen oftmals Verfahren geändert und Organisationsstrukturen angepasst und weiterentwickelt werden, wenn das Unternehmen sich auf neue Produkte und Märkte ausrichtet.

2.2.4

Innovationsarten

2.2.4.1

Innovationen nach dem auslösenden Impuls

Grundsätzlich können Innovationen durch den Anbieter oder durch Nachfrager ausgelöst werden. Angebots- oder Push-Innovationen stammen von Unternehmen, die eine Idee oder Erfindung entwickelt und diese aus eigenem Impuls dem Markt vorstellt. PushInnovationen werden in „Ideenschmieden“ (Post-it von 3M, Walkman von Sony) oder F+E Abteilungen (Medikamente, technische Neuerungen) entwickelt.

61

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Nachfrage- oder Pull-Innovationen werden durch Kunden und Nutzer ausgelöst. Zum Teil werden Kunden in die Produktentwicklung integriert (User Groups), um die Nutzungsqualität und Anwendungsmöglichkeiten zu verbessern. Auch die Reklamationen oder die Anfrage von Sonderanfertigungen dienen als Quell für Innovationen. Als dritte Kategorie können Innovationen von externen Experten genannt werden. So dienen Innovationsprojekte der Lösung spezifischer Problemstellungen. Zu nennen sind hier Design-Awards oder auch technische Ausschreibungen. In diesem Zusammenhang ist auch auf das in letzter Zeit populäre Open Source Development hinzuweisen. Diese Vorgehensweise ist durch die Entwicklung der Linux Software durch Linus Thorwald bekannt geworden. Der Quellcode für die Programmierung wurde in das Internet gestellt und so jedem Interessierten ermöglicht, an der Verbesserung mitzuwirken. Ungeschriebene Regeln lässt das Forking kaum vorkommen, also die Nutzung der Information für eigene kommerzielle Projekte. Faktisch werden die Programme interaktiv und ohne Bezahlung weiterentwickelt und ohne dass Plagiate auftauchen.

2.2.4.2

Innovationen nach dem Neuigkeitsgrad

Innovationen sind Erneuerungen. Nach dem Grad der Neuheit können Innovationen differenziert werden: Basisinnovationen Eine Basis- oder Grundlageninnovation resultiert aus einer vollkommen neuen Erkenntnis oder Erfahrung. Als Beispiele sind das Automobil, die Pille oder der Personalcomputer zu nennen. Verbesserungsinnovationen Eine Verbesserungsinnovation betrifft die Entwicklung neuer Komponenten und Nutzenaspekte. Hier sind neue Antriebsformen von Autos (Gas, Solar) oder InternetSoftware zu nennen. Anpassungsinnovation Bei Anpassungsinnovationen werden ökologisch, soziale, rechtliche, technisch veränderte Ansprüche oder Standards in vorhandene Produkte integriert (Internetsoftware, Airbag, Katalysator).

2.2.4.3

Evolutionäre und revolutionäre Innovationen

Evolutionäre (schrittweise) Innovationen dienen der allmählichen Weiterentwicklung von Basis- und Schlüsseltechnologien. Revolutionäre Innovationen erzeugen deutliche Sprünge in der Entwicklung. Hier werden in relativ kurzer Zeit, Schrittmachertechnologien für neue Märkte nutzbar gemacht. 62

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

Revolutionäre Innovateure gehen ein hohes Risiko ein, können bei erfolgreicher Einführung jedoch auch Vorsprungsgewinne realisieren und Marktbereiche besetzen, was aus der temporären Monopolstellung resultiert. Bedeutende und nachhaltige Imageverbesserungen sowie Marktpositionen sind dadurch zu erreichen. Im Folgenden wollen wir uns den Produktinnovationen speziell widmen, da sie einen für viele Unternehmen wichtigen Bereich darstellen.

2.2.4.4

Produktbezogene Innovationen

Produkte sind nach dem lateinischen Ursprung etwas Hervorgebrachtes. Es sind die aus Entwicklungsprozessen entstandenen Marktangebote eines Unternehmens in Form von materiellen oder immateriellen Leistungen. Es kann sich also um Dinge, aber auch um Konzepte, Dienste, virtuelle Gestaltungen u.a. handeln.

Abbildung 2-5:

Produktarten II

immateriell

Service, Konzepte

materiell Dinge

Produktinnovationen Bei Produktinnovationen handelt es sich um die Entwicklung und Vermarktung von vollkommen neuen Programmbestandteilen auf der Basis von Erfindungen und Ideen. Sie sind zumindest für das Unternehmen neu und in der Regel auch für den Markt.

Fallbeispiel: Weltneuheit Bionade Bionade ist ein biologisches Erfrischungsgetränk, eine Weltneuheit, das es, auch ohne viel Marketingbudget geschafft hat, sich zu einem Szenegetränk mit respektabler Verbreitung zu entwickeln. Im Gegensatz zu Caiman oder Red Bull handelt es sich bei Bionade aber um ein „Wellness-Getränk“. Kein Alkohol und im Prinzip wie Bier nach dem „Reinheitsgebot" hergestellt. Das Wort Bionade leitet sich aus „Bio" und „Limonade" ab. Der Weg zum rentablen Szene-Getränk war lange und beschwerlich. Alles fing damit an, dass die Peter Brauerei in Ostheim nichts mehr mit dem Hauptprodukt Rhön-Pils umsetzen konnte. Dieter Leipold, Ehemann der Brauereiinhaberin Sigrid Leipold, hatte die Vision, „Fanta ohne

63

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Chemie" zu erfinden. 1995 gelang ihm in einem speziellen Verfahren genau diese Erfindung. Ihm ist es erstmals gelungen, mit Hilfe von speziellen Säurebakterien aus einem zuckerhaltigen Naturprodukt einen Teil des Zuckers durch Fermentation in Gluconsäure umzuwandeln. Insgesamt acht Jahre hat er von der ersten Idee bis zur Patentfreigabe benötigt. Doch die Vermarktung war schwerer als gedacht. Getränkehändler, die 1997 begeistert die ersten Kästen bestellten, fanden keinen Absatz, weil das Getränk gänzlich unbekannt war. Venture Capital Geber winkten ab, den Markteinstieg zu finanzieren und Brauereien lehnten ab, das Erfrischungsgetränk in Lizenz herzustellen. Zudem war Dieter Leipold kein Mann des Vertriebes, so dass die beiden Söhne für Marketing und Vertrieb verantwortlich zeichneten. Der Zufall verhalf dann zum Durchbruch im Jahr 2001. Dem Getränkehändler Göttsche fielen durch einen Zufall die Etiketten in die Hände und er machte Bionade in Hamburg zum Szenegetränk. Große Getränke- und Lebensmittelfilialen nahmen Bionade in ihr Sortiment auf. Mit Rhön-Sprudel wurde eine Logistik-Kooperation eingegangen. Daraufhin wurden auch die großen Brauereien auf das Getränk aufmerksam. Die Brauerei Alken-Maes aus Belgien schloss einen Lizenzvertrag mit Bionade ab. Nun steht einer weiteren internationalen Verbreitung kaum noch etwas im Wege.

2.2.4.5

Produktvariation

Von der Produktinnovation ist die Produktvariation zu unterscheiden. Hierbei wird ein vorhandenes, eingeführtes Produkt ästhetisch, funktional, technisch angepasst, ohne das Produkt im Wesenskern zu verändern. In der Automobilindustrie z.B. werden laufende Typen durch geänderte Frontpartien optisch modernisiert, um modischen Ansprüchen zu genügen. Es werden funktionale Anpassungen (neue Motortechnik) vorgenommen oder die Qualität verbessert. Anlässe sind:

„ Technische Neuerungen (Mp3, iDVD) „ Ökologische Gesichtspunkte (Rußfilter, Solaranlagen) „ Bedürfnis- und Nachfragewandel (Umkehrung der Stadtflucht) „ Modische Entwicklungen (Neue subkulturelle Trends erreichen den Mainstream) „ Produktrelaunch, Revitalisierung, Remake, Redesign (Afri Cola, Persil, Lucky Strike)

„ Gesetzesänderungen (Bürostuhl mit fünf Füßen wird Vorschrift) Durch die Produktvariation sollen bisher gewonnene Märkte und Kunden gehalten werden.

2.2.4.6

Produktdifferenzierung

Die Produktdifferenzierung dient der Auswertung angestammter Märkte. Aus einem Kernprodukt werden unterschiedliche Varianten entwickelt, die es ermöglichen, das

64

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

nur marginal veränderte Produkt neuen Kundenkreisen anbieten zu können. Es werden dann unterschiedliche Kundenwünsche bedient und der Umsatz ausgewertet, ohne dass im gleichen Maße die Kosten steigen. Beispielsweise werden Produkte für verschiedene Zielgruppen unterschiedlich verpackt (Schokolade als Tafel, Weihnachtsmann oder Geschenkpackung), mit unterschiedlichen Preisen versehen (Preisdifferenzierung nach Tageszeit, Saison oder Region), mit unterschiedlichen Formen angeboten (Farben, flüssig – fest, Packungsgröße etc.). Im Bereich der Neuen Medien hat sich das Versioning etabliert. Die Angebote werden in den Medien zeitlich und sachlich gestuft. Filme werden als Video, in Kinos, als interaktive Software und in Segmenten für zum Beispiel werbliche Zwecke sowie als Musikstücke verkauft (z.B. Tarzan). Aktuelle Informationen (z.B. Börsendaten) werden in zeitlicher Stufung und unterschiedlich detailliert zu verschiedenen Preisen angeboten.

2.2.4.7

Produktdiversifikation

Bei der Diversifikation werden neue Produkte für einen neuen Markt vorbereitet: Horizontale Diversifikation: Erweiterung des Angebotes durch Verbundprodukte gleicher Wertschöpfungsstufe Beispiele: Brauerei vertreibt Mineralwasser, Camel vertreibt Textilien Vertikale Diversifikation: In der Distribution vor oder nachgelagerte Stufen werden integriert. Beispiele: Möbelproduzent unterhält eigenes Sägewerk oder Spannplattenfertigung, Chemieunternehmen produziert Sonnencremes Laterale Diversifikation: Es werden vollkommen neue mit den bisherigen Produkten nicht verknüpfte Produkte entwickelt. Beispiele: Oetker (Pudding, Reederei, Bank), Nokia (Gummistiefel, Kunststoffkabel, Netzwerke, Telekommunikation, mobile phones).

65

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Abbildung 2-6:

P neu

Programm- und Produktentwicklungswege

Innovation

Diversifikation

Variation

P alt

Standardisierung

Differenzierung

K alt

K neu

In der oben stehenden Grafik sind ausgehend von einem vorhandenen Produktangebot die Veränderungswege angegeben. Es wird unterschieden nach neuem und altem Produkt sowie neuem und vorhandenem (alten) Markt. Neu ist dabei ein subjektives und relatives Phänomen.

2.2.4.8

Produktstandardisierung

Eine Möglichkeit, der wachsenden Komplexität zu entsprechen, bietet die Standardisierung von Baukastenmodulen. Hierbei können bestimmte Komponenten kostengünstig in Großserien gefertigt und dann für verschiedene Produktvarianten und -typen genutzt werden. Auf diese Weise ist ein Mass-Costumization möglich, also die individuelle Ausgestaltung von Massenprodukten. Beispiel dafür sind die Baugruppen bei Autos (Audi A6, Passat, etc). Die Produkte folgen der Regel „Smooth on the outside, pure and exactly inside. “ Ebenso zu nennen sind hier Branchenstandards, die es gerade im Bereich der neuen Technologien ermöglichen, sich als Marktführer zu etablieren. Auch ist im Zweifel bei allen Produktinnovationen eine interne „Kannibalisierung“ der Verdrängung durch Wettbewerber vorzuziehen.

2.2.4.9

Produktelimination

Eine weitere Möglichkeit der Veränderung ergibt sich durch die Elimination von Angeboten, es werden Produkte aus dem Programm heraus genommen. Gründe für das Ausscheiden können sein:

„ Produkte, die das Image des Unternehmens beeinträchtigen, nicht der Kernkompetenz entsprechen und/oder das Programm „verwässern“ 66

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

„ Produkte, die einen schlechten, einen unzureichenden relativen oder gar negativen Deckungsbeitrag erzielen (Verlustbringer)

„ Produkte, die Vorschriften und Gesetzen widersprechen „ Produkte, die den in sie gesetzten Erwartungen nicht entsprechen „ Produkte, die technologisch überholt sind, unmodisch wirken oder ökologischen Standards nicht mehr entsprechen

Fallbeispiel: Victorinox: Kompetenz-basierte Innovationen Die Firma Victorinox wurde 1884 in der Schweiz gegründet. Weltberühmt wurden die so genannten „Schweizer Messer“ als praktische Multitalente. Die wesentliche erste Innovation bestand darin, mit nur zwei Federn eine Vielzahl von Messern und anderen Utensilien auf engstem Raum unterzubringen. Mit den praktischen Werkzeugen wurde vor allem das Schweizer Militär ausgestattet. Schnell folgte aber auch eine zivile Verbreitung, schon allein deshalb, weil die Schweizer fast alle Reservisten der Armee sind. Zunächst wurde das Messer in andere Märkte exportiert und die Technik weiter verfeinert. Auch neue Messer Varianten kamen hinzu. Erst in den letzten Jahrzehnten hat man, ausgehend von der spezifischen Kernkompetenz des Unternehmens, weitere Produkt- und Programmbereiche entwickelt. Da das Unternehmen eine Kompetenz zugesprochen wird, die in etwa mit „robuste Qualität“, typisch schweizerisch“, „klein und nützlich“ usw. zu beschrieben ist, lag es nahe, auf diesem Pfad Innovationen zu versuchen. Die unten stehende Aufstellung macht deutlich, dass Produktbereiche, die der Kompetenz entsprechen, sehr erfolgreich werden können.

Abbildung 2-7:

Victorinox Umsatzzahlen Modelle

Pro Tag

Umsatz pro Jahr

"Swiss Army Knives"

100

34.000

7 Mio.

Andere MultiTools

300

43.000

9 Mio.

Haushalt- u. Berufsmesser

400

43.000

9 Mio.

Total

800

120.000

25 Mio.

2.2.5

Prozessinnovationen

Neben der Produktinnovation, also der Erneuerung von Resultaten, können auch die Prozesse und Verfahren, die zur Erstellung von Leistungen durchlaufen werden einer Erneuerung und Revision unterzogen werden.

67

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Die Prozessinnovationen dienen der verbessernden Veränderung von Unternehmensabläufen. Dabei handelt es sich um technologische Prozesse und Verfahren (Produktionsanlagen, -abläufe), aber auch um kommunikative und informationelle Prozesse (Methoden, Team-Koordination, DV und Medien). Effektive Abläufe und Prozesskoordinationen machen hohe Qualität, Ideenreichtum und Engagement wahrscheinlich. Mit dem Solution Cycle stellen wir im Kapitel 4 ein systemisches Prozessdesign vor, das empirisch aus der Beobachtung gelingender Prozessabläufe gewonnen wurde und seine theoretische Fundierung in der Theorie der Selbstorganisation, der Systemik und der evolutionären Ökonomie findet.

2.2.6

Kultur- und Organisationsinnovation

Kultur- und Organisationsinnovationen ergänzen die Prozessinnovationen. Hierbei geht es um die Gestaltung des Rahmens und der Atmosphäre in denen Innovationen ablaufen. So werden die Unternehmensphilosophie, die Unternehmensethik und -kommunikation weiter entwickelt. Organisatorische Innovationen betreffen die strukturellen Komponenten, wie geeignete Abteilungs- und Gruppenbildungen, den Aufbau des Total Quality Managements oder die Formen der Zusammenarbeit (Hierarchieaufbau, Prozessstrukturen). Genauso können auch die Beziehungen zu anderen Unternehmen (z. B. Netzwerke) und Marktteilnehmern (z. B. Händlern) erneuert werden.

Fallbeispiel: Kulturelle Öffnung eines technologie orientierten Unternehmens: e-tron Bei der Fa. Etron (Name geändert) handelt es sich um ein namhaftes Unternehmen der Software Entwicklung in sehr anspruchsvollen Märkten. Besonders im Bereich Medical Solutions werden hochwertige Hard- und Software Produkte entwickelt und produziert, die einzigartig hohen Ansprüchen genügen müssen, da es sich hierbei um sehr sensible Bereiche (Medizintechnik) handelt. Das Unternehmen entwickelt sich seit Jahren sehr positiv und stößt nun aber an Kultur bedingte Grenzen. Bisher basierten Karrieren immer auf der Qualifikation im technischen Bereich. In einem größer werdenden Unternehmen, das zudem in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, werden zunehmend neue Anforderungen an die Führungspersönlichkeiten gestellt. Das hat zur Folge, dass man nicht unbedingt die besten Ingenieure die wichtigsten Managementpositionen zuerkennen kann, sondern man benötigt zum großen Teil Menschen mit Führungskompetenzen. Die Auswahlkriterien sind insofern den Anforderungen anzupassen. Zudem fühlen sich hoch spezialisierte Ingenieure nicht unbedingt in ManagementPositionen wohl, in denen sie ihre erworbenen Fähigkeiten nur marginal verwenden können.

68

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

Ein zweites Problem taucht aufgrund der enormen Sicherheits- und Qualitätsansprüche auf. In der Kultur ist aufgrund der erforderlichen Präzision und Produktsicherheit kaum Spielraum für Eigeninitiative und Selbstorganisation. Beide Problembereiche sehen wir kulturellkommunikativ begründet und können deshalb in speziellen Workshops und GroßgruppenVeranstaltungen innovativ gelöst werden. Die Unternehmensleitung ließ es zu, dass das ganze Unternehmen in einem open space workshop gemeinsam die strategische Planung betreiben konnte. Großes Engagement, zahlreiche neue Erkenntnisse, ein stärkerer Zusammenhalt und mehr Selbstverantwortung waren einige der sehr positiven Folgen dieses Wagnisses.

2.2.7

Innovationsmanagement

Das Innovationsmanagement umfasst die Initiative, die Prozessbegleitung und Rahmengestaltung für Erneuerungsprozesse von der Idee und Erkenntnis über die Problemlösung zur erfolgreichen Verwirklichung und Einführung. Die einzelnen beteiligten Akteure und Bereiche sollen sich nach systemischer Auffassung im abgesteckten Rahmen möglichst selbst organisieren. Das Innovationsmanagement auf der jeweiligen Ebene stellt die notwendigen Ressourcen bereit, achtet auf die Initiative durch Impulse. Das universelle Vorgehen wird in dem Prozesssteuerungskapitel näher erläutert.

Designmanagement Designmanagement kann als eine auf die gestalterische Komponente des Angebotes und Erscheinungsbildes einer Organisation bezogene Führungs- und Koordinationsaufgabe verstanden werden. Das Designmanagement umfasst einen wesentlichen Teil des gesamten Innovationsbereichs einer Organisation. Denn gerade Neuerungen im Angebotsprogramm strahlen Veränderungen in alle Bereiche aus.

2.2.7.1

Innovationsziele: Vitalität und Entwicklung

Die Zielsetzung der Unternehmer und anderer Stakeholder ist die Erhaltung der Vitalität, also der Existenzsicherung und Weiterentwicklung. Menschen streben danach, mit ihren zum großen Teil unbewussten Motiven in Einklang zu leben. Einseitige Macht-, Einkommens- oder Profitmaximierung tendiert zum psychopathischen Verhalten. Glückserleben wird mit kooperativem, sinnhaftem Handeln wahrscheinlicher. Ein rentables Wirtschaften ist Voraussetzung und strenge Nebenbedingung, aber wohl kaum erstes Ziel.83 Klassische wirtschaftliche Diagnosen und Analysen ergeben ein monetäres Abbild des Status quo, liefern aber kaum Hintergründe für chronische Probleme und kaum Hin83

Vgl. Layard 2005, S. 41, Reiss 2000

69

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

weise auf Lösungswege. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Wenn Sie die Leistungsfähigkeit eines Automobils erhöhen wollen, nützt es wenig, das Tachometer zu tunen. Bilanzen und Kennzahlen geben aber nichts weiter an, als das Tacho im Auto. Es nützt auch wenig, mit sehr differenzierten und verschiedenen Indikatoren zu arbeiten. Dadurch wird nur vom Wesentlichen abgelenkt. Es geht um kohärentes Handeln im Sinne der Salutogenese: Wie kann ich die Dinge verstehbar (comprehensive), handhabbar (managerable) und sinnvoll (meaningful) gestalten? Wie wird Selbstwirksamkeit bei den Akteuren erzeugt, so dass die Handlungsfähigkeit zurückkehrt.84 Wie können vertrauensvolle Beziehungen untereinander geschaffen werden, um die Vitalität des Gesamtsystems zu steigern? Innovationsziele sind wie alle anderen Ziele mit den generellen Unternehmenszielen zu koordinieren. Innovative Unternehmen lassen Innovationsziele aber eine große Bedeutung zukommen. Die dauerhafte Weiterentwicklung im Sinne der Sustainability steht dabei im Vordergrund. Die wesentlichen Aufgaben des Managements, welche durch Innovationen ideal erfüllt werden können, sind Impulse zu geben für Neuerungen sowie den Rahmen und die geeignete Atmosphäre für Entwicklung und Lernen zu schaffen.

Abbildung 2-8: Grundsätzlich können mit Innovationen folgende Ziele erreicht werden

„ Unternehmens- und Organisationsentwicklung „ Erneuerung der Unternehmensstrukturen „ Entwicklung von Produkt-, Prozess- und Kulturinnovationen „ Erneuerung des Produktprogramms „ Impulse für Initiativen und Veränderungen „ Abwendung von Krisen „ Imagegewinn und Steigerung der Attraktivität „ Vernetzung, Schaffung neuer Beziehungen am Markt „ Entwicklung von Kommunikationsanlässen „ Machterwerb „ Ökologisierung „ Kostenreduktion „ Qualitätssteigerung „ Zeitersparnis, Effektivität 84

70

Vgl. Bengel, Strittmatter, Willmann 1998

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

Diese Ziele sollten, wie alle, operational formuliert werden also nach Ausmaß, Inhalt, Zeithorizont und Segmentbezug spezifiziert und insgesamt positiv formuliert sein, um handlungsleitenden Charakter zu entwickeln. Sinnvollerweise läuft der Zielbildungsprozess interaktiv im Dialog ab. Die Beteiligten und Betroffenen sind durch Integration für das Innovationsprojekt zu gewinnen. Partizipation ermöglicht bessere, erweiterte Erkenntnisse und hohes Engagement. Auch dieser Zielfindungsprozess kann auf der Basis eines Prozessdesigns nach dem Lernund Lösungszyklus (Solution Cycle) ablaufen.

2.2.7.2

Innovationsstrategien

Ausgehend von den Innovationszielen sollen aus Erfindungen (Inventionen) und Ideen erfolgreiche Innovationen entwickelt werden. Die Innovationsstrategien bündeln die Innovationsaktivitäten und dienen einer optimalen Ressourcenallokation. Innovationsstrategien stellen die Wege zum Ziel dar. Sie weisen folgende wesentliche Merkmale auf:

„ Hohe Komplexität, aufgrund der vielfältigen Wechselbeziehungen „ Langfristigkeit „ Wandlungsfähigkeit, da die turbulenten Umfeldbedingungen häufige Anpassungen bedingen

„ Funktionsübergreifende Bedeutung, da verschiedene Bereiche wie Marketing, Technik, Unternehmensführung etc. koordiniert werden müssen

„ Handlungsleitender Rahmen für Erneuerungsprozesse Der Ausgangspunkt für die Strategieformulierung sind allgemeine Visionen und Leitlinien des Unternehmens. Die Visionen (als grob formulierte oder bildhafte Ziele) öffnen das Spektrum der Möglichkeiten, sie fördern das Engagement und weiten die Vorstellungskraft. Die Leitlinien beschreiben die Grenzen und Regeln des Weges. Aus Visionen und Leitlinien können konkrete Ziele für Funktionalbereiche und Ebenen abgeleitet werden. Das Top-Management gibt Impulse für Neuerungsprozesse und gibt den Rahmen vor, in dem Innovationen entwickelt werden können. Genauso wie Visionen, Leitlinien und Ziele sind auch Strategien möglichst unter Mitwirkung der Beteiligten und Betroffenen zu entwickeln, um eine breite Akzeptanz und hohes Engagement zu gewährleisten. Der Ablauf der Entscheidungsfindung läuft dann idealtypisch nach dem folgenden Schema ab. Es erfolgt ein mehrmaliger Durchlauf top to down und bottom up.

71

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Abbildung 2-9: Ebenen des Management

normativ

innovativ strategisch

Planungsebenen Indikatoren

Ziele

Erfolgsmuster Identität, Kompetenz

Vitalität, Metakompetenz

Delphi, Szenarios/Trends Milieukontakt

Neue Erfolgspotenziale

SWOT, Portfolios/ Markt-Position, Image Erträge und Aufwand DB, KER, Lob- Beschwerde

Zufriedenheit Rentabilität

operativ Cash flow

Liquidität

Auf der normativen Ebene wird der allgemeine Rahmen definiert. Es geht um die Frage: Was soll und darf gemacht werden? Es fließen also auch ethische Komponenten mit ein. Innovatives Handeln dient der Erneuerung und Vitalisierung. Strategisches Handeln bezieht sich auf sinnvolle und lukrative Betätigungsfelder. Die operative Ebene dient der konkreten Realisation. Innovationsstrategien können funktionsbezogen oder übergreifend verstanden werden. Hier wird die Innovationsstrategie als Metastrategie gesehen, die alle Ebenen und Bereiche umfasst und einbezieht. So hat eine Produktinnovation oft Auswirkungen auf alle Funktionsbereiche wie Marketing (z.B. Ergänzung des Programms), Finanzen (Investition in Produktionsanlagen) und Technik (Produktionsverfahren).

Innovationsstrategietypen Innovationsstrategien lassen sich zunächst nach der Form des Markteintritts unterscheiden: Pionierstrategien werden von Unternehmen gewählt, die eine herausragende Erfindung oder Idee möglichst schnell auf den Markt bringen wollen. Die Pioniere können hohe Aufmerksamkeit erwarten und in der Regel ihr Image deutlich verbessern. Auch ist es denkbar, dass eine Alleinstellung am Markt erzielt wird oder sogar Standards (z.B. VHS, mp3/4) gesetzt und strategische Positionen (z.B. Distributionskanäle) besetzt werden. Die Pionierstrategie setzt eine intensive Grundlagenforschung und eine kreative Kultur des Unternehmens voraus. Kombiniert wird die Pionierstrategie mit bestimmten Preisstrategien. Bei dem Ziel schneller Marktabdeckung kann eine Niedrigpreis- oder Skimming-Strategie sinnvoll

72

Begriffsdefinitionen zu Innovation und Kompetenz

sein. Bei sehr großer Innovationshöhe kann die Premium Price Strategie zur Amortisation der Investition beitragen. Im Bereich neuer Technologien geht es oft um die möglichst schnelle Marktbedeutung. So wird „Follow the Free“ betrieben. Es werden z. B. Geräte (Mobile Phones, Modems) verschenkt oder nahezu kostenlos abgegeben um neue Nutzer zu gewinnen. Die Erlöse werden zunehmend indirekt erzielt, durch Werbeeinnahmen. Eine interessante Homepage ermöglicht z. B. einer Zeitung ein digitales Angebot der redaktionellen Informationen, ohne Abonnenten. Das kompetente Angebot wird über Werbung und Annoncen vergütet. Die Second Best Strategie wird von Akteuren gewählt, die das Risiko des frühen Markteintritts scheuen und über ähnliche Innovationsleistungen verfügen, wie der Pionier. Hierbei kann allerdings die Marktabdeckung und Präferenzbildung des Pioniers problematische Auswirkungen haben. In vielen elektronischen Märkten haben die Pioniere den Markt vorbereitet und die frühen Nachfolger die eigentlichen Erfolge realisiert (z.B. Apple als Pionier, Microsoft als erfolgreicher Nachzügler mit Windows). Die Strategie der Late Followers wählen Unternehmen, welche die Unsicherheiten der frühen Marktentwicklung abwarten wollen oder aber diejenigen, die über die Technologie der Innovation noch nicht verfügen. Diese Strategie wird oft auch als „Me Too“ oder Imitationsstrategie bezeichnet. Innovationsstrategien können aber auch nach den auslösenden Impulsen differenziert werden. Innovationen werden vom Innovator angestoßen oder von möglichen Nutzern angeregt. Man spricht insofern von Angebots- oder Supply oder Technology Push Innovationen oder von Nachfrage bzw. Demand oder Market Pull Innovationen. Die Impulse stammen aus den Bereichen Technologie, Gesellschaft und Markt, Ökologie oder eigenen Organisationen. Neue Technologien, wie die Gentechnik, Multimedia, Laser etc. bieten vielfältige Innovationschancen. Im ökologischen Bereich resultieren Innovationen aus neuen Regeln und Vorschriften sowie vielfältigen neuen Anwendungsfeldern von Technologie (z. B. Solartechnik). Die Entsorgungsvorschriften oder geänderte Preisrelationen verursacht durch Umweltzertifikate und die ökologische Steuerreform lassen bestimmte Technologien und Verfahrensweisen vorteilhaft erscheinen (Öko-Effizienz).85 Aus der Organisation resultieren insbesondere Anregungen zu Sozialinnovationen, wenn in Teams, Gruppen und Organisationseinheiten neue Regeln, Methoden und Prozessdesigns entwickelt werden.

85

Vgl. E.U. v. Weizsäcker, 1995

73

2.2

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Innovative Unternehmenstypen Beim Veränderungsmanagement sind drei bis vier wesentliche Typen von neuerungsfreundlichen Unternehmen zu unterscheiden, die unterschiedliche Arten von Innovationen benötigen. Die Fluiden oder Entrepreneurs sind die extrem schnell wachsenden Unternehmen auf den so genannten innovativen Märkten mit neuen Technologien. Das notwendige Neue sind hier klare konsolidierende Strukturen für Controlling, Finanzen, Organisation und auch Produkte (Internet-Provider, Biotech). Die Evolutionäre sind dauerhaft sich entwickelnde Innovateure, welche die Regeln und Muster ihres Erfolges erkennen und ausweiten müssen (3M, SAP). Die Konglomerate sind große Konzerne, die aus Mergers und Fusionen hervorgingen und nun das innovative und unternehmerische Element erst wieder erlernen, revitalisieren oder in eigenständigen Einheiten zulassen müssen (Daimler, GM, Siemens, IBM). Die solaren oder virtuellen Unternehmen, die sich als Netzwerke aus vielen kleinen Fluiden oder aber als destrukturierte und dezentralisierte Gebilde aus den Konzernen formen, die nach einer flexibleren Gesamtstruktur suchen.

2.3

Kompetenz und Kompetenzentwicklung

Das lateinische Wort für Schule heißt „Schola“. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes lautet Muße. Lernende und Studierende sind also Müßiggänger, die Zeit und Raum für die eigene Bildung und Weiterentwicklung zur Verfügung haben – Schulen, also Raum für Müßiggang. Diesen Müßiggang für das Lernen müssen sich auch heute noch viele Kinder auf der Erde erkämpfen. Aber auch in zahlreichen Unternehmen gibt es kaum Spielräume zum Lernen. Kurz gesagt: rein effizienz-orientierte Unternehmen können nicht innovativ sein, die Akteure darin nicht lernen. Kompetenz kann man, in Anlehnung an Erpenbeck und Heyse, als selbstorganisierte Problemlösefähigkeit verstehen, die einer Person jeweils von anderen Akteuren zugeschrieben werden. Man muss insofern von relationalen, beziehungsabhängigen Kompetenzen sprechen. Daneben gibt es noch andere Auffassungen von Kompetenz.86 Kompetenzen können nicht absolut und kontextneutral einer Person zugeordnet werden, sondern entwickeln sich in den jeweiligen sozialen Feldern interaktiv.87 Ähnlich wie von relationalen Persönlichkeiten ist von relationalen Kompetenzen zu reden. Kompetenzen wirken nicht absolut, hängen den Menschen nicht „objektiv“ an, son86 87

74

Siehe hierzu Arnold 1997 Zur Soziologie des sozialen Feldes siehe Pierre Bourdieu 1985 und 1987

Kompetenz und Kompetenzentwicklung

dern werden je nach Perspektive unterschiedlich zugeschrieben. Jeder Mensch wirkt somit je nach Kontext verschieden. Kompetenzen resultieren aus der soziobiografischen Entwicklung mit ererbten und erworbenen Elementen. Sie sind insofern persönlichkeitsspezifische Phänomene.88 Folglich verstehen wir Kompetenzentwicklung als eine Befähigung zur Selbstentdeckung und -erprobung. Eins ist dabei herauszuheben, dass Kompetenzen subjektbezogen verstanden werden und Qualifikationen sich eher auf die Erfüllung konkreter Anforderungen beziehen, also objektbezogen sind. Kompetenzentwicklung soll den jeweilige Akteur befähigen, seine Eigenschaften, Stärken und Schwächen zu erkennen und weiter zu entwickeln. Persönlichkeiten bilden sich schon in frühem Entwicklungsstadium aus. Persönlichkeitsentwicklung ist Entdeckung von Temperamenten, Talenten, Stärken und Schwächen. Die Persönlichkeit resultiert aus individuellen Erlebnissen des Menschen sowie angeborenen Anteilen. Schon in frühem Stadium des Lebens ist die Persönlichkeit festgelegt.89 Die Konstanz dieses Prozesses resultiert aus drei Phänomenen:

„

der früh abgeschlossenen Gehirnentwicklung,

„ der Tendenz jedes Individuums, sich die passende Umwelt auszusuchen, was Bestärkungen der eigenen Erlebniswirklichkeit auslöst

„

und dem Bemühen des Individuums, eine gewisse Verlässlichkeit auszubilden, um sozialfähig zu wirken.

Es geht im Erwachsenenalter mehr um die Entdeckung der eigenen Merkmale, die Weiterentwicklung positiver Anteile und die Kompensation negativer Aspekte. Zur Kategorisierung von Persönlichkeitsmerkmalen und damit auch Kompetenzen, verweisen wir auf die Modelle des brain mapping und der Persönlichkeitsforschung.90 Durch Beobachtung (Sprach- und Verhaltensanalyse, biotische Tests) und Befragung (Fragebögen mit Selbst- und Fremdeinschätzung) können relativ schnell und einfach Kompetenzen ermittelt werden.91 Darüber hinaus gibt es noch verschiedene andere Verfahren zur Kompetenzermittlung.92 Kompetenzen eines Unternehmens ergeben sich aus der insbesondere von Kunden zugesprochenen Problemlösefähigkeit. Diese Kompetenz ist vor allem an Akteure gebunden. Das Problem lösende Zusammenspiel von Menschen ermöglicht die Entwicklung von Kompetenz in einem sozialen System.

88 89 90 91 92

Erpenbeck, Heyse 1999 S. 190 ff., Bergmann, G. 2003a und 2003c Siehe Roth 2001, S. 341 ff., Singer 2003 S. 110 Siehe Bergmann, G. 2001, S. 272 ff., 2003d, Roth (2001), S. 171 ff. und Gardner 1993 und 1995 Erpenbeck/Heyse 1999, S.106 ff. Erpenbeck/Rosenstiel 2003 Siehe dazu R. Weiß 1999, I. Drexel 1997, M. Bernien 1997, G. Albrecht 1997

75

2.3

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

2.4

Definitionen zur Kompetenz

In der Kompetenzdiskussion gibt es allerdings ein lange Tradition der Definition und Zuordnung von Kompetenztypen. Die aktuelle wissenschaftliche Diskussion zeigt, dass zum Begriff Kompetenz keine einheitliche Begriffsklärung vorhanden ist. Insbesondere die angelsächsische Verwendung zeigt deutliche Unterschiede auf. Man redet hier häufig von skills, capabilities, capacities, inivisible assets und intangible ressources, die Begriffe competence, competency werden dabei nicht synonym verwendet.93 In der deutschen Diskussion ist vielleicht die Definition von Knoll am prägnantesten: „Kompetenzen (sind, d.A.), die dem Menschen helfen, unterschiedliche Situationen und Handlungsfelder zu erschließen und zu gestalten.“94 Knoll weist darüber hinaus auf die unterschiedlichen Kompetenzfelder hin, die in der bisherigen Diskussion eine Rolle spielen:

„ Selbstkompetenz: Kenntnisse und Fähigkeiten, die es ermöglichen, sich mit neuen Lebenssituationen auseinander zu setzen

„ Sozialkompetenz: Kenntnisse und Fähigkeiten, Beziehungen zwischen Menschen unter Einschluss der eigenen Person wahrzunehmen und zu gestalten

„ Schnittmengenkompetenz: Kenntnisse und Fähigkeiten für die Zusammenschau einander entsprechender, sich überschneidender oder gar gemeinsamer Fragestellungen und Themen in unterschiedlichen Lebens- und Gesellschaftsbereichen

„ Methodenkompetenz: Kenntnisse und Fähigkeiten im Blick auf Entwicklung und Gestaltung von Handlungsabläufen und Strukturen

„ Medienkompetenz: Kenntnisse und Fähigkeiten zur Nutzung und Gestaltung von Medien einschließlich der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien

„ Systemkompetenz: Kenntnisse, Fähigkeiten und grundlegende Orientierungen im Blick auf das Zusammenwirken von Einzelnem und umfassenderer Einheit

„ Kulturkompetenz: Kenntnisse, Fähigkeiten und grundlegende Orientierungen in der Wahrnehmung des eigenen kulturellen Kontextes in Wechselwirkung mit der eigenen Person bei gleichzeitiger Offenheit für andere Ausprägungen von Kultur

„ Wertekompetenz: Kenntnisse, Fähigkeiten und grundlegende Orientierungen im Blick auf Werte, an denen sich das eigene Leben und Handeln und der Umgang mit Anderen ausrichtet

„ Durchsetzungskompetenz: zur eigenen souveränen Lebensgestaltung

93 94

76

Siehe hierzu auch Drexel 2002 Siehe Knoll 2001, S. 135

Definitionen zur Kompetenz

„ Sachkompetenz: Kenntnisse und Fähigkeiten im Blick auf Art und Typik von Wissensbereichen sowie auf Möglichkeiten des Zugriffs und der Erschließung Diese Aufzählung zeigt schon, wie heterogen das Feld der Kompetenzen ist und es stehen mehr oder weniger „Selbstorganisations- und Selbstoptimierungsprozesse“ im Zentrum95 Kompetenz versteht man infolgedessen in der neueren Diskussion als „Dispositionsbegriff“. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er individuelles Handeln unter den Aspekten der Fähigkeiten, Anlagen und Bereitschaft, selbstorganisiert zu handeln fasst.96 Kompetenzen umfassen nicht nur direkt überprüfbare Wissensbereiche, sondern sie heben ab auf die Prozesshaftigkeit der verschiedenen Wissensanteile. Hierbei wird dem Verständnis von Kompetenz als die Befähigung, Wissen praxisgerecht anzuwenden und die Eignung sowie Bereitschaft zur Lösung von Problemstellungen zu besitzen einen deutlichen Vorrang gegeben. Darüber hinaus sind die auf organisationaler Ebene ansetzenden Erörterungen aus der Wirtschaftswissenschaft interessant. Hier wird Kompetenz als Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen definiert und man versucht Kompetenzkategorien zu unterscheiden. Winter arbeitet mit einem Katalog von Kompetenz-Dimensionen. Er unterscheidet danach, welche Bedeutungen sie für eine Organisation haben können: 97

„ stillschweigend/benennbar, „ lehrbar/nicht-lehrbar, „ ausgesprochen/nicht-artikuliert, „ in der Anwendung beobachtbar/nicht beobachtbar, „ vielschichtig/einfach, „ systemzugehörig/unabhängig. Einen aktuelleren Ansatz zur organisationalen Kompetenzbestimmung liefert Teece. 98 Er unterscheidet zwischen:

„ allokativen „ transaktionalen „ administrativen „ und technischen Kompetenzen

95 96 97 98

Siehe Kauffeld (2002) S.132 Vgl. Bergmann, B. (2000) Vgl. Winter (1987) S. 170 ff. Siehe zum Stand der Diskussionen u.a. Kieser 2002 , Mintzberg u.a. 1999 und G. Morgan 1997

77

2.4

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

welche die Potenziale einer Organisation ausmachen. Aus der Perspektive der Wirtschaftwissenschaften betrachtet, stützt sich die Forschung zu Kompetenz in erster Linie auf die evolutionäre Ökonomik und den ressourcenbasierten Ansatz. Sie leidet u. E. indes oft an einer struktur- oder objektbasierten Sichtweise von Kompetenzen. Unternehmenskompetenz wird in den unterschiedlichen Konzepten häufig als Tiefenstruktur von Unternehmen angesehen. Sie ist charakteristisch für die Handlungsroutinen innerhalb der strukturellen Aufbau- oder Ablauforganisation. Individuen werden dabei oft als austauschbar eingestuft, wo sie es doch sind, welche die Kompetenzen eines Unternehmens primär produzieren, speichern und realisieren. In den dynamischeren Versionen wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsansätze werden Lernen und Kompetenzentwicklung als eine Veränderung von greifbaren und nicht greifbaren Ressourcen in einer „lernenden Organisationen“ betrachtet. Dabei werden allerdings oft die wirklichen Entstehungshintergründe von Kompetenzen ausgeblendet.99 In der wissenschaftlichen Diskussion ist, über die verschiedenen Disziplinen hinausgehend, jedoch eine geteilte Grundeinschätzung zu beobachten. Kompetenzentwicklung und die Entfaltung von Lernprozessen, stehen in einer engen Entwicklungsgemeinschaft. Allerdings wird bisher wenig auf den Zusammenhang von Lernen und Kompetenzentwicklung geachtet. Erst die neueren Ansätze der Hirnforschung geben Anlass dazu, sich damit näher zu befassen. In der soziologischen Forschung wird im Zusammenhang von Analysen über technische Entwicklungen und den Anforderungen zur Entstehung neuer Kompetenzen, deutlich auf eine Verknüpfung von Technikentwicklung und Kompetenzentwicklung verwiesen.100 In anderen Diskussionen werden die Entwicklung technischer Kompetenzen und die parallele Entwicklung von „Markt- und Kundenkompetenzen“ herausgehoben. Gewiss ist diese Debatte deutlich von der wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive geprägt, allerdings bleibt anzumerken, dass im Zusammenhang mit beruflicher Kompetenzentwicklung der „market view“ wichtiger wird. Festzuhalten bleibt in der bisherigen summarischen Betrachtungsweise der Kompetenzdiskussionen, dass der Kompetenzbegriff auf drei Ebenen verortet werden kann:

„ als personale Eigenschaft, im Sinne personaler Handlungsvoraussetzungen und Lernfähigkeiten

„ als organisationale Eigenschaft, sozusagen als die Kombination des Wissenssystems einer Organisation durch die Personen

„ als Mehrebeneneigenschaft, also die in der Strukturierung von Organisationen zugrunde gelegte Handlungsalternativen zur Lösung eines Problems In den sehr unterschiedlichen Diskursen über Kompetenz zeigt sich eins deutlich: die getroffenen Definitionen basieren ausnahmslos auf sozial konstruierten Zuschreibungen. Diese Begründung ist nicht, wie es den Anschein hat, eine Tautologie. Dahinter 99 Siehe zur Kritik Schreyögg 1999, Blohm 2000 100 Vgl. beispielsweise Baethge 2001, oder Baethge-Kinsky 2001

78

Information und Wissen

steckt der soziale Tatbestand, dass Kompetenz immer das ist, was die jeweils Definierenden darunter verstehen. Dabei muss man beachten, dass sich im Prozess der Kompetenzdefinition auch ein Machtprozess ausdrückt, wie in allen wissenschaftlichen Definitionsprozessen. Es geht darum, dass bestimmt wird, was im Diskurs „anschlussfähig“ ist und was nicht. Des Weiteren handelt es sich um die Festlegung dessen, was als kompetente Handlung angesehen wird und was nicht. Kompetenz ist folglich kein rein sachorientiert gesetzter Standard, sondern ist immer gleichzeitig auch an die Erwartung gekoppelt, in konkreten Situationen erwartungsgerecht zu handeln. Die folgenreiche Unterscheidung besteht allerdings darin, was als angemessenes Handeln angesehen wird und was nicht. Diese Unterscheidung entstammt einem sozialen Prozess und dieser birgt ein Machtprozess in dem sich die Frage stellt: Wer macht die Regeln? Kompetenz- und Kompetenzentwicklung beruhen demnach nie allein auf der Bewertung „sachlich-objektiver Gegebenheiten“ oder sind rein rational bestimmt. Der symbolische Gehalt von Kompetenzdefinition und Kompetenzen spiegelt in diesem Zusammenhang auch immer den „Grad des Persönlichkeitswertes“ und dessen Korrespondenz mit den erwünschten Handlungsalternativen.

2.5

Information und Wissen

Informationen sind bedeutsame Daten für ein Subjekt (datum lat. = „gegeben“). „Reine Daten“ sind für Subjekte nichts sagend, denn diesen müssen von den Subjekten Bedeutung beigemessen werden. Täglich prasselt ein Universum an Daten auf uns ein. Damit wir nicht verrückt werden, filtert unser Gehirn diejenigen Daten heraus, die als Informationen für uns wichtig sind. Daten werden erst dann zur Information für uns, wenn die Relevanz gegeben ist. Alles andere „Gegebene“ verbleibt im „Hintergrundrauschen“ des Datenuniversums. Wir, somit unser Gehirn, setzt Unterscheidungen, damit Daten zu Informationen für uns werden. So ist beispielsweise die Außentemperatur für uns solange uninteressant, solange wir uns in einem geheizten Raum aufhalten und nicht nach draußen gehen wollen. Die Außentemperatur wird erst dann zur Information für uns, wenn wir den Raum verlassen und uns draußen aufhalten wollen. Neben vielen anderen Definitionsmöglichkeiten definiert man Wissen als die Grundlage für eine allgemeine Orientierung in alltäglichen Handlungszusammenhängen. Dabei gibt es in den Wissenschaften eine sehr große und lange Tradition, sich darüber auseinander zu setzen, was denn nun Wissen ist. Wie gesagt sind Daten per se keine Information und Informationen bilden nicht unbedingt neues Wissen. Daten sind nur der Rohstoff, der von verschiedenen Personen (Rezipienten) unterschiedlich verarbeitet wird. Informationen sind der Rohstoff für Wissen. Sie entstehen aus Unterscheidungen. Alle Daten werden aber von einem Gehirn, also subjektiv, verarbeitet und zu Informationen, werden beurteilt, gewichtet, bewertet. Dieser Prozess findet im Gehirn

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2.5

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

immer auf der Grundlage subjektiv-historischer Entwicklung statt. Welche Daten zu welchen Informationen werden und welches Wissen daraus entsteht ist zuallererst ein subjektiver Vorgang. Wissen kann nicht vermittelt werden, lautet die etwas provokante These. Das Entstehen von Wissen ist ein subjektiver Prozess, der mit den üblichen Vorstellungen des Lernens nichts gemein hat. Wir beziehen uns bei den Erläuterungen über Lernen dezidiert auf den so genannten „Radikalen Konstruktivismus“ und die neuere Gehirnforschung.101 Wird eine Figur vor einem Hintergrund erkennbar, erhält man eine Information. Es sind Unterschiede, die Unterschiede machen (Bateson). Villem Flusser, der berühmte Kommunikationsphilosoph hat das mit Kreide und Tafel beschrieben. Die Kreide wird deformiert und hinterlässt eine Information auf der Tafel. Vor dem Hintergrund taucht eine „Figur“ auf.102 Je mehr die Informationen sich vom Bisherigen unterscheiden, also spezifische Bedeutung erlangen, desto wahrscheinlicher werden sie zu Wissen. Die Bedeutung wird dabei immer individuell zugemessen. Was für den Einen eine hilfreiche Information ist, ist für den Anderen belanglos. Wissen ist eine individuell interpretierte Realitätserfahrung. Wissen wird in einem individuellen Lernprozess entwickelt. Dabei ist es oft so, dass ein Individuum glaubt etwas zu wissen. Wie die „wirkliche Realität“ aussieht, erfährt man erst im Dialog mit Anderen – wenn überhaupt. In der Interaktion mit der Umwelt – also anderen Akteuren wird Wirklichkeit koevolviert, Realität wird wirksam. Im Dialog mit Anderen wird Realität wirksam.

„ Daten sind nur der Rohstoff, aus dem verschiedene Personen verschiedenen Informationen ziehen

„ Informationen werden nur durch die aktive Tätigkeit eines Gehirns zu subjektiven Wissensbeständen

„ Das Wissen über die „wirkliche“ Realität erfährt man erst im Dialog „ In der Interaktion mit der Umwelt wird Wirklichkeit erzeugt Wissen ist ambivalent. Es bietet oft Vorteile, „Wissen ist Macht“, kann aber auch große Nachteile in sich bergen, wenn man z. B. Zeuge eines Verbrechens wird. Außerdem sollten, wie uns Dirk Baecker unterrichtet, nicht alle Akteure fortwährend lernen und verändern. Es existieren eine Menge Bereiche, die der dauerhaften Erhaltung des Systems dienen. Kompetente Unternehmen lernen und entlernen, erhalten aber wesentliches Wissen, das ihrer Kernkompetenz entspricht.103 Was und wie wir wahrnehmen und als unsere Wahrheit interpretieren, ist hochgradig autobiografisch geprägt. Wir erkennen leichter, was wir schon kennen und was wir benennen. Wir anerkennen, was wir mögen. Kurioserweise akzeptieren wir eine Nach101 Zur neueren Diskussion von Hirnforschung und deren Auswirkungen auf die Lernforschung

siehe insbesondere Spitzer 2003, sowie Roth 1995 und 2001, Pauen 2004, Singer 2002. Zum Konstruktivismus siehe Watzlawick 1999 und Schmidt, S. J. 1987 102 Vgl. Flusser 1996 103 Vgl. Baecker 2001, 1996

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Information und Wissen

richt mehr, wenn sie von mehreren Medien gesendet wird, obwohl sich alle der gleichen Quelle bedienen. Wir glauben dem, der uns seriöser erscheint. Wir vertrauen gerne dem Gewohnten. Dabei wird die Wirklichkeit sehr unterschiedlich gesehen. In das Gedächtnis werden Informationen aufgenommen, nachdem sie den sensorischen Kurzzeitspeicher durchdrungen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dieses Ziel erreichen, erhöht sich mit der Menge an Kanälen und Medien, mit der stimmigen Atmosphäre, den richtigen Zeitpunkten und bei mehrmaliger Aktivierung. Vom Individuum mit speziellem Vorwissen, der jeweiligen Situation, der Intelligenz und Persönlichkeit usw. hängt es ab, wie die Information aufgenommen wird und welche Bedeutung sie hat – also welchen Unterschied sie macht, um damit neue Strukturen zu schaffen („in Form bringt“). Das weiche, problemlösende, fluide Wissen wird dann in kristallisiertes, festes Wissen überführt. Die alten Griechen sollen die Metapher von Tonspuren, die eingeritzt werden und sich dann verfestigen, gebraucht haben. Deshalb spricht man heute von Engrammen.

„ Emotionale Aufmerksamkeit steigert die Aufnahmefähigkeit von Informationen, negative Erregung wie zum Beispiel Angstzustände führen jedoch zu einer Verknüpfung der Angstempfindung mit den Informationen. Menschen erinnern bei den jeweiligen Themen dann immer die Angst mit und sind nur zur operativen Handlung in der Lage (Fluchtverhalten, Affekte).104 Wissen erwerben ist ein mentaler Prozess des Begreifens, Verstehens und Lernens der sich im „Geist“ einer Person abspielt und nur dort. Wenn wir ausdrücken wollen, was wir wissen, dann müssen wir in Interaktion treten mit der Welt außerhalb unseres Geistes. Wir müssen Mitteilungen machen, mündlich, schriftlich, gestisch oder durch Handlungen. Solche Mitteilungen transportieren allerdings kein „Wissen“, sondern sie konstituieren Informationen, die ein Gegenüber aufnehmen, verstehen, begreifen und in seinen eigene Wissensstruktur integrieren kann. Diese Vorgänge sind immer aktiver Art. Sowohl der Wissen transportierende Akteur als auch der Wissen aufnehmende Akteur sind jeweils in aktiver Weise daran beteiligt, ein direkter Wissenstransport von einem ins andere Gehirn, von einer Wissensstruktur in eine andere funktioniert nicht. Jede Wissensstruktur von Menschen unterscheidet sich, es gibt so viele Wissensstrukturen, wie es Menschen gibt. Die subjektive Wissensstruktur ist biografisch bestimmt, wie schon Alfred Schütz feststellte.105 Schon aus diesem Grund kann Wissen, das „transportiert“ wird, beim Rezipienten nicht genau das gleiche Wissen sein, wie beim Absender der Informationen.

104 Vgl. Spitzer 2003 S. 161 f: 105 Schütz 1974

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2.5

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Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

2.5.1

Individueller Wissenserwerb

In Unternehmen existieren unterschiedliche Formen von Wissen. Dabei wissen nicht die Unternehmen, sondern zunächst einmal nur Menschen. Wissen ist individuell interpretierte Realitätserfahrung. Soll heißen, wissen können Menschen nur, was sie subjektiv auf gewisse Weise wahrnehmen und ganz spezifisch als ihre Sicht der Dinge auslegen. Es können folgende Wissensarten unterschieden werden:

„ Personales Wissen „ Wissen über Produkte, Technologien und Produktionsprozesse „ Handlungs- und Prozesswissen: Kompetenzen über sinnvolles Verhalten, und gelingende Prozessdesigns

„ Projektwissen: Kenntnisse und Erfahrungen aus konkreten Projekten „ Steuerungs- und Führungswissen „ Expertenwissen: Kenntnisse von Technologien, Trends Fertigkeiten „ Milieuwissen: Kenntnisse der informellen Strukturen der sozialen Zusammenhänge und Regeln Unterscheidungen, die Menschen treffen sind zum Beispiel zwischen gut und schlecht, schnell und langsam, einfach und umständlich etc. Bestimmte Informationen (Sinneseindrücke) machen einen sehr großen Unterschied sind also deutlich zu erkennen oder erscheinen bedeutsam für das jeweilige Individuum. Die Gehirnforschung geht heute davon aus, das Eindrücke vom sensorischen Speicher (flüchtiges Wissen, nach 20 Sek. verloren) des Gehirns zunächst ins Kurzzeitgedächtnis (flüssige Intelligenz) geladen werden. Bei besonderer Tiefe des Erlebnisses, multisensueller Übermittlung (über verschiedene Sinnesebenen) und/oder mehrmaliger Wiederholung in das Langzeitgedächtnis (kristallisierte Intelligenz/Engramme) als Wissen gespeichert werden. Dabei ist implizites Wissen in Form von Erlebtem, Fähigkeiten und Routinen vorhanden, ohne dass der Person dieses Wissen bewusst ist. Explizites Wissen ist ein Wissen, das sich selbst bewusst weiß. Was wie wo gespeichert wird, hängt von der Gefühlslage, den Erfahrungen, der Stimmung, der Intelligenz der Persönlichkeit sowie den zufälligen Assoziationen ab. Diese Elemente wiederum ändern sich mit neuem Wissen. Bei den situativen Bedingungen ist die lernfördernde Atmosphäre besonders hervorzuheben. Eustress (positiver Stress), Vorbilder, Freude, multisensuelle Reize, individuelle Lernarten, einsehbarer Nutzen, Learning by doing sind alles förderliche Voraussetzungen für effektives Lernen. In allen Teilen des Gehirns findet eine relativ chaotische Ablagerung statt. Die während der Wissensaufnahme aktiven Bereiche des Gehirns dienen als typisches Auf-

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Information und Wissen

nahmebecken. Der Abruf von Informationen kann dann durch die Wiederholung der Situation erleichtert werden, in der erstmalig das Wissen aufgenommen wurde. Der so genannte Konnektionismus beschreibt dieses Phänomen einer netzartigen Verknüpfung im Gehirn. Bereiche und Phänomene, die eine Verbindung haben, werden in einen engen Zusammenhang gebracht. Wissen zu bilden bedarf nicht nur klassischer Formen der Intelligenz wie sie mit dem IQ gemessen werden, sondern auch der Intuition, der Gefühle usw. (Emotionale Intelligenz). Insgesamt existieren bis zu acht verschiedene Intelligenzformen und Kompetenzen. Diese ergeben sich aus den unterschiedlichen Charaktermerkmalen von Menschen. Jedes Individuum verfügt über alle Eigenschaften, aber in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität. Wir unterscheiden folgende neun Charakter-Typen:

„ Der Zukunftsorientierte „ Der beobachtende Denker „ Der intuitive Visionär „ Die Perfektionistin „ Die faktenorientierte Macherin „ Die kommunikativ Sozialkompetenten „ Der Pragmatiker „ Die Kreativen „ Der Loyale Mischtyp An alle diese Typen sind bestimmte Wahrnehmungspräferenzen, dominante Eigenschaften und Kompetenzen geknüpft. Im Wissensmanagement (Knowledge Management) gilt es, alle Wahrnehmungs- und Kognitionstypen zu aktivieren und zu fördern. Wissen hat, wie Innovation, eine Doppelwertigkeit. Zuviel Wissen und Gewissheit kann veränderungsscheu machen oder Akteure in falscher Sicherheit wiegen. Zuviel Wissen kann belasten, träge machen aber eben auch Einfluss geben (Wissen ist Macht). Eine gute Wissensbasis lässt mehr und besser erkennen.

2.5.2

Organisationales Wissen

Wir gehen davon aus, dass Organisationen (Unternehmen, Verwaltungen, öffentlichrechtliche Institutionen, Vereine etc.) soziale Systeme sind; andere Sichtweisen sind sicherlich ebenso legitim. Die Systemvorstellung hat allerdings den Vorteil, dass sie

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2.5

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Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

die Eigengesetzlichkeit der Systeme und den Kommunikationscharakter betont, was viele bisher unerklärliche Phänomene in der Entwicklung von Gesellschaften oder Gesellschaftsbereichen (z. B. Ökonomie, Unternehmen) besser verstehen hilft. Die systemische Perspektive einnehmen bedeutet auch, dass Organisationen nicht als triviale Maschinen betrachten werden, die durch ein bestimmtes Input ein erwarteten Output realisieren. In der klassischen Organisationstheorie versteht man Strukturveränderungen noch als Wirkung von Zielvorstellungen eines einzelnen Akteurs, also in der linear-kausalen Begründungslinie. Der Akteur führt Änderungen durch, weil er bestimmte Probleme glaubt erkannt zu haben und er bestimmte Lösungskonzepte bevorzugt. Diese Argumentationsmuster unterstellen, dass Vorhaben von Akteuren wie geplant umgesetzt werden und die umgesetzten Realisierungen erfolgreiche Antworten darstellen. Die vorgeschlagene Handlung des „anordnenden“ Akteurs müsste per definitionem eine überlegene Problemlösung darstellen. Dazu müssten ihm alle Wissenspotenziale der Organisation bekannt sein, um ihre Umsetzung zu rechtfertigen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese Voraussetzung zentraler Organisierbarkeit so gut wie nie gegeben ist. Ein einzelner Akteur kann die gesamte Komplexität der jeweiligen Problemstellungen nicht abschließend erfassen und kann damit letztlich auch keine tragbaren Lösungen entwickeln. Die Geschichten der Management-Heroes, welche ganze Konzerne „lenken“ sind gut erfundene und vor allen Dingen gut kommunizierte Stories derjenigen, die ein Interesse daran haben, als Problemlöser par excellence zu gelten – die Wirklichkeit hat wenig damit zu tun.106 Wirklichkeit ist erfolgreiches story telling und nicht die vermeintlich „richtige“ Darstellung einer angeblich „objektiven“ Realität. Im besten Falle ist eine erfolgreiche story hilfreich für alle, allerdings bringt sie meistens nur Wenigen wirklichen Nutzen. Organisationales Wissen, das Wissen welches in einer Organisation vorhanden ist, kann in zwei Komplexe eingeteilt werden:

„ das „geronnene Wissen“ organisationaler Funktionsweisen, den Regeln, Ritualen, Vereinbarungen, Kommunikationsweisen, Kulturausprägungen

„ das Wissen der Akteure Beide Wissensbereiche sind in den Subjekten „inkorporiert“ und sind von der „Belebung“ durch die Subjekte abhängig. Die Strukturierung des Handlungssystems, in dem die Akteure sich bewegen, existiert nur subjektiv, sie ist die „Erinnerungsspur“ im Gedächtnis der Akteure.107 Infolgedessen muss diese Erinnerungsspur so ausgeprägt sein, dass innovatives und kompetentes Handeln wahrscheinlich wird. Darüber hinaus ist eine gelingende Kommunikation innerhalb eines Systems von entscheidender Bedeutung für dessen Innovationsfähigkeit.108

106 Siehe dazu auch Baecker 1996 107 Siehe Giddens 1988 108 Siehe Bergmann, G. 2004

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Information und Wissen

Organisationen etablieren sich als selbstreferenzielle soziale Systeme aus gemeinschaftlichen Handlungsweisen und Kommunikationen. Innovationen sind eher unwahrscheinlich, da soziale Systeme grundsätzlich bestrebt sind, die Reproduktion des Bestehenden zu vollziehen, sich in erster Linie selbst zu erhalten. Es ist somit nicht erstaunlich, dass eigentlich nur wenig neue Informationen in Systemen wahrgenommen und anerkannt werden. Darum ist es für die Schaffung innovationsrelevanter Systemkonfigurationen von Bedeutung, auf welche Weise neues Wissen einem Systemen zugeführt werden kann. Organisationales Wissen ist weniger eine ganz genau definierbarer, quasi-lexikalischer Wissenskanon, sondern:

„ die Summe aller Wissensbestände von Regeln, Usancen, Kommunikationsweisen, deren Anwendung und den personalen Wissensbeständen der Subjekte.

2.5.3

Wissensspeicherung

Personales Wissen kann in Form von Berichten, Projektgeschichten und persönlichem Dialog festgehalten und übermittelt werden. Datenbanken als integrierte Speicherung und Wiedergewinnung von Informationen. Darin werden Kundendaten, Informationen über Technologien und Patente, Methoden und Interventionsmöglichkeiten, Marktinformationen, Ideen u.ä. hinterlegt.

Abbildung 2-10: Beispiele für Wissenssysteme

„ Dokumentationen, Memoranden „ Firmenarchiv „ Newsletter, Rundbriefe „ Business Stories: Erzählungen über Projekterfahrungen „ Kompetenzcenter, in denen spezielles Wissen gemanagt wird „ Pausen, Tratsch und Klatsch (Gossip) „ Netzwerke von Experten „ Reflexionsteams und Workshops „ Mustererkennungssysteme

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2.5

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Aus technischen und persönlichen Wissenspools können Innovationsinfo-Pools entwickelt werden, wo die gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse interaktiv erarbeitet und weiterentwickelt werden. Daten sind unstrukturiert, isoliert, kontext-unabhängig und beinhalten keine Verhaltenssteuerung. Sie sind dann Information für jemanden, der diese Daten in sein Wissen integriert, sie sozusagen speichert. Dieses Wissen ist dann strukturiert, verankert, kontextabhängig, und verhaltenssteuernd. Der Prozess der Datenaufnahme und Informationsgenerierung zum Wissen wird immer von der Wissensseite der Subjekte her gesteuert. Die Ressource Wissen sollte deshalb nicht mit Informationen verwechselt werden. Es sei deshalb nochmals herausgehoben: Wissen ist immer an seinen Träger, den Menschen gebunden, es ist handlungsorientiert, wohingegen Informationen als „objektivierte“ Daten beliebig ausgetauscht werden können. Erst die Interpretation von Informationen durch die Subjekte und daran anschließende Handlungen machen aus reinen Informationen Wissen. Als Mensch nimmt man nur solche Daten als Informationen wahr, die an das im Gehirn vorhandene Wissen anschlussfähig sind. Die Bildung von Wissen ist immer ein subjektiver Vorgang. Wir treffen eine aktive Auswahl von Daten und Informationen aus unserer jeweiligen Umwelt. Würde unser Gehirn keine Auswahl treffen, dann würden wir einem unstrukturierten Informationsuniversum gegenüberstehen. Personen, die unter Autismus leiden haben mit diesem Problem zu kämpfen. Sie nehmen zu viel wahr, können nicht selektieren und deshalb schottet sich das Gehirn zum Schutz ab, der Kontakt mit der Außenwelt wird fast auf null gefahren. Alle Wahrnehmungen von Daten werden deshalb immer durch unser Gehirn gefiltert und selektiert. Deshalb gibt es auch keine Umkehrung, insofern Wissen als „Informations- und Datenmaterial“ objektiv abgelegt werden könnte. Man kann kein subjektiv konstruiertes Wissen Anderen „objektiv“ zugänglich machen. Daten und Informationen werden nur lebendig durch die subjektive Aneignung und Anwendung von Wissen. Wissensmanagementsysteme, die sich nur auf eine Basis von Informationstechnologie stützen, sind deshalb nur reine Informationssysteme. Wissensmanagementsysteme brauchen die Einbindung in organisatorische Gestaltungen, damit sie zu einem vollwertig anwendbaren System werden. Ein wirklich lebendiges Wissensmanagementsystem kann nie alleine durch die Einführung einer Technologie entstehen. Die Informationstechnologie kann im Unternehmen nur vorhandenes Wissen identifizieren, die Verteilung darstellen und diese Struktur dokumentieren. Im strengen Sinne kann also Wissen nicht gemanagt werden sondern nur Informationsbestände und deren Zuordnung zu Personen.

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Information und Wissen

Abbildung 2-11: Von den Daten zum Wissen Daten

Information

SUBJEKT

Wissen

Wenn von beruflichem Wissen die Rede ist, dann meint man damit meistens explizit fachliches und methodisches Wissen. Diese Wissensarten werden meistens durch klassische Seminare vermittelt. Hier ist es die Aufgabe des Lernenden, die Informationen in sein eigens Wissenssystem einzubauen. Bei allen traditionellen Lernverfahren, die darauf hinauslaufen am Ende des Lernens durch Prüfungen abgeschlossen werden, stellt sich allerdings die Schwierigkeit, dass das gelernte Wissen meistens nur prüfungsrelevant „abgespeichert“ wird. Fachliches und methodisches Wissens kann mehr oder weniger gut durch informationstechnische Medien „archiviert“ werden, es ist lexikalisches Wissen, das in Datenbanken abgespeichert werden kann. Schwierig wird es allerdings bei der Anwendung dieser Wissensarten in der Praxis. Hierbei kommt es auf ganz bestimmte Fertigkeiten an, das Wissen in der Praxis fruchtbar einzusetzen. Diese „Schnittstelle“ Mensch, durch die alles Wissen hindurch muss und durch die Wissen alleine zum Leben erweckt wird, ist die Achillesferse der Wissensspeicherung. Wissen kann nur als objektiviertes Wissen, also „totes“ Wissen gespeichert werden (in Fachbücher, Anleitungen, CD-Rom, Lexika etc. p.p.). Lebendiges Wissen wird erst immer daraus, wenn ein Mensch es als Information aufnimmt und in seiner ihm eigenen sozio-biografischen kognitiven Struktur als Wissen lebendig werden lässt.

„ Wissensspeicherung kann nur als Datenspeicherung stattfinden und nur in der subjektiven Komponente als Wissensspeicherung. Wissensspeicherung findet also immer in den Menschen statt. Organisationen halten allerdings noch eine andere Art von Wissen bereit, sie sind sozusagen „geronnene“ Handlungen. Alle Regeln, Werte, Kommunikationsweisen, Hierarchien, die ganze Unternehmenskultur gehören zum Wissensbestand einer Organisation. Aber dieser Wissensbestand wird erst dadurch aktualisiert und angewendet, wenn Menschen aktiv in Organisationen handeln und diese strukturellen Bedingungen zum Leben erwecken. Damit einher geht ebenfalls eine Interpretation dieses gespeicherten organisationalen Wissens durch die aktiven Subjekte. Sowohl fachliches, als auch methodisches und organisationales Wissen bedürfen immer der Anwendung durch Menschen und dadurch wird dieses gespeicherte Wissen immer interpretiert und in Handlung umgewandelt. Ein in irgendeiner Art gespeichertes Wissen, welches eins zu eins so angewendet wird, wie es abgespeichert ist, gibt es nicht. Einzig technische Programme, die durch Maschinen ausgeführt werden, sind eine unmittelbare Ausführung der gespeicherten Informationen, sie sind aber kein Wissen in unserem Sinne.

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2.5

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

2.5.4

Technische Voraussetzungen des Wissensmanagements

Im Wissensmanagement geht es weniger um die Verwaltung und Speicherung von Daten sondern vielmehr um die sinnvolle Verdichtung und Aufbereitung und den Transfer. Neue Informationstechnologien ermöglichen gerade eine benutzerfreundliche und interaktive Gestaltung der Medien. News Groups, Diskussionsforen, kreative Chat-Runden fördern den effektiven Austausch von Erfahrungen. Hier erweist sich besonders das so genannte Intranet als sinnvoll. Das Intranet ist ein unternehmensinternes Netzwerk, das auf der Internettechnologie basiert und demzufolge auch ähnlich funktioniert. Ein oder mehrere interne Server ergänzen die externen Informationspools. Alle Features des Internets wie News Groups und e-Mail können auch intern realisiert werden. Internes Wissen wird nach außen geschützt und vor Zugriffen gesichert. Ansonsten gibt es fließende Übergänge zwischen den Netzen. Entscheidend für die aktive Nutzung der Systeme ist eine (für Befugte) leicht zugängliche und multisensual wahrnehmbare Gestaltung. Es kann dadurch verhindert werden, nur Archive zu füllen und riesige Datenmengen ohne Informationsgehalt anzulegen.

2.6

Lernen und Kompetenzentwicklung

Lernen wird als Aneignung neuen Wissens verstanden. Lernen ist der Prozess, Wissen das Resultat. Gelernt wird aus Erfahrung und/oder intuitiv. Die Medien lösen verschiedene Lernwirkungen aus. Einige lernen durch zuhören, andere durch schreiben, sprechen, lesen, schmecken oder weitere Sinne. Lernen ist ein Kommunikationsvorgang. Die Intention der Kommunikationsquelle (z.B. Anbieter, Lehrer, Berater, Kunde) wird dabei vom Empfänger individuell ausgelegt. Beim Lesen eines Textes wird Erfahrung Anderer wahrgenommen, aber zugleich neu interpretiert. Es tritt Veränderung ein, aber nur teilweise so, wie es der andere Kommunikator bewirken wollte. Kommunikation ist somit kein Prozess der Übertragung von Informationen vom Sender zum Empfänger. Vielmehr werden in Kommunikationsprozessen unwillkürlich Reize ausgesendet und uminterpretiert. Sender sind zugleich Empfänger. Es werden Assoziationen angestoßen, Reaktionen ausgelöst und dadurch Verhalten in unbestimmter Form verändert.109 Man kann beispielsweise nicht erzwingen, dass ein Markenname gelernt und positiv assoziiert wird. Es ist aber möglich, es wahrscheinlicher zu machen. Die Lernbereit-

109 Vgl. Bergmann 1999

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Lernen und Kompetenzentwicklung

schaft, also die Offenheit für Neues, ist dabei auch von dem Einbeziehung der Akteure und der Bedeutung und Art des Objektes abhängig. Zu unterscheiden sind:

„ habituelles Verhalten (z. B. Kauf von Convenience Goods) „ impulsive, spontane Entscheidungen „ limitierte Planentscheide, bei denen ein Evoked Set der Alternativen in Betracht gezogen wird

„ extensive Entscheidungen bei wichtigen Investitionen Aus gewohnheitsmäßigen Entscheidungen können die Akteure nur sehr schwer herausgeführt werden. Impulsives Verhalten lässt einfache Veränderungen zu, während bei Planentscheidungen eher rationale Überzeugungsarbeit geleistet werden muss. Hier spielt das gegenseitige Vertrauen eine große Rolle. Der Systemtheoretiker Luhmann sagte dazu, dass Verständigung durch Kommunikation eher unwahrscheinlich ist. Der Kybernetiker Norbert Wiener dazu: „Du weist erst, was Du gesagt hast, wenn Du die Antwort hörst.“

„ Gelernt wird am besten, wenn das Medium, die Atmosphäre und der Zeitpunkt zu dem lernenden Akteur passen Effektives Lernen bedarf geeigneter Kontextbedingungen. So hat noch fast jeder seine Muttersprache oder Radfahren gelernt. Hierbei bilden Vorbilder, das „Learning by doing“, die spielerische Freude, der einsehbare Nutzen und individuelle fast beiläufige Vermittlung ohne situativen Druck eine gute Lernumgebung. Lernen kann im Umkehrschluss durch spezifische Verhaltensweisen verhindert werden:

„ Erzeugen Sie Druck und kontrollieren Sie intensiv „ Schaffen Sie eine miese Atmosphäre „ Lassen Sie stupide auswendig lernen „ Verhindern Sie Spaß und Freude „ Verzeihen Sie keinen Fehler „ Streben Sie perfekte Ergebnisse an „ Verbreiten Sie Wahrheiten „ Schüren Sie Angst „ Vergeuden Sie keine Zeit mit reflektieren „ Verlangen Sie fixierte Ergebnisse

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2.6

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

„ Verbieten Sie Experimente „ Stellen Sie sich nie in Frage „ Geben Sie keine Beispiele „ Wählen Sie stets nur ein Medium „ Reden Sie schnell und wiederholen Sie nie Der Lernprozess folgt idealerweise dem Prozessmuster des Lern- und Lösungszyklus. Hier wird sich mit dem Lernfeld langsam vertraut gemacht (Wahrnehmung), dann werden die Möglichkeiten probiert, weitere Schritte geplant (Kreation) und immer wieder reflektiert. Begleiter (Lehrer, Manager, Coaches, Berater), die den Prozess begünstigen wollen, intervenieren über den Kontext. Kompetenzentwicklung entsteht aus der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt. Es ist die Suche nach Lösungen aus dem Repertoire der vorhandenen Muster des Gelernten, wobei je nach Kompetenzgrad neue Verknüpfungen von Mustern entstehen. Kompetenzentwicklung kann man daher als die Konstruktion neuer Lösungsmuster bezeichnen. Dabei benötigt der „Kompetenzentwickler“ seine Umwelt als Anregung für seinen Entwicklungsprozess. Dieser Entwicklungsprozess verläuft allerdings auf der Grundlage seiner Konstruktionen, seiner Realität, also auf zuvor Gelerntem. Die den jeweiligen Subjekten spezifische kognitiv-emotionale Disposition, in Form der Persönlichkeit, wird teils vererbt und teils erworben. Die Anpassung an die Umwelt ist Kompetenzentwicklung. Kompetenzentwicklung ist somit Lernen zweiten Grades, also reflexives Lernen.110 Dieser Prozess schafft die Angleichung zwischen dem vorhanden „Musterkatalog“ des Verhaltens und der optimalen Anpassung an die Umweltbedingungen und ist nicht zuletzt die grundlegende Energie der kognitiven Tätigkeit der Individuen. Diesen Anpassungsprozess muss man sich als Interaktion vorstellen. Das Individuum passt sich nicht nur passiv an sondern selektiert und beschreibt Umwelten aktiv. Es bildet sich eine relationale Wirklichkeit zwischen Individuum und Umwelt aus. Der Prozess des Kompetenzerwerbs und Lernens kann, da es ein im Menschen stattfindender subjektiver Prozess ist, nicht direkt gesteuert werden. Wichtig ist allerdings die Gestaltung der Umfeldbedingungen (Kontextgestaltung), die den Lernprozess anregen. Sie sollten eine große Varianz sinnstiftender Anschlussmöglichkeiten bereitstellen, die eine Vielzahl von möglichen subjektiven Konstruktionen zulässt. Im Prozess des Kompetenzerwerbs müssen die eigenen konstruierten Wirklichkeitsfelder erweitert werden können, um neue Sinnkonstrukte entstehen zu lassen. Lernen und Kompetenzerwerb bedeutet in dieser Hinsicht unablässiges Verändern, Umgestalten, und die Kreation von neuen Erklärungsmustern. Wissens- und Kompetenzerwerb sind somit nicht ergebnisorientiert, sondern prozessorientiert. Kompetenzerwerb bedeutet somit aus einem Sachverhalt oder Gegenstand etwas anderes zu machen, indem man 110 Siehe zum Lernstufenkonzept Gregory Bateson 1992, S. 371 ff.

90

Lernen

von sich selbst etwas hinzufügt. Es ist nicht die Aufnahme des externen fremden Anteils, der Wissen und Kompetenzen ausmacht sondern die Umformung in kognitive, interaktive und kommunikative Anteile des Selbst.

2.7

Lernen

Nach Piaget versucht ein Individuum jede neue Interaktionserfahrung mit seiner Umwelt in ein bereits bestehendes Verhaltensmuster einzufügen. Es werden die vorhandenen Verhaltensschemata mobilisiert und die neuen Informationen in das bisher Gelernte integriert (assimilatorischer Akt), als eine aktive Verarbeitungsleistung. Glaserfelds drückt es ähnlich aus, wenn er sagt: „Kognitive Assimilation kommt zustande, wenn ein kognitiv aktiver Organismus eine Erfahrung in die konzeptuelle Struktur einpasst, über die er jeweils verfügt.“111 Die behavioristische Lerntheorie geht von dem Menschen als einem passiven Wissensaufnehmer aus, welcher als „Behälter“ für Wissen jeweils die korrekte InputOutput-Relation widerspiegelt. Der Mensch wird als Lernobjekt betrachtet, der in einem gegebenen Lernsystem als Ergebnis die jeweils richtigen Antworten reproduzieren soll. Der Lernende integriert infolgedessen Wissen rein rezeptiv in seine Wissensstruktur, er sammelt Wissen wie Kieselsteine. Die Zielrichtung des Wissens ist die korrekte Wiedergabe der „gelernten“ Wissensbestandteile, so wie sie der Lehrende vermittelt hat. Es ist augenscheinlich, dass bei dieser Art der Betrachtung von Lernprozessen weniger das von Interesse ist, was der Lernende wirklich gelernt hat sondern ob er den vorgegebenen Wissenskanon in der verlangten Form wiedergeben kann. Nicht die angewendeten Ergebnisse des Lernprozesses sind von Interesse sondern in erster Linie die korrekte Wiedergabe vorstrukturierter „abgelagerter“ Wissensinhalte und dabei ist der Inhalt weit weniger wichtig als die Form. Die Reflexion der Ergebnisse auf behavioristischer Basis erfolgter Lernprozesse sagt sehr viel über den Lehrenden aus und wenig über den Lernenden. Behavioristische Lernkonzepte haben das so genannte Single-Loop-Learning, also die Verhaltensanpassung ohne die Veränderung der zugrunde liegenden Überzeugungen zum Ergebnis. Die kognitivistische Lerntheorie sieht den Menschen als informationsverarbeitenden Apparat. Wissen wird als eine auf einem internen Verarbeitungsprozess beruhende Problemlösung angesehen. Der Lehrende ist eher Tutor, mit der Lehrkonzeption „beobachten“ und „helfen“. Lernziel ist es, die richtigen Methoden zur Beantwortung von Fragestellungen anzuwenden. Der Mensch wird aus dieser Perspektive nicht mehr als „black-box“ betrachtet. Es werden vielmehr die kognitiven Vorgänge im Individuum in den Vordergrund gestellt. Ziel ist es, bei der Wahrnehmung und einem anschließenden Lernprozess Geschlossenheit und Vollständigkeit zu entwickeln. 111 Glasersfeld 1994 S. 28

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2.7

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Mit dem Satz „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ ist der konzeptionelle Rahmen des kognitiven Ansatzes gut zu umschreiben. Im Gegensatz zu den StimulusResponse-Theorien des Behaviorismus, fokussieren kognitive Lerntheorien das so genannte S-O-R-Paradigma (Stimulus-Organismus-Response). Der lernende Organismus wird als ein selbständiges System angesehen, das durch Wahrnehmen, Erkennen und Nachdenken (Kognition) zu Einsichten kommt, es erfolgt somit Lernen durch Einsicht.112 Kognitivistische Lerntheorien entwickelten das Double-Loop-Learning als Resultat ihrer Überlegungen. Die Veränderung der gemeinsamen Deutungs- und Wertemuster und die Veränderung der Problembearbeitung sind entscheidend für erfolgreiches Lernen. Das Double-Loop-Learning gründet auf dem ständigen Nachdenken über die eigenen theories-in-use. Zur optimalen Ausgestaltung von Lernkulturen muss die Schaffung neuer theories-in-use alltäglich und zur Selbstverständlichkeit werden.113 Die konstruktivistischen Lerntheorien verstehen sich als Unterstützer des Double-LoopLearnings. Sie steigern die Fähigkeiten und die Bereitschaft, nach neuen Problemlösungen zu suchen und akzeptieren ausdrücklich die Abweichung von Routinen. Dies findet in den individuellen Lernprozessen die notwendigen Reflexionen. Das Reflektieren des Lernkontextes und das Auffinden von Lernhindernissen sowie Lernerleichterungen, sind wesentliche Prozesse, die konstruktivistische Lerntheorien hervorheben.114 Konstruktivistische Lerntheorien gehen davon aus, dass alles Wissen im Gehirn „konstruiert“ wird, dass von außen nichts hinein kommen kann. Konstruktivisten gehen davon aus, dass durch Wahrnehmen, Denken, Handeln, Kommunizieren eine Erfahrungswirklichkeit im Gehirn erzeugt wird, deren Realitätsgehalt wir an einer „objektiven“ Realität irgendwo außerhalb nicht messen können. Das Wissen über die Welt wird von dem denkenden Subjekt nicht passiv aufgenommen sondern aktiv in seinem Gehirn entwickelt. Wissen beruht so grundsätzlich auf den eigenen Erfahrungen. Wir können über eine von der Wahrnehmung unabhängige „Realität“ nichts aussagen.115 Heinz von Foerster sagt sogar, dass Objektivität eine Wahnvorstellung ist, da Beobachtungen ohne Beobachter nicht gemacht werden können. Gemeint ist damit, dass alle Erkenntnis, alles Wissen ein Produkt unseres Gehirns ist, alles was wir als Subjekt beobachten ist eine subjektive Beobachtung, da es ohne Subjekt keine Beobachtung gibt. Die Kritik an einer „objektiv“ erkennbaren Wirklichkeit ist in der Philosophiegeschichte allerdings schon alt. Schon der griechische Philosoph Demokrit sagte 500 v. Chr., dass wir nicht erkennen können, wie die Dinge wirklich beschaffen sind. Die Erweiterung dieser Kritik im radikalen Konstruktivismus bedeutet, dass dieser eine Realität 112 Vgl. Staehle 1991 S. 194 113 Zur Grundlage der logischen Kategorie von Lernen und Kommunikation siehe Gregory

Bateson 1992, S.362 ff. 114 Vgl. Argyris und Schön 1978, S.26 f. 115 Zu den Grundlegungen des Konstruktivismus siehe Heinz von Foerster 1999, 1993, Ernst von

Glasersfeld 1996, Paul Watzlawick 1999

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Lernen

hinter den Dingen und Ideen verneint. Der „radikale Konstruktivismus“ kann die Erfahrungswirklichkeit allenfalls auf ihre „Viabilität“ (Gangbarkeit, Lebbarkeit) hin überprüfen. Der grundlegende Unterschied in der Bewertung von Wissen liegt in dem Verhältnis das Wissen und Wirklichkeit kennzeichnen. Klassische Auffassungen gehen davon aus, dass es eine „wahre“ Korrespondenz zwischen Wissen und Wirklichkeit gibt. Der radikale Konstruktivismus spricht von „viablen“ Realitätskonstruktionen. Das heißt, wenn diese Konstruktionen zum erfolgreichen Überleben eines Subjektes beitragen, sind sie wahr. Die Erlebniswirklichkeit des radikalen Konstruktivismus besteht aus Elementen der Sinneswahrnehmung und des Denkens. Lernen wird in dieser derzeit ambitioniertesten Lerntheorie nicht als abgeschlossener Prozess betrachtet, sondern als ein fortlaufender, sich selbst kritisch betrachtender Ablauf von Verhaltensweisen. Auf den unteren Lernebenen können Lernprozesse durchaus rigide und restriktiv gehandhabt werden. Bei Lernsystemen höherer Ordnung sind nur „Lernhilfen“ für den Lernenden möglich, es sind so inneres Engagement und Motivation der Lernenden unerlässlich. Das Lernen in Organisationen basiert auf allen drei genannten Lernniveaus. Somit ist es wichtig, auf allen Lernebenen entsprechende Kontexte zu schaffen, um die Fähigkeit des Umgangs mit Neuem sowie das Reflexionsvermögen auf kognitiver und normativer Ebene zu verbessern. Um zu lernen müssen eingefahrene Lernroutinen, die Lernen verhindern, abgebaut, verlernt werden. Neues Lernen setzt folglich Verlernen voraus. Paradigmatische Unterschiede der drei lerntheoretischen Ansätze:

„ Behavioristische Lerntheorie: Der Mensch ist ein passiver Wissensaufnehmer, eine „Black Box“. Der Mensch wird als Lernobjekt betrachtet, das die „richtigen“ Antworten wiedergeben soll. Lernen wird als rezeptiver Vorgang gesehen.

„ Kognitivistische Lerntheorie: Mensch ist informationsverarbeitender Apparat. Der Mensch ist ein lernender Organismus, der durch Wahrnehmen, Erkennen und Nachdenken (Kognition) zu Einsichten kommt, es erfolgt somit Lernen durch Einsicht. Lernen wird als kognitiver Prozess gesehen.

„ Konstruktivistische Lerntheorie: Alles Wissen beruht auf Sinneswahrnehmung und Denken (Kognition) und wird einzig im Gehirn des Subjektes hergestellt. Wissen kann nicht „vermittelt“ werden, denn jegliches Wissen ist subjektabhängig. Es wird unter den sozio-biografischen Bedingungen des Wissen herstellenden Subjektes gebildet. Nur das Subjekt alleine kann Wissen herstellen, es gibt keine objektive Erkenntnis. Lernen wird als ein rein subjektiver Prozess gesehen, der allerdings von den Bedingungen und der Gestaltung des Kontextes abhängt. Lernen nach konstruktivistischer Lesart ist also nicht Aufnehmen von Lernstoff, sondern Neukonstruktion von Informationen in das bestehende Universum subjektiven Wissens. Lerntheorien gehen von unterschiedlichen Ansätzen aus, je nach Perspektive sind behavioristische, kognitivistische oder konstruktivistische Gesichtspunkte zentral. Die unterschiedlichen Lerntypen beziehen sich dabei auf unterschiedliche Ansprüche, 93

2.7

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

sprich gesellschaftliche Reflexionsweisen, Machtsysteme und Mechanismen sozialer Ausschließung. Wenn man sich allerdings die Ergebnisse der neuesten Hirnforschung vor Augen führt, so spricht einiges dafür, dass der konstruktivistische Ansatz des Lernens der derzeit plausibelste ist. Gerade deshalb, weil durch ihn auf die viel gestellte Frage nach dem Zusammenhang von theoretischem Lernen und der praktischen Anwendung des Gelernten eine zufrieden stellende Antwort gegeben werden kann: Da Lernen immer kontextabhängig und subjektiv ist, lernt man in einer Lernsituation immer genau für deren Zielsetzung. Konkret heißt dies, wenn beispielsweise an Universitäten auf Noten und qualifizierte Abschlüsse hin gelernt wird, so ist es mehr als nur verständlich, dass die Anwendung des Wissens in der beruflichen Praxis eine andere Qualität des Lernprozesses erfordert. Das ist unter der Kontextgebundenheit und Subjektabhängigkeit des Lernens zu verstehen.

„ Lernen sollte immer kontextadäquat und subjektorientiert erfolgen, um ein optimales Ergebnis für den angestrebten Zweck zu erreichen.

2.7.1

Das Lernstufenkonzept

Der amerikanische Anthropologe, Sozialwissenschaftler und Kybernetiker Gregory Bateson hat in den 1960er Jahren ein Lernstufenkonzept entwickelt, welches nach wie vor eine gute Erklärung für unterschiedliche Niveaus des Lernens sein kann. Der Hintergrund für Batesons Lerntheorie ist Russels Theorie der logischen Typen, ohne an dieser Stelle hierauf näher einzugehen. „Das Wort »Lernen« bezeichnet zweifellos eine Veränderung irgendeiner Art(...)“, so die Auffassung von Bateson.116 Auf der untersten Ebene siedelte Bateson das „Lernen null“ an. Es ist sozusagen die richtige Reaktion auf ein Zeichen, dabei lernt man, dass eine Informationsaufnahme mit einem äußeren Ereignis korreliert. Diese Lernstufe ist schon vor einer sprachlichen Ebene anzusetzen, man lernt auf der Ebene von Identifizierungen. Die „Lernstufe null“ bezieht den Kontext des Lernens nicht mit ein, ist sozusagen eine Form des Reaktionslernens. Diese Art zu lernen spielt sich, wenn man so will, auf der Ebene von „Reiz und Reaktion“ ab. Es handelt sich dabei um „(...)einfache Informationsaufnahme von einem äußeren Ereignis, dergestalt, dass ein ähnliches Ereignis zu einem späteren (und geeigneten) Zeitpunkt dieselbe Information übermitteln wird: Ich »lerne« von der Werkssirene, dass es zwölf Uhr ist.“117 Diese Lernebene wird leider auch heute noch in vielen „Schulungen“ nicht verlassen. Sie ist eine sehr eingeschränkte Lernebene, die zwar situationsgerechtes Handeln hervorbringt, aber leider keine „Trial-and-error-Prozesse“ in Gang setzt. Reflexives Lernen ist auf dieser Ebene nicht möglich, wie Bateson betont.

116 Bateson 1996, S.366 117 ders., S.367 f.

94

Lernen

Das „Lernen I“ ist zu vergleichen mit dem Entwickeln von kontextabhängigen Lösungen. Es ist Lernen als „Veränderung im Lernen null“, man zeigt so zum Zeitpunkt 1 eine andere Reaktionsweise als zum Zeitpunkt 2, wie Bateson sagt. Ist das „Lernen null“ dadurch gekennzeichnet, dass eine wirksame Reaktion auf einen Reiz erfolgt, so unterscheidet sich das „Lernen I“ insofern davon, als dass die Veränderung der spezifischen Wirksamkeit der Reaktion durch das Korrigieren von Irrtümern innerhalb einer begrenzten Anzahl von Wahlmöglichkeiten erfolgt. „Lernen II“ ist dann, wie Bateson ausführt, eine „Veränderung im Prozess des Lernens I“, insofern es eine Korrektur in der Menge der Wahlmöglichkeiten, sozusagen das Erlernen der Kontexte für Lernen I. Lernen II bleibt nicht bei der Lösung von einfachen Problemen stehen: die Struktur der Problemlösung wird mit dem Kontext verbunden. Man lernt so nicht nur etwas, sondern lernt, wie man etwas am besten lernt. Bateson bezeichnet diese Lernstufe auch „Deutero-Lernen“, „Set-Lernen“, „Lernen lernen“ oder „Lerntransfer“.118 Er unterscheidet damit diese Ebene deutlich von den beiden vorherigen, es findet so nochmals ein bedeutsamer qualitativer Schritt statt. Bateson erörtert darüber hinaus noch weitere mögliche Lernschritte, wie das „Lernen III“ und das „Lernen IV“, schränkt jedoch gleichzeitig ein, dass Lernen III eine tief greifende Charakteränderung sei, die nur bei ganz wenigen Menschen erfolge. Diese Lernveränderungen liegen eher außerhalb des Sprachbereichs und sind Lernvorgänge welche „(...)das Erlernen dieser Kontexte der Kontexte(...)“ bedeutet.119 Das Lernen III wird von Bateson schon als nur relativ wenigen Menschen möglich beschrieben. Lernen IV ist dann als „Krönung“ der Lernfähigkeit von Organismen überhaupt, die „(...)Verbindung von Ontogenese und Phylogenese“, also die Verknüpfung von Individualentwicklung mit der Stammesentwicklung.120 Diese beiden Lernstufen seien allerdings nur der Vollständigkeit wegen genannt, sie spielen in unserem Diskussionszusammenhang keine weitere Rolle. Was hat nun Batesons Lernstufenkonzept beispielsweise mit der Praxis des Lernens in Unternehmen zu tun? Die Zusammenhänge, die Bateson aufgezeigt hat sind insofern für die Praxis des Lernens auch in Unternehmen bedeutsam, als dass das Lernen II eine wichtige Zielorientierung für modernes Lernen unter zeitgemäßen Anforderungen ist. Im Lernen II verändert ein Individuum die Art und Weise seines Lernverhaltens und seine Verhaltensweise bei Problemen. Diese Lernstufe zu erreichen bedeutet in Unternehmen, dass die Problemlösung vermehrt aus eigener Kraft gestaltet werden kann. Bisheriges Lernen in Unternehmen findet auch heute noch weitgehend in einer Form der „Schulung“ statt. Diese Form hat zwar ihre Berechtigung, wenn es um das Lernen von neuen Regeln geht, es reicht aber bei vielen Anforderungen, die der Markt an die Unternehmen stellt, nicht mehr aus. Gerade Unternehmen müssen ihre individuellen Lernverhalten in Richtung des Batesonsschen Lernens II entwickeln, wollen sie zukunftsfähig werden. Man muss nicht nur aus einer begrenzten Menge von 118 ders., S.378 119 ders., S.392 120 ders., S.379

95

2.7

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Wahlmöglichkeiten auswählen können, sondern die Wahlmöglichkeiten für Problemlösungen selbst erweitern. Es muss sozusagen die „Struktur der Problemlösung mit dem Kontext verbunden werden“, es muss gelernt werden wie gelernt wird. Fassen wir noch einmal mit Bateson zusammen:

„ Lernen null ist durch die spezifische Wirksamkeit der Reaktion charakterisiert, die –zu Recht oder Unrecht – keiner Korrektur unterliegt.

„ Lernen I ist Veränderung in der spezifischen Wirksamkeit der Reaktion durch Korrektur von Irrtümern, der Auswahl innerhalb einer Menge von Alternativen.

„ Lernen II ist Veränderung im Prozess des Lernens I, z.B. eine korrigierende Veränderung in der Menge der Alternativen, unter denen die Auswahl getroffen wird oder es ist eine Veränderung in der Art und Weise, wie die Abfolge der Erfahrung interpunktiert wird.

„ Lernen III ist Veränderung im Prozess des Lernens II, z.B. eine korrigierende Veränderung im System der Mengen von Alternativen, unter denen die Auswahl getroffen wird.

„ Lernen IV wäre Veränderung im Prozess des Lernens III, kommt aber vermutlich bei keinem ausgewachsenen lebenden Organismus auf dieser Erde vor. Der Evolutionsprozess hat jedoch Organismen hervorgebracht, deren Ontogenese sie zum Lernen II bringt. Die Verbindung von Ontogenese und Phylogenese erreicht in der Tat Ebene IV. Da wir alle Beobachter im Leben sind, kann durch die Beobachtung der Beobachter neues Wissen erkannt werden. Wir schauen zu, wie wir oder andere Lernen oder miteinander kommunizieren. So kann man Erkennen erkennen und Beobachtung beobachten. Ein weiteres Lernstufenkonzept entwickelten Agyris/Schön im Jahr 1978.121 Sie unterscheiden nach drei Lernstufen:

„ Single-loop Learning (Anpassungslernen): Auf dieser Lernstufe wird insofern gelernt, als dass Abweichungen zwischen Planung und dem tatsächlichen Ergebnis korrigiert werden. Es werden nicht Ziele, Normen oder Werte, sondern Handlungen bzw. Verfahrensweisen variiert. Dadurch entsteht ein einfacher Kreislauf, single-loop zwischen geplanten Handlungen und den realen Ergebnissen.

„ Double-loop Learning (Veränderungslernen): Es werden Korrekturen nicht alleine bei den Handlungen oder Verfahrensweisen realisiert, sondern gleichzeitig werden Veränderungen bei Werthaltungen und Rahmenbedingungen durchgeführt. Hierbei wird der bisherige Erfahrungsschatz der Organisation genützt. Ein Problem bei dieser Lernstufe stellt der Verharrungseffekt in alten Handlungsmustern dar. 121 Siehe Agyris/Schön 1999 zuerst 1978 erschienen, unter dem Titel „Organizational Learning“

96

Lernen

„ Deutero-Learning (Prozesslernen): Auf dieser Lernstufe wird Lernen selbst zum Objekt des Lernens. Es wird umfangreiches Wissen aus vergangenen Lernprozessen aktiv verwendet. Es werden Informationen, Lernverhalten, Lernerfolge und Misserfolge vergangener Lernprozesse diagnostiziert. Es werden in der Vergangenheit verwendete Handlungsweisen zur Problemlösung analysiert und verbessert. Deutero-Learning stellt einen kontinuierlichen Lernprozess dar. Es benötigt das ständige Engagement und die Motivation der Handelnden zu lernen. Auf der Ebene des Deutero-Learnings stellt auch das bewusste „Verlernen“ von Verhaltensweisen eine wichtige Voraussetzung dar.

2.7.2

Lernkulturen und Kompetenzentwicklung

Organisationskulturen sind auf den ersten Blick unsichtbar, sie sind Orientierungsmuster, Verhaltenserwartungen und Selbstbeschreibungen in Organisationen, die sich dem Beobachter erst allmählich erschließen. Infolgedessen bedarf jede Organisationskultur jeweils der Interpretationsleistung der Individuen, wollen diese innerhalb dieser Kultur handeln. Durch das reale Handeln in Organisationen wird von den Akteuren die Kultur interpretiert, verändert und somit erneuert. In Veränderungsprozessen wird oft nicht berücksichtigt, dass dieser Vorgang sich tagtäglich so abspielt. Wir handeln niemals ohne Interpretation und Veränderung der Regeln, Normen, Werte, Rollenerwartungen, die ein System, eine Kultur ausmachen. Kulturen sind demzufolge keine starren „Sachverhalte“, sondern Organisationskulturen definieren den Handlungsspielraum und die Handlungsweise der in ihr interagierenden und kommunizierenden Individuen. Sie sind zugleich eine Lernkultur, indem sie die Veränderung von Normen, Werten, Routinen, Wissensbeständen und Handlungsweisen mehr oder weniger forcieren. Wenn man die Funktionsweise von sozialen Handlungssystemen, also Lernkulturen, aus dieser Perspektive betrachtet, kann man nach drei Dimensionen des Sozialen unterscheiden:122 Auf der Strukturebene nach:

Auf der Interaktionsebene nach:

Signifikation (Sinnkonstitution)

kommunikativem Handeln

Herrschaft

Machtausübung

Legitimation

sanktionierendem Handeln

Zu beachten ist, dass sich alle Handlungen von Akteuren immer in allen drei Strukturebenen zugleich abspielen und diese demzufolge reproduzieren und auch modifizieren. Auf Unternehmen bezogen ist daher zu fragen, inwiefern Handeln nicht nur zur Reproduktion allokativer und autoritativer Strukturen beiträgt, sondern außerdem in Relation mit den Ebenen der Signifikation und Legitimation stehen. 122 Siehe Giddens 1988

97

2.7

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Abbildung 2-12: Das soziale System Organisation nach Anthony Giddens

Ebenen der Struktur

Rekursivität

Ebenen der Interaktion

Signifikation (S) (kognitive Ordnung) Regeln der Sinnkonstitution, Interpretationsschemata: Wahrnehmungsmuster, Leitbilder, Vokabular, Redeweisen, „Storytelling“, „memory traces“

S H L

Kommunikatives Handeln Sprechweisen, Kommunikationsthemen, was wird wie gesagt und welche Themen werden wie angesprochen

Herrschaft (H) (dispositive Ordnung) autoritative und allokative Ressourcen: Anordnungsbefugnisse Verwaltungs- und Planungsinstrumente, Geldmittel, Rohstoffe

S H L

Machtausübung autoritativ: Entscheidungen über Abläufe, Planungen, Bezahlung allokativ: Entscheidung über Rohstoffe, Technik, Geld

Legitimation (L) (normative Ordnung) Normen und Regeln der Legitimation, Sanktion: Organisationale und rechtliche Normen

S H L

Sanktionierendes Handeln Abmahnung bei Verstoß gegen Arbeitsnormen etc.

Das Handeln von Individuen in sozialen Systemen, in Lernkulturen, ist kontextabhängig und zugleich verändert es diese kontextuelle Abhängigkeit. Gehandelt wird nie ganz genau so wie es Normen, Werte, Routinen vorgeben, sondern jede Person interpretiert ständig diese Regelsysteme und legt sie neu aus, wenn auch oft nur mit minimalen Abweichungen, aber: Abweichungen sind die Normalität des Handelns in sozialen Systemen. Nochmals ist zu betonen, das was damit gesagt werden soll ist, das Kulturen, soziale Systeme „lebende Prozesse“ sind, welche durch die Menschen, die in ihnen handeln, ständig mehr oder weniger verändert werden. Dagegen herrscht auch heute im Management vielerorts immer noch die Vorstellung vor, dass eine bestimmte Organisationsform, eine bestimmte Kultur mit ihren Normen, Werten und Handlungsvorschriften von den Handelnden eins zu eins so reproduziert wird. Aktion bedeutet dagegen immer Interpretation der „Vorschriften und Routinen“ und damit Veränderung dieser. Diese Erkenntnis ist für uns deshalb wichtig, weil sie uns verstehen hilft, warum viele Versuche, bestimmte Managementtechniken einzuführen, oft scheitern oder nur unzureichende Ergebnisse bringen. Interessant in dieser Hinsicht ist, dass Machtpotenziale allein durch die Verfügung über Ressourcen nicht erzeugt werden können. Es bedarf zugleich der Einflussnahme auf die Signifikations- und Legitimationsbereiche. In diesen müssen die Wahrnehmungsmuster, Normen, Werte oder Ideologien der Organisationsmitglieder geprägt werden. Die Veränderung einer Lernkultur kann, aus dieser Perspektive betrachtet,

98

Lernen

nur dann Erfolg haben, wenn zugleich die existenten Regeln der Signifikation und Legitimation berücksichtigt werden. Soll eine Lernkultur in einer Organisation verändert werden, muss man sich bewusst sein, dass die Mittel zur Veränderung nicht aus der Ebene der Herrschaftsstruktur allein erfolgen kann. Es muss ebenso eine Veränderung der kognitiven und normativen Ordnung erfolgen. Beständigkeit und Veränderung in einer Organisation sind nicht zwei entgegengesetzte Prozesse, sondern eine Folge der fortwährenden rekursiven Reproduktion von Regeln, Ressourcen und Normen durch die Handelnden. So bedarf die Entfaltung von Lernpotenzialen zur Kompetenzentwicklung so etwas wie eine „De-Limitation“ von Handlungen innerhalb des sozialen Systems. Das heißt konkret:

„ Voraussetzungen und Modalitäten für Experimentierräume ergründen „ Zulassen eines „kontrollierten Chaos“ in der Innovationsentwicklung „ Toleranzbereiche für Regelverstöße innerhalb der kognitiven, normativen und dispositiven Ordnung vergrößern

2.7.3

Die lernende und kompetente Unternehmung

Das Ziel, ein lernfähiges Unternehmen auszubilden, muss durch eine Veränderung der Unternehmenskultur unter den oben beschriebenen Bedingungen geleistet werden. Die Zeiten, als man dachte eine restriktive „Weiterbildungsplanung“ garantiere den Erfolg, sind vorbei. Allerdings ist dies keine Aufforderung dazu, Planung gänzlich zu unterlassen, sondern nur der Hinweis, dass Lernstrategien und Kompetenzentwicklungen Freiräume brauchen und Planungsfetischismus in diesem Bereich nicht zu verbessertem Lernen führt. Veränderung heißt Aufbruch zu Unbekanntem, auch zu bisher weitgehend unbekannten Formen der Gestaltung solcher Prozesse. Es geht nun darum, die Gestaltungsbedingungen von Lernprozessen verstehen zu lernen, nicht ihre Planbarkeit zu extrapolieren. So bedeutet De-Limitation von Handlungen für die Lern- und Kompetenzentwicklung, dass es in Unternehmungen zulässig sein muss, tradierte Handlungsmuster zu verlassen. Ein Buch über die erfolgreichsten Manager trägt nicht zu Unrecht den Titel First, break all the rules.123 De-Limitation von Handlungen ist nun nicht, wie man glauben könnte, der Aufruf zum rein anarchistischen Verhalten von Unternehmensmitgliedern. Wie wir weiter oben gesehen haben, „lebt“ das soziale System Unternehmung nach einem bestimmten Prozessmuster. Dieses Muster organisiert sich über die Dimensionen kognitive Ordnung, Herrschaft und normative Ordnung. Im Spannungsfeld dieser Codes müssen Handlungsweisen zulässig sein, die begrenzte Regelverletzungen erlauben. Die Begrenzungen der Regelverletzungen müssen jeweils von den 123 Siehe Buckingham/Coffman 1999

99

2.7

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

sozialen Akteuren ausgehandelt werden. Die Regelverletzungen als solche geschehen in jeder Organisation, ob sie zugelassen werden oder nicht. Die Frage ist nur wie ein soziales System mit Regelverletzungen umgeht. Verhält es sich autoritär-rigide oder eher flexibel-kooperativ. Eine Lösung des Problems liegt vielleicht darin, dass man, mit Weick gesprochen, bestimmte Verhaltensmuster zulässt.124 Weick nennt dies auch „disposition to heed“, eine Art der Achtsamkeit gegenüber ungewohnten Handlungsmustern.125 Wie Ortmann an genannter Stelle ebenfalls betont, hat schon der „Vater“ der Betriebswirtschaftlehre, Erich Gutenberg, die Regelverletzung und Irrationalität als Normalfall des Managements bezeichnet. Ortmann geht sogar soweit, das „Exzeptionelle“ als die Normalform in allen sozialen Systemen anzusehen.126 Organisationales Lernen basiert auf individuellem Lernen. Genauso wie im Gehirn eines Menschen neuartige Verknüpfungen hergestellt werden, werden in der Organisation neue Verbindungen entwickelt. Menschen vernetzen sich, kommunizieren und lernen somit kollektiv nützliche Verhaltensweisen, Modelle und Methoden. Organisationen sind soziale Systeme, die sich, wie erläutert, aus kommunikativen Handlungen bilden. Wenn sich neues Wissen (Erkenntnisse), neue Verknüpfungen und Problemlösungen bilden oder gar Double-Loop-Learning Elemente (Agyris/Schoen) oder Lernen II (Bateson) durch Reflexion integriert werden, wird das Spektrum der Aktionsmöglichkeiten erweitert. Eine lernende Organisation erzeugt die Fähigkeit der Anpassung an neue Bedingungen. „Wollen“, „Können“ und „Dürfen“ kommen zusammen und lassen ein selbststeuerndes System der verbessernden Veränderung entstehen. Individuelles Wissen wird geteiltes kollektives Wissen der Organisation. Implizites wird explizites Wissen, individuelles kollektives Wissen und umgekehrt. Das organisationale Lernen findet seine Basis in individuellen Erkenntnisprozessen. Jedes soziale System lernt in irgendeiner Form und Intensität. Es liegen also immer schon Initiativen vor, die als Quellen einer lernenden, innovativen und vitalen Unternehmung betrachtet werden können (Corporate Knowledge).

124 Vgl. Weick (2001) 125 Ortmann (2003b), a.a.O. S. 82 f. betont diesen Aspekt besonders 126 Ortmann (2003b) a.a.O., S. 88

100

Lernen

Abbildung 2-13: Voraussetzungen für die Entwicklung vitaler Lernsysteme

„ Das Top Management muss das Projekt sichtbar und bedingungslos unterstützen. Auch vorbildliches Verhalten und symbolische Rituale sind dazu dienlich.

„ Es müssen die organisatorischen Rahmenbedingungen und Spielräume geschaffen werden.

„ Nach einer Impulsphase, welche die erste Schwellenangst überwinden hilft, ist durch externe Berater die weitgehende Selbstorganisation auszulösen. Die Akteure im Unternehmen müssen sich das Projekt zu eigen machen und mit dem konkreten Kontext verknüpfen.

„ Die Lernorganisation sollte methodisch und prozessual mit allen wesentlichen Bereichen im Unternehmen verbunden werden (methodische Integration).

„ Die Projektgruppen sind repräsentativ und vielfältig, aber durch Eigeninitiative zusammenzusetzen. Das heißt, jeder Interessierte muss eine gute Chance bekommen, sich zu engagieren (Open Source Development).

„ In einem strategischen Dialog Forum sollten immer wieder neue Impulse den Prozess reflektieren helfen.

„ Individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen (Können) sowie Engagement (Wollen) ergänzen notwendigerweise die organisatorischen Voraussetzungen (soziales Dürfen, Lernsysteme, etc).

„ Die kontinuierliche Weiterbildung, sinnvolle Dokumentation der Erfolge und Misserfolge sowie die offene Verbreitung von Informationen in einer Atmosphäre des Lernens und Lösens, sind weitere wichtige Beiträge zur lernenden Organisation.

Zur Umsetzung in die Praxis ist das Prozess-Design des Solution Cycles ein empirisch entwickeltes Modell, das auf systemischen Überlegungen beruht. Das Vorgehen in diesem Acht-Schritt-Verfahren ist nicht beliebig und die Schrittfolge sollte eingehalten werden. Gerade im perzeptiven Modus, den Schritten 1 und 2 wird oft der Fehler gemacht, dass viel zu schnell vorgegangen wird. Aus zahlreichen praktischen Erfahrungen wissen wir, dass die Ungeduld, jetzt endlich etwas anzufangen dazu verführt, die Aufnahme des Bestehenden, das Erkennen und Klären der Situation zu vernachlässigen. Oft geht es nach der Devise, „ist doch alles klar, jetzt wollen wir mal loslegen“. Diese operationelle Hektik, die in vielen Unternehmen bei Projektbeginn zu verspüren ist, macht Druck auf die Akteure und lässt eine genügende Einbindung aller Beteiligten oft nicht zu. In späteren Projektphasen rächt sich dieses zu schnelle Vorgehen meistens, da am Anfang nicht alle Perspektiven, Meinungen, Vorschläge gehört und integriert wurden. Ein nicht überhasteter Beginn eines Projektes birgt größere Chancen das Ziel zu erreichen. Das Mehr an Ruhe zu Anfang bringt eine umso schnellere

101

2.7

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Entwicklung im weiteren Verlauf. Für eine ruhigere Startphase ist es oftmals hilfreich, Prozessbegleitung von außen hinzu zu ziehen, da hierdurch die Gefahr in die Geschwindigkeitsfalle zu tappen deutlich abgemildert werden kann. Die acht Phasen des Solution Cycles können zu drei Hauptmodi zusammengefasst werden:127

Abbildung 2-14: Schema des Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle)

Interventionen

Modi

Coach oder Manager interveniert über Sprache und Bilder

Perzeptiver Modus Lernstufe 1, Wissen

Schrittfolgen

1. 2.

erkennen klären

Zeit, Timing Kreativer Modus Organisation, Methoden Lernstufe 1, single loop learning

3. 4. 5.

lösen bewerten, planen verändern

Architektur Design, Präsentation

6.

kontakten, flow oder flop? lernen beenden

Reflektiver Modus, Lernstufe 2, double loop, deutero learning

7. 8.

Der Perzeptive Modus umfasst (Erkennen und Wahrnehmen) mit den ersten Beobachtungen, dem Austausch von Sichtweisen sowie der gemeinsamen Problembeschreibung und Visionsfindung. Hier werden die Marktanforderungen mit Hilfe von Scanning und Monitoring (Awareness) aufgenommen sowie Kontext- und Aufgabenprämissen präzisiert. Es wird im Sinne von Gregory Bateson Wissen generiert (Lernstufe 0).128 Der sich anschließende Kreative Modus dient der interaktiven Lösungskreation, der vertiefenden Planung von Interventionen sowie der aktiven Veränderung (Lernstufe 1). Es wird kreiert, selektiert, ausprobiert und realisiert. Hier werden Teams gebildet, Engagement entfacht, Lösungen kreiert, Veränderungen geplant und realisiert. Es wird Neues gelernt und verändert (Lernen Stufe 1).

127 Vgl. Bergmann, G. 2001a, S.18 f. 128 Vgl. zum Lernstufenkonzept Bateson, 1996 S. 362 ff.

102

Lernen

Im Reflektiven Modus steht die Beobachtung der Veränderungen (Kontakt, Flow oder Flop) im Vordergrund. Die Erfahrungen werden zu Mustern und Regeln systematisiert (Best Patterns), der Projektabschluss gefeiert und die lernorientierte Reflexion der Geschehnisse (Loslösung) manifestiert. Die Lernstufe 2 beinhaltet das Lernen zweiter Ordnung. Die Erfahrungen werden aus der Außenperspektive betrachtet und systematisiert. Verknüpft man nun die skizzierten Erkenntnisse miteinander, so lassen sich Lösungsansätze ableiten, die an die individuellen Anforderungen eines jeden Unternehmens angepasst werden können. Auf Basis des Solution Cycles lassen sich gezielte Interventionen durchführen, die dabei helfen, wichtige (Veränderungs-) Impulse anzustoßen, positive Atmosphären zu schaffen und die Rahmenbedingungen für die Veränderungsprozesse selbst zu gestalten. Ein Beobachter zweiter Ordnung (Coach, Manager) sollte das Geschehen begleiten und kontextuell steuern. Manager haben die Aufgabe, Initiativen zu ermöglichen, den Rahmen und die Regeln interaktiv zu vereinbaren und ihre Einhaltung zu kontrollieren sowie die Atmosphäre passend zu gestalten.

2.7.4

Vernetzung und Kooperation

Für erfolgreiches Lernen, eine technische und soziale Entwicklung von Unternehmungen, Verwaltungen etc. ist oft die übergreifende Zusammenarbeit verschiedener Akteure, Institutionen und Experten erforderlich. Viele Neuerungen entstehen aus der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Aus Grundlagenforschungen werden marktfähige Angebote entwickelt und in Spin outs zu eigenständigen Unternehmen geformt. Lernprozesse können oft durch Berater ausgelöst werden, da sie externes Wissen in die Unternehmen tragen können und als unabhängige Akteure Reflexion und Impulse anstoßen. Kreative, Designer, Unternehmensentwickler, Ingenieure und Erfinder geben Impulse für Lernen und dienen als Diffusionsagenten. Mit Kunden und Lieferanten kann die gesamte Wertkette von der Entwicklung und Beschaffung bis zum Markt und der Anwendung optimiert und die Einführung mit Prämarketing erleichtert werden. In einigen Fällen kann es sich auch als sinnvoll erweisen, Entwicklung, Fertigung und Marketing in speziellen, unabhängigen Unternehmen zu organisieren, um jeweils eine Konzentration auf Kernkompetenzen zu ermöglichen. In Kooperationsnetzwerken und Innovationswerkstätten können diverse Formen der Zusammenarbeit organisiert werden. Mit Neuen Medien ist eine überregionale und themenzentrierte Zusammenarbeit denkbar. Beispiele sind das Open Source Development in der Softwareentwicklung, also eine globale Entwicklungskooperation mit freiem Zugang zu Programmiercodes, das globale Brainstorming in virtuellen Design Camps, Learning Communities und alle Formen Solarer Organisationen, die sich projektbezogen zusammenfinden.

103

2.7

2

Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Diese Netzwerke dienen der Wissensschöpfung, also gemeinsamer Forschung und Ideenentwicklung (Sourcing Teams) der Kompetenzentwicklung durch gegenseitige Anregung und Unterstützung (Coaching, Reflexion) sowie der Bildung von Foren für Dialog und Kooperation. Die Netzarbeiter finden über inspirierende und unterstützende Kontakte im Internet zu intensiveren Formen der Zusammenarbeit in Projekten (Communities of Practise). Besonders bei risikoreichen Innovationen kann es ratsam sein, sich mit Wettbewerbern zusammenzuschließen, um Produkte zu entwickeln, gemeinsame Projekte zu organisieren (Joint Ventures) und Strategische Allianzen, gemeinsame Präsentation auf Auslandsmessen zu organisieren oder sich gegenseitig mit Komponenten zu beliefern. Die Bereitschaft und die Möglichkeiten zur Kooperation (Networking) auch in Bereichen der Innovation nehmen zu, da die technischen Voraussetzungen dafür vorliegen und sich die effektive Innovationspolitik weniger auf den Schutz von Vorsprungswissen, als vielmehr auf die Optimierung von Prozessen und Kommunikation richtet

104

Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens

3 Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Entscheidend für das Innovations- und Kompetenzmanagement erscheint uns ein Verständnis menschlichen Verhaltens. Deshalb wollen wir zunächst die neueren Ansätze der Erklärung des Entscheidens und Handelns erläutern. Zwei wesentliche Erkenntnisse stehen dabei im Vordergrund: Menschliches Verhalten wird wahrscheinlich zum weit überwiegenden Anteil durch unbewusste Motive ausgelöst. Zudem beeinflussen der jeweilige Kontext und die Beziehungskonstellationen das Handeln der Akteure. Diese Kontexte nennen wir Interface. Sie sind als soziale Systeme zu verstehen, die durch systemische Interventionen verständigungsorientiert ausgestaltet werden können. Auf dieser Basis konzentrieren wir uns auf die internen und externen Kommunikationsprozesse, also das Team- und Projektmanagement und die Marktkommunikation.

3.1

Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens

Zwei wesentliche Sphären des interaktiven Austausches möchten wir unterscheiden. Einmal entwickeln sich Innovationen und Kompetenzen in Unternehmen und dort besonders in Teams und Projektgruppen, zum anderen sind die Kommunikationsprozesse am Markt zu beachten. Auch der Austausch von Anbietern mit Kunden und Nutzern kann als soziales System interpretiert werden. Den Transaktionsort bildet das Interface, das in kommunikativen Prozessen entsteht. Dieses Interface ist als soziales System beschreibbar, in dem sich eigene Interaktionsmuster und Usancen zwischen den jeweiligen Akteuren ausprägen. Die für das System typischen kommunikativen Handlungen entwickeln sich in den Austauschprozessen relational zwischen den Akteuren. Die internen wie externen Systemtypen sind durch das Management kontextuell beeinflussbar und in Grenzen gestaltbar. Intern wird versucht einen innovationsfreundlichen Kontext zu schaffen, der die Wahrscheinlichkeit eines kreativen und kooperativen Verhaltens der Akteure ermöglicht. Die Kultur des Austausches, die Freiheitsgrade, die Regeln und Usancen erhöhen oder vermindern je nach Ausgestaltung die Kreativität und Lernfähigkeit der Akteure und des gesamten Systems. 105

3.1

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Ziel der Marktkommunikation ist die effektive und Nutzen stiftende Gestaltung der Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager also eine wirksame Kommunikation, die Aufmerksamkeit erzeugt und zur Verständigung führt. Die Akteure bringen intern wie extern ihre spezifischen Persönlichkeitsmerkmale ein und versuchen sich im Sinne des Systems zu verhalten, das sich dadurch stabilisiert. Auf diese Interface-Systeme kann kontextuell durch systemische Interventionen eingewirkt werden, mit dem Ziel, eine verständigungsorientierte Kultur zu etablieren. Ansatzpunkte sind dabei das Individuum, dessen Bedürfnissen und Leitmotiven entsprochen werden soll. Des Weiteren die Organisation, also das Interface als Forum des Austausches und Kontaktes und die Umwelt, in Form der Selektion von Zielgruppen und der Beschreibung des Marktes. Innovationen entwickeln sich in diesen sozialen Systemen zwischen verschiedenen Akteuren intern und den potentiellen Nutzern. Erst durch die kommunikative Verständigung können Innovationen Wirklichkeit werden. Die intensive Partizipation verschiedener Akteure intern und die Kundenintegration lassen den Erfolg wahrscheinlicher werden. Bevor wir uns diesen Sphären widmen, wollen wir zunächst Erklärungsansätze des menschlichen Verhaltens auf der Basis neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse vorstellen.

3.1.1

Unbewusstes und persönlichkeitsspezifisches Verhalten

Menschen erkennen, entscheiden und handeln nach sehr individuellen Wertmaßstäben.129 Jedem Signal wird eine individuelle Bedeutung auf der Basis der eigenen Erlebniswirklichkeit zugemessen. In klassischen Modellen wird ein aktives und zweckrationales Verhalten nach einem wesentlichen Leitmotiv (Effizienz, Sparen) unterstellt. Die Akteure haben danach einen vollständigen Überblick über Kosten und Nutzen und verhalten sich dementsprechend. Fremdeinflüsse des sozialen Kontextes und insbesondere die individuell konstruierte Wirklichkeit, bleiben dem immer noch populären Modell des Homo Oeconomicus außer Betracht. Im klassischen entscheidungstheoretischen Modell wird von einer objektiv beschreibbaren Realität ausgegangen.130 So wird auch behauptet, die für Entscheidungen relevanten Informationen lägen faktisch objektiv vor.131 Descartes hätte uns lange Umwege erspart, wenn er sein cogito ergo sum mit „ich erkenne, also bin ich“ übersetzt und gemeint hätte. Erkennen integriert sowohl kognitiv-analytische als auch emotionale Vorgänge. Informationen über das Umfeld stellen keine objektiven Fakten dar, sondern sind individuell auf der 129 Vgl. Zerdick/Picot u.a. 2001, S.43, Grosser 1995 130 Vgl. Lüer 1998, S. 38 131 Vgl. Kasper u.a., 1998, S. 604

106

Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens

Grundlage von Wahrnehmungspräferenzen und Persönlichkeitsmerkmalen konstruiert.132 Entscheidungsprobleme und die zu ihrer Lösung notwendigen Informationen können aus diesem Grunde nicht als vom Akteur unabhängig existierende Phänomene bezeichnet werden.133 Die Definition eines Entscheidungsproblems erschöpft sich somit nicht in einer Beschreibung der beobachteten Situation. Entscheidungen sind davon abhängig, wie die Akteure die konkrete Situation subjektiv wahrnehmen und interpretieren.134 Die subjektiv konstruierten Entscheidungsmodelle dienen somit als mentale Muster in (Kauf-)Entscheidungsprozessen.135 In einem kurzen Exkurs wollen wir Beispiele für das komplexe Verhalten der Akteure liefern.

Exkurs – Der Mensch, das unbekannte Wesen: In Erweiterung der Darstellung in Kapitel 3 wollen wir darstellen, dass Menschen in ihrem Kaufverhalten vornehmlich durch unbewusste Motive beeinflusst werden und der jeweilige Kontext eine große Wirkung hat. Zum Teil lassen sich geradezu paradoxe Phänomene beobachten, die mit einem Modell des Homo oeconomicus oder der Transaktionstheorie kaum erklärbar sind.136 Der Mensch entscheidet, beurteilt und lernt in Abhängigkeit vom Kontext und nach der Bedeutung, die er oder sie Phänomenen auf der Basis individueller Erfahrungen beimisst. Zahlreiche Akteure gewinnen Nutzen aus Transaktionsaufwand. Es existiert also so etwas wie Transaktionsnutzen (Einkaufsspaß, Flow, Vergnügen). Flow ist ein individuell empfundenes Gefühl des Gelingens, der Versenkung und Freude. Es entsteht, wenn die Herausforderungen mit den eigenen Fähigkeiten bewältigt werden können und ein Einklang von (unbewussten) Motiven und Handlung besteht. Die intrinsischen und zum größten Teil unbewussten Motive zur Verwendung von Aufmerksamkeit und Zeit sind individuell unterschiedlich ausgeprägt. Auch die sozio-kulturell vermittelten Bestimmungsfaktoren der Zeit- und Aufmerksamkeitsallokation wie Routinen, Traditionen, Sitten und Gebräuche bleiben im klassischen Modell der Informationsökonomie außer Betracht. Genauso werden Transaktionskosten individuell unterschiedlich wahrgenommen. Kunden halten z.B. eine Geschäftsbeziehung trotz offensichtlicher finanzieller Nachteile aufrecht, weil sie emotional an das Unternehmen gebunden sind. Transaktionskosten und -nutzen werden individuell zugerechnet. Akteure entscheiden und bewerten hochgradig unbewusst und emotional nach subjektiven Kriterien, Vorstellungen und Motiven im limbischen Areal, ohne dass die frontal-corticalen Sphären

132 133 134 135 136

Vgl. Handlbauer 1996, S. 69 Vgl. Steinmann/Schreyögg 2001, S. 274 Vgl. Kasper, u.a. 1998, S. 611, Weick, 1995, S. 30 ff. Vgl. Lehner 1996, S. 83 ff: Vgl. Bergmann 2003 (Flow Mk) und Darstellung in Kapitel 3 in diesem Buch.

107

3.1

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

zum Einsatz kommen.137 Kognitiv bewusste Interventionen haben gegebenenfalls Vetofunktionen und dienen der ex post Rationalisierung.138 Wolfgang Frühwald hat das in einem Forum der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt gebracht: „Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun.“139 Einige empirische Beispiele sollen das Gesagte veranschaulichen: Open Source Development Vor einigen Jahren hat Linus Thorvald den Quellcode für ein von ihm entwickeltes Software-Programm in das Internet gestellt und andere Akteure aufgerufen, an einer Weiterentwicklung des Programms mitzuwirken. Ohne jegliche monetäre Gegenleistung waren zahlreiche Experten bereit, intensiv an der Erweiterung und Verbesserung des Programms zu arbeiten, das heute als LinuX eine ernsthafte Konkurrenz für Microsoft darstellt. Die intrinsische Motivation erklärt sich als Anerkennung in der Szene, Rache an Microsoft, Neugier oder Idealismus. Menschen werden augenscheinlich durch individuelle (zum Teil nicht monetäre) Motivationen geleitet. IKEA Das sehr erfolgreiche Phänomen IKEA ist mit den Vorstellungen der Transaktionskostentheorie und Informationsökonomie kaum erklärbar. Die Konsumenten nehmen erstaunliche Mühen auf sich. Sie beteiligen sich an der Suche nach Produktzubehör, fahren weite Strecken und montieren die Möbel selbst. Individuell erkennen die Konsumenten augenscheinlich Transaktionsnutzen, der nicht von jedem Beobachter – wie auch den Autoren – unmittelbar nachvollziehbar ist. Trotzdem wollen wir einige Erklärungsversuche unternehmen: Die Integration in den Produkterstellungsprozess (Transport und Aufbau der Möbel) erzeugt eventuell eine innere Zufriedenheit (Stolz, Würdigung durch das soziale Umfeld). Andere Motive, die das Verhalten der Konsumenten bestimmen, können der soziale Kontakt, die konsensuale Beschäftigung aller Familienmitglieder (Kinderbetreuung, Restaurant) oder Neugier („Entdecke die Möglichkeiten“) sein. Eine besondere Kompetenz wird IKEA mit der Visualisierung von Wohnbeispielen und der Unterstützung bei der angemessenen Einrichtung zugesprochen. Sie integrieren die Konsumenten in den Transaktionsprozess, bilden so „Interesse“ aus, bedienen diverse Leitmotive und lösen das Angebot von den Produkten zugunsten der Eröffnung eines positiven Lebensgefühls („Wohnst du noch, oder lebst du schon“). Internet-Supermarkt und e-commerce Der Internet-Supermarkt (food/non-food Bereich) galt lange als profitable Marktnische. In zahlreichen Branchen prognostizierte man einen gravierenden Abbau von Handelsstufen.140 Es wurden hier deutliche Potenziale zur Transaktionskostenreduzierung 137 138 139 140

108

Vgl. Behrens 1998, 2003 und Zaltman 2003 Vgl. Roth 2001 Vgl. SZ Forum Wissen, in SZ v. 17. Mai 2004, S. 12 Vgl. Picot/Reichwald/Wigand 1996 S. 347

Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens

errechnet, die in dieser Form von den Konsumenten nicht goutiert wurden. Augenscheinlich bestimmen archaische (Verhaltens-) Muster und unbewusste Leitmotive das individuelle Verhalten der Konsumenten. In nur wenigen Fällen werden die „objektiv“ ermittelten Vorteile und Nutzenpotenziale als solche subjektiv (an)erkannt. Eventuell wird Transaktionsnutzen in Form von sozialem Kontakt, sportlicher Betätigung, Neugier (Jagen und Sammeln) und Beschäftigung von Familienmitgliedern (gemeinsamer Einkauf) subjektiv erkannt. Ähnlich verhält es sich mit dem Phänomen Buchhandel. Gerade nach der Einführung der neuen IuK –Techniken erlebte die Branche eine positive Entwicklung. Im e-commerce hat sich letztlich mit amazon nur ein Anbieter durchgesetzt und ist weit vom Amortisationszeitpunkt entfernt. Das gedruckte Buch und die persönliche Beratung im Ladengeschäft sind weiterhin überraschend attraktiv für viele Akteure. Nutzung von Internet und IT-Geräten Insbesondere bei der Nutzung moderner IT-Geräte und des Internet ist eine redundante und transaktionsaufwendige Nutzung beobachtbar, die nur vor dem Hintergrund einer differenzierten Verhaltensanalyse erklärbar wird. Zu denken ist beispielsweise an das Phänomen des SMS oder der Erfolg der Handys mit „Fummelfaktor“. Bauer u.a. haben diese Phänomene schon mit der Flow-Theorie gedeutet.141 Die Transaktion wird so zum Nutzen stiftenden Erlebnis. Shopping Das Phänomen Shopping, also das Vergnügen am Schlendern und Schaufensterbummeln, wird in letzter Zeit wissenschaftlich näher untersucht.142 Der anscheinend ziellose und zeitintensive Aufenthalt in shopping malls kann mit einer „rationalen“ Transaktionskostentheorie kaum erklärt werden. Shopping ist dabei von buying zu unterscheiden. Augenscheinlich existiert ein starkes Bedürfnis vieler Menschen, sich zu versammeln, zu stöbern, zu kommunizieren (gossip) und zu suchen, ohne zwingend zu konsumieren. Kinder? Besonders deutlich wird das Scheitern des Homo Oeconomicus Modells bei Kindern. Aus ökonomisch rationalen Gründen erscheint es abwegig, Kinder zu bekommen. Vielmehr gilt die Gründung einer Familie mittlerweile als eine Möglichkeit, sehr schnell zu verarmen. Es müssen wohl andere Motive vorliegen als ein ökonomisches Vorteilhaftigkeitskalkül. Weitere Phänomene mit Transaktionsnutzen und individueller Zurechnung von Transaktionskosten sind Besuche von Kinos, Flohmärkten, Familienausflüge sowie Freizeitaktivitäten, die mit Anstrengung (Sport) verbunden sind. Karitative Einrichtungen, NGO`s wie Greenpeace, Amnesty International erhalten sich nur auf der Basis persönlichen Engagements. Zahlreiche Institutionen und Transaktionsarten haben sich 141 Vgl. Bauer/Grether/Bormann 2001 142 Vgl. Chung/Inaba/Kolhaas 2001, Hollein/Grunenberg 2002, Underhill 2000

109

3.1

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

erfolgreich am Markt erhalten, obwohl sie nach der Theorie eigentlich verschwunden sein müssten. Das klassische Modell des rationalen Kaufverhaltens setzt zweckrationales und aktives Suchverhalten voraus. Das Transaktionskostenmodell beschreibt lediglich einen Typus menschlichen Verhaltens (monoversal), während das in Kapitel 3 erläuterte Modell einen multiversalen Ansatz verfolgt und mit einer individualistischen Basis einer zentralen wissenschaftstheoretischen Forderung nachkommt.143 Eine Theorie soll eine individualistische Basis aufweisen, ohne dabei in Einzelfallbetrachtungen zu versinken. Genau das ist mit dem relationalen Modell angepeilt. Es wird zudem vorausgesetzt, dass die Akteure einen hinreichenden Überblick über Verhaltensalternativen gewinnen können und in der Lage sind, jeweils die für sie individuell vorteilhafte Variante zu selektieren. Es erscheint zum Beispiel außerordentlich schwierig, dass sich Menschen egoistisch verhalten. Wir wissen weder was uns nützt, noch könnten wir die adäquaten Entscheidungen treffen, die zu einem Nutzen und Flow steigernden Ergebnis führen. Menschen sind umso mehr in der Lage sich bewusst egoistisch zu verhalten, je mehr sie über ihre inneren Antriebe in Erfahrung bringen können. Diese Form egoistischen Verhaltens steht im Einklang mit einem kooperativen und freundlichen Verhalten gegenüber Anderen, da der wahre Egoist kooperiert und freundlich agiert.144 Ein persönlichkeits- und motivorientiertes Marktangebot wird weniger Reaktanz verursachen und kognitive Dissonanzen mindern, wenn es den Kunden möglich macht, sich besser (selbst) zu erkennen. Freier Wille existiert in eingeschränkter Form. Entscheidungen gehen auf unbewusste Faktoren zurück, die aus der Biografie des Einzelnen resultieren. Diese Faktoren haben sehr viel mit Persönlichkeit und Grundmotiven zu tun. Es geht weniger um vollständige Willensfreiheit als um gefühlte Autonomie menschlichen Handelns, also mit Kognition und Emotion, Unbewusstem und Bewusstem, aus individueller Erfahrung zu handeln. Das Konzept der beschränkten Rationalität (bounded rationality)145 wird heute als „kluge“ Heuristik weiter erforscht.146 Menschen können intuitiv und mit einfachen Regeln gute Entscheidungen treffen. Die Emotionen als Summe der individuellen Erfahrungen spielen dabei eine hilfreiche Rolle. Als einfache Heuristiken werden Leitmotiv basierte Kriterien verwendet.147 In der neuen Institutionenökonomik wird das gedanklich berücksichtigt, ohne dass eine Vorstellung davon existiert, wie und auf welcher Grundlage Menschen konkret Entscheidungen treffen.148 143 144 145 146 147 148

110

Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland 1999, S. 54 f. Vgl. z. B. Ferrucci 2005, S. 65 und Layard 2005, S. 121 Vgl. Simon 1957 und 1981 Vgl. Gigerenzer/Selten 2001 und 2001a, Gigerenzer 2003 Vgl. Gigerenzer 2003 Vgl. Erlei/Leschke/Sauerland 1999, S. 54 f.

Bestimmungsfaktoren menschlichen Verhaltens

Weitere zentrale Einwände stammen von den Vertretern der soziologischen Embeddedness-These. Das Verhalten wird nach Granovetter maßgeblich vom sozialen Kontext (Netzwerk, community, peers, Kultur) mitbestimmt. Entscheidungsverhalten muss insofern relational erklärt werden. Deswegen wird weiter unten die ethnografische Beschreibung von Kulturen näher erläutert.149 Sie dient „...der Erforschung und Darstellung des Anderen, anderer Lebenswelten, (Sub-) Kulturen, Milieus.“ 150 Damit sollte deutlich geworden sein, dass das Käufer- und Nutzerverhalten vornehmlich mit Verfahren der Beobachtung und Kontextdiagnose effektiv erklärt werden kann. Wert-Erwartungen Zerdick und Picot haben auf die Wert-Erwartungs-Theorie nach Atkinson hingewiesen.151 So erweitern sie das Konzept der Transaktionskosten und Informationsökonomie mit der Wert-Erwartungs-Theorie, in der gerade unerklärbares und unbewusstes Handeln integriert wird.152 Hiernach rechnen sie Akteuren individuell Nutzen zu. Die Selektion führt zu Neben- und Folgewirkungen, die wiederum individuell bewertet und in unterschiedlichem Ausmaß passend eingeschätzt werden. In der WertErwartungs-Theorie wird individuelles Handeln nicht zweckgerichtet interpretiert. Die Selektion von Alternativen geschieht aus oft unergründlichen, unbewussten Anlässen und die Folgen der Entscheidungen sind unüberschaubar und werden wiederum individuell interpretiert. Jeder Akteur entscheidet sich für die Alternative, für die der subjektive Nutzen ihm oder ihr am größten erscheint. Das Individuum versucht, die Entscheidung zu treffen, die den Bedürfnissen am meisten zu dienen verspricht.153 Diese Effekte treten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten ein, welche die Akteure als Wert-Erwartungen (expected values) speichern. Erstmals werden in diesen Modellen die persönlichkeitsspezifischen Aspekte des motivationalen Entscheidens und Handelns integriert. Es spielen weniger die sachlich-inhaltlichen Komponenten, als vielmehr die individuellen Wahrnehmungspräferenzen, Alternativenbewertungen und Ergebnisbeurteilungen die entscheidende Rolle. Heckhausen spricht schon 1989 von einem mehrdimensional ausdifferenzierten Motivbegriff, wobei individuelle Situations-, Handlungs- und Ergebnisvalenzen differenziert werden.154 Damit ähnelt das Modell systemisch-konstruktivistischen Ansätzen, die sich durch individuelle Bedeutungszumessung und Wirklichkeitskonstruktion auf der Basis subjektiven Erlebens auszeichnen.155 Das Modell berücksichtigt einen erweiterten Rationalitätsbegriff, der emotionales, traditionelles und wertrationales Handeln integ149 Vgl. besonders Matt 2001 S. 9 f. u. S.120 ff. 150 Vgl. Matt 2001 S. 9 151 Vgl. Zerdick/Picot u.a. 2001, S. 43 f., Atkinson 1964, Heckhausen 1989, S. 168 ff. und 471 ff. 152 153 154 155

und Esser 1999 Vgl. Zerdick/Picot u.a. 2001, S. 43 Vgl. Zerdick/Picot u.a. 2001, S. 43 Vgl. Heckhausen 1989, S. 467 Vgl. Luhmann 1981, Bergmann 2001a und 2003b

111

3.1

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

riert.156 Dieses Verhalten ist von außen nur bedingt interpretierbar, erklärbar und verständlich. Die Neurobiologen bestätigen neuerdings Sigmund Freud mit seiner Auffassung Entscheidungen des Menschen seien hochgradig unbewusster Natur. Es geschieht unbewusst und ist deshalb noch nicht einmal von den Akteuren selbst vollständig zu deuten und zu beschreiben.157 „At least 95 percent of all cognition occurs below awareness in the shadows of the mind. “158

Abbildung 3-1:

Kommunikation und Unbewusstes

5% bewusst

95% unbewusst

3.2

Relationalismus – oder: der Kontext und die Beziehungen prägen das Verhalten

„Konsumentenentscheidungen können nicht verstanden werden, ohne dass man den kulturellen Kontext betrachtet, in dem sie getroffen werden: Kultur ist das Prisma durch das die Menschen Produkte betrachten.“159 Noch allgemeiner formuliert wirken die Menschen je nach Situation oder Kontext verschieden, wie auch das Umfeld unterschiedlich auf sie wirkt. Leitmotivationen, Persönlichkeit und Kompetenzen eines Menschen lassen sich somit nur relational, also in der spezifischen Beziehungskonstellation bestimmen. „As 156 Zuweilen wird dieses Verhalten als „irrational“ bezeichnet. Von einem systemisch-

konstruktivistischen Standpunkt aus, ist es aber problematisch, rationales von irrationalem Entscheiden „objektiv“ zu unterscheiden. Es ist insofern angemessener, von individuell rationalem Handeln zu sprechen 157 Vgl. Singer 2003, S. 56, Roth, 2001 S. 217 ff. Linke 1999, 2001, S.79 f. und Reiss 2000 158 Vgl. Zaltman 2003, S. 50 159 Vgl. Solomon u.a 2001, S. 429

112

Relationalismus – oder: der Kontext und die Beziehungen prägen das Verhalten

concious beings, we exist only in response to other things, and we cannot know ourselves at all without knowing them. Facts about ourselves are not peculiarly solid an resistant to skeptical dissolution. “160 Das individuelle Verhalten wird maßgeblich durch die Umfeldbedingungen bestimmt. Demnach wird man auch bei noch detaillierteren Analysen von Gehirnströmen wenig über das menschliche Verhalten erfahren. Entscheidend ist, die Aktivitäten zwischen den Gehirnen zu erforschen. Auch wenn zum Beispiel als Bahn brechende Erkenntnis der Münsteraner Forschungsgruppe161, die Auswirkungen der Marke auf die Hirnaktivitäten verkündet wird, mutet das Ergebnis doch eher banal an: Die Marke soll neocortical entlasten und zugleich emotional aufladen. Die Neuro-Marketing Forschung sollte sich u. E. mehr mit den Interaktionen und der Relationalität beschäftigen. Eine erbauliche Lektüre dazu bietet vor allem Kersten Reich mit seinem Ansatz des „Interaktionistischen Konstruktivismus“162. Danach konstruiert der Mensch seine Wirklichkeit in sozialen Beziehungen, in der Interaktion mit Anderen. Auch Markowitsch und Welzer163 leiten in ihrem biosozialen Modell die Bedeutung der Beziehung und des Kontextes für menschliches Verhalten heraus. Negative Beispiele für die Wirkung des Umfeldes sind die Milgram und Stanford Experimente, wo sich Menschen in autoritären Strukturen außerordentlich gehorsam und devot verhielten.164 Dieses von sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten sehr ähnlich gezeigte Verhalten kann nahezu als Invariante bezeichnet werden. Interessant ist, dass mit zunehmender persönlicher Nähe (Kontextänderung), das sadistische Verhalten nachlässt. Diese aus den psychologischen Tests gewonnenen bitteren Erkenntnisse lassen sich natürlich auch ins Positive wenden. In kooperativen und vertrauensvollen Umfeldern agieren Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit generös und freundlich. Hervorstechend sind zum Beispiel die Erkenntnisse, dass menschliches Verhalten weniger durch Egoismus und vielmehr durch Fairness und Kooperation geprägt ist; dass Menschen dazu neigen, ihre Wirklichkeit in Form von Plänen für richtig und wahr zu halten und damit einer illusion of validity erliegen. Menschen denken zudem nicht in absoluten Kategorien, sondern in relativen: (people think in terms of gains and losses).165 In Anlehnung an Underhill haben wir in eigenen Feldstudien Muster des Konsumverhaltens beobachtet und extrahiert. Konsumverhalten lässt sich mit Leitmotiven und Kulturspezifika (Milieu, Kulturkreis, Kontext) relativ präzise erklären. In jedem Fall ist eine individuelle (leitmotivspezifische) Gestaltung förderlich.

160 161 162 163 164

H. Frankfurt 2005 (on bullshit) S. 64 f.. Vgl. www.neuro-economy.de Vgl. Reich 1998 Vg. Markowitsch/Welzer 2005 sowie Welzer 2005 Vgl. Milgram 1982 und als Überblick: L. Slater 2005. Anschaulich wirkt insbesondere der Film „Das Experiment“ von Oliver Hirschbiegel sowie die Erklärung des Täterverhaltens bei Welzer 2005a 165 Vgl. Kahnemann 2002

113

3.2

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Die einzelnen Akteure in sozialen Systemen agieren nach Maßgabe ihrer individuellen Wahrnehmungen und Kognitionen, welche von den sozialen Umfeldfaktoren beeinflusst sind. Das Milieu und die Familienkonstellation prägen in hohem Maße, wie sich ein Mensch im Rahmen seiner genetisch vererbten Möglichkeiten entwickelt. Ererbte und erworbene Eigenschaften tragen zur Ausbildung des Individuums bei. Die Konstitution, das Temperament und das Spektrum der Intelligenz sind weitgehend genetisch fixiert. Die Persönlichkeit, die Kompetenz und das Selbstbild entwickeln sich in sozialen Prozessen, die schon pränatal beginnen, perinatal und postnatal bis zum etwa vierten Lebensjahr maßgeblich in Interaktionen mit dem Umfeld entstehen. In diesem frühen Lebensalter sind neurobiologisch Grundstrukturen gebildet. Danach geht es in erster Linie um die Ausprägung, die Entwicklung, Bewertung und das Ausleben von Fähigkeiten. Individuen ändern sich typmäßig – also in ihrer sozialen oder relationalen Wirkung – kaum noch, es werden Potenziale (z. B. der Intelligenz), Ausprägungen und Wirkungen des Charakters aber noch deutlich beeinflusst. Mit dem Erreichen der Adoleszenz kann dann mit stabilen Persönlichkeitsmustern gerechnet werden, weil auch in der Interaktion mit dem sozialen Umfeld eine stabile Selbst- und Weltsicht konstruiert wurde. Diese bestimmen das Verhalten und die Bewertung von Ereignissen maßgeblich. Die Eigenart und Kompetenz eines Menschen äußert sich relational. Soll heißen: jeder Mensch wirkt typisch in den jeweiligen Beziehungen zu anderen – ändern sich die Beziehungen, ändern sich das Verhalten. Am besten ist das in der Entwicklung von Kompetenzen zu erkennen. Kompetenzen sind spezifische Problemlösefähigkeiten, die von Anderen einem Subjekt zugesprochen werden. Diese typspezifische Fähigkeit wird bei stabiler Umweltlage fortwährend bestätigt. Nur wenn ein deutlicher Kontextwechsel stattfindet (Eintritt in ein Unternehmen, Umzug, Emigration), kommt es zu einer Variationsmöglichkeit. Es wird denkbar, Prognosen über die Bewertung von eingehenden Signalen und Reizen in verschiedenen Kontexten zu erstellen. Die Aktivierung, Wahrnehmung, kognitive und emotionale Verarbeitung geschehen dann individuell determiniert und führt zu spezifischen Resultaten der Kommunikation (Emotionen, Einstellungen, Lebensstile, Werte). Diese wirken dann zurück auf das soziale Milieu und werden wiederum von diesem beeinflusst. Die Verhaltensprozesse mit ihren Determinanten und Attraktoren sind in der folgenden Abbildung skizziert. Es wird der Kreislauf von Umwelt, Individuum, dessen kognitiven Prozessen und den Resultaten deutlich. Die „Wirklichkeit“ der Umwelt, der Persönlichkeit sowie der Vorgänge wird dabei relational mit Anderen ausgehandelt.

114

Relationalismus – oder: der Kontext und die Beziehungen prägen das Verhalten

Abbildung 3-2:

Relationale Verhaltensprozesse166 Charakter Temperament Brain Map

Umfeld: Milieu Szene Peers Familie Kultur

Individuum: Konstitution Kompetenz Intelligenz Persönlichkeit Selbst- und Weltsicht

Resultate: Emotionen Motive Bedürfnisse Einstellungen Verhalten Werte Wissen Lebensstil

Prozesse: Wahrnehmen Aktivieren Denken Fühlen Entscheiden Lernen

Bisher sind diese speziellen psychografischen Merkmale wenig für die Kommunikationsgestaltung genutzt worden. Noch hält sich hartnäckig die Orientierung an soziodemografischen Merkmalen, die einfach handhabbar, aber kaum verhaltensrelevant sind.167 Entscheidungsverhalten resultiert vor allem aus unbewussten und persönlichkeitsspezifischen Leitmotiven. Es geht weniger um Eigenschaften und Fähigkeiten von Produkten, als vielmehr um zugesprochene Eigenschaften (Sein) von Angeboten168 in einem spezifischen Kontext. Der Nutzer bildet die Instanz für passende Produkte und Kommunikationen.169 Mit diesen Klärungen der motivationalen, emotionalen und sozialen Basis menschlichen Verhaltens kann in Interaktionsprozesse durch systemische Interventionen kontextuell eingewirkt werden. Innovationen und Interfaces (pos, Portale, etc.) lassen sich kundenorientiert differenziert und effektiv entwickeln.

166 167 168 169

Vgl. Roth, 2001 420 ff. 444, 450 ff., Bergmann 1994 Vgl. Schulze, 1992 S. 57 f. Vgl. Schulze, 2003 S. 218 ff. Vgl. Reiss, 2001: Wettbewerb, Macht, Ruhe, Schönheit, Anerkennung, Ehre, Status, Sport, Genuss, Neugier, Unabhängigkeit, Idealismus, sozialer Kontakt, Familie, Ordnung, Sparen

115

3.2

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

3.3

Lösungsansätze einer systemischrelationalen Verhaltensforschung

Es bieten sich drei wesentliche Lösungsansätze an, die an den beschriebenen Kritikpunkten und Problembereichen ansetzen: Leitmotive dienen zur differenzierten Beschreibung und zur Erklärung individueller Rationalität, dichte Beschreibungen ermöglichen die Diagnose der kulturellen und kontextuellen Einflüsse auf das menschliche Verhalten und die Prozessdarstellungen lassen das Lernen und die zeitlichen Verläufe abbilden. Dabei können auch Prozessinterventionen für die kontextuelle Gestaltung des Interface aufgezeigt werden.

3.3.1

Die relationale Persönlichkeit

Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf wahrgenommene Signale. Deshalb ist das Kaufentscheidungsverhalten schlecht prognostizierbar und erklärbar. Soziodemografische Unterschiede korrelieren nachweislich nur sehr gering mit praktiziertem Verhalten.170 Alter, Einkommen, Familienstand usw. bestimmen das Kaufverhalten somit nur nachrangig. Psychografische Kategorien erklären das Verhalten in erheblich höherem Ausmaß. Dabei sind vor allem unbewusste und zeitstabile Faktoren von großer Bedeutung. Aus der Neurobiologie können wir erfahren, dass Verhalten vor allem durch Persönlichkeitsaspekte bestimmt wird. Deshalb wird hier eine Beschäftigung mit verhaltensprägenden Persönlichkeitsmerkmalen und Leitmotiven vorgeschlagen. Persönlichkeit resultiert aus individuellen Erlebnissen des Menschen sowie angeborenen Anteilen. Schon im frühen Stadium des Lebens wirkt die Persönlichkeit selbstähnlich.171 Die Konstanz resultiert aus drei Phänomenen: der früh abgeschlossenen Gehirnentwicklung, der Tendenz jedes Individuums, sich die passende Umwelt auszusuchen, was Bestärkungen der eigenen Erlebniswirklichkeit auslöst und dem Bemühen des Individuums eine gewisse Verlässlichkeit auszubilden, um sozialfähig zu wirken. Es geht im Erwachsenenalter mehr um die Entdeckung der eigenen Merkmale, die Weiterentwicklung positiver Anteile und die Kompensation negativer Aspekte. Die Persönlichkeit entwickelt sich aus ererbten (Konstitution, Gehirnentwicklung) und erlernten Anteilen (Fähigkeiten, Wirkungen im Umfeld) und ist damit ein hoch individuell und zugleich sozial konstruiertes Phänomen, da das eigene Erleben von Kränkungen und Bestärkungen eine große Rolle bei der Selbsteinschätzung spielt. Persönlichkeit entwickelt sich somit aus eigenen und fremden Beschreibungen der Wirkungen im sozialen Kontext.

170 Vgl. Schulze 1992, S. 57 f., www.sinus-milieus.de 171 Vgl. bspw. Roth 2001, S. 341 ff., Singer 2003 S. 110

116

Lösungsansätze einer systemisch- relationalen Verhaltensforschung

Bei relationaler und somit systemischer Betrachtung formt sich die Persönlichkeit weniger als absolutes Konstrukt, sondern vielmehr in der Relation zu Anderen. Persönlichkeit bildet sich so in der Interaktion mit Anderen heraus und kann sich in verschiedenen Beziehungen unterschiedlich auswirken. Die Akteure bilden eine beziehungs- und situationsspezifische „Wirklichkeit“ beziehungsweise Eigenart aus, die man als „relationale Persönlichkeit“ bezeichnen kann. Neurobiologie und Sozialanthropologie bzw. Soziologie können gemeinsam zu wesentlichen Erkenntnissen vorstoßen, wenn also der Blick nicht zu tief und detailliert (in einem Gehirn) und nicht zu weit gerichtet ist (wie in der philosophischen Betrachtung). Die Gehirnforscher Roth und Hüther sowie der Sozialpsychologe Welzer sind sich in diesem Punkt einig. Wir haben dieses Phänomen einer relationalen Betrachtung in unserem Forschungsbericht zur Kompetenzentwicklung und Metakompetenz näher ausgeführt.172 Im Kaufprozess wird damit die Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager besonders bedeutsam. Es geht darum, den Kunden ein zu ihrer Persönlichkeit und Leitmotivstruktur passendes Interface und Angebot zu gestalten173. Die individuelle Bedeutungszumessung und Persönlichkeitsentwicklung erscheint als ein schwierig nachvollziehbarer Prozess. Theoretisch vorstellbar wäre, die Persönlichkeit in jedem Einzelfall zu erklären und daraus Verhaltensdispositionen herzuleiten, praktisch ist das – insbesondere für Marketing und Managementbelange – oft zu aufwendig. Zur Kategorisierung von Persönlichkeitsmerkmalen verweisen wir auf die Modelle des brain mappings und der Persönlichkeitsforschung.174 Durch Beobachtung (Sprach- und Verhaltensanalyse, biotische Tests) und Befragung (Fragebögen mit Selbst- und Fremdeinschätzung) können relativ schnell und einfach bestimmende Leitmotive und Präferenzen ermittelt werden.175 Deshalb bietet es sich an, die aus der Persönlichkeit resultierende Leitmotivstruktur als Orientierung zu nutzen. Entscheidungen und Verhalten resultieren aus unbewussten Motiven. Motive wiederum sind persönlichkeitsspezifisch geprägt, können aber einfacher ermittelt werden.176 Motive sind dauerhafte individuelle Dispositionen, die Entscheiden und Handeln im Sinn einer Wert- und Bedeutungszumessung maßgeblich beeinflussen. Leit- oder Lebensmotive gelten als persönlichkeitsspezifische Metamotivationen, die als wesentliche Entscheidungs- und Verhaltensbeeinflusser wirken. Wenn durch die Produkte und Kommunikationen die jeweilige Leitmotivation angesprochen wird, bildet sich „Inter-esse“ aus. Die Rezipienten fühlen sich integriert und verstanden.

172 Vgl. Bergmann, Daub, Meurer 2006, sowie Welzer, Roth , Interview in Die Zeit 23.2.2006, 173 174 175 176

Welzer 2005, Markowitsch/Welzer 2005 sowie Hüther 2005. Vgl. Bergmann 2003d Vgl. Bergmann, 2001, S. 272 ff., 2003d, Roth 2001, S. 171 ff. und Gardner 1993 und 1995 Vgl. Erpenbeck/Heyse 1999, S.106 ff. Erpenbeck/Rosenstiel 2003 Vgl. Bergmann, 2003 a und d

117

3.3

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

3.3.2

Basic Desires – die unbewussten Leitmotive

Steven Reiss hat in langjährigen Studien wesentliche und zudem kulturübergreifende Leitmotive (basic desires) ermittelt.177 Als Leitmotive werden Rache, Romantik, Ernährung, Neugier, Anerkennung, Idealismus, Sport, Macht, Sozialer Kontakt, Status, Unabhängigkeit, Familie, Ordnung, Sparen, Ehre und Ruhe unterschieden. Reiss beschreibt allerdings in problematischer Weise sehr negative und positive Aspekte nebeneinander. Rache und Vergeltung (vengeance) sind wahrscheinlich Leitmotive, die auch positiv beschreibbar sind in Form von Durchsetzungskraft, Wettbewerbsorientierung und Handlungsfreude. Wie sich die Persönlichkeitsaspekte äußern und entwickeln hängt stark von der Sozialisation und der speziellen Familienkonstellation ab. Es empfiehlt sich insofern, die Kategorien wertneutral zu formulieren. Für Rache bietet sich der Begriff Wettbewerb (Freude am Wettstreit), für Status der Begriff Respekt an. Jeder Mensch entscheidet nach persönlichen Leitmotiven. Einige Motive bestimmen die Entscheidungen positiv, einigen Motiven stehen sie indifferent gegenüber, andere lehnen sie ab. Harmonie und Konfliktbeziehungen sind so relativ einfach erklärbar: Wenn zum Beispiel Macht bei einer Person ein Appetenzmotiv und bei einer anderen ein Aversionsmotiv darstellt, ist der Konflikt wahrscheinlich. Machtorientierung energetisiert den Einen und frustriert den Anderen. Im Marketing ist es schon problematisch, indifferente Motive anzusprechen, weil hier keine positive Aufladung möglich ist. Die wiederholte Ansprache von Aversionsmotiven kann zum Abbruch der Beziehung führen. Mit den Leitmotiven lassen sich auch die Beziehungskonstellationen hinreichend gut deuten. Konfliktlinien entstehen aus widersprechenden Antrieben. Reaktanzen resultieren aus geringer positiver Ladung der Präsentation oder widersprechender Leitmotivausrichtung der Angebotsinszenierung. Je nach Beziehungskonstellation resultieren unterschiedliche Merkmalszuordnungen. Ein Fall zirkulärer Kausalität. Neben den Leitmotiven sind zeitstabile Muster menschlichen Verhaltens zu systematisieren. Dabei erscheinen drei Elemente besonders bedeutsam:

„ Wahrnehmungspräferenzen „ Bedürfnisebenen „ Persönlichkeits- bzw. Charaktermerkmale Jeder Mensch verfügt im gesunden Zustand über sechs wesentliche Sinne: Sehen (visuelle), Hören (auditive), Riechen (olfaktorische), Schmecken (gustatorische), Fühlen (haptische, taktile) und Körperempfinden (kinästhetische Sinne). Die Wahrnehmungspräferenzen sind jeweils unterschiedlich ausgeprägt.

177 Vgl. Reiss 2000, S. 17 ff., Reiss 1998

118

Lösungsansätze einer systemisch- relationalen Verhaltensforschung

Insofern können Gruppen von Menschen bei hoher Unterschiedlichkeit auch ein größeres Spektrum an Sinnesempfindungen realisieren. Das Wahrnehmungsspektrum erweitert sich. Genauso können Innovationen auf bestimmte Wahrnehmungstypen hin besonders ausgerichtet und verfeinert werden. Beispiel: Für die Entwicklung eines neuen Parfums sind nicht nur die olfaktorischen Ausrichtungen (Geruchssinn betreffend) wichtig, sondern auch die Gestaltung des Flacons in Form und Farbe (visuell) sowie Material (haptisch). Bei Weinen sollen das ausschlaggebende Merkmal, die Flaschenform und die Gestaltung des Etiketts sein. Die Wertigkeit des Produktes wird zum überwiegenden Teil durch die Wirkung bestimmt und weniger durch den Inhalt, die Funktion oder Technik. Der Psychologe A. Maslow hat die bekannte Staffelung von Bedürfnisebenen entwickelt. Danach lassen sich physiologische Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, Schlafen, etc.) von Sicherheit, sozialer Anerkennung, Selbstverwirklichung usw. unterscheiden. Ein sehr differenziertes Modell stellt die Gehirnhemisphären orientierte Brain Map dar. In einem integrativen Modell werden diverse Ansätze kombiniert.178

Das Brain Map Modell Aus den psychologischen Typologien lassen sich viele Ähnlichkeiten und Überschneidungen erkennen. Nach eigenen Beobachtungen und Tests können die Persönlichkeitstypologien zu einem Modell integriert werden. Alle Versionen lassen sich in die Brain Map – wenn auch in verschiedenen Positionen - einordnen. Im Wesentlichen lassen sich acht Charaktermerkmale (Nr. 6 Mischtyp) unterscheiden.

„ Perfektionisten (1) „ Helfer und Kommunikanten (2) „ Erfolgsorientierte (3) „ Visionäre, Intuitive (4) „ Beobachter, Denker (5) „ Loyale, Koordinatoren (Mischtypen) (6) „ Lebenskünstler, Kreative (7) „ Macher, Faktenorientierte (8) „ Pragmatiker (9) 178 Vgl. Bergmann, 2001a und 2003a (Brain Mapping)

119

3.3

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Alle Merkmale der Typen sind mehr oder minder in jedem Menschen vertreten; die unterschiedliche Ausprägung ergibt die Einzigartigkeit. Vier wesentliche Dimensionen sind zu nennen. Die rechte Gehirnhemisphäre ist von emotionalen und intuitiven Prozessen dominiert, die linke eher von logisch faktenorientierten Denkweisen. Vorderhirne sind theorie- und zukunftsorientiert, Hinterhirne eher pragmatisch und herkunftsorientiert. Aus den drei Dimensionen Wahrnehmungspräferenz, Bedürfnisebene und Persönlichkeitsmerkmal lassen sich so genannte Kontextmuster ableiten.179 Menschen sind Kontextelemente sozialer Systeme. Sie beeinflussen also die Teams, Unternehmen, Marktbeziehungen, in denen sie agieren in nicht zufälliger Weise. So können Teams nach geeigneten Kontextmustern und in größtmöglicher Vielfalt zusammengesetzt werden. Die Zielgruppen am Markt oder intern können mit der Brain Map besser und dauerhaft strukturiert werden. Zudem sind die Innovationen besser auf die Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Wahrnehmungsarten auszurichten.

3.3.3

Kulturdiagnosen als Beschreibung des Kontexts

Die Leitmotive bilden ein brauchbares Grundmuster der multiversalen Verhaltensbeschreibung. Diese Leitmotive und Verhaltensmuster kann man mit anthropologischen und ethnologischen Analysen erweitern und spezifizieren und insbesondere lassen sich die Kontexte genauer beschreiben, aus denen die spezifischen Merkmalsattributionen resultieren. Es gibt brauchbare Ansätze evolutionäre Herkünfte der Emotionen und Motive zu klären. Zudem gilt es, die Kultur in den sozialen Systemen näher zu beschreiben. „Meaning is socially, historically and rhetorically constructed“, führt dazu der Anthropologe Geertz aus. Und weiter: „(...) it`s not simply a matter of presenting a body of facts, it has much more to do with the author`s ethos, with the power of his or her presentation.“180 Beschreibungen von Wirklichkeit sind somit individuell gefärbt und die Perzeptionen und Kommunikationen sind „eingebettet“ in den sozialen Kontext.181 Es existieren keine „objektiven“ Fakten, sondern nur Ansichten einzelner Beobachter. Insofern sollten informationsreiche Beschreibungen Wahrnehmungen und Interpretationen enthalten, die einem Anderen die Möglichkeit, einer individuellen, intersubjektiv nachvollziehbaren Auslegung offen halten. Wahrheit wird dann ausgehandelt, Kommunikation und Kultur entwickeln erst das Denken.182

179 180 181 182

120

Vgl. Bergmann/Meurer 2003 und 2006 Vgl. Geertz 1991 Vgl. Granovetter, M. 1985 Vgl. Tomasello 2002

Lösungsansätze einer systemisch- relationalen Verhaltensforschung

Dichte Beschreibungen Dichte Beschreibungen sind informationsreiche Beschreibungen, die methodisch eingesetzt werden, um Erkenntnisse über menschliches Verhalten in verschiedenen kulturellen Kontexten zu gewinnen. Kultur wird dabei als ein Bedeutungsgewebe beschrieben.183 Menschen konstruieren ihre Wirklichkeit, indem sie den eingehenden Signalen individuell Bedeutung zu messen. Die dichten Beschreibungen dienen der Deutung von Verhaltensweisen und Entscheidungen auf der individuellen Ebene unter Berücksichtigung der sozialen Interaktionen. Ein Beispiel: Wenn das Phänomen Shopping mit seinen Bedeutungen für Konsumenten, Verkäufer, Händler usw. von einem kulturfremden Akteur gedeutet werden soll, muss der Beobachter Kenntnisse über die Spielregeln und die Wirkungen auf die verschiedenen Akteure haben. Erst dann ist Verhalten in diesem Kontext zu erklären. Eine reine Faktensammlung (dünne Beschreibung: wer kauft wann und wo was und wie viel) reicht dazu nicht aus. Vielmehr müssen unterschiedliche Deutungen geschildert werden, die zwischen Wahrnehmung und Interpretation schwanken. So können beobachtbare Verhaltensweisen am point of sale (pos) mit Hilfe der Leitmotivdiagnose im Dialog interpretiert werden. Faktenorientierte Marktforschung (dünne Beschreibung) liefert wenig „bedeutungsvolle“ Informationen. Man könnte auch sagen, wer diese Form von Marktforschung betreibt, sieht nur in den Spiegel, weil er oder sie erkennt, was er oder sie schon kennt.184 Mit dichten Beschreibungen besteht die Chance zur multiversalen Schilderung und Interpretation möglicher Verhaltensweisen. Dichte Beschreibungen stellen die Grundlage für die Entdeckung von Mustern dar. Damit können Leitmotive und Persönlichkeitstypen sowie unbewusste Verhaltensmuster ganzheitlich beschrieben werden und man erhält eine fundierte Basis zur Interpretation des menschlichen Verhaltens. Beobachtungen am point of sale (Kundenlaufstudien) oder in usability workshops werden mit einem Erklärungsmodell (Leitmotive) effektiver und erkenntnisreicher. Underhill hat mit diesen ethnologischen Methoden eine science of of shopping entwickelt, die ganz auf die Beobachtung und das Verstehen ausgerichtet ist. 185

Fallbeispiel: Als einer der wohl erfolgreichsten Erfinder in Deutschland gilt Artur Fischer. Er hat nicht nur den bisweilen weltberühmten Kunststoffdübel erfunden, sondern auch zahlreiche weitere kreative und nützliche Dinge in die Welt gebracht. Eines seiner Erfolgrezepte dürfte sein, dass er wenig akademisch und vollends ohne klassische Marktuntersuchungen arbeitet. Selber Hand-

183 Vgl. Geertz 1987 184 Vgl. Zaltman 2003, S. 18 f. 185 Vgl. Underhill 2000

121

3.3

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

werker, erkennt er Probleme im täglichen Umgang mit Dingen. Er erkennt „wirkliche“ Probleme in seiner Arbeit oder durch Beobachtung Anderer.

Kulturbeschreibungen Mit den Kulturbeschreibungen von Hofstede, Hall und Trompenaars186 lassen sich die Kulturen in Anbieter- und Nachfragersystemen sowie am Transaktionsort (Interface) gut beschreiben und differenzieren. Auf dieser Basis können beziehungsförderliche Bedingungen und mögliche Konfliktfelder zwischen Anbieter und Nachfrager identifiziert werden. Generell lässt sich sagen, dass eine verständigungsorientierte Kultur durch geringe Machtdistanz, Unsicherheitsvermeidung, moderaten Medieneinsatz, Prozessorientierung und einen hohen Grad an Individualität erzeugt wird.187 Auch die Lebensstilund Milieustudien können hilfreich sein, Motive und Bedürfnisse zu differenzieren.

3.4

Das Projekt- und Team-Management – die interne Kommunikation

Am Innovationsprozess sind in der Regel Personen aus allen Funktionsbereichen und Ebenen beteiligt. Bei designorientierten Gestaltungen wird der Austausch der Beteiligten, dadurch das ästhetische Komponenten einbezogen werden, deutlich erschwert. So sind technologisch orientierte Entwicklungen, aufgrund der Vernachlässigung von Optik und formaler Gestaltung, oft einseitig technisch geprägt. Es entsteht so ein Konfliktfeld zwischen Konstrukteuren und Designern. Andere Konflikte tauchen zwischen Organisationsentwicklern und ReengineeringExperten auf. Ähnliche Auseinandersetzungen sind beispielsweise auch zwischen sparsamen Finanziers, die eher kurzfristig das finanzielle Gleichgewicht im Blick haben und ausgabefreudigen, fertigungsoptimierenden Investoren zu erwarten. Die Liste potentieller Konfliktpunkte ließe sich unbegrenzt fortsetzen. Die größten Reibungen und Friktionen sind aber weniger strukturell bedingt. Sie liegen vielmehr in gegensätzlichen Denkstrukturen, Leitmotiven und Mentalitäten begründet. Gleiche Sachverhalte werden unterschiedlich interpretiert oder auch nur sprachlich anders ausgedrückt (multiple Realitäten). Auf diese Weise entstehen neben den Ziel- und Rollenkonflikten vermeidbare Kommunikationsschwierigkeiten, die vor allem auf die mangelnde Bereitschaft und Fähig186 Vgl. Hofstede 1997, 1991, Hall/Hall 1997, Trompenaars 1998 187 Vgl. Bergmann/Daub/Meurer 2003, Bergmann 2003d

122

Das Projekt- und Team-Management – die interne Kommunikation

keit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen (Empathie), zurückzuführen sind. Wir werden später noch darauf eingehen, dass sich in der Art der Entscheidungsprozesse und dem Grad der Mitbeteiligung die Kultur des jeweiligen Unternehmens offenbart.

3.4.1

Dominante Koalition

Der Kern jedes Innovationsprozesses ist die grundsätzliche Leitlinie, die sich im strategischen Konzept und einem Briefing manifestiert. Eine dominante Koalition aus Macht- und Fachpromotoren bestimmt den kanalisierenden Rahmen in Form einer Vision oder Basisidee. Die dominante Koalition stellt in der Regel keinen einheitlichen Block dar. Unterschiedlichste Ansprüche, Ziele und Interessen prallen aufeinander, die sich aus den verschiedenen Mentalitäten, Positionen, Kompetenzen und Aufgaben ergeben. Diese heterogene Gruppe wird sich – veranlasst durch sehr verschiedene Gründe – um eine Machtbalance zwischen den Anspruchsgruppen und die Aufrechterhaltung der Innovationsinitiative bemühen. In der Praxis werden weniger einzelne Ziele, als vielmehr komplexe Forderungsbündel entwickelt. Diese komplexen und diffusen Ziele sind das Ergebnis diverser Verhandlungen der Akteure, in denen Interessen eingebracht, Koalitionen geformt und Kompromisse geschlossen werden. Diese Zielvorstellungen variieren im Zeitablauf, genauso wie die Zusammensetzung der dominanten Koalition. Die grundsätzliche Idee wird an der Realität gemessen, zahlreiche Bedenken und Hürden werden dem Projekt entgegengestellt. Es werden einige Förderer auftauchen, die sich Vorteile von der Neuorientierung versprechen. Aus diesen intensiven Austauschprozessen erwächst eine konzeptionelle Gesamtsicht, die ein weitestgehend koordiniertes und engagiertes Handeln erst möglich macht. Der Innovationsmanager hat die Aufgabe, diese Kerngruppe zu koordinieren und zu motivieren. Im besten Fall hat er Leitungsbefugnisse und kann auf die Allokation der Ressourcen Einfluss nehmen.

3.4.2

Innovationsteam

Eine Hauptaufgabe besteht darin, aus den Initiatoren ein gemischtes Gremium zu bilden, welches die Aufgabe hat, funktionsübergreifend zu arbeiten. Das Innovationsteam wird über Verhandlungsstrategien weitere Verbündete für das Projekt gewinnen müssen und somit das Anfangskonzept und Grundsätze des Entwicklungsvorhabens im Zuge der Konkretisierung, verändern. Das Grundkonzept bietet Orientierung und kann interaktiv erweitert werden, um lern- und anpassungsfähig zu bleiben.

123

3.4

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Innovationsmanager koordinieren die verschiedenen Anspruchsgruppen und werden – wenn sie ihren Aufgaben gerecht werden – den gesamten Prozess aktiv regelnd begleiten, indem sie ein geeignetes Forum und Klima schaffen. Im Innovationsprozess sind alle wesentlichen Abteilungen, vertreten durch die Mitglieder, beteiligt. Sinnvoll erscheint es, alle Betroffenen einer Neuerung frühzeitig am Entstehungsprozess zu beteiligen, um dadurch die Erkenntnisbasis zu erweitern und die späteren Anwender zu motivieren sowie einzubinden. Die Aufgaben sollten in dem nur interdisziplinär zu bewältigenden Gestaltungsprozess nicht nacheinander, sondern interaktiv angegangen werden, um Zeit zu sparen und Friktionen und Missverständnisse möglichst zu vermeiden. Ein Entwicklungsteam dient unter der Leitung des Innovationsmanagers als Drehscheibe der Kommunikation. Hier werden Verbindungen zwischen den Erkenntnisbereichen und Denkweisen geknüpft. Das Innovationsmanagement muss versuchen, mit modernen Arbeits- und Moderationstechniken das Wechselspiel von Kreativität und Realisation angemessen zu regeln. Dabei übernimmt es die zentrale Koordination der gemischten Gremien alleinverantwortlich. Im Entwicklungsprozess entstehen zumeist innovative Sonderrollen, die hemmend und fördernd wirken können. Das Innovationsmanagement sollte dabei versuchen, alle wichtigen Stellen in die Entscheidungsprozesse zu involvieren und einzelne Funktionsbereiche oder Personen nicht dominieren zu lassen. Denn im Innovationsprozess sollen gerade ein Fachdiskurs und Dialoge zwischen Designern, Controllern, Technikern, Organisationsentwicklern und Marketeers (je nach Innovationsart) gefördert werden. Die Koordination wird in praxi sehr formalisiert zwischen den Abteilungen vollzogen und in den wenigsten Fällen verfügen die Projektleiter über die notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen zur Abstimmung und Würdigung der Beiträge verschiedener Akteure. Die ressortübergreifende Zusammenarbeit wird maßgeblich gefördert und zwar durch:

„ die gemeinsame Orientierung auf ein Entwicklungsziel hin „ die organisatorische Nähe (also die Bildung gemischter Gremien) „ die räumliche Nähe (eventuell durch Kommunikationstechnologien) und „ die fachliche und soziale Nähe. Aus der Kommunikationsforschung weiß man, dass insbesondere die Häufigkeit des persönlichen Austausches kooperatives Verhalten und Empathie fördert. Wichtig dabei ist, unterschiedliche Meinungen bewusst zu fördern und koexistieren zu lassen. Wirkliche Toleranz zeigt sich erst im Interesse am Anderen und Unbekannten. Unbedingt ist der zwanghafte Konsens zu vermeiden. Vielmehr kommt es nur auf die Vereinbarung von Spielregeln des Umgangs an. 124

Das Projekt- und Team-Management – die interne Kommunikation

Fallbeispiel: Ideenschmiede bei Briel Die Fa. Briel aus Bad Laasphe und Kelbra produziert und vermarktet innovative Dachtechnik. Als relativ kleines Unternehmen ist das Unternehmen auf die Entwicklung von kundenorientierten und innovativen Produkten angewiesen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Da das Unternehmen an zwei Standorten in Ost und West Deutschland produziert, ist auf die Weiterentwicklung von Gemeinsamkeiten zu achten. Die unterschiedlichen Denkweisen der Techniker und der marktorientierten Mitarbeiter verstärkt sich zusätzlich aufgrund der unterschiedlichen Herkünfte (Ost-West-Problematik in Deutschland). Deshalb hat man sich entschlossen, eine Ideenschmiede zu gestalten, die wechselweise an beiden Standorten veranstaltet wird und in der Akteure aus verschiedenen Kompetenzbereichen zusammenarbeiten. Von außen wird die Produktentwicklung bereichert durch die Mitwirkung von Kunden und die Moderation von externen Beratern. Somit löst man hierdurch gleich zwei Probleme: Die Akteure aus den Standorten arbeiten intensiv zusammen und bringen ihre unterschiedlichen Sichtweisen, Interessen und Fähigkeiten ein. Außerdem fördert diese Form der Innovationsentwicklung den Zusammenhalt im Unternehmen. (Weitere Informationen unter www.briel.de)

3.4.3

Rollentausch im Innovationsprozess

Für eine nachhaltige Ausrichtung einer Unternehmung auf Innovationen ist eine große Menge kinetischer Energie notwendig. Die Trägheit muss überwunden und der Prozess, trotz vielfältiger Hürden fortentwickelt werden. Die intensiven Förderer (Promotoren) nehmen zumeist informelle Rollen an und erwerben durch ihr positives Engagement, durch unermüdliche Überzeugungskraft und konkrete Ideen organisatorischen Einfluss. In der Ideenfindungsphase sind Lifestyle-Agenten, Erfinder und Trendforscher nützliche Inspiratoren. Sie verknüpfen die Organisation mit dem Umfeld und zeigen Chancen und Risiken auf. Im Idealfall finden diese Anregungen Resonanz bei aufgeschlossenen Initiatoren, die in der Organisation auf Realisierungschancen für Neuprodukte hinweisen. In einigen Unternehmen werden dazu „Spinnerabteilungen“ und „Innovative Reservate“ unterhalten, die neue Ideen überhaupt denkbar machen, also die Chance für laterales Denken und Handeln eröffnen. Die Inspiratoren müssen ihre Ideen einem Initiator, der organisationsspezifische Handlungspläne entwickelt und damit Einlass in formale Abläufe ermöglicht, regelrecht überbringen. Begleitend kann ein Change Agent hinzutreten, der verschiedene Eigenschaften in sich vereint und gegebenenfalls über extern erworbene Reputation verfügt. Als Change Agents werden zuweilen bekannte Berater engagiert, die den Kunden die unternehmensspezifische Kompetenz vermitteln, mithin das Image des Unternehmens verbessern und intern auch motivierend wirken. Die Akzeptanz des Projektes ist maßgeblich abhängig von der Überzeugungskraft und dem Einfluss der Promotoren. Arroganz und unrealistische Vorschläge können das

125

3.4

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Vorhaben schnell aus der Bahn werfen. Auch wenn das Projekt die ersten Hürden überwunden hat, kann es an mangelnder Initiative und Nachhaltigkeit scheitern. Neben den Inspiratoren und Createuren müssen beharrliche Realisateure den schwierigen und oft wenig motivierenden Weg zur Verwirklichung bewältigen. Vielfältige Ideen zu erzeugen, stellt oft nicht das primäre Problem dar. Vielmehr müssen Realisierungschancen erkannt und bewertet werden. Hier liegt das Hauptbetätigungsfeld für Innovationsmanager. Das Projekt muss von Machtpromotoren maßgeblich unterstützt werden, da diese jedes Vorhaben zum Scheitern bringen können. Der Innovationsmanager muss beim Top-Management den nötigen Rückhalt haben, und er muss befähigt werden, Ressourcen für Projekte bereitzustellen, deren ökonomische Effizienz nicht schon im Anfangsstadium beurteilt werden kann. Aus der folgenden Abbildung wird deutlich, wie sich sozio-emotionale Rollen und Funktionen (Aufgaben) verschieben können und wie sie von den Akteuren übernommen beziehungsweise von ihnen oktroyiert werden.

Funktionen: Die Geschäftsleitung, der Designmanager, die Designer, die Techniker, Logistiker, die Unternehmensentwickler/Berater, die Konstrukteure und Marketingexperten sind in den einzelnen Phasen unterschiedlich involviert. Das Innovationsmanagement ist koordinierend für die Abstimmung der verschiedenen Denkweisen und Mentalitäten zuständig. Wenn ein konsequent innovatives Konzept verfolgt werden soll, ist es unabdingbar, dem Innovationsmanagement Richtlinienkompetenz zuzuschreiben.

Rollen: Alle Funktionsträger können im Innovationsprozess sehr unterschiedliche Rollen wahrnehmen. Die Bandbreite reicht hier von zaudernden Bedenkenträgern bis zu kreativen Spinnern. Rollen sind Erwartungsbündel, die sich in sozialen Prozessen allmählich herausbilden. In der folgenden Abbildung sind die wesentlichen Funktionen und Rollen skizziert.

126

Das Projekt- und Team-Management – die interne Kommunikation

Abbildung 3-3:

Rollen und Funktionen in der Innovationspolitik

Rollen werden kaum durch die formelle Organisationsstruktur oder die Funktionsverteilung definiert. Vielmehr werden Rollen je nach Fertigkeiten, Charisma, Talent und Verhalten ergriffen beziehungsweise zugeordnet. In der Regel übernimmt jedes Teammitglied verschiedene Rollen. Wenn ein Klima des Vertrauens und der Offenheit herrscht, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Manipulierer, Schwätzer, Störer und Bedenkenträger Bedeutung erlangen können. Es hängt maßgeblich von der Fähigkeit des Innovationsmanagements ab, koordinierend, motivierend und aktivierend die Teamentwicklung voranzutreiben.

3.4.4

Teambuilding mit allen Kompetenzen

Organisationen können diese Problemlösefähigkeiten mehr oder minder entwickeln, wenn sie über eine Vielfalt von Eigenschaften verfügen. Es entfaltet sich Entwicklungsfähigkeit aus dem Gleichgewicht der Kompetenzen. Neben der oft dominierenden Sach- und Fachkompetenz, die vor allem aus konkreter Erfahrung gewonnen wurde, sind die methodische Kompetenz der effektiven Organisatoren, die kreative Visions- und die kommunikative Sozialkompetenz bedeutsam. Erst im Zusammenspiel ergibt sich die ganzheitliche Kompetenz, die eine multistabile Entwicklungsfähigkeit erzeugt.

127

3.4

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Organisationen können nun zum einen auf Spezialbereiche ausgerichtet oder mit einem ausgewogenen und ganzheitlichen Charakter ausgestattet werden:

Abbildung 3-4:

Kompetenzen in der Brain Map Innovateure

Beobachter

Organisatoren Kognition

Zukunft

Loyale

Visionäre

Emotion

Macher

Kreative

Kümmerer Herkunft

Pragmatiker

Die Innovationskompetenz ist besonders im vorderen Bereich angesiedelt. Hier findet sich eine Mischung der Persönlichkeitsmerkmale 3, 4 und 5. Das Spektrum der in einem Team oder einer Organisation integrierten Charaktere und Persönlichkeitstypen prägt das Entfaltungspotential und die Gesamtkompetenz. Für Innovationsteams ist je nach Phase im Entwicklungsprozess ein wechselndes, aber insgesamt sehr breites Spektrum anzuraten. Die Brain Map kann so als Methode für die Persönlichkeitsentwicklung, die Mitarbeiterentwicklung, das Teambuilding, die allgemeine Personalauswahl, die Zielgruppenbestimmung, zur multiversalen Produktentwicklung und Kommunikationspolitik sowie zur Steigerung der Vielfalt und Entwicklungsfähigkeit in der Unternehmung hilfreich sein. Mit der Brain Map wird hauptsächlich überprüft, ob alle wesentlichen Kompetenzen, Rollen und Charaktere genügend berücksichtigt wurden und das Spektrum der Möglichkeiten damit optimiert wurde. Die Brain Map dient zudem der Förderung der Kreativität, die hauptsächlich aus dem Kontrast der Differenzen entsteht.

3.4.5

InnovationsmanagerInnen

Es bleibt die Frage, welche Eigenschaften Innovationsmanager überhaupt mitbringen müssen. Kenntnisse des Managements und der Innovation sind sicher notwendig,

128

Das Projekt- und Team-Management – die interne Kommunikation

doch kommt es mehr auf das richtige Gespür für Trends, Machbares und menschliche Eigenarten an als auf spezifische Fachkenntnisse. Als Katalysatoren des Prozesses agieren sie funktionsübergreifend interdisziplinär, koordinierend und regelnd. Sie formen unter Mitwirkung verschiedener Teilnehmer die strategische Leitlinie. Im Idealfall bereiten sie ein optimales Klima zur Kreation und schaffen eine integre und nachhaltige Grundhaltung. Operativ regeln sie Abläufe, initiieren neue Projekte und kontrollieren den effizienten Einsatz der Ressourcen. Innovationsmanager müssen durchsetzungsfähig sein, aber auch über Teamgeist verfügen, inspirierend und koordinierend wirken. InnovationsmanagerInnen sind vorstellbar als Moderatoren und Kommunikatoren mit klaren Zielvorstellungen. Sie visualisieren Objektbeziehungen, hegen eine Abneigung gegen allzu nahe liegende Patentrezepte und verfügen über die Eigenschaft, die diversen Anregungen, Faktoren und Einflüsse aus den unterschiedlichen Bereichen zu einem sinnvollen Ganzen zu formen. Kreative mit Kooperationsbefähigung sind darum für diese Position besonders geeignet. Aktives Zuhören und die Initiierung Erkenntnis fördernder Dialoge werden zu Wesenselementen der Leitung eines Teams. Es geht weniger um Kontrolle als um Kanalisierung von Konflikten, Bedürfnissen und Ängsten. Gefühlen sollte Raum gegeben werden, damit sie sich nicht unterschwellig und geordnet austauschen.

Abbildung 3-5:

Wesentliche Aufgaben von Innovationsmanagern

„ Initiativen geben: Ausgangspunkt ist die Initiativfunktion, also die Fähigkeit, Visionen zu entwickeln, Unterstützung zu gewinnen und damit neue Innovationschancen zu eröffnen

„ Konflikte handhaben: Mit Führungsaufgaben sind vor allem die Konflikthandhabung und Kommunikationsfähigkeit zur Durchsetzung und Realisation des Entwicklungsprozesses gemeint. Innovationsmanager betätigen sich insbesondere als Moderatoren und Koordinatoren und Gestalter einer innovativen Atmosphäre

„ planen und kontrollieren: Planungs- und Kontrollfunktionen dienen der effektiven Allokation von Ressourcen im Rahmen selbstverantwortlicher Budgets

„ organisieren: Die Organisationsfunktion dient der Ablaufsteuerung und dem Aufbau geeigneter Teams

Der wahre Innovator vereint alle wesentlichen Eigenschaften, die in der Brain Map skizziert werden. Zumindest verfügt er oder sie über die Fähigkeit, alle Kompetenzen und Qualitäten in einem Innovationsteam zu vereinen, zu begeistern und zu koordinieren. Eine Liste notwendiger Fähigkeiten, um erfolgreich Erneuerungsprozesse zu

129

3.4

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

durchlaufen enthält zu viele Aspekte, als dass sie ein Mensch alle vollkommen erfüllen könnte.

Abbildung 3-6:

Notwendige subjektive Fähigkeiten für Erneuerungsprozesse

„ selbstmotivierend, selbstorganisierend „ spielerisch, humorvoll „ selbstverantwortlich „ anpassungsfähig „ beharrlich, ausdauernd „ kommunikativ „ reflexiv, reflektiv „ lernorientiert, mustererkennend „ risikofreudig „ neugierig „ chaostauglich „ enttäuschungsfest „ intuitiv und analytisch „ ausgleichend, empathisch „ begeisterungsfähig usw. Dieses Genie kann nur eine Gruppe darstellen, in der sich alle kompetenten Mitglieder unterstützen und Wissen offen und uneitel weitergeben.

3.5

Marktkommunikation: Erzeugung von Aufmerksamkeit und Verständigung

Kommunikationsmanagement ist eine zweifach schwierige Aufgabe: Weder erfolgreiches Management noch das Gelingen von Kommunikation sind sehr wahrscheinlich. Eine De-Trivialisierung dieser hoch komplexen Bereiche erscheint angeraten. Die konventionelle Theorie nimmt neuere Erkenntnisse der Kognitionswissenschaft und Neu-

130

Das Marktinteraktionsmodell

robiologie, der Systemtheorie und Kybernetik zweiter Ordnung oder des Konstruktivismus kaum zur Kenntnis. Auf einer trivialen Theoriebasis, die den Ansprüchen an eine Theorie kaum entspricht, werden einfache Standards und Systematiken in verschiedenen Varianten wiederholt. Besonders überrascht die Sorglosigkeit der Forschung in Bezug auf die mangelnde Erfolgswirksamkeit.188

Gute Beziehungen, wirksame Information und Flow Gelingende Kommunikation ist „Information“, das heißt, es wird entsprechend der lateinischen Bedeutung des Wortes etwas „in Form“ gebracht und somit folgenreiche Aufmerksamkeit erzeugt.189 Konkret bedeutet das: Konsumenten werden durch Kommunikation zum Kauf veranlasst, bewerten das Angebot als Problemlösung. Sie erkennen einen für sie Nutzen stiftenden Unterschied und geraten im besten Falle in ein Flow-Gefühl.190 Eine gelingende Kommunikation basiert auf guten, vertrauensvollen Beziehungen. Kooperative Lösungen, welche die Wirklichkeit beider Seiten bereichern, können als dauerhafter gelten. Ko-Evolutive Beziehungen entstehen dort, wo gegenseitig Entwicklungsmöglichkeiten entdeckt werden.191 Da die Signale, Daten und Reize individuell verarbeitet und mit Bedeutung versehen werden, ist leicht vorstellbar, mit welchen Zufällen in der Wirkung von Marktkommunikation zu rechnen ist. Marktkommunikation kann gelingen, wenn kontextuelle Voraussetzungen geschaffen werden, also Kontextbedingungen, die Verstehen erleichtern. Objekt der Gestaltung ist das Interface als Kontext der Marktkommunikation. Dieses Interface kann ein Portal sein oder eine Website, der Point of Sale, ein Event, die Benutzeroberfläche, die Verhandlungssituation oder es haftet den Produkten und Kommunikationselementen an. Es bildet den Ort des Kontaktes und der Beziehung in der Interaktion192 und wird als soziales System betrachtet. Zunächst wollen wir kurz das systemische Interaktionsmodell vorstellen, um dann das Markt-Kommunikations-Management näher zu beleuchten.

3.6

Das Marktinteraktionsmodell

In der Literatur existieren sehr einfache Modelle von Märkten und Unternehmen. Implizit wird von der materiellen Existenz von Systemen ausgegangen, die man in irgendeiner Form gestalten und managen kann. Mit Heinz von Foerster wissen wir

188 189 190 191 192

Vgl. Spiller, 2001 und Meffert, 2000, Bruhn, 1999 Vgl. insbes. Bergmann, 2006a Vgl. Czikszentmihalyi, 1997 Vgl. Willi, 1996 In letzter Zeit werden die Phänomene des Shopping und der Gestaltung des Interface intensiv thematisiert. Vgl. Hollein/Grunenberg, 2002 und Chung/Inaba u.a., 2001

131

3.6

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

aber, dass eine vom Beobachter unabhängige Welt kaum denkbar ist. Die Welt ist wie sie ist, sie enthält keine Informationen.193 Informationen entstehen aus Unterscheidungen, die von Individuen vorgenommen werden. Ein allgemeines Wissen und auch eine Gewissheit in Bezug auf die Gestaltungsobjekte in der Umwelt existiert ebenfalls nicht. Wirklichkeit wird ausgehandelt, vereinbart oder koexistiert in verschiedenen Varianten. Damit landen wir bei der relationalen Betrachtung von System und Umwelt. Alle Phänomene werden erst aus der Beziehung von Beobachtern und Beobachtetem erklärbar. Menschen verleihen anderen Menschen Eigenschaften, Kompetenzen und Charakter. Funktionen, Systeme und Umwelten entwickeln sich aus den relationalen Zuschreibungen von Beobachtern. Die Relationen konstituieren Systeme und lassen eine Veränderung möglich erscheinen. Probleme bilden sich und lösen sich durch die Bildung anderer Unterscheidungen von Beobachtern. Kaum ein System oder Problem wird in jeder relationalen Konstellation genau gleich gesehen und beschrieben. Konflikte in Systemen werden aus der Distanz einer Beobachtung zweiter Ordnung erklärbar. Sie sind nicht in Personen verankert. Krankheiten einzelner Personen können durch die Betrachtung der Systemebene, in denen sie entstanden sind, besser erklärt und damit geheilt werden.194 Die spezifischen Interaktionsmuster zwischen Menschen prägen den Organisationscharakter. Jedes Mal, wenn zwei Menschen aufeinander treffen, kann daraus ein soziales System mit bestimmten Eigenschaften entstehen. Die Art der Kommunikation prägt dabei von Anfang an den Charakter des Systems. Die Art der Wahrnehmung der Wirklichkeit ist jeweils maßgeblich von individuellen Erfahrungen und Eigenschaften der Akteure geprägt. Bestimmte Persönlichkeitstypen zieht das System an, andere hält es auf kritischem Abstand. In weiteren Interaktionsepisoden werden symbolische Ordnungen vermittelt, die ein soziales System entstehen lassen, das zur Selbsterhaltung drängt. Es entsteht eine gemeinsame Welt zwischen Akteuren, die Bedeutung aus der Unterscheidbarkeit zur Umwelt gewinnt. Es entsteht Identität in einem sich selbst erhaltenden System, das zwar dazulernen kann, dann aber nur systemrational, also im Sinne des Systems. Imitationen durch die Umwelt können zum Systemerhalt beitragen, sie finden aber nur Verwendung, wenn sie zum akzeptierten Sprachcode gehören. Zuweilen versuchen einzelne Akteure ihre Codes anderen aufzuzwingen oder zumindest schmackhaft zu

193 Vgl. v. Foerster, 2005, S. 27 194 Interessant ist, dass homöopathische Mittel sehr wirksam sind, wenn die Beziehung zwischen

Arzt und Patient stimmig und intensiv ist. Bei Zusendung der Medikamente mit der Post, sind sie nahezu unwirksam. Bestimmte Persönlichkeitsmuster, die schwere Erkrankungen wahrscheinlicher machen, sind nicht nachweisbar. Es gibt aber einen signifikanten Zusammenhang zwischen Lebensumfeld oder Beziehungskonstellation und Krankheit. Die Milgram Experimente (Milgram, 1974) haben aufgezeigt, dass Menschen sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Beziehungskonstellation verhalten. Es gibt viele weitere Beispiele für die Relationalität menschlichen Verhaltens

132

Das Marktinteraktionsmodell

machen. Dabei werden zum Beispiel attraktive ästhetische Formulierungen genutzt, die ein symbolisches Vakuum füllen.195

Abbildung 3-7:

Unternehmen und Märkte als soziale Systeme c1 Organisation

v1

c2

k1 Umwelt

c1

Ein Unternehmen (z.B. Anbietersystem) erhält seine Identität durch integrierte Kommunikation von innen nach außen. Das soziale System hat eine Differenz zum Umfeld aufrecht zu erhalten, muss sich aber trotzdem mit den Anforderungen des Umfeldes arrangieren. Der Kontakt entsteht durch Unterscheidung an der Grenze zwischen System und Umwelt. Diese Unterschiede können relevante Informationen darstellen. Das Management (c1) kann nur mittelbar auf andere Akteure (c2) einwirken, die wiederum auf weitere Akteure (v1, Verkäufer am POS) kontextuellen Einfluss nehmen. Der Käufer (k1) ist wiederum in sein System (Familie, Buying Center) eingebunden. Erfolgreiche Kommunikation ist zu erwarten, wenn jeweils den Motiven der beteiligten Akteure entsprochen wird, sie also im Einklang mit ihrer Leitmotivation agieren können. Immer jedoch lauert die doppelte Kontingenz, das Missverstehen des Missverstehens.

3.6.1

Der Kommunikationsplanungsprozess als Solution Cycle

Kommunikationsprozesse verlaufen nach einem spezifischen Grundmuster, das in Form des so genannten Solution Cycles schon näher beschrieben wurde. Die wesentlichen Phasen können als Erkennen (1), Klären (2), Kreieren (3), Bewerten bzw. Struktu195 Werbeagenturen prägen beispielsweise ihre eigene Semantik ihren Auftraggebern auf, welche

sie dafür auch noch finanzieren. Andere versuchen ihre Identität zu stärken, indem sie sich sprachlich symbolisch abgrenzen (Jugendliche von ihren Eltern, Snobs von gewöhnlichen Konsumenten)

133

3.6

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

rieren (4), Realisieren, Beurteilen/Empfinden (6), Lernen (7) und Abschließen (8) bezeichnet werden. Als Hauptmodi lassen sich Erkennen (1/2), Verändern (3/4/5) und Reflektieren (6/7/8) unterscheiden. Fast jedes Gespräch, jede Kommunikation beginnt mit spezifischen Anlässen, der Ansprache, der Begrüßung. Ein Kommunikationsangebot wird von den Akteuren auf der Basis multipler Realitäten unterschiedlich interpretiert (1). Die Reizwahrnehmung wird auf Mannigfaltigkeit ausgelegt, um einseitige Reflexe zu vermeiden. Multiple Realitätsperspektiven werden respektiert und erst im zweiten Schritt zu einem Bild beziehungsweise einer Figur geformt. Die Klärung in Form der Figurbildung, Problembeschreibung oder Einigung auf ein Thema, wirkt sich förderlich auf den Kommunikationsprozess aus. Die gemeinsame Klärung der Situation und Problemdefinition erscheint damit als der zentrale Gegenstand der Wirklichkeitskonstruktion. Zuweilen sollte der Prozess verlangsamt oder in eine Vorphase zurückgeführt werden, um einen Common Ground (gemeinsame Regeln, Konstruktionen, Synreferenzen) zu bilden. Erst wenn übereinstimmend das Wesentliche (die Hauptaufgabe, Problemstellung, Kernkompetenz) erkannt und geklärt (2) ist, sollte mit der kreativen Lösungssuche (3) begonnen werden. Kreativität resultiert aus einer Distanzierung vom Problembereich. Der Charakter des Prozesses ändert sich fundamental. Wenn mannigfache Lösungsideen entwickelt wurden, können Alternativen geplant und strukturiert (4) werden. Es findet verbessernde Veränderung statt, die wiederum sinnlich im Flow-Gefühl erfahren wird (6). Mit der Reflexion des Prozessverlaufes (7) kann dann die Stufe zweiter Ordnung (Erkennen erkennen, Lernen lernen etc.) erreicht werden. Der Abschluss dient der Assimilation (8) des Erfahrenen und eröffnet Perspektiven für das Nächste. Die Kommunikation wird mit der Verabschiedung abgeschlossen. In diesen Phasen des Kommunikationsprozesses sind jeweils verschiedene Vorgehensweisen und Methoden der Kommunikation und Intervention angemessen und wirksam. Abhängig von der Phase, den jeweiligen Umfeldbedingungen, der Persönlichkeit und Leitmotivstruktur der Akteure sind mehr oder weniger passende Interventionen ableitbar. Der Marketingakteur agiert aus der Position des Beobachters zweiter Ordnung, um gelingende Kommunikation wahrscheinlicher zu machen. Der Prozess wird durch systemische Interventionen zeitlich und inhaltlich interpunktiert. Als Interventionsarten lassen sich das Timing (Kairos, Zeitgestaltung), die physische Umwelt (Architektur, Design), organisatorische Maßnahmen (Projektgruppen, Teams, Hierarchie oder Heterarchie) und vor allem Sprache und Bilder (Fragen, Tonalität, Stil, Interpunktion, Bilder, Körpersprache, Schweigen usw., Metaphern) unterscheiden. Die Interventionen können auf drei Ebenen ansetzen: der personalen, der organisatorischen oder der Umwelt-Ebene. Sie orientieren sich also an Akteuren, die Rahmenstruktur oder anderen Systemen. Der Marketingakteur kann Sensibilität und Fähigkeiten entwickeln, um die passenden

134

Das Marktinteraktionsmodell

Interventionen in bestimmten Phasen des Prozesses zu identifizieren und einzusetzen.196

3.6.2

Beschreibung eines Kampagnenprozesses

Abschließend soll ein Prozess der Kommunikationsplanung (Planning) am Beispiel der Entwicklung einer Werbekampagne verdeutlicht werden (vgl. Abb. 6).197 Am Anfang eines Kampagnenprozesses können verschiedene Kommunikationsanlässe stehen. Der Auftraggeber möchte bestimmte kommunikative Ziele erreichen wie Bekanntheit, Imageveränderung, Kundenbindung, Markenbekanntheit usw. Die Situationsbeschreibung wird aufgrund der unterschiedlichen Persönlichkeits- und Leitmotivstrukturen sehr verschiedenartig ausfallen. Es gilt hier nicht sofort in Aktionismus zu verfallen oder standardmäßige Verfahrensweisen zu praktizieren, denn dann ist eine strategisch orientierte Vorgehensweise unwahrscheinlich. Wer jeden Ball auffängt, der ihm zugeworfen wird, kann kaum noch eigene Ideen und Konzepte verfolgen. Die unterschiedlichen Sichtweisen sind als Quelle der besseren Erkenntnis zu nutzen. Das Scanning und Mind Mapping gelten in dieser Phase als passende Methoden.

Abbildung 3-8:

Prozess der Kommunikationsplanung (Planning)

Reportings Feed Back Briefings Rebriefings Vision Picture

Best Patterns Mind Map

Brainstorming Usability etc Claim, Benefits

Flow

Balanced Scorecard Zufriedenheitstests

Pitch

Interventionen

Aktivitätspläne Copy-Strategie USP, UAP, Reason why

Auf dieser Basis können sodann erste Briefings für Agenturen entwickelt werden. Es geht hier um die gemeinsame Beschreibung der Problemstellung, was am besten in

196 Vgl. Schlippe/Schweitzer, 2001 und Königswieser/Exner, 1998 197 In der Literatur existieren nur wenige Prozessbeschreibungen. Eine löbliche Ausnahme bildet

die Beschreibung des Planning bei Beninde 2000

135

3.6

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

Klärungs-Workshops gelingt. Der wesentliche Kaufgrund (Grundkompetenz), die Identität des vertretenen Systems und eine gemeinsame Vorstellung von möglichen Zukünften (shared Vision) stehen im Vordergrund. Daneben werden Zielgruppendefinitionen und Positionierungen, Zeitbudgets und Etats bestimmt, sowie grundsätzliche Aussagen zur Tonalität und Grundaussage (Claim mit USP und UAP) fixiert. Mit der Agentur wird in einem Re-Briefing-Prozess Wirklichkeit gemeinsam beschrieben. Es muss gemeinsam entschieden werden, welche Aspekte des Interface wie inszeniert werden sollten. Geeignete Methoden sind hier neben dem Dialog (als Kommunikationsmethode) zum Beispiel Collagen, Metaphern und Bilder.198 Konkret gilt es die zentralen Kaufgründe der Kunden zu beschreiben und sich auf einen Kaufgrund als wesentliche Basiskompetenz im Meinungsbild der Abnehmer zu konzentrieren. Eine Kampagne hat diese Kompetenz als Ausgangspunkt zu nehmen, um daraus Inhalte (Claim plus Reason why), die Tonalität und Gestaltungsidee zu bestimmen. Es nützt wenig, wenn ALDI üppige Werbung präsentiert, welche die Preisorientierung und damit die Kultur des Unternehmens konterkariert. Genauso wenig passend erscheinen low cost-Images zu einem Design orientierten Unternehmen im Objekt- und btob-Geschäft.199 Ergänzend sind dann differenzierte Konzepte für unterschiedliche Käufer – und Rezipientengruppen zu entwickeln. Basis dazu sind die persönlichkeitsorientierten Leitmotive als psychografische zeitkonstante Muster.200 Die Benefits werden im konventionellen Planning als mehr oder minder einheitliches Nutzenversprechen beschrieben. Insbesondere ist hier eine Differenzierung nach individuellen, motivationalen und emotional determinierten Nutzenvorstellungen notwendig. Wenn gemeinsam wesentliche Ansatzpunkte beschrieben und eine klare Vision entwickelt wurden, kann mit der Kreation von Lösungen begonnen werden. Erst jetzt, da allen Beteiligten eine ähnliche Wirklichkeitsbeschreibung vorliegt, ist effektive Zusammenarbeit möglich.

3.6.2.1

Experimentieren

In der dritten Phase werden in offener Atmosphäre neue Möglichkeiten zur Inszenierung des Interface zwischen Anbieter und Nachfrager kreiert. Methoden sind neben allen gängigen Kreativitätsmethoden, die Usability Methode und der Solution Talk. Am Beispiel der Ergonomie kann man gut veranschaulichen, dass die Nutzer über den Nutzen und die Gebrauchsfähigkeit entscheiden. Menschen sitzen mit Rückenschmerzen auf ergonomisch gestalteten Bürostühlen und dieselben Menschen sitzen fünf Stunden beschwerdefrei auf einem Brett im Biergarten. Kinosessel sind so bequem, 198 Vgl. Küthe/Thun 1992, Bergmann 2003a 199 Vgl. zur Begriffsbestimmung in Werbeagenturen Beninde 2000 S. 68 ff.: USP ist die Unique

Selling Proposition, UAP die Unique Advertising Proposition, also jeweils die Alleinstellungsmerkmale, Reason Why umschreibt die sachliche Begründung 200 Bergmann, 2003a und Gillies 2002

136

Das Marktinteraktionsmodell

wie der gebotene Film gefällt. Die Zufriedenheit und Begeisterung über Angebote bildet sich in den Köpfen der Rezipienten in Abhängigkeit von den jeweiligen Kontextbedingungen.

3.6.2.2

In den Markt vortasten: Informieren

In der vierten Phase geht es vornehmlich um die gemeinsame Auswahl der wirksamsten Ansatzpunkte. Besonders eignen sich erweiterte Verfahren der Balanced Scorecard oder Brand Scorecard 201, die eine Selektion im Sinne der gemeinsamen Ziele ermöglichen. Die besondere Schwierigkeit besteht darin, Entscheidungsprozesse so zu gestalten, dass alle wesentlichen Sichtweisen integriert und berücksichtigt und keine „Personifizierungen“ betrieben werden. So wie in einem sozialen System entschieden wird, so ist es. Die Eigenarten der Entscheidungsprozeduren (wer entscheidet was und wie auf welcher Grundlage?) gibt deutliche Hinweise auf die Kultur und Eigenart des betreffenden Systems. Als Ergebnis sollte eine differenzierte strategische Grundkonzeption (Copy) vorliegen, die auf der Basis der Positionierung und des Claims die Roadmap zum übergreifenden Ziel umfasst. Die gemeinsam ausgewählten Ansätze werden sodann weiter ausgearbeitet und gegebenenfalls dem Auftraggeber (Pitch) oder zunächst internen Gremien (Tests) präsentiert. Hier lauert die Implementierungsfalle. Wenn die Rezipienten einer innovativen Lösung nicht frühzeitig integriert wurden oder aber sich in der dargebotenen Lösung nicht wiederfinden, ist es hoch wahrscheinlich, dass die Konzepte nicht akzeptiert werden. Die Trennung von Konzeptionieren bzw. Kreieren und Realisieren, erzeugt die Ablehnung. Umfangreiche Pretestings und Markterprobungen sichern den Erfolg. Die Aktion besteht im neugierigen und ergebnisoffenen Probieren und Experimentieren mit dem Schwerpunkt auf Beobachtungen von Reaktionen möglicher Rezipienten. Auch die Erprobung von Konzeptionen kann in Form von Usability Labs sinnvoll durchgeführt werden. Aufwendig sind erst reale Marktauftritte, die von den Kunden nicht akzeptiert werden. Die Vorselektion kann hier Aufwand und Flops vermeiden.

3.6.2.3

Flow or Flop?

In der sechsten Phase werden die Ergebnisse registriert eventuell auch erste Testergebnisse geprüft. Hier werden Reaktionen eingefangen und die Zufriedenheit, Begeisterung oder Ablehnung und Beschwerde erfasst. Reaktanz und Widerstände sowie kognitive Dissonanzen können die Folge der kommunikativen Beeinflussung sein. Es kommt darauf an, wie die Rezipienten es empfinden. Nach dem Energieerhaltungssatz bleibt die Energie im System konstant, es kommt darauf an, welche Form sie annimmt und wie sie sich verteilt. Energie, die den Widerstand durch Druck (hard selling) zu überwinden sucht, führt zur Verausgabung. Widerstände sind die Kehrseite und gehören zum Ganzen. Wenn Widerstand auftaucht, sollte er genutzt werden. Konkre201 Vgl. Linxweiler 2001

137

3.6

3

Akteure als Kontextelemente des Innovations- und Kompetenzmanagements

ter: Reklamationen sind gute Anlässe zu lernen und das Angebot zu verbessern. Bedenkenträger im Unternehmen können auf wenig beachtete Aspekte hinweisen. Die wahrgenommenen Veränderungen werden hier bewertet. Eventuell sind unerwartete Ergebnisse zu beobachten. Eine Kampagne hat zwar nicht zu unmittelbaren Umsatzsteigerungen geführt, aber das Image verbessert oder die Bekanntheit der Marke erhöht. Es sind Entscheidungen zu treffen, was mit den Ergebnissen anzufangen ist, ob im Prozess eventuell zurückgegangen werden muss. Im positiven Fall entsteht Flow in Form von Einkaufsvergnügen und Begeisterung über die Produktangebote.202

3.6.2.4

Lernen lernen – das Finden von Best Patterns

Im siebten Schritt geht es um das Erkennen und Systematisieren wesentlicher Erfolgsmuster. Generell geht es hier um die Verdichtung und Weitergabe von Informationen und Erkenntnissen, die Wirkungen von Wissen. Ein lernendes System entsteht in einer Kultur der Neugier und Kooperation. Wissen wird besonders intensiv rezipiert, wenn es als prägnante Short Story verpackt ist und als nützlich für eigene Problemlösungen erscheint. Kompetenter werden bedeutet, Selbstlernfähigkeit zu erlangen. Ziel ist die kompetente Unternehmung, in der alle Akteure mehr oder minder in der Lage sind, selbstorganisatorisch Problemlösefähigkeit zu erwerben. Es findet nontriviales Lernen statt. Zum Beispiel existiert wohl kaum eine erfolgreiche Werbung, die nicht einfach, emotional attraktiv und einzigartig authentisch gestaltet wurde. Diese Beobachtung kann als Bewertungsmodell allen Entscheidungen über zukünftige Kommunikationskampagnen unterlegt werden. So kann das System ein höheres Erkenntnis- und Performanzniveau erreichen. Wem diese hier beispielhaft genannten Kriterien (eigenständig, emotional, einfach) zu banal erscheint, möge bitte einen empirischen Test anhand aktueller Werbekampagnen durchführen. Die meisten Anzeigen und Spots fallen nicht auf, sind nicht auf unterschiedliche Persönlichkeiten zugeschnitten, damit nicht attraktiv für die verschiedenen Zielpersonen und oft zu kompliziert konfiguriert. Der Nutzen wird nicht sofort deutlich. Die Abschlussphase dient der Assimilation. Keine Kampagne findet ihr sinnvolles Ende ohne die Würdigung der Beteiligten und ein rituelles Ende. Circle Feedback kann eine passende Methode sein, um diese Phase zu gestalten. Marktkommunikation gelingt selten. In der Praxis zeitigen zahlreiche Kampagnen nicht den gewünschten Erfolg. Von der Forschung wird kaum noch ein hilfreicher Impuls erwartet. Vielmehr entstehen neue Methoden und Modelle in den Agenturen und Beratungsunternehmen, die sich selbst für innovative Entwicklungen engagieren. Ein Ansatz auf systemisch- relationaler Basis kann Wege für ein effektiveres Vorgehen eröffnen. Im Mittelpunkt steht ein metasystemisches Prozessdesign mit konkreten 202 Vgl. Bauer/Grether/Bormann 2001, Czikszentmihalyi 1996

138

Das Marktinteraktionsmodell

Interventionsformen sowie Modelle der Marktinteraktion auf Basis neurobiologischer und psychografischer Erkenntnisse. Systemisches Kommunikationsmanagement wird verstanden als Inszenierung des Interface im kommunikativen Kontakt. Ziel ist es, ein vitales Beziehungsfeld aufzubauen, das einen hohen „B.I.F.-Wert“ aufweist: Zunächst gilt es, eine vertrauensvolle Beziehung (B.) zwischen den Kommunikanten aufzubauen. In dieser Verständigung fördernden Atmosphäre gelingt es leicht, wesentliche Informationen (I.) auszutauschen, sich also in Bewegung und ins Lernen zu bringen und neue Sichtweisen zu erzeugen. Es entsteht Flow (F.) und der bewirkt bei den Beteiligten Engagement, Generosität und Neugier. Eine mehr als solide Basis für gelingende Kommunikation: B.I.F. Steven Reiss kann damit ein sehr differenziertes und metakulturelles Modell der Grundorientierungen präsentieren. In der Tabelle wurden erfolgreiche Slogans und Konzepte den Leitmotiven, evolutionären Herkünften, Persönlichkeitsmerkmalen und Kompetenzen zugeordnet. Der Erfolg dieser Konzepte wird hinreichend erklärbar.203 IKEA bietet zum Beispiel Anreize für zahlreiche Leitmotive. ALDI konzentriert sich in besonderer Weise auf eine Kernkompetenz (Kaufgrund). Ein Unternehmen wird sich auf einen wesentlichen Kaufgrund aus der Sicht der Kunden einigen müssen, wie Crawford und Mathews feststellen. Das Produkt, die Preisstellung, der Service, die Erfahrung oder der Zugang sind die wesentlichen fünf Kompetenzen. Nur eine davon kann ein Unternehmen einzigartig realisieren, die anderen sind im Branchenstandard zu erfüllen.204 Zusätzlich zur Kernkompetenz gilt es, die spezifische Identität auf Basis von Charakteristika (Leitmotive, Persönlichkeitsmerkmale) der Interaktionsformen und der Kultur des Umgangs zu beschreiben. Auf dieser Basis können sodann Wahrnehmungs- und Kommunikationspräferenzen persönlichkeitsspezifisch zugeordnet und kommunikative Aussagen mit den unterschiedlichen Motivklassen in Übereinstimmung gebracht werden. In Zukunft ist eine erheblich genauere Zuordnung von Kommunikationselementen zu psychografisch abgegrenzten Zielgruppen denkbar. Kommunikation sollte dann weniger nach Maßgabe gestalterischer Moden und Vorlieben, sondern mehr nach den unterschiedlichen Präferenzen der Zielgruppe entwickelt werden. Das Gleiche gilt für Produkte und weitere Artefakte mit dem Ziel bedürfnisgerechter Angebote.

203 Vgl. Reiss 2000 S. 247 f. 204 Vgl. Crawford/Crawford/Mathews 2001

139

3.6

Das Prozessdesign: Finden, was fehlt – Gelingen gestalten – reflektierend lernen

4 Der Managementprozess Im Folgenden erläutern wir zunächst das Prozessdesign des Solution Cycles205 in seiner grundsätzlichen Struktur. Dann gehen wir detailliert auf die einzelnen Modi und Phasen ein und erläutern die Aufgaben, die typischen Probleme sowie Methoden und Interventionen zur Lösungsfindung.

4.1

Das Prozessdesign: Finden, was fehlt – Gelingen gestalten – reflektierend lernen

Wenn Ärzte Patienten fragen: „Was fehlt Ihnen denn?“, dann ist das eine sinnvolle Haltung. Selbst ein Chirurg sucht ja nicht zuerst nach der Stelle, wo er schneiden soll. Auch im Management von Unternehmen geht es darum, zu ergänzen was fehlt. Cost cutting und so genannte Sanierungen zeugen von hysterischer Phantasielosigkeit, wenn kein geordneter Ausweg aus der Krise mehr möglich erscheint. Gute Ärzte fragen jedoch: „Was fehlt uns denn?“ Damit denken sie (wahrscheinlich unbewusst), dass alle Probleme relational bedingt sind, also in Beziehungen entstehen und eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient Voraussetzung, wenn nicht sogar das Wesentliche für gelingende Heilung ist. In den meisten Unternehmen funktioniert jedoch eine ganze Menge, ansonsten würden sie am Markt nicht mehr bestehen. Besonders kleine und mittlere Unternehmen sind zu bewundern; existieren sie doch in einem Umfeld der Globalisierung, der Reglementierung, der Konsumverweigerung und Steuerbelastung, wenn man den Kassandra-Rufen der Verbandslobbyisten glauben schenken darf. Und es erscheint interessant zu untersuchen, warum diese Unternehmen in Umfeldern überleben, in denen andere scheitern. Sie weisen eine höhere Vitalität auf, weil sie Strategien verfolgen, die mehr Möglichkeiten erzeugen. Sie formieren koevolutive Beziehungen, die verbessernde Veränderungen erzeugen. Gerade in kleineren sozialen Systemen findet man noch überschaubare Interaktionsfelder, in denen eine persönliche vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich erscheint. Hier wird salutogenetisch gedacht: Was erhält gesund, was fehlt noch zur Vitalität?206

205 Vgl. Bergmann, 2001 S. 18 ff. 206 Salutogenetisch bedeutet, von der Gesundheit her entwickelt. Vgl. Antonowsky 1997 und

Bengel, Strittmatter, Willmann, 1998

141

4.1

4

Der Managementprozess

Hier wird erläutert, welche Gründe für ein erfolgreiches Agieren in schwierigen Umfeldern vorliegen können. Es wird abseits der betriebswirtschaftlichen Analysen nach dem Fehlenden gesucht, das das System zum Gelingen in kultivierter Leichtigkeit zurückführt. Kriselnde Unternehmen können sich an den erfolgreichen orientieren, wenn gesamthaft die Ursachen für Entwicklung und Vitalität offen gelegt werden. Eine rein betriebswirtschaftliche Betrachtung bietet nur ein finanzielles Abbild der gegenwärtigen Situation. Man denke nur an den zum Unwort 2004 gekürten Begriff „Human-Kapital“, wo die Fähigkeiten der Akteure auf Zahlen und Geld reduziert werden. So können eventuell falsche Schlüsse aus diesen finanzorientierten Diagnosen gezogen werden oder pathogenetische Problemorientierung ist die Folge. Oft werden monokausale Erklärungen geliefert oder einseitige Schuldzuschreibungen vorgenommen. „Handle stets so, dass mehr Optionen entstehen“, hat Heinz von Foerster gesagt. Lösungsorientierung fokussiert die Energie auf die Lösung aus dem Bisherigen, das als Problem empfunden wird. Die Autoren haben in den letzten Jahren eine Reihe von mittelständischen Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage begleitet. Verbessernde Veränderungen konnten in diesen Fällen mit nicht betriebswirtschaftlichen Methoden erreicht werden. Die Zahlen orientierten Diagnosen und Strategien führen häufig zur Ablenkung von den tiefer liegenden Problemen und tragen wenig zur Lösung bei. Die Karte (also die Daten und so genannten monetären Fakten) werden mit dem Gelände (der Wirklichkeit) verwechselt. Hier soll deshalb eine systemische Unternehmensdiagnose und -therapie vorgeschlagen und beschreiben werden, die schon häufig zur Revitalisierung von Unternehmen beigetragen hat. Dabei geht es immer um die Wahrung der Balance zwischen innovativer Entwicklung und dem Erhalt der Kompetenz. Es gibt im Management, wie auch in vielen anderen Bereichen (Politik, Kultur), kaum Schwierigkeiten bei der Suche nach möglichen Lösungen und Methoden. Vielmehr geht es um das „Wie“ der Verwirklichung. Wie können die betreffenden Akteure zur Einsicht gebracht werden, das Notwendige zu tun? Wie findet man eine passende Gelegenheit zur Intervention? Wie findet man Zugang zu den betreffenden Promotoren? Wie kann man die notwendigen Veränderungen umsetzen? Es muss gemeinsam gefunden werden, was fehlt. In empirisch explorativen Projekten haben wir Unternehmen im strategischen Management-Prozess aktiv begleitet. Wir schildern unsere Beobachtungen und leiten gezielt Interventionen ein, um Entwicklungen zu bewirken. Dabei handelt es sich nicht immer um „schöpferische Zerstörung“207, da viele Kompetenzen vorliegen und lediglich sichtbar und handhabbar gemacht werden müssen. Wir haben aus empirischen Beobachtungen und theoretischen Überlegungen ein Prozessdesign entwickelt, das Orientierung in Innovationsprozessen ermöglicht. Die wesentlichen Phasen, die jeweiligen Aufgaben, typische Problembereiche und adäquate Methoden können übersichtlich dargestellt werden.

207 Vgl. Schumpeter, 1926

142

Das Prozessdesign: Finden, was fehlt – Gelingen gestalten – reflektierend lernen

Die acht Phasen des Solution Cycles können zu drei Hauptmodi (Modus = Stimmung, Tönung) zusammengefasst werden: Dieses lösungsorientierte Vorgehen stellt eine Unit of Work dar und ist Teil eines grundsätzlichen Entwicklungsprozesses. Der Perzeptive Modus umfasst (Erkennen und Wahrnehmen) mit den ersten Beobachtungen, den Austausch von Sichtweisen sowie die gemeinsame Problembeschreibung und Visionsfindung. Hier werden die Marktanforderungen mittels Scanning und Monitoring (Awareness) aufgenommen sowie Kontext- und Aufgabenprämissen präzisiert. Es wird im Sinne von Gregory Bateson Wissen generiert (Lernstufe 0).208 Dabei erscheint eine betont entschleunigte Vorgehensweise angemessen, um nicht der Neigung zum schnellen Eingreifen zu folgen. Eine behutsame und langsame Vorgehensweise ermöglicht eine genauere Wahrnehmung und die Berücksichtigung verschiedener Gesichtspunkte. Eines der wichtigsten Ergebnisse ist das Field Detecting, die gemeinsame Beschreibung von Wirklichkeit und konkret der Kultur, Kompetenzen und damit der strategischen Ansatzpunkte. Hierbei wird versucht, die verschiedenen Problemsichtweisen zu einer gemeinsamen Figur zu vereinen. Es wird also im Dialog bestimmt, auf welchem Feld sich die wesentlichen Aufgaben befinden. Ein vorrangiges Ziel besteht darin, die Akteure zu befähigen, sich selbst und ihre Beziehungsstruktur untereinander besser zu erkennen (K. Dörner).209 Zudem geht es in dieser Phase um die Ausbildung einer guten Beziehung unter den beteiligten Akteuren sowie um die Entwicklung eines Common Grounds mit Regeln, Umgangsformen und Zielen. Gleichfalls gilt es, eine erreichbare Vision zu formulieren. Wenn die zu lösende Aufgabe allen Beteiligten klar vor Augen steht, entwickelt sich oft ein gewisses „Flowgefühl“.210 Alle wissen worum es geht und die Ziele erscheinen erreichbar. Die oft komplizierten Probleme können zuweilen unergründlich einfach gelöst werden, wenn die selbstorganisierbare Lösungsfähigkeit entdeckt wird.211 Der sich anschließende Kreative Modus dient der interaktiven Lösungskreation, der vertiefenden Planung von Interventionen sowie der aktiven Veränderung (Lernstufe 1). Es wird kreiert, selektiert, ausprobiert und realisiert. Hier werden Teams gebildet, Engagement entfacht, Lösungen kreiert, Veränderungen geplant und realisiert. Es wird Neues gelernt und verändert (Lernen Stufe 1). Die Akteure erleben ihre Selbstwirksamkeit und entdecken Kohärenz im Handeln, wenn sie eigenständig und ver-

208 Vgl. zum Lernstufenkonzept Bateson, G. 1983 S. 366 ff. 209 Vgl. Dörner, D. 2001. Der Psychiater Dörner hat deutlich gemacht, dass eine gute Beziehung

zwischen Arzt und Patient das Wichtigste ist und der Arzt (hier könnte man auch Berater oder Manager sagen), auch keine perfekte, objektive Lösung weiß, sondern die Awareness erhöht 210 Vgl. zum Flow-Konzept Czikzentmihaly, 1998 211 Vgl. zur systemischen Lösungsorientierung de Shazer, 1988

143

4.1

4

Der Managementprozess

antwortlich entscheiden und in einer experimentierfreudigen Atmosphäre Neues ausprobieren dürfen. Im Reflektiven Modus steht die Beobachtung der Veränderungen (Kontakt, Flow oder Flop) im Vordergrund. Die Erfahrungen werden zu Mustern und Regeln systematisiert (Best Patterns), der Projektabschluss gefeiert und die lernorientierte Reflexion der Geschehnisse (Loslösung) manifestiert. Die Lernstufe 2 beinhaltet das Lernen zweiter Ordnung. Die Erfahrungen werden aus der Außenperspektive betrachtet und reflektiert. Im günstigen Fall können Erkenntnisse dritter Ordnung gewonnen werden, die einen Beitrag zur Metakompetenz bilden, einer universellen Problemlösefähigkeit des Systems. Diese Phasen werden in der Praxis gerne aus Effizienzgründen ausgelassen, um direkt in das nächste Projekt hineinzustürzen. Reflexion und substanzielles Lernen bedürfen jedoch der Muße. Verknüpft man nun die skizzierten Erkenntnisse miteinander, so lassen sich Lösungsansätze ableiten, die an die individuellen Anforderungen eines jeden Unternehmens angepasst werden können. Auf Basis des Solution Cycles lassen sich gezielte Interventionen durchführen, die dabei helfen, wichtige (Veränderungs-) Impulse anzustoßen, positive Atmosphären zu schaffen und die Rahmenbedingungen für die Veränderungsprozesse selbst zu gestalten. Der systemische Entwicklungsprozess soll nun Phasen bezogen betrachtet werden. Dabei wird auf die notwendigen Aufgaben wie auch die typischen Fehler in diesen Phasen hingewiesen:

Abbildung 4-1:

Lern- und Lösungszyklus (Solution cycle)

Diagnose Reflexion

abschlie ßen

perzeptiv

klären lernen

erkennen lösen

Therapie kreativ Flow

ausw ählen, planen realisieren

Ein Beobachter zweiter Ordnung sollte das Geschehen begleiten und kontextuell steuern. Dies können Manager mit großer Unabhängigkeit und Eigenständigkeit sein. Oft

144

Die Phasen des Managementprozesses

benötigt man aber auch Beobachter höherer Ordnung als „Hofnarren“. Manager haben die Aufgabe, Initiativen zu ermöglichen, den Rahmen und die Regeln interaktiv zu vereinbaren und ihre Einhaltung zu kontrollieren sowie die Atmosphäre passend zu gestalten. Jeder einseitige Eingriff unterminiert die Selbstorganisationsfähigkeit der beteiligten Akteure, mindert damit die Kompetenz und hemmt das Engagement. Die Leitungskräfte fungieren als Moderatoren, die den Prozess durch gezielte Interventionen in Fluss bringen und halten. Sie achten weniger auf die strikte Einhaltung planmäßiger Ziele und Maßnahmen, als dass sie Handlungsmöglichkeiten eröffnen und die Verständigung der Akteure fördern.

Methodische Integration Mit der Vereinbarung auf ein methodisches Vorgehen ist auch eine einfache Abstimmung und Koordination unterschiedlicher Bereiche möglich. Denn das universelle Prozessdesign ermöglicht jedem Akteur, zu erkennen, in welchem Stadium sich ein Projekt befindet sowie welche Methoden und Verhaltensweisen jeweils angemessen sind. Es kann insofern eine „methodische Integration“ erfolgen. Das gemeinsame Wissen über das Vorgehen erzeugt Koordination und Identität. Bei konventionellen Vorgehensweisen wird eine Totalplanung mit detaillierter Abstimmung versucht. Aufgrund der hohen Komplexität und Dynamik scheitern diese allumfassenden Planungen aber sehr schnell. Zudem werden dann kaum Spielräume zur flexiblen Anpassung und Selbstorganisation gegeben, die das Engagement und die Motivation der Akteure steigern.

4.2

Die Phasen des Managementprozesses

Die Hauptphasen oder Modi des Solution Cycles bilden die Grundstruktur der folgenden detaillierten Prozessdarstellung. Die Dramaturgie folgt dem Muster des Erkennens (Diagnose), der kreativen Veränderung (Therapie) und der Reflexion. Die klassischen Phasenschemata orientieren sich häufig an den Diffusionsmodellen. Nach der eigentlichen Entwicklungsphase wird das Neue auf dem Markt eingeführt, wächst zu einer gewissen Marktreife heran, um dann langsam in die Degenrationsphase überzugehen. Frühzeitig müssen demnach Nachfolgeinnovationen platziert oder das Angebot modifiziert und angepasst werden.

145

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-2:

Lebenszyklus von Innovationen

Wertsch öpfungsFähigkeiten

Relaunch

Nachfolgeinnovationen

Gewinn

Entwicklung Einf ührung Wachstum Reife Degeneration

t

Das Betätigungsfeld der Unternehmensakteure beginnt hierbei mit dem Erkennen der Bedürfnisse und endet mit der Verwirklichung der Innovation.

Abbildung 4-3:

Probleme

Innovationsprozess

Optionen Ideen

Bewertung

Krisen Aufgaben Defizite

Auswahl

Chancen

Modelle Inventionen

Innovationen

Prototypen

tt Beobachtung – Entdeckung – Lösung – Selektion – Realisation - Markteinführung

Das Innovationsmanagement des Unternehmens beginnt mit der Beschreibung von Defiziten und Problemen und mündet nach Realisation in das reflektierende Kompe-

146

Die Phasen des Managementprozesses

tenz-Management. Aus der Vielzahl von Optionen und Chancen entwickelt sich allmählich eine konkrete Lösung in Form einer als nutzvoll erkannten Neuerung.

4.2.1

Die perzeptiven Phasen des Innovationsprozesses

Wer am Anfang langsam geht, kommt danach umso schneller vorwärts. Die erste Phase besteht aus dem Erkennen der Situation und der Akteure in vielfältigen Beschreibungen. Es sind hier die multiplen Wirklichkeiten zu evozieren und zu erfassen. Dazu sollte auf jeden Fall der Versuchung widerstanden werden, sofort in Aktion zu treten oder einseitige Maßnahmen zu beschließen. „Rasender Stillstand“ wäre die Folge.

4.2.1.1

Erkenntnis – Innovationsbedarf wahrnehmen (Phase 1 Erkennen)

Im Anfang war nichts. Aus dem Nichts ist alles entstanden. Das sagen die alten Taoisten genauso wie die modernen Quanten- Physiker. Erst wenn man Unterschiede schafft, durch Unterscheidung, entsteht möglicherweise Information. Etwas anschaulicher: wenn jemand behauptet, die Kunden kaufen nicht, dann ist das eigentlich keine relevante Information. Welche Kunden kaufen nicht? Erst wenn eine Unterscheidung eingeführt wird, können daraus Informationen gebildet werden. Mit dem Spurenlesen hat das menschliche Erkennen wohl begonnen. Es kann als die Urform der Information gelten. Es werden Unterschiede zum Kontext gebildet, die sich zu aktuellem Wissen entwickeln.212 Relevante Informationen werden aus Unterschieden von Figur und Grund gelesen. In sozialen Prozessen kann das Beobachten von Unterschieden sich als sehr schwierig herausstellen, da die beteiligten Akteure sich nicht über Zustände bewusst sein können, nicht alles kommunizieren, was sie erfahren, denken oder fühlen oder anders darüber berichten. Es gilt also geeignete Kontexte zu formen, in denen zumindest wahrscheinlicher wird, dass die Beteiligten Auskünfte über ihre Wahrnehmungen und Beobachtungen geben. Eine wichtige Übung dazu lehrt uns die so genannte „non violent communication“213 von Rosenberg: Die Trennung von Wahrnehmung und Bewertung kann an Alltagsbe212 Vgl. Abel, G. : „Zeichen- und Interpretationsphilosophie der Bilder“. In: Horst Bredekamp u.

Gabriele Werner (Hg.): Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik. Bd. 1,1/2003, S. 89–102. Angehrn, E.: „Schrift und Spur bei Derrida“. In: Hans-Georg von Arburg, Michael Gamper u. Ulrich Stadler (Hg.): 'Wunderliche Figuren'. Über die Lesbarkeit von Chiffrenschriften. München 2001. Siehe auch: www.spurenlesen.hu-berlin.de 213 Vgl. Rosenberg 2005

147

4.2

4

Der Managementprozess

obachtungen erprobt werden und macht bewusst, wie schwierig es ist, zu erkennen, ohne zu werten und zu urteilen. Eine nicht bewertende Beobachtung gilt deshalb auch als eine besondere hoch entwickelte Form der Intelligenz. Klaus North hat die Begriffe in einer so genannten Wissenstreppe geordnet, die wir hier ein wenig ergänzen wollen:214 Auf der unteren Stufe stehen die Unterschiede, welche sich zu Reizen und Signalen und damit zu Zeichen und Daten entwickeln und damit als Rohstoff der Information dienen. Eine Information entsteht erst aus der individuellen Bedeutungszumessung. Gelernte Informationen bilden das Wissen. Angewandtes Wissen wird zur Fähigkeit oder zum Können. Eine Kompetenz entsteht dann relational aus der Zuordnung dieser Fähigkeiten zu einem Akteur durch das soziale Umfeld. Eine Kernkompetenz wäre in diesem Zusammenhang eine herausragende Fähigkeit. Als universelle Kategorie kann es bis zur Metakompetenz, also einer Kontext unabhängigen Problemlösfähigkeit gehen, wie wir sie später noch vorstellen. Metakompetenz äußert sich in einer in sich stimmigen Außenwahrnehmung eines Akteurs oder eines Systems. Der metakompetente Akteur kann sich auf sehr unterschiedliche Kontexte sehr effektiv einstellen und verliert dabei seine einzigartige Identität und Fähigkeit nicht. Metakompetenzen kann man insofern als absolute, nicht mehr relationale Kompetenz beschreiben.

Abbildung 4-4:

Wissenstreppe

Metakompetenzen Kompetenzen Fähigkeiten Wissen Informationen Reize, Signale

Mensch Bedeutung

Unterschiede

Der Kreislauf der Erkenntnis Die evolutionäre Erkenntnistheorie spricht davon, dass Informationen aus Erwartungen und Erfahrungen gebildet werden, die als wesentlicher Unterschied erkannt werden.215 Erkennen ist nur dann möglich, wenn man Unterschiede machen kann, wenn man „order from noise“ bildet, wie es Heinz von Foerster ausgedrückt hat. Man erkennt in gewisser Weise vor allem das, was man schon kennt, weil Wahrnehmungs214 Vgl. North, N. 1998, S. 41 215 Siehe R. Riedl 1981

148

Die Phasen des Managementprozesses

muster schon vorliegen müssen. Die ältere evolutionäre Erkenntnistheorie216 stand noch mehr oder weniger einer gänzlichen Außenorientierung des Erkennens nahe. Sie dachte, unser Erkenntnisapparat mit seinen Sinnensschleusen sei ein evolutionäres Abbild der äußeren Wirklichkeit. Wir erkennen die äußere Wirklichkeit mit unseren Möglichkeiten der Wahrnehmung und mentalen Verarbeitung, weil der Wahrnehmungs- und Erkenntnisapparat ein Produkt der Evolution ist. Die konstruktivistische Erkenntnistheorie betont hingegen die zentrale Stellung der mentalen Konstruktion von Erkenntnissen.217 Das Gehirn konstruiert sich die Wirklichkeit „dort draußen“, ob es sie so gibt wie sie von uns erfahren wird, ist nicht erkennbar. Das ist allerdings im Grunde auch nicht wichtig, da wir in dieser Wirklichkeit handeln und solange unser Handeln Reaktionen erzeugt, können wir sicher sein, dass wir uns auf die Wirklichkeit beziehen. Der Kreislauf der Erkenntnis speist sich so aus eigenen und fremden Quellen. Erkenntnis besteht aus der Reflexion von Erlebtem und der mentalen Konstruktion von Neuem. Neben systematisiertem Lernen gilt es Freiräume für Neues zu schaffen, um neue Erkenntnisse außerhalb unserer mentalen Erkenntnisstrukturierung zu gewinnen. Wenn wir nur das erkennen was wir kennen, wie ist dann überhaupt neue Erkenntnis möglich? Eigentlich nur in mehr oder weniger kleinen Schritten, die wegführen von unseren tradierten Mustern des Denkens und Fühlens. Kritisches Hinterfragen bisheriger Erkenntnisse gehört somit zum wesentlichen Prozess Neues zu produzieren. Ein bestmögliches Erkenntnissystem, ein optimales Lernsystem also, garantiert möglichst eine ganzheitliche Sichtweise des Problemgegenstandes und lässt viele unterschiedliche externe Informationen zu. Wie wir weiter oben gesehen haben, schränkt vertikales Denken diesen Prozess ein. Rein analytische, zerlegende Reflektionsprozesse verharren meistens zu sehr im althergebrachten Mustern. Diagnostische Verfahren, umfassender ganzheitlicher Perspektiven, eröffnen hingegen neue Erkenntnishorizonte. Bei zu geringer Selbstreflexion neigen Lernprozesse zu Stereotypisierung, zu „problemerzeugenden Pseudo-Lösungen – PePsel“ und „Selbstversiegelungen“.218 Auf dieser Erkenntnisperspektive wird dann häufig „mehr desselben“ produziert und vorgeschlagen, neue unkonventionelle Erkenntnisse und Lösungen werden nicht erreicht. Erst der Dialog verschiedener Sichtweisen beziehungsweise Wirklichkeitskonstruktionen von Individuen ergibt ein umfassendes Bild der Wirklichkeit. Der Wahrheitsgrad der Wirklichkeitskonstruktionen steigt mit der Anzahl kritisch-dialogischer Reflektionen. Die unterschiedlichen Sichtweisen sind es, die Innovationsprozesse voranbringen. Einheitliches denken und Handeln sind für Unternehmen oft letal, sie produzieren eine hermetische Atmosphäre. Zu starke Identifizierung des Einzelnen mit den Zielen 216 und hier insbesondere G. Vollmer und K. Lorenz/F.M. Wuketits 1983 Die Evolutuion des

Denkens 217 siehe hierzu H. Maturana und F. Varela 1987 218 Siehe auch G. Bergmann 2001. (Die Kunst des Gelingens. Wege zum vitalen Unternehmen –

Ein Lernbuch. Sternenfels) und die Darstellung im folgenden Abschnitt zur Phase 2 des Prozesses

149

4.2

4

Der Managementprozess

der Organisation, eine übertriebenen, stromlinienförmige Zurichtung der Individuen auf die „Corporate Identity“ der Unternehmung hat, aus der innovatorischen Perspektive gesehen, eher einen kontraproduktiven Effekt. Ein Prozess wird durch einen Anstoß ins Rollen gebracht. Einzelne Akteure nehmen ein Problem oder eine Chance wahr und sehen sich veranlasst, aktiv zu werden. Es kann sich dabei um eine spontane Idee, eine wahrgenommene Krise, eine Reklamation des Kunden, eine Störung in Routineabläufen, die Reflexion bisheriger Abläufe, die Entwicklung neuer Produkte oder die Planung der Kommunikation handeln. Insbesondere muss festgelegt werden, auf welcher Abstraktionsebene der Prozess ablaufen soll. Entscheidend ist, ob es sich um die normative Rahmensetzung, die strategische Orientierung oder konkrete Projekte handelt. In unseren Fällen sahen wir uns veranlasst, zunächst strategische Orientierungen (Identität, Kompetenzen, Vision) zu entwickeln, aus denen sich später die Innovationsstrategien ergeben konnten.

Die Kultur als Ausgangspunkt Die Kultur dient als Ausgangspunkt für Neuentwicklungen. Die Kultur bildet die Gesamtheit der über Symbole erfahrbaren Wertvorstellungen, Rituale, Regeln und Geschichten, die das Verhalten der Akteure sowie das Erscheinungsbild eines sozialen Systems beeinflussen.219 Ähnlich – nur einfacher – beschreibt Geertz die Kultur als System von Bedeutungen, das in symbolischer Gestalt auftritt.220 Teilweise wird sie auch als kollektive, mentale Programmierung definiert.221 Doch impliziert diese Beschreibung auch einen Programmierer, den wir aus systemischer Sicht nicht erkennen können. Die Unternehmenskultur existiert unabhängig von Gestaltungsversuchen der beteiligten Akteure. Sie kann zum Beispiel durch eine Unternehmensphilosophie beeinflusst und entwickelt werden. Sie gibt Hinweise auf die Werte, die gewünschten Betätigungsfelder und Arbeitsweisen. Sie schafft ein Bezugssystem, dass Komplexität reduziert, Verhalten lenkt und gemeinsame Wirklichkeitsbeschreibungen ermöglicht.222 Bevor aber eine Unternehmenskultur weiterentwickelt und verändert werden kann, sollte man die Kultur zunächst entdecken und gemeinsam beschreiben. Vieles liegt im Unbewussten verborgen. So verhindern eventuell Tabus die Entwicklung. „The absence of evidence is not the evidence of absence. “ Wer im Wald Pilze sucht und keine findet, kann nicht davon ausgehen, dass es dort keine gibt. So leitet der Autor Felix Kuby sein Buch über unvorstellbare Phänomene in der Medizin ein.223

219 Vgl. Krulis-Randa, J.S. Einführung in die Unternehmenskultur, in Lattmann, C. (Hg.): Die 220 221 222 223

150

Unternehmenskultur, 1990 S. 5 Gertz, C. Dichte Beschreibung, S. 46 So Hofstede 1997, S. 4 Vgl. Bergmann, G.: 1996 Zukunftsfähige Unternehmensentwicklung, S. 237 Vgl. F. Kuby 2003: Unterwegs in die nächste Dimension

Die Phasen des Managementprozesses

Die Kulturanalyse ermöglicht den Einblick in die Vorgehensweisen, das „Wie“ des Unternehmens. Nur wenige komplexe Probleme erscheinen uns rein fachlich betriebswirtschaftlicher Natur. Vielmehr verhindern unbewusste Ängste, Unsicherheiten, Misstrauen und Missverständnisse die Entwicklungen. In den einzelnen Phasen des Solution Cycles können typische Grundmuster von Problem erzeugenden Pseudolösungen oder failure factors aufgezeigt werden. In allen Phasen drohen die Erstarrung und das Scheitern. Management dient dazu, immer wieder die Bremse zu lösen, Entwicklungen und Lernen zu ermöglichen und zum Flow zurückzufinden. In der unten stehenden Abbildung haben wir einige typische Problembereiche skizziert, die im Weiteren noch erläutert werden.

Abbildung 4-5:

Solution Cycle mit Failure Factors

Kein Ende finden Projektitis gr ü beln oder stur weitermachen

utopisch oder verzettelnd

einf ä ltig mehr desselben

Flop miesmachend oder masochistisch aktionistisch oder cholerisch

beliebig oder hysterisch

rigide oder schizoid

Selbst eine so simpel erscheinende Diagnosemethode wie die SWOT-Analyse birgt in ihrer Anwendung viele Gefahren. In konventioneller Theorie und Praxis wird von einem „objektiv“ erfassbaren Modell der Wirklichkeit ausgegangen und dem zufolge braucht man die Fakten nur eifrig zu sammeln. Wirklichkeit ist aber ein individuelles Phänomen. Jeder Mensch erfährt die Realität zumindest etwas anders, weil er oder sie autobiografisch wahrnimmt und Bedeutung beimisst. Alle „Fakten“ – egal ob hard oder soft – sind aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen. Eine besondere Gefahr besteht hier in Tabuisierungen, Trivialattributionen („der Meier ist Schuld“, „das liegt am Verkauf“) und Macht bestimmter Entscheidungen.224 Im Wesentlichen zu unterscheiden sind die verschiedenen Ebenen der Orientierung. Ein Unternehmen muss die Liquidität aufrechterhalten und zumindest mittelfristig 224 Besondere Beachtung finden in unserem Projekt die Problem erzeugenden Pseudolösungen

(PePseL), wie sie von D. Dörner, Vester und Watzlawick so anschaulich beschrieben wurden (vgl. Darstellung bei Bergmann 2001 S. 57 ff.)

151

4.2

4

Der Managementprozess

rentabel arbeiten. Monetäre Zielgrößen sind als strenge Nebenbedingungen zu betrachten. Darüber hinaus gilt es aber auch, strategische und normative Orientierungen im Blick zu halten, um die dauerhafte Vitalität zu ermöglichen. In der nachstehenden Abbildung sind die Ebenen des Managements und die jeweiligen Informationsgrundlagen und Ziele im Überblick dargestellt.

Abbildung 4-6: Ebenen des Management

normativ

innovativ strategisch

Orientierungsgrundlagen im Management Indikatoren

Ziele

Erfolgsmuster Identität, Kompetenz

Vitalität, Metakompetenz

Delphi, Szenarios/Trends Milieukontakt

Neue Erfolgspotenziale aktuelle

SWOT, Portfolios/ Markt-Position, Image Erträge und Aufwand DB, KER, Lob- Beschwerde

Zufriedenheit Rentabilit ät

operativ Cash flow

Liquidität

Kulturdiagnosen Die Kultur eines Unternehmens wird von außen nach innen beschreiben. Verschiedene Beobachter schildern ihre Sicht des Erscheinungsbildes (Logo, Website, Gebäude, Telefon). Die zweite Schicht sind die Geschichten die über das Unternehmen und seine Akteure erzählt werden. Fast in jedem Unternehmen existieren Heldengeschichten, Berichte über sagenhafte Gründer, Legenden usw. Die Geschichten, die über das Unternehmen erzählt werden, die Rituale und Regeln sind nur mittelbar wahrnehmbar und können mannigfaltige Interpretationen zulassen. Eine weitere Schicht bilden die praktizierten Regeln, Usancen und Gewohnheiten (Wie wird gefeiert, wie entlassen und eingestellt?). Den Kern der Unternehmenskultur bilden die Werte. Diese sind zumeist in der Leitmotivstruktur der Unternehmer ab zu lesen, denn diese maßgeblichen Personen prägen die Kultur von innen. Auf sie wird geschaut, sie werden imitiert, sie stellen ein und prägen die Umgangsformen und Vorgehensweisen: „Wie der Herr so das Gescherr.“ Die Werte sind zudem Grundlage der Entscheidungen, der Bewertungen. Die Beobachtung der Entscheidungswege und Entscheidungsrituale gibt oft einen tiefen Einblick in die Kultur des Unternehmens (Wie wird entschieden, wer darf was?). Wir haben die Akteure in den Unternehmen zudem aufgefordert, die Firma als Person zu beschreiben und deren typische Charaktereigenschaften erfragt. Diese Metaphorik

152

Die Phasen des Managementprozesses

führt zu sehr anschaulichen Ergebnissen, weil die Probanden eine plastische Vorstellung von der Wirkung und Eigenart des Unternehmens entwickeln können. Bei genauer Beobachtung der Besonderheiten, der Rituale, Geschichten, Usancen und Regeln kann man ein klares Bild des Unternehmens entwickeln. Regeln, Routinen, Vereinbarungen und symbolische Interaktion dienen der Verständigung und erleichtern die Koordination.225 Erst die Ermittlung der zentralen Werte in der Unternehmenskultur geben Hinweise auf den Kern der Kultur, die Wertmaßstäbe und besonderen Kompetenzen. Kurz gesagt: die Seele des Unternehmens, als sich in Interaktion mit dem Umfeld entfaltendes Selbstbild des Systems, das es von anderen unterscheidet und dadurch Identifikation möglich macht. Zur Ermittlung der Werte einer Kultur und der Seele des Systems hat sich in unseren Studien die Leitmotivanalyse als sehr aussagekräftig und operabel erwiesen. Die Diagnose basiert auf Untersuchungen von Steven Reiss zu Leitmotiven (Basic Desires). Reiss hat sechzehn Kultur unabhängige Leitmotivationen ermittelt. Es wird der eigenständige Charakter und die Kernkompetenz deutlicher, die als Ausgangspunkt und Fixstern der Entwicklung dienen kann.226 Der Kulturkern des Systems und seine äußeren Merkmale sollten möglichst in Einklang gebracht werden, damit sich alle Stakeholder gut orientieren können. Das heißt, das Erscheinungsbild (CD, Logo, Werbung), die Geschichten über die Firma (PR, Image) sowie die Regeln und Rituale (Spielregeln, Leitlinien, Verträge) sollten aus der Identität der Unternehmung entspringen und ein konsistenter Ausdruck dessen sein, um kohärentes Verhalten zu ermöglichen.227 Verschiedene Identitäten ringen um die Bedeutung. Die Anziehungskraft eines Systems verstärkt sich mit einem klaren Wertesystem und deutlicher Grenzziehung zu den Umsystemen. Unternehmen müssen das „Paradox der Veränderung“ („Werde, der du bist.“ Nietzsche) bewältigen und Wandel konsolidieren sowie ihre spezielle Eigenart näher rücken. Sie geraten durch Abgrenzung in Kontakt und können eine integrierte Kommunikation von innen nach außen entwickeln, die sich durch eigenständige und abgestimmte Tonalität und Inhalte auszeichnet. Die Kulturtypen werden anhand der folgenden Kategorien differenziert228: Machtdistanz (Hierarchie, Zentralität), Unsicherheitsvermeidung (Absicherung, Risikofreude), Prozessorientierung, und Maskulinität.

225 Vgl. Hejl, Stahl, 2001 zu diesen Interaktionsstandards, die sie Synreferenzen nennen 226 Vgl. Reiss, 2000 und mit anonymisierten Fragebögen können die zentralen Motive ermittelt

werden. Auch hier dienen ergänzende Beobachtungen (dichte Beschreibungen, Sprach- und Textanalysen) der Diagnose. Erläuterungen im Kapitel 3 dieses Buches 227 Vgl. dazu genauer Hofstede, 1997 228 Vgl. Hofstede, 1997

153

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-7:

Lernkulturen

In der oben stehenden Grafik wird eine lernförderliche Kultur der Machtstruktur gegenübergestellt („Wer die Macht hat, braucht nicht zu lernen“, Merton Deutsch). Lernen wird bei geringer Machtdistanz, Experimentierfreude, ausgeglichenem Geschlechterverhältnis, großer Vielfalt, Prozessorientierung, angemessenem Medieneinsatz und klarer Zeitstruktur gefördert.229

Muster erkennen – Stammes– und Familienstrukturen prägen Damit man sich ein anschauliches Bild der aktuellen Abläufe in einem Unternehmen erstellen kann, sind die Binnenbeziehungen in den Subkulturen zu untersuchen. Es geht dabei um die Extraktion von Mustern, die typische Prozesse und Interaktionen erkennen lassen. In Familienunternehmen (wie in unserem Projekt und wie in den meisten KMU) gilt es zudem die Familiendynamik einzufangen. Zur Diagnose eignen sich besonders Psychogramme von Unternehmen, Netzwerkanalysen230 und die Organisationsaufstellung (Sculpturing).231 Auch Fotografien von Büros und Filmsequenzen von Arbeitssituationen erhellen die Situation. In einigen kleineren Unternehmen mit nur wenigen Akteuren haben wir eine vollständige Beschreibung der kommunikativen Beziehungen mit Netzwerk-Diagnosen (Ucinet/Gamma) durchführen können. Dabei werden alle Akteure zu ihren Gesprächspartnern, den Anlässen und der Qualität der Kommunikation befragt. Man kann auf diese Weise einiges über die typischen kommunikativen Handlungen in Erfahrung

229 Vgl. Bergmann, Daub, Meurer, 2004 230 Vgl. Bergmann, Daub, Meurer, 2004 231 Vgl. Schweitzer 1996, S. 111 ff.

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Die Phasen des Managementprozesses

bringen und auf der Basis der Diagnoseergebnisse mit den Beteiligten notwendige Veränderungen einleiten. Als weitere Methoden bieten sich ethnografische Beschreibungen (Thick Descriptions)232 sowie Mind Mapping und die Open Space Technology an.233 Alle genannten Methoden dienen der Visualisierung und dem Spiegeln sozialer Wirklichkeit in Unternehmen.

Wirklichkeit kommt von Wirkung: Dialoge mit Kunden und Nutzern Wirklichkeit entsteht aus Wirkung und ist von Wahrheit zu unterscheiden. Menschen orientieren ihre Handlungen an subjektiven Wahrnehmungen. Wenn ein Arzt kompetent wirkt, dann agiert er wirksam. Wer heilt hat Recht. Wenn die Wirkung nur auf seiner glaubhaften Inszenierung (mit weißem Kittel und kryptischer Begrifflichkeit) beruht, ist er trotzdem wirksam. Wenn ein Unternehmen kompetent wirkt, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit das Problem lösen können. Wir haben es mit einer relational aufgebauten Wirkung, bzw. einer interaktiv durch die Beteiligten selbst konstruierten Wirksamkeit zu tun. So ist auch nur ein geringer Prozentsatz (ca. 8%) der kommunikativen Wirkung von Marktangeboten auf die Produktfunktionen zurück zu führen.234 Viel entscheidender ist die Wirkung auf den Betrachter (Kunde, Nutzer). Die Sichtweise der entscheidenden Kunden und Nutzer wird aber nur in Ausnahmefällen in die Produktentwicklung mit einbezogen. Es erfolgen meistens nur Aussagen wie: „der Kunde wünscht mehr Stauraum“, die von insbesondere Vertriebsleitern ostentativ geäußert werden. Es fehlt dabei an Differenzierung und Reflexion. Zudem sind es nur Aussagen über Aussagen von Menschen, die damit ihre subjektiven Wahrnehmungen schildern und bestimmte Interessen verfolgen. Besser erscheint es insofern, die Kunden in die Prozesse zu integrieren und selbstbewusst eine kompetente Wirkung zu erzielen, indem im Vorfeld eine zum Unternehmen passende Auswahl getroffen wird. Die später erhoffte Akzeptanz und Begeisterung werden schon hier erzeugt, wenn die späteren Nutzer und weitere Stakeholder in den Erkenntnisprozess integriert werden. Die Usability Diagnose235 beginnt insofern schon in den ersten Phasen. So können Vertrauenskunden in Workshops geladen werden, um ihre Sichtweisen und Erkenntnisse einzubringen. Die Oberfläche des Systems wird erweitert, um das Bewusstsein zu erweitern und Wahrnehmungsroutinen zu stören. Dieser öffnende Prozess erzeugt Änderungschancen. Aus der Vielfalt der Sichtweisen entstehen weitere Erkenntnisse. Die Integration verschiedener Stakehol232 233 234 235

Vgl. Geertz 1986 S. 11 Vgl. im Überblick Bergmann 2001 Vgl. Zaltman 2003 Vgl. dazu die Darstellung zur Phase 3 zum Thema Kundenintegration

155

4.2

4

Der Managementprozess

der erzeugt Akzeptanz und Engagement. Wenn die multiplen Realitäten erkannt sind, gilt es in einem Dialog Gemeinsamkeiten zu entdecken. Konkreter: Ein Hersteller von Industrieprodukten ist gut beraten, nicht die Fülle seiner technischen Möglichkeiten zu präsentieren, sondern die zur Kompetenz des Unternehmens passende Auswahl als Konzept zu präsentieren. Die Wirkung auf den Kunden besteht wahrscheinlich in einer Reduzierung von Unsicherheit und Steigerung der Attraktivität des Anbieters. Am Anfang eines Erneuerungsprozesses steht das Bewusstmachen, die Erkenntnis unterschiedlicher Sichtweisen. Ziel ist, im Verlaufe einen intensiven Kontakt zu den Nutzern sowie gestaltenden und beeinflussenden Akteuren herzustellen. Überraschend erscheint es für viele Experten, dass es die richtige, wahre Lösung nicht gibt. Die komplexen Zusammenhänge durchschauen zu wollen kann als anmaßend bezeichnet werden. Objektive Erkenntnis ist in systemischer Sicht nicht denkbar. Wirklichkeit ist individuell interpretierte Realitätserfahrung. Es geht um das Kennenlernen der Akteure und der Situation aus unterschiedlichen Perspektiven.

Trendgurus und andere Scharlatane Zuweilen wird der Ruf nach Stil und Trend prägenden Leitfiguren laut. Alle Trends und Entwicklungen entstehen in einem relationalen Prozess. Selbstverständlich ernten bestimmte Akteure eine besondere Aufmerksamkeit und können mit großem Geschick eine herausragende Position beziehen. Allerdings auch nur so lange, wie die Betreffenden die Kompetenz zugesprochen bekommen. Interessante Orientierungsfelder für Trendentwicklungen sind Musik- und Filmfestivals, Kunstevents (insbes. die Documenta in Kassel/design-passagen in Köln) und natürlich diverse Subkulturen, die als Vorlaufindikator dienen können. Da die Trends sich schnell und unüberschaubar entwickeln und nur im Dialog als „wirksame Wirklichkeit wirken“, weisen wir lediglich auf einige interessante Quellen hin: rheingold.de – futureinstitute.com – horx.com – looklook.com – trendbuero.de – perlentaucher.de – pandora.com/style.com – coolhunting.com – darkhorizonz.com – documenta.com Wesentlich ist hier das Erkennen von Mustern und Stereotypen. Wie in allen weiteren Prozessschritten, werden hier auf vier Ebenen Erkenntnisse erworben.

„ Strukturell organisatorisch können die Interaktions-, Macht- und Rollenbeziehungen abgebildet werden.

„ Auch der Umgang mit Zeit (Zeitgestaltung, Pausen, Kairos) gibt Hinweise auf die Kultur des Unternehmens und der Märkte.

156

Die Phasen des Managementprozesses

„ Die architektonischen und gestalterischen Entwicklungen folgen einem Zeitgeschmack der sich im Diskurs entwckelt.236

„ Besonderes Augenmerk gilt letztlich den sprachlichen und bildlichen Ausdrucksmitteln (Kommunikation) der Systeme. In der nächsten Phase werden diese verschiedenen Beschreibungen zu einer Figur, zu einem Bild geformt. Es geht dabei um gemeinsame Problembeschreibungen, das gemeinsame Erkennen der zentralen Kompetenzen und die Entwicklung einer Vision als positivem Zukunftsbild.

4.2.1.2

Kompetenzen und Probleme klären, die Vision entwickeln (Phase 2: Klären)

In der zweiten Phase sind die multiplen Wirklichkeiten (Sichtweisen, Interessen) klärend zu einem gemeinsamen Bild (Common Figure) zu formen, gemeinsame Regeln zu vereinbaren (Common Ground) und die wesentlichen Ansatzpunkte zu definieren – oder besser gesagt auszuhandeln. Denn diese Festlegung auf Regeln und Aufgaben geschieht häufig Macht determiniert. In den meisten Fällen geht es um die Identifikation wirksamer Lösungsansätze. Viele Akteure neigen eher zu einer Problemorientierung, einer Katastrophierung und Negativsicht. Dabei geht es eher darum, das zu finden, was fehlt.

Die Probleme und „Macken“ des Systems Im Umgang mit Problemen können die Eigenarten eines Systems erkannt und Ansatzpunkte für die Kompetenzentwicklung gefunden werden. Ein Problem ist ein unerwünschter Zustand, der in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt.237 Mindestens eine Person benennt das Problem und löst damit zumeist eine Diskussion darüber aus, worin das Problem eigentlich besteht, wo die Ursachen liegen und ob es den richtigen Namen trägt. Der Problemzustand wird als veränderungsbedürftig bezeichnet und ist prinzipiell veränderbar, weil er von mindestens einem Akteur von Schicksal und Pech unterschieden wird. Probleme werden entdeckt und/oder erfunden. Es entwickelt sich ein Problem determiniertes System, indem wiederum Erklärungen für Entstehung und Ursachen diskutiert werden. Dann werden stabilisierende Beschreibungen und gewöhnende Arrangements folgen oder aber neue Möglichkeiten der Veränderung kreiert und damit Lösungen gefunden. Es gibt allerdings eine Vielzahl von Problemlösungsstrategien, welche die Lage noch verschlechtern. Auf Basis der Erkenntnisse von D. Dörner, Paul Watzlawick, Frederic

236 Vgl. zur strukturellen Entwicklung der Formensprache G. Bergmann 2003 (Formensprache

Designstile) 237 Vgl. insbes. v. Schlippe, Schweitzer, 1997 S. 102 f.

157

4.2

4

Der Managementprozess

Vester und Anderen und weiteren systemischen Erkenntnissen, können typische Problemlösungsfallen aufgezeigt werden.238 Wir nennen sie Verschlimmbesserungen oder Problem erzeugende Pseudolösungen (PePsel).

„ Geringe Bewusstheit: (Besonders in den ersten Phasen) Zuweilen werden in Lösungsprozessen einzelne Akteure „abgehängt“, um einen schnellen und reibungslosen Prozess zu gewährleisten. Gerade die bewusste und behutsame Gestaltung des Beginns ermöglicht später die sinnvolle Zeitersparnis, weil alle engagiert und rückhaltlos das Projekt fördern. Probleme wachsen oft langsam und allmählich und werden erst bei Erreichen eines erheblichen Ausmaßes gewahr. Auch in guten Zeiten, sollte man sich deshalb dem oben genannten Stresstest unterziehen, um psychisch, strukturelle Probleme anzugehen.

„ Fatalismus – Die Angst vor der Zukunft: (Phasen 1 und 2) Entwicklungen werden oft als unveränderlich angesehen. Eltern, Lehrer, Kunden, Wettbewerber und die Gesellschaft haben „soviel Unheil angerichtet, dass nun nichts mehr zu ändern ist.“ Es werden bestimmte Ursachen analysiert, die aber nicht beeinflussbar sind und somit das Schicksal determinieren. Alles wird erklärt, aber nichts gelöst. Das Verhalten Anderer wird nicht im systemischen Kontext gesehen, sondern als feststehende, charakterliche Größe. Die Wettbewerber werden als unangreifbar bewundert, Krisen als Schicksal deklariert und man begibt sich in die „erlernte Hilflosigkeit“. Hier wird die Zukunft diffus beschrieben und eher als finster bezeichnet. Es existieren keine Ziele, Visionen und Vorstellungen über wünschenswerte Zustände, die man in kleinen Schritten erreichen könnte. Hier gilt es, die Selbstermächtigung der Akteure zu fördern und die Kompetenzen zu entdecken.

„ Fehl- und Trivialattribution: (Phase 1 und 2) Auftretende Probleme werden einzelnen Ursachen und/oder Schuldigen zugeordnet, obwohl das in komplexen Zusammenhängen kaum möglich ist und dadurch die Energie zur Lösungsfindung abgezogen wird. Vielmehr sind Felertoleranz, die Akzeptanz des Paradoxen (tolerance of ambiguity) sowie die konsequente Orientierung an eigenen Ressourcen und den Möglichkeiten der zukünftigen Verbesserung sinnvolle Orientierungen.

„ Trennung von Handeln und Denken: (Zwischen Phase 4 und 5) Besonders abträglich erscheint die personelle Trennung von „Konzeptionisten“ und Ausführenden. Kaum jemand führt gerne Projekte aus, die Andere erdacht haben. Es entsteht oft der Effekt, dass Kritisierer am Spielfeldrand auf die Akteure einwirken, sie vom erfolgreichen Agieren ablenken und nur beschreiben, wie es hätte noch besser

238 Vgl. Watzlawick, Weakland, Fish, 1988 S. 52 ff.; Vester, 1980, Dörner, D. 1989

158

Die Phasen des Managementprozesses

laufen können, ohne Hilfestellungen zu geben, Lösungen anzubieten oder Verantwortung zu übernehmen.

„ Mehr desselben: (Phasen 1 und 5) Eine beliebte Lösung besteht in der Verstärkung der bisherigen Strategie: mehr desselben. Ich baue mehr Straßen und ernte mehr Verkehr, ich spare und spare und ernte immer mehr Verluste. Je mehr man sich anstrengt, desto schlimmer wird es. Es muss aber in vielen Fällen aus dem alten Muster ausgetreten werden. Die Lösung besteht auch hierbei im Aufsuchen neuer Wege und Perspektiven, im Ent-Lernen der angestammten Stereotypen und Rezepte. Gerade Systeme, die sich in Erfolgsgewissheit selbst versiegelt haben, benötigen Störungen und Krisen, um notwendige Veränderungen einleiten zu können.

„ Oft drückt sich dieses Verhalten in Aktionismus aus: In vielen Unternehmen droht man in operativer Hektik zu versinken, jüngste Ereignisse werden dort überbetont und Aktionismus, demonstrativer Fleiß und Tempo führen zu „rasendem Stillstand“.

„ Utopien frustrieren: (Phase 2) Unrealistische Visionen frustrieren die Betroffenen. Weil die gesetzten Ziele nicht erreichbar sind, werden sie erst gar nicht angestrebt. Utopien öffnen nicht wie Visionen neue Perspektiven, sondern tendieren zur Konstruktion von neuen Problemen. Sie bedürfen der Formulierung kleiner und damit überschaubarer Realisierungsschritte.

„ Unzulässige Vereinfachung und der Traum von der Beherrschbarkeit: (Besonders in Phase 2 und 4) Wenn ich unzulässig vereinfache, produziere ich gerade in komplexen Systemen weitere Probleme. Nur komplexe Systeme können ebenso komplexe Kontexte verarbeiten. Insofern ist darauf zu achten, nicht aus verständlichem Vereinfachungswunsch die schnelle Patentlösung anzustreben, Probleme zu leugnen oder umgehen zu wollen.

„ Glaube an Objektivität: (Besonders in Phase 1 und 2) Zuweilen werden Probleme als objektiv gegeben und einfach beschreibbar dargestellt. Dabei sind Wirklichkeiten und so auch Probleme subjektiv konstruiert und beruhen auf sehr komplexen Ursachen. Wir leben in tendenziell unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten und können lediglich die Wahrscheinlichkeit von Verständigung erhöhen.

„ Wahl paradox: (Phase 3) Wenn ich paradox kommuniziere, produziere ich auch weitere Probleme. „Nun seid doch endlich kreativ” und „verhalte Dich natürlich“ sind solche in sich widersprüchlichen Imperative. Es ist durchaus zulässig und oft hilfreich, paradox zu intervenieren, wenn sich Muster festgefahren haben. Doch werden Prozesse nicht durch Kommandos und Empfehlungen initiiert, die dem Inhalt emotional widersprechen. 159

4.2

4

Der Managementprozess

„ Nicht- Kommunikation: (Phase 4) Die Therapie kann schlimmer sein als die Krankheit. Probleme entstehen erst durch ihre Dramatisierung und die demonstrative Lustlosigkeit. In vielen Fällen können oder wollen einige Akteure gar nicht an der Kommunikation teilnehmen. Es wird keine gemeinsame Realität oder Sprachebene gefunden, die Energie bleibt verborgen oder das Thema wird als unwichtig deklariert. Es wird unverständlich und verklärend kommuniziert, zuweilen auch der Kreis der Kommunikationspartner bewusst beschränkt bis nur noch „Mitnörgler“ vorhanden sind. Doch was alle angeht, müssen auch alle entscheiden.

„ Einseitige Entscheidungen und Heroismus: (Phase 4) Sehr problematisch, aber gut zu beobachten, ist die Tendenz in sozialen Unternehmen, einzelnen Führungspersonen große Spielräume zu lassen. Es ist nun nicht so, dass Spielräume an sich schlecht sind, nur werden hier Personen in eine unangreifbare Position gebracht, wo sie unkontrolliert ihren Egoismen frönen können.

„ Glaube an Beherrschbarkeit und einfache Vernunft: (Phase 4 und 5) Vielfach werden komplexe Systeme als prinzipiell beherrsch- und steuerbar interpretiert. Soziale Systeme sind aber nur indirekt beeinflussbar und nicht direktiv lenkbar. Weder Anordnung und Planung, noch unstrukturiertes Durchwursteln („Irgendwie“Lösungen) helfen in diesen Situationen weiter.

„ Leugnung des Unbewussten: Wahrscheinlich sind uns nur Bruchteile des Erlebten bewusst. Das meiste bleibt verborgen und steuert unser Verhalten trotzdem. Kommunikation, Bewusstsein und biologische Prozesse in unserem Körper sind voneinander relativ unabhängige, selbstreferentielle Systeme.

„ Veränderungen leugnen: (Phase 6) Einige Akteure richten ihre Aufmerksamkeit vornehmlich auf statische Dinge. Veränderungen und Verbesserungen werden nicht registriert. Erreichte Erfolge werden nicht gewürdigt und eher als Zufallsergebnisse deklariert. Das Glas ist eher halb leer.

„ Katastrophierung: (in allen Phasen) Angesichts der horrenden Komplexität kann Verwirrung entstehen. Das Feld und das Problem werden nicht klar identifizierbar. Ursache und Wirkung liegen räumlich und zeitlich weit auseinander und sind zudem zirkulär verknüpft. Die komplexen Beziehungen sind strukturell zu erfassen. In dieser Situation wird das Denken und Handeln zuweilen ganz eingestellt. Dazu gesellt sich dann die Minussymptomatik, es wird die Bestätigung der eigenen Defizite und Schwächen geradezu gesucht und die Probleme „katastrophiert“. Die Handlungs- und Risikofreude reduziert sich und damit der Veränderungswille.

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Die Phasen des Managementprozesses

„ Macht und Tabus blockieren die Veränderung: (Phase 5) Besonders wichtig erscheint uns, auf die unterschiedlichen Interessen und Einflussmöglichkeiten zu achten. Einigen Akteuren ist es möglich, die Ziele und Vorgehensweisen zu dominieren. Bestimmte Themen werden zu Tabus erklärt, Realitäten nicht „für wahrgenommen“. Im Gegenzug tritt Reaktanz, also Widerstreben gegen Verhaltensbeeinflussung, in Form von Widerstreben, innerer Kündigung, Trotz und Dienst nach Vorschrift auf.

„ Fehler wiederholen, non triviales Lernen: (Phase 7) Nur wenige Menschen sind geneigt non trivial zu lernen und wirklich Veränderungen einzuleiten. Erst wenn der Leidensdruck ein erhebliches Ausmaß angenommen hat, steigt die Bereitschaft. In Unternehmen ist das ähnlich. Fehler werden wiederholt, zahlreiche Pseudo-Aktivitäten initiiert, um möglichst nichts zu verändern. Es gibt kaum Zeit und Raum für Reflexion und substanzielles Lernen höherer Ordnung. Damit wird das Scheitern chronifiziert.

„ Endlosigkeit: (Phase 8) In vielen Unternehmen werden einmal begonnene Projekte nicht beendet. Hier fehlt es an Konsequenz und Nachhaltigkeit. Manchmal resultiert die Nichtbeendung auch aus Unentschiedenheit oder es hängen Positionen und Mittel an einem Projekt. Von „toten Pferden“ sollte man aber absteigen, statt sie für lebendig zu erklären. Alle skizzierten Problemerzeugungen können als typische Stereotype bezeichnet werden, die die schwierige Situation in turbulenten Kontexten sinnvoll zu agieren, noch weiter verschlimmern. Aus der Umkehrung dieser PePsel können sinnvolle Ansatzpunkte zur Lösung und zur Revitalisierung ermittelt werden. Wenn die Probleme dialogisch thematisiert wurden, können visionäre Wege zur verbessernden Veränderung kreiert werden. „Und es ist nicht verwunderlich, dass die tiefsten Probleme eigentlich keine Probleme sind“, wie Ludwig Wittgenstein einst formulierte. Metakompetenz erscheint möglich.

Die Psychodiagnose des Systems Soziale Systeme bis zu ca. 150 Personen agieren als Kollektiv relativ homogen. Da kleinere soziale Systeme eine starke Binnenkohäsion aufweisen wirken sie in ihren Handlungen wie ein Akteur. Die Kommunikationsstrukturen bilden dabei als Netzwerk eine ähnliche Struktur ab, wie wir sie im individuellen Gehirn neuronal vorfinden. Deshalb kann man es wagen, die Persönlichkeitsmodelle für Diagnosen von Unternehmen zu nutzen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass sich Persönlichkeiten relational ausprägen, also abhängig vom Kontext wirken.239

239 Vgl. Erpenbeck, 2003

161

4.2

4

Der Managementprozess

In fast allen Unternehmen sind bestimmte neurotische Grundmuster erkennbar, die „Macken“ des Systems. Es handelt sich dabei in der Regel um Angst und Unsicherheitsphänomene oder um teilnahmslose Langeweile und Indifferenz. Menschen reagieren im Stress gemäß ihrer typischen Defizite („Macken“) und äußern dieses Verhalten besonders auch in Gruppen und Kollektiven. Da sich gleich und gleich gern zusammenfindet, reagiert die Gruppe sogar potenziert so, wie die Einzelnen. Die Angst oder Unsicherheit äußert sich in schizoider Entscheidungshemmung, verdrängender Tabuisierung, cholerischem Aktionismus, rigidem Perfektionismus, masochistischer Selbstausbeutung oder oralem Utopismus. Indifferenz und Interesselosigkeit äußert sich in Traurigkeit und depressiven Stimmungen und Ausdrucksweisen.240 An anderer Stelle haben wir das Modell der Brain Map ausgiebig erläutert. Deshalb sollen hier nur die verschiedenen Ausprägungen der negativen Merkmale skizziert werden. Im positiven Falle handelt es sich um ein differenziertes Modell der Kompetenzen (Problemlösefähigkeiten), im negativen um neurotische Muster (failure factors), die zum Scheitern beitragen. Grundmodell ist die Brain Map241 als Abbild der Grundorientierungen menschlichen Verhaltens.

Abbildung 4-8:

Brain Map mit System- Symptomen

Der Stresstest macht Mangelerscheinungen deutlich Als besonders wirksam hat sich ein so genannter Stresstest erwiesen. Wenn man diese Systeme mit Stress konfrontiert, offenbaren sie ähnlich wie Menschen ihr Defizit, ihre 240 Vgl. zu den psychischen Störungen Riemann, 1999 und Sandmeyer, Stark, 2004, auch

www.prof-stark.de 241 Vgl. Bergmann 2003c

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Die Phasen des Managementprozesses

Schwachstellen. Der Stresstest besteht in komplizierten Anfragen oder Reklamationen, Erzeugen von Zeitdruck usw. Auch die Beobachtung des Systems vor wichtigen Terminen (Messen, Präsentationen) zeigt die Schwachstellen und Reaktionsweisen auf. Auch das Auslösen einer künstlichen Krise, wie es Edgar Schein242 vorgeschlagen hat, kann die Interaktionsmuster in einem System offenbaren. An der Grenze zeigt sich die spezifische Kultur: im Umgang mit Problemen und Krisen, mit Subkulturen und Minderheiten. Diese Analysen werden von verschiedenen Personen durchgeführt und in Gruppendialogen gemeinsam ausgewertet. Als Ergebnis liegt fast immer ein klares Bild dessen vor Augen, was im betreffenden Unternehmen fehlt. Man gewinnt ein Bild der Unternehmung mit den typischen Entscheidungswegen, Usancen und Hinweise auf den zentralen psychosozialen Mangel des Systems. Wir konnten feststellen, dass weniger die „betriebswirtschaftlichen“ Defizite als vielmehr die Erstarrung der Systeme in ihrer psycho-sozialen Struktur Probleme und Krisen verursacht. Andersherum ergeben sich neue Chancen und erfolgreiches Handeln mit der Befreiung aus diesen Verstrickungen. Die Vitalität von Systemen entwickelt sich aus koevolutiven Beziehungen der Akteure untereinander. In den untersuchten Unternehmen lag u. E. eine starke Binnenorientierung vor. Nur etwa 30% der Arbeitszeit wird Kunden orientiert genutzt. Hauptsächlich wird die Zeit für technische Probleme, die Diskussion über Produktfunktionen und – formen, die Koordination zwischen den Akteuren, Konfliktlösung usw. verwendet. Auffällig ist der häufige Aufenthalt in Meetings und die „Zerspanung“ des Alltags im Minutentakt, so dass strategisches, auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Verhalten unwahrscheinlich wird. Die meisten Akteure beschrieben in unseren Studien243 ihre Unternehmung als „Organismus“ oder als „Familie“. Die dynamische Komplexität und der dadurch ausgelöste stete Wandel bewirken bei vielen Betrachtern den Eindruck, es handele sich um ein lebendiges System, das Organe neu bildet und andere verändert oder abstößt. Besonders die Unternehmen, die die meisten Erfolgsspielregeln erfüllten, beurteilten sich als organisch. In anderen Fällen zeigte sich eher ein ambivalentes Bild, in dem das eigene Unternehmen vorrangig als „Maschine“ oder „Pyramide“ bezeichnet wurde. Dies deutet eher auf eine technoide, hierarchische Situation des Unternehmens hin. Kleinere Unternehmen besonders aus dem Dienstleistungsfeld sehen sich als Familie und zuweilen als Gehirn oder Computer. Das erinnert daran, dass die meisten Firmen aus Familien oder familienähnlichen Sphären entstanden sind und zumeist auch familiär geführt werden. „Gehirn“ und „Computer“ sind Metaphern, die ebenfalls gerne von Beratungs- und Entwicklungsunternehmen genannt wurden. Insgesamt überwiegen die auf Änderungsbereitschaft und Entwicklungsfähigkeit hin deutenden eher fluiden und organischen Metaphern. 242 Vgl. E. H. Schein 1999 243 Vgl. Bergmann, Meurer 2001, 2003

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4.2

4

Der Managementprozess

Wenn das betreffende Muster gemeinsam entdeckt wurde, kann man zu gezielten Therapien übergehen und sich zum Beispiel auf die effektive Herbeiführung gemeinsamer Entscheidungen, den Abbau von Unsicherheiten, die „entschleunigte“ Vorgehensweise, die Entdeckung von Ordnung und Schönheit, die „Entzettelung“ usw. kümmern. In vier wesentlichen Bereichen kann konkret nach fehlenden Aspekten gesucht werden. Auf der organisatorischen Ebene können dies zu wenig Freiräume oder zu wenige Kompetenzen sein. Auf architektonischer und gestalterischer Ebene fehlen eventuell die passenden Räume und Materialien. Es kann aber auch an Zeit für Experimente und Erprobungen oder an Bildern, Vorstellungen und einer angemessenen Sprache mangeln. Die Bereiche Organisation, Sprache, Architektur und Timing sind die Interventionsarten, die eine Veränderung einleiten können. In allen Schritten des Solution Cycles spielen sie eine große Rolle, ob es sich um Diagnose, Therapie oder um Lernen handelt.

4.2.1.3

Kompetenzen als Leitfaden der Innovation

Wenn die zentralen Probleme (Macke, Sollbruchstelle) des Systems erkannt ist, geht es darum, die Fähigkeiten zu beschreiben. Oft handelt es sich dabei um die Kehrseite der Medaille. In bestimmten Bereichen wird jedes System als kompetent, nämlich als fähig, zuständig und bereit beschrieben.244 Ansonsten würde es am Markt gar nicht mehr bestehen. Diese Kompetenz besteht in einer herausragenden Problemlösefähigkeit oder Nutzenstiftung, die in der Regel vom sozialen Umfeld – bei Unternehmen vornehmlich die Kunden – zugeschrieben wird. Es geht darum, festzustellen, wie man gesehen wird, was einem zugetraut wird und wo sich die eigene Position befindet, um von dort aus Perspektiven zu entwickeln. Kompetenzen können als von außen zuerkannte Problemlösefähigkeiten definiert werden.245 In der jeweiligen Branche spricht man dann davon, dass „die das können“ oder es wird gesagt: „Das trauen wir denen zu.“ Deshalb fungieren diese Kompetenzen als Ausgangspunkt für Innovationen und die strategische Politik. Soziale Systeme können in ihrer Vernetzung als der „komplexe Akteur“ betrachtet werden. Sie handeln als Gesamtheiten mit eigenständiger Identität und Charakter, weil ähnliche Unterscheidungen zur Umwelt vorliegen, die als typisch für alle Akteure und deren Verhaltensweisen gelten. Die systemisch-relationale Betrachtungsweise geht von einer Problementstehung in Kommunikations- und Interaktions-Beziehungen aus. Erst der Blick auf die Gesamtkonstellationen gewährt Erkenntnisse über die Funktionsweise und die (system-)typische Entstehung von Problemen und Lösungen. Erst eine kommunikationstheoretische Analyse macht möglich, die Prozesse und

244 Vgl. zur Inkompetenzkompensationskompetenz Marquardt 1975 245 Vgl. Erpenbeck, Heyse 1999 und Bergmann, Daub, Meurer 2004

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Die Phasen des Managementprozesses

das Verhalten zu erklären.246 Wenn man Unternehmen auf Kurs bringen möchte, sind deshalb diese Identitäten und Kompetenzen zu bestimmen, die das Unternehmen vom Umfeld unterscheidet und abgrenzt. Die Kompetenzen dienen als „Pfad der Tugend“ oder als „innere Intelligenz“, die als Orientierung für die Unternehmensentwicklung dienen. Produkte und Design gelten als „manifestierte Kommunikation“. Sie sind Ergebnis der internen Kommunikationsprozesse. Die externe Kommunikation (Vermarktung, Werbung) ist aus der Kultur von Unternehmen zu formen, um authentisch wirken zu können. Andernfalls tendieren die Unternehmen zur modischen Orientierung oder imitieren andere und verlassen dabei ihr „Selbst“. Nachhaltige Politik versucht den „Soul“ der Produkte und Kommunikationen zu entfalten, also eigenständige Angebote zu entwickeln, die dem eigenständigen Charakter und der Kultur des Unternehmens entsprechen. 247 In diesem Zusammenhang ist auf die Kontroverse von Ressourcen und Markt orientiertem Management hin zu weisen. Reine Marktorientierung verleitet zu opportunistischem Verhalten und führt zur Ausbeutung eigener Ressourcen. Die authentische Orientierung an eigenen Kompetenzen und Werten wird dann ergänzt durch eine situative Marktorientierung und differenzierte Angebotsgestaltung. Im systemischen Ansatz des Marketings wird dieser sinnfällige Kompromiss angestrebt.248 Wir haben konkret die Kompetenzen der Unternehmen ermittelt und auf dieser Basis lukrative und zum Unternehmen passende Marktfelder definiert. Produktideen entstehen so aus der spezifischen Problemlösefähigkeit des Anbieters und werden mit Kunden und Nutzern interaktiv auf deren Bedürfnisse und Nutzungen ausgerichtet (Usability etc.). Im Prinzip ist dies ein zirkulärer oder relationaler Prozess zwischen Anbieter und Nachfrager. Die Individuen finden zur Selbstwirksamkeit zurück.

Basis- und Kern-Kompetenzen Mit Crawford und Mathews kann man von fünf Basis-Kompetenzen ausgehen, von denen jedes Unternehmen nur eine auf herausragendem Niveau realisieren kann.249 Die anderen werden dann in einem guten Branchenstandard erfüllt. Die Autoren sprechen von Zugang (Amazon), Produkt (Porsche), Preis (Aldi, Lidl), Erfahrung (IKEA, Berater) und Service (Mc Donalds). Auf dieser Basis können dann im Dialog verschiedener Stakeholder die vom Produkt unabhängigen Kernkompetenzen, als herausragende selbstorganisierte Problemlösefähigkeiten beschrieben werden. Methodisch gestützt wird dieses Vorgehen durch die Analyse von Kulturebenen und – Kategorien wie sie beispielsweise der Kulturwissenschaftler Geert Hofstede entwickelt 246 247 248 249

Vgl. z.B. Simon 1997, S. 131 Vgl. Czikzentmihaly 2004, S. 193 ff. Vgl. dazu Steinmann/Schreyögg 2001, S. 225 f. Vgl. Crawford, Mathews 2001

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4.2

4

Der Managementprozess

hat.250 Diese Kulturbeschreibungen dienen als Basis für die Gestaltung von Produkten und Kommunikation des Unternehmens.251 Vileda produzierte früher Ledersohlen, Nokia Gummistiefel, Oetker früher und heute alles mögliche. Wenn diese Unternehmen auf eine Produkt orientierte Kompetenz festgelegt wären, könnten sie sich nicht entwickeln. Die Kernkompetenz kann also als eine kontextneutrale und zeitstabile Metakompetenz beschrieben werden. Diese universelle Problemlösefähigkeit gilt es in den Unternehmen aufzuspüren.

Fallbeispiel: Vileda – organische Unternehmensentwicklung Wen man heute die Fa. VILEDA als global tätiges, diversifiziertes Unternehmen betrachtet, kann man sich kaum noch vorstellen, dass das Unternehmen als kleiner Lederhandel startete (1823), später eine Gerberei aufbaute (ab 1829) und über dann Zulieferer der Automobilindustrie wurde, die Simmeringe aus Leder nachfragte. Dichtungsprodukte produzierte das Unternehmen nun von 1929 bis heute, allerdings in diversen Formen und Materialien. Auch im Bereich Konsumgüter trat ein Wandel ein, als die Schuhsohlen vermehrt aus Gummi hergestellt wurden. Zu Diversifizierung von Endprodukten kam also auch die Entwicklung von Ersatzprodukten nach dem technischen Standard und den geänderten Nutzergewohnheiten. Zudem hat das Unternehmen zwei namhafte Kunden übernommen, die in Schwierigkeiten geraten waren: Die Schuhfabriken Elefanten und Tack, die 2005 wieder veräußert wurden. Die Produktion des Wischtuches VILEDA begründete schließlich eine weitere Erfolgsgeschichte nach dem 2. Weltkrieg. Heute ist das Unternehmen breit diversifiziert, produziert zu einem Großteil Dichtungen und Schwingungstechnik für die Industrie und agiert zudem als bedeutender Hersteller für den Konsumbereich Haushaltwaren – Lederimitate, Ersatzstoffe, Fußbodenbeläge prägen das Sortiment. Das Entwicklungsprinzip und die innere Intelligenz des Systems sind in der Nutzer orientierten Weiterentwicklung und der zum Teil freien Assoziation zu sehen, die aus den jeweils gegenwärtigen Produkten und Materialien etwas vorher nicht erkenntlich Neues kreieren lassen. Die Kernkompetenz der Fa. VILEDA kann insofern in einem organischen, experimentierenden Verhalten gesehen werden, dass Möglichkeiten schafft, die jeweils von den Kunden und Nutzern geprüft und daraufhin forciert oder verworfen werden. Die Kompetenz ist nicht an gegenwärtige Produkte gebunden, sondern liegt in der ergebnisoffenen Vorgehensweise bei der Produktentwicklung verborgen.

Fallbeispiel: Nieten und die Fügetechnik Die Fa. Brötje aus Wiefelstede bei Oldenburg wurde in der Fachwelt bekannt mit der Entwicklung und Herstellung von Nieten und entsprechenden Nietautomaten. Diese Metallstifte dienen noch heute in vielen Bereichen als Verbindungselemente von Materialien. Brötje liefert die Nietautomaten und damit die Fügetechnik zum Beispiel in die Automobilindustrie, den 250 Vgl. Hofstede, 1997 251 Vgl. Ogilvy, 2004 zum existenzialistischen Strategieansatz

166

Die Phasen des Managementprozesses

Schiffbau und die weltweit größten Flugzeugbauer Boeing und Airbus. Rumpfsegmente, Türen und Fenster, Maschinen und Anlagen werden heute noch mit Metallnieten zusammengefügt. Es steht jedoch ein Technologiesprung bevor. Diese konventionellen Verfahren werden wahrscheinlich in nächster Zukunft durch vollkommen andere Technologien, wie zum Beispiel das Kleben oder Schweißen (das nur geringe Temperaturen erfordernde Reibrührschweißen) von Aluminium. Auch werden zunehmend größere Formteile verarbeitet, so dass erheblich weniger Nieten benötigt werden. Die Fa. Brötje kann nur überleben, wenn dort die Kompetenz weit über die Fertigung der Metallnieten und entsprechender Automaten hinaus definiert wird. Weil das Unternehmen sich als Systemanbieter für Fügetechnologie definiert und von den Kunden als kompetenter Partner in diesem Bereich beschrieben wird, kann sich das Unternehmen weiter entwickeln. Metallnieten, so heißt es, werden dann nur noch als so genannte „Angstnieten“ gesetzt, um die Nutzer mit einem vertrauten Anblick zufrieden zu stellen, die einer Klebetechnik bei Flugzeugen nicht vertrauen.

4.2.1.4

Bilder der Zukunft: realistische Visionen

Auf der Basis der gemeinsamen Problembeschreibung und Entdeckung der Kompetenzen ist eine eigenständige und realisierbare Vision (Shared Vision) zu kreieren, die als metaphorische Umschreibung der groben Ziele dient. Wenn wir von individuell konstruierten Wirklichkeitsbildern ausgehen, besteht hier die Notwendigkeit, gemeinsame Sichtweisen und Zukunftsbilder zu entwickeln. Zwei Visualisierungsinstrumente haben sich in unseren Forschungen als sehr anschauliche Diagnosemethoden erwiesen: Metaphern und Collagen252, die sich besonders zur Beschreibung der Usancen und Interaktionsformen in Unternehmen eignen. Bei der Betrachtung dieser Bilder kann eine gemeinsame Figur geformt werden und sinnvolle Ansatzpunkte für Veränderungen werden deutlich. Die einzelnen Akteure können sich so über ihre Sichtweise verständigen und zudem entstehen weitere interessante Informationen für die Diagnose, die Entwicklung von Lösungswegen und gemeinsame Zielvorstellungen. Für die Collagen verwenden wir in der Regel Postkarten und Zeitschriftenmotive, die von den Beteiligten zu einem Bild zusammengefügt werden. Dabei ist es besonders hilfreich und erhellend, die einzelnen Personen ihre individuelle Auswahl von „Bildern“ kommentieren und beschreiben zu lassen. Dabei gewinnen alle Akteure Einblick in die Sichtweisen der anderen und kreieren gemeinsam neue, zukünftige Wunschwirklichkeiten. Die Vision trägt öffnenden Charakter, es werden ausgehend von Problemfeldbeschreibungen wünschenswerte Perspektiven entwickelt. Die Vision ergänzt die Rahmensetzungen wie Strategien, Leitlinien und Ethiken, in dem in einer Referenztransformation das Gewohnte ergänzt oder gar verlassen wird. Visionen erzeugen neue Bilder der Wirklichkeit. Oft beginnt diese Öffnung mit einem auslösenden Ereig-

252 Vgl. dazu besonders Morgan, 1997. In der Produktentwicklung sind Collagen eine sinnfällige

Methode, wie sie sehr anschaulich Küthe, Thun, 1995 vorgestellt haben. Sie beschreiben den Einsatz von Collagen und Bildern im Gestaltungsprozess

167

4.2

4

Der Managementprozess

nis (activating event), in Form von Problemdruck oder lohnenden Ideen. Das vorhandene Glaubenssystem (belief system) wird aus einer anderen Perspektive betrachtet, wobei dazu analoge Vorgehensweisen mit Bildern und Metaphern anregen. Im Dialog formen die Beteiligten neue Figuren, schaffen also neue Unterschiede, die bestenfalls zu einer gemeinsamen Vision (shared vision) geformt werden. Dieses geteilte Vorstellungsbild löst Energie für Wandlungsprozesse aus, weitet die Enge der Problemsituation zu Handlungsspielräumen. Gemeinsam mit den kanalisierenden Werten und Leitlinien entwickelt sich die Unternehmensphilosophie. Sie kann als konglomerate Manifestation der Werte, Visionen und Zielvorstellungen aller Beteiligten und Betroffenen gelten und sie „(...) schafft ein gemeinsames Bezugssystem, eine Linie, die Wahrnehmungen filtert und Erwartungen beeinflusst, gemeinsame Interpretationen und Verständnis ermöglicht, Komplexität reduziert, Handlungen lenkt und legitimiert.“253 Die Klärung und Abstimmung der Wertorientierungen in und zwischen Unternehmen verhindert die Verfestigung kontraproduktiver Mythen, die in der Form von „Erfolgsrezepten“ und starren Grundhaltungen (Legenden, Gewohnheiten) die flexible Anpassung bremsen.

Fallbeispiel: Elbphilharmonie Hamburg In Zeiten der Kapitalknappheit der öffentlichen Hand kommt es besonders darauf an, mittels Visionen die freiwillige Unterstützung von Mäzenen und Förderern zu aktivieren. In Hamburg ist in letzter Zeit eine vorbildliche Initiative ins Leben gerufen worden, die mit einer visionären Idee startete. Das bekannte Architekturbüro Herzog & de Meuron gestaltete eine herausragende Architektur für die Elbphilharmonie. Auf dem Dach eines alten Speichers wollen Sie ein skulpturelles Wahrzeichen für Hamburg errichten. Diese verbildlichte Vision faszinierte zahlreiche Spender, so dass bis Ende 2005 schon 57 Mio. € gesammelt werden konnten. So kann schon bald mit dem Bau dieses spektakulären Musikhauses begonnen werden. Während mit der Unternehmenskultur die Gesamtheit der Werte, Artefakte und Annahmen einer Organisation umschrieben wird, kann man die Unternehmensphilosophie eher als Gestaltungsprinzip auffassen, mit dem das Management versucht, das Erscheinungsbild, die Interaktionen, das Betriebsklima und die Kontaktformen zu den Austauschpartnern zu beeinflussen. Es werden Aussagen zu allen Kontextsystemen entwickelt. Für die Kommunikation sind erstens intern die positiven Wirkungen einer partizipativ entwickelten Unternehmenskultur254 hervorzuheben und die Orientierungen für das eigene Interaktionsverhalten vermitteln. Den Mitarbeitern wird der Stil und das Klima des Unternehmens deutlich. Außerdem erspart sich das Management erheblichen Kontrollaufwand durch die Gewährung selbstregulativer Spielräume. Zweitens gibt 253 Vgl. Kieser, A. 1985 S. 428. Die Visionsbildung und das organisationale Lernen wurden als

wesentliche Defizitbereiche von Unternehmen identifiziert. Vgl. die empirische Studie G. Bergmann/G. Meurer/M. Pradel, 1999 254 Vgl. O. Neuberger/A. Kompa, 1987 S. 283

168

Die Phasen des Managementprozesses

eine umfassende und systematische Kulturanalyse Hinweise darauf, mit welchen Partnern grundsätzlich zusammengearbeitet werden sollte. Während sich die Kultur aus kollektiv geteiltem Wissen, also aus ähnlichen Unterscheidungen formt und die Philosophie, die Kernkompetenzen, den Rahmen und den purpose der Organisation beschreibt, öffnet eine Vision den Horizont und kreiert Möglichkeiten. „Das Wesen einer Vision liegt in den Richtungen, die sie weist, nicht in dem, was sie abschließt; sie liegt in den Fragen, die sie aufwirft, nicht in den Antworten, die sie für diese findet.“255 Die interaktive Visionsentwicklung ermöglicht neue Sichtweisen in die Unternehmenspolitik zu bringen und durch die Einbindung aller Stakeholder Engagement zu entfalten. Zusammen mit der Rahmen schaffenden Identitäts- und Wertepolitik, formt die Vision eine handlungsleitende Perspektive und Orientierung, die in der Unternehmensphilosophie gebündelt wird. Visions- und Rahmenentwicklung gehören im Zusammenspiel zu den wesentlichen Orientierungsmustern, die detailliert in den Kapiteln 4 und 7 erläutert werden.

Die Identität verbindet Vision und Rahmen Die Corporate Identity wird verstanden als Persönlichkeit und Selbstverständnis einer Organisation. Die Corporate Identity bündelt die Potentiale und Visionen sowie die Regeln und Wertesysteme. In diesem Zusammenhang sei auf die zentralen Probleme der Selbstfindung einer Corporate Identity hingewiesen. Schließlich soll die Unternehmensidentität als langfristige Orientierung zur Identifikation, Inspiration und Integration aller Austauschpartner dienen und muss insofern unter Mitwirkung aller Beteiligten und Betroffenen herausgebildet werden. Als problematisch werden dabei die diversen Mentalitäten, Naturelle, Kulturen und Interessen und deren Veränderung im Zeitablauf (Wertewandel) von denen empfunden, die sich eine überschaubare und einheitliche Grundorientierung wünschen. Die Organisation kann sich nicht über längere Zeiträume von den Lebenswelten der Austauschpartner ungestraft isolieren. Doch Identität erzeugt immer Differenz und ist somit das Gegenteil von Verschmelzung, nämlich Abgrenzung. Identisch sein, heißt immer gleich sein mit etwas Anderem. Identität ist gesellschaftlich, aber nicht unbedingt öffnend. Man könnte sagen, die größte Wahrheit liegt im Plural und nicht in der stringenten Einheitlichkeit und es ist schwierig, das Wechselspiel von Öffnung und Struktur auszupendeln. Insofern kann eine Corporate Identity nur in zirkulären Dialogprozessen entwickelt werden. Es werden hier die Grenzen in einer paradoxen Ambivalenz aus Kontakt und Differenz zu anderen Systemen bestimmt. In diesem Identitätskonzept dominiert der Herstellungscharakter und der Prozess, weniger das Ergebnis. In größeren Unternehmen werden zunächst dezentral Teams mit der Generierung von Vorschlägen beauftragt, die dann in allen Bereichen und Ebenen diskutiert werden und sukzessive in einem für viele

255 H. H. Hinterhuber, 1992 S. 41

169

4.2

4

Der Managementprozess

annehmbaren Ergebnis münden. Als Ablaufstruktur dient auch hierbei der Lern- und Lösungszyklus. Das Problem der Kontextdynamik lässt sich lösen, indem die einmal gefundenen Grundsätze permanent auf dem Prüfstand bleiben und Zug um Zug durch aktuelle Werte und Erkenntnisse ergänzt werden. Die Zukunft ist ein Lernprozess. Die Leitideen sollen dabei dem Zeitgeist und den Moden nicht durch alle Kapriolen folgen, vielmehr sind allmähliche und schrittweise Anpassungen angezeigt, die den Kontakt zur Mitwelt aufrechterhalten. Die kollektive Identität wird über dezentrierte Prozesse der Selbstorganisation entwickelt und bleibt damit lebensfähig und aktuell. Die zentrifugalen Kräfte können durch eine plurale Corporate Identity integriert werden. Die Unternehmung koevolviert mit dem Kontext, wenn sie alle Beteiligten intensiv und eigendynamisch an den Entscheidungsprozessen teilnehmen lässt und intensiven und direkten Kontakt zu allen relevanten Szenen aufnimmt. Die Systemgrenzen müssen dazu möglichst offen gehalten werden, ohne die identitätsbildende Differenz aufzugeben. Relative Vorteile erzeugen Organisationen, die sich in die Turbulenz begeben, sich eine intensive Interaktion mit dem Kontext zutrauen, sich also mit den fluktuierenden Zeitströmungen auseinandersetzen. Die Unternehmung wird multioptional, weniger stringent und streng. Firmen können einen kreativen Charakter aus der Summe der mitstreitenden Persönlichkeiten gewinnen. Sie pendeln mit ihren diversen Qualitäten zwischen den universellen Regeln der Visionen und Grenzen, kreieren faszinierende Ideen und finden Halt in normativen Regeln und Selbstverpflichtungen.

4.2.1.5

Methoden der Problembeschreibung und Visionsbildung

Im Folgenden sind einige Methoden beschrieben, wie interaktiv Problemsituationen erfasst und öffnende Visionen entwickelt werden können.

Diagnose-Interviews Ein wichtiges Instrument zur Erfassung und Klärung der unterschiedlichen Sichtweisen sind so genannte Diagnose-Interviews. Dabei werden individuelle Attributierungen, Problembeschreibungen, Ziele und Gefühle eruiert. Damit ein möglichst anschauliches und alle Aspekte umfassendes Bild der Situation entsteht sind vor allem qualitative Fragen mit offenen Kategorien und Spielräumen sowie analoge Konstrukte wie Metaphern, Bilder und Skulpturen zu verwenden. Narrative Interviews erläutern die Entwicklungsgeschichte, Strukturlegetechniken ergeben einen Überblick der Zusammenhänge von wichtigen Begriffen und Themen. Ergänzend können Rollenspiele, Systemaufstellungen und Gruppendiskussionen den Blick weiten und ergänzende Erkenntnisse liefern. Dabei fließen dann auch Elemente der Beobachtung mit ein, die einen authentischen Blick eröffnen. Auch bei diesen Interviews und Beobachtungen werden alle Phasen des Lern- und Lösungszyklus durch-

170

Die Phasen des Managementprozesses

laufen. Perzeptive, kreative und reflektorische Elemente ergänzen sich sowohl bei der Erstellung von Untersuchungsdesigns als auch bei der Durchführung der empirischen Diagnose.256 Es entsteht durch den intensiven Austausch also insbesondere die narrative Diagnose ein Bewusstsein für das kollektiv geteilte Wissen, indem klarer wird, welche ähnlichen Unterscheidungen getroffen werden. Besonders Richard Rorty hat auf die Vorteile der Geschichten zur Beschreibung von Erlebtem und Zukünftigem gegenüber stringenten Theorien hingewiesen, die oft wesentliche Aspekte der Wirklichkeit ignorieren.257 Es gilt, die Sprache des Systems (unique kind of talking) zu erlernen. Die Kommunikationsformen und geheimen Spielregeln decken die Prozessmuster auf. Dabei wird vorzugsweise auf die vorhandenen Ressourcen, die Vorteile und Chancen aufgebaut sowie die schon einmalig gelösten Fragestellungen erinnert und kleine Fortschritte besonders gewürdigt. Steve de Shazer und Isoo Kim Berg sagen dazu: „If you like solutions you might not be problem phobic. But focus on removing problems, on advantages and ressources. You can feel better, you will have a good lesson, if you have many alternatives.“258

Vision Picture Eine bewährte Methode, um in der Gruppe und individuell sowohl Situationen zu beschreiben als auch Visionen und Ziele zu konkretisieren und sichtbar zu machen, basiert auf der Brain Map (vgl. Kap. 3) und enthält deshalb auch logisch stringente sowie emotional bildhafte Elemente, integriert also digitale und analoge Vorgehensweisen. Wir nennen sie Vision Picture. Die Teilnehmer erhalten etwa 20 min Zeit, ihre aktuelle Situation und ihre Visionen bildlich darzustellen und daraufhin konkret verbal ihre Ziele in der betreffenden Organisation und in dem speziellen Team, Projekt, Workshop o.ä. zu formulieren. Bei diesen Zielen soll darauf geachtet werden, dass sie nach Inhalt, Zeit, Ausmaß genau bestimmt werden, aus eigener Kraft erreichbar und positiv formuliert sind, denn hierin sollen sich die kleinen Schritte zur Vision zeigen. Wenn jeder Teilnehmer dieses Bild individuell erstellt hat, wird in der Gruppe die Zielbildung im Dialog überprüft und gemeinsam ein konkreter Zielsatz formuliert. Zudem können sich alle Akteure an anderen „Leitbildern“ orientieren und sukzessive ein Bild der gesamten Organisation formen. Die Figurbildung als gemeinsame Situationsbeschreibung und Vision wird damit praktisch erreichbar.

256 Detaillierte Darstellung der Diagnose Interviews bei E. König/G. Volmer, 1997 S. 141 ff. In der

Studie „Das Zukunftsfähige Unternehmen“ habe ich mit Kollegen einen praxistauglichen Fragebogen erstellt und genutzt, der gute Einblicke in den Reifegrad einer Organisation gewährt. Vgl. bei G. Bergmann/G. Meurer/M. Pradel, 1999 und Kap. 7 257 Vgl. R. Rorty, 1993, S. 97 f. 258 Zitat aus einem Workshop 1998

171

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-9:

Vision Picture

Strategische Ziele Vision (Bild)

Ziele konkret Zustand heute (Bild)

Open Space und andere Metaloge Metaloge oder auch Großgruppeninterventionen verbessern die organisationale Effektivität und Aktivieren das Engagement der Betroffenen. Der Zukunftsworkshop ist eine mehr strukturierte Form, der Open Space eher eine sehr offene. Je nach Aufgabenstellung und Problemfeld sind angemessene Rahmenbedingungen zu definieren. Zukunftsworkshops werden gezielt in eher überschaubaren Gruppen initiiert. Im Open Space ist die Struktur auf wenige Regeln, eines großen Zeitplans beschränkt. Das Thema wird nur sehr abstrakt vorgegeben und am „Marktplatz“ mit Inhalten versehen. Im Folgenden wollen wir die Vorteile und Grenzen des Open Space verdeutlichen. Daraus ergeben sich dann auch geeignete Einsatzfelder für weitere Methoden. Als praktisches Vorgehen zur Lösungsfindung in komplexen Strukturen hat sich mittlerweile die Open Space Methode erwiesen.259 Open Space eignet sich besonders in Phasen der Offenheit mit geringer oder diffuser Struktur des Problemfeldes. Es können hierbei sehr viele Personen in den Prozess integriert werden, wobei die Grenzen, Aufgaben und Ziele eines Projektes noch sehr unbestimmt sind. Ausgehend von einer grobskizzierten Agenda werden interessierende Ideen und Probleme auf einem Marktplatz präsentiert. Jede Person kann eigene Ideen einbringen oder sich Gruppen anschließen. Es bilden sich spontan und selbstorganisierend verschiedene Dialoggruppen, die gegebenenfalls in mehrere Untergruppen aufgeteilt werden, wenn die Anzahl der Teilnehmer das Optimum von acht Personen überschreitet. In diesen Gruppen werden nach der organischen Gründungsphase Lern- und Lösungszyklen durchlaufen und damit Ergebnisse entwickelt, die wiederum der Gesamtgruppe 259 Vgl. insbesondere K. Petri 1996. Open Space kann auch mit Unternehmenstheater und Zu-

kunftskonferenzen kombiniert und variiert werden

172

Die Phasen des Managementprozesses

präsentiert werden und dann auslösend für konkrete Projekte in der Organisation stehen können. Open Space gerät dann in eine strukturbedingte Problemphase, die nach unseren Erfahrungen durch gezielte ordnende und impulsgebende Intervention überwunden werden muss. Das heißt, es sollten dann konkrete Chancen und Anregungen zur Projektentwicklung geleistet werden. Ansonsten drohen die euphorischen Initiativen zu erlahmen. Speziell in der Phase „Problembeschreibung und Visionsbildung“ ist eine Verwesentlichung und Strukturbildung angemessen, bevor in der dritten Phase Ideen und Vielfalt zur Lösungsfindung beitragen sollen. In lernenden Gemeinschaften in Aktion werden Themen, die in selbstorganisatorischen Prozessen ermittelt wurden, behandelt. Es bilden sich spontane Ordnungen mit oft unerwarteten, emergenten Lösungen. Als Leitlinien für das Gelingen gelten: Jeder ist die richtige Person; wenn es beginnt und endet, ist es die richtige Zeit; was auch geschehen mag, es ist o.k.; wer glaubt, er müsse gehen oder intervenieren, soll dies tun (Gesetz der zwei Füße). Die facilitators (Ermöglicher, Heinzelmenschen) halten sich achtsam im Hintergrund.260 Sie zeigen sich als Person, sind präsent, ehrlich, lassen es laufen und ziehen sich zurück, wenn alles läuft. Somit ergeben sich Hinweise für das Management überhaupt und Open Space kann zu einem wesentlichen Leitprinzip avancieren. Vorteile von Open Space:

„ einfach zu organisieren „ sehr kostengünstig (z.B. wenige Berater, wenige Mittel notwendig) „ wirkt integrierend, Engagement entfaltend „ entsteht selbstorganisatorisch „ sehr Praxis orientiert und konkret „ effektiv für kleine bis hin zu sehr großen Gruppen „ vermittelt eine teilnehmende Kultur Open Space eignet sich:

„ besonders als Startveranstaltung von Veränderungsprozessen „ für die Mobilisierung von Energie „ für die Ideengewinnung „ für alle unbestimmten breiten Problembereiche „ zur Gründung von Projekten „ zur Konfliktklärung und Verständigung 260 Vgl. Hinweise zum Ende dieses Buches

173

4.2

4

Der Managementprozess

Open Space ist nicht geeignet:

„ in konkreten Terminplanungen „ wenn schelle, wohl strukturierte Problemlösungen erwartet werden „ wenn die Betroffenen noch nicht in Metalog-Techniken geschult sind „ wenn sehr unterschiedliche Voraussetzungen vorliegen Entsprechend gelten diese Vorteile für klassische Projektteams und Zukunftsworkshops, wenn mehr strukturierte Problemfelder vorliegen. Wir haben einen Sustainable Solution Talk als semistrukturierte Methode auf der Basis des Lern- und Lösungszyklus und der lösungsorientierten Therapiekonzepte entwickelt und in der Praxis erprobt. Viele weitere Varianten sind denkbar.

Mind Mapping Das Mind Mapping ist eine Methode zur Erfassung und ersten Strukturbildung in komplexen Problemfeldern. Zu einem bestimmten Thema, das in einem Kreis eingetragen wird, werden die spontanen Einfälle auf Ästen notiert und Unterpunkte als weitere Verzweigungen zugeordnet. Auf diese Weise lassen sich „Bilder“ eines Gespräches, eines Dialogs oder Brainstorming aufzeichnen und es werden erste Stoffsammlungen vorgenommen. Das Mind Mapping261 lässt sich auch mit Strukturhilfen kombinieren, indem man die acht Stufen des Lern- und Lösungszyklus unterlegt und spontane Beiträge in die Kategorien einträgt. Ebenso ist es denkbar, die später zu schildernde Brain Map – als Abbild charakterlicher Ausprägungen – zu verwenden. Die Ideen und Aspekte werden sofort den typischen Merkmalen – perfektionistisch, kreativ, kognitiv etc. zugeordnet. Die Mind Map lässt sich zu einem umfassenden Patchwork von Themenschwerpunkten und zu einem ganzheitlichen Netzwerk zusammenfügen.

261 Vgl. T. Buzan, 1995, der in seinem Buch zahllose Varianten und Anwendungsmöglichkeiten

offeriert

174

Die Phasen des Managementprozesses

Abbildung 4-10: Mind Map der Innovation

Konstellationen, Sculpturing, Metaphorik In der Praxis der Veranschaulichung existieren diverse Methoden. Ausgangspunkt sind zunächst Bilder, die von der Organisation selbst geschaffen werden oder wurden. Dann wird zu erweiternden Sichtweisen übergegangen. Formal festgelegte Organigramme können einen ersten wichtigen Einblick vermitteln. In der Regel wird die reale Situation der Zusammenarbeit anders verlaufen, doch zeigen diese Darstellungen Ziele, Positionen, Machtstrukturen, Usancen und Spielregeln auf. Eine Beobachtung der Kommunigramme als Abbild der Beziehungsintensität ergibt dann weitere Informationen. Diese werden als Systemzeichnungen angefertigt und können dabei sowohl die Herkunft und Entstehung als auch Wunschvorstellungen und mögliche Entwicklungen aufzeigen helfen. So werden zum Beispiel Entscheidungswege und persönliche Beziehungen durch Befragung und Beobachtung mit den betreffenden Akteuren erörtert. Sehr viel weiter wird mit dem Sculpturing (Tanz der Akteure) gegangen, wo die Akteure die Beziehung durch Aufstellung repräsentieren.262 Dabei werden die Akteure gebeten, sich in einem abgegrenzten Feld solange zu bewegen, bis sie eine Konstellation gefunden haben, die der Intensität und Art der Beziehung in etwa entspricht. Diese Aufstellungsarbeit ermöglicht dann, ein realistisches Bild zu schaffen und die Teilnehmer die Situation wirksam fühlen zu lassen. Die Beziehungen, die Konflikte und Sympathien werden deutlich und oft sogar körperlich spürbar. Diese Aufstellungen oder „Tänze“ können selbstverständlich auch mit Stellvertretern und/oder Figuren durchgeführt werden. Alle Akteure können dann spielerisch gemeinsam die Ist- und

262 Vgl. G. Bergmann 1996, S. 248 f.

175

4.2

4

Der Managementprozess

die Wunschkonstellation formen. Mit metaphorischen Dialogen können entstandene Bilder weitergeführt und zu gemeinsamen Perspektiven entwickelt werden. Problemfelder und Sichtweisen lassen sich mit Sprachbildern, Metaphern und hilfreichen Geschichten im Dialog klären. Sowohl visuelle Darstellungen wie Collagen und Zeichnungen (siehe Vision Pictures) als auch gerade verbale Annäherungen erleichtern die Verständigung und erhöhen die Aussagekraft.263 Wenn erst einmal ein gemeinsames „Bild“ kreiert wurde, kann damit stellvertretend argumentiert und erkannt werden. Es lässt sich zum Beispiel besser über die Metapher eines „denkmalgeschützten Hauses“ sprechen als über die eigene marode Firma mit großer Geschichte. Zudem entstehen aus der Bildsprache schnell neue Lösungswege aus der Übertragung. Ebenso hilfreich sind kleine Geschichten, Legenden, Märchen, Parabeln usw. Wichtig ist in jedem Falle, dass die Metaphern von den jeweiligen „Problemträgern“ selbst geschaffen werden. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten können mit der so genannten Map of Differences sinnvoll visualisiert werden. Dazu benennen die Beteiligten die wichtigsten Eigenschaften und Ziele der Gruppe und tragen diese in ein Vektorensystem ein. Daraufhin zeichnen die Akteure mit unterschiedlichen Farbstiften ihre Präferenzen und Sichtweisen ein. Es entsteht dann ein „Spinnennetz“ der Prioritäten und Wünsche. Alternativ ist es auch möglich, die Ecken von Räumen mit polaren Qualitäten zu benennen und auf diese Weise Unterschiede räumlich zu verdeutlichen, in dem sich die Teilnehmer im Feld positionieren.

Der Dialog als Methode der Verständigung Der Dialog kann als lebendige Gegenseitigkeit verstanden werden, indem die Erkenntnis der Beteiligten erweitert und ergänzt wird. Im Dialog wird versucht, über die bloße Verständigung hinauszugehen, die monologische Zuspitzung und die polemisch, kämpferische Rhetorik zu vermeiden, in dem jeweils die Sichtweise der Anderen aufgegriffen, inhaltlich gewürdigt und lernend weiterverarbeitet wird. Dieses „erste“ Gespräch ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden:264

„ Vollständige Akzeptanz und respektvolle Würdigung der anderen Teilnehmer „ „Rückhaltlose“ Kommunikation, in die alle Wahrnehmungen, Emotionen und Überzeugungen eingebracht werden

„ Wahrhaftigkeit und Authentizität „ Engagement und Interesse „ Bemühen um Verständigung 263 Besonders G. Morgan, 1996 erzeugt mit seinen Bildern der Organisation ganz unterschiedli-

che Zugänge der Betrachtung von sozialen Systemen. Je nach Blickwinkel (z.B. Gehirn, Kultur, Netz) geraten differente Aspekte und Assoziationen in den Vordergrund. Vgl. auch T. L. Brink, 1993, S. 366 ff. 264 Vgl. M. Buber, 1997, S. 293 ff.

176

Die Phasen des Managementprozesses

„ Kooperation statt Dominanz und Konflikt Die Regeln:

„ Jede(r) spricht nur für sich selbst. „ Es spricht immer nur eine Person. „ Der Dialog bestimmt die Richtung. „ Der Moderator schaut auf die Einhaltung der Regeln. Der Sinn: Es soll eine bewusste Achtsamkeit innerhalb einer Gruppe ermöglicht und unterstützt werden. Den Teilnehmern wird ermöglicht, zu lernen, wie sie gemeinsam denken können und das nicht nur in einem analytischen Sinne, sondern indem eine gemeinsame Sensibilität erreicht wird, in der die Gedanken, Emotionen und entsprechenden Aktionen nicht nur zum Einzelnen gehören, sondern allen gemeinsam zugänglich werden. Die Komponenten: Einladung: Die Teilnehmer müssen die Wahl haben, sich zu beteiligen und sie müssen sich sicher fühlen, sich voll einbringen zu können. Generatives Zuhören ist die Kunst, die Geschwindigkeit der geistigen Wahrnehmung so zu verlangsamen, so dass Raum entsteht, außer den Worten auch deren Bedeutung aufzunehmen. Den Beobachter beobachten: Wenn wir die Gedanken beobachten, die unsere Sicht der Welt steuern, dann beginnen wir, uns zu transformieren. Dialog soll eine Umgebung entwickeln, in der die Teilnehmer ihre Gedanken und die der Gruppe betrachten können. Annahmen zurückstellen: Dialog-Sitzungen fordern die Teilnehmer dazu auf, voreilige Schlüsse zurückzustellen, ihre Sichtweisen nicht anderen aufzudrängen und ihre eigenen Gedanken nicht zu unterdrücken oder zurückzuhalten. Im Willen, voreilige Schlüsse zurückzustellen, ist das Vertrauen enthalten, dass die eigenen tiefsten Überzeugungen, wenn sie wertvoll sind, der Kritik von Anderen widerstehen werden und wenn nicht, dass man selbst stark und offen genug sein wird, sie zu überdenken. Mit Abschluss der zweiten Phase im Lern- und Lösungszyklus liegen gemeinsame Problem- und Situationsbeschreibungen vor, es ist somit eine gemeinsame Figur gebildet. Zudem haben die beteiligten Akteure eine Vision als wünschenswerten Zustand kreiert. Besonders analoge Methoden können einen neuen Referenzrahmen entstehen lassen und alle individuellen Eindrücke und Gefühle an die Oberfläche bringen. Es bleibt kein unfinished business übrig, so dass alle Akteure in den Entwicklungsprozess emotional und kognitiv integriert sind. 177

4.2

4

Der Managementprozess

Wenn das Lösungsfeld hinreichend beschrieben ist und eine faszinierende Vision entwickelt wurde, dann steht dem Engagement der Akteure nichts mehr im Weg. Eindrücklich zeigen das die Erfahrungen mit der Softwareentwicklung im Internet für die Programme Linux und Jini. Die Chance, als Experte an der Optimierung von Software mitwirken zu können, veranlasste viele Programmierer, ohne monetäre Entlohnung an dem Prozess engagiert teilzunehmen. Vorraussetzung für das Gelingen des Open Source Developments ist die vertrauensvolle Weitergabe der spezifischen Programmiercodes, die damit auch für die Wettbewerber offensichtlich werden. Trotzdem empfinden etablierte Anbieter wie Microsoft, diese Vorgehensweise als anarchistisch subversive Bedrohung.265 Der perzeptive Modus mit der Erhöhung der awareness und der Beschreibung der Aufgabenfelder und Visionen findet hier seinen Abschluss und mündet in der dritten Phase in den kreativen Modus, wo Energie mobilisiert, Teams gebildet und Ideen entwickelt werden.

4.2.2

Die kreativen Phasen des Innovationsprozesses

Wenn die Probleme, die Kompetenzen und die wünschenswerten Zustände gemeinsam beschrieben wurden, geht es an die kreative Lösung. Kreativität ist weniger methodisch als durch geeignete Rahmenbedingungen zu erzeugen. Generell sind Lösungswege zu finden, wenn man sich vom Problemfeld distanziert. Auch hier können die vier Bereiche Organisation mit Freiräumen und innovativen Reservaten, das Timing mit günstigen Gelegenheiten, die stimulierende Architektur und kreative Gestaltungsmittel (Design) sowie besonders auch eine erfinderische Sprache und Visualisierungen genannt werden.

4.2.2.1

Lösungen kreieren (Phase 3 lösen)

In der dritten Phase des Solution Cycles geht es um die Kreation von möglichen Lösungen. Wenn die Hauptaufgabe allen Beteiligten klar vor Augen steht und die wesentlichen Probleme gemeinsam – zumindest ähnlich – formuliert wurden, können hierzu Lösungen kreiert werden.

Freiräume schaffen Grundsätzlich widersprechen sich Effizienz und Kreativität. Ideen resultieren aus einer offenen, angstfreien und inspirierenden Atmosphäre. Besonders Irritationen von Wahrnehmungsroutinen fördern das substanzielle Lernen und die Ideenfindung. 265 Kürzlich durften wir in einem Buch von C. Winchester 1998 erfahren, dass schon der Oxford

English Dictionary unentgeltlich aber mit viel Engagement von Experten in dezentraler Zusammenarbeit erstellt wurde

178

Die Phasen des Managementprozesses

Während Marktradikale wie Milton Friedman die Beschäftigung und Förderung von Kunst und Kultur als Fehlverwendung des anvertrauten Kapitals verstehen, meinen wir, dass gerade die ästhetische Irritation und die Schaffung von Spielräumen, neue Sichtweisen und somit die Entwicklung von Innovationen ermöglicht. Einen deutlichen Nachholbedarf zeigen unsere empirischen Forschungen in Unternehmen bei der Entwicklung inspirierender Ideen und Visionen.266 Zudem mangelt es an „Zeit-Räumen“ für engagierte Selbstorganisation. Neues entsteht, wo Platz gelassen wird, inspiriert und angeregt wird. Der Quantenphysiker Anton Zeilinger spricht von einer hohen „Säuglingssterblichkeit“ unter den Ideen. Deshalb versucht er in seinem Institut, wo die Forscher bei ihren hoch innovativen Untersuchungen viele extrem neue oder abwegige Denkwege und Metaphern benötigen, ein Klima zu erzeugen, in dem zum einen „verrückte“ Ideen offen vorgebracht werden und in dem zum anderen, diese Ideen einen gewissen Schutz erhalten, um eine Chance zu haben, von anderen Akteuren aufgegriffen und weiterentwickelt zu werden.267 Der Schriftsteller Harry Mulisch stellte in seinem Roman „Die Prozedur“ fest: „Alle großen Erfindungen gehen auf unsinnige Ideen zurück.“268 Einstein fragte sich: „Wie sieht die Welt aus, wenn ich auf einem Lichtstrahl sitze?“ Innovationen sind Ordnungsstrukturen, die aus Chaos geboren werden. Eine andere Sicht auf die Dinge im Sinne eines Perspektivenwechsels, die anregende Unterhaltung im Dialog oder die offene Reflexion, bilden gute Voraussetzungen zur Ideengewinnung. Neues kommt durch das risikoreiche Ausprobieren von Unterschieden zustande. Erkenntnis stammt von Erkennen. Erkennen können Menschen insbesondere das, was sie kennen. Neue Erkenntnisse resultieren dann aus der geänderten Gewohnheit, aus der Lockerung der Wahrnehmungsroutinen. So ist eine kreative Lösung zur Wiederaufrichtung des schiefen Turms von Pisa erkannt worden. Diese Idee entstammt einer Kinderzeichnung, auf der das Abtragen des Erdreichs auf der Seite zu sehen ist, die der Neigung des Turms abgewandt ist. Die betreuenden Ingenieure haben diese originelle Idee ausprobiert und erzielten verblüffend positive Ergebnisse. Der Turm richtete sich langsam wieder auf. Alle vorherigen Versuche und zum Teil sehr aufwendigen Konzepte schlugen fehl. Geistreiches Engagement erwächst aus „Inter-esse“, also der intensiven Integration der Akteure. Viele Unternehmen konzentrieren sich zwar sehr stark auf ihre Kernkompetenzen, vernachlässigen dabei jedoch stark die Visionsentwicklung und Förderung der ungerichteten Kreativität. Zudem werden die Visionen größtenteils im Führungskreis und weniger in Rückkopplung mit den Mitarbeitern und weiteren Stakeholdern interaktiv erarbeitet. So wird kreatives Potenzial verschenkt und die Akzeptanz zur Umsetzung innovativer Maßnahmen eher unwahrscheinlich. Zudem ist es erforderlich bei 266 Vgl. Bergmann, Meurer, 2003 267 Vgl. A. Zeilinger, Spukhafte Schönheit, Die Schönheit der Quantenphysik, CD Köln 2005 CD2

Kap. 1 268 Vgl. H. Mulisch, Die Prozedur, S. 243

179

4.2

4

Der Managementprozess

steigender Komplexität eine erforderliche Leistungsspanne zu realisieren, was nur mit einem hohen Maß an Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Akteure möglich ist. Probleme sind grundsätzlich lösbare Fragen, die durch die Erzeugung mannigfaltiger Verhaltensoptionen einer Lösung näher gebracht werden. Das Neue entsteht zumeist aus der Rekonstruktion von bekannten Elementen in einer situativ neuen Konstellation. Es werden innovative Muster erkannt, indem die Perspektive variiert wurde. Die Wahrscheinlichkeit, viele Sichtweisen und Wirklichkeiten zu integrieren steigt mit der Vielfalt und Heterogenität der beteiligten Personengruppen und dem Ausmaß der Distanzierung vom Gewohnten. Es gilt also, möglichst viele unterschiedliche Rollen, Funktionen und Charaktere in die kreativen Prozesse zu integrieren. Alle Funktionsträger wie Marketing-, Finanz-, Organisations- oder Produktionsexperten können im Veränderungsprozess sehr unterschiedliche Rollen wahrnehmen. Die Bandbreite reicht hier von „zaudernden Bedenkenträgern“ bis zu „rasenden Spinnern“.269 Rollen sind Erwartungsbündel, die sich in sozialen Prozessen allmählich herausbilden. Sie können aber auch spielerisch übernommen werden, um sich andere Sichtweisen zu veranschaulichen (role taking). So können die typischen Sicht- und Verhaltensweisen reflektiert und angereichert werden. In der dritten Phase des Lern- und Lösungszyklus (Solution Cycle) wird mit der Brain Map270 hauptsächlich überprüft, ob alle wesentlichen Rollen und Charaktere genügend berücksichtigt wurden und das Spektrum der Möglichkeiten damit ausgeschöpft wurde. Die Brain Map dient zudem der Förderung der Kreativität, die hauptsächlich aus dem Kontrast der verschiedenen Kompetenzen und Charaktere entsteht. Ein heterogenes Team erzeugt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein hohes Maß an Ideen und Lösungsansätzen. Entscheidend ist, inwieweit das Teammanagement eine stimmige Kultur entwickelt und den Rahmen für Kreativität gestaltet.

4.2.2.2

Kreativität und Lösungsorientierung: Irritationen und Distanzierung vom Gewohnten

Es ist insofern sinnvoll, einige Kreativitätshemmnisse und Ideen fördernde Methoden, die eng mit systemischem Vorgehen verwandt sind, aufzuzeigen. Ist doch der systemische Imperativ: „Handle stets so, dass neue Möglichkeiten entstehen“ (H. v. Foerster) als Aufforderung zu verstehen, die Kreativität zu beflügeln. Ein wesentliches Hemmnis der Kreativität liegt im menschlichen Geist verborgen. Das menschliche Informationsverarbeitungssystem arbeitet mit hoher Effektivität. Zur besseren Erinnerung bilden sich aus eingehenden Informationen Muster. Je mehr Informationen eingehen, die mit diesen Mustern bearbeitet werden können, desto stärker prägen diese Muster. So kön-

269 Vgl. G. Bergmann 2001 270 Vgl. zum Brain Mapping G. Bergmann, 2001, S. 74 ff. und die Ausführungen im Kapitel 3.1

180

Die Phasen des Managementprozesses

nen neue Informationen schneller erkannt und eingeordnet werden und Reaktionen schneller erfolgen, aber Neues und Anderes findet keine Resonanz. Typische individuelle Kreativitätshemmnisse:

„ Neue Informationen werden sofort in bekannte Muster eingeordnet, sobald sie nur eine geringe Ähnlichkeit zu diesen aufweisen.

„ Die Reihenfolge, in der Informationen aufgenommen werden, hat einen großen Einfluss auf deren Verarbeitung. Aus diesem Grund ist es sehr unwahrscheinlich, dass die daraus entstehenden Muster die Information optimal verwerten.

„ Informationen, die über mehrere Medien vermittelt werden, gelten als richtiger und bedeutender. Das Image der Sender spielt eine große Rolle.

„ Neuere Informationen werden älteren vorgezogen. „ Die Muster kontrollieren die Wahrnehmung. Man erkennt nicht, was man sieht, sondern man sieht nur, was man (bereits) kennt.

„ Information, die Teil eines Musters ist, kann nicht einfach für ein anderes Muster genutzt werden. Der Lösungsweg muss bei jedem Schritt sinnvoll sein. Unsinnig erscheinende Schritte werden sofort verworfen. Relational-kontextuelle Kreativitätshemmnisse sind:

„ Uniformität „ Mangelnde Offenheit „ Wenig Spielräume „ Tabus, enge Regeln „ Angst, Verunsicherung „ Mangelnde Partizipation und Integration Kreatives Denken besteht grundsätzlich in der Distanzierung vom Gewohnten. Nachfolgend sind die wesentlichen Unterschiede aufgeführt:

181

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-11: Grundlagen kreativen, lateralen Denkens vertikal

lateral

analytisch und logisch

ist provokativ und evokativ

ist selektiv

ist generativ und multiversal

bietet oder entwickelt Denkmuster

verändert bestehende Muster oder induziert neue sucht keine Richtung, versucht aber, neue Möglichkeiten zu eröffnen kennt kein Negatives

sucht eine Richtung, indem es andere Richtungen ausschließt nutzt das Negative, um Möglichkeiten auszuschließen der beste Ansatz, das Optimum, wird es werden neue Ansätze gesucht gesucht, auch wenn ein viel versprechender vorhanden ist sucht nach der richtigen Lösung, sucht vielfältig, läuft über geregelte Bahnen nutzt informelle Wege und distanziert sich vom Gewohnten („ver-rückt“) entwickelt jeden Schritt aus kann Sprünge machen und den dem vorherigen und ist fest mit ihm Zwischenraum später füllen, manche verbunden Schritte müssen falsch sein, um eine richtige Lösung zu erreichen verspricht zumindest eine Minimalerhöht die Chancen für eine lösung Maximallösung, macht aber keine Versprechungen verbindet Informationen zu Strukturen

zerlegt alte Strukturen, um Information freizusetzen

Der vorherrschende Denkprozess ist vertikales (auch lineares, logisches) Denken. Oft liegt der Akzent auf der Speicherung von Wissen und dem Trainieren analytischer Fähigkeiten. Durch diese natürliche und gesellschaftliche Vorbelastung wird verständlich, dass Kreativität eine wenig verbreitete Fähigkeit ist. Kreatives Denken und Arbeiten gewinnt aber mit der lateralen Methode. Dieser von Edward de Bono entwickelte Ansatz stellt eine wichtige Ergänzung zum vertikalen Denken dar.271 Die meisten Kreativitätstechniken nutzen das Konzept des Lateralen Denkens und sind eine gute Gelegenheit, dieses zu trainieren.

271 Vgl. E. de Bono 1970

182

Die Phasen des Managementprozesses

Kreativität beschreibt die Fähigkeit, Neues in Form von Ideen und Erkenntnissen zu formen bzw. zu finden. Die Kreation von Ideen kann kaum direkt angestrebt werden. Denn Neues zögert, wo es erwartet wird. Vielmehr ist ein geeigneter Kontext zu schaffen, in dem die Ideengewinnung wahrscheinlicher wird. Kreieren ist damit kein rein zufälliger, jedoch ein sehr unvorhersehbarer Prozess. Eine zu strenge Zielausrichtung führt eher nicht zur Lösung, da Menschen in angstfreier, lockerer, wenig zielstrebiger Stimmung besser zu Assoziationen und Kreationen in der Lage sind. Die Idee entspringt einer plötzlichen innovativen Verknüpfung von Wissenselementen. Hierfür gilt es, förderliche Kontexte zu kreieren, die aus der Umkehrung der o.g. Hemmnisse resultieren.

4.2.2.3

Die Praxis der Kreativität (Ideenfindungsmethoden)

Einige anschauliche Beschreibungen von Kreativitätstechniken sollen helfen, das Konzept des Lateralen Denkens zu verdeutlichen:

Brainstorming Beim Brainstorming öffnen die Denkanreize, die durch Ideen Anderer entstehen, den Rahmen der eigenen Ideenansätze. Eine erfolgreiche Nutzung von Kreativitätstechniken setzt geeignete Rahmenbedingungen für den Zeitraum ihrer Anwendung voraus. Wichtige Regeln aus dem Brainstorming dazu sind:

„ Der Verzicht auf Beurteilung und Kritisieren fremder Ideen. Die so genannten „Killerphrasen“ sind zu vermeiden.

„ Unzensiertes Vorbringen eigener Ideen, besonders verrückter, verwirrender oder alberner Ideen.

„ Anerkennung dieser Grundregeln für die Dauer des kreativen Prozesses. Ein Moderator achtet auf die Einhaltung der wenigen Regeln, erzeugt eine möglichst offene und hierarchiefreie Dialog-Kommunikation und versucht eine lockere, unge zwungene Atmosphäre zu entwickeln. Das Brainstorming kann als Grundform nahezu aller Kreativitätstechniken gesehen werden. Die Distanzierung vom Gewohnten, das zweckfreie Denken und Experimentieren und die symmetrische Kommunikationsform machen die kreative Lösungsfindung wahrscheinlich.

Sustainable Brief Solution Talk Gute Ideen brauchen nicht immer kreiert zu werden. Die Welt liegt voller Lösungen, die oft direkt nutzbar sind, wenn sie einem Problemfeld zugeordnet werden. Die Konkurrenten am Markt oder aus anderen Branchen, die eigenen Mitarbeiter, Kunden, 183

4.2

4

Der Managementprozess

Lieferanten, ungenutzte Patente, eigene Ideen der Vergangenheit usw. können Ideen und Lösungsansätze beisteuern. Dazu dient der Sustainable Brief Solution Talk (Bergmann, 2001). Ein Dialog, der zu dauerhaften Kurzzeitlösungen (DaKuzel) führen soll. Hinter diesem komplizierten und paradox anmutenden Begriff verbirgt sich eine theoretisch fundierte, aber einfach und schnell handhabbare Methode der kreativen Problemlösung. Ein Lösungsmoderator kann damit bis zu achtzig Personen begleiten. Das Vorgehen folgt dem Lern- und Lösungszyklus. Der Moderator achtet darauf, dass die Gruppe die einzelnen Phasen in genügendem Umfang durchläuft und alle Beteiligten mitwirken können. Zeichen von Widerstand (Ausscheren, Protest, Konflikte etc.) werden als Indikatoren genutzt, dass wesentliche Aspekte übergangen wurden oder dass das Timing nicht stimmt. Es wird zwar langsam und behutsam begonnen und jeweils geschaut, dass alle Phasen sinnvoll beendet wurden, aber die Lösungsorientierung beschleunigt den Prozess zusehends. Der Moderator lässt die Akteure sich selbst organisieren und Methoden frei wählen. Es gelten aber die folgenden Regeln:

„ Jeder muss jederzeit genügend Gelegenheit bekommen, seine Ansichten und Gefühle einzubringen.

„ Jeder trägt für das Gelingen die volle Verantwortung. „ Ursachen und Schuldige suchen ist untersagt. Das Problem wird als zwischen Menschen konstruiert angesehen.

„ Lösungen aus der Vergangenheit und anderen Bereichen suchen, Muster des Gelingens erkennen.

„ Nach jedem Schritt reflektieren. Jeder Schritt bildet wiederum einen Zyklus. Hier wird nicht nach Ursachen, Gründen und Schuldigen für ein Problem gesucht, sondern konsequent an Lösungen gearbeitet. Weil Probleme sozial konstruiert werden, kann man ebenso Lösungen kreieren. Vier Schritte sind dazu notwendig:

„ Beschreibung des Problems im Dialog. „ Suche nach einer Situation, in der dieses oder ähnliche Probleme schon einmal gelöst waren (bei Anderen oder in der eigenen Vergangenheit).

„ Erkennen der Unterschiede zwischen problematischer und problemfreier Situation. Bildung von Orientierungsmustern als Lösungsbestandteile.

„ Anwendung und Multiplikation der Muster. Die Vorgehensweise folgt dem Prozessschritten des Solution Cycles vom Erkennen multipler Wirklichkeiten über die Klärung der Hauptansatzpunkte, die freie Assoziation und Lösungsfindung, die Bewertung, Erprobung und Reflexion. Bei Bedarf kann in mehreren Episoden der Zyklus mehrfach durchlaufen werden.

184

Die Phasen des Managementprozesses

Umkehr- oder Kopfstand-Technik Bei dieser Technik wird die vorliegende Problemstellung in ihr Gegenteil verkehrt und zur Grundlage eines Brainstormings gemacht. Da dabei häufig unsinnig erscheinende Fragestellungen entstehen, fällt es leichter, spielerisch mit der Thematik umzugehen und die eigenen Einfälle unzensiert einzubringen. Verwandt erscheint auch die Frage, wie man die gegenwärtige Problemsituation noch verschlimmern kann. Eingefahrene Sichtweisen werden verlassen, da durch die Umkehrung von der eigentlichen Frage abgelenkt wird. In der zweiten Phase werden die so gewonnenen Ideen auf die ursprüngliche Problemstellung bezogen und für die Gewinnung von Lösungsansätzen genutzt. Ablauf: Problemstellung klären – Sammeln von Spontanlösungen – Umkehrungen der Problemstellung sammeln – eine der Möglichkeiten auswählen – 15 Minuten Brainstorming zu der selektierten, umgekehrten Problemstellung – zu jeder gefundenen Idee wird eine Umkehrung gesucht, die als Lösungsansatz für die Ausgangsfrage dienen kann.

Force-fit-Spiel Bei dieser Technik werden Worte genutzt, die nicht mit der Fragestellung in direkter Beziehung stehen, um Laterales Denken (Querdenken) anzuregen. Diese Reizworte werden gedanklich mit der Problemstellung in Verbindung gebracht. In diesem Spannungsfeld entstehen neue Ideen. Wie der Name schon sagt, wird diese Technik als Spiel durchgeführt. Die Teilnehmer werden in zwei Teams aufgeteilt und bestimmen jeweils für die andere Gruppe einzelne Begriffe, mit deren Hilfe Lösungsansätze für die Fragestellung gefunden werden sollen. Ablauf: Es werden zwei gleich starke Teams gebildet und ein Schiedsrichter und Protokollführer bestimmt. Das erste Team nennt einen Begriff, der möglichst wenig Bezug zur Problemstellung hat. Das andere Team hat zwei Minuten Zeit, anhand dieses Begriffes Lösungsideen für die Fragestellung zu entwickeln. Gelingt es ihm, mindestens einen Vorschlag zu machen, dann erhält es einen Punkt und dieses Team stellt den nächsten Begriff für das andere Team. Anderenfalls geht der Punkt an das erste Team und dieses darf einen weiteren Begriff nennen usw. Die Vorschläge werden für die spätere Auswertung protokolliert. Der Schiedsrichter entscheidet, ob ein Lösungsansatz geeignet ist und leitet das Spiel. Das Spiel sollte nicht länger als 30 Minuten dauern.

Attribute Listing Hierbei werden alle Eigenschaften und Merkmale eines Objektes oder einer Lösung aufgelistet. Dann werden die einzelnen Attribute systematisch analysiert, indem überlegt wird, wie das Merkmal auch anders gelöst, erzeugt oder genutzt werden könnte.

185

4.2

4

Der Managementprozess

Zum Beispiel kann ein Tisch in Hinblick auf Form, Farbe, Material, Gebrauchsnutzen, Verwendungsort, sozialen Nutzen usw. beschrieben und daraufhin mögliche Variationen entwickelt werden. Beispiel Tisch: Attribute

Mögliche Varianten

Massives Holz

Metall, Linoleum, Einlage, Materialkombination anderer Hölzer

Kantige Form

Formbar, veränderbar durch Nutzer

Metallbeschläge

Steckverbindungen

Esstisch

Schreibtisch, Konferenztisch oder Kombination aus allem

Gebrauchtmöbel

Skulptur im Raum

Brainwriting (Methode 6-3-5) Für diese schriftliche Variante des Brainstormings gelten alle Regeln ebenfalls. Es wird ein Schreibgespräch inszeniert, bei dem 6 Personen drei neue Ideen innerhalb von 5 Minuten erstellen und dann an weitere Personen weiterreichen bis alle Teilnehmer zu allen Lösungen Stellung genommen haben. In diesem Tauschzyklus werden sehr viele Ideen generiert und angereichert. Alle Teilnehmer arbeiten für sich, werden aber durch die anderen „Zettel“ inspiriert. Ablauf: Problemdefinition – sechs Personen bringen drei Ideen zu Papier – die Ideen wandern im Tauschzyklus zu allen Teilnehmern – Reflexion der Lösungen – Dialog und Auswertung.

Assoziationen Assoziationen sind mentale Verbindungen zwischen Ideen, Dingen und Erkenntnissen. Im Wesentlichen sind diese Assoziationen durch drei Phänomene ausgelöst: Die Erinnerung an eine Begebenheit durch ein Symbol oder Ereignis, die Ähnlichkeit der Form, Farbe, Inhalt sowie der Gegensatz. Bei freier Assoziation werden zu einem Startwort oder Satz weitere Begriffe und Gedanken notiert. Bei der regulären Assoziation wird der Zusammenhang zum vorgehenden Wort gefordert. Beide Vorgehensweisen eignen sich besonders zur Ideenfindung in einer Gruppe, wenn gemeinsam eine noch sehr offene Problemstellung besteht. So können zum Beispiel Gruppen- oder Teamnamen, Markenbezeichnungen, Slogans u. ä. sehr gut kreiert werden. 186

Die Phasen des Managementprozesses

Vorgehen: Initialsatz oder -wort aufschreiben, der bzw. das mit dem Problem zu tun hat – Wortassoziationen spontan bilden – Assoziationsserien auf Lösungsansätze überprüfen.

Verbale Checklisten der Kreativität Mit der verbalen Checkliste werden existierende Lösungen (Produkte, Konzepte, Systeme) kritisch reflektiert. Insbesondere geht es darum, immer wieder eine Situation zu schaffen, in der die ursprüngliche Lösung auf Aktualität und Sinn überprüft wird. Die wesentlichen Kriterien oder Fragen sind hier aufgeführt:

Abbildung 4-12: Kreativitätscheckliste

„ Aufzählung, Modifizierung möglich? Farbe, Form, Ton, Gestalt, etc. „ Kombination möglich? Ideen, Zwecke, Elemente, Sortimente Akteure „ Neue Nutzenbereiche denkbar? „ Verstärken? Hinzufügen, mehr Zeit, mehr Material etc. „ Reduzieren? Leichter, kürzer, konkreter? „ Neue Anordnung möglich? „ Umdrehen: Neue Perspektive, Rollentausch, Umkehrung „ Ersetzen: andere Akteure, Orte, Zeiten, Atmosphäre „ „Lösung“ definieren „ Durchspielen der Variationsmöglichkeiten in der verbalen Checkliste „ Sichtung der möglichen Veränderungen „ Konkretisierung von Verbesserungsvorschlägen „ Ergänzung oder Veränderung der ursprünglichen Lösung

Synectics Synectics ist eine weitere Form des Gruppen-Brainstormings. Die Ideen sollen hierbei aus der kreativen Verknüpfung von Objekten, Begriffen und Produkten entstehen. Die persönlichen, direkten und symbolischen Analogien erzeugen überraschende Perspektiven. Die Teilnehmer an Synectic-Dialogen werden zu Kritik und emotionalen Äußerungen angehalten. Es soll eine spannungsreiche Atmosphäre geschaffen werden.

187

4.2

4

Der Managementprozess

Vorgehensweise: Problemidentifikation – Zielsetzung, bisherige Lösungsansätze – Formulierung erster Vorstellungen und Assoziationen zum Problem – Auflistung der Ziele und Vorstellungen – Spontane Analogiebildung, Kritik und weitere Anknüpfungen – Vorläufige Fixierung einer Lösung – Weitere Durchläufe bis zu konsensfähigen Lösungsansätzen – ca. acht Teilnehmer – Dauer: ab zehn Minuten bis eine Stunde.

Kreativitätskreise (Problemlösegruppen) Ähnlich wie bei Qualitätskreisen setzen sich hier kleine Arbeitsgruppen zusammen, um Lösungen und Verbesserungen zu erarbeiten. Die Gruppen können verschiedene Formen von Kreativitätsmethoden verwenden und finden durch die Bildung der speziellen Teams einen geeigneten Rahmen für innovative Lösungen abseits der Arbeitsroutine. Die Kreativitätskreise können in allen Bereichen und Ebenen etabliert werden und dienen zur schnellen und kontinuierlichen Verbesserung und Problemlösung vor Ort. Wichtig für diese Gruppengespräche erscheint die dialogische Grundhaltung, also eine Gesprächsweise, in der alle Beteiligten den Eindruck gewinnen, sie werden klüger, sie gewinnen Erkenntnisse hinzu. Dies ist insbesondere wahrscheinlich, wenn ein hierarchiefreier Diskurs möglich ist, bei dem alle Akteure gleiche Geltungsansprüche stellen können, tabulos über Ansichten und Gefühle geredet werden kann. Ein unabhängiger Moderator gewährleistet dabei die Durchsetzung solch einer Atmosphäre. Als orientierender Leitfaden für die Lösungsgruppen bietet sich das Vorgehen nach den Schritten des Solution Cycles an. Ähnliche Ergebnisse sind auch mit den large group events erzielbar, die wir im letzten Kapitel zur Visionsentwicklung vorgestellt haben (Open Space etc.).

Morphologische Diagnose Die morphologische Diagnose setzt sich im Prinzip aus zwei Checklisten zusammen, die eine Matrix der Möglichkeiten oder Formen ergeben. So können zum Beispiel Attribute von Produkten (vgl. attribute listing) mit verschiedenen Funktionsvarianten (verbale Checkliste von Osborn) zusammengebracht werden. Es ergeben sich in der Matrix dann alle möglichen Kombinationen. Ein ähnliches Vorgehen soll von Autoren von Soap Operas und Groschenromanen genutzt werden. Sie kombinieren die Dimensionen Akteure (alter Mann, Gärtner, weise Frau, Tochter, Junge, H. Kohl) mit verschiedenen Funktionen (Mörder, Kommissar, Kneipier, Geliebte) und stoßen so zu immer neuen Variationen vor.

Wunderfrage Fragen Sie beim Auftauchen eines Problems folgende Frage: Es ist ein Wunder passiert, die Situation ist gelöst. Was hat sich geändert, wie sieht die Situation aus, wenn

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Die Phasen des Managementprozesses

alles gelöst ist? Man kann dabei erleben, dass die betreffenden Personen meistens Lösungen nennen, die durchaus erreichbar sind. Durch die Wunderfrage können Denkverbote (kann ich nicht, haben wir noch nie gemacht etc.) aufgehoben werden.

Tabula Rasa Methode (Zero Base Budgeting) Aus dem Controlling ist eine radikale Methode der Neubegründung bekannt. Wenn grundsätzlich alle Budgets in einem Unternehmen in Frage gestellt werden, müssen alle Etats neu begründet werden. Dadurch wird eine Reflexion von Usancen und Ansprüchen ermöglicht. Die gedankliche Neubegründung kann sehr zur Kreativität beitragen, weil die Akteure sich virtuell in die Situation des Anfangs zurückversetzen.

Selbstüberraschung (Leonardo da Vinci Methode) Leonardo da Vinci gilt als einer der kreativsten Menschen, den die Welt gesehen hat. Er soll sich unentwegt neu erfunden haben. Er kannte keine Ressortgrenzen oder Fachgebiete. Er war ein typischer „Neugierologe“, der überraschende Verknüpfungen herstellte und unterschiedlichste Techniken und Vorgehensweisen probierte. Zudem genoss er die Kommunikation mit den unterschiedlichsten Menschen. Experimentieren Sie mit sich selbst. Probieren Sie zum Beispiel jede Woche eine „verrückte“ Sache. Sammeln Sie Kinderklebekarten und verteilen Sie diese an Andere, lernen Sie chinesische Schriftzeichen, malen und schreiben Sie mit links (bei Linkshändern mit rechts), schreiben Sie einen Brief (handschriftlich), sprechen Sie mit „unsympathischen“ Menschen. Versuchen Sie etwas Erstmaliges, Nutzloses, Anderes zu tun. Die Liste der hier skizzierten Kreativitätsmethoden lässt sich noch unendlich erweitern. Alle folgen aber dem Prinzip der Distanzierung vom Problem. Meine Lieblingsmethode ist deshalb der Crazy Walk. Wenn man ein Problem „konstruiert“ hat, ist es sinnvoll, einen kleinen Spaziergang zu machen. Der kann in einem Cafe’ enden, in einer schrägen Ausstellung, einem Jazzkonzert oder ähnlichem. Je irritierender, desto besser: Das Leben ist voller Lösungen, die ein Problem suchen. Zusammenfassend kann man förderliche Bedingungen für Kreativität beschreiben.

189

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-13: Bedingungen für Kreativität Kreative Lösungen treten dort auf, wo

„ Platz dafür geschaffen wird „ Zeit gelassen wird „ wenig Strukturen, Hierarchien und Regeln existieren „ Fehler gemacht werden dürfen „ wenig kontrolliert und somit vertraut wird „ die Atmosphäre anregt „ Unterschiede bestehen „ viele verschiedene Menschen interagieren „ viele heterogene Methoden verwendet werden „ experimentiert wird „ Gemeinsames entsteht „ vielfältig kommuniziert wird „ gezweifelt werden darf „ gefördert wird und diverse Ressourcen bereit stehen „ eine Kultur des Dialogs etabliert und weiter entwickelt wird 4.2.2.4

Kundenintegrierte Innovationspolitik: Innovation als interaktiver Gestaltungsprozess

Innovationsprozesse basieren auf Unsicherheiten, wie uns neuere Forschungsergebnisse zeigen.272 So sind wirkliche Innovationen Einzelerscheinungen. Wer hätte je gedacht, dass das Zusammenspiel von Elektronik und Kamera zur digitalen Fotografie führen würde? Polaroid beispielsweise hat diese Entwicklung augenscheinlich völlig verkannt. Die Innovation des Mobiltelefons war ebenso wenig vorhersehbar, wie Entwicklungen in der Computerindustrie. Diese Unsicherheit macht Innovationen schwer einschätzbar und wenig planbar, gibt aber auch die Möglichkeit zu neuen Wissenshorizonten aufzubrechen, wenn die Herausforderungen denn genutzt werden. Jedes wissensbasierte System kann sich nur entwickeln, wenn es offen ist. Innovative Entwicklungen können nur in offenen Systemen entstehen. Der Fortschritt in Unternehmen bewegt sich vor allem auf der Mikroebene, aber die Ergebnisse sind systemisch zu spüren. Jede Veränderung in der Wissensbasis ist eine Veränderung des Systems. 272 siehe u.a. Dosi, G. 2000, Edquist 1999

190

Die Phasen des Managementprozesses

Innovationen sind ein ruheloses System, es gibt in wissensbasierten Ökonomien kein Gleichgewicht der Ruhe, alles ist in Bewegung, wie uns auch schon Schumpeter lehrte. Innovationen erfordern neues Wissen und damit stellt sich die Frage welches Wissen. Und Wissen hat eine einzigartige Eigenschaft, es existiert immer und nur in den Köpfen der Individuen. Wissen ist sozusagen immer tacit knowledge, immer inkorporiert in die Wissensstruktur von Individuen. Kodifiziertes und artikuliertes Wissen ist immer nur Information. Zu Wissen wird es erst in den Köpfen der Individuen, nachdem es als Information aufgenommen und in die subjektive Wissensbasis integriert wird. Für Innovationsentwicklungen ist somit die interne Organisation eines Unternehmens von Bedeutung, die Art und Weise wie der flow of information mit jeweilig individuellem Wissen korreliert und daraus Verstehen und Handlungen erwachsen. Innovationsentwicklung braucht also Kommunikation und Interaktion, sowohl innerhalb einer Organisation als auch nach außen. Es ist nützlich, sich die Organisation eines Unternehmens als eine Vermittlungsstruktur vorzustellen, welche das Wissen der einzelnen Mitglieder zu einem gemeinsamen Erfolg führt.273 Diese Perspektive von korrelierendem Verstand in und zwischen den Individuen, ist ein sozialer Prozess menschlicher Interaktion. Innovationsentwicklung ist aufgrund dessen als kommunikativer Prozess menschlicher Interaktion zu fassen, will man die Bedingungen unter denen Innovationen entstehen besser verstehen lernen. Unter Nutzung der Informationstechnologie können Unternehmen heute in weltweite Netzwerke involviert sein. Man sollte diese Netzwerke allerdings nicht als „Wissensnetzwerke“ bezeichnen, sie sind eher „Informationsnetzwerke“, da die Informationen, die in ihnen vorliegen, immer durch die Individuen aufgenommen, interpretiert und in die individuelle Wissensstrukturen integriert werden müssen. Die Interpretation von Informationen ist in den unterschiedlichen Köpfen der Rezipienten angelegt.274 Das Wachstum des Wissens in einer Organisation hängt von den Möglichkeiten unterschiedlicher Interpretationen des Informationsflusses ab. Offenheit, Kommunikation und Interaktion sind hier die Garanten der Entwicklung. Alle Innovationen basieren mehr oder weniger auf Widersprüchen und Meinungsverschiedenheiten. Deshalb müssen Unternehmen in ihre eigenen Verstehensprozesse investieren, wenn sie an innovativen Informationsnetzwerken effektiv teilnehmen wollen. Die „knappen“ mentalen Kapazitäten müssen jeweils damit beschäftigt sein, privates Wissen nutzbar für die Organisation zu machen.275 In welcher Form dies geschehen sollte, gehört zum Untersuchungsbereich des avisierten Forschungsprojektes. Innovationen sind interaktive Prozesse, die aus dem Austausch und der Interpretation von Wissen zwischen Individuen bestehen, die in Organisationen handeln. Innovationen sind so in erster Linie kommunikative Prozesse, keine technischen. Innovationsprozesse sind Experimentierfelder, Entdeckungsprozesse mit unsicherem Ausgang. Um die Unsicherheit zu reduzieren gibt es zwei Wege: Nichts zu tun und alles so zu 273 Siehe Leonard-Barton 1995 274 Siehe Arthur, W. B. 2000 275 Siehe dazu u.a. Cohendet, P. and Meyer-Kramer, F. 2001 und Witt, U. 2003

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4.2

4

Der Managementprozess

lassen wie es ist – der sichere Untergang für fast jedes Unternehmen. Oder sich darauf einzulassen, die kommunikativen und interaktiven Prozesse zu stärken und reflektiv zu entwickeln. So gibt es beispielsweise eine Reihe von Methoden, wie Kunden in den Innovationsprozess integriert werden können. Von Remote Testing, Participatory Design, User Experience Controlling, über Out of the Box Tests, User Experience Tests bis zu Tiefeninterviews reicht die Methodenvielfalt, um nur einige zu nennen. Des Weiteren sind Innovationsprozesse in Unternehmen in Marktprozesse eingebunden. Und der entscheidende Faktor ist hier, ob sich im Nachhinein die Innovation als profitabel herausstellt. Auch dies ist unsicher und nicht im Vornhinein zu garantieren. Der dritte Aspekt ist, dass der systemische, emergente Prozess des Gruppenverständnisses der direkte Weg zur Innovationsbasis in Organisationen ist. Das Wissen in einer Organisation basiert auf der mentalen Arbeitsteilung. Die Arbeitsteilung spiegelt sich nicht nur im Produktionsprozess, sondern auch im „Mentalbereich“ einer Organisation wider. Wenn die Arbeitsteilung im Produktionssystem und im „Mentalsystem“ in einer Unternehmung nicht allzu stark voneinander getrennt ist, dann gibt es gute Gründe dafür, dass Innovationsprozesse leichter entstehen. Trotzdem bleibt immer ein Rest an Zufall bestehen, durch den Innovationen entstehen – so wie beispielsweise bei Alexander Flemmings Entdeckung des Penicillins, was zu einer der größten medizinischen Innovationen wurde. Um den Zufall besser handhaben zu können, kann man auch unter dem Aspekt der Dynamic Capabilities, dem Vermögen einer Organisation Innovationen zu entwickeln, beleuchten.276 Diese Dynamic Capabilities sind gelernte und stabile Muster kollektiver Aktivitäten, durch die eine Organisation systematisch ihre Arbeitsroutinen erzeugt und modifiziert. Dabei wird jeweils die Effektivität der Arbeitsroutinen durch eine ständige Prozessverbesserung entwickelt.277 Dieser Prozess ist ein interaktiver und kommunikativer Prozess nach innen wie nach außen. Um die innovatorische Fähigkeit zu erhalten, bedarf es also nicht nur der Offenheit sozialer Systeme, sondern es müssen auch die jeweiligen Interaktions- und Kommunikationsmuster ständig verbessert und angepasst werden. Was nützt es beispielsweise, wenn ein Unternehmen eine effektive interne Kommunikation hat, aber in der Außenkommunikation eklatante Schwächen aufweist. Viele Organisationen, insbesondere solche, die stark administrativ geprägt sind, und darunter fallen nicht nur öffentliche Verwaltungen sondern auch Großunternehmen, befassen sich kommunikativ oftmals mehr mit sich selbst, als mit der Außenwelt, für die sie Produkte oder Dienstleistungen entwickeln. So ist etwa der Flop der Deutschen Bank bei der Trennung in Primärkunden und Sekundärkunden in Deutsche Bank und Bank24 augenscheinlich gewesen, niemand hat dies allerdings frühzeitig überprüft. Ebenso ist die technische „Aufrüstung“ der Automobile bei Daimler Chrysler in einem chaotischen Prozess mit Rückrufaktionen und letztlich Teilrücknahmen der technischen Gimmicks geendet. Die mäßigen Verkaufszahlen der VW-Nobelkarosse „Phaeton“ führten dazu, dass der Verkauf auf dem amerikanischen Markt eingestellt wurde. 276 Siehe u.a. Zollo, M./Winter, S. 2003, S.339–351 277 Siehe Tether, B.S./Metcalfe, J. 2003, S. 437–476

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Die Phasen des Managementprozesses

Die Einführung neuer Ticketstrukturen nach dem Muster von Flugbuchungen führte bei der Deutschen Bahn zu einem Desaster und endete in der Rücknahme der „Innovation“. Die Liste der Beispiele über mangelnde externe Kommunikation und Interaktion in der Innovationsentwicklung wäre beliebig fortzuführen. Können sich Großunternehmen solche Verhaltensweisen noch erlauben, so sind sie bei kleinen und mittleren Unternehmen meistens ökonomisch tödlich. Eine mangelnde interaktive und kommunikative Gestaltung von Innovationsprozessen ist bei KMU noch unentbehrlicher als in Großunternehmen.

4.2.3

Methoden der Kundenintegration: CoP, Usability QFD, Workshops, Science of shopping

Auf der Suche nach den Kundenbedürfnissen bedienen sich Unternehmen den nahe liegenden Quellen wie Mitarbeiterideen, Reklamationsstatistiken oder Kundenzufriedenheitsbefragungen. Auf diese Art schafft das Unternehmen ein Bild der vom Kunden gewünschten Leistungen und seines Nutzens. Der wahrgenommene Kundennutzen muss aber nicht mit der Sichtweise der Akteure im Unternehmen übereinstimmen. Ob z. B. eine ständig flackernde Anzeige der Frequenzen am CD Player den Kunden begeistert, ist durchaus fraglich. Solche vom Unternehmen als Innovation empfundene Produktneuerung kann nur dann als zukunftsfähige Innovation gesehen werden, wenn Kunden diese so bewerten.

Marke und Funktionalität Praxisfähiges Wissen über Kundennutzen und Kundenbedürfnisse ist für das Unternehmen zu systematisieren, zu strukturieren und permanent zu prüfen. Dabei kann der Kundennutzen hinsichtlich des Gebrauchsnutzens und des Markennutzens unterschieden werden. Während der Markennutzen stark mit der Wirkung eines Produkts durch dessen Image, Herkunft, Name, Design usw. zusammenhängt und durch die Leitmotive menschlichen Handelns geprägt wird, ist der Gebrauchsnutzen eher an der physischen und anthropologischen Brauchbarkeit eines Produkts orientiert. Markennutzen erweitert, stabilisiert und ergänzt den Gebrauchsnutzen eines Produkts. Eine Marke bildet sich relational in der Interaktion mit den Kunden. Individuell wird auf der Basis der jeweiligen Erfahrungen und Leitmotive Bedeutung zu gemessen und spezifische Assoziationen ausgelöst. Eine exklusive Marke kann nur mit von Kunden zugesprochener und jeweilig bestätigter Produktqualität geschaffen und aufrechterhalten werden. Eine Marke ist gleichzeitig ein Qualitätsversprechen an Kunden und bürgt auch bei Produktneueinführungen für die Einhaltung bestimmter Nutzenbedürfnisse. Da Marken- und Gebrauchsnutzen miteinander korrelieren, kann ein Markennutzen nur auf Grundlage der Gebrauchsnutzen entstehen. Der individuell zuerkannte Gebrauchsnutzen kann in Kunden-Workshops bewertet werden, in denen die Funktionalität eines Produktes für bestimmte Menschen in bestimmten Situationen

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4.2

4

Der Managementprozess

getestet werden. Eine ausgeprägte Funktionalität ist für ein Produkt umso wichtiger, je bedeutender die technischen Funktionen die Wertigkeit des Produktes prägen. Bei einem Parfüm dominiert die Marke über die Funktionalität des Verschlusses, während bei einem Auto Marke und Funktionalität gleichermaßen relevant sind und bei einem Videorecorder, einem Feuerlöscher die Funktionalität überwiegt. Mit den Methoden der Kunden- und Nutzerintegration werden aktuelle oder potenzielle Verwender mit in den Prozess der Innovationsentwicklung einbezogen, um nutzerfreundliche Lösungen zu generieren und die Akzeptanz zu ermöglichen. Bei allen Methoden geht man davon aus, dass wesentliche Informationen weniger auf dem Wege einer rationalen Analyse oder Befragung von Nutzern gewonnen werden können, da das Verhalten und die Bewertung vorrangig unbewusst ablaufen. Vielmehr konzentriert man sich hierbei auf die Beobachtung des Verhaltens und die daraus resultierende Extraktion von wirksamen Mustern der Gestaltung.

Communities of Practice (CoPs) Der wohl umfassendste Ansatz bei der Nutzer orientierten Entwicklung sind die so genannten Communities of Practice. Hierbei werden Netzwerke von Akteuren gebildet, um das Wissen und die Kompetenz für die Entwicklung von komplexen Projekten wie Innovationsentwicklungen zusammenzubinden. Schon 1991 prägten Lave und Wenger diesen Begriff, um damit ein System des Wissensaustausches und des kollektiven Lernens zu charakterisieren.278 In einer CoP arbeiten verschiedene Nutzer und Experten zusammen, um ein gemeinsames Problem einer Lösung zuzuführen. Besonderes Merkmal der CoPs sind zudem der hohe Selbstorganisationsgrad, die Akteure werden lediglich durch einen Moderator koordiniert und an gemeinsam entwickelt Regeln erinnert – und die große Offenheit. Als ein typisches Beispiel kann das Open Source Development gelten. Hierbei arbeiten Akteure auf freiwilliger Basis an der Entwicklung eines komplexen Produktes. Auf diese Weise ist das Softwareprogramm LinuX entstanden, ohne dass die Programmierer dafür eigens motiviert werden mussten. Einzig die Idee, eine Alternative zu Microsoft Programmen zu schaffen, erzeugte Engagement und Identität.

Participatory Design Das so genannte Participatory Design steht in der Tradition des User Centred Design, unterscheidet sich jedoch insofern, als dass es einen relationalen oder dialogischen Ansatz verfolgt: Alle an der Produktentwicklung Beteiligten (Produktmanager, Marketing, Vertrieb, Designer) werden mit Nutzern zusammengeführt. Die Teilnehmer vertreten gleichberechtigt ihre Interessen und Anforderungen an das Produkt. Ziel ist es, Wünsche und Vorstellungen aller Beteiligten im gesamten Entwicklungsprozess zusammenzuführen: 278 Vgl. Lave/Wenger 1991, S. 98

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Die Phasen des Managementprozesses

Feedback wird kontinuierlich eingeholt, was zu einer Steigerung des usable designs führt. Die Workshops werden zu Foren, die wichtige Aspekte aus Nutzersicht hervorbringen. Die informelle Atmosphäre fördert dabei die Kreativität. Die Beteiligten werden gebeten, ihre Meinungen und Wünsche nicht nur zu verbalisieren, sondern mit verschiedenen „Werkzeugen“ (Papier, Stifte, Knetmasse, Klebstoff) und visuellen Stimuli (Abbildungen, Phrasen, etc.) zu realisieren. Es entsteht eine kreative und produktive Atmosphäre, in der das Produkt gemeinsam weiterentwickelt wird. Gleichzeitig wird bei den Produktverantwortlichen das Bewusstsein für die Bedürfnisse der Nutzer geschärft. Ergänzend können Feldbeobachtungen, Leitmotivchecks, Fallbeschreibungen und Designtests durchgeführt werden.

Usability labs: Labore für Kundennutzen Der Usability-Test279 wurde in den 80er Jahren in den USA entwickelt und in Europa seit Ende der 90er Jahre systematisch in einigen Großunternehmen (z.B. Nokia, Siemens) eingesetzt. Ziel des Tests ist es, durch systematische Kundenbeobachtung beim Umgang mit einem Produkt Verbesserungspotentiale für die Nutzbarkeit aufzudecken, neue Anwendungen vorhandener Produkte zu erkennen oder Ideen zu neuartigen Lösungen zu entdecken. Unsichtbar für Produktentwickler ist oftmals das direkte Feedback von Kunden und die unmittelbare Möglichkeit diese Erkenntnis im Entwicklungsprozess einfließen zu lassen. Bei diesem Test werden Kunden verschiedener Herkunft in verschiedenen Situationen unabhängig voneinander mit der Lösung eines bestimmten Problems beauftragt. Dabei ist der Einsatz herkömmlicher und bekannter Produkte vorgesehen. Es werden eigene wie auch Wettbewerbsprodukte verwendet. Die Probanten werden beim Lösen dieser Aufgabe von interdisziplinären Teams aus Produktentwicklern, Ingenieuren, Designern, Psychologen, Arbeitswissenschaftlern und Marketingexperten beobachtet. Der Usability-Test zeigt auf, welche Produktmerkmale dem Kunden wichtig sind, wie er mit Neuerungen, veränderten Funktionalitäten und den Grundfunktionen eines Produkts umgeht. Insbesondere bei technisierten Produkten wie Mobiltelefonen, Fernsehern, Videorecordern, Autos, Fahrkartenautomaten oder Software neigen Hersteller zu Produktausstattungen, die durch ihre Komplexität beeindrucken sollen. Durch diese Komplexität können aber viele Funktionen in der Anwendung nicht erkannt und nicht bedient werden, weil sie nicht intuitiv bedienbar sind oder der vermeintliche Nutzen für den Kunden zum Ärgernis mutiert. Durch den Gebrauchsnutzentest sollen die Benutzerfreundlichkeit, die Bedienbarkeit und die Nutzeneigenschaften von Produkten getestet werden. Dabei ist die Kunst der Einfachheit gepaart mit Innovationsfreude ein Erfolgsfaktor für Unternehmen, der durch Tests im Usability-Labor gezielt entdeckt und gefördert wird. Die Erfahrungen der Anwender dieser Testmethode zeigen, dass mit nur 5 repräsentativ 279 Bailom, F./Hinterhuber, H./Matzler, K./Sauerwein, E. 1996, Rösler, F. 1995 und Kano, N. 1984

195

4.2

4

Der Managementprozess

ausgewählten Personen bereits 80% – 90% aller Produktschwachstellen erkannt werden. Auch für die Beobachter entsteht ein bleibender Eindruck und Lerneffekt, da bisher unbewusste Begeisterungseffekte und störende Aspekte erst aus der experimentellen Beobachtung offenbar werden. Ein Usability-Test kann je nach Produkt einige Stunden bis einige Tage dauern. Die Beobachtungen werden systematisch ausgewertet (siehe Tabelle: Beispielhafte Fragen bei der Durchführung eines Usability-Tests), dokumentiert und in Anforderungen für die Produktentwicklung umgesetzt. Große Verbreitung findet das Verfahren heute im Bereich der Softwareentwicklung und des Webdesigns und zunehmend beim Test von aufwändigen Gebrauchsgütern wie Autos und Elektronikhardware. Die Methode eignet sich in jeder Phase des Entwicklungsprozesses und über den gesamten Lebenszyklus zur Prüfung der entwickelten Produkte. Grundsätzlich sollte ein Usability-Test spätestens am Ende der Prototypenphase durchgeführt werden. Da Usability-Tests zur Verringerung von Entwicklungskosten und Produktflopwahrscheinlichkeiten beitragen, sind sie jedoch insbesondere für den technisch und technologisch orientierten Mittelstand zur Risikoreduzierung attraktiv. Die für Kunden relevanten Leistungsmerkmale von Produkten lassen sich nach dem Kano-Modell in drei Kategorien differenzieren (siehe Abb.). Neben den Begeisterungsfaktoren gibt es Leistungs- oder Schlüsselfaktoren, die bei hoher Ausprägung am Produkt mit entsprechender Kundenzufriedenheit honoriert werden. Diese Faktoren sind Kunden bewusst und werden explizit gefordert. Fehlen diese Eigenschaften, so entsteht Unzufriedenheit. Beim Kauf eines neuen PKW ist z.B. heute die Anzahl Airbags ein Leistungsmerkmal. Gegenüber den Leistungsfaktoren sind Basisfaktoren ein Muss bei der Ausstattung von Produkten. Mehr dieser Merkmale bringen keine Erhöhung des Kundennutzens und der Kundenzufriedenheit, das Fehlen drückt sich jedoch in starker Unzufriedenheit aus. Beim Kauf eines Neuwagens werden Servolenkung, Zentralverriegelung und Antiblockiersystem nicht mehr gefordert – sie werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Mehr Servolenkung bringt jedoch kein Mehr an Zufriedenheit. Das wirkliche Differenzierungsmerkmal von Produkten drückt sich in den Begeisterungsfaktoren aus, die sehr schwer zu entdecken sind. Drücken Kunden Anforderungen für Begeisterungsmerkmale aus, so handelt es sich gleichsam um Leistungsfaktoren, die im gleichen Zug mit einem Mehr gefordert werden. Kunden lassen sich mit Produktmerkmalen begeistern, die sie nicht erwarten und die ihren Bedarf doch besonders treffen. Auf diese Weise sind stufenlose Automatikgetriebe, Abstandsregelungssysteme, Navigationssysteme oder automatisch abblendende Innenspiegel bei heutigen Fahrzeugen entstanden. Zur Erkennung von Begeisterungspotential bei Produkten ist die Kenntnis der expliziten und impliziten Kundenbedürfnisse eine Grundvoraussetzung. Begeisterungsfaktoren schaffen den qualitativen Wettbewerbsvorteil und sorgen beim Kunden für erhöhte Preisbereitschaft. Wären die heute Begeisterten vor Jahren gefragt worden, welche Produkte sie sich wünschen, um begeistert zu sein – es wäre ein VW Golf ohne Airbags, ein Telefon mit Schnur und Wählscheibe oder ein gutbürgerliches

196

Die Phasen des Managementprozesses

Restaurant herausgekommen. Nicht weil Menschen nicht ausreichend intelligent wären, um ihre Begeisterungsbedürfnisse zu schildern – sie kennen sie einfach nicht. Genau diese Begeisterung bzw. Flow schaffenden Produkte und Leistungen sind es, die den Mehrwert für Kunden ausmachen. Da Kunden ihre Bedürfnisse in dieser Hinsicht nicht bewusst sind, steht die Beobachtung im Vordergrund. Ergänzend können Interviews durchgeführt werden, um eine gemeinsame Interpretation zu ermöglichen.

Ziele der Kano-Methode: „ genauere Abschätzung des Einflusses der Kundenanforderungen auf die Kundenzufriedenheit

„ Entwicklung maßgeschneiderter Leistungspakete für verschiedene Kundensegmente

„ Schaffung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber der Konkurrenz „ Ableitung von Prioritäten für die Produktentwicklung Einsatzgebiet:

„ im Rahmen der Produktprofilplanung zur Strukturierung von Kundenanforderungen

„ geeignet insbesondere bei komplexen Produkten mit einer großen Anzahl unterschiedlicher Kundenanforderungen Voraussetzungen

„ Identifizierung einer repräsentativen Kundengruppe „ gutes Kunden-Hersteller-Verhältnis Vorgehensweise: Die Durchführung der Kano-Methode kann in den Schritten des Solution Cycles erfolgen Diagnose: Erkennen von Kundenanforderungen:

„ Was assoziiert der Kunde mit der Verwendung eines Produktes oder Angebotes? „ Welche Probleme oder Ärgernisse verbindet der Kunde mit der Verwendung des Produktes?

„ Welche Kriterien berücksichtigt der Kunde beim Kauf des Produktes?

197

4.2

4

Der Managementprozess

Therapie:

„ Welche neuen Eigenschaften oder Serviceleistungen können die Erwartungen des Kunden noch besser erfüllen?

„ Was würde der Kunde am Produkt ändern? „ Welche Faktoren könnten den Kunden oder Nutzer begeistern? Reflexion:

„ Welche allgemeinen Muster bezüglich Gestaltung und Vorgehensweise kann man aus dem Projekt ableiten?

Abbildung 4-14: Kano-Modell (Usability) Kundenzufriedenheit

Begeisterungsfaktoren (Flow) neu, unbewusst, überraschend

Erfüllungsgrad

Schlüsselfaktoren (Wettbewerbsvorteil) erwartet, bewusst

t

Basisfaktoren selbstverständlich erwartet

Rapid Prototyping Prototyping soll schon das Erfolgsrezept von Alfred Hitchcock gewesen sein. Er testete Reaktionen auf Geschichten, die er bei Cocktailparties erzählte, experimentierte mit verschiedenen Abwandlungen der Story, die auf Kommentaren des Publikums basierten und testete schließlich Filmsequenzen am Publikum. Der berühmte Film „Psycho“ war eines von vielen Ergebnissen. Prototyping bedeutet, iterative Zyklen von Design, Evaluation und Verbesserung des Designs durchzuführen, wobei künftige Benutzer das Design anhand von Prototypen bewerten. In weiteren Designvorgängen sollen dann Verbesserungen und Verfeinerungen erzielt werden.

198

Die Phasen des Managementprozesses

Auch in vielen industriellen Bereichen (Autoindustrie, Elektronik, Architektur etc.) ist Rapid Prototyping280 ein wesentlicher Bestandteil des Entwicklungsvorgangs. Es wird mindestens ein Prototyp des Endprodukts erstellt, von Benutzern getestet und, falls Verbesserungswünsche existieren, entsprechend geändert. Es wird davon ausgegangen, dass der Prototyp so schnell erstellt werden kann, dass genug Zeit bleibt, um auch grundlegende Veränderungen, die nach der Evaluation gewünscht werden, durchzuführen. Auch aus der Entwicklung interaktiver Systeme ist Rapid Prototyping mittlerweile als zentrales Element der meisten Entwicklungszyklen nicht mehr wegzudenken. Für ein Rapid Prototyping ist es notwendig, dass mit Modellen gearbeitet wird. Prototypen sind unvollständige Teile des Gesamtsystems, die es ermöglichen, Designideen ausprobieren zu können. Während es für Benutzer meist problematisch ist, sich Designideen vorstellen zu können bzw. technische Dokumente und Beschreibungen zu kommentieren, erlauben es Prototypen schnell Feedback zu bekommen. Rapid Prototyping ermöglicht bereits während der Entwicklungsphase effektives Testen eines Prototypen innerhalb eines kurzen Zeitraums. Fehler und Probleme können frühzeitig erkannt und eliminiert werden, so dass keine unnötigen Entwicklungskosten entstehen. Wenn keine Prototypen (Dialogsimulationen oder ausführbare Spezifikationen) erzeugt werden, so müssen sehr viele Designentscheidungen getroffen werden, ohne die Möglichkeit zu haben, diese visuell darzustellen. Dies erschwert die Kommunikation innerhalb des Designteams, das aus Experten verschiedener Fachbereiche (Psychologie, Ergonomie, Informatik, Visuelles Design etc.) besteht, und auch die Kommunikation zwischen Kunden, künftigen Benutzern, Managern und Entwicklern. Benutzer und Manager können oft erst angesichts eines lauffähigen Systems die Anforderungen an ein solches System deutlich machen. Ist das Design schließlich implementiert, dann ist es zu spät, Änderungen vorzunehmen. Auch Entwickler haben Probleme mit konventionellen Entwicklungszyklen. Sie lassen sich nur ungern in die Abläufe pressen, die ihnen das Prozessdesign vorschreibt. Neben Kommunikations- und methodischen Problemen existiert auch nach wie vor das Designproblem an sich. Ebenso wenig wie Methoden, die automatisch zum Ziel führen, gibt es konkrete Kriterien und Richtlinien für qualitativ gute Gestaltungen, an denen sich der Designer orientieren könnte. In der Literatur sind zwar eine Vielzahl psychologisch fundierter Kriterien zu finden, diese sind jedoch nicht konkret genug und können nur als grobe Richtlinien verwendet werden. Schließlich entscheidend sind die unbewussten Ansprüche der Nutzer, die über den Erfolg entscheiden.

280 ASI (Hrsg.) 1989 und Milton Keynes und Gebhardt, A. 2000

199

4.2

4

Der Managementprozess

Quality Function Deployment (QFD) QFD (Quality Function Deployment)281 ist eine zu Beginn der siebziger Jahre in Japan von Professor Akao u.a. entwickelte Qualitätsmethode zur Ermittlung der Kundenanforderungen und deren direkten Umsetzung in die notwendigen technischen Lösungen. QFD, sinngemäß übersetzt mit „Aufmarsch der Qualitätsmerkmale“, wird als ein vorbeugendes Werkzeug zur Produktdefinition eingesetzt und hat über die USA Eingang nach Europa gefunden. Es ist ein systematischer Weg, der sicherstellt, dass die Festlegung der Produktmerkmale durch die Entwicklung und die anschließende Auswahl der Produktionsmittel, Methoden und Kontrollmechanismen ausschließlich von den Anforderungen der zukünftigen Kunden bestimmt werden. Insofern ähnelt QFD dem Usability Lab, es wird nur vornehmlich für Investitionsgüter eingesetzt. QFD ist deshalb ein wichtiger Bestandteil der vorbeugenden Qualitätssicherung nach ISO 9000ff bzw. QS9000. QFD ist keine Qualitätssicherungsmethode im herkömmlichen Sinne, sondern eine Kunden orientierte Produktplanungsmethode. Der strategische Ansatz ist die Trennung der Kundenanforderungen („Was“) von den technischen Lösungsmerkmalen („Wie“), um zu verhindern, dass ohne genaue Kenntnisse der Kundenanforderungen sofort Produktmerkmale festgelegt werden. Die Kundenanforderungen werden oft durch einen direkten Kundenkontakt ermittelt („Voice of the Customer (VoC)“). Die meist sehr groben, vagen Äußerungen der Kunden müssen aber anschließend in definierte, aussagefähige und weit gehend messbare Kundenanforderungen (Kundenbedürfnisse) umgewandelt werden, ohne sie dabei zu verfälschen. Zur Unterstützung und Dokumentation wird dazu oft die 6-W Tabelle herangezogen (wer, was, wo, wann, wie viel, warum). Unterschieden wird wie im Kano-Modell auch in:

„ Basisanforderungen (oft erst bewusst wenn sie fehlen, werden vorausgesetzt) „ Leistungsanforderungen (werden genannt, sind meist messbar) „ Begeisternde Anforderungen (oft nicht genannt, nur als Bedürfnis angedeutet, werden als Überraschung gewertet, entscheiden über Verkaufserfolge) Als „Kunde“ werden nicht nur die Käufer und Nutzer eines Produktes gesehen („Externer Kunde (Käufer)“), sondern auch alle Beteiligten des Umsetzungsprozesses („Interner Kunde“). Für jede Anforderung an ein neues Produkt werden im ersten Schritt verschiedene Prioritäten durch den zukünftigen Kunden vergeben, die dann über das QFDVerfahren durch festgelegte Regeln zusammengefasst und gewichtet werden. Dabei werden die für den Kunden wichtigen Qualitätsmerkmale in einem Qualitätsplan festgelegt.

281 Vgl. Akao, Y. 1992 und Saatweber, J. 1997

200

Die Phasen des Managementprozesses

In einem zweiten Schritt werden anschließend über einer Korrelationsmatrix alle möglichen, verschiedenen technischen Lösungsmöglichkeiten mit den Kundenanforderungen verknüpft und die Beziehung bewertet: keine, schwache, mittlere oder starke Beziehung. Durch die anschließende Auswertung der Matrix werden die Lösungen ermittelt, die den höchsten Erfüllungsgrad zu allen Anforderungen haben. Aber es werden auch die Lösungen ermittelt, die keine (oder sehr schwache) Beziehungen zu den Anforderungen besitzen und daher meist unnötig sind (overengineering) oder die Anforderungen, die nicht erfüllt sind. Im Dach des „House of Quality“ werden durch einen paarweisen Vergleich die Beziehungen der verschiedenen Lösungsmerkmale untereinander (positiv, negativ, neutral) festgelegt. Sie ermittelt vor allem Konflikte dieser Lösungsmerkmale untereinander, die dann im Einzelnen, meist durch Kompromisse, gelöst werden müssen. Deshalb wird diese Matrix auch oft als Konfliktmatrix bezeichnet. Das Ergebnis ist eine nach Kundenprioritäten ermittelte Produktplanung. Zur Auswertung und Dokumentation wird heute überwiegend das „House of Quality (HoQ)“ eingesetzt, das die QFD-Matrix und die verschiedenen Bewertungstabellen, -listen und weitere Dokumentationen zusammengefasst darstellt. Damit werden auch übersichtlich die verschiedenen Wechselwirkungen der vielen, oft komplexen Zusammenhänge verdeutlicht. In drei weiteren „Houses of Qualities“ wird die Umsetzung dieser Anforderungen in Produktgestaltung, Fertigung, Dienstleistungen und Prozesskontrolle festgehalten. Die ermittelten Lösungsmerkmale werden an das nächste „House of Quality“, das den nächsten Prozessschritt beschreibt, als Anforderung weitergegeben und wieder in einer Matrix mit den dort ermittelten Lösungen verknüpft. Dies ergibt eine Kette oder ein Netz von HoQ’s (deployment), dessen Struktur sich an die Prozessschritte oder Projektplänen anlehnt. Durch die Verbindung von Target Costing und QFD in einem Zielkostendiagramm wird eine aus Käufersicht qualifizierte Zielkostenaufteilung vorgenommen (Design to Cost). Die Anwendung von QFD erfordert eine stark teamorientierte Arbeitsweise im Unternehmen, die Unterstützung des Managements ist eine notwendige Voraussetzung. Nicht nur die Mitarbeit der Entwicklungsabteilungen ist zwingend erforderlich, sondern auch die von Organisation, Logistik und besonders Marketing-Vertrieb. Die Arbeitsgruppen, werden meistens von einem neutralen QFDModerator, der für die Einhaltung der QFD Regeln verantwortlich ist, geleitet. QFD ist ein sensibles Werkzeug, welches schnell in Formalismus und Detaillismus endet. Es gilt deshalb der Satz von Akao: „Copy the spirit, not the form.“ QFD löst mehrere, miteinander verbundene Aufgaben:

„ Diagnose der Kundenanforderungen. „ Entwickeln der Flow- Faktoren durch die für den Kunden überraschenden Lösungen (begeisterter Kunde).

201

4.2

4

Der Managementprozess

„ Verstehen der verschiedenen Anforderungen von Kunden, Nutzer, Entwickler, Produzenten, Verkäufer.

„ Erstellen der Bewertungsprofile, Wechselbeziehungen der einzelnen Anforderungen/Lösungsmerkmale.

„ Festlegen der für die Qualität des Produktes aus Kundensicht wichtigen und daher für den Verkaufserfolg entscheidenden Produktmerkmale.

„ Ermitteln der Kosten-Wert-Relationen. „ Einheitliche, methodische Kommunikation der Ziele für alle Bereiche, einschließlich einer nachvollziehbaren Dokumentation des gesamten Prozesses. Bei flexibler und sensibler Anwendung des QFD-Verfahrens, kann die Entwicklung effektiv und schnell realisiert werde. Es entstehen schnell, marktfähige Produkte, die Kunden begeistern. Damit ist heute QFD ein sehr effektives Verfahren der Produktplanung und Produktdefinition und hat den Begriff „Qualität“ nachdrücklich verändert: Es gibt keine „gute“ oder „schlechte“ Qualität mehr im herkömmlichen Sinne, sondern sie ist relational bestimmt in der Interaktion mit den Nutzern oder Kunden.

Prozesse der nutzerorientierten Diagnose Die Verfahren der Kundenintegration können alle nach dem Prozess-Design des Solution Cycles ablaufen: Es geht um die Diagnose mit dem Erkennen und Klären im Dialog, die kreative Veränderung mit der aus der Diagnose resultierenden Ideenentwicklung, sowie die Reflexion des Prozesses mit der Ableitung von Mustern und Methoden.

Fallbeispiel: Etron V-Modell Die Fa. Etron AG agiert als Entwickler und Anbieter von sehr anspruchsvollen Produkten der Medizintechnik, Messtechnik und dem Sektor Automotive. In allen Bereichen müssen außerordentlich hohe Ansprüche erfüllt werden und nahezu alle Lösungen sind speziell auf den Einzelfall auszurichten. Im Bereich Medical Solutions gelten die hohen Ansprüche an Individualität und Produktsicherheit ganz besonders. Hier haben die Akteure ein interaktives Modell der Innovationsentwicklung gestaltet, das als vorbildlich gelten kann. Der Dialog mit den Kunden und Nutzern, sowie das kontinuierliche Feedback stehen im Vordergrund. Mit dem V- Modell ist Etron sowohl auf die Kunden eingestallt, die noch keine konkreten Vorstellungen haben, als auch diejenigen, die eine detaillierte Produktvorstellung äußern. In beiden Fällen wird im ersten Schritt zunächst versucht gemeinsam zu erkennen, welche Anforderungen an die Lösung gestellt werden. Im Dialog wird versucht, die möglichst genaue Definition der Innovation zu klären (Review). Daraufhin erfolgt eine technische Spezifikation des Problemfeldes. Es entstehen erste Pläne, Skizzen oder technische Zeichnungen, um nochmals die Vorstellungen der Kunden detaillierter zu beschreiben. Diese Phasen sind vergleichbar mit dem Vorgehen im Solution Cycle bis zur Phase 2. Erst dann werden Muster und Prototy202

Die Phasen des Managementprozesses

pen entwickelt, die dann erste Tests (Usability, QFD) möglich machen. Nach der Spezifikation erfolgt wiederum ein Review mit den Kunden, bei dem die Tests ausgewertet und technisch zeitgemäße Lösungen diskutiert werden. Die Kunden können sich jetzt ein Bild von der technischen Lösung und den Kosten machen und die aktuellen Marktanforderungen einbringen. Wertanalytisch werden Funktionen und Komponenten untersucht. In diesem Stadium sind also noch gravierende Änderungen möglich. Danach kommt es zur ersten Realisierung des Projektes. Vor der zweiten Hauptphase wird der so genannte Design Input Freeze vorgenommen. Das Innovationsprogramm steht bis auf wenige Details. Im zweiten Modus entsteht das neue Produkt. Die gesammelten Informationen werden in ein Breadboard, ein erstes Funktionsmuster übernommen. Unter Einbezug der Fertigung werden Hardware und Software in Modulen entwickelt. Das Breadboard stellt ein reines Funktionsmuster dar, das mit dem später ästhetisch und funktionell gestalteten Design kaum vergleichbar ist. Ein weiterer Schritt führt zu Prüfmustern, um die Lauffähigkeit und Funktionalität zu testen. Zum Abschluss der zweiten Hauptphase wird wiederum intensiv mit den Kunden in Dialog getreten. Die Testergebnisse werden gemeinsam ausgewertet. In Einzelfällen wird hier sogar in die erste Stufe zurückgegangen, wenn wesentliche Aspekte nicht erfüllt werden können. In der dritten Hauptphase werden Prototypen erstellt, die bezüglich der Hardware dem endgültigen Produkt entsprechen. Hier können dann mit den Nutzern Usability und QFD und Rapid Prototyping Prozesse durchgeführt werden, um ein besonders nutzerfreundliches Produkt zu gestalten. In den folgenden Phasen werden erste Nullserien aufgelegt, um auch die effektive Fertigung, die Verfahren und Vorgehensweisen zu gestalten. Im medizinischen Bereich sind hier besondere Qualitätsansprüche und Dokumentationen notwendig. Die Serienüberführung und Validierung stellt den ersten Schlusspunkt eins Innovationsprojektes dar. Die „KundenIntegration“ endet damit jedoch nicht. Interne wie externe Akteure begleiten das Produkt über den gesamten Lebenszyklus, um hohe Produktsicherheit zu gewährleisten, aber auch, um lernend das Produkt weiterzuentwickeln. Es werden Verbesserungsmöglichkeiten eruiert und letztlich Ideen für Nachfolgeprodukte entwickelt.

203

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-15: V– Modell Seriengerät

Marktanforderungen

Definition der Anforderungen

Nullserie

Validierungsplan

Serienüberprüfung Validierung Nullseriengerät

Review

Review Verifizierungsplan

Spezifikation Review

Design Input Freeze

Prototyp

Integration/ Verifizierung Review

Realisierung Tests

Prüfmuster

Funktionsmuster

Science of shopping/Social Scanning/Kundenlaufstudien Innovationen scheitern oft erst am Point of Sale, da die potenziellen Vorteile des Angebotes nicht ins rechte Licht gerückt werden, die Verkäufer die Produkte nicht angemessen präsentieren oder aber das gesamte Interface den Flow des Kunden behindert. Besonders der amerikanische Marktforscher Paco Underhill hat mit seiner Science of Shopping darauf hingewiesen, dass es von besonderer Bedeutung ist, die Kunden beim Kauf nicht zu behindern, ihnen die Probleme des Handlings und der Orientierung zu nehmen sowie ihnen differenzierte Möglichkeiten für Flow zu eröffnen. Kurz gesagt: Die Transaktionskosten senken und den Transaktionsnutzen erhöhen. 282 Schon seit vielen Jahrzehnten werden Beobachtungen und Befragungen von Kunden im Handel durchgeführt, die Aufschluss geben sollen, über die Bedürfnisse der Kunden und eine verkaufsfördernde Präsentation und Platzierung der Waren (Kundenlaufstudien). Auch hierbei bieten sich vor allem Beobachtungen an, da sich die Kunden selbst nicht über ihre Beweggründe und Störfaktoren bewusst sind. Bei der Science of Shopping werden Beobachtungen zunächst ohne Interpretation und Bewertung durchgeführt, die dann zu dichten Beschreibungen entwickelt und im Dialog der Experten ausgewertet werden. Die mediale Aufzeichnung kann auch hier die wesentlichen Gestaltungsmöglichkeiten deutlich machen.

282 Vgl. P. Underhill, 2000

204

Die Phasen des Managementprozesses

Social Scanning im Baumarkt Wer sich an einem gewöhnlichen Tag in ein Cafe im Eingangsbereich eines typischen Bau- oder Gartenmarktes setzt und die Körpersprache, die Kleidung, den Transport der erworbenen Produkte beobachtet und die Gespräche der Konsumenten belauscht, erfährt in einer halben Stunde mehr über das Kaufverhalten als eine Desk Researcher durch die Auswertung mehrerer Studien und die Auswertung repräsentativer Befragungen. Der Grund dafür liegt besonders darin, dass Menschen schlecht über ihre unbewussten Motive Auskunft geben können und zudem nicht alles so darstellen, wie sie es empfinden. Für die Entwicklung von Innovationen ergeben sich Ansatzpunkte aus der Beobachtung von Problemen bei der Anwendung, dem Transport oder der Auswahl von Angeboten, sowie Mängel und Hindernisse im Umfeld (point of Sale, Interface). Die nun abgeschlossene Phase 3 im Innovationsprozess mündet in die Selektion und Planungsphase. Die zahlreich entwickelten Ideen, Lösungen und Inventionen gilt es nun zu priorisieren. Im Zentrum der Bewertung steht bei uns die systemische Balanced Scorecard, mit der versucht wird, zu bewerten, welche Ansätze und Aktivitäten am wahrscheinlichsten den Unternehmens- bzw. Systemzielen wie Vitalität und dauerhafter Unternehmensentwicklung dienen.

4.2.4

Selektion, Planung und Strukturierung: Gemeinsam entscheiden im Dialog (Phase 4 Selektieren und Planen)

In den meisten Fällen habe wir es in innovativen Kontexten mit Situationen struktureller oder gar substanzieller Unsicherheit zu tun. Wir stehen vor so genannten „unentscheidbaren“ Fragen. Zu viele Wirklichkeiten schließen einfache Lösungen aus. Um die unentscheidbare in eine entscheidbare Situation zu überführen, bietet sich vor allem der Dialog an. Viele unterschiedliche Akteure bringen ihre Sichtweise und Kompetenz ein, um einen höheren Erkenntnisgrad zu erreichen. Es gibt jedoch noch einen zweiten Grund, möglichst viele Akteure in Entscheidungsprozesse zu integrieren: Engagement. Wenn in einem Unternehmen neue Wege versucht werden, ist es besonders wichtig, eine gemeinsame Entscheidung herbeizuführen. Das Neue hat viele Feinde und wenn auch nur im Sinne einer Erstverschlimmerung nach der Innovation nicht alles rund läuft und Schwierigkeiten auftauchen, findet schnell eine individuelle Schuldzuweisung statt. Bei allen unseren Versuchen und Ansätzen konnten wir beobachten, dass und wie das „System“ zurück schlägt. Systemtheorie wird erlebbare Praxis. Die alten Strukturen oder besser deren Machtpromotoren versuchen eine lange Zeit, das Alte wieder zu etablieren. Schon erste Lockerungsversuche werden schnell unterminiert. Dabei handeln die Akteure unbewusst, ohne willentliche Schädigung anderer. Vielmehr handelt es sich um eine internalisierte Form systemtypischen Verhaltens.

205

4.2

4

Der Managementprozess

4.2.4.1

Balance und Wirksamkeit

Die Erfinder der Balanced Scorecard haben einen hilfreichen Gedankengang erzeugt.283 Neben den finanziellen Überlegungen sind weitere Kriterien mit in Entscheidungen einzubeziehen, um unternehmensdienliche Entscheidungen zu entwickeln. Neben den erweiterten Dimensionen sind aber besonders die interaktive Entwicklung und Anwendung der Scorecard mit der Einbeziehung verschiedener Sichtweisen und Interessen wesentlich, um gute und dauerhafte Entscheidungen herbeizuführen. Das Modell der Balanced Scorecard (BSC) ist im Kern ein ausgewogenes Bewertungsmodell. Balanced Scorecard heißt soviel wie „ausgewogene Punktekarte“. Ideen, Investitionen, Projekte, Produkte aber auch Mitarbeiter werden nach verschiedenen Dimensionen bewertet. Die Bewertungsbereiche und Kriterien vermitteln die allgemeine Unternehmenszielsetzung in konkrete Schritte und Vorgehensweisen. Es kann deutlich werden, wie ein Produkt, ein bestimmtes Verhalten oder ein Projekt dem Unternehmensziel dient. Als oberste Unternehmenszielsetzung gilt die dauerhafte Weiterentwicklung und Vitalität des Systems Unternehmen. Das BSC Modell hat sich in den letzten Jahren – so scheint es – in zahlreichen Unternehmen weit verbreitet. 80 % der deutschen Großunternehmen geben an, dieses Modell etabliert zu haben. Dieser Erfolg erscheint verblüffend. Handelt es sich bei der BSC doch um ein Modell, das die gesamte Unternehmenskultur verändern kann. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass vielfach die konventionellen Steuerungs- und Controllinginstrumente umgetauft und die Chancen des Modells nur unzureichend genutzt werden. Hier soll das BSC Modell neu beleuchtet werden. Wenn das Modell mit seinen unterschiedlichen Perspektiven sinnvoll realisiert werden soll, müssten die unterschiedlichen Sichtweisen und Erlebniswirklichkeiten der Akteure problematisiert werden. Ganz besondere Schwierigkeiten bereitet die Definition der individuellen Erfolgsmaßstäbe. Es müssen die unterschiedlichen Interessen der Stakeholder, die Machtverhältnisse und informellen Strukturen näher betrachtet werden. Die Bewertung von Projekten und Mitarbeitern wird wechselseitig vorgenommen. Damit wird Abschied genommen, von der Illusion der Regelungs- und Kontrollinstanz. In sozialen Systemen existieren keine Regler, denn niemand verfügt über das überindividuelle und objektive Wissen. Zudem muss ein der Komplexität angemessenes Modell entwickelt werden. Wenn das BSC Modell interaktiv über Bereiche und Ebenen mit intensiver Beteiligung der Stakeholder (insbesondere der Mitarbeiter) eingeführt und angewendet wird, ergeben sich große Chancen auf Engagement, die Neutralisierung nicht unternehmensdienlichem Verhaltens und für erweiterte Erkenntnisse.

283 Vgl. Kaplan/Norton: Die Strategie fokussierte Organisation, www.balanced-scorecard.de

206

Die Phasen des Managementprozesses

4.2.4.2

Vitalität als übergreifende Unternehmenszielsetzung

Wenn strategische Auswahlentscheidungen anstehen, müssen zielorientierte Kriterien entwickelt, und somit Unterscheidungen vorgenommen werden. Dabei ist das, was erfolgen beziehungsweise gelingen soll, immer rein subjektiv zu bewerten. Auch die Kriterien, an denen der Erfolg gemessen wird, können individuell sehr differieren. Trotzdem müssen allgemeine Kategorien des Erfolgs entworfen werden. Dabei genügt es unseres Erachtens nicht, den Return on Investment (RoI) abzufragen, und damit die wesentliche Unterscheidung vorzunehmen.284 Auch die Verengung der Perspektive auf die Interessen der Shareholder (Aktionäre, Eigentümer) kann kaum überzeugen. Deren Interessen harmonieren – wie die aller anderen Stakeholder – nicht automatisch mit der Unternehmenszielsetzung. Im Mittelstand mit Eigentümer geführten Unternehmen stimmt die Zielsetzung des Managements am ehesten mit den Systemzielsetzungen überein. Durch die Integration weiterer Sichtweisen werden die Entscheidungen aber auf einer besseren Grundlage getroffen. Ein Beispiel: Beim Fußballspiel ist der Verteidiger vielleicht vielmehr an einem 0:0 interessiert, da er seinen Marktwert erhöht, wenn Tore verhindert werden. Dem Stürmer ist aber ein 4:4 recht. Dem System (Verein) ist mit einem 1:0 am meisten gedient. Die Perspektiven und Interessen sind sehr unterschiedlich. Sie werden mit diesem BSC Modell so harmonisiert, dass größerer Erfolg für das Ganze wahrscheinlicher wird. Kriterien der Dauerhaftigkeit, wie sie zum Beispiel die Gruppe um Arie de Geus mit Untersuchungen zur Langlebigkeit von Unternehmen verwendet hat, bieten eine erste Orientierung.285 Hier werden die gemeinsamen Eigenschaften von dauerhaften Organisationen untersucht. Die Langlebigkeit allein kann aber als Gütekriterium nicht ausreichen. Es geht um die Aufrechterhaltung vitaler Strukturen. Es geht darum, ein Unternehmen in Fluss zu halten. Das heißt, als überindividuelle Zielsetzung gilt: das System erhält und entwickelt sein originäres Wissen, seine spezifischen Kompetenzen und Beziehungen. Ein Bergbaubetrieb sichert danach seine Existenz durch die Nutzung des spezifischen Wissens auf zeitgemäßem Feld. Es werden nicht alte Gewohnheiten und Strukturen konserviert, sondern beispielsweise unterirdische Logistiktunnels gebaut und damit das gemeinsame Wissen effektiv eingesetzt.

284 C. Steinle u.a., 1996 haben diese Kategorie zur Grundlage gelegt. Der RoI berücksichtigt

vergangenheitsbezogen die Rendite von Investitionen. Alle Erwartungen, soft factors und weitere Ziele bleiben außen vor. Der RoI ist das Produkt aus Umsatzrentabilität und Kapitalumschlag und beschreibt letztlich mit der Kapitalrentabilität eine monetäre Erfolgsgröße basierend auf Vergangenheitsdaten. Die zugrunde liegenden Größen Kapital, Gewinn, Umsatz vermitteln den Eindruck „objektiv“ messbar zu sein. Dabei werden eventuell weitere wichtige Faktoren ausgeblendet (Vgl. dazu H. Steinmann/G. Schreyögg, 1997 S. 369). Auch eine Shareholder value analysis basiert auf subjektiven Einschätzungen und Erwartungen. Die Unternehmenswertsteigerung kann dabei nicht auf eine kurzfristige Aktionärsorientierung verkürzt werden. Vielmehr müssen die Ziele der Stakeholder integriert werden, weil sie alle das Ergebnis beeinflussen können. Vgl. dazu Diskussion und Literaturhinweise bei W. Hopfenbeck, 1998 S. 559 ff. und 690 ff. 285 Vgl. A. de Geus, 1998

207

4.2

4

Der Managementprozess

Wir bezeichnen Unternehmen als erfolgreich, die eine ganzheitliche und zugleich langfristige Zielerfüllung für alle Stakeholder ermöglichen, also die negativen externen Effekte minimieren. Da alle Stakeholder das Ergebnis direkt oder mittelbar beeinflussen können, sind sie sinnvollerweise mitzudenken. Was alle betrifft, können nur alle entscheiden. Die Wertschöpfung umfasst dabei Ziele wie Rentabilität, Liquidität, Fairness, Ökologie und Vitalität286, die eine Ko-evolution in der Mitwelt ermöglichen, also Ziele, die kompatibel mit der Vorstellung eines „Vitalen Unternehmens“ sind. Konventionelle Konzepte der Erfolgsbestimmung wurden deshalb zum Response on Innovation (RoIn) erweitert. Die Akteure – so kann man erwarten – wollen auf lange Sicht lukrative Engagements aufbauen, ihr Image positiv gestalten und vertrauensvolle soziale Sphären entwickeln. Diesen Zielgrößen stehen Inputs in Form von monetärem Investment und persönlichem Einsatz (Ideen, Engagements, Innovation) gegenüber. (RoIn = image, money, trust/investment, innovation). Die Trennung zwischen ökonomischen und außerökonomischen, beruflichen und privaten Zielen wird aufgehoben, da Menschen sich nicht nur auf monetäre Erfolge beschränken, sondern hohe Lebensqualität anstreben.287 Neben einer zum Beispiel mit der discounted cash-flow Methode gemessenen Vorteilhaftigkeit von Projekten und Investitionen sowie von Unternehmensbewertungen, werden auch die persönlichen Engagements ins Verhältnis zum möglichen Output gesetzt. Angemessen bewertet und gesteuert wird ein soziales System mittels der von uns modifizierten Balanced Scorecard. Einzelinteressen werden dem Systemziel „Aufrechterhaltung der Vitalität“ untergeordnet. Alle Stakeholder werden in die Entwicklung und Anwendung des Modells eingebunden. In der Balanced Scorecard kommt die ganzheitliche und rekursive Bewertung von Vorhaben zum Ausdruck. Die Best Patterns dienen als Grundlage und werden in Dialogen der verschiedenen Stakeholder zu einem vielfältigem Bild der Performance Bereiche „Finanzen“, „Kompetenz und Lernen“, „Identität“, „Beziehungen“, „Prozesse“ und teilweise auch mit dem Sonderbereich „Sustainability“ zusammengefügt.

4.2.4.3

Die Balanced Scorecard als Modell der Balance

Es existieren wesentliche Perspektiven, die in der so genannten Balanced Scorecard, also einer ganzheitlichen Abbildung von Erfolgsgrößen integriert sind:288 Die „Stakeholderperspektive“ hat gerade in systemischer Hinsicht große Bedeutung, da hier Realität aus verschiedenen Perspektiven beschrieben wird. Die einzelnen Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Manager, Unternehmer und sonstige Anspruchsträger) 286 Vgl. dazu G. Bergmann, 1996 S. 169 ff. und 295 ff. Vitalität beschreibt die Eigenschaften von

Entwicklungsfähigkeit und Vielfalt 287 Eine isolierte Orientierung ist zwar oft anzutreffen, aber diese muss als irrational, weil nicht

durchhaltbar gelten. Vgl. dazu H. Aufenanger, 1998 288 Vgl. Horvath, P., 1995 S. 195 ff. und R. Schmidt, 1998, die hier ein Modell von Kaplan und

Norton zur Balanced Scorecard skizzieren. Wir haben dieses Modell aus systemischer Perspektive erweitert und verändert. Vgl. G. Bergmann u.a. 2001b

208

Die Phasen des Managementprozesses

bringen ihre spezielle Sichtweise bezüglich der folgenden Bereiche in einen Dialog ein und versuchen den Ausgleich der Interessen. Diese gegenseitige und gleichberechtigte Bewertung muss als wesentliche Komponente integriert werden, um einer einseitigen Bewertung und Trivialattribution zu entgehen. Die folgenden Dimensionen (Performances) werden jeweils aus der Sicht der unterschiedlichen Stakeholder bewertet:

„ die „finanzwirtschaftliche Perspektive“ (Finance Performance) mit der Cash-flow und Rentabilitäts- Betrachtung,

„ die Überprüfung des Beitrags zur Identität und Markenbildung (Identity Performance),

„ die Diagnose der Competence Performance, also der Entwicklungs- und Lernprozesse, der Stärke der Kernkompetenzen (Domänen) und der Kreativität sowie

„ die „interne Prozess-Perspektive“ (Process Performance) mit der Überprüfung der Leistungsprozesse (Teamarbeit, Organisationsentwicklung, audits etc.) auf Effektivität.

„ Die Relationship Performance dient der Überprüfung der Bindungsintensität und – qualität, der Kommunikationsfähigkeit intern und extern ( besonders bezogen auf Mitarbeiter und Kunden). Daneben gilt es,

„ die ökologische Perspektive (Sustainability Performance) zu eröffnen. Hier sind Fragen der Ressourcennutzung, des Arbeitsklimas und der Gesundheit relevant.289 Jeweils wird überprüft, ob die notwendigen Kenntnisse und Ressourcen vorhanden oder beschaffbar sind und inwieweit spezielle Beiträge durch das zu bewertende Projekt zu erwarten sind.

289 Vgl. G. Bergmann, 1994 zu den Kriterien der Eco Performance. Vgl. G. Bergmann, 1988 zu

einem Modell der ganzheitlichen Kundenerfolgsrechnung. Dabei sind neben den Kundendeckungsbeiträgen, die besonderen Aufwendungen der Transaktionen (Betreuung, Service), Werbeaufwendungen, Sondervergünstigungen, aber auch der Imagebeitrag, die Adäquanz und Entwicklungsfähigkeit der Handelskunden zu untersuchen

209

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-16: Systemische Balanced Scorecard Lernen

Ö kologie

Finanzen

Identit ät

Prozesse und Strukturen

Beziehungen

So entspricht dieses Konzept der Stakeholder analysis mit einer ganzheitlichen Bewertung der Unternehmensentwicklung. Alle wesentlichen Bereiche der Entwicklungsfähigkeit werden aus der Sicht verschiedener Akteure bewertet und interaktiv in Balance gebracht. Es bieten sich dann ganzheitliche Indikatoren zur strategischen Steuerung komplexer sozialer Systeme. Die Kriterien stehen in engem Zusammenhang mit den Orientierungsmustern (Best Patterns). Diese werden im Lern- und Entwicklungsbereich systematisiert und dienen dann als Grundlage für die Entwicklung von Bewertungskriterien in den genannten Scorecard Dimensionen. Konsequenzen haben diese dynamisch komplexen Betrachtungen also auf Innovationsentscheidungen, die Personalbeurteilung sowie alle weiteren Unternehmensstrategien. Bisher werden in erster Linie Tätigkeiten und Produkte statisch, vorwiegend quantitativ und aus einer Sichtweise bewertet und damit wesentliche (insbesondere psycho-soziale) Aspekte verdrängt und ausgeblendet. In dem hier skizzierten Modell werden ungenaue Bewegungsdaten und bestenfalls auch die nicht sachlichen, emotionalen, intuitiven und instinktiven Aspekte berücksichtigt. So wird jedes Projekt, jede Investition, aber auch die Performance jedes Akteurs aus den Sichtweisen der verschiedenen Stakeholder bezogen, auf die einzelnen Scorecard Kriterien bewertet. Es wird dazu eine mehr interpretative Betrachtungsweise geben, die weiche Faktoren durch qualitative, wertende Vorgehensweisen messen. Controlling wird, wie auch Horvath und Partner290 schreiben, mehr die qualitativen Elemente integrieren und weniger Ergebnisse als vielmehr Prozesse, also mehr das „Wie“ als das „Was“ beachten. Es wird bei den Kunden und deren Bedürfnissen begonnen und es sind die Kommunikationsprozesse sowie die Kultur des Umgangs zu prüfen und zu fördern. Die gemeinsam vereinbarten Ziele und Vorgaben müssen konsistent, einfach und wand-

290 Vgl. Horvath und P., 1995 S. 253 ff.

210

Die Phasen des Managementprozesses

lungsfähig sein. Die Selbstverantwortung entlastet vom Kontrollaufwand und stärkt die Organisation umfassend.

4.2.4.4

Management – Einführungs- und Anwendungsbedingungen der Balanced Scorecard

Das Balanced Scorecard Model bietet seine Vorteile nur, wenn die Bewertungsgrößen und die Bewertung selbst interaktiv in Dialogen festgelegt und durchgeführt werden. Alle Akteure, die bewerten, werden auch von denen bewertet, die sie bewerten. Dann ist gewährleistet, dass alle Perspektiven und Geltungsansprüche integriert werden und keine einseitigen Sichtweisen auftauchen. Das System gewinnt mehr Erkenntnisse und fördert das Engagement aller Beteiligten. Auch egozentrische Verhaltensweisen, die nicht der Weiterentwicklung des Systems genügen, werden sichtbarer. Der Blick richtet sich auf Wege in die Zukunft, auf den Unternehmenswert in einigen Jahren, eben die ganzheitliche Erfolgsposition. Handlungsweisen und Projekte werden bezüglich ihres Beitrages zur Weiterentwicklung des Gesamtsystems bewertbar. In der Balanced Scorecard Diskussion wird häufig eine Auseinandersetzung über die „richtigen“ Kriterien geführt. Die objektiv richtigen Bewertungsmaßstäbe kann es aber kaum geben, wenn man von unterschiedlichen Erlebniswirklichkeiten ausgeht. Besondere Bedeutung erfahren die Einführungs- und Anwendungsbedingungen. Es sollte die Chancen einer partizipativen und wechselseitigen Verwirklichung genutzt werden. Es bietet sich hierzu an, ein erfolgreiches Prozessdesign wie den Solution Cycle zu nutzen. Bei der Anwendung erscheint es sinnvoll, die Grundhaltung des gleichberechtigten Dialogs zu sichern. Alle Beteiligten sollten den Eindruck gewinnen können, dass die Ergebnisse und Vorgehensweisen so gestaltet werden, dass ihre Belange und Geltungsansprüche berücksichtigt werden.291 Begonnen wird mit dem Erkennen und Austauschen verschiedener Sichtweisen und Wirklichkeiten (hierarchiefreier Dialog). Dann wird versucht, die verschiedenen „Bilder“ zu einem zu formen. Es ist zum Beispiel wichtig, die Kriterien gemeinsam im Team zu definieren und in der Sprache des jeweiligen Unternehmens auszudrücken (use words of the system). Auf dieser Basis können dann Ideen zur Verwirklichung des Modells frei kreiert werden. Es folgt die Priorisierung und Planung der Einführung und die Realisation an einem überschaubaren Beispiel. Hier lauert die so genannte „Implementierungsfalle“. Die Pläne und Strategien werden nicht umgesetzt. Oft wird das auf zu ungenaue Planung zurückgeführt. Wir denken, dass gerade die mangelnde Einbindung zuwenig Interesse (lat.: inter-esse= dazwischen-sein) erzeugt. Wenn alle Stakeholder beteiligt wurden und keine einseitigen Machteingriffe des Top Managements erfolgten, ist es hoch wahrscheinlich, dass mit der Einführung großes Engagement ausgelöst wird und die Erkenntnisse des Gesamtsystems deutlich erweitert wurden. Dann kann das Projekt 291 Vgl. zur Entscheidungsfindung im Dialog besonders G. Bergmann, 2001

211

4.2

4

Der Managementprozess

reflektiert werden, um daraus zu lernen. Es geht hier um die Ermöglichung eines effektiven Wissensmanagements (Knowledge Management). Es gilt den Rahmen zu schaffen, in dem individuelles Wissen hoch wahrscheinlich weitergegeben und damit nutzbar wird. Die Würdigung aller Beteiligten und eine rituelle Beendigung sind wichtig, um Energie für das nächste eventuell erweiterte Projekt zu mobilisieren. Auch jede weitere Bewertung und Steuerung über die Balanced Scorecard sollte sinnvollerweise diesem Prozessdesign folgen. Rekursiv und wechselseitig werden die Bewertungen vorgenommen. Alle Beteiligten unterstützen, steuern und informieren sich gegenseitig. Wenn das BSC Modell so wie hier geschildert angewendet wird, stellen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit folgende Nutzenpotenziale ein:

„ Auswahl der systemdienlichen Lösungen und Ideen „ Erweiterung der Erkenntnisse und strategische Orientierung „ Integration und Vermeidung von Egoismen, effektive Koordination „ Komplexitätsreduktion und Transparenz „ Engagement und Selbstverantwortung „ Steigerung der Attraktivität des Unternehmens insbes. für Kunden Besonders im Unternehmen mit Entscheidungshemmung kann die Einführung und Etablierung der BSC im Dialog zu einer wirksamen Verbesserung der strategischen Wahl beitragen.292 Eine so genannte Strategiekarte enthält die strategischen und operativen Ziele, die Indikatoren und zugeordnete Maßnahmen in den fünf verschiednen Dimensionen. Die Strategiekarte dient als Tableau der Unternehmenskonzeption. Aus dem übergreifenden Programm leiten sich dann Bewertungskriterien und Orientierungen für die Produktentwicklung, die Personalpolitik und –bewertung sowie viele andere Bereiche ab. Eine Strategiekarte bündelt die verschiednen Ziel- und Strategiebereiche und ermöglicht eine transparente Darstellung der Ausrichtung des gesamten Unternehmens. Es bietet sich an, alle wesentlichen Bereiche wie Personalbeurteilung, Entgeltsysteme, Projekte, Produkt und Kunden nach diesen einheitlichen Kriterien im Dialog rekursiv im Sinne eines 360° Feedbacks zu bewerten, um ein in sich konsistentes Planungssystem zu entwickeln. Die Strategiekarte ist in zweifacher Hinsicht zu nutzen: zum einen können alle Innovationsentscheidungen nach den Kriterien bewertet werden, zum anderen können zu den 5–6 Perspektiven die Ziele, Strategien und Aktivitäten abgeleitet und in einem für alle Beteiligten überschaubaren Tableau veranschaulicht werden.

292 Vgl. insbesondere Bergmann, Meurer, 2003

212

Die Phasen des Managementprozesses

Abbildung 4-17: Strategiekarte (mit beispielhaften Inhalten) Perspektive

Strategische Ziele

Operative Ziele

Identität/ Kultur

Universelle Kernkompetenz entwickeln Selbstorganisation steigern

produktunabhängige Konzepte entwickeln

Indikatoren/ Messkriterium Usability, Flow

Vorhaben, Projekte Open Space Workshops Gezielte Störereignisse und Reflexionen der Lösungen Mentorenmodell einführen, Usability Labs Qualifizierungsprogramme reduzieren KE Workshops, Kompetenzentdeckungsforum

Interne Prozesse und Strukturen Kunden besser Externe Beziehungen verstehen

Anzahl d. Anfragen bei Vorgesetzten um 30% senken

Anzahl d. Anfragen bei Vorgesetzten i. Monat

Kundenworkshops realisieren

Ressourcen (Finanzen, Zeit) Kompetenz

Wachstum in Geschäftsbereichen

Umsatz, Cash Flow, DB

Sozialkompetenz der MA steigern, Lernen ermöglichen

Kompetenzfelder entdecken

Begeisterungsfaktoren, Zufriedenheit Budget in EURO bzw. % zum Vorjahr Kompetenzprofil

Kompetenzbasierte Innovationsstrategien In der Phase Drei des Solution Cycles werden Lösungen und Ideen kreiert. In dieser Phase vier geht es um die Bewertung dieser Ideen und Ansätze, inwieweit sie geeignet sind, den Unternehmenszielen zu dienen. Aus den Markttrends und Kundenwünschen sind nur diejenigen auszuwählen, die mit den Kernkompetenzen und der Identität der Unternehmung vereinbar sind. Die Marktrends können differenziert nach dem Modell der Lebensstil- und Milieu-Studien erstellt werden. Besondere Beachtung finden in der Praxis die Sinus-Milieus. Besonders anschaulich und einfach kommunizierbar sind diese Milieubeschreibungen, wenn sie in Form von Bildcollagen präsentiert werden.293 Im Sinne einer systemischen Marktpsychologie werden die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Einflusssphären (Kollegen, Peers, Familie etc.) untersucht und abgebildet. Auch werden die virulenten Markttrends hinsichtlich ihrer Bedeutung und Ausprägung in verschiedenen Lebensmilieus konkretisiert. Die jeweilige Problemlösefähigkeit wird in Beziehung zu relevanten Markttrends gesetzt. Die zentrale Frage lautet dabei: Welche Marktfelder sind für uns interessant bzw. wo bekommen wir überhaupt Kompetenz zugesprochen und wie können wir unsere Kompetenzen dort einbringen? 293 Vgl. www.sinus-sociovision.de und www.sigma-online.de

213

4.2

4

Der Managementprozess

Die Kernkompetenz ermöglicht dann eine gezielte Auswahl an Innovationsrichtungen, die nicht beliebig, sondern unternehmensspezifisch begangen werden können. In der folgenden Abbildung sind einige typische Markttrends am Beispiel der Möbelbranche skizziert. Innovationsstrategien findet das Unternehmen, wenn es aus den möglichen Markttrends diejenigen auswählt, die der Kompetenz entsprechen.

Abbildung 4-18: Kompetenzen und Innovationsfelder (hier am Beispiel Möbelbranche)

Die Gestaltung von Programmen und Sortimenten mit den Kunden294 Unternehmen bieten in der Regel ein ganzes Programm oder Sortiment an. Daraus können Synergien wie die Nutzung vorhandener Produktionskapazitäten, ähnliche Basis-Kompetenzen, gleiche Märkte oder Technologien resultieren. Auch Unternehmen mit sehr heterogenen und innovativen Produktspektren wie z.B. 3M haben zumindest Synergien in den Produktionsverfahren oder der Vorgehensweise, um mit geringen Modifikationen und zusätzlichen Schritten zum Beispiel Klebeband, wie auch Ton- und Bildträgermaterial, herzustellen. Je größer das Produktspektrum eines Unternehmens ist, umso schwieriger wird jedoch das Management von Innovationen. Verschiedene Produkte haben unterschiedliche Lebenszyklen, benötigen unterschiedlich lange Entwicklungszeiten und -budgets und sind auch hinsichtlich des Kundennutzens unterschiedlich ausgeprägt. Es gilt dieses Produktportfolio so abzustimmen, dass Entwicklungs-, Markteinführungs- und Reifephasen von Produkten Phasen verschoben auftreten, um das Unternehmen jederzeit mit der notwendigen Liquidität 294 Vgl. M. Klein, (Usability)

214

Die Phasen des Managementprozesses

ausstatten zu können. Gerät ein Unternehmen in die Situation, dass Großteile seiner Produktpalette gleichzeitig am Ende der Reifephase angekommen sind und Nachfolgeprodukte noch in der Entwicklungsphase sind oder sogar noch nicht hinsichtlich ihres zu erfüllenden Kundennutzens definiert wurden, kann ein vernichtender Kreislauf für das Unternehmen beginnen. Oft sind in diesem Stadium nicht ausreichende Rückstellungen gebildet worden, um eine großzügige Produktentwicklung anzustoßen oder es läuft die Zeit weg, weil der Kundennutzen neuer Produkte erst entdeckt, diskutiert, evaluiert und in Produktkonzepte umgesetzt werden muss. Die Entdeckung des Kundennutzens kann meist nicht beliebig beschleunigt werden, da eine gewisse Beobachtungszeit der Kunden notwendig ist. Andernfalls wirkt das entstehende Produkt am Ende wie eine Projektion des Entwickler-Know-Hows mit allen möglichen Features, die nicht unbedingt den Bedürfnisse und Motiven der Kunden entsprechen. Eine im Unternehmen installierte oder zyklisch eingebundene neutrale Beobachtungsund Bewertungsstelle kann helfen, Entwicklungen und Trends frühzeitig zu erkennen und zu verfolgen. Im Dialog mit Kunden und Nutzern werden so die bedeutsamen Entwicklungen gemeinsam definiert. Denn selbst Mitarbeiter in der Entwicklung sind überwiegend mit kontinuierlicher Verbesserung (Zeichnungsänderungen usw.) beschäftigt als mit revolutionären Innovationen. Mit dem klassischen Instrument der Portfolio-Analyse295 kann ein gewisser Überblick geschaffen werden, wie das gesamte Sortiment ausgewogen nach Neuigkeiten, Stars und Cash Cows gestaltet werden kann. Im Prinzip orientieren sich dabei alle Portfolios an zwei Dimensionen, nämlich der Beschreibung der Kompetenzen (Stärken und Schwächen) und der Chancen und Risiken. Es geht insgesamt um eine ausgewogene Mischung im Gesamtangebot, denn sowohl zu innovative wie auch zu konservative Sortimente können ein Unternehmen ruinieren.

295 Detailliert beschreiben bei Bergmann 2001, S. 109 ff.

215

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-19: Portfolio Kontextattraktivität

Newcomer

Stars

?

hoch

-DB

Cash flow

Cash flow

gering

DB

DB

Cash cow

Loser gering

hoch

Kompetenz

Die Forderung und Notwendigkeit die gesamtunternehmerischen Prozesse auf den Kundennutzen auszurichten, werden aufgrund immer kürzerer Produktlebenszyklen und globaler Märkte bedeutender für Unternehmen. Erfolg wird kurzlebiger und ist nur dann dauerhaft zu sichern, wenn nicht der Erfolg einzelner Produkte, sondern die Erfolgsmuster zur Entwicklung und Herstellung erfolgreicher Produkte bekannt sind und vom Unternehmen gelebt werden können. Hierzu geben wir in den Beschreibungen zur Phase 7 des Solution Cycles noch detailliertere Hinweise. Soviel sei hier aber schon gesagt: Die Mustererkennung muss kein aufwändiger Prozess sein. In erster Linie müssen funktionierende von weniger gut funktionierenden Abläufen und Gestaltungsmodulen unterschieden werden. Aus dem Vergleich der gut funktionierenden Prozesse kann man gemeinsame Muster erkennen.296 Fangen Unternehmen an vom Umsatzwachstum abzuhängen, kompensieren sie damit nur mangelnde Innovationsfähigkeit.

4.2.5

Gelingen gestalten (Phase 5 Verwirklichung)

Nachdem die Probleme geklärt, die Innovationsziele definiert, Lösungen kreiert und selektiert wurden, kann nun die Phase der Realisierung eingeläutet werden. Das Gelingen gestalten. Dies wird umso eher erfolgen, je mehr und je intensiver die Kunden, die Betroffenen an der Entwicklung der Innovationen beteiligt waren.

296 Vgl. Bergmann 2001, S. 171 ff., Bergmann/Meurer 2006 (Best Patterns Aufsatz bei Rusch). Im

Übrigen lässt sich Mustererkennung sehr gut üben z.B. mit Zahlenrätseln wie Sudoku, Puzzles und dem Social Scanning, also der Beobachtung von Menschen und deren typischen Gesten und Verhaltensweisen

216

Die Phasen des Managementprozesses

Verwirklichen, Umsetzung, Implementierung, Realisation und Arbeitsvorbereitung sind hier die typischen Begriffe. Es geht um das handelnde Verwirklichen, die sichtbare Aktivität zur Veränderung. Es werden Produkte konstruiert und Varianten entwickelt oder die geplanten Interventionen zur Veränderung der Kultur und Organisation werden realisiert. Wichtige Voraussetzung für gelingende Realisierungen ist die Verknüpfung von Denken und Handeln. Diejenigen, die Konzepte und Programme kreieren und planen, sollten verpflichtet werden, auch an der Verwirklichung teilzunehmen. Eine Innovation ist erst nach der erfolgreichen Implementierung perfekt. Bei den Produkt- wie bei den Prozessinnovationen, geht es um die Veränderung von sozialen Systemen. Es geht um die Veränderung von Interaktionsmustern und Wahrnehmungsweisen. Ein entscheidender Punkt ist, wie Lösungen verwirklicht werden. Lösungen für diverse Probleme existieren meistens. Auch die Einsicht in eine notwendige Veränderung reicht nicht aus. Es muss zur Überwindung der Angst und/oder Apathie kommen, die sich hinter Wut, Hysterie, Aktionismus, Perfektionismus und Ähnlichem verstecken kann. Soziale Systeme neigen zur Konservierung des Bestehenden. Viele Aktivitäten dienen nur zur Verhinderung von Veränderungen. Sie sollen vom eigentlichen Lernen ablenken und die Akteure beschäftigt halten oder beruhigen. Eine Entwicklung kann deshalb vor allem durch Irritationen eingeleitet werden. Es geht darum, eine Gelegenheit zu kreieren, in der die Akteure bereit sind, ihre Ängste und Unsicherheiten zu überwinden oder nur zu vergessen, um sich auf Neues einlassen zu können. Wir arbeiten dabei oft mit der Metapher des Trojanischen Pferdes, soll heißen: wie kann man neue Sichtweisen und Verhaltensweisen in das System schleusen, um es von innen heraus zu verändern? Die Basis für Veränderungen sind gute, vertrauensvolle Beziehungen. So wie gute Freunde einem sagen, was sie als problematisch beobachten, muss es im oder um das Unternehmen auch Akteure geben, die unabhängig Kritik äußern und intervenieren dürfen. Ein Unternehmen wird erst durch Selbstdistanz und Selbstkritik fähig zur Innovation. Es geht also darum, eine Basis zu finden, das Entscheidende ansprechen und erproben zu dürfen. Wenn man diese Rolle zugesprochen bekommt, wird die Erneuerung und „Heilung“ möglich. Diese universelle Problemlösefähigkeit erzeugt dann sogar eine Metakompetenz. Das heißt, das System lernt, mit überraschenden Situationen fertig zu werden und es lernt zu lernen. Grundsätzlich existieren vier Interventionsarten und drei Interventionsebenen mit bzw. auf denen Veränderungen eingeleitet werden können.297 Es sind die schon erwähnten Bereiche Architektur/Design, Sprache und Bilder, Struktur und Organisation sowie Timing und Zeitgestaltung. Als Ebenen der Intervention gelten das Individuum, das System als Ganzes und dessen Umwelt. Man kann also direkt auf Menschen (z.B. durch Sprache) einwirken, auf das System also im Beziehungszusammenhang mit anderen Akteuren (z.B. durch Organisation in Teams) und es ist möglich die Umwelt

297 Vgl. Darstellung bei Bergmann 2001

217

4.2

4

Der Managementprozess

zu verändern (z.B. durch die Beschreibung des Zielmarktes). Alle Interventionen erzeugen Veränderungen mit unsicherer Wirkung.

Abbildung 4-20: Interventionsarten Akteure Coach oder Manager interveniert über

Organisation Umwelt

Sprache und Bilder Zeit, Timing Organisation, Methoden Architektur, Design, Präsentation

Paradoxe Interventionen mit zumeist großem Verblüffungseffekt, provokative mit großer Irritationswirkung und evokative mit Erkenntnischarakter stehen zur Verfügung. Am Beispiel der Phasen im Solution Cycle wollen wir kurz aufzeigen, wie jeweils die Bremse zu lösen ist, also wie man immer wieder Flow erzeugen und der drohenden Erstarrung des Systems entgegenwirken kann. Grundsätzlich lassen sich verschiedene Grundorientierungen des Menschen unterscheiden, die wir weiter oben schon andeuteten:298 Der Erkenntnistyp konzentriert sich auf die Wahrnehmung und Beobachtung und wirkt besonders nutzvoll in den ersten Phasen des Prozesses, der Handlungstyp erscheint engagiert und initiativ, möchte in Aktion treten und motiviert andere zur Mitwirkung. Der Beziehungstyp verfügt über soziale und kommunikative Kompetenz und schafft Vertrauen und Verständigung. Der Reflexionstyp bemüht sich um das Lernen und die Entwicklung von Zukunftsbildern. Er wirkt besonders sinnvoll zum Ende von Prozessen. Nun haben alle Typen neben ihren Vorzügen auch Ihre „Macken“. Der Erkenntnistyp sucht noch nach weiteren Neuigkeiten und relevanten Informationen, wenn langsam gehandelt werden müsste. Der Handlungstyp muss vor lauter Aktionismus auf die Beziehung achten oder zwischendurch neue Informationen aufnehmen, die andere Alternativen bieten. Der Reflexionstyp muss vor dem Grübeln oder dem Utopismus bewahrt werden. Die Interventionen setzen dann an dem jeweiligen Defizit oder Mangel an. Insofern sind auch unterschiedliche Therapieformen angemessen, wie das zum Beispiel Friedemann deutlich gemacht hat.299 In jeder Phase

298 Vgl. dazu die Typologie der Kompetenzen bei Erpenbeck, 2004 oder Friedemann, 1997 299 Friedemann 1997, S. 168 ff.

218

Die Phasen des Managementprozesses

sind unterschiedliche Kompetenzen nutzvoll. Es kann aber eben auch sein, dass in bestimmten Prozessschritten verharrt wird, weil eine Kompetenz dominiert und nicht gewagt wird in eine andere Modalität überzuwechseln.

Abbildung 4-21: Handlungstypen im Solution Cycle

Reflexionstyp „Vision är“

Erkenntnistyp „Beobachter “

Beziehungstyp „Kreativer “

Beziehungstyp „Kümmerer “ Handlungstyp „Macher “

Lösungsorientierte Kurztherapie, Provokative Therapie, Gestalt- oder systemische Therapie wirken hilfreich, wenn sie passend zur Situation eingesetzt werden. Hier ist Methodenpluralismus sinnvoll und nützlich. Wenn der Prozess in Fluss und vital gehalten wird, gelangt man mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Flow.

4.2.5.1

Wege systemischer Intervention (Struktur- und Prozessinnovationen)

Soziale Systeme tendieren zur Selbsterhaltung und sind deshalb durch gezielte Impulse, Provokation und weitere Formen der Störung aus ihrem Gleichgewicht zu bringen. Soziale Systeme bilden sich aus Kommunikation. Somit verändert eine andere Form der Kommunikation beziehungsweise eine veränderte Sprachwahl die Systeme auch. Probleme entstehen aus Kommunikation und können auch nur durch Kommunikation in Lösungen verwandelt werden. Insbesondere überraschende Elemente wie Provokation, Paradoxien, Unerlaubtes, Freches und Unerwartetes ergeben Möglichkeiten der Variation und Beeinflussung – ein Servo-Effekt entsteht, der ein einfaches Umsteuern ermöglicht. Agieren besteht in systemischer Perspektive hauptsächlich in kreativ mitfühlender Kommunikation: Zuhören, Sprechen, Gesten, Nicht-Sprechen usw.

219

4.2

4

Der Managementprozess

Zentrale Aufgabe ist deshalb, die permanente Suche nach Veränderungsmöglichkeiten, also die Einleitung von Ordnungsbrüchen, um dem abnehmenden Grenznutzen der Effizienz-Optimierung zu entgehen. Geordnete Systeme entstehen aus der ins Gleichgewicht geratenen Kommunikation über Regeln und Normen, Vorschriften, Verhaltensweisen oder Strukturen. Sie wehren sich vehement, ihre eingespielte Strukturform zu verlassen, aber sie können durch subtile, oft spielerische und überraschende Impulse und ein vielfältiges Repertoire der Interventionen zur Entwicklung veranlasst werden.

Levels of System Besonders zu beachten bei den systemischen Interventionen sind die verschiedenen Levels of System (Nevis, 1988). Es gilt in jedem Fall zu prüfen, welche Personengruppen mit zum relevanten Kontext der Problemfelder gehören. Es ist zum Beispiel relativ sinnlos, Kommunikations- und Konflikttrainings mit Teams durchzuführen, wo der Konflikt strukturell von höherer oder anderer Stelle verursacht wurde. Gerade die sozialen Architekturen dienen dabei zur sinnvollen Grenzziehung und Klärung. Levels of System sind nicht als Hierarchiestufen zu verstehen, sondern beschreiben die Stufen vom Einzelakteur über Gruppen bis zum Gesamtunternehmen oder gar darüber hinaus. Die Interventionsformen sind den Levels anzupassen. Zentrale Medien der Organisation, Planung und das Management sind Impulse (Visionen, Projekte), der Rahmen (Strategie, Budgets, Ziele, Leitlinien) und die Atmosphäre (Foren, Raumgestaltung, Zeiträume etc.). In der Realisierungsphase geht es zentral darum, die physischen, gedanklichen wie sozialen Räume zu gestalten, die eine verbessernde Veränderung ermöglichen können. Soziale Räume kreieren Akteure durch Timing, Sprache, atmosphärische Steuerung aber auch die Bildung von Strukturen wie Teambildung und Themenwahl. Zu den physischen Raumgestaltungen gehören die Auswahl der Standorte, Gebäude, Sitzordnungen oder auch Inneneinrichtungen.

4.2.5.2

Die Vorgehensweise

Wenn wir die systemischen Interventionen hier in der 5. Phase des Solution Cycles besprechen, heißt das nicht, dass sie nur in dieser Phase relevant wären. Hier geht es nur um die konkrete Veränderung, die schon vorher eingeleitet wurde. In einer Abfolge von Verstehen, Öffnen und Lernen werden soziale Systeme durch Sprache verändert. Führung und Beratung gelingt im Dialog. In einem ersten Schritt einer solchen Unit of Work erscheint Wahrnehmen und Beobachten, das Entdecken der Kultur durch Diagnose der Sprache eines sozialen Systems angemessen. Es geht um Verstehen, Vorfühlen, um Entdecken und Aufdecken der heimlichen Spielregeln, Mythen und Usancen. Die Kunden sind die Kundigen im

220

Die Phasen des Managementprozesses

System. Mit ihrer Hilfe gelangt man unter die Symbolebene, indem die für das System typischen Geschichten erforscht werden. Es sind die Legenden und Heldensagen, die das System zusammenhalten aber auch erstarren lassen. Es wird das Spektrum erweitert, die aktuelle Beziehungskonstellation betrachtet und die Widersprüche und Mehrdeutigkeiten zur Problembeschreibung genutzt. Es wird hier vornehmlich nach den Ressourcen des Systems gefragt, um daraus Potenziale zu entwickeln. Der zweite Schritt dient der Öffnung durch Sprache, dem Erzeugen neuer Möglichkeiten und Chancen. Es wird auf der Basis einer ganzheitlichen Wahrnehmung der Möglichkeitssinn entfaltet. Da Probleme zumeist in einer zu engen Sichtweise begründet liegen, werden hier durch Perspektivenwechsel neue Wege und Lösungen aus Stereotypen des Handelns und Denkens aufgespürt. Hilfreiche Geschichten, Metaphern und Sprachbilder lösen Assoziationen und Phantasie aus. Zirkuläres Fragen und gezieltes Stören dienen der Veränderung und leiten zu spielerischem und kreativem Umgang mit der Situation an. Die Sprache erschafft Welt, Chancen und Auswege. Veränderung wird durch überraschende, das System „störende“ Sprachwahl ausgelöst, es wird modelliert und ausprobiert, weniger desselben praktiziert und plötzlich bildet sich aus emergenten Prozessen (vgl. Emergenz im Minilex) die neue Sichtweise, Lösung oder Chance. In einem dritten Schritt können die entdeckten Lösungswege dann in praktisches Handeln überführt und gelernt werden. Dabei ist es nicht wichtig, dass der intervenierende Akteur vollends inhaltlich verstanden wird oder gar in allem Recht hat. Wichtiger ist es, eine Situation zu erzeugen, in der die Beteiligten sich besser verstehen und so das „Richtige“ wahrscheinlicher eintreten lässt. Die Aktivitäten dazu sind öffnende Fragen und Perspektivenwechsel, Austausch und Erweiterung von Sichtweisen, Zirkularität, also das Aufzeigen von Wechselwirkungen, Hypothesenbildung, respektloser Umgang mit Themen und alten Mustern, Neugier, Achtung unterschiedlicher Temperamente und Persönlichkeiten, Ressourcen- und Lösungsorientierung sowie Kundenorientierung. Die Problemträger oder –wahrnehmer sind die Experten. Sie tragen alle Ressourcen und Möglichkeiten in sich.

4.2.5.3

Die systemischen Interventionsformen

Organisationen werden als soziale Systeme betrachtet, die komplex und selbstorganisierend, nur kontextuell, also indirekt verändert werden können. Mit der Intervention wird die Grenzziehung zwischen den Systemen neu vereinbart. Alle Beteiligten sind Beeinflusser und Beeinflusste, sie bilden gegenseitig Kontext und müssen darauf bedacht sein, Differenzen aufrecht zu erhalten, um sinnvolle Fremdbeobachtung möglich werden zu lassen sowie ihre jeweilige Identität beizubehalten. Die Interventionen erfolgen als kontextuelle Eingriffe und Irritationen. Dabei sind das Intervenierende, das zu Verändernde und das Aktionssystem zu unterscheiden. Die Akteure entstammen einem spezifischen Kontext, beeinflussen soziale Systeme wie

221

4.2

4

Der Managementprozess

Teams oder Organisationen und formen damit zugleich ein Interventionssystem bestehend aus denen, die intervenieren und denen, die beraten werden.300 Interne und externe Akteure haben eine beschränkte Möglichkeit, die selbsterneuernden Systeme (zum Beispiel Teams) zu Verhalten anzuregen und diese reflektierend zu beobachten, soweit sie nicht selbst teilnehmende Akteure werden, also den direkten Kontext darstellen. Effektive Interveneure managen die Systeme nicht, sondern bilden Hypothesen, sammeln Informationen, intervenieren indirekt und reflektieren dann die Effekte. Die Interventionen setzen auf verschiedenen Ebenen an: den Akteuren, dem jeweiligem System oder der Umwelt des Systems. Es können also handelnde Individuen direkt beeinflusst werden, es kann das Gesamtsystem strukturell verändert werden oder man verändert die Umwelt insbesondere durch die Definition relevanter Märkte und Einflusssphären. Gestaltungsbereiche der Intervention sind nach Königswieser/Exner301 die Architektur, das Design und das Handwerk, die jeweils sachlich, räumlich, zeitlich und thematisch beschrieben werden und sich nach spezifischen Ausprägungen und Aufgaben differenzieren lassen. Die Architektur der Interventionen beschreibt den allgemeinen Rahmen, in dem ein Veränderungsprozess ausgelöst werden soll, Design und Handwerk beschreiben die spezifische Ausgestaltung. Beispielsweise werden strukturelle Vorkehrungen getroffen und spezielle Projekt- und Steuerungsgruppen organisiert. In diesen Gruppen können dann diverse Techniken, Methoden und Aufgaben gewählt werden: Einsatz von analogen Interventionen und Sprachbildern, Sprache und Metaphern, paradoxe Interventionen, zirkuläres Fragen oder die Wahl von physischen Räumen und Atmosphären. In der Abbildung sind im Überblick einzelne Interventionsformen veranschaulicht, die wir im Folgenden näher erläutern.

300 Vgl. dazu E. C. Nevis, 1988, S. 67 ff. Er unterscheidet Interveneure außerhalb des Klientensys-

tems (Begleiter) mit einer spezifischen Rolle innerhalb (Experte) oder als Mitglied (Entscheider) 301 Vgl. R. Königswieser/A. Exner, 1998

222

Die Phasen des Managementprozesses

Abbildung 4-22: Mind Map der Interventionsbereiche Atmosph äre Räume und Designs, Interfaces

Sprache

Architektur, Environment design Sprache, Tonality

Lösungen Theorien Inhalte

Bilder Metaphern Collagen Visionen

Interven tionen

Events Flow , Empathie

Prozessdesigns -Sitzordnungen

Timing Chronos , Kairos

4.2.5.4

Komplexe Kommunikation Multimedia, Multisensuelle Technik

Sprache und Metaphern

Das Fragen, Zuhören und Kreieren bedarf dabei der Aufnahme der jeweilig genutzten Sprache. Die intervenierenden Akteure schleichen sich geradezu unmerklich subversiv in das System hinein, assimilieren die Sprache, konfluieren und verändern achtsam und hilfreich aus dem Hintergrund die Szenerie. Sie betätigen sich wie hilfreiche Geister ohne Aufsehen im System zu erzeugen und achten auf die Fähigkeit und Chance, immer wieder metasystemisch zu reflektieren. Die häufigsten Fehler werden gemacht, wenn sich hilfreiche Akteure in den Vordergrund spielen, und ihre künstliche Sprache ungeschickt besserwissend anwenden. Zum Beispiel ist oft zu beobachten, wie systemische Fragen gestelzt formuliert werden und erstauntes Befremden auslösen. Es gilt dem hingegen, sich charmant in das System hineinzuschleichen, eingeübte Betroffenheit zu vermeiden, Raum zu lassen, zu modellieren und auszuprobieren, um die Akteure anzuregen, eigene Lösungen zu finden. Die Interveneure bemühen sich, die Sprache des Klientensystems zu erlernen, also konfluent zu handeln, achten aber darauf, nicht vom System vereinnahmt zu werden. Sie schaffen persönliche Nähe und halten respektvolle Distanz. Jede Form der Kommunikation löst bei den Zuhörern sehr unterschiedliche, persönlichkeitsspezifische Assoziationen aus. Sehr schnell können unerwartete Effekte resultieren, die den Veränderungs- und Lernprozess beeinträchtigen. Insofern ist behutsam mit den Interventionen umzugehen. Auch der Einsatz von Methoden und Aktionen ist kontextbezogen und individuell differenziert vorzusehen. Es gibt nicht die gute Methode für alle Zwecke und Menschen. Vielmehr liegt ein besonderer Wert in einer vielfältigen und spielerisch kreativen Vorgehensweise. In und mit der Sprache werden Widerstände ausgelöst, die Lernen ermöglichen, Intuition anregen und Verbindungen herstellen. So wird Verschüttetes wieder entdeckt und

223

4.2

4

Der Managementprozess

damit nutzbar gemacht. Sprache schafft Welten, Fabulieren erzeugt Wirklichkeit, Probleme mutieren zu Lösungen. Die aktuell gebräuchliche Sprache zeugt oft von einer Chronifizierung und festen Statik spezifischer Probleme. Begriffe verdinglichen Prozesse und Verhalten, können es damit anschaulich machen, verfestigen die Beziehungen und Handlungen aber oft wie „einbetoniert“. Mit der Einführung neuer Schlüsselwörter kann dann eine bewusste Mehrdeutigkeit und Konnotation zur Auflockerung führen. Das Wort „Streik“ schafft einen Unterschied, wenn es von einem Mitarbeiter bei gefühlter Überforderung eingesetzt wird. Dieses Wort ist akzeptierter Gebrauch, deutet an, dass die Bedingungen geändert werden müssen, ohne die Beziehung als solche in Frage zu stellen. Sprache kann gemeinsame Realität erzeugen aber auch verändernd wirken, sie wirkt stabilisierend oder dekonstruierend für das Gegenwärtige.

Abbildung 4-23: Analoge Interventionen Geschichten, Legenden

Interpunktion

Bild-Wahrnehmung Vereinbarung

Visions - Management Systemisches fragen Dramaturgie

Kunst, Design Sprache Bilder

Rhythmus Kleidung als Sprache Dialekt Witze

Metaphern Collagen Evokativ provokativ Befehl und Gehorsam Anweisungen

Ein imposantes Mittel, um den skizzierten „Dreisprung“ der unit of work zu bewältigen, sind Metaphern, hilfreiche Geschichten und Sprachbilder. Wie schon im ersten Kapitel erwähnt, können sich die Beteiligten an einem Veränderungsprozess in ihren Sichtweisen besser angleichen, wenn ein gemeinsames Bild der Situation geformt wird. So erzeugt beispielsweise die Metapher eines denkmalgeschützten Hauses, als Abbild einer Institution, hilfreiche Assoziationen und Lösungsbrücken. Das Unternehmen hat augenscheinlich einen hohen Wert, der aus der Tradition geschaffen wurde. Es schließen sich dann Lösungswege und notwendige Sofortmaßnahmen an: Kernsanierung, Dachreparatur usw. Diese Bilder lassen sich dann einfach in das konkrete Beispiel zurückspiegeln. Die Sichtweisen erweitern sich und der persönliche Kontakt zum Thema bleibt erhalten. Die Bildsprache ist reichhaltig und sinnlich. Sie erzeugt Möglichkeiten und schafft Sinn, ohne verletzend und entlarvend zu wirken.

224

Die Phasen des Managementprozesses

Beispielsweise hat Gareth Morgan in seinem Buch „Images of Organization“302 Sichtweisen von Unternehmen in Metaphern gekleidet, ohne eine Abbildung zu verwenden. Die Sprache wirkt hier erhellend, klärend und ordnend. Hilfreiche Geschichten öffnen die Perspektive. Die Situation kann so aus einer Metaposition beobachtet werden.303 Einige nützliche Sprachinterventionen sind in der Abbildung 5.3 zusammengefasst. Die spezielle Art und Weise der Kommunikation, die jeweilige Organisationssprache ist konfluent aufzuspüren und zu erlernen, um anschlussfähig kommunizieren zu können beziehungsweise verstanden zu werden. Die versteckten Ressourcen und Wege der Entscheidungsfindung sind zu entdecken, um die eigentümlichen und zum Teil kuriosen Muster zu nutzen und auf diesem Wege neue Möglichkeiten in das System zu schleusen. Besonders in „Entwertungskulturen“ sollten respektvolle und würdigende Sprachweisen und Usancen thematisiert werden. Dazu können die Schlüsselwörter variiert und in anderem Zusammenhang gebraucht, „Wie“-Fragen gestellt, Vorteile und Bejahungen bevorzugt, Unterschiede betont und Selbstverständlichkeiten in Zweifel gezogen werden. Alles auf der Basis einer nicht wissenden, reflektierenden, empathischen und selbstbewussten Basis der Interveneure.

4.2.5.5

Strukturelle Interventionen

Für die strukturellen Interventionen haben Königswieser und Exner den treffenden Ausdruck soziale Architektur und Design gewählt. Zu diesen vorprägenden Rahmengestaltungen gehören die grundsätzlichen Kontrakte zwischen Interveneuren und dem jeweiligen zu verändernden System, beziehungsweise der Auftraggeber. Zudem werden alle Gruppenbildungen und Organisationselemente dazu gezählt wie Steuerungs- und Dialoggruppe, Projektteam, sounding board, coachings, trainings, workshops, reflecting teams und die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung. Es werden Rollen und Funktionen, Zeitpläne, Budgets und die Ziele und Wertmaßstäbe definiert.304

302 Vgl. G. Morgan 1987 303 Vgl. dazu N. Peseschkian 304 Vgl. insbes. R. Königswieser/A. Exner, 1998, die alle Elemente detailliert erläutern

225

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-24:

Soziale Architekturen

Communication Design

POS, Interfaces Architektur, Environment Design

Industrial Design Architektur, Design

Events Flow , Empathie

Bilder Kunst Formensprachen Sitzordnungen

Atmosph äre Multimedia Interface

Das Design formt sich aus der Grobstruktur, in der das „Was“ und „Wer“ bestimmt werden. Hier dominiert das „Wie“, also die Prozesse und die Vorgehensweise. In diesem Buch sind diese Methoden und Wege den einzelnen Schritten im Veränderungsprozess (also den Kapiteln) zugeordnet, in denen sie besonders geeignet erscheinen.

Abbildung 4-25: Soziale Designs Räume Interfaces Interior Design Sitzordnungen Atmosphären

Budgets Funktionen Rollen

4.2.5.6

Projektgruppen Large Groups Dialog- Lerngruppen Reflecting Team Metaloge Timing, Pausen Coachings Feed back Supervisionen

Systeme spielen

Realisieren, Verwirklichen und Umsetzen kann Mensch am besten in Aktion üben. Da jede Intervention ungeahnte Reaktionen auslösen kann, ist Vorsicht geboten. So erweist es sich als geeignet, Simulationen und Spiele auch Computer gestützt zu nutzen,

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Die Phasen des Managementprozesses

um Wirkungen eigenen Handelns zu erproben. In Systemspielen305 können die Dynamik und Komplexität sozialer Systeme realitätsnah miterlebt, gestaltet und verändert werden. Diese Spiele verknüpfen die praktische Übung mit empirischen Forschungsmöglichkeiten. Im deutschen Sprachraum sind besonders die Modelle von Dörner und Vester diskutiert und angewendet worden.306 In beiden Forschungsbereichen wurde klar, dass der Erfolg keineswegs von Intentionen, der Mühe oder den Feldkompetenzen abhängt, sondern vielmehr von der Fähigkeit, ganzheitlich Situationen zu erfassen, behutsam vorzugehen und Orientierungsmuster zu verwenden. Im Internet lassen sich verschiedene neue Formen der Netzwerkbildung und des kollektiven Lernens finden. Im so genannten Knowledge networks finden sich Wissensarbeiter, um gemeinsam die Informationsflut besser handhaben zu lernen, wie kooperativ gelernt werden kann und neue Lösungen entstehen. Als virtuelle Konferenzen gestalten sich die Projekte Ressourcen schonend und effektiv. Die Reflexion durch andere Teilnehmer ermöglicht Double loop- und Deutero learning. Auf die interaktive Produktentwicklung im Internet mit dem Open Source Development wurde schon hingewiesen. Ein Systemspiel simuliert nicht nur Realität, sondern kreiert eine eigene Wirklichkeit. Die Spieler können so an der Entstehung, Dynamik und Turbulenz sozialer Systeme authentisch mitwirken und systemische Kompetenz erwerben. Spielen heißt Simulieren von Wirklichkeit, wobei wiederum nicht die eine reale Welt abgebildet, sondern Neues geschaffen wird, das Merkmale des Vorbildes und eigenständige Aspekte enthält. Ein Spiel, das soziale Systeme simuliert, weist eine gewisse Ähnlichkeit auf, die durchaus Rückschlüsse auf die ursprünglichen Systeme enthält. Insofern lässt sich spielend trefflich und ohne Risiko lernen. Es entsteht ein Lernfeld sozialer Komplexität. Die Spieler können im Spiel Kompetenzen erwerben und erleben sich selbst in typischen Alltags- und Entscheidungssituationen. Es wird die Konstituierung sozialer Systeme beobachtet, wie Rollen, Funktionen und Strukturen entstehen und es werden die Wirkungen eigener Aktionen erkannt. Selbsterfahrung und Selbstwirksamkeit, Kooperation und kooperatives Lernen, Identität und Veränderung können zur Probe erlebt werden. Die zum Teil notwendige Beschränkung der Komplexität führt zum Respekt vor der Vielgestaltigkeit und Vernetzung in realen Situationen und die Wirkungen auch kleinerer Veränderungen werden deutlich vor Augen geführt. Die Unmöglichkeit der Beherrschbarkeit, Planung und Vorhersage kann unmittelbar erlebt werden. Daneben bietet fast jede soziale Interaktion Möglichkeiten der systemischen Beobachtung und Interventionen. Langweilige Vorträge und sonstige gesellschaftliche 305 A. Manteufel/G. Schiepek 1998 geben einen Überblick zu Systemspielen und konkreten Ein-

satzmöglichkeiten 306 Der Psychologe Dörner hat in mehreren Studien die Problemlösefähigkeiten erforscht und

Systemspiele entwickelt (vgl. z.B. D. Dörner 1989). Der Biokybernetiker Vester hat seine Modelle in zahlreiche Projekte eingebracht. Das Spiel Ecopolicy lässt eigenes Problemlöseverhalten erproben. Online Game unter www.zdf.de

227

4.2

4

Der Managementprozess

Verpflichtungen wandeln sich zu amüsanten Lernchancen, wenn versucht wird, die soziale Dynamik zu begleiten und durch kleine „freundliche“ Störungen den Verlauf zu beeinflussen. Weitere Anschauung bieten alle Formen „normaler“ Spiele und Gespräche. Im Spieleifer kurz auf die metasystemische Ebene zu wechseln, kann beruhigend wirken, emotionale Ausgeglichenheit erzeugen und lässt offenbarte Eigenschaften anderer Akteure kennen lernen. Im Fußballspiel können die sozialen Beeinflussungsprozesse ideal studiert werden. Die Art der Kommunikation steuert den Charakter des Systems. Das erklärt auch, dass italienische Trainer mit geringen deutschen Sprachkenntnissen nur in ihrer Heimat Erfolg haben. Auch kann die Atmosphäre einen so nachhaltigen Druck auslösen, dass gut ausgebildete Spieler, ihre Technik nicht mehr einsetzen können, aber nach intensivem Mono-, Dia- oder Metalog wie verwandelt aus der Pause wieder auf das Spielfeld kommen.

4.2.5.7

Sprache und Bilder

Systemisches Fragen Systemische Fragen richten sich vor allem auf Beziehungs- und Kommunikationsstruktur zwischen Menschen. Der spezifische Charakter der sozialen Systeme soll dabei veranschaulicht werden. Denn nicht ein System hat ein Problem, sondern vielmehr ist ein Problem ein sozial und individuell konstruiertes System. Die vielleicht harmlos erscheinenden Fragen wirken in sozialen Systemen intervenierend und somit verändernd. Es werden neue Informationen durch das gezielte Unterscheiden und Differenzieren gebildet und zwar durch das Anknüpfen an zum Teil unbewusste Elemente. Die Beteiligten nehmen autobiografisch wahr, sehen sich zu Ideen und Assoziationen angeregt. In der Regel wird nach Mustern von Beziehungen gefragt, da Probleme Prozesse sind, die sich in Verhalten und Kommunikation spiegeln. Mit zirkulären Fragen werden die Akteure veranlasst, das normale Interaktionsverhalten zu verlassen und von einer Metaebene aus, neue Perspektiven zu gewinnen. Im Grundsatz werden Fragen nach den Kreisläufen der Beziehung gestellt und die Beobachtung einer Beobachtung erfragt. Also zum Beispiel:

„ Für wen ist das, was Herr X tut, ein Problem? „ Was denken Sie, wie Ihr Chef die Beziehung zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern sieht?

„ Wie wirkt wohl ihr Führungsstil auf Frau Y ? Die zirkulären Fragen lassen sich in

„ Unterscheidungsfragen, „ Wahrnehmungsfragen und „ Möglichkeitsfragen unterscheiden. 228

Die Phasen des Managementprozesses

Hierbei ist wieder der Lösungszyklus mit den drei Modi der Unit of Work zu beachten: Es wird die Situation beschrieben und daraufhin kreativ an Lösungen gearbeitet, um dann über den Prozess zu reflektieren. Unterscheidungsfragen dienen dem genaueren Erfassen der Sichtweisen. Zum Beispiel kann klassifiziert werden: Welches Problem erachten sie als das bedeutendere? Wer ist die maßgebliche Person in diesem Team? Prozentfragen lassen die Neigung zu Entscheidungsalternativen sowie Ideen, Lösungen und Zuordnungen deutlich werden: Zu wie viel Prozent werden sie die Firma verlassen? Zu wie viel Prozent ist das Problem auf die Konjunktur, zu wie viel auf die mangelnde Produktpolitik zurückzuführen? Es werden Erwartungen erfragt und unterschieden: Wer glaubt, dass eine Lösung gefunden werden kann? Was müsste dafür gemacht, geändert werden? Zur Klärung der Situation tragen auch Subsystemvergleiche bei, wenn zum Beispiel Fragen nach den Beziehungen der Akteure untereinander gestellt werden (wer kann mit uns (nicht)?). Genauso sind Fragen nach der Übereinstimmung klärend, um Gemeinsamkeiten zwischen Akteuren festzustellen. Oft führt das im Konfliktfalle zu großen positiven Überraschungen. Weitere Hinweise zur aktuellen Situation bieten Fragen zum Impuls und zum Problemkontext (Wahrnehmungsfragen). Wer hat den Impuls zum Beratungsgespräch gegeben, wer möchte hier was? Wer glaubt an eine Chance zur Lösung? Des Weiteren sollte das Problem eingekreist werden. Da ja nicht für jede Person das Problem ein Problem ist oder zumindest anders gesehen wird, gilt es zunächst abzuklären, wie das Problem von den einzelnen Akteuren beschrieben und gesehen wird. Wer, wann und wie erkennt, dass das Problem gelöst ist, wer es zuerst erkannt hat, wann es auftritt und wann es weniger existiert. In einem „Tanz um das Problem“ wird es genauer umschrieben und die Bedeutung für die Beziehungsstruktur der Beteiligten erfragt. Es werden Ausnahmen (wann tritt das Problem weniger auf?) gesucht und die Entstehungsgeschichte erläutert. Auch kann interessant sein, was sich ändern würde, wenn das Problem gelöst ist. Wenn alle Meinungen, Gefühle und Beschreibungen thematisiert sind und eine gemeinsame Wirklichkeit geschaffen wurde, können neue Potenziale und Lösungen kreiert werden (Möglichkeitsfragen). Der Solution Talk beginnt. Wichtig ist, Zukunftspläne, Ressourcen und Lösungsmöglichkeiten zu erkunden: Was wollen sie konkret erreichen, was bewahren, was können sie unmittelbar lösen? Die Wunderfrage kann vollkommen neue Sichtweisen und Chancen eröffnen: Was wäre denn, wenn Montag alle Probleme vollständig gelöst wären? Wie würden sie die Situation beschreiben? Oft fühlen sich die Akteure an die Zeit der Märchen erinnert, wünschen sich eine Zukunft herbei, die gar nicht weit von der Realität entfernt liegt und aus eigenen Kräften erreichbar ist. Zumindest werden hier ein konkretes Ziel formuliert und die Bestandteile der Lösung aufgelistet. Mit der „DaKuzel“-Methode haben wir schon eine schnelle Lösungsfindung in Kapitel 3 und 4 vorgestellt. Es wird nach Ausnahmen, problemfreien Zonen und Lösungen 229

4.2

4

Der Managementprozess

Anderer gefragt. Hilfreich sind auch Fragen nach den Hindernissen zu Lösungen: Wer hindert sie, die erläuterte Lösung zu realisieren? Wenn Barrieren formuliert werden, tendieren sie zum Verschwinden? Auch kann das Problem verdinglicht und handhabbar gemacht werden, wenn Mensch Fragen stellt, wie das Problem herbeigeholt werden kann, oder so getan werden könne, als ob es da sei. Die Akteure erlernen dabei einen spielerischen Umgang mit Schwierigkeiten und gewinnen ihre Handlungskompetenz und ein Gefühl der Selbstwirksamkeit zurück.307 Neue Möglichkeiten können auch durch paradoxe Interventionen eröffnet werden. Hierbei wird gegen die gewohnte Erwartung gearbeitet. Im Zentrum steht das Paradox der Veränderung: „Werde, der du bist“ oder „Du kannst nur so bleiben, wenn du dich änderst.“ Verblüffend wirken zum Beispiel Fragen, wie der gegenwärtige Zustand noch verschlimmert oder vergrößert werden kann (Verschlimmerungsfragen). Oder es werden die Akteure verpflichtet, die Ursache für Probleme immer in einer Person oder Abteilung zu suchen (Symptomverschreibung). Es wird dann den Beteiligten selbst die einseitige Zuschreibung deutlich. Beispielsweise entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Ursachenzuschreibungen umgedreht werden: „Ich bin verärgert, weil die Kunden übertrieben reklamieren – Die Kunden reklamieren, weil ich übertrieben verärgert bin.“ Durch dieses Umdenken wird ein neuer Rahmen, eine überraschende Perspektive eröffnet, die aufzeigt, was die Probleme mit eigenem Verhalten zu tun haben könnten. Vollends in der emotionalen Sphäre landen Interventionen, die sich das Lachen und die Körperarbeit zum Thema machen. Die so genannte und in letzter Zeit weltweit populäre Lachtherapie kann als eine Variante paradoxer Interventionen gelten. Dabei werden die Probleme aus der Beobachterposition zweiter Ordnung geradezu „zerlacht“, also eigene Verhaltensmuster reflektiert und neu dimensioniert.308 Die Körperarbeit lässt Probleme unmittelbar spürbar werden. Sowohl interaktiv als auch individuell spiegelt der Körper die Probleme wider. Man kann auch sagen: „Der Körper lügt nicht und hat ein gutes Gedächtnis.“ Auf der Basis einer fühlbaren Diagnose können Strukturverschiebungen dezent (Haltungsveränderung, Übungen) eingeleitet und so Verkrustungen gelöst und andere Sichtweisen eröffnet werden.309

4.2.5.8

Der Psycho-physische Kontext: Die Atmosphäre als Gestaltungsmittel

Entwicklungsprozesse in Unternehmen sind neben den Rahmensetzungen310 stark von der physischen und sozialen Atmosphäre bestimmt. Sie bestimmt die Wahrschein307 Systemische Fragen wurden sehr anschaulich dargestellt bei A v. Schlippe/S. Schweitzer, 1997

S. 140 ff. 308 Vgl. z. B. M. Titze/C.T. Eschenröder 1998 309 Vgl. z. B. A. Bryner/D. Markova 1996 310 Rahmensetzungen wie Leitlinien, Strategien und Regeln werden in anderen Kapiteln (z. B. 4

und 8) erläutert

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Die Phasen des Managementprozesses

lichkeit von Ereignissen mit, beeinflussen auch die Tonalität von Persönlichkeiten. Atmosphäre ist als Ganzheit der physischen, psychischen und sozialen Einflüsse auf die Situation zu verstehen.311 Atmosphäre beschreibt die Beziehung von Kontextqualitäten und menschlichem Befinden. Atmosphären vermitteln die Umfeldreize zu den Sinnen, sind somit gestaltbare Transmitter in der sozialen Sphäre, die wesentlich zum Gelingen beitragen können. Die Architektur, die Räume, die Zeiträume alle Sinnesfaktoren wie auch die Sprachstile, Riten und Umgangsformen beeinflussen den Charakter der Kommunikation und der Beziehungen und damit die Eigenart des sozialen Systems. Sitzordnungen, Zeitpläne, Interior Design, Luftqualität und Sprachregelungen bedingen sich gegenseitig, sind zumeist typisch für das soziale System, weil sie es stabilisieren und konstituieren.

Architektur, Räume und Design Architektur und Innenarchitektur können als beeinflussende Aktionsfelder verstanden werden genauso wie Farben, Gestik und Kleidung. Die Kultur einer Unternehmung, die Verhaltensmuster und die Räume, in denen agiert wird, beeinflussen sich gegenseitig. Was passiert, ist maßgeblich von den räumlichen Gegebenheiten abhängig. Die Räume wiederum werden von Personen gestaltet, geplant und genutzt, die in spezifischer Weise miteinander kommunizieren und so die Kultur prägen. Alle Komponenten wie Klima, Räume und Kommunikation können von jedem Akteur variiert und beeinflusst werden. Die Bedeutung eines Corporate Design liegt in der Stabilisierung des Gewohnten und der Leit- und Orientierungsfunktion zu Neuem. In verstaubtem Mobiliar sind ebensolche Gedanken wahrscheinlich. Frischer Wind verändert die Situation und gewohnte Rituale werden gestört. Als konkretes Gestaltungsmittel eignet sich eine erfahrungswissenschaftliche Theorie, das chinesische Feng-shui. In der westlichen Welt findet es kaum Entsprechungen. Lediglich die Mustersprache der Architektur von Christopher Alexander kann als moderne Zusammenstellung gelingender, förderlicher Raumgestaltung erwähnt werden. In beiden Fällen werden nützliche Erfahrungen dargeboten, die Atmosphäre gezielt zu gestalten. Gerade in jüngster Zeit sind vertiefte Betrachtungen der menschlichen Sphären und des Habitats zu beobachten. Peter Sloterdijk hat seine Trilogie zu Sphären mit den pränatalen Klausuren fulminant begonnen.312 Eine spezielle UNOKonferenz befasst sich mit dem Habitat der Menschen und in Architektur und Management entdeckt man die Wirkungen stimmiger Umgebungen. Die Pattern Language von Cristopher Alexander u. a. versucht, lebendige Habitate von leblosen zu unterscheiden und systematisiert Raum- und Handlungsmuster, die die Wahrscheinlichkeit gelingenden Gestaltens und Bauens erhöhen sollen. Mit seiner

311 Vgl. insb. G. Böhme 1995, S. 21 ff. 312 Vgl. P. Sloterdijk 1998

231

4.2

4

Der Managementprozess

Mustersprache können Städte, Häuser und Räume naturgemäß gestaltet werden, so dass sie den Bewohnern einen hohen Nutzen bescheren und vitale Prozesse initiieren.313 Wieder andere Anregungen zur sinnlichen Gestaltung von Atmosphären gewähren die Lehren des japanischen Wabi Sabi. Sinnliche Gestalten können verwittern und vergehen ohne an Schönheit zu verlieren. Sie weisen daraufhin, dass die Natur keine rechten Winkel und geraden Linien kennt. Der technologische Exaktismus führt oft zu inhumanen, kühlen Abstraktionen.314 Im Folgenden möchten wir einige Aspekte der Raumgestaltung im Feng-shui-System andeuten.315

Feng shui – oder die stimmige Atmosphäre Ausgehend von der Überzeugung, dass das menschliche Leben eng mit der gegenseitigen Beeinflussung von Universum und Natur verwoben ist, beschäftigt sich Feng-shui mit der Positionierung des menschlichen Wesens in diesem Zusammenhang. Durch das taoistische Ying Yang- Prinzip ist der Mensch mit allem verbunden. Jede Veränderung im Universum erzeugt eine Resonanz von kosmischer bis hin zu atomarer Tragweite. Dies ist auch die Überzeugung der erst viel später in Europa geprägten Chaosoder Komplexitätstheorie, die ebenfalls eine universelle Vernetzung aller Aktionen feststellte. Ch‘í, die Kraft, die den Menschen mit der Umwelt verbindet, kann nach Überzeugung von Feng-shui so verändert werden, dass Harmonie und Balance entstehen. Durch die Nutzbarmachung von Umwelt-Ch‘i soll der Energiefluss im menschlichen Körper verbessert werden. Zwar glauben die Chinesen, dass dem Menschen von Natur aus eine gewisse vorbestimmte kleine, mittlere oder große Ch‘í Ausstattung in die Wiege gelegt ist, doch die Methoden vermögen die natürliche Energiezirkulation anzuheben oder zu senken. Der Mensch wird vom umgebenden Umwelt-Ch‘i getragen. Feng-shui- Experten ermitteln das Ch‘i des entsprechenden Menschen und seines Umfeldes und bieten dann Lösungen an, um den Ch‘í-Fluss zu optimieren. So soll ein glücklicheres und erfolgreicheres Leben realisiert werden. Daraus entwickelte sich die chinesische Auffassung, dass es auf Grund der magischen Verbindung zwischen Mensch und Umwelt Orte gibt, die besser und Glück bringender für den Mensch seien als andere. Durch Veränderung dieser Umwelt könnte es nun erreicht werden, sich selbst mit dieser in Einklang zu bringen. Das Prinzip des 313 Patricio Martin (Gestaltberater und Architekt) verdanke ich hier viele Hinweise und Anre-

gungen 314 Detaillierte Darstellung der sinnlich syntropischen Gestaltung bei G. Bergmann 1996. Zu

Wabi Sabi vgl. L. Koren 1995 315 Zu Alexander wurde schon in Kapitel 4 einiges ausgesagt. Er hat mit seinem Forscherteam

über viele Jahre ein System von Orientierungsmustern sinnvoller Gestaltung entwickelt. Vgl. C. Alexander u.a., 1977 und 1984. Die Prinzipien und Gestaltungsmöglichkeiten des Feng-shui können z. B. bei V. Rossbach, L. Yun, 1996 nachgelesen werden. Aktuelle Reportagen sind der Londoner Zeitschrift Feng-shui Magazine zu entnehmen

232

Die Phasen des Managementprozesses

Feng-shui zielt also darauf ab, die Mitwelt, sei es die Sphäre, das Haus oder einzelne Räume darin, unter Einbeziehung und Berücksichtigung anderer Mitwelteinflüsse wie Straßen, Topographie oder Menschen so zu gestalten, dass man einen ausgeglichenen, harmonischen Raum schafft, der es ermöglicht, ein gesundes, emotional ausgeglichenes Leben zu führen, welches nach chinesischer Überzeugung auch zum Wohlstand führt.

Lösungsansätze der atmosphärischen Gestaltung Die Lösungsansätze, die das Feng-shui anbietet, lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Unter den so genannten Ru-shr-Lösungen versteht man rational nachvollziehbare Veränderungen und Gestaltungen, beispielsweise die Auflockerung eines Raumes durch Verwendung von Grünpflanzen. Viel effektiver sollen die Chu-shr-Lösungen sein. Sie sind transzendental und mystisch und dienen der Kanalisierung des Ch‘iFlusses, um eine bessere Umgebung zu schaffen. Hier sollen aber nur einige Hinweise zur praktischen Anwendung gegeben werden. Das Grundschema Bagua mit seinen vier Polaritäten stellt das Grundmuster der Raumgestaltung dar. Verschiedene Tätigkeiten sind in bestimmten Raumbereichen besonders wirkungsvoll durchführbar. Ausgehend von drei Eingangsvarianten „Lernen“, „Veränderung“ und „Unterstützung“ werden die weiteren Felder bestimmt. Wenn man sich typische Aufteilungen und Anordnungen anschaut, wird deutlich, dass auch in der westlichen Welt intuitiv die Regeln des Feng-shui weitestgehend – aber zumeist unbewusst – berücksichtigt werden. Auf Vorstandssitzungen sitzen die ruhmreichen Personen in der Mitte der Wand, die dem Eingang gegenüber liegt. Rechts daneben sitzen oft die Finanzvorstände (Reichtum) und links die weiteren Partner. Diese Positionen ernten den Energiefluss aus dem Plenum und sitzen sicher mit großem Überblick. Sogar Geschäftsbriefe sind oft nach diesem Schema aufgebaut: Das Finanzamt weist seine Adresse auf der linken oberen Seite auf. Rechtsanwälte zumeist in der oberen Mitte. Kreative neigen zur Darstellung auf dem rechten vertikalen Rand. Neben der Raumaufteilung gemäß des Bagua sind der Lehre noch Hinweise zur Farbwahl, Materialverwendung und Gestaltung zu entnehmen. Feng-shui gibt bei der Planung einer Umgebung zum Leben auf alle eventuell auftretenden Fragen eine Lösung. Das Gebot, im Einklang mit der Natur zu leben, förderte eine der Landschaft angepasste Architektur im alten China. Das Feng-shui bewertet verschiedene Landschaftsformen, um die bestmögliche Umgebung für einen Menschen zu finden, damit er in seinem Wirken seine Entwicklungsmöglichkeiten voll ausschöpfen kann. Die Theorie, dass das Ch‘i in der Erde zirkuliert und sich dabei spiralförmig dreht, entspringt der Meinung, dass Orte, an denen sich Ch‘i an der Oberfläche bewegt, eine sehr günstige Umgebung bieten.316 316 In der westlichen Kultur sind diese Erfahrungen untergegangen, vielleicht weil unsere kel-

tischen Vorfahren wenig schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben. Intuitiv nutzen wir die Erkenntnisse jedoch noch oft

233

4.2

4

Der Managementprozess

Die Anwendung von Feng-shui gehört bei Geschäftsleuten an den asiatischen Handelsplätzen wie Hongkong und Singapur zum Tagesgeschäft. Sie lassen ihre Geschäfts- und Privaträume von Feng-shui-Kundigen überprüfen und verbessern. Sogar in Einzelfällen, beispielsweise vor dem Abschluss eines bestimmten Geschäftes, werden sie von Feng-shui-Meistern beraten, um die Vorteilhaftigkeit einer Transaktion zu ergründen. Auch in Europa und Amerika lassen sich Architekten von Feng-shui inspirieren. Sicherlich lassen sich ungezählte Beispiele vorstellen oder anführen, die die Vorzüge der Anwendung von Feng-shui nach Lehrbuchregeln bestätigen oder zumindest die Möglichkeit eröffnen, dass eine gewünschte Situation erreichbarer gemacht wird. In einer angenehmen Arbeitsatmosphäre wird man leistungsfähiger und kreativer arbeiten können als in einem Büro, indem man sich unwohl fühlt. In einem Sitzungssaal, der ein Gefühl von Kälte und Ablehnung ausstrahlt, werden keine guten Geschäftsabschlüsse getätigt werden können. Wenn Sozialräume, in denen die Mitarbeiter ihre Pausen verbringen sollen, um sich zu erholen, leer bleiben, werden sie keine geeignete Atmosphäre aufweisen. Dies alles ist einsehbar, obwohl die Wirkungsweise des Sying, des physischen Teils des Feng-shui, nicht wissenschaftlich erklärt werden kann. Die empirisch festgestellten Erfolge sprechen jedoch für sich.

4.2.5.9

Timing: die Gestaltung von Abläufen und Nutzung von Gelegenheiten

Eine wichtige Maßnahme ist das Timing als wesentliches mittel der Rhythmisierung des Prozesses. Oft muss zunächst die Geschwindigkeit aus gewohnten Prozessen genommen werden. Die surrende Chronologie wird bewusst verstört. Schlendern ist nicht nur Luxus, sondern Entschleunigung ermöglicht auch die genauere Wahrnehmung. Mit gezielten Retardandos können notwendige Zeiträume zum Verändern beschafft werden. Die schnellen Abläufe resultieren aus der Effizienz des Bekannten und Erfahrenen. Um umzusteuern bedarf es der bremsenden Störung. Um wahrzunehmen, bedarf es des Zuhörens. Deshalb sind offene Zeit-Räume zu bilden, in denen Lösungen erwachsen können. Genauso sind auch geeignete Gelegenheiten (Kairos) zu schaffen und zu nutzen, die einen effektiven Ressourceneinsatz zur Veränderung ermöglichen. Effektivität heißt, das Richtige richtig und zum rechten Zeitpunkt zu tun. Timing bedeutet dann, die Zeitsouveränität und eine gewisse Zeitvielfalt wieder zu gewinnen. Bisher haben wir die allgemeinen systemischen Interventionsformen erläutert, die eine Verwirklichung ermöglichen sollen. Im Folgenden beschreiben wir noch den konkreten Einführungsprozess für Produktinnovationen.

234

Die Phasen des Managementprozesses

Abbildung 4-26: Timing als Intervention Öffnungszeiten, Ladenschlusszeiten

gedehnte Zeit Interpunktion

Zeit-Wahrnehmung Vereinbarung

Zeit-Management Uhren

Zeit ist Illusion Dramaturgie

Timing Dauer von Meetings

Rhythmus

Pausen Bio-Rhythmus Stress (eu-diss)

Chronos, Kairos

Entschleunigung Beschleunigung Pünktlichkeit, Sirenen, Stoppuhr, Akkord

4.2.5.10 Realisierungswege in der Produktentwicklung Bei der Entwicklung von Produktinnovationen kommen wir nach der vierten Phase mit der Selektion und Planung zur verändernden Verwirklichung. Die Prototypen werden zu Realmodellen konstruiert.

Konstruktion und Detailgestaltung Erst nach der intensiven Vorprüfung wird der Prototyp im Detail ausgearbeitet und alle Fertigungsunterlagen, wie Arbeitspläne und Stücklisten, werden vorbereitet. In einigen elektronischen Produktbereichen fällt die Konstruktion mit der Entwicklung zusammen (Software), so dass hier automatisch ein simultanes und integriertes Vorgehen angelegt ist. Datenbank- und Expertensysteme können den Konstruktionsprozess erheblich erleichtern. In CAD-Systemen sind Konstruktionsprinzipien hinterlegt und können Erfahrungen anderer eingespeist werden. Zugleich lassen sich die Daten in die Fertigungs- und Logistikbereiche überspielen und dienen dort als Steuerungs- und Dispositionshilfen.

Wertanalyse, Optimierung/Markt- und Produkttests Spätestens in diesem Stadium spaltet sich der Designprozess in interne und externe Belange auf. In den technischen Abteilungen werden wertanalytische Optimierungen vorgenommen, um alle Kosteneinsparungspotentiale auszuschöpfen und die Erfüllung der Funktions- und Qualitätsanforderungen (Quality Function Deployment) zu überprüfen. Das Qualitätsmanagement begleitet die gesamte Programmentwicklung

235

4.2

4

Der Managementprozess

und kann wesentliche Impulse zur bedürfnis- und technologiegerechten Gestaltung geben. Ein weiterer bedeutender Bereich ist die ökologische Produktgestaltung. Wege sind hier durch die syntropische Gestaltung angezeigt. Es wird versucht, langlebige Werte zu erzeugen, die einen dauerhaften Nutzen bieten. Dem entropischen Prozess der Zerstreuung und „Vermüllung“ wird mit Aktivitäten zur Immaterialisierung und der Emissions- und Ressourcenreduktionen entgegnet. Besonders die Reduktion der Materialintensität spielt dabei eine große Rolle. Bei Dienstleistungen steht die wertige, auf dauerhafte Beziehungen ausgerichtete Kommunikation im Vordergrund. Viele Vorschläge kommen in der Regel aus den Öko- und Qualitätszirkeln der einzelnen Bereiche. Diese Defizite werden der Designentwicklung als Pflichtenheft unterlegt. Es wird versucht, die Dringlichkeit der Problemlösung festzustellen und daraus die Anregungen für die Produktentwicklung zu systematisieren. Diese Erkenntnisse können zur Verbesserung vorhandener Angebote oder zur grundsätzlichen Neuentwicklung anregen.

Fertigungsvorbereitung/Marketcoaching Wie notwendig eine frühzeitige integrative Entwicklung zwischen den Bereichen Technik, Design, Marketing und Logistik ist, wird insbesondere während der Fertigungsüberleitung deutlich. Schon in der Phase der Produktkonzeptionierung scheint eine intensive Zusammenarbeit geboten, um spätere Anlaufprobleme zu minimieren. Die Umsetzungsplanung ist dabei kontinuierlich aus dem ursprünglichen Designkonzept als einfaches und robustes Orientierungsinstrument zu entwickeln. In den Logistikabteilungen werden die Beschaffungsteile disponiert und die Materialwirtschaft wird organisiert. Die Verantwortlichen der Arbeitsvorbereitung bemühen sich um die Schulung des Personals, die Erstellung der Fertigungsunterlagen sowie auch die technische Ablaufplanung. In den Marketing- und Vertriebsabteilungen werden die Marktplanungen vorgenommen. Diese meint vor allem das Preismanagement, eine Bestimmung geeigneter Absatzkanäle und die Planung der Kommunikationskonzepte. Daraufhin lässt sich eine erste vorläufige Erfolgsplanung erwarten. Für die einzelnen Teilmärkte und Zielgruppen werden – soweit eine differenzierte Marktbearbeitung vorgesehen ist – spezifische Konzepte entwickelt. Mit den Kunden wird intensiv an der Optimierung der Abläufe gearbeitet und letzte Verbesserungen und Anpassungen vorgenommen (Marketcoaching). Eventuell sollen Preisstaffelungen (Preisleiter) für Angebotsvarianten erarbeitet werden, um mehrere Marktniveaus und Gebrauchsintensitäten abdecken zu können. Diese Differenzierungen müssten sodann mit der Kommunikations- und Distributionsplanung sowie auch im Gesamtrahmen abgestimmt werden. Günstige Ein-

236

Die Phasen des Managementprozesses

stiegsangebote werden beispielsweise werblich einfacher, aber – im Sinne der Gestaltungskonzeption – kommuniziert und über breitere Absatzkanäle angeboten. Dabei ist insbesondere auf die innere Konsistenz und Konsequenz im Marktauftritt zu achten. Negative Image-Effekte können den Absatzerfolg preisgünstiger Angebote überkompensieren und im Extremfall das Corporate Image nachhaltig beeinträchtigen. In der Wertschöpfungskette von den Lieferanten bzw. Vorproduzenten über Hersteller bis hin zu Händlern (Provider) und Konsumenten entstehen diverse soziale Systeme, jeweils in und zwischen den Unternehmen und Akteuren. Alle Unternehmen sind bemüht, ihre Identität zu erhalten, und wollen aber auch Wirkung auf andere erzielen. Sie müssen also einen Ausgleich zwischen Selbsterhaltung und Kontaktaufnahme suchen. Es werden Rollen und Funktionen ausgehandelt und es entstehen Machtgrundlagen, je nach Attraktivität und Eigenständigkeit des Angebots. Diejenigen Teilnehmer, welche die glaubhafteste Geschichte ihrer Unverzichtbarkeit, Alleinstellung, der sinnvollen Komplexitätsreduktion und Attraktivität erzählen können, gewinnen die Marketingführerschaft.

Innovationsmarketing Grundsätzlich geht es darum Aufmerksamkeit für Neuerungen zu erzeugen.317 Dabei ringen Hersteller um Händler um die Führung im Distributionssystem. Den Herstellern erwächst Einfluss aufgrund der Innovationspolitik, der Markenstärke oder aus Kooperationen. Die Händler verfügen über die Gestaltung des attraktiven Regalplatzes (Point of Sale). Sie können dort den Kunden direkt beeinflussen und Informationen einholen. Zudem können sie ihr Sortiment flexibel verändern und wichtige Standorte besetzen.318 In Verhandlungssystemen und durch kommunikative Handlungen werden diese Machtbasen nur nutzbar, wenn sie der anderen Seite glaubhaft erscheinen. Es bilden sich über die Zeit verschiedene Kommunikationskreise der gegenseitigen Beeinflussung und Deutung. Gemeinsam werden Wirklichkeiten kreiert, die das Distributionssystem als Ganzes prägen. Es sind förderliche (koevolutive) und konfliktäre (kollusive) Beziehungsysteme denkbar, je nachdem, welches Niveau die Interaktionen erreichen. Kollusive Relationen können durch systemische Interventionen verbessernd verändert werden. Koevolutive sind zu stabilisieren und weiterzuentwickeln.319 Das Innovationsmanagement sollte maßgeblichen Einfluss auf die Art der Vermarktung nehmen und die Einhaltung der grundsätzlichen Designleitlinien überwachen, damit der langfristige Erfolg gesichert wird. Das soll aber nicht heißen, dass nur aufwändige und hochpreisige Konzepte forciert werden. 317 Vgl. G. Franck: Mentaler Kapitalismus 2005 318 Ahlert, 1985; Bergmann 1988 319 Vgl. J. Willi 1996

237

4.2

4

Der Managementprozess

Grundsätzlich ist auch ein Mass-Marketing für Designprogramme realisierbar. Man denke beispielsweise an den erfolgreichen Marktauftritt von Swatch, die gerade das günstige Preisniveau zur weltweiten Durchsetzung ihrer Innovation gewählt haben. Trotzdem aber sollte das definierte Präsentationskonzept eingehalten werden, um das langfristige Designkonzept nicht zu gefährden.

Fertigung/Vertrieb Der Innovationsprozess mündet in die Programmbetreuung, die Fertigung und Vermarktung über den Lebenszyklus der Produkte und Programme. In permanenter Entwicklungsarbeit werden kontinuierlich Verbesserungen auf der Basis neuerer Erkenntnisse erarbeitet und Impulse für Neuentwicklungen gegeben. Es seien hier Hinweise und Verbesserungsvorschläge aus dem Total Quality Management, aus der Früherkennung von Trends und aus Markterfahrungen (Kunden) genannt, die in das Lernsystem der Organisation einfließen sollten.

Fallbeispiel: Bio Renner In der Firma Elsbett haben die Eigner und Ingenieure schon 1998 einen mit Pflanzenöl funktionierenden Dieselmotor entwickelt. Es entstand nach jahrelanger intensiver und kreativer Arbeit ein Dreizylinder, der mit allen Arten von Pflanzenöl läuft. Pflanzenöl kann günstig angebaut werden, ist weder explosiv noch giftig. Der Brennstoff ist CO2 neutral und emissionsarm. Dieses Produkt mit nahezu unschlagbaren Vorteilen, einer blendenden Ökobilanz und Effizienzgewinnen für die Nutzer konnte sich am Markt nicht durchsetzen. Alle maßgeblichen Großserienhersteller lehnten das patentierte und mit internationalen Forschungspreisen gewürdigte Konzept ab. Nur wenige zufriedene Käufer wurden bisher direkt von der Fa. Elsbett beliefert. Vorerst muss diese Innovation als gescheitert gelten.

4.2.6

Die reflektiven Phasen des Innovationsprozesses (Phase 6 Veränderungen spüren)

Mit der Wahrnehmung des Resultates beginnt der reflektive Modus des Prozesses. Flow oder Flop – das ist hier die Frage. Die Ergebnisse werden sodann reflektiert und gegebenenfalls Muster des Gelingens extrahiert und Fehleranalysen betrieben. Der Prozess wird mit sodann in der letzten Phase rituell beendet.

4.2.6.1

Flow erleben

Nachdem die Möglichkeiten der Realisierung vorgestellt wurden, geht es in der Phase 6 um die Wirkung der Lösungen. Es wird der Frage nachgegangen, wie sich die Beteiligten und Betroffenen mit den Veränderungen arrangieren, welche Widerstände und Konflikte auftauchen und wie sie überwunden werden können. 238

Die Phasen des Managementprozesses

Auf Messen und bei Produktpräsentationen offenbart sich die Resonanz auf die innovativen Entwicklungen. Kunden und Mitwirkende sind zufrieden und begeistert oder aber Widerstände und Unmut tauchen auf. Mit der differenzierten Analyse von Leitmotiven und Kundenbeobachtungen lässt sich u. E. das Flow-Konzept320 effektiv umsetzen. Der Gehirnforscher Gerhard Roth hat darauf hingewiesen, dass sich Menschen am Besten fühlen, wenn sie im Einklang mit ihren unbewussten Antrieben entscheiden und handeln.321 Flow wird individuell sehr unterschiedlich erzeugt und empfunden. Ein multiversales Angebot schafft die Voraussetzungen, um unterschiedlichen Akteuren aus verschiedenen Gründen Flow zu ermöglichen.322 Dabei muss man sich Flow nicht als extremes und seltenes Glückserlebnis vorstellen, sondern wohl mehr als alltägliches Empfinden im Einklang mit seiner Umwelt zu koexistieren. Man balanciert zwischen leichter Verunsicherung und Gewöhnung und stellt sich immer mehr anspruchsvolle Aufgaben. Flow entsteht, wenn diese Balance zwischen Herausforderung und Routine geschaffen wird. Kunden wünschen sich authentische Überraschungen und vertraute Qualitäten. Es müssen Basisfaktoren erfüllt und begeisternde Irritationen geboten werden. Dabei sollte die Innovation möglichst anschlussfähige Herausforderungen bieten, die aus dem bisherigen Angebot entwickelt erscheinen, aber einen neuen erkennbaren Nutzen stiften. Flow wird erzeugt, wenn weder Überforderung zu Unsicherheit noch Unterforderung zu Langeweile führt. Dieser Flow-Kanal wird von jedem Unternehmen in anderer Weise angesteuert. Wer seine Kunden schon immer mit Novitäten und Experimenten konfrontiert hat, ist gezwungen zu experimentieren. Bei konservativen Unternehmen dagegen, droht schnell die Überforderung. Mit diesen Kunden ist ausgehend von der bisherigen Kompetenz (die man sich relational also gegenseitig zutraut) eine lernende Entwicklung anzustreben, sodass immer wieder neue Herausforderungen gestellt werden, die dann Lernen möglich machen und die gemeinsame Kompetenz erweitern. Man lernt an Herausforderungen und benötigt deshalb Räume für Experimente und Herausforderungen, in denen fehlerfreundlich erprobt werden kann. Alles Gesagte gilt natürlich auch für den internen Bereich, wo Lernen im Flow ähnlich abläuft und die Mitarbeiter an ihren Aufgaben wachsen.

320 Vgl. Czikzentmihaly, 1998, 2004 321 Vgl. Roth, 2001 322 Vgl. Bergmann, 2004

239

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-27: Flow und Kompetenz

Neben begeisternder Zustimmung sind auch Widerstände und Flops oft nützlich, weil sie Mängel in der Konzeption anzeigen. Zu glatte Verläufe indizieren eher Problem erzeugende Pseudolösungen (PepseL). Diese „Pepsel“ sind Lösungswege, die aus einem mehrere Probleme erzeugen. Aktionismus, mehr desselben, NichtKommunikation, mangelnde Integration der Akteure, zu viel Kopie, wenig Eigenständigkeit usw. Das Marketcoaching, also die förderliche Begleitung von Marktentwicklungsprozessen, die Beobachtung aus zweiter Ordnung (Supervision, Coaching, Reflexion), ein Klima des Vertrauens, heterogene Teams sind einige Beispiele für dauerhafte Lösungswege. Zur Förderung der Akzeptanz kann es sinnvoll sein, die Kommunikations- und Interaktionsprozesse durch internes und externes Coaching zu begleiten.

4.2.6.2

Widerstände als Kehrseite des Flow

Widerstände äußern sich oft in der Ablehnung des neuen durch einzelne Akteure. So scheint es zumindest. Doch auch reaktantes Verhalten wird kontextuell beeinflusst und ausgelöst. Auf der persönlichen Ebene äußern sich Widerstände in Form von Neid, Missgunst, Eifersucht, Missachtung, offener Aggression, Ignoranz usw. Pathogene Strukturen lösen dieses Verhalten aus, genauso wie salutogenetische den Flow auslösen. Situationen und hier insbesondere Innovationen, die weder verstehbar, noch handhabbar oder sinnvoll erscheinen, werden ablehnend behandelt. Grundsätzlich tauchen Widerstände bei Empfindungen der Angst oder Unsicherheit auf der einen Seite und bei Langeweile und Apathie auf der anderen auf.. Der Kontext stellt dann für die Individuen zu viel oder zuwenig Anforderungen. Es wird zu wenig Inter-esse gebildet, zu wenig in-formiert. Widerstände zeigen in der Regel Missstände auf und geben Hinweise auf Verbesserungsmöglichkeiten. Die Akteure fühlen sich aus ihrer Sicht überfordert, nicht eingebunden oder irritiert, sodass sie subjektiv keinen Flow empfinden können. Mit den Verfahren der Nutzerintegration, die wir im Kapitel

240

Die Phasen des Managementprozesses

zur Phase Drei des Solution Cycles skizziert haben, können die Ablehnungsgründe ermittelt werden. Alle Formen von Widerstand können sowohl bei Akteuren im Unternehmen als auch bei Kunden und Nutzern auftreten. Zudem existieren unterschiedliche Formen je nach der jeweiligen Prozessphase.

Fallbeispiel: Change your Life in a Dance group In dem Film „Rythm is it“ wird anschaulich und einfühlsam die kollektive Erzeugung von Flow veranschaulicht. Schüler aus Berliner Schulen nehmen an einem Tanzprojekt mit den Berliner Philharmonikern teil und erlernen den Ausdruckstanz zu dem Stück, „Sacre du Printemps“ innerhalb von 7 Wochen. Die Choreographen erreichen durch kontextuelle Interventionen, dass die Jungendlichen ihre inneren Widerstände überwinden und sich gegenseitig bei ihren individuellen Lernprozessen unterstützen. Das Ergebnis nach dieser kurzen Zeit ist überwältigend. Sukzessive gewinnen die Akteure an Selbstbewusstsein und gewinnen Freude am gemeinsamen Gelingen. Über Disziplin bringt der Leiter der Gruppe die Jugendlichen zur Freude am Tanz. „Wir machen hier keinen Spaß, wir meinen das sehr ernst.“ Einmal unterbricht der Choreograph, ein erfahrener englischer Tänzer, den Unterricht als Einzelne sich über ihre Mitschüler mokieren und sagt dann: „Ein Freund ist jemand, der Euch bei eurer Entwicklung unterstützt, der euch ermutigt, etwas Neues zu versuchen.“ Letztlich erlebt man das Ergebnis dieses kollektiven Prozesses als große positive Überraschung. Bei den Ausgangsbedingungen wie der Mentalität der Schüler, der aussichtlosen sozialen Lage, des geringen Selbstwertgefühls, der geringen Neigung zum Ausdruckstanz (besonders bei den Jungen) und dem hohen Neuigkeitsgrad, hätte das Projekt eigentlich scheitern müssen. Doch die besondere Kontextgestaltung hat hier zu diesem phänomenalen Resultat geführt. Sehen Sie selbst liebe Leser. Widerstände – so kann man zusammenfassen – können reduziert oder beseitigt werden, wenn die Beteiligten intensiv integriert werden in den Prozess und besonders in Entscheidungsprozesse. Wenn auf die individuellen Wünsche, Fähigkeiten und Motive eingegangen wird, wenn die Bewältigung neuer Herausforderungen in einer angstfreien Atmosphäre gelernt werden darf, und wenn die Akteure einen Common Ground bilden mit gemeinsamen Zielen, Regeln und Usancen. Somit werden Innovationen handhabbar, verstehbar und bedeutungsvoll im Sinne der Salutogenese.

4.2.6.3

Überwinden und Nutzen des Widerstandes

Es existieren viele verschiedene Möglichkeiten, den Widerstand zu überwinden und zu nutzen, um bessere Innovationen zu realisieren. Eine Unternehmung wird nicht über Nacht zu einem innovativen und kompetenten Unternehmen. Der Prozess zur Vitalisierung kann durch folgende Handlungen und Bedingungen beschleunigt werden:

241

4.2

4

Der Managementprozess

Abbildung 4-28: Wichtige Faktoren zur Innovations- und Kompetenzentwicklung

„ Das Top-Management muss sichtbar und wirksam Innovationsprojekte unterstützen.

„ Den einzelnen Akteuren sollte die Möglichkeit gegeben werden, aktiv und selbstverantwortlich an den Prozessgestaltungen teilzunehmen.

„ Alle wesentlichen Stakeholder sind zu integrieren. „ Es ist ein Klima des Vertrauens und der „Felerfreundlichkeit“ zu schaffen. „ Orientierungsmuster innovativen Gelingens sind zu sammeln. „ Kommunikationsweisen im Unternehmen sind zu verbessern, insbesondere sind unterschiedlichen Perspektiven bei der Bewertung eines Vorgehens oder eine Idee zuzulassen.

„ Experimentierende Akteure sollten gefördert werden. „ Unternehmen sollten die Fähigkeit zur Selbstüberraschung kultivieren. Zum Beispiel durch Einladung von Kritikern und „Hofnarren“.

„ Coaches und Mentoren sind durch kritische Reflexion förderlich und unterstützend für Innovations- und Kompetenzentwicklungsprozesse.

„ Prozessbeschleunigung sollte unterbleiben, da alle „mitgenommen“ werden müssen.

„ Innovations- und Kompetenzmanagement heißt: Impulse für Neuerungen zu geben, den Rahmen mit Plänen, Regeln und Zielen zu gestalten und eine stimmige Atmosphäre zu entwickeln, die Kreativität und Effektivität ermöglicht. Das gesamte Prozessmanagement besteht in einem Ausgleich von Öffnung und Kreativität sowie Struktur und Effektivität. Wenn Innovationen scheitern, sind oft nicht alle Stakeholder integriert, Kritiker überhört und fast immer ist zuviel Druck ausgeübt worden. Rational überzeugende Innovationen allein genügen nicht. Oft werden sogar die suboptimalen Innovationen akzeptiert: So scheiterte Video 2000 gegenüber VHS, so kam Apple ins Hintertreffen gegenüber der MS DOS/Windows Welt, so setzte sich die Schreibmaschinentastatur durch, die sich erheblich besser anordnen ließe, so werden Organisationsstrukturen geduldet, die verbesserungswürdig sind, so werden Kundenbeziehungen aufrechterhalten, die Verluste erzeugen usw.

4.2.6.4

Behandlung von Konflikten

Konflikte sind ein normaler Bestandteil des sozialen Lebens. Sie können Beiträge zu neuen Erkenntnissen liefern und einige Akteure leben im strukturellen Konflikt. Widerstreitende Interessen zwischen Industrie und Handel, zwischen Managern und

242

Die Phasen des Managementprozesses

Mitarbeitern oder zwischen Unternehmern und Gewerkschaften sind nicht lösbar. Sie können aber als Basis für gute kooperative Übereinkünfte genutzt werden. Konflikte können also dazu dienen, verschiedene Sichtweisen und Meinungen in Entscheidungen mit einzubeziehen. Die Konflikthandhabung dient dazu, widerstrebende Interessen auszugleichen, deeskalierend zu wirken und allen gleiche Rechte zu gewähren. Besonders müssen die Emotionen kontrolliert werden, um sachliche kooperative Lösungen zu ermöglichen. Es müssen Entscheidungen rein aus machthierarchischer Attitüde unterbleiben. Folgendes ist zu beachten: Emotionen regulieren, also emotionale Intelligenz entwickeln die Situation und Sichtweisen zu klären alle Standpunkte thematisieren Unterschiede und Gemeinsamkeiten definieren Ansätze für einen Ausgleich der Interessen zu finden Ursachen für Konflikte sind vielfältig. Einige typische Quellen wollen wir nennen:

Abbildung 4-29: Konflikte, Konfliktursachen und Lösungsansätze

„ Zielkonflikte: Verschiedene Ziele der Beteiligten „ Wahrnehmungskonflikte: Unterschiedliche Wahrnehmung der Situation „ Kommunikationskonflikte: Kommunikationsdefekte und Missverständnisse in technischer und psychologischer Hinsicht

„ Machtkonflikte: Wer sagt wem was Lösungsansätze für Konflikte sind:

„ Aktives Zuhören: Alle Seiten zur Sprache bringen. Allen Gelegenheit geben, ihren Standpunkt zu erläutern

„ Beobachtung zweiter Ordnung: Eine neutrale Position in Form eines Moderators, Mediators, Supervisors oder Coaches integrieren

„ Win-win-Lösungen anstreben: Gemeinsamkeiten auch in Teilen der Ziele finden „ Kommunikationsatmosphäre verbessern: Dialogtechniken erlernen, externe Kommunikations-Coaches einsetzen

„ Konfliktlinien zwischen Persönlichkeitstypen thematisieren: Empathie und Verständnis wecken

„ Reine Machtaktionen beschränken: Chefs müssen sich zurücknehmen, führen heißt gestalten und nicht anordnen

„ Selbstorganisation ermöglichen

243

4.2

4

Der Managementprozess

4.2.7

Wissensmanagement und Lernsysteme (Phase 7 Lernen)

Seit einiger Zeit stehen die Methoden des Innovations-, Wissensmanagement und der Kompetenzentwicklung verstärkt im Mittelpunkt der Diskussionen. Innovationsmanagement wird als Gestaltung der Erneuerung in verschiedenen Bereichen definiert.323 Wissensmanagement organisiert die intelligente Organisation, wie Willke beschreibt.324 Kompetenzmanagement ermöglicht die komplementäre Selbstorganisation beider Bereiche und erleichtert die subjektiven Entwicklungsbedingungen durch entsprechende Kontextgestaltung. Unterscheiden wir die Bereiche um die es hier geht noch einmal genau:

Abbildung 4-30: Unterscheidungen Wissensmanagement: ist der Versuch, in Organisationen das Wissen zu finden, welches gesucht wird. Man ist darum bemüht, die komplexe Wissensbasis einer Organisation transparent und zugänglich zu machen. Innovationsmanagement: soll das Wissen und Können finden, welches nicht dezidiert gesucht wird, soll Handlungsweisen hervorbringen, die Neues entstehen lassen. Kompetenzmanagement: bringt beide Sphären zusammen und soll zeigen wie etwas gesucht und gefunden werden kann. Wissensmanagement ist, wenn man es genau betrachtet, eigentlich eine unmögliche Aufgabe oder wie es Wilson sagt: „The nonsense of knowledge management.“325 Man kann genaugenommen Wissen nicht managen, sondern nur den Informationsprozess innerhalb der Organisation. Wissen erwirbt immer nur das Individuum. Wissenserwerb ist ein mentaler Prozess des Begreifens, Verstehens und Lernens, der sich ausschließlich im Gehirn eines Individuums abspielt. Jeder Vorgang des Wissenserwerbs oder Lernens ist somit in erster Linie ein subjektiver Vorgang. Die Informationen, welche das Individuum von außen erhält, müssen aktiv in seine vorhandene Wissensstruktur eingebaut werden, sie werden dazu nach den soziobiografisch-historischen Bedingungen des jeweiligen Individuums kognitiv umgebaut.326 Ein Individuum lernt immer im soziobiografisch-historischen Kontext seiner mentalen Lernressourcen und im sozialen Kontext des Lernsettings. Lernen ist ein „Prozess der Abweichungsverstärkung“, Lernen bedeutet „ (...) mit der Veränderung des eigenen Verhal323 324 325 326

244

Hauschildt, J. 1997, S. 4 f. und 11 f. Willke, H. 1998, S. 39 Wilson, T. D. 2002 Siehe u.a. Foerster, H. v. 1999, Glasersfeld, E. von 1996, Roth, G. 2001, Roth, G. 1995, Schmidt, S.J. (1994), Radenheimer, M. 2002

Die Phasen des Managementprozesses

tens zu reagieren.“ Wissensmanagement (Knowledge Management) ist ein integratives Konzept zur Gewinnung, Weiterentwicklung sowie der effektiven Erschließung und dem Transfer von Informationen in einer Organisation. Es weißt organisatorische, informationstechnologische und psycho-soziale Komponenten auf. Dieses Wissensmanagement sollte den Fluss der Ideen ermöglichen und das Dürfen, Wollen und Können vereinen. Ein gutes Wissensmanagement stellt die ganzheitliche Unterstützung aller am Innovationsprozess Beteiligten sicher. Mit dem Konzept der Lernenden Unternehmung werden diese Gedanken ergänzt, auch wenn es hier noch immer große Disparitäten gibt.327

Abbildung 4-31: Vorraussetzungen sinnvollen Wissens- und Kompetenzmanagements 328 inputseitig:

„ Hohe Qualität der Informationen, im Sinne von Handlungsrelevanz und Prägnanz

„ Gründliche Auswertung von Erfahrungen zum Beispiel mit einem einfachen und deshalb realisierbaren Reporting

„ Anreize zur Wissensweitergabe in Form von Prämien und Zeitkontingenten „ Generalisierbare Erkenntnisse zu Best Patterns formen „ Einfache Sprache, kurze und klare Texte und Veranschaulichung mit Bildern infrastrukturell:

„ „ „ „ „

Einfach handhabbare Datenbanksysteme mit hoher Benutzerfreundlichkeit Think Tools und mediale Vernetzung Professionelle und kontinuierliche Pflege der Daten Betonung wichtiger Elemente und komplexe (non-trivialisierte Modelle) Leichte Zugänglichkeit

nutzerseitig:

„ „ „ „ „

Aktive und routinierte Nutzung der Wissensbasis Laufende Evaluation Aktive Beteiligung auch als Experte Gute Vernetzung der Teilnehmer Aufbau methodischer Integration

327 Siehe u.a. Baecker, D. 2003 Organisation und Management, S. 182 und a.a.O., S.179: „Seit über

20 Jahren versucht die Organisationsforschung das Problem zu lösen, wie Organisationen lernfähig gemacht werden können. Wenn man zu diesen Bemühungen, die sicherlich fortgeführt werden, eine Zwischenbilanz ziehen möchte, dann kann man nur festhalten, dass nach wie vor das Problem überzeugender ist als jede Lösung“ 328 Vgl. Willke 1998

245

4.2

4

Der Managementprozess

Das kollektive Lernen wird durch organisatorische Schritte gefördert: Effektive Kommunikation, Kooperationsmöglichkeiten zwischen Stellen und Personen, sehr gute technische Hilfsmittel und eine lernorientierte Atmosphäre können hilfreich sein, den Transfer von Wissen wahrscheinlicher werden zu lassen. In geeigneten Usability und Leitmotiv Labs lassen sich wesentliche Erkenntnisse durch Beobachtung gewinnen. Lernsysteme sind die Verbindung von organisationalem Lernen und individuellem Lernen. Das Lernen in Organisationen gründet sich dabei immer auf das individuelle Lernen. Genauso wie im Gehirn eines Menschen neuartige Verknüpfungen hergestellt werden, werden in der Organisation neue Verbindungen entwickelt. Menschen vernetzen sich, kommunizieren und lernen somit kollektiv nützliche Verhaltensweisen, Modelle und Methoden. Organisationen sind soziale Systeme, die sich, wie erläutert, aus kommunikativen Handlungen bilden. Wenn sich neues Wissen (Erkenntnis), neue Verknüpfungen und Problemlösungen bilden oder gar Double-LoopLearning Elemente durch Reflexion integriert werden, wird das Spektrum der Aktionsmöglichkeiten erweitert. Lernsysteme in Organisation begünstigen die Entwicklung von Fähigkeit zur Anpassung an neue Bedingungen. Der Wille, das Können und das Dürfen sind integrierende Faktoren dafür, ein sich selbststeuerndes System zu erzeugenden und dadurch „verbessernde Veränderungen“ hervorzurufen. In diesen Systemen wird individuelles Wissen zu kollektiv geteiltem Wissen innerhalb der Organisation. Subjektiv implizites Wissen wird zu explizitem Wissen und individuelles Wissen zu kollektivem Wissen. In einer lernenden Unternehmung gibt es eine kollektiv reflektierte Wandlung von Wissensformen. Dabei lernt jedes soziale System schon immer in einer bestimmten Form und Stärke. In jeder Organisation sind allzeit Aktivitäten zu finden, welche als Quelle einer lernenden, vitalen Unternehmung betrachtet werden können. In der folgenden Abbildung sind dazu einige Anstöße und Lernaktivitäten aufgezeigt, die als Basis eines Corporate Learning System (CLS) betrachtet werden können.

246

Die Phasen des Managementprozesses

Abbildung 4-32: Grundbedingungen für ein Corporate Learning System

„ Commitment muss in der Geschäftsführung vorhanden sein „ Lernbedingungen müssen optimiert werden durch die Gestaltung lernfreundlicher Umgebungen (sowohl materiell als auch formal)

„ Lernen sollte methodisch in alle Bereiche der Organisation integriert werden „ Kommunikationsprozess über Lernen sollte in Gang gesetzt werden „ Lernsysteme sind dann erfolgreich, wenn Lernen zum „Normalfall“ wird „ Dokumentation der Lernschritte und auch Misserfolge nicht auf individueller Ebenen sonder auf Team- oder Abteilungsebene.

„ Lernen sollte als Erweiterungsprozess für alle begriffen werden, nicht als Hierarchisierungs- und Ausschlussmöglichkeit (kein Beleidigungslernen durch Benotung und Ausschluss)

„ Lernen sollte als eine Investition und nicht als ein Kostenfaktor betrachtet werden Kristallisationspunkt ist oft die innovative Produktpolitik, die sich im Lern- und Lösungszyklus vollzieht, neue überraschende Erkenntnisse zutage fördert und weiterführt bis zur Optimierung der gesamten Wertkette. Besonders hierbei kommen Gewinnung, Verteilung und Anwendung neuer Erkenntnisse zusammen. Das CLS wird – wie andere Projekte auch – im Lern- und Lösungszyklus in kleinen aber zielstrebigen Schritten entwickelt. Bei der Entwicklung zum vitalen Unternehmen wird in unterschiedlichen Stadien angesetzt. Wenn nur wenige Voraussetzungen vorliegen und im Wesentlichen statisch operativ gearbeitet wird, ist eventuell mit einer Projektgruppe zu beginnen, um dann mit den unten genannten Organisationsformen darauf aufzubauen.

Abbildung 4-33: Idealtypische Modelle des CLS

„ Profitcenter „ Weiterbildungszentrum „ Projektorganisation „ Integriertes Lernsystem „ Lernkultur, permanente Weiterentwicklung „ Learning Community, Networking „ Das vitale und innovative Unternehmen

247

4.2

4

Der Managementprozess

Daraufhin gilt es zu prüfen, welche Form von Lernaktivität schon praktiziert wird. Der Prozess verläuft dann idealtypisch in den aufgezeigten Phasen:

4.2.7.1

Der Prozess der CLS Entwicklung

Standardisiertes Lernen:

„ Seminare „ Weiterbildung „ Trainings „ Individuelles und spezielles Lernen: „ Personalentwicklung „ Special Skills „ Knowledge Management Veränderungsinitiativen:

„ Projekte, Lernwerkstätten, Learning Communities „ Events wie Projekte, Open Space, Unternehmens-Theater u.a. „ Organisations- und Unternehmensentwicklung „ Innovation als Element der Unternehmensstruktur und –kultur Planung und Koordination:

„ Verknüpfung mit strategischen Initiativen „ Aufbau Mustererkennung, Spielregeln des Gelingens „ Früherkennung, Marketingforschung und Controlling: Kreislauf der Erkenntnis, Partnering

„ Verknüpfung mit Stakeholdern, Key Accounts und Beratern „ Etablierung CLS „ Entwicklung des vitalen Unternehmens 4.2.7.2

Musterbildung als Dichtung

Christopher Alexander skizziert den Entwicklungsgang der Musterbildung als einen poetischen Prozess.329 Der Verlauf der Musterbildung wird als ein schöpferischer Akt, ähnlich dem Verfassen eines Gedichtes angesehen. Doch wozu Musterbildung? Die 329 siehe Ch. Alexander 1977 und 1984

248

Die Phasen des Managementprozesses

Musterbildung in einem Lernsystem dient dazu die Systematisierung des Lernens zu gewährleisten. Es sollen Muster erkannt werden, die es ermöglichen, eine Lernstufe höher zu gelangen. Muster sind Handlungsweisen, Problemlösungen, die erfolgreich waren und es ermöglichen, aus ihnen zu lernen. Einmal erfolgreich angewendete Problemlösungen können dazu dienen, den Prozess der Problemlösung zu reflektieren und aus dem „Wie“, dem Muster, zu lernen. Die tatsächliche Musterbildung geschieht in Form der „Dichtung“, wie Alexander hervorhebt. Dies heißt, dass viele Bedeutungen eingefangen werden, verschiedene Interpretationen zugelassen werden und es Platz für individuelle Spielräume gibt. Die Beschreibung der Musterbildung durch die Akteure, die an diesem Prozess teilgenommen haben, ist gewissermaßen ein hermeneutischer Prozess. Bedeutungen werden konstruiert, das Ganze wird sichtbar durch die Integration der Stimmen vieler. Ähnlich wie in einem Gedicht, so Alexander, wirkt nicht der Informationsgehalt der Worte, sondern die eigentümliche Anordnung und Vernetzung. Die Sprache braucht die Regel, um verstehbar zu sein. Neues wird allerdings dadurch geschaffen, wenn gegen diese Regeln verstoßen wird. Jede Organisation besteht aus Mustern in Form von Prozessorganisationen, Strukturen, Verhalten. Diese Muster sind jedem so vertraut, dass sie fast kaum mehr als solche interpretiert werden. Deshalb wird es oft vergessen, die Orientierungsmuster von den Stereotypen zu trennen. Orientierungsmuster sind jene Handlungsweisen, die erfolgreich waren, Stereotype sind nur häufig wiederholte Handlungsmuster. Diese Muster nennt Alexander auch Pattern Language, ein Regelsystem gelingender Prozesse. Obwohl diese „Mustersprache“ für die Architektur entwickelt wurde, beantwortet sie die Frage nach den Grundlagen und Regeln vitaler Systeme.

4.2.7.3

Business Stories und Mikro Arts

Jede Organisation besteht sowohl in ihrer Außenwirkung als auch in ihrer Innenwirkung auf erzählten Geschichten. Das mag für wirtschaftswissenschaftlich ausgerichtete Ohren etwas merkwürdig klingen, da man in der Regel davon ausgeht, dass sich ein Unternehmen an seiner Marktstellung, seinen Produkten und nicht zuletzt an seinem Umsatz messen lässt. Doch wenn wir einmal etwas genauer hinschauen, so können wir erkennen, dass zu jedem Unternehmen eine dazugehörige Geschichte existiert. Diese Geschichten werden insbesondere von der Managementebene erzählt und sie stellen, wenn sie glaubwürdig sind, eine wirkungsvolle Methode der Leitung dar. Business Stories sind ein integrativer Faktor der Unternehmensorganisation. Sie bestehen, ähnlich den erzählten Lebensgeschichten von Personen, aus einem Teil Realität und einem Teil Fiktion. Jeder erzählt seine Lebensgeschichte so, wie er die Gewichtungen von wichtig und unwichtig setzt. Keine Story gibt die reale Geschichte wieder, da alles Story-telling immer eine Form der subjektiven Erfindung ist. Selbst die viel bemühte „objektive“ Darstellung eines Unternehmen anhand der Bilanz und GuVRechnung ist nichts anderes als eine bestimmte Form des Story-tellings, jenseits ver-

249

4.2

4

Der Managementprozess

meintlicher Objektivität, wie jeder unschwer erkennen kann, der sich mit den ungeahnten Möglichkeiten der Bilanztricks auskennt. Um eine halbwegs „objektive“ Form der Business Story zu erlangen, sind deshalb die unterschiedlichen Perspektiven der Akteure in einer Organisation heranzuziehen. Zwar prägt die erzählte Geschichte aus der Leitungsebene wesentlich das Selbstbild der Organisation, allerdings sind die „Stories“ welche die Mitarbeiter erzählen von anderer Gestalt. Die Business Story kann, wenn wir möglichst viele Perspektiven integrieren, eine gute Basis für Innovations- und Kompetenzentwicklung sein. Business Stories können das Lernen beflügeln, wenn die unterschiedlichen Wahrnehmungen von „Realitäten“ der Unternehmensgeschichte zur Grundlage gemacht werden. Man kann dadurch etwas über Motive, Begründungen und Entscheidungshaltungen für Entwicklungen in der Organisation erfahren. Business Stories sind so die Basis der Mustererkennung, der Handlungswirklichkeiten einer Organisation. In jeder Organisation sind Gruppen und einzelne Akteure vorhanden, die über spezifische Fähigkeiten verfügen und die Veränderungsprozesse in einer erfolgreichen Art und Weise mitgestaltet haben. Die erzählten Stories darüber können dazu dienen, die bisherigen Handlungsweisen reflexiv zugänglich zu machen und daraus zu lernen. Gerade die systemisch orientierte Beratung von Organisationen macht sich diese Tatsache zunutze und versucht aufgrund intensiver Diagnosen der Differentiated Views, den Kern der Handlungsalternativen und die erfolgreichen Muster herauszufinden. Die Entwicklung von Organisationen beruht zu einem nicht unerheblichen Teil auf diesen erzählten Geschichten, Rationalitätsfassaden und institutionalisierten Mythen. Konkret bedeutet dies, dass die Handlungsstrukturen, erzählt in den Stories, von Organisationen durch die in ihnen handelnden Individuen beständig aktualisiert werden. Nicht irgendwelche vorhandenen, materiell greifbaren Strukturen alleine limitieren Handlungen, sondern vielmehr die Art und Weise ihrer beständigen Reproduktion durch die Akteure. Es kann so in Organisationen zu einer innerorganisatorischen Entstehung von Präferenzen kommen.330 Diese auch als „Lock-in-Effekte“ zu bezeichnenden Handlungsroutinen oder strukturellen Aktionsprägungen sind es, die häufig innovatives Verhalten und somit Innovationen verhindern oder zumindest stark behindern. Unter Mikroarts versteht man kleine, von Mitarbeitern verfasste Artikel, um in komprimierter Form Wissen weiterzugeben.331 Ein Autor hat eine Idee, Erfahrung oder ein Konzept, das er anschaulich und kurz darstellt. Der Artikel wird im Unternehmen publiziert, allgemein zugänglich gemacht. Der Erfolg des Wissens ergibt sich aus der Nutzung. Weitere Erkenntnisse verbessern den ursprünglichen Beitrag. Im besten Falle kann eine wesentliche Regel oder ein Muster gefunden werden.

330 Berger, J. 1999 331 Siehe Willke 1998, S. 100 f.

250

Die Phasen des Managementprozesses

4.2.7.4

Intranet und Extranet

Wissensmanagement ist in erster Linie weniger die Verwaltung und Speicherung von Daten, sondern vielmehr die sinnvolle Verdichtung und Aufbereitung und der Transfer von Wissensressourcen. Neue Informationstechnologien ermöglichen eine benutzerfreundliche und interaktive Gestaltung der Medien. News Groups, Diskussionsforen, kreative Chat-Runden fördern den effektiven Austausch von Erfahrungen. Dazu erweist sich besonders das so genannte Intranet als sinnvoll. Das Intranet ist ein unternehmensinternes Netzwerk, welches auf der Internettechnologie basiert und auch ähnlich funktioniert. Ein oder mehrere interne Server ergänzen die externen Informationspools. Alle Features des Internets wie News Groups und e-Mail, können auch intern realisiert werden. Das interne Wissen wird nach außen hin geschützt und vor Zugriffen gesichert. Ansonsten gibt es fließende Übergänge zwischen den Netzen. Entscheidend für die aktive Nutzung der Systeme ist eine (für Befugte) leicht zugängliche und multisensual wahrnehmbare Gestaltung. Es kann dadurch verhindert werden, nur Archive zu füllen und riesige Datenmengen ohne Informationsgehalt anzulegen. Wissensmanagement ist ein integratives Konzept zur Gewinnung, Weiterentwicklung sowie der effektiven Erschließung und dem Transfer von Informationen und Erkenntnissen in einer Organisation. Es weißt organisatorische, informationstechnologische und psycho-soziale Komponenten auf. Zur Gestaltung und besseren Handhabung der Wissensmanagement Prozesse, ist die Kopplung der Nutzung von Intranet und Extranet sinnvoll. Die Akteure in einer Organisation sollten beide Netzwerke zur Erweiterung ihres Wissens nutzen. Wichtig ist auch die Weitergabe von relevanten Informationen aus dem Extranet in das Intranet. Um das Intranet aktuell zu halten wäre es vorstellbar, es in einer Art von „Wikipedia Enzyklopädie“ zu führen. Hier kann dann das unternehmensinterne Wissen in den vielen Bereichen von allen ergänzt, verbessert und gemeinschaftlich kontrolliert werden. Dazu bedarf es allerdings eines Einstellungswandels bei den Mitarbeitern, der „Herrschaftswissen“ verhindert. Herrschaftswissen, verstanden als Wissensvorsprung, welches Einzelpersonen ihre Positionen sichert. Dieses „Wissensverhalten“ ist aber gleichzeitig eine der Kernprobleme lernender Organisationen. Die Aufgabe von Herrschaftswissen kann dabei nicht verordnet werden, sondern ist nur durch die Herstellung einer Vertrauenskultur in der Organisation langsam aufzulösen. Ganz beseitigen wird man sie, solange Organisationen hierarchisch organisiert bleiben, wahrscheinlich nie.

4.2.7.5

Mustererkennung

Lernen wird nicht als ein abgeschlossener Prozess betrachtet, sondern als eine fortwährende, sich selbst kritisch betrachtende Entwicklung von Verhaltensweisen. Auf den unteren Lernebenen können Lernprozesse absolut rigide und restriktiv gehandhabt werden, das stört den Lernprozess nicht unbedingt. Die Lernsysteme höherer Ordnung benötigen „Kontextgestaltung“ für den Lernenden, darüber hinaus sind

251

4.2

4

Der Managementprozess

Leidenschaft und Motivation der Lernenden unentbehrlich. Organisationales Lernen stützt sich auf alle drei genannten Lernstufen. Es ist deshalb wichtig, auf allen Lernstufen entsprechende Kontexte zu schaffen. Es wird dadurch die Fähigkeit mit Neuem umzugehen, sowie das Reflexionsvermögen sowohl auf kognitiver als auch auf normativer Ebene erweitert. Um wirklich gut zu lernen, müssen eingefahrene Lernroutinen, die Lernen verhindern, verändert werden. Neues Lernen setzt demzufolge auch die Fähigkeit voraus zu verlernen. Die Methode der Mustererkennung umgeht die Schwierigkeit und Problematik der Ursachenerklärung. In sozialen Kontexten tritt das Phänomen zirkulärer Kausalität auf und eine hohe Komplexität erschwert kausale Bestimmungen, macht sie sozusagen unmöglich. Ursache und Wirkung sind in komplexen sozialen Systemen nicht mehr kausallogisch zu erklären und nachzuvollziehen. Es sollte daher weniger darum gehen, Probleme zu erklären, sondern Hinweise für mögliche erfolgreiche Lösungswege herauszuarbeiten. Gefunden werden sie nicht aus dem Vergleich erfolgreicher und weniger erfolgreicher Unternehmen und Projekte, sondern aus vergleichenden Diagnosen aller Arten von natürlichen und sozialen Systemen. Insofern sind auch Staatensysteme, Ökosysteme und ethnologische Studien interessante Erkenntnisquellen. Mustererkennung in Organisationen ist ein Erkenntnisprozess, welcher Grund legende – vom jeweiligen Kontext unabhängige – erfolgreiche Muster zur Lösung von Aufgaben und Problemen identifiziert, sogenannte Best Patterns. Bezogen auf ein konkretes Unternehmen erhöhen sie als Spielregeln im Management die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Unternehmen erfolgreich weiterentwickelt. Best Patterns schaffen hilfreiches Wissen, welches das Gelingen wahrscheinlicher macht. Diese Regeln sind für das jeweilige Unternehmen genauer auszuformulieren und in Bewertungspunkten strategischer Führung zu konkretisieren. Es gilt aus erfolgreichen Verhaltensmustern zu lernen, wobei das vielgerühmte „Benchmarking“ nur wenig bewirkt. Durch „Benchmarking“ soll eine Vergleichbarkeit der Erfolgsfaktoren gewährleistet sein, die so nicht gegeben ist. Erfolgsfaktoren hängen immer von internen und externen Kontexten ab und sind ebenfalls ganz stark abhängig von der Perspektive, aus der sie bewertet werden.332 Es sind deshalb in Organisationen möglichst viele verschiedene Perspektiven der Betrachtung zu integrieren. Dazu sind zwingend die Perspektiven der Mitarbeiter und nicht nur diejenigen der Geschäftsleitung oder des sonstigen Leitungspersonals einzubeziehen. Daneben sind Kundenperspektiven, Lieferantenperspektiven und die Perspektiven der Wettbewerber eine wichtige Quelle zur Mustererkennung. Alle diese Perspektiven sind zu berücksichtigen, da die vielfach verengte Betrachtungsweise des Erfolgs qua Gewinn, Cashflow und RoI (Return on Investment) nicht ausreichend ist. Erfolgreiche Muster zeichnen sich durch mehr aus, als alleine durch Finanzzahlen begründbar. Mustererkennung sollte infolgedessen durch einen erweiterten Blickwinkel erfolgen. Zur Formulierung und zum Erkennen von Mustern gilt es,

332 Siehe ausführlich dazu Bergmann/Meurer 2001, S.109–119

252

Die Phasen des Managementprozesses

soziale Systeme zu beobachten, nicht nur Unternehmen als Wirtschaftseinheiten. Soziale Systeme können dabei untereinander verglichen werden, es können ihre Gemeinsamkeiten erkannt werden. Erfolgsmuster bilden Ähnlichkeiten, die als zeit- und kontextneutrale Handlungsweisen beobachtbar sind. Diese Muster sind allgemeine Lösungswege, die einen handlungsleitenden Charakter aufweisen. Wenn sie angewendet werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Verbesserungen eintreten. Neben einem Lösungscharakter stellen sie auch eine erste Orientierung dar. „Erfolgreich ist der, der Erfolg bewirkt“, diese vermeintlich tautologische Aussage kennzeichnet allerdings die Tatsache, dass das, was erfolgreich ist vom jeweiligen Beobachter abhängt. Erfolgreiche Verhaltensmuster werden zugeschrieben, sind eine Wertsetzung von Beobachtern des sozialen Systems. Um eine möglichst stabile Mustererkennung für erfolgreiches Handeln zu gewährleisten, sollten möglichst viele Perspektiven eingebunden werden. Erfolgsmuster sind „metasystemisch“, also vom jeweiligen systemischen Umfeld unabhängige Muster. Sie sorgen als maßgebende Leitlinien dafür, dass eine langfristig erfolgreiche Entwicklung wahrscheinlich wird. Erfolgsmuster sind „Vitalitätskriterien“ sozialer Systeme, die deren erfolgreiches Überleben ermöglichen. Muster sind so allgemeine Lösungen, die handlungsorientierenden Charakter aufweisen. Wenn sie angewendet werden, ergeben sich wahrscheinliche Verbesserungen. Sie sind sozusagen die Quintessenz der Lösungsfindung. Nicht das „Was“ einer Lösungsfindung ist entscheiden, sondern das „Wie“. Erfolgreiche Handlungsmuster lassen sich in allen Bereichen anwenden, da sie metasystemischen Charakter haben. Arie de Geus, ein ehemaliger Shell Manager hat einmal erfolgreiche Handlungsmuster für Unternehmen charakterisiert: „Konservatives Finanzgebaren, Sensibilität gegenüber dem Umfeld, Bewusstsein der eigenen Identität, Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen, lockere Steuerung und Kontrolle, für Lernen sorgen, gestalten der menschlichen Gemeinschaft.“333

4.2.7.6

Kompetenzentwicklung und Selbstorganisation

Erpenbeck beschreibt Kompetenz als Selbstorganisationsfähigkeit oder Selbstorganisationsdisposition.334 Menschen sind kompetent in einem Feld, wenn sie Probleme selbstständig lösen können. Kompetenz ist somit Problemlösungswissen. Kompetenzentwicklung ist insofern die Befähigung zur Selbstorganisation. Ein Beispiel: Robert Bergmann (7 Jahre) hat sich nach dem Radfahren auch das InlineSkaten selbst beigebracht. Er ist vermutlich kompetent in der Aneignung spezieller motorischer Abläufe. Gewisse Vorgehensweisen hat er transferiert. Mit der Einwirkung eines Coaches (Reflexion, Bestärkung, Support) wird der Kompetenzerwerb noch beschleunigt. Der Coach hat dabei die Aufgabe, den Akteur zu fördern. Dazu gibt er Impulse, pflegt die Lernatmosphäre und entwickelt interaktiv den Rahmen (Regeln Rituale). Robert hatte auch Schwierigkeiten, lesen zu lernen. Erst ein geeigne333 Siehe Geus, A. de 1997 334 Vgl. Erpenbeck/Heyse 1999

253

4.2

4

Der Managementprozess

ter Coach hat ihn befähigt, innerhalb von ein paar Tagen, diese Kompetenz zu erwerben (in sich zu entdecken). Die Fähigkeit war vorhanden, nur wurde zunächst die unpassende Strategie und Atmosphäre gewählt. Ähnliche Erfahrungen haben wir auch auf unseren experimentellen Workshops (Soft Skills Seminare) mit Studierenden gemacht. Wir kombinieren ein hohes Maß an Unsicherheit mit Angstfreiheit. Die Akteure werden mit innovativen Problemstellungen konfrontiert und im Prozess nicht inhaltlich, aber emotional durch Coaching unterstützt. Die Teilnehmer entdecken dann ihre persönlichen Kompetenzen und erreichen ein non-triviales Level des Lernens. Die Kompetenzentwicklung entspringt aus der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt. Es ist die Suche nach Lösungen aus dem Repertoire vorhandener Muster des Gelernten, wobei je nach Kompetenzgrad neue Kombinationen von Mustern entstehen. Kompetenzentwicklung kann man daher als die Konstruktion neuer Lösungsmuster bezeichnen. Dabei benötigt der „Kompetenzentwickler“ seine Umwelt als Anregung für seinen Entwicklungsprozess. Dieser Entwicklungsprozess verläuft allerdings auf der Grundlage seiner Konstruktionen, seiner Realität, also auch auf zuvor Gelerntem. Kompetenzentwicklung ist somit Lernen Stufe 2, also reflexives Lernen. Dieser Prozess schafft die Angleichung zwischen dem vorhanden „Musterkatalog“ des Verhaltens und der optimalen Gestaltung der Anpassung an die Umweltbedingungen und ist nicht zuletzt die grundlegende Energie der kognitiven Tätigkeit der Individuen. Diesen Prozess muss man sich als Interaktion vorstellen. Das Individuum passt sich nicht nur passiv an, sondern selektiert und beschreibt Umwelten aktiv. Es bildet sich eine relationale Wirklichkeit zwischen Individuum und Umwelt aus. Das lernende und Kompetenz entwickelnde Individuum nimmt die Wirklichkeit sehr subjektiv und unterschiedlich wahr und der Lernende tendiert dazu, die Stabilität seines „inneren Systems“ aufrechtzuerhalten. Lernerfolge sind für Außenstehende folglich immer erst dann sichtbar, wenn verändertes Handeln, veränderte Interaktion und Kommunikation wahrnehmbar sind. Jeder Lernende und Kompetenzerwerbende nimmt die Wirklichkeitsofferte, das was von außen an ihn herankommt, anders wahr. Folglich wird jeder Einfluss auf den Lernenden von ihm, in seiner eigenen Struktur, seinem eigenen Muster behandelt, was letztlich wieder zu einer Stabilisierung seines Systems tendiert. Auf diese Weise bilden sich relationale Persönlichkeitsstrukturen. Daraus ergibt sich das Problem der Kontrolle von Kompetenzerwerbszielen. Die unterschiedlichen Außenreize werden durch den Kompetenzerwerber nur jeweils in seinem inneren Zustand und seiner physiologischen Übertragungen bearbeitet und können somit unendliche Möglichkeiten von Antworten hervorrufen, allerdings immer im Wechselspiel seiner vormals erworbenen Muster und Strukturierungen. Die „harten Konstruktivisten“ lehnen es deshalb ab, von Informationen zu sprechen, die jemand bekommt, sondern für sie sind es nur „neuronale Reize“, die selektiv und autonom verrechnet und umgedeutet werden, um anschließend auf die Möglichkeiten ihrer Anschlussfähigkeit geprüft zu werden. Die Qualität der Reize hängt also nicht in

254

Die Phasen des Managementprozesses

den Informationen oder Dingen, sondern wird vom Gehirn konstruiert, einzig Quantitäten nehmen wir wahr. Nach von Foersters Thesen ist deshalb eine Überprüfung von Lernerfolgen nur sehr eingeschränkt möglich, überprüft werden in herkömmlichen Lernsystemen nur Defizite.335 Es findet folglich immer ein „Beleidigungslernen“ statt, es wird nicht auf die innere Integration des zu Lernenden geachtet, sondern jeder Lernfortschritt, jeder Schritt zum Kompetenzerwerb wird, soll er überprüft und evaluiert werden, zwangsläufig an der externen Vorgabe gemessen, an dem was gelernt werden soll. Die eigentliche Kompetenzentwicklung, Wissen selbstorganisiert anzuwenden, bleibt immer auf das Individuum beschränkt.336 Die Bewertung des Lernens oder der Kompetenzentwicklung schaut dabei nur auf das, was sich als Anschlussfähigkeit nach außen zeigt. Der Prozess selbst bleibt verschlossen, das Wissen, das im inneren Verarbeitungsprozess bewusst nicht aufgenommen wurde, weil es nicht in das vorhandene Muster passt, wird nicht beachtet. Es wird nur der „Output“ bewertet, nicht der Prozess seiner Entstehung. Die Theorie der Selbstorganisation stellt eine weitere Möglichkeit zu einem Metakonzept über die systemtheoretische Denkweise dar. Sie umfasst alle Entwicklungsgänge, die in einem System entstehen und in eben diesem „Selbst-Ordnung“ erfolgen lassen bzw. erhalten. So ist eine Organisation als das Produkt menschlichen Handelns aber nicht unbedingt menschlicher Absichten zu verstehen. Und diese Tatsache lässt die „Regulierungsmöglichkeiten“ von sozialen Systemen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Die Systemische Theorie bietet Modelle zur De-Trivialisierung der Interaktion und Kommunikation an. Verständigung muss als eher unwahrscheinlich gelten, weil Menschen autobiografisch wahrnehmen und Bedeutung beimessen. Mit dem Theorieansatz der Selbstorganisation wird erstmals ein einheitliche Konzeption vorgelegt, die über die traditionelle Kybernetik 1. Ordnung hinausgeht, sozusagen eine Kybernetik der Kybernetik. Selbstorganisation als Begriff der Systemtheorie steht in direkter Verbindung mit der Aussage der operativen Geschlossenheit und gleichzeitigen Umweltoffenheit von Systemen. Systeme definieren selbst ihre Grenzen, die ihre eigene Identität nach innen festlegt. Sie operieren nach Regeln, mit denen sie zu ihrer Umwelt in Kontakt treten, sie sind selbstreferentiell. Diese Systeme reproduzieren sich selbst, erzeugen insofern die Bedingungen der eigenen Existenz selbst.337 Die diesem Prozess zugrunde liegenden Überlegungen kommen aus der Biologie und werden dort mit Autopoiese bezeichnet.338 Diese Perspektive geht davon aus, dass autopoietische Systeme operativ geschlossene Systeme sind, die in ihrer „basalen Zirkularität“ sich selbst reproduzieren. Das „Selbst“ ist dabei ein Konstrukt, welches sich in der Auseinandersetzung des

335 336 337 338

Siehe von Foerster, 1993 Siehe Varela 1999 in Watzlawick 1999 Siehe zur umfassenden Perspektive für das Management G. Bergmann 2001 Siehe H. Maturana 1982 sowie F. Varela 1979

255

4.2

4

Der Managementprozess

Systems mit seiner Umwelt gebildet hat.339 Das Selbst ist demzufolge die Differenz von System und Umwelt, welches die Aufrechterhaltung seines Selbst durch die Kontrollfunktion dieser Differenz erhält. Selbstorganisierenden Systeme sind eigentlich inexistent, wie Heinz von Foerster sagt: „There are no such things as self-organizing systems!“340 Nun muss man diesen Hinweis richtig verstehen. Wenn von der Inexistenz selbstorganisierender Systeme gesprochen wird, so meint von Foerster damit die Unsinnigkeit des Begriffs, wenn man nicht gleichzeitig von der Umwelt des Systems spricht. Ein operational geschlossenes und umweltoffenes Systems ist in ständigem Kontakt mit seiner Umwelt. Die Verwendung des Begriffs Selbstorganisation macht also nur dann Sinn, wenn gleichzeitig von der Verbindung des Systems zu seinen Umwelten gesprochen wird. Selbstorganisation als autonome Fähigkeit eines Systems ohne Bezug zu den Umweltbedingungen ist eine tautologische Bezugnahme. Sie erhält einzig Sinn in der Wahrnehmung der komplexen Beziehungen zur Umwelt des Systems. Selbstorganisation, es sei nochmals erwähnt, ist kein Gradmesser für die Fähigkeit eines Systems, autonome Entscheidungen zu treffen. Selbstorganisation ist ein nur systemisch zu verstehender Begriff der Differenzbildungsfähigkeit zur Umwelt. Soziale Systeme entstehen durch Kommunikation und Differenzsetzung in einem emergenten Prozess. Die Kommunikation dient dem Erhalt der Redundanz des Systems.341

Abbildung 4-34: Die Grundannahmen der systemischen Kommunikation

„ Alle Kommunikation ist Kommunikation in einem System „ Jedes System ist ein System in einer Umwelt „ In der Art und Weise der Abstimmung zwischen den Zuständen des Systems und den Zuständen der Umwelt ist das System intelligent, wenn und so lange es sich reproduziert

„ Sieht man von dem System und seiner Umwelt ab, stößt man auf die Welt, über die sich nichts sagen lässt, weil jede Aussage wieder eine Aussage über ein System wäre

„ Im Medium des Sinns kommuniziert das System nicht mit seiner Umwelt, aber über seine Umwelt

„ Im Medium der Rationalität reflektiert das System die Unterscheidung, die es trifft342

339 340 341 342

256

Siehe dazu auch D. Baecker 2003, S. 331 ff. zitiert nach D. Baecker 2003, S. 328 Siehe D. Baecker 2002, S. 12 Siehe D. Baecker 2002, S.11

Die Phasen des Managementprozesses

Die klassische Organisations- und Managementtheorie versteht Strukturveränderungen noch als Wirkung von Zielvorstellungen eines einzelnen Akteurs, also in der linear-kausalen Begründungslinie. Der Akteur führt Änderungen durch, weil er bestimmte Probleme glaubt erkannt zu haben und er bestimmte Lösungskonzepte bevorzugt. Der Glaube an die unmittelbare Wirkungskette von Anordnung, Ausführung und Ergebnis, lässt diese Vorstellung im Lichte der neuen Systemtheorie als naiven Aberglauben erscheinen. Dessen ungeachtet werden heute überall fortgesetzt Unternehmensleitungsstile propagiert und realisiert, die diesem naiven Schematismus huldigen. Die kausal fixierten Argumentationsmuster traditioneller Theorie unterstellen, dass Vorhaben von Akteuren wie geplant umgesetzt werden und die Realisierungen erfolgreiche Antworten darstellen. Die vorgeschlagene Handlung des „anordnenden“ Akteurs, müsste per definitionem eine überlegene Problemlösung darstellen, um ihre Umsetzung zu rechtfertigen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass diese Voraussetzung zentraler Organisierbarkeit meistens nicht gegeben ist, da der einzelne Akteur die gesamte Komplexität der jeweiligen Problemstellungen nicht abschließend erfassen kann und damit letztlich auch keine tragbaren Lösungen entwickeln. Soziale Systeme und somit Organisationen aller Art, können heute nur adäquat verstanden werden, wenn man sich deren Selbstorganisationskapazität bewusst ist. Die Frage der Leitung von Organisationen ist aus dieser Perspektive ganz anders zu beantworten, als das bisher der Fall war.

4.2.8

Abschluss und Loslösung (Phase 8)

In den reflektiven Phasen der Innovationsentwicklung ist es wichtig, das jeweilige Innovationsprojekt am Ende zu reflektieren. Es sollte immer ein Abschluss gesucht werden, der alle Beteiligten einbindet und der kein „unfinished business“ hinterlässt. Durch diesen Schritt werden Veränderungen assimiliert und Gelerntes aufgenommen. Gerade die rituelle Loslösung in einer Projektaufgabe gibt Raum für Neues. Dieser Abschluss und die Loslösung kann durch Zeremonien wie eine kleine Feier, Einweihung etc. vollzogen werden. Dieser Schritt demonstriert dann für alle Beteiligten das Ende und es werden letzte Schlussinterventionen vorgenommen. Es wird das Vorgehen dokumentiert, „metadialogisch“ reflektiert, sich also darüber Klarheit verschafft, wie der Dialog insgesamt abgelaufen ist. In diesen Reflexionen entsteht das „ready for feedback“, eine Verständigungsebene wird erreicht, die Lernschritte der Lernstufe 2 ermöglicht. In dieser Phase sind die ursprünglich vorhandenen Problemstellungen gelöst. Weitere Handlungen konzentrieren sich auf neue Aktionen und Projekte.

257

4.2

4

Der Managementprozess

4.2.8.1

Regeln der Verständigung

Sozialforscher sagen, dass gelingende Kommunikation, also Verständigung eher unwahrscheinlich ist.343 Der Kommunikationsprozess ist kein Übertragungsprozess einer Nachricht, Mitteilung von A nach B. Dieser naiven Ansicht älterer Kommunikationstheorien hat man heute komplexe Verstehensweisen entgegengesetzt. Der „Mitteiler“ einer Information teilt diese aus seinem sozial-biografischen Kontext mit, er versteht also seine Nachricht in einer bestimmten Art und Weise. Der „Empfänger“ einer Information wiederum nimmt diese in seinem sozial-biografischen Kontext auf. Der Prozess der Verständigung ist also so kompliziert, dass wir in der Regel nicht davon ausgehen können, verstanden zu werden. Es gibt dazu einen Aphorismus, der die „Wirklichkeit“ einer Kommunikationssituation sehr gut wiedergibt:

„ „Gesagt ist nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht einverstanden, einverstanden ist nicht getan.“ Hierin wird genau die „Verkettung“ des Verstehensprozesses sichtbar und es wird deutlich, warum Missverstehen weitaus wahrscheinlicher ist, als Verstehen. Wenn jemand also etwas sagt, dann heißt das noch lange nicht, dass er auch verstanden wird. Dabei spielt die Einheitlichkeit der Sprache noch nicht mal eine ausschlaggebende Rolle. Da Verstehensprozesse immer Interpretationsprozesse sind, ist die Ansicht naiv, eine Mitteilung würde von allen gleichartig verstanden werden. In vielen Organisationen herrscht allerdings gerade in der Leitungsebene immer noch die Vorstellung, Anweisungen werden gegeben, diese verstehen dann alle und befolgen sie so, wie der „Chef sie gemeint hat“. Diese Sichtweise ist naiv und einfältig, sie entbehrt den Kenntnissen über die Komplexität von Verständigungsprozessen. Wenn man also etwas mitteilen will, das Andere verstehen sollen, muss man dafür Sorge tragen, dass dies auch möglich ist. Dies ist nur in einem Kommunikationsprozess möglich, der wirkliche Verständigung zum Ziel hat. Aus der Transaktionsanalyse wissen wir, dass Kommunikation, die arrogant, belehrend oder infantil ist, durch „erwachsene“ Kommunikationsmuster ersetzt werden sollte. Dies heißt, dass man auf gleicher Ebene miteinander kommuniziert und sich als „Sender“ und „Empfänger“ von Informationen jeweils vergewissert, dass der Andere auch verstanden hat, was man meint. Jeder Dialog ist klärend zu fördern, er sollte immer so geführt werden, dass allen Beteiligten klar ist, was jeder meint. Diese Ansprüche an kommunikatives Handeln sind recht hoch, doch wenn man sich einmal die Schwierigkeiten, Fehler etc. vor Augen führt, die alltäglich durch Nicht-Verstehen entstehen, dann ist es wichtig, Kommunikationsprozesse nicht zu trivialisieren.344 Kommunikationsprozesse sind Verständigungsprozesse, die hochkomplexer Natur sind. Um diese Komplexität des tendenziellen Nicht-Verstehens zu handhaben gibt es bestimmte Regeln zur kommunikativen Verständigung.

343 Siehe ausführlich dazu Luhmann 1984, S. 193 ff. und Luhmann 1981 344 Siehe Bergmann 2001a, S. 337 ff.

258

Die Phasen des Managementprozesses

4.2.8.2

Feedback

Kommunikationsprozesse sind nicht „technisch“ zu handhaben, nach der Devise, „...ist doch alles klar“, „...das verstehen doch alle“, „....das ist Fakt“. Diese Aussagen, übrigens oft in Dialogen zu hören, behandeln Kommunikation und Verständigung auf technische Weise. Als ob allen immer alles gleichermaßen klar sei, alle alles immer verstehen und Fakten immer so sind, wie ein Akteur sie sieht. Um Verständigung wahrscheinlicher zu machen, sollte die Methode des Feedbacks in Verständigungsprozessen eingesetzt werden. Alle Akteure, die an einem Verständigungsprozess teilnehmen, sollten Gelegenheit erhalten, ihre Wahrnehmung der Situation zu schildern. Voraussetzung ist dafür eine Atmosphäre des Vertrauens und der Achtsamkeit gegenüber den anderen Kommunikationsteilnehmern. Geht man davon aus, dass Andere nichts zu sagen haben oder die „Realität“ nicht erkennen, dann scheitert jeder Verständigungsprozess. In Feedbackrunden können alle Akteure ihr Verständnis darstellen und daraus kann eine konsensorientierte Vorgehensweise entstehen. Das Feedback in Gruppenprozessen kann sich dabei einerseits auf die „Sache“ beziehen und auch auf die Personen. Sowohl die Sichtweisen der „Realität“ werden ausgetauscht, als auch die Kommunikations- und Verhaltensweisen der Akteure. Das hat nichts damit zutun, zu sagen, „schön, dass wir mal darüber gesprochen haben“, sondern dient der personalen Sensibilisierung über Verhaltensweisen. So wird beispielsweise der ewige Bedenkenträger oder Neinsager mit seinem Verhalten konfrontiert und bekommt ein Feedback dahingehend, wie sein Verhalten auf den Gruppenprozess wirkt. Dieses Beispiel mag nur erläutern, dass solche Verhaltens- und Kommunikations-Feedbacks unausgesprochen in jedem Prozess mitschwingen und auch wenn sie nicht dezidiert kommuniziert werden, den Verständigungsprozess sehr wohl beeinflussen. Will man sie handhaben lernen, so sind sie anzusprechen. Nichtbehandlung bedeutet nicht gleichzeitig Nicht-Existenz, sondern dann vollziehen sich diese Prozesse ungeregelt und affektiv, was oftmals zu viel stärkeren Verwerfungen und Missverständnissen führen kann, als wenn sie angesprochen werden. Alle Äußerungen in einem Feedback-Prozess sollten sich auf die eigene Wahrnehmungen beziehen. Konkret heißt dies, nicht Anderen irgend etwas zu unterstellen, sondern immer davon ausgehen, dass man es so oder so wahrnimmt. Ob dann ein Verhalten oder eine „Sache“ tatsächlich so ist, wie man sie wahrnimmt, steht auf einem anderen Blatt. Ein negatives Feedback sollte keinesfalls für sich allein stehen. Es sollte immer eine positive Äußerung einfließen oder aber ein positiver Bezug genommen werden. Rein negative Bewertungen von Verhaltens- und Kommunikationsweisen Anderer bewirken in der Regel Abwehreaktionen und Blockaden. Dann verläuft der Verständigungsprozess auf der Ebene von Angriff und Gegenwehr und die eigentliche Sache wird aus den Augen verloren.

259

4.2

4

Der Managementprozess

Folgende Feedback-Varianten sind denkbar:

„ Circle Feedback im Kreis „ Feedback-Videos „ Feedback durch schriftliche Befragungen „ Blitzlicht-Feedback (kurze, spontane Äußerungen aller Teilnehmer) Möglichkeiten der Beobachtung von Verständigungsprozessen in zweiter Ordnung sind:

„ Feedback durch Reflecting-Teams (Gruppenbeobachter) „ Querdenker Gruppe „ Supervision „ Coaching Reflecting-Teams sind speziell eingerichtete Teams, die zu bestimmten Prozessen externe Beobachtungen machen. Dies sind in der Regel Kommunikations- oder Konfliktberater, die schwierige Prozesse begleiten. Der Sinn besteht darin, dass diese externen Beobachter der Verständigungsprozesse den Vorteil haben, nicht zum System zu gehören. Sie haben sozusagen eine andere Brille auf, sind nicht „infiziert“ von Normen, Kommunikationsregeln, Erwartungen des Systems und können einen relativ unabhängigen Blick auf die Verständigungsprozesse werfen. Querdenker Gruppen werden aus Akteuren eingerichtet, die im System agieren und denen keine Beschränkungen aufgelegt werden auch unkonventionelle Lösungen und Entwicklungen anzudenken. Supervision ist eine Form der Klärung von Beziehungsstrukturen und der Reflexion bisheriger Abläufe aus externer Sichtweise. Supervisoren übernehmen dabei die Rolle von Impulsgebern und Prozessmoderatoren. Sie spiegeln dass System und sind gleichzeitig Lernpromotoren, sie helfen die Verständigungsprozesse in Organisationen zu entwicklen. Coaches thematisieren, ähnlich den Supervisoren, Rollen, Beziehungen und Funktionen, arbeiten aber in der Regel auf der personalen Ebene, sie haben zumeist nur einen Klienten, den sie coachen. Damit ist der Prozessverlauf vollständig beschreiben. Im folgenden Kapitel widmen wir uns der Organisation von Innovation und Kompetenz.

260

Die Phasen des Managementprozesses

5 Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

Wir gehen davon aus, dass Innovation und Kompetenzentwicklung sich in sozialen Systemen abspielen. Diese sozialen Kontexte bestimmen maßgeblich das menschliche Verhalten und damit spielt die strukturelle Organisation eine entscheidende Rolle. Soziale Systeme sind keine trivialen Maschinen, die zusammengebaut und einfach und prognostizierbar gestaltet werden können, sondern sind emergente Prozesse, die sich aufgrund von Kommunikation und Differenzsetzungen bilden. Innovationen in sozialen Systemen sind das Resultat chaotischer und turbulenter Situationen die wieder in eine neue Ordnung münden. So wird beispielsweise bei der Produktinnovation zunächst viel Unordnung geschaffen, um auf neue Ideen zu stoßen. Der Prozess resultiert dann in einem geordneten Produkt. Die Organisation von Innovationsprozessen hat diese unterschiedlichen Charakteristika zu berücksichtigen. Zu Beginn müssen größere Spielräume gewahrt werden, sukzessive gilt es, die Komplexität zu reduzieren und damit zu konkreten Ergebnissen vorzustoßen. Von dem institutionellen Begriff der Organisation ist der funktional-instrumentale des Organisierens abzugrenzen. Unternehmen und Organisationen, Teams und Innovationsprojekte sind Ausprägungen von sozialen Systemen. Diese sozialen Systeme sind physikalisch nicht begreifbar. Sie entstehen aus der Kommunikation von Menschen und sind deshalb auch nur durch kommunikative Handlungen veränderbar. Unternehmen sind nicht durch Gebäude, Mitarbeiter oder Produkte gekennzeichnet, sondern das wesentliche Kennzeichen ist die Kommunikation. So entsteht das Phänomen Daimler Benz, Bayer, IBM usw. durch die Art und Weise des Umgangs, die Gespräche, die Geschichten, also die Kommunikation die andere (Investoren, Kunden, etc.) über diese Firmen erzählen. Daimler Benz ist von VW hauptsächlich dadurch zu unterscheiden, welche Kommunikation in welcher Form über und in den Unternehmen stattfindet. Die Ergebnisse dieser Kommunikation sind dann Produkte, die Marke, das Image oder die Unternehmenskultur. Und darin unterscheiden sich dann auch wieder Mercedes Benz und Airbus. Die organisatorischen Strukturen beeinflussen die Kommunikation, sind aber auch deren Ergebnis. Es lassen sich Organisationsstrukturen in konventioneller und organischer Form unterscheiden.

261

4.2

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

5.1

Konventionelle Strukturen

Es wird generell zwischen Aufbau- und Ablauforganisation in Unternehmen und Institutionen unterschieden. Als Aufbauorganisation bezeichnet man die Struktur, die den Rahmen für Prozesse darstellt. In der Aufbauorganisation werden Positionen, Funktionen und Kommunikationsbeziehungen beschrieben. So können Gruppen, Teams und Abteilungen nach Kundengruppen, nach Sparten und Objekten, nach Aktivitäten (Innendienst, Außendienst) und Regionen (Inland Süd, Export Benelux) eingeteilt werden. Es geht um:

„ Klassische Strukturtypen „ Projektorganisation Als Ablauforganisation wird die raum-zeitliche Perspektive bezeichnet. In der Ablauforganisation werden die organisationale Elemente wie Aufgaben, Sachmittel, Akteure benannt. Es werden die Arbeitsgänge dargestellt, die lückenlos aufeinander folgen. Ablauforganisatorische Darstellungen lassen sich allerdings nur für wiederkehrende Tätigkeiten oder Problemlösungsbereiche skizzieren. Die Darstellung von Unternehmen mit Organigrammen soll zur Übersichtlichkeit beitragen. In der Realität bilden sich jedoch immer informelle Strukturen heraus. Außerdem neigen die Strukturformen zur Erstarrung und fördern das abgrenzende Ressortdenken. Durch die hohe Komplexität aufgrund des Abstimmungsaufwandes lässt eine Formalstrukturierung schnell Probleme entstehen. Die schleichend einsetzende Bürokratisierung von Abläufen lenkt den Blick weg von den Kunden und der Marktorientierung und verringert das Engagement der betrieblichen Akteure. Insbesondere in Innovationsprozessen ist eine Prozessorientierung vorteilhaft. Die Abläufe, also die Betrachtung „wie“ etwas im Unternehmen geschieht, lässt dabei die Vernetzung deutlicher werden. Es entstehen Freiräume für Selbstorganisation und die mögliche Konzentration auf interne und externe Kunden lenkt die Aufmerksamkeit auf wertschöpfende Aktivitäten. Die Prozessorientierung und eine mehr organische Strukturierung von Arbeitsweisen erscheinen für Innovationsprozesse geeigneter, da hier kaum im Vorhinein klar geplant werden kann. Planungsaktivitäten hemmen Innovationsprozesse eher, als dass sie diese fördern. Innovationen entstehen nicht in starren Planungssystemen, dazu braucht es Freiräume. In vielen Lehrbüchern wird ein Unterschied zwischen mechanistischen und organischen Managementsystemen gemacht. Zumeist fällt die Darstellung in deutlicher Vorteilhaftigkeit für die organische Variante aus. Hauschildt beispielsweise betont dabei die Notwendigkeit, nicht nur traditionskritisch, sondern auch innovationskritisch vorzugehen.345 Mechanistische Systeme werden als wohlgeordnete Bürokratie, mit klaren Zielen und von Personen unabhängiger Rollenverteilung beschrieben. Organische Systeme eher als problemlösend, organisch wachsend ad personam. Hier 345 Siehe Hauschildt 1997, S. 144

262

Projektorganisation

dominieren Selbstorganisation und geringe Hierarchie (griech.: hiere = heilige, arche = Herrschaft, Ordnung, Prinzip) also Heterarchie, d.h. Organisationseinheiten stehen nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern gleichberechtigt nebeneinander (griech.: Heteros = der Andere, archein = herrschen) . Bei einer Bewertung der Orientierungen ist nach Hauschildt immer daran zu denken:

„ nicht einseitig die Veränderung und das Neue erzeugen Vorteile „ die Realisierung und Überleitung in Routineprozesse ist wichtig „ Kooperationen mit externen Partnern müssen organisiert werden „ Innovationen verschiedene Phasen durchlaufen, in denen andere Strukturen erforderlich sind

„ mechanistische Routinesysteme können helfen, Widerstände zu realisieren, in dem Vertrauen und Orientierung geboten werden sowie gerade durch Routine Freiraum für Neues geschaffen werden kann

5.2

Projektorganisation

Die Projektorganisation stellt ein Verfahren einer offeneren und organischen Strukturgestaltung dar. Durch Projekte ist es möglich, Neuerungen in bestehende Organisationen hineinzutragen. Ein Projekt ist ein Vorhaben, welches eine spezielles Ziel und eine besondere Aufgabenstellung verfolgt und zumeist zeitlich begrenzt mit eigener Organisationsform realisiert wird. Für Projekte werden in den meisten Fällen eigene Teams zusammengestellt. Die oftmals komplexe Aufgabe erfordert ein flexibles Vorgehen, wobei der Lösungsweg oft unklar, wenig planbar und überraschend verläuft. In den turbulenten Märkten mit sich schnell verändernden, vielschichtigen Aufgabenstellungen erweisen sich Projekte als flexible Organisationsformen. Dabei wird ein Projekt nicht nach bestimmten Prinzipien, Methoden und mit festgelegten Strukturen realisiert. Vielmehr werden diese Komponenten je nach Situation gewählt. Die Projektorganisation ermöglicht abseits der Routine, neue Elemente in eine bestehende Organisation zu integrieren und besonders innovative Vorhaben zu bewältigen. Es ist sinnvoll den Ablauf von Projekten ebenfalls nach den acht Schritten des Solution Cycles zu organisieren.346 Viele andere Verfahren des Projektmanagements konzentrieren sich sehr stark auf die Projektphasen und deren Controlling, es werden Diagramme entworfen, Prozessverläufe aufgezeichnet, Termin- und Kostenkontrollen etabliert und Projektmeilensteine festgelegt. Daneben gibt es unterschiedliche Formen der Projektorganisation, wie Stabs-Projektmanagement, Autonomes Projektmanagement,

346 Siehe dazu ausführlich G. Bergmann 2001

263

5.2

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

Matrixorganisation.347 Die meisten dieser Formen mögen gute Dienste leisten, sie fokussieren allerdings eher den technischen Ablauf von Projekten als deren inhaltliche Schritte. Komplexe Prozesse können sicherlich mit ausgefeilter Projektplantechnik besser gehandhabt werden, doch sollte der Fokus nicht allein auf der Ausführungsebene liegen, sondern die Gestaltungsebene sollte ebenfalls mit einbezogen werden. Hierzu eignet sich der Solution Cycle und im Schritt 5 kann dann eine konkrete Projektsteuerung eingesetzt werden, die bei komplexen Projekten verhindern hilft, dass die Einzelaufgaben unübersichtlich werden. Das Projektmanagement koordiniert und integriert die Akteure, gestaltet das Team, konzentriert die Aufgabenstellung, achtet auf die Einhaltung der Termine und Budgets und organisiert den notwendigen Support. Gleichzeitig sorgt das Projektmanagement für eine stimmige Atmosphäre im Projekt und achtet auf Entstehen einer achtsamen Kommunikationskultur innerhalb des Projektteams. Das Projektmanagement sollte mehr „Facilitator“ (Ermöglicher) als Kontrolleur und Anordner sein. Abbildung 5-1:

Projektablauf nach dem Solution Cycle

1. Anstoß: Wahrnehmung des Projektbedarfs Offene Wahrnehmung und Beobachtung der Verbesserungsmöglichkeiten. Dialog über verschiedene Sichtweisen und Meinungen.

2. Re-Vision: Problembeschreibung Visionsbildung Probleme erkennen, im Dialog genau beschreiben und präzise das Wesentliche definieren. Interaktive Entwicklung einer groben Projektvision und Zielsetzung. Definition des wünschenswerten Zustandes.

1. Mobilisierung: Ideen- und Lösungsfindung, Teambuilding Entwicklung geeigneter Ideen und Lösungsansätze mit Kreativitätsmethoden und der Erzeugung einer innovativen gründlichen Atmosphäre. Abrundung des Teams mit Experten und fehlenden Charakteren.

2. Planung: Ziele, Wege Aufgaben, Prioritäten, Termine, Kosten, Personal Auswahlentscheidungen

3. Implementierung: Aktion Verwirklichung Projektsteuerung

4. Kontakt Projektkontrolle: Soll-Ist-Vergleich, Abweichungsanalyse, Zufriedenheitsmessung

5. Reflexion Lerneffekte nutzen, Muster erfolgreichen Vorgehens erkennen: Methoden optimieren, Prozessdesign

6. beenden Abschluss des Projektes, kein „unfinished business“ übrig lassen, symbolische beenden ist wichtig (Feier, besondere Abschlusssitzung etc.)

347 Siehe zum Projektmanagement H.D. Litke 2005

264

Organische Organisationsformen

5.3

Organische Organisationsformen

Der Begriff Organische Organisation bezeichnet speziell das Prinzip der Selbstorganisation. Die notwendigen Strukturen in Form von gemischten Gremien und Projektgruppen bilden sich dabei selbsttätig durch Austausch- und Anpassungsprozesse nach dem Vorbild natürlicher Systeme. Das Management schafft dabei den geeigneten Rahmen (Kontextgestaltung) und damit die Chance, neue Projekte zu initiieren. Es koordiniert als zentrale Stelle alle notwendigen Aktivitäten intern und in Zusammenarbeit mit diversen Kooperationspartnern, greift aber nicht direkt in die Arbeit der Teams ein. Vielmehr legt es im Sinne einer „Metasteuerung“ die allgemeinen Spielregeln und Orientierungen fest. Organische Organisationen sind besonders in kleineren Einheiten vorstellbar, also in kleinen Unternehmen oder eigenständigen Geschäftseinheiten größerer Konzerne. Die Neuerungsfähigkeit wird bei größeren Unternehmen durch eine sogenannte Parallelorganisation erhalten. Einzelne Innovationsteams arbeiten neben der Stammorganisation autonom als innovative „Inspirateure“ und Spezialistenteams und zwar im Rahmen wenig detaillierter Vorgaben. Eine solche Organisationsform kann als „plural“ bezeichnet werden. Sowohl bereichs- und hierarchieübergreifende Gruppen als auch Routinestrukturen, sind lose verkoppelt und werden nebeneinander toleriert. Es ist sinnvoll, sich zunächst einige der wesentlichen organischen Formen vorzustellen, die gerade im Innovationsmanagement von Bedeutung sind. Jede(r) erhält seinen Platz, in dem sie oder er sich diesen selber aussucht oder anstrebt. Nicht der Mensch wird in die Struktur gezwängt, sondern die Konfiguration bildet sich aus den Potentialen und Wünschen der Beteiligten. Es ist diese selbstorganisierende Struktur, welche das einzigartige Profil der Unternehmung erzeugt. Die Vielzahl der Fähigkeiten schafft einen hohen Grad an Multistabilität. Es gibt verschiedene Typen organischer Organisation:348

Abbildung 5-2:

Typen organischer Organisationen

„ Zirkuläre Organisation „ Laterale Teamorganisation „ Cluster und Fraktale „ Innovative Reservate „ Solare Unternehmen

348 Siehe Gomez/Timmermann 1992

265

5.3

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

5.4

Zirkuläre Organisation

Die zirkuläre (circular) Organisation ist dadurch gekennzeichnet, dass eine stärkerer Aufrechterhaltung der Hierarchie, durch intensive Abstimmung der einzelnen Abteilungen und Ebenen, stattfindet. Zwischen den organisatorischen Einheiten werden Komitees gegründet, die eine horizontale (laterale) und vertikale (top down, bottom up) Abstimmung vornehmen. Die intensive Kommunikation beflügelt zwar den Wissenstransfer, aber die Verständigung ist insgesamt sehr aufwendig. Besonders in größeren Organisationen erscheint es wenig praktikabel und sehr zeitaufwendig, Entscheidungsprozesse über verschiedene Ebenen ablaufen zu lassen. Innovative Gedanken und Anregungen „versickern“ häufig in diesen langwierigen Abstimmungsprozessen. Daher ist es notwendig, auf der Grundlage einer Vertrauenskultur, Kompetenzen in Teams und Gremien zu verlagern. So können die Vorteile einer zirkulären Entscheidungsfindung (Koordination, Synergieeffekte) gewahrt bleiben und die Nachteile wie Zeitaufwand und Verkrustung reduziert werden.

5.5

Laterale Teamorganisation

Die laterale Teamorganisation basiert auf dem Gedanken, dass die Motivation der Teilnehmer wesentlich auch zum Erfolg eines Projektes beiträgt. So wird die gesamte Organisation als Verknüpfung unterschiedlicher Gruppen aufgefasst. Durch so genannte Linking Pins, jeweilige Doppelmitgliedschaften in vertikaler und horizontaler Sicht, sind die Teams dabei untereinander verbunden. Im Idealfall bilden sich netzartige Strukturen aus, in denen die Teams lateral (seitlich, seitwärts nebeneinander, nicht hierarchisch) und gleichberechtigt organisiert sind. Diese Organisationsform ist besonders in konzeptionellen und innovativen Bereichen sinnvoll. Kollektive Zielbildungsprozesse und Entscheidungen, stellen die aktive Mitarbeit und das Engagement sicher. Innovationslösungen werden nach diesem Modell nur einvernehmlich angenommen. Alle Mitglieder bringen in diesem hierarchiefreien dialogorientierten Gremium ihr Spezialwissen und ihre Ideen ein. Die Teamorganisation lässt gerade wegen ihres dezentralen und partizipativen Charakters sehr eigenständige und innovative Konzepte erwarten und beschleunigt so die Entscheidungsprozesse. Venture Teams werden speziell als „Versuchsballons“ initiiert. Sie sind als virtuelle Abteilungen konstituiert, so dass aus ihnen neue Strukturbereiche der Organisation entstehen können. In Form von Venture Teams werden bewusst nur diejenigen Projekte gefördert, die von keiner vorhandenen Abteilung aufgegriffen werden. Initiatoren werden ermächtigt, ihr Team zusammenzustellen und erhalten geschäftsführende und materielle Unterstützung.

266

Cluster und Fraktale

5.6

Cluster und Fraktale

Die Clusterorganisation kann als konsequente Weiterentwicklung der Teamorganisation angesehen werden. Cluster setzen sich multidisziplinär aus 30 bis 50 Personen zusammen, die ein Projekt vollkommen selbstbestimmt bearbeiten. Die Leitung dieser Projektgruppen wechselt je nach Problemschwerpunkt und gründet sich zumeist auf Fachkompetenz. Alle temporären Gruppenleitungen, die aus kleinen Teams bestehen sollten, verpflichten sich zur einer koordinierenden Regelung und Lenkung. Jobrotation, intensive laterale Kommunikation und die Unterstützung durch Support Groups gewährleisten einen weit überdurchschnittlichen Erkenntnisgewinn. Unternehmerisches Handeln und Denken wird vermittelt und gefördert. Die Organisation bleibt äußerst anpassungs- und lernfähig. Probleme erwachsen aus dem hohen Kommunikationsaufwand und etwaigen Friktionen. Deshalb arbeiten Cluster zumindest im Übergang zu neuen Formen des Managements als Fraktale. Fraktale sind Elemente eines Systems, die alle Merkmale des Ganzen aufweisen und im vorgegebenen Rahmen nur die Vorgehensweise selbst entwickeln und auswählen, nicht aber die Aufgaben und Ziele. Die Cluster setzen die Kreationsphasen fort und arbeiten vornehmlich in operativer Sphäre an der Realisation und kontinuierlichen Verbesserung der Konzepte. Etwaige Arbeitsgruppen bilden sich aus den Innovationsteams. Es ist aber auch möglich, dass sie als (teil-)autonome Vertriebs-, Produktions- oder Logistikeinheiten agieren.349 Cluster arbeiten vergleichsweise autonom. Die Entscheidungsfindung wird so nah wie möglich an den Point of Action verlegt. Nur wenn nicht genügend Erfahrungen vorliegen oder Entscheidungen koordiniert werden müssen, können Support Groups und übergreifende Stellen eingeschaltet werden. Laterale und direkte Kommunikation aller Akteure ist akzeptierte und gewünschte Praxis. Gesteuert werden Cluster lediglich durch allgemeine Leitlinien und Anweisungen. Die Kontrolle erfolgt nicht nach klassischem Muster sondern durch Selbstorganisation, ein ausgeklügeltes und vielgestaltiges Bewertungssystem, sowie durch Moderatoren und Coaches. Diese arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung von Kommunikationskanälen und regeln die Ressourcenversorgung. Das mittlere Management der Teamleiter hat in dieser Projektorganisation am meisten umzulernen. Es soll weniger überwacht und kontrolliert als vielmehr ermöglicht und gefördert werden. Leitungsfunktionen sind so eher koordinierender und moderierender Art, somit wird eine aufwendige Organisation von starren Strukturen vermieden. Projektleitungen kommunizieren dialogorientiert und reduzieren die Anweisungspraxis stark. Cluster können auf spezifische Märkte und Aufgaben konzentriert sein und bieten im wechselvollen Wettbewerb höchst wichtige Flexibilitätspotenziale. Für das Innovationsmanagement erscheinen gerade die offenen multidisziplinären Teams und Cluster als sehr geeignet, da diese Strukturtypen besonders gut mit der 349 Siehe Olfert 1998

267

5.6

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

Auffassung einer temporären Zeltorganisation harmonieren, die in ihrer Befähigung zu flexibler Neuorientierung und Beweglichkeit als überaus anpassungsfähig gilt. Der Grundidee des permanenten Wandels wird durch die immer nur vorläufig fixierten Strukturen und Aufgabenverteilungen entsprochen. Die Teamstrukturen unterscheiden sich deutlich von denen klassischer Projektgruppen, die in der Regel auf vorbestimmte Zeiträume und Inhalte festgelegt sind. Eine organische Organisation fördert die Motivation und interessiert qualifizierte und engagierte Mitarbeiter/innen, spart Kosten durch frühzeitige und flexible Anpassungsfähigkeit, regt Kreativität und Erneuerung an, schafft ein vertrauensvolles, lernorientiertes und kooperatives Klima, schafft Kundennähe und ermöglicht die schnelle Besetzung von Marktnischen und die Verschmelzung mit Szenen.

5.7

Innovative Reservate

Eine plurale Organisation kann durch zusätzliche Innovationskollegien, innovative oder kreative Reservate oder eine durchgängige Parallelorganisation begründet werden. Innovationskollegien sind Personenkreise, die neben ihrer Haupttätigkeit zur Lösung spezifischer Probleme sporadisch in Produktteams aktiv werden (Sekundärorganisationen). In innovativen Reservaten arbeiten die Teilnehmer ausschließlich an grundlegenden Innovationen und lösen sich zumindest zeitweilig aus der Primärorganisation. In Parallelorganisationen wird versucht, die Vorteile der mechanistisch routinierten Organisation mit der organischen zu kombinieren, indem Verknüpfungen beispielsweise in Form von Task Forces institutionalisiert werden. Sind große Änderungswiderstände zu überwinden, sollten sogenannte Spin Outs eingerichtet werden, die vollkommen losgelöst und eigenständig von der eigentlichen Organisation arbeiten, um auf diese Weise einen kreativen Sprung zu schaffen. Bei alledem stellt sich prinzipiell die Frage: Wie kann ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Stabilität und Erneuerung von Organisationen gesteuert werden? Innovative Organisationen müssen eine Basis für vollkommen neue Projekte bieten können. Dieses kann durch redundante Organisationsnischen und organizational slack (Puffer und Innovationsreserven) erreicht werden.350 Innovative Gruppen und Einzelpersonen erhalten die Möglichkeit, eigene Projekte zu initiieren, indem dafür Ressourcen bereitgestellt werden. Kreative Akteure in der Organisation haben damit eine wirklichkeitsnahe Chance, ihre Ideen quer zur Organisation zu intensivieren und andere für ihr Vorhaben zu gewinnen. Dabei muss es garantiert werden, dass die „Initiateure“ bei nicht erfolgreichen Projekten oder im Falle nicht durchsetzbarer Änderungen ihre eigentlichen Organisationspositionen wieder besetzten dürfen. Scheitern sollte nicht sanktio350 Siehe hierzu auch P.H. Weidermann 1984 und N. Scharfenkamp 1987

268

Innovative Reservate

niert werden, da sonst die Bereitschaft schwindet, sich kreativ und innovativ zu beteiligen. Die Unternehmung verhindert ein Abwandern oder die Frustration der besonders innovativen Mitarbeiter, indem Möglichkeiten zur engagierten Neuorientierung geschaffen werden. Sie wahrt damit die Chance zur kontinuierlichen Weiterentwicklung. Es wird so der allen sozialen Systemen inhärenten Tendenz zur Erstarrung und Oligarchisierung vorgebeugt und es breitet sich ein innovatives Klima aus, welches Engagement und Kreativität fördert, dabei aber sozial abfedernd gestaltet ist und damit für Akteure überschaubar bleibt. Personalberater weisen warnend auf die Tendenz hin, dass oftmals Spitzenkräfte starre Konzernstrukturen verlassen, weil sie in größeren Freiräumen arbeiten und ihre Ideen und Anregungen erproben wollen. Andere, welche die Risiken der Selbständigkeit oder eines Wechsels nicht auf sich nehmen wollen, verlieren sich in innerer Kündigung oder Resignation. Vorstellbar sind in Zukunft lose miteinander verkoppelte Gruppen (Loose Coupling), die von einer zentralen Logistik mit den notwendigen Ressourcen versorgt werden. Der Einsatz moderner Bürotechnologie erfordert zwar präzise Regeln und technische Abstimmungen (Schnittstellen), bietet auf dieser Basis aber auch ideale Voraussetzungen für dezentral autonomes Handeln. Die bessere Abstimmung mit den übrigen Abteilungen wird durch Linking Pins erreicht, also mit Doppelmitgliedschaften für die Innovationsmanager in den Teams und den Zentraleinheiten. Nach einer abzustimmenden Frist sollten die Teams die Möglichkeit erhalten, Außenkontakte aufzubauen, um externe Erkenntnisse einholen zu können und neue Beschaffungsquellen zu ermitteln. Auch aus Allianzen und Kooperationen können weitere Verknüpfungen erwachsen. Das zentrale Innovationsmanagement nimmt Anregungen und Entwicklungen auf und formt interaktiv eine Rahmenstrategie (Leitlinien, Briefings). Aufgrund der weitgehenden Autonomie, Dezentralisation, geringen Formalisierung und der offenen Kommunikationsstrukturen, werden innovative Freiräume und Flexibilität geschaffen; es kann spontan auf neue Anforderungen reagiert und Komplexität besser bewältigt werden. Sowohl Selbstorganisation, also Schaffung eigener Neuerungen, als auch Umweltanpassung werden gefördert. Die Rahmenstrategie und die zentralen ServiceEinheiten bieten stabilisierenden und integrierenden Rückhalt. Sie fördern Koordination und Synergieeffekte. Grundlegend ist hierbei, dass die klassischen Funktionsbereiche vollends aufgelöst sind und beispielsweise das Marketing operativen, strategischen und innovativen Aufgaben zugeordnet ist. So trägt beispielsweise Designmanagement, als ein wesentlicher Teil des innovativen Bereichs, Veränderungen in die Organisation und macht sie damit entwicklungsfähig.351 Die Neuerungen fließen in Unternehmens- und Marketingpläne ein und werden im operativen Bereich marktgerecht und technisch realisiert. Neben der Produktentwicklung sind ebenso, Prozessinnovationen, der Umweltschutz (Öko-Teams) oder organisatorische Änderungen (Organisationsentwicklung) mögliche

351 Siehe auch G. Bergmann 1994, 1996, 1998

269

5.7

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

Neuerungsobjekte. Die Mitglieder rekrutieren sich aus allen zur Realisation notwendigen Bereichen des Unternehmens. Weitere Unterstützung kann von zentralen Informationsstellen (Marktforschung/Controlling), dem Finanz- und Rechnungswesen (Budgetierung/Kalkulation) oder der Logistik angefordert werden. Insbesondere bei einer großen Anzahl von Venture Teams bietet sich eine Zusammenfassung der Informations- und Controllingaktivitäten in einer Support Group an. Diese kann entweder den Innovationsbereichen zugeordnet oder übergreifend tätig sein. In den einzelnen Teams sitzen jeweils Personen dieser Unterstützungs- und Kontrollgruppen oder aber der Teamleiter nimmt deren Funktionen wahr. Erst wenn erste brauchbare Ergebnisse vorliegen, wird der Sachverhalt konkretisiert und wächst der Planungsebene zu. Die ursprüngliche Gruppe bleibt personell bestehen und erweitert sich durch kompetente Personen. Die Realisierungsteams streben eine Verknüpfung mit den vorhandenen Strukturen an, indem Durchführungspläne zum Beispiel für die Marktplanung und technische Vorbereitung, erstellt und koordiniert werden. Die Mitglieder der Ursprungsgruppe tragen weiter die Verantwortung bis in den operativen Bereich hinein. Bei dieser dynamischen Organisationsform werden nur die Routinesysteme klar strukturiert. Alle innovativen Bereiche werden durch Selbstorganisation in einem leitorientierten Rahmen geschaffen. Es ist in der Organisation nur der generelle Weg aufgezeigt, er wird nicht inhaltlich konkretisiert. Die normative Ebene (Geschäftsleitung) bündelt die koordinierende und sinnstiftende Rahmenplanung. Im innovativen Sektor können neue Ideen platziert werden. Sie finden dort Ressourcen und Chancen zur Weiterentwicklung im strategischen und operativen Bereich. Die Mitarbeiter müssen ihren Erfolg mit dem Unternehmenserfolg verknüpfen können, ansonsten werden über kurz oder lang andere Wege eingeschlagen. Genau wie gegenüber den Kunden und sonstigen Austauschpartnern, sollte deutlich werden, worin der Nutzen des Partners besteht, wenn er sich für das Wohl der Unternehmung einsetzt. Daraus wird deutlich, dass eine kooperative und interdependente Vorgehensweise in der komplexen Gesellschaft vorteilhaft und zukunftsfähig ist.

270

Netzwerkstrukturen und die magische Zahl 150

Abbildung 5-3:

Dynamische Teamorganisation

Beirat Mentoring Managing Board innovativ

koordinativ

operativ

reflektiv

SO-Cluster von bis zu 150 Akteuren

?? Ideen

Venture teams

Projektteams

Bereiche/ Teams

Wissen/ Kompetenz t

5.8

Netzwerkstrukturen und die magische Zahl 150

Mit dem Konzept des sozialen Netzwerks kann man spezifische Webmuster sozialer Beziehungen gut darstellen und untersuchen. Hierbei spielen die links oder ties, die Verbindungen und Beziehungen, die Individuen oder Organisationen in einem Netzwerk haben, die entscheidende Rolle. Netzwerke sind in erster Linie Kommunikations- und Interaktionsstrukturen. Organisationale Netzwerke sind mehr oder weniger starke Verbindungen zwischen Unternehmen, die punktuell, zur Lösung einer Aufgabe oder gar mit dem Ziel einer kontinuierlichen Zusammenarbeit entstanden sind. Es gibt verschiedene Typen von Netzwerken, die nach der Rad-, Ketten-, Kreis- oder Vollstruktur unterschieden werden. Auffallend ist die ungleiche Verteilung der Informationen in den verschiedenen Netzwerken. Relativ dezentralisiert ist die Kommunikationsstruktur in einem Netzwerk des Typs „Vollstruktur“, hier sind die Informati271

5.8

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

onsmöglichkeiten der Netzwerkteilnehmer vergleichsweise egalitär verteilt, wo hingegen in einem Netzwerk vom Typ „Rad“ die Informationsverteilung über eine zentrale Stelle läuft. In dem „Vollstruktur“-Netzwerktyp werden weitaus mehr Informationen ausgetauscht als dies in allen anderen Typen der Fall ist; es kann aber auch die größte Fehlerrate in der Kommunikation auftreten. Man hat so einerseits den Vorteil einer sehr dezentralisierte Netzwerkstruktur, die einen hohen Informationstransfer gewährleistet, der wiederum für ein hohes Maß an Reaktionsfähigkeit der Teilnehmer im Netzwerk sorgt, gleichzeitig ist dies aber mit dem möglichen Nachteil verbunden, dass eine hohe Kommunikationsfehlerrate auftauchen kann. Die Messung der Leistungsfähigkeit von verschiedenen Netzwerktypen zeigt, dass, wenn einfache Aufgaben zu bewältigen sind, zentralisierte Netzwerke eine höhere Leistungsfähigkeit haben, aber bei komplexeren Anforderungen der dezentralisierte Netzwerktypus eindeutig überlegen ist. Hier sind es dann vor allen Dingen die Effekte der weak ties (schwachen Verbindungen), die einen bedeutenden Vorteil der dezentralisierten Netzwerkstrukturen hervorrufen.352 Pfade sind im Netzwerkkonzept von großer Bedeutung, da durch sie die indirekten Verbindungen zwischen den Knotenpunkten (Personen) verdeutlicht werden und so Kommunikations- und Interaktionsstrukturen relativ präzise dargestellt werden können. Die Verbindungen innerhalb von Netzwerken, die mit Graphen dargestellt werden, können entweder stark (strong ties) sein oder schwach (weak ties). Eine Verbindung gilt dann als strong tie, „wenn für jedes beliebige Paar von Punkten bzw. Knoten u und v ein gerichteter Pfad von u nach v und ein gerichteter Pfad von v nach u existiert."353 Als weak tie bezeichnet man eine Verbindung innerhalb eines Netzwerkes, wenn zwei Punkte durch einen Pfad verbunden sind, in der jede Richtung der Verbindung zugelassen wird. Innerhalb von Netzwerken können Bereiche von größerer Verdichtung entstehen, die man mit den Begriffen „Cliquen und Cluster“ bezeichnet. Generell wird mit der Bezeichnung Cliquen und Cluster auf Subsets von Personen, die enger miteinander verbunden sind als mit anderen Mitgliedern des Netzwerkes hingewiesen. Als Cliquen werden im Gegensatz zu Cluster engere Verbindungen bezeichnet. Personen bilden dann eine Clique im Sinne der Netzwerktheorie, wenn sie alle durch eine direkte und symmetrische soziale Beziehung verbunden sind, sie können in diesem Sinne auch als eine Primärgruppe bezeichnet werden. Die sozialen Verbindungen müssen von einer maximalen Intensität sein, soll ein Verdichtungsgebiet innerhalb eines Netzwerkes als Clique bezeichnet werden können. Cluster sind dagegen weniger dicht verbundenen Subgruppen und gleichzeitig müssen Cluster aus mindestens fünf Personen bestehen. In einem Netzwerk spielen die Dauer, Häufigkeit und Intensität der sozialen Beziehungen von Netzwerkteilnehmern eine entscheidende Rolle. Soziale Beziehungen in 352 zu den Auswirkungen von „weak ties“ und „strong ties“ siehe M. S. Granovetter 1973 und

1982 353 a.a.O., S.45

272

Netzwerkstrukturen und die magische Zahl 150

Netzwerken sind nicht alle von gleicher Aktualität und nicht alle in einem gleichen Maße häufig und intensiv. Hier gibt es bedeutsame Unterschiede. Eine große Häufigkeit der Beziehung muss nicht zwangsläufig von großer Intensität begleitet sein; allerdings werden intensive Relationen meistens mit einer hohen Kontaktfrequenz (Dauer) in Beziehung gesetzt. Es muss aber eine hohe Kontaktfrequenz nicht gleich eine große Intensität der Beziehung bedeuten. Mit wachsender sozialer Distanz verringert sich die Intensität/Intimität der sozialen Beziehung. Status und Rolle können in Netzwerken durchweg einen negativen Aspekt mit einbringen; ebenso können bestimmte Hierarchieverhältnisse einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Art und Weise der Kommunikation ausüben. Ein weiterer sehr gewichtiger Aspekt ist die Art der Verbindungen in einem sozialen Netzwerk. Wie erwähnt, gibt es schwache (weak ties) und starke (strong ties) Verbindungen. Soziale Beziehungen werden nach ihrer Stärke und Intensität beurteilt. Hierbei hebt Granovetter die Tragweite von weak ties hervor, die, entgegen der bis dato gehegten Meinung, seiner Beurteilung nach große Folgewirkungen für die Informations- und Kommunikationsstruktur in sozialen Netzwerken besitzen. Schwache, wenig intensive Verbindungen in einem Netzwerk, weak ties, spielen keine untergeordnete Rolle, sondern haben vielmehr eine nicht zu unterschätzende Tragweite für die Entwicklung des Netzwerkes. Die schwachen Verbindungen in Netzwerken gewährleisten, dass die Individuen mit Informationszugängen und Ressourcen, über deren eigenen sozialen Kreis hinaus, versorgt werden. Werden die Inhalte der Interaktionen näher untersucht, so können drei Bereiche lokalisiert werden. Es sind die Bereiche Information und Kommunikation, Austausch und Transaktion sowie Normen, Werte, Attitüden. Wie wir schon vorhergehend bemerkt haben, können Informationsprozesse in Netzwerken stark mit Einfluss- und Machtpotentialen verkoppelt sein. Kommunikationsprozesse verlaufen in den verschiedenen Netzwerktypen unterschiedlich, unterliegen aber auch innerhalb der „Vollstruktur“Netzwerke den teilweise schon erwähnten Restriktionen. Dabei spielen Dauer, Dichte, Intensität, Erreichbarkeit etc. eine bedeutsame Rolle im Prozess der internen Kommunikation. Auch sind es Rollenerwartungen, soziale Normen und allgemeine Wertmuster, die über die soziale Kommunikation in einem Netzwerk transportiert werden, beziehungsweise deren Gültigkeit und Aufrechterhaltung in den verschiedenen Interaktionen eingefordert wird. Es seien hier zur besseren Übersicht die Koordinationsweisen der drei hauptsächlichen Organisationsprinzipien kurz gegenübergestellt:354

354 Siehe J. Weyer, 2000, S. 7

273

5.8

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

Abbildung 5-4:

Unterschiede von Organisationsprinzipien Organisations-

Organisations-

Organisations-

prinzip:

prinzip:

prinzip:

Netzwerk

Markt

Hierarchie

Koordinationsmittel

Vertrauen

Preise

Formale Regeln

Koordinationsform

diskursiv

spontan, spezifisch

geregelt, unspezifisch

Akteurbeziehung

interdependent

unabhängig

abhängig

Zugang

begrenzt, exklusiv offen

geregelt

Zeithorizont Konfliktregulierung

mittelfristig Verhandlung

langfristig Macht

kurzfristig Recht

Der signifikanteste Unterschied von Netzwerken und Gruppen oder Einzelorganisationen besteht vielleicht in der nicht unbedingt erforderlichen direkten Interaktion innerhalb der einzelnen Netzwerkbereiche. Netzwerke unterliegen im Vergleich zu Gruppen und Organisationen einer weitaus geringeren Festlegung und Reglementierung als dies in sozialen Organisationen und Gruppen der Fall ist. Normative Grundlagen gibt es in Netzwerken in weitaus geringerem Maße als dies beispielsweise für corporate groups der Fall ist. Einzelne Individuen können dabei in differierende Netzwerke integriert sein und sie sind, über die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen und Organisationen hinaus, als „interferrierende Aktoren“ in einem größeren Verbund involviert. Netzwerke werden auch als hybride Organisationsformen zwischen Markt und Hierarchie bezeichnet.355 Sie sind Regulationsformen jenseits rein egoistischer an Marktkalkülen oder rein normativ orientierenter sozialer Systeme. Sie basieren eher auf gemeinschaftlichen Organisationsformen und auf Vertrauen – gemeinsame Kulturauffassung sowie Bekanntheit sind die wesentlichen Konstitutionsprinzipien.356 Netzwerke sind soziale Systeme, die, wie alle sozialen Systeme, aus Kommunikation bestehen. Ihr Integrationsmedium ist Verhandlung und die funktionale Basis ist Vertrauen. Systemisch betrachtet sind Netzwerke umweltoffene Kommunikationszusammenhänge die operational geschlossenen funktionieren. Die Zugehörigkeit zu Netzwerken wird über den Grad der kommunikativen Kopplung festgelegt. Vertrauen als Sinnkategorie ist ebenso zentral wie die zeitliche Involvierung in den Kommunikationszusammenhang. Dauer, Intensität und Art der kommunikativen Kontakte sind von grundlegender Bedeutung in einem Netzwerk. 355 Siehe F. Hellmer, 1999 356 Siehe Faulstich/Zeuner 2001

274

Netzwerkstrukturen und die magische Zahl 150

Das Arbeiten in Netzwerken ist in der derzeitigen Ökonomie für viele Unternehmen überlebenswichtig. Wie wir oben skizziert haben, sind dabei bestimmte Kriterien wirksam, denen Netzwerkarbeit unterliegt. Ein weiteres sehr wichtiges Kriterium ist dabei der Grad des „Gebens“ in einem Netzwerk. Wer Netzwerkarbeit nur so betrachtet, dass er dadurch möglichst viel Nutzen für sich haben will, ohne an den Nutzen für Andere zu denken, wir langfristig scheitern. Eine Konkurrenzökonomie basiert eigentlich eher auf anderen Grundlagen, wie sie für Netzwerkarbeit notwendig ist, es gilt also die rechte Balance in der Netzwerkarbeit zu finden und es für Andere erkennbar zu machen, welchen Nutzen sie von der Netzwerkarbeit mit meinem Unternehmen haben. Neben der zunehmend wichtiger werdenden vernetzten Arbeitsweise von Organisationen ist die Zahl der Beschäftigten innerhalb einer Organisation von Bedeutung. Der britische Anthropologe Robin Dunbar hat die magische Zahl 150 genannt, diese Größe von Einheiten sollte nicht überschritten werden. Die Begründung liegt nach Dunbar darin, dass das menschliche Gehirn sich in seiner Evolutionsgeschichte nur auf solche Gruppengrößen hin entwickelt hat. In der Regel kennt ein Mensch auf Anhieb nicht mehr als 150 Personen. Die Kommunikation in einem sozialen Netzwerk beziehungsweise sozialen System, ist nur bis zu der Zahl von 150 Personen gut handhabbar. Danach wird es für den Menschen unübersichtlich. Je größer eine soziale Gruppe ist, desto mehr Informationen muss das Gehirn über die Gruppenmitglieder speichern. Die Gruppengröße korreliert folglich mit der Verarbeitungskapazität des Gehirns für solche komplexen Beziehungen. Bei Primaten hat Dunbar beobachtet, dass die durchschnittliche Gruppengröße ca. 55 Mitglieder beträgt. Da Menschen in der Regel das Dreifache an Kommunikationskontakten aufnehmen können als Primaten, kommt er auf die Zahl von 150. Der engste Kreis bei Menschen beträgt im Durchschnitt drei bis fünf Personen, die auch oft bei Krisen helfend zur Seite stehen. Nachdem Dunbar 61 internationale Studien zum Aufbau sozialer Netzwerke ausgewertet hat, zeigte sich, dass eine Person durchschnittlich zu zwölf bis zwanzig Menschen engere Beziehungen hat. Darüber hinaus gibt es weitere drei Kreise mit losen Kontakten, wobei jeder Kreis um den Faktor drei zulegt. Große Unternehmenseinheiten oder stark wachsende Kleinunternehmen sind deshalb zu dezentralisieren und in sich selbstorganisierende Bereiche aufzuteilen.357 Robin Dunbar weist nach, dass soziale Systeme an Schwellenwerte heran kommen, die ihre Kultur und Leistungsfähigkeit signifikant ändern. Soziale Systeme über 150 Personen verlieren ihren Zusammenhalt und ihre Identität, da sich die Akteure bei einer deutlich größeren Gruppe nicht mehr persönlich kennen können und eine kommunikative Koordination sprunghaft schwieriger wird. Teams sollten zum Beispiel nur aus bis zu acht Personen bestehen. Die Gesamtgröße von Unternehmen findet ihr sinnvolles Maximum bei etwa 3000 Personen, die aber wieder in eigenständige Cluster von überschaubarer Größe organisiert sein sollten.

357 Siehe Dunbar 1996

275

5.8

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

5.9

Die Entwicklung zum metakompetenten Unternehmen

Metakompetenzen sind Fähigkeiten, die über die konkreten Kompetenzen hinausgehen, folglich situations- und personenunabhängig funktionieren. Metakompetente Akteure sind sich ihrer Eigenarten bewusst und können sich von sich selbst distanzieren. Metakompetenzen sind metasystemische Eigenschaften von Akteuren, die von dem Beziehungskontext unabhängig sind. Metakompetenz setzt eine weitgehende Selbsterkenntnis und Selbsterprobung voraus. Metakompetente Akteure sind in der Lage, die zumeist unbewussten Antriebe und Emotionen bewusst zu machen. Sie erlangen damit eine Selbstbestimmungsfähigkeit mit größerer Entscheidungs- und Handlungsrationalität. Insbesondere können auch die in der Relation zu Anderen auftretenden Konflikte besser geortet und gehandhabt werden. Die unbewussten Konfliktlinien werden beobachtbar. Einen ähnlichen Zugang ermöglicht die Forschung zum Phänomen Weisheit.358 Auch hier werden ähnliche Eigenschaften weiser Personen beschrieben. Weisheit wird als überragendes Expertenwissen gesehen, das sich durch reichhaltiges Wissen wie Strategiewissen, überragendes Faktenwissen, Lebenserfahrung, Relativismus und die Fähigkeit mit Ungewissheit umzugehen auszeichnet. Beim Thema Weisheit kommen schnell Persönlichkeiten ins Spiel, die mit ihren zugesprochenen Eigenschaften eine besondere, herausgehobene Position innehaben, die ihnen eine Beobachtung höherer Ordnung ermöglichen. In diesen genannten Persönlichkeiten können Metakompetenzen anschaulich beschrieben werden, da es sich hierbei um absolute Merkmale handelt. In Anlehnung an Howard Gardner lassen sich einige herausragende Persönlichkeiten der Geschichte als metakompetent beschreiben. Während Gardner Teilkompetenzen und spezifische Intelligenzbereiche mit Persönlichkeiten verknüpft, setzen wir bei metakompetenten Akteuren eine universelle Kompetenz voraus, die sich gerade nicht auf Spezialbereiche beschränken darf.359 Michel de Montaigne, Leonardo da Vinci, vielleicht auch Humboldt können als Beispiel für Metakompetenz dienen. Sie brachten verschiedene Kompetenzbereiche zusammen und wirkten metasystemisch kompetent. Mit einem Struktur-Modell von Baltes/Smith (1990) können wir die Kategorien der Weisheit und damit der Metakompetenz folgendermaßen beschreiben:

358 Vgl. Baltes, Smith 1990 359 Vgl. Gardner 1991

276

Die Entwicklung zum metakompetenten Unternehmen

Abbildung 5-5:

Wichtigen Faktoren für Metakompetenz

„ Reiches Faktenwissen über Lebensverlauf und Lebenslagen „ Reiches prozedurales Wissen über Lösungsstrategien „ Kenntnis von Lebenskontexten und ihren zeitlichen Bezügen „ Relativismus: Wissen um Unterschiede in Werten und Prioritäten „ Wissen um relative Unbestimmtheit und Unvorhersagbarkeit des Lebens Metakompetenz beschreibt die Entwicklung der Kompetenzentwicklung. Es ist eine Kompetenz, die Kompetenzentwicklungskompetenz zu entwickeln. Diese Haltung kann an der Rolle des Mentors exemplifiziert werden, der dem Coach bei seiner Kompetenzentwicklungsarbeit beobachtet und unterstützt. Der Mentor ist eine Person oder Funktion, der mit Selbstdistanz agiert und förderliche Bedingungen schafft. Strukturell handelt es sich bei diesem Modell um ein Lernen der 3. Ordnung. Die Lernenden lernen mit dem Coach. Bei der gemeinsamen Reflexion kann Lernen gelernt werden. Was der Kybernetik 2. Ordnung entspricht. Erst die Reflexion des Lernen lernens mit Hilfe eines Mentors, der dem Kompetenzentwickler sozusagen über die Schulter schaut, erreicht man die Ebene der Metakompetenz. Dieses Modell ist auch auf Managementprozesse übertragbar, wo ein Manager zum Lernen und Verändern anregt und den Rahmen bereitstellt. Eine Reflexion der Managementprozesse ermöglicht die Steigerung der Effektivität (Lernen 2. Ordnung). Ein Mentor oder Supervisor kann die Manager bei ihrer Tätigkeit beobachten und reflektorisch unterstützen (Lernen 3. Ordnung, Lernen Stufe 4 nach Bateson). An dem Modell der Begleitung eines sozialen Systems können die Ebenen sehr gut veranschaulicht werden. Während die Beobachter 2. Ordnung vornehmlich strukturell (Zeitgestaltung, Organisation) eingreifen können, bietet sich für die Beobachter 3. Ordnung die kulturelle Intervention (Spiegelung von Managementverhalten) an. Metakompetenz weisen auch diejenigen Akteure auf, denen man jedwede Aufgabe übertragen kann. Sie weisen die Begabung auf, Fähigkeiten zu entwickeln, die in der spezifischen Situation gebraucht werden („Die oder der werden das Schiff schon schaukeln“). Von Metakompetenz spricht man dann, wenn ein Akteur oder Kollektiv, die jeweilig notwendigen Fähigkeiten situationsspezifisch zu entwickeln in der Lage ist. Metakompetente Akteure verfügen im Idealfall über folgende Fähigkeiten:

„ Selbstentdeckung und Selbstpräsenz Die Fähigkeit zur Selbstbeschreibung und Entdeckung der vorwiegend unbewussten Antriebe des Handelns. Metakompetenz setzt eine umfassende Selbsterkenntnis voraus. Dazu gehört auch das Wissen über die Wirkungen des Selbst im sozialen Feld.

277

5.9

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

„ Selbstdistanz (Vermeidung von Selfhugging) „People who self-hug think that what is best for themselves is best for everyone else as well.“360 Es fehlt Selfhuggern die Selbstdistanz und ein Konzept der Individualität. In der Kommunikation lassen sie emotionale Kompetenz vermissen und reagieren autobiografisch auf Reize. Sowie Selfhugging zu misslingender Kommunikation führt, so führt Selbstdistanz zu besserer Verständigung.

„ Empathie, Achtsamkeit und Xenophilie Die Fähigkeit, die Persönlichkeit und die Motive des Anderen schnell und präzise einschätzen zu können und die Beweggründe Anderer zu achten und in eine kooperative Lösung mit ein zu beziehen. Sowie die Fähigkeit Mitgefühl zu zeigen.

„ Phasen- und Situationsidentifikation Metakompetenz zeigt sich in der passenden Einschätzung der Phasen und Situationen in sozialen Prozessen. Diese Kompetenz zeigt sich nicht nur in der Identifikation der Phase insgesamt, sondern auch in der Fähigkeit, die unterschiedlichen Positionen der einzelnen Akteure einzuschätzen. Zu diesem Bereich gehört auch die Fähigkeit mit Paradoxien und Überraschungen in Prozessen umzugehen.

„ Interventionsfähigkeit und Handlungsfreude Metakompetente Akteure verfügen über die Fähigkeit Phasen eines Gestaltungsoder Problemlöseprozesses zu identifizieren, den Stand einzelner Akteure zu unterscheiden und jeweils geeignete und passende Interventionen zu setzen. Metakompetente erkennen die Notwendigkeit zu handeln und sind in der Lage, passende Interventionen zu initiieren. Metakompetente Unternehmen sind in der Lage jedes Problem zu lösen, sie weisen ein hohes Maß an Wandlungs- und Entwicklungsfähigkeit auf. Die Basis dafür bilden gute relationale Kompetenzen der jeweiligen Akteure und eine Strukturform, die Verständigung erleichtert und Selbstorganisation fördert. Dazu gehören:

Abbildung 5-6:

Bedingungen für metakompetente Unternehmen

„ ein möglichst weiter Rahmen (Budgets, Regeln) „ eine Kultur der Unsicherheitserprobung, geringe Machtdistanz, kleine (150 Personen umfassende) Unternehmen oder Einheiten

„ „ „ „ „

dezentrale Subsysteme, die unternehmerisch eigenständig agieren dürfen klare zeitliche und organisatorische Strukturen transparente Bewertungssysteme eine insgesamt interaktive Entwicklung der Rahmenordnung eine Binnenkohäsion auslösende Identität und Kultur

360 Reiss 2000 S. 101

278

Die Entwicklung zum metakompetenten Unternehmen

Der Neurowissenschaftler Wolf Singer beschreibt sehr anschaulich, dass Gehirne nur durch geschickte interne Verknüpfungen ein hohes Verarbeitungsniveau erreichen können.361 Bei der Betrachtung von sozialen Systemen haben wir es nicht mit einzelnen Akteuren zu tun, sondern mit Systemteilnehmern in ihrem Unternehmenskontext. Das „Gehirn“ eines Unternehmens oder eines anderen sozialen Systems, stellen die kommunikativen Netzwerke dar, welche die einzelnen Gehirne in Zusammenhang bringen und im positiven Falle dazu beitragen, die Einzelkompetenzen zu erweitern. Metakompetente Systeme sind flexibel und verständigungsorientiert vernetzt, so dass die Systemkompetenz höher einzuschätzen ist, als die Summe der Einzelkompetenzen. Strukturell sind diese Systeme mit Beobachtungsebenen der 2. und 3. Ordnung ausgestattet. John Erpenbeck hat die personalen Kompetenzen auf Kollektive wie Unternehmen übertragen. Es bilden sich im Zusammenspiel von Akteuren typische Merkmale und Kompetenzen aus. Die Methoden der Kompetenzbewertung sind dann auch auf Unternehmen anzuwenden, um die Kernkompetenzen zu beschreiben und Unternehmensbewertungen durchzuführen.362

Fallbeispiel NOKIA: Die Firma NOKIA hat sich vom Produzenten von Gummistiefeln über mehrere Wandlungsstufen zum weltweiten Marktführer in der Telekommunikationsbranche entwickelt. Das Unternehmen hat dabei eine erstaunliche Entwicklungsfähigkeit bewiesen. Die Akteure sind in einem hohen Maße selbstverantwortlich und die Organisation lässt Selbstorganisation in einem weiten Rahmen zu. Wenn sich das Unternehmen weiter auf paradoxe und überraschende Veränderungen einstellen will, ist das Management gut beraten, den Grad der Selbstorganisation und Dezentralität aufrecht zu erhalten. Das Unternehmen reagiert in seiner Strukturform hoch sensibel auf Veränderungen. Es hat sich als metakompetent erwiesen. In der letzten Zeit war das Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, wesentliche Entwicklungen am Markt und in der Technologie wurden relativ spät erkannt. Der Slogan „connecting people“ gerät in den Hintergrund und gab Indizien für eine Zentralisierung und Hierarchisierung des Konzerns. NOKIA könnte den „Pfad der Tugend“ verlassen und sich an modische Managementtrends anpassen. Wir werden sehen, ob das Unternehmen auf den Kultur- und Kernkompetenz orientierten Weg zurückkehrt. Management und Kompetenzentwicklung sind als strukturell ähnliche Tätigkeiten zu beschreiben. Management dient im Kern dazu, Menschen zu befähigen, sie beim Lernen und Lösen zu unterstützen, ihnen Spielräume zu gewähren und Möglichkeiten zu offerieren. Die Kernkompetenz von Unternehmen besteht in der Fähigkeit, kollektiv Probleme lösen zu können. Diese Kompetenz ist im Wesentlichen unabhängig vom angestammten Marktangebot oder Produktprogramm zu definieren. Wenn man die Akteure in Unternehmen fragt, wie sie ihre Kompetenz einschätzen, wenn sie nicht die gegenwärtig angebotenen Produkte fertigen und vermarkten können, erfährt man in

361 Vgl. Singer 2002 362 Vgl. Erpenbeck 2003

279

5.9

5

Die Organisation der Innovation und Kompetenzentwicklung

den meisten Fällen etwas über die generelle Problemlösefähigkeit der Unternehmen. Kernkompetenzen sind kollektive Problemlösefähigkeiten eines Unternehmens, die es im Wesentlichen von anderen Unternehmen unterscheidet. Diese Kompetenz ist unabhängig vom angestammten Marktangebot oder Produktprogramm zu definieren. Die Kompetenz eines sozialen Systems wird von Akteuren aus der Umwelt des Systems zugesprochen. So tendieren beispielsweise Kunden zu Anbietern, die auf einem Gebiet besondere und in weiteren Feldern als hinreichend gute Anbieter erkannt werden. Mit Crawford/Mathews (1996) unterscheiden wir dabei den Zugang (Ubiquität, Lieferfähigkeit, Öffnungszeiten, Versand, e-commerce), den Preis (geringe Transaktionskosten, Rendite), das Produkt (Leistungsversprechen des Produktes oder Services), die Erfahrung (Beratungsleistung, Coaching, Wissen) und den Service (added value, Betreuung). Die Definition der Kernkompetenz ermöglicht die Entdeckung der inneren Intelligenz des Unternehmens. Innovations- und Entwicklungsentscheidungen sind maßgeblich an dieser Kernkompetenz auszurichten, um sicherzustellen, dass nicht der „Pfad der Tugend“ verlassen wird. Oft wird in wohlmeinender Unwissenheit eine neue Produktlinie oder ein neuer Produktbestandteil angeboten, ohne dass er zur relationalen Kompetenz passt. Strukturell sind diese Systeme mit Beobachtungsebenen der 2. und 3. Ordnung ausgestattet. Erpenbeck hat die personalen Kompetenzen auf Kollektive wie Unternehmen übertragen. Es bilden sich im Zusammenspiel von Akteuren typische Merkmale und Kompetenzen aus. Die Methoden der Kompetenzbewertung sind dann auch auf Unternehmen anzuwenden, um die Kernkompetenzen zu beschreiben und Unternehmensbewertungen durchzuführen.363 Metakompetente Unternehmen sind in der Lage jedes Problem zu lösen, sie weisen ein hohes Maß an Wandlungs- und Entwicklungsfähigkeit auf. Die Basis dafür bilden gute relationale Kompetenzen der jeweiligen Akteure und eine Strukturform, die Verständigung erleichtert und Selbstorganisation fördert. Dazu gehören ein möglichst weiter Rahmen (Budgets, Regeln) eine Kultur der Unsicherheitserprobung, geringe Machtdistanz, kleine und dezentrale Subsysteme, die unternehmerisch eigenständig agieren dürfen, klare zeitliche und organisatorische Strukturen, transparente Bewertungssysteme, eine insgesamt interaktive Entwicklung der Rahmenordnung, sowie eine Binnenkohäsion auslösende Identität und Kultur. Wie oben schon angedeutet, können auch soziale Systeme in ihrer Metakompetenz bewertet werden. Das Indikatorensystem wird hierbei auf die Systemebene übertragen. Metakompetenz von Akteuren kann im Dialog manifestiert werden. Die oben genannten Kategorien können mit Indikatoren versehen werden. In Problemlösungsdialogen können die Verhaltensweisen „dicht beschrieben“ und auf Metakompetenz überprüft werden.364 Indikatoren für Metakompetenz sind:

363 Vgl. Erpenbeck 2003 364 Zur Methode der „Dichten Beschreibung“ siehe C. Geertz 1987

280

Die Entwicklung zum metakompetenten Unternehmen

Abbildung 5-7:

Indikatoren für Metakompetenz

Selbsterkenntnis: Bewusstsein über die Kernkompetenz und Identität des Unternehmens, Unterscheidungsfähigkeit und Selbstbewusstsein. Negativ: Selbstüberschätzung, Arroganz, Kompetenzüberschreitung. Selbstdistanz, Relativismus: Organisatorische Verankerung der Selbstbeobachtung und unabhängigen Kritik in Form von unabhängigen Gremien (Beirat, Mentoren, Supervision). Negativ: Einseitige Entscheidungen, Heroismus. Empathie: Interesse am Anderen, Einfühlungsvermögen, Dialogische Leistungsentwicklung insbesondere mit Nutzern. Negativ: Alexithymie, Apathie, mangelnde Kundenorientierung. Situationsidentifikation, Kontextualismus: Organisation in kleinen Einheiten (Magic Number), Abwägung von Nutzen und Aufwand, plurale Diagnosen. Negativ: Absolute Lösungen. Interventionsfähigkeit, Lösungswissen: Hoher Grad an Selbstorganisationsmöglichkeiten der Akteure, Dezentralität, Partizipation, Methodische Integration über gemeinsames Prozessdesigns und vereinbarte Interventionsmöglichkeiten, Einrichtung von innovativen Reservaten und Spielräumen. Negativ: begrenzte Erfahrungen, Überreaktion, Aktionismus.

Diese Indikatoren lassen eine Beobachtung und anschließende Beschreibung von Metakompetenz Levels zu. Im Dialog kann so bewertet werden, welches Niveau der Metakompetenz ein System erreicht hat. Wenn sehr unterschiedliche Akteure in verschiedenen Kontexten eine Unternehmung in allen oben genannten Kategorien als kompetent bezeichnen, kann man von Metakompetenz sprechen.

281

5.9

Die Entwicklung zum metakompetenten Unternehmen

6 Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Die Art und Weise wie wir wirtschaften ist „(...) in erster Linie ein Denksystem, eine Interpretation.“365 Diese Aussage bringt die Diskussion um ökonomische „Notwendigkeiten“ auf den Punkt. Man muss nicht ohne ethische Grundlagen und moralisches Verhalten wirtschaften. Systemtheoretisch gesehen reagiert zwar das System Wirtschaft nur auf das „entsprachlichte“ Kommunikationsmedium Geld. Zahlung oder NichtZahlung sind die einzig systemadäquate Kommunikationsweise, aber dennoch gibt es Interdependenzen zwischen gesellschaftlichen Systemen. Wenn wir wollen, dass ethische Aspekte im Ökonomiesystem eine Rolle spielen, so ist diese Kommunikation möglich und es sind die sich daraus ergebenden Verhaltensfolgen umsetzbar. Die oft gehörte Ausrede, dass ethische Standards keine Rolle spielen, „wenn wir das Geschäft nicht machen, dann macht es jemand anderes“, trägt nicht. Wenn man sich schon so weit auf die vermeintlich „ethikfreie“ Ökonomie eingelassen hat, ist dies allerdings schon eine „ethische“ Entscheidung. Man kommt also aus dieser Falle nicht heraus. Die Ausrede, Ethik und Wirtschaft gehe nicht überein, ist eine ethische Interpretation und Entscheidung. Man interpretiert das System so, dass es angebliche keine Alternativen gibt, dabei trifft man vorab eine Setzung, die schon davon ausgeht, dass diese Ansicht einzig möglich ist. „Ökonomie ist Ethik“, sagt Karl Heinz Brodbeck, weil Ethik letztlich nicht anderes darstellt als die Befolgung eines Regelsystems für das menschliche Verhalten. Der Egoismus der Warenproduktion mit dem einzigen Ziel Geld zu machen, auf dem die marktwirtschaftlich geordnete Gesellschaft beruht, ist eine ethische Grundhaltung im weiteren Sinne ist. Ethisches Verhalten ist somit immer schon in der Ökonomie vorhanden. Allerdings muss man die Frage stellen, welches ethische Verhalten. Hierin liegt die Krux der ganzen Sache. Gutes ethisches Verhalten sei schon in den Marktpreisen realisiert sagen die Marktbefürworter. Quasi regelt so angeblich der „gerechte“ Preis, der über den Markt erzielt wird, die Frage der ethischen Berechtigung. Jedem Prozess am Markt geht allerdings immer schon eine ethische Grundlegung voraus und zwar in Form der Gestaltung der Rahmenbedingungen. Die Marktpreise spiegeln dabei gar nicht alle Kosten wider, die in ihnen enthalten sein müssten, damit sie gerechtfertigt sind. Ökologische Kosten sind in vielen Produkten nicht enthalten, auch soziale Kos-

365 K.H. Brodbeck 1998, S.6

283

5.9

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

ten spielen meistens keine Rolle366. „In den Preisen versteckt sich Moral“, so Brodbeck, und diese Moral kann verändert werden, indem man wirtschaftliches Handeln verändert. Ökonomische Rationalität muss also mit ethischer Rationalität verbunden werden, wie Peter Ulrich sagt.367 Er versucht die beiden Rationalitätsansätze zu integrieren und fokussiert ein Handeln nach kommunikativ ethischen Leitgrundsätzen. Jedes Unternehmen hat so eine Verpflichtung und Mitverantwortung der Öffentlichkeit gegenüber. Intern sind Unternehmen kommunikativ und partizipativ zu führen. Dieser Ansatz aus der St. Gallener Managementschule führt weg von den rein auf Unternehmen fixierten ethischen Ansätzen hin zu einer Ethik der Wirtschaftsbürger. Alle im gesellschaftlichen Bereich ökonomischen Tätigkeiten unterliegen der ethischen Prämisse der Mitverantwortung. Wirtschaftliches Handeln kann sich nicht freisprechen von gesamtgesellschaftlichen Folgewirkungen und hat diese in seine Handlungen mit einzubeziehen. Ökonomisches Handeln ist dann „a-sozial“, im engsten Sinne der Bedeutung, wenn es soziale, also gesellschaftliche Auswirkungen seines Tuns nicht mitbedenkt und negative Effekte nicht vermeiden hilft. In ökologischen und sozialen Fragen sind wir von solchen Perspektiven allerdings nach wie vor weit entfernt. Es scheint sogar, dass beispielsweise im Zuge der neuen Rationalisierungsstrategien die Entlassung der Mitarbeiter aus reinen Gewinngründen, wie es immer mehr Großunternehmen praktizieren, gerade en vogue ist. Eine rein ökonomische Rationalität wird von diesen Unternehmen forciert und die Folge- und Nebenwirkungen (Externalitäten, soziale Kosten)368 werden der Allgemeinheit überlassen. Die negativen Effekte des privaten Gewinnstrebens Einiger muss die Gemeinschaft tragen – das ist A-sozialität par excellence.

6.1

Was sollen wir tun?

Wie kommt man nun aber zu ethischen Haltungen in wirtschaftlichem Handeln? Schon Adam Smith, der fälschlicherweise oft für die Aussage herhalten muss, dass sich allgemeine Marktgesetze zum Wohle aller durchsetzen, verlangt nach Regeln in der Marktwirtschaft. Es wird so kein Egoismus per se gehuldigt, sondern ökonomisches Handeln ist, als gesellschaftliches Handeln, schon immer eingebunden in eine ethische Regelstruktur. Allgemeine ethische Regeln aufzustellen hat die Philosophen jahrhundertlang beschäftigt. In der neueren Diskussion bezieht man sich in erster Linie auf die Grundlegungen Immanuel Kants (1724–1804). Moralische Regelungen müssen für Kant, vor aller Erfahrung, aus der Vernunft gewonnen werden. Hierzu gilt die Formu366 siehe K.H. Brodbeck 2003 und 2000 367 P. Ulrich 1987 und 1990 368 Vgl. J. Bakan 2004 und die Filme „The Corporation“ sowie „Walmart – The high Cost of low

Price.“

284

Was sollen wir tun?

lierung seines berühmten kategorischen Imperativs „Du handelst vernünftig, wenn du dich selbst als Gesetzgeber vorstellst. Wähle also die Gründe deines Handelns so, dass du dich zugleich als allgemein gesetzgebend denkst.“369 Heutzutage stützen sich beispielsweise Habermas, Apel und Rawls, als „Ethikdenker“ auf diese Grundaussage von Kant. Ethische Regeln werden aus einer reflektiven Haltung heraus gewonnen, die jenseits eines rein egoistischen Nutzenkalküls steht. Die Vertreter traditioneller neoliberaler Ökonomie, von Hayek über Friedmann bis Homann, sind davon überzeugt, dass das reine Streben nach Gewinn eine moralisch einwandfreie Tugend ist. Die Vermehrung des Geldes über das Mittel menschlicher Arbeit ist allerdings grundsätzlich keine Tugend, sondern mit dieser ethischen Maxime wird der Mensch Mittel zum Zweck. Ebenso sind die ethischen Implikationen der marktwirtschaftlichen Ökonomie, wenn man ihre Auswirkungen bedenkt, konsequenzreich. So haben bestimmte wirtschaftliche Entscheidungen, beispielsweise getroffen im Kontext mitteleuropäischer Wirtschaft, oftmals Auswirkungen in entfernten Teilen der Welt. Diese Tatsache besteht schon lange vor der allgemein hysterischen Aufgeregtheit um die Globalisierung. So ist beispielsweise die Produktion von Früchten in Südamerika verbunden mit einer dort ausufernden monokulturellen Landwirtschaft. Deren extremer Dünger- und Pestizideinsatz verursacht ebenso große Probleme, wie die Enteignung der bäuerlichen Kleinbetriebe zugunsten großer Haziendas. Wir sehen an diesem Beispiel also, dass wirtschaftliche Entscheidungen nie isoliert betrachtet werden können, sondern in ihnen immer ethische Implikationen stecken, die sich oft fern vom Ursprungsort auswirken. Als ökonomisch Handelnder kann man sich nicht freisprechen von ethischen Auswirkungen. Auch wenn man sie nicht in die Überlegungen des Handelns mit einbezieht, ist man trotzdem für diese Auswirkungen mit verantwortlich, da man sie produziert hat. Das Prinzip: die Folgen meines Handelnd gehen mich nichts an, ist fatal und zynisch. Die Handlungsfolgen gehören immer zum Handeln, wenn eine Wirtschaft dies entkoppelt, so ist dies nur ein Zeichen für ihre Irrationalität. Das angeblich so „rationale“ Verfahren marktwirtschaftlichen Handelns ist, bei näherer Betrachtung, hochgradig irrational und anarchisch. Die Irrationalität besteht in der Eindimensionalität der wirtschaftlichen Handlungsleitlinien. So ist die Vorstellung „alles regelt der Markt“ schlichtweg falsch, wie allerseits empirisch belegt werden kann. Der Markt regelt nur das, was er profitabel regeln kann. Die Marktwirtschaft hört immer da auf, wo profitables Handeln nicht mehr gewährleistet ist. Dann tritt die Allgemeinheit, meistens in Form des Staates hilfreich ein. Oder man ruft neuerdings verstärkt nach „Privatisierung“ staatlicher Leistungen, wo dies Profitabilität verspricht. Man nehme beispielweise die „Privatisierung“ der Bahn. Hier wird ein privates Unternehmen gegründet, welches sämtliche Unternehmenswerte (Streckennetz, Bahnhöfe, Waggons, Lokomotiven etc.) geschenkt bekommt, die vormals mit dem Geld der Allgemeinheit (Steuern) bezahlt worden sind. Zielrichtung ist jetzt die private Gewinnvermehrung. Ethischer Grundsatz der hier impliziert ist, ist dass private Gewinnvermehrung nichts Anrüchi369 Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten. Akademie Textausgabe Bd. VI. Berlin 1912. S.225

285

6.1

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

ges ist. Gleichzeitig basiert diese ethische Implikation allerdings darauf, dass dazu Allgemeinvermögen entschädigungslos benutzt wird. Hier widerspricht sich die ethische Grundlage eigentlich, und auch so wird wirtschaftliches Handeln irrational. Der Markt ist in heutiger Zeit weder eine ethische noch eine demokratische Einrichtung. Die „Kunden“ haben in vielen Fällen nichts zu sagen: Marktmonopole diktieren Preise, Angebote und Bedürfnisse in zunehmendem Maße. Man nehme nur die Beispiele Energiewirtschaft, Telekommunikation, Transportwesen auf der Schiene um nur die eklatantesten Entwicklungen von Marktversagen zu benennen. Dahinter stehen politische Entscheidungen, wie man in jüngster Vergangenheit deutlich vorgeführt bekam. Hier spielt ethisches Verhalten am Markt keine Rolle mehr. Es besteht weitestgehend nur ein Interesse daran, den Firmenwert zu erhöhen und das teilweise fast politisch völlig unkontrolliert über die internationalen Finanzmärkte. Wenn man so will, ist es eine leere Ethik der kurzfristigen Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Folgekosten. Handlungsfolgen werden oft kognitiv nicht wahrgenommen, werden unserer Rationalität nicht zugänglich gemacht, obwohl die Marktwirtschaft als ein sehr rational agierendes ökonomisches System betrachtet wird. Diese Rationalität ist aber meistens begrenzt auf die Rationalität des unmittelbaren Handelns. Hierzu wird oft die Begründung genannt, dass in den Wirtschaftwissenschaften die Trennung von ökonomischen Handlungen und Werturteilen aufrecht zu erhalten sei. Dies ist leider ein Trugschluss. Werturteile sind, kurz gesagt, Setzungen was sein soll, ökonomische Handlungen sollen hingegen nach rein objektiven Kriterien erfolgen. Diese Trennung ist unhaltbar, da jede Auswahl einer Handlung einer Regel unterliegt, wie gehandelt werden soll und damit ein Werturteil impliziert. Diese „Werturteile“ werden in der Ökonomie allerdings nicht explizit gemacht, sondern verbergen sich hinter angeblich „rational“ zu treffenden Entscheidungen. Aber ethische Grundlegungen haben immer mit Interessen und Macht zu tun. „Sachzwang“ oder „Notwendigkeit“ sind dann Lieblingswörter, wenn ethische Normen für die Wirtschaft angeblich untauglich sind. Dass dies ein Irrglaube ist, sei hier kurz dargelegt. So ist die globalisierte Wirtschaft für Ökonomen quasi ein Naturgesetz. Wirtschaft ist aber von Menschen gemacht und unterliegt somit den Handlungsrahmen menschlicher Gemeinschaften. Selbstverständlich gibt es eine inhärente Logik des Systems Wirtschaft, aber man kann Systeme ändern, da sie aus Kommunikation bestehen und diese Kommunikation ist beispielsweise durch gezielte Irritationen veränderbar. Marktformen sind Kulturformen und somit soziale Prozesse und diese unterliegen immer ethischen Normen und diese sind verhandelbar und wandlungsfähig. Märkte haben eine ihnen innewohnende Moral, sie sind keine amoralischen Produkte. Wären die Gesetze der Wirtschaft unumstößliche Naturgesetze, wie ihre Apologeten meinen, dann wären keinerlei politische Eingriffe vonnöten. Die physikalischen Gesetze der Schwerkraft funktionieren mit oder ohne politische Eingriffe, wirtschaftliche Gesetze nicht. Sachzwänge oder Notwendigkeiten in der Ökonomie sind demzufolge schon wieder ethische Normierungen, also Handlungen die unter Normen und Ma286

Innovationsmanagement und Kompetenzentwicklung – kultiviert und erfolgreich

ximen stehen – was anderes ist Ethik? Sachzwänge und Notwendigkeiten sind nichts Abstraktes, das ohne ethische Implikationen verwirklicht werden müsste. Sachzwänge und Notwendigkeiten folgen einer bestimmten Logik und daher sind sie kritisierbar und veränderbar. Keine Sache zwingt uns zu irgendetwas, wohl aber bestimmte Absichten. Sachzwänge und Notwendigkeiten sind so immer ideologische Begriffe, die uns vorgaukeln, dass etwas so und nur so getan werden muss. Es gibt immer Alternativen zum Handeln, auch unter einer „globalisierten Wirklichkeitssicht“. Ethische Grundlagen wirtschaftlichen Handelns sind also immer gegeben, es ist nur die Frage wer die Macht dazu hat. Wer die Einhaltung ethischer Regeln sicherstellen will, muss in einer bürgerlichen Vertragsgesellschaft zu allgemeinen Gesetzen kommen. Aber wer formuliert denn idealerweise die Gesetze, die allen dienen sollen? Es ist in unserer Gesellschaft doch wohl der Bundestag als Legislative. Der Gesetzgeber ist die Gemeinschaft der gewählten Abgeordneten. Handeln diese Abgeordneten denn im Allgemeininteresse, bei ihrer Gesetzesbegründung? Angesichts des verbreiteten Lobbyismus starker Wirtschaftsverbände ist dies doch wohl eher schwierig, wie die Praxis oft zeigt. Ethische Normen in der Ökonomie aufzustellen ist also ein politischer Prozess. Wer die Normen aufstellt muss über politische Macht verfügen, zumindest noch. Ökonomische Macht begründet schon sehr weitreichend Normen, dennoch sind die Korrektivmöglichkeiten nicht gänzlich verschwunden. Gerade auch vor dem Hintergrund eines erfolgversprechenden Innovations- und Kompetenzmanagements müssen ethische Normen Grundlage des Handelns sein. Und diese Normen müssen sich der Gemeinschaftlichkeit nützlich erweisen, nicht nur auf der Shareholder Value Ebene, sondern als Stakeholder Value aller Beteiligten und Betroffenen.

6.2

Innovationsmanagement und Kompetenzentwicklung – kultiviert und erfolgreich

Viele Leser werden über den Zusammenhang von Ethik und Innovationsmanagement eher erstaunt sein. Was hat Innovationsmanagement mit Ethik und Moral zu tun? Oder was soll an Innovationsmanagement eigentlich unmoralisch sein? Wenn man die Innovationsmanagement in den Marketingzusammenhang stellt, wird die Problematik schon deutlicher. Marketing wird oft mit manipulativen und aggressiven Methoden in Zusammenhang gebracht. Innovationsmanagement kann dann dazu führen, individuelle Daten öffentlich zu machen, Persönlichkeitsrechte zu verletzen und Menschen zu bedrängen. Im Folgenden werden konventionelle und moderne Ansätze vorgestellt und das Modell einer dialogischen Ethik skizziert, die auf Durchhaltbarkeit ausgerichtet ist und damit zum langfristigen Erfolg. Diskutiert wird eine Wirtschaftsethik, die nach dem

287

6.2

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Philosophen Peck durch Kultiviertheit und Bewusstheit geprägt ist.370 Kultiviertheit bedeutet hier mehr als Höflichkeit, sie beschreibt einen achtsamen Umgang und hat den Aufbau guter zwischenmenschlicher Beziehungen zum Inhalt. Effektives Marketing dient im Kerne dem Aufbau guter Beziehungen. Es werden Kontakte aufgebaut und gepflegt, Marken und Images entwickelt, die den Unternehmenswert steigern. Die Bewusstheit beschreibt die innere und äußere Wahrnehmung und Sensitivität, gerichtet auf alle sachlichen, emotionalen, intuitiven und kognitiven Aspekte. Innovationsmanagement soll ja gerade dazu dienen, die Bewusstheit über den relevanten Kontext zu erhöhen und ein stimmiges Abbild der Realität zu liefern. Zunächst wollen wir die zentralen Chancen und Probleme einer ethischen Orientierung, allgemein in der Wirtschaft als auch bezogen auf die Innovationsmanagement, deutlich machen und dann mit dem Grundriss einer Kommunikativen oder Dialogischen Ethik (die beiden Bezeichnungen werden zusammen mit dem Begriff Diskursethik synonym verwendet) auf die konkrete Ausgestaltung überleiten.

6.3

Ethik als Chance zur praktischen Orientierung

Management ist in systemischer Hinsicht als sinnvolle Rahmengestaltung zu sehen. Effektive ManagerInnen geben Impulse, schaffen eine Atmosphäre für Entwicklung, lernen und setzen einen klaren Rahmen, innerhalb dessen Spielräume zur Selbstentfaltung- und Organisation gelassen werden.371 Der vom Management geschaffene Rahmen beinhaltet normative Regeln, die handlungsleitend für alle Beteiligten sind. Die normative Planung prägt somit die strategische und operative Arbeit. Zu unterscheiden sind:

„ die Unternehmensphilosophie „ die Unternehmenskultur und „ die spezielle Unternehmensethik. Wirtschaftsethik bezieht sich auf die Anwendung sozialethischer Betrachtungen ökonomischer Sachverhalte.372 Die Unternehmensethik gilt als praktische Philosophie, in der die Leitlinien ausformuliert werden. Es geht also darum, die Werte und die Regeln im Unternehmen in konkretes Handeln zu überführen. Die normativen Überlegungen ergänzen die strategischen und operativen Aspekte im Unternehmen. Operative Betrachtungen dienen vornehmlich der Entwicklung effizienter Abläufe im Rahmen einer Zielsetzung. Strategische Planungen zielen auf die Effektivität des Handelns. Es 370 Vgl. Peck 1995 371 Siehe Bergmann 1999 372 Siehe Rich 1987, S. 67

288

Ethik als Chance zur praktischen Orientierung

werden übergreifende und eher langfristige Ziele und Strategien entwickelt. Erst die normativen Planungen zielen auf Legitimität. Hier wird versucht, eine Basis für dauerhafte Unternehmensentwicklungen zu legen, in dem ein Augleich mit dem Kontext gesucht wird. Normative (ethische) Aussagen erhalten einen Vorteilhaftigkeitscharakter in dem auf den Nutzen und Verständigung für den egoistischen Akteur hingewiesen wird. Ethik kann so strategischen Charakter erlangen. Ethisches Verhalten ist nicht durchhaltbar, wenn es sich auf reinen Altruismus (Uneigennützigkeit) gründet. Auch Tugendhaftigkeit reicht nicht aus, es kommt vielmehr auf die Wirkungen an. Wir halten eine Heinzelmenschen-Regel für angemessen und durchhaltbar: „Verlasse jeden Ort ein wenig besser, schlauer, schöner, als Du ihn vorgefunden hast.“ Das führt in der Anwendung auf organisationale Bereiche (Teams, Unternehmen) zu sukzessiven und dauerhaften Verbesserungen für alle Beteiligten, insbesondere für den nützlichen Akteur.373 So werden Transaktionskosten durch den vereinfachten, weil vertrauensvollen und verlässlichen Umgang gespart. Wenn mehr Akteure Einblick in die Rückbezüglichkeit ihres Handelns gewinnen, werden nicht nur ethische Grundsätze populärer sondern auch Wirtschaften einfacher. Soll heißen: die Lösungen werden auf lange Sicht so angelegt, dass die Wirkungen im Sinne von responseable durchgehalten werden können. Das ist das grundsätzliche Prinzip der Sustainability (Durchhaltbarkeit). Die Durchhaltbarkeit von Verhaltensweisen ist in sozialer, psychischer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht zu klären. Alle Maßnahmen werden danach so gewählt, dass das Image und der Ruf keinen Schaden erleiden, rentabel gearbeitet sowie der Ausgleich und Einklang mit der sozialen und natürlichen Mitwelt gesucht wird. Dahinter steht keine Lehre oder Moral sondern der Gedanke, dass auf lange Sicht nur Verhaltensweisen erfolgreich sind, die sich als Win/Win – Lösungen für alle Betroffenen und die natürlichen Systeme herausstellen. Notwendig ist keine Imageethik sondern eher eine Charakterethik, die eine überzeugte Haltung und Prinzipien deutlich werden lässt.374 Die reine Imageethik lässt sich nicht dauerhaft durchhalten, denn auch Marktforscher sind auf dauerhafte Beziehungen und einen verlässlichen Ruf angewiesen. Es fragt sich nur, warum diese einsichtigen Vorteile nicht immer gesehen und genutzt werden?

373 Siehe Bergmann 1997 und 1999 374 Siehe Covey 1992

289

6.3

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

Abbildung 6-1:

Ethik im Innovationsmanagement kann die Chance bieten:

„ eine qualitativ bessere Vorausschau zu ermöglichen und damit das Risiko für Unternehmen zu senken,

„ durch wesentlichere Informationen und eine höhere Bewusstheit über die komplexen Umfelder, einen klaren Blick sowie bessere Orientierung und Halt im turbulenten Kontext zu erhalten,

„ die originären Bedürfnissen zu erforschen, „ auf dieser Basis, nützlichere Produkte und stimmige Werbung zu entwickeln und „ durch einen kooperativen und verständigungsorientierten Umgang mit allen Beteiligten eine Vertrauenskultur erwachsen zu lassen, die wiederum Kontrollund Abstimmungskosten sparen lässt und die Koevolution mit den Marktpartnern ermöglicht.

6.4

Allgemeine Probleme bei der Entwicklung einer Unternehmensethik

„Warum leben wir nicht im Paradies?“, fragte H. Markl.375 Dafür gibt es (leider) mehrere schwerwiegende Ursachen, die im Folgenden näher erläutert werden sollen. Als bedeutendste Hürde auf dem Weg zu einem moralischen Umgang fungiert die eingeschränkte Rationalität des Menschen. Wir denken und agieren weder logisch rational, noch sind wir in der Lage, unseren Nutzen steigernde Alternativen immer klar zu entwickeln. Aus Untersuchungen zum Problemlöseverfahren ist hinlänglich bekannt, welche negativen Folgen menschliche Handlungen haben können.376 „Wer alles was er tut, zwar vernünftig und gut tut, aber niemals fragt, ob er dann das Gute und Vernünftige tut – den wird man nicht vernünftig nennen.“377 Intendiertes Handeln, auch gut gemeintes, führt nicht immer zu voraussagbaren Ergebnissen. Einige problemerzeugende Pseudolösungsstrategien (PePseL) werden immer wieder praktiziert.378 Es wird zu wenig aus den bisherigen Vorgängen und Erfahrungen gelernt. Inhalte einer Wirtschaftsethik müssen insofern auch Hinweise und gegebenenfalls Regeln sein, die dem sozialen Akteur Hilfestellung leisten, die Auswirkungen seiner Handlungen besser abzuschätzen und vorsichtig agieren zu können.

375 376 377 378

290

Markl 1983, S. 11 Dörner 1989 Lübbe 1973, S. 97 Bergmann 1997

Allgemeine Probleme bei der Entwicklung einer Unternehmensethik

Besonders im Management werden Erfolg oder Misserfolg relativ unreflektiert und schnell bestimmten Ursachen zugeordnet, obwohl eher Kausalvernetzungen und zirkuläre Kausalität vorliegen und die wirklichen Ursachen, je nach Interessenlage und Position der Beurteilenden, sehr unterschiedlich gesehen werden können. Im Sinne einer vielfältigen Zuschreibung von Ursachen und Wirkungen (Multiattributierung) sollte deshalb versucht werden, etwaige Widersprüche und Meinungsdivergenzen für eine ganzheitliche Diagnose im Dialog zu nutzen. Allein durch Gesetze (kodifizierte Normen) kann sich ein verantwortlicher Umgang, eine kooperative Kultur, kaum erhalten. Schon Laotse sagte: „In einem Staat gibt es um so mehr Räuber und Diebe, je mehr Gesetze und Vorschriften es in ihm gibt.“379 Die Gesetzesorientierung (Legitimismus) fordert gerade zur Umgehung und zur Lückensuche auf, wobei diese Unmoral sukzessive eskaliert, indem der Gesetzestreuer geradezu als einfältig und blauäugig verächtlich gemacht wird. Es ist insofern wichtig, die legitimierten Verhaltensregelungen immer im Einklang mit allgemeinen Wertorientierungen weiterzuentwickeln um sie nicht als leblose Hülse künstlich aufrechterhalten zu müssen. Ähnlich wie in Gesetzen zunächst eine Generalnorm vorangestellt wird, um den Grundsatz zu verdeutlichen und Hilfestellungen in bisher ungeklärten Einzelfällen zu geben, ist besonders in ethischen Fragen ein reflektierender Umgang mit den herrschenden Sitten und Gesetzen auf höherer Stufe notwendig.380 Ethik kann keinen universalen Anspruch anmelden. Sie hat immer nur lokale und temporäre Bedeutung.381 Ähnlich dem Wechselspiel von Erwartung und Erfahrung, von Planung und Kontrolle in der betrieblichen Praxis, kann der Kreislauf der Erkenntnis auch auf die Herausbildung der Ethik angewendet werden. Ein wesentlicher und unverzichtbarer Anspruch an ein Normensystem ist die Gerechtigkeit. Normen und Gesetze müssen für alle Beteiligten gleichermaßen gültig sein und die Durchsetzung und die Kontrolle sind unabdingbare Voraussetzungen für die Stabilität des Gerechtigkeitsempfindens. Das größte Problem beruht jedoch in der Festlegung und in der Kontrolle von Maßstäben für gerechtes Handeln. Nur eine breite und intensive Partizipation von Mitarbeitern und Kunden kann zu einem vernünftigen Verhalten führen. Vorgegebene Maßregeln (Policies) werden zumeist wirkungslos bleiben, wenn sie nicht vorher durch offenen Dialog unter Mitwirkung der Betroffenen entwickelt wurden. Zudem sind alle Interpretationen intersubjektiv nachprüfbar zu gestalten, damit sie sinnvoll kritisiert und ergänzt werden können. Die zahlreichen und ungelösten Fragen haben dazu geführt, dass ethisch-moralische Aspekte immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurden und werden. So entstand im praktischen ökonomischen Handeln ein ethisches Vakuum. Das Verhalten wird vom technisch Machbaren bestimmt und von moralischen Floskeln geschmückt und 379 Laotse (Laozi), chin. Philosoph, der wohl Ende des 4./Anfang des 3. Jh. v.u.Z. gelebt hat.

Laotse gilt als Begründer des Taoismus, dessen Grundlagen im Tao-te-king niedergeschrieben wurden. 380 Siehe Rich 1987, S. 19 381 Baecker 1994, S. 148

291

6.4

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

verdeckt. Auf diesen allgemeinen Ethik Problemen leiten sich konkrete Probleme in dem Innovationsmanagement ab.

6.5

Konkrete Probleme des Innovationsmanagements

Innovationsmanagement umfasst die Lieferung von Informationen über die Märkte (Aufgabenumwelt) eines Unternehmens. Unabhängige von der Art des Marktes gibt es auch im Rahmen von Innovations- und Kompetenzmanagement unmoralische Handlungen. Kay-Enders hat anschaulich die grundlegenden Probleme dargelegt. Er diskutiert ethische Probleme und Lösungsansätze im Gesamtrahmen des Marketings.382 Im Folgenden sollen einige wichtige Aspekte genannt werden:

„ Datenmanipulation „ Vorgaukelung von Gewissheit und Genauigkeit (Besitz der Wahrheit) „ Vermischung von Wahrnehmung und Interpretation „ Verletzung der Privatsphäre „ Missachtung der Anonymität Eng mit dem vorgenannten Phänomen hängt die Vermischung von Wahrnehmung und Interpretation zusammen. Aus dem Journalismus ist die notwendige – wenn auch leider immer weniger praktizierte – Trennung von Information und Kommentar bekannt. Auch in dem Innovationsmanagement sollte die ermittelte Information getrennt von der Interpretation wahrnehmbar sein. Eine sofortige Verdichtung kann sinnvoll sein um die Komplexität bewältigen zu können. Dem Nutzer muss aber die Möglichkeit gegeben werden, originales Untersuchungsmaterial einzusehen um daraufhin seine eigen Einschätzung entwickeln zu können. Wir halten es zudem für sinnvoll, vor allem allgemeine Muster zu destillieren. Es können zum Beispiel Unterschiede zwischen Konzepten, Strategien und Unternehmen festgestellt werden, die einen abweichenden Performancegrad aufweisen. Aus der Differenz ergeben sich Orientierungsmuster auf metasystemischem Niveau. Der Vorteil besteht darin, nicht bestimmte Ursachen für Erfolg und Misserfolg zuordnen zu müssen, die immer streitbar sind sondern sich auf Unterschiede zu konzentrieren, die Unterschiede machen.

382 K.-Enders 1996, S. 64 ff.

292

Eckpunkte einer kommunikativen Ethik

6.6

Eckpunkte einer kommunikativen Ethik

Zur Lösung der skizzierten Probleme stellen wir einige Ansatzpunkte vor. Die wesentlichen Bedingungen einer kommunikativen und durchhaltbaren Wirtschaftsethik werden kurz zusammengefasst. Diese Ethik sollte:

„ kommunikativ angelegt sein, da ethische Regeln aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen formuliert werden müssen,

„ sich an metasystemischen Regeln orientieren, „ nicht idealistisch sondern nachhaltig und erhaltend angelegt sein. Der Idealist und Altruist schadet der Ethik, wenn er seine Selbst- und Fremdausbeutung zulässt,

„ Grenzen setzen, Klarheit und Transparenz schaffen, also organisiert werden, verankert sein im System um das verantwortliche Verhalten wahrscheinlicher werden zu lassen. So ist zum Beispiel an die Belohnung ethischen Verhaltens zu denken (Prämien),

„ universell angelegt und damit auf allen Ebenen, individuell, organisatorisch und gesellschaftlich einsetzbar sein und

„ menschliche Unzulänglichkeiten, Defekte, Irrationales berücksichtigen und deshalb wandlungsfähige, fehlerfreundliche und reversible Entscheidungsabläufe beinhalten.

6.7

Grundformen der Systemethik

Kurz sollen einige moderne Grundformen der Ethik beschreibend diskutiert werden um anschließend eine eigene Konzeption zu skizzieren. Klassische Konzeptionen: Die Hauptgestalten klassischer normativer Ethik reichen von einer situativen Moral über die ideologieverdächtige Gesinnungsethik, die utilitaristische Erfolgsethik bis hin zur anspruchsvollen Verantwortungsethik.383 Die Situationsethiker versuchen im Extrem eine Moral ohne Normen, also ein Handlungs- und Entscheidungskonzept zu entwerfen, mit dem sich der Akteur unter konkreten Umständen selbstverantwortlich entscheiden kann. Damit diese Gelegenheits-

383 Siehe Rich 1987, S. 24 ff.

293

6.6

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

vernunft nicht vollends in Willkür abgleitet, werden implizit jedoch Prinzipien eingehalten, die der Erhellung der Situation dienen sollen. Die reine Erfolgsethik erhebt das Faktische zur Norm, da vom Seienden auf das Sollen geschlossen wird. Es wird nicht nur davon ausgegangen, dass Wirtschaftssubjekte egoistisch ihrer persönlichen Nutzenmaximierung nachstreben sondern es wird auch gesagt, dass dieses Verhalten zum Wohle aller ist. Der (ökonomische) Eigennutz wird etwas verklausuliert zum moralischen Wert erhoben. Von Gesinnungsethik kann gesprochen werden, wenn nicht nur die Ergebnisse sondern besonders die inneren Beweggründe des Handelns, die Intention zur Beurteilung herangezogen werden. Damit wird aber die Problematik äußerst subjektiver und wohl kaum gesellschaftlich konsensfähiger Normenregulierung offensichtlich. Eine Verantwortungsethik stellt auf die Folgen und Nebenwirkungen von Entscheidungen und Handlungen ab. Jonas hat den durch Kant formulierten Kategorischen Imperativ für die Nebenwirkungen des Handelns in einer dynamischen Perspektive erweitert. Jonas formuliert hier die Ethik der Zukunftsverantwortung: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“384

6.8

Neuere Ansätze der Systemethik

Soziale Systeme konstituieren sich aus systemischer Sicht aus Kommunikation. Immer wenn mindestens zwei Personen interagieren, entsteht ein soziales System, in dem diese Akteure nur Beeinflusser, nicht Elemente sind. Die Charakter, die Identität erwachsen aus spezifischen Formen der Interaktion. Sie bilden Beziehungen ab und sammeln Information. Die Elemente des Systems sind also Identität, Beziehungen und Informationen, die sich durch Kommunikation verändert und gegenseitig beeinflussen. So wird Innovationsmanagement (als Informationsgewinnung) erheblich verbessert durch Identität und Identifizierbares sowie gute Beziehungen. Die gute Kommunikation wird durch eine stimmige Atmosphäre und Rahmengestaltung verbessernd verändert. Insofern gibt die systemische Sichtweise Hinweise auf die Möglichkeiten der Systemerhaltung und –entwicklung. Innovationsmanagement kann nützlichere Informationen anbieten, wenn gute interne und externe Beziehungen bestehen und die Akteure eine klare Identität erleben. Gerade bezüglich des Innovationsmanagements erscheint es wichtig zu erwähnen, dass es keine vom Beobachter unabhängige Realität gibt. Realität oder „Wirklichkeit“ wird immer subjektiv erfahren und interpretiert. Die Beobachtung allein beeinflusst schon das soziale System. Der „Wahrheit der Realität“ rückt man näher, indem viele Sichtweisen berücksichtigt werden. Beobachtungen

384 Jonas 1984, S. 36

294

Neuere Ansätze der Systemethik

verändern den Charakter von Gesprächen, wenn man sich vergegenwärtigt: Menschen können nicht nicht kommunizieren, sie sind also immer Beeinflusser eines Systems. Luhmann hat versucht, eine Ethik aus systemtheoretischer Sichtweise zu formulieren, die als moralfreie Moral die humanistischen Vernunfttheorien verwirft. Moral wird weniger Bindungskraft zugesprochen als vielmehr ein Störpotential bei der Konfliktbehebung.385 Für Interaktionen ist keinesfalls gegenseitige Empathie und Sympathie notwendig; die Unsicherheit im Umgang sozialer Systeme miteinander, wird durch stabilisierte Erwartungen reduziert, die in gegenseitiger Achtung münden können. Moral entsteht durch wechselseitige Achtung und Respekt in Interaktionsprozessen. Die systemtheoretische Ethik streift die Konzeption des normativen Sollens vollends ab und vermeidet dadurch die Tendenz zur Normierung des Verhaltens. Zudem wird das Ausmaß notwendigen Konsenses offen gelassen, das heißt, Übereinstimmung nicht für unabdingbar gehalten. „Der Planer wird sich mit seinen Beobachtern nie ganz über Wertordnungen der Ziele, wahrscheinliche Folgen, noch akzeptable Risiken einigen.“386 Über die Verwendung des gleichen Schemas der Informationsgewinnung können Konflikte kanalisiert werden. Partizipative Strukturen, die sich durch fortlaufende Interaktionen selbstregulativ fortentwickeln, ermöglichen eine quasiautomatische Koordination. Das soziale System kann zur Selbsterhaltung beitragen, indem es Verständigung schafft. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass bestimmte ethische Ziele vereinbart sondern das Orientierungsmuster des Dialogs verwendet werden. Habermas versucht mit seinem Ansatz des kommunikativen Handelns, diese systemische Sichtweise zu ergänzen, indem er eine individualistische Handlungstheorie, eine kommunikative Rationalität, zugrunde legt.387 Kommunikatives Handeln beschreibt Koordinationsmechanismen, die sich vornehmlich auf zwischenmenschliches Einverständnis gründen. „Im kommunikativen Handeln sind die Beteiligten nicht primär am eigenen Erfolg orientiert; sie verfolgen ihre individuellen Ziele unter der Bedingung, dass sie ihre Handlungspläne auf der Grundlage gemeinsamer Situationsdefinitionen aufeinander abstimmen können.“388 Eng mit diesen Überlegungen verbunden, sind aus der Spieltheorie abgeleitete Kalküle, wonach sich kooperative Lösungen auf lange Sicht positiv für alle Akteure auswirken. Im Folgenden wollen wir die systemische Vorgehensweise mit dem kommunikativen Handeln verbinden und zudem Ansätze der Win/Win- Strategie integrieren.

385 386 387 388

Luhmann 1984, S. 318 Luhmann 1985, S. 64 Habermas 1981, Band 1, S. 384 ders. S. .385

295

6.8

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

6.9

Kommunikative Ethik: Dialoge, Partizipation und Spielräume

Der Ansatz einer kommunikativen Verständigung geht davon aus, dass alle Beteiligten und Betroffenen gemeinsam ethische Regeln vereinbaren müssen. Dies geschieht methodisch in gleichberechtigten Dialogen, in die alle einbezogen und die möglichst dezentral organisiert werden. Auch wenn verständigungsorientiertes Handeln nicht möglich erscheint, kann durch den praktischen Dialog immer noch eine Einigung über Normen und Werte erfolgen. „Das Medium, in dem hypothetisch geprüft werden kann, ob eine Handlungsnorm, sei sie nun faktisch anerkannt oder nicht, unparteiisch gerechtfertigt werden kann, ist der praktische Diskurs, also die Form der Argumentation, in der Ansprüche auf normative Richtigkeit zum Thema gemacht werden.“389 Jeder, der sich auf eine Kommunikation einlässt, akzeptiert ein Minimum an Regeln.390 Die Dialogethik wird erst mit zwei sehr wesentlichen Moralprinzipien vollständig. Zum einen muss jede Norm unter Beachtung der Neben- und Folgewirkungen gefasst werden. Da heißt es, es müssen die Interessen eines jeden Einzelnen befriedigt werden und die Norm von allen Betroffenen akzeptiert werden können. Zum anderen darf eine Norm nur dann gelten, „(…) wenn alle von ihr möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses Einverständnis darüber erzielen würden, dass diese Norm gilt.“391 Die Akzeptanz und die soziale Wirksamkeit von Normen sind damit anhängig von der umfassenden Partizipation aller Betroffenen. Habermas formuliert den Kategorischen Imperativ Kants deshalb auch zweckentsprechend um: „Statt allen anderen eine Maxime, von der ich will, dass sie allgemeines Gesetz sei, als gültig vorzuschreiben, muss ich meine Maxime zum Zweck der diskursiven Prüfung ihres Universalitätsanspruchs allen anderen vorlegen. Das Gewicht verschiebt sich von dem, was jeder (einzelne) ohne Widerspruch als allgemeines Gesetz wollen kann, auf das, was alle in Übereinstimmung als universale Norm anerkenne wollen.“ „Was alle angeht, können nur alle lösen“, so hat es Dürrenmatt einmal kurz und treffend beschrieben.392 Für die Konsensfindung zwischen wirtschaftlichen Gruppen haben die Forderungen des kommunikativen Handelns weit reichende Konsequenzen: Es müssen alle von Verhaltensregeln Betroffenen in den Dialog integriert werden und es gilt, die Regeln des fairen Argumentierens einzuhalten.393 Die Diskurs- oder Dialogethik ermöglicht eine interaktive Schaffung von situationsund personenübergreifenden Normen und Werten. Es werden vernünftige Vorgehensweisen und nicht Inhalte abgeleitet. Sie ist somit formal und undogmatisch ange389 390 391 392 393

296

Habermas 1981, Band 1, S. 39 Habermas 1983, S. 96 ff. und S. 100 f. Habermas 1983, S. 75 f. Habermas 1983, S. 76 Siehe Habermas 1983, S. 77; Buber 1994, S. 293 ff.; Leisinger 1997

Kommunikative Ethik: Dialoge, Partizipation und Spielräume

legt. Die Dialogethik setzt am menschlichen Dasein an und versucht, Hinweise zu geben, wie zu begründbaren Vereinbarungen vorgedrungen werden kann, welche die Gestaltungsansprüche aller Beteiligten und Betroffenen in Einklang bringt. Die Diskurs- oder Dialogethik ist damit kommunikativ und fordert zur argumentativen Verständigung auf. Der Grundsatz dieser Ethik lautet dann:

„ Eine Handlung ist dann ethisch fundiert, wenn sie im guten Glauben an die Unschädlichkeit für Dritte und/oder die Natur (auch in langfristigen Perspektiven) durchgeführt wird und alle Betroffenen und Beteiligten in ausreichendem Umfang Geltungsansprüche im Entscheidungsprozess anmelden konnten. In ökonomischen Handlungssituationen ist es nun oft so, dass unmittelbarer Aktionsdruck vorliegt, so dass bei fortgeführtem Dialog alle Beteiligten Schaden oder zumindest Nutzeneinbußen erleiden würden. Da ein Dialog nicht immer bis zum einvernehmlichen Konsens geführt werden kann, sind zweckmäßige Zäsuren einzubauen, so dass kein Akteur systematisch benachteiligt wird.394 Es spricht nichts dagegen, sich in ruhigen Phasen auf die „Fire Fighting Policy“ vorzubereiten. Wenn akute Handlungssituationen vorliegen, kann dann auf der Basis der kommunikativ entwickelten Spielregeln und Leitlinien entschieden und gehandelt werden. Die Integration der Beteiligten vollzieht sich beispielsweise in Open Space Workshops und Zukunftswerkstätten optimal, in denen weite Spielräume gegeben sind, die zur Selbstverantwortung anregen. So erleben alle die Regelentstehung mit.395

6.9.1

Win/Win-Prinzip: Kooperative Lösungen

Der wahre Egoist kooperiert und nützt. Er schafft durch sein Verhalten gute, dauerhafte Beziehungen. Die Kenntnis der menschlichen Natur kann nicht die Inhalte moralischen Verhaltens vorschreiben, aber wertvolle Hinweise auf eine sinnvolle Ausgestaltung ethischer Regeln geben. Wenn man davon ausgeht, dass Menschen von Natur aus egoistisch sind (Selbsterhaltungsethik), folgert daraus noch lange nicht, dass darin ein ethisches Prinzip begründet liegt. Vielmehr liegt in dieser Erkenntnis die Chance, den Egoismus zum Wohle aller einzusetzen. In spieltheoretischen Untersuchungen ließ sich nachweisen, dass Gewinner/Gewinner-Strategien überwiegend positiven Erfolg erbrachten.396 Dabei bietet der Akteur (ego) in Austauschsituationen kooperatives Verhalten deutlich an und bestätigt sein Vorhaben durch Vorleistungen, die alter (der andere Akteur) nicht in die Lage versetzen, eine irreversible günstigere Position zu erreichen. Falls alter mit konfliktärem Verhalten antwortet oder in Form einer Provokation schon begonnen hat, wird diese von ego angemessen negativ sanktioniert, aber gleichzeitig ein neuer Versuch zur Kooperation eingeleitet. Auch wenn alter nachhaltig konfliktär handelt, entsteht ego daraus kein größerer Schaden, als wenn er immer 394 Vgl. Steinemann/Löhr 1992, S. 77 ff.; Priddat 1994 395 Siehe Bergmann 1997 und 1999 396 Siehe Patzig 1984, S. 679; Bierhoff 1984, S. 310 ff. und 321 ff.

297

6.9

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

konfliktär handelt. Es bestehen insofern Chancen, die Einsicht in die Notwendigkeit einer kollektiven Rationalität zu schärfen. Müller hat die Vorteilhaftigkeit kooperativer Strategien anschaulich skizziert.397 Aus der Sozialpsychologie sind konkrete Vorschläge zur Spannungsreduktion bekannt, welche Vertrauen zwischen den Austauschpartnern fördern und zugleich die Entschlossenheit und Überzeugung der Teilnehmer verdeutlichen (Reziprozität).

6.9.2

Ethik als Lernprozess: Integratives Vorgehen

Neben den individuellen Ansatzpunkten bieten sich auf der Ebene des Managements Möglichkeiten, wie die Gestaltung der Organisationsstruktur, des Führungsstils und des Problemlöseverhaltens. Konkret erscheint notwendig, Moral Education für Manager durchzuführen, hierarchiefreie und offene Dialoge im Unternehmen zuzulassen, um dadurch erste Schritte in Richtung auf eine breit akzeptierte Identität (Unternehmenskultur, CI) einzuleiten. In einem interaktiven Lernprozess kann eine methodische Integration gelingen, indem man sich weniger auf konkrete Inhalte, als vielmehr auf bestimmte Regeln der Vorgehensweise einigt. Zudem sind leitbildadäquate Maßstäbe der Beurteilung zu diskutieren. Es sind Anreizsysteme und Verhaltensvorschriften zu kreieren, die erstens ein Verhalten gemäß der Leitorientierung der Unternehmung ermöglichen und zweitens ethisches Handeln positiv sanktionieren. In der Praxis lassen sich leider noch oft Anreizsysteme beobachten, die rein umsatz- oder mengenorientiert sind, den Mitarbeiter im verantwortlichen Handeln überfordern oder ihn geradezu zum unmoralischen Verhalten veranlassen. Letztlich ist eine kultivierte und bewusste Unternehmung denkbar, in der kooperatives Verhalten belohnt wird und eine langfristige Politik mit toleranten und pluralen Wesensmerkmalen etabliert ist. Konkret kann Verhalten verantwortlich gestaltet werden, wenn mit den Beteiligten und Betroffenen Regeln interaktiv entwickelt wurden. Dazu bietet es sich an, eine auch aus anderen Bereichen bekannte und sehr bewährte Methode zu verwenden, die sich am Lern- und Lösungszyklus orientiert.398 Sowohl die Planung, als auch die eigentliche Realisierung von Innovationsmanagementprozessen sollte entsprechend des Lösungszyklus aufgebaut sein. So ist gewährleistet, dass alle Beteiligten mit ihren Ansprüchen gewürdigt werden und kooperative Win/Win-Lösungen entstehen. Sinnvollerweise werden in Dialogen die unterschiedlichen Sichtweisen angeglichen. Zum Beispiel könne einige Einwände gegen bestimmte Methoden oder Auftraggeber eingebracht werden. Sodann wird das Innovationsmanagementprojekt durchleuchtet und das Problemfeld näher beschrieben. Auch findet hier ein Diagnosemodell Anwendung, worin die normativen, strategischen und operativen Ziele und Praktiken auf Übereinstimmung geprüft werden. 397 Müller 1997, S. 140 ff. 398 Siehe Bergmann 1997 und 1999

298

Kommunikative Ethik: Dialoge, Partizipation und Spielräume

Aus der normativen Planung ergeben sich Hinweise und Grenzen für die strategische und operative Ebene. Innovationsmanagement äußert sich zum Beispiel in einer bestimmten Befragungsmethodik. Das Realisierungskonzept von Innovationsmanagement muss also übereinstimmen mit den Zielvorstellungen. Treten hier Diskrepanzen auf, kann das Hinweise auf notwendige Anpassungen der Unternehmenspolitik, vor allem aber Hinweise auf Verbesserungs- und Schulungsnotwendigkeiten ergeben. Wenn ein Innovationsmanagement bestimmte normative und strategische Ziele erreichen will, sollte es auf den Einklang der Ebenen und Bereiche achten. Im dritten Schritt wird unter Beteiligung aller Mitarbeiter und der Auftraggeber ein Briefing und erste Lösungsansätze interaktiv entwickelt. So ist gewährleistet, dass sich alle integriert fühlen und ein wohl koordiniertes Konzept im vierten Schritt geplant werden kann. In der Durchführungsphase (5. Phase) werden klar definierte, aber weite Spielräume gegeben und eine Vertrauenskultur entwickelt, deren Ergebnisse sich dann im sechsten Schritt zeigen. Im positiven Fall sind alle Beteiligten mit dem Projekt zufrieden. Es wird ein positiver Beitrag zum Image geliefert. In dieser Phase wird der Erfolg, die Veränderung und der Kontakt registriert und erlebt. Im siebten Schritt werden die Lösungen systematisiert, gute von weniger guten Vorgehensweisen unterschieden und damit systematisch gelernt.399 Die letzte Phase dient dem Loslösen, Feiern aber auch der Reflexion und Supervision des Projektes. Auf diese Weise ist ein sukzessives verbessertes Innovationsmanagement möglich.

6.9.3

Kultiviertes Innovationsmanagement als Erfolgsfaktor

Innovations- und Kompetenzmanagement wird mit der Verwendung moderner Ethikgrundsätze langfristig erfolgreicher. Drei wesentliche Grundsätze stehen im Vordergrund:

„ Sustainability (Durchhaltbarkeit): Alle Aktivitäten sollten dem Grundsatz der Durchhaltbarkeit in ökonomischer, ökologischer, sozialer und individueller Hinsicht folgen. Nur dann kann sich das Unternehmen und sein Innovationsmanagement auf lange Sicht positiv mit einem guten Namen im Markt verankern. Es geht dabei um die Systemerhaltung durch Verständigung. Es wird ökologisch valide gehandelt und gedacht.400

„ Dialogorientierung: Alle ethischen Grundsätze sollten im Dialog vereinbart werden. Befragte, Auftraggeber und Marktforscher können einvernehmlich Grundsätze entwickeln, die eine vertrauensvolle und damit transaktionskostensparende Atmosphäre schaffen. Es wird behutsam und intersubjektiv nachprüfbar vorge399 Siehe Bergmann 1996 und 1999 400 Siehe von Schlippe/Schweitzer 1997, S. 273

299

6.9

6

Ethische Grundlagen des Innovations- und Kompetenzmanagements

gangen. Jede Aktion hat unbestimmte Konsequenzen und alles kann auch anders gesehen werden. Im Lichte neuerer Erkenntnisse können die Regeln immer wieder neu vereinbart und angepasst werden.

„ Win/Win-Lösungen: Kooperative Strategien und Verhaltensweisen sind besonders stabil und erkenntnisreich. Alle Seiten sollten mit den Lösungen leben können um auf dieser Basis gute Beziehungen zu entwickeln. Sieger/Verlierer-Spiele erzeugen nur Widerstand und Reaktanz.

„ Lernorientierung: Diese Grundsätze sind sinnvollerweise mit der LernzyklusMethode zu kombinieren. Dieser Lern- und Lösungszyklus gibt Hinweise auf die notwendigen Aktivitäten und Verhaltensweisen bei der Entwicklung von Innovationsmanagement. Das Vorgehen erweitert das Bewusstsein (Sensitivität) über unterschiedliche Sichtweisen der Wirklichkeit und verbessert die Problemlösefähigkeit. Normative Rahmenplanungen ermöglichen so die Erneuerung und die Beziehungsentwicklung am Markt. Verantwortliches Verhalten lohnt sich dann auch im Innovationsmanagement. Sukzessive entwickelt sich ein kultivierter Umgang und die Bewusstheit für Phänomene im Kontext wird erhöht. Innovative Unternehmen nützen den Kunden, der Gesellschaft und sich selbst durch kooperatives und lösungsorientiertes Vorgehen.

300

Kommunikative Ethik: Dialoge, Partizipation und Spielräume

7 Perspektiven des Innovations- und Kompetenzmanagements

Die Veränderungen in einer digitalen und globalen Wirtschaft prägen auch die zukünftigen Entwicklungen. Durch die weltweite Öffnung der Märkte und die virtuelle Vernetzung, den schnellen Informationsübermittlungen, entstehen fast zwangsläufig mehr Neuigkeiten. Fundamentale Entwicklungen in verschiedenen Technologie- und Dienstleistungsbereichen bieten diverse Herausforderungen für innovative Akteure. Hier sind insbesondere die Bio- und Lasertechnik sowie die Neuen Medien zu nennen. Unternehmen und wirtschaftliche Akteure sind insofern mehr denn je einer dynamischen und permanenten Veränderung ausgesetzt. Die eigene Veränderungsrate muss der des Umfeldes entsprechen. Zudem ist eine stringente Selektionsleistung zu vollziehen, Passendes von Unpassendem zu trennen, um damit verbessernde Veränderungen einzuleiten. Allerdings sind nicht nur technische Entwicklungen zukunftsträchtig, auch die sogenannten „soft facts“ wie Kommunikationsfähigkeit, gutes Führungsverhalten, emotionale Intelligenz, werden im Innovations- und Kompetenzmanagement immer wichtiger. So kann es für ein Unternehmen förderlich sein, wenn sein Umgang mit den Beschäftigten wertschätzend und dialogorientiert ist, wie sich bei einigen namhaften Unternehmen dies auch bewährt hat. Zu denken ist hierbei an die Drogeriemarktkette DM, Goretex, Vaude, aber auch an zahlreiche mittelständische Unternehmen, in denen mit den Mitarbeitern gemeinsam Probleme gelöst werden. Es spielt besonders im Außenverhältnis eine Rolle, wie sich ein Unternehmen seinen Mitarbeitern gegenüber verhält. Werden Mitarbeiter schlecht behandelt, verhalten sie sich gegenüber Kunden (zumindest unbewusst) ebenso. Ein innovatives Klima entsteht darüber hinaus nur in solchen Unternehmen, in denen die Mitarbeiter gewürdigt und gut behandelt werden. „Asoziales“ Verhalten in Unternehmen, initiiert meistens durch ungenügende Führungsfähigkeiten („Der Fisch stinkt vom Kopf her“), verhindert Kreativität und somit innovatives Verhalten. Wer mit der Einstellung „Blut, Schweiß und Tränen“ ein Unternehmen führt, der wird eine sehr unbewegliche, autoritär fixierte Organisation bekommen, die zukünftigen Anforderungen nicht mehr gewachsen sein wird. Ganz abgesehen davon widerspricht eine autoritäre Führungsweise demokratischen Grundsätzen unserer Gesellschaft. Unternehmen sind nicht von demokratischen Entwicklungen ausgeschlossen. Negative Wertschätzungen und Verhalten gegenüber dem Personal spiegeln sich auch in der öffentlichen Aufmerksamkeit von Unternehmen, wie aus dem großen Medienecho am Beispiel von Schlecker und Lidl zu sehen war. Zukunftsfähiges Innovations-

301

6.9

7

Perspektiven des Innovations- und Kompetenzmanagements

und Kompetenzmanagement braucht dementsprechend neue Führungsqualitäten in den Unternehmen. Es reicht nicht aus, sich ein „paar neue Managementtechniken“ anzueignen, es bedarf grundlegender Verhaltensänderungen und diesen vorausgehen müssen Haltungsänderungen. Modernes nachhaltiges Innovations- und Kompetenzmanagement ist eine besondere Form von intelligentem Leitungsverhalten. Intelligentes Innovations- und Kompetenzmanagement wird zukünftig in vielen Branchen die „Spreu vom Weizen“ trennen. Nur solche Unternehmen werden in vielen ökonomischen Bereichen überleben, die bereit sind ständig dazuzulernen, die Kompetenz und Lernfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu nutzen und zu fördern und „achtsames Management“ zu betreiben. Wenn man sich die Erkenntnisse der Systemforschung vor Augen hält und sie ernst nimmt, ist Management als Steuerungstechnik im althergebrachten Sinne obsolet. Diese Vorstellungen sind nicht zuletzt durch die Praxis wiederlegt und deshalb kommt es heutzutage mehr und mehr darauf an, den Kontext zu gestalten. Und um den Kontext zu gestalten, muss man die Spielregeln der Systeme kennen und wissen, was man tun muss und was man unterlassen sollte.

7.1

Veränderungen im Innovations- und Kompetenzmanagement

Mit den aufgezeigten Modellen und Methoden erheben wir nicht den Anspruch eine Grand Unifying Theory zu haben: Nothing fits it all. Es sollen aber einige Aspekte genannt werden, die erfolgreiche Innovationen und erfolgreiche Kompetenzentwicklung wahrscheinlicher machen. Die Lösungen liegen in der Orientierung an Mustern, um Komplexität zu begrenzen. Die zu Spielregeln geformten Orientierungsmuster (Best Patterns) dienen als anschaulicher Rahmen für die innovative Gestaltung. Sie lassen Projekte wahrscheinlicher gelingen. Das organisationale Lernen, die Kommunikation über weltweite Netzwerke, die gemeinsame oft virtuelle Innovationspolitik im Open Source Development Verfahren und in Global Design Camps, eröffnen neue Innovationschancen. Kooperative Netzwerke sind auf lange Sicht Konzernstrukturen überlegen, die vermehrt aus Fusionen entstehen. Diese Konzerne müssen sich wieder in innovative Elemente aufteilen. Es sind intensive, vertrauensvolle Beziehungen zu allen wesentlichen Stakeholdern aufzubauen und identitätsstiftende Aktivitäten zu unternehmen, damit interessante, engagierte Persönlichkeiten für die Unternehmung gewonnen und die Chancen digitaler Vernetzung genutzt werden können. Lernnetzwerke (Learning Communities) dienen dabei der Kooperation und schnellen, sowie vertieften Erkenntnisgewinnung. Laterale Netzwerke bilden Foren für diverse Neuentwicklungen. Communities of Practice (CoP),

302

Veränderungen im Innovations- und Kompetenzmanagement

als Gemeinschaft, die sich der kooperativen Lösung von Problemen verschrieben hat, dienen im sogenannten „reziproken Altruismus“ dem wechselseitigen Nutzen.401 Es gilt, Talente auch abseitig der Normlaufbahnen zu fördern. Nonkonformisten und Querdenker, die neue Sichtweisen einbringen, haben schon oft wesentliche Innovationen eingeleitet und dienen der erhaltenden Selbstüberraschung. Es sind Impulse zu geben und Herausforderungen zu suchen. Ein lösungsorientiert spielerisches Vorgehen beflügelt die Kreativität. Dazu sind die stimmige Atmosphäre und der geeignete Rahmen zu gestalten. Der Beschleunigungsund Innovationsfalle kann man durch gezielte „Entschleunigung“ entkommen. Die einfache Dynamisierung im Sinne des „mehr desselben“ leugnet, dass Effektivität wichtiger als Effizienz ist und sich durch langsamere Fortbewegung auch mehr und genauer wahrnehmen lässt. Es gilt, Werte zu schaffen, die Umwelt zu schonen und Syntropie zu erzeugen. Die Fortschrittswelt mutiert zu einer Kreislaufwelt. Vom More and More wird übergegangen zum Anderen und besser Passenden, vom Maximum zum Optimum. Das Prinzip der Sustainability berücksichtigt die zirkuläre Kausalität, wo Wirkungen zu Ursachen werden. Neuerungen sind normativ auf ihre Folge- und Nebenwirkungen in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht zu prüfen. Erfolgreiche Innovationspolitik schafft Freiräume für Entwicklungen, kreative Inseln, auf denen Ideen nicht sofort im alten Denkschema geprüft und kontrolliert werden. Wo Umwege und zunächst nonkonformes Denken zugelassen sind, wo Zeit für Entstehungsprozesse gewährt wird, wo abseitig eines vollständigen Konsenses experimentiert werden darf und das Paradox der Veränderung akzeptiert wird, ist es viel einfacher möglich Neues zu schaffen. Es geht in einer sinnvollen Innovationspolitik nicht um beliebige Beschleunigung in den „rasenden Stillstand“, sondern vielmehr um eine Balance aus Erneuerung und Konsolidierung. Nützliche Innovationen entstehen vielleicht wo man sie erwartet, aber kaum einmal wie man sie erwartet. Gute Innovateure sind somit ergebnisoffen, engagiert und neugierig. Sie streben aber auch eine behutsame und verantwortliche Erneuerung an. Zur Durchhaltbarkeit gehört besonders, sich einen Namen als innovatives und dauerhaft orientiertes Unternehmen zu bilden. Gute starke Marken sind im internationalen Kommunikationswettbewerb ein wirksames Mittel, sinnvolle Innovationen durchzusetzen. Man sollte nicht nur Gutes tun, sondern auch versuchen, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass dieses als nutzvoll erkannt und damit anerkannt wird. Denn letztlich gilt: Wer nützt und verbessert hat Recht. Wie wir darzustellen versucht haben, ist Innovations- und Kompetenzmanagement als ein kollektiver Lernprozess zu verstehen. Üblicherweise reagieren viele Organisationen nur auf Umweltveränderungen. Man rettet sich dann oft aus lauter Verzweiflung in den Aktionismus von Benchmarking, Best-Practice-Modellen oder Rationalisierungsstrategien in der Wertschöpfungskette. Es wird versucht, sich so den Erfordernissen anzupassen, ohne genau zu wissen was und wie etwas in der eigenen Organisa401 Siehe dazu Wenger 2002

303

7.1

7

Perspektiven des Innovations- und Kompetenzmanagements

tion passiert und welche Kompetenzen vorhanden sind. Die Entwicklung von innovativen Kompetenzen ist heutzutage mehr denn je überlebensnotwendig für Unternehmen, und diese Entwicklung gründet sich im Wesentlichen auf die Entfaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeit der im Unternehmen beschäftigten Personen. Schaut man sich allerdings die aktuellen Entwicklungen an, so wird personales „downsizing“ als ein probates Mittel zur Bekämpfung aller Arten von Schwierigkeiten gesehen. Die Demotivierung der Mitarbeiter durch Entlassungen oder Entlassungsdrohungen bedeutet aber oft innovativer Stillstand. Mitarbeiter sind in vielen Bereichen kompetente Innovationsträger, deren „Freisetzung“ ähnliche Effekte zeitigt als ob man eine für die Produktion zentrale Maschine verkaufen würde. Die Lösung von Innovationsproblemen erfolgt bei vielen Managern immer noch unter Zuhilfenahme des kleinen Einmaleins, wo die höhere Mathematik der systemischen „Differentialrechnung“ angesagt wäre. Soziale Prozesse sind hochkomplex und Innovationsentwicklung ist ein sozialer Prozess, beides wird aber von vielen irrigerweise als Trivialität angesehen. So ist „Management by Ignorance“ ein gängiges und weitverbreitetes Muster. Das „Innovationskapital“ eines Unternehmens, einer Organisation, ist allerdings größtenteils „inkorporiert“ in den Individuen. Diese Individuen werden aber betriebswirtschaftlich fast nur als Kostenfaktor, nicht als Investitionsgrundlage einer Unternehmung gesehen. Zukunftsfähige Unternehmen hingegen erlauben Spielräume zum Lernen und Innovieren, um damit die Wahrscheinlichkeit für eine nachhaltige Entwicklung zu erhöhen. Ein aus der systemischen Perspektive realisiertes Innovationsund Kompetenzmanagement ist ein möglicher Weg, zukunftsoffen die Aufgaben zu gestalten ohne die eigene Geschichte und die eigenen Muster und Routinen ständig zu hinterfragen. Es bedarf allerdings dazu Klarheit auf der Leitungsebene und einer offenen Lernkultur im Unternehmen. Neue Handlungsstrukturen in diesem Sinne zu etablieren ist allerdings kein einfacher Prozess, der durch Anordnung geschieht. Es bedarf dazu einiger Kenntnisse der „Bewegungsweisen“ von sozialen Systemen und der Abhängigkeit innovativer Entwicklungen von subjektiven Faktoren. Systemisches Innovations- und Kompetenzmanagement ist ein Schritt in die Richtung, neue Lernkulturen in Unternehmen zu etablieren, ohne irgendwelchen „Moden“ nachzulaufen. Einzig die Erkenntnisse der modernen Sozialwissenschaften sollten zumindest wahrgenommen werden und man sollte sich bewusst werden, dass Organisationen auf sozialen, d.h. gemeinschaftlichen Prozessen beruhen, die komplexer sind als die vieler technischer Prozesse. Der Prozess, neue Wege im Innovations- und Kompetenzmanagement einzuschlagen, hängt dabei wesentlich mit dem Wahrnehmen zusammen. Wirklichkeit besteht aus Wahrnehmen und Konstruieren. Daran anschließend erfolgt das Handeln, wenn allerdings der Prozess des Wahrnehmens nur rudimentär erfolgt, sind alle Schritte danach ein Tasten im Dunkel der Unwissenheit.

304

Ausblick

7.2

Ausblick

Die in diesem Lehrbuch vorgestellten Ansätze des Innovations- und Kompetenzmanagements führen heraus aus der bislang in der Innovationsforschung existierenden Technikkonzentrierung. Innovative Reservate zu entwickeln und die Kompetenzen der Mitarbeiter und des Unternehmens zu stärken, sind in althergebrachter Perspektive vielfach nicht das Ziel von Unternehmensentwicklungen. In vielen Unternehmen werden Mitarbeiter nach wie vor nur als „Kostenfaktoren“ angesehen und nicht als wertvolle Menschen, die den Erfolg der Unternehmung überhaupt erst garantieren. Solange diese Einstellung in den Unternehmen vorherrscht, wird sich nichts ändern. Die Zeichen der Zeit stehen dabei gerade gegen eine humanere Entwicklung. Im Zuge der mit manischen Ausprägungen behafteten Konzentrierung auf einen Shareholder Value in börsennotierten Unternehmen und reiner Kosteneffizienz vergessen viele Unternehmensleitungen, auch in nicht Shareholder Value abhängigen Unternehmen, dass sie nach wie vor ihre Mitarbeiter dazu benötigen, um wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Gerade die Kostenfalle verführt immer mehr Geschäftsleitungen dazu, sich nur noch auf nackte Zahlen zu stützen. Wo ein aufgeklärter Ökonom doch weiß, dass betriebswirtschaftliche Zahlen wenig bis gar nichts über die Zukunft von Firmen aussagen. Was nützt es einem Unternehmen kosteneffizient zu arbeiten, wenn seine Kompetenz- und Innovationsentwicklung ungenügend ist?

The absense of evidence is not the evidence of absence Auf deutsch übersetzt heißt das so viel wie: Wenn ich im Wald keine Pilze finde, heißt das nicht, dass es dort keine gibt. Vieles in der Ökonomie kann man nicht mit Zahlen erfassen und auf diese Bereiche wird es künftig zunehmend ankommen. In vielen Branchen erfahren Unternehmen, dass die Leistungsvorsprünge vor der Konkurrenz nur minimal sind. In der Praxis ist dann oft zu beobachten, dass als erste „Sofortmaßnahme“ die Kostenreduktion ins Spiel kommt. Warum wohl? Weil die meisten Unternehmensleitungen rein betriebswirtschaftliches, zahlenfixiertes Denken gelernt haben. Wirtschaft ist aber nicht der Umgang mit Zahlen, sondern ein sozialer Prozess. Das Wort sozial richtig verstanden im Sinne eines gesellschaftlichen Prozesses. Und dazu benötigt es weitaus mehr Wissen, als Kostenrechnungsarten und Kalkulationsweisen zu beherrschen. Innovationen werden nicht aus Rechenoperationen heraus gewonnen, sondern sie sind das Ergebnis eines Prozesses, der auf vielen Faktoren beruht. Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nahe an den Wünschen der Kunden sind, gute Produkte und Dienstleistungen herstellen, die einer nachhaltigen Wirtschaftsweise genügen und dass sie respektvoll mit ihren Mitarbeitern umgehen. Dazu gibt es das Bestreben ein Konzept der Corporate Social Responsibility (CSR) anzuwenden.402 Andere Arten und Weisen zu wirtschaften werden zukünftig vermehrt einen „a-sozialen“ Charakter annehmen und auf die Bedürfnisse der Menschen 402 Siehe Bakan, J. 2005, S. 36 f.

305

7.2

7

Perspektiven des Innovations- und Kompetenzmanagements

weniger eingehen können. Wirtschaften nur alleine um Geld zu vermehren ist inhuman und wenig sozial. Dabei haben insbesondere Konzerne, wie Bakan sagt, „Persönlichkeitsmerkmale“, die man als psychopathisch bezeichnen kann.403 Gemeint ist damit die Tatsache, dass Konzerne und Großunternehmen als moderne Wirtschaftsinstitutionen, als „...vom Gesetz definierte „Rechtsperson“, dazu berufen (sind, d.Verf.), die eigenen Interessen zu befördern und sich dabei über moralische Bedenken hinwegzusetzen.“404 Ob sich diese Entwicklung lange durchhalten lassen wird, ist fraglich. Schon jetzt plagen uns die sozialen und ökologischen Folgen unserer Wirtschaftsweise zunehmend und diese Tendenz wird sich noch verstärken. Entgegen Milton Friedmanns Meinung, dass Konzerne nur jene „moralische Verpflichtung“ hätten, den Gewinn der Aktionäre zu mehren, halten wir diese Moral einer instrumentellen Vernunft geschuldet, welche nicht auf systemisch-moralische Grundlagen zurückzuführen ist.405 Die instrumentelle Vernunft einer Ökonomie, die nur auf der zweckrationalen Verfolgung des Ziels der Profitmaximierung basiert, wie Friedmann sie zum Heiligtum erhebt, widerspricht sich selbst. Das alleinige Ziel der Maximierung des Profits kann nicht verwirklicht werden, wenn nicht Kosten externalisiert werden. Würden wirklich alle Kosten, die zur Erstellung eines Produktes oder einer Dienstleistung anfallen einberechnet, wären viele Produkte und Dienstleistungen nicht mehr profitabel herstellbar. So werden beispielsweise Kosten der Umweltnutzung oder gar –zerstörung weitgehend nicht in den Produktionsprozess einbezogen. Man versucht zwar neuerdings mit einem „Emissionshandel“, die Kosten für Umweltverschmutzung einzubeziehen. Doch eine verschmutze Umwelt ist deshalb immer noch vorhanden. Das sind alles halbherzige Versuche, die betriebliche Kostenrechnung realitätsgetreu zu betreiben. So werden beispielsweise die Transportkosten auf Straßen, Wasser- und Luftwegen noch weitgehend der Allgemeinheit aufgebürdet, trotz LKW-Maut. So nutzt ein LKW die Straßen so stark ab wie etwa zehntausend PKW, es werden allerdings den LKW-Betreibern nicht diese Kosten aufgebürdet. Ganz zu schweigen von den sozialen Folgekosten einer auf Profitmaximierung basierenden Ökonomie – die Kosten der Arbeitslosigkeit kann im Wesentlichen die Allgemeinheit tragen. Nicht zuletzt ist diese ökonomische Ausrichtung „schief“, weil die Perspektive der Profitmaximierung die systemische Bedingtheit der Einhaltung ihrer eigenen Maxime nicht berücksichtigt. Das zweckrationale Verfolgen eines ökonomischen Ziels blendet immer diejenigen externen Bedingungen aus, die zu seiner Zielerreichung notwendig, aber als solche nicht zweckrationalen Ursprungs sind, obwohl reine Zeckrationalität dem Ganzen zugrundeliegen soll. So ist beispielsweise für die Gewinnmaximierung von Autokonzernen neben Straßen eine bestimmte Mobilitätsvorstellung notwendig, die das Auto zum „Nutzenmaximierer“ macht. Ebenfalls müssen noch natürliche Ressourcen vorhanden sein, welche Kraftfahrzeuge nicht zur Großgefahr für Biosys403 Siehe Bakan 2005, S.39 404 Bakan, a.a.O. 405 Zu Friedmanns Äußerungen siehe Bakan, a.a.O., S. 46

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Ausblick

teme werden lässt. Das Biosystem beendet bei Nichtbeachtung dann die Nutzenmaximierung des Ökonomiesystems, ob dies es will oder nicht. Da zeigt uns die Diskussion um Abgaswerte und Klimaschutz, wie abhängig eine zweckrationale Ökonomie von Wertvorstellungen außerhalb ihres Interesses ist. Dies zu trennen, zeigt wiederum, dass Zusammenhänge nicht verstanden oder bewusst ausgeblendet werden, die für zukünftige Innovationen zur Nutzenmaximierung notwendig sind. Wenn ein System, hier die Ökonomie, seine Kommunikation so gestaltet, dass die Umwelt des Ökonomiesystems und ihre Kommunikationen vollständig ausgeblendet werden, führt das, wie uns die Systemtheoretiker zeigen, früher oder später zwangsläufig zu seinem Tod, da es nicht mehr umweltadäquat kommunizieren und reagieren kann. Intelligente Innovation werden zukünftig in großer Zahl gefragt sein und es wird dafür auch Märkte geben. Gerade kleine und mittlere Unternehmen haben, aufgrund des ökonomischen Trends, dass monopolistische Entwicklungen von Großunternehmen zunehmen, nur dann eine Zukunft, wenn sie ihr Innovations- und Kompetenzmanagement deutlich verbessern. Dies ist aber kein technischer Prozess, sondern es bedarf dazu einer gehörigen Portion Wissen über die Bewegungs- und Funktionsweisen von sozialen Systemen. Kleine und mittlere Unternehmen haben durchaus eine Chance, sich gegen Großunternehmen zu behaupten. Zukünftig wird es verstärkt zu den Managementaufgaben gehören, weniger Anweisungen zu geben und Kontrolle auszuüben, als die Bedingungen – den Kontext – für gutes Arbeiten und Innovationsentwicklungen zu gestalten. Innovations- und Kompetenzmanagement wird sich zukünftig im Wesentlichen durch die Fähigkeit auszeichnen, intelligente Formen der Kontextgestaltung zu entwickeln.

Zukünftige Managementformen Dies führt uns bei unserem Ausblick unweigerlich zur Zukunftsfrage des Managements in Unternehmen. Hierbei stellt sich aus der Systemperspektive die Frage, was Management überhaupt ist. Definieren wir es einmal so: Management heißt Ziele zu setzen, die eine Organisation bisher noch nicht erreicht hat.406 Gemeinhin wird unter Management „Führung“ in Organisationen verstanden. Das bedeutet immer noch Planung sowie Durchführungs- und Erfolgskontrolle. Leider hat sich im Zuge der Entwicklung der Theorie sozialer Systeme die Gewissheit von Planbarkeit und Kontrollierbarkeit verflüchtigt. Wer heute im Management noch ernsthaft glaubt, dass Prozesse restlos planbar sind und sich Ergebnisse so einstellen wie man es erwartet, der ist entweder naiv oder konstruiert sich die Resultate jeweils so um, wie er sie gerne hätte. Von diesen Erkenntnissen berührt, sieht die Debatte des Theorie-Praxis Verhältnisses anders aus. Wenn allgemein Theorie als praxisfremdes herstellen von Denkkonstrukten aufgefasst wird, so wird Praxis oft als theoriefreies „Machen“ apostrophiert. Beides ist ein Irrtum und zeigt uns, dass Management, unter diesem Aspekt betrachtet wesentlich komplexer aufzufassen ist. Eine Theorie ist immer vorweggenommene 406 Wir folgen hier im Wesentlichen der Argumentation von Baecker 2002b

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7.2

7

Perspektiven des Innovations- und Kompetenzmanagements

Praxis, das Tun im Kopf. Und es gibt fast kein praktisches Tun, welches nicht auf eine, oft unerkannt, zugrundeliegende theoretische Überzeugung zurückzuführen wäre. Der Streit darüber ob Management ein theoriefreies Tun ist, führt uns also nicht weiter. Schauen wir auf das, was die Systemwissenschaftler meinen herausgefunden zu haben.407 Management als Zielsetzungsversuch, etwas zukünftiges im System zu erwarten. Also, systemtheoretisch gesprochen, eine Differenz zu setzen, zwischen Aktualität und Potenzialität. Ein Manager geht dabei davon aus, dass in einem System Ressourcen vorhanden sind, die auf erwartete Zustandsänderungen (Ziele) reagieren. Dazu muss ein Vertrauen in den gegenwärtigen Zustand eines System insofern vorhanden sein, das ihm die Ressourcen zugestanden werden, das Ziel, die Zustandsänderung erreichen zu können. Dieses Vertrauen muss auch jeder noch so stark mit einem „Kontrollwahn“ ausgestattete „Chef“ haben, sonst müsste er alle Veränderungen selbst ausführen. Dass dies meistens nicht funktioniert, dafür spricht schon allein die Größe der meisten Organisationen. Kann in einem Fünf-Mann-Betrieb der „Chef“ noch fast jeden Handgriff selbst überwachen, so ist dies mit zunehmender Größe von Unternehmen oder Verwaltungen gänzlich unmöglich. Management muss sich hier voll und ganz auf die Prozesskompetenzen des Systems verlassen, also letztlich auf die Kompetenzen und das Wissen der Akteure. Kontrollbedürfnisse des Managements sind allerdings meistens nicht so leicht abzuschaffen. Sie gehen einerseits einher mit der immer noch vorherrschenden Doktrin Lenins: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Nur die Frage, die sich hierbei stellt ist, was kontrolliert das Management eigentlich? Im althergebrachten Sinne, paternalistisch autoritär, die erwarteten Arbeitsergebnisse. Heute im Newspeech der Managementmoden sind es die „Zielvereinbarungen“, die zu Kontrollszenarien ausgebaut werden. „Management by Objectives“ ist zwar ein durchaus geeigneter Ansatz, gemeinsame Ziele in einem Unternehmen verbindlich anzustreben. Wird diese Prozesssteuerung allerdings als reines Sanktionierungsinstrument gebraucht, verfehlt es gänzlich seinen Zweck. Nicht diejenigen Unternehmen sind erfolgreich und zukunftsfähig, die ein optimiertes Kontroll- und Beleidigungssystem für Mitarbeiter ausgebildet haben, die negative Form der Zielvereinbarungsführung, sondern diejenigen, die ihre internen Prozessentwicklungen und Kommunikationsmuster kennen. In vielen Unternehmen wird immer noch allein die „Hardware“ (Arbeitsstrukturen, Hierarchien etc.) optimiert, obwohl es darauf ankäme, die „Software“ (Unternehmenskultur, Kommunikationssystem) deutlich zu verbessern. Das Kontrollbedürfnis beruht nicht zuletzt darauf, die Hierarchie zu legitimieren. Dabei wird oft behauptet, Hierarchien sind aus „Effizienzgründen“ notwendig, um die Produktionstechnologie optimal zu nutzen. Es herrscht immer noch die Meinung vor, das geordnete Befehlstrukturen gute ökonomische Ergebnisse zeitigen. Dies ist ein Trugschluss, bewiesen durch die Tatsache, dass Unternehmen lieber wenig effizientere Technologien einsetzen, wenn sie dadurch den Produktionsablauf besser kontrollieren können.408 Hierarchien in Unternehmen werden meistens aus Machtaspekten, aber 407 Baecker 2002b 408 Siehe dazu Bowles, S. 2004

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Ausblick

auch um eine hohe Bezahlung der Positionsinhaber zu rechtfertigen, aufrecht erhalten. Moderne Managementmethoden müssten diese Zielrichtung verlassen, wollten sie wirklich die Bedingungen für eine optimierte Produktion verbessern. Derzeit wird der Trend zum Hierarchieabbau aber eher gestoppt als verstetigt. Die Aufgabe von Innovations- und Kompetenzmanagement liegt, wie die allen Managements, darin, in Organisationen die „...Fortsetzung ihrer Handlungen und Entscheidungen zu ermöglichen, ohne dass die Organisation den gegenwärtig besonders erfolgreichen Modus ihrer Fortsetzung (...) verabsolutiert und zum universellen Gesetz ihres Selbstverständnisses macht. Ein Industriebetrieb ist keine Maschine. (...) Management einer Organisation heißt deswegen, den Blick für die Ambivalenz der Vorgänge in der Organisation zu schärfen, Prioritäten zu setzen, Rücksichtnahme und Verantwortung sicherzustellen und vor allem Oszillationen zwischen den unterschiedlichen Reproduktionslogiken derselben Vorgänge zu ermöglichen.“409 Dabei wiederholen Hierarchiesysteme die „Paradoxie des Teils im Ganzen“ der Arbeitsteilung nicht wie diese auf der horizontalen Ebene, sondern auf der vertikalen.410 Management schafft durch zusätzliche Hierarchisierungen immer wieder neue Schnittstellenprobleme, die wiederum durch Koordinationsfunktionen gelöst werden sollen, diese schaffen allerdings wieder zwei neue Schnittstellen, nach oben und unten in der Hierarchie – dieses Spiel kann man endlos weiter treiben. Es wird deutlich, dass Hierarchisierung zur Koordination genau das Gegenteil dessen bewirkt, was sie soll. Es gibt mehr Schnittstellenproblematiken anstatt weniger. Diese Systemlogik wird oft, obwohl sie in Unternehmungen und Verwaltung oft evident ist, nicht wahrgenommen. Im Management wird dann vielfach nach der Devise „mehr desselben“ Verfahren. Bei Koordinationsproblemen werden zusätzliche Hierarchiestufen eingerichtet, deren Wirksamkeit aber meistens ausbleibt oder die bestehenden Probleme verstärkt oder verlagert. Die Zukunft des Innovations- und Kompetenzmanagement, so meinen wir, liegt in der Konzentrierung und der weiteren Forcierung der Ansätze des Humanistic Management oder Authentic Leadership, sowie der Erweiterung des Ansatzes der Corporate Social Responsibility (CSR). Der Ansatz der Authentic Leadership meint damit Folgendes: “Authentic leadership focuses on the importance of managerial leaders knowing who they are, being aware of their values, and behaving in ways that are congruent with those values and that foster positive organizational behavior.”411 Ausgehend von den frühen Ansätzen des Humanistic Management von Mc.Gregor, Maslow und Likert, wird heute der Ansatz eines Authentic Leadership diskutiert.412 Dieser Ansatz fokussiert die humanen und systemischen Aspekte des Managements. In diesem Ansatz geht es darum, dass Manager ihre Potenziale der Selbsterkenntnis erweitern. Dies bedeutet, dass reflektorische Eigenschaften gestärkt werden, um ihre Werthaltung und ihr Kommuni-

409 410 411 412

Baecker D., 2002, S. 5 Siehe dazu Baecker, D. 2002 Siehe Skenes/Honig 2004 Siehe McGregor 1960, Maslow 1965, Likert 1967

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7.2

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Perspektiven des Innovations- und Kompetenzmanagements

kationsfähigkeiten auf ethische Einflüsse und Wirkungen hin zu reflektieren. Dies bedeutet auch Bewusstheit für die Wirkung seines Tuns auf andere Menschen und die gesamte Organisation zu entwickeln. Darüber hinaus soll die Fähigkeit entwickelt werden, die Quellen der eigenen Motivation und die Anderer reflektieren zu können und den eigenen Managementstil kritisch zu betrachten. Dieser neue Managementansatz muss allerdings noch viel stärker mit den systemischen Erkenntnissen der Entwicklungsbedingungen von Organisationen verknüpft werden. Ebenso ist die Verknüpfung mit den ethischen Aspekten der CSR vonnöten. Die Anforderungen an ein modernes Management sind somit vielfältig und seine Zukunft spielt sich höchst wahrscheinlich jenseits des „mehr desselben“ und der Einführung neuer „Befehlhierarchien“ ab. Kreativität, emotionale Beteiligung, Verantwortungsbewusstsein und Achtsamkeit sind hier die Schlüsselworte für ein vitales Unternehmen. Das vitale Unternehmen entsteht in einem Umfeld mit hohem Grad an Kohärenz. Im Sinne der Salutogenese sind vitale Systeme gekennzeichnet durch Handhabbarkeit, Verstehbarkeit sowie Sinn und Bedeutung. Es gilt alle Elemente so zu gestalten, dass sie für die Akteure nachvollziehbar und sinnvoll erscheinen.

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Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis

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Stichwortverzeichnis

Stichwortverzeichnis

A Ablauforganisation 36, 78, 262 Agieren 219 Akteure 105, 123, 124, 220 Aktivität 216, 217 Anreiz-Beitrags-Theorie 36 Architektur 222, 231 Atmosphäre 56, 220, 230, 232 atmosphärische Gestaltung 233 Aufbauorganisation 262 awareness 178 B Bagua 233 Balanced Scorecard 47, 137, 205, 206, 208, 211, 212, 324 Bedürfnisebenen 119 behavioristische Lerntheorie 91 Beobachten 220 Beobachter 119 Berater 125 Beratung 220 Best Patterns 22, 42, 47, 103, 138, 144, 208, 210, 216, 245, 252, 302, 312, 313, 314, 324 Brain map 119, 128 Brainstorming 174, 185 Business Stories 85, 249, 250 C cash - flow 209 Charaktere 128 Charaktermerkmale 83 Clusterorganisation 267 coaching 225

Collage 176 Common Ground 134, 157, 241 corporate design 231 corporate identity 169 Corporate Social Responsibility 305 D De-Limitation 99 Design 231, 236 De-trivialisierung 28, 33 deutero learning 227 Diagnose 170, 220 Dialog 71, 124, 176, 220 Differenz 169 discounted cash-flow 208 double loop 227 Dynamik 227 E Effektivität 70 Empathie 123, 124 Engagement 71, 125 entscheidungsorientierte Theorien 36 Entwertungskulturen 225 Entwicklung 63, 70, 119, 220, 235, 236 Erfahrungen 235 Erfolg 227, 237 Erkenntnisse 71, 238 Erwartungen 67 Ethik 12, 45, 46, 283, 284, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 297, 298, 313, 314, 315, 320, 323 Experten 221

329

Stichwortverzeichnis

F Fachpromotoren 123 facilitators 173 Fairness 43, 46, 113, 208 Feedback 138, 195, 199, 202, 259, 260 Feng - shui 232, 233 Flow VIII, 40, 103, 107, 109, 110, 131, 134, 137, 138, 139, 143, 144, 151, 197, 201, 204, 218, 219, 238, 239, 240, 241, 313, 314, 316 Formensprachen 15, 17, 21 Fraktale 265, 267 Früherkennung 238 Funktionen 126, 127 G Gehirnforschung 80, 82 Generatives Zuhören 177 Geschichten 176, 221 Gründungsphase Lern- und Lösungszyklen 172 Gruppen 73, 119, 220 I Ideen 71, 125, 126 Identität 169 Impulse 70, 71, 73, 219, 220, 236, 238 Initiatoren 123, 125 Innovationen 70, 71, 73, 119, 120, 125 Innovationsmanagement VI, 1, 4, 5, 8, 40, 48, 50, 53, 69, 124, 126, 146, 237, 244, 265, 267, 269, 287, 288, 290, 292, 294, 299, 300, 314, 319, 320 Inspirateure 265 Interveneure 222 Interventionen 45, 48, 102, 103, 105, 106, 108, 115, 134, 135, 141, 142, 143, 144, 145, 217, 218, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 227, 230, 237, 241, 278, 321 Interventionsformen 221

330

K Klima 124, 127, 129, 168 knowledge networks 227 kognitivistische Lerntheorie 91 Kommunikation 124, 168, 176, 219, 220, 223 Kommunikatives Handeln 98, 295 Kompetenzen 123, 124, 127, 128, 129 Kompetenzentwicklung V, VII, VIII, 2, 3, 74, 75, 78, 79, 88, 90, 97, 99, 104, 117, 157, 242, 244, 250, 253, 254, 255, 261, 277, 279, 287, 302, 311, 312, 313, 314, 316, 320, 327 Kompetenzmanagement VI, 2, 4, 5, 7, 11, 105, 242, 244, 245, 292, 299, 301, 302, 303, 304, 307, 309 Kompetenztypen 76 Komplexität 71, 227 Konflikte 122, 129, 132, 175, 184, 201, 238, 242, 243, 276, 295 konstruktivistische Lerntheorien 92 Kontext 220 Konzepte 63, 217, 236, 237 Körperarbeit 230 Kreativität 124, 128 Kulturtypen 153 L Lachtherapie 230 Langlebigkeit 207 Lean-Management 51 Legenden 176, 221 Leitmotive 43, 108, 109, 116, 117, 118, 120, 121, 136, 139, 193 Lern- und Lösungszyklus 71, 170 Lernen 220, 223, 233 Lernende Organisation 1 Lernstufenkonzept 90, 94, 95, 96, 102, 143 Levels of System 220 Lösungen 219, 221, 238 Lösungswege 221

Stichwortverzeichnis

M Macher 119 Macht 123 Management 220, 238 map of differences 176 Metakompetenzen 148, 276 Metaphern 221, 223, 224 Methoden 73 Mikroarts 250 mind mapping 174 Möglichkeitsfragen 229 Motivationsorientierte Sichtweisen 36 Muster 118 Musterbildung 248, 249 Mustererkennung 216, 248, 250, 251, 252, 253 Mythen 220 N Netzwerke V, 49, 51, 52, 65, 68, 74, 85, 104, 191, 194, 251, 271, 272, 273, 274, 275, 279, 302, 319, 320, 327 O Ökologie 73 Ökonomische Rationalität 284 Open Source Development 178, 227 Open space 172, 173 Organisation 73, 125, 128, 217, 220, 238 Organisationales Wissen 83, 84, 85 Organisationen 221 Organisationsentwicklung 70 Organisationskulturen 97 Orientierung 123, 124 P paradoxe Interventionen 230 Partizipation 71 Pattern Language 231 Planung 220, 236 Portfolio-Analyse 215 Postmoderne 16, 17, 18, 19

Problem 126 Problemerzeugende Pseudolösungen 158 Produkte 217, 238 Produktentwicklung 128, 235, 236 Projekte 126, 129, 220 Projektorganisation 247, 262, 263, 267 Provokation 219 purpose 169 R Räume 220, 231 Realität 1, 14, 22, 39, 80, 84, 90, 92, 106, 123, 151, 160, 208, 224, 227, 229, 249, 254, 259, 262, 288, 294 reflecting team 225 Regeln 71, 73, 177, 220 Rentabilität 209 Response on Innovation 208 Rollen 125, 126, 127, 128 S Scheitern 126 Sculpturing 175 Selbstorganisation V, VI, 5, 7, 9, 12, 22, 27, 31, 35, 37, 38, 39, 42, 55, 68, 69, 101, 145, 170, 179, 180, 243, 244, 253, 255, 256, 262, 263, 265, 267, 269, 270, 278, 279, 280, 316, 321 selbstreferentiell 255 Shareholder 47, 51, 207, 287, 305 situativ orientierter Ansatz 37 Solution Cycle VII, 68, 71, 102, 133, 151, 180, 202, 211, 218, 219, 264 Solution Cycles 101, 103, 133, 141, 143, 144, 145, 151, 164, 178, 184, 188, 197, 202, 213, 216, 220, 241, 263 solution talk 229 sounding board 225 Soziale Architekturen 226 Soziale Räume 220 soziale Systeme 6, 29, 31, 45, 49, 54, 56, 83, 85, 98, 100, 105, 161,219, 220, 221, 227, 237, 246, 253, 274, 275, 280 331

Stichwortverzeichnis

Spielregeln 124, 220 Sprachbilder 221, 224 Sprache 171, 220, 221, 223 Stakeholder 43, 46, 47, 48, 69, 153, 155, 165,169, 206, 207, 208, 210, 211, 242, 287 Sustainability 35, 42, 43, 46, 48, 70, 208, 209, 289, 299, 303 Symptomverschreibung 230 syntropische Entwicklung 20, 21, 46 System 220, 221 Systemethik 293, 294 Systemische Fragen 228 Systemisches Kommunikationsmanagement 139, 314 Systemspiel 227 T Team 128 Timing 220, 234 training 225 Trends 129, 238 Turbulenz 8, 9, 170, 227 Typen 120 U unfinished business 177 Unit of Work 220, 224, 229 Unternehmenskultur 47, 87, 99, 150, 152, 153, 168, 206, 261, 288, 298, 308, 321, 322, 325 Unternehmensphilosophie 168 Unternehmung 125, 128 Unterscheidungsfragen 229

332

V Variation 219 Veränderung 217, 220, 221, 233 Verhaltensorientierte Ansätze 36 Verhaltensweisen 120, 220 Verwirklichen 217 Vielfalt 120, 127, 128 Vision 123, 169 Vision Picture 171 W Wabi Sabi 232 Wahrnehmung 221 Wahrnehmungsfragen 229 Weisheit 276, 312 Widerstände 11, 137, 223, 238, 239, 240, 241, 263 Wirklichkeit VI, 5, 6, 12, 19, 24, 27, 29, 39, 40, 41, 42, 50, 80, 81, 84, 90, 92, 106, 113, 114, 117, 120, 121, 131, 132, 136, 142, 143, 149, 151, 155, 156, 167, 171, 224, 227, 229, 254, 258, 294, 300, 304, 319, 322, 324, 327 Wissen 130 Wissensmanagement 4, 5, 52, 83, 88, 244, 245, 251, 321, 327 Wissensspeicherung 85, 87 workshop 225 Wunderfrage 229 Z Zeiträume 220, 231 Ziele 70, 71, 123, 220 Zirkuläres Fragen 229 Zirkularität 221