Systematische Theologie: Band 1 9783666880070, 9783525522035


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Systematische Theologie: Band 1
 9783666880070, 9783525522035

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Wolfhart Pannenberg

Systematische Theologie Gesamtausgabe Neu herausgegeben von Gunther Wenz

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-52203-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Gesamtherstellung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Vorwort des Herausgebers Die Neuauflage der in den Jahren 1988–1993 erschienenen dreibändigen Sy­ stematischen Theologie Wolfhart Pannenbergs bedarf keiner gesonderten Begründung. Sie wird durch den Gehalt des Werkes selbst gerechtfertigt, das zu den bedeutendsten dogmatischen Entwürfen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zählt. Abgesehen von einigen formalen Verbesserungen wie der Beseitigung offenkundiger Druckfehler etc. werden in der vorliegen­ den Gesamtausgabe nur Korrekturen berücksichtigt, die der Autor in sei­ nem Handexemplar selbst vorgenommen oder auf beigegebenen Zetteln no­ tiert hat. Auch sie führen in keinem Fall zu inhaltlichen Veränderungen. Die Authentizität des Ursprungstextes bleibt ebenso gewahrt wie die Paginie­ rung der Erstausgabe. Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht sei gedankt, dass die Neuauflage der Dogmatik Pannenbergs trotz nicht unerheblicher technischer Schwierigkeiten realisiert werden konnte. Dank gebührt insbe­ sondere Herrn Jörg Persch als dem verantwortlichen Ressortleiter sowie Herrn Moritz Reissing, der die redaktionellen Arbeiten besorgt hat. Zu dan­ ken ist ferner der Hilke und Wolfhart Pannenberg-Stiftung für die Bereit­ stellung eines Druckkostenzuschusses. Im deutschen Original des Vorworts zur spanischen Ausgabe des ersten Bandes seiner Systematischen Theologie schreibt Wolfhart Pannenberg: „Manche Rezensenten haben mich gefragt: warum muss ein theologisches Buch so dick und schwierig sein? Für wen wird so etwas geschrieben? Dar­ auf antworte ich: das Buch ist geschrieben für alle diejenigen, denen die Fra­ ge nach der christlichen Lehre und ihrer Wahrheit ein ernstes Anliegen ist. Ein solches Buch kann keine Unterhaltungslektüre sein. Der christliche Glaube an Gott begegnet in unserer Zeit ernsten Herausforderungen. Da hilft es wenig, die traditionelle Sprache modischen Denkweisen anzupassen. Man muss der Herausforderung standhalten und zeigen, dass der christliche Glaube keineswegs intellektuell obsolet ist. Damit muss die Theologie einem verbreiteten Vorurteil unserer Zeit entgegentreten. Der Reichtum der christ­ lichen Lehre wird jeden, der ihre Geschichte studiert und die darin entwik­ kelten Fragestellungen durchdenkt, auch heute noch faszinieren. Es ist nichts Antiquarisches daran. Darum verbindet dieses Buch historische und systematische Betrachtung. In ihrem Kern ist der Inhalt der christlichen Lehre den intellektuellen Moden unserer säkularistischen Kultur weit über­ legen. Es ist für die Kirche wichtig, dieses Bewusstsein wieder zu gewinnen.“ München im Sommer 2014

Gunther Wenz

Wolfhart Pannenberg

Systematische Theologie Gesamtausgabe Band I

Vandenhoeck & Ruprecht

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Kapitel: Die Wahrheit der christlichen Lehre als Thema der systematischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wahrheit des Dogmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Dogmatik als systematische Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entwicklung und Problem der sog. „Prolegomena“ zur Dogmatik . . . .

11 11 18 27 36

5. Die Wahrheit der christlichen Lehre als Thema systematischer Theolo­ gie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Kapitel: Der Gottesgedanke und die Frage nach seiner Wahrheit . . . . 73 1. Das Wort „Gott“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Natürliche Gotteserkenntnis und „natürliche Theologie“ . . . . . . . . . . . 83 3. Die Gottesbeweise und die philosophische Kritik der natürlichen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4. Die theologische Kritik der natürlichen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 5. Die „natürliche“ Kenntnis des Menschen von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

3. Kapitel: Die Wirklichkeit Gottes und der Götter in der Erfahrung der Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Der Religionsbegriff und seine Funktion in der Theologie . . . . . . . . . . . 133 a) Religion und Gotteserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Der Religionsbegriff, die Pluralität der Religionen und die „Absolut­ heit“ des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das anthropologische und das theologische Wesen der Religion . . . . . . 3. Die Frage nach der Wahrheit der Religion und die Religionsgeschichte . 4. Das religiöse Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143 151 167 188

4. Kapitel: Die Offenbarung Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die theologische Funktion des Offenbarungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vielschichtigkeit der biblischen Offenbarungsvorstellungen . . . . . . 3. Die Funktion des Offenbarungsbegriffs in der Theologiegeschichte . . . 4. Offenbarung als Geschichte und als Wort Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207 207 217 234 251

5. Kapitel: Der trinitarische Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Der Gott Jesu und die Anfänge der Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Die Stellung der Trinitätslehre im Aufbau der Dogmatik und das Be­ gründungsproblem der trinitarischen Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 3. Unterscheidung und Einheit der göttlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . 326

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a) Der Ansatz bei der Offenbarung Gottes in Jesus Christus und die traditionelle Terminologie der Trinitätslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die wechselseitige Selbstunterscheidung von Vater, Sohn und Geist als konkrete Gestalt der trinitarischen Relationen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Drei Personen, aber nur ein Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Welt als Geschichte Gottes und die Einheit des göttlichen Wesens .

326 335 347 355

6. Kapitel: Die Einheit des göttlichen Wesens und seine Eigenschaften . 365 1. Gottes Erhabenheit und die Aufgabe vernünftiger Rechenschaft über das Reden von Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Unterscheidung von Wesen und Dasein Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gottes Wesen und Eigenschaften, sowie ihre Verbindung durch den Begriff des Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gottes Geistigkeit, sein Wissen und Wollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Begriff des göttlichen Handelns und die Struktur der Lehre von den Eigenschaften Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Unendlichkeit Gottes: seine Heiligkeit, Ewigkeit, Allmacht und Allgegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unendlichkeit und Heiligkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gottes Ewigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gottes Allgegenwart und Allmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die göttliche Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Liebe und Trinität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigenschaften der göttlichen Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Einheit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

365 376 389 401 416 429 429 433 444 456 456 466 477

Register der Bibelstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503

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Vorwort Eine Gesamtdarstellung der christlichen Lehre kann unter dem Titel „Sy­ stematische Theologie“ stehen, weil der Autor den Begriff Dogmatik ver­ meiden möchte. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr will der Titel buchstäb­ lich genommen sein: Der Stoff der Dogmatik wird in allen seinen Teilen als Entfaltung des christlichen Gottesgedankens vorgetragen werden. Die Ex­ position dazu gibt das erste Kapitel mit der Erörterung des Theologiebe­ griffs. Lange schwebte mir vor, daß eine solche Darstellung sich ganz auf die sachlichen Zusammenhänge der dogmatischen Themen konzentrieren sollte, abgelöst von der verwirrenden Vielfalt der historischen Fragen, um desto deutlicher die systematische Einheit der christlichen Lehre im ganzen her­ vortreten zu lassen. Ich habe mich nur widerstrebend davon überzeugt, daß eine solche Form der Darstellung hinter der für die wissenschaftliche Unter­ suchung der christlichen Lehre wünschenswerten und erreichbaren Genau­ igkeit, Differenziertheit und Objektivität Zurückbleiben muß. Die christli­ che Lehre ist nun einmal ein durch und durch historisches Gebilde. Ihr Inhalt beruht auf der geschichtlichen Offenbarung Gottes in der historischen Ge­ stalt Jesu Christi und auf den ebenfalls nur durch historische Interpretation genau zu würdigenden Zeugnissen der urchristlichen Missionsverkündigung von ihm. Aber auch die Terminologie der christlichen Lehre, die seit der apostolischen Zeit im Zuge der Bemühungen um Formulierung der univer­ salen Tragweite des göttlichen Handelns in Person und Geschichte Jesu ent­ wickelt worden ist, läßt sich nicht abgelöst von ihrem Ort in der Geschichte dieser Bemühungen begreifen. Das beginnt mit dem Begriff der Theologie selbst und gilt für alle ihre Grundbegriffe. Jeder von ihnen wird in seiner Funktion erst dann voll verständlich, wenn der historische Ort seiner Ein­ führung bestimmt ist und die Veränderungen seines Gebrauchs und seines Stellenwerts in der christlichen Lehre samt den dafür maßgeblichen Grün­ den überschaubar sind. Die Verwendung der dogmatischen Terminologie ohne solches kritisch geschärfte Bewußtsein bleibt vergleichsweise vage und naiv. Es bleibt zudem „dogmatisch“ im schlechten Sinne des Wortes, näm­ lich uneingedenk der Problemlast, die mit der überlieferten Sprache der christlichen Lehre immer schon verbunden ist. Auf solche Weise versuchte systematische Konstruktionen bleiben willkürlich und unverbindlich, weil unkritisch, so sehr sich in ihnen stellenweise ein richtiges Empfinden bekun­ den mag, über dessen Wahrheitsgehalt dann aber auf einer anderen Ebene zu befinden ist. Ebenso zielen die Einwendungen gegen christliche Lehren oft zu kurz, weil die Komplexität ihres historischen Profils und das damit

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verbundene Interpretationspotential dem Kritiker nicht hinreichend deut­ lich vor Augen stehen. Die Reflexion auf den historischen Ort der dogmati­ schen Begriffe, der mit ihnen verbundenen Identifizierung der Sachthemen christlicher Lehre und deren Gewichtung, ist unerläßlich für die sachliche Urteilsbildung über ihre Tauglichkeit und ihre Schranken als Ausdruck der universalen Relevanz der Person und Geschichte Jesu Christi. Ständig müs­ sen sich daher bei der Untersuchung und Darstellung der christlichen Lehre im Hinblick auf die mit ihr erhobenen Wahrheitsansprüche historische und systematische Reflexion verbinden und durchdringen. Eine rein systemati­ sche Darstellung ihres Inhalts, die mehr bietet als freihändige Systematisie­ rung nach dem Geschmack des Autors oder der jeweiligen Zeitmode, ist nur als nachträgliche Zusammenfassung der Resultate von Untersuchungen der angedeuteten Art vorstellbar. Sie vermag auch dann gerade nicht, den Be­ gründungsgang für eine Neuformulierung der christlichen Lehre aus der ihr eigenen Sachproblematik heraus zu entwickeln. Diese Bemerkungen schicke ich als Rechtfertigung für den Argumenta­ tionsstil der folgenden Kapitel und auch zur Vorbereitung des Lesers voraus. Für die Entfaltung des Argumentationsganges zentrale Sachverhalte erschei­ nen im laufenden Text, auch wenn es sich um historische Details handelt. Einzelausführungen oder Erläuterungen werden dagegen im Kleindruck gehalten, um die Übersicht über den Argumentationsgang zu erleichtern, wenn sie nicht sogar in die Anmerkungen verwiesen werden. Die Erörterung historischer Sachverhalte hat jedoch nie nur historisch-antiquarischen Sinn. Ihre Auswahl ebenso wie die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Lite­ ratur ist eingeschränkt auf das für die Entwicklung der systematischen Argu­ mentation als notwendig oder zumindest als klärend Erachtete. Daher mußte auf Vollständigkeit bei der berücksichtigten Literatur und sogar auf eine ausgewogene Übersicht über die Literatur verzichtet werden. Die histori­ schen und sachlichen Auseinandersetzungen dienen also der Entfaltung der systematischen Argumentation. Das jeweilige Argumentationsziel wird am Ende eines jeden Kapitels vergleichsweise deutlicher hervortreten. Solche Resultate werden jedoch verkannt, wenn man sie als Thesen für sich nimmt, statt sie relativ zu ihrem Begründungszusammenhang zu würdigen. Daß eine bestimmte Auffassung des Verhältnisses der Theologie zur Phi­ losophie diese ganze Darstellung der christlichen Lehre durchzieht, ist wohl unverkennbar, zumal gleichzeitig im selben Verlag ein Büchlein des Autors mit Vorträgen zur Metaphysik erscheint. Ich kann aber nur davor warnen, der hier vorgetragenen Darstellung einen Anschluß an dieses oder jenes philosophische System nachzusagen, sei es auch mein eigenes. Vielmehr fin­ det die Aufgabe einer philosophischen Theologie nach meinem Urteil erst von der geschichtlichen Offenbarung Gottes her ihren gedanklichen Ab­ schluß.

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Im übrigen wird der aufmerksame Leser feststellen, daß das methodische Vorgehen in den einzelnen Kapiteln je nach Gegenstand variiert. So setzt das zweite Kapitel mit einer Erörterung moderner Untersuchungen zum Ge­ brauch des Wortes „Gott“ ein, das dritte dagegen mit einem Rückblick auf die Geschichte des Religionsbegriffs, das vierte mit eingehenden biblisch­ exegetischen Darlegungen. Solche Unterschiede ergeben sich so offensicht­ lich aus den Besonderheiten des jeweiligen Gegenstandes, daß sie keiner um­ ständlichen methodischen Erörterungen bedurften. Bei den Übergängen zwischen den Kapiteln, besonders am Ende des ersten und zu Beginn und Ende des vierten Kapitels, wird der Leser jedoch immer wieder auf methodi­ sche Erwägungen zum Gang der Darstellung stoßen. Methodenreflexion be­ darf der Begründung aus dem Umgang mit der Sache selbst und ihrer Dar­ stellung. Sie sollte nicht abstrakt vorangestellt werden, besonders nicht in ei­ ner Situation, in der so wenig allgemeines Einverständnis über die Sache der Theologie und daher auch über die ihr angemessene Methode besteht. Wer mit meinem Buch zur Wissenschaftstheorie der Theologie vertraut ist, mag von mir eine Darstellung der christlichen Lehre erwarten, die diese stärker in Auseinandersetzung mit andern religiösen Positionen behandelt als das hier der Fall ist. Dazu ist zu bemerken, daß eine Einordnung des Christentums in die Welt der Religionen und ihrer widerstreitenden Wahr­ heitsansprüche grundsätzlich damit gegeben ist, wie die Behandlung des Of­ fenbarungsthemas im vierten Kapitel an die vorangehenden Ausführungen zur Religionsthematik anschließt. Die Kontinuität der Argumentation wird an dieser Stelle nicht durch eine dogmatische Setzung abgebrochen. Die fol­ genden Kapitel allerdings konzentrieren sich auf die Formulierung des Selbstverständnisses der christlichen Lehre und ihrer Wahrheitsansprüche als Auslegung der biblischen Offenbarung. Eine solche Klärung ist für alle Gegenüberstellung zu den Behauptungen anderer Religionen immer schon vorausgesetzt. Vor allem aber erfordert das Thema einer Theologie an dieser Stelle die am Ende des vierten Kapitels erörterte Wendung des methodischen Vorgehens. Dabei könnte in die Selbstexplikation der Inhalte der christli­ chen Offenbarung sicherlich in stärkerem Maße ein expliziter Religionsver­ gleich Eingang finden, als das in der vorliegenden Darstellung geschieht. Die Durchführung systematischer Vergleiche zwischen den konkurrierenden Auffassungen der Weltreligionen wird vermutlich zu den Aufgaben gehö­ ren, die die systematische Theologie in Zukunft stärker beschäftigen werden. Vielleicht darf man dazu auch besonders gewichtige Beiträge der christlichen Theologie aus den Kirchen der Dritten Welt erwarten. Es ist offensichtlich, daß der vorliegenden Darstellung der christlichen Lehre die kritische Aneignung vornehmlich der europäischen Geschichte des christlichen Denkens zugrunde liegt. Diese geht aber nicht nur die Europäer an. Sie gehört zum geistigen Erbe aller Christen, zumal die Ursprünge der

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meisten außereuropäischen Kirchen heute letztlich in der Geschichte des europäischen Christentums liegen. Ebenso wenig wie die geographische ver­ leugnet die vorliegende Darstellung ihre konfessionelle Herkunft. Dennoch geht es in ihr nicht um eine konfessionell lutherische Theologie und auch nicht um eine europäische (i.U. zu einer beispielsweise lateinamerikani­ schen) Theologie, sondern um die Wahrheit der christlichen Lehre und des christlichen Bekenntnisses schlechthin. Möge sie der Einheit aller Christen im Glauben an ihren einen Herrn dienen. Für ihren unermüdlichen Einsatz bei der Herstellung des Manuskripts ha­ be ich meiner Sekretärin, Frau Gaby Berger, zu danken, für intensive Mitarbeit bei den Korrekturen und für die Erstellung der Register meinen Assistenten Christine Axt und Walter Dietz, für die mühevolle Überprü­ fung sämtlicher Zitate daneben ganz besonders Herrn Markward Herzog, ferner auch Fräulein Friederike Nüssel und Herrn Olaf Reinmuth. Schließ­ lich danke ich auch hier wieder meiner Frau für ihre geduldige Begleitung des Werdegangs dieses Buches durch mit mancherlei Entsagung verbundene Jahre der Vorarbeiten und der Niederschrift hindurch. München im Februar 1988

Wolfhart Pannenberg

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1. Kapitel

Die Wahrheit der christlichen Lehre als Thema der systematischen Theologie 1. Theologie Das Wort „Theologie“ ist vieldeutig. Der heutige Sprachgebrauch versteht darunter eine akademische Disziplin, jedenfalls eine menschliche Erkennt­ nisbemühung. In seinem platonischen Ursprung hingegen bezeichnet das Wort den von der Gottheit kündenden Logos in Rede und Gesang der Dich­ ter (Staat 379 a 5 f.), nicht etwa deren reflektierende Untersuchung durch den Philosophen. Schon Aristoteles aber nannte eine der drei Disziplinen der theoretischen Philosophie „theologisch“ (Met 1026 a 19 und 1064 b 3), nämlich die später sog. „Metaphysik“, weil sie das Göttliche als das alles an­ dere umfassende und begründende Prinzip alles Seienden zum Gegenstand habe. Die Stoiker haben sodann eine der Natur der Gottheit gemäße „Theo­ logie“ der Philosophen von der mythischen Theologie der Dichter und der politischen Theologie der staatlichen Kulte unterschieden: Hier ist Theolo­ gie nicht mehr nur Gegenstand der philosophischen Untersuchung, sondern diese selbst. Entsprechend vieldeutig ist der im 2. Jahrhundert auf kommende christli­ che Sprachgebrauch, der sich an den philosophischen anlehnte. Wenn Kle­ mens von Alexandrien der Mythologie des Dionysos die „Theologie des un­ vergänglichen Logos“ entgegensetzt (Strom I,13,57,6), dann ist damit nicht nur eine Lehre über den Logos gemeint, sondern die Gottesverkündigung des Logos selbst (vgl. 12,55,1). Der Theologe ist der von Gott inspirierte Verkündiger der göttlichen Wahrheit, und Theologie ist diese Verkündi­ gung: Das blieb auch im späteren christlichen Sprachgebrauch noch leben­ dig. In diesem Sinne konnten die biblischen Schriftsteller insgesamt als „Theologen“ bezeichnet werden, insbesondere aber die alttestamentlichen Propheten und der Evangelist Johannes als „Theologe“ der Gottheit Jesu, später dann Kirchenlehrer wie Gregor von Nazianz mit seinen 380 gehalte­ nen Reden über die Trinität und noch später Symeon, der „Neue Theologe“. Zwar heißt schon bei Klemens auch das philosophische Wissen vom Göttli­ chen „theologisch“ (Strom I,28,176), aber dabei ist solches Wissen als geisti­ ge Schau zu verstehen, die nach Platon zu den Mysterien zu rechnen ist. Theologie ist auch hier nicht nur und nicht zuerst als ein Produkt menschli­

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cher Tätigkeit aufgefaßt, sondern bezeichnet die dem göttlichen Logos eige­ ne und durch ihn eröffnete Kunde von Gott. Dem Menschen wird sie nur als von Gott selber gewährte Schau der göttlichen Wahrheit zugänglich, also durch offenbarende Inspiration. Das schließt nicht aus, daß sie wie bei Pla­ ton mit der Kunst der „wahren Dialektik“ verbunden ist (176 f.), die durch die Kraft der Unterscheidung zur wahren Weisheit hinführt und „eine Wissenschaft“ ist (176). Doch zum Verständnis solcher Aussagen muß die platonische Lehre vom Ursprung alles Wissens aus einer Erleuchtung mitbe­ dacht werden, die durch Dialektik nur vorbereitet werden kann. Es ist sehr bemerkenswert, daß das Bewußtsein von der konstitutiven Be­ zogenheit der Theologie auf Offenbarung in den Diskussionen der lateini­ schen Hochscholastik über den Wissenschaftscharakter der Theologie auch bei den mehr aristotelisch geprägten Theologen erhalten geblieben ist, unab­ hängig von sonstigen Gegensätzen zwischen augustinisch-platonischen und aristotelischen Auffassungen. Die Begründung der Theologie auf göttliche Offenbarung ist nicht eine dem Wesen von Theologie äußerliche Bestim­ mung, wie die spätere Gegenüberstellung von natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie vermuten lassen könnte. Vielmehr gehört die Er­ möglichung von Gotteserkenntnis durch Gott selbst, durch Offenbarung al­ so, schon zu den Grundbedingungen des Theologiebegriffs als solchen1. An­ ders kann die Möglichkeit von Gotteserkenntnis gar nicht konsistent ge­ dacht werden, nicht ohne Widerspruch nämlich zum Gottesgedanken selbst. Damit ist noch nicht darüber entschieden, auf welche Weise Geschöpfe zur Gotteserkenntnis gelangen können, also auch nicht behauptet, daß nur der glaubende Christ an theologischer Erkenntnis teilhaben könne. Schon bei Klemens von Alexandrien wird von einer – wenngleich bruchstückhaften und entstellten – Teilhabe auch der Heiden an der wahren Theologie des göttlichen Logos gesprochen. In jedem Falle aber ist außerhalb wie inner­ halb der christlichen Kirche, auch bei der sog. natürlichen Gotteserkenntnis, keine Gotteserkenntnis und keine Theologie denkbar, die nicht von Gott selbst ausginge und sich nicht dem Wirken seines Geistes zu verdanken hätte. Noch der altprotestantischen Dogmatik ist dieser Sachverhalt in seiner Tragweite für den Theologiebegriff bewußt gewesen. Johann Gerhard, der den Theologiebegriff in der altlutherischen orthodoxen Dogmatik wenn nicht eingeführt, so doch heimisch gemacht und geklärt hat, übernahm dabei die bereits 1594 von dem reformierten Theologen Franz Junius erneuerte These der mittelalterlichen Scholastik, daß menschliche Theologie nur als Abbild und Nachvollzug der göttlichen theologia archetypa möglich sei2. 1 Darauf hat U. Köpf mit Recht hingewiesen: Die Anfänge der theologischen Wissenschafts­ theorie im 13. Jahrhundert, 1974, 247 ff. bes. 252 f. Besonders bei Thomas von Aquin „durch­ zieht“ der Gesichtspunkt göttlicher Inspiration als Quelle der theologischen Erkenntnis „die gesamte theologische Wissenschaftstheorie“ (111, vgl. 147 und 252 f.). 2 Auf die Abhängigkeit J. Gerhards von Junius (De Theologiae Verae Ortu, Natura, Formis,

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In den Ausführungen der späteren lutherischen Dogmatik über den Theologiebe­ griff wurde dieser Gesichtspunkt beibehalten. Er steht allerdings in einer Spannung zu der ebenfalls bereits von Gerhard vertretenen Auffassung, Gegenstand der Theologie sei der zur ewigen Seligkeit zu führende Mensch3. Wo die Bestimmung der Theologie als „praktischer Wissenschaft“4 enger als das bei Gerhard selbst der Fall war, auf die Seligkeit des Menschen als Zweck begrenzt wurde, da mußte sich eine anthropozentrische Tendenz im Theologiebegriff einstellen, die zu der in ihm angelegten Konzentration auf die Gotteserkenntnis in Widerspruch geraten konn­ te. Die altlutherische Theologie hat bei ihrer Konzentration auf den zur ewigen Seligkeit zu führenden Menschen das berechtigte Bewußtsein gehabt, daß sie damit der göttlichen Heilsoffenbarung und also dem Heilswillen Gottes selber entsprach. Aber diese Voraussetzung durfte bei der Bestimmung des Theologiebegriffs nicht auf einen untergeordneten Rang verwiesen werden, wie es im Rahmen der von B. Keckermann begründeten „analytischen Methode“ der Theologie als prakti­ scher Wissenschaft geschah, die die auf die Seligkeit des Menschen zielende Praxis unter den Gesichtspunkten ihres göttlichen Ursprungs, des Seligkeitsziels selber und der zu ihr hinführenden Mittel beschrieb und die Themen der christlichen Leh­ re entsprechend aufteilte. Hier ist die auf die Seligkeit zielende Praxis des Menschen und nicht mehr der Gottesgedanke oder die Offenbarung Gottes der die Einheit der Theologie begründende Gesichtspunkt. Allerdings setzt die nach analytischer Methode als praktische Wissenschaft dargestellte Theologie bei Kekkermann noch eine theoretische „Theosophie“ voraus. Bei den später nach dieser Methode verfah­ renden Theologen der lutherischen Lehrorthodoxie entspricht dem eine natürliche Theologie, die vorweg über Dasein und Eigenschaften Gottes belehrt. Das bedeutet aber, daß die soteriologisch verengte Durchführung der „analytischen Methode“ die Theologie nicht nur anthropozentrisch um das Heil des Menschen statt um die Gotteserkenntnis als ihren zentralen Gegenstand kreisen läßt5, die Theologie viel­ mehr außerdem in Abhängigkeit von einer anderweitigen Form von Gotteser­ Partibus et Modo Illius, Leyden 1594) hat R. D. Preus aufmerksam gemacht (The Theology of Post-Reformation Lutheranism. A Study of Theological Prolegomena, St. Louis/London 1970, 114). Zur Debatte zwischen Dannhauer (1649) und Scherzer (1679) über dieses Thema vgl. C. H. Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Orthodoxie und Aufklärung I,1964, 49. 3 J. Wallmann (Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, 1961, 53 f.) hat diese Auffassung Gerhards (im Prooemium von 1625 zum ersten Band seiner Loci) gegen K. Barths Bemerkung verteidigt, daß damit gegenüber der noch von M. Chemnitz vertretenen Auffassung, Gegenstand der christlichen Lehre seien Gott und die göttlichen Dinge, eine an­ thropozentrische Wendung im Verständnis der Theologie angebahnt sei. Wallmann bemerkt dazu, die „Rede vom Menschen als Subjekt der Theologie“ sei bei Gerhard „noch nicht vom Boden einer natürlichen Theologie her entworfen“ (53). Aber die Pointe der Kritik Barths liegt darin, daß die – wenn auch erst später einsetzende – anthropozentrische Funktion natürlicher Theologie im Rahmen der sog. analytischen Methode der lutherischen Orthodoxie in der Zeit nach Gerhard als Folge jener Wendung bei der Bestimmung des Gegenstandes der Theologie zu verstehen ist. Allerdings hat Gerhard das Ziel der Theologie außer in der Seligkeit des Menschen auch noch in der Verherrlichung Gottes gesehen (vgl. vom Vf.: Wissenschaftstheorie und Theo­ logie, 1973, 236 f.). Aber er hat nicht mehr mit Duns Scotus Gott selbst als das Formalobjekt der Theologie bestimmt. 4 Dazu vom Vf.: Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973,230–240. 5 Vgl. auch das Urteil von G. Sauter in TRE 9,1982,45 (Dogmatik I); Sauter meint sogar, mit

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kenntnis gerät. Die Theologie entlastet sich hier von den „spekulativen“ Themen der Gotteslehre und Kosmologie nur um den Preis der Abhängigkeit von einer anderweitigen Vergewisserung für die vorauszusetzende Überzeugung vom Da­ sein Gottes als Urheber der Zweckbestimmung des Menschen zur Glückseligkeit und der dahin führenden Heilsoffenbarung. Mit der Auffassung der Theologie als einer „praktischen Wissenschaft“ ist eine solche Fehlentwicklung allerdings nicht notwendig verbunden. Faßt man den praktischen Charakter des theologischen Wissens so, wie Duns Scotus das getan hatte, der daran festhielt, daß Gott der Ge­ genstand der Theologie sei und alle menschliche Theologie sich dem Wissen Got­ tes von sich selber verdanke, dann dient die These vom praktischen Charakter der Theologie dazu, die Einheit von Wissen und Liebe Gottes zum Ausdruck zu brin­ gen6 als Begründung für die Hinordnung allen Wissens und Glaubens auf die Lie­ be auch im menschlichen Verhalten. Man sollte vermuten, daß der Gedanke des göttlichen Wissens als eines praktischen, auf Liebe hingeordneten, auch der Auf­ hellung des Zusammenhangs von Gotteslehre und geschichtlichem Heilshandeln Gottes dienen könnte. Doch vermochte Duns Scotus seinen Gedanken nicht in dieser Richtung zu entwickeln, weil er einräumen mußte, daß gerade Gottes Wis­ sen von den Geschöpfen kein praktisches, sondern nur ein theoretisches sein könne7. Insofern blieb die Leistung der These vom praktischen Charakter der Theologie für die Gotteslehre beschränkt. Außerdem stellt sich auch die Frage, ob die Anwendung der scharfen aristotelischen Unterscheidungen zwischen theore­ tischem und praktischem Wissen auf die Gotteslehre berechtigt ist, zumal für das ewige Leben Gottes in sich selber, oder ob nicht derartige Unterschiede nur unter den Bedingungen der Endlichkeit geschöpflichen Daseins statthaben können8. Sollte aber das Wissen Gottes von sich selber nicht als ein praktisches gedacht werden können, dann wäre es unter den Voraussetzungen des großen Franziska­ nerlehrers auch schwierig, die christliche Theologie so zu beschreiben, da sie doch als Teilhabe am Wissen Gottes von sich selber gedacht werden soll.

Daß die Angewiesenheit von Gotteserkenntnis auf göttliche Offenbarung konstitutiv ist für den Begriff der Theologie, kommt am klarsten zum Aus­ druck und ist in höchstem Maße plausibel, wenn Gott als der eigentliche und umfassende Gegenstand der Theologie aufgefaßt wird, wie es seit Albert dem Großen und Thomas von Aquin geschehen ist. Hätte die Theologie ei­ nen anderen Gegenstand, dann bliebe es diesem Gegenstand äußerlich, daß seine Erkenntnis nur durch göttliche Offenbarung möglich sein soll. Ist aber Gott selbst ihr Gegenstand, dann ist es aus der Majestät dieses Gegenstandes evident, daß er nur erkennbar sein kann, wenn er sich von sich aus zu erken­ nen gibt. Die Sache hätte keine weiteren Schwierigkeiten, wenn lediglich Aussagen der Einführung der analytischen Methode wurde „der Dogmatiker zur inneren Mitte der Dog­ matik“. 6 Duns Scotus Ord. Prol. p. 5 q 1–2, Ed. Vat. I,1950,207 ff. (n. 314 ff.), bes. 211 f. (n. 324). 7 Ebd. 217 f.(n. 332–333). 8 Vgl. die Erwägungen von Duns Scotus selbst ebd 215 ff. (n. 330–331).

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über Gott Inhalt der christlichen Lehre wären. Tatsächlich aber umfaßt die christliche Lehre auch Aussagen über den Menschen und die Welt der Schöpfung, über Jesus Christus, Kirche und Sakramente. Die altkirchliche Theologie hatte diese Themen zusammenfassend der „Ökonomie“, der von Gott gelenkten Heilsgeschichte, zugeordnet. Sie stehen zwar in einer Bezie­ hung zu Gott und seinem Wirken in der Welt, sind aber unterschieden von den Aussagen über Gott selbst, denen im Unterschied zur Heilsökonomie die Bezeichnung „Theologie“ Vorbehalten wurde. Die Ausweitung dieser Bezeichnung auf das Ganze der christlichen Lehre begegnet zwar gelegent­ lich schon bei griechischen Vätern der Alten Kirche, setzte sich aber erst in der lateinischen Scholastik durch, und zwar in engem Zusammenhang mit der Entstehung der Universität und der Theologie als Universitätsdisziplin im 12. Jahrhundert9. Wurde nun das Ganze der christlichen Lehre als Gegen­ stand der Theologie in diesem weiteren Sinne des Wortes aufgefaßt, dann mußten sich Bedenken dagegen erheben, nach wie vor Gott als den aus­ schließlichen und umfassenden Gegenstand der Theologie zu bezeichnen. Auch Albert und Thomas mußten zugeben, daß zur christlichen Lehre vieles gehört, was als geschöpfliche Wirklichkeit von Gott verschieden ist. Aber Thomas machte geltend, daß von Gott verschiedene Gegebenheiten in der Theologie nur insofern thematisch werden, wie sie eine Beziehung zu Gott haben. Nur unter dem Gesichtspunkt solcher Beziehung zu Gott (sub ratione Dei) werden sie in der Theologie erörtert (S. theol. I, 1 a 7). Insofern ist Gott der einheitgebende Bezugspunkt aller Gegenstände und Themen, die in der Theologie behandelt werden, und in diesem Sinne dann doch der Gegenstand der Theologie schlechthin. In der Folgezeit ist diese Auffassung nicht nur in der Dominikanerschule, sondern auch bei Heinrich von Gent und seit Duns Scotus auch von der Franziskanertheo­ logie übernommen worden, so daß die gesamte Hochscholastik in diesem Ergebnis konvergierte. In der Tat kann nur Gott der einheitgebende Grund sein, in welchem alle andern Themen und Gegenstände der Theologie Zusammenhängen. Dennoch bleibt die von Thomas vorgetragene Argumentation mit Schwierigkeiten belastet. Dazu gehört die Unbegreiflichkeit Gottes in seinem ewigen Wesen. Mit diesem Einwand, der noch für die Vorbehalte der altlutherischen Dogmatiker gegenüber der Auffassung der Theologie als Wissenschaft von Gott maßgeblich war, hat sich schon Thomas selbst auseinandergesetzt. Seine Antwort verwies darauf, daß wir Gott zwar nicht unmittelbar in seiner Wesenheit, wohl aber als Ursprung und Zweck seiner geschöpflichen Wirkungen kennen (S. theol. I,2 a 2 vgl. 1 a 7 ad 1). Dazu dürfte Thomas auch die Gegebenheiten der Heilsgeschichte gerechnet haben. 9 Das hat besonders eindrücklich B. Geyer gezeigt: Facultas theologica. Eine bedeutungsge­ schichtliche Untersuchung, in: ZKG 75, 1964, 133–145. Vgl. auch G. Ebelings materialreichen Artikel: Theologie I Begriffsgeschichtlich, in: RGG 6, 1962, 757 f. In der altprotestantischen Theologie ist der Theologiebegriff dann besonders von G. Calixt in bezug auf die konkrete aka­ demische Institutionalisierung der Theologie diskutiert worden.

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Heute würde man dem Einwand weniger auf dem Boden des Kausalmodells als vielmehr offenbarungstheologisch begegnen: Gott hat sein unbegreifliches Wesen durch seine geschichtliche Offenbarung zu erkennen gegeben. Doch auch hier er­ hebt sich ebenso wie bei der Antwort von Thomas von Aquin die Frage, wie die ge­ schöpflichen Gegebenheiten, durch die Gotteserkenntnis vermittelt wird, sich zur Gottheit Gottes selber verhalten. Die Schwierigkeit besteht darin, daß zwar alles von Gott Verschiedene seiner geschöpflichen Natur nach auf Gott den Schöpfer als Ursprung und Ziel seines Seins bezogen ist, nicht aber Gott in gleicher Weise auf die geschöpflichen Dinge. Wenn Gott auch ohne die Geschöpfe der ist, der er von Ewigkeit zu Ewigkeit ist, wie kann dann ein Wissen von geschöpflichen Dingen zur Erkenntnis Gottes selber verhelfen? Dazu müßte nicht nur das Sein der ge­ schöpflichen Dinge mit Gott, sondern auch Gottes Sein mit dem der Geschöpfe verbunden sein. Das ist nach christlicher Lehre der Fall im Geschehen der Inkarna­ tion, und die christologische Konzentration der heutigen Theologie legt es nahe, von daher eine Antwort auf die gestellte Frage zu suchen. Die mittelalterliche Theologie suchte der Schwierigkeit, soweit sie überhaupt bemerkt wurde, auf di­ rektere Weise zu begegnen, nämlich mit den Mitteln der allgemeinen Gotteslehre. So erörterte Duns Scotus die Frage, wie von Gott selbst verschiedene Gegenstände zum Begriff der Theologie als Wissenschaft von Gott gehören können, im Rahmen seiner Interpretation des Wissens Gottes von ihm selber, an dem unsere Theologie teilhat. Er machte geltend, daß in Gottes Wissen von ihm selber alle andern Dinge (ihrer Möglichkeit nach und als Gegenstände des göttlichen Willens) mitgesetzt sind10. Diese Auskunft bleibt jedoch unbefriedigend, weil die geschöpflichen Din­ ge im Wissen Gottes – so wie Duns Scotus es dargelegt hat – noch nicht als zur Gottheit Gottes gehörig mitgesetzt sind. Erst damit könnte ihre Zugehörigkeit zur Theologie als Wissenschaft von Gott einleuchten. So ist der Rekurs auf die Inkar­ nation unerläßlich. Erst unter dem Gesichtspunkt des auf die Gemeinschaft der Geschöpfe mit ihm zielenden Heilshandelns Gottes läßt sich die Zugehörigkeit der Geschöpfe zur Gottheit Gottes (unbeschadet ihrer Unterschiedenheit von ihm) be­ haupten, insofern auch ihre Zugehörigkeit zur Theologie als Wissenschaft von Gott. Erst dadurch wird die Möglichkeit eines einheitlichen Begriffs der Theologie als Wissenschaft von Gott ausgewiesen. Die Entscheidung darüber wird von der Erörterung des Verhältnisses zwischen dem ewigen trinitarischen Leben Gottes in sich selber und seiner Gegenwart in der Heilsgeschichte, der sog. ökonomischen Trinität, abhängen.

Die Vielschichtigkeit des Theologiebegriffs als zusammenfassender Be­ zeichnung der auf die christliche Lehre bezogenen Erkenntnisbemühungen ist in der nachmittelalterlichen Entwicklung der Theologie noch weiter ge­ wachsen durch die Verselbständigung der unterschiedlichen theologischen Disziplinen. Damit haben auch die Schwierigkeiten für die Auffassung der Theologie als Wissenschaft von Gott noch weiter zugenommen. Die The­ menfelder der historischen und exegetischen Theologie stehen zwar durch­ aus in Beziehungen zur geschichtlichen Offenbarung Gottes, wie sie die christliche Lehrüberlieferung und Verkündigung behaupten. Aber die Wirk­ 10

Duns Scotus Ord. Prol. p. 3 q 1–3, Ed. Vat. I,135 f. (n. 200 f.).

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lichkeit Gottes als solche wird in diesen Disziplinen nicht ausdrücklich the­ matisch. Das gilt in ähnlicher Weise auch für die theologische Ethik, zumal dann, wenn sie nicht als Lehre vom Gebot Gottes entwickelt wird. Schleier­ macher hat daher einen neuen Zugang für die Beschreibung der Einheit der Theologie in der Verschiedenartigkeit ihrer Disziplinen gesucht, und er fand ihn in der Aufgabe der „Kirchenleitung“, für die die verschiedenen Diszipli­ nen der Theologie ausbilden und zu der jede ihren Beitrag leistet11. Dabei ge­ lang es Schleiermacher, nicht zuletzt auch die Zugehörigkeit der praktischen Theologie zum Kreis der theologischen Disziplinen aus dem Theologiebe­ griff zu begründen. Dennoch erweist sich die praktische Zweckbestimmung des theologischen Studiums in Schleiermachers eigenen Darlegungen bereits als nicht ausreichend zur Bestimmung des Theologiebegriffs. Die Einheit des Theologiestudiums und damit auch der theologischen Disziplinen hat ihre tiefere Grundlage bei ihm selber in einer anderen Thematik, nämlich in der Einheit der christlichen Religion. Doch erst die Überzeugung von der göttlichen Wahrheit der christlichen Religion kann den Fortbestand christli­ cher Kirchen und damit auch die Ausbildung für eine kirchenleitende Tätig­ keit begründen und rechtfertigen12. Die christliche Theologie ist nicht nur eine kulturwissenschaftliche Disziplin. Damit kehrt die Frage wieder, ob die Theologie mit Recht von Gott redet und mit welchem Recht sie das tut. Im Begriff der Theologie wird die Wahrheit theologischen Redens als ei­ nes durch Gott selbst autorisierten Redens von Gott immer schon vorausge­ setzt. Ein nur vom Menschen her, aus menschlichen Bedürfnissen und Inter­ essen und als Ausdruck menschlicher Vorstellungen von einer göttlichen Wirklichkeit begründetes Reden von Gott wäre nicht Theologie, sondern nur Produkt menschlicher Einbildungskraft. Daß menschliches Reden von Gott sich darin nicht erschöpft, daß es als wahrhaft „theologisches“ Reden vielmehr Ausdruck göttlicher Wirklichkeit sein kann, das ist alles andere als selbstverständlich. Die tiefe Zweideutigkeit theologischen Redens besteht gerade darin, daß es sich dabei sehr wohl um bloß menschliche Rede handeln könnte, die dann nicht mehr wahrhaft „theologisch“ wäre. Darauf richtet sich die Skepsis, mit der schon Platon den theologischen Reden begegnete. Reden nämlich „gibt es doch zweierlei, wahre nämlich und falsche“ (Staat 376 eil). Von den „theologischen“ Reden der Dichter aber schienen ihm die meisten (377 d 4 ff.) unwahr zu sein. Unter den Disziplinen der christlichen Theologie, wie sie gegenwärtig akademisch betrieben wird, haben nicht alle die Wahrheit des christlichen Redens von Gott zum Thema. In Lehre und Forschung der historischen Disziplinen wird diese Frage nicht gestellt. Ähnliches gilt für die exegeti­

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Vgl. vom Vf.: Wissenschaftstheorie und Theologie 249–255. Siehe die Ausführungen ebd. 255–266.

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schen Disziplinen, soweit sie mit dem Instrumentarium der historisch-kriti­ schen Methode arbeiten. Bis in die Anfänge der Neuzeit hatte gerade die Schriftauslegung, die akademische ebenso wie die kirchliche, die Aufgabe, den verbindlichen Inhalt christlicher Lehre als Offenbarung Gottes zu erhe­ ben. Bei den Sentenzen der Kirchenväter und ihrer Auslegung ging es nur um die Zusammenfassung und zusammenfassende Darstellung des Lehrge­ halts der Schrift. In besonderer Entschiedenheit gilt das für die reformatori­ sche Theologie. Die altprotestantische Dogmatik verstand sich als zusammenfassende Darstellung des Lehrgehalts der Schrift, für dessen Fest­ stellung die Schriftauslegung zuständig war. Für die historisch-kritische Schriftauslegung der Neuzeit jedoch sind die biblischen Schriften grund­ sätzlich Dokumente eines vergangenen Zeitalters. Die gegenwärtige Rele­ vanz ihres Inhalts ist daher im Rahmen der historischen Schriftauslegung prinzipiell nicht mehr entscheidbar. Damit hat sich das Gewicht der Frage nach der Wahrheit des Redens von Gott ganz auf die Dogmatik verlagert. Ansatzpunkte dazu gibt es freilich, wie sich zeigen wird, schon in der vor­ neuzeitlichen Entwicklung der Theologie. Aber das Ergebnis gehört doch erst der neuzeitlichen Problemlage der Theologie an, und es wird der Dog­ matik bis heute schwer genug, sich mit diesem Ergebnis abzufinden und die ihr damit zugefallene Last auf sich zu nehmen. Sie muß diese Last tragen nicht nur, um ihrer besonderen Aufgabe gerecht zu werden, sondern zu­ gleich auch als Dienst für die Theologie insgesamt. Bei der Arbeit der Dog­ matik geht es um den spezifisch theologischen Charakter auch der übrigen theologischen Disziplinen. Diese sind „theologisch“ genau in dem Maße, in welchem sie teilhaben an der dogmatischen Aufgabe der Theologie. Wie aber kann die Dogmatik für die Wahrheit christlichen Redens von Gott eintreten? Kann sie das überhaupt? Und wenn sie es faktisch tut: mit welchem Recht geschieht das, und wie geschieht das? Um Klarheit darüber zu erlangen, muß man sich dem Begriff der Dogmatik und ihrem Verhältnis zum Dogma zuwenden, wie es sich in der Geschichte dieser Disziplinen ent­ wickelt hat.

2. Die Wahrheit des Dogmas Dogmatik gilt allgemein als „Wissenschaft“ vom Dogma13 oder von der christlichen Lehre. Aber in welchem Sinne hat es die christliche Lehre mit Dogmen oder mit dem Dogma schlechthin zu tun? Das griechische Wort „Dogma“14 kann sowohl die subjektive „Meinung“ 13

G. Sauter: Dogmatik I, in: TRE 9,1982, 41–77,42 f. Zum folgenden siehe M. Elze: Der Begriff des Dogmas in der Alten Kirche, ZThK 61, 1964, 421–438, sowie TRE 9, 1982,26–34 (Dogma I, U. Wickert). 14

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im Unterschied zu gesichertem Wissen als auch die rechtsverbindlich geäu­ ßerte Meinung, den „Beschluß“, bedeuten. In der letzteren Bedeutung begeg­ net das Wort auch in den neutestamentlichen Schriften. So bezieht es sich Lk 2,1, Acta 17,7 auf kaiserliche Edikte, Acta 16,4 bezeichnet es die Beschlüsse des sog. Apostelkonzils. Als „Beschluß“ oder „verbindliche Meinung“ ist auch die Übertragung des Wortes Dogma auf die christliche Lehrüberliefe­ rung bei Ignatios von Antiochien aufzufassen, wenn er von den „Dogmen“ des Herrn und der Apostel spricht (Magn 13,1). Dabei ist inhaltlich an ethische „Weisungen“ zu denken. Das ist auch noch bei einem so „intellek­ tualistisch“ orientierten Apologeten wie Athenagoras, dem Begründer der alexandrinischen Katechetenschule, der Fall (leg. II,1). Dennoch rückt seit der Apologetik des 2. Jahrhunderts das Verständnis des Wortes Dogma im Sinne von „Meinung“ in den Vordergrund, und zwar im spezifischen Sinne der „Schulmeinung“, entsprechend den „Dogmen“ der verschiedenen Philo­ sophenschulen. Zur Bezeichnung der für die Philosophenschulen charakteri­ stischen Lehren war das Wort seit der Stoa gebräuchlich. Dementsprechend hat etwa Tatian das Christentum als die Schule der einzig wahren Philosophie aufgefaßt und seine Lehren als Dogmen bezeichnet. Obwohl dabei im 2. Jahrhundert der Gedanke an die sittlichen Gebote Jesu im Vordergrund stand, wurde der Begriff in der Folgezeit bald auf die Glaubenslehren im Unterschied zu den „Sitten“ der Christen bezogen (so schon Origenes). Steht der christliche Begriff des Dogmas in Analogie zu den Lehren der Philosophenschulen, so wurde er andererseits doch der Vielfalt einander wi­ derstreitender philosophischer Schullehren entgegengesetzt als „nicht von Menschen herrührend, sondern von Gott gesprochen und gelehrt“ (Athena­ goras leg. II,1). Sachlich ähnlich heißt es im Diognetbrief, der christliche Glaube beruhe nicht auf menschlicher Lehrmeinung (5,3). Die christlichen Lehren hat Origenes daher als dogmata theou bezeichnen können (in Mt XII,23). Damit ist der Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre formuliert, zu­ gleich aber die Entscheidung über diesen Anspruch schon vorweggenom­ men. Wenn die Dogmen der Christen wahr sind, dann freilich handelt es sich bei ihnen nicht länger nur um menschliche Schulmeinungen, sondern um Gottes Offenbarung. Aber formuliert und verkündet werden diese Dogmen doch von Menschen, von der Kirche und ihren Amtsträgern. Daher kann und muß sich die Frage erheben, ob sie mehr sind als menschliche Meinun­ gen, nicht nur menschliche Erfindung und Tradition, sondern Ausdruck göttlicher Offenbarung. Damit kehrt in Bezug auf den Begriff des Dogmas die Frage wieder, die sich in allgemeiner Form mit dem Theologiebegriff verband und die Platon an die theologia, die Gottesverkündigung der Dich­ ter, gerichtet hatte. Zunächst einmal stellen sich die christlichen Dogmen für den Außenste­ henden als Lehren der Kirche dar, die für die Gemeinschaft der Christen in

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ähnlicher Weise verbindlich sind wie es die Schuldogmen für die Mitglieder antiker Philosophenschulen waren. Diese Betrachtungsweise konnte auch von den Christen selbst übernommen werden, und man könnte darin einen Ausdruck intellektueller Demut sehen, die die eigenen Lehren nicht sogleich der Wahrheit Gottes selber gleichsetzt. Doch der seit Euseb von Caesarea eingebürgerte Sprachgebrauch, der von „kirchlichen“ Dogmen spricht (hist, eccl. 5,23.2, vgl. 6,43,2), verzichtet nicht etwa auf den von Origenes und an­ deren frühen Kirchenschriftstellern erhobenen Anspruch auf göttliche Wahrheit dieser Dogmen, sondern benennt sie nur nach dem menschlichen Träger dieses Anspruchs, der Gemeinschaft der Christen. Der Wahrheitsan­ spruch wird damit nicht aufgegeben, aber offengehalten, jedenfalls solange, wie die Kirche nur als Träger und nicht zugleich auch als Garant dieses An­ spruchs auftritt. Zunächst ist bei Euseb ersteres der Fall, wenn er bei den Dogmen inhaltlich an Konzilsbeschlüsse, aber auch an andere gemeinsame Glaubenslehren wie die von der Auferstehung der Toten denkt (hist. eccl. 3,26,4). Einen verhängnisvollen Schritt darüber hinaus tat die kirchenrecht­ lich (und reichsrechtlich) verbindliche Festlegung der Dogmen, die deren Wahrheit weniger voraussetzte als vielmehr fixierte. Durch solche Festle­ gung wird der Rezeptionsprozeß kirchenamtlicher Lehrverkündigung abge­ schlossen und stillgestellt. Die Tendenz dazu bahnte sich schon im vierten Jahrhundert an und fand einen Höhepunkt 545 in der während der langen Streitigkeiten um die Geltung des Konzils von Chalkedon (451) formulier­ ten Erklärung Kaiser Justinians, daß den dogmata der ersten vier Konzilien die gleiche Autorität zukomme wie den Heiligen Schriften15. Auch wer das theologische Urteil des Kaisers über die Orthodoxie der ersten vier Konzi­ lien teilt, abgesehen von der Einebnung des Rangunterschiedes dieser Texte zur Heiligen Schrift, aber auch der Rangunterschiede zwischen den Konzi­ lien des fünften und denen des vierten Jahrhunderts, wird den Versuch, die Wahrheitsfrage durch rechtliche Festlegung zu entscheiden, als Verirrung beurteilen müssen. Die Grundlage für diesen Versuch, die Zustimmung zur Wahrheit kirchlicher Lehre durch rechtliche Festlegung und durch die Mit­ tel staatlicher Gewalt erzwingen zu können, liegt allerdings schon in der An­ nahme, man könne die eschatologische Wahrheit der Offenbarung Gottes in Jesus Christus auf eine ebenso endgültige, definitive Formel bringen. Die Verbindung von Dogmatismus der Lehre mit rechtlicher Festlegung und staatlichem Zwang hat in der Geschichte des Christentums, gerade auch in der westlichen Christenheit, noch lange eine verhängnisvolle Rolle gespielt, bis in die Neuzeit hinein. Sie hat den Begriff des Dogmas in Verruf gebracht. Aber Dogma und Glaubenszwang sind nicht dasselbe. Der Glaubenszwang 15 Novella 131 de ecclesiasticis titulis: quattuor synodorum dogmata sicut sanctas scripturas accipimus (C. E. Zachariae a Lingenthal: Imp. Justiniani PP. A. Novellae quae vocantur sive Constitutiones quae extra codicem supersunt ordine chronologico digestae II, Leipzig 1881,267 Nr. 151).

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ist nur ein Mittel zur Entscheidung des Streites um die Wahrheit von Dog­ men gewesen, und zwar – wie sich herausgestellt hat – ein nicht nur verwerf­ liches, sondern auch für seinen Zweck ungeeignetes Mittel. Der Glaubenszwang ist der Versuch, den Konsens über die Wahrheit des Dogmas zu erzwingen und damit diese Wahrheit selber zu etablieren. Kon­ sens kann nämlich als ein Kennzeichen der Wahrheit gelten, weil sich in der Übereinstimmung der Urteilsbildung die Allgemeinheit der Wahrheit aus­ drückt. Solche Übereinstimmung der Wahrheit soll durch den Glaubens­ zwang gewaltsam hergestellt werden. Nur ein unabhängig von jedem Zwang gebildeter Konsens kann aber als Kriterium der Wahrheit geltend gemacht werden. So geschah es in der berühmten Formel von Vinzenz von Lerin in seinem Commonitorium pro catholicae fidei antiquitate et universitate aus dem Jahr 434: Zur Feststellung dessen, was katholische Lehre, also Dogma der ganzen Kirche sei, müsse man das festhalten, was überall, immer und von allen geglaubt worden ist (curandum est, ut id teneamus quod ubique, quod Semper, quod ab omnibus creditum est, Kap. 2,5). Dabei war sich Vinzenz be­ reits darüber im Klaren, daß es auf die Identität in der Sache, nicht in der For­ mulierung ankommt. In der Formulierung kann es Fortschritte geben. Wenn das zugestanden wird, läßt sich aber voraussehen, daß strittig wird, ob eine neue Formulierung die Identität des Glaubensgehaltes wahrt oder nicht. Das Konsenskriterium des Leriners zur Feststellung des einen göttlichen Dogmas gegenüber den vielerlei menschlichen Meinungen der Häretiker16 ist daher nicht leicht anwendbar. Die Behauptung der Identität des Glaubensinhalts trotz Änderung seiner Formulierung scheint noch einmal einer anderen In­ stanz zur Prüfung und Entscheidung zu bedürfen. So ist es nicht verwun­ derlich, daß die römisch-katholische Kirche, deren Theologie sich seit dem 16. Jahrhundert auf Vinzenz von Lerin berufen hat17, das Konsenskriterium durch die kirchliche Lehrautorität der Bischöfe und des Papstes ergänzt hat. Wenn die Gemeinschaft der Bischöfe oder auch der Papst allein in ihrer Funktion als Repräsentanten der Gesamtkirche sprechen, dann bringen sie ja, so scheint es, deren Glaubenskonsens kraft ihres Amtes zum Ausdruck. Dar­ über hinaus ist die Lehrautorität der Bischöfe und des Papstes lange im Sinne autoritativer Verbürgung der Wahrheit des Dogmas durch das kirchliche Lehramt auf gef aßt worden. So ist noch in den Texten des ersten Vatika­ nischen Konzils der Ausdruck fidei dogmata (DS 3017) auf die verbindlich vorgelegten Lehren der Kirche bezogen, die als von Gott offenbart zu glauben sind (DS 3011: . ..tamquam divinitus revelata credenda proponun­ tur). Vom Prozeß der Rezeption amtlicher Lehraussagen durch die Gesamt­ heit der Gläubigen als Kriterium für das tatsächliche Bestehen des Lehrkon­ senses, den das kirchliche Lehramt zu formulieren beansprucht, ist in diesem 16 17

M. Elze a. a. O. 435 f. Ebd. 438.

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Zusammenhang – im Unterschied zur Theologie der orthodoxen Ostkirchen – nicht die Rede. Zum Glück ist die Angewiesenheit auf Rezeption aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden18. Denn die berühmte Feststel­ lung des Konzils, daß Lehraussagen, die der Papst im Namen der Gesamtkir­ che kraft seines Amtes (ex cathedra) macht, aus sich selber und nicht erst aufgrund der Zustimmung der Kirche (ex sese, non autem ex consensu Eccle­ siae) gültig und unabänderlich seien (DS 3074), ist vielleicht restriktiv so auszulegen, daß solche Aussagen keiner formellen Bestätigung durch eine andere Instanz bedürfen. In diesem Falle bliebe der Blick für die Tatsache offen, daß erst der faktische Prozeß der Rezeption solcher Aussagen über ihren Stellenwert im Leben und Glaubensbewußtsein der Kirche entscheiden wird. Allerdings kann auch ein faktisch bestehender Konsensus der Kirche (sei es zu einer gegebenen Zeit oder auch in zeitüberbrückender Kontinuität) nicht schon für sich allein hinreichendes Kriterium der Wahrheit einer Glau­ benslehre sein. Die Konsensustheorie der Wahrheit des Dogmas teilt die Schwächen einer bloßen Konsensustheorie der Wahrheit überhaupt19. Kon­ sensus kann Ausdruck und Zeichen für die Allgemeinheit der Wahrheit sein, aber auch Ausdruck bloßer Konvention unter den Gliedern einer Gruppe, einer Gesellschaft, einer Kultur. So galt die Position der Erde im Zentrum des Universums als unantastbare Wahrheit, bis diese Vorstellung zu Beginn der Neuzeit als bloß konventionell erwiesen wurde. Entsprechend galt noch dem Reformationsjahrhundert und dem frühen 17. Jahrhundert bei allen streitenden Religionsparteien die Einheit der Religion als unabdingbar für die Einheit der Gesellschaft, während diese Auffassung einer späteren Zeit als bloß konventionelle Überzeugung erschien. Solche konventionellen Grundüberzeugungen sind keineswegs immer Ausdruck gewaltsamer Be­ schränkung der Kommunikation, sondern eher Ausdruck der Bequemlich­ keit der Menschen und des Mangels an Herausforderungen, die dazu nötigen könnten, solche Grundüberzeugungen in Frage zu stellen. Auch in solchen Fällen eines weitreichenden oder gar allgemeinen Konsenses ist der Konsen­ sus noch kein hinreichendes Kriterium der Wahrheit. Es ist sogar denkbar, daß gewisse Vorstellungsformen und Überzeugungen so tief in der menschli­ chen Natur verwurzelt sind, daß sie niemals überwunden werden, obwohl 18 Vgl. die Darstellung der katholischen Position in der Erklärung der Gemeinsamen rö­ misch-katholischen und evangelisch-lutherischen Kommission über „Das geistliche Amt in der Kirche“, 1981,40. 19 Siehe dazu exemplarisch die Kritik von A. Beckermann an J. Habermas: Die realistischen Voraussetzungen der Konsenstheorie von J. Habermas, in: Zeitschrift f. Allgem. Wissen­ schaftstheorie 3, 1972, 63–80. Beckermann hat gezeigt, daß der Versuch von Habermas, ein Kri­ terium für die in Behauptungen beanspruchte Korrespondenz zu Sachverhalten im Konsensus der Urteilenden zu gewinnen, über eine zirkuläre Argumentation nicht hinauskommt, weil Ha­ bermas auf den Begriff des „kompetenten“ Urteils rekurrieren muß, um einen sachhaltigen von einem bloß konventionellen Konsensus unterscheiden zu können.

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sie nicht der Wahrheit entsprechen. Es gäbe dann eine unüberwindliche Befangenheit der ganzen Gattung, die deshalb unüberwindlich ist, weil sie in den Erbkoordinationen der Gattung angelegt ist. Eine solche Befangenheit würde aber auch durch den Konsensus aller Individuen noch nicht zur Wahrheit. Im Falle des Christentums hat die Plausibilität christlicher Grundüberzeugungen sogar im abendländischen Mittelalter keinen so ho­ hen Grad der Selbstverständlichkeit erreicht. Umso weniger kann der Kon­ sensus der Christen untereinander als hinreichendes Wahrheitskriterium gelten, so bedeutsam und erstrebenswert der ökumenische Konsensus der Christen in anderer Hinsicht sein mag. Der Gesichtspunkt des Konsenses hat auch im reformatorischen Ver­ ständnis kirchlicher Lehre eine wichtige Rolle gespielt. Ist doch nach CA 7 das consentire de doctrina evangelii et de administratione sacramentorum In­ begriff dessen, was zur kirchlichen Einheit notwendig ist. Solcher Lehrkon­ sens findet nach lutherischem Verständnis seinen Ausdruck im gemein­ samen Bekenntnis, und das kirchliche Bekenntnis ist nichts anderes als Aus­ druck des Lehrkonsenses, der zur Grundlage der Kirchengemeinschaft wird. Dabei handelt es sich im lutherischen Verständnis des Bekenntnisses nicht nur um einen regionalen Konsensus als Grundlage der Reorganisation einer regionalen Kirche, wie es die Funktion vieler reformierter Bekenntnisse ge­ wesen ist. Die lutherischen Bekenntnisse zielen durchweg auf einen ge­ samtkirchlichen Konsens über die Lehre des Evangeliums und die Verwal­ tung der Sakramente. Sie berufen sich darum nicht nur auf die Schrift, sondern auch auf die Übereinstimmung mit der Lehre der Alten Kirche, vor allem mit dem Symbol von Nicaea und Konstantinopel (CA 1). Als Krite­ rium der Wahrheit der kirchlichen Lehre gilt allerdings nicht der Konsensus als solcher, sondern die Übereinstimmung mit der Lehre des Evangeliums. Der Konsensus kirchlicher Lehre hat sein Gewicht erst als consensus de doc­ trina evangelii. Man kann fragen, ob mit der Berufung auf Evangelium und Schrift der Umkreis des Konsensusgedankens grundsätzlich überschritten ist: Die Übereinstimmung mit dem Zeugnis der Schriften des Neuen Testa­ ments ist ja jedenfalls auch Übereinstimmung mit der in diesen Schriften zum Ausdruck kommenden Lehre und Verkündigung der Urkirche. Die Übereinstimmung mit dem biblischen Zeugnis könnte also selbst noch im Sinne des Konsensusgedankens und zwar dann als hervorragendes Kriteri­ um des Konsenses mit der kirchlichen Überlieferung von ihren Anfängen her verstanden werden. In diesem Sinne legte auch der Konsensusbegriff Vinzenz von Lerins in erster Linie Gewicht auf die Übereinstimmung mit dem Ursprung kirchlicher Lehrtradition in der Verkündigung der Apostel, wie sie in den neutestamentlichen Schriften ihren Niederschlag gefunden hat. Das lutherische Konzept des consensus de doctrina evangelii hat an die­ ser Stelle aber zweifellos noch etwas anderes im Blick, nämlich die normative Funktion des in Evangelium und Heiliger Schrift der Kirche vorgegebenen

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Gotteswortes20. Das Gegenüber von Schrift und Kirche, genauer das Gegen­ über des in der Schrift bezeugten Evangeliums zur Lehre und dem Bekennt­ nis der Kirche, ist für reformatorische Theologie charakteristisch: Das Be­ kenntnis der Kirche schafft keine neuen Artikel des Glaubens, sondern be­ kennt nur den in der Schrift bezeugten Glauben an das Evangelium (Luther WA 30/2, 420)21. Die reformatorische Auffassung kirchlicher Lehre hat also keinen rein konsensustheoretischen Charakter. Die These des Gegenübers von Evange­ lium und Kirche setzt jedoch voraus, daß erstens das Evangelium vom Zeug­ nis der Urkirche in den neutestamentlichen Schriften unterscheidbar ist als diesen Zeugnissen vorgegeben und daß zweitens das Evangelium als eine einheitliche Größe den unterschiedlichen theologischen Perspektiven der neutestamentlichen Schriftsteller gegenübersteht und als solche aus den neu­ testamentlichen Schriften erkennbar ist. Beide Voraussetzungen hängen eng miteinander zusammen, und beide sind von der katholischen Kritik bestrit­ ten worden. Dabei konzentriert sich die heutige katholische Kirche vor al­ lem auf die Voraussetzung der „theologischen Einheit der Schrift“, die nicht so ohne weiteres aus den biblischen Schriften selber zu erheben sei, wie das die Reformation vorausgesetzt habe. Die Einheit der Schrift könne sich viel­ mehr „schließlich doch nur im Verständnis und im Geist des Interpreten realisieren“22. Wenn das zugestanden wird, dann legt sich auch die Frage na­ he, ob für solche Auslegung das private Urteil des einzelnen Theologen maßgebend sein darf oder nicht doch eher das die Kirche als ganze repräsen­ tierende Lehramt, – womit noch einmal der Gesichtspunkt des (kirchlichen) Konsensus als maßgebend ins Spiel kommt. Man wird solcher Argumentation zugestehen müssen, daß die Einheit der Schrift hinsichtlich ihres zentralen Sachgehalts23 nur im Medium ihrer Ausle­ gung gesucht und gefunden werden kann. Die „Sache“ der Schrift ist nicht et­ wa ohne Auslegung und ohne die damit verbundene Relativität hermeneu­ tischer Perspektiven zugänglich. Dennoch wird man auf dem allgemeinen hermeneutischen Grundsatz bestehen dürfen, daß jede Interpretation die 20 Vgl. E. Schlink: Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften, 3. Aufl. 1948, 43–47, so­ wie 280 f. 21 Siehe dazu die Ausführungen von E. Schlink a. a. O. 23–35. Vgl. auch vom Vf.: Was ist eine dogmatische Aussage?, in: Grundfragen systematischer Theologie 1,1967,159–180, bes. 159 ff. 22 So K. Rahner und K. Lehmann in: Mysterium Salutis I, 1965, 668 ff. Das letzte Zitat 672. Diese Kritik kann sich auch auf Urteile evangelischer Exegese stützen, wie sie besonders poin­ tiert von E. Käsemann formuliert worden sind (Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kirche?, in: Evangelische Theologie 11,1951/52,13–21). 23 Vgl. dazu vom Vf.: Was ist eine dogmatische Aussage?, in: Grundfragen systematischer Theologie I, 1967, 159–180, bes. 164 f., sowie 166 ff. Von einer Einheit der Schrift kann im Lichte der Ergebnisse historisch-kritischer Forschung allenfalls hinsichtlich eines solchen zen­ tralen Sachgehalts gesprochen werden, nicht im Sinne widerspruchsloser Übereinstimmung al­ ler Einzelaussagen.

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Sache des zu interpretierenden Textes als den Bemühungen des Interpreten vorgegeben voraussetzt, obwohl ihre Eigenart erst im Vorgang der Interpre­ tation selbst hervortritt. Ohne solche Voraussetzung würde die Gebunden­ heit des Auslegers an seinen Text von der Freiheit dichterischer Gestaltung nicht mehr unterscheidbar sein. Die Sache des Textes, wie sie in seinen Wor­ ten Ausdruck gefunden hat als vom Verfasser des Textes intendiert, muß das Maß der Auslegung bleiben. Dabei ist nun die exegetische Aufgabe im engeren Sinne, die Herausarbei­ tung der Sachintention des Autors, nicht völlig ablösbar vom Sachverständ­ nis des Interpreten. So wenig beide einfach in eins gesetzt werden dürfen, so sehr gilt doch, daß noch die historische Differenz der Sachaussage des Textes vom Sachverständnis des Interpreten nur in Abhebung von diesem artiku­ lierbar ist. Ohne die Annahme, daß es sich bei allem Unterschied zwischen Text und Interpret im auszulegenden Text um eine auch dem Interpreten er­ kennbare und auf sein Weltverständnis beziehbare Sache handelt, ist kein Verstehen möglich. Auch in diesem Sinne ist es richtig, daß die Einheit der Sache – nun hinsichtlich ihrer Realität für den Ausleger – sich nur im Geist des Interpreten realisieren kann. Aber auch hier gilt wieder, daß die Sache damit nicht der Willkür des Interpreten ausgeliefert ist, gleichgültig, ob es sich dabei um das private Urteil eines einzelnen handelt oder um das die Ge­ meinschaft der Kirche repräsentierende Lehramt. Vielmehr hat jede Inter­ pretation, die private ebenso wie die amtliche, ihr Maß an der Wahrheit der Sache. Kein Interpret entscheidet von sich aus die Wahrheit der Sache, son­ dern sie wird im Fortgang der Diskussion über seine Interpretation entschei­ den. Was aber ist die Wahrheit der Sache, wie kommt sie zur Geltung? Die Sa­ che der Schrift – nämlich die gemeinsame Sache, um die es den verschiede­ nen Schriften des Neuen Testaments unbeschadet aller zwischen ihnen bestehenden Verschiedenheiten geht – läßt sich vorläufig so umschreiben, daß die neutestamentlichen Schriftsteller je auf ihre Weise das Handeln Got­ tes in Jesus von Nazareth bezeugen. Es wird in den Schriften des Neuen Testaments bezeugt als Gegenstand des Glaubens der Kirche wie auch jedes einzelnen Christen, und dementsprechend hat sich der christliche Glaube von Anfang an zu Jesus von Nazareth und dem Handeln Gottes in ihm be­ kannt. Das ist der Inhalt der Bekenntnisse und Dogmen der Christenheit. Insofern sind Bekenntnis und Dogma in der Tat Zusammenfassungen des zentralen Sachgehalts der Schrift. Mit keiner solchen Zusammenfassung aber ist die Sache der Schrift als Gegenstand des christlichen Glaubens schon er­ schöpfend ausgesagt. Sie ist mit jeder zusammenfassenden Aussage nur vor­ läufig bezeichnet. Solange die Auslegung der Schrift weitergeht, sind die Konturen ihrer Sache noch nicht abschließend bestimmt. Ihre Erkenntnis ist immer noch im Fluß. Das gilt sowohl für die genauere Bestimmung der Ei­ genart der Sache der Schrift und des christlichen Glaubens als auch für die

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damit verbundene Frage nach der Wahrheit des von der Schrift bezeugten Heilshandelns Gottes in Jesus von Nazareth. Sowohl im Hinblick auf seinen Inhalt als auch in Bezug auf seine Wahrheit ist das Dogma – wie Karl Barth gesagt hat – ein „eschatologischer Begriff“24. Erst die endgültige Offenba­ rung Gottes am Ende der Geschichte wird die endgültige Erkenntnis über Inhalt und Wahrheit seines Handelns in Jesus von Nazareth mit sich brin­ gen. Keinem andern als Gott selbst kann die Kompetenz zu endgültiger Belehrung über sein Handeln in der Geschichte zukommen. Das heißt nicht, daß nicht auch schon gegenwärtig Erkenntnis davon möglich wäre, unter der noch zu erörternden Voraussetzung nämlich, daß Gott sich durch sein Handeln in der Geschichte zu erkennen geben will. Aber alle solche Er­ kenntnis wird vorläufig bleiben, solange Zeit und Geschichte und damit auch die Auslegung der Schriftzeugnisse von Gottes geschichtlichem Han­ deln in Jesus Christus weitergehen. Inhalt und Wahrheit des Dogmas sind also nicht begründet im Konsens der Kirche. Vielmehr bringt erst die Erkenntnis der Sache der Schrift den Konsens über sie hervor. Dabei führt die Gemeinsamkeit der Erkenntnis dann allerdings zur Vergewisserung der intersubjektiven Identität der Sache. Aber der Konsens muß immer wieder erneuert werden, weil die Auslegung der Schrift im Hinblick auf Eigenart und Wahrheit ihrer Sache weitergeht. Die vorläufigen Umschreibungen ihres Inhaltes in den dogmatischen For­ meln des Bekenntnisses der Kirche wie in den Formulierungen der Theolo­ gie werden dabei immer wieder einer Prüfung unterzogen, die sich auf die Bestimmung der Eigenart ebenso wie der Wahrheit der Sache erstreckt, der die Behauptungen25 von Bekenntnis und Dogma der Kirche gelten. Solche Prüfung ist zugleich Auslegung des Dogmas, weil sie das Dogma in seinem Anspruch ernst nimmt, den zentralen Sachgehalt der Schrift zusammenfas­ send als Wahrheit Gottes auszusagen. Auslegung und Prüfung des Dogmas in diesem Sinne bilden die Aufgabe der Dogmatik. Die Dogmatik fragt nach der Wahrheit des Dogmas, danach also, ob die Dogmen der Kirche Aus­ druck der Offenbarung Gottes und also Dogmen Gottes selbst sind, und sie verfolgt diese Frage, indem sie das Dogma auslegt.

24 K. Barth: Kirchliche Dogmatik 1/1,1932,284. Vgl. dazu vom Vf.: Grundfragen systemati­ scher Theologie 1,1967,180. 25 Es wird hier vorläufig unterstellt, daß die Behauptungssätze, die in den dogmatischen Texten enthalten sind, unbeschadet der damit verbundenen performativen Äußerungen des En­ gagements (des Bekennens) als Behauptungssätze zu behandeln und also in ihrem kognitiven Anspruch ernst zu nehmen sind.

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3. Dogmatik als systematische Theologie Die Besinnung auf das Aufkommen des Namens „Dogmatik“ ist geeignet für den Nachweis, daß die Dogmatik nicht nur den Inhalt kirchlicher Lehre zu entfalten, sondern dabei auch der Frage nach der Wahrheit des Dogmas nachzugehen hat. Dabei wird sich zeigen, in welcher Weise das geschieht. Der Name „Dogmatik“ für eine bestimmte theologische Disziplin stammt erst aus dem 17. Jahrhundert26. Doch hat Melanchthon schon 1550 den doktrinalen Gehalt der Schriftzeugnisse im Unterschied von ihrem histori­ schen Stoff als dogmatisch bezeichnet (CR 14,147 f.). Ihm folgend hat Jo­ hann Gerhard 1610, im ersten Band seiner Loci theologici (I,n.52), den Inhalt der Schrift in dogmatica und historica auf geteilt. Den Namen theologia dog­ matica hat 1635 Johann Alting als Gegenbegriff zur historischen Theologie verwendet, und bereits ein Jahr zuvor tritt er bei Georg Calixt in Abgren­ zung von der Ethik auf. Entsprechend behandeln die seit der Mitte des Jahr­ hunderts unter dem Titel theologia dogmatica erscheinenden Bücherden lehrhaften Inhalt der christlichen Theologie. Dafür verwendete die christli­ che Theologie seit langem den Begriff der doctrina, eine Bezeichnung, die Thomas von Aquin mit der Näherbestimmung sacra doctrina und Melan­ chthon als doctrina evangelii dem Theologiebegriff vorgezogen hatten. Auch Augustin hatte diese Bezeichnung bereits als Titel einer zusammenfas­ senden Darstellung des christlichen Glaubens gebraucht. Sein Ursprung im christlichen Denken geht auf das Neue Testament zurück, wo didaskalia be­ sonders in den Pastoralbriefen als Inbegriff der apostolischen Unterweisung erscheint (Tit 1,9 und 2,1; vgl. 1.Tim 1,10; 2.Tim 4,3), während sonst der Ausdruck didache vorherrscht (z. B. Joh 7,16 für die „Lehre“ Jesu). Subjek­ tiver Vollzug des Lehrens und Inhalt der Lehre sind besonders bei der dida­ che nicht zu trennen (vgl. Mk 1,27; Mt 7,28 f.), doch kann durchaus auch der Lehrgehalt betont sein (Röm 6,17: Christus als urbildlicher Inhalt – Typos – der apostolischen Überlieferung)27. Der Auffassung der Lehre als von Gott bevollmächtigter Unterweisung steht nahe, was sich als ursprünglicher Sinn des Theologiebegriffs ergeben hat. Dieser tritt nicht an die Stelle der Lehre, sondern verdeutlicht ihren Inhalt oder vielmehr ursprünglich den „Teil“ ih­ res Inhalts, der von Gott handelt (Athenagoras leg. 10,4 f.). Dagegen bezieht sich der Begriff der Dogmatik von vornherein auf das Ganze der christ­ lichen Lehre, aber so, daß die Lehre als Dogma Gegenstand der Bemühung der Dogmatik ist: Subjektives und objektives Moment der Lehre treten in den Unterscheidungen von Dogma, Lehrverkündigung und Dogmatik auseinander. Dabei ist die Dogmatik von der Lehrverkündigung der Kirche dadurch unterschieden, daß sie als auf das Dogma (als Inhalt der Lehre) 26 27

Siehe dazu vom Vf.: Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, 407 f. Zur Exegese der Stelle vgl. U. Wilckens: Der Brief an die Römer II, 1980, 35–37.

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bezogene wissenschaftliche Disziplin im Rahmen der akademischen Theologie, als theologia dogmática, auftritt. Als solche hat sie zunächst die zusammenfassende und zusammenhängende Darstellung des Lehrgehalts der Schrift bzw. der Glaubensartikel (articuli fidei) zur Aufgabe28, und zwar sowohl im Sinne der „positiven“ Wiedergabe als auch in der Form „gelehr­ ter“ Argumentation29. Für die Aufgabe der zusammenfassenden und zusammenhängenden Dar­ stellung der christlichen Lehre hat sich seit Beginn des 18. Jahrhunderts der Begriff „systematische Theologie“ eingebürgert. Er wurde 1727 von Joh. Franz Buddeus dahingehend erläutert, daß eine Darstellung der Theologie dann „systematisch“ zu heißen verdient, wenn sie zwei Forderungen genügt, nämlich a) ihren Stoff umfassend behandelt, und das heißt bei Buddeus, daß sie al­ les zum Heil Notwendige berücksichtigt, aber auch ihren Inhalt im einzelnen darlegt, beweist und bekräftigt (expli­ cety probety atque confirmet)30. Dabei geschieht das „Beweisen“ und „Bekräftigen“ vornehmlich durch die Form der systematischen Darstellung selbst, nämlich durch den Aufweis des Zusammenhangs zwischen den christlichen Lehraussagen, aber auch zwi­ schen ihnen und allem, was sonst als „wahr“ gilt. Die systematische Darstel­ lung des Inhalts der christlichen Lehre steht also bereits als solche in einer Beziehung zu ihrem Wahrheitsanspruch. Sie ist eine Probe auf die Wahrheit 28 Zu den Erwägungen der Theologie des 13. Jahrhunderts über das Verhältnis von Vätersentenzen und Schrift als Gegenstand der „theologia“ vgl. U. Köpf a. a. O. 113 ff. So wird z. B. bei Thomas von Aquin S. theol. I,1 a 8 ad 2 die Schrift als eigentliche Autoritätsgrundlage der christlichen Lehre von der Autorität der Kirchenväter abgehoben. Zum Begriff der aus der Schrift zu erhebenden Glaubensartikel vgl. S. theol. II/2, 1 a 7 und ebd. a 9 ad 1. Die altprote­ stantische Lehre von den Glaubensartikeln, etwa bei J. A. Quenstedt: Theologia didactico-pole­ mica sive systema theologicum pars I, c.5 (Leipzig 1715, 348 ff.) stimmt damit insoweit überein, behauptet aber ihre Promulgation schon in der Schrift selbst, bestreitet die Vollständigkeit ihrer Zusammenfassung in den altkirchlichen Symbolen und vor allem die von Scholastikern wie Thomas von Aquin (S. theol. II/2,1 a 10) behauptete Kompetenz des Summus Pontifex, eine neue Fassung des Glaubensbekenntnisses (nova editio symholi) festzusetzen (Quenstedt I.e. 356 f.). Zur Unterscheidung zwischen fundamentalen und nichtfundamentalen Glaubensarti­ keln seit Nie. Hunnius (Epitome Credendorum (1625) 1702 siehe R. D. Preus a. a. O. (o. Anm. 2) 143–154. 29 Zur Unterscheidung von „positiver“ und „gelehrter“ Theologie vgl. vom Vf.: Wissen­ schaftstheorie und Theologie, 1973, 241 ff. Bei J.A. Quenstedt: Theologia didactico-polemica, Leipzig 1715, 13, These 21 wurden dagegen positive und gelehrte („didaktische“) Theologie gleichgesetzt und von der „katechetischen“ Theologie (12 These 17) abgehoben. Zur Dogmatik als zusammenfassender Erörterung und Darstellung des Schriftinhalts siehe vom Vf. Wissen­ schaftstheorie und Theologie 407 f. 30 J.F. Buddeus: Isagoge historico-theologica ad theologiam universam singulasque eius par­ tes, Leipzig 1727, 303. Der Begriff der systematischen Theologie ist schon früher nachweisbar, etwa bei J.A. Quenstedt als Wechselbegriff für den von ihm bevorzugten Titel einer theologia didactica.

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des Dargestellten, wenn anders die Wahrheit nur eine sein kann, Wider­ spruchslosigkeit und Vereinbarkeit alles als wahr Anzuerkennenden also eine elementare Implikation jedes Anspruchs auf Wahrheit ist. Insofern geht es bei der systematischen Darstellung der Glaubensartikel unmittelbar um de­ ren Wahrheit und um die Vergewisserung ihrer Wahrheit. Das ist nicht et­ was, was zur systematischen Darstellungsform erst noch hinzugefügt wer­ den müßte, sondern die Frage nach der Wahrheit des Inhalts ist mit der sy­ stematischen Darstellungsform selber verbunden. Damit hängt auch der Dienst zusammen, den die systematische Theologie der Verkündigung der christlichen Botschaft leistet: Diese soll ja so geschehen, daß sie ihren Inhalt als wahr vorträgt. Allerdings ist das Verhältnis zur Wahrheit der christli­ chen Lehre bei der Verkündigung ein anderes als bei der systematischen Theologie. Indem die Verkündigung die Inhalte christlicher Lehre im ein­ zelnen als wahr behauptet, setzt sie deren Zusammenhang untereinander und mit allem Wahren implizit voraus. Dieser Zusammenhang aber ist Ge­ genstand der Untersuchung und Darstellung der Lehrinhalte in der syste­ matischen Theologie. Systematische Theologie in diesem Sinne hat es natürlich nicht erst seit dem Aufkommen dieser Bezeichnung gegeben. Der Sache nach ist die syste­ matische Darstellung der christlichen Lehre viel älter. Sie ist Gegenstand der Bemühungen schon der gnostischen Systeme des 2. Jahrhunderts gewesen, und während die Schriften der christlichen Apologeten dieses Zeitalters und der antignostischen Väter wie Irenäus von Lyon eine eher implizite Systema­ tik erkennen lassen, hat Orígenes in seinem Werk über die Ursprünge (περὶ ἄρχων) eine auch der Form nach systematische Darstellung der christlichen Lehre von Gott vorgelegt. Die systematische Darstellungsform ist sodann in der lateinischen Scholastik des Mittelalters der eigentliche Gegenstand der Diskussionen über die Wissenschaftlichkeit der Theologie gewesen. Fand sie ihre angemessenste Gestalt in den Summen als selbständigen Gesamtdarstel­ lungen der christlichen Lehre, so steht doch auch die Argumentation der Sentenzenkommentare im Dienste des Nachweises der Vereinbarkeit der Aussagen der christlichen Lehre sowohl untereinander als auch mit den Prinzipien der Vernunfterkenntnis. Vor allen Einzelerörterungen zur Be­ gründung der Wissenschaftlichkeit der Theologie, bei denen das 13. Jahr­ hundert den aristotelischen Wissenschaftsbegriff zugrunde legte31, ging es bei diesem Thema um die systematische Einheit der christlichen Lehre und darin zugleich um ihr Verhältnis zu den Prinzipien vernünftigen Wissens. Diese Fragestellung war seit der Herausforderung dialektischer Vermittlung 31 Das gilt sowohl für Thomas von Aquins Beschreibung der Theologie als deduktive Prinzipienwissenschaft im aristotelischen Sinne, wobei allerdings die Glaubensartikel den Platz der evidenten Vernunftprinzipien einzunehmen hätten (S. theol. I,1 a 2), als auch für ihre Dar­ stellung als praktischer, an Zweckbegriffen orientierter Wissenschaft (vgl. vom Vf. Wissen­ schaftstheorie und Theologie 226–240).

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zwischen scheinbar widersprüchlichen Aussagen der Kirchenväter durch Abaelards berühmte Schrift Sic et Non und durch die methodisch an Abae­ lard orientierte Sentenzensammlung des Petrus Lombardus vorgegeben. Die zu ihrer Bewältigung erforderliche intellektuelle „Disziplin“ fand in dem Anspruch der Theologie auf Wissenschaftlichkeit ihren konkreten Aus­ druck, und während die verschiedenen Formen einer Durchführung dieses Anspruchs zeitbedingt waren – wegen der Abhängigkeit vom aristotelischen Wissenschaftsbegriff – und heute überholt sind, behält das zugrunde liegen­ de Interesse an der systematischen Einheit der christlichen Lehre und damit an ihrer Übereinstimmung mit den Prinzipien der Vernunft bleibende Gül­ tigkeit. Die Ausführungen der scholastischen Theologen über den Gebrauch der Vernunft in der Theologie32 haben aus diesen Gründen besondere Bedeutung für die speziellere Frage ihrer Wissenschaftlichkeit. Wenn die mittelalterliche Scholastik und später auch die altprotestantische Theologie zu gewissen Ein­ schränkungen der Geltung von Vernunftprinzipien in der Theologie neigten und letztere sich für einen instrumentalen, nicht aber normativen Gebrauch der Vernunft aussprach33, so war eine Veranlassung dafür wiederum durch die Eigenart der aristotelischen Auffassung von Vernunft und vernünftiger Erkenntnis gegeben. Wenn nämlich strenge Vernunfterkenntnis in der Deduktion aus allgemeinen Prinzipien besteht, so ist zu sagen, daß die Aus­ sagen christlicher Lehre wegen ihres geschichtlichen Ursprungs keiner der­ artigen Herleitung fähig sind (vgl. Thomas von Aquin S. theol. 1,32,1 ad 2). Der Gegensatz gegen die aristotelische Auffassung von Vernunft und Vernunfterkenntnis dürfte auch vielen der kritischen Urteile Luthers gegen eine falsche Dominanz der Vernunft des natürlichen Menschen in der Theo­ logie zugrunde liegen. Andererseits hat auch Luther nicht nur eine Erneue­ rung der Vernunft durch den Glauben gelehrt, sondern auch die Not­ wendigkeit der Vernunft für die Theologie betont34. Insbesondere hat er trotz mancher spitzer Formulierungen letztlich an der Einheit der Wahrheit und der Gültigkeit logischer Konsequenz festgehalten, wenn auch bei deren Anwendung die Besonderheit der theologischen Thematik zu beachten ist, damit Fehlschlüsse und Fehlurteile vermieden werden35. Die konkrete Ver­ 32

Zur Erörterung dieser Frage im 13. Jahrhundert vgl. U. Köpf a. a. O. 174 ff., 178 ff. Siehe etwa J. Gerhard: Loci theologici I, 476 (hg. F. Frank, Leipzig 1885, 212). Zu J.A. Quenstedts Darlegungen vgl. J. Baur: Die Vernunft zwischen Ontologie und Evangelium. Eine Untersuchung zur Theologie Johann Andreas Quenstedts, Gütersloh 1962,111–119. 34 B. Lohse: Ratio und Fides: Eine Untersuchung über die ratio in der Theologie Luthers, 1958, 104 ff. B.Fiägglund: Theologie und Philosophie bei Luther und in der occamistischen Tra­ dition. Luthers Stellung zur Theorie von der doppelten Wahrheit, Lund 1955, 90 ff. 94 ff. 35 B. Lohse a. a. O. 116 weist für die Einheit der Wahrheit bei Luther auf WA 26, 286, 32 f. hin („Was nicht widder schrifft und glauben ist, das ist auch widder keine folge“). Die scharfen Formulierungen gegen syllogistische Deduktion in der Disputado contra scholasticam theolo­ giam von 1517 (WA 1,226,21 ff.) veranlassen Lohse allerdings, von einer Aufhebung der Regeln 33

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wurzelung des faktischen Vernunftgebrauchs in der jeweiligen Gesamtorien­ tierung des Menschen als Sünder oder als Glaubender ist bei Luther und in der altlutherischen Dogmatik stärker betont worden als in der mittelalterli­ chen Theologie. Von der unterschiedlichen konkreten Bestimmtheit der Ver­ nunft und ihres Begriffs kann die Urteilsbildung über ihre Funktion in der Theologie nicht absehen. Aber ohne Anerkennung der Grundsätze von Iden­ tität und Widerspruch ist auch in der Theologie keine Argumentation mög­ lich. Diese Grundsätze sind insbesondere bei dem Bemühen um Darstellung der systematischen Einheit der christlichen Lehre immer schon voraus­ gesetzt. Auf ihrer durchgängigen Anwendung beruht die Wissenschaftlich­ keit der theologischen Arbeit, mag deren konkrete Gestalt dabei auch mehr die Form von Konvenienzargumenten als die einer rationalen Deduktion ha­ ben36: Diese Argumentationsform steht der heutigen Auffassung von wis­ senschaftlicher Argumentation als Darlegung der Erklärungskraft von Hy­ pothesen und Theoriemodellen zur Beschreibung gegebener Phänomene übrigens näher als der aristotelische Wissenschaftsbegriff, so daß man sagen kann, daß die Vorbehalte der Theologie gegen die Anwendbarkeit wissen­ schaftlicher Argumentationen im aristotelischen Sinne auf die Glaubensleh­ ren die in der Neuzeit zu allgemeiner Anerkennung gelangte Auffassung von wissenschaftlicher Argumentation in mancher Hinsicht vorweggenommen haben. Mit der systematischen Untersuchung und Darstellung der christlichen Lehre ist also die spezifische Wissenschaftlichkeit eng verbunden, die seit der lateinischen Scholastik für die Dogmatik bzw. für die „theologia“ schlechthin, wie man damals noch sagte, beansprucht wurde. Zugleich ist da­ mit ein Bezug auf die Frage nach der Wahrheit des dargestellten Inhalts ge­ geben, und darüber hinaus ist in der systematischen Untersuchung und Dar­ stellung sogar ein ganz bestimmtes Verständnis von Wahrheit impliziert, nämlich Wahrheit als Kohärenz, als Zusammenstimmung alles Wahren. Durch Untersuchung und Darstellung der Kohärenz der christlichen Lehre hinsichtlich des Verhältnisses ihrer Teile zueinander, aber auch hinsichtlich ihres Verhältnisses zu sonstigem Wissen vergewissert sich systematische Theologie der Wahrheit der christlichen Lehre37. der Logik „in bestimmten Fällen“, nämlich bei Glaubensartikeln zu sprechen (117), obwohl er zeigt, daß Luther in anderen Zusammenhängen selber syllogistisch argumentiert. Damit wäre dann allerdings die Annahme einer doppelten Wahrheit sogar innerhalb der theologischen Ar­ gumentation Luthers gegeben. Vielleicht könnte aber dieser Eindruck verschwinden, wenn das historische Profil des von Luther abgelehnten Vernunftgebrauchs stärker beachtet wird. 36 Thomas von Aquin S. theol. I,32,1 ad 2: ratio… quae radici iampositae ostendat congruere consequentes effectus. Thomas führt als Beispiel dafür interessanterweise die ptolemäischen astronomischen Annahmen exzentrischer Umlaufformen und Epizyklen zur „Rettung der Phä­ nomene“ an, eine Beschreibungsform, die zur Vorgeschichte des modernen Hypothesenbe­ griffs gehört. 37 Zur Kohärenztheorie der Wahrheit und zum Verhältnis der Kohärenz als Wahrheitskrite­

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Dabei gerät nun die systematische Theologie unvermeidlich in eine Span­ nung zu Auffassungen, denen die Wahrheit der christlichen Lehre schon vorweg feststeht, vor aller systematischen Vergewisserung, sei es durch die Autorität der göttlichen Offenbarung, sei es durch den kirchlichen Konsens über den Inhalt des Dogmas. Solche Auffassungen hat die traditionelle Dog­ matik in der Regel selber geteilt und vertreten. Die erwähnte Spannung fin­ det damit innerhalb der Dogmatik selber ihren Ort. So bietet für die altluthe­ rische Dogmatik der Ursprung eines Glaubenssatzes in der Schrift den für sich allein hinreichenden Grund seiner Wahrheit. Der Vernunft kommt nur die Aufgabe der Erläuterung und Darstellung dieser vorausgesetzten Wahr­ heit zu38. Immerhin aber findet diese Wahrheit im systematischen Zusam­ menhang der christlichen Lehre ihren Ausdruck. Die dadurch in Erschei­ nung tretende innere Kohärenz kann der Lehre selber nicht äußerlich sein. Gewiß ist sie dem Aufweis solcher Kohärenz in der systematischen Darstel­ lung vorgegeben, aber daß das der Fall ist, kann erst aufgrund der systemati­ schen Darstellung gewußt werden. Auch bei Thomas von Aquin galt die Wahrheit der Glaubensartikel als Voraussetzung, nicht als Ergebnis der theologischen Darstellung. Sie sind als Prinzipien der Theologie durch Offenbarung mitgeteilt (S. theol. I,1 a 2). Man sollte daher erwarten, daß die theologische Argumentation sich in Form von Konklusionen aus den Offenbarungswahrheiten entfaltete. In späteren Darstellungen der Dogmatik ist tatsächlich nicht selten ein solches Verfahren verfolgt worden. Bei Thomas von Aquin ist das jedoch bemerkenswerter­ weise nicht der Fall. Der Argumentationsgang seiner theologischen Summe entfaltet sich als eine systematische Rekonstruktion der christlichen Lehraus­ sagen aus dem Gedanken Gottes als erster Ursache der geschöpflichen Welt und des Menschen39. Damit steht Thomas der theologischen Methode Anselms von Canterbury, dem Programm rationaler Rekonstruktion der rium zum Begriff der Wahrheit sowie zum Verhältnis der Kohärenz zu den Momenten der Korrespondenz und des Konsensus im Wahrheitsbegriff vgl. u. 62 f., so wie schon 34 f. 38 J. Baur a. a. O. 113 zu J. A. Quenstedt. 39 Thomas rechtfertigt dieses Vorgehen zwar nachträglich damit, daß die Glaubensartikel (analog den Vernunftprinzipien) untereinander in einer systematischen Ordnung stehen in der Weise, daß im Sein Gottes alle anderen Artikel enthalten seien (S. theol. II/2,1 a 7), aber das hebt nicht die Spannung auf, die darin liegt, daß seine Rekonstruktion dieses Zusammenhangs vom Dasein Gottes als Ergebnis der Gottesbeweise der Vernunft ausgeht, während seinem Theolo­ giebegriff zufolge die theologische Wissenschaft auf offenbarten Prinzipien beruht. Vgl. auch die methodischen Ausführungen des Aquinaten in der Summa contra Gentiles I,9, wo aber in­ sofern eine andere Sachlage gegeben ist als hier die Zielsetzung ausdrücklich apologetisch ist. Duns Scotus hat die im Theologiebegriff Thomas von Aquins an dieser Stelle bestehende Span­ nung scharfsichtig bemerkt, wenn er gegen die Auffassung vom Enthaltensein aller theolo­ gischen Wahrheiten im Sein Gottes einwendet, daß wir dann alle Glaubensaussagen durch na­ türliche Vernunft erkennen könnten et ita totam theologiam naturaliter acquirere (Ord. prol. p. 3 q.1–3, Ed. Vat. I, 1950, 107, n. 159). Er selbst vertrat dagegen die Auffassung, daß die theologische Erkenntnis des gefallenen Menschen Gott nicht in sich selber zum Gegenstand

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Glaubenswahrheit, näher als nach seinen Aussagen über den Theologiebe­ griff zu vermuten ist. Seine theologische Summe ist darum ein lehrreiches Bei­ spiel dafür, daß die systematische Darstellung der christlichen Lehre in einer Spannung steht zur Hinnahme ihrer Wahrheit als einer Voraussetzung, die unabhängig vom Gang der Darstellung für sich schon feststeht. Tatsächlich geht es bei der systematischen Rekonstruktion der christli­ chen Lehre sehr wohl um Ausweis und Bewährung ihrer Wahrheit, wenn auch zur theoretischen „Verifikation“ der christlichen Lehre ihre affektive und praktische Bewährung hinzutreten muß40. Die systematische („spekula­ tive“) Rekonstruktion der christlichen Lehre kann aus Gründen, die noch zu erörtern sind, die Frage ihrer Wahrheit nicht abschließend entscheiden. Das besagt aber nicht, daß sie gar keinen Beitrag zu dieser Frage leistete, weil die Wahrheit der Lehre schon im voraus sicher wäre. Vielmehr steht faktisch im Prozeß theologischer Reflexion und Rekonstruktion der Wahrheitsge­ halt der Überlieferung selber auf dem Spiele. Diese Seite theologischer Vergewisserung tritt deutlich hervor, wo sie ausdrücklich kritisch zur über­ lieferten Lehre Stellung nimmt, wie das für die moderne Theologie seit dem 18. Jahrhundert kennzeichnend geworden ist. Doch auch die positive Rekonstruktion der überlieferten Lehre enthält immer schon ein kritisches Moment. Die dogmen- und theologiegeschichtliche Forschung hat gezeigt, daß in allen Entwicklungsphasen des christlichen Denkens, angefangen schon im Urchristentum, die theologische Vergewisserung den Inhalt der Überlieferung nicht einfach unberührt gelassen, sondern verändert hat, auch wenn die Theologen lediglich dasselbe sagen wollten wie die Überlieferung. Eben darum konnte immer wieder strittig werden, ob die neuen Weisen, alte Wahrheit zu lehren (Martin Kähler), tatsächlich der Sache nach „dasselbe“ sagten wie die Formeln der Tradition. Die beiden Auffassungen der Vergewisserung überlieferter Wahrheit ei­ nerseits als bloßer Aneignung und Erläuterung einer schon vorausgesetzten Wahrheit, andererseits als Entscheidung über den Wahrheitsanspruch der Überlieferung sollten nicht als Alternativen betrachtet werden. In Wirklich­ keit handelt es sich um zwei Aspekte, die bei der Aneignung der Überliefe­ rung gar nicht gänzlich voneinander zu trennen sind: Die subjektive Verge­ wisserung der schon vorausgesetzten Wahrheit überlieferter Lehre kann diese doch nur als Wahrheit erfassen und vertreten, soweit die eigene Er­ kenntnis dieser Wahrheit reicht. Umgekehrt kann auch der bewußt kritische Umgang mit der Überlieferung ihren wahren Sinn und Gehalt nicht als habe, sondern nur auf der Basis des allgemeinen Seinsbegriffs, sofern dieser die Fundamentaldif­ ferenz von endlichem und unendlichem Sein übersteigt (ebd. Nr. 168 p. 110 f.). 40 U. Köpf a. a. O. 194–198: Das Verifikationsoroblem, vgl. auch 207 f., 209 f. Siehe auch die oben Anm. 30 zitierte Aussage von J. F. Buddeus die der systematischen Theologie die Aufgabe des theoretischen Ausweises (probare) und der a jumentativen Bekräftigung der Wahrheit der christlichen Lehre (confirmare) zuschreibt.

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Produkt beliebiger kritischer Konstruktion betrachten, sondern muß den durch Kritik aufzudeckenden wahren Sachverhalt als seiner Rekonstruktion vorgegeben auffassen. Die Wahrheit ist ihrem Wesen nach subjektiver Ein­ sicht vorgegeben, weil der um Erkenntnis Bemühte den wahren Sachverhalt entweder treffen oder auch verfehlen kann. Das gilt nicht nur im Verhältnis zu Wahrheitsansprüchen der Überlieferung, sondern auch für die Erkennt­ nis der Naturordnung. Wäre der Sachverhalt nicht vorgegeben, so könnte er nicht verfehlt werden. Das ist das Moment der „Korrespondenz“ zum Ge­ genstand oder Sachverhalt, das für den erkenntnistheoretischen Aspekt des Wahrheitsbegriffs grundlegend ist. Es zeigt sich schon bei der Frage, ob je­ mand „die Wahrheit sagt“ oder nicht, und Entsprechendes gilt für die Frage nach der Wahrheit von Urteilen oder Behauptungen. Aber andererseits ent­ scheidet sich erst im Vollzug der Wahrheitserkenntnis selber, was dem Er­ kenntnisvollzug als wahr vorgegeben ist. An dieser Stelle erhebt sich dann die Frage nach Kriterien der Wahrheit, an denen erkennbar werden kann, welche der strittigen Auffassungen dem Gegenstand oder Sachverhalt ent­ sprechen und welche nicht41. Der Konsensus der Urteilsbildung und die Ko­ härenz der Interpretation sind als solche Kriterien geltend gemacht wor­ den42. Jedenfalls geht es im Prozeß der Urteilsbildung darum, Wahrheitsan­ sprüche zu prüfen, und insofern steht in diesem Prozeß die Wahrheit der Sa­ che auf dem Spiele. Die Ergebnisse der Urteilsbildung bleiben sicherlich im Prinzip korrigierbar, und sie sollten auch faktisch für künftige bessere Ein­ sicht offen gehalten werden. Aber das ändert nichts daran, daß die vorausge­ setzte Wahrheit nur im Medium ihrer Erkenntnis als Wahrheit erfaßt wer­ den kann. In der Geschichte der Theologie hat sich das Bewußtsein von dieser Sachla­ ge nur schwer durchsetzen können, und noch heute besteht keine volle Klar­ heit darüber. Das dürfte damit zusammenhängen, daß die Vorgängigkeit der Wahrheit, um die es in der subjektiven Wahrheitsvergewisserung geht, im Falle der Theologie und in ihrem Selbstverständnis besonderes Gewicht hat: Es handelt sich hier um die Vorgängigkeit Gottes und seiner Offenba­ rung vor allen menschlichen Meinungen und Urteilen. Darin liegt der wahre Kern der mittelalterlichen und altprotestantischen Auffassungen der Theolo­ gie als einer autoritätsgebundenen Disziplin. Aber die Vorgängigkeit der 41 Insofern ist mit der Forderung nach „Sachgemäßheit“ der Theologie als Kennzeichen ih­ rer Wissenschaftlichkeit (K. Barth, Kirchliche Dogmatik 1/1,1932, 7) zwar eine berechtigte Forderung erhoben, aber kein Kriterium dafür angegeben, wie ihr genügt werden kann. 42 Eine Übersicht über die verschiedenen Wahrheitstheorien gibt L.B. Puntel: Wahrheits­ theorien in der neueren Philosophie, Darmstadt 1978. Zur heute vor allem von J. Habermas ver­ tretenen Konsensustheorie der Wahrheit vgl. 142–164, zur Kohärenztheorie ebd. 172–204, 211 ff. Zur Korrespondenztheorie (bzw. zur semantischen Deutung des Wahrheitsbegriffs) als Bezugspunkt der übrigen Wahrheitstheorien ebd. 9. Siehe auch unten die Ausführungen S. 58 ff., bes. 62 f.

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göttlichen Wahrheit vor allen menschlichen Meinungen und Urteilen ist nicht einfach identisch mit den menschlichen Instanzen, in denen die Theo­ logie die von der göttlichen Wahrheit autorisierten Quellen der christlichen Lehre fand, nämlich mit Schrift und Kirchenlehre. Die damit gegebene Problematik ist schon der scholastischen Theologie des Mittelalters zu Bewußtsein gekommen. Man betrachtete entweder den den biblischen Schriften entgegengebrachten Autoritätsglauben als bloße Hinführung (dispositio) zu dem eigentlichen, auf Gott selbst gerichteten Glaubensakt oder umgekehrt die in der Schöpfung begründete Beziehung der Menschen zu Gott, ihrem höchsten Gut, als Motiv der Zustimmung zur Autorität der Bibel43. Doch schon Duns Scotus hat diese letztere, von Tho­ mas von Aquin entwickelte Lösung verworfen, weil die Zustimmung Sache des Intellektes sei und dieser darum von seinem spezifischen Gegenstand zur Zustimmung bewegt werden müsse44. Darum mußte nun alles Gewicht auf die Glaubwürdigkeitskriterien für die Autorität der biblischen Schriften fal­ len. Allerdings war für Duns Scotus die Autorität der Kirche, die die Schrift als göttlich inspiriert bezeugt, noch ebenso wie für Augustin (PL 42,176) der entscheidende Grund für die Glaubwürdigkeit der Schriftautorität45. Daher hat er auch noch kein Problem in dem Verhältnis von Schriftautorität und kirchlicher Lehrautorität gesehen; ist doch in der Kirche derselbe Geist wirksam, durch dessen Inspiration die Schriften entstanden sind46. Es fragt sich nur, ob die Lehre der Kirche tatsächlich immer getreuer Ausdruck die­ ses Geisteswirkens ist. Schon wenig später, bei Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua, wurde die Annahme einer solchen Harmonie zweifel­ haft47, und es kam zu ersten Konflikten zwischen Kirchenlehre und Schrift­ autorität. In der Reformation brach dieser Konflikt dann in voller Schärfe auf. Beide Konfliktsparteien fuhren jedoch fort, ihre theologischen Lehren auf eine Autoritätsinstanz zurückzuführen: In der altprotestantischen Theo­ logie war das die aus sich selbst evidente Schrift als göttliche Offenbarungs­ urkunde, auf römisch-katholischer Seite hingegen die der Auslegung durch die Kirche bedürftige und durch die Lehre der Kirche ausgelegte Schrift. Bei­ de Seiten bemühten sich in der Folgezeit, die Unhaltbarkeit der Gegenpo­ 43 Siehe dazu die immer noch lesenswerten Ausführungen von K. Heim: Das Gewißheits­ problem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher, Leipzig 1911, 19 ff. und 24 ff. zu den unterschiedlichen Lösungen des Problems in der älteren Franziskanerschule und bei Thomas von Aquin. Allerdings hat Heim die Motivation zur Glaubenszustimmung durch die Beziehung zu Gott als höchstem Gut nicht berücksichtigt. Siehe dazu bes. M. Seckler: Instinkt und Glaubenswille nach Thomas von Aquin, Mainz 1961, 98 ff., vgl. 108 ff. und schon 93 ff. 44 Belege bei J. Finkenzeller: Offenbarung und Theologie nach der Lehre des Johannes Duns Skotus, Münster 1961, 94 ff., bes. 99 f. 45 Ebd. 51 f. 46 Ebd. 53. 47 Ebd. 54 ff. Genaueres bei H. Schüssler: Der Primat der Heiligen Schrift als theologisches und kanonistisches Problem im Spätmittelalter, Wiesbaden 1977, 61–158, bes. 109 ff.

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sition darzutun: Die protestantische Theologie zeigte von der Schrift her die Kritikbedürftigkeit der Kirchenlehre, ihre Abweichungen vom Zeugnis der Schrift auf. Die katholische Theologie hingegen wies auf die Vielstimmigkeit von lehrmäßig nicht ohne weiteres zu vereinheitlichenden Schriftaussagen und auf die damit gegebene Notwendigkeit einer autoritativen Entschei­ dungs- und Auslegungsinstanz hin. Die Traditionskritik der Aufklärung hat dann die kritischen Elemente bei­ der konfessionellen Positionen verbunden. Sie hat die protestantische Kritik an der Kirchenlehre weitergeführt und sie auf die in ihrer Sicht immer noch übermäßig traditionsbestimmte Kirchenlehre auch der protestantischen Kir­ chen ausgedehnt. Sie hat zugleich die katholische Kritik an der altprotestan­ tischen These von der Einheitlichkeit der Schriftlehre verschärft und das alt­ protestantische Schriftprinzip zerstört durch den Nachweis vielfältiger Wi­ dersprüche und Gegensätze in den Aussagen der biblischen Schriften, durch Kritik an den traditionellen Angaben über ihre Verfasser und schließlich durch den Nachweis der Zeitgebundenheit vieler biblischer Auffassungen. Diese Kritik der Aufklärung an Schrift und Kirchenlehre hat es der Folgezeit bis heute unmöglich gemacht, bei der Darstellung der christlichen Lehre Schrift oder Kirchenlehre als eine die göttliche Offenbarung verbürgende Instanz so unbefangen zugrunde zu legen, wie die mittelalterliche oder die altprotestantische Theologie das getan hatten und in ihrer geschichtlichen Si­ tuation noch tun konnten. Dennoch haben sowohl die neuprotestantische Theologie als auch die katholische Theologie im Zeitalter des Antimodernis­ mus überwiegend an der vorgängigen Entschiedenheit der Wahrheitsfrage hinsichtlich der christlichen Lehre festgehalten. Während sich auf katholi­ scher Seite die Entscheidung darüber in dieser Periode gänzlich auf das kirchliche Lehramt konzentrierte, ist sie in der neuprotestantischen Theolo­ gie in den Akt des Glaubens selber verlegt worden. Dieser Wandlungspro­ zeß hat auf protestantischer Seite seinen Ausdruck gefunden in der Entwick­ lung der sog. „Prolegomena“ zur Dogmatik.

4. Entwicklung und Problem der sog. „Prolegomena“ zur Dogmatik Es ist nichts Ungewöhnliches dabei, der Darstellung eines Themas, statt so­ gleich mit dessen Entfaltung zu beginnen, einige Bemerkungen über das Thema selbst und über das bei seiner Darstellung zu befolgende Verfahren vorauszuschicken. Auch Darstellungen der christlichen Lehre beginnen mit solchen einleitenden Betrachtungen, so etwa der Prolog zum Sentenzenwerk des Petrus Lombardus oder die erste Quaestio der theologischen Summe Thomas von Aquins oder auch die Einleitungen Melanchthons zu seinen

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Loci communes 1521 und zu seinen Locipraecipui theologici 1559. Doch seit dem Ende des 16. Jahrhunderts wurden in der altprotestantischen Theologie die Einleitungen zur eigentlichen Darstellung der christlichen Lehre, die Praecognita oder Prolegomena, immer umfangreicher und auch thematisch zunehmend verzweigt. Während sich Melanchthon 1521 auf die topoi (loci) konzentriert hatte, von denen die Erkenntnis Christi und seiner Wohltaten abhängt (e quibus locis solis Christi cognitio pendet: CR 21,85), die dabei zu­ rückgestellte Gotteslehre aber seit 1535 dann doch wieder an den Anfang seiner Darstellung der christlichen Lehre gestellt wurde, begann Jacob Heer­ brand 1573 sein theologisches Kompendium mit einem Kapitel über die Schrift als principium theologiae. Allerdings hat bei Heerbrand und noch bei Johann Gerhard 1610 die Voranstellung einer Lehre von der Schrift noch keinen Einleitungscharakter, sondern ist als Einsatzpunkt der Gesamtdar­ stellung der christlichen Lehre zu verstehen48, die eben als ganze die zusam­ menfassende Darstellung der Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift ist. In dem 1625 den Loci beigegebenen49 Proemium ließ Gerhard jedoch der Schriftlehre Vorbemerkungen über den Theologiebegriff vorausgehen, und in der Folgezeit wurde die Lehre von der Schrift wegen ihrer konstitutiven Bedeutung für den Theologiebegriff dieser Einleitung zugeordnet, so daß die Darstellung der christlichen Lehre selbst nun wieder – alter Tradition ge­ mäß – mit der Lehre von Gott begann. Darin setzte sich, wie auch schon in den späteren Ausgaben von Melanchthons Loci, eine offenbar in der Sache der christlichen Lehre selbst begründete Priorität der Gotteslehre durch ge­ gen die lutherische Tendenz, den Begriff der Theologie von den vermeintli­ chen Spekulationen über das Wesen Gottes abzulösen und auf den Men­ schen als zu erlösenden Sünder zu konzentrieren50. Mit dieser Tendenz dürfte es aber zusammenhängen, daß seit Abraham Calov 1655 der Begriff der Religion als allgemeiner Gegenstand der Theologie behandelt wird, be­ vor die Schrift als Quelle der wahren Religion zur Erörterung kommt51. Auf diese Weise ergibt sich der entfaltete Themenkatalog der altlutherischen Prolegomena zur Dogmatik, wobei der Schriftlehre noch die Lehre von den Glaubensartikeln als Zusammenfassung des Lehrgehaltes der Schrift sowie Ausführungen über den Gebrauch der Vernunft in der Theologie folgen. Die altprotestantischen Prolegomena zur Dogmatik umfassen also in ihrer voll entwickelten Gestalt folgende Themen: 1. Theologiebegriff 48 So B. Hägglund: Die Heilige Schrift und ihre Deutung in der Theologie Johann Gerhards. Eine Untersuchung über das altlutherische Schriftverständnis, Lund 1951, 64 ff. 49 J. Wallmann: Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, 1961,5 Anm. 2. 50 Zum Ringen zwischen dieser Tendenz und den Implikationen des Theologiebegriffs bei Gerhard siehe Wallmann a. a. O. 47 ff. 51 Als Beispiel für diese Darstellungsform siehe etwa J. Fr. König: Theologia positiva acroa­ mática (1664) De Theologiae Praecognitis § 52, § 57 ff.

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2. die christliche Religion als allgemeines Objekt der Theologie 3. die Schrift als Prinzip der Theologie 4. Glaubensartikel 5. Vernunftgebrauch Den bei weitem größten Raum nimmt in dem damit abgesteckten Rahmen die Lehre von der Schrift als Prinzip der Theologie ein. Sie bildet das eigent­ liche Kernstück der altprotestantischen Prolegomena zur Dogmatik. Um ihr besonderes Verständnis der theologischen Aufgabe zu begründen, mußte die altprotestantische Dogmatik, vor allem im Gegenüber zur römisch-ka­ tholischen Theologie, ihre Auffassung von der Autorität und maßgeblichen Bedeutung der Schrift für die Theologie eingehend darlegen52. Den Hintergrund der altprotestantischen Schriftlehre bildete das Ausein­ andertreten von Schriftautorität und Kirchenlehre im Mittelalter. Ausgangs­ punkt dafür war die Durchsetzung des Primats der buchstäblich-histori­ schen Auslegung der Schrift gewesen. Dadurch war die schulmäßige Schrift­ auslegung zu einer selbständigen Instanz geworden gegenüber der Inan­ spruchnahme der Schrift durch das kirchliche Lehramt, und das wurde der Ansatzpunkt für die reformatorische Auffassung von der Schrift als dem nicht nur höchsten, anderen übergeordneten, sondern allein maßgeblichen Erkenntnisprinzip der Theologie (vgl. Luther WA 18, 653 ff.). Die römischkatholische Kritik an dieser These – besonders durch Robert Bellarmin – zwang die protestantische Theologie jedoch dazu, ihre Auffassung von der Schrift zu dem Lehrstück von den Merkmalen (affectiones) auszubauen, die die Schrift als Wort Gottes auszeichnen. Von diesen Merkmalen geht nur das der Autorität der Schrift, die in ihrer göttlichen Inspiration begründet ist, auf alte kirchliche Lehrbildung zurück. Die übrigen Merkmale der Suffi­ zienz oder Vollkommenheit, der Klarheit oder Perspikuität der Schrift so­ wie ihrer Wirksamkeit zum Heil sind sämtlich Neubildungen der altprote­ stantischen Schriftlehre zur Abwehr der römisch-katholischen Kritik am Schriftprinzip der Reformation. So richtet sich die Lehre von der Suffizienz und Vollkommenheit der Schrift im Hinblick auf alles, was dem Menschen zu seinem Heil zu wissen nötig ist, gegen das römische Traditionsprinzip, wie es auf der vierten Sitzung des Trienter Konzils 1546 formuliert worden ist (DS 1501). Nach dem Urteil des Konzils ist die salutaris veritas sowohl in den biblischen Schriften als auch in ungeschriebenen Überlieferungen ent­ halten (in libris scriptis et sine scripto traditionibus), eine Formulierung, die in der Folgezeit auf beiden Seiten im Sinne inhaltlicher Ergänzung der Schriftaussagen aufgefaßt wurde und als Legitimierung späterer, über das Schriftzeugnis hinausgehender Dogmendefinitionen der Kirche. 52 R.D. Preus: The Theology of Post-Reformation Lutheranism. A Study of Theological Prolegomena, 1970, 255 ff. Vgl. auch das Anm. 47 genannte Werk von H. Schüssler, besonders zur Vorgeschichte des Gedankens der Suffizienz der Hl. Schrift im Mittelalter (73 ff.).

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Erst 1957 ist diese Deutung der Formulierung des Konzils von Hubert Jedin und vor allem von Josef Rupert Geiselmann in Zweifel gezogen worden53. Beide konn­ ten aus den Konzilsakten gewichtige Gründe dafür geltend machen, daß die For­ mulierung des Konzils von Trient zumindest nicht ausschließt, daß derselbe Inhalt sowohl in der Gestalt des Schriftzeugnisses als auch in der Form mündlicher Überlieferung in der Kirche lebendig sei, so daß im Unterschied zu einer anderen auf dem Konzil vorgeschlagenen, aber abgelehnten Formulierung (partim… par­ tim) die inhaltliche Suffizienz der Schrift für die Heilswahrheit in dem vom Konzil schließlich angenommenen Text jedenfalls nicht bestritten ist. Das Zweite Vatika­ nische Konzil hat sodann die Einheit von Schrift und Tradition betont (Dei Ver­ bum 9) und sogar die Schrift als Quelle und Maßstab der kirchlichen Lehrverkün­ digung und der christlichen Frömmigkeit gekennzeichnet: Omnis ergo praedicatio ecclesiastica sicut ipsa religio christiana Sacra Scriptura nutriatur et regatur oportet (21)54. Der an dieser Stelle für den Altprotestantismus bestehende Gegensatz hat daher heute seine Schärfe verloren. Dagegen ist in den hermeneutischen Fragen zur Schriftauslegung die konfessionelle Differenz noch nicht völlig überwunden.

Der konfessionelle Gegensatz in der Frage der Schriftauslegung besteht dar­ in, daß nach reformatorischer Lehre der wesentliche Inhalt der Schrift klar aus ihr zu erkennen ist und die Schrift daher selber das Maß ihrer Auslegung bildet, während sie nach römisch-katholischer Auffassung wegen der Viel­ fältigkeit und teilweisen Dunkelheit ihrer Aussagen einer autoritativen Aus­ legungsinstanz bedarf, die aus den vielstimmigen Schriftzeugnissen die ver­ bindliche Offenbarungswahrheit heraushebt. Die These von der Klarheit der Schrift hinsichtlich ihres wesentlichen Inhalts hat schon Luther selbst 1525 gegen Erasmus von Rotterdam vorgetragen (WA 18,606 ff.)55. Sie wur­ de gegen die Angriffe Bellarmins und anderer katholischer Kontrovers­ theologen von der altlutherischen Dogmatik zur Lehre von der Perspikuität der Schrift ausgebaut. Die von dieser Lehre behauptete Klarheit der Schrift 53 H. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient II, 1957,42–82; J. R. Geiselmann: Das Konzil von Trient über das Verhältnis der Heiligen Schrift und der nichtgeschriebenen Tradition, in: M. Schmaus (Hg.): Die mündliche Überlieferung, 1957, 123–206. Eine umfassendere und ab­ schließende Darstellung der Auffassung Geiselmanns findet sich in seinem Buch: Die Heilige Schrift und die Tradition, 1962, bes. 91 ff., 158 ff. Zur Diskussion über diese Frage in der katho­ lischen Theologie vgl. auch P. Lengsfeld: Tradition und Heilige Schrift – ihr Verhältnis, in: My­ sterium Salutis (hg. J. Feiner/M. Löhrer) 1,1965,463–496, bes. 468 ff. 54 Siehe dazu den Kommentar von J.Ratzinger, in: Das Zweite Vatikanische Konzil II (LThK, Ergänzungsband), Freiburg 1967, 573 a. 55 Eine umfassende Interpretation der Auffassung Luthers gibt F. Beisser: Claritas scriptu­ rae bei Martin Luther, 1966, bes. 75–130. Es ging Luther gegen Erasmus vor allem um die sog. „äußere Klarheit“ der Schrift in der Schriftauslegung, zu der das Verkündigungsamt der Kirche berufen ist, im Unterschied zur „inneren Klarheit“ der persönlichen Glaubensgewißheit, die in jener begründet ist (88 ff. 92). Zur äußeren Klarheit gehört das „äußere Urteil“ (WA 18,652 f.), das mit allgemeingültiger Überzeugungskraft {communis… sensus iudicio: WA 18,656,39 f.) den Inhalt der Schrift geltend macht. Vgl. auch die Ausführungen des Vf. in: Grundfragen systema­ tischer Theologie 1,1967, 64 f. und 163 f.

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bezieht sich allerdings nur auf ihren wesentlichen Inhalt, nämlich auf die christlichen Dogmen oder Glaubensartikel der Trinität, der Inkarnation, des Erlösungswerkes Christi (so Luther WA 18,606,26–28), und dabei handelt es sich, wie die altlutherischen Dogmatiker hinzufügten, nicht um eine evi­ dentia rerum, sondern nur um eine claritas verborum56. Der Inhalt der Schrift ist nach altprotestantischer Lehre insoweit aus den Schriftaussagen selber zu entnehmen bei hinreichender Kenntnis der logischen und rhetori­ schen Regeln sowie der alten Sprachen, durch aufmerksame Lektüre, unter Beachtung von Skopus, Kontext und Umständen der einzelnen Aussagen sowie durch Textvergleich57. Der Literalsinn, der für jede Schriftstelle nur ein einziger ist, ergebe sich, so meinte man, aus der Schrift selbst, nicht aus irgendeiner von ihr verschiedenen Tradition. Er sei aus der exactissima ver­ borum et sensuum cohaerentia zu entnehmen58. Die Verbindung der These von der Klarheit der Schrift mit dem Primat des Literalsinns bei ihrer Ausle­ gung hatte zur Folge, daß der schulmäßigen Schriftauslegung die entschei­ dende Funktion für die Feststellung des Sinnes der Schriftaussagen zufällt. Das ist die Kernfrage des konfessionellen Gegensatzes, weil eben diese für die Schriftauslegung entscheidende Funktion auf katholischer Seite dem kirchlichen Lehramt zugeschrieben wird. Das Trienter Konzil hatte diejenigen mit dem Anathema bedroht, die die Heilige Schrift nach eigenem Geschmack verdrehen (sacram Scripturam ad suos sensus contorquens) entgegen dem von der Kirche festgehaltenen Sinn (DS 1507). Die ei­ gentliche Streitfrage nach der Bedeutung der methodisch begründeten, wissen­ schaftlichen Schriftauslegung im Verhältnis zu derjenigen des kirchlichen Lehr­ amts war mit dieser Formulierung jedoch gar nicht berührt. Das hat bereits Martin Chemnitz bemerkt und eine entsprechende Äußerung in den Aussagen des Kon­ zils vermißt59. Diese Lücke ist durch das Zweite Vatikanische Konzil ausgefüllt worden. Im Vergleich zum Tridentinum hat das Zweite Vatikanische Konzil in seiner Offenbarungskonstitution Dei Verbum den hermeneutischen Regeln der Schriftauslegung und dem Beitrag der theologischen Wissenschaft zur Schriftaus­ legung erheblich größere Aufmerksamkeit gewidmet: Die Auslegung habe, so heißt es (DV 12), sich an den von den biblischen Schriftstellern intendierten Sinn zu halten. Dabei sei auf die literarischen Gattungen zu achten sowie auf die histo­ rischen Umstände der Abfassungszeit. Obwohl es abschließend heißt, alles, was zur Schriftauslegung gehört, unterstehe letztlich dem Urteil der Kirche, wird doch 56

J.A. Quenstedt a. a. O. 169. Ebd. 200 f. Quenstedt stimmt darin weitgehend mit den Auslegungsgrundsätzen des Ra­ kower Katechismus der Sozinianer von 1609 überein. Vgl. dazu K. Scholder: Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert, 1966,47 f. Der Gegensatz betrifft nur die sozinia­ nische Forderung nach Übereinstimmung mit der Vernunft (sana ratio) sowie die sozinianische Ablehnung der Zugehörigkeit von Folgerungen aus den Schriftaussagen zur offenbarten Lehre. Zur Bedeutung des Widerspruchsprinzips für die sozinianische Dogmenkritik vgl. ebd. 50. 58 Quenstedt a. a. O. 210, vgl. 186 ff. 59 M. Chemnitz: Examen Concilii Tridentini (1578) hg. E. Preuss 1861, 67 n. 6. 57

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unmittelbar zuvor auch gesagt, daß dieses Urteil durch die wissenschaftliche Exe­ gese vorbereitet wird. Nimmt man diese Aussage von DV 12 zusammen mit zwei anderen, nämlich mit der Feststellung, daß das kirchliche Lehramt nicht über dem Worte Gottes stehe, sondern ihm diene (DV 10), und mit der Erklärung, daß die Kirche in der Heiligen Schrift die höchste Richtschnur ihres Glaubens habe (su­ premam fidei suae regulam: DV 21), so liegt in den Konzilsaussagen implizit doch wohl auch eine Bindung der Schriftauslegung des Lehramts an den der Schrift ei­ genen und durch keine Auslegungsinstanz ihr allererst beizulegenden Sinn vor, wie er Gegenstand der schulmäßigen Exegese ist. Damit ist zweifellos eine Annä­ herung an die reformatorische Lehre von der Klarheit der Schrift erfolgt. Dagegen fehlen immer noch Aussagen über die traditionskritische Funktion der Schrift und ihrer Auslegung60.

Die beiden reformatorischen Kampflehren von der Suffizienz und von der Klarheit der Schrift setzten die Lehre von ihrer auf göttlicher Inspiration be­ ruhenden Autorität voraus. Das gilt jedenfalls für die spezifische Gestalt der Lehren von Suffizienz und Klarheit der Schrift in der altprotestantischen Theologie, im Unterschied zu einer Betrachtungsweise, die in den neutesta­ mentlichen Schriften nur die ältesten Dokumente der Verkündigung Jesu und der Anfänge des Christentums erblickt. Wenn die biblischen Schriften von Gott selbst hervorgebracht sind als Dokumente seiner auf das Heil des Menschen zielenden Offenbarung, dann liegt die Annahme nahe, daß sie für diesen Zweck auch hinreichend sind. In ähnlicher Weise ergibt sich aus der erwähnten Voraussetzung, daß der Inhalt der Schrift – der Einheit ihres göttlichen Autors und seiner unbeirrbaren Übereinstimmung mit sich selber entsprechend – ein einheitlicher ist und auch in der Übereinstimmung ihrer Worte als einheitlich und widerspruchslos zum Ausdruck kommt. Ohne die Annahme der Einheitlichkeit des Schriftinhalts würde die Klarheit ihres Wortsinns nicht viel nützen. Die Autorität der Heiligen Schrift gründet für die reformatorische Theolo­ gie darauf, daß sie nicht Menschenwort, sondern Gottes eigenes Wort ist. Dabei hat die frühe lutherische Theologie die Identität des Gotteswortes des Evangeliums in seiner mündlichen und schriftlichen Gestalt betont61, wäh­ rend Calvin schärfer zwischen der göttlichen Lehre (coelestis doctrina) und ihrer schriftlichen Aufzeichnung zwecks Bewahrung im Gedächtnis der Menschen unterschied (Inst I,6,3). Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts ver­ schob sich jedoch der Schwerpunkt der Vorstellung von Gottes Wort zuneh­ mend auf die Inspiration des Aktes der schriftlichen Aufzeichnung selber. Noch im frühen 17. Jahrhundert hat Johann Gerhard eine recht allgemein ge­ haltene Auffassung von der Inspiration der Schrift vertreten in dem Sinne, daß Gott den Propheten und Aposteln den Befehl erteilte, das von ihm 60 61

So auch J. Ratzinger a. a. O. (Anm. 54) 520. H. Engelland: Melanchthon, Glaube und Handeln, 1931,179–188.

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empfangene Wort niederzuschreiben62. Immerhin wurden bereits bei Ger­ hard gegenüber der römischen Traditionslehre einerseits, den Sozinianern andererseits, Wort Gottes und biblischer Wortlaut identifiziert63. Auf refor­ mierter Seite hatte bereits Amandus Polanus (gest. 1610) Gott als den eigent­ lichen auctor der Schrift bezeichnet, der ihre Unfehlbarkeit garantiere64. Die strenge Inspirationslehre wurde jedoch auf lutherischer Seite erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts durch Abraham Calov ausgebildet in Auseinan­ dersetzung mit der „synkretistischen“ Auffassung von Georg Calixt, der den Inspirationsgedanken nicht auf den Wortlaut der Schrift ausdehnen, sondern auf ihren Inhalt beschränkt wissen wollte65. Die tieferen Gründe für den Übergang der Mehrheit der lutherischen Dogmatiker zu der extremen Vor­ stellung einer Verbalinspiration wird man in der Sorge erblicken müssen, daß das reformatorische Schriftprinzip gänzlicher Auflösung anheimfallen könnte, sobald die Schrift nicht mehr im ganzen und in allen Einzelheiten als göttliche Autorität unantastbar jeder menschlichen Urteilsbildung gegenübersteht. Deutlich wurde diese Sorge von Johann Andreas Quenstedt ausgesprochen: Wenn man einmal einräume, daß irgendetwas in der Schrift auf menschliche Weise entstanden sei, gehe ihre göttliche Autorität verlo­ ren. Sobald man zugestehe, daß auch nur ein einziger Vers ohne den unmittelbaren Einfluß des Heiligen Geistes geschrieben sei, werde der Satan sofort dasselbe von dem ganzen Kapitel, einem ganzen Buch und schließlich von der gesamten Bibel behaupten und damit alle Autorität der Schrift auf­ heben66. Die bis zur strengsten Fassung der Verbalinspiration durchge­ führte Inspirationslehre war in der Tat unumgänglich, wenn man vollen Ernst machen wollte mit Luthers Anschauung, daß die Schrift das Prinzip der Theologie sei, aus welchem alle Aussagen der Theologie herzuleiten sind. Wenn die Schrift ihrem Inhalt und ihrer göttlichen Wahrheit nach aller menschlichen Urteilsbildung vorgegeben sein soll – im Gegensatz zu der Auffassung, die die Formulierung des verbindlichen Inhalts der Schrift zur Aufgabe des vom Geist geleiteten kirchlichen Lehramts erklärte – dann war in letzter Konsequenz der Objektivismus der Inspirationslehre unvermeid­ lich, und die lutherische Theologie wurde durch den katholischen Gegner und durch die Neigung zu Kompromissen mit dem Traditionsprinzip im eignen Lager dazu genötigt, sich zu dieser äußersten Konsequenz zu beken­ 62

B. Hägglund a. a. O. (oben Anm. 48) 118 ff., bes. zu Gerhards Loci II,217 ff. Ebd. 71 ff. und bes. 77, vgl. 86. 64 A. Polanus: Syntagma theologiae Christianae 1624 I,16 (zit. bei H. Heppe u. E. Bizer: Die Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche, 1958,11). 65 H.Cremer RE IX, 3. Aufl. 1901, 191 (Art. Inspiration). Siehe auch R.D. Preus a. a. O. 273– 295. 66 J. A. Quenstedt: Theologia didactico – polemica sive systema theologicum, Leipzig 1715, 102: Si enim unicus Scripturae versiculus, cessante immediato Spiritus S. influxu, conscriptus est, promptum erit Satana idem de toto capite, de integro libro, de universo denique codice Biblico excipere, et per consequens, omnem Scripturae auctoritatem elevare. Vgl. schon ebd. 100 f. 63

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nen. Zwar ließen sich aus dem reformatorischen Schriftprinzip auch Kon­ sequenzen in anderer Richtung ziehen, die zu einer gänzlich anderen Auf­ fassung führten. Man konnte, vom Primat der buchstäblichen und histori­ schen Auslegung der Schrift ausgehend, die Theologie an die Aufgabe sol­ cher Auslegung binden, ohne damit schon deren Ergebnisse hinsichtlich des Inhalts der Schrift und seiner Wahrheit vorwegzunehmen. Diesen Weg sind die Sozinianer und Arminianer sowie später die Theologen der Aufklärung gegangen. Dann war aber die Schrift nicht mehr Prinzip der Theologie in dem Sinne, daß in ihren Worten sowohl der Inhalt der christlichen Lehre als auch ihre Wahrheit aller menschlichen Auslegung vorgegeben und vorweg garantiert sind. Dem Objektivismus der altprotestantischen Inspirationslehre entsprach die ursprüngliche Gestalt der Anschauung von der subjektiven Vergewis­ serung der göttlichen Autorität der Schrift durch das Zeugnis des Heiligen Geistes. Dabei handelte es sich nicht um eine zur Schrift hinzukommende, in der Subjektivität des Auslegers wirksame und die Schrift beglaubigende Instanz, sondern vielmehr um nichts anderes als die Selbstevidenz des In­ halts der Schrift, der ja vom Heiligen Geist eingegeben ist, also um die „Wirksamkeit“ der Schrift selbst im Herzen der Menschen67. Calvin, der Urheber dieser Lehre, hatte sich bereits ähnlich geäußert, indem er die Zusammengehörigkeit von Wort und Geist betonte. Nach Calvin hat der Apostel seine Verkündigung als Amt des Geistes bezeichnet (2.Kor 3,8), um damit zu sagen, daß der Heilige Geist der in den Worten ausgedrück­ ten Wahrheit so inhäriert, daß er seine Kraft ausstrahlen läßt, wo seine Ehre und Würde durch das Wort Anerkennung findet68. Erst mit dem Verblassen der Lehre von der göttlichen Autorität der Schrift als allem menschlichen Urteil vorgegebener Größe gewann die Lehre vom testimoni­ um internum des Heiligen Geistes den Sinn eines zum äußeren Wort er­ gänzend hinzutretenden subjektiven Erfahrungs- und Gewißheitsprinzips, das über Wahrheitsanspruch und Wahrheitsgehalt der Schrift zu ent­ scheiden hat. Die Lehre vom inneren Zeugnis des Geistes wurde damit zum Angelpunkt der Wendung, die von der reformatorischen These der Vorgegebenheit der Wahrheit Gottes vor allem menschlichen Urteil zu der neuprotestantischen Überzeugung von der subjektiven Erfahrung als Basis

67 Das betont B. Hägglund in seinen Ausführungen zum testimonium internum des Heili­ gen Geistes bei J. Gerhard (op.cit. (o. Anm. 48) 90 ff., 94 ff.), ähnlich auch R. D. Preus a. a. O. 302 f. 68 Calvin Inst. rel. ehr. I,9,3: …ita suae quam in scripturis expressit veritati inbaerere spiritum sanctum, ut vim tum demum suam proferat atque exserat ubi sua constat verbo reverentia ac di­ gnitas. Calvin fährt fort, daß das Verhältnis von Wort und Geist wechselseitig sei: Mutuo enim quodam nexu Dominus verbi spiritusque sui certitudinem inter se copulavit; ut solida verbi reli­ gio animis nostris insidat, ubi affulget Spiritus qui nos illic(\) Dei fadem contemplan faciat.

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des Glaubens und der christlichen Lehre hinüberführte. Der Anstoß zu dieser Entwicklung aber ging von den Problemen der Schriftauslegung und der biblischen Textkritik aus. Die Unterschiede in Sprache und Stil der verschiedenen biblischen Schrift­ steller blieben schon den orthodoxen Dogmatikern nicht verborgen. Sie er­ klärten solche individuellen Eigentümlichkeiten als Ergebnis einer Anpas­ sung (Akkommodation) des Heiligen Geistes an Sprache und Ausdrucksweise des jeweiligen Schriftstellers69. Der Gedanke der Akkom­ modation konnte jedoch auch in einem viel weiter gefaßten Sinne, als Anpas­ sung an zeitbedingte Vorstellungsweisen der biblischen Schriftsteller ge­ braucht werden. In diesem Sinne hatten ihn schon Johann Kepler und Galilei zur Erklärung von biblischen Angaben wie Jos 10,12 f. vom Stillstand von Sonne und Mond verwendet70. In der reformierten Theologie hat Christoph Wittich 1654 den so ausgeweiteten Akkommodationsgedanken umfassend zur Geltung gebracht, um die Lehre von der Schriftinspiration mit den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang zu halten71. Der „Sko­ pus“ der Schriftaussagen richtet sich nach Wittich auf das Heil des Menschen und nicht auf naturwissenschaftliche oder historische Mitteilungen. Die Gegenwartsgeltung der Schriftautorität sollte damit auf das spezifisch theo­ logische Gebiet beschränkt werden. Das war jedoch mit der orthodoxen Überzeugung von der unfehlbaren Wahrheit aller Schriftaussagen, auch in Nebenfragen und unter Ausschluß jeglichen Widerspruches nicht vereinbar. Der Utrechter Theologe Melchior Leydekker hat daher 1677 diese Auswei­ tung des Akkommodationsgedankens bekämpft. Die Thesen Wittichs und anderer72 würden bedeuten, daß Gott Irrtümer lehrt, den Glauben an Fal­ sches gefordert hätte und das Zeugnis der Schrift selber falsch wäre73. Die Glaubwürdigkeit der Schrift werde mit solchen Annahmen zerstört, zumal man mit derselben Begründung, wie Leydekker klar voraussah, bald auch die Glaubensartikel selbst für zeitbedingt erklären könne. Dennoch war der Siegeszug der Akkommodationstheorie nicht aufzuhalten. Er enthüllte die Schwäche der orthodoxen Behandlung der göttlichen Wahrheit der Schrift 69 So Quenstedt a. a. O. 110 (I c.4 p. 2 q.4) mit Berufung auf M. Flacius. Vgl. dazu R. D. Preus a. a. O. 288 ff. sowie hierzu und zur weiteren Entwicklung der Akkommodationstheorie G. Hornig: Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie. Johann Salomo Semlers Schrift­ verständnis und seine Stellung zu Luther, 1961, 211 ff. 70 K. Scholder: Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der historisch-kritischen Theologie, 1966,68 f. (zu Kepler) und 73 (zu Galilei). 71 Scholder a. a. O. 149 ff. 72 Auch Spinoza hatte im 2. Kapitel seines Theologisch-politischen Traktats (1670) die An­ passung der göttlichen Offenbarung an die Fassungskraft ihrer Empfänger zu einer Grundregel seiner Bibelinterpretation gemacht (vgl. auch Kap. 7) und diesen Gesichtspunkt auch bereits auf die Kritik des Wunderglaubens angewendet (Kap. 6). 73 E. Bizer: Die reformierte Orthodoxie und der Cartesianismus, ZThK 55, 1958, 306–372, bes. 367 f.

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als Voraussetzung, statt als Ziel der Theologie: Als Voraussetzung im Sinne der Inspirationslehre verstanden mußte sie in Widerspruch zu jeder neuen Wahrheitserkenntnis geraten, statt zu deren Integration in den Wahrheitsan­ spruch der christlichen Lehre fähig zu sein. Der Akkommodationsgedanke widersprach der Inspirationslehre nicht direkt, sondern höhlte sie aus, indem er Raum schuf für die Einsicht in die historische Bedingtheit und Relativität in den Anschauungen der biblischen Schriftsteller, damit schließlich auch für das Auftreten von Gegensätzen und Widersprüchen in ihren Aussagen. In dieselbe Richtung wirkte die Entwick­ lung der Text- und Literarkritik seit Richard Simons historischer Kritik des Alten Testaments 167974. Für die Auflösung der altprotestantischen Lehre von der Schriftautorität ist jedoch der Akkommodationsgedanke noch fol­ genreicher geworden, weil sich durch ihn die veränderten physikalischen, geographischen und historischen Kenntnisse (besonders auch die neue historische Chronologie) auf die Einordnung der biblischen Angaben in das veränderte Weltbild der Zeit auswirken konnten. In der Folge bildete, in Jo­ hann Salomo Semlers Worten, der biblische Doppelkanon kein Ganzes ver­ bindlicher göttlicher Lehre mehr, kein totum homogenum, sondern nur noch ein totum historicum75, und Semlers Untersuchungen zur Kanonge­ schichte 1771–1775 lösten die schon von Spinoza erhobene Forderung nach einer „Geschichte der Schrift“ als Grundlage ihrer Interpretation76 ein. Da­ mit wurden die biblischen Schriften insgesamt in einen historischen Abstand zur Gegenwart gerückt, der die Frage entstehen ließ, was in ihnen überhaupt noch gegenwärtige Verbindlichkeit und Wahrheit beanspruchen könne77. Die Wahrheitsfrage verband sich nun mit der Aufgabe der Hermeneutik. Das hätte bedeuten können, daß auch in der Untersuchung und Darstellung der christlichen Lehre die Antwort auf die Frage nach ihrer Wahrheit als Of­ fenbarung Gottes nicht mehr als Voraussetzung, sondern als Ziel solcher Untersuchung und Darstellung behandelt worden wäre. Tatsächlich jedoch hielt die evangelische Theologie auch angesichts der Auflösung der objekti­ ven Verbindlichkeit der Schriftautorität an der Vorgegebenheit der Offenba­ rungswahrheit vor aller theologischen Untersuchung und Darstellung fest. Die Vorgegebenheit der Offenbarungswahrheit konnte jetzt allerdings nicht mehr auf die göttliche Autorität der Schrift im ganzen und in all ihren Einzelheiten gestützt werden, auch nicht mehr auf die objektiven Kriterien, 74

Zu Simon vgl. P. Hazard: Die Krise des europäischen Geistes (frz. 1935) dt. 1939, 215–

234. 75 Zitat bei G. Hornig: Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie. Johann Salomo Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther, 1961, 70. 76 B. de Spinoza: Theologisch-politischer Traktat (1670), deutsch von C. Gebhardt 5. Aufl. 1955 (Philos. Bibi. 93), 135,14 f., vgl. 140,15 ff. und 150,2 ff. (Kap. 7). 77 Siehe dazu vom Vf.: Die Krise des Schriftprinzips, in: Grundfragen systematischer Theo­ logie 1,1967,11–21.

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die schon die mittelalterliche Theologie und später besonders die Sozinianer und Arminianer zur Begründung ihrer Glaubwürdigkeit vorgebracht hat­ ten78. Wenn J.S. Semler unbeschadet seiner historischen Einsichten an der göttlichen Autorität der Schrift hinsichtlich ihres Inhalts, des Wortes Gottes, festhielt, wenn auch nicht im Hinblick auf die Einzelheiten ihrer menschlich-­ historischen Form, so konnte er sich für die Unterscheidung und Beglaubi­ gung dieses Inhalts nur auf die alte Lehre vom Zeugnis des Geistes berufen79. Hier trat nun der schon erwähnte Funktionswandel dieser Lehre ein, durch welchen die subjektive Erfahrung zur selbständigen Basis der christlichen Wahrheitsgewißheit wurde. Die göttliche Autorität der Schrift wurde nun zur Sache der persönlichen Glaubenserfahrung des Christen an der Schrift. Dieser Vorgang kommt auch in der Entwicklung der dogmatischen Prole­ gomena zum Ausdruck, und zwar durch zwei seit dem Ende des 17. Jahr­ hunderts sich anbahnende folgenreiche Veränderungen. Beide lassen sich besonders gut in der deutschen lutherischen Theologie verfolgen, die seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert hinter der stürmischen Entwicklung zu­ rückgeblieben war, die durch den Cartesianismus in Holland und sodann durch die deistischen Streitigkeiten in England entstanden war, so daß sie länger am Aufriß der orthodoxen Dogmatik festhielt und darum auch langsamer und kontinuierlicher den Übergang zu den neuen Fragestellungen vollzog als das in Westeuropa geschah. Die erste dieser Änderungen besteht in der Einführung des Theologen als Subjekt der Theologie in den Theologiebegriff. Bereits Abraham Calov hatte 1652 im zweiten Buch seiner Isagoges ad SS Theologiam libri duo ausführlich die für den Theologen erforderlichen Qualifikationen erörtert80, und Johann Andreas Quenstedt verband in These 37 des ersten Kapitels seiner Theologia didactico polemica sive Systema theologicum die Behandlung des Theologen als Subjekt der Theologie mit dem Theologiebegriff. An späterer Stelle des Kapitels heißt es dort, daß den gottgegebenen Habitus der theologischen Er­ kenntnis auch solche besitzen können, die persönlich nicht fromm und wie­ dergeboren sind. Auch sie sind Theologen, wenn auch nicht im Vollsinn die­ ses Wortes81. Quenstedt konnte sich so äußern, weil er die Theologie noch 78 Zum Ausbau der Kriterienlehre bei Duns Scotus siehe J. Finkenzeller (oben Anm. 44) 38 ff. sowie 42 f. zur Irrtumsfreiheit der Schriftaussagen als Bedingung des Glaubens an die Inspiration der Schrift. In der altprotestantischen Dogmatik hat die Kriterienlehre nur eine untergeordnete Rolle gespielt, weil Glaubwürdigkeitskriterien im Unterschied zum Zeugnis des Geistes nur eine fides humana, keine volle Gewißheit begründen können (R. D. Preus a. a. O. 300 f., vgl. J.A. Quenstedt a. a. O. 140 ff.). Zur sozinianischen Auffassung siehe Scholder 45 ff. 79 G. Hornig a. a. O. 76. Zur Unterscheidung von Wort Gottes und Schrift bei Semler ebd. 84–115, sowie auch die Betonung der ursprünglich mündlichen Verkündigung des Gotteswor­ tes ebd. 64 f. 80 R. D. Preus a. a. O. 216–226. 81 In der zweiten, polemischen Abteilung des Kapitels heißt es in q.3 ekth. 5: Est enim haec informatio divina, quafiunt Theologi, operatio gratiae Spiritus S. nonpraecise inhabitantis, sed

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ganz von ihrem Gegenstand her begriff, und die späteren lutherischen Dog­ matiker bis zu David Hollaz (1707) sind ihm darin gefolgt. Doch sah sich schon Hollaz genötigt, diese Auffassung gegen den pietistischen Subjektivis­ mus zu verteidigen, der den Glauben des Theologen als Bedingung der theo­ logischen Erkenntnis und Lehre behauptete, und ein Jahrzehnt später (1718) spitzte sich der Streit durch Johann Georg Neumann auf die Frage zu, ob ein nicht Wiedergeborener Theologie lehren könne82. Gleichzeitig führte Valen­ tin E. Loescher seine Auseinandersetzung mit dem Pietismus, die sich eben­ falls hauptsächlich gegen die die Offenbarungswahrheit zerstörende Einfüh­ rung des Subjekts in den Theologiebegriff richtete83. Schon 1724 hat jedoch Franz Buddeus die pietistische Auffassung mit der orthodoxen Dogmatik verbunden und den persönlichen Glauben des Theologen zur normalen Be­ dingung des Theologiebegriffs erklärt84. Auch Buddeus war allerdings noch weit davon entfernt, die Theologie als Ausdruck und Darstellung der Fröm­ migkeit des Theologen aufzufassen, statt ihr die Aufgabe einer zusam­ menfassenden Wiedergabe der Lehre der Schrift zuzuweisen. Bevor es zu ei­ ner so tiefgreifenden Neuorientierung der Auffassung von der Aufgabe der Theologie kommen konnte, mußte zunächst die zweite schon im Altprote­ stantismus angebahnte Veränderung im Verständnis der Theologie zur vollen Auswirkung kommen, die in den Prolegomena zur Dogmatik ihren Nieder­ schlag gefunden hat. Diese zweite Veränderung besteht darin, daß neben der Schrift der Begriff der Religion in zunehmendem Maße fundamentale Bedeutung für das Ver­ ständnis der „Theologie“ gewann, und zwar um so mehr, je mehr die alte Gleichung von Schrift und Wort Gottes sich auflöste. Nachdem schon Calov potius assistentis, quam gratiam assistentem certo modo etiam habent irregeniti et impii. In illis vero, qui re et nomine Theologi sunt, i. e. qui non tantum habitu Theologico, ut sic, instructi, sed simul renati sunt, sivefideles etpii, in illis Theologia non tantum a Spiritu S. sed etiam cum Spiritu S. est, et cum gratiosa ejus inhabitatione conjuncta (a. a. O. 23). 82 R.D. Preus a. a. O. 228–232. Preus ist freilich darin im Irrtum, daß er Neumann einen Ge­ gensatz zur älteren lutherischen Dogmatik unterstellt. C. H. Ratschow (Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung 1,1964) hat belegt, daß die Unterscheidung von Theolo­ gie und persönlichem Glauben schon bei Quenstedt und Hollaz vorliegt und erst von Buddeus in pietistischem Sinne revidiert wurde (37, Belege 56 f.). Zu den Ausführungen Ph.J. Speners über das Verhältnis von Glauben und Theologie vgl. E. Hirsch: Geschichte der neuern evangeli­ schen Theologie II, 1951, 107 f., 111 ff. Die Notwendigkeit des Glaubens für die theologische Erkenntnis bedeutete bei Spener allerdings noch nicht, „daß die religiöse Erfahrung in der Er­ zeugung des in Gedanken gefaßten geistigen Gehalts des Glaubens selber ein wesentliches Mo­ ment ist“ (115). In diesem Punkt blieb Spener noch Schrifttheologe. 83 E. Hirsch a. a. O. 200 ff., bes. 202 f. 84 J.Fr. Buddei Compendium Institutionum theologiae dogmaticae, Leipzig 1724, I, 1 § 48– 56 (p. 42 ff.). Buddeus gesteht zwar zu, daß Theologie im objektiven Sinne des Begriffs, als doc­ trinay auch irregenitis zugänglich sei (1,1 §50). Doch heißt es in der Anmerkung zu §48: … habi­ tus Ule docendi, et alios in rebus divinis erudiendi, absque fide… non nisi improprie theologia vocatur. Obwohl die Veränderung gegenüber den entsprechenden Formulierungen Quenstedts (oben Anm. 81) gering ist, hat sich der Akzent deutlich verschoben.

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und Quenstedt den Begriff der Religion als allgemeine Beschreibung des Ge­ genstandes der Theologie eingeführt hatten, wurde er seit Johann Musäus (1679) zum Oberbegriff mit den Unterarten religio naturalis und religio revelata. In der Folgezeit konnte das Verhältnis von natürlicher und geoff­ enbarter Gotteserkenntnis auf dem Boden des Religionsbegriffs erörtert und weiter ausgebaut werden bis hin zu der Auffassung Matthew Tindals (1730), daß die (ihrer übernatürlichen Inhalte mit Hilfe des Akkommodationsge­ dankens weitgehend entledigte) Offenbarung des Evangeliums die gereinigte Wiederherstellung der natürlichen Religion sei. Die lutherische Theologie des 18. Jahrhunderts ist so weit nicht gegangen, sondern hat in ihrer weit überwiegenden Mehrheit den Gedanken einer notwendigen Ergänzung der natürlichen Religion durch Offenbarung festgehalten. So hat Buddeus die Schranke der natürlichen Religion darin erblickt, daß sie zwar vom Dasein Gottes und seinen Geboten weiß, auch von dem Gegensatz zu Gott, in den die Menschen durch ihre Sünden geraten, nicht aber das Mittel der Versöh­ nung mit Gott kennt85. Ein halbes Jahrhundert später schrieb Johann Salomo Semler im Rückblick auf Tindal, wenn dieser „sich gleich anfangs eine natür­ liche Religion in solcher Vollkommenheit denkt, daß gar nichts übrig seie, was den Inhalt einer Offenbarung, und also einen wichtigen Zusatz habe ab­ geben können, weil die Glückseligkeit der Menschen jenes schon erfordert hätte: so ist wol hiemit viel mehr voraus gesetzet, als sich erweisen lässet“. Überall nämlich sei „der Anfang von der Volkommenheit unterschieden“86. 3. Doch schon bei Buddeus rückt der Religionsbegriff ganz an den Anfang der Dogmatik, indem er mit dem Theologiebegriff verbunden, ja diesem vorgeordnet wird87. Damit wird der Theologe schon hier nicht einfach als Subjekt der Gotteserkenntnis, sondern als Lehrer der Religion verstanden (§ 48), weil nur in dieser Funktion der Unterschied zwischen den Theologen und den übrigen Gläubigen besteht. Damit war die entscheidende Weiche gestellt für die Gedanken Semlers über Religion und Theologie. In ihrer öf­ fentlichen, institutionellen Gestalt als „akademische“ Theologie nämlich ist Theologie bei Semler „die Vorbereitung der öffentlichen Lehrer“ der Kir­ che88, und zwar deren Vorbereitung auf den Dienst in einer bestimmten Konfessionskirche. Aufgabe dieser öffentlichen Theologie ist daher nicht 85

Ebd. I,1 § 17, vgl. § 21 Anm. J.S. Semler: Versuch einer freiem theologischen Lehrart, Halle 1777,97. 87 Der Titel des ersten Kapitels in der Dogmatik von Buddeus heißt: De religione et theolo­ gia, und erst nach eingehenden Darlegungen über die natürliche Religion und die Geschichte göttlicher Offenbarungen seit den alttestamentlichen Patriarchen sowie insonderheit dann über die Christusoffenbarung (§ 27 ff.) und über die Glaubensartikel (§33 ff.), wendet sich Buddeus dem Begriff der Theologie zu (§ 37 ff.). 88 Semler a. a. O. 188 (§59). Für seinen Begriff der „akademischen“ Theologie berief sich Semler auf Georg Calixt (188). Vgl. dazu J. Wallmann: Der Theologiebegriff bei Johann Ger­ hard und Georg Calixt, 1961,95 ff., 107 ff. und bes. 113 ff. 86

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einfach Gotteserkenntnis89, und die kirchlichen Glaubensartikel oder Grundartikel, die diese akademische Theologie vorzutragen hat, sind nicht identisch mit den Grundartikeln des christlichen Glaubens, da sie vielmehr nur für eine bestimmte Konfessionskirche spezifisch sind90. Für die konfes­ sionellen Unterschiede der Theologie hat Semler den von Christoph Mat­ thäus Pfaff (1719) entwickelten Gedanken einer Pluralität von „Lehrarten“ auf dem Boden einer und derselben Religion zur Anwendung gebracht91. Da die kirchlichen Grundartikel und „Lehrbegriffe“ von den gemeinsamen Grundartikeln des christlichen Glaubens und von diesem selbst sowie auch von den biblischen Lehren ganz verschieden sind, verwundert es nicht, daß nach Semler „Theologie nur für Lehrer und Gelehrte gehört“ im Gegensatz zur Allgemeinheit des christlichen Glaubens92. Doch läßt sich bei den Lehr­ begriffen der verschiedenen Kirchen davon absehen, daß sie beanspruchen, den Inhalt des christlichen Glaubens als solchen zu formulieren? Die bloße Reflexion auf die Pluralität der „Lehrarten“ kann den Streit zwischen ihnen noch nicht beilegen, da es bei den gegensätzlichen Lehrarten um den Inhalt des christlichen Glaubens selbst und um seine Wahrheit geht. Semlers Ver­ hältnisbestimmung von Theologie und Religion ist denn auch nur mit der Modifikation wirksam geworden, daß die Theologie zwar den Lehrbegriff einer bestimmten Kirchenlehre darzustellen hat, aber mit dem Anspruch, dadurch den Inhalt des christlichen Glaubens als solchen zur Darstellung zu bringen. So hat Karl Gottlieb Bretschneider in seinem „Handbuch der Dog­ matik“ (zuerst 1814), dessen Prolegomena ebenfalls mit dem Religions­ begriff einsetzen und im Zusammenhang damit den Theologiebegriff erör­ tern, der Dogmatik die Aufgabe zugewiesen, die öffentliche „Religionsleh­ re“ einer Konfessionskirche darzustellen: Ihre Quellen sind also nicht die bi­ blischen Schriften, sondern die Bekenntnisschriften der betreffenden Kirche93. Die heilige Schrift ist, wie Bretschneider ausdrücklich sagt, „nicht 89 Ihr steht näher die über Religion „raisonnierende“ Privattheologie, „wozu jeder denkende Mensch ein wirkliches Recht hat“, und zwar aus einem „Gesichtspunct, der bey allen denken­ den Menschen verschieden und ihr eigentümlicher ist“ (a. a. O. 181). Vgl. die Ausführungen von T. Rendtorff: Kirche und Theologie. Die systematische Funktion des Kirchenbegriffs in der neueren Theologie, 1966, 36 ff. 90 Semler a. a. O. 196 ff., bes. 200 f., auch 204. Vgl. die Relativierung des Begriffs articuli fun­ damentales schon bei Chr. Matth. Pfaff, Institutiones theologiae dogmaticae et moralis, Tübin­ gen 1719, 32 (Prol. art. 2 §7.1): Articuli fundamentales non sunt iidem ómnibus sed pro varia re­ velationis mensura oeconomiarumque divinarum ratione, pro varia et hominum capacítate ani­ mique dispositione varia varii singulis sunt. 91 Ebd. 184, 204 u. ö., vgl. auch den Ausdruck „Vorstellungsarten“ 179, 202 u. ö. Zu Pfaff sie­ he E. Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie II, 1931,336 ff., bes. 350. 92 Semler a. a. O. 192. 93 K. G. Bretschneider: Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche I, Aufl. 1828,16 (§ 5 a Ende) und 24 f. (§ 7). Bretschneider bezieht sich ausdrücklich auf Semler, mit dem „ein neuer Abschnitt in der Behandlung der Dogmatik unsrer Kirche“ begonnen habe (§12 S. 70).

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Quelle der kirchlichen Dogmatik, sondern vielmehr Prinzip ihrer Kritik“94. An die Darstellung der Kirchenlehre muß sich nämlich ein kritischer Teil an­ schließen, der die Kirchenlehre gemäß dem Anspruch der Bekenntnis­ schriften selber an der Schrift prüft, ferner aber auch auf ihre innere Kohä­ renz und auf ihr Verhältnis zu den Vernunftwahrheiten untersucht. Bret­ schneider fordert daher eine dreifache Prüfung des kirchlichen Lehrsystems durch dogmatische, historische und philosophische Kritik95. Im Unterschied zu Semler soll die Dogmatik nach Bretschneider also durchaus ermitteln, ob „das dogmatische System der Kirche Grund und Wahrheit habe“96. Damit ist Semlers scharfe Trennung zwischen der Partikularität der Kirchenlehre und der Allgemeinheit des christlichen Glaubens wieder aufgehoben, aber das Kriterium für ein Urteil über die Wahrheit der Kirchenlehre nicht ein­ deutig bestimmt. Eine Prüfung auch der Schriftautorität selbst durch die Vernunft wird nämlich zwar zugestanden, beschränkt sich aber im Prinzip auf die allgemeinen Fragen der Glaubwürdigkeit der Schrift und ihrer Ver­ fasser, wie sie schon von Sozinianern und Arminianern erörtert und von der altprotestantischen Dogmatik als nur für eine fides humana, nicht aber für die Überzeugung von der göttlichen Autorität der Schrift zureichend beur­ teilt worden waren97. An dieser Stelle nun hat Schleiermacher bahnbrechend gewirkt, indem er die Orientierung am Religionsbegriff mit dem Kriterium der subjektiven Erfahrung verband. Seine Glaubenslehre teilte die methodische Grundle­ gung der Dogmatik im Begriff der Religion oder (wie es bei Schleiermacher heißt) der Frömmigkeit, wobei das Christentum als eine besondere Ausprä­ gung der allgemeinen Religionsthematik dargestellt wird. Schleiermacher stimmte weiterhin mit der auf Semler zurückgehenden Betrachtungsweise darin überein, daß er den Gegenstand der Dogmatik in der „in einer christli­ chen Kirchengesellschaft zu einer gegebenen Zeit geltenden Lehre“ erblick­ te98. Aber er unterschied nicht so wie Semler zwischen öffentlicher und pri­ vater Theologie, verband beide allerdings auch nicht dadurch, daß er der Darstellung des kirchlichen Lehrbegriffs wie Bretschneider u. a. eine kriti­ sche Reflexion mit Prüfung an der Schrift und an den Maßstäben der Ver­ nunft hätte folgen lassen99. Vielmehr verknüpfte er öffentliche und private Theologie dadurch, daß er die christlichen Glaubenssätze selber als Aus­ 94

Ebd. 26. Ebd. 61 ff. (§11), vgl. zur Prüfung an der Schrift 62 f. 96 A. a. O. 61. 97 Ebd. 146–253. Interessant sind die skeptischen Ausführungen Bretschneiders zum testi­ monium internum des Heiligen Geistes 205 f. 98 F. Schleiermacher: Der christliche Glaube (1821) 2. Ausg. 1830, § 19, vgl. Kurze Darstel­ lung des theologischen Studiums 1811, 56 § 3 (= Schleiermachers kurze Darstellung des theolo­ gischen Studiums, Krit. Ausg. von H. Scholz, Leipzig 1935, 74). 99 Vgl. Schleiermachers Bemerkung gegen einen „nur… kritischen Gebrauch der Schrift“ in der Dogmatik: Der christliche Glaube, 2. Ausg. 1830, § 131,2. 95

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druck der „christlich frommen Gemüthszustände“ in der Form der Rede begriff100, so daß auch die Dogmatik als Ausdruck der religiösen Subjektivi­ tät des Theologen aufgefaßt werden konnte, weil sie gerade darin dem Ur­ sprung der christlichen Glaubenssätze entspricht. Die Auffassung der Glaubenssätze und der Dogmatik als Ausdruck „frommer Gemüthszustän­ de“ macht verständlich, daß Schleiermacher die orthodoxe Unterscheidung von Glaubenshabitus und theologischer Erkenntnis mit der damit verbunde­ nen Möglichkeit einer theologia irregenitorum – die ja nicht eine Vorliebe für den Unglauben, sondern den Primat des Gegenstandes der Dogmatik gegen­ über der frommen Subjektivität ausdrückte – entschieden ablehnte, anderer­ seits aber von der Darstellung der Dogmatik eine Verbindung von Orthodo­ xie und Heterodoxie forderte101. Diese Verbindung sollte nicht nur der individuellen Variation des kirchlichen Glaubensbewußtseins Raum geben, sondern zugleich auch dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, daß der kirchli­ che Lehrbegriff sich im Prozeß einer noch nicht abgeschlossenen, lebendigen Entwicklung befindet. Damit war Semlers Dualismus von öffentlicher und privater Theologie nun wirklich aufgehoben. Andererseits wurde die Frage nach der Wahrheit der kirchlichen Lehre, die sich bei Bretschneider in der Forderung nach ihrer logischen, biblischen und philosophischen Prüfung meldete, wieder zurückgedrängt in die Voraussetzung der dogmatischen Darstellung im Glaubensbewußtsein: Obwohl Schleiermacher faktisch eine sehr einschneidende Revision der Kirchenlehre vortrug, suchte er die metho­ dische Grundlage dafür nicht in einer Prüfung ihres Wahrheitsanspruches, sondern berief sich dafür lediglich auf das Recht zur abweichenden, „eigent­ hümlichen“ Formulierung des Glaubensgehaltes, sofern diese „mit dem Geist der evangelischen Kirche besser zusammenstimmt als der Buchstabe der Bekenntnisschriften“, so daß deren Formulierung in solchen Fällen als „antiquirt“ gelten kann102. Kriterium dafür ist auch nicht etwa der Schrift­ buchstabe; denn sogar beim Typus einer schriftgemäßen Dogmatik darf nach Schleiermacher „nicht etwa das anerkannt gemeinsam protestantische dem was in der Schrift nur lokal und temporär ist, oder gar einer abweichenden Schriftauslegung aufgeopfert“ werden103. Kriterium der dogmatischen Dar­ stellung ist also für Schleiermacher allein das Glaubensbewußtsein, als des­ sen Ausdruck die Kirchenlehre zu deuten ist. In dieser Voraussetzung ist die 100

Ebd. §15. Ebd. §19,1 und §25 Zusatz (sowie schon §19,3), vgl. auch Kurze Darstellung (1811) 58 f.,§ 10–16 (H. Scholz 78 f.). 102 Der christliche Glaube, 1830, § 25, Zusatz. 103 Ebd. § 27,4. Vgl. dazu auch § 128,3, wo Schleiermacher bemerkt, er habe „bei der ganzen bisherigen Entwicklung des Glaubens nur diesen selbst als in einem erlösungsbedürftigen Ge­ müth, vermittelst welcher Kunde es auch sei entstanden, vorausgesetzt, die Schrift aber nur als denselben Glauben aussagend einzeln angeführt“; es dürfe nicht der Anschein entstehen, „eine Lehre solle deshalb zum Christenthum gehören, weil sie in der Schrift enthalten ist, da sie doch vielmehr nur deshalb in der Schrift enthalten ist, weil sie zum Christenthum gehört“. 101

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Wahrheitsfrage immer schon vorentschieden, und zwar in ähnlicher Weise wie das bei der Inspirationslehre der altprotestantischen Dogmatik der Fall gewesen war. Nur ist bei Schleiermacher das subjektive Glaubensbewußt­ sein, das als solches mit dem einer Glaubensgemeinschaft verbunden ist, des­ sen individuelle Artikulation es darstellt, an die Stelle des Schriftprinzips ge­ treten. Schleiermachers Neubestimmung des subjektiven Glaubens als Grundlage der Dogmatik hat den pietistischen Glaubenssubjektivismus, die Beziehung auf die kirchliche Gemeinschaft und auf ihre Lehrtradition sowie den Ge­ sichtspunkt der Individualität als Prinzip einer kritischen Aneignung der Überlieferung zu einer Einheit verbunden. Er schien damit zugleich der Theologie den Zugang zu einer gegenüber den kritischen Fragen nach der Wahrheit der Schriftzeugnisse wie der überlieferten Kirchenlehre selbständi­ gen Gewißheitsgrundlage zu erschließen. Daraus erklärt sich wohl die breite Wirkung seiner Auffassung der Dogmatik als Ausdruck und Darstellung des Glaubensbewußtseins im weitern Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts trotz des in ihr besiegelten Bruches mit der altprotestantischen, vom Schriftprin­ zip her begründeten Auffassung der Theologie. Natürlich hat es an Vermitt­ lungsversuchen nicht gefehlt. Die Erweckungstheologie, besonders Julius Müller, und die spätere Greifswalder und Hallenser Bibeltheologie Martin Kählers versuchten, Glaubensprinzip und Schriftautorität wieder enger auf­ einander zu beziehen. Aber dabei blieb doch die subjektive Glaubenserfah­ rung nun das Grundlegende104. Auch die lutherische Theologie der Erlanger Schule suchte die Glaubenserfahrung, die Kirchenlehre und deren Grund in Schrift und Heilsgeschichte enger als Schleiermacher miteinander zu verbin­ den, setzte dabei aber die Glaubenserfahrung als Basis voraus105. Nach Isaak August Dorner ist „die christliche Erfahrung oder der christliche Glaube“ sogar die „Erkenntnisquelle“ der Dogmatik wie der Ethik106, und dement­ 104 Nach J. Müller ist der Glaube „die Quelle, aus welcher alles Wissen von dem Gegenstän­ de der Religion fließt“ (Dogmatische Abhandlungen, 1870, 34). Die Frage nach einem den subjektiven Glaubensakt allererst begründenden Wissen scheidet damit aus. Auch die Schrift­ autorität darf nach Müller nicht so verstanden werden. Sie wäre dann, wie es nun heißt, „auch nur eine gesetzliche Autorität“ (ebd. 44). Entsprechend heißt es später bei M. Kähler: „Die theo­ logische Voraussetzung ist der Glaube“, und zwar als Voraussetzung und Bestätigung einer Er­ kenntnis, „welche sich mittels der Selbstbeobachtung auf das Übergeschichtliche richtet“ (Die Wissenschaft der christlichen Lehre, 1883, 2. Aufl. 1893, 15 f.). Vgl. zur Auffassung Kählers die Ausführungen von J. Wirsching: Gott in der Geschichte. Studien zur theologiegeschichtlichen Stellung und systematischen Grundlegung der Theologie Martin Kählers, 1963, 57 ff. 67 ff. 105 So exemplarisch und in theoretisch anspruchsvoller Form F.H.R. v.Frank: System der christlichen Gewißheit I, Erlangen 1870, 277 f. (§31) und 283 ff. (§32), sowie schon 114 ff. (§17). Die Grundlagen der Argumentation Franks sind ausführlich analysiert worden von FL Edel­ mann: Subjektivität und Erfahrung. Der Ansatz der theologischen Systembildung von Franz Hermann Reinhold v.Frank im Zusammenhang des „Erlanger Kreises“, Diss. München 1980. 106 LA. Dorner: System der Christlichen Glaubenslehre I (1879) 2. Aufl. 1886, § 1. Dorner

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sprechend gestaltete er die Prolegomena zur Dogmatik zu einer Lehre vom Glauben (Pisteologie) um. Dabei suchte Dorner die historische Vermittlung, die zum Glauben führt, im Glaubensbegriff selber zur Geltung zu bringen, fand dann allerdings doch in der Bekehrungserfahrung die eigentlich religiö­ se Gewißheitsgrundlage, von der dann die „wissenschaftliche Gewißheit von der Wahrheit des Christenthums“ noch einmal zu unterscheiden sei107. Die Begründung der Theologie und besonders der Dogmatik auf eine vor­ gängige Glaubensgewißheit oder Glaubenserfahrung findet sich auch bei au­ ßerhalb des Einflusses der Erweckungsfrömmigkeit stehenden Theologen des 19. Jahrhunderts, so vor allem bei Albrecht Ritschl. In der Einleitung zu seiner Dogmatik im dritten Band von „Rechtfertigung und Versöhnung“ entwickelte Ritschl die These, man könne „den vollen Umfang“ der ge­ schichtlichen Wirksamkeit Jesu „nur aus dem Glauben der christlichen Ge­ meinde an ihn erreichen“, und daher müsse jeder Bestandteil der christlichen Lehre „aus dem Standpunkt der erlösten Gemeinde Christi“ aufgefaßt und beurteilt werden. Ritschl bekannte sich dabei ausdrücklich zu Speners Anlie­ gen bei der Forderung nach einer theologia regenitorum108. Auf dem Boden dieses Ansatzes konnte die von Wilhelm Herrmann 1892 gestellte Frage nach dem geschichtlichen Christus als Grund des Glaubens nicht in ihrer vollen Radikalität durchgehalten werden, weil sich herausstellte, daß der Glaube hier immer schon Voraussetzung der Argumentation ist109. Dabei blieb es auch über den Umbruch zur dialektischen Theologie hinweg bei Herrmanns Schülern Karl Barth und Rudolf Bultmann. So schrieb Bultmann 1929 von der christlichen Lehre, daß sie „mein implizites Daseinsverständnis explizit macht“, und ganz entsprechend heißt es 1953 in Bultmanns Theologie des Neuen Testaments, Theologie habe „Entfaltung der im Glauben enthaltenen Erkenntnis“ zu sein110. Daß diese Auffassung von Theologie nicht selbstver­ ständlich ist, hat Karl Barth 1927 sichtbar gemacht, indem er der seit Schlei­ ermacher üblichen Begründung der Dogmatik auf den Glauben die Forde­ rung nach ihrer Begründung auf die Selbstevidenz des Wortes Gottes gegen­ überstellte111. Er forderte dementsprechend, „die Selbstgewißheit des Men­ schen von der Gottesgewißheit aus zu verstehen und nicht umgekehrt“, betrachtet es als bleibende Leistung Schleiermachers, daß „die christliche Erfahrung als die Vor­ aussetzung für alle dogmatischen Aussagen anerkannt ist“ (ebd. 4). 107 Ebd. § 12,146 ff. vgl. § 11, 4 f., 139 ff. 108 A. Ritschl: Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung III (1874), 3. Aufl. 1888, 3 und 5, sowie 7 f. 109 Vgl. W. Greive: Der Grund des Glaubens. Die Christologie Wilhelm Herrmanns, 1976. 110 R. Bultmann: Kirche und Lehre im Neuen Testament, in: Glauben und Verstehen 1,1933, 157; Theologie des Neuen Testaments, 1953,475, vgl. 578 f. 111 K. Barth: Die christliche Dogmatik im Entwurf, 1927, §7, 83 ff. Bei dieser Gegen­ überstellung geht es zunächst um den Gegenstand der Dogmatik, darin aber zugleich um deren Begründung, nämlich um „die Art“, wie das Wort Gottes „für uns Wirklichkeit ist oder wie es sich für uns als Wirklichkeit zu erkennen gibt“ (83).

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sprach allerdings andererseits von dem „Wagnis, mit der Wirklichkeit des Wortes Gottes zu rechnen“, und bekannte sich dazu, daß es sich bei einem solchen Wagnis logisch um „die Form einer regelrechten petitio principii“ handle112. Doch wird bei solchem Vorgehen nicht das menschliche „Wagnis“ eben doch zum Ausgangspunkt dafür, so „mit der Wirklichkeit des Wortes Gottes zu rechnen“? Hat darum nicht auch Barth selbst noch einmal die Dogmatik de facto auf den Glauben begründet, wenn auch nicht auf den Glauben als „Erfahrung“, so doch als „Wagnis“? In der Kirchlichen Dogma­ tik heißt es 1932 dann auch ausdrücklich, die Dogmatik setze „den christli­ chen Glauben voraus“, sie sei selber „Glaubensakt“113. Ist Barth damit in dieser Frage nun wieder eingeschwenkt auf die 1927 kritisierte, von Schleier­ macher ausgehende Begründung der Theologie auf den Glauben? Die Auf­ fassung der Dogmatik als „Glaubensakt“ wird 1932 damit begründet, daß es (nicht der isolierte einzelne, sondern) die Kirche sei, die Dogmatik treibt. Damit soll offenbar das Problem umgangen werden, das in der Formel von 1927 lag, wonach die Dogmatik mit einem Akt des Wagnisses, mit einer peti­ tio principii, beginnt. Aber steckt dieses Problem nicht immer noch in der unvermeidlichen Frage nach der Begründung des Glaubensaktes und der Glaubensvoraussetzung, die nun auch nach Barth am Anfang der Dogmatik steht? Barth wollte an der doppelten Annahme festhalten, daß die Wirklich­ keit Gottes und seines Wortes einerseits dem Glauben vorausgeht und ande­ rerseits für die Dogmatik von vornherein feststeht. Letzteres konnte jedoch nur durch den Begriff eines Glaubensaktes eingeführt werden, und die un­ vermeidliche Folge war, daß die von Barth intendierte Priorität Gottes und seines Wortes vor dem Glaubensakt nun nicht mehr unzweideutig themati­ siert werden konnte. Wäre es vielleicht notwendig, auf die Annahme zu ver­ zichten, daß die Wirklichkeit Gottes in der Dogmatik von vornherein als Voraussetzung feststeht, wenn man mit Barth an der Priorität Gottes vor dem Glaubensakt und vor der Glaubenserfahrung festhalten will? Das theologisch Problematische an der neuprotestantischen Begründung der Dogmatik auf den Glauben statt auf das Wort Gottes ist von Barth 1927 treffend und scharf charakterisiert worden: „…der Sinn und die Möglich­ keit, der Gegenstand der Dogmatik, ist nicht der christliche Glaube, sondern das Wort Gottes. Denn das Wort Gottes ist nicht im christlichen Glauben, sondern der christliche Glaube ist im Wort Gottes begründet und enthalten. Das ist aber – wie stark man auf der Gegenseite immer von dem sogenannten Objektgehalt des Glaubens reden mag – zweierlei, und Verfälschung über 112

Ebd. 108, sowie 105 und 106. Kirchliche Dogmatik 1/1,1932,16. Diese Aussage wird nun damit begründet, daß es nicht der isolierte einzelne, sondern die Kirche ist, die Dogmatik treibt. Damit soll offenbar das Pro­ blem umgangen werden, das in der Formulierung von 1927 lag, derzufolge das „Wagnis“, die „petitio principii“, mit der Wirklichkeit des Wortes Gottes zu rechnen, am Anfang der Dogma­ tik steht (s. vorige Anm.). 113

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Verfälschung auf der ganzen Linie und in allen Punkten ist die notwendige Folge, wenn man dieses Verhältnis umkehrt.“114 Barths Worte lesen sich wie ein Echo der Kritik Valentin Loeschers an der pietistischen Bindung der Möglichkeit von Theologie an das gläubige Subjekt. Die Geschichte der neu­ protestantischen Theologie hat im großen und ganzen diese Kritik bestätigt, die von Barth (wie vor ihm schon von Erich Schäder) auf den Begriff einer falschen, weil im Widerspruch zu den Implikationen ernsthaften Redens von Gott stehenden Anthropozentrik gebracht worden ist. Die Richtigkeit dieser Diagnose ermöglicht freilich nicht eine Rückkehr zum Ansatz der alt­ protestantischen Dogmatik. Die altprotestantische Auffassung von der Schriftinspiration läßt sich nicht wieder herstellen. Das hat auch Barth gese­ hen und die altprotestantische Form der Auffassung vom Primat des Wortes Gottes durch seine Lehre von drei Gestalten des Wortes in Verkündigung, Schrift und Offenbarung ersetzt. Aber der Ausgangspunkt dieser Neubil­ dung blieb, wie gesagt, mit den Reflexionen über Wagnis, Mut und petitio principii selber noch dem Glaubenssubjektivismus verhaftet, von dem Barth sich lösen wollte. Durch die Berufung auf die Kirche als Subjekt der Dogma­ tik ist dieses Problem 1932 eben doch mehr verdeckt als geklärt worden; denn der Begriff der Kirche – sofern es sich dabei nicht nur um das als sol­ ches unverbindliche Phänomen einer Religionsgemeinschaft unter anderen handelt – muß selbst erst im Gang der Dogmatik entwickelt werden. Wer sich dem Glaubenssubjektivismus der neuprotestantischen Begründung der Dogmatik entzieht und in neuer Gestalt den Primat des Wortes Gottes für die Theologie erneuern will, der muß sich zunächst Rechenschaft geben über die Gründe, die seit der Wende des 18. Jahrhunderts zu jenem Paradig­ menwechsel in der Begründung der Dogmatik geführt haben, der mit Schlei­ ermacher eingetreten ist. Barth hat das auf seine Weise auch getan, indem er in seiner Theologiegeschichte die anthropozentrische Wendung der neueren Theologie in den Zusammenhang der in der Kultur- und Gesellschaftsge­ schichte des 18. Jahrhunderts ganz allgemein erkennbaren Anthropozentrik gerückt hat. An dieser Darstellung kann allenfalls die dem Vorgang von Barth gegebene Bewertung und die ihm unterstellte Motivation als Aufstand des Menschen gegen Gott strittig sein. Der Sachverhalt als solcher ist unstrit­ tig, auch wenn er durch die aus der Ausweglosigkeit der konfessionellen Ge­ gensätze im nachreformatorischen Zeitalter und insbesondere aus dem kon­ fessionellen Patt am Ende der Religionskriege des 17. Jahrhunderts resul­ tierenden Zwänge erklärt werden muß. Aber der Paradigmenwechsel in der Grundlegung der Theologie bzw. der Dogmatik läßt sich doch nicht allein und primär als Funktion der allgemeinen kulturellen Veränderungen begrei­ fen: Eine solche Auffassung würde die religionskritische Auffassung der Re­ ligion als eines Epiphänomens und als eines bloßen Echos anderweitiger 114

Die christliche Dogmatik im Entwurf, 1927, 87.

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Prozesse voraussetzen. Der theologische Paradigmenwechsel hat seine Gründe in der Entwicklung der theologischen Diskussion selber, genauer in der Auflösung der Glaubwürdigkeit des in der Inspirationslehre formulier­ ten altprotestantischen Schriftprinzips. Dabei wurde, sieht man genau zu, nicht die Begründung der christlichen Theologie auf die Schrift als Norm ih­ res Inhalts unhaltbar, wohl aber der Versuch, durch die Vorstellung der Ver­ balinspiration die göttliche Wahrheit der Schrift in allen ihren Teilen als Vor­ aussetzung zu etablieren, die im Gang der theologischen (bzw. der dogmati­ schen) Diskussion dann nicht mehr zur Debatte stehen durfte. Diese Vor­ aussetzung war gegenüber den neuen naturwissenschaftlichen, historischen und geographischen Erkenntnissen auf die Dauer nicht zu halten, und der Akkommodationsgedanke, der zur Verteidigung der Annahme vom göttli­ chen Ursprung jedes einzelnen Schriftwortes eingeführt worden war, führte mehr und mehr zu ihrer Aushöhlung. Nun war es im Prinzip denkbar, die Schrift als historisches Dokument des ursprünglich Christlichen und – trotz aller historischen Relativität ihres In­ halts – in diesem Sinne auch als bleibenden Maßstab der Identität des christ­ lichen Glaubens aufzufassen. In diese Richtung ging in der Tat die Unter­ scheidung zwischen Schrift und Wort Gottes, die sich seit Semler zuneh­ mend durchgesetzt hat. Die Frage war nur, wie das Wort Gottes aus der hi­ storisch zu verstehenden Schrift erhoben werden sollte und welches Kriterium dafür maßgebend sein sollte. An dieser Stelle wurde schon bei Semler und besonders dann bei Schleiermacher die subjektivistische Auffas­ sung des testimonium internum des Heiligen Geistes bzw. die Berufung auf die Glaubenserfahrung wirksam. Die in der neuen Konstellation von diesem Gedanken ausgehende Verführung bestand darin, daß er die Wiederherstel­ lung der vorgängigen Garantie aller Inhalte des christlichen Glaubens und der christlichen Lehre zu versprechen schien: War sie früher mit der ortho­ doxen Inspirationslehre verbunden gewesen, so wurde sie jetzt in der Sub­ jektivität der Erfahrung verankert. Dabei war das Geltendmachen der Erfahrung gegenüber dem Objektivis­ mus und Autoritarismus der alten Inspirationslehre nicht an sich verfehlt. In der Tat können wir als wahr nur gelten lassen und uns zu eigen machen, was sich unserer Erfahrung bewährt. Problematisch war eher schon die Tendenz zur Einengung des Erfahrungsprinzips unter dem Einfluß von Pietismus und Erweckung auf eine ganz bestimmte Erfahrung, nämlich auf die Bekeh­ rungserfahrung. Vor allem aber hat es sich als verhängnisvoll erwiesen, durch Berufung auf solche Erfahrung nochmals, wie seinerzeit mit Hilfe der Inspi­ rationslehre, die Wahrheit der christlichen Lehre vor aller Einzelerörterung ihrer Themen durch eine vorgängige Garantieinstanz sichern zu wollen. An diesem Versuch war schon die altprotestantische Schriftlehre gescheitert, und an ihm mußte auch die neuprotestantische Begründung der christlichen Lehre auf die ihre Wahrheit für den Glaubenden vorweg garantierende

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Subjektivität des Glaubensaktes scheitern. Sie ist leider nicht gescheitert an dem theologischen Protest dagegen, daß solches Verfahren mit der Sou­ veränität der Wahrheit Gottes nicht vereinbar ist. Das Beispiel Karl Barths zeigt die tragische Verwicklung der Theologie an dieser Stelle: Solange man daran festhält, die Wahrheit des christlichen Glaubens aller Erwägung seiner Inhalte vorweg sicherzustellen, bleibt nach der Abkehr von einer unfehlba­ ren Lehrautorität kirchlicher Amtsträger und nach dem Zerfall der altprote­ stantischen Inspirationslehre kaum ein anderer Weg dazu als die Berufung auf den Glaubensakt, sei es als Erfahrung oder als „Wagnis“. Die Einsicht in die Unhaltbarkeit dieses Versuches zur Selbstsicherung des christlichen Wahrheitsbewußtseins wird der evangelischen Theologie wie einst bei der Inspirationslehre, so auch heute von außen aufgezwungen: durch die Unver­ einbarkeit solcher Argumentation mit dem Erfahrungskriterium selber. Die einzelne Erfahrung vermittelt nirgends absolute, unbedingte Gewißheit, sondern allenfalls eine Gewißheit, die der Klärung und Bestätigung im Fort­ gang von Erfahrung bedarf. Zwar wird schon in solcher subjektiven Gewiß­ heit die Gegenwart der Wahrheit und ihrer Unbedingtheit erfahren, aber nur im Vorgriff auf ihre Bestätigung und Bewährung im Fortgang des Erfah­ rungsprozesses. Solche Bedingtheit aller subjektiven Gewißheit gehört zur Endlichkeit menschlicher Erfahrung. Die Behauptung unbedingter Gewiß­ heit unabhängig von aller weiteren Prüfung und Bewährung ist nur als Ge­ waltsamkeit eines subjektiven Engagements möglich, in welchem das glau­ bende Ich sich selber als den Ort der absoluten Wahrheit etabliert. Dieses Phänomen ist nicht zu Unrecht als Spielart eines irrationalen Fanatismus identifiziert worden, wie er nicht nur unter Christen vorkommt. Derartige Erscheinungen können nicht mehr rational, sondern nur noch psychologisch aufgeklärt werden. Daher liefert der Glaubenssubjektivismus, die „Flucht ins Engagement“115, den christlichen Glauben faktisch der atheistischen Re­ ligionspsychologie aus, die das Bedürfnis des Glaubens angesichts seiner Ir­ rationalität auf seine weltlichen Wurzeln zurückführt. Auch diesen Zusam­ menhang hat Barth scharf und treffend erkannt, und die Treffsicherheit sei­ ner Einsicht wird um nichts gemindert dadurch, daß noch Barth selber das christliche Wahrheitsbewußtsein nicht aus der Sackgasse des Glaubenssub­ jektivismus und seiner Verfallenheit an die atheistische Religionskritik her­ auszuführen vermochte. Was bedeutet es nun aber für das christliche Glaubensbewußtsein und für die Dogmatik, auf eine vorgängige Sicherstellung ihres Wahrheitsbe­ wußtseins zu verzichten? Damit soll jedenfalls nicht auf den Wahrheitsan­ 115 Dies der Titel der deutschen Übersetzung (1962) des Buches von W. W. Bartley: The Re­ treat to Commitment, 1961, das unter diesem Gesichtspunkt eine scharfsinnige Diagnose der Si­ tuation der protestantischen Theologie um die Mitte des 20. Jahrhunderts gibt. Vgl. dazu vom Vf.: Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, 45 ff.

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spruch der christlichen Lehre selber verzichtet werden. Es geht vielmehr ge­ rade darum, diesen Anspruch zum Thema zu erheben.

5. Die Wahrheit der christlichen Lehre als Thema systematischer Theologie Die christliche Dogmatik hat gerade auch in ihrer neueren Geschichte die Wahrheit der christlichen Lehre formell mehr als Voraussetzung hingestellt denn zum Thema ihrer Untersuchung erklärt. Auf seiten der protestanti­ schen Dogmatik hat dieser Sachverhalt seinen Ausdruck in der Entwicklung der dogmatischen Prolegomena seit dem 16. Jahrhundert gefunden. In der ei­ nen oder anderen Weise wurde hier mit der Entscheidung über Quelle oder Prinzip der christlichen Lehre auch die Frage nach ihrer Wahrheit schon vorweg entschieden, bevor es zur Erörterung der Einzelthemen der Dogma­ tik kam. Bei diesen war nur noch zu fragen, ob und wie sie jener Quelle zu entnehmen sind. Die Frage nach der „Wahrheit der christlichen Religion“ als Thema aufzuwerfen, blieb der Apologetik überlassen. Die Dogmatik be­ schäftigte sich, von Ausnahmen abgesehen, nur mit ihrem Inhalt. Analog hat sich in der katholischen Theologie die Unterscheidung zwischen Fundamentaltheologie und Dogmatik entwickelt. Hatte die erstere die Glaubwürdigkeit der christlichen Offenbarung zu erhärten, so die zweite ih­ ren Inhalt zu entfalten. Aber ist eine derartige Trennung der Aufgaben in der Sache berechtigt? Muß sich nicht mit der Darstellung des Inhalts der christlichen Lehre notwendig die Frage nach ihrer Wahrheit und ihrem wah­ ren Sinn verbinden, wenn diese Lehre nicht nur als Inventar eines histori­ schen Raritätenkabinetts, sondern als göttliche Offenbarung vorgetragen wird? Tatsächlich hat es denn auch nirgends eine vollständige Trennung von dogmatischer Darstellung und Wahrheitsfrage gegeben. In aller Regel wurde von der Dogmatik erwartet, daß sie den von ihr entfalteten Lehrinhalt auch argumentativ vertritt und als wahr erhärtet. Schon durch die systematische Form der Darstellung hat die Dogmatik diese Aufgabe faktisch immer wahr­ genommen (s. o. Abschn.3), in Verbindung mit der im Gottesgedanken be­ gründeten Universalität ihres Inhalts, der die Wirklichkeit der Welt von der Schöpfung bis zur eschatologischen Vollendung umfaßt. Indem die Einheit von Schöpfung und Heilsgeschichte auch angesichts von Sünde und Übel in der Welt zur Darstellung kommt, wird faktisch zugleich die Einheit Gottes als des Schöpfers, Versöhners und Erlösers der Welt und damit auch die Wahrheit Gottes, seine Gottheit, bekräftigt. Umgekehrt wird alles einzelne in der Dogmatik, indem es auf Gottes Handeln bezogen wird, zugleich auch auf die Welt im ganzen bezogen. Das

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läßt sich besonders an der Christologie zeigen116. Es gilt aber nicht minder für die Beziehung aller sonstigen Einzelthemen auf Jesus Christus und den in ihm erschienenen göttlichen Logos. Die Universalität des dogmatischen Themas, die im Gottesgedanken begründet ist und ihren Ausdruck in der umfassenden gedanklichen Systematik der dogmatischen Darstellung findet, hat also zweifellos etwas mit dem Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre und mit seiner Wahrnehmung durch die Dogmatik zu tun. Dazu gehört fer­ ner auch das Hineinziehen des außertheologischen Wissens über Mensch, Welt und Geschichte, insbesondere der ihrerseits schon auf die Frage nach der Wirklichkeit im ganzen bezogenen Aussagen der Philosophie zu diesen Themen, in die dogmatische Darstellung von Welt, Mensch und Geschichte im Lichte der Christusoffenbarung: Auch dabei geht es um die universale Kohärenz und folglich um die Wahrheit der christlichen Lehre. Was bedeu­ tet es dann aber noch, daß die Dogmatik zumeist nicht formell die Wahrheit der christlichen Lehre thematisiert, sondern sie voraussetzt? Es bedeutet, daß der Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre nicht ausdrücklich und jedenfalls nicht systematisch in seiner Problematik erörtert, sondern vorwie­ gend affirmativ wahrgenommen wird. In diesem Verfahren steckt ein Motiv, das mit der theozentrischen Orientierung der Dogmatik zusammenhängt und deshalb auch in der vorliegenden Darstellung aufgenommen werden muß: Welt, Mensch und Geschichte werden in ihrer positiven Bestimmtheit von Gott her thematisiert. Das ist durch die Eigenart des Gottesgedankens selbst vorgezeichnet. Aber es schließt nicht aus, daß auch die Infragestellung der christlichen Offenbarung und der Wirklichkeit Gottes selbst durch die „Welt“ in der Dogmatik mitbedacht wird. Daß die Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung in der Welt strittig ist, das gehört mit zur Wirklichkeit der Welt, die in der Dogmatik als die Welt Gottes gedacht werden soll. Die Behauptungen der christlichen Lehre erreichen die Weltwirklichkeit nicht, bleiben über ihr schweben und damit unwahr, wenn sie die Problematisie­ rung der Wirklichkeit Gottes von der Welt her, ihre Bestreitung und die Ab­ wendung von ihr nicht in sich aufnehmen als Infragestellung des eigenen, christlichen Wahrheitsbewußtseins. Sogar noch die Strittigkeit der Wirklich­ keit Gottes in der Welt muß in Gott begründet sein, wenn er der Schöpfer dieser Welt sein soll. Darum darf die Darstellung der christlichen Lehre nicht von der Voraussetzung ihrer Wahrheit ausgehen, sondern muß sich – auch in ihrem Selbstverständnis (denn faktisch tut sie es ohnehin) – der Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung in der Welt stellen. Es ist sicherlich richtig, daß die christliche Theologie nicht vorausset­ zungslos sein kann. So arbeitet auch die Dogmatik mit vielerlei Vorausset­ zungen: An erster Stelle setzt sie die Tatsache christlicher Lehre voraus, 116 Vgl. die Ausführungen zur Universalität der dogmatischen Aussage in (Vf.): Was ist eine dogmatische Aussage?, Grundfragen systematischer Theologie I, 1967,159–180, bes. 172 f.

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damit zugleich auch die vielschichtige Realität des Christentums in seiner Geschichte, die von ihm ausgegangenen Kulturwirkungen und vor allem Verkündigung und gottesdienstliches Leben der Kirche. Vorausgesetzt ist die in der Geschichte des Christentums schon früh der Bibel zugewachsene Funktion als Bezugsgröße und Kriterium der christlichen Identität kirchli­ cher und theologischer Lehre. Das alles geht der theologischen Reflexion voraus und ist ihr als geschichtliche Realität vorgegeben einschließlich der damit verbundenen Wahrheitsansprüche. Doch nicht schon vorauszusetzen ist die göttliche Wahrheit, die die christliche Lehrüberlieferung beansprucht: Dieser Anspruch ist in der Theologie darzustellen, zu prüfen, wo möglich zu erhärten, muß aber eben darum als offen und nicht schon vorweg entschieden behandelt werden. Es macht geradezu das Interesse an der Theologie aus, daß im Gang ihres Denkens und ihrer Argumente das Recht dieses Anspruchs auf dem Spiele steht. Das subjektive Interesse des einzelnen an den Fragen der christlichen Leh­ re ist meistens schon darin verwurzelt, daß der christliche Glaube als solcher ein unveräußerliches Interesse an der Wahrheit der christlichen Botschaft und der christlichen Lehrüberlieferung hat. Der Christ, der Theologie treibt, hat sich durch den Glauben schon eingelassen auf die Wahrheit der Bot­ schaft, bevor er sich ihrer theologischen Untersuchung zuwendet. Zwar gibt es auch eine Funktion der Theologie für das Christwerden, aber die mag hier außer Betracht bleiben. Im Regelfall geht der Glaube der theologischen Re­ flexion schon voraus. Und doch wird die theologische Vergewisserung der Wahrheit der christlichen Lehre nicht einfach überflüssig durch die Gewiß­ heit des Glaubens, sondern sie hat in der Geschichte des Christentums ganz offenbar eine wichtige Funktion für diesen Glauben selber gehabt. An späte­ rer Stelle wird das noch genauer zu erörtern sein. Die persönliche Wahr­ heitsgewißheit des Glaubens bedarf immer noch fortgesetzter Bewährung durch Erfahrung und Reflexion, und dabei ist sie ihrer Natur nach offen auch für die Bewährung auf dem Felde der Argumentation, der es um die Allgemeinverbindlichkeit der geglaubten Wahrheit geht. Keine Wahrheit kann nur subjektiv sein117. Der Allgemeinheit und Allgemeingültigkeit der Wahrheit kann die subjektive Wahrheitsgewißheit nicht grundsätzlich absa­ gen, so groß die Spannungen sein mögen, die hier bestehen können: Meine Wahrheit kann nicht nur die meine sein. Wenn sie nicht zumindest grund­ sätzlich als Wahrheit für alle behauptet werden kann – obwohl das vielleicht kaum jemand sonst zu sehen vermag – dann hört sie unweigerlich auch für mich auf, Wahrheit zu sein. In der Theologie geht es um die Allgemeinheit der Offenbarungswahrheit und darin um die Wahrheit der Offenbarung und Gottes selbst. Das war im 117 Man vergleiche dazu die lehrreichen Ausführungen von W. Kamlah: Wissenschaft, Wahrheit, Existenz, 1960, 56 ff., bes. 65 und 66 f., sowie 69 ff.

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oben dargelegten Sinne schon immer der Fall, auch wenn die Theologie sich als Autoritätswissenschaft verstand oder als Selbstdarstellung eines subjekti­ ven oder gemeinschaftlichen Glaubensstandpunkts und also so verfuhr, als ob die Wahrheitsfrage schon im voraus entschieden wäre. Doch der Beitrag der Theologie für das christliche Wahrheitsbewußtsein wird durch solche Engführungen bei der Bestimmung ihrer Aufgabe erheblich beeinträchtigt. Die rationale Form theologischer Argumentation muß dann als etwas Äu­ ßerliches erscheinen, das den Kern der Sache, den Glauben, gar nicht be­ rührt. Solche Argumentation wirkt dann unernst, weil die Offenheit des Re­ sultates und das Risiko eines nur der Wahrheit verpflichteten Abwägens zu fehlen scheinen. Man hat im Hinblick darauf von „advokatorischem Den­ ken“ gesprochen118, für das die Resultate schon vorher feststehen, unabhän­ gig vom Gewicht der Argumente, so daß diese nur noch die rhetorische Funktion des Überredens haben, einer Überredung durch Erzeugen eines rationalen Scheins. Es bedarf keines besonderen Nachweises, wie sehr ein solches Bild von theologischer Argumentation zur Diskreditierung der Theologie im öffentlichen Bewußtsein beigetragen hat und weiter beiträgt – übertroffen nur noch vom Schauspiel einer „Theologie“, der sich in der Ei­ telkeit ihrer Reflexion der Gegenstand selber verflüchtigt, wie das in extre­ mer Form in der sog. „Theologie des Todes Gottes“ der Fall war. Anselm von Canterbury hat von der Theologie gefordert, daß das sub­ jektiv Geglaubte auf dem Felde theologischer Argumentation sola ratione untersucht wird, die subjektive Glaubensvoraussetzung also nicht als Aus­ gangspunkt der Argumentation geltend gemacht werden darf: Nur das Gewicht der Argumente selber zählt119. Die Ansichten über die mögliche und sachgemäße Form solcher Argumentationen und vor allem darüber, ob ihnen die zwingende Kraft logischer Notwendigkeit zugeschrieben werden kann, haben sich seit der Zeit Anselms gewandelt. Aber auch eine lediglich auf rationale Plausibilität zielende Argumentation wird unmög­ lich, wenn dafür der Glaube schon als Prämisse geltend gemacht wird. Zur rationalen Vergewisserung des Glaubens über die allgemeingültige Wahr­ heit seines Inhalts kann es nur dann kommen, wenn die Erörterung darüber in voller Offenheit geführt wird, ohne daß Versicherungen privaten Enga­ gements eingeführt werden, wo etwa die Argumente ausgehen. Gerade der Christ sollte dem Inhalt seines Glaubens so viel zutrauen, daß seine

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Eine Formulierung von Karl Jaspers. Die hier angedeutete Auffassung der theologischen Methode Anselms von Canterbury wird mit der Mehrheit der Ausleger seiner Schriften beispielsweise von F. S. Schmitt, dem Her­ ausgeber der kritischen Gesamtausgabe der Werke Anselms, vertreten (LThK 2. Aufl. 1, 1957, 592–594) im Gegensatz zu K. Barth: Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms, 1931. Vgl. auch P. Mazzarella: II pensiero speculativo di S. Anselmo d’Aosta, Padua 1962,103–169. 119

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göttliche Wahrheit aus diesem Inhalt selber einzuleuchten vermag und kei­ ner vorgängigen Sicherstellung bedarf. Wenn nun aber in der Dogmatik als zusammenhängender Darstellung der christlichen Lehre deren Wahrheit nicht schon vorausgesetzt, sondern The­ ma einer Erörterung werden soll, die ihre Strittigkeit mit einschließt, wird dann nicht die rationale Argumentation selber zur Entscheidungsinstanz für (oder gegen) die Wahrheit des Glaubens? Wird diese dann nicht abhängig von den Kriterien rationaler Urteilsbildung und damit letzten Endes vom Menschen selber als dem Subjekt seines Denkens? Das Urteilen über wahr und falsch ist sicherlich subjektiv bedingt, wie al­ les Urteilen. Dennoch verfügt der Mensch in seinen Urteilen nicht über die Wahrheit, sondern setzt sie voraus, sucht ihr zu entsprechen. Die Wahrheit ist in ihrer für alle verbindlichen Allgemeinheit den subjektiven Urteilen der Menschen vorgegeben. Diese Einsicht bildete den entscheidenden Schritt in Augustins Argument für die Göttlichkeit der Wahrheit (De lib. arb. II,10; vgl. 12). Es ist hier noch nicht der Ort, dieses Argument hinsichtlich seiner Beweiskraft für das Dasein Gottes zu beurteilen. Hier interessiert die augu­ stinische Verbindung von Wahrheitsidee und Gottesbegriff zunächst darum, weil sie die Unverfügbarkeit der Wahrheit für das subjektive Urteil feststellt und weil dabei zugleich der spezifisch theologische Sinn dieses Sachverhalts hervortritt: die Unverfügbarkeit Gottes selbst und darum auch die der Wahrheit des Dogmas als dogma theou. Gegen Augustins Verknüpfung von Wahrheitsidee und Gottesbegriff ist immer wieder die Auffassung der Wahrheit als Urteilswahrheit, der Sitz des Unterschieds von wahr und falsch im Urteilsakt, geltend gemacht worden. Wenn Augustin näm­ lich das Wahre definiert als id quod est (Solil II,5), im Unterschied zum Falschen, das etwas anderes ist als was es zu sein scheint, dann ist beim Begriff des Wahren von der Urteilsrelation – also von der Korrespondenz zwischen intellectus und res – abgesehen, wie das auch schon beim ontologischen Wahrheitsbegriff des Parme­ nides der Fall war, wo nur die Selbstidentität der Übereinstimmung alles Wahren in der Einheit der Wahrheit deren Begriff ausmachte. Thomas von Aquin hat zu Augustins Definition des Wahrheitsbegriffs bemerkt, daß dabei die eigentliche ra­ tio veri, nämlich die correspondentia oder adaequatio rei et intellectus nicht ange­ geben sei (De ver. I,1 resp. und ad 1). So muß in der Tat urteilen, wer den Wahr­ heitsbegriff vom Urteilsakt her bestimmt. Ob das genügt, ist jedoch bis in die heu­ tige Diskussion über Wahrheitsbegriff und Wahrheitstheorien strittig120. Zwar steht auch in dieser Diskussion der Korrespondenzgedanke im Vordergrund, also die Urteilswahrheit, und die verschiedenen Wahrheitstheorien versuchen, die Unbestimmtheit des Korrespondenzgedankens durch Präzisierung zu beheben und Kriterien dafür zu benennen, wann und unter welchen Bedingungen solche Korrespondenz gegeben ist, eine Aussage also wahr ist. Auf die Unterscheidung 120 Zu dieser Diskussion siehe besonders die in den beiden folgenden Anmerkungen zitier­ ten, von L.B. Puntel verfaßten bzw. herausgegebenen Bände.

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von Wahrheitsbegriff (im Sinne der Korrespondenz) und Wahrheitskriterien zielte auch die ursprüngliche Fassung der Kohärenztheorie der Wahrheit von Nicholas Rescher (1973): Übereinstimmung mit allem sonst für wahr Geltenden sollte Kri­ terium für die Wahrheit von Behauptungen im Sinne ihrer Übereinstimmung (Korrespondenz) mit ihrem Gegenstand sein. Die Unterscheidung zwischen Kri­ terium und Begriff der Wahrheit ist jedoch beanstandet worden: Kann Kriterium der Wahrheit sein, was nicht auch zu ihrem Begriff gehört121? Rescher hat diesen Einwand akzeptiert122. Wenn aber die Kohärenz oder widerspruchslose Einheit al­ les Wahren zum Begriff der Wahrheit selber gehört, dann erhebt sich die Frage, wie sich dazu die „Korrespondenz“ von Urteil und Sachverhalt verhält, und es liegt zumindest nahe, in dieser „Korrespondenz“ eine besondere Form der Kohä­ renz zu sehen (ebenso wie übrigens im „Konsensus“ der kompetent Urteilenden), so daß sich der Kohärenzgedanke als das eigentlich Fundamentale im Wahrheits­ begriff darstellt. Der Urteilsaspekt – die Korrespondenz von Urteil und Sachver­ halt – wird dann ebenso wie der Konsensus unter den Urteilenden zu einem abge­ leiteten Moment des Wahrheitsbegriffs. Dieser selbst wird – wenn Wahrheit von Kohärenz her zu verstehen ist – unvermeidlich ins Ontologische gewendet: Die Kohärenz in den Dingen selbst, nicht erst in den Urteilen über sie, ist dann für die Wahrheit auch unserer Urteile konstitutiv. Das bedeutet aber, daß sich das Ge­ wicht der parmenideischen und auch der augustinischen Wahrheitsidee wieder neu geltend macht, die Zusammengehörigkeit der Wahrheitsidee mit dem Seinsbe­ griff und auch mit dem Gedanken Gottes als des Absoluten und Allumfassenden: Nur Gott kann der ontologische Ort der Einheit der Wahrheit im Sinne der Kohä­ renz als Einheit alles Wahren sein.

Der augustinische Gedanke, daß Gott die Wahrheit selbst sei (De lib. arb. II,15), beruht auf dem Gesichtspunkt der Kohärenz und Einheit alles Wah­ ren. Gott ist der Ort dieser Einheit, er ist die mit sich identische (insofern „unveränderliche“) Wahrheit, die alles Wahre umgreift und in sich schließt (ebd. II,12). Alles menschliche Bemühen um Kohärenz kann dann nur ein stets unvollkommen und unabgeschlossen bleibender Nachvollzug, ein Nachdenken der in Gott begründeten Einheit alles Wahren sein – oder auch ihr Vorentwurf, wenn nämlich die in Gott begründete Einheit alles Wahren selber die Form einer Geschichte haben sollte, so daß sie erst im Prozeß der Zeit zu ihrer Vollendung kommt. Auch für die systematische Darstellung der christlichen Lehre in der Dogmatik gilt, daß sie lediglich Nachvollzug und Vorentwurf der Offenbarung Gottes in ihrer Beziehung zu der in Gott begründeten Einheit von Welt und Geschichte sein kann. Die Dogmatik kann nicht die Wahrheit Gottes als solche dingfest machen und in Formeln 121 Zu N. Reschers Kohärenztheorie der Wahrheit vgl. L.B. Puntel: Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie, 1978, 182–204. Dort auch 203 f. Bedenken gegen die Trennung von Wahrheitsbegriff und Wahrheitskriterium (vgl. ebd. 174 ff. zu B. Blanshard, der schon 1939 die These vorgetragen hat, daß Kohärenz nur dann das Kriterium der Wahrheit bilden könne, wenn sie auch zu ihrem Wesensbegriff gehört). 122 N. Rescher: Truth as Ideal Coherence (1985), deutsch in: Der Wahrheitsbegriff, hrsg. von L.B. Puntel, Darmstadt 1987, 284–297.

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verpackt vorführen. So sehr ihr Bemühen darauf gerichtet ist, die Wahrheit zu erfassen und zur Darstellung zu bringen, so sehr bleibt ihre mögliche Entsprechung zur Wahrheit Gottes an das Bewußtsein gebunden, daß unse­ re Theologie eine menschliche Erkenntnisbemühung und als solche den Bedingungen der Endlichkeit verhaftet ist. Die Endlichkeit theologischen Wissens ist nicht nur in der Beschränktheit der Information über einen nach Versicherung der ganzen Überlieferung unendlichen „Gegenstand“ begründet, sowie in der Beschränktheit ihrer Verarbeitung, sondern ganz besonders auch in der Zeitgebundenheit solchen Wissens: Nach dem Zeugnis der Bibel wird die Gottheit Gottes erst am Ende aller Zeit und Geschichte endgültig und unzweifelhaft offenbar sein. Für je­ den Standort innerhalb der Zeit nämlich gilt, daß sich erst in Zukunft her­ ausstellen wird, was wahrhaft beständig und darum auch verläßlich und in diesem Sinne „wahr“ ist. Das biblische Wahrheitsverständnis hat ebenso wie das griechische Denken das Wahre als das Beständige und Verläßliche, weil mit sich selber Identische gedacht. Aber es suchte die Selbstidentität des Wahren nicht als ewige Gegenwart hinter dem Fluß der Zeit zu erfassen, sondern als das, was sich im Fortgang der Zeit selbst als beständig bewährt und erweist123. Die Zeit wird nicht abgetrennt von der Erfahrung des Seien­ den und seiner Wahrheit. Eine solche Betrachtungsweise dürfte auch der Er­ fahrungsorientierung des nachidealistischen Denkens der Moderne ent­ sprechen, besonders der mit dem Bewußtsein der Geschichtlichkeit verbun­ denen Relativität aller Erfahrung auf den geschichtlichen Ort, an dem sie ge­ wonnen wird. Solche Relativität braucht nicht zu bedeuten, daß es nichts Absolutes gibt und darum auch keine Wahrheit, die als solche stets absolut ist. Die Relativität als solche ist relativ auf den Gedanken des Absoluten, so daß mit ihm auch sie verschwinden würde. Aber zumindest für uns ist die Absolutheit der Wahrheit nur in der Relativität unserer Erfahrung und Re­ flexion zugänglich. Das bedeutet im Hinblick auf die Geschichtlichkeit der Erfahrung, wie Dilthey gezeigt hat, daß wir die wahre Bedeutung der Dinge und Ereignisse unserer Welt nicht endgültig zu bestimmen vermögen, solan­ ge der Gang der Geschichte weitergeht124. Dennoch bestimmen wir faktisch die Bedeutung von Dingen und Ereignissen, indem wir Behauptungen über sie aufstellen. Doch solche Bedeutungszuweisungen und Behauptungen beruhen auf Antizipation. Das gilt sogar für den Bereich annähernd gleich­ förmig wiederkehrender Naturereignisse. Ohne die annähernde Gleich­ förmigkeit der Himmelsbewegungen zu antizipieren, hätte es keinen Sinn, Tage und Jahre zu zählen, und sogar diese Wörter selbst verlören ihren Sinn. Erst recht hängt die Bedeutung, die wir den Begebenheiten unserer 123 Vgl. vom Vf.: Was ist Wahrheit?, in: Grundfragen systematischer Theologie I, 1967, 202– 222, bes. 205 ff. 124 Siehe vom Vf.: Über historische und theologische Hermeneutik, a. a. O. 123–125, bes. 143 f.

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Lebensgeschichte und den Ereignissen der Gesellschaftsgeschichte zuerken­ nen, von einem Vorgriff auf das in der Geschichte sich entwickelnde Ganze dieser Gebilde ab, also auf ihre Zukunft, und solche Vorgriffe werden im Fortgang der Erfahrung ständig modifiziert, weil sich im Voranschreiten die Horizonte der Erfahrung verschieben. Dabei stellt sich im Fortgang der Zeit heraus, was an der Welt unserer Anfänge sich als beständig und „wahr“ er­ weist, was hingegen als unzuverlässig, so fest und dauerhaft es aussehen mochte. Für die Gotteserfahrung nun gelten die mit der Geschichtlichkeit menschlicher Erfahrung gegebenen Schranken in besonderer Weise, weil Gott kein jederzeit identifizierbarer Gegenstand in der von Menschen ge­ meinsam bewohnten Welt ist und seine Wirklichkeit auf das engste mit der Erfahrung der ihm zuschreibbaren Macht über Welt und Geschichte verbun­ den ist, und zwar über das Ganze der Welt in ihrer Geschichte. Darum kann erst die letzte Zukunft der Welt und ihrer Geschichte die Wirklichkeit Gottes endgültig und unwidersprechlich erweisen. Das schließt die Möglichkeit vor­ läufiger Erfahrungen der Wirklichkeit Gottes und seiner Beständigkeit im Gang der Geschichte nicht aus, aber alle darauf bezogenen Aussagen beruhen in der für alles menschliche Reden von Gott spezifischen Weise auf Vorgriffen auf das Ganze der Welt und also auf die noch nicht eingetretene Zukunft ihrer noch unabgeschlossenen Geschichte. Die Geschichtlichkeit menschlicher Erfahrung und Reflexion bildet die wichtigste Schranke gerade auch unserer menschlichen Gotteserkenntnis. Allein schon wegen seiner Geschichtlichkeit bleibt alles menschliche Reden von Gott unvermeidlich zurück hinter einer vollen und endgültigen Erkenntnis der Wahrheit Gottes. Das gilt auch für die Erkenntnis Gottes aufgrund seiner geschichtlichen Offenbarung, wie später noch genauer zu bedenken sein wird. Gerade auch das Wissen christlicher Theologie bleibt „Stückwerk“ im Vergleich zur endgültigen Offenbarung Gottes in der Zukunft seines Reiches (1.Kor 13,12). Der Christ sollte der Be­ lehrung durch moderne Reflexionen auf die mit der Geschichtlichkeit der Er­ fahrung gegebene Endlichkeit unseres Wissens gar nicht bedürfen, um der Endlichkeit theologischen Wissens eingedenk zu sein. Er kann solche Beleh­ rung schon aus der biblischen Beschreibung der Situation des Menschen, ge­ rade auch des Glaubenden, vor Gott gewinnen. Das Wissen um die Endlich­ keit und Unangemessenheit alles menschlichen Redens von Gott gehört zur Nüchternheit der Theologie. Dabei führt es keineswegs zu einer Vergleich­ gültigung des Inhalts von Aussagen über Gott, sondern ist geradezu eine Wahrheitsbedingung solcher Aussagen. In solchem Wissen aber wird das Re­ den von Gott zur Doxologie, in der sich der Redende über die Schranken der eigenen Endlichkeit zum Gedanken des unendlichen Gottes erhebt125. Auch 125 Vgl. dazu meine Ausführungen über den proleptischen und doxologischen Charakter dogmatischer Aussagen in: Was ist eine dogmatische Aussage?, Grundfragen systematischer Theologie 1,1967,159–180,174 ff.

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dabei brauchen keineswegs die gedanklichen Konturen ins Unbestimmte zu verschwimmen. Doxologie kann durchaus auch die Form systematischer Re­ flexion haben. Wenn gesagt wurde, daß in der systematischen Darstellung der christli­ chen Lehre deren Wahrheit auf dem Spiele steht, so kann das also nicht be­ deuten, daß der Dogmatiker selber die Entscheidungsinstanz über diese Wahrheit wäre. Seine Versuche, die Kohärenz der christlichen Lehre und da­ mit auch die Einheit der Welt, ihrer Geschichte und ihrer künftigen Vollen­ dung als Ausdruck der Einheit Gottes zu denken, sind nur Nachvollzug und Vorentwurf der Kohärenz der göttlichen Wahrheit selber. Sie beruhen auf Antizipationen, die die Prolepse des Eschaton in der Geschichte Jesu Christi nachvollziehen, und die im Hinblick auf Gott die Funktion der Doxologie haben. Die Entscheidung über ihre Wahrheit liegt bei Gott selbst. Sie wird endgültig mit der Vollendung des Reiches Gottes in seiner Schöpfung fallen, und sie fällt vorläufig in den Herzen der Menschen durch das überführende Wirken des Geistes Gottes. Im Hinblick darauf sollte es nun auch nicht als sonderbar empfunden wer­ den, wenn sowohl den Aussagen der Dogmatik als auch den Behauptungen der durch sie dargestellten christlichen Lehre wissenschaftstheoretisch der Status der Hypothese zugeschrieben wird126. In beiden Fällen handelt es sich um Sätze, die weder selbstevident sind, noch logisch notwendige Folge­ rungen aus selbstevidenten Sätzen darstellen. Es sind Behauptungen, die for­ mal gesehen entweder falsch oder wahr sein können, bei denen daher sinn­ voll gefragt werden kann, ob sie zutreffen, also wahr sind, und deren Wahr­ heit von Bedingungen abhängt, die nicht mit der Behauptung selber schon gegeben sind. So ist der Satz, daß Jesus unter Pontius Pilatus gekreuzigt wur­ de, eine historische Behauptung, deren Wahrheitsanspruch nach den übli­ chen historischen Kriterien zu beurteilen ist. Die Behauptung, daß Jesus von den Toten auferstanden ist, ist insofern komplexer, als sie die Möglichkeit eines Geschehens von der Art einer Totenauferstehung voraussetzt: Diese Voraussetzung wird erst dann nicht mehr strittig sein, wenn es allgemeine Erfahrung sein wird, daß die Toten auferstehen. Daß aber Jesus als der Sohn Gottes bezeichnet wird, setzt sowohl seine Auferstehung von den Toten als auch die damit verbundene Bestätigung seines irdischen Auftretens vor­ aus. Für alle diese Behauptungen also gilt, daß ihre Wahrheit von Bedin­ gungen abhängt, die Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten sein kön­ 126 Vgl. vom Vf.: Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, 334–346. Das Thema spielte eine Rolle im Gespräch mit G. Sauter, der den Hypothesenbegriff auf theologische Aussagen im Unterschied zu den primären Glaubensaussagen beschränken möchte (W. Pannenberg/G. Sauter/S.M. Daecke/H. N. Janowski: Grundlagen der Theologie – ein Diskurs (Urban-Bücher T603) Stuttgart 1974, 70 ff.). Siehe auch G. Sauter: Überlegungen zu einem weiteren Gesprächs­ gang über „Theologie und Wissenschaftstheorie“, in: Evangelische Theologie 40, 1980, 161– 168, bes. 162 f. sowie meine „Antwort“ ebd. 168 ff., bes. 170–173.

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nen und auch tatsächlich sind, Bedingungen, die bei allem, was die Gottes­ sohnschaft Jesu betrifft, das Gesamtverständnis von Wirklichkeit überhaupt berühren. Die Behauptungen sind wahr, wenn ihre Bedingungen zutreffen. Solange Zweifel daran möglich sind, ist ihre Wahrheitsgeltung „hypothe­ tisch“ im weiteren Sinne dieses Wortes127. Damit ist nun aber in keiner Wei­ se gesagt, daß derjenige, der solche Behauptungen ausspricht, ihre Wahrheit dahingestellt sein ließe128. Das würde dem Charakter von Glaubensaussagen 127 Gewöhnlich wird der Hypothesenbegriff in einem engeren Sinn gebraucht für Annah­ men, deren Wahrheit zwar grundsätzlich diskutabel ist, aber zwecks Beschreibung oder Erklä­ rung anderer Sachverhalte „unterstellt“ wird. So der antike Sprachgebrauch (dazu A. Szabö in Hist. WB Philos. 3,1974,1260 f.), mit dem auch die kurzen Ausführungen von N. Rescher ebd. 1266 übereinstimmen. Eine Ausweitung erfuhr der Begriff der Hypothese durch die Sprachana­ lyse des sog. logischen Positivismus. So hat R. Carnap 1928 alle diejenigen Aussagen als Hypo­ thesen bezeichnet, die zwar „sachhaltig“ sind, weil „Erlebnisse“ denkbar sind, die über ihre Wahrheit oder Unwahrheit entscheiden, bei denen aber bisher eine derartige Fundierung oder Nachprüfung nicht stattgefunden hat (Scheinprobleme in der Philosophie, Neudruck hg. von G. Patzig, 1966, 52, vgl. 50). Die „Erlebnisse“, auf denen „fundierte“ Sätze beruhen und an de­ nen andere noch zu prüfen sind, sind Sinneswahrnehmungen, die in Beobachtungssätzen festge­ halten werden. Nach M. Schlick (Über das Fundament der Erkenntnis, in: Erkenntnis 4, 1934, 79–99) sind solche „Konstatierungen“ die „einzigen synthetischen Sätze, die keine Hypothesen sind“ (ebd. 98): Also auch die auf diese Basis zurückgeführten Sätze bleiben nach Schlick im Un­ terschied zu Carnap hypothetisch wegen ihrer Abhängigkeit von den „Konstatierungen“. Sogar die Konstatierungen selbst aber galten Schlick als nur im Moment der Formulierung von Hypo­ thesen unterscheidbar: Nach diesem Zeitpunkt werden auch sie zu bloßen Hypothesen ohne zwingende Gewißheit. Schlick hat damit die Kritik an der Begründung empirischer Gewißheit auf derartige Sätze eingeleitet, die sich später vor allem auf die Unentbehrlichkeit allgemeiner Termini in solchen Basissätzen richtete (vgl. W. Stegmüller: Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, 2. Aufl. 1969, 279–307). Von daher ist es verständlich, daß der Begriff der Hypothese auf alle Er­ fahrungssätze überhaupt ausgedehnt werden konnte, so bei A.J. Ayer schon 1945 (Language, Truth and Logic, 2d. ed. 93 f.: „Empirical propositions are one and all hypotheses“). Der Sache nach hat das schon eine Formulierung L. Wittgensteins in seinem Tractatus logico-philosophi­ cus, 1921, ausgedrückt und zwar in Verbindung mit der assertorischen Funktion des Behaup­ tungssatzes: „Der Satz zeigt, wie es sich verhält, wenn es wahr ist. Und er sagt, daß es sich so verhält“ (4.022). Die Verbindung von hypothetischem und assertorischem Moment in empiri­ schen Behauptungssätzen wurde auch von C.J. Lewis herausgestellt: An Analysis of Knowledge and Valuation, 1946, 22 f. 128 Wenn W.Joest schreibt, man könne sich auf den christlichen Glauben nur „unbedingt oder gar nicht, auf keinen Fall aber mit hypothetischem Vorbehalt einlassen“ (Fundamental­ theologie. Theologische Grundlagen- und Methodenprobleme, 1974, 253), so ist das als Be­ schreibung des Glaubensaktes sicherlich zutreffend. Anders steht es jedoch im Hinblick auf die Sätze und Behauptungen, mit denen der Glaube verbunden ist. Auch diese haben zwar assertori­ schen Sinn, aber gerade darin zugleich auch (für den Rezipienten bzw. in der Perspektive der Re­ flexion) hypothetische Struktur. An dieser Stelle bleiben die Formulierungen von Joest unklar. Einerseits heißt es nämlich, die Theologie gehe „von einer Glaubensvoraussetzung aus“ (ebd. 240). Diese „Grundvoraussetzung“ könne sie vor keinem „allgemeinen Forum“ rechtfertigen (252). Unklar bleibt, ob es sich bei dieser Grundvoraussetzung um bestimmte Sätze und ihre Wahrheit handelt. Denn Joest schreibt auch, der Theologe könne „jeden seiner Sätze, in denen er die Offenbarung Gottes in Christus auslegend entfaltet, als vorläufig und auf künftige Bewäh­ rung so formuliert verstehen…“ (253). Wirklich jeden seiner Sätze? Auch jeden Satz der Kir­ chenlehre und der Bibel? Wenn es so gemeint ist, dann erhebt sich die Schwierigkeit, daß wir

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in der Tat widersprechen. Es wäre auch schon mit der logischen Struktur von Behauptungen überhaupt unvereinbar: Mit der Aufstellung einer Behauptung wird der Anspruch auf Wahrheit des Gesagten erhoben. Aber es gehört eben deshalb auch zur logischen Struktur von Behauptungen, daß der Hörer oder Leser die Frage aufwerfen kann, ob sie tatsächlich zutreffen, ob also ihr Anspruch auf Wahrheit zu Recht besteht. Gerade weil die Be­ hauptung mit dem Anspruch auf Wahrheit verbunden und keine bloße Ge­ mütsäußerung ist, kann gefragt werden, ob sie zutrifft oder nicht. Die Mög­ lichkeit, daß die „These“ der Behauptung vom Hörer oder Leser (bzw. auf der Ebene der Reflexion) als allererst noch zu prüfende und allenfalls bis auf weiteres zu unterstellende, eben als „Hypothese“ behandelt werden kann, ist geradezu Bedingung dafür, daß eine Äußerung als Behauptung über einen von der Äußerung und dem sich äußernden Subjekt verschiedenen Sachver­ halt ernst genommen werden kann. Wenn die Aussagen des Glaubens auf der Ebene der Reflexion als hypothetisch behandelt werden, dann steht das also in keinem Widerspruch zu ihrem assertorischen Charakter. Damit wird im Gegenteil ihr assertorischer Charakter ernst genommen. Er wäre besei­ tigt, wenn nicht mehr sinnvoll gefragt werden könnte, ob die Behauptung der Glaubensaussage zutrifft oder nicht. Dann nämlich würden Glaubensaussagen nur noch als subjektive Zustandsäußerungen ohne „ko­ gnitiven“ Wahrheitsanspruch behandelt. Das Hypothetische des Wahrheitsanspruchs von Behauptungen tritt erst auf der Ebene der Reflexion (bzw. für den Hörer oder Leser) ins Bewußtsein, nicht für den Behauptenden selber, – jedenfalls dann nicht, wenn dieser nicht schon die möglicherweise skeptische Aufnahme seiner Behauptungen durch andere mitreflektiert. Im Akt des Behauptens wird zumeist ganz unreflek­ tiert die Wahrheit des Behaupteten in Anspruch genommen. Erst der Hörer oder Leser unterscheidet zwischen der Behauptung und der Frage, ob sie auch wahr ist. Erst für ihn wird sie zur „bloßen Behauptung“, die noch zu prüfen wäre, wenn ihre Wahrheit nicht einfach „unterstellt“ wird. Doch da­ mit wird der Behauptung nicht widersprochen, sondern ihre Wahrheitsin­ der „Wahrheit der Gottesbekundung in Christus selbst“ (ebd.) nicht ohne solche Sätze ansich­ tig werden: Wie verhält sich dann die im Glauben liegende „Grundvoraussetzung“ dazu, daß „jeder“ dieser Sätze als vorläufig und revidierbar zu gelten hat? Auf diese Frage hat Joest, wenn er sie sich gestellt haben sollte, keine Antwort gegeben. Sie wird an späterer Stelle, im Zusam­ menhang mit der Frage der Glaubensgewißheit noch eingehender Erörterung bedürfen. Wenn Joests Ausführungen aber so zu verstehen sein sollten, daß jene Vorläufigkeit nur für die Sätze des Theologen selber, nicht aber für die der Bibel und des Glaubensbekenntnisses der Kirche gilt, dann ergeben sich die traditionellen Aporien des Gewißheitsproblems und es steht zu be­ fürchten, daß Joest sie in einem subjektivistischen Sinne löst, wenn er schreibt: „…die Über­ zeugung, daß christlichem Glauben in der Offenbarung Gottes in Jesus Christus der Grund ge­ geben ist, der ihn fordert und trägt…, ist selbst ein Akt dieses Glaubens“ (ebd. 253). Die Argu­ mentationsfigur der Selbstbegründung des Glaubens ist hier jedenfalls nicht als Gefahr im Blick.

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tention ernst genommen. Das gilt auch für Glaubensbehauptungen und den theologischen Umgang mit ihnen. Sie werden nicht dadurch als Behauptun­ gen gewürdigt, daß ihnen besinnungslos zugestimmt wird, sondern gerade dadurch, daß ihr Wahrheitsanspruch einer Prüfung für würdig befunden wird. Das entspricht auch der Differenz der Glaubensaussagen von der Wahrheit Gottes selber, die sie aussagen wollen und die der wahrhaft Glau­ bende immer als sein eigenes Reden und Verstehen unendlich übersteigend vor Augen hat. Die Wahrheit Gottes steht zwischen der Behauptung und ihrer Rezepti­ on, und sie bildet den letzten Maßstab solcher Rezeption, einen Maßstab allerdings, mit dem wir Menschen nicht messen können, weil er niemandem zur Verfügung steht. Die Ebene der theologischen Reflexion unterscheidet sich von der der Be­ kenntnisaussagen des Glaubens dadurch, daß auf ihr die Strittigkeit der Glaubensaussagen wie auch der theologischen Sätze und der in ihnen be­ haupteten Wirklichkeit, an erster Stelle der Wirklichkeit Gottes selbst, mit­ bedacht werden kann und auch mitbedacht werden sollte, weil sie zur Wirk­ lichkeit der Welt und der Geschichte gehört, die in der Dogmatik als die Welt Gottes – als die von Gott geschaffene, versöhnte und erlöste Welt – zur Darstellung kommen soll. Damit kommt zugleich die Gottheit Gottes zur Darstellung, wie sie durch die geschaffene Welt und ihre Geschichte verherr­ licht wird. Das bedeutet, daß auch die Strittigkeit des Daseins und Wesens Gottes in dieser Welt als in Gott selber begründet zu verstehen ist, wenn sie nicht als ein Ausdruck seiner Ohnmacht und damit letztlich sogar als Ein­ wand gegen das Dasein Gottes gelten soll. In der systematischen Darstellung der christlichen Lehre werden Welt, Mensch und Geschichte als Ausdruck und Zeugnis der Gottheit Gottes in Anspruch genommen. Dabei bildet die Geschichte des Menschen und der Welt die Vermittlung ihres Gegensatzes zu Gott und den Übergang ihrer Verwandlung zum Zeugnis für die Gottheit Gottes. Das ist die Bedeutung der Geschichte als Heilsgeschichte in der christlichen Lehre. In der Abfolge von Schöpfung, Sünde, Versöhnung und Vollendung ist der Stoff der christ­ lichen Lehre immer schon in der Perspektive einer auf das Heil des Men­ schen und die Erneuerung der Schöpfung gerichteten Geschichte gesehen und gegliedert worden. Bei den Themen dieser göttlichen Heilsökonomie handelt es sich nun aber nicht um etwas Zusätzliches neben Gott, sondern in dieser Geschichte und ihrer theologischen Darstellung geht es zentral um die Gottheit Gottes. Nur insofern ist die Darstellung dieser Geschichte theolo­ gisch, als sie ihre Einheit darin findet, Zeugnis von der Gottheit Gottes zu sein. Auch bei der Erörterung von Welt, Mensch und Geschichte also geht es der Dogmatik um die Wirklichkeit Gottes. Gerade so und nur so geht es da­ bei auch um den Menschen und die Welt. Gott ist das umfassende und einzi­ ge Thema der Theologie wie des Glaubens. Neben ihm haben beide kein

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anderes Thema. Aber von Gott zu reden erfordert auch, von der Welt und dem Menschen, von seiner Versöhnung und Erlösung zu reden. Gott zum einzigen Thema der Theologie zu erklären, macht der Schöpfung und dem Menschen ihr Daseinsrecht neben Gott nicht streitig, sondern räumt ihnen das Daseinsrecht ein, das Gott ihnen gewährt. Im Dasein der Welt und des Menschen und in ihrer Vollendung manifestiert sich die Gottheit Gottes, aber umgekehrt gilt auch, daß Welt und Mensch ihr eigenes Dasein nur ha­ ben und ihre Vollendung nur finden können, indem sie ihren Schöpfer verherrlichen. Dogmatik als Darstellung der christlichen Lehre muß also systematische Theologie sein, nämlich systematische Lehre von Gott und sonst nichts129. Indem die christliche Lehre systematisch durch Beziehung all ihrer Einzel­ themen zur Wirklichkeit Gottes und so als systematische Theologie zur Darstellung kommt, wird auch die Wahrheit der christlichen Lehre zum Thema. Denn alle Aussagen der christlichen Lehre haben ihre Wahrheit nur in Gott. Mit seiner Wirklichkeit stehen und fallen sie. Die Wirklichkeit Got­ tes aber hängt, da es nun einmal eine Welt gibt, an Gottes Ehre als Schöpfer, Erhalter, Versöhner und Vollender dieser Welt. Darum geht es bei der syste­ matischen Darstellung von Welt, Mensch und Geschichte als in Gott ge­ gründet, versöhnt und vollendet um die Wirklichkeit Gottes selbst. Das Da­ sein Gottes steht in dieser Darstellung auf dem Spiele und mit ihm zugleich die Wahrheit der christlichen Lehre, und zwar nicht nur in der speziellen Lehre von Gottes Dasein, Wesen und Eigenschaften, sondern an jedem Punkt in der Abfolge der dogmatischen Themen bis hin zur Eschatologie. Dogmatik als systematische Theologie verfährt sowohl assertorisch als auch hypothetisch, indem sie ein Modell von Welt, Mensch und Geschichte als in Gott begründet entwirft, das, wenn es stichhaltig ist, die Wirklichkeit Gottes und die Wahrheit der christlichen Lehre „beweist“, nämlich durch die Form der Darstellung als konsistent denkbar ausweist und so erhärtet. Die Dogmatik legt damit den Wahrheitsanspruch der christlichen Lehre aus; sie führt aus, wie diese Lehre im Zusammenhang verstanden werden muß, um als wahr angenommen werden zu können. Die Bedingung der Stichhal­ tigkeit der dogmatischen Auslegung von Welt, Mensch und Geschichte als in Gott begründet zeigt allerdings, daß die Entscheidung über Beweiskraft und Wahrheit eines dogmatischen Entwurfs nicht bei ihm selber liegt. Sie hängt daran, ob Welt, Mensch und Geschichte – wie wir sie kennen und soweit wir

129 Darum ist die Unterscheidung von Dogmatik und Ethik nicht nur „arbeitsökonomisch“ begründet, wie neuerdings im Anschluß an K. Barth (KD 1/2, 1938, 875–890) häufig behauptet wird (so auch bei W.Joest: Dogmatik 1. Die Wirklichkeit Gottes, 1984, 20), sondern in der Sa­ che: Die Ethik spricht den Menschen als Subjekt seines Handelns an, während die Dogmatik auf Gott und sein Handeln blickt, auch wenn von der Schöpfung oder von der Kirche die Rede ist.

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sie kennen – in diesem Modell wiederzuerkennen sind, ob es also wirklich die Realität der Welt, des Menschen und seiner Geschichte ist, die in diesem Modell als durch Gott bestimmt dargetan wird. Sie hängt andererseits daran, ob die Berufung auf die christliche Lehre, die die Dogmatik zur Darstellung zu bringen behauptet, berechtigt ist. Beide Fragen sind Gegenstand kriti­ scher Erörterung, motivieren die Kritik an früheren Darstellungen der christlichen Lehre sowie auch an jedem neuen Versuch zur Entwicklung ei­ nes besseren, den Intentionen der christlichen Lehre treueren und der Reali­ tät von Welt, Mensch und Geschichte angemesseneren Modells. Im fortge­ henden Disput über die Stichhaltigkeit der früheren wie auch der neueren dogmatischen Modelle tritt die Differenz zwischen dem Modell und der Wahrheit Gottes, wie sie durch die Schöpfung und im Gang ihrer Geschichte faktisch bezeugt wird, für das Bewußtsein in Erscheinung. Zum Trost für den Theologen darf allerdings damit gerechnet werden, daß nicht nur seine eigene Einsicht beschränkt ist, sondern auch die seiner Kritiker, so daß die verschiedenen Modelle der christlichen Lehre bei all ihren Schranken doch die Funktion antizipierender Darstellung der Wahrheit Gottes behalten, auf deren endgültige Offenbarung in der Welt der Glaube wartet. Die dogmatische Darstellung der christlichen Lehre ist immer zugleich Kritik ihrer bisherigen, in der einen oder anderen Hinsicht ihrer Wahrheits­ intention unangemessenen Ausdrucksformen. Es gibt natürlich auch eine Kritik der christlichen Lehre, die nicht die Form der dogmatischen Darstel­ lung annimmt. Solche Kritik hält nicht nur die Form der christlichen Lehre für revisionsbedürftig, sondern ihren Wahrheitsanspruch selbst für hinfällig. Auch solche Kritik muß allerdings, wenn sie aufs Ganze geht, die Form der Darstellung annehmen, eine Rekonstruktion der christlichen Lehre versu­ chen, die den Anspruch erhebt, diese hinreichend erklären zu können als Ausdruck rein anthropologischer und innerweltlicher Motive und Faktoren. Wäre eine solche Kritik stichhaltig, dann wäre der Gegenstand in Zukunft nicht mehr diskussionswürdig. Im Extremfall glaubt solche Kritik mit der Wirklichkeit Gottes überhaupt fertig zu sein. Die Argumente auch solcher Kritik sind für die Dogmatik wichtig. Indem sie explizit oder implizit in ihre eigene Darstellung eingehen, stärken sie den dogmatischen Erweis der Wirk­ lichkeit Gottes und der Wahrheit der christlichen Lehre. Die Dogmatik kann daher, obwohl sie alle anderen Themen sub ratione Dei, als von Gott her bestimmt und darum im Zuge der Entfaltung des Gottesgedankens erörtert, nicht unmittelbar bei der Wirklichkeit Gottes einsetzen. Genauer gesagt, die Wirklichkeit Gottes ist zunächst nur als menschliche Vorstellung, menschliches Wort und menschlicher Gedanke gegeben. Daß und in welcher Weise mit Gott als in Vorstellung und Gedan­ ken intendierter, aber von ihnen auch unterschiedener Wirklichkeit zu rech­ nen ist, das ist Gegenstand des Streites. Will man sich darüber hinwegsetzen, so muß ein hoher Preis bezahlt werden: es bleibt dann nämlich ironischer­

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weise dabei, daß Gott nur eine menschliche Vorstellung ist. Wer darüber hinauskommen will, muß sich auf diesen Streit einlassen. Schon die Frage, wie Menschen überhaupt dazu kommen, mit Gott als Wirklichkeit zu rech­ nen, bedarf dann sorgfältiger Klärung. Es handelt sich dabei um den Zugang dazu, daß die in den biblischen Schriften bezeugte Gotteswirklichkeit als Wirklichkeit überhaupt öffentlicher Diskussion fähig wird, so daß der Ein­ satzpunkt der im eigentlichen Sinne dogmatischen Darstellung erreicht wird. Man hat solche vorbereitenden Erörterungen früher als praeambula fidei bezeichnet. Heute werden sie gern einer „Fundamentaltheologie“ zugewie­ sen, die das Fundament für die Dogmatik abzuklären hat. Man muß sich da­ bei nur vor Augen halten, daß derartige Erörterungen allenfalls im metho­ dischen Sinne „fundamental“ sind; denn der Sache nach fundamental ist in der Theologie nur Gott selbst bzw. seine Selbstoffenbarung in Jesus Chri­ stus: „Einen anderen Grund kann niemand legen als der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus“ (1.Kor 3,11). Dementsprechend werden die einleitenden Erörterungen über Gottesgedanken, Gottesbeweise, Religion im Fortgang der Dogmatik in die Gotteslehre aufgehoben und alle weiteren Ausführun­ gen als Entfaltung der Wirklichkeit Gottes in seiner Offenbarung vorgetra­ gen. Der Begründungszusammenhang kehrt sich damit um. Dennoch bleibt auch alles auf die Gotteslehre Folgende bezogen auf das Feld der Auseinan­ dersetzung, das mit den Ausführungen über Gottesgedanken und Religion umschrieben wird. Es ist das Feld der Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes, in welchem nicht nur die Dogmatik, sondern schon die Existenz des Christen und die Kirche ihren Ort haben.

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2. Kapitel

Der Gottesgedanke und die Frage nach seiner Wahrheit 1. Das Wort „Gott“ In vorneuzeitlichen Kulturen hatten die Worte „Gott“ und „Götter“ ihren mehr oder weniger genau bestimmten Ort im Zusammenhang der kultu­ rellen Lebenswelt und damit auch in der Sprachwelt der Menschen, nämlich durchweg da, wo es um die letzten Grundlagen der gesellschaftlichen wie der kosmischen Ordnung und um die sie verbürgenden Instanzen geht, de­ nen die ihnen gebührende Ehrfurcht, Aufmerksamkeit und Zuwendung entgegenzubringen waren. In den säkularen Kulturen der Neuzeit hat das Wort „Gott“ diese Funktion und Bedeutung mehr und mehr verloren, je­ denfalls im öffentlichen Bewußtsein. Dadurch ist erstens die durch dieses Wort benannte Wirklichkeit unsicher geworden. Im Kontext eines von Religion emanzipierten öffentlichen Be­ wußtseins ist der Behauptungscharakter von Aussagen über Gott, insofern sie als Aussagen die Existenz ihres Gegenstandes voraussetzen1, auffälliger geworden. Das gilt sowohl für die Aussagen der Tradition philosophischer Theologie als auch für die der christlichen Überlieferung und Verkündi­ gung. Solche Aussagen stellen sich im Kontext einer rein säkular geworde­ nen öffentlichen Kultur zunächst einmal als bloße Behauptungen dar, deren Wahrheit dahingestellt bleibt. Das heißt, daß die Wahrheit solcher Aussagen oder auch nur ihres (propositionalen) Kerngehalts, nicht mehr ungeprüft als plausibel oder glaubwürdig, wenn auch nicht über jeden Streit erhaben, hin­ genommen wird. Mag auch der einzelne sich in subjektiver Entscheidung so verhalten, das öffentliche Bewußtsein der säkularen Kultur läßt die Wahr­ heitsansprüche solcher bloßen Behauptungen zwar dann gern gelten, wenn sie säkulare Sachverhalte zum Inhalt haben und sich auf die Autorität der Wissenschaften stützen, etwa bei Soziologen oder Psychologen, nicht aber im Falle von Behauptungen über Gott, und zwar sogar dann nicht, wenn diese mit größerem Aufwand an Scharfsinn vorgetragen werden als das 1 So mit Recht I.U. Dalferth: Existenz Gottes und christlicher Glaube. Skizzen zu einer eschatologischen Ontologie, 1984, 88 f. im Anschluß an W. V.O. Quine’s These eines „ontolo­ gical commitment“ von Behauptungen (From a Logical Point of View, 1953,2nd ed. 1961, HTB 566,12 ff.).

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manchmal bei modischen Thesen von Humanwissenschaftlern der Fall ist. Behauptungen über Gott bleiben im öffentlichen Bewußtsein „bloße“ Be­ hauptungen, die nur der Subjektivität des Redenden zugerechnet werden, und das nicht nur in dem Sinn, daß ihr Wahrheitsanspruch generell für einer Prüfung bedürftig gilt, bevor seine Bejahung erwogen werden kann, sondern in dem viel weiter gehenden Sinn, daß von vornherein unterstellt wird, daß solche Prüfung zu nichts führen kann, Wahrheitsansprüche von Aussagen über Gott also einer ernsthaften öffentlichen Diskussion gar nicht würdig sind. Noch einschneidender ist eine zweite Veränderung, die allerdings als Fol­ ge der zuerst genannten verstanden werden kann: Mit dem Verblassen des Gottesgedankens in seiner Funktion für die Welt des Menschen im öffentli­ chen Bewußtsein einer religiös gleichgültig gewordenen Kulturwelt wird nicht nur das Dasein Gottes problematisch, sondern auch der Inhalt des Gottesgedankens undeutlich. Karl Rahner hat in der Meditation über das Wort „Gott“, die seinen „Grundkurs des Glaubens“ einleitet, gesagt, daß dieses Wort den heutigen Menschen rätselhaft anmute „wie ein erblindetes Antlitz“2. Gerade darum mag es dem, der sich der Bedeutung des Gottesge­ dankens in den historischen Kulturen der Menschheit bewußt ist, als „des Nachdenkens wert“ erscheinen. Doch es kann auch als Abakadabra erschei­ nen, das nicht mehr in die nüchterne Welt der Gegenwart paßt. Von daher ist es verständlich, daß neben andern Bestandteilen der traditionellen christlichen Sprache auch das Wort „Gott“ sogar Theologen als eine Belastung für die christliche Verkündigung erscheinen konnte, weil es der Verstehbarkeit dieser Verkündigung für den säkularen Menschen im Wege zu stehen scheint. Es ist nur so, daß ohne dieses Wort der Aufruf zum Glauben an Jesus von Nazareth jede Grundlage verliert: An einen Menschen neben andern, der bei aller Besonderheit seiner Lehren und seiner Lebensge­ schichte doch auch nur ein Mensch wie andere ist, kann man nicht glauben im Sinne der urchristlichen Verkündigung, und vor allem kann man nicht anderen zumuten, daß sie an ihn glauben sollen, zumal dann viele der von ihm überlieferten Worte und wohl auch sein Selbstverständnis als verstiegen und vom Gang der Geschichte überholt beurteilt werden müßten. Darum können christliche Verkündigung und christlicher Glaube auf das Wort „Gott“, das Jesu konkretem Reden von seinem „Vater“ zugrunde liegt, so daß dieses nicht ohne jenes verständlich ist, nicht verzichten. Wie kann dann aber aufs neue ein Zugang zu dem gewonnen werden, was das „erblindete Antlitz“ dieses Wortes umschließt und verbirgt? Heute mag es besonders naheliegen, auf diese Frage zu antworten mit dem Verlangen nach Erfahrung, religiöser Erfahrung, als Quelle einer Neube-

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K. Rahner: Grundkurs des Glaubens, 1976, 56.

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stimmung des Wortes „Gott“3. Das entspricht dem Geist eines empiristisch eingestellten Zeitalters. Die Antwort ist allerdings weniger selbstverständ­ lich als es scheinen mag. Das zeigt schon der Blick auf das Verhältnis von Glaube und Erfahrung. Beide sind keineswegs identisch, obwohl sie beson­ ders in der reformatorischen Tradition von Luther her eng miteinander ver­ bunden wurden. Der Glaube richtet sich auf Jesus Christus als Offenbarung Gottes, die aber durch Verkündigung und Lehre der Kirche vermittelt wird. Nach Luther ist solcher Glaube auf die Erfahrung der Verzweiflung am Ge­ setz bezogen. Dennoch tritt die Botschaft des Evangeliums – und damit auch der Glaube an sie – als etwas Neues zur Gewissenserfahrung hinzu, ist aus ihr nicht ableitbar, so sehr sie ihrerseits eine neue Erfahrung des Trostes und der Zuversicht begründet4. Die Verbindung von Glaube und Gewissens­ erfahrung hat in der Geschichte der evangelischen Frömmigkeit durch Pietismus und Erweckung fortdauernde Bedeutung behalten. Allerdings ist die in dieser Entwicklung zunehmende Begründung des Glaubens auf die Erfahrung des Schuldbewußtseins seit Nietzsche und Freud zum Gegen­ stand so vernichtender Kritik geworden, daß dieser Weg für eine Darlegung der humanen Relevanz des christlichen Glaubens kaum mehr gangbar ist5. Für das Thema der gegenwärtigen Fragestellung ist aber noch wichtiger, daß in dieser Tradition der Gottesgedanke gerade nicht auf die Gewissenserfah­ rung begründet, sondern zu ihrer Interpretation schon vorausgesetzt wurde. Wer zur Klärung des Gottesgedankens selbst auf religiöse Erfahrung zu­ rückgreifen möchte, muß mit einem weiter gefaßten Begriff von religiöser Erfahrung arbeiten. Ein solcher Begriff ist besonders von der modernen englischen Religionsphilosophie ausgearbeitet worden. Flywel D. Lewis sprach 1959 vom Sichwundern (wonder) als Ausgangspunkt eines religiösen Bewußtseins, das „hinter“ oder „über“ allen Widerfahrnissen und Fakten einer geheimnisvollen Wirklichkeit gewahr wird, von der alles andere ab­ hängt6. Diese Beschreibung steht den klassischen Ausführungen sowohl von William James als auch von Rudolf Otto nahe. Mit ihr berührt sich auch die zwei Jahre zuvor (1957) veröffentlichte und seither viel diskutierte Darstel­ lung von Ian T. Ramsey, der auf die Herausforderung der Theologie durch 3 So fordert J. Track (Sprachkritische Untersuchungen zum christlichen Reden von Gott, 1977) eine Begründung des Redens von Gott „in religiöser Erfahrung“ (242, vgl. 185 f., 311, 314). Auch I.U. Dalferth (Religiöse Reden von Gott, 1981) spricht von einer „Erfahrungsbasis christlicher Glaubensrede“ (393–494). Dalferth findet diese Basis in einer „Erfahrung der Anre­ de Gottes“ durch Jesus Christus (446, vgl. 469 ff., 489). 4 Zum spannungsreichen Verhältnis von Glauben und Erfahrung bei Luther siehe P. Alth­ aus: Die Theologie Martin Luthers, 1962, 58–65, sowie U. Köpf in TRE 10,1982,114 f. 5 B. Lauret (Schulderfahrung und Gottesfrage bei Nietzsche und Freud, 1977) hat die grundlegende Bedeutung der psychologischen Kritik des Schuldbewußtseins für den Atheis­ mus bei Nietzsche und Freud nachgewiesen. 6 H.D. Lewis: Our Experience of God, London (Allen and Unwin) 1959, Fontana ed. 21315,1970,120,128.

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die sprachanalytische Philosophie damit antwortete, daß er den Begriff reli­ giöser Erfahrung auf „Situationen“ bezog, in denen jemandem plötzlich et­ was aufgeht (disclosure), so wie man davon spricht, daß „der Groschen fällt“ oder „das Eis bricht“7. Stärker als Lewis hat Ramsey das Plötzliche der reli­ giösen Erfahrung betont, sowie ihren Charakter als Einsicht, die mit einem subjektiven Engagement verbunden ist: Das ganze Leben ändert sich da­ durch8. Das erinnert vielleicht nicht zufälligerweise an die Verbindung von Anschauung und Gefühl in Schleiermachers Religionstheorie von 1799, zu­ mal Ramsey auch ähnlich wie Schleiermacher der religiösen Erfahrung eine Beziehung auf „the whole universe“ gibt9. Eröffnet die so beschriebene religiöse Erfahrung nun einen Zugang zu ei­ ner deutlicheren Bestimmung des Gottesgedankens? Bei Ramsey – wie übri­ gens auch schon bei Schleiermacher – verhält es sich eher umgekehrt: Der Gottesgedanke fungiert als Interpretament solcher Erfahrung10. Dieser Sachverhalt hat sich in den späteren Diskussionen der analytischen Reli­ gionsphilosophie noch deutlicher gezeigt. Als „Begegnung“ mit Gott (oder mit einem Gott) kann religiöse Erfahrung sich erst in einer Interpretation darstellen, die sich ihreseits des Gottesgedankens bedient11. Besonders John Hick hat betont, daß religiöse Erfahrung wie alle andere Erfahrung mit In­ terpretation verbunden ist, die das Wahrgenommene erst „als etwas“ wahr­ nimmt und versteht12. Dabei ist die Deutung der Einzelerfahrung auf 7 I.T. Ramsey: Religious Language. An Empirical Placing of Theological Phrases, London (Macmillan) 1957, paperback ed. 1963, 28 f., vgl. 25 f. Die letztere Passage zeigt die Orientierung Ramseys an der Gestaltpsychologie. Auf die Herausforderung durch die philosophische Sprachanalyse bezieht sich die Einleitung des Buches (bes. 15). 8 Ebd. 40 f. 9 Ebd. 41. 10 So ist nach Ramsey ‚God‘ ein Schlüsselwort (key word: 51), in dem sich die mit der reli­ giösen Erfahrung verbundene Totalität des Engagements ausdrückt, das seinerseits nicht aus Wahrnehmungen ableitbar ist (48). Bei Schleiermacher gehört der Gottesgedanke zur Reflexion über die religiöse Erfahrung. In der Erstfassung der Reden „Uber die Religion“ 1799 steht der Gottesgedanke für eine unter mehreren möglichen Interpretationen des „Universums“, das der Mensch in der religiösen Erfahrung als handelnd erfährt (129). In der Glaubenslehre (1821, 2. Ausg. 1830) gilt das Wort „Gott“ als Ausdruck für die „unmittelbarste Reflexion“ über das Ab­ hängigkeitsgefühl, nämlich als dasjenige, „worauf wir dieses unser Sosein zurückschieben“ (§4,4). 11 So auch I. U. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 1981,432 f. mit Bezug vor allem auf R. W. Hepburn: Christianity and Paradoxy 1958, und J.I. Campbell: The Language of Religion, 1971. 12 J. Hick: Religious Faith as Experiencing-As, in: G.N. A. Vesey (ed.): Talk of God. Royal Institute of Philosophy Lectures II, 1967/68, London 1969, 20–35,25. Auch Hick bezieht sich mit seinen Ausführungen auf den Gestaltcharakter schon der Wahrnehmung, sieht diese aber wiederum verbunden mit Identifikationen des Erfahrungsinhalts in Form von concepts, die als social products ihrer jeweiligen Sprachwelt angehören. A.Jeffner: The Study of Religious Lan­ guage, London (SCM) 1972, 112 ff. faßt diese Beschreibung Hicks mit der Auffassung von F. Ferré (Language, Logic and God, London 1961) von der Bedeutung metaphysischer Rah­ menkonzeptionen für die Interpretation von Einzelerfahrungen zusammen.

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allgemeine Kennzeichnungen angewiesen, die das Momentane und Verein­ zelte des Eindrucks überschreiten und ihrerseits in weiteren Verstehenszu­ sammenhängen verortet sind13. Man kann diesen ganzen Interpretationspro­ zeß mit zum Begriff der Erfahrung rechnen. Nur wird es dann pro­ blematisch, die Erfahrung als „Basis“ des Redens von Gott gegen sekundär hinzutretende Interpretationen abzuheben und ihnen entgegenzusetzen. Das wäre nur dann plausibel, wenn man den Erfahrungsbegriff auf die Wahrnehmung im Unterschied zu ihrer späteren Verarbeitung beschränken könnte, aber gerade derartige Auffassungen haben sich als unhaltbar erwie­ sen, weil die Wahrnehmung als „Gestaltwahrnehmung“ selber schon eine Interpretation ist, die bereits weitergreifende geschichtlich und sozial ver­ mittelte Verstehenszusammenhänge impliziert, welche sodann durch Ein­ ordnung in Erfahrungszusammenhänge hermeneutisch ausdrücklich ge­ macht, aber auch modifiziert werden. Bisher hat sich ergeben, daß das Wort „Gott“ zwar eine Funktion im Zu­ sammenhang religiöser Erfahrung hat, aber nicht selber aus der Wahrneh­ mung in einer „Erschließungssituation“ ableitbar ist, sondern der deutenden Auffassung des in ihr Begegnenden dient, wobei nicht unterstellt werden kann, daß es sich um die einzige Deutungs- und Auffassungsmöglichkeit für den Gehalt solcher Situationen handelt. Es ist nun genauer zu klären, welche Art von Deutung und Auffassung des in der Erschließungssituation sich Er­ schließenden mit dem Ausdruck „Gott“ verbunden ist. Hier läßt sich zu­ nächst feststellen, daß die Verwendung dieses Ausdrucks ein Gegenüber be­ zeichnet, das in der Erschließungssituation erfahren wird. Genauer gesagt, die Erschließungssituation wird von demjenigen, der in Verbindung mit ihr von „Gott“ spricht, als „Begegnung“ mit einem Gegenüber erfahren. Das Wort „Gott“ dient dann der Bezeichnung dieses Gegenübers14. Doch in 13 So I.U. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 1981, 454–466. Unverständlich bleibt, wie Dal­ ferth die „Wahrnehmungsebene“ der christlichen Anredeerfahrung „in historischen Aussagen artikuliert“ (467) finden kann, nämlich in Aussagen über Jesus und seine Bedeutung (vgl. 486 ff.). Solche historischen Aussagen beinhalten doch nicht einfach Wahrnehmungen, sondern recht weit fortgeschrittene Stadien ihrer interpretierenden Verarbeitung. J. Track unterscheidet schärfer zwischen der religiösen Erfahrung in der „Erschließungssituation“, der er den „perso­ nalen Charakter“ des transzendenten Gegenübers zurechnet, und der die Verständigung über solche Erfahrungen ermöglichenden Einordnung in Zusammenhänge der Daseins- und Hand­ lungsorientierung (a. a. O. 254 f.). Doch gesteht auch er zu, daß es sich schon bei der Auffassung der „unmittelbaren Erfahrung“ als Gotteserfahrung um eine Deutung handelt (284 f.). 14 Damit ist die Beschreibung der Funktion des Wortes „Gott“ als eines lediglich eine be­ stimmte Lebensauffassung und Handlungsorientierung qualifizierenden Ausdrucks i.U. zu ei­ ner Gegenstandsbezeichnung als Mißverständnis des in der religiösen Sprache Gemeinten er­ weisbar. Vgl. I.U. Dalferth: Existenz Gottes und christlicher Glaube. Skizzen zu einer eschato­ logischen Ontologie, München 1984, 89 ff. zu den Beiträgen von H. Braun, P. van Buren und F. Kambartel zu diesem Thema. Zu F. Kambartels Vorschlag, das Wort „Gott“ als synkategore­ matischen Ausdruck zu verstehen (ZEE 15, 1971, 32–35), siehe bes. J.Track a. a. O. 219 ff. 224, 229, 252 ff.

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welchem Sinne ist das der Fall? Fungiert das Wort als Eigenname oder als identifizierende Beschreibung? Die Frage ist umstritten15. Im Hintergrund steht dabei auch das Verhältnis von theologischem und metaphysischem Gottesbegriff. Während philosophische Analyse von „Gott“ als beschrei­ bender Kennzeichnung spricht, sogar dann noch, wenn für „Gott“ eine eigene ontologische Kategorie mit nur einem einzigen Anwendungsfall po­ stuliert wird16, neigt der theologische Sprachgebrauch dazu, die Funktion des Wortes „Gott“ als Eigenname zu bevorzugen. Dennoch läßt sich auch der theologische Sprachgebrauch nicht auf diese Funktion einschränken. Ohne die Annahme eines auch prädikativen Gebrauchs dieses Wortes ließe sich z. B. nicht von der „Gottheit“ Jesu Christi sprechen17. Vor allem aber ist die Entwicklung des biblischen Gottesverständnisses durch die Doppelheit der Bezeichnungen Jahwe und Elohim gekennzeichnet, wobei Jahwe aus­ schließlich Eigenname, Elohim aber – obwohl häufig ebenfalls als Eigenname gebraucht, – ursprünglich Gattungsbezeichnung ist. Daß die Gattungsbe­ zeichnung „Gott“ zum Namen eines einzigen wird, ist charakteristisch für den Sprachgebrauch monotheistischer Religionen. Das ändert jedoch nichts daran, daß es sich bei dem Wort „Gott“ zunächst um eine Gattungsbezeich­ nung oder allgemeine Kennzeichnung handelt. Nur von daher ist der prädi­ kative Gebrauch des Wortes verständlich. Nur auf dieser Basis ist aber auch der monotheistische Anspruch als solcher verständlich zu machen, nämlich als Einschränkung der Kategorie der Gottheit auf diesen einen. Daß das Wort Gott „einen ausgeprägten vor- und außerchristlichen Gebrauch“ hat18, ist Be­ dingung der Verstehbarkeit der Bezeichnung Jahwes als Gott wie auch der christlichen Rede von der Gottheit Jesu Christi. Es ist Bedingung der Ver­ stehbarkeit auch für die Behauptung der „alleinigen Gottheit“ Jahwes, des Vaters Jesu Christi bzw. des dreieinigen Gottes: Der Inhalt der Behauptung liegt dann gerade in der Einschränkung einer allgemeinen Kategorie auf ei­ nen einzigen Fall ihrer Realisierung. Darin ist sicherlich eine Korrektur des außerchristlichen Sprachgebrauchs enthalten. Das besagt jedoch nicht, daß die Verwendung des gleichen Ausdrucks hier nicht als Indiz dafür genom­ men werden dürfte, daß „von Demselben die Rede sei“19. Es ist durchaus von Demselben die Rede, nämlich von „Gott“ schlechthin, aber in anderer Weise, in der Weise einer fundamentalen Korrektur. Die Eigenart des Wortes „Gott“ als allgemeine Kennzeichnung ist nicht nur für die Ursprungsgeschichte des biblischen und des christlichen Redens von Gott wichtig, sondern hat bleibende Bedeutung als Bedingung der 15 Siehe dazu J. Track 175 ff., bes. 185 ff., sowie I.U. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 1981,571–583. 16 So M. Durrant: The Logical Status of ‚God‘, London 1973,15 u. 49. 17 I.U. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 1981, 574 ff. 18 A. a. O. 576. 19 So Dalferth ebd.

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Verständlichkeit des Redens von Gott. Eigennamen sind nur in Verbindung mit Gattungsbezeichnungen verständlich, und das gilt auch für den Sonder­ fall der Einschränkung der Gattungsbezeichnung auf eine einzige Realisie­ rung. Der Begriff des „Göttlichen“ als Gattungsbezeichnung für „Götter“ ist allerdings in der christlichen Theologie abgelöst worden durch den metaphysischen Gottesbegriff, der bereits in sich selber die Einheit des Göttlichen als des einen Ursprungs des einen Kosmos enthält. Der metaphy­ sische Gottesbegriff konnte, weil er ebenfalls die Form einer allgemeinen Be­ schreibung besaß, in der christlichen Theologie dieselbe Funktion erfüllen wie der Allgemeinbegriff „Gott“ (Elohim) in den Anfängen des biblischen Gottesverständnisses und insbesondere auch für die Verständlichkeit der Behauptung der alleinigen Gottheit Jahwes: Der metaphysische Gottesbe­ griff fungiert in der christlichen Theologie als allgemeine Verstehensbedin­ gung des christlichen Redens von Gott: „Gott“, den bereits die Philosophie als den einen gedacht hat im Gegensatz zu der Vielheit der Götter des polytheistischen Volksglaubens, existiert real in dem einen Gott der Bibel, dem Vater Jesu Christi. Hier brauchte jedenfalls hinsichtlich der Einheit Gottes der außerbiblische Sprachgebrauch nicht mehr so radikal korrigiert zu werden wie bei der Entgegensetzung Jahwes als des einzigen Gottes ge­ gen die Götter der Völker. Es wurde deutlicher, daß die christliche Missions­ botschaft in ihrer Verkündigung der Offenbarung des einen Gottes in Jesus Christus bei aller Korrektur von „Demselben“ spricht, den die Menschen auch zuvor schon unter dem Namen „Gott“ kennen. Wenn die christliche Theologie heute den Gottesgedanken der philosophischen Theologie, die Gott als Einheit gedacht hat, zurückweist, weil in der Theologie doch „vom christlichen Gott und nicht von irgendeinem anderen die Rede“ sei20, dann vollzieht sie damit, wenn auch ungewollt, den Rückgang auf die Situation ei­ ner Mehrheit von Göttern, unter denen die christliche Rede von Gott sich nun eben auf diesen bestimmten, den biblischen Gott, als einen unter andern bezieht. Wer so argumentiert, kann jedoch nicht gleichzeitig die auf der Ein­ engung der philosophischen Diskussion des Gottesgedankens auf den Mo­ notheismus beruhende Argumentation für eine sprachanalytisch begründete Einzigkeit Gottes in Anspruch nehmen. Wenn man umgekehrt dieses tut, dann muß man sich auch zu den metaphysischen Implikationen solcher Be­ schreibung des Sprachgebrauchs für das Wort „Gott“ bekennen. Die christ­ liche Theologie hat das seit ihren Anfängen im wohlverstandenen eigenen Interesse getan, weil sie damit die Allgemeingültigkeit des biblischen Redens von dem einen Gott gegenüber dem Polytheismus des Volksglaubens und der staatlich geschützten Kulte behaupten konnte. Die Schwierigkeiten für die Verständlichkeit des christlichen Redens von Gott in der Gegenwart

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Dalferth a. a. O. 563, vgl. 566, 568 f., 580, 582.

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sind zumindest verschärft worden dadurch, daß die christliche Theologie sich ihrerseits der im kulturellen Bewußtsein der Moderne vollzogenen Ab­ kehr von der „Metaphysik“ in der Tradition philosophischer Theologie viel­ leicht allzu unüberlegt angeschlossen und allzu wenig die Folgen für die Ver­ bindlichkeit des theologischen Redens von Gott bedacht hat. Es dürfte sich dabei um einen der vielen Fälle übereilter Anpassung an den Zeitgeist han­ deln. Die evangelische Theologie hat damit der Verständlichkeit des christli­ chen Redens von Gott keinen guten Dienst erwiesen. Es hat sich gezeigt, daß der Rückgriff auf die religiöse Erfahrung für die Klärung des Redens von Gott wenig austrägt, weil dieses Wort vielmehr umgekehrt eines der wichtigsten Interpretamente für die Verständigung über den Inhalt religiöser Erfahrung ist. Die Bezugnahme auf Religion und religiöse Erfahrung hat ihre Bedeutung an anderer Stelle, nämlich bei der Frage, ob und welche Realität dem Gottesgedanken entspricht. Das wird in späterem Zusammenhang noch ausführlich erörtert werden. Der Gottesge­ danke ist für die Klärung des Inhalts religiöser Erfahrung schon vorausge­ setzt, jedenfalls in einer allgemeinen, der Näherbestimmung zugänglichen Form. Für diesen allgemeinen Inhalt des Gottesgedankens ist die Tradition philosophischer Theologie aufschlußreicher als der Rekurs auf irgendwel­ che besonderen Erfahrungen. Dabei handelt es sich nämlich um das Ver­ ständnis der Welt. Die philosophische Theologie hat den einen Gott als den Ursprung der Einheit des Kosmos gedacht. Sie trat damit nur bedingt in Gegensatz zu dem, was die religiösen Überlieferungen von den Göttern sagten. Auch die Religionen schreiben den Göttern Wirkungssphären in­ nerhalb der kosmischen Ordnung und Funktionen bei ihrer Begründung zu. Die philosophische Theologie trat den religiösen Überlieferungen nur insofern kritisch entgegen, als die Einheit des Kosmos letztlich auch der Einheit seines göttlichen Ursprungs bedarf, wenngleich dieser sich sekundär in einer Pluralität von Aspekten darstellen mag. In analoger Wei­ se hat die Beziehung zur Welt und zur Begründung ihrer Einheit ent­ scheidende Bedeutung für die Entwicklung des Glaubens Israels an seinen Gott gehabt, über den Schöpfungsgedanken bis zur Überzeugung von der alleinigen Gottheit Jahwes, wie sie bei Deuterojesaja voll hervorgetreten ist (Jes 40,12 f.; 45,18–21). Auch zum biblischen Reden von Gott steht es also keineswegs in Gegensatz, daß die philosophische Theologie das Verhältnis zur Welt, und zwar zur Welt im ganzen, zum Kriterium des Gottesgedankens machte. Auch die frühe christliche Theologie hat daran festgehalten, daß der in Jesus Christus offenbare Gott kein anderer ist als der Schöpfer der Welt und so der eine und einzige Gott schlecht­ hin. Eben das ist die Grundfunktion des Redens von Gott in der christli­ chen Theologie: Der Schöpfer der Welt wurde in Jesus Christus dem Men­ schen gegenwärtig und offenbar. Dieser Gehalt des Wortes „Gott“ läßt sich freilich keiner Einzelerfahrung, auch keiner religiösen Einzelerfah­

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rung entnehmen21, obwohl, wie später noch zu erörtern sein wird, die Ei­ genart religiöser Erfahrung der Interpretation durch dieses Wort in beson­ derer Weise entgegenkommt, wie ja auch die Weltdeutungen der alten Kulturen, in deren Zusammenhang der Gottesgedanke entwickelt wurde, religiösen Ursprung und Charakter haben. Gerade im singulären Gebrauch ist das Wort „Gott“, mit Ian T. Ramsey zu reden, ein „Schlüsselwort“ reli­ giös begründeter Weltauffassung, ein Wort, das nicht primär eine Beschrei­ bung des Inhalts von Einzelwahrnehmungen ist oder im Zusammenhang derartiger Beschreibungen seine Funktion hat, sondern eine „letzte Erklä­ rung“ für das Sein der Welt im ganzen, z. B. durch die Schöpfungsaussage, ermöglicht und darin zugleich Ausdruck und Begründung jenes unbeding­ ten Engagements ist, das mit religiöser Erfahrung verbunden ist22. Eine Erinnerung an diese Funktion ist mit dem Wort „Gott“ auch noch im Kontext des modernen Säkularismus verbunden. Wenn es uns anblickt wie ein „erblindetes Antlitz“, so erinnert es durch seine Fremdartigkeit an das Sinndefizit der modernen Lebenswelt, in der das Thema ihrer Einheit und Ganzheit verabschiedet und die Ganzheit des menschlichen Daseins zur unbeantwortbaren Frage geworden ist. Was wäre, wenn dieses Wort ganz verschwunden wäre? Karl Rahner hat darauf mit Recht geantwortet: „Dann ist der Mensch nicht mehr vor das eine Ganze der Wirklichkeit als solcher und nicht mehr vor das eine Ganze seines Daseins als solchen gebracht. Denn ebendies tut das Wort ‚Gott‘ und nur es…“23 Das war vielleicht nicht immer 21 Daher ist es wohl kein Zufall, daß in Dalferths Ausführungen über die „Erfahrung der Anrede Gottes“ in Jesus Christus der mit dem Wort „Gott“ gegebene Weltbezug ganz ausfällt. Dalferth macht sich selber den Einwand: „Um Jesus als die Anrede Gottes erfahren zu können, darf ‚Gott‘ kein leerer Ausdruck für mich sein“, bezeichnet diesen Einwand aber als „so nicht stichhaltig“, weil dabei das Wort „Gott“ als allgemeine Kennzeichnung und nicht als „rigider Designator“, der nur ein einziges Individuum benennt, aufgefaßt werde (600). Dalferth über­ sieht dabei, daß die Auffassung des Wortes „Gott“ als rigider Designator die Einzigkeit Gottes (und das darin implizierte Weltverhältnis) schon voraussetzt. Ohne solche Implikation aber wird die Rede von einer „Erfahrung der Anrede Gottes“ in Jesus Christus selber leer und nichtssagend. 22 I.T. Ramsey: Religious Language, 53, vgl. 83 (zum Schöpfungsgedanken) und 48 (zum Verhältnis von key words und Wahrnehmung), schließlich die Beschreibung des „religious commitment as a total commitment to the whole universe“, das wegen seiner Totalität mit „Schlüsselworten“ verbunden ist, die diejenige Einsicht begründen, aus der das Engagement sich als Antwort ergibt (41). 23 Grundkurs des Glaubens, 1976, 57. Vgl. auch T. Rendtorff: Gott – ein Wort unserer Spra­ che? Ein theologischer Essay, 1972,18 ff. Trotz einer mißverständlichen Wendung S. 28 ist das Wort „Gott“ bei Rendtorff nicht als „Name“ für das Ganze der Wirklichkeit aufzufassen (so J.Track a. a. O. 303 Anm. 64), sondern, wie es S. 31 ausdrücklich heißt, als das „Subjekt“ dieses Ganzen, nämlich der Welt. Rendtorff bezieht sich mit diesen Ausführungen kritisch auf E. Jün­ gel: Gott – als Wort unserer Sprache (Unterwegs zur Sache, Theologische Bemerkungen, 1972, 80–104), indem er die von Jüngel (84) beanstandete Auffassung G.Ebelings (Gott und Wort, 1966, 60 f.), derzufolge Gott schon vorgängig zur Verkündigung des Evangeliums „das Ge­ heimnis der Wirklichkeit“ ist, seinerseits aufnimmt und in seiner Weise expliziert. Dabei

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die Funktion des Wortes „Gott“. Solange man mit einer Pluralität von Göt­ tern rechnete, stellte sich die Frage nach dem einen Ganzen der Welt als eine besondere, nicht ohne weiteres schon mit dem Dasein von Göttern beant­ wortete Frage. Sie fand ihre Antwort erst in den Anschauungen über die Ordnung der Götterwelt, die in der Ordnung des Kosmos in Erscheinung tritt und der gesellschaftlichen Ordnung der Menschenwelt zugrunde liegt. Doch seit die Vielzahl von Göttern auf den Gedanken des einen Gottes als Ursprung der einen Welt reduziert wurde, ist das Wort „Gott“ in der Tat zum „Schlüsselwort“ für das Bewußtsein von der Welt im ganzen und von der Ganzheit des menschlichen Lebens geworden. Bahnbrechend dafür ist neben der Entwicklung des Glaubens Israels von der Monolatrie, der Vereh­ rung nur eines einzigen Gottes, zum Monotheismus als der Überzeugung vom Dasein nur dieses einen Gottes die philosophische Theologie der Grie­ chen geworden. Sie ist insbesondere auch Bedingung der Verständlichkeit und Plausibilität der christlichen Botschaft von der Offenbarung des einen Gottes aller Menschen (1.Thess 1,9 f., vgl. Röm 3,29 f.) in Jesus Christus für Nichtjuden gewesen. Insofern handelt es sich hier nicht um ein Erbe, von dem sich das Christentum einer heidenchristlichen Kirche so ohne weiteres – und ohne weitreichende und schwerwiegende Konsequenzen – distanzie­ ren könnte. Dieser Sachverhalt ist in der evangelischen Theologie seit Al­ brecht Ritschl und seiner Schule, aus der auch Karl Barth mit seiner Ableh­ nung der „natürlichen Theologie“ hervorgegangen ist, oft falsch eingeschätzt und dargestellt worden. Der Geist des Hellenismus und insbesondere die philosophische Theologie der Griechen sind nicht so ohne weiteres wie ein äußerlicher und die angeblich rein moralische Botschaft des Evangeliums verfälschender Faktor aus dem Verständnis des Christentums auszutreiben. Zumindest der Heidenchrist und eine heidenchristliche Kirche können den Sachverhalt so undifferenziert nicht beurteilen, ohne die Voraussetzun­ gen der eigenen Hinwendung zum Gott der Juden als dem einen Gott aller Menschen zu zerstören. Damit ist allerdings noch wenig gesagt über die Funktion, die solcher philosophischen oder „natürlichen“ Theologie im Zu­ sammenhang eines christlichen Gottesverständnisses zukommt. Insbe­ sondere ist das Verhältnis zwischen philosophischer Theologie und der durch die geschichtliche Offenbarung Gottes vermittelten Gotteserkenntnis sieht Rendtorff allerdings von Ebelings Konzentration auf die „Sprachlichkeit“, auf die „Grundsituation des Menschen als Wortsituation“ (57) ab. Im übrigen jedoch stimmen seine Ausführungen weitgehend überein mit denen Ebelings über die das Gewissen angehende Frage nach Gott als „Frage nach dem Ganzen, dem Ersten und Letzten“, die die Frage nach Welt und Mensch in sich schließt (Wort und Glaube I, 1960, 434). Ebeling betont freilich auch an der zu­ letzt genannten Stelle die sprachliche Vermittlung („Begegnungsweise“) dieses Zusammen­ hangs. Darüber braucht weiter kein Streit zu sein, solange Einverständnis darüber besteht, daß es sich bei Wort und Sprache nicht um „bloße“ Worte, sondern um Sprache in wirklichkeitser­ schließender Funktion handelt, wozu auch die Unterscheidung von Wort und Sache durch die Sprache selber gehört.

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des christlichen Glaubens durch die einfache Feststellung, daß man hier mit bloßen Alternativen nicht auskommt, noch keineswegs geklärt. Diese Fest­ stellung besagt auch nicht, daß es neben der Offenbarung Gottes so etwas wie eine Gotteserkenntnis ohne Gott, eine Gotteserkenntnis, die nicht von Gott selber ausginge, geben könne24: Es zeigte sich ja schon an früherer Stel­ le, daß eine solche Annahme den Gottesgedanken selber aufheben würde. Ob „natürliche Theologie“ so etwas behauptet hat, wird noch zu klären sein, sollte aber nicht von vornherein unterstellt werden. Andererseits ist auch nicht von vornherein auszuschließen, sondern eher zu vermuten, daß in dem Kampf prominenter evangelischer Theologen der letzten beiden Jahr­ hunderte gegen den Einfluß „natürlicher Theologie“ in der traditionellen theologischen Gotteslehre Wahrheitsmomente enthalten sein könnten, die Beachtung fordern. Dabei könnte sich sogar heraussteilen, daß der Begriff ei­ ner von der Offenbarungstheologie zu unterscheidenden „natürlichen Theo­ logie“ als solcher der Sache nicht angemessen und besser preiszugeben ist, ohne daß damit der Tradition philosophischer Theologie mit ihren Gottes­ beweisen und mit ihren Kriterien für eine positive Bestimmung des Gottes­ gedankens jede Relevanz im Rahmen einer christlichen Gotteslehre abge­ sprochen werden müßte. Bevor aber ein einigermaßen begründetes Urteil über irgendeine dieser Fragen gewonnen werden kann, bedarf es zunächst ei­ ner Klärung des Begriffs der natürlichen Theologie und ihrer Funktionen in der traditionellen dogmatischen Lehre von Gott.

2. Natürliche Gotteserkenntnis und „natürliche Theologie“ Die altprotestantische Dogmatik hat seit ihrer Hinwendung zu eingehender Erörterung des Theologiebegriffs – in der lutherischen Dogmatik also seit Johann Gerhard – innerhalb des Begriffs der theologia viatorum zwischen natürlicher und geoffenbarter Theologie unterschieden25. Diese Un­ terscheidung war in der katholischen Barockscholastik vorgebildet, findet sich jedoch in der Hochscholastik des 13. Jahrhunderts noch nicht26. Dage­ 24 Das ist der die Argumentation Jüngels in dem zitierten Aufsatz bestimmende Gesichts­ punkt (a. a. O. 84 f.). Jiingel selbst hat seine umfangreiche Untersuchung zum Gottesgedanken unter den Titel „Gott als Geheimnis der Welt“ (1977) gestellt, dabei allerdings dem Begriff des Geheimnisses die Wendung gegeben, daß es selbst als Ausdruck göttlicher Rede zu verstehen ist (338 ff.). 25 Nur G. Calixt hat i.U. zu der von Gerhard ausgehenden Begriffsbildung den Begriff der natürlichen Theologie aus dem christlichen Theologiebegriff ausgeschlossen. Siehe dazu J. Wallmann: Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, 1961, 97 ff. 26 Vgl. U. Köpf: Die Anfänge der theologischen Wissenschaftstheorie im 13. Jahrhundert, 1974, 231 ff. Anm. 34. Der Oberbegriff einer theologia viatorum als Gegenwartsgestalt unserer

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gen war es durchaus geläufig, von einer natürlichen Kenntnis oder Erkennt­ nis Gottes (cognitio oder notitia naturalis) – im Sinne der paulinischen Fest­ stellung Röm 1,19 f. zu sprechen, wonach Gottes ewige Macht und Gottheit der Erkenntnis der Menschen „von der Weltschöpfung her“ offenbar ist27. Der Sachverhalt solcher allgemeinen Kenntnis von Gott ist in der christlichen Theologie seit ihren Anfängen betont oder zumindest als selbstverständlich behandelt worden. Er wurde allerdings unterschiedlich ausgelegt, und davon wird an späterer Stelle noch zu reden sein. Es ist aber bis zu Beginn dieses Jahrhunderts in der evangelischen Theologie niemals bestritten worden, daß es sich hier um eine von der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Jesus Christus unterschiedene Form der Gotteserkenntnis handelt, auf die die christliche Botschaft sich bezieht, indem sie sie in Anspruch nimmt als eine vorläufige Kenntnis der Menschen von demselben einen Gott, den die christliche Botschaft verkündet. In diesem Sinne hat Thomas von Aquin von einer cognitio naturalis im Unterschied von der durch Gottes geschichtliche Offenbarung vermittelten cognitio supernaturalis gespro­ chen28. Trotz schärferer Kritik an der bei den Menschen faktisch immer vollzoge­ nen Perversion solcher Kenntnis hat auch Luther aus der Aussage des Apostels entnommen, daß alle – gerade auch als „Götzendiener“ – Kenntnis von dem wah­ ren Gott haben und eben darum unentschuldbar sind, wenn sie nicht ihm, sondern ihren Götzen dienen29. Ähnlich liegt der Sachverhalt bei Calvin30, während die spätere altprotestantische Theologie auf lutherischer wie auf reformierter Gotteserkenntnis (theologia nostra)- i.U. zur Gotteserkenntnis des Urstands einerseits, der der Seligen andererseits – stammt dagegen von Duns Scotus. Dieser unterschied die theologia nostra sowohl von der Erkenntnis Gottes von sich selber als auch von der Gotteserkenntnis der Seli­ gen: Lectura in Librum Primum Sententiarum prol. pars 2 q 1–3, Opera Omnia ed. Vat. vol. 16, 1960, 31 f. (n. 87 und 88), cf. Ordinatio prol. p. 3 q 1–3, ed. Vat. 1, 1950, 110 f. (n. 168), 114 (n. 171), sowie 137 (n. 204 ff.). 27 Zur Exegese der Stelle siehe U. Wilckens: Der Brief an die Römer 1,1978, 95 ff. 105 ff. und zur Wirkungsgeschichte 116 ff. Ferner bes. G. Bornkamm: Die Offenbarung des Zornes Gottes, in: Das Ende des Gesetzes, Paulusstudien, 1952, 9–34,18 ff. 28 Summa theol. II/2, 2 a 3 ad 1: . ..quia natura hominis dependet a superiori natura, ad ejus perfectionem non sufficit cognitio naturalis, sed requiritur quaedam supernaturalis (vgl. I, 3 a 8). 29 WA 56,176, 26 ff. (zu Röm 1,20). Im Fortgang heißt es (WA 56,177), diese Kenntnis um­ fasse Gottes unmittelbare Macht, Gerechtigkeit, Unsterblichkeit, Güte und sei unauslöschlich (inobscurahilis), die daraus folgende Gottesverehrung werde jedoch fälschlich den Götzen dar­ gebracht. In diesem Sinn sind vielleicht noch spätere Äußerungen Luthers zu verstehen, denen zufolge die Vernunft zwar wisse, „das eyn Gott ist“, aber nicht, wer er ist (WA 19,207,3 ff., vgl. die bei P. Althaus: Die Theologie Martin Luthers, 1962, 27 ff. gesammelten Belege). Siehe auch B. Lohse: Ratio und Fides. Eine Untersuchung über die ratio in der Theologie Luthers, 1958,45 ff., 59 ff. 30 W. Niesei: Die Theologie Calvins, 2. Aufl. München 1957, 39–52. Wenn Calvin trotz Be­ tonung des dem Menschen unzerstörbar eingeprägten sensus divinitatis (Inst. I,3, bes. I,3,3) und des Zeugnisses der Schöpfung für Dasein und Herrlichkeit des Schöpfers bestreitet, daß es da­ durch im jetzigen Zustand des Menschen zu einer Gotteserkenntnis im vollen Sinne des Wortes kommt, so ist zu berücksichtigen, daß von einer solchen nach Calvin nur in Verbindung mit ei­ ner ihr entsprechenden Gottesverehrung zu reden wäre: Neque enim Deum, proprie loquendoy cognosci dicemus uhi nulla est religio necpietas (Inst. I,2,1).

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Seite unter dem Einfluß Melanchthons zu einer eher positiven Wertung der vor­ christlichen und außerchristlichen Gotteserkenntnis gelangte, vor allem im Blick auf die Aussagen vorchristlicher Philosophen über das Wesen Gottes31. Auch die seit Schleiermacher einsetzende Kritik am Begriff einer natürlichen Theologie hat vor Karl Barth nicht zur Bestreitung einer der Christusoffenbarung vorangehen­ den, „natürlichen“ Kenntnis von Gott geführt. Und es heißt sogar noch bei Barth in Auslegung von Röm 1,20 f., „daß der Mensch Gott – nicht aus sich selber, aber kraft Gottes Offenbarung – von der Schöpfung her… sehr wohl kennt und also weiß, daß er sich ihm schuldig ist“ (KD 1/2, 1938, 335). Aber die Herkunft dieses Wissens aus Gottes Offenbarung hat Barth nun auf das Geschehen der Christusof­ fenbarung bezogen (KD II/l, §26, bes. 124, 131 ff.). „Das Alles wird den Heiden als Wahrheit über sie selbst zugeschrieben, zugerechnet, imputiert: daraufhin, daß in und mit der Wahrheit Gottes in Jesus Christus auch die Wahrheit des Menschen offenbar geworden ist“ (133). Es handelt sich also nicht um eine Kenntnis, die die Menschen in sich selber haben, wie auch immer verdeckt und zum Götzendienst verkehrt, sondern um eine ihnen nur von außen zugeschriebene Kenntnis. Daß die Verkündigung der Offenbarung des Zornes Gottes Röm 1,18 die Menschen auf eine ihr vorausgehende Kenntnis desselben Gottes anredet, das mochte Barth an­ scheinend nicht gelten lassen, weil es mit seinem Verständnis der Christusoffen­ barung als der einen Offenbarung Gottes nicht zu vereinen war. Aber zeigt sich darin nicht vielleicht ein Mangel an Barths eigenem Verständnis gerade der Chri­ stusoffenbarung? Könnte es nicht zu deren Eigenart gehören, daß sie die Zugehö­ rigkeit von Welt und Mensch zu dem vom Evangelium verkündeten Gott und ein Wissen darum schon voraussetzt, so sehr solches Wissen und solche Zugehörig­ keit durch die Christusoffenbarung in ein ganz neues Licht gerückt werden? Kam doch nach Johannes der Sohn Gottes, als er Mensch wurde, nicht etwa in die Fremde, sondern „in sein Eigentum“ (Joh 1,11). Freilich heißt es weiter, daß die Seinen ihn nicht aufnahmen, doch die verletzende Schärfe dieses Sachverhalts be­ steht darin, daß die Menschen, die ihn nicht aufnahmen, eben nicht Fremde, son­ dern von Anfang an die Seinen sind. Wenn das so ist, so kann es unmöglich ihrem Sein und folglich auch ihrem Wissen von sich gänzlich äußerlich geblieben sein, da vielmehr das Sein der Geschöpfe – auch noch des Sünders – durch die schöpferi­ sche Gegenwart Gottes, seines Logos und seines Geistes bei ihnen konstituiert wird. Paulus spricht jedenfalls ausdrücklich von einer durch Gott selbst eröffneten Kenntnis seiner Gottheit „seit der Erschaffung der Welt“ (Röm 1,20), also lange vor der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Diese Kenntnis ist, wie Günther Bornkamm mit Recht hervorgehoben hat, nicht eine Möglichkeit des Menschen, die etwa durch seine Bemühungen erst zu verwirklichen wäre, sondern ein von Gott her begründetes Faktum, bei dem die Menschen behaftet werden und 31 In seinen Loci praecipui theologici von 1559 bezeichnete Melanchthon die platonische de­ scriptio Del, die er zusammenfassend mit MENS AETERNA, CAUSSA BONI IN NATURA wiedergibt, als Gedanken, die verae et eruditae sunt et exfirmis demonstrationibus natae, wenn auch die aus der biblischen Offenbarung stammenden Aussagen hinzuzufügen sind (addendum est): CR 21, 610. Zur Behandlung der Gottesbeweise bei Melanchthon und zu seinem Einfluß auf die reformierte Theologie siehe J. Platt: Reformed Thought and Scholasticism. The Argu­ ments for the Existence of God in Dutch Theology 1575–1650, Leiden 1982, bes. 3–46 und 49 ff. (zu Ursinus).

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das die Unentschuldbarkeit ihrer Hinwendung zum Götzendienst erweist32. Man wird daher die Formulierung des I. Vatikanischen Konzils (1870), daß Gott als Ursprung und Ziel aller Dinge aus den geschöpflichen Dingen erkannt werden „könne“ (certo cognosci posse)33, als zumindest mißverständlich beurteilen müs­ sen. Legt diese Formulierung es doch nahe, daß es sich um ein Können und Ver­ mögen der menschlichen Vernunft (naturali humanae rationis lumine) handelt, nicht einfach um die Faktizität der Kenntnis von Gott34. In solcher faktischen Kenntnis von Gott ist sicherlich in einem allgemeineren Sinn des Wortes auch de­ ren Möglichkeit eingeschlossen, aber sie ist dem Menschen auch dann noch nahe, wenn er von solcher „Möglichkeit“ gar nichts wissen möchte: Der Gegenwart Gottes bei ihm selber entgeht er nicht. Gegen die Rede von einer Gotteserkenntnis als einer dem Menschen verfügbaren Möglichkeit hat sich Karl Barths Kritik an dieser Formulierung nicht ohne Grund gewendet (KD II/l, 86), weil er darin eine Verletzung des Grundsatzes erblickte, „daß Gott nur durch Gott… erkannt wer­ den könne“ (ebd.). In der Tat hat der Konzilstext im Unterschied zu Paulus jene Gotteserkenntnis aus den Werken der Schöpfung nicht ausdrücklich als Wirkung göttlicher Kundgabe dargestellt. Andererseits war es offensichtlich nicht die In­ tention des Konzils, die Begründung solcher Erkenntnis von Gott her auszu­ schließen oder einer „Aufspaltung des Gottesgedankens“ das Wort zu reden, wie Barth (KD II/l, 91 f.) unterstellt hat. Soweit es darum geht, das Faktum einer „na­ türlichen“ Erkenntnis Gottes aus den Werken der Schöpfung durch das Licht der menschlichen Vernunft festzustellen, kann der Konzilsaussage vom Neuen Testa­ ment her nicht widersprochen werden, immer vorausgesetzt, daß dieses Faktum seinen Grund in Gott selbst hat, der sich von der Schöpfung her in seiner Gottheit dem Menschen zu erkennen gibt. In der Wiederaufnahme der Aussage des ersten Vatikanums durch die Offenbarungskonstitution des II. Vatikanischen Konzils (DV 6) ist denn auch die natürliche Gotteserkenntnis in den durch den Offenba­ rungsratschluß Gottes gegebenen heilsgeschichtlichen Rahmen eingeordnet wor­ den.

Während von einer „natürlichen“ Kenntnis Gottes im Sinne des Paulus als von einem bei allen Menschen bestehenden Faktum zu sprechen ist, findet sich „natürliche Theologie“ keineswegs so allgemein verbreitet. Für ein Ver­ ständnis des komplexen Sachverhaltes, um den es hier geht, ist es nötig, 32

G. Bornkamm a. a. O. 19. DS 3004, vgl. 3026. 34 DS 3004. Seltsamerweise hält ein so scharfsinniger Betrachter dieses Themas wie E. Jüngel (Das Dilemma der natürlichen Theologie und die Wahrheit ihres Problems, in: Entsprechun­ gen: Gott – Wahrheit – Mensch. Theologische Erörterungen, 1980, 158–177, 169) ausgerechnet dieses posse für einen „relativ kritischen Begriff“ natürlicher Theologie. Noch weiter geht H. Ott mit seinem Interpretationsvorschlag zum Text des ersten Vatikanums. Danach würde es sich bei der natürlichen Gotteserkenntnis um eine zwar prinzipiell gegebene, aber faktisch „in der gegenwärtigen Lage des Menschengeschlechts“ wegen der Sünde nicht verwirklichte Mög­ lichkeit handeln (Die Lehre des I. Vatikanischen Konzils. Ein evangelischer Kommentar, Basel 1963, 48). Diese Auffassung entfernt sich noch weiter von Paulus als die Formulierung des Konzils, indem sie die Faktizität der Kenntnis Gottes ausschließt, die der Apostel Röm 1,21 (γνόντες τόν θεόν) betont. 33

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die „natürliche“ Kenntnis des Menschen von Gott, wie auch immer sie ge­ nauer zu beschreiben sein mag, scharf zu unterscheiden von dem Phänomen der „natürlichen Theologie“, das zwar mit jener Kenntnis irgendwie Zusam­ menhängen mag, aber nicht mit ihr zu identifizieren ist. Der Mangel an kla­ ren Unterscheidungen in dieser Sache ist mitverantwortlich für die heillose Verwirrung in der neueren Diskussion des Themas der „natürlichen Theolo­ gie“. Anlaß dafür hat schon der Sprachgebrauch der altprotestantischen Dogmatik gegeben, die unter dem Begriff der theologia naturalis die dem Menschen als Geschöpf eigene Kenntnis von Gott (cognitio insita) und die philosophische Gotteserkenntnis als wichtigsten Fall erworbener Kenntnis von Gott (cognitio acquisita) zusammenfaßte. Mag man auch in einem allge­ meinsten Sinn mit der Terminologie der altprotestantischen Dogmatik jede Gotteserkenntnis als eine Art von „Theologie“ auffassen, so wird dadurch doch gerade bei der „natürlichen Theologie“ der begriffsgeschichtlich nach­ weisbare Sachverhalt verwischt, der „natürliche Theologie“ als ein historisch spezifisches Phänomen ausweist. Bei diesem handelt es sich nun in der Tat um eine ganz besondere „Möglichkeit“ des Menschen, nämlich um die argu­ mentativ entwickelte Gotteslehre der Philosophen. Der Ausdruck „natürliche Theologie“ ist zuerst belegt bei Panaitios, dem Begründer der mittleren Stoa, durch dessen Verbindungen zum Kreis um den jüngeren Scipio stoisches Denken in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhun­ derts v.Chr. nach Rom gelangte. Als „natürliche Theologie“ bezeichnete Pa­ naitios die philosophische Gotteslehre im Unterschied zur „mythischen Theologie“ der Dichter einerseits und zur „politischen Theologie“ der mit staatlicher Autorität eingerichteten und von den Staaten erhaltenen Kulte an­ dererseits35. Der Sinn des Ausdrucks hängt zusammen mit der durch die So­ phistik aufgeworfenen Frage nach dem „von Natur aus“, d. h. von sich aus Wahren im Unterschied zu dem, dessen Geltung sich nur menschlicher Set­ zung (thesis) verdankt, sei es durch Gewohnheit und Herkommen oder durch politische Festsetzung36. „Natürliche“ Theologie ist dann zu verstehen als diejenige Rede von Gott, die der Natur, dem Wesen des Göttlichen selber entspricht, unverfälscht durch die politischen Interessen, die mit den staatli­ chen Kulten verbunden sind, aber auch frei von den Verfälschungen, die aus der poetischen Vorstellung, den „Lügen“ der Dichter stammen. „Natürlich“ ist die philosophische Gotteserkenntnis also nicht etwa deshalb, weil sie der Natur des Menschen, den Prinzipien und der Fassungskraft menschlicher Vernunft gemäß wäre, sondern vielmehr darum, weil sie der „Natur“ des 35 SVF (Stoicorum Veterum Fragmenta) II, 1009. Zu Panaitios siehe M.Pohlenz: Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 1959,1, 191–207, zu seiner Lehre von den drei Arten von Theologie ebd. 198 und II, 100. 36 Die klassische Darstellung zu diesem Thema schrieb F. Heinimann: Nomos und Physis. Herkunft und Bedeutung einer Antithese im griechischen Denken des 5. Jahrhunderts, Basel 1945, Nachdruck 1972, bes. 110–162.

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Göttlichen, der Wahrheit Gottes selbst entspricht im Gegensatz zu ihren Verfälschungen in der „positiven“, auf menschlicher Setzung beruhenden Gestalt der Religion. Die stoische Wortprägung brachte auf den Begriff, was schon seit der frü­ hen milesischen Naturphilosophie das Ziel philosophischer Gotteslehre war. Werner Jaeger hat gezeigt, daß die Frage nach der wahren Gestalt des göttlichen Ursprungs der Welt sogar das treibende Motiv in der Entwick­ lung der vorsokratischen Philosophie gewesen ist, im Gegensatz zu der auf Aristoteles zurückgehenden Darstellung der ältesten Philosophen als „Physiker“37. Die gedanklichen Voraussetzungen einer solchen Fragestellung (über ihre histori­ schen Anlässe im Zusammenhang mit der Kenntnis fremder Kulturen durch Han­ delsverbindungen der Griechenstädte und auch mit der Ausdehnung der persi­ schen Herrschaft auf Kleinasien besteht noch keine Klarheit) liegen erstens darin, daß das griechische Gottesverständnis es offenbar erlaubte, fremde Götter ähnli­ cher Funktion als identisch mit den betreffenden eigenen zu betrachten und mit deren Namen zu bezeichnen38. Das scheint die Bedingung dafür gewesen zu sein, Funktionen oder Eigenschaften in Ablösung vom Namen des Gottes als göttlich zu benennen. Zweitens wurde offenbar ein schon auf die Funktion der Urheber­ schaft für innerweltliche Vorgänge konzentriertes Gottesverständnis39 mit kos­ mogonischen und theogonischen Vorstellungen altorientalischer Herkunft über den Ursprung des Kosmos im ganzen verknüpft40, weil drittens das, was Ursprung aller Dinge ist, selber ohne Anfang und Ende, also unsterblich und alles „umfas­ send“ sein muß und damit die Eigenschaften der Götter sogar in höherem Maße besitzt als diese selbst, folglich die Götter der eigenen mythischen Überlieferung an Göttlichkeit übertrifft41. 37 W. Jaeger: Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953. Die Erörterung der aristotelischen Auffassung ebd. 13 f., dazu 221 Anm. 17, Jaegers eigene Sicht programma­ tisch 17 f., zum Begriff arché schon für Anaximander ebd. 38 f., zu seiner Funktion 44. 38 So hat B. Snell es als spezifisch griechisch hervorgehoben, daß Herodot bei seiner Reise nach Ägypten in den dortigen Göttern wie selbstverständlich Apollon, Dionysos, Artemis wie­ derfand (Die Entdeckung des Geistes, 3. Aufl. 1955, 44). Darin kommt nach Snell zum Aus­ druck, daß die griechischen Götter „zur natürlichen Ordnung der Welt“ gehören und darum „nicht an nationale Grenzen oder an bestimmte Gruppen gebunden“ sind (45). 39 Zur Urheberfunktion vgl. das bei Snell 51 f. erörterte Beispiel aus der Ilias, wo Athena als Urheberin von Achills Sinneswandel erscheint (Erster Gesang 194–222). Ich habe 1959 (vgl. Grundfragen syst. Theologie 1,1967, 300 f.) die philosophische Frage nach der arche als einfache „Umkehrung“ dieses Sachverhalts aufgefaßt, so daß nun von den Wirkungen auf die (göttliche) Ursache geschlossen würde. Ein formelles Rückschlußverfahren lassen jedoch die alten Texte noch nicht erkennen. 40 Beziehungen der in griechischen Traditionen bis dahin nicht nachweisbaren kosmogoni­ schen Fragestellungen der milesischen Naturphilosophie zu altorientalischen Vorstellungen hat U. Hölscher (Anaximander und die Anfänge der Philosophie, Hermes 81,1953, Nachdruck in: H.G. Gadamer (Hrsg.): Um die Begriffswelt der Vorsokratiker, Darmstadt 1968, 95–176) wahr­ scheinlich gemacht (siehe bes. 129–136 zu Thaies von Milet). 41 Vgl. W. Jaeger a. a. O. 40–44, sowie die große Anm. 233 ff. zum Begriff des „Göttlichen“, bes. 235 zu Anaximander, ferner auch U. Hölscher a. a. O. 174 f.

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Die frühe „natürliche Theologie“ entwickelte nicht Argumente zum Beweis dafür, daß überhaupt ein Gott existiert. Das Dasein eines göttlichen Ur­ sprungs wurde als unbestritten vorausgesetzt. Nicht der Zweifel an seinem Dasein, sondern die Frage nach der Eigenart des Göttlichen bildete den Ge­ genstand der philosophischen Theologie, und auf sie bezogen sich die unter­ schiedlichen Thesen schon der jonischen „Naturphilosophen“ über den göttlichen Ursprung. Dabei sind diese Unterschiede so geartet, daß sich aus der Abfolge der Lösungsversuche eine zusammenhängende Problemge­ schichte rekonstruieren läßt42. In der kritischen Wendung gegen die mythi­ sche Überlieferung kam es bald zu einem hohen Maß an Übereinstimmung hinsichtlich der Einheit und Geistigkeit, aber auch der Unsterblichkeit und anfangslosen Ewigkeit des göttlichen Ursprungs. Aus seiner Funktion als oberster Grund aller Veränderung ließ sich weiter folgern, daß er selber als unveränderlich sich selbst gleich zu denken sei43. Allerdings konnten zumin­ dest einige der auf Erhellung der Eigenart des göttlichen Ursprungs zie­ lenden Argumente auch dazu gebraucht werden, das Dasein einer so gearte­ ten Gottheit zu erweisen. So benutzte nach dem Bericht Xenophons schon Sokrates das auf Anaxagoras zurückgehende Argument für die Geistigkeit des göttlichen Ursprungs aufgrund der in der natürlichen Welt anzutreffen­ den Ordnung dazu, die Überzeugung vom Dasein eines „weisen und freund­ lichen Werkmeisters“ zu begründen, der alles so trefflich eingerichtet hat (Memorabilien 1,4,2 ff.). In den platonischen Bemühungen um den Nach­ weis, daß ein seelisches Prinzip erforderlich sei zur Erklärung der Körperbe­ wegungen, und in der Modifikation dieser Argumentation durch Aristoteles finden sich sodann die Anfänge des Gottesbeweises aus der Bewegung44. So konnte die Frage nach der Eigenart des göttlichen Ursprungs übergehen in Argumente für sein Dasein, aber es ist doch wichtig, daß die Frage nach der Eigenart, der „Natur“ des Göttlichen im Mittelpunkt der „natürlichen Theologie“ der Philosophen stand, denn nur unter diesem Gesichtspunkt wird ihr kritisches Verhältnis zur mythischen Überlieferung verständlich. Von daher ist auch die Aneignung der Ergebnisse der „natürlichen Theolo­ gie“ der Philosophen durch die frühchristliche Theologie zu verstehen. Sie fand de facto überall in der christlichen Patristik statt, trotz aller Polemik ge­ gen Lebenswandel und Götzendienst der Philosophen45. Man hat diesen 42

Siehe dazu vor allem den Anm. 40 zit. Aufsatz von U. Hölscher. Genaueres dazu in meinen: Grundfragen systematischer Theologie I, 1967, 302–308. 44 In seinen „Gesetzen“ (893b-899c) hat Platon diese Argumentation zur Begründung des Glaubens an das Dasein der Götter benutzt. Zuvor wurde sie jedoch als Beweis für die Unsterb­ lichkeit der Seele entwickelt (Phaidros 243 c 5–246 a 2). Aristoteles hat sich dann bemüht, den Sachverhalt so zu beschreiben, daß der ihm als unsinnig erscheinende platonische Gedanke ei­ ner Selbstbewegung der Seele dabei entbehrlich wurde (Met. 1071 b 3–1072 b 13, vgl. Phys. 256 a 13–260 a 10). 45 Siehe dazu vom Vf.: Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie, in: Grundfragen syst. Theologie 1,1967, 312 ff. 43

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Vorgang noch nicht angemessen verstanden, wenn man ihn nur als Anpas­ sung an das geistige Klima einer Kulturwelt betrachtet, in der das christliche Evangelium nun einmal verkündigt werden sollte. Es handelt sich um weit mehr als um eine sozusagen pädagogische „Anknüpfung“. Es ging dabei um die Wahrheit des christlichen Gottes, sofern er nicht nur der jüdische Natio­ nalgott, sondern der eine Gott aller Menschen ist46. Die „natürliche Theolo­ gie“ der Philosophen hatte Kriterien dafür formuliert, unter welchen Bedin­ gungen irgendein behaupteter Gott ernsthaft als Urheber des ganzen Kos­ mos gedacht werden könne, und die christliche Verkündigung mußte sich diesen Kriterien stellen, wenn sie ernst genommen werden wollte in ihrem Anspruch, daß der in Jesus Christus die Menschen erlösende Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde und so auch der eine, wahre Gott aller Menschen sei. Sich den Kriterien der philosophischen Theologie zu stellen, brauchte eine kritische Revision ihrer Formeln nicht auszuschließen, und solche kritische Revision ist in der Patristik eher zu wenig gründlich und zu partiell erfolgt, als daß hier ein Übermaß an Schroffheit zu beklagen wäre47. Aber solche Revision mußte auf dem Boden der philosophischen Argumen­ tation selbst ihr Recht erweisen, um jene Allgemeinheit beanspruchen zu können, in der sich die Wahrheit des einen, alleinigen Gottes bekundet. Diese Aufgabe war der christlichen Theologie implizit schon durch den Apostel Paulus gestellt, indem dieser die von den Galatern vor ihrer Bekeh­ rung verehrten Götter als solche bezeichnet, die – im Gegensatz zum Gott der christlichen Botschaft – „ihrer Natur nach nicht Götter sind“ (φύσει μὴ οὖσιν θεοῖς, Gal 4,8). Diese Aussage impliziert, daß der Gott der Bibel, des­ sen Offenbarung das paulinische Evangelium verkündete, der allein wahre Gott ist, d. h. der einzige, der „seiner Natur nach“ Gott ist. Die paulinische Formulierung trifft hier genau mit der philosophischen Frage der „na­ türlichen Theologie“ im ursprünglichen Sinn des Wortes, nämlich als Frage nach demjenigen, was „seiner Natur nach“ göttlich ist, zusammen48. Damit 46 Daß dies der Grund war, der den christlichen Glauben „nötigte“, sich „nun auch in der Sprache der Philosophie zu verstehen“, wird bei E.Jüngel: Das Dilemma der natürlichen Theo­ logie und die Wahrheit ihres Problems (in: Entsprechungen; Gott – Wahrheit – Mensch. Theo­ logische Erörterungen, 1980, 158–177, 162) nicht erwähnt. Aber eine solche Nötigung, von der auch Jüngel spricht, konnte doch wohl kaum von dem „Vorgang“ der kritischen Aneignung sel­ ber ausgehen (so Jüngel 162). 47 Siehe dazu vom Vf.: Grundfragen syst. Theologie I, 1967, 310 f., 326 ff., 341 ff. Die Not­ wendigkeit einer „Bestreitung der philosophischen Gotteserkenntnis“, wenn auch „auf der Ebene der Philosophie“ selber, hat E.Jüngel (a. a. O. 164) mit Recht auf die Fraglichkeit der „Konvertibilität“ der Begriffe Natur und Schöpfung zurückgeführt. In der Sprache meines Anm. 45 zit. Aufsatzes handelt es sich dabei um die Differenz eines geschichtlichen zu einem ge­ schichtslosen Weltverständnis. 48 Vgl. schon meine Bemerkung in: Grundfragen I, 309 f. E.Jüngel ist in seiner Anm. 46 zit. Auseinandersetzung mit mir weder auf diese paulinische Aussage, noch auf das mit ihr gegebene und für die christliche Rezeption der alten natürlichen Theologie entscheidende Sachproblem eingegangen.

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war für das christliche Denken die Auseinandersetzung mit den von den Philosophen formulierten Kriterien des wahrhaft Göttlichen, das als Ur­ sprung der Welt denkbar sein muß, unumgänglich: Es mußte entweder ge­ zeigt werden, daß der von den Christen verkündete Gott diesen Kriterien entspricht (bzw. die von den Philosophen formulierten Eigenschaften be­ sitzt), oder daß diese Kriterien nicht angemessen formuliert waren, daß sie die für die Rede von dem einen Gott unerläßliche Urheberfunktion also nicht zureichend beschrieben. Obwohl die christliche Patristik sich faktisch der so gestellten Aufgabe unterzogen hat, ist der Begriff „natürliche Theologie“ verhältnismäßig selten ausdrücklich erörtert worden, neben eher beiläufiger Erwähnung bei Tertul­ lian (ad Nationes 2) und Euseb von Caesarea (Praeparatio Evangélica IV, 1) vor allem in Augustins De Civitate Dei. Augustin hatte die stoische Dreitei­ lung des Theologiebegriffs in der ihr von Publius Mucius Scaevola gegebe­ nen und bei Marcus Terentius Varro überlieferten Form kennengelernt, in der sie „zu einer Verteidigung der Staatsreligion“ umgebildet worden war49. Den ob seiner Gelehrsamkeit bewunderten Varro kritisierte Augustin, weil er nur die mythische, nicht aber auch die politische Theologie getadelt hatte, während er die natürliche Theologie der Philosophen auf die Schuldiskussi­ on beschränkt wissen wollte (Civ. Dei VI,5). Augustin selbst wendete sich vor allem gegen die politische Theologie, die er mit Recht als eng mit der mythischen verbunden betrachtete (VI,7). Die natürliche Theologie der Phi­ losophen aber beurteilte er grundsätzlich positiv, weil der wahre Philosoph ein Liebhaber Gottes sei50. Allerdings treffe das nicht auf alle Philosophen in gleicher Weise zu. Ein Überblick über die verschiedenen philosophischen Schulen (VIII,2 ff.) ergibt, daß unter ihnen allen die Platoniker den Christen am nächsten stehen, vor allem wegen ihrer geistigen Auffassung Gottes (VI­ II,5). Von ihnen gelte daher in besonderer Weise das Pauluswort Röm 1,19, weil sie die unsichtbare Kraft und Gottheit Gottes erkannt haben (VIII,6). Trotz solcher Nähe stand Augustin jedoch auch Platon und den Platonikern nicht unkritisch gegenüber. Seine Kritik konzentrierte sich indessen auf An­ thropologie und Seelenlehre51, richtete sich kaum auf die Gotteslehre: Nach Augustin kennen die Platoniker sogar die Trinität, wenn auch ihre Ausdrük­ ke in der Trinitätslehre nicht einwandfrei sind (X,23 und 29); nur die Inkar­ nation blieb ihnen unbekannt (X,29). Es ist deutlich, daß für Augustin die christliche Gotteslehre von der 49 M.Pohlenz: Die Stoa I, 1959, 262 f. Augustin erwähnte Scaevola in De Civ. Dei IV, 27, setzte sich aber im übrigen mit M. Terentius Varro auseinander. 50 De Civ. Dei VIII, 1: Porro si sapientia Deus est, per quem facta sunt omnia, sicut divina auctoritas veritasque monstravit, verus philosophus est amator Dei. Vgl. VIII, 11. 51 Vgl. meine Ausführungen in: Christentum und Platonismus. Die kritische Platonrezep­ tion Augustins in ihrer Bedeutung für das gegenwärtige christliche Denken, ZKG 96, 1985, 147–161, bes. 152 ff.

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„natürlichen Theologie“ der Philosophen in ihrer platonischen Gestalt nicht prinzipiell verschieden war52. Diese natürliche Theologie bildete daher auch keine Vorstufe zur christlichen Theologie, sondern die christliche Gotteslehre war für Augustin identisch mit einer gereinigten Form der wahrhaft „natürlichen“, d. h. der Natur Gottes selbst angemessenen Theolo­ gie, die ihren klarsten Ausdruck nach seiner Überzeugung in den biblischen Zeugnissen gefunden hatte. Die bei Augustin erkennbare Auffassung vom Verhältnis der biblischen Gottesoffenbarung zum Begriff der natürlichen Theologie änderte sich im lateinischen Mittelalter. Seit dem 12. Jahrhundert, besonders durch Gilbert von Poitiers, setzte sich zunehmend die Auffassung durch, daß der vernünf­ tigen Erkenntnis nur die Einheit Gottes zugänglich ist, nicht aber seine Drei­ heit53. Als Aristoteles anstelle Platons der maßgebende Philosoph des Zeital­ ters geworden war, trat diese Grenze philosophischer Theologie noch schär­ fer in den Blick. Was der vernünftigen Erkenntnis (cognitio naturalis) zu­ gänglich ist, wurde bei Thomas von Aquin scharf von den Glaubensartikeln (articuli fidei) unterschieden und einer Einleitung (praeambula) zur Behand­ lung der letzteren zugewiesen (S. theol. I,2 ad 1). Andererseits hat auch Tho­ mas in seiner theologischen Summe noch die Gotteslehre mit Einschluß der Trinitätslehre in einem durchgängigen Argumentationsgang aus dem Begriff Gottes als der ersten Ursache der Welt entwickeln können. Die beiden Er­ kenntnisordnungen einer natürlichen und einer übernatürlichen Theologie waren noch nicht scharf getrennt. Erst der spätere Thomismus, Barockscho­ lastik und Neuscholastik haben das „Zwei-Stockwerke-Schema“ von natür­ licher und übernatürlicher Theologie voll durchgebildet, das heute auch von katholischen Theologen kritisch beurteilt wird54. Bei seinem Wiedererscheinen in der Barockscholastik und in der altprote­ stantischen Theologie als Gegenbegriff zur Offenbarungstheologie hat der Begriff der natürlichen Theologie seine Bedeutung tiefgreifend verändert. „Natürlich“ bedeutete nun nicht mehr „der Natur Gottes gemäß“, sondern vielmehr „der Natur des Menschen gemäß“. Die Bezeichnung erinnerte da­ mit zunächst an die Schranken der menschlichen Natur, insbesondere der menschlichen Vernunft, im Verhältnis zur übernatürlichen Wirklichkeit Gottes. Andererseits aber konnte die so verstandene „natürliche Theologie“ 52 De Civ. Dei VIII, 10,2 heißt es von allen Philosophen, die wie die Platoniker den einen Gott als Ursache des Universums, sowie als Licht der Wahrheit und Quelle der Glückseligkeit lehren, daß sie mit den Christen übereinstimmen (nobiscum sentiunt). 53 M. A. Schmidt: Gottheit und Trinitaet nach dem Kommentar des Gilbert Porreta zu Boe­ thius De Trinitate, Basel 1956. 54 Vgl. W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 102. Es handelt sich dabei um das Re­ sultat der Auseinandersetzungen über die sog. Nouvelle théologie, die in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im Anschluß an H. de Lubac: Surnaturel. Études historiques, Paris 1946, geführt wurden. Eine kurze Übersicht dazu gibt H. Küng, Exi­ stiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit, 1978, 570–575.

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sich auch als die dem Menschen, der menschlichen Natur gemäße Form der Gotteserkenntnis empfehlen. Unter diesem Gesichtspunkt kam es im 17. und 18. Jahrhundert zu einer neuen Konjunktur des alten Gegensatzes zwi­ schen φύσις und θέσις, zwischen der Zwanglosigkeit der Natur und der Po­ sitivität menschlicher Tradition und Setzung. Nach den Katastrophen der Religionskriege erschienen die einander widerstreitenden Offenbarungsan­ sprüche der christlichen Religionsparteien als bloße Setzungen der Überlie­ ferung, und gegenüber solcher Positivität sich gegenseitig diskreditierender religiöser Wahrheitsansprüche galt es, sich zu besinnen auf das dem Men­ schen Natürliche als Basis einer neuen Gesellschaftsordnung und Kultur. Dabei war die Aufklärung sich dessen gewiß, daß das der menschlichen Na­ tur Entsprechende auch das in Wahrheit Gott Entsprechende sei, wenn an­ ders Gott der Schöpfer des Menschen und seiner Vernunft ist. Man hat am Menschenbild der Aufklärung mit Recht beanstandet, daß die Gebrochenheit der menschlichen Wirklichkeit in ihm allenfalls an unterge­ ordneter Stelle Berücksichtigung fand. Namentlich das Vertrauen auf die Vernunft blieb davon unberührt. Die Tragweite dieses Sachverhalts für die hier zu verhandelnde Frage ist jedoch begrenzt, weil gerade ein Bewußtsein der Nichtidentität nur möglich ist auf der Folie eines Wissens um Identität, also auch um Wahrheit. Die Betonung der Perversion der Sünde darf auch theologisch nicht so weit getrieben werden, daß der Mensch nicht mehr als Gottes Geschöpf anzusprechen wäre. Solange bleibt aber auch eine Entspre­ chung zwischen der Natur des Menschen und ihrem Schöpfer bestehen. Das gilt allerdings nur dann, wenn es den Schöpfer gibt, und ob darüber vom Menschen und seiner Natur her Gewißheit zu erlangen ist, das ist das Pro­ blem der Gottesbeweise, die somit zum kritischen Punkt der modernen Ge­ stalt natürlicher Theologie geworden sind.

3. Die Gottesbeweise und die philosophische Kritik der natürlichen Theologie Wenn Gotteserkenntnis Sache einer „natürlichen Theologie“ sein soll in dem Sinne, daß sie durch Reflexion und Argumente der Vernunft erworben werden muß, dann beruht sie letztlich auf den Gottesbeweisen. Zwar umfaßt solche natürliche Theologie mehr als nur die Gottesbeweise, nämlich auch eine Erörterung der Eigenschaften, die Gott zuzuerkennen sind, und eine Klärung der Frage, wie solche Eigenschaftsaussagen gebildet werden kön­ nen. In der Neuzeit wurden auch die Pflicht des Menschen zur Gottesvereh­ rung und andere damit zusammenhängende Themen zum Begriff der natürli­ chen Theologie gerechnet, jedenfalls dann, wenn dieser nicht klar vom Gedanken einer natürlichen Religion unterschieden wurde. Die Relevanz

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solcher Einzelthemen hängt aber insgesamt an der Voraussetzung des Da­ seins Gottes, und wenn alle Gotteserkenntnis als erworben gedacht wird, dann hängt sie letztlich an den Argumenten für das Dasein Gottes. Das war schon die Meinung Thomas von Aquins gewesen, obwohl er für seine ratio­ nale Gotteslehre noch nicht den Ausdruck „natürliche Theologie“ benutzte und obwohl er auch ein unthematisches Bezogensein des Menschen auf Gott als das höchste Gut kannte: Zur Kenntnis und Erkenntnis Gottes, zu einer Vorstellung von Gott, gelangt der Mensch nach Thomas nur über die Welt­ erfahrung, jedenfalls in diesem gegenwärtigen Leben. Zwar gehört irgend­ eine Form von Gotteserkenntnis nach Thomas immer zur Natur des Men­ schen, aber in diesem irdischen Leben gelangt der Mensch dazu nur auf dem Wege über die Erkenntnis der materiellen Welt, über die Erfahrung der sinn­ lich wahrnehmbaren Dinge55. Diese Auffassung war eine Konsequenz des aristotelischen Empirismus. Daher war für Thomas im Unterschied zu Theologen der augustinischen Tradition wie Bonaventura oder Heinrich von Gent die Welterfahrung der einzige Zugang zur Gotteserkenntnis. Da­ her gewannen bei ihm die von der Welterfahrung ausgehenden Gottesbe­ weise fundamentale Bedeutung für die Gotteserkenntnis überhaupt. Die fundamentale Funktion der Gottesbeweise blieb, aufs Ganze gesehen, auch für die philosophische Theologie der Neuzeit charakteristisch, obwohl das Interesse an ihnen sich nicht so ausschließlich wie bei Thomas auf von der Welt ausgehende Beweise konzentrierte. Im Mittelpunkt der Diskussion stand vielmehr für fast zweihundert Jahre der ontologische Gottesbeweis, der das Dasein Gottes als notwendig mit seinem Wesensbegriff verbunden aus diesem ableitet56. Descartes hat den von Anselm von Canterbury formu­ 55 De verit. 13,1 ad 1: Sic igitur dicendum est, quod intelligentiae humanae secundum quem­ libet statum est naturale aliquo modo cognoscere Deum, sed in suo prinicipio, id est in statu viae, est ei naturale quod cognoscat Deum per creaturas sensibiles. Mit dem Streben des Menschen nach Glückseligkeit ist zwar immer schon ein verworrenes Wissen von Gott (sub quadam con­ fusione) mitgesetzt, aber darin wird Gott nicht als Gott gewußt (S. theol. I,2 a 1 ad 1). 56 Das ist der präzise Sinn der Bezeichnung Gottes als ens necessarium. E. Jüngel hat in sei­ nen Ausführungen zu der Frage: „Ist Gott notwendig?“ (Gott als Geheimnis der Welt, Tübin­ gen 1977, 16–43) diesen Sinn des Begriffs nicht von einer „weltlichen“ Notwendigkeit Gottes (19 ff.), also der Notwendigkeit des Daseins Gottes als Ursache für das Sein der Welt, unter­ schieden (vgl. bes. 36 f.). Der Begriff Gottes als ens necessarium hat (gerade auch bei Descartes und Leibniz) nicht das Weltverhältnis Gottes zum Inhalt, auch nicht seine Notwendigkeit „für die menschliche res cogitans“ (so Jüngel 156), sondern besagt nur, daß Gott schlechthin ist und nicht der Möglichkeit unterliegt, auch nicht-sein zu können: Sein Dasein ist untrennbar von sei­ nem Wesensbegriff. Wer den Sinn des Begriffs ens necessarium verstanden hat, wird Jüngels These, Gott sei „mehr als notwendig“ (30), nicht als Beitrag zu einer kritischen Erörterung die­ ses Begriffs würdigen können. Sinnvoll ist die These Jüngels dagegen als Ausdruck für die Frei­ heit Gottes im Verhältnis zur Welt. Gott ist in der Tat nicht nur der für die Welt notwendig vor­ auszusetzende Ursprung ihres Daseins. Er ist als Schöpfer ihr freier Ursprung und steht ihr auch als Gott der Versöhnung und Erlösung frei gegenüber. Doch sollte darum nicht die Not­ wendigkeit Gottes für die Welt verneint werden. Es gehört zur Geschöpflichkeit der Welt, daß sie Gottes bedarf. Wer die Notwendigkeit Gottes für die Welt bestreitet, bestreitet ihre

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lierten, von Thomas von Aquin aber verworfenen ontologischen Beweis neu begründet57, und zwar in enger Verbindung mit der Behauptung einer dem menschlichen Geiste angeborenen Gottesidee58. Die besonders im 18. Jahr­ hundert überaus lebhaft geführte Diskussion über die Tragfähigkeit des on­ tologischen Beweises ergab freilich bald, daß sein Ausgangspunkt ohne Rückgriff auf eine kosmologische Argumentation nicht zureichend zu be­ gründen ist. Descartes’ These einer ursprünglichen, für alle Tätigkeiten und Gedanken des menschlichen Geistes konstitutiven Gottesidee rückte demgegenüber in den Hintergrund. Das kosmologische Argument, das von der Zufälligkeit der Weltdinge auf eine Ursache ihres Daseins schließt, die keines anderen bedarf, um da zu sein, sondern durch sich selber ist, so daß zu ihrem Wesensbegriff notwendig das Dasein gehört, wurde in der Diskussion über den ontologischen Beweis Descartes’ deshalb wichtig, weil es auf den Begriff eines notwendig existie­ renden Wesens (ens necessarium) führt, der den Schlüsselbegriff für die Durchführung dieses Beweises, jedenfalls in seiner tragfähigeren Gestalt, bildete. Das kosmologische Argument vermochte dem Gedanken eines ens necessarium objektive Geltung zu verschaffen, bis Kant die Anwendung des Kausalgedankens über die Grenzen der Sinnenwelt hinaus für illegitim er­ klärte. Schon Leibniz hat in seiner Monadologie (1714) den ontologischen Beweis kombi­ niert mit dem kosmologischen Argument59. Das bedeutet allerdings nicht, daß Leibniz den ontologischen Beweis auf das Ergebnis des zuvor behandelten kosmo­ logischen Arguments begründen wollte. Er meinte vielmehr, daß beide auf ver­ schiedenen Wegen zu dem Begriff eines notwendig existierenden Wesens hinfüh­ ren. Leibniz glaubte nämlich, daß man zu diesem Begriff auch vom Gedanken eines

Geschöpflichkeit. Das gilt unabhängig von der Frage, ob Gott von der Welt her als ihr Schöpfer und Erhalter erkannt wird und ob es ein Verständnis der Welt gibt, in dessen Rahmen die An­ nahme des Daseins Gottes für das Verständnis der Welt nicht „notwendig“ ist. Ein solches Weltverständnis, wie es in der Neuzeit tatsächlich entwickelt wurde, wird die Theologie als de­ fizitär bezeichnen müssen, wenn sie nicht ihrerseits die Schöpfungslehre preisgeben will. 57 R. Descartes: Meditationes de prima philosophia (1641), V, 7 ff. Siehe dazu D. Henrich: Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit, Tübingen 1960, 10–22. Henrich zeigt, daß für Descartes’ Neubegründung des ontologischen Beweises und für ihre Wirkung der Gedanke Gottes als ens necessarium, also der untrennbaren Zusam­ mengehörigkeit von Wesensbegriff und Dasein Gottes, von ausschlaggebender Bedeutung war. Im Hinblick darauf ist es nicht sehr überzeugend, wenn E. Jüngel ausgerechnet von Descartes behauptet, er habe die Gottesgewißheit „zersetzt“, weil sein Ansatz dazu nötige, „die Gewiß­ heit des Wesens Gottes… von der Gewißheit der Existenz Gottes… fundamental zu unter­ scheiden“ (a. a. O. 163). 58 Diese These wurde von Descartes schon in der dritten Meditation (III, 26 ff.) entwickelt. 59 G. W. Leibniz: Monadologie (1714) Nr. 44 f., vgl. 38. Siehe auch Theodizee I,7 (Werke hg. H. Herring II/l, 1985, 216–218), ferner D. Henrich a. a. O. 45 ff., bes. 46 f.

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absolut vollkommenen Wesens aus gelangen könne und also rein apriori60, unab­ hängig von aller Erfahrung. Der Gedanke des absolut Vollkommenen (aliquid quo maius cogitari nequit) war bei Anselm von Canterbury der Ausgangspunkt des on­ tologischen Beweises gewesen61 und anfänglich auch bei Descartes, weil ihm die al­ len unseren Vorstellungen zugrunde liegende Idee des Unendlichen für gleichbe­ deutend mit dem Gedanken absoluter Vollkommenheit galt62. Doch erkannte Descartes im Verlaufe der Diskussion seiner Neuformulierung des ontologischen Beweises, daß dem Gedanken des notwendigen Daseins als Moment absoluter Vollkommenheit für die Schlüssigkeit seines Beweises entscheidende Bedeutung zukommt63, so daß eigentlich der Begriff des notwendigen Daseins den Kern oder sogar die Grundlage des Beweises bildet, wobei aber vorausgesetzt ist, daß es sich bei diesem Gedanken um einen objektiven Wesensbegriff, nicht um ein Produkt subjektiver Einbildung handelt. Eben diese Voraussetzung wurde für den Gedan­ ken des absolut Vollkommenen von einigen Kritikern bezweifelt. Im Falle des not­ wendig Existierenden wurde jedoch die Objektivität dieses Gedankens durch das kosmologische Argument gewährleistet, das von der Zufälligkeit der endlichen Dinge zur Annahme eines notwendig Existierenden hinführt. Leibniz selbst hat diesen Weg nicht beschritten, obwohl ihm die Schwäche einer Begründung des notwendig Existierenden auf den Gedanken absoluter Vollkommenheit bewußt war: Er suchte nach einer anderen, rein begrifflichen Herleitung der Annahme ei­ nes notwendig Existierenden64. Bei Christian Wolff jedoch wurde das kosmolo­ gische Argument nun tatsächlich zur Grundlage seiner Theologia naturalis (1736/ 37)65. Der Gedanke Gottes als des vollkommensten Wesens tritt erst sekundär hin­ zu. Auch Alexander Baumgarten ist dieser Auffassung gefolgt, der Sache nach noch Kant in seiner Einleitung zur Kritik der spekulativen Gottesbeweise in der Kritik der reinen Vernunft (1781, A 584–587). Allerdings hat Baumgarten das kos­ mologische Argument in seiner herkömmlichen Gestalt als eines einfachen Schlus­ ses von den nur zufällig existierenden Dingen auf einen durch sich selbst existie­ renden Ursprung noch gar nicht für einen eindeutigen Gottesbeweis gehalten, weil das notwendig Existierende auch die Materie sein könnte66. Ähnliche Auffassun­ gen waren schon von Samuel Clarke diskutiert worden67 und begegnen noch in der Gegenwart68. Der Begriff des notwendig Existierenden bedürfte dann 60

Monadologie 45. Anselm von Canterbury: Proslogion (1077/78). 62 Med. III,28 und 30. 63 In der Erwiderung an Caterus, S. 153 f. der um sämtliche Einwände und Erwiderungen er­ weiterten Ausgabe der Meditationen Amsterdam 1685, deutsch in PhB 27, 105. Siehe dazu Hen­ rich a. a. O. 12 ff. 64 Vgl. die Ausführungen von D. Henrich a. a. O. 52 ff. 65 Ebd. 55 ff. 66 Zu Baumgarten siehe Henrich 62–68, zu seiner Beurteilung des ens necessarium 64. 67 Siehe dazu W.L. Rowe: The Cosmological Argument, Princeton und London 1975, 222– 248, bes. 235 f. 68 So bei A. Kenny: The Five Ways. St. Thomas Aquinas’ Proofs of God’s Existence, Lon­ don 1969, 69. Vgl. dagegen die Bemerkung von H.Seidl in dem von ihm herausgegebenen und kommentierten Band über die thomanischen Gottesbeweise, daß im Rahmen der aristotelischen und thomanischen Ontologie das unverursacht Notwendige nur „eine rein immaterielle Sub­ 61

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noch der Näherbestimmung durch den Gedanken des absolut Vollkommenen zu derjenigen Notwendigkeit, mit der das aller Vollkommenheit sich erfreuende We­ sen existiert69. Descartes hatte umgekehrt die Näherbestimmung des absolut Voll­ kommenen durch den Gedanken des notwendig Existierenden für erforderlich ge­ halten, um einen sicheren Ausgangspunkt für das ontologische Argument zu ge­ winnen, und Leibniz war der Meinung gewesen, daß der Gedanke des notwendig Existierenden bereits mit dem Gottesgedanken identisch sei70. Ähnlich urteilte später Hegel: Man könne durchaus zugeben, „daß Gott und nur Gott das absolut notwendige Wesen sei, wenn diese Bestimmung auch die christliche Vorstellung nicht erschöpfte, welche indertat auch noch Tieferes in sich schließt als jene meta­ physische Bestimmung der sogenannten natürlichen Theologie…“71 Sollte Kant also in diesem Punkt allzu unkritisch der Meinung Baumgartens gefolgt sein, der Schluß vom Zufälligen auf ein notwendig existierendes Wesen führe nur zum „Dasein irgend eines notwendigen Wesens“72? Jedenfalls wird von daher Kants Auffassung verständlich, daß der kosmologische Beweis als Gottesbeweis, über den ersten Schritt zum Begriff eines notwendigen Wesens hinausgehend, von der „unbedingten Notwendigkeit irgend eines Wesens auf dessen unbegrenzte Reali­ tät“ schließe und so „die Verknüpfung der absoluten Notwendigkeit mit der höch­ sten Realität“ beinhalte (A 604), die den ontologischen Beweis kennzeichne. Auf diesen vermeintlichen zweiten Schritt des Beweises richtete sich Kants Kritik (A 606 ff.) mit dem Einwand, daß ihm das ontologische Argument das von der absoluten Vollkommenheit zum Dasein führt, schon zugrunde liege73. Aber han­ stanz“ sein könne (Die Gottesbeweise in der „Summe gegen die Heiden“ und der „Summe der Theologie“, PhB 330, Hamburg 1982,152 f.). 69 D. Henrich bemerkt dazu, bei Baumgarten werde so „der Begriff des ens necessarium nachträglich vom ontologischen Beweis abhängig gemacht. Wer Baumgartens Metaphysik auf­ merksam liest und den ersten ontologischen Beweis (sc. aus dem Gedanken des vollkommen­ sten Wesens – W. P.) für einen Fehlschluß hält, muß sich die Frage stellen, was unter einem not­ wendigen Wesen4 nun eigentlich noch zu denken ist“ (a. a. O. 66). 70 Vgl. nochmals Monadologie Nr. 45. 71 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, PhB 64, 1966, 140. 72 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781) A 586, vgl. A 606. 73 A 608. Vgl. die Ausführungen über den kosmologischen Beweis in Kants Schrift „Der ein­ zig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes“, 1763 (A), 194 ff., sowie 199 f. 204 f. Sie sind geeignet, die Beurteilung des kosmologischen Beweises in der Kritik der rei­ nen Vernunft zu erläutern. Den von der Zufälligkeit der Dinge ausgehenden Schluß auf einen von andern Dingen unabhängigen Ursprung betrachtete Kant in dieser Schrift als „wohl erwie­ sen“ (194), wollte auch den weiteren Schritt noch „unterschreiben“, daß „dieses unabhängige Ding schlechterdings notwendig“ sei (ebd.), nicht aber die folgenden Schlüsse auf seine absolute Vollkommenheit und Einheit, die wie beim „Kartesianischen“ Beweis „lediglich auf Begriffen“ beruhe. In einer Anmerkung (a. a. O. 196) fügte Kant hinzu, es sei „ganz unnötig, die Existenz des notwendigen Wesens voraus zu setzen, indem sie schon aus dem Begriffe des Unendlichen folgt“. Da Kant damals selber noch einen apriorischen Gottesbeweis für möglich hielt, beachte­ te er nicht, daß es sich bei jener „Voraussetzung“ um die Gewährleistung der Objektivität des Ausgangspunktes für den ontologischen Beweis handelt. Allerdings hielt Kant den kosmologi­ schen Beweis auch für „nimmermehr der Schärfe einer Demonstration fähig“ (204), weil er „nur auf irgend einen unbegreiflich großen Urheber desjenigen Ganzen, was sich unsern Sinnen darbietet“ zu schließen erlaube, „nicht aber auf das Dasein des vollkommensten unter allen möglichen Wesen“ (199 f.).

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delt es sich dabei noch um das kosmologische Argument? Hegel hat Kants Behauptung, daß der kosmologische Beweis auf dem ontologischen beruhe, zurückgewiesen, weil in diesem Argumentationsgang bereits mit dem Gedanken des notwendig Existierenden auch dessen Dasein (als Bedingung des Daseins der zufälligen Dinge) erreicht sei. Daher bedürfe es nicht des Fortgangs zum Gedan­ ken des absolut Vollkommenen (bzw. des unbegrenzt Realen), um daraus erst das Dasein des ens necessarium zu schließen: „im kosmologischen Beweise aber hat man dieses Sein schon anderwärts her“ (a. a. O. 142).

Der bei Kant als kosmologisch bezeichnete Beweis ist in der Geschichte der Gottesbeweise keineswegs der einzige, der von der Welt auf Gott als ihren Ursprung zurückschließt. Er gehört vielmehr zu einer ganzen Familie derar­ tiger, unter sich recht verschiedener Argumente. Kant selber hat neben sei­ nem „kosmologischen“ noch den „physikotheologischen“ Beweis behan­ delt, der von der Ordnung der Natur auf einen intelligenten Urheber dieser Ordnung, einen göttlichen „Werkmeister“, schließt und insofern ebenfalls „kosmologischen“ Charakter hat. Er entspricht dem letzten der „fünf Wege“ zum Beweis des Daseins Gottes, die Thomas von Aquin in seiner theologi­ schen Summe aus einer weit größeren Zahl von damals diskutierten Argu­ menten ausgewählt hat74. Ein Argument, das von der Zufälligkeit der endli­ chen Dinge auf ein durch sich selber und insofern notwendig Existierendes als Ursache des Daseins der Welt hinführt, begegnet in dieser klassischen Zu­ sammenstellung von Argumenten für das Dasein Gottes als drittes Argu­ ment, allerdings in einer von dem bei Kant vorausgesetzten Kontingenzbe­ weis von Leibniz sehr verschiedenen Gestalt. Aber auch die restlichen drei dieser „fünf Wege“ haben alle kosmologischen Charakter: so der vierte Weg, der aus den in den Dingen anzutreffenden, unterschiedlichen Stufen der Vollkommenheit schließt, daß es etwas geben müsse, welches das Vollkom­ menste sei und als Maßstab der Vollkommenheitsgrade alles übrigen fungie­ ren könne. Dieser vierte Weg führt also auf den Begriff des absolut Vollkom­ menen, der in der Geschichte des ontologischen Gottesbeweises eine so wichtige Rolle gespielt hat, bei Thomas aber von der Welterfahrung her be­ gründet wurde. Dieses Argument läßt sich ähnlich wie der Schluß aus der Ordnung der Natur auf einen göttlichen Werkmeister bis auf die griechische Philosophie zurückverfolgen75. Das gilt auch für den ersten der von Thomas 74 Vgl. dazu J.Clayton in TRE 13, 1984, 732 f. (Art. Gottesbeweise II). Siehe ferner die kriti­ sche, auch die Geschichte der einzelnen Beweise berücksichtigenden Analyse bei A. Kenny: The Five Ways. St. Thomas Aquinas’ Proofs of God’s Existence, London 1969. Eine Verteidi­ gung gegen die Einwände Kenny’s findet sich bei H. Seidl im Anhang zu dem Anm. 68 genann­ ten Band (136–161). 75 Nach D. Schlüter ist Platon „der Begründer des späteren ‚Stufenbeweises‘“ geworden, nämlich durch die Beschreibung des Aufstiegs zur Idee des „Schönen selbst“ im Symposion (Symp. 210 e–211 c), sowie durch seine Lehre vom Guten als Idee der Ideen im Staat 504 a 5– 509 b 10 (Hist. Wörterbuch der Philosophie, 3, 1974, 821). Siehe aber auch Aristoteles Met. 993 b 26–31.

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genannten „fünf Wege“, den auf Aristoteles (und schon Platon)76 zurückge­ henden Gottesbeweis aus der Bewegung. Thomas hat diesen Beweis, der von der Feststellung, daß alles Bewegte durch etwas anderes bewegt wird, auf ein erstes Bewegendes schließt, für besonders überzeugend (manifestior via) ge­ halten77. Um so auffallender ist, es, daß er ebenso wie die verwandte Argu­ mentation des zweiten Weges, der Schluß aus dem Auftreten von Wirkursa­ chen auf eine erste Wirkursache78, in den neuzeitlichen Diskussionen der Gottesbeweise kaum noch eine Rolle gespielt hat. Statt dessen ist der dritte Weg Thomas von Aquins, der sog. Kontingenzbeweis, in allerdings verän­ derter Gestalt für die Neuzeit zum kosmologischen Beweis schlechthin ge­ worden79. Wie ist das zu erklären? Die Frage erfordert historische Untersuchungen, die hier nicht vorgenom­ men werden können. Aber man kann die Bedingungen dafür nennen, daß so­ wohl der Beweis aus der Bewegung als auch der Beweis eines ersten Gliedes in der Reihe der Wirkursachen für das neuzeitliche Denken hinfällig wur­ den. Beide Beweise beruhen auf der Annahme, daß man in der Reihe der Ur­ sachen nicht ins Unendliche zurückgehen könne, ohne je zu einem ersten Glied zu kommen. Die Begründung dafür war, daß ohne ein erstes Glied die 76

S. o. Anm. 44. S. theol. I, 2 a 3 resp. Zum Beweis selbst vgl. A. Kenny a. a. O. 6–33 und die Korrekturen seiner Interpretation bei H. Seidl a. a. O. 142 f. 78 Siehe dazu ScG I,13, gegen Ende des Kapitels, dazu die Ausführungen von W. L. Craig: The Cosmological Argument from Plato to Leibniz, New York (Harper) 1980,175–181. In ScG beruft sich Thomas für die Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses in der Reihe der Wirk­ ursachen auf Arist. Met. 994 a 5–8, wo es aber nicht um Ursachen des Daseins der Dinge geht. Der tatsächliche Ursprung des so aufgefaßten Arguments zur Reihe der Wirkursachen dürfte in der arabischen Philosophie zu suchen sein, und zwar schon bei al-Farabi (R. Hammond: The Philosophy Of Alfarabi And Its Influence On Medieval Thought, New York (Hobson) 1947,19 ff.). 79 Einige neuere Interpretationen der tertia via Thomas von Aquins haben die Unterschiede zu dem später von Leibniz entwickelten Argument de contingentia mundi so stark betont, daß sogar zweifelhaft wird, ob man beide dem gleichen Beweistyp zurechnen darf. Siehe bes. A. Kenny 46–69 und W. L. Craig 181 ff., 276 f., sowie auch das Urteil von J. Clayton in TRE 13, 1984, 748. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß der Beweis von Leibniz auf dem Satz des zu­ reichenden Grundes beruht, während dem Argument von Thomas ebenso wie bei den andern vier Wegen das Kausalprinzip zugrunde liegt (vgl. bes. ScG I,15). Außerdem schließt der Begriff des Notwendigen hier nicht schon das Verursachtsein aus, so daß auch bei diesem Argument das Problem des Regresses entsteht, der erst beim unverursacht Notwendigen zum Abschluß kommt. Das Argument hat seine nächste Parallele bei Moses Maimonides (Craig 182, vgl. 142– 149), läßt sich aber weiter auf ibn-Sina und al-Farabi zurückführen (ebd. 88 ff., vgl. R. Ham­ mond 20 f.). Ob man trotz aller Unterschiede das von Leibniz vorgetragene Argument als Va­ riante desselben Typus ansprechen darf, hängt vor allem an der Frage, ob die Begriffe „möglich“ und „notwendig“ im Sinne logischer oder physischer Notwendigkeit zu verstehen sind (Kenny 48 ff.). H. Seidl hat sich wohl mit Recht gegen eine solche Alternative ausgesprochen (a. a. O. 152 f.). Unbeschadet aller Besonderheiten wird man daher die tertia via Thomas von Aquins doch als eine Variante eines von der arabischen Philosophie über die christliche Scholastik bis in die Neuzeit zu verfolgenden Beweistyps beurteilen dürfen. 77

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ganze Reihe in sich zusammenfallen würde, also weder Bewegung noch Wir­ kursächlichkeit stattfinden könnten. Das leuchtet dann ein, wenn dem ersten Glied der Reihe nicht nur die Funktion des Anfangs zufällt, sondern darüber hinaus seine fortdauernde Wirksamkeit für Bewegung und Wirksamkeit al­ ler folgenden Glieder der Reihe erforderlich ist, so wie die Hand, die den Fe­ derhalter führt, nicht aufhören darf, diesen zu bewegen, solange geschrieben werden soll. Dazu hatte schon Wilhelm von Ockham bemerkt, daß eine erste Ursache nicht in der Reihe der Hervorbringung erforderlich ist, sondern nur bei der Erhaltung des Hervorgebrachten. In der Reihe der Erzeugungen nämlich kann das Erzeugte noch bestehen, während der Erzeuger schon nicht mehr existiert, wie das Beispiel der Generationenfolge zeigt. Bei der Angewiesenheit auf Erhaltung im Dasein ist jedoch ein erstes erhaltendes Prinzip erforderlich, weil von seiner Tätigkeit die Fortdauer der Erhaltungs­ wirkung samt allen Mittelursachen abhängt80. Die Annahme der Existenz Gottes als Prinzip der Erhaltung der endlichen Dinge im Dasein wie auch in ihren Bewegungen und Tätigkeiten wurde jedoch überflüssig, seit mit der Einführung des Trägheitsprinzips durch Descartes und seiner Näher­ bestimmung durch Isaac Newton (als vis insita) jedem Ding eine Tendenz zur Beharrung in seinem Zustand, sei das nun ein Zustand der Ruhe oder der Bewegung, zugeschrieben wurde. Damit mußte der Gottesgedanke im Rah­ men eines mechanistischen Weltbildes für das Verständnis des Naturgesche­ hens entbehrlich werden81. In dem Maße wie auf dem Boden der mechanischen Naturerklärung die Schlüsse auf eine erste Ursache der Bewegung und auf ein erstes Glied in der Reihe der Wirkursachen ihre Überzeugungskraft verloren, mußten sich die Bemühungen um einen Nachweis des Daseins Gottes von der Welterfahrung her einerseits auf die Reflexionen über die zweckmäßige Einrichtung der Natur und andererseits auf den Gesichtspunkt der Zufälligkeit alles endli­ chen Daseins verlagern. Ersteres geschah in der Konjunktur, die die Physi­ kotheologie im Zeitalter der Aufklärung erlebte82, letzteres mit der Konzen­ 80 W. Ockham: Ordinatio I d 2 q 10 (Opera IV St. Bonaventure N.Y. 1970, 354, 17 ff.). Vgl. dazu Ph. Boehner: Collected Articles on Ockham ed. E. Buytaert, St. Bonaventure 1958, 399– 420, ferner auch die kurze Zusammenfassung bei E. Gilson/Ph. Boehner: Christliche Phi­ losophie von ihren Anfängen bis Nikolaus von Cues, 3. Aufl. 1954, 617 f. 81 Vgl. dazu meinen Aufsatz „Gott und die Natur“ in: Theologie und Philosophie 58, 1983, 481–500, bes. 485 f., ferner I. Newton, Princ. I Def. 3. Die im Text behauptete Konsequenz wur­ de noch nicht von Descartes gezogen, weil er die Trägheit noch nicht als vis insita begriff, auch nicht von Newton, weil er nicht (wie Descartes) alle Veränderungen auf mechanische Einwir­ kungen der Körper aufeinander zurückführte. Sie ergab sich aber, sobald Newtons Begriff der Trägheit mit der Zurückführung aller Kräfte auf Körper verbunden wurde. Zu einigen thomi­ stischen Versuchen, den „ersten Weg“ Thomas von Aquins gegen die Folgen der Einführung des Trägheitsprinzips zu verteidigen, vgl. Kenny a. a. O. 29 ff. 82 Siehe dazu W. Philipp: Das Werden der Aufklärung in theologiegeschichtlicher Sicht, Göttingen 1957, 21–73.

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tration auf den Kontingenzbeweis als den kosmologischen Gottesbeweis schlechthin. Der Gedanke Gottes als des absolut vollkommenen Wesens, der sich bei Thomas auf dem vierten Weg, aus dem Stufenbeweis, ergab, galt zwar noch Leibniz als „der gebräuchlichste und bezeichnendste Begriff, den wir von Gott haben“83, aber er wurde bei ihm nicht mehr kosmologisch aus den in der Welt anzutreffenden Stufen größerer und geringerer Vollkommenheit begründet, sondern durch den Kontingenzbeweis, der vermöge des Prinzips des zureichenden Grundes vom zufälligen Dasein der Weltdinge auf den Be­ griff eines notwendigen Wesens führt84. Descartes hatte den Gedanken Got­ tes als des vollkommensten Wesens überhaupt nicht aus der Welterfahrung abgeleitet, sondern als unmittelbar mit der dem Menschen eingepflanzten Idee des Unendlichen verbunden betrachtet85. In seiner Erwiderung an Ca­ terus ließ er auch den Grund seiner Abneigung gegen Gottesbeweise „aus der sichtbaren Ordnung der Sinnenwelt“ erkennen, nämlich die Unsicher­ heit der Reflexionen auf die Unmöglichkeit eines unendlichen Regresses in der Ursachenreihe: Die Unbegreiflichkeit der Vorstellung von einer unendlichen Abfolge von Ursachen, von denen keine die erste gewesen ist, erlaube keineswegs den Schluß, daß irgendeine die erste gewesen sein muß. „Daher wollte ich zum Ausgangspunkt meines Beweisgangs lieber das Da­ sein meiner selber machen, das von keiner Kette von Ursachen abhängt und mir so bekannt ist, daß nichts bekannter sein könnte…“86 In dieser Bemer­ kung ist die Wendung von der kosmologischen zur anthropologischen Be­ gründung der Gottesbeweise ausgesprochen, die mit Descartes einsetzte. Descartes sah noch nicht, daß mit dieser anthropologischen Wendung die Objektivität des Gottesgedankens gefährdet werden sollte. Er war ja der Meinung, daß die Gottesidee nicht als Produkt des menschlichen Geistes aufgefaßt werden könne, weil sie diesen unendlich übersteigt87. Die meisten der Diskussionspartner von Descartes haben aber bereits Zweifel an der Tragfähigkeit dieses Arguments geäußert. Auch Descartes gab zu, daß die Idee Gottes als des absolut vollkommenen Wesens von uns selbst gebildet werden kann, meinte aber, daß eben eine solche Fähigkeit eine dem objekti­ ven Gehalt der Idee adäquate Ursache haben müsse88. Die Unsicherheit 83

G. W. Leibniz: Discours de Métaphysique 1 (PhB 260,1958, 2 f.). G. W. Leibniz: Principes de la Nature et de la Grace fondés en raison 1714, 8 ff. (PhB 253, 1956, 15 ff.). Hier wird aus dem Begriff des notwendigen Wesens (8) dessen Vollkommenheit hergeleitet (9). 85 Descartes Med. III, 27 ff., bes. 41 f. Obwohl der Gedanke des Unendlichen die Argumen­ tationsbasis bildet, wird damit doch sogleich in Nr. 28 der Gedanke des perfectum verbunden. 86 Descartes Meditationen, PhB 27,96 (140 der Ausgabe der Meditationen von 1685). Des­ cartes fügt hinzu, damit sei auch unmittelbar gegeben, „aus welcher Ursache ich im gegenwärti­ gen Zeitpunkt erhalten werde“, nämlich ohne jede „Aufeinanderfolge von Ursachen“. 87 Med. III,27. 88 So in der Antwort auf die zweiten Einwände, PhB 27,121 (Meditationen 1685 S. 179), vgl. 84

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dieses Schlusses macht verständlich, daß Samuel Clarke89 und Leibniz auf kosmologische Argumente zurückgriffen, um die Objektivität des Gottesge­ dankens zu sichern. Dabei ist bemerkenswert, daß der Kontingenzbeweis in der von Leibniz vorgetragenen Form ohne die von Descartes als aussichtslos beurteilte Widerlegung eines unendlichen Regresses in der Ursachenreihe auskommt90. Doch das Prinzip des zureichenden Grundes, von dem Leibniz ausging, stammt seinerseits nicht aus der Welterfahrung, sondern ist in der menschlichen Vernunft begründet, so daß der Kontingenzbeweis von Leib­ niz sich leicht als Ausdruck eines Bedürfnisses der Vernunft in bezug auf die Welterfahrung auffassen läßt. Damit erhebt sich von neuem die Frage nach der objektiven Gültigkeit des durch das Erklärungsbedürfnis der Vernunft Geforderten. Da zwar das Vernunftbedürfnis, nicht aber die objektive Gül­ tigkeit des Prinzips des zureichenden Grundes dargetan werden konnte, hat ungewollt gerade Leibniz entscheidend zu einer anthropologischen Interpretation nun auch des kosmologischen Arguments beigetragen und der von Kant vorgetragenen kritizistischen Deutung der ganzen rationalen Theologie als Ausdruck eines Vernunftbedürfnisses, aber ohne objektive Gültigkeit, den Boden bereitet. In der „Kritik der reinen Vernunft“ hat Kant zwar die „Beweisgründe der spekulativen Vernunft“ (vgl. A 583 ff.) für das Dasein eines höchsten Wesens destruiert, aber darüber wird leicht übersehen, daß er zugleich die Notwen­ digkeit des Vernunftideals eines solchen höchsten Wesens behauptet hat, „worauf alle empirische Realität ihre höchste und notwendige Einheit grün­ det, und welches wir uns nicht anders, als nach der Analogie einer wirklichen Substanz, welche nach Vernunftgesetzen die Ursache aller Dinge sei, denken können“ (A 675). Die Ausbildung dieser Vorstellung könne man zwar un­ terlassen, aber solche Unterlassung könne „mit der Absicht einer voll­ kommenen systematischen Einheit in unserem Erkenntnis… nicht zusam­ men bestehen“ (ebd., vgl. A 698 f.). Der Gedanke Gottes bleibt also für die 111 ff. (163 ff.). Gassendi hat behauptet, daß die Idee der absoluten Vollkommenheit aus der Kombination und Steigerung der Vollkommenheit der endlichen Dinge stammen könne (Fünfte Einwände S. 412 ff., PhB 27, 269 ff.). Descartes erklärte darauf, unsere Fähigkeit, „alle erschaffenen Vollkommenheiten zu steigern“, lasse erkennen, „daß die Idee eines größeren Dinges, nämlich Gottes, in uns wohnt“ (518, PhB 27, 336). Doch schon Caterus hatte angedeu­ tet, daß die Bildung der einzelnen Ideen (und somit auch der Gottesidee) gerade in der Unvollkommenheit unseres Verstandes begründet sein könne, der das Universum nicht mit ei­ nem einzigen Begriff zu erfassen vermag (Erste Einwände S. 120, PhB 27, 83). 89 S. Clarke: A Demonstration of the Being and Attributes of God, London 1705. Siehe dazu die ausführlichen Analysen bei W. L. Rowe: The Cosmological Argument, Princeton und Lon­ don 1975, 60–248. 90 W. L. Craig: The Cosmological Argument from Plato to Leibniz, 1980, 276 betont mit Recht die an dieser Stelle bestehende Differenz zur tertia via bei Thomas von Aquin. Die Diffe­ renz hängt zweifellos damit zusammen, daß Leibniz’ Argument auf dem Prinzip des zureichen­ den Grundes beruht, nicht auf dem Kausalprinzip. Weniger einleuchtend ist die dritte von Craig genannte Differenz (277).

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Vernunft unverzichtbar, obwohl ich „weder von der inneren Möglichkeit seiner höchsten Vollkommenheit, noch der Notwendigkeit seines Daseins, den mindesten Begriff habe“ (A 675). Es handelt sich eben um ein unabweis­ bares Bedürfnis der Vernunft, die Einheit der Erfahrungswirklichkeit von ihrem Grunde her zu denken. Auf derselben Linie einer anthropologischen Argumentation liegt Kants Nachweis, daß die moralischen Gesetze „das Da­ sein eines höchsten Wesens nicht bloß voraussetzen, sondern auch, da sie… schlechterdings notwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur praktisch, postulieren“ (A 634), – ein Nachweis, den die „Kritik der praktischen Ver­ nunft“ erbringen sollte. Damit hat Kant die bei Descartes eingeleitete Wen­ dung von der kosmologischen zur anthropologischen Begründung des Got­ tesgedankens vollendet. Auch Hegels Erneuerung der Gottesbeweise ist hin­ ter dieses Ergebnis nicht zurückgegangen. Denn Hegel hat die Gottesbe­ weise nicht mehr als isolierte theoretische Konstrukte aufgefaßt, die das Dasein Gottes beweisen, sondern als Ausdruck der Erhebung des menschli­ chen Geistes über das sinnlich Gegebene und über das Endliche überhaupt zum Gedanken des Unendlichen und zur Allgemeinheit des Begriffs. „Die sogenannten Beweise vom Daseyn Gottes sind nur als die Beschreibungen und Analysen des Ganges des Geistes in sich anzusehen, der ein denkender ist und das Sinnliche denkt. Das Erheben des Denkens über das Sinnliche, das Hinausgehen desselben über das Endliche zum Unendlichen… alles die­ ses ist das Denken selbst, dies Übergehen ist nur Denken.“91 Hegel hat also mit Kant den Gottesgedanken als einen notwendigen Ge­ danken der Vernunft verstanden. Er hat jedoch, anders als Kant, die Ver­ nunft nicht als etwas bloß Subjektives betrachtet, sondern gerade die Tren­ nung von Subjekt und Ansichsein als eine subjektive Denkform des Verstan­ des beurteilt, die durch die Vernunfterkenntnis überwunden wird. Dennoch hat auch Hegel Kritik an der Form der Gottesbeweise geübt, insofern sie die endlichen Dinge als festen Ausgangspunkt behandeln, während das Dasein Gottes als von diesem Ausgangspunkt abhängige Folgerung erscheint92. In Wahrheit verhält es sich nach Hegel umgekehrt. „Nicht weil das Zufällige ist, sondern vielmehr weil es ein Nichtsein, nur Erscheinung, sein Sein nicht wahrhafte Wirklichkeit ist, ist die absolute Notwendigkeit; diese ist sein Sein und seine Wahrheit.“93 Die Erhebung über das Endliche, die sich in den 91 G. W.F. Hegel: Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817) 2. Ausg. 1827, § 50 Anm. Vgl. die Kritik an der Einseitigkeit der theologia naturalis, daß sie nur den Gottesbegriff für sich, nicht auch die „Beziehung des Menschen zu Gott“ zu ihrem Thema gemacht habe (Begriff der Religion hrsg. G. Lasson PhB 59,1925,156). 92 Das war die Kritik F. J. Jacobis an den Gottesbeweisen in seinen Briefen über die Lehre des Spinoza, 1785, gewesen. 93 Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes hrsg. G. Lasson PhB 64,1966,103. Vgl. Wissenschaft der Logik II (PhB 57) 62, ferner auch Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion I (Begriff der Religion) hrsg. G. Lasson PhB 59, 207 ff.).

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Gottesbeweisen vollzieht, besagt im Gegensatz zur logischen Form ihrer Argumentation, daß das Endliche kein letztlich selbständiges Sein besitzt. Als Ausdruck der Erhebung des menschlichen Geistes über das Endliche zum Gedanken des Unendlichen entsprechen die Gottesbeweise nach Hegel dem Leben der Religion. Sie sind das gedankliche Konzentrat der religiösen Erhebung zur Teilhabe an der göttlichen Wirklichkeit, aber ausgedrückt in der Form des Verstandesdenkens94. Hegel hat daher auch den Versuch ge­ macht, die verschiedenen Typen des Gottesbeweises den Stufen der Religion in ihrer Entwicklung zuzuordnen: den kosmologischen Beweis der Naturre­ ligion, den physikotheologischen den Religionen der geistigen Subjektivität, den ontologischen der Offenbarungsreligion, als Ausdruck der Selbstoffen­ barung Gottes95. Er hat damit nicht nur die Einsicht in die Abhängigkeit philosophischer Theologie von einer jeweils konkreten geschichtlichen Ge­ stalt der Religion ausgedrückt, sondern auch das Ergebnis der neueren For­ schungen zur Geschichte der Gottesbeweise vorweggenommen, wonach de­ ren jeweilige Gestalt mit dem Gottesverständnis der religiösen Über­ lieferung zusammenhängt und beim Übergang in den Traditionszusammen­ hang anderer religiöser Kulturen tiefgreifend verändert worden ist: So wurde der aristotelische Beweis einer ersten Wirkursache der Bewegung in der islamischen Philosophie und im mittelalterlich-christlichen Denken zum Beweis des Schöpfergottes96. Die genauere Erforschung dieser Zusammen­ hänge schließt allerdings auch eine Korrektur von Hegels Zuordnung dieses Beweises zur Naturreligion ein: Gerade die von Leibniz entwickelte und von Kant kritisierte Form des kosmologischen Arguments, die von der Zufälligkeit des Endlichen ausgeht, ist erst auf dem Boden eines im Islam wie in der jüdischen Philosophie und im Christentum letztlich biblisch be­ gründeten Schöpfungsglaubens möglich geworden. Die anthropologische Interpretation der Gottesbeweise und des Gottesge­ dankens überhaupt konnte jedoch auch zur Basis einer atheistischen Argu­ mentation werden, die den Gottesgedanken als Ausdruck bloß subjektiver Bedürfnisse und als Produkt der Projektion menschlich-irdischer Vorstel­ lungsformen in den Gedanken des Unendlichen darstellten. Diese Argumen­ tationsform ist nicht erst von Ludwig Feuerbach entwickelt worden. Sie fin­ det sich schon in Johann Gottlieb Fichtes Schriften zum Atheismusstreit, nämlich in dem Versuch, die Vorstellungen von Gott als Substanz und als Person als widerspruchsvoll, weil dem Gedanken des Unendlichen unange­ messen, zu erweisen97. Man kann an diesem Beispiel studieren, welche 94

Begriff der Religion 68 f. G. W.F. Hegel: Religionsphilosophie I Hrsg. K.-H. Ilting (Die Vorlesung von 1821), Nea­ pel 1978,273 ff., 417 ff., 505 ff. 96 Vgl. dazu die Feststellung von]. Clayton TRE 13, 1984, 762. 97 J.G. Fichte: Über den Grund unsers Glaubens an eine göttliche Weltregierung, Philos. Journal 8,1798,1–20, bes. 15 ff., vgl. Gerichtliche Verantwortungsschrift gegen die Anklage des 95

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Folgen es hat, wenn die von der klassischen Metaphysik verfochtene Forde­ rung nach innerer Widerspruchslosigkeit des Gottesgedankens aufgegeben wird: Seine Wesensmomente müssen dann in den Verdacht geraten, aus Gründen, die dann nur noch psychologisch aufzuklären sind, heterogen zu­ sammengesetzt zu sein. Diesen Weg ist die psychologische Religionstheorie Feuerbachs und aller seiner modernen Nachfolger gegangen. Sobald der Got­ tesgedanke nicht mehr, wie noch bei Kant, ein „fehlerfreies Ideal“ (Kr.r.V. A 641) der Vernunft ist, kann er auch nicht mehr als Ausdruck der Natur der menschlichen Vernunft selber, sondern muß als Produkt einer fehlerhaften Anwendung ihrer Regeln und damit als eine grundsätzlich überwindbare Täuschung beurteilt werden. Die Funktion der anthropologischen „Gottesbeweise“ besteht demgegen­ über in dem Nachweis, daß der Gottesgedanke wesentlicher Bestandteil eines angemessenen Selbstverständnisses des Menschen ist, sei es im Hinblick auf die menschliche Vernunft, sei es unter Einbeziehung anderer Grundvollzüge menschlicher Existenz. Zur Gruppe der ausdrücklich anthropologisch argu­ mentierenden Gottesbeweise gehört schon Augustins Nachweis der Ange­ wiesenheit des erkennenden Bewußtseins auf das Licht der Wahrheit, das nicht aus ihm selber stammt98, sodann auch der Aufweis einer dem menschli­ chen Bewußtsein eingeborenen Gottesidee im Wissen vom Unendlichen, das aller Vorstellung endlicher Dinge vorangeht und zugrunde liegt, in Descartes’ dritter Meditation. Dazu gehören ferner der moralische Gottesbeweis Kants in der Kritik der praktischen Vernunft, sowie das Sichsehen des Selbstbe­ wußtseins als Gegründetsein im Absoluten, wie es in Fichtes späteren Wis­ senschaftslehren dargelegt wird99, als Freiheit, die durch das absolute Sein ist100, ferner Schleiermachers Aufweis eines schlechthinnigen Abhängig­ keitsgefühls als Basis des menschlichen Selbstbewußtseins101 und Kierke­ gaards These einer konstitutiven Beziehung des Selbstbewußtseins auf das Unendliche und Ewige102. Die Reihe gerade dieser Versuche läßt sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Es sei nur als Beispiel Karl Rahners These ge­ nannt, daß in der Selbsttranszendenz des Menschen, in seinem Vorgriff auf

Atheismus (1799) in: H. Lindau (Hrsg.): Die Schriften zu J.G. Fichte’s Atheismus-Streit, Mün­ chen 1912,196–271,221 ff., bes. 226, auch 227 ff. 98 Augustinus: De libero arb. II, 12, vgl. 15. 99 J. G. Fichte, Die Wissenschaftslehre (1804) PhB 284,1975, 266 f., vgl. schon 75. 100 J.G. Fichte, Darstellung der Wissenschaftslehre 1801/1802, PhB 302, 1977, 86, vgl. 219 ff. 101 D. F. Schleiermacher: Der christliche Glaube, 1821, § 4. 102 S. Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode, 1849. Siehe bes. die Bestimmung des Begriffs Geist als Verhältnis zum Unendlichen, das sich zu sich selbst verhält, SV XI, 127. Trotz der Kri­ tik der Philosophischen Brocken (1844) am Versuch, Gottes Dasein zu beweisen (SV IV, 207 ff.), wird man auch Kierkegaards Beschreibung des Menschen als konstituiert durch die Be­ ziehung auf Gott zu den anthropologischen „Gottesbeweisen“ rechnen müssen.

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Sein, das Dasein Gottes immer schon „mitbejaht“ ist103, sowie die theologi­ sche Interpretation der von Erik H. Erikson auf gewiesenen konstitutiven Bedeutung eines Urvertrauens für die individuelle Entwicklung bei Hans Küng104. Keines dieser anthropologischen Argumente vermag im strengen Sinne das Dasein Gottes zu beweisen. In den meisten Fällen wird ein derartiger An­ spruch auch nicht erhoben, sondern nur ein Bezogensein des Menschen auf eine Mensch und Welt transzendierende, im übrigen unerforschliche Wirk­ lichkeit behauptet, so daß dem Gottesnamen der religiösen Überlieferung ein Anhalt an der Wirklichkeit menschlicher Selbsterfahrung gesichert wird105. Um einen eigentlichen Beweis des Daseins Gottes kann es sich außerdem schon deswegen nicht handeln, weil das Dasein Gottes in Beziehung nicht nur auf den Menschen, sondern auch und vor allem auf die Weltwirklichkeit erwiesen werden müßte. Darin ist die bleibende Bedeutung der kosmologi­ schen Beweisarten und das Interesse an ihnen auch noch im gegenwärtigen Denken begründet. Von Gott, zumal als Singularetantum, läßt sich nur unter der Bedingung sinnvoll sprechen, daß er als Ursprung der Welt denkbar ist und daß die Weltwirklichkeit als angewiesen auf eine Begründung ihres Seins zu verstehen ist, die nicht in ihr selbst gefunden werden kann und deren Be­ dingungen in den kosmologischen Argumenten formuliert worden sind. Al­ lerdings sind auch die kosmologischen Argumente insofern anthropologisch fundiert, als ihnen das Bedürfnis der menschlichen Vernunft nach einer letz­ ten Erklärung für das Dasein der Welt zugrunde liegt. Darum führt auch das Kontingenzargument von Leibniz nicht zu einer stringenten Demonstration des Daseins Gottes, sondern nur zum Nachweis der Notwendigkeit, daß das menschliche Denken sich über die Zufälligkeit alles Endlichen zum Gedan­ ken eines durch sich selbst existierenden Ursprungs erheben muß. Das kosmologische Argument sagt also zunächst etwas aus über das Sinnbedürf­ nis der menschlichen Vernunft angesichts der Unselbständigkeit der Welt­ dinge. Doch durch diesen Aufweis trägt es zumindest zur Intelligibilität des Redens von Gott bei106. Zugleich behält es, wie schon Kant es für den

103 K. Rahner: Hörer des Wortes. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie (1940), 2. Aufl. 1963, 83 f., vgl. auch 119 ff. 104 H. Küng: Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit, München 1978, 490– 528. Siehe dazu meine Erörterung in: Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983, 224 ff. 105 In diesem Sinne ist die Selbsttranszendenz oder Weltoffenheit des Menschen auch von mir als Gottoffenheit gedeutet (Was ist der Mensch?, 1962,12 f.) und im Gegensatz zum „Athe­ ismus der Freiheit“ (Grundfragen syst. Theologie I, 1967, 353 ff.) die These entwickelt worden, daß Gott Ursprung der menschlichen Freiheit sei (Gottesgedanke und menschliche Freiheit, 1972, 25 ff., 38–47, 73 ff.). 106 Vgl. auch das Urteil von J. Hick: Arguments for the Existence of God, London (Macmill­ an) 1970, 46 ff. Dabei hat Hick die stärkste Form des kosmologischen Arguments, den Kontin­ genzbeweis von Leibniz, gar nicht ausdrücklich erörtert, die Argumente Thomas von Aquins

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Vernunftbegriff „eines Urwesens“ beanspruchte, die wichtige Funktion, an­ derweitig gebildete Aussagen über Gott „zu berichtigen… und von allem, was dem Begriffe eines Urwesens zuwider sein möchte, und aller Beimi­ schung empirischer Einschränkungen zu reinigen“107. Das ist die ursprüngliche Funktion der alten natürlichen Theologie gegen­ über der religiösen Überlieferung gewesen, aus der sich dann freilich schon in der Antike eine allein auf der Basis philosophischer Reflexion begründete philosophische Theologie entwickelt hat. Deren kritische Funktion hat auch die frühchristliche Theologie anerkannt, nicht aber den Anspruch, eine Gotteserkenntnis allein auf der Grundlage philosophischer Reflexion be­ gründen zu können. Gott kann nur durch Gott selbst erkannt werden108. Darum ist Gotteserkenntnis nur durch die Offenbarung der göttlichen Wirklichkeit möglich. Daß solche Offenbarung schon in der Tatsache der Welt vor aller Augen überführend stattgefunden hätte, läßt sich angesichts der Strittigkeit des Daseins Gottes, wie sie gerade auch in den Bemühungen um Beweise für Gottes Dasein zum Ausdruck kommt, schwerlich behaup­ ten. Die Resultate der Geschichte der Gottesbeweise und der Diskussionen um ihre Aussagekraft zeigen, daß die Sachlage der Strittigkeit des Daseins Gottes durch solche Argumente nicht entscheidend geändert werden kann. Dennoch behalten diese Argumente eine Bedeutung als Beschreibungen der Wirklichkeit des Menschen und der Welt, die dem Reden von Gott seine In­ telligibilität sichern und damit auch Kriterien des Redens von Gott zu be­ gründen vermögen. In diesem Sinne wird die christliche Theologie der Phi­ losophie und gerade auch der philosophischen Theologie eine kritische

aber neothomistisch als Ausdruck eines Bedürfnisses nach Intelligibilität der Welterfahrung aufgefaßt (bes. 43 f.). 107 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, 1781, A 640. 108 Das bringt nach Hegel der ontologische Beweis im Unterschied zu den von endlichen Dingen ausgehenden Gottesbeweisen zum Ausdruck. Das Schiefe in ihrer Form, daß Gottes Dasein aus dem Dasein endlicher Dinge gefolgert wird, ist hier verschwunden. Die Einheit von Begriff und Sein Gottes realisiert sich Hegel zufolge auch nicht erst im menschlichen Denken, sondern in der Offenbarung der absoluten Idee für sich selbst und so auch für uns (Vorlesungen über die Philosophie der Religion III. Die absolute Religion, PhB 63, 37 ff., 53 ff.). Schon in sei­ ner Logik deutete Hegel den ontologischen Beweis als Selbsterweis Gottes durch sein Handeln: „Gott als lebendiger Gott und noch mehr als absoluter Geist wird nur in seinem Tun erkannt. Früh ist der Mensch angewiesen worden, ihn in seinen Werken zu erkennen; aus diesen können erst die Bestimmungen hervorgehen, welche seine Eigenschaften genannt werden, so wie darin auch sein Sein enthalten ist. So faßt das begreifende Erkennen seines Wirkens, d. i. seiner selbst, den Begriff Gottes in seinem Sein und sein Sein in seinem Begriffe“ (Logik II, PhB 57, 354 f.). Wenn der ontologische Beweis in diesem Sinne als Selbstbeweis Gottes verstanden wird, hört er allerdings auf, ein Beweis zu sein, den das menschliche Denken von sich aus vollziehen kann, weil unser Begriff des ens necessarium nur abstrakt, aber nicht in der vollen Konkretion gedacht werden kann, die dem Wesen Gottes entspricht. Vgl. auch die Bemerkungen E. Jüngels zu An­ selms Formel id quo maius cogitari nequit (Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977,197 f.).

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Funktion für ihr eigenes Reden von Gott zubilligen müssen109. Hält diese Lösung aber auch der in der neueren evangelischen Theologie geäußerten Kritik am Begriff und Verfahren einer „natürlichen Theologie“ stand, oder ist sie selber noch von dieser Kritik betroffen?

4. Die theologische Kritik der natürlichen Theologie Es wurde bereits erwähnt, daß die altprotestantische Theologie zwischen na­ türlicher Gotteserkenntnis und natürlicher Theologie nicht unterschieden hat (s. o. 87). Ebenso fehlt eine Unterscheidung zwischen natürlicher Theo­ logie und natürlicher Religion. Dieser Befund wird teilweise daraus ver­ ständlich, daß der Begriff natürlicher Gotteserkenntnis und Theologie aus einer Kombination von Röm 1,18–20 mit Röm 2,14 begründet wurde: Die Kenntnis des göttlichen Gesetzes mußte sowohl ein Wissen von Gott als auch die Pflicht zur Gottesverehrung enthalten110. Die Frage konnte dann nur sein, ob die dem natürlichen Wissen von Gott entsprechende Gottesver­ ehrung zum Heil des Menschen ausreichend ist, wie es Herbert von Cherbu­ ry behauptete111. Die lutherische Spätorthodoxie verneinte diese Frage, weil zwar das Gebot der Gottesverehrung, nicht aber ihre angemessene Form aus der natürlichen Kenntnis von Gott bekannt sei112. Darüber haben die deisti­ schen Anhänger Herberts nicht ohne Grund ihren Spott ausgegossen: Wie sollte ein gütiger Gott den Menschen die Pflicht zu seiner Verehrung aufer­ legt, die Kenntnis der angemessenen Form derselben aber vorenthalten ha­ ben? Johann Franz Buddeus beschränkte sich daher auf den Hinweis, daß die natürliche Gotteserkenntnis für den Menschen im Zustande der Sünde kein Mittel zur Versöhnung des göttlichen Zorns bereithält113. Die Deisten dagegen folgten der Ansicht Herberts von Cherbury auch darin, daß sie die Notwendigkeit einer Versöhnung des göttlichen Zorns mit dem Argument bestritten, Gott sollte, wenn Reue vorhanden ist, ebenso vergebungsbereit sein, wie er es von uns fordert114. Immerhin hat auch Buddeus, ähnlich wie 109 Näheres zur allgemeinen Erörterung dieser Frage in meinem Aufsatz: „Christliche Theo­ logie und philosophische Kritik“, in: Gottesgedanke und menschliche Freiheit, 1972,48–77. 110 So etwa D.Hollaz: Examen Theologicum acroamaticum, Stargard 1707, 292 f. Auch Lu­ ther und Melanchthon hatten bereits die Auslegung von Röm 1,18–20 mit dem nach Röm den Heiden von Natur aus eigenen Wissen vom Gesetz Gottes verknüpft. Siehe J. Platt: Reformed Thought and Scholasticism, Leiden 1982,10 ff. 111 Herbert von Cherbury: De veritate (1624) 2. Ausg. London 1645, 224 f. sowie ders.: De Causis Errorum Una Cum Tractatu de Religione Laici, London 1645,152 ff. 112 D.Hollaz a. a. O. 307. Vgl. die Kritik dieser auch von S.Clarke vertretenen These bei M. Tindal: Christianity as old as the Creation, London 1730, 394 f. 113 J.F. Buddeus, Compendium Institutionum Theologiae Dogmaticae, Leipzig 1724, 15 (I §16) und 16 (§17). 114 M.Tindal a. a. O. 392: „…nothing, sure, can be more shocking, than to suppose the un­ changeable God, whose Nature, and Property is ever to forgive, was not, at all Times, equally

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Samuel Clarke in seinen „Boyle Lectures“, angenommen, daß die Hoffnung auf eine künftige Versöhnung und auf das künftige Heil schon in der natürli­ chen Gotteserkenntnis begründet sei115. Sie sei von Adam unverfälscht den Patriarchen überkommen, während bei den heidnischen Religionen diese ur­ sprüngliche Gotteserkenntnis von Aberglauben überwuchert worden sei116. Allen diesen Auffassungen lag die Annahme zugrunde, daß die natürliche Religion der Aufklärung auch die ursprüngliche Religion der Menschheit gewesen sei. Diese Annahme erhielt einen entscheidenden, sich allerdings erst langfristig voll auswirkenden Stoß durch die These, die David Hume 1757 in seiner Natural History of Religion darlegte: Nicht der Monotheis­ mus der „natürlichen Religion“, sondern eine aus Unwissenheit, Furcht und Hoffnung geborene polytheistische Verehrung von Naturmächten stand am Anfang der Religionsgeschichte der Menschheit117. Der menschliche Geist erhebt sich nur stufenweise vom Unvollkommenen zum Vollkommeneren. Daher kann die gereinigte Gottesvorstellung des Theismus erst am Ende der religiösen Entwicklung der Menschheit stehen118. Hume glaubte noch, daß sie im Prinzip der Vernunft entspreche, obwohl diese schwerlich ihr ge­ schichtlicher Ursprung gewesen sein könne119. Entstanden sei der Monothe­ ismus eher aus den Leidenschaften von Ehrgeiz und Schmeichelei, wie ser­ vile Höflinge sie ihren Fürsten entgegenbringen: So sei eine partikulare Gottheit wie der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs schließlich zum alleini­ gen Gott emporgesteigert worden120. Die bis dahin herrschende Auffassung von der Wirklichkeit der Religion und ihrer Geschichte wurde, wenn man den Darlegungen Humes folgte, willing to pardon repenting Sinners; and equally willing they should have the Satisfaction of knowing it.“ 115 Buddeus ebd. 16 (§ 17), vgl. S. Clarke: The Being and Attributes of God, London 1705, 197. 116 J. F. Buddeus a. a. O. 19 ff. (§ 23 und 24). Die Auffassung, daß im Laufe der Geschichte die ursprüngliche Gotteserkenntnis in den Religionen der Völker (aber auch bei den Juden) durch Aberglauben verfälscht worden ist, wurde auch von den Deisten geteilt, vgl. Tindal a. a. O. Kap. 8 (85–103). 117 D. Hume: The Philosophical Works ed. T.H. Green and T.H. Grose, London 1882 ff. vol. 4,309 ff., bes. 310 ff. („That polytheism was the primary Religion of Men“) und 315 f. 118 Ebd., 311: „It seems certain, that, according to the natural progress of human thought, the ignorant multitude must first entertain some groveling and familiar notion of superior powers, before they stretch their conception to that perfect Being, wo bestowed order on the whole frame of nature… The mind rises gradually, from inferior to superior: By abstracting from what is imperfect, it forms an idea of perfection.“ 119 Ebd.: „But though I allow, that the order and frame of the universe, when accurately ex­ amined, affords such an argument; yet I can never think, that this consideration could have an influence on mankind, when they formed their first rude notions of religion.“ 120 Ebd. 331: „How much more natural, therefore, is it that a limited deity, who at first is supposed only the immediate author of the particular goods and ills in life, should in the end be represented as souvereign maker and modifier of the universe?… Thus, the God of ABRA­ HAM, ISAAC and JACOB, became the supreme deity or JEHOVA of the JEWS.“

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radikal verändert. Sie wurde sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt: Die Leidenschaften der Menschen, nicht mehr die Vernunft, gelten nun als Ur­ sprung der Religion. Die positiven Religionen erscheinen nicht mehr als Verfallsform eines ursprünglichen Monotheismus, der mit der natürlichen Religion der Aufklärung identisch ist, sondern umgekehrt als Vorstufen ei­ ner Entwicklung, die erst an ihrem Ende den Monotheismus hervorgebracht hat, und zwar aus ganz anderen Gründen als denen der Vernunftreligion. Ohne die von Hume ausgehende, vollständige Neuorientierung des Be­ wußtseins von der geschichtlichen Wirklichkeit der Religion läßt sich Schlei­ ermachers Beurteilung der „natürlichen Religion“ im Verhältnis zu den po­ sitiven Religionen kaum verstehen. In der letzten seiner Reden Über die Re­ ligion von 1799, die den Religionen in ihrer Vielheit und Verschiedenheit ge­ widmet ist, kam Schleiermacher auch auf den Begriff der „natürlichen Religion“ zu sprechen und behauptete, daß diese im Vergleich zu den positi­ ven Religionen „nur eine unbestimmte dürftige und armselige Idee ist, die für sich nie eigentlich existieren kann“121. In der Glaubenslehre 1821 heißt es dann, die natürliche Religion sei „als Basis einer religiösen Gemeinschaft nir­ gend“ vorhanden, sondern enthalte „nur das was sich aus den Lehren aller frommen Gemeinschaften der höchsten Ordnung gleichmäßig abstrahiren läßt als das in allen vorhandene, nur in jeder anders bestimmte“ (§10 Zu­ satz). In den „Reden“ gab Schleiermacher zu erkennen, daß er sich bei seiner Abwertung der „natürlichen Religion“ des Gegensatzes zur herrschenden Meinung des Aufklärungszeitalters bewußt war. Dagegen wird der Name Hume nicht genannt. Der Sache nach zog freilich Schleiermacher für die Theologie die Konsequenzen aus der durch Humes Darstellung der Reli­ gionsgeschichte veränderten Situation. Dabei war sein eigener Religionsbe­ griff ein durchaus anderer als der Humes. Er erlaubte Schleiermacher im Un­ terschied zu Hume eine durch den Individualitätsgedanken vermittelte, po­ sitive Würdigung der Pluralität positiver Religionen. Dem entsprach seine Beurteilung der „natürlichen Religion“, die sich bei Hume in dieser Form nicht findet. Dennoch ist die sachliche Nähe zu Hume groß, denn auch er hatte hervorgehoben, daß der Monotheismus historisch kein Produkt der Vernunftreligion, sondern aus andern Motiven entstanden sei. Daß die Ver­ nunftreligion der Aufklärung Produkt einer Abstraktion aus den am höch­ sten entwickelten positiven Religionen sei, das hatte Hume so nicht ausge­ sprochen, weil er bei allen Vorbehalten gegen die Argumente der aufgeklär­ ten Vernunfttheologie doch prinzipiell am Konzept einer solchen festhielt, und zwar im Sinne einer Option für die Philosophie gegen den Aberglauben

121 F. Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799, 248.

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aller positiven Religion. Die Leistung der Religionstheorie Schleiermachers ist dagegen die Rehabilitierung des Begriffs der positiven Religion gewesen, und sie ermöglichte es, nun aus dem neuen Bild der Religionsgeschichte die Konsequenz für den Begriff der natürlichen Religion selber zu ziehen, daß sie nämlich lediglich ein Produkt abstrahierender Reflexion auf das den höchstentwickelten Religionen Gemeinsame und damit ihrerseits von den positiven Religionen abhängig ist. Darin lag auch eine historische (nämlich religionsgeschichtliche) Relativierung der philosophischen Theologie. Diese wiederum implizierte die Geschichtlichkeit der Vernunft selber. Sie ist frei­ lich eher von Hegel als von Schleiermacher durchdacht worden, weil dieser als Philosoph stärker als Hegel der transzendentalphilosophischen Fragestellung verhaftet blieb. Schleiermachers Kritik am Begriff der natürlichen Religion ist kein Aus­ druck theologischer Postulate gewesen, sondern ergab sich als Konsequenz aus dem fortgeschrittenen – damals noch gar nicht allgemein zur Kenntnis genommenen – Entwicklungsstand der Religionstheorie seiner Zeit mit Ein­ schluß seines eigenen Beitrags dazu. Von der ein knappes Jahrhundert später von Albrecht Ritschl geäußerten Kritik an der Einmischung natürlicher Theologie in die Entwicklung der christlichen Lehre von Gott läßt sich der­ gleichen nicht behaupten. Zunächst ist bemerkenswert, daß diese Kritik erst in Ritschls Streitschrift „Theologie und Metaphysik“ 1881 eine größere Rol­ le spielte122. Ritschl wehrte sich darin gegen Angriffe auf seine Darstellung der christlichen Lehre, die deren Inhalt allzusehr auf das Verhältnis von Re­ ligion und Moral konzentriert habe. Die dagegen geltend gemachten meta­ physischen Grundlagen des Gottesbegriffs wies Ritschl als „eine ungehörige Einmischung von Metaphysik in die Offenbarungsreligion“ zurück123. Da­ bei hatte er in erster Linie griechische, vor allem die aristotelische und neu­ platonische Metaphysik und ihre Rezeption in der altkirchlichen Theologie im Blick, ohne sich Rechenschaft zu geben über die grundlegende Bedeu­ tung der Gottesfrage der Philosophie für den Glauben von Heiden an den jüdischen Gott als den einen Gott aller Menschen und damit auch für die ge­ schichtliche Möglichkeit einer heidenchristlichen Kirche überhaupt. Die alt­ kirchliche Rezeption der metaphysischen Gotteslehre verfiel bei Ritschl der Ablehnung, weil sie „gleichgiltig gegen den Art- und Werthunterschied von Geist und Natur“ gewesen sein soll und „Gott als Correlat ihrer philo­ 122 In den „Geschichtliche(n) Studien zur christlichen Lehre von Gott“ (1865) kommt das Stichwort „natürliche Theologie“, soweit ich sehe, nicht vor. In Ritschls Hauptwerk „Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung“ (3 Bde. 1870–1874) begegnet es nur an wenigen Stellen im 3. Bd. der 2. Aufl. (1883). So ist es verständlich, daß H.J. Birkner: Natürli­ che Theologie und Offenbarungstheologie. Ein theologiegeschichtlicher Überblick (NZ syst. Th. 3, 1961, 279–295), seine Ausführungen zu Ritschl (289–291) hauptsächlich auf die im Text genannte Streitschrift gestützt hat. 123 Die christliche Vollkommenheit. Theologie und Metaphysik, Göttingen 1902, 42.

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sophischen Beurtheilung der Welt im Allgemeinen“ behandelt habe124. Zur Einmischung metaphysischer Gedanken in die christliche Theologie, die die Lehre von Gott wie alle andern Teile der christlichen Lehre „aus dem Stand­ punkt der erlösten Gemeinde Christi auffaßt und beurtheilt“125, ist es nach Ritschl durch den Gedanken einer natürlichen Gottesoffenbarung ge­ kommen. Zusammen mit den metaphysischen Gottesbeweisen bildet dieser Gedanke nach seinem Urteil „das Nest, in welchem von jeher metaphysische Gotteserkenntnis gehegt worden ist“126. In der evangelischen Theologie ist nach Ritschls Darstellung Melanchthon dafür verantwortlich, die Vermi­ schung christlicher und metaphysischer Motive im Gottesverständnis fortgesetzt zu haben, und auch Schleiermacher hat den „Grundfehler dieser Lehrweise“ nicht überwunden, weil er nicht vom spezifisch christlichen Glaubensverständnis, sondern von der Allgemeinheit des frommen Selbstbewußtseins ausgegangen ist127. Ritschls Begriff von natürlicher Gotteserkenntnis bzw. natürlicher Theo­ logie war im Vergleich zu Schleiermacher verworren128. Indem er sich gegen die Rolle der Metaphysik in der christlichen Gotteslehre wendete, richtete sich seine Kritik nicht nur, wie bei Schleiermacher, gegen die natürliche Reli­ gion und Theologie der Aufklärung, sondern auch schon gegen die altkirch­ liche Rezeption der antiken philosophischen Theologie. Ritschl bedachte dabei nicht, daß er mit dieser Kritik die wichtigste historische Voraus­ setzung für die Annahme des Gottes Israels als des einen Gottes aller Men­ schen durch Nichtjuden in Frage stellte. Wie sollten denn Nichtjuden dazu kommen, den Gott Israels als den einen Gott zu glauben, ohne selber Juden zu werden? Das Gewicht dieser Frage ist auch in Adolf v. Harnacks Darstel­ lung der altkirchlichen Theologie- und Dogmengeschichte als der Geschich­ 124 A. a. O. 35, vgl. 34 f. Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Unterschied von Geist und Na­ turwelt ist nach Ritschl darum irreligiös, weil der Gott der Religion dem menschlichen Geist ge­ rade seine Überlegenheit über die Natur verbürgt (vgl. 33 f.). Daher steht nach Ritschls Mei­ nung im Unterschied zum kosmologischen, teleologischen und ontologischen Gottesbeweis, die sämtlich metaphysisch sind (36, 39 f.), das „moralische Argument Kant’s… unter dem un­ verkennbaren Einfluß der christlichen Weltanschauung“ (40). 125 Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung III, 2. Aufl. 1883, 5. 126 Theologie und Metaphysik a. a. O. 31 f., Zitat 32. 127 Daher lautet Ritschls Verdikt: „… seine allgemeine Lehre von Gott ist natürliche Theolo­ gie, gerade wie bei Melanchthon“ (a. a. O. 92). Vgl. zu Melanchthon auch: Rechtfertigung und Versöhnung III, 2. Aufl., 4. Dort wird die Lehre vom Urstand des Menschen als Basis einer „na­ türlichen oder allgemein vernünftigen Erkenntniß von Gott“ beurteilt, „welche gegen die christliche Erkenntniß Gottes… gleichgiltig ist…“. Dabei wird zwischen natürlicher Kenntnis Gottes und natürlicher Theologie nicht unterschieden. 128 Schleiermacher hat in seiner Glaubenslehre sogar wieder zwischen natürlicher Religion und natürlicher Theologie unterschieden, indem er von den aus den monotheistischen Religio­ nen abstrahierten Gemeinsamkeiten natürlicher Gotteserkenntnis schrieb, es handle sich dabei um eine „natürliche nicht sowol Religion als Glaubenslehre, wie man eigentlicher sagen sollte“ (§10 Zusatz).

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te einer Hellenisierung, sprich hellenistischen Überfremdung des Evange­ liums nicht hinreichend gewürdigt worden. In dieser Darstellung Harnacks wirkte Ritschls Kritik an der altkirchlichen Rezeption der antiken philo­ sophischen Theologie weiter. Ritschls Interesse bei dieser Kritik war jedoch letztlich ein aktuelles, nämlich das apologetische Interesse an einer Entla­ stung der Theologie von ihrer Verbindung mit einer dem naturwissenschaft­ lichen Positivismus der Zeit als obsolet erscheinenden Metaphysik und zu­ gleich an der Unabhängigkeit des moralisch-religiösen Bewußtseins von dem durch die mechanistische Naturwissenschaft geprägten materialisti­ schen Weltbild seiner Zeit. Gerade wenn man dieses Interesse als damals zeitgemäße Auslegung des christlichen Glaubens würdigt129, muß seine Ver­ kleidung in einen Kampf gegen die alte Metaphysik deplaziert wirken, denn diese, jedenfalls die platonische Metaphysik, hatte ja ihrerseits die Überle­ genheit des Geistes über die sinnlich erfahrbare Welt zum Inhalt. Ihr eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Unterschied von Geist und Natur vorzu­ werfen, kann nur als krasses Fehlurteil bezeichnet werden. Die Gewaltsam­ keit dieser Charakteristik diente denn auch offenbar nur dem Zweck, die Theologie ihrerseits von der dem wissenschaftlich aufgeklärten Zeitalter als verstaubt erscheinenden Metaphysik zu entlasten. Insoweit vollzog Ritschl eine Anpassung an den Zeitgeist, die aber im gleichen Atemzug als chiffrierte Auseinandersetzung mit ihm gemeint war. Dabei war er sich wohl nicht klar darüber, wie sehr seine Kritik die historischen Grundlagen der Entstehung und des Fortbestandes einer heidenchristlichen Kirche untergrub. Ironi­ scherweise konnte dieser Sachverhalt übersehen werden, weil seit der Auf­ klärung, jedenfalls seit Johann Salomo Semler, die Abhängigkeit der Gottes­ verkündigung Jesu vom Judentum unterschätzt wurde, indem man Jesus als den Begründer einer neuen, vom Judentum ganz unabhängigen Religion be­ trachtete. Diese schon reichlich komplexe Konstellation, die Ritschls Kampf gegen die „natürliche Theologie“ zugrunde liegt, wird nun aber noch ergänzt durch eine weitere, für Ritschl selbst wohl erst eigentlich entscheidende Argumen­ tationslinie, nämlich die Polemik dagegen, daß das christlich Besondere in ir­ gendeiner Weise mit andern Sachverhalten zusammengefaßt und allgemeinen Begriffen zugeordnet wird, die gegen den Unterschied zwischen Christ­ lichem und Nichtchristlichem „gleichgültig“ sind, wie etwa eine allgemeine Anthropologie, jedenfalls dann, wenn diese zur Basis eines Gottesbewußt­ seins erklärt wird wie bei Melanchthon oder bei Schleiermacher. Über der in dieser Hinsicht zwischen Melanchthon und Schleiermacher bestehenden Analogie hat Ritschl allerdings aus den Augen verloren, daß i.U. zu Melan­ chthon Schleiermachers Religionslehre weder im antiken, noch im modernen 129

So Chr. Gestrich: Die unbewältigte natürliche Theologie, in: ZThK 68, 1971, 82–120,

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Sinne des Wortes als „natürliche Theologie“ bezeichnet werden kann. Ritschl hat an dieser Stelle eine Ausweitung des Begriffs vollzogen, die alle historisch ausweisbaren Konturen seiner Anwendung sprengt. Wenn jede Zuordnung des christlich Besonderen zu Allgemeinbegriffen, insbesondere der Anthropologie, künftig „natürliche Theologie“ heißen sollte, dann muß­ te der Ausdruck zu einem fast beliebig zu handhabenden Instrument theolo­ gischer Abgrenzungsstrategien werden. Denn welche Theologie kann um­ hin, das spezifisch Christliche durch Allgemeinbegriffe zu beschreiben? Auf diese Weise kann man, während die eigene Theologie als streng offenba­ rungstheologisch gilt, bei jedem andern Spuren „natürlicher Theologie“ ent­ decken. Unglücklicherweise ist gerade diese Linie der Argumentation Ritschls theologiegeschichtlich noch wirksamer geworden als sein Verdikt über den Einfluß der Metaphysik auf die christliche Gotteslehre. Dabei konnte es nicht ausbleiben, daß eine mit allgemeinen Erwägungen über das Verhältnis von Moral und Religion so eng verbundene Theologie wie die Ritschls bald auch ihrerseits unter das auf „natürliche Theologie“ erkennen­ de Urteil fiel130. Ritschls Kampf gegen „natürliche Theologie“ ist im 20. Jahr­ hundert vor allem von Karl Barth wieder aufgenommen und fortgeführt worden, der als Schüler Wilhelm Herrmanns aus der Schule Ritschls hervor­ gegangen war. Man hat allerdings mit Recht darauf hingewiesen, daß Karl Barth sich erst verhältnismäßig spät, um 1930, gegen die „natürliche Theolo­ gie“ als Gegenbild der von ihm entwickelten Offenbarungstheologie gewen­ det hat131. Das heißt jedoch nicht, daß Barth der Sache nach nicht auch schon vorher das bekämpft hätte, was nun unter dem Namen „natürliche Theolo­ gie“ Gegenstand seiner Polemik wurde. In Barths gründlichster Auseinandersetzung mit dem Thema der „natürli­ chen Theologie“, in §26 der Kirchlichen Dogmatik, wird deren Begriff als „diejenige Theologie“ bestimmt, „von der der Mensch von Natur her­ kommt“ (KD II/l, 1940, 158). Als Ausdruck seiner „Selbstbewahrung und Selbstbehauptung“ (150) gegen Gott und seine Gnade ist sie „Selbstausle­ 130 Es ist das Verdienst des Anm. 122 genannten Aufsatzes von H.J. Birkner, auf den eigen­ tümlichen Vorgang einer stufenweise fortschreitenden Ausweitung des Begriffs der natürlichen Theologie auf dem Wege von Schleiermacher über Ritschl zu Barth bei gleichzeitiger Einbezie­ hung des jeweiligen Vorgängers unter das damit verbundene Verdikt hingewiesen zu haben. Eine eigentümliche Parallele zu diesem Vorgang bietet die neuere Geschichte des Begriffs Meta­ physik. Auch hier hat sich der Inhalt des Begriffs von Autor zu Autor geändert, gleich blieb nur – wie bei der „natürlichen Theologie“ – die Abgrenzungsfunktion: Beide Ausdrücke bezeich­ nen das, was – hier in der Theologie, dort in der Philosophie – nicht sein soll. Diese Entleerung und Funktionalisierung des Begriffs zum Instrument der Selbstabgrenzung ist allerdings beim Begriff der „natürlichen Theologie“ erst durch A. Ritschl eingetreten. Erst durch ihn ist das Wort zum, wie Birkner sagt, „Ketzername(n)“ geworden (a. a. O. 288), und zwar in Verbindung mit seiner Ablösung von jeder „konkreten historischen Erscheinung“ (289). 131 A. Szekeres: Karl Barth und die natürliche Theologie, in: Evangelische Theologie 24, 1964,229–242,230 f.

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gung und Selbstrechtfertigung“ des Menschen (151). Die Frontstellung die­ ser Aussagen kennzeichnete Barths Theologie seit der zweiten Ausgabe sei­ nes Römerbriefkommentars. Sie entspricht dem, was dort über die Religion als menschliche Möglichkeit im Gegensatz zu Gott gesagt wurde132. 1927 er­ scheint dieselbe Frontstellung als „Gegensatz“ des Wortes Gottes „zu Al­ lem, was sich der Mensch etwa selbst über Gott sagen kann“133. Im gleichen Jahr hat Barth diesen Gegensatz auf sein Verhältnis zur neueren Theologie­ geschichte seit „Schleiermachers Umkehrung der Theologie zur Anthropo­ logie“ bezogen134. Doch noch immer heißt der Gegner nicht „natürliche Theologie“. Die damals noch spürbare Unsicherheit Barths gegenüber den Begriffen einer „‚theologia‘ und ‚relevatio‘ und ‚religio naturalis‘“135 läßt er­ kennen, daß die definitive Entscheidung über ihr Verhältnis zu jenem funda­ mentalen Gegensatz seiner Theologie noch nicht gefallen war. Im Frühjahr 1929 war sie gefallen. Gegen die „synergistische Vorstellung einer harmo­ nisch sich ergänzenden „natürlichen“ und offenbarten Gotteserkenntnis“ richtete sich nun der Verdacht, den Gegensatz der Theologie des Wortes Gottes zu einer auf Anthropologie begründeten Gotteserkenntnis einebnen zu wollen; „natürliche Theologie“ galt nun als Ausdruck der Selbstrechtfer­ tigung des Menschen136. Damit war die Basis für die kompromißlose Absage an alle „natürliche Theologie“ gegeben, die fortan Barths Theologie kenn­ zeichnete und wenige Jahre später auch die Auseinandersetzung mit Fried­ rich Gogarten137 und mit Emil Brunner138 prägte. Sie ist von Barth der Sache nach niemals revidiert worden, wenngleich der Ton schroffer Entgegenset­ zung sich in der Schöpfungs- und Versöhnungslehre Barths wandelte zu ei­ ner Inanspruchnahme auch der „Lichter“ der Schöpfung für einen christolo­ gisch begründeten Universalismus139. 132

K. Barth: Der Römerbrief, 2. Ausg. 1922, 213–255. K. Barth: Das Wort in der Theologie von Schleiermacher bis Ritschl, in: Die Theologie und die Kirche, Ges. Vorträge 2,1928,190. 134 K. Barth: Die christliche Dogmatik im Entwurf, 1927, 86, vgl. 82–87. 135 Ebd. 135 f. Zwar sind diese Begriffe Barth schon „verdächtig“. Aber er hält es doch noch für möglich, daß es sich auch bei ihnen „um das Eine, Ganze der Wahrheit“ der Offenbarung handeln könnte (136). Die Einheit der Offenbarung steht schon hier im Brennpunkt von Barths Interesse. Darum erscheint es ihm als eine Voraussetzung für eine positive Beurteilung der alten Begriffe einer natürlichen Theologie, Offenbarung und Religion, daß auch hier „keine besonde­ re ‚natürliche‘ Offenbarung, sondern die eine und identische Offenbarung selbst“ vorliege (148). In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß noch 1940 Barths Hauptvorwurf ge­ gen die theologische Erkenntnislehre des ersten Vatikanischen Konzils darin besteht, daß sie eine „Aufspaltung des Gottesgedankens“, eine „Abstraktion von dem wirklichen Werk und Handeln Gottes zugunsten eines Seins Gottes im Allgemeinen“ betreibe (KD II/l, 91 f.). 136 Schicksal und Idee in der Theologie, in: Theologische Fragen und Antworten, Ges. Vor­ träge 3,1957, 54–92, bes. 85 ff., Zitate 86 und 87. 137 KD 1/1,1932,128–136, bes. 134. 138 K. Barth: Nein! Antwort an Emil Brunner, 1934,1 ff. 139 H. Küng (Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit, 1978, 578 ff.) erblick­ 133

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Wie steht es nun mit dem sachlichen Recht des Gebrauchs der Bezeich­ nung „natürliche Theologie“ für die Selbstbehauptung des Menschen gegen Gott und seine Offenbarung? Zunächst ist deutlich, daß Barths Beschrei­ bung mit der „natürlichen Theologie“ der Antike und ihrer Frage nach dem wahrhaft Göttlichen nichts zu tun hat. Die Eigenart dieses Phänomens ist Barth wohl nie in den Blick gekommen. Dagegen besteht zweifellos eine Be­ ziehung zu der der Vernunftnatur des Menschen gemäßen Gotteserkenntnis, die in der altprotestantischen Dogmatik und in der Aufklärungstheologie als „natürliche Theologie“ bezeichnet wurde. Doch auch hier ging es nicht um einen Gegensatz zum Gott der Offenbarung. Auch die Hochschätzung der Vernunftreligion im Deismus gründete noch in der Voraussetzung, daß die Gotteserkenntnis, die der von Gott geschaffenen Vernunft entspricht, auch dem Schöpfer dieser Vernunft gemäß sein wird, eher jedenfalls als die dem Risiko der Verfälschung durch tendenziöse Entstellung ausgesetzte religiöse Überlieferung. Die Herausstellung der Übereinstimmung des Christentums mit der natürlichen Religion sollte darum gerade auch die Autorität der christlichen Offenbarung stärken. Gegenstand der deistischen Polemik war nur die menschliche religiöse Überlieferung gewesen, die sich selber göttli­ che Autorität anmaßte, um damit ihre sehr menschlichen Verfälschungen der Wahrheit zu verdecken. Den Aufstand des Menschen gegen Gott erblik­ kten die aufgeklärten Vorkämpfer der natürlichen Religion also gerade bei den Trägern der einander mit Intoleranz bekämpfenden religiösen Überlie­ ferungen. Solche Auffassungen mögen den Verfechtern der dogmatischen Orthodoxie schon damals als Verleugnung der Wahrheit der überna­ türlichen Offenbarung Gottes erschienen sein, aber die Wahrheit dieser Of­ fenbarung konnte jedenfalls nur so bezeugt werden, daß die Einheit des Gottes der Offenbarung mit dem Gott der Schöpfung festgehalten wurde. Darum ist der Deismus nicht überwunden worden durch eine Versteifung auf die göttliche Autorität der Tradition, sondern durch eine veränderte Auffassung von der Wirklichkeit der Religion und von ihrem Verhältnis zur Vernunft. Eine gegenüber Schleiermacher und Hegel nochmals veränderte Auffas­ sung der Religion setzte Karl Barth voraus, wenn er zunächst die Religion te darin eine „heimliche Korrektur“ der früheren Ablehnung aller natürlichen Theologie (bes. zu KD IV/3, 1. H. 1959,107,122 und 157 f.). Doch A. Szekeres hat wohl mit Recht geurteilt, es könne bei Barth „keine Rede von einem Wechsel seiner ursprünglichen theologischen Intentio­ nen“ sein (a. a. O. 240). Barth habe nämlich „eigentlich niemals in Abrede gestellt, daß Gott sich auch in der Natur geoffenbart habe, er hat allerdings stets geleugnet, daß diese Offenbarung eine ‚natürliche‘, d. h. der Natur selbst als Qualität inhärierende… sei“ (237 mit H.U. v.Balthasar: Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie, Köln 1951, 155). In der Tat: Wie es in KD II/l, 133 von der Offenbarung Gottes von der Weltschöpfung her hieß, sie werde dem Men­ schen aufgrund der Christusoffenbarung „zugeschrieben, zugerechnet, imputiert“, so werden nun auch jene „Lichter“ der Schöpfung äußerlich als solche gekennzeichnet, von der Christu­ soffenbarung her.

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überhaupt und dann auch die natürliche Religion und Theologie als Produkt des Menschen ohne Gott und gegen Gott deutete: Das war die psycholo­ gische Religionstheorie Ludwig Feuerbachs140. Man hat gesagt, daß der Reli­ gionskritik Feuerbachs bei Barth die früher von der natürlichen Theologie erfüllte Funktion als „Grundlage und Voraussetzung“ der Offenbarungs­ theologie zugefallen sei141. Allerdings hat Barth Feuerbachs Religionskritik nicht unbesehen übernommen. Er hat gegen ihre anthropologische Grundla­ ge mit Hans Ehrenberg eingewendet, daß Feuerbach ein „Nichtkenner des Todes“ und ein „Verkenner des Bösen“ gewesen sei142. Gewichtiger ist der dritte Einwand, daß der wirkliche Mensch nicht das Feuerbachsche „Gat­ tungswesen“ mit seiner fiktiven Unendlichkeit sei, sondern der einzelne und als solcher sowohl böse als auch sterbliche Mensch143. Bedurfte Feuerbach doch des Gedankens der Unendlichkeit der menschlichen Gattung, um die Bildung der Vorstellung von einem unendlichen Gott als Vorgang einer Pro­ jektion hinzustellen, die eine zur menschlichen Natur gehörende Eigen­ tümlichkeit als ein vom Menschen verschiedenes Wesen erscheinen läßt und damit Ausdruck einer Selbstentfremdung des Menschen ist, nämlich der Vorstellung des eigenen Gattungswesens als eines andern, übermenschlichen Wesens. Auf diese Herleitung des Gottesgedankens aus einem Selbstmißver­ ständnis des Menschen ist Barths Kritik nicht eingegangen, und seine Vor­ aussetzung, Feuerbach würde „die Identifizierung Gottes mit dem Men­ schen… vielleicht unterlassen haben“, wenn ihm „der fiktive Charakter je­ nes Menschen im allgemeinen… aufgegangen“ wäre144, wird der Heraus­ forderung der Wahrheitsansprüche des christlichen Redens von Gott durch die von Feuerbach ausgegangene Religionskritik wohl kaum gerecht. Feuer­ bachs Auffassung vom Menschen als Gattungswesen konnte bei Marx durch die angeblich in der religiösen Entfremdung widergespiegelte soziale Ent­ 140 Schon in der zweiten Ausgabe seines „Römerbrief“ berief sich Barth für seine Deutung der Religion auf Feuerbach: „Feuerbach bekommt in verschärftem Sinn Recht“ (220) – in ver­ schärftem Sinne, weil es der Sünder ist, der nach Barth in der Religion sein eigenes Unend­ lichkeitsstreben objektiviert. 141 So H.J. Birkner a. a. O. 294. Dieses Urteil ist u. a. von W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982,104 übernommen worden. 142 So die Vorlesung über „Ludwig Feuerbach“ von 1926 (Die Theologie und die Kirche, Ges. Vorträge 2,1928,212–239, Zitat 237). Der erste dieser Einwände ist gegenüber dem Autor der „Todesgedanken“ und Kritiker der Unsterblichkeitsvorstellung so wohl kaum aufrechtzu­ erhalten (vgl. dazu P. Cornehl: Feuerbach und die Naturphilosophie, in: NZsystTh 11, 1969, 37–93, bes. 50 ff., aber auch 67). Auch der zweite Einwand kann nicht wirklich überzeugen: In­ dem Feuerbach, Hegels Lehre vom Bösen verschärfend, den Egoismus des Individuums als Wurzel alles Bösen ansah, steht er durchaus in der Tradition der augustinischen Sündenlehre. Allerdings haben weder Augustin, noch Hegel die Individualität als solche als böse beurteilt. 143 Barth a. a. O. 237 f. In der Kurzfassung der Feuerbachdarstellung in Barths Theologiege­ schichte (Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Ge­ schichte, 2. Aufl. 1952, 484–489) rückte dieser Einwand mit Recht in den Mittelpunkt (489). 144 Die protestantische Theologie etc. 489.

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fremdung des Menschen und bei Nietzsche und Freud durch die These eines neurotischen Ursprungs der Gottesvorstellung im Schuldbewußtsein ersetzt werden. Der damit verbundenen Herausforderung jedes, auch des christli­ chen Redens von Gott muß auf dem Felde der Anthropologie begegnet wer­ den, wie Barths eigene Argumentation zeigt. Dabei darf aber die anthro­ pologisch-psychologische Herleitung der Gottesvorstellungen und der Reli­ gion nicht ausgespart werden, sondern man muß sich der Frage stellen, ob der Gottesgedanke – jeder Gottesgedanke – sich als Produkt eines Selbstmißverständnisses des Menschen erweisen läßt. Barths Verfahren, Feuerbachs Ableitung der Religion für die übrigen Religionen der Mensch­ heit als gültig anzuerkennen, das Reden der christlichen Verkündigung und Theologie aber davon auszunehmen, kann nur als leichtfertig bezeichnet werden. Die genetischen Zusammenhänge und strukturellen Analogien zwi­ schen der biblischen Religionsgeschichte und ihrer Fortsetzung im Chri­ stentum mit Einschluß der gegenwärtigen christlichen Verkündigung und Theologie einerseits und nichtchristlichen Religionen andererseits sind viel zu eng als daß eine solche Strategie auf die Dauer überzeugend sein könnte. Womöglich noch schlimmer war Barths Unterstellung, daß die ganze Ent­ wicklung der neueren evangelischen Theologie mit ihrer Konzentration auf den Menschen und sein Gottesbewußtsein auf die Position Feuerbachs hin­ auslaufe, die die religiösen Vorstellungen in ihre anthropologische Grundla­ ge auflöse145. Allerdings versicherte Barth, man täte den neuprotestantischen Theologen, „man täte auch Schleiermacher Unrecht, wenn man ihnen unter­ schieben wollte, daß sie statt Theologen Anthropologen im Sinne Feuer­ bachs sein wollten“146. Doch das machte die Sache nicht viel besser; denn da­ mit war doch gesagt, daß das sachliche Gefälle ihres Denkens allerdings zu Feuerbachs Deutung der Religion als Produkt des Menschen tendierte147. Barth mußte wissen, daß zwischen Schleiermacher und Feuerbach wie eine Wasserscheide die Frage stand, ob der Mensch wesentlich religiös ist und al­ so – ob er will oder nicht – „schlechthin abhängig“ von einem andern, jenem anderen, auf das sich das religiöse Bewußtsein bezieht, oder ob das Gottesbewußtsein der Religion ein auflösbares Selbstmißverständnis des Menschen ist. Es geht an dieser Stelle nicht um gute oder weniger gute Ab­ sichten, sondern um die Frage, was die Wahrheit über den Menschen ist. 145 So in der Feuerbachvorlesung von 1926: „Aber kann man leugnen, daß das Feuerbach­ ’sche Fazit der Schnittpunkt ist, in dem alle jene Linien unaufhaltsam und aufs Genaueste zu­ sammenzutreffen scheinen?“ (Die Theologie und die Kirche, Ges. Vorträge 2,1928,228). 146 Die christliche Dogmatik im Entwurf, 1927, 92, vgl. 108 sowie KD 1/1,220. Unhaltbar ist auch die an der zuletzt genannten Stelle begegnende Bezeichnung von Auffassungen, die „das menschliche Subjekt zum Schöpfer seiner Bestimmtheit durch Gott machen wollen“, als „direkter Cartesianismus“. Auch Barth hätte wissen können, daß Descartes in der dritten Medi­ tation das genaue Gegenteil gelehrt hat. 147 Vgl. die Erklärung Barths: „eine Widerlegung Feuerbachs von Schleiermacher aus ist eine contradictio in adjecto“ (Die christliche Dogmatik im Entwurf 303).

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Wenn man mit Barth Feuerbachs Theorie der Religion gelten läßt, dann sind natürlich erst recht die „natürliche Religion“ und die „natürliche Got­ teserkenntnis“ bloße Schöpfungen menschlicher Einbildung. Aber sie lassen sich dann nicht mehr als Dokument eines Aufstands menschlicher Selbstbe­ hauptung gegen Gott auffassen, wie Barth wollte. Denn dem Wahrheitsan­ spruch jedes Redens von Gott wäre dann der Boden entzogen, auch dem der christlichen Verkündigung148. Der natürlichen Theologie des Barockzeital­ ters und der Aufklärung dagegen muß man bei aller Kritik die Ehre lassen, daß ihre Argumentation gerade umgekehrt darauf zielte, daß das Dasein des Menschen (und seiner Welt) nicht möglich wäre ohne die Voraussetzung des Daseins Gottes. Das war die These gerade auch des von Barth zu Unrecht ge­ schmähten Descartes in seiner dritten Meditation (III,26 ff.). Jene natürliche Theologie hat zu ihrer Zeit immerhin dem christlichen Reden von Gott den Anspruch auf Allgemeingültigkeit gesichert149. Barth hingegen hatte an die­ ser Stelle kaum mehr als Rhetorik zu bieten. Die Überzeugungskraft der ra­ tionalen Theologie der Aufklärung war allerdings schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts dahin, jedenfalls was den Anspruch angeht, das Dasein Got­ tes streng rational beweisen zu können. Die seit Kant und Hegel anthro­ pologisch interpretierten Gottesbeweise sagen nur noch etwas aus über die für den Menschen bzw. für seine Vernunft bestehende Nötigung, sich über die Endlichkeit des eignen Daseins und der Weltdinge zum Gedanken des Unendlichen und Absoluten zu erheben. Sie vermögen daher nicht mehr eine selbständige Gotteserkenntnis, unabhängig von den positiven Religionen, zu begründen150. Erst in den positiven Religionen hat der Gedanke Gottes Realität. Dennoch behält die Möglichkeit des Aufweises der anthropologi­ schen Notwendigkeit einer Erhebung über das Endliche zum Gedanken des 148 Wenn Barth 1927 meinte, das „Wagnis der Predigt“ beruhe auf einem „Auftrag“, und deshalb könne von einer „Anthropologisierung“ im Sinne Feuerbachs hier nicht die Rede sein (Die christliche Dogmatik im Entwurf 61 f.), so ist das wenig überzeugend, weil jener Auftrag unter Voraussetzung der Religionstheorie Feuerbachs gar nicht mehr als ein Auftrag Gottes gel­ tend gemacht werden kann. 149 Darin erblickt auch E. Jüngel die Wahrheit – zwar nicht der natürlichen Theologie selbst, aber-ihres Problems (Entsprechungen, 1980,175 ff.). 150 Dabei hat auch die natürliche Theologie des Barockzeitalters und der Aufklärung im all­ gemeinen nicht den Anspruch erhoben, „daß sie methodisch vorab, im Vorgang zur doch im­ merhin geschehenen Offenbarung Gottes deren Vernünftigkeit erweisen“ könne (darin erblickt E.Jüngel a. a. O. 176 „die theologische Täuschung der theologia naturalis“): Ein solcher An­ spruch wurde allenfalls von den Deisten erhoben, insofern sie den wahren Inhalt der geschicht­ lichen Offenbarung Gottes auf den Inhalt der natürlichen Religion reduzierten. In der Regel wurde die Offenbarungswahrheit als etwas Zusätzliches zur natürlichen Gotteserkenntnis auf gefaßt, ein Zusatz, dessen „Vernünftigkeit“ durchaus eines eigenen Nachweises bedurfte, aller­ dings jene natürliche Kenntnis voraussetzte. Auch diese Funktion der natürlichen Gotteser­ kenntnis als praeambula ad articulos fidei ist heute insofern zu „bestreiten“ (Jüngel 177) als da­ für der Status einer selbständigen Erkenntnis des Daseins Gottes in Anspruch genommen wur­ de. Siehe aber das oben im Fortgang des Textes Gesagte.

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Unendlichen und Absoluten Bedeutung für den Wahrheitsanspruch jedes religiösen Redens von Gott, auch für die christliche Verkündigung von Got­ tes Offenbarungshandeln in Jesus Christus: Jedes Reden von Gott nämlich muß sich daran bewähren, daß es die Welt der Erfahrung als Erweis seiner Macht in Anspruch nehmen kann, so daß sie „an unseren alltäglichen Erfah­ rungen sich als das ausweisen muß, was sie ist“151. Das gilt auch für die Er­ weiterung der Reichweite der Alltagserfahrungen durch die Wissenschaften und für ihre Reflexion in der Philosophie, und darum muß jede religiöse Bot­ schaft ihre Wahrheitsansprüche auch an der philosophischen Reflexion auf das Verhältnis von Menschsein und Religion ausweisen. Obwohl die philo­ sophische Reflexion auf die anthropologische Notwendigkeit einer Erhe­ bung zum Gedanken des Unendlichen und Absoluten für sich allein nicht mehr zu einem theoretischen Beweis des Daseins Gottes ausreicht, behält sie doch die kritische Funktion der antiken natürlichen Theologie gegenüber al­ len Formen religiöser Überlieferung, Minimalbedingungen für ein Reden von Gott, das als solches ernst genommen sein will, geltend zu machen. In diesem Sinne bleibt auch durchaus ein philosophischer „Rahmenbegriff für das, was ‚Gott‘ genannt zu werden verdient“, möglich152. Ohne die Aner­ kennung dieser Möglichkeit ist auch kein begründeter Anspruch christlichen Redens von Gott auf Allgemeingültigkeit möglich. Die christliche Theologie muß daher wünschen, daß die Aufgabe der Formulierung kritischer Prinzi­ pien für das Reden von Gott auf seiten der Philosophie nicht auf die Dauer vernachlässigt wird. Eine selbständige Erkenntnis des Daseins und Wesens Gottes (unabhän­ gig von der religionsphilosophischen Reflexion auf die Wahrheitsansprüche der positiven Religionen) ist von der philosophischen Theologie heute nicht mehr zu erwarten. Daher sollte sie auch nicht mehr als „natürliche Theolo­ gie“ bezeichnet werden: Dadurch würden nur signifikante Differenzierun­ gen verwischt werden. Mit der Unmöglichkeit einer rein rational begründe­ ten Theologie aber ist die Frage nach Möglichkeit und Tatsächlichkeit einer natürlichen Gotteserkenntnis im Sinne einer dem Menschen als solchen im­ mer schon eigenen, faktischen Kenntnis von dem Gott, den die christliche Botschaft verkündet, noch nicht beantwortet. Es ist das – in der Terminolo­ 151 So E. Jüngel a. a. O. 176. Vgl. meine Ausführungen in: Wissenschaftstheorie und Theolo­ gie, 1973, 335 ff., sowie D.Tracy: Blessed Rage for Order. The New Pluralism in Theology, New York Seabury 1975,43–63. 152 E. Jüngel a. a. O. 177 lehnt das ab, unterscheidet aber nicht zwischen der Formulierbar­ keit eines solchen Rahmenbegriffs und dem Anspruch, das Dasein Gottes im Sinne der alten praeambula ad articulos fidei beweisen zu können, bevor von seiner Offenbarung die Rede ist. Dabei lehnt Jüngel mit Recht die Auffassung ab, daß „die aufgrund von Offenbarung zur Spra­ che kommenden Gottesbestimmungen“ zu einem solchen Rahmenbegriff „nicht in Wider­ spruch treten dürfen“. Das dürfen sie, wie schon in der christlichen Patristik vielfach geschehen, durchaus, nur muß das Recht solchen Widerspruchs dann auf dem Boden der Diskussion um die Fassung jenes Rahmenbegriffs erwiesen werden.

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gie der altprotestantischen Dogmatik – die Behauptung einer cognitio Dei naturalis insita im Unterschied zur cognitio Dei naturalis acquisita, zu der sowohl die antike natürliche Theologie als auch die Vernunfttheologie und Vernunftreligion der Aufklärung gehören.

5. Die „natürliche“ Kenntnis des Menschen von Gott Von Natur aus, nämlich von der Schöpfung her, ist Gott, und zwar der Gott des apostolischen Evangeliums (Röm 1,19 f.) allen Menschen bekannt: Das ist nicht eine Aussage „natürlicher Theologie“, sondern eine im Lichte der Offenbarung Gottes in Jesus Christus aufgestellte Behauptung über den Menschen. Es ist auch nicht eine Behauptung, deren Inhalt der Mensch so ohne weiteres bei sich selber und in seiner Welterfahrung bestätigt finden kann, obwohl bei Paulus Röm 1,18 ff. und 2,15 Beziehungen zur stoischen Kosmotheologie und Naturrechtslehre anklingen. Es ist eine Behauptung über den Menschen, die auch und gerade da Geltung beansprucht, wo Men­ schen von sich aus gar nichts von Gott wissen wollen, jedenfalls nicht von dem einen, wahren Gott, den die christliche Botschaft verkündet. Insofern meinte Karl Barth nicht ohne Grund, diese Erkenntnis werde dem Men­ schen – kontrafaktisch – durch das Evangelium „imputiert“ (KD II/l, 133). Aber sie wird ihm nun doch nicht so äußerlich „zugerechnet“, daß die christliche Botschaft sich dabei nicht auf den Menschen selber, der sich von dem wahren Gott abgewendet hat, berufen könnte. Sie vermag durchaus ihn selber als Zeugen gegen sich aufzurufen. Mit welchem Recht das geschieht, das ist die Frage, auf die die Lehre von der dem Menschen eingeborenen Kenntnis von Gott (cognitio innata) antwortet. Der Gedanke einer der Seele des Menschen angeborenen Kenntnis von Gott ist der Theologie des christlichen Westens seit Tertullian153 geläufig und in der augustinischen Tradition der mittelalterlichen Theologie niemals ver­ schwunden, obwohl er durch den aristotelischen Sensualismus in den Hin­ tergrund gedrängt wurde. Sogar Thomas von Aquin hat trotz seiner Beto­ nung der Vermittlung der Gotteserkenntnis durch die sinnlich wahrgenom­ menen Dinge der Welt zugestanden, eine gewisse Form der Gotteserkennt­ nis, obwohl verworren (sub quadam confusione), sei uns von Natur eingepflanzt (est nobis naturaliter insertum)154. Andere maßen dieser von Na­ tur aus eingepflanzten Kenntnis von Gott eine weiterreichende Bedeutung bei und lokalisierten sie in der Synderesis, die nach den späteren Schriften 153 Tertullian: De testimonio animae, MPLl, 607–618. Weitere Belege, besonders aus den Schriften Augustins, hat W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, 1982, 136 f. zusammengestellt als Nachweise für das „anthropologische Argument“ für das Dasein Gottes. 154 Summa theol. I, 2 a 1 ad 1.

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Thomas von Aquins nur die der menschlichen Natur eingepflanzten prakti­ schen Vernunftprinzipien enthält, nach andern aber mit dem Naturrecht auch die Grundlagen der Religion und also auch die Kenntnis von Gott155. Letzteres legte sich nahe, weil die nach Röm 2,15 dem Menschen eingebore­ ne Kenntnis des göttlichen Gesetzes, die man seit Abaelard dem Gewissen zuschrieb156, auch die Gebote der ersten Tafel des Dekaloges, insbesondere das der Gottesverehrung, und damit auch ein Wissen vom Dasein Gottes umfassen mußte. Der letzteren Auffassung folgend verband auch Luther in seiner Vorle­ sung über den Römerbrief 1515/16 die Aussage des Apostels über die allge­ meine Kenntnis Gottes von der Schöpfung her Röm 1,19 f. mit der Aussage Röm 2,15 über die dem Menschen „ins Herz geschriebene“ Kenntnis des göttlichen Gesetzes157. Dieser Auffassung folgte auch Melanchthon in seinen Loci communes 1521. Die „natürliche“ Kenntnis Gottes wird dort im Locus über das Gesetz behandelt, das Gott dem menschlichen Geist „eingemei­ ßelt“ hat, wie auch Cicero bezeuge158. Dazu aber gehöre an erster Stelle das Gebot der Gottesverehrung, und Melanchthon erklärt ausdrücklich, daß die damit verbundene, angeborene Kenntnis von Gott den Aussagen des Apo­ stels im ersten Kapitel des Römerbriefs zugrunde liege159. Die Betonung der angeborenen im Unterschied zur erworbenen Kenntnis von Gott war bei Luther und in Melanchthons Frühzeit eng verbunden mit dem Mißtrauen gegen die Vernunft, die nach dem Sündenfall „gefangen und verblendet“ (capta occaecataque) ist (CR 21,116). Die Hinwendung zum Götzendienst geschieht nach Luther mit den falschen Schlüssen, die die Ver­ nunft aus der dem Menschen ins Herz gegebenen Kenntnis Gottes, die un­ auslöschlich (inobscurabilis) ist, zieht: Sie verbindet den Gottesgedanken fälschlich mit irgendetwas anderem, von dem sie meint, daß es Gott gleich sei160. Die ratio ist also unzuverlässig in Sachen der Gotteserkenntnis. Mit 155 So hat Albertus Magnus unter Berufung auf Basilius und Paulus (Röm 2,15) eine angebo­ rene Kenntnis des Naturrechts gelehrt (Summa de bono, Opera omnia 28, Münster 1951, 504, p. 263, 19 ff.), die er in der Synderesis lokalisierte und zu dessen Inhalt er auch die Pflicht der Gottesverehrung rechnete (vgl. Nr. 525 p. 274, 59 ff.). 156 MPL 178, 814 ff. 157 WA 56, 176, 26–177. Zur Verwendung des Begriffs Synderesis bzw. Syntheresis beim jun­ gen Luther vgl. E. Hirsch: Lutherstudien I, Gütersloh 1954, 109–128. Hirsch zeigt, daß dieser Begriff bei Luther die Differenz von Vernunft und Willen übergreift (110 f.). Zur Beibehaltung des Gedankens bei anderer Terminologie in späteren Schriften Luthers vgl. 122 ff. 158 CR 21, 116 f. (lex naturae… quam deus insculpsit cuiusque animo). Unmittelbar an­ schließend beruft sich Melanchthon auf die stoische Lehre von den κοιναὶ ἐννοίαι und auf Ci­ cero leg. I, 5,15 ff. Vgl. dazu und zum flgd. J. Platt a. a. O. 10–33. 159 Ebd. 117 f. 160 WA 56, 177, 14 ff. Vgl. auch die Darstellung des fehlerhaften Schlusses, der zur Idolatrie führt, in WA 56, 177. Die Form des Fehlschlusses aus den Prinzipien der Synderesis findet sich schon in der Lehre Alberts des Großen vom irrenden Gewissen (E.Hirsch a. a. O. 28 ff.). Vgl. auch Thomas von Aquin De ver. 17, a 1 ad 1.

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dieser Auffassung stieß Melanchthon jedoch auf die Schwierigkeit, daß in Röm 1,19 f. Kenntnis von Gott doch offenbar mit der Welterfahrung ver­ bunden wird. In seinem Kommentar zum Römerbrief von 1532 räumte er ein, daß es sich hier um eine diskursive, durch Schlußfolgerung zu gewinnende Erkenntnis handle. Diese wäre jedoch nicht möglich, wenn ihr nicht die angeborene Kenntnis als Prinzip zugrunde läge, die dann aus Anlaß der Welterfahrung zur Erkenntnis Gottes als ihres Schöpfers führt161. Fortan wird die cognitio acquisita bei der Deutung der ursprünglichen Kenntnis des Menschen von Gott nicht mehr ausgeschlossen. In den späten Ausgaben der Loci finden die Gottesbeweise daher Aufnahme162. Aber die Grundlage da­ für bleibt die notitia innata. Die Kombination der beiden paulinischen Aussagen Röm 1,19 f. und Röm 2,15 bei Luther und Melanchthon geht zweifellos über das exegetisch Erheb­ bare hinaus. So berechtigt die Frage ist, wie diese beiden Aussagen sich im Denken des Apostels zueinander verhalten haben, so berechtigt auch die An­ nahme, daß ein beide umgreifender Grundgedanke zu vermuten ist, so wenig läßt sich rein exegetisch Genaueres darüber erheben. Der Gedanke der cogni­ tio innata, der auf die gleichen Wurzeln stoischen Denkens zurückgeht, de­ nen die beiden Paulusworte verpflichtet sind, hat jedoch den doppelten Vor­ zug, einerseits einen möglichen Zusammenhang zwischen ihnen herzustellen und andererseits die auf eine faktische, nicht nur mögliche Kenntnis Gottes zielende Spitze der Aussagen von Röm 1,19 f. zu wahren. Von daher ist die reformatorische Präferenz für die cognitio innata verständlich und sachlich gerechtfertigt, so wenig der Paulustext eine Entgegensetzung zur cognitio acquisita durch vernünftige Reflexion erlaubt. Die altprotestantische, speziell die altlutherische Dogmatik hat sich bemüht, an dieser Verbindung beider Aspekte festzuhalten. Für die grundlegende Bedeutung der notitia in­ nata berief man sich neben Röm 2,15 auch auf Cicero163. Wegen der Ver­ knüpfung mit der cognitio acquisita setzte sich jedoch seit Johann Mu­ säus164 die Auffassung durch, bei der notitia insita handle es sich nur um eine 161 Melanchthons Werke ed. R. Stupperich V, 71, 29–72,4: „Quamquam enim, utpostea dicit (sc. Paulus), mens ratiocinatur aliquid de Deo ex consideratione mirabilium eins operum in uni­ versa natura rerum, tarnen hunc syllogismum ratio non haberet, nisi etiam Deus quandam noti­ tiam καὶ πρόληψιν indidisset mentibus nostris. Ex illa mirabilia spectacula rerum in natura sunt signa, quae commonefaciunt mentes, ut de Deo cogitent ac illam πρόληψιν excitent. “ Zu dieser Stelle bemerkt J. Platt a. a. O. 17 mit Recht, daß Melanchthon hier eine in sich einheitliche, beide Erkenntnisarten verbindende Konzeption gelungen sei. 162 Das geschah ab 1535 nicht mehr im Zusammenhang mit dem Gesetz, sondern im Locus über die Schöpfung (CR 21,641 ff.). 163 Cicero De natura Deorum II, 12 (omnibus enim innatum est et in animo quasi insculptum esse deos), Tusc. I,13, 30. Beide Stellen werden bei D. Hollaz (Examen theologicum acroamati­ cum, Stargard 1707, 293) zitiert. Bei Cicero findet sich auch bereits eine Verbindung der beiden Erkenntnisarten: ut deos esse natura opinamur, qualesque sint ratione cognoscimus (Tusc. I,36). 164 Statt des Begriffs notitia insita zog J. Musäus (Introductio in theologiam, Jena 1679) den Begriff eines lumen naturae (ebd. 41) vor, das durch die sinnlich wahrgenommenen Dinge der

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Disposition zur Gotteserkenntnis, eine Art Habitus oder instinctus natura­ lisa jedenfalls nicht um eine tatsächliche Erkenntnis (cognitio actualis): Eine solche werde erst im Zusammenhang der Welterfahrung erworben, indem dabei die Unterscheidung zwischen den endlichen Dingen und Gott als pri­ mum ens vollzogen wird165. Damit verlagert sich aber das Gewicht der Lehre von der allgemeinen Kenntnis des Menschen von Gott nun doch von der no­ titia insita auf die notita acquisita, und die Einsicht, die Luther und der frühe Melanchthon aus dem paulinischen Argumentationsgang in Röm 1,18 ff. ge­ wonnen hatten, daß nämlich die faktische Kenntnis von Gott sogleich zum Götzendienst verkehrt wird, rückte in den Hintergrund166. Die Erörterung des Sachproblems, das für die reformatorische Theologie von der Paulusexegese her im Hinblick auf das Verhältnis von Röm 1,19 f. und Röm 2,15 gestellt war, läßt sich auch heute nicht sachgemäß führen, ohne auf das Phänomen des Gewissens einzugehen. Erlauben es die heute er­ reichbaren Erkenntnisse über dieses Phänomen, das Verhältnis von Gewis­ sen und Kenntnis von Gott neu zu formulieren? Gerhard Ebeling hat in ei­ nem wichtigen Aufsatz über den Begriff des Gewissens die Zusammenge­ hörigkeit von Gott, Welt und Mensch in der Gewissenserfahrung hervorge­ hoben167. Das legt ein Verständnis von Gewissen nahe, das nicht auf das Welt zur Theologia Naturalis führe (41 f., vgl. 34 f.). Da er das lumen naturae durch die aristote­ lische Lehre vom aktiven Intellekt erläuterte, ist deutlich, daß Musäus gar keine selbständige no­ titia insita, sondern im Grunde nur die cognitio acquisita der theologia rationalis gelten ließ. 165 D. Hollaz a. a. O. 294. Ähnlich hat sich auch bereits A. Calov geäußert (Systema locorum theologicorum 12, Wittenberg 1655, 80 f.). Vgl. die interessante Übersicht zu den Aussagen der altlutherischen Dogmatiker über das Verhältnis von angeborener und erworbener Gotteser­ kenntnis bei K. Girgensohn: Die Religion, ihre psychischen Formen und ihre Zentralidee, Leip­ zig 1903, 17–32 sowie zu neueren Vertretern ähnlicher Gedanken 33 ff. Girgensohn lehnt alle diese Auffassungen ab, weil er sie als Behauptung einer „angeborenen Naturreligion“ mißver­ steht (42 ff.). 166 Statt dessen wird nun erklärt, das natürliche Licht lasse zwar erkennen, daß ein Gott sei (aliquod Numen), dem höchste Verehrung gebühre, aber über die Form der gebotenen Gottes­ verehrung sei daraus nichts zu entnehmen (Hollaz 307). Damit hat sich die lutherische Dogma­ tik weit entfernt von Luthers Auffassung, daß die Menschen die von ihnen erkannte ewige Macht und Gottheit in ihrer Nacktheit (nudam) hätten respektieren und verehren sollen, statt sie je nach Wunsch mit Gegenständen ihrer Begierden zu identifizieren (WA 56,177, 8 ff.). Aber auch Paulus hätte nicht den Vorwurf erheben können, daß die Menschen Gott nicht gedankt und verherrlicht haben (Röm 1,21), wenn sie in Unkenntnis über den Modus der geforderten Gottesverehrung gelassen worden wären. 167 G. Ebeling: Theologische Erwägungen über das Gewissen, in: Wort und Glaube 1,1960, 434: „… im Gewissen geht es um das Ganze, weil um die Frage nach dem Letztgültigen. Darum ist die Frage nach der Welt als dem Wirklichkeitsganzen eine das Gewissen angehende Frage, wie auch die Frage nach dem Menschen selbst eine das Gewissen treffende Frage ist. Dieses bei­ des ist aber wiederum nicht trennbar davon, daß Gott als die Frage im radikalen Sinn, die Frage nach dem Ganzen, dem Ersten und Letzten erscheint. Nur wo Gott als Gewissensfrage begeg­ net, wird der Mensch und die Welt als Gewissensfrage vernommen.“ Vgl. auch G. Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens 1,1979,107.

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sittliche Normbewußtsein beschränkt ist, sondern ähnlich wie die Synderesis beim frühen Luther Intellekt und Willen in der Wurzel verbindet. Aber wie läßt sich eine solche Auffassung vom Gewissen rechtfertigen gegenüber der verbreiteten Vorstellung, die das Gewissen als ein Gefühl für das sittlich Gute oder Schlechte nimmt oder gar nur als Verinnerlichung des jeweiligen gesellschaftlichen Normbewußtsein? Die Begriffsgeschichte des Wortes „Gewissen“ führt darauf, daß die An­ fänge dieses Ausdrucks, die sich bis ins griechische 6. Jahrhundert verfolgen lassen, mit den Ursprüngen begrifflicher Erfassung eines Selbstbewußtseins überhaupt zusammenfallen. Selbstbewußtsein wurde zuerst faßbar in der Erfahrung, daß der Mensch in sich einen Mitwisser seiner Taten hat168. Die allgemeinere, nicht nur moralische Bedeutung dieser Entdeckung kam noch in der stoischen Identifizierung der Syneidesis mit dem Hegemonikon der Seele, dem im Menschen gegenwärtigen Logos, zum Ausdruck. Die spätere Ablösung des Gewissens als des praktischen Selbstbewußtseins vom theore­ tischen Selbstbewußtsein bedeutete nicht nur eine Verengung des Begriffs, sondern ist auch dafür verantwortlich, daß die Entwicklung der neuzeitli­ chen Philosophie des Selbstbewußtseins für den Gewissensbegriff kaum fruchtbar geworden ist, obwohl es im Gewissen offenbar um die Identität des Ich geht, aber im weiteren Kontext der sozialen Welt und der Wirklich­ keit überhaupt. Das Selbstverhältnis des Gewissens steht der Gruppe der Selbstgefühle nahe, nimmt aber innerhalb dieser Gruppe durch seine Ausdrücklichkeit „eine Sonderstellung ein, weil in ihm nicht nur das Ganze des Lebens in po­ sitiver oder gedrückter Stimmung vage gegenwärtig ist, sondern das eigene Ich zugleich Gegenstand des Bewußtseins ist“, wenn auch vordringlich im Modus der Mißbilligung, der aber eine Beziehung auf die mögliche positive Identität des Ich impliziert. „Mit der Negativität seines Inhalts bildet das Gewissen daher den Übergang vom Selbstgefühl zum Selbstbewußtsein im engeren Sinne expliziter Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis.“169 Aus dem Gefühlsleben, in welchem es verwurzelt ist, erwächst dem Ge­ wissen der unthematische Bezug auf das Ganze des Lebens, in welchem Sub­ jekt und Objekt – Welt, Gott und Selbst – noch ungeschieden ineinander lie­ gen. Diese Eigenart des Gefühls und der Gefühle entspricht wiederum der ekstatischen Beheimatung der Anfänge individueller Entwicklung des Kin­ des in einer „symbiotischen Sphäre“, die in den ersten Lebenswochen das Kind mit der Mutter (und mit der Welt überhaupt) verbindet, ohne daß es sich von der Mutter schon unterschieden wüßte. Im Gefühlsleben findet die symbiotische Weltverbundenheit der Anfänge des individuellen Lebens ge­ 168 Siehe dazu die ausführlichen Nachweise in meinem Buch: Anthropologie in theologi­ scher Perspektive, 1983, 286–303, bes. 287 ff. 169 Ebd. 299 f.

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wissermaßen ihre Fortsetzung170. Die Differenzierung der anfänglich noch ungeschiedenen Dimensionen von Gott, Welt und Selbst aber ist erst das Produkt der kognitiven Entwicklung des Kindes, der Welterfahrung also und ihrer Verarbeitung171, obwohl ein unthematischer Selbstbezug in der Lust- und Unlustqualität der Gefühle schon früh mitgegeben ist. Die Gewis­ senserfahrung ist die Form, in der dieser Selbstbezug anfänglich thematisiert wird. Auf die so umschriebene Thematik läßt sich nun ein großer Teil der Aus­ sagen beziehen, mit denen in der theologischen und philosophischen Tradi­ tion die Behauptung einer natürlichen Kenntnis Gottes im Sinne einer cogni­ tio insita verbunden worden ist. Zunächst ist hier noch einmal Luther zu nennen. Es erhebt sich nämlich die Frage, wie die von Luther behauptete natürliche Kenntnis Gottes in der Synderesis sich zum Glauben verhält. Gerade für den jungen Luther war ja der Glaube als intellectus fidei die Form der wahren Gotteserkenntnis172. Luther hat aber ausdrücklich betont, daß die Kenntnis Gottes in der Synde­ resis nicht identisch sei mit dem Glauben173, wobei das Wort Glaube im Sinne des wahren Glaubens gebraucht ist, der fides divina, wie die Scholastik zu sagen pflegte. Luther hat von „Glauben“ aber auch in einem weiteren Sinne sprechen können. Den bekanntesten Beleg dafür bildet die berühmte Erklärung des ersten Gebots im Großen Katechismus 1529: „daß alleine das Trauen und Gläuben des Herzens machet beide Gott und Abegott“174. Ne­ ben dem „rechten Glauben“, der dem „rechten einigen Gott“ entspricht, steht hier der falsche Glaube, das Vertrauen auf den Götzen. Im einen wie im andern Falle gilt: „Worauf Du nu (sage ich) Dein Herz hängest und ver­ lässest, das ist eigentlich Dein Gott.“ Damit ist noch nicht entschieden, wer der wahre Gott ist. Für diese Frage ist nach Luther die Fähigkeit des bibli­ schen Gottes, Himmel und Erde zu erschaffen, entscheidend. In der Erklä­ rung zum 1. Artikel des Apostolikums heißt es zum Glauben an Gott den Vater: „Außer diesem einigen halte ich nichts für Gott, denn sonst keiner ist, der Himmel und Erden schaffen künnde.“175 Im Unterschied dazu gibt die 170 Ebd. 241 ff., bes. 243 und zur symbiotischen Lebenseinheit in den Anfängen der kindli­ chen Entwicklung 219 ff. 171 Siehe die Auseinandersetzung mit Schleiermachers Gefühlsbegriff ebd. 244 f. mit Bezug­ nahme auf die Forschungen von J. Loevinger. 172 R. Schwarz: Fides, Spes und Caritas beim jungen Luther, Berlin 1962, 134 ff. zur ersten Psalmenvorlesung 1513–1515. 173 WA 5, 119 (Operationes in Psalmos 1519) zu Ps 4,7. Siehe dazu E.Hirsch a. a. O. 116 f. Hirsch zitiert dort auch noch eine ähnliche Passage aus der zweiten Psalmenvorlesung 1518. 174 BSELK 560,15–17 (WA 30/1,133). In der theologischen Diskussion der Gegenwart über die Begründung des Redens von Gott hat Schubert M. Ogden (The Reality of God and other es­ says, New York, Harper 1963, 22 ff.) eine sehr ähnliche Auffassung von Glauben als anthro­ pologisches Phänomen vorgetragen, wenn auch ohne ausdrückliche Beziehung auf Luther. 175 Ebd. 647,43–46 (WA 30/1,183).

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Erklärung zum ersten Gebot noch keine Antwort auf die Frage, welches der wahre Gott und also auch der rechte Glaube ist. Doch vorausgesetzt ist, daß der Mensch in jedem Falle sein Vertrauen so in etwas festmachen muß, daß er sein Herz daran hängt und sich darauf verläßt. Darin ist enthalten, was wir heute die „exzentrische Lebensform“ des Menschen nennen: Er muß sich auf etwas außerhalb seiner selbst gründen. Das steht nicht in seiner Wahl. Wählen kann er nur, worauf er sich gründet. Verbindet man das mit Luthers Aussagen über die dem Menschen unverlierbar ins Herz gegebene Gotteserkenntnis und ihren Mißbrauch (s. o. 122 f.), so ergibt sich, daß dieser Mißbrauch in der Hinwendung des Vertrauens zu den falschen Göttern be­ steht, das unverlierbare Wissen von Gott aber nicht mit dem rechten Glau­ ben zu verwechseln ist, sondern nur in der Angewiesenheit des Menschen auf einen sich ihm bietenden verläßlichen Grund seines Lebensvollzugs überhaupt, auf den er sein Vertrauen setzen kann, besteht; denn darin „weiß“ der Mensch, was es heißt, einen Gott zu haben. Allerdings setzt „Vertrauen“ schon ein zumindest rudimentäres Bewußtsein der Differenz von Ich und Welt voraus. Ihrer Ausbildung und also auch der Ausbildung des Vertrauens geht voran die Einbettung des Individuums in einen symbio­ tischen Lebenszusammenhang. Dieser Lebenszusammenhang wird in dem Maße, in welchem das Individuum zu sich selbst kommt und bewußt bei sich selber ist (zuerst in Empfindungen von Lust und Unlust), zugleich auch als das eigne Dasein unbestimmt übersteigend in seinem Bewußtsein gegen­ wärtig. Erst mit dem Prozeß der kognitiven Entwicklung und Differenzie­ rung werden mögliche Gegenstände des Vertrauens unterscheidbar, wird al­ so auch eine Wahl zwischen ihnen möglich. Dieser Sachverhalt hat nun ein Gegenstück in der Grundsituation des er­ kennenden Bewußtseins, wie Descartes sie als unmittelbares Wissen von Gott beschrieb. Der Unbestimmtheit des symbiotischen Lebenszusammen­ hangs entspricht hier die Idee des Unendlichen, die nach Descartes Bedin­ gung der Erfassung irgendwelcher endlichen Gegenstände einschließlich des eigenen Ich ist (Med. III,28), weil nur durch Einschränkung des Unendli­ chen irgendetwas Endliches gedacht werden kann. Hineingestellt in den of­ fenen Horizont des Unendlichen ist dem Menschen sowohl sein eigenes Da­ sein als auch das Ganze der Weltwirklichkeit und der göttliche Grund alles Endlichen unbestimmt gegenwärtig, aber nicht immer schon thematisch: Die Intuition des Unendlichen ist nicht als solche schon ein Gottesbe­ wußtsein, mag ein solches auch für uns, die wir vom Standpunkt eines voll ausdifferenzierten Erfahrungswissens aus darauf reflektieren, darin enthal­ ten scheinen. Schon Caterus hat gegen Descartes eingewendet, daß wir das Unendliche nur verworren, nicht aber klar und distinkt erfassen. Descartes hat darauf geantwortet, daß wir allerdings das Unendliche nicht begreifen, aber doch insofern verstehen, was damit gemeint ist, als wir darin „keine

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Einschränkung bemerken“176. Doch von Einschränkung wissen wir nur durch Reflexion auf das Erfassen von Endlichem. Ein Bewußtsein des Un­ endlichen als solchen – auch in der von Descartes beschriebenen Weise – ist also erst für den möglich, der schon von endlichen Dingen weiß und auf ihre Endlichkeit reflektiert. Das Bewußtsein des Unendlichen als solchen wird also erst durch Negation der Schranke des Endlichen gewonnen und geht nicht schon aller Erfassung von Endlichem voraus. Die in der dritten Medi­ tation behauptete Priorität der Idee des Unendlichen vor aller Erfassung von Endlichem kann nur die Form eines unthematischen Gewahrseins haben, in welchem Welt, Gott und Ich noch ungeschieden sind. Ein expliziter Gedan­ ke des Unendlichen als solchen, in Unterscheidung vom Endlichen, ist damit noch nicht verbunden. Daher kann jenes unmittelbare Bewußtsein auch noch nicht thematisch als Gottesbewußtsein bestimmt sein. Erst wenn sich auf einem später gewonnenen Standpunkt der Erfahrung und Reflexion er­ gibt, daß das Unendliche im eigentlichen Sinne des Wortes nur ein einziges und identisch mit dem einen Gott ist, kann gesagt werden, daß jenes unthe­ matische Bewußtsein des Unendlichen eigentlich schon ein Bewußtsein von Gott war. Erst im Prozeß der Erfahrung nämlich kommt es, parallel zur Be­ stimmtheit des Wissens von endlichen Dingen und von der Endlichkeit des eigenen Ich, zu einem ausdrücklichen Bewußtsein von Göttern und Gott: Die Ausbildung eines solchen Bewußtseins gehört also der Lebensge­ schichte, dem Prozeß der Erfahrung im weitesten Sinne des Wortes an, der Erfahrung der Welt und der in ihr wirkenden, die Dinge der Welt überstei­ genden Mächte, der Religionsgeschichte also, nicht schon einem primordia­ len Bewußtsein. Dennoch läßt sich mit Recht sagen, daß der Mensch von allem Anfang an in ein ihn übersteigendes „Geheimnis“ hineingestellt ist, und zwar in der Weise, daß sich ihm „die unverfügbare und schweigende Unendlichkeit der Wirklichkeit als Geheimnis dauernd zuschickt“177. Dieses Geheimnis kon­ kretisiert sich in den Anfängen jeder menschlichen Lebensgeschichte in der 176

Meditationen. Erste Einwände, a. a. O. (PhB 27) 86, Descartes’ Erwiderung ebd. 102. K. Rahner: Grundkurs des Glaubens, 1976, 46, vgl. 32 f. Ob man diesen Sachverhalt mit Rahner als „transzendental“ oder gar als „transzendentale Erfahrung“ bezeichnet (31 f.) – ein Ausdruck, der ein an Kant geschultes Sprachgefühl wie ein hölzernes Eisen anmuten muß, – dürfte demgegenüber zweitrangig sein. Gewiß handelt es sich hier um eine Bedingung der Mög­ lichkeit von Erfahrung überhaupt, nicht aber zugleich um ein ihre Inhalte strukturierendes Prinzip wie bei den Kategorien und Vernunftideen Kants. Zur Problematik des Begriffs „trans­ zendental“ bei Rahner vgl. F. Greiner: Die Menschlichkeit der Offenbarung. Die transzenden­ tale Grundlegung der Theologie bei Karl Rahner, München 1978. Die Ansicht von D.Tracy a. a. O. 55 f., daß der Begriff „transzendental“ ein angemessenerer Ausdruck für das früher als „metaphysisch“ Bezeichnete sei, vermag ich aus den genannten Gründen nicht zu teilen, so sehr ich Tracy in der Betonung der Notwendigkeit der Metaphysik für die Theologie und auch hin­ sichtlich der durch die moderne Problemlage der Philosophie gegebenen Notwendigkeit einer anthropologischen Begründung der Metaphysik zustimme. 177

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Zuwendung der ersten Bezugsperson, im Normalfall in der Gestalt der Mut­ ter, die dem Kind das vertrauensvolle Sicheinlassen auf die Welt überhaupt, auf das Leben und darin zugleich auf Gott als seinen Schöpfer und Erhalter ermöglicht. Daß es sich dabei um ein „unthematisches Wissen von Gott“ handelt178, läßt sich allerdings erst im Nachhinein, im Rückblick von einem später gewonnenen, expliziten Gottesbewußtsein her behaupten. Angesichts dieser Sachlage dürfte es nicht angemessen sein, jenes primor­ diale Bewußtsein als ein „religiöses Apriori“ im Sinne eines aller Erfahrung vorhergehenden expliziten Gottesbewußtseins zu bezeichnen. Die These ei­ nes solchen apriorischen Bewußtseins vom „Absoluten“ ist in Anlehnung an kantische Terminologie von Ernst Troeltsch vorgetragen worden179. Rudolf Otto und Anders Nygren haben sie in verschiedene Richtungen weiter­ entwickelt und modifiziert. Aber das primordiale Bewußtsein ist noch kein Bewußtsein des „ganz Anderen“ und „Heiligen“ im Sinne Ottos180. Zwar sprach Otto mit Recht von einem „Gefühl“ des Unendlichen181. Aber das Gefühl für sich kennt keine scharfe Trennung von Subjekt und Objekt182, es kann also kein Bewußtsein des „ganz Anderen“ und „Ewigen“ sein. Objekt­ bezogene Gefühle sind immer schon durch Gegenstandswahrnehmung ver­ mittelt. Daher geht die Erfahrung des heiligen Gegenstandes oder Gegen­ übers dem Gefühl des Heiligen als solchen voraus. Nur das Gefühl als reine Befindlichkeit ohne Objektbezug ist früher. Daher ist auch Anders Nygrens Auffassung des „Ewigen“ als „transzendentale Grundkategorie der Reli­ gion“183 abzulehnen. Beim Heiligen wie beim Ewigen handelt es sich um Gedanken, die die Erfahrungen des alltäglich-Endlichen und Zeitlichen, von denen sie sich abstoßen, schon voraussetzen, und zwar in verallgemeinerter Form, also um Gedanken, die ihrerseits überhaupt nicht der unmittelbaren Erfahrung, sondern der Reflexion angehören. Das „unthematische Wissen“ von Gott, das zur Ursituation des Menschen gehört, aber als unthematisches nicht in sich selber schon ein Wissen von Gott ist, hat nichtsdestoweniger die Form der Aktualität. Es ist keine bloße 178

Ebd. 32 u. ö. E. Troeltsch: Zur Frage des religiösen Apriori (1909), Ges. Schriften Bd. 2, 1922, 754 ff. und: Empirismus und Platonismus in der Religionsphilosophie. Zur Erinnerung an William James (1912) ebd. 364–385, bes. 370 f. In dem ersten dieser Aufsätze räumte Troeltsch Unter­ schiede zur transzendentallogischen Funktion des Apriorischen bei Kant ein. Eingeführt hatte er die These eines religiösen Apriori in seiner Schrift: Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft, 1905. 180 R. Otto: Kantisch-Fries’sche Religionsphilosophie und ihre Anwendung auf die Theolo­ gie (1909), Tübingen 1921, 113 ff. Wegweisend für Ottos Auffassung des Heiligen dürfte N. Sö­ derblom gewesen sein. Vgl. dazu C. Welch: Protestant Thought in the Nineteenth Century 2, 1985, New Haven und London 120 f. 181 Ebd. 83. 182 Zur Begründung siehe vom Vf.: Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983, 243 f. 183 A. Nygren: Die Gültigkeit der religiösen Erfahrung, 1922, 72 f. 179

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Disposition oder Anlage im Menschen. Es ist auch keine bloße „Frage“ nach Gott. Der Gedanke, daß der Mensch als solcher „Frage“ nach Gott sei, war in der evangelischen Theologie nach dem ersten Weltkrieg weit verbreitet und vertrat gewissermaßen die Funktion der alten „natürlichen Theologie“ in einer Zeit, in der die theoretische Beweiskraft der Gottesbeweise fragwür­ dig geworden war, die aber an der darin ausgedrückten Erhebung des Men­ schen zum Gedanken Gottes festhalten wollte184. Derselbe Gedanke findet sich auch in der katholischen Theologie, allerdings in der verallgemeinerten Form der Seinsfrage als Kennzeichen der menschlichen Daseinsstruktur185. In der Tat eignet sich das Phänomen der Frage vorzüglich als Metapher für die Angewiesenheit des Menschen auf einen sein Leben tragenden Grund jenseits seiner selbst. Aber der Mensch existiert keineswegs in der ständigen Offenheit der Frage186. Das ist nur eine pathetische Abstraktion. In Wirk­ lichkeit leben Menschen immer schon aus vorläufigen „Antworten“ auf die „Frage“ ihrer Existenz, Antworten, die so lange beibehalten werden, wie sie sich als tragfähig bewähren, dem Grundvertrauen einen verläßlichen Halt bieten. Schon das unthematische „Wissen“ von Gott hat diese Form. Aber es läßt seinerseits ein Fragen entstehen, von dem sich sagen läßt, daß es zumin­ dest implizit ein Fragen nach Gott ist187, nämlich ein Ungenügen an den end­ lichen Dingen der Welterfahrung. Solches Fragen entsteht, sobald die In­ halte der Erfahrung voneinander und vom eigenen Ich deutlich unterschie­ den und in ihrer Endlichkeit bewußt werden, und zwar entsteht es auch dann, wenn eine entsprechende Ausbildung und Orientierung des religiösen Bewußtseins ausbleibt. Auch hier gilt aber wieder, daß das Ungenügen am Endlichen nur unter Voraussetzung eines schon anderweitig gewonnenen Wissens von Gott die Form der Frage nach Gott annehmen kann188. 184 Vgl. vom Vf.: Die Frage nach Gott, in: Grundfragen systematischer Theologie I, 1967, 361–386. Zur Durchführung s. bes. P. Tillich: Syst. Theologie I (1951) dt. 6. Aufl. 1980, 74 ff. 185 K. Rahner: Geist in Welt (1939) 3. Aufl. hrsg. von J.B. Metz 1964, 71 u. ö., ders.: Hörer des Wortes (1941) 2. Aufl. hrsg. von J.B. Metz 1963, 51 ff. 186 So schon die Kritik von P. Eicher an K. Rahner (Die anthropologische Wende. Karl Rah­ ners philosophischer Weg vom Wesen des Menschen zur personalen Existenz, Freiburg (Schweiz) 1970, 331 f.). Rahners Theologie wird von dieser Kritik allerdings nur teilweise ge­ troffen. Viel ruinöser ist sie für W. Weischedels Prinzip der radikalen Fraglichkeit, in welchem Weischedel alle Inhalte der philosophischen Theologie verschwinden ließ (Der Gott der Philo­ sophen, Darmstadt I, 1971, 27, 30 f.; II, 1972, 153 ff., 78 ff.). Damit sind allerdings auch Weische­ dels eigene Erwägungen über ein „von woher der Fraglichkeit“ (II, 206 ff.) immer schon über­ holt. Siehe auch E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 334 ff. 187 Vgl. die Ausführungen Luthers zum Verlangen nach Gott und dem Guten, das aus der (unthematischen) Kenntnis von Gott in der Syntheresis entstehe (WA 3,238 zu Ps. 42, ebd. 535 zu Ps. 77, dazu E. Hirsch a. a. O. 111 f.). 188 In diesem Sinne hat bes. K. Barth mit Recht betont, daß die Antwort der Frage schon vorhergehe (so schon 1920 in seinem Tambacher Vortrag: Der Christ in der Gesellschaft, abge­ druckt bei J. Moltmann (Hrsg.): Anfänge der dialektischen Theologie 1, 1962, 4). Siehe aber auch P. Tillich: Systematische Theologie II, 1958,19 f.

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Wie kann aber unter solchen Umständen jenes primordiale Bewußtsein überhaupt noch als ein, wenn auch unthematisches, Wissen von Gott be­ zeichnet werden? Wie also kann Paulus alle Menschen dabei behaften, daß sie Gott kennen? Das wird verständlich, wenn man bedenkt, daß es nun ein­ mal zum Leben gehört, daß im Lichte späterer Erfahrungen das früher Er­ lebte sich in veränderter Bedeutung darstellt. So heißt es auch im priesterli­ chen Bericht bei der Erscheinung Jahwes vor Mose, daß er seinen Vätern als der „allmächtige Gott“ (el šaddaj) erschienen sei; „aber unter meinem Na­ men Jahwe habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben“ (Ex 6,3). Seit Mose, dem Exodus und dem Gewinn des Landes aber weiß Israel, daß Jahwe schon den Vätern als ihr Gott erschienen ist, wiewohl sie ihn noch nicht als Jahwe kannten. So ist er auch jedem Menschen von allem Anfang an gegen­ wärtig und wird von einem jeden gekannt, obwohl er noch nicht als Gott ge­ wußt wird. Die nach Paulus „seit Erschaffung der Welt“ vorhandene Kenntnis von Gott „durch seine Werke“ (Röm 1,20) kann nun aber nicht nur in jener va­ gen Unendlichkeit des Gefühls bestehen. Es ist mit Recht gesagt worden, daß es sich Röm 1,20 überhaupt nicht um eine notitia innata (wie Röm 2,14 f.) handle, sondern um eine notitia acquisita, eine mit der Welterfahrung verbundene und durch sie erworbene Kenntnis. Auch Melanchthon hat sich ja 1532 zu diesem Zugeständnis bequemen müssen (s. o. 122 f.). Aber er hat doch mit Recht behauptet, daß dabei eine notitia innata zugrunde liege: Die Intuition eines unbestimmt Unendlichen, des das Leben des Menschen über­ steigenden und tragenden Geheimnisses des Seins, das ihn zum Vertrauen ermutigt, wird erst im Laufe der Welterfahrung unterschieden von den end­ lichen Dingen. Bei diesem Prozeß der Welterfahrung und des durch sie ent­ stehenden Bewußtseins von Gott handelt es sich nun aber nicht in erster Linie um die „natürliche Theologie“ der Philosophen, sondern um die Got­ teserfahrung der Religionen, die an den Werken der Schöpfung zum Be­ wußtsein des Wirkens und Wesens der Gottheit kommen189. Eine philo­ sophische natürliche Theologie hat es nicht schon „seit der Weltschöpfung“ gegeben. Wohl aber hat sich in der Geschichte der Menschheit immer in der 189 Aus der Einsicht Schleiermachers, daß die natürliche Religion ein sekundäres Abstrak­ tionsprodukt sei, und aus den Fortschritten der Religionswissenschaft im späten 19. Jahrhun­ dert hat schon N. Söderblom die Forderung abgeleitet, die alte Funktion der natürlichen Theo­ logie in der Dogmatik durch die Religionsgeschichte zu ersetzen (N. Söderblom: Natürliche Theologie und allgemeine Religionsgeschichte, 1913, bes. 58 ff.). Er hat dabei allerdings, im Ge­ gensatz zu den Befürwortern eines „religiösen Apriori“, das Wahrheitsmoment in der Lehre von der notitia innata nicht berücksichtigt, oder vielmehr vermischte er es – wie später die Reli­ gionsphänomenologen – mit der notitia acquisita, indem er in der Religionsgeschichte nicht so sehr die Verschiedenheiten und ihren Widerstreit, sondern mit Karl Hase „das Gemeinsame in den religiösen Erscheinungen“ suchte (78 f.), infolgedessen aber auch den spezifischen Beitrag der geschichtlichen Betrachtung zum Verständnis der Offenbarung der Gottheit Gottes im Prozeß der Religionsgeschichte verfehlte.

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einen oder anderen Weise ein explizites Gottesbewußtsein ausgebildet, das in Verbindung mit der Erfahrung der Werke der Schöpfung entsteht. Die Beziehung der paulinischen Aussage über die Gotteserkenntnis aus den Werken der Schöpfung auf die Religionen hat also zur Folge, daß die Religionen nicht von vornherein nur als Götzendienst beurteilt werden dür­ fen. Es kommt in ihnen sehr wohl „seit der Weltschöpfung“ zur Erkenntnis des wahren Gottes, zugleich freilich auch immer wieder zur Vertauschung des unvergänglichen Gottes mit den geschöpflichen Dingen (Röm 1,23 und 25). Die einseitige Auslegung der paulinischen Aussagen von Röm 1,19 f. nur auf die natürliche Theologie der Philosophen hat in der Geschichte der christlichen Theologie zu einer ebenso einseitig negativen Beurteilung der außerchristlichen Religionen beigetragen. Es ist heute unumgänglich, diese Fehlentwicklung zu korrigieren und zu einem differenzierteren Urteil über die Welt der Religionen zu gelangen.

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3. Kapitel

Die Wirklichkeit Gottes und der Götter in der Erfahrung der Religionen 1. Der Religionsbegriff und seine Funktion in der Theologie In der neueren evangelischen Theologie ist der Religionsbegriff seit dem Verfall der Lehre von der Verbalinspiration, die die Autorität der Bibel als Gotteswort begründete, zur Grundlage der theologischen Systematik ge­ worden. Er wurde allerdings nicht zu diesem Zweck eingeführt. In der refor­ mierten Theologie war er schon seit der Reformation gebräuchlich. Die lu­ therische Theologie des 16. und frühen 17. Jahrhunderts kannte ihn in Ver­ bindung mit dem konfessionellen Gegensatz. Aber auch die grundsätzlich gemeinte Verwendung des Religionsbegriffs als allgemeine Bezeichnung des Gegenstandes der Theologie, wie sie in der lutherischen Dogmatik seit Abra­ ham Calov (1655) gebräuchlich wurde1, stand nicht in einer Konkurrenz zum Schriftprinzip oder zur Inspirationslehre, sondern ist Ausdruck der „analytischen Methode“ gewesen, die nicht Gott an und für sich, sondern den Menschen in seinem Verhältnis zu Gott als Gegenstand der Theologie behandelte. Die inspirierte Schrift blieb auch in diesem Rahmen Prinzip der Theologie. Gerade Calov hat der Inspirationslehre erst zur vollen Aus­ bildung verholfen. Aber mit der Auflösung dieser Lehre mußte dann aller­ dings dem Religionsbegriff als Bezeichnung des Gegenstandes der Theologie ein anderes und vermehrtes Gewicht zufallen. Der Begriff der christlichen Religion oder des Christentums wurde nun seinerseits zum Kriterium dafür, was vom Inhalt der biblischen Schriften als verbindliche „Lehrwahrheit“ und was als zeitbedingt und für die Gegenwart nicht mehr relevant zu betrachten ist2. Dabei kommt es nach Christian August Crusius und Johann Gottlieb Töllner auf „das Wesentliche in der Religion“ an, – eine Fragestellung, die bei 1 Siehe dazu R. D. Preus: The Theology of Post-Reformation Lutheranism. A Study of Theological Prolegomena, St. Louis – London (Concordia) 1970, 207–215. Zur Entwicklung des Themas auf reformierter Seite vgl. K. Barth: KD 1/2, 1938, 310 ff., zur Sache den ganzen Ab­ schnitt § 17,1: Das Problem der Religion in der Theologie, ebd. 305–324. 2 J. S. Semler: Versuch einer freiern theologischen Lehrart, Halle 1777, 253 (III, 1 § 75): Es ist der Endzweck jetziger Lehrer, „jetzige Zeitgenossen mit den Grundwahrheiten ihrer jetzigen Religion und Gottseligkeit hinlänglich bekannt zu machen“.

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Johann Joachim Spalding und Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem zur Frage nach dem „Wesen des Christentums“ führen sollte, das wiederum nach Jeru­ salem „die wesentlichste Religion“ überhaupt ist3. Was aber ist das Kriterium dafür, was der wesentliche Inhalt der Religion ist? Liegt der Maßstab dafür in der Religion selbst, oder ist er von ihr ver­ schieden? Liegt er etwa in der Anthropologie, weil Religion eine Wesens­ äußerung des Menschen ist? Für die Tradition, in der der Religionsbegriff sich entwickelt hat, lag dieser Maßstab in der Offenbarung und Erkenntnis Gottes, die als der Religion vorausgehend gedacht wurden. Das gilt auch für den besonderen Fall der Inspirationslehre, derzufolge die biblischen Schrif­ ten als Produkt göttlicher Offenbarung Grundlage der christlichen Religion, nicht etwa eine Äußerung derselben sind. Aber unter den Bedingungen der Neuzeit hat sich das Verhältnis umgekehrt. Die Gotteserkenntnis ist zu ei­ ner Funktion der Religion geworden. Dieser Vorgang bedarf wegen seiner weitreichenden Folgen einer genaueren Darstellung und Erörterung.

a) Religion und Gotteserkenntnis Der antike Religionsbegriff bezeichnete die kultische Gottesverehrung. So hat Cicero religio als cultus deorum definiert4. Es handelt sich dabei um die Darbringung der den Göttern geschuldeten Ehrerbietung. Der Ausdruck konnte daher gelegentlich auch auf das Verhältnis zu Menschen angewendet werden, sofern diesen eine vergleichbare Ehrerbietung geschuldet oder dar­ gebracht wurde. Cicero unterschied religio als sittliche Pflicht von der Tabu­ furcht der superstitio5, und durch diese Abgrenzung unterscheidet sich der lateinische Religionsbegriff von der griechischen threskeia, die alle, auch die 3 H. Wagenhammer: Das Wesen des Christentums. Eine begriffsgeschichtliche Untersu­ chung, Mainz (Grünewald) 1973, 177 ff., 181 ff., 189 ff., 200 ff. Wagenhammer zeigt auch, daß der Ausdruck „Wesen des wahren Christentums“ (essentia(m) veri christianismi) bereits bei Chr. M. Pfaff vorkommt (174) und bei ihm in Verbindung mit der Lehre von den Fundamental­ artikeln steht (176). Diese Lehrbildung der lutherischen Orthodoxie dürfte für die Fragen der Aufklärungsdogmatik nach dem Wesen von Religion und Christentum wichtiger sein als Wa­ genhammer (69) zugestehen möchte. 4 Cicero: De natura deorum II,8. Vgl. Augustinus: De civ. Dei X,l,3. Zur Dominanz dieses Wortsinns sowie zu weiteren Belegen aus den lateinischen profanen und Kirchenschriftstellern siehe W. C. Smith: The Meaning and End of Religion. A New Approach to the Religious Tradi­ tions of Mankind (1962) Mentor Book 575, New York 1964,24. Das ganze zweite Kapitel dieses Buches ist der Begriffsgeschichte des Religionsbegriffs von seinen Ursprüngen in der lateini­ schen Literatur bis ins 19. Jahrhundert gewidmet. Nach Abschluß des Manuskripts erschien E. Feil: Religio. Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation, 1986. 5 Cicero a. a. O. II,71, sowie I,117, wo der Aberglaube durch unbegründete Furcht vor den Göttern (timorinanis deorum) gekennzeichnet wird im Gegensatz zur Religion, die den Göttern fromme Verehrung darbringe.

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übermäßigen und abwegigen Formen kultischer Verehrung umfaßt und auch in den neutestamentlichen Schriften „Religion“ im Sinne kultischer Verehrung bezeichnet6. Näher steht der religio im Sinne Ciceros die theose­ beia (oder eusebeia), die aber weniger eng mit dem Kultus verbunden war7. Bei Cicero ist „Frömmigkeit“ (pietas) die seelische Haltung, die sich gegen­ über den Göttern in Akten kultischer Verehrung äußert8. Dennoch wird die Frömmigkeit bei Cicero nicht gleichgesetzt mit religio. Dieser letztere Aus­ druck hängt vielmehr noch an den Riten und ihrem Vollzug9. Die Gotteser­ kenntnis wird ebenfalls noch nicht als religio bezeichnet. Obwohl Cicero in seiner Schrift über die Gesetze das Wissen von Gott als Unterscheidungs­ merkmal des Menschen von den Tieren hervorhob (leg. I, 24), nannte er die­ sen Sachverhalt noch nicht „Religion“. Dagegen hielt er ein Wissen von der Natur der Götter für notwendig zur „Zügelung“ der Äußerungen kultischer Verehrung (ad moderandam religionem: De natura deorum I,1). Anders als Cicero hat Augustin in seiner Schrift De vera religione (um 390) betont, daß in der Religion Gotteserkenntnis und Gottesverehrung nicht zu trennen seien. Daher besteht für Augustin auch ein enger Zusammenhang zwischen Religion und Philosophie: Lehre und Gottesdienst gehören zu­ sammen10. Dafür berief sich Augustin zwar auf Platon11, aber er fand die Ver­ bindung von Lehre und Kultus vor allem in der Kirche verwirklicht: Die wahre Religion sei nämlich dort zu finden, wo die Seele nicht geschöpfliche Dinge, sondern den ewigen, einigen und unveränderlichen Gott verehre, und diese perfecta religio sei im gegenwärtigen Zeitalter (nostris temporibus) identisch mit der Christiana religio, deren Lehren der allmächtige Gott selber dargetan habe (per se ipsum demonstrante)12: Sie bestehen in der propheti­

6 Jak 1,26 f., Acta 26,5, vgl. auch 1.C1 45,7 und 62,1. Die Ambivalenz des Wortes (vgl. ThWBNT 3,1938, 156 f.) zeigt sich Kol 2,18. 7 Das zeigen auch die beiden neutestamentlichen Belege Joh 9,31 und 1.Tim 2,10. Zum son­ stigen Sprachgebrauch vgl. ThWBNT 3,124 ff. Augustinus betrachtete diesen Ausdruck ebenso wie den weiteren Begriff der eusebeia als Äquivalent der lat. pietas (ep. 167,3 u. ö.). 8 Cicero: De nat. deor. I,3, vgl. I,14 werden pietas, sanctitas, religio als eng verbunden be­ schrieben, und I,117 sowie I,45 bildet die pietas das die Religion vom Aberglauben unter­ scheidende Merkmal. Vgl. auch Augustin De civ. Dei X1.1. 9 Cicero a. a. O. I,61: caerimonias religionesque; vgl. II,5 und III,5 sowie De leg. I,43. Siehe auch E. Feil a. a. O. 46 f. 10 Augustin: De vera rel. 5: Sic enim creditur et docetur, quod est humanae salutis caput, non aliam esse Philosophiam, id est, Sapientiae Studium, et aliam Religionem, cum ii quorum Doctri­ nam non approbamus, necSacramenta nobiscum communicant. Vgl. schon Laktanz De ira Dei 7,6 und 8,7 über religio und sapientia. Weitere Belege bei E. Feil a. a. O. 60–64. 11 Augustinus a. a. O. 3. 12 Ebd. 10,19 f.; vgl. aber Retr. I,13: … res ipsa quae nunc Christiana religio nuncupatur, erat et apud Antiquos, nec defuit ab initio generis humani, quousque ipse Christus veniret in carne, unde vera Religio quae iam erat coepit appellari Christiana.

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sehen Ankündigung und im historischen Bericht von den Heilsveranstaltun­ gen der göttlichen Vorsehung zur Erneuerung des Menschengeschlechts13. Natürlich hat die augustinische Einbeziehung der Gotteserkenntnis in den Religionsbegriff nicht den Sinn, die Gotteserkenntnis zur Funktion menschlichen religiösen Verhaltens zu machen. Augustin ging es im Gegen­ teil darum, die Religion an die wahre Gotteserkenntnis, an die von Gott selbst offenbarte, jeden Irrtum ausschließende Wahrheit zu binden (s. Anm. 12). Eine Umkehrung dieses Verhältnisses dürfte für Augustin schon wegen der Verbindung von religiöser und philosophischer Erkenntnis aus­ geschlossen gewesen sein. Die augustinische Einbeziehung der Gotteserkenntnis in den Religionsbe­ griff scheint im christlichen Mittelalter nicht Anlaß zu weitergehenden Überlegungen geworden zu sein. Überhaupt wurde der Religionsbegriff, der bis zum 4. Jahrhundert in den patristischen Texten durchaus gebräuch­ lich war, in der Folgezeit selten. Erst in der Renaissance sollte er wieder eine größere Rolle spielen. W. C. Smith hat diesen auffälligen Sachverhalt ein­ leuchtend damit erklärt, daß der Religionsbegriff sich offenbar nur da nahe­ legt, wo das Bewußtsein einer Kultur durch eine Pluralität von Kulten oder Religionen bestimmt ist, wie es in der Spätantike bis zum 4. Jahrhundert und dann wieder seit der Renaissance der Fall war14. Die allseitig durch das Christentum bestimmte Kultur des Mittelalters benutzte, um das gemeinsam Christliche zu bezeichnen, vorwiegend die Begriffe fides und doctrina. Bei Thomas von Aquin wurde der Ausdruck religio zwar auch allgemein für die Gott gebührende Verehrung (S. theol. II/2, 81) gebraucht, insbesondere aber für die Vollkommenheit der Hingabe an Gott (S. theol. II/2, 186,1), im Unterschied zu den weltlich lebenden Christen. Im Sinne der Vollkommen­ heit der auch im äußerlichen, leiblichen Verhalten ausgedrückten Hingabe an Gott (vgl. schon II/2, 81,7)15 griff Thomas zurück auf den Sinn von religio als cultus Dei. Dabei wird die Frage nach Einheit der Religion oder Pluralität der „Religionen“ nur im Hinblick auf die Pluralität religiöser Orden aufgeworfen (II/2, 188,1). Nichts könnte deutlicher zeigen, daß Thomas beim Wort religio hauptsächlich an die christliche Lebensführung innerhalb der Kirche und ihre besonderen Ausprägungen denkt. Ein ganz anderer Sprachgebrauch begegnet zwei Jahrhunderte später bei Nikolaus von Kues. Schon 1440, in De docta ignorantia, ist von der Ver­ schiedenheit von „Religionen“, Sekten und Ländern (regiones) die Rede, die 13 De vera rel. 7,13: Huius Religionis sectandae caput est Historia et Prophetia dispensationis temporalis divinae Providentiae pro salute generis humani in aeternam vitam reformandi atque reparandi. 14 W. C. Smith: The Meaning and End of Religion, 1964, 27, 32 f., 50 f. 15 Religion wird dabei, wie schon bei Abaelard, der Tugend der Gerechtigkeit zugeordnet, sofern sie Gott das Seine gibt. Siehe E. Heck: Der Begriff religio bei Thomas von Aquin, Mün­ chen 1971, 55 ff. bes. 70 ff. vgl. 30 ff.

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bei den Menschen zu unterschiedlichen Meinungen und Urteilen führe16. Der nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 ge­ schriebene Dialog De pace fidei entwickelt das Programm einer Überwin­ dung der Gegensätze der Religionen auf eine Einheit hin, die entsprechend der Einheit der Wahrheit nur eine Religion, aber unterschiedliche Formen des Gottesdienstes kennt: religio una in rituum varietate17. Hier wird der Begriff der Religion vom kultischen Vollzug, dem Ritus, abgelöst und ihm sogar entgegengesetzt. Religion wird zur rein geistigen Gottesverehrung, die nach Nikolaus von Kues in allen noch so verschiedenen Riten vorausgesetzt ist18. Diese letztere Formulierung des Kusaners erinnert wohl nicht zufällig an den ciceronianischen Gedanken eines dem Menschen von Natur aus eige­ nen Wissens von Gott und an die Auffassung Augustins, derzufolge die eine wahre Religion, die jetzt die christliche genannt wird, von Anbeginn in der Menschheit vorhanden gewesen ist. Das allen Menschen gemeinsame Wissen von Gott wird nun allerdings zum Maßstab der wahren Religion, auch der Wahrheit des Christentums. Während Augustin sich dafür auf die von Gott selbst geschichtlich geoffenbarte Wahrheit berufen hatte, verlagert sich das Gewicht jetzt auf die Übereinstimmung der christlichen Lehre mit der na­ türlichen Gotteserkenntnis19. Unter diesen Bedingungen eröffnete die augu­ stinische Einbeziehung der Gotteserkenntnis in den Religionsbegriff die Perspektive ihrer Mediatisierung durch die Religion, so daß sie, statt Grund der Religion zu sein, zu deren Funktion, wenn nicht sogar zu ihrem Produkt wird. Der Ausgangspunkt für eine solche Entwicklung lag beim Gedanken einer natürlichen Religion, weil hier ohnehin die Selbständigkeit Gottes und seines offenbarenden Handelns gegenüber dem menschlichen Gottesbewußtsein, insbesondere im Falle der notitia insita, weniger deutlich gegeben war als beim christlichen Glauben, der sich durch ein geschichtliches Offenbarungs­ handeln Gottes begründet weiß, das dem glaubenden Subjekt vorangegangen ist und seinen Niederschlag im Zeugnis der biblischen Schriften gefunden 16

De docta ignorantia III,1. De Pace Fidei I, vgl. auch III: es sei der Plan Gottes, die wechselseitigen Verfolgungen we­ gen Verschiedenheit der Religion dadurch zu beenden, daß durch allgemeinen Konsens alle Re­ ligionen auf eine einzige zurückgeführt werden: omnem religionum diversitatem communi om­ nium hominum consensu in unicam concorditer reduci. Der Terminus religio begegnet in den er­ sten Kapiteln des Werkes häufig. 18 Ebd. VI: Una est igitur religio et cultus(!) omnium intellectu vigentium, quae in omni di­ versitate rituum praesupponitur. 19 Das Gefälle in dieser Richtung deutet sich allerdings in der Renaissance erst sehr gelegent­ lich an. So hat etwa Marsilio Ficino in seiner Schrift De christiana religione 1474 die den Men­ schen vor den Tieren auszeichnende natürliche Religion lediglich im Eingangskapitel erwähnt und im übrigen den Beweis für die Wahrheit des Christentums auf die Lauterkeit Christi und seiner Jünger, auf die aus seinen Wundertaten begründete Autorität Jesu sogar bei Heiden und Muslimen, sowie nicht zuletzt auf das Zeugnis der Sibyllen und Propheten begründet (Opera Omnia ed. P.D. Kristeller I, Turin 1959, fol. 1–81). 17

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hat, das dem Bewußtsein der Glaubenden gegenübersteht. Im Falle der natür­ lichen Religion hingegen hing die Selbständigkeit Gottes gegenüber dem Gottesbewußtsein und als dessen Ursprung allein an der Tragfähigkeit der Schlüsse der natürlichen Theologie, die aber ihrerseits vom Menschen als Subjekt der natürlichen Religion selbst zu vollziehen waren. Kam hier die Mediatisierung der Gotteserkenntnis durch die Subjektivität der Religion zum Durchbruch, dann konnte sie sich auch auf das Verständnis der christli­ chen Religion auswirken, und zwar in dem Maße, in welchem das Verständ­ nis von Gottes Heilsoffenbarung auf das Bewußtsein der natürlichen Reli­ gion vom Dasein und Wesen Gottes begründet war. Einer solchen Entwicklung, die um die Wende zum 19. Jahrhundert in der evangelischen Theologie zum Durchbruch kommen sollte, standen jedoch bis ins 18. Jahrhundert zwei Hindernisse im Wege. Das eine bestand in der Begründung der christlichen Gotteserkenntnis auf die Autorität der Schrift. Sie galt der reformatorischen Theologie als Maßstab der Differenz von wahrer und falscher Religion, und zwar nicht nur im Verhältnis zu Heiden, Juden und Mohammedanern, sondern gerade auch innerhalb der Christen­ heit selbst. Noch 1707 heißt es bei David Hollaz: Die wahre Religion ist diejenige, die dem Worte Gottes gemäß ist20. Das galt in der altprotestanti­ schen Dogmatik sogar für die natürliche Religion. Die Ausführungen auch über dieses Thema wurden auf Schriftaussagen begründet und erst in zweiter Linie durch Argumentationen der Philosophie erläutert. Aber auch im Ver­ ständnis der natürlichen Religion selbst stand der Auflösung des Gottesbe­ wußtseins in eine Funktion der Religion ein Hindernis entgegen. Dieses zwei­ te Hindernis bestand in der Bindung des Begriffs der natürlichen Religion an die natürliche Theologie der Vernunft. Sie sicherte nicht nur die Allge­ meingültigkeit des subjektiven Gottesbewußtseins der natürlichen Religion, sondern auch den Primat der Gotteserkenntnis in oder sogar gegenüber dem religiösen Vollzug. So hat Johann Wilhelm Baier unter Berufung auf Laktanz erklärt, Religion und Weisheit gehörten in der Weise zusammen, daß die Weisheit vorangeht, die Religion aber folgt, weil es zunächst einmal erfor­ derlich sei, Gott zu kennen, bevor er verehrt werden kann21. Dennoch hat 20 D. Hollaz: Examen theologicum acroamaticum, Stargard 1707, 39: Vera Religio est, quae verbo divino est conformis. Der Begriff der falsa religio wird nicht nur auf die Verehrung fal­ scher Götter, sondern auch auf die falsche Verehrung des wahren Gottes bezogen (ebd. 83), entsprechend dem Sprachgebrauch der Reformationszeit: Vgl. H. Zwinglis De vera et falsa reli­ gione commentarius, 1525 (CR 90, 1914, 590–912, bes. 674, 21 ff., sowie zur religio vel pietas 668, 30 ff., 669,17 f.). Zur falschen Religion rechnet Hollaz auch die Religio Pontificia (44 f.), ob­ wohl sie seiner Meinung nach doch soviel an veritas residua enthält, daß auch ihre Glieder des Heils teilhaftig werden können, ebenso wie die Anhänger der Religio Lutherana, die nach Hol­ laz die wahre ist (41). 21 J.W. Baier: Compendium Theologiae positivae (1686) 3. ed. Jena 1694, Nachdruck von E. Preuss, Berlin 1864, 10 f. (Prol. I § 7b): ...sapientia praecedit, religio sequitur: quiaprius est, Deum scire, consequens colere. Damit wird die Anwendung des Ausdrucks religio auch auf die

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Baier die Gotteserkenntnis zusammen mit allen übrigen Mitteln zur Erlan­ gung der Seligkeit zur Religion im weiteren Sinne des Wortes gerechnet, wie es der schon bei Augustin erfolgten Einbeziehung der Gotteserkenntnis in den Religionsbegriff entsprach. Das Fehlen einer klaren Unterscheidung zwischen natürlicher Gotteserkenntnis und natürlicher Religion bei den meisten altprotestantischen Dogmatikern dürfte in dieser augustinischen Weichenstellung seinen Grund haben. So hat auch Buddeus die Erkenntnis Gottes als Voraussetzung der Gottesverehrung in den Begriff der Religion eingeschlossen22, und nur darum konnte er seine Dogmatik mit einem Kapi­ tel über den Religionsbegriff beginnen. Dieses setzt denn auch sofort mit der Behauptung des Daseins Gottes ein, das allen Menschen durch die Ver­ nunft bekannt sei. Erst danach wird der Religionsbegriff als solcher erläu­ tert. Zwei Hindernisse also hielten die Reduzierung der Gotteserkenntnis auf den Religionsbegriff auf, das altprotestantische Schriftprinzip und die Bin­ dung der natürlichen Religion an die Gotteserkenntnis der Vernunft. Das er­ ste dieser beiden Hindernisse fiel mit der Auflösung der altprotestantischen Lehre von der Schriftinspiration. Für die Auffassung von der christlichen Of­ fenbarungsreligion bzw. von ihrem „wesentlichen“ Inhalt wurden nun die Erwägungen darüber maßgebend, in welchen Punkten die natürliche Reli­ gion für das Heil des Menschen unzureichend und ergänzungsbedürftig blei­ be23. Die Lehren von der Sünde des Menschen und vom Sühnetod Jesu Chri­ sti erschienen von daher als der wesentliche Inhalt der christlichen Offenba­ rungsreligion, wenn man nicht bereit war, die christliche Religion mit den Deisten überhaupt nur als die gereinigte und vollkommene Darstellung der natürlichen Religion selbst aufzufassen. Mit der Kritik Humes und Kants an den Anschauungen über den Primat der natürlichen Religion und an der theoretischen Gültigkeit der natürlichen Theologie fiel jedoch auch das im Begriff der natürlichen Religion selbst verankerte Hindernis, das einer Re­ duzierung der Gotteserkenntnis auf das religiöse Verhalten des Menschen im Wege gestanden hatte. Die Religion mit Einschluß ihres Gottesbewußt­ seins stellte sich nun als Ausdruck der praktischen Bedürfnisse des Menschen in seiner Eigenschaft als vernünftiges Wesen dar. In dieser Form behielt das religiöse Thema zwar für Rationalisten wie Supranaturalisten im Schatten Kants noch eine vernünftige Allgemeinheit, und auf dieser veränderten Grundlage konnte noch einmal die Auseinandersetzung darüber stattfinden, Gotteserkenntnis im Text von § 7 (actus mentis et voluntatis circa Deum occupati, quibus recte agnoscitur et colitur Deus) zwar einschränkend interpretiert, aber nicht aufgehoben. Zur Vor­ ordnung der Gotteserkenntnis vor die Religion vgl. auch die bei K. Barth KD I/2, 312 zitierte Formulierung von F. Burmann in seiner Synopsis Theologiae von 1678. 22 J.F. Buddeus: Compendium Institutionum Theologiae Dogmaticae, Leipzig 1724, I §4 (p. 8). 23 Ebd. I § 17 (p. 15 f.), vgl. schon Hollaz a. a. O. 307.

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ob die Vernunftreligion für sich allein zum Heil des Menschen ausreiche oder ob darüber hinaus eine übernatürliche Offenbarung anzunehmen sei. Aber die Grundlage dieser Diskussion war gegenüber den Auseinandersetzungen zwischen Deisten und Antideisten insofern verändert, als von einer Selbstän­ digkeit der Gotteserkenntnis gegenüber dem anthropologischen Aspekt der Religion nun keine Rede mehr sein konnte. Die Diskussion mußte sich viel­ mehr nun auf die Frage konzentrieren, ob es über die bloße Möglichkeit einer übernatürlichen Offenbarung hinaus ein berechtigtes religiöses Bedürfnis für den Menschen gebe, eine solche Offenbarung tatsächlich anzunehmen. Schleiermachers Reden „Über die Religion“ haben in dieser Situation die Selbständigkeit der Religion neu begründet. Ihre Unabhängigkeit von Meta­ physik und Moralphilosophie war nun nicht mehr eine Selbständigkeit, die sich der Autorität der Wahrheit Gottes verdankt, sondern eine solche auf dem Boden der Anthropologie, mit dem Anspruch auf „eine eigne Provinz im Gemüte“24. Der Gottesgedanke erscheint nun als ein Produkt der Reli­ gion, und zwar als eine Anschauung, die nicht notwendigerweise zur Reli­ gion gehört25. Später hat Schleiermacher den Zusammenhang von Religion (oder, wie es nun heißt: Frömmigkeit) und Gottesgedanken enger gefaßt. Seiner Glaubenslehre zufolge ist das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit zwar für sich gegeben, nicht etwa als Wirkung des Glaubens an Gott, aber die Gottesvorstellung wird doch umgekehrt als „unmittelbarste Reflexion“ auf das Abhängigkeitsgefühl aufgefaßt, ist also auf das engste mit ihm ver­ bunden26. Sie bringt das in diesem Gefühl implizierte „Wovon“ der Ab­ hängigkeit zu ausdrücklichem Bewußtsein. In der Glaubenslehre wie in den Reden gilt aber das Gottesbewußtsein als Ausdruck der Religion oder Frömmigkeit, nicht umgekehrt diese als Folge der Gotteserkenntnis. Die dem Gottesgedanken für das Verständnis der Religion zukommende Funktion ist in der Folgezeit strittig geblieben. Die einen erblickten in ihm den Ausgangspunkt für das Verständnis der Religion, die anderen suchten, ohne den sachlichen Primat des Gottesgedankens für das religiöse Bewußt­ sein selbst zu bestreiten, seinen psychologischen Ursprung aus dem religiö­ sen Bewußtsein nachzuweisen. Im ganzen hat sich jedoch der von Hegel und der spekulativen Theologie, etwa von Alois E. Biedermann gegen Carl Schwarz und Otto Pfleiderer27, verfochtene Vorrang des Gottesgedankens für das religiöse Bewußtsein durchgesetzt. So hat namentlich Isaak August

24

Über die Religion, 1799, 37. Ebd. 123 ff., bes. 128 ff. 26 F. Schleiermacher: Der christliche Glaube (1821) 2. Ausg. 1830, §4,4. 27 Siehe dazu R. Leuze: Theologie und Religionsgeschichte. Der Weg Otto Pfleiderers, München 1980, 180 ff., zu C. Schwarz ebd. 62 f. In seiner „Religionsphilosophie auf geschichtli­ cher Grundlage“ 1878, hat Pfleiderer versucht, dieser Kritik Rechnung zu tragen (185 ff. bes. 188). Von Hegel vgl.: Vorlesungen über die Philosophie der Religion III (hg. G. Lasson) PhB 25

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Dorner die grundlegende Bedeutung des Wissens von Gott für die religiöse Gewißheit des Glaubens herausgearbeitet28. Aber auch Ernst Troeltschs frü­ he Ausführungen zur Religionspsychologie als der für die „Selbständigkeit der Religion“ und für ihren Wahrheitsanspruch entscheidenden und für die Behandlung der Religionsgeschichte grundlegenden Instanz führten ihn zur These, daß der „Gottesvorstellung“ die Priorität in der Religion gebühre29. Dennoch bewegte sich diese ganze Argumentation nun auf dem Boden der Grundauffassung von der Religion als eines zur Natur des Menschen gehöri­ gen Phänomens30. Die anthropologische Basis bildete das sichere Funda­ ment, auf dem der Rang der Gottesvorstellung für das Phänomen der Reli­ gion allererst zu erweisen war. Es ist verständlich, daß Karl Barth gegen dieses ganze Verfahren, „die Wirklichkeit Gottes der Wirklichkeit der Religion methodisch unterzuord­ nen“, leidenschaftlich protestiert hat, weil damit die Wirklichkeit Gottes „ir­ reparabel“ preisgegeben werde31. In der Tat geht nicht nur der christliche Glaube, sondern auch das religiöse Selbstverständnis anderer Religionen vom Primat der göttlichen Wirklichkeit und ihrer Selbstbekundung vor aller menschlichen Gottesverehrung aus. Das wird nicht zuletzt durch die antiken Ausgangspunkte der Geschichte des Religionsbegriffs selbst belegt. Der Sachverhalt ist aber auch von Theologen des 19. Jahrhunderts wie Ernst Troeltsch gesehen worden. Barths Urteil ist in diesem für ihn entscheidenden 63, 1966, 5 sowie Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften, 3. Aufl. 1830 (PhB 33) §564. 28 I.A. Dorner: System der Christlichen Glaubenslehre I (1879) 2. Aufl. 1886, 157, 162 unter Berufung auf Liebner, Rothe und Martensen, sowie mit ausdrücklicher Kritik an Schleierma­ cher (160 f.), aber auch an der Erweckungstheologie und dem Erlanger Subjektivismus, sowie besonders an Lipsius (24 f.). Allerdings hat auch Lipsius die grundlegende Bedeutung der Got­ tesvorstellung für das religiöse Bewußtsein stärker als Schleiermacher betont (vgl. Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik (1876) 2. Aufl. Braunschweig 1879, 39 und 42 f. (§43 und §49)). 29 E. Troeltsch: Die Selbständigkeit der Religion, in: ZThK 5, 1895, 361–436, bes. 382 und 396 f., vgl. 370 zur Funktion der Religionspsychologie und ihrem Verhältnis zur Religionsge­ schichte. Später hat Troeltsch die hier noch der Religionspsychologie zugeschriebene Entschei­ dung über den „Wahrheitsgehalt“ dieses religiösen Bewußtseins erkenntnistheoretisch zu be­ gründen versucht. Vgl. oben Kap. 2 Anm. 179. 30 Zum gegenwärtigen Diskussionsstand hinsichtlich der „anthropologischen Vermittlung des theologischen Religionsbegriffs“ siehe M. Seckler: Der theologische Begriff der Religion, in: Handbuch der Fundamentaltheologie 1, 1985, 173–194, bes. 186 ff. Für F. Wagner (Was ist Religion? Studien zu ihrem Begriff und Thema in Geschichte und Gegenwart, Gütersloh 1986) ist das die „Grundaporie der Religion“. „Sie kann auf die Gottheit allein so hinweisen, daß sie sich auf das Selbstverständnis des homo religiosus beruft“ (322, vgl. 379, 384 f., 392 f., 442 f., 546, 573 f.). Es handelt sich jedoch nicht um eine Aporie der Religion selber, sondern allenfalls um die „Grundaporie“ der neuzeitlichen Religionstheorien (siehe dazu den folgenden Ab­ schnitt). Das Fehlen dieser Unterscheidung ist ein Hauptmangel des Buches von Wagner. 31 K. Barth: Die Christliche Dogmatik im Entwurf, 1927, 302 f. Auch Barths Ausführungen in KD I/2, §17,1 richten sich entscheidend gegen „die Umkehrung des Verhältnisses von Offen­ barung und Religion“ (318, vgl. schon 309 und 311).

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Punkt den von ihm bekämpften Theologen keineswegs völlig entgegenge­ setzt. Darüber hinaus hat Barth auch darin recht, daß mit dem Primat der Wirklichkeit Gottes und seiner Offenbarung gegenüber der Religion die Gottheit Gottes steht und fällt. Dennoch kann dieser Primat in der durch die Neuzeit heraufgeführten geistigen Situation nicht unvermittelt geltend ge­ macht werden: Wird der Versuch gemacht, das zu tun, so eignet einem sol­ chen Versuch von vornherein der Charakter bloßer subjektiver Behaup­ tungen, mögen diese auch im Namen einer Institution als „kirchliche“ Dog­ matik auftreten. Die Absolutheit derartiger Behauptungen ist dann von in­ haltlich anders bestimmten Fanatismen schwer zu unterscheiden. Um den Primat der Gottheit Gottes gegenüber aller menschlichen Religion in argu­ mentativ stichhaltiger Weise zur Geltung zu bringen, bedarf es einer argu­ mentativen Vermittlung statt des unvermittelten Behauptens. Die „Aufhe­ bung“ der Religion in die Offenbarung Gottes, die Barth im Titel von § 17 der „Kirchlichen Dogmatik“ proklamiert hat, kann nicht schon im Modus dog­ matischer Behauptung und schroffer Entgegensetzung erreicht werden. Es bedarf dazu des argumentativen Sicheinlassens auf die Problemlage, die seit der Aufklärung zur Dominanz des Religionsbegriffs in der Grundlegung der Dogmatik geführt hat. Die Bedingungen ihrer Entstehung, die Auflösung der Inspirationslehre und die Destruktion bzw. anthropologische Reduktion der natürlichen Theologie, sind schon zur Sprache gekommen. Darüber hinaus bedarf es einer Würdigung der Wahrheitsmomente in der neuzeitlichen Do­ minanz des Religionsbegriffs. Diese sind gerade mit der von Barth nur pole­ misch wahrgenommenen Tatsache verbunden, daß seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die Anthropologie der Boden geworden ist, auf dem die Entscheidungen, zumindest aber die Vorentscheidungen über Allge­ meinverbindlichkeit oder pure Subjektivität alles Redens von Gott fallen. Diese Gesamtlage ist auch durch Barth nicht verändert worden. Im Hinblick auf sie kann man es nicht als angemessen gelten lassen, daß Barth den Grund jener mit Recht als problematisch beurteilten „Umkehrung des Verhältnis­ ses von Offenbarung und Religion“ darin fand, daß die protestantische Theologie „schwankend geworden“ sei „hinsichtlich der bei den Re­ formatoren so klaren Erkenntnis und Anerkennung: daß in Jesus Christus ein für allemal und in jeder Hinsicht die Entscheidung gefallen ist über den Menschen…“32. Barth wußte sehr wohl, daß „die neuprotestantischen Theologen (das) auch gesagt“ haben. Doch haben sie auch „damit gerechnet, daß es sich tatsächlich so verhalte“? Barth hat das ohne ausreichenden Grund in Zweifel gezogen. Männer wie Buddeus und Dorner, aber gerade auch Schleiermacher, haben sich mit der ganzen Kraft ihres Denkens dafür eingesetzt, diesen Sachverhalt unter den Bedingungen ihrer Zeit zur Geltung zu bringen. Ihre Lösungsvorschläge mögen kritikbedürftig sein. Aber solche 32

KD I/2,318. Die folgenden Wendungen 318 f.

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Kritik ist doch nur dann überzeugend, wenn sie sich zugleich der Aufgabe stellt, der jene standzuhalten versuchten. Diese Aufgabe lautet: Wie kann die Theologie den Primat Gottes und seiner Offenbarung in Jesus Christus ver­ ständlich und mit dem Anspruch auf Wahrheit geltend machen in einer Zeit, in der nun einmal alles Reden von Gott auf Subjektivität reduziert ist, wie es sowohl die Gesellschaftsgeschichte der Neuzeit als auch das neuzeitliche Schicksal der Gottesbeweise und der philosophischen Theologie zeigen? Bevor in den nächsten Abschnitten der Versuch gemacht wird, die anthro­ pologischen Wahrheitsmomente des Ansatzes der neueren Theologie beim Religionsbegriff zu identifizieren im Interesse ihrer „Aufhebung“ in die Per­ spektive einer am Primat Gottes und seiner Offenbarung orientierten Theo­ logie, muß zunächst noch ein anderer Aspekt jener neuzeitlichen Kon­ zentration auf den Religionsbegriff in den Blick gerückt werden:

b) Der Religionsbegriff, die Pluralität der Religionen und die „Absolutheit“ des Christentums Für die altprotestantische Dogmatik ergab sich aus der Pluralität der Religio­ nen noch kein die Wahrheit des Christentums berührendes Problem. Am Maßstab des inspirierten Gotteswortes der Schrift schieden sich wahre und falsche Religion, und die außerchristlichen Religionen wurden selbst­ verständlich als religiones falsae verbucht. Auch für die Deisten und Antidei­ sten der Frühaufklärung gab es hier noch kein Problem. Als Maßstab der wahren Religion fungierte nun die religio naturalis, und die so oder so be­ gründete Übereinstimmung der christlichen Offenbarungsreligion mit ihr galt als Ausweis für den Wahrheitsanspruch des Christentums. So behandelte etwa Buddeus nach der natürlichen Religion und ihrer Überlieferung von Adam zu den Patriarchen nur kurz ihre Verderbnis in der religio gentilium33, um sich sogleich der Mosaica religio zuzuwenden, an die sich die religio Christ­ iana anschloß. Diese wurde später bei Semler von der mosaischen Religion stärker abgesetzt und als eigenständige Größe behandelt. Sonst gab es auch bei Semler noch kein theologisches Bedürfnis nach einer systematischen Übersicht über die Vielheit der Religionen und nach einer Bestimmung des Ortes, den das Christentum unter ihnen einnimmt. Das änderte sich erst, nachdem Hume die Ursprünglichkeit der positiven Religionen gegenüber der sog. natürlichen Religion, die damit zu einer blassen Abstraktion wurde, plausibel gemacht hatte. Auch dann noch wurde nicht sofort die Notwendig­ keit einer Orientierung über die Welt der Religionen als Vorbedingung für eine Ortsbestimmung des Christentums empfunden. Vielmehr wurde zu­ nächst nur die Funktion der natürlichen Religion als Kriterium für die 33

Buddeus a. a. O. 20 f. (1,1 § 24, vgl. auch § 23).

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Wahrheit des Christentums ersetzt durch die Vernunftreligion im Sinne der praktischen Philosophie Kants. Erst als die Geltung der Vernunftreligion durch den Atheismus des frühen Fichte erschüttert und als philosophische Konstruktion verdächtigt worden war, wurde die Pluralität der Religionen für das Selbstverständnis des Christentums relevant. Das geschah in unter­ schiedlicher Weise bei Schleiermacher und bei Hegel. Bei Schleiermacher konnte die Vernunftreligion schon deshalb nicht mehr als Kriterium für die Wahrheit des Christentums fungieren, weil die Reden „Über die Religion“ deren Selbständigkeit sowohl gegenüber der Moral als auch gegenüber der Metaphysik verfochten. Doch obwohl die fünfte Rede die Individualität der positiven Religionen als die konkrete Wirklichkeit der Religionen sehen lehrte, wurden die Besonderheit und ein etwaiger Vorrang des Christentums unter den übrigen Religionen nicht durch Vergleiche zwi­ schen den Religionen ermittelt, sondern durch Reflexion auf den allge­ meinen Begriff der Religion. Das ist die Perspektive, in der das Christentum als „Religion der Religionen“ dargestellt wurde: Sein besonderer und aus­ drücklicher Inhalt ist das, was den Begriff der Religion überhaupt ausmacht, nämlich die Vermittlung des Endlichen mit dem Unendlichen, und eben dar­ um werden alle anderen Religionen, sowie überhaupt „alles Wirkliche in der Religion“, für das Christentum zum Gegenstand der „Polemik“ (und Mis­ sionierung), sofern es sich dabei um noch unzureichende Formen solcher Vermittlung handelt34. In diesem Verfahren Schleiermachers zur Feststellung einer Sonderstel­ lung des Christentums in der Welt der Religionen liegt insofern eine gewisse Inkonsequenz, als dafür nun doch ein allgemeiner Begriff von Religion maß­ geblich wurde: War dieser aber nicht eher philosophischer als religiöser Natur? Ihn als Kriterium zu gebrauchen, paßte schlecht zur These von der Selbständigkeit der Religion. Vielleicht ist das der Grund oder einer der Gründe dafür, daß Schleiermacher später einen anderen Weg zur Bestim­ mung der Stellung des Christentums in der Welt der Religionen eingeschla­ gen hat. Die Glaubenslehre 1821 skizziert das Verfahren einer vergleichen­ den Untersuchung und Einordnung der einzelnen Religionen im Rahmen ei­ ner allgemeinen Systematik der Religionen. Darin gehört das Christentum zur Gruppe der monotheistischen Religionen und unter diesen wieder – zu­ sammen mit dem Judentum – zum ethisch geprägten („teleologischen“) Re­ ligionstyp. Die spezifische Differenz zum Judentum ergibt sich sodann aus der Beziehung auf Jesus von Nazareth als Erlöser35. Auch bei diesem 34 F. Schleiermacher: Über die Religion, 1799, 310 („Religion der Religionen“), 301 („die große Idee…daß alles Endliche höherer Vermittlungen bedarf, um mit der Gottheit zusam­ menzuhängen“), 291 ff., bes. 294 f. (polemischer Charakter des Christentums). 35 Ders.: Der christliche Glaube (1821) 2. Ausg. 1830, §11, sowie überhaupt § 7-§ 14. Die Differenz zum Judentum findet §8,4 in der auf das jüdische Volk („den Abrahamischen Stamm“) beschränkten Erwählungsvorstellung, worin „eine Verwandtschaft mit dem Fetischis­

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Verfahren kommt allerdings der Rahmenvorstellung der Religionssystema­ tik, dem Gedanken einer Entwicklung von einem verworrenen zu einem vielfältig geteilten Bewußtsein (Polytheismus) und von da zur Einheit des Monotheismus, maßgebliche Bedeutung zu in Verbindung mit der Unter­ scheidung von ethisch und ästhetisch geprägten Glaubensweisen. Sollte diese faktisch dominierende Rolle des allgemeinen Begriffs der Religion bei der vergleichenden Betrachtung der Welt der Religionen nicht doch grundsätzlicher bedacht werden? Hegel ging bei der Bestimmung der Besonderheit des Christentums und seiner Wahrheit im Kreise der übrigen Religionen ganz programmatisch vom Begriff der Religion aus, indem er die Vielheit der Religionen als Ge­ schichte der Realisierung ihres Begriffs auffaßte. Dabei hat Hegel anders als Kant nicht nur die abstrakte Vorstellung einer Vernunftreligion an die kon­ kreten Religionen als Maßstab ihrer Beurteilung herangetragen. Vielmehr forderte er vom Begriff einer Sache den Nachweis seiner Angemessenheit an die zu begreifende Realität. So ergab sich auch für ihn die Notwendigkeit ei­ ner systematischen Übersicht über die Gesamtheit der Religionen. Erst eine solche Darstellung, der Nachweis seiner Realität, rechtfertigt den allgemei­ nen Begriff der Religion. Das Christentum wird in Hegels Religionsphiloso­ phie dann allerdings ähnlich wie in der 5. Rede Schleiermachers als die voll­ endete Realisierung dieses allgemeinen Begriffs der Religion bestimmt, als „offenbare Religion“, in der das Wesen der Religion überhaupt „offenbar“, nämlich Inhalt des religiösen Bewußtseins ist36. Aber dieser Gedanke hat im Rahmen der Religionsphilosophie Hegels nun doch eine andere Funktion als in der 5. Rede Schleiermachers; denn bei Hegel sind zuvor alle anderen Religionen als Realisierungen einzelner Züge oder Momente des Begriffs der Religion dargestellt worden, als einseitige Realisierungen dieses Begriffs, der nun im Christentum seine vollständige, abschließende Darstellung findet. Die Bemühungen Schleiermachers und Hegels um eine Systematik der Religionen als Bedingung der Urteilsbildung über Eigenart und Wahrheits­ anspruch des Christentums haben in der Theologie des 19. Jahrhunderts nur teilweise Nachfolge gefunden. Soweit die evangelische Theologie glauben konnte, die durch die historische Kritik in Frage gestellte Autorität der Schrift durch Berufung auf die subjektive Glaubenserfahrung für das gläubi­ ge Subjekt wiederherstellen und sodann die allgemeine Berechtigung dieser subjektiven Gewißheit durch den Zusammenhang der Glaubenserfahrung mit der moralischen Lebensproblematik nachweisen zu können, bedurfte es mus“ liege. Demgegenüber und gegenüber dem „starken sinnlichen Gehalt“ der islamischen Glaubensvorstellungen erweise sich das Christentum als „die reinste in der Geschichte hervor­ getretene Gestaltung des Monotheismus“. 36 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion III, hg. G. Lasson PhB 63, 1966, 5 und 19 ff.

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keiner religionsvergleichenden Erwägungen. Aber konnten die Inhalte der überlieferten christlichen Lehre wirklich aus der Bekehrungserfahrung als deren Bedingungen erhoben und gerechtfertigt werden? Ließ sich umge­ kehrt die Erweckungsfrömmigkeit oder eine ihrer Varianten als spezifische Wirkung der geschichtlichen Gestalt Jesu von Nazareth dartun? Wer die Überzeugung von der Wahrheit des christlichen Glaubens jedenfalls nicht allein auf die Grundlage der Bekehrungserfahrung bauen mochte, der be­ durfte zumindest zusätzlich einer Reflexion auf die historische Gestalt Jesu und seiner Botschaft sowie auf den Ort der Christusbotschaft unter den übrigen Religionen der Menschheit. Die Wahrheit des Christentums als Re­ ligion wurde dabei durch die Darlegung seiner „Absolutheit“ gegenüber den anderen Religionen nachgewiesen. In diesem Verfahren steckte immer noch etwas von den früheren Bemühungen der Theologie um den Nachweis der einzigartigen Übereinstimmung des Christentums mit der religio naturalis. Nur erforderte die Ersetzung der religio naturalis durch den Begriff der Re­ ligion den Nachweis, daß dieser Begriff auch Realität hat, die Realität der Religionen wirklich umgreift. Gelang dieser Nachweis, dann konnte die Übereinstimmung des Christentums mit dem Begriff der Religion als dessen vollendete Realisierung ausgelegt werden, die über den bloßen Begriff in ähnlicher Weise hinausgeht, wie das früher für die offenbarte im Unter­ schied zur natürlichen Religion in Anspruch genommen worden war. Es sind vor allem die Theologen der spekulativen und der aus ihr hervorgegangenen liberalen Richtung gewesen, die sich immer wieder um den Nachweis der Vollkommenheit oder „Absolutheit“ des Christentums als Religion im Kreise der übrigen Religionen bemüht haben. Dabei ist die Forschung zu den außerchristlichen Religionen wohl am eingehendsten von Otto Pfleiderer berücksichtigt worden, dessen Arbeiten auch wiederum bei den Religionswissenschaftlern seiner Zeit Beachtung fanden. In der Ent­ wicklung von Pfleiderers Denken treten auch die aus dem Verhältnis von all­ gemeinem Religionsbegriff und Verschiedenartigkeit der einzelnen Religio­ nen sich ergebenden Probleme besonders eindrücklich hervor37. In seinem Erstlingswerk 1869 war Pfleiderer noch der Meinung, den Gang der Re­ ligionsgeschichte aus einem allgemeinen Begriff des Wesens der Religion ableiten zu können, jedenfalls in seinen Grundzügen38. Im Anschluß an Carl Schwarz un­ terschied er, ähnlich wie gleichzeitig Alois E. Biedermann, eine psychologische von einer metaphysischen Beschreibung des Wesens der Religion: Die psycholo­ gische Beschreibung sollte den Ursprung des religiösen Bewußtseins beim Men­ schen, die metaphysische Beschreibung den Grund der Religion in Gott und seiner 37

Vgl. dazu die oben Anm. 27 genannte Darstellung von R. Leuze. O. Pfleiderer: Die Religion, ihr Wesen und ihre Geschichte, Bd. 2: Die Geschichte der Re­ ligion, Leipzig 1869, 40 ff., 54 ff. Vgl. auch R. H. Lipsius: Lehrbuch der evangelisch-prote­ stantischen Dogmatik (1876), 2. Aufl. Braunschweig 1879, 97 (§120). Vorangegangen war C. Schwarz: Das Wesen der Religion, Halle 1847. 38

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Offenbarung behandeln39. Die Voranstellung einer Religionspsychologie wurde einerseits durch die psychologische Religionskritik Feuerbachs veranlaßt40 und gab andererseits der liberalen Theologie das Bewußtsein der Überlegenheit über eine nur aus Begriffen konstruierende Religionsphilosophie41. Allein diese Psycho­ logie war selber eine begriffliche Konstruktion, wenn auch eine solche der Natur des Menschen, nicht des Absoluten. Daher war denn auch ihre Ergänzung durch eine metaphysische (oder dogmatische) Erörterung des Wesens der Religion nötig, weil aus dem anthropologischen Ursprung der Religion noch nicht die Realität Gottes als ihres Gegenstandes abzuleiten war. Hinsichtlich des Verhältnisses von theologischer und metaphysischer Beschrei­ bung der Religion bestand nun aber eine sehr bezeichnende Unsicherheit, die zu­ gleich ein Licht auf das problematische Verhältnis von allgemeinem Religionsbe­ griff und konkreter Mannigfaltigkeit geschichtlicher Religion wirft: Nach Bieder­ mann muß schon die psychologische Beschreibung die Religion als „persönliche Erhebung des menschlichen Ich zu Gott“ kennzeichnen, und die metaphysische Reflexion bestätigt oder sichert nur, daß der Grund dieser menschlichen Erhebung in der Realität eines vom Menschen verschiedenen Absoluten liegt42. Nach Pfleide­ rer (und Lipsius) hingegen hat die Religionspsychologie vor allem die in der Natur des Selbstbewußtseins vorhandene Spannung zwischen Abhängigkeit (als Natur­ wesen) und Freiheit des Menschen zu beschreiben, deren Lösung dann der Gottes­ gedanke bildet43. Auch Pfleiderer und Lipsius glaubten aber, daß die Idee des Gött­ lichen allen Religionen gemeinsam ist, und dabei wird dieses Göttliche schon als einheitliche Realität unterstellt44, so daß der Unterschied zu Biedermann geringer ist als es auf den ersten Blick scheint. In der Tat kann nur die monotheistische Got­ tesidee – genauer gesagt: die christliche (im Sinne Pfleiderers), – als Grund der Ver­ einigung von Abhängigkeit und Freiheit begriffen werden. Insofern setzt der „psy­ chologische“ Allgemeinbegriff der Religion bei Pfleiderer (und Lipsius) schon eine ganz bestimmte Religion und ihr Gottesverständnis als Norm voraus, nämlich das christliche bzw. dasjenige der deutschen evangelischen Theologie nach Schlei­ ermacher und Hegel in ihrem Bestreben, die Grundbestimmungen der Religions­ begriffe dieser beiden Denker miteinander zu verknüpfen. Es ist dann nicht mehr sonderlich überraschend, daß die auf einen solchen Religionsbegriff begründete 39 O. Pfleiderer im ersten Band des zit. Werkes: Das Wesen der Religion, 1869, 3 f., vgl. die Durchführung 5–158, bes. 68 ff., sowie 159–410, bes. 159 ff. A.E. Biedermann: Christliche Dog­ matik I (1869), 2. Aufl. 1884, § 69 ff. (S. 193–242) und §81 ff. (243–327). Beim inneren Wesen der Religion wird nochmals zwischen dem metaphysischen Grund in Gott (§81–104) und der gött­ lichen Offenbarung (§ 105–117) unterschieden. Lipsius hingegen stellte der psychologischen Beschreibung der Religion sogleich die „dogmatische“ gegenüber (a. a. O. 41 ff.), sah die objek­ tive Begründung der Religion in Gott und seiner Offenbarung also nur auf dem Standpunkt des Glaubens gegeben. 40 Lipsius a. a. O. §32, wo mit Recht darauf hingewiesen wird, daß der Sache nach auch A. Ritschl ähnlich argumentierte, indem er die Religion als Bedingung für die innere Selbstän­ digkeit des Menschen gegenüber der Naturwelt darstelle. Vgl. auch R. H. Lipsius: Dogmatische Beiträge zur Vertheidigung und Erläuterung meines Lehrbuchs, Leipzig 1878,11 f. 41 O. Pfleiderer Bd. 2,29 gegen Hegel, sowie S. 40 gegen Schelling. 42 A. E. Biedermann a. a. O. § 69 (193) und § 83 (243 f.). 43 Vgl. Lipsius § 18 mit Pfleiderers Ausführungen Bd. 1, 68 ff. 44 Lipsius §23 (27), Pfleiderer Bd. 1,159 f.

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Einteilung und Darstellung der Religionsgeschichte zum Ergebnis der Absolut­ heit des Christentums führt45. In seiner späteren Darstellung der Religionsphilosophie hat Pfleiderer das Ei­ gengewicht der empirischen Religionsforschung zunehmend betont, bis dahin, daß er in der dritten Auflage dieses Werkes (1896) das „Wesen“ der Religion erst nach Darstellung ihrer geschichtlichen Entwicklung behandelte. Dabei heißt es, das Wesen der Religion gehöre „zu den Thatsachen der inneren Erfahrung, den Vorgängen und Zuständen des Seelenlebens, die wir zunächst durch eigenes Erle­ ben und weiterhin durch Nachempfinden des von Andern Erlebten kennen“, so daß für seine Aufhellung die psychologische Analyse zuständig sei. Die zuvor dar­ gestellte religionsgeschichtliche Entwicklung scheint also für den Wesensbegriff der Religion keine konstitutive Bedeutung zu haben46. Das wird vollends deutlich daraus, daß Pfleiderers Auffassung vom „Vernunftursprung“ der Gottesidee in der Notwendigkeit der Annahme eines Einheitsgrundes über dem Gegensatz von Ich und Welt sich seit der ersten Auflage des Werkes, in der sie der Darstellung des religionsgeschichtlichen Stoffes vorangestellt war, nicht geändert hat47. Ande­ rerseits hatte Pfleiderer auch damals (1878) schon darauf verzichtet, den allgemei­ nen Wesensbegriff der Religion als bestimmendes Prinzip für die Darstellung der Religionsgeschichte zu verwenden48. Dennoch hatte er diese und vor allem die Entwicklung der Gottesvorstellung auf den durch Max Müller und Paul Asmus angeregten Gedanken einer Zusammenfassung des arischen (durch Indien, Iran und Griechenland repräsentierten) und des semitischen Religionstyps im Chri­ stentum hin angelegt49. Der psychologische Wesensbegriff der Religion und die nun an der empirischen Religionsforschung orientierte50 Darstellung der Re­ ligionsgeschichte sind also unabhängig voneinander begründet, aber auf Kon­ vergenz angelegt. Insofern gilt auch für Pfleiderers späte Religionsphilosophie noch, was Biedermann ihm kritisch entgegenhielt, daß nämlich niemand an die Re­ ligionsgeschichte herangeht, ohne sich zuvor schon eine Meinung über Wesen und Wahrheit der Religion gebildet zu haben51. Die Argumentation Pfleiderers hat nur an Differenziertheit gewonnen. Das umgekehrte Problem jedoch, das darin 45 Pfleiderer Bd. 2, 488. Die von R. Leuze a. a. O. 173 ff. vorgetragene Kritik verweist auf die durch M. Müller bestimmte Vorstellung einer hochgottgläubigen Urreligion, deren Einfluß zur Quelle einer Unstimmigkeit in Pfleiderers Darstellung des Gangs der Religionsgeschichte ge­ worden ist (vgl. auch ebd. 56 ff.), aber auch zur Erklärung des oben bezeichneten Sachverhalts beitragen mag. Die bei Leuze a. a. O. 174 behauptete Spannung zwischen psychologischer und ontologischer Konzeption des Verhältnisses von Freiheit und Abhängigkeit dürfte dagegen auf dem Boden einer metaphysischen Psychologie so nicht bestehen. 46 O. Pfleiderer: Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage, 3. Aufl. 1896, 326 f. Vgl. die Kritik von R. Leuze a. a. O. 380 f. 47 Pfleiderer a. a. O. 340 f. Zu Pfleiderers Religionsbegriff in der ersten Auflage des Werkes vgl. Leuze 185 f. 48 Leuze 25, 299. Das veranlaßte, wie Leuze 301 ff. zeigt, die Kritik Biedermanns. 49 Leuze 260–262, 270 f. Diese Sicht liegt auch in der dritten Auflage noch zugrunde. 50 Die umfassende Verarbeitung der zeitgenössischen religionsgeschichtlichen Forschung durch Pfleiderer wird durch R. Leuze 188–247 und 260 ff. eindrucksvoll belegt. 51 A.E. Biedermann: Pfleiderers Religionsphilosophie, in: Protestantische Kirchenzeitung Berlin 1878, bes. 1103. Vgl. Leuze 302. Die implizite Systematik der Konvergenz von Religions­ psychologie und Religionsgeschichte in der Religionsphilosophie Pfleiderers ist von Leuze,

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besteht, daß der allgemeine Religionsbegriff schon den Standpunkt einer bestimm­ ten Religion, nämlich im Falle Pfleiderers den des Christentums, voraussetzt, blieb auch jetzt ungelöst52.

Die Auffassung des Ganges der Religionsgeschichte und der Wahrheit des Christentums als Realisierung eines allgemeinen Begriffs von Religion ist von Ernst Troeltsch 1902 einer definitiven Kritik unterzogen worden, vor allem wegen der Unableitbarkeit des geschichtlich Einmaligen und Indivi­ duellen aus allgemeinen Begriffen53. Zwar gebe es, meinte Troeltsch, durch­ aus Allgemeingültigkeit in der Geschichte, aber dabei handle es sich um die aus der Idealbildung des menschlichen Geistes entstehenden Werte und Normen, die selber einen geschichtlichen Ursprung haben und deren Gel­ tungsbereich Gegenstand geschichtlicher Konflikte ist54. Wegen der Gleich­ artigkeit des menschlichen Geistes bei allen Individuen richten sich die ver­ schiedenen Wertbildungen zwar auf gemeinsame Inhalte und Ziele, geraten aber deshalb als verschiedene notwendig in Konflikt, so daß kein absolut endgültiges Ergebnis erreicht wird, solange die Geschichte weitergeht55. Das Neue an der Sicht der Religionsgeschichte bei Troeltsch war nicht so sehr die Ablehnung der Absolutheitsthese und der Konstruktion des Ganges der Geschichte aus dem Begriff: Denn in diesen beiden Punkten hat Pfleiderer in seiner letzten Arbeitsphase die Auffassungen von Troeltsch vorbereitet bzw. sogar vorweggenommen. Neu war dagegen die dominierende Bedeu­ tung, die Troeltsch der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen, ge­ schichtlich entstandenen Normen und Werten im Ringen um Allgemein­ gültigkeit zuwies. Daraus ergab sich von selbst das Bild eines offenen Prozes­ ses, obwohl Troeltsch durchaus auch selber die These einer Höchstgeltung des Christentums in der gegenwärtigen religiösen Weltsituation vertrat56. Am schwächsten blieben dagegen Troeltschs Ausführungen über das We­ sen der Religion im Rahmen der Annahme einer psychischen „Grundfunk­ tion“ der Bildung „ideale(r) Wertgefühle“, deren „den Geist erhebenden und besonders im Hinblick auf die dritte Auflage des Werkes, leider nicht ausreichend gewürdigt worden. 52 Vgl. Anm. 44 f. Der Sachverhalt ist später von G. Wobbermin als „religionspsychologi­ scher Zirkel“ gekennzeichnet worden (Die religionspsychologische Methode in Religionswis­ senschaft und Theologie, Leipzig 1913, 405 ff.). Indem Wobbermin diesen Zirkel als unver­ meidlich bezeichnete, hat er allerdings dem Subjektivismus Tür und Tor geöffnet. 53 E.Troeltsch: Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, Tübingen (1902) 2. Aufl. 1912, 25–41. 54 Ebd. 27, vgl. 54 ff. bes. 57 f. 55 Zur Gleichartigkeit der Inhalte und Ziele siehe ebd. 56 f., 60 sowie (in Anwendung auf die Religionsthematik) 68 ff. Vgl. auch E. Troeltsch: Geschichte und Metaphysik, ZThK 8, 1898, 1– 69 bes. 40. Zur Geschichtstranszendenz des Absoluten vgl. in der Absolutheitsschrift 57 f., 69 f., 80, auch 98 ff. 56 Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte, 89 f., vgl. Geschichte und Metaphysik, ZThK 8, 1898, 35.

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leitenden Macht“ der Mensch sich hingebe und unter denen die Religion die „Beziehung auf eine unendliche oder nach Maßgabe unseres Verständnisses unendliche Macht“ zum Inhalt habe, „in welcher Beziehung immer der praktische Charakter der Religion als Streben nach einem höchsten Gut un­ ausrottbar mitgesetzt ist“57. Troeltsch glaubte 1895 noch, daß in diesem psy­ chologischen „Urdatum“ zugleich auch die Gewähr für die Wahrheit des re­ ligiösen Bewußtseins als Gottesbewußtsein liege58. Später hat Troeltsch ein­ gesehen, daß bloße Psychologie die Beweislast dafür nicht tragen kann, und hat sie zu diesem Zweck durch die transzendentalphilosophische These einer apriorischen Anlage zur Religion ergänzt59. Zuletzt neigte er wieder zuneh­ mend zu der Annahme, daß eine metaphysische Grundlegung dafür doch unentbehrlich sei. Pfleiderer und Biedermann hatten längst die Not­ wendigkeit einer Ergänzung der psychologischen durch eine metaphysische Beschreibung des Wesens der Religion dargetan. Außerdem finden Pfleide­ rers (und Lipsius’) Einsichten in den inneren Zusammenhang des individuel­ len religiösen Bewußtseins mit dem Weltbewußtsein und dem System der Gesellschaft bei Troeltsch kein Gegenstück. Aber auch die psychologische Beschreibung selbst ist bei Pfleiderer, namentlich in seinem Erstlingswerk, erheblich differenzierter durchgeführt worden als bei Troeltsch. Zwar hat Troeltsch von Anfang an das religiöse Bewußtsein als Bewußtsein von einer den Menschen erhebenden, „unendlichen“ Macht beschrieben. Aber er hat diese Macht wie selbstverständlich als eine einzige aufgefaßt und sich noch 1912 darüber gewundert, daß William James in der Psychologie der religiö­ sen Erfahrung eher polytheistische als monotheistische Züge fand60. Das Problem der Bedingtheit der Formulierung des Wesensbegriffs der Religion durch einen dabei schon vorausgesetzten Standort in einer be­ stimmten geschichtlichen Religion ist also auch bei Troeltsch nicht gelöst worden. Die Erörterung dieses Problems wird die Notwendigkeit einer Un­ terscheidung zwischen anthropologischer Basis und konkreter Religion er­ geben. Diese Unterscheidung wird an der Frage nach dem Verhältnis der Re­ ligion zur Wirklichkeit Gottes und der Götter orientiert sein. Daran wird sich die Frage nach der theologischen Relevanz der Religionsgeschichte an­ schließen. 57 E. Troeltsch: Die Selbständigkeit der Religion, in: ZThK 5,1895, 361–436, bes. 390 f., 392 und 396. Die Absolutheitsschrift führt in dieser Frage nicht weiter (vgl. nur 2. Aufl. 56 f.). Später hat Troeltsch die wertpsychologische Terminologie zurückgestellt und nur von einer „Selbstbe­ ziehung auf ein in der Seele gegenwärtiges Absolutes“ als „Kern der religiösen Phänomene“ ge­ sprochen (Ges. Schriften II, 1922, 370). 58 ZThK 5,1895,406 f. 59 E. Troeltsch: Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft, 1905. Vgl. dazu oben 129 Anm. 179. 60 Empirismus und Platonismus in der Religionsphilosophie, in: Ges. Schriften II, 364–385, bes. 380.

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2. Das anthropologische und das theologische Wesen der Religion Die Einheit der religiösen Thematik trotz aller Verschiedenheit der Göt­ tergestalten und Kulte wurde in der frühen Neuzeit durch die Annahme ei­ ner religio naturalis ausgedrückt. Die Religionen der Völker erschienen als unterschiedliche Gestalten einer Depravation dieses einheitlichen, mit der Vorstellung eines Urzustandes der Menschheit verbundenen Ursprungs der Religion, die Christusoffenbarung galt als dessen gereinigte Wiederherstel­ lung. Diese Auffassung wurde hinfällig durch die an der Schwelle zur Mo­ derne aufkommende Überzeugung, daß die ursprüngliche und konkrete Wirklichkeit der Religion nicht in einer allgemein menschlichen, natürlichen Religion, sondern in den positiven, geschichtlichen Religionen der Völker zu suchen ist. Als gemeinsames Band dieser Mannigfaltigkeit blieb nur der All­ gemeinbegriff der Religion, der Begriff ihres gemeinsamen „Wesens“. Das Gemeinsame der Religion geht nun nicht mehr, wie einst in Gestalt der „na­ türlichen Religion“, der geschichtlichen Mannigfaltigkeit von Religionen real voraus, es ist auch nicht mehr als „Vernunftreligion“ transzendentaler Ursprung jener empirischen Mannigfaltigkeit, sondern findet sich nur in und an der konkreten Mannigfaltigkeit der Religionen. Dennoch erlaubt allein ein solcher Wesensbegriff61 es, von „der“ Religion als einem einheitlichen 61 In Ermangelung einer allgemein anerkannten, einheitlichen Definition von „Religion“ hat man vorgeschlagen, sich damit zu begnügen, eine „Familienähnlichkeit“ der als religiös zu be­ zeichnenden Erscheinungen festzustellen (so A.Jeffner: The Study of Religious Language, Lon­ don (SCM) 1972, 9). Das reicht jedoch nicht aus, um den Gebrauch des Religionsbegriffs für alle diese Erscheinungen zu rechtfertigen. Dazu ist es nötig, das in den Ähnlichkeiten sich bekun­ dende Gemeinsame zu benennen. Entsprechendes gilt für die Beschränkung auf eine Zusam­ menstellung von „Wesenszügen“ (W.Trillhaas: Religionsphilosophie, Berlin 1972, 30 ff.). Sol­ che Wesenszüge können nur dann als Wesenszüge der Religion gelten, wenn sie sich als zu de­ ren Wesensbegriff gehörig nachweisen lassen. Auch der Rückgang auf „Situationen“ religiöser Erfahrung (I.T. Ramsey: Religious Language. An Empirical Placing of Theological Phrases (1957), Macmillan Paperback 129,15 ff.) kann einen einheitlichen Begriff von Religion nicht er­ setzen, was übrigens auch gar nicht Ramsey’s Absicht war, setzt ihn vielmehr schon voraus als Kriterium der Abgrenzung solcher Situationen von anderen. Nur im Sinne der Hinführung auf eine Bestimmung des Religionsbegriffs kann man von solchen Situationen ausgehen. Die Ab­ grenzung geschieht bei Ramsey durch das Motiv der „disclosure“ (26 ff.). Aber gerade die von Ramsey angeführten nichtreligiösen Beispiele von „disclosure“ lassen es als zweifelhaft erschei­ nen, ob dieses Motiv als Abgrenzungskriterium für religiöse Situationen von anderen derartigen Situationen ausreicht. Das spezifisch Religiöse wird erst mit der Beschreibung des der „disclo­ sure“ antwortenden Engagements als eines „total commitment“ (31) erreicht, wird aber dabei nur anthropologisch bestimmt. Die Erläuterung, das religiöse Engagement sei als „a total com­ mitment to the whole universe“ zu verstehen (41), erinnert zwar an Schleiermachers Begriff des Universums, bleibt aber zu unspezifisch als Gegenstandsbestimmung des als „religiös“ zu be­ zeichnenden Verhaltens. Die Bedeutung des allgemeinen Religionsbegriffs für religiöse Wahr­ heitsansprüche auf humane Allgemeingültigkeit hat F. Wagner: Was ist Religion?, 1986, 16, 19 f., 24, 335 f. mit Recht betont.

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Phänomen zu sprechen und die geschichtliche Mannigfaltigkeit von religiö­ sen Erscheinungen als solche, als religiös zu identifizieren, indem sie als Er­ scheinungen eines gemeinsamen Wesens von Religion auf gefaßt werden. So hat Schleiermacher in der zweiten seiner Reden „Über die Religion“ 1799 vom „Wesen der Religion“ als dem gemeinsamen Grunde der Mannig­ faltigkeit der religiösen Erscheinungen gehandelt. Sie alle beruhen auf An­ schauungen und Gefühlen des „Universums“. Der Wesensbegriff der Reli­ gion wurde mit dieser Beschreibung von der Bindung an den Gottesgedan­ ken gelöst62. Gott galt den „Reden“ nur noch als eine religiöse Anschauung unter anderen. Das entsprach der Aufgabe, den Religionsbegriff als Allge­ meinbegriff zu formulieren, der das Gemeinsame nicht nur der monotheisti­ schen Religionen, sondern auch das diese mit den nicht monotheistischen Religionen als Religionen Verbindende bezeichnen sollte. Diese Aufgabe beschäftigt die Diskussionen über den Religionsbegriff bis auf den heutigen Tag. Die Ablösung von der Bindung an den Gottesgedan­ ken ist dabei letztlich der Grund für die unabsehbare Vielfalt von Versuchen, den Begriff der Religion zu bestimmen, weil sie auch den Grund dafür ent­ hält, daß diese Versuche immer wieder als unbefriedigend erscheinen müs­ sen. Zur Begründung für die Notwendigkeit einer Ablösung des Religionsbe­ griffs vom Gottesgedanken wird nicht nur auf die Pluralität der Gottesvor­ stellungen, besonders zwischen monotheistischen und polytheistischen Auffassungen, verwiesen, sondern vor allem auch auf Religionen ohne Gottesvorstellung wie den ursprünglichen Buddhismus63. Das Ergebnis ist dann häufig eine rein anthropologische Bestimmung des Religionsbegriffs, etwa als einer Dimension des menschlichen Lebens – wenn auch als dessen letztgültige (ultimate) Dimension64, als Ausdruck unbedingten Engagements oder umfassender und intensivster Wertung65. Solche rein anthropologischen Bestimmungen des Begriffs der Religion sind sicherlich nicht einfach falsch. Sie beschreiben menschliche Einstellun­ gen und Erlebnisweisen, die in Verbindung mit religiösen Inhalten auftreten. 62 F. Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, 1799, behandelt den Gottesgedanken erst anhangsweise am Schluß des Kapitels über das „We­ sen“ der Religion (123 ff.), sein Auftreten als abhängig von der „Richtung“ der religiösen Phan­ tasie (128 f.). 63 Ein neueres Beispiel für diese Argumentation findet sich bei F. Ferré: Basic Modern Phi­ losophy of Religion, London (Allen & Unwin) 1968, 46. Vgl. auch E. Dürkheim: Die elementa­ ren Formen des religiösen Lebens (1912) dt. 1981, 54 ff. Zur Kritik dieser Argumentation vgl. unten 157 f. 64 F. J. Streng: Understanding Religious Life (1969) 2.ed. 1976, 5 ff. beruft sich auf diese These von P. Tillich (Religion as a Dimension in Man’s Spiritual Life, in: K.C. Kimball (ed): Theology of Culture, Oxford UP 1959) und führt sie weiter zu der These: „Religion is a means of ultimate transformation“ (7). 65 So F. Ferré a. a. O. 69.

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Ähnliches gilt für die sog. „funktionalen“ Bestimmungen des Religionsbe­ griffs, die das Wesen der Religion von ihrer Funktion für die Einheit der Ge­ sellschaft oder Kultur her begreifen als „Kontingenzbewältigung“ oder auch ganz allgemein als Quelle des Selbstbewußtsein oder eines Welt und Gesell­ schaft umgreifenden Sinnbewußtseins des Menschen66. Religion erfüllt in der Tat derartige Funktionen. Die Begründung des individuellen und kultu­ rellen Sinnbewußtseins sowie, eng damit verbunden, der Einheit der sozialen Welt ist in hohem Maße charakteristisch für die geschichtlichen Wirkungen von Religionen. Dennoch benennt eine daran orientierte, funktionale Defi­ nition von Religion noch nicht dasjenige, wovon eine solche Wirkung aus­ geht und allein ausgehen kann. Daher ist mit Recht gefordert worden, über die funktionale Beschreibung hinaus eine inhaltliche (substantive) Bestim­ mung des Religionsbegriffs zu geben67. Schon gegen Schleiermachers Bestimmung der Frömmigkeit als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit hat Rudolf Otto 1917 den Einwand erhoben, es handle sich dabei um ein bloßes „Selbst-Gefühl“, das nur indirekt, vermit­ tels eines Schlusses auf seine Ursache, mit dem Gottesgedanken verbunden sei. Das religiöse Bewußtsein aber richte sich „zuerst und unmittelbar auf ein Objekt außer mir“. Die Bestimmung des Religionsbegriffs durch ein Selbstgefühl sei daher „völlig gegen den seelischen Tatbestand“68. Nur als „nachfolgende Wirkung“, nämlich als „eine Abwertung des erlebenden Sub­ jektes hinsichtlich seiner selbst“, sei mit dem Erleben des Numinosen ein Abhängigkeitsgefühl oder besser Kreaturgefühl verbunden69. Diese Kritik hätte Otto gegen die ursprüngliche Gestalt der Religionstheo­ rie Schleiermachers in seinen „Reden“ so nicht geltend machen können, weil dort das religiöse Gefühl sehr wohl als Wirkung eines anderen „außer mir“ gedacht wird, nämlich als Wirkung des „Universums“, dem ein Handeln auf den Menschen hin zugeschrieben wird, ein Handeln, das Ursache und Ge­ genstand der religiösen Anschauungen und Gefühle ist70. Otto hat denn auch die Religionsauffassung der „Reden“ derjenigen der Glaubenslehre Schleier­ machers entschieden vorgezogen71. Dabei hat er allerdings Schleiermachers Begriff des Universums in seiner Funktion als allgemeine Bezeichnung des 66 Die zuletzt genannte Auffassung hat seit E. Dürkheim vor allem die Religionssoziologie beeinflußt. Sie wird aber auch weit darüber hinaus vertreten und ist so neuerdings von H. Lüb­ be: Religion nach der Aufklärung, Graz etc. 1986, 219–255 gegen Kritiker wie R. Spaemann (Einsprüche. Christliche Reden, Einsiedeln 1977, 51–64) verteidigt worden. 67 P. Berger: The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion, Garden Ci­ ty (Doubleday) 1967, 175–178, bes. 177 f. 68 R. Otto: Das Heilige (1917) Neuaufl. 1947,10. 69 Ebd. 11. Zur Kritik an Schleiermachers Argumentation vgl. auch vom Vf.: Anthropologie 246 Anm. 33. 70 F. Schleiermacher: Über die Religion, 1799, 55 f., vgl. 67. 71 Zur Bedeutung der Religionsauffassung der „Reden“ Schleiermachers für Otto vgl. H.W. Schütte: Religion und Christentum in der Theologie Rudolf Ottos, Berlin 1969,22–33.

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religiösen Gegenstandes durch den des Heiligen ersetzt. Diesen Begriff hatte schon 1915 N. Söderblom als eine im Vergleich zur Gottesvorstellung bessere „Wünschelrute“ zur Entdeckung des Gemeinsamen in der Religion, „von der primitivsten Gesellschaft ab bis in die höchste Kultur“, bezeichnet72. Doch der Begriff des Heiligen teilt mit dem des Universums bei Schleiermacher den Mangel, daß er nicht den konkreten Gegenstand der religiösen Erfahrung, sondern eine allgemeine Sphäre benennt, der jener durch Reflexion zugeord­ net wird. Das geschah bei Otto in der Form der Entgegensetzung zur profa­ nen Welterfahrung, im Sinne des Gegensatzes der religiösen zur naturalisti­ schen Weltansicht73. Schleiermachers „Universum“ hingegen bezeichnete der alltäglichen Welterfahrung gegenüber nicht eine andere Welt, sondern erschloß durch die Erfassung des Endlichen im Zusammenhang des Unendlichen eine tiefe­ re Auffassung der endlichen Wirklichkeit selber, weil das Endliche immer schon „herausgeschnitten“ aus dem Unendlichen ist und daher auch auf es bezogen bleibt74. Die Größe der Religionsauffassung Schleiermachers be­ steht nicht zuletzt darin, daß die Religion und ihr Inhalt nicht etwas Zusätzliches zur sonstigen Wirklichkeit des Menschen und seiner Welt ist, sondern eine tiefere und bewußtere Auffassung dieser einen Lebenswirk­ lichkeit. Die Orientierung des Religionsbegriffs am Heiligen im Gegensatz zum Profanen impliziert demgegenüber einen Dualismus von religiösem und nichtreligiösem Weltverständnis. Doch abgesehen von dieser Differenz teilt Ottos Beschreibung mit Schleiermacher die Substitution des Gegen­ standes religiöser Erfahrung durch eine Reflexion auf die allgemeine Sphäre religiöser Gegenständlichkeit. Auch der noch unbestimmte Gegenstand reli­ giöser Erfahrung ist davon noch zu unterscheiden: Die Erfahrung mag es mit einem Numen zu tun haben, also mit einer in ihrer Eigenart noch unbe­ kannten Größe, aber ihr Gegenstand ist nie „das Numinose“. Die allgemeine Sphäre religiöser Gegenständlichkeit ist angemessen als die religiöse Dimension der Subjektivität des Menschen sowie des ihr korre­ spondierenden Welthorizonts zu beschreiben und gehört daher noch nicht der konkreten religiösen Erfahrung als Betroffenheit durch die begegnende 72 N. Söderblom: Das Werden des Gottesglaubens. Untersuchungen über die Anfänge der Religion, Leipzig (J. C. Hinrichs) 1915, 2. Aufl. 1926, 181. Dürkheim hatte den Begriff des Hei­ ligen bereits 1912 als „caractère commun“ aller religiösen Glaubensinhalte zur „Definition“ des Religionsbegriffs benutzt (Les formes élémentaires de la vie religieuse, Paris 1912, 50 ff.). Schon zuvor hatte W. Windelband den Begriff des Heiligen – freilich noch im Sinne eines Inbegriffs der das logische, ethische und ästhetische Leben bestimmenden Werte und Normen – als Grundbegriff der Religionsphilosophie behandelt (Das Heilige. Skizze zur Religionsphi­ losophie, 1902, in: Präludien 2, Tübingen5 1914, 295–332, bes. 305). 73 Im Gegensatz zum Naturalismus behandelt die religiöse Apologetik nach Otto die Natur als „auf Göttliches weisend und über sich selber hinaus weisend“ (Naturalistische und religiöse Weltansicht, 1904, 3. Aufl. 1929, 280). 74 F. Schleiermacher a. a. O. 53.

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Gottheit an. Dieses Bedenken trifft Otto ebenso wie Schleiermacher. Dabei hat Schleiermachers Beschreibung in der zweiten Rede über die Religion das Fundamentale dieser religiösen Dimension der Subjektivität jedoch genauer getroffen als Ottos Begriff des Heiligen. Dieser setzt ein Bewußtsein der Welt der Profanität schon voraus, das sich von ihr abstößt, um dieser Welt das Heilige entgegenzusetzen. Hält man sich an das Heilige als das funda­ mentale und umfassende Thema der Religion, so kann das religiöse Bewußt­ sein leicht als ein sekundär zum profanen Weltbewußtsein Hinzutretendes erscheinen75. Schleiermachers Begriff des Universums hingegen, sofern die­ ser Ausdruck ein Äquivalent für den Begriff des Unendlichen ist, enthält die Konstitutionsbedingung für das Bewußtsein endlicher Gegenstände und da­ mit auch für das profane Weltbewußtsein selber. Nur weil das profane Welt­ verständnis sich der Bedingtheit endlicher Gegenstände durch ihr „Her­ ausgeschnittensein“, also ihre „Definition“, aus dem Unendlichen nicht be­ wußt ist, tritt das religiöse Bewußtsein dem profanen entgegen. An dieser Stelle findet auch in Schleiermachers Konzept der Religion der Gegensatz des Heiligen zum Profanen seinen Platz, aber als ein abgeleitetes und unterge­ ordnetes Moment. Daher kann Schleiermachers Religionstheorie im Unter­ schied zu der Ottos auch erklären, warum im religiösen Bewußtsein das Hei­ lige als konstitutiv auch für die profane Lebenswirklichkeit des Menschen aufgefaßt wird: Es bringt eben die Wahrheit des Endlichen selber an den Tag, die durch die oberflächliche Orientierung des profanen Weltbewußt­ seins an der Handgreiflichkeit und Nützlichkeit der endlichen Dinge ver­ deckt wird, die Wahrheit nämlich, daß das Endliche nicht in sich selber grün­ det, sondern aus dem Unendlichen und Ganzen „herausgeschnitten“ ist. Das unausdrückliche Gewahrsein des Unendlichen als Bedingung aller Erfassung von Endlichem war das entscheidende Argument der Beweisfüh­ rung von Descartes in der dritten Meditation für die Annahme eines ur­ sprünglichen, jedem Menschen eingeborenen Wissens von Gott gewesen. Wir haben uns klar gemacht, daß die allen anderen Inhalten des Bewußtseins vorgängige Intuition des Unendlichen nur nachträglich, vom expliziten Got­ tesbewußtsein der monotheistischen Religionen her, als ein Wissen von Gott in Anspruch genommen werden kann. Es kann dann zum Beleg dafür wer­ den, daß der Mensch immer schon, in allen Äußerungen seines bewußten Lebens, auf den Gott bezogen ist, den die Religion ihm als seinen Schöpfer 75 Vgl. auch die Kritik von W. Dupre an der Bestimmung des Religionsbegriffs durch den des Heiligen: Religion in Primitive Cultures. A Study in Ethnophilosophy, Mouton etc. 1975, 137 f. Dupre macht dagegen die Tendenz des mythischen Bewußtseins auf Erfassung universa­ ler Sinnzusammenhänge geltend (138). Das Heilige dürfe nicht isoliert werden aus den Bedeutungszusammenhängen, in denen es erfahren wird (139). Es stehe dabei immer in Verbin­ dung mit den „dynamics of culture genesis“ (139 f., vgl. 246 ff. sowie 255 f.). Siehe auch R. Röh­ richt: Zum Problem der religiösen Erfahrung, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesell­ schaft 63, 1974, 289 ff., bes. 292 f.

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verkündet. In sich selber aber handelt es sich, schon weil es der Ausdrück­ lichkeit der Thematisierung entbehrt, noch nicht um ein Gottesbewußtsein, überhaupt noch nicht um ein explizit religiöses Bewußtsein. Zu einem sol­ chen kommt es nach Schleiermacher nun dadurch, daß dem Menschen an ir­ gendeinem endlichen Gegenstand aufgeht, daß dieser das, was er ist, nur im Horizont des Unendlichen ist, nämlich als Einschränkung des Unendlichen durch „Definition“ seiner Besonderheit. Der junge Schleiermacher be­ schrieb das Ereignis solcher Bewußtwerdung als ein „Handeln“ des Unend­ lichen, des Universums, das sich im Bewußtsein des Menschen zur Geltung bringt vermittels des endlichen Gegenstandes, in welchem nun das Unendli­ che „angeschaut“ wird. Der Übergang von der profanen Auffassung des Endlichen zur religiösen läßt sich nämlich nicht mit den Mitteln des profa­ nen Bewußtseins, das selber endlich ist, erklären. Das Inerscheinungtreten des Unendlichen, des „Universums“, im Endlichen muß daher als ein Han­ deln des Universums selbst verstanden werden. Eine der Schwächen der Religionstheorie Schleiermachers von 1799 be­ stand zweifellos darin, daß die für das nunmehr religiös geweckte Bewußt­ sein im endlichen Gegenstand in Erscheinung tretende Wirklichkeit nicht in ihrer spezifisch religiösen Gestalt thematisiert wurde, die sowohl vom endli­ chen Gegenstand, dem Medium ihres Erscheinens, unterschieden ist als auch vom allgemeinen Horizont des Unendlichen bzw. des Universums76. Erst diese vom endlichen Medium unterschiedene, aber in ihm begegnende Ge­ stalt ist der konkrete religiöse Gegenstand, den die neuere Religionswissen­ schaft in seiner Allgemeinheit als „Macht“ bezeichnet hat77. Die bestimmte endliche Gegenstände, aber auch bestimmte Menschen erfüllende „Macht“ wird heute allerdings nicht mehr als selbständiger Zentralgedanke einer „präanimistischen“ Ursprungsphase der Religionsgeschichte behandelt, aus der die Gottesvorstellung sich erst entwickelt hätte, sondern eher als Teil­ aspekt der Gotteserfahrung selber, deren Elemente schon Gerardus v. der 76 Damit dürfte zusammenhängen, daß Schleiermachers Begriff der religiösen Anschauung in der Urfassung der „Reden“ auf verwirrende Weise mehrdeutig bleibt: Erweckt die zweite Re­ de den Eindruck, es handle sich dabei um das einzelne Endliche, das auch Gegenstand der nor­ malen Wahrnehmung ist, nun aber als Medium der Gegenwart des Universums, des Unend­ lichen und Ganzen (bes. 56 ff.) erfahren wird, also um „unmittelbare Wahrnehmung“ (58), so sind die „Anschauungen“, von denen die fünfte Rede handelt, als „Zentralanschauung“ (259 f., vgl. 264 f., 281 ff.) einer einzelnen, positiven Religion, eher allgemeine Vorstellungen wie etwa die „Idee… von einer allgemeinen unmittelbaren Vergeltung“ (287) oder – im Fall des Christen­ tums – „daß alles Endliche höherer Vermittlungen bedarf, um mit der Gottheit zusammenzu­ hängen“ (301). Wie man von der religiösen Anschauung im ersteren Sinn zur letzteren gelangt, hat Schleiermacher nicht aufgeklärt. 77 F. Heiler spricht von der „Umwälzung“, die die moderne Religionswissenschaft „durch die Entdeckung des ‚Macht‘-Begriffs“ erfahren habe (Erscheinungsformen und Wesen der Reli­ gion, Stuttgart 1961, 33). Zur Geschichte des „Machtbegriffs“ in der Religionswissenschaft seit R. R. Marett vgl. W. Dupre: Religion and Primitive Cultures, 1975,46 ff.

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Leeuw in der Formel „Macht und Wille gestaltet im Namen“ zusammenge­ faßt hat78. Die unbekannte Macht wird als „Wille“ erfahren, indem der Mensch sich in bestimmter Weise von ihr betroffen fühlt. Daher gehören die Erfahrungen von Macht und Wille im Ursprung zusammen79. Entgegen der Auffassung der Religion als eines rein anthropologischen Phänomens, als Ausdruck und Schöpfung des menschlichen Bewußtseins, hat die moderne Religionswissenschaft Religion mit Recht als „eine doppel­ seitige Größe“ beschrieben: „sie umfaßt Gottheit und Mensch“, aber so, daß die Gottheit in diesem Verhältnis „als das Zuvorkommende, Schauererre­ gende, absolut Gültige, Unantastbare“ erscheint80. Ähnlich hatte sich schon Rudolf Otto gegen die Reduktion des Religionsbegriffs auf Anthropologie in Schleiermachers Glaubenslehre gewendet. Aber diese Reduktion ist in der re­ ligionswissenschaftlichen Beschreibung offenbar auch dann nicht leicht zu überwinden, wenn das Problem erkannt worden ist. Zwar hat z. B. Nathan Söderblom in seiner Bearbeitung von Tieles Kompendium der Religionsge­ schichte Religion als „die Beziehung zwischen dem Menschen und den über­ menschlichen Mächten, an die er glaubt und von denen er sich abhängig fühlt“, bestimmt81, aber seine Ausführungen zeigen, daß es dabei inhaltlich um die Beziehung auf die Gottheit von seiten des Menschen geht. Ähnlich hatte William James den Begriff der Religion als Bezeichnung der „Gefühle, Handlungen und Erfahrungen der einzelnen Menschen“ umschrieben, „so­ fern sie sich in Beziehung zu irgendeiner göttlichen Macht wissen, wie immer sie sich diese letztere näher vorstellen mögen“82. Der Mensch also mit seinen Gefühlen, Handlungen und Erfahrungen bildet den Boden der religionswis­ senschaftlichen Untersuchungen. Daß die Religionswissenschaft mit diesem Verfahren im Gegensatz zu den Intentionen der Religionen selber steht, hat G. van der Leeuw unumwunden ausgesprochen: „In der Religion ist Gott der Agens in der Beziehung zum Menschen, die Wissenschaft weiß nur vom Tun des Menschen in der Beziehung zu Gott, nichts vom Tun Gottes zu 78

G. van der Leeuw: Phänomenologie der Religion (1933) 2. Aufl. Tübingen 1956, 155

(§17). 79 W. Dupre spricht von einer „primordial coincidence between the personal and the power­ ful“ in der Erfahrung der primitiven Religionen (a. a. O. 279). 80 F. Heiler a. a. O. 4. 81 Tiele-Söderbloms Kompendium der Religionsgeschichte, 5. Aufl. Berlin 1920, 5. 82 W. James: Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, dt. von G.Wobbermin, Leip­ zig 1907, 27. G. Lanczkowski hat in seiner „Einführung in die Religionswissenschaft“, Darm­ stadt 1980, die allgemeine Beschreibung der Religion als „existentielle Wechselbeziehung“ von Gottheit und Mensch (23) sowohl gegen die These, daß nicht die Gottheit, sondern das Heilige primärer Gegenstand der Religion sei, verteidigt (25 f.) als auch gegen den Einwand, daß eine solche Definition zu eng sei, weil nicht auf den ursprünglichen Buddhismus anwendbar (24). Dem letzteren Einwand begegnet er mit P. Wilhelm Schmidt durch den Hinweis auf den Cha­ rakter des Urbuddhismus als Philosophie. Ausschlaggebend für das Urteil dürfte die Tatsache sein, daß die indische Religionsgeschichte, aus der der Buddhismus hervorgegangen ist, ihrer­ seits durchaus von der Erfahrung göttlicher Mächte geprägt gewesen ist.

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erzählen.“83 Van der Leeuw hat diesen Widerspruch offenbar als unvermeidlich hingenommen. Damit wird aber der Verdacht genährt, daß die Religionswissenschaft schon durch ihren methodischen Ansatz ihren Gegenstand verfehlt, der, wie Friedrich Heiler mit Recht betont hat, durch das Zuvorkommen der Gottheit gekennzeichnet ist. Allerdings hat auch Heiler selber in der Durchführung seines Buches und besonders im Schluß­ kapitel über das Wesen der Religion nicht von göttlichem Handeln, sondern vom „dynamischen Umgang“ des Menschen mit dem „Heiligen“ gespro­ chen und zusammenfassend Religion als „Anbetung des Mysteriums und Hingabe an dieses“ umschrieben84. Anbetung und Hingabe aber sind zwei­ fellos Akte des Menschen. Heilers These: „Alle Religionswissenschaft ist letztlich Theologie, insofern sie es… mit dem Erlebnis jenseitiger Realitäten zu tun hat“85, ist eine Forderung geblieben, die sein eigenes Werk allenfalls durch Reduktion der Mannigfaltigkeit der Religionen auf eine Identität my­ stischer Erfahrung eingelöst hat. Dabei bleibt gerade das geschichtlich Be­ sondere der jeweiligen religiösen Erfahrung unter anderen, mehr institutio­ nellen Aspekten im Leben der Religionen unterbewertet. Dieser Problematik entgeht man auch dadurch nicht, daß man den Reli­ gionsbegriff überhaupt vermeidet und statt dessen von Glauben (faith) und Glaubensweisen spricht86. Der Begriff des Glaubens betont zwar das Mo­ ment der persönlichen Beziehung zur Gottheit, aber das war zumindest ur­ sprünglich auch beim Begriff religio der Fall, und auch der Glaube ist wie Religion eine menschliche Verhaltensweise. Dabei kann er noch leichter als „Religion“ für etwas zur normalen Lebenswirklichkeit des Menschen in sei­ ner Welt noch Hinzukommendes, mehr oder weniger Marginales gelten, nämlich als ein bloß subjektives Engagement. Für den Religionsbegriff spricht auch, daß er deutlicher als der des Glaubens die Gemeinschaftlichkeit des religiösen Verhaltens mitthematisiert über die individuelle, persönliche Gottesbeziehung hinaus. Entsprechendes gilt für die die ganze Menschheit einschließende Universalität der religiösen Thematik, die im singulären Ge­ brauch des Wortes Religion ihren Ausdruck findet87. 83

G. van der Leeuw: Phänomenologie der Religion 2. Aufl. 1956, 3. F. Heiler a. a. O. 561 f. 85 Ebd. 17. 86 So W. C. Smith: The Meaning and End of Religion (1962), Mentor Book 575, 1964, 109– 138,141. Smith will am Gebrauch des Adjektivs „religious“ festhalten (176), beurteilt aber das Substantiv als „reification“ (117, 120) sowie als Ausdruck der Perspektive eines Zuschauers: „The participant is concerned with God; the observer has been concerned with ‘religion’“ (119). 87 Diese universale, die ganze Menschheit umgreifende Tendenz, die geschichtlich mit dem Religionsbegriff verbunden ist, will auch W. C. Smith aufnehmen, aber als Thema der Theolo­ gie: Towards a World Theology. Faith and the Comparative History of Religion, London und Basingstoke 1981, 50 ff., nicht um die Beteiligung des Menschen am Begriff der Religion auszu­ schließen, aber im Gegensatz gegen eine Auffassung von Religion als einer bloßen Zutat (ad­ dendum) zum Humanum (51). 84

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Gegen die Kritik am Begriff der Religion im Singular angesichts der Plura­ lität religiösen Verhaltens ist mit Recht gesagt worden, gerade als Allgemein­ begriff sei der Religionsbegriff unverzichtbar, weil er das gemeinsam Menschliche in der Vielheit der religiösen Phänomene benennt88. Die reli­ giösen Phänomene, gerade auch die Gottesvorstellungen, sind vielfältig und unterschiedlich, während die Struktur menschlicher Erfahrung und men­ schlichen Verhaltens wegen der Einheit der menschlichen Natur eine ein­ heitliche Bezugsebene für diese Vielfalt bilden kann. So scheint es jedenfalls, und so hat es die klassische Religionsphänomenologie gesehen. Damit hängt die Tendenz zusammen, die religionswissenschaftliche Fragestellung auf den humanen Aspekt der religiösen Phänomene einzuschränken, soweit diese Tendenz nicht einfach aus den Vorurteilen der modernen säkularisti­ schen Kultur und eines ihr entsprechenden Wissenschaftsbegriffs stammt. Der Gegensatz einer solchen Betrachtungsweise zur Orientierung des reli­ giösen Bewußtseins selber am Primat der göttlichen Wirklichkeit spricht je­ doch gegen ein solches Verfahren. Bei ihm kann es schwerlich bleiben, wenn die Religionswissenschaft nicht dem begründeten Verdacht ausgesetzt blei­ ben will, schon im Ansatz ihrer Methodik die Eigenart ihres Themas zu ver­ fehlen. Doch wie soll dem Primat der göttlichen Wirklichkeit in der religiö­ sen Erfahrung auf seiten der Religionswissenschaft Rechnung getragen wer­ den? Die Frage ist seit der scharfen Erkenntnis dieser Sachlage immer wieder erwogen worden. Eine Bedingung jeder Lösung dürfte jedenfalls sein, daß der Einheit der religiösen Phänomene auf seiten des Menschen eine die ein­ zelnen Phänomene übergreifende Einheit auf seiten der göttlichen Wirklich­ keit nicht nur entspricht, sondern schon zugrunde liegt. Dabei kann die Ein­ heit der göttlichen Wirklichkeit natürlich nicht unvermittelt im Sinne der monotheistischen Gottesvorstellungen ins Spiel gebracht werden, wenn der Geltungsbereich religionswissenschaftlicher Aussagen nicht von vornherein auf die monotheistischen Religionen begrenzt werden soll89. 88 Vgl. die Argumentation von G. Lanczkowski a. a. O. 23, ferner F. Wagner (vgl. oben Anm. 61). 89 In der Sache stimme ich hier mit U. Tworuschka: Kann man Religionen bewerten? Pro­ bleme aus der Sicht der Religionswissenschaft (in: U.Tworuschka/D. Zilleßen (Hrsg.): Thema Weltreligionen. Ein Diskussions- und Arbeitsbuch für Religionspädagogen und Reli­ gionswissenschaftler, Frankfurt u. München 1977, 43–53, bes. 46) durchaus überein. Two­ ruschka hat jedoch den Sinn meiner Ausführungen in Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, 304 ff. dahingehend mißverstanden, als ob den Untersuchungen außerchristlicher Religio­ nen von vornherein ein christlich-monotheistischer Maßstab unterlegt werden sollte. In Wirk­ lichkeit dient die Reflexion auf den (monotheistisch gefaßten) Nominalbegriff von Gott als alles bestimmender Wirklichkeit an der genannten Stelle nur dem Nachweis, daß es möglich ist, die Aussagen über Gott an den seinen Verehrern begegnenden Welterfahrungen zu messen, ohne daß dabei ein von der Gottheit Gottes selbst verschiedenes Kriterium geltend gemacht wird. Es wird vorausgesetzt, daß letzteres religiös unerträglich wäre. Aber Aussagen über Gott werden an ihren eigenen Implikationen gemessen, wenn sie an der Erfahrung von prinzipiell seinem Machtbereich zuzuordnenden Ereignissen gemessen werden. Das läßt sich entsprechend auch

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Wilhelm Dupre hat in einer Untersuchung über die Religion der primiti­ ven Kulturen die interessante These entwickelt, daß das Gottesverständnis solcher Kulturen immer schon in einem Zusammenhang mit der Einheit des mythischen Bewußtseins stehe, einer differenzierten Universalität symboli­ scher Beziehungen, die ihrerseits nur ein Aspekt des kulturellen Prozesses selbst ist, nämlich der Aspekt des Ursprungs der Kultur als eines einheitli­ chen Ganzen90. Es gibt daher keine scharfe Trennung zwischen den einzel­ nen Göttern. Sie sind Konkretisierungen eines Machtfeldes absoluter Trans­ zendenz, das zugleich allgegenwärtig ist. In diesem Sinne läßt sich von einer Einheit im Gottesverständnis primitiver Religionen unbeschadet der Plurali­ tät von Gottesgestalten sprechen: „The God of primitive religion is the na­ meless one who is all-present.“91 Seine mehr oder weniger beständigen und abgrenzbaren Konkretisierungen begegnen als bestimmte Gottesgestalten. So wird die Zusammengehörigkeit der von Andrew Lang (1898) beobachte­ ten Urhebergötter in primitiven Kulturen, die bei ihm und vor allem dann bei Wilhelm Schmidt (seit 1912) zur These eines Urmonotheismus geführt haben, mit der Pluralität anderer Gottesgestalten in primitiven Kulturen ver­ ständlich. Schon Nathan Söderblom hat 1915 gesehen, daß die Alternative eines reinen Monotheismus oder Polytheismus diesem Phänomen nicht an­ gemessen ist und daher auch für die Frage nach dem Ursprung des Gottesge­ dankens ausscheiden muß92. Diese Alternative gehört späteren Entwick­ lungsphasen der Religionsgeschichte an. Die ursprüngliche Zusammengehö­ rigkeit beider Aspekte hat ihre Plausibilität nun in der von Dupre herausgearbeiteten „Mythizität“ der Bewußtseinsverfassung in den frühen Kulturen, die den Rahmen für deren Gottesverständnis bildet, gefunden. Die Gottesgestalten haben ihren Ort also im Zusammenhang der mythisch geprägten Auffassung von der Einheit der Kulturwelt – der natürlichen wie der sozialen Ordnung –, die durch das Wirken der Götter konstituiert ist. Mit Recht hat Jan Waardenburg hervorgehoben, die Wirklichkeit der Reli­ gion sei „letzter Grund menschlicher Sinngebungen, Orientierungen und Ordnungen“93. Nur handelt es sich für das religiöse Bewußtsein eben gerade auf polytheistische Formen des Gottesverständnisses anwenden. Nur ist hier der Machtbereich des Gottes enger, weil begrenzt durch den anderer Gottheiten. 90 Religion in Primitive Cultures, 1975, 246 ff., 255, 263 f. (mythicity), 270 ff. (unio mythica als „initial reality of primitive religion“: 272). Mit diesen Ausführungen Dupres konvergiert die Feststellung von W. C. Smith, daß die westliche Religionswissenschaft sich zu Unrecht daran gewöhnt habe, von Religion als einer besonderen, zusätzlichen Lebenssphäre im Verhältnis zur säkularen Welt zu sprechen (Towards a World Theology, 1981, 51 ff.). 91 W. Dupre ebd. 279. Vgl. auch die Ausführungen von E. Hornung: Der Eine und die Vie­ len. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, bes. 42 ff., auch 142 f., 183 ff., 249. 92 N. Söderblom: Das Werden des Gottesglaubens, 2. Aufl. 1926, 159 f. 93 J. Waardenburg: Religionen und Religion, Berlin 1986, 24. Während an dieser Stelle der Begriff „Orientierung“ zunächst nur als ein einzelnes Merkmal der Religion unter anderen ge­ nannt ist, wird im folgenden der Begriff „Orientierungssystem“ als vorläufige Formulierung

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nicht um menschliche Sinngebung, sondern um die göttliche Gründung der Sinneinheit der Welt. Die Beziehung der Pluralität der Gottesgestalten auf die Einheit der Kul­ turwelt relativiert den Gegensatz zwischen Einheit und Vielheit in der Auf­ fassung der Gottheit. Aber der Gegensatz ist dadurch noch nicht gelöst. Vor allem ist keine Überwindung des Gegensatzes von Einheit und Vielheit aus dem Gottesverständnis selbst heraus erkennbar. Zwar sind Ansatzpunkte so­ wohl für die Entwicklung zu einem polytheistischen System der Gottheiten als auch für die in entgegengesetzte Richtung führende Entwicklung zum Monotheismus erkennbar. Aber keine dieser Lösungen ist im Zusammen­ hang der von Dupre beschriebenen Kulturen schon ausgebildet. Angesichts dieser Ambivalenz bleibt auch die Begründung der Einheit der Kulturwelt in der Einheit der göttlichen Wirklichkeit vieldeutig. Handelt es sich um eine latente und zumindest zeitweilig auch offene Konkurrenz zwischen den Göttergestalten und möglicherweise auch zwischen den Kultorten, denen die Götter jeweils besonders verbunden sind, um die Vorrangstellung inner­ halb der Kultur und ihrer politischen Ordnung? So hat im Hinblick auf die altägyptische Hochkultur Hermann Kees 1928 die Verbindung derselben Funktionen, besonders etwa der Weltentstehung, mit verschiedenen Gott­ heiten und Kultorten, mit der Neunheit von Hermopolis, mit Atum von He­ liopolis, Ptah von Memphis oder Amun von Theben gedeutet94. Als Ergebnis der Konkurrenz zwischen den verschiedenen Gottheiten und den mit ihnen verbundenen Kultorten wäre dann auch die Verbindung des Königtums zuerst mit Ptah, dann mit dem Sonnengott Re und schließlich mit Amun zu beurteilen, und daraus würde auch die Tendenz der ägyptischen Religions­ geschichte zur Verschmelzung dieser Gottheiten untereinander verständ­ lich. Aber handelt es sich bei diesem vermeintlichen Ergebnis nicht vielleicht um eine primäre Gegebenheit, eine Eigentümlichkeit der ägyptischen Reli­ gion, die die Namen der Götter austauschen kann, weil die Göttergestalten ohnehin nicht scharf voneinander getrennt sind, sondern ineinander über­ gehen95? Dann wäre die Erhebung eines Gottes über alle anderen, der sog. Henotheismus, nur ein subjektives Phänomen, das nach Erik Hornung sogar beschränkt ist auf den Augenblick der Anbetung96. Irgendwelche Ansätze für eine Entwicklung zum Monotheismus wären in alledem nicht zu eines Begriffs von Religion überhaupt eingeführt (34 ff.). Für die Zusammengehörigkeit von Re­ ligion und Sinnbewußtsein darf ich auch auf meinen Aufsatz „Sinnerfahrung, Religion und Gottesfrage“, in: Theologie und Philosophie 59,1984,178–190 verweisen, sowie auf die älteren Ausführungen zu „Eschatologie und Sinnerfahrung“, in: KuD 19,1973, 39–52, bes. 48 f. sowie Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, 314 f. 94 H. Kees: Der Götterglaube im alten Aegypten (1941) 2. Aufl. Berlin 1956. 95 So E. Hornung: Der Eine und die Vielen, Darmstadt 1971, bes. etwa 142 und die Polemik gegen Kees 220 ff. 96 Ebd. 232 f.

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entdecken. Zum Monotheismus Echnatons ist es nach Hornung nur „durch einen radikalen Umschlag des Denkens“ gekommen97. Diese letztere Folge­ rung mit ihrem Eingeständnis des Unvermögens zur Aufhellung der religiö­ sen Motivation fundamentaler Veränderungen des Gottesverständnisses läßt eine Schwäche der Auffassung von Hornung erkennen. Eine weitere Schwä­ che dürfte darin liegen, daß das religiöse Bewußtsein der Begründung der Weltordnung und ihrer Einheit durch eine bestimmte Gottheit in Hornungs Darstellung als irrelevant für die Verehrung gerade dieser Gottheit erscheint. Aber wie dem auch sei: Die ungelöste Spannung im Verhältnis von Einheit und Vielheit der Gottheit angesichts der Funktion einer Begründung der Einheit der kulturellen Welt tritt in ihrer Deutung noch stärker als bei Kees hervor. Das hat zur Folge, daß die Erklärung für die Einheit der ägyptischen Kultur zumindest für uns auf die Ebene der sozialen und politischen Prozes­ se zurückfällt, also auf die menschliche Seite des Lebens dieser Kultur, im Gegensatz zum mythisch-religiösen Selbstverständnis der altägyptischen Religion selber. Der Bezug der Mannigfaltigkeit der Gottesgestalten auf die Einheit des Kulturbewußtseins vermag also den Gegensatz zwischen Vielheit und Ein­ heit der Gottheiten zwar zu mildern, aber nicht zu lösen. Erst recht gilt das für die Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen. Zwar sind Götter fremder Völker von Reisenden häufig als analog zu bestimmten, vertrauten Göttern der eigenen Kultur aufgefaßt worden. Am weitesten sind dabei die Griechen gegangen, und das mag in Besonderheiten der altgriechischen Reli­ gion und ihres Gottesverständnisses begründet sein. Aber es hieße die ge­ schichtlich gewachsene Individualität der einzelnen Göttergestalten unter­ schätzen, wollte man in der Beobachtung solcher Ähnlichkeiten schon ein Bewußtsein der Identität und der Einheit des Göttlichen finden. Dazu ist bei den Griechen erst die philosophische Interpretation der eigenen und dann auch der fremden Gottheiten gelangt, indem sie deren Wirklichkeit auf ihren philosophischen Sinngehalt reduzierte. Dennoch enthält die Ambivalenz von Einheit und Vielheit im Verständnis der Gottheit einen Ansatzpunkt für die Entwicklungsfähigkeit von Götter­ gestalten, insbesondere für die Tendenz, zusätzliche Wirkungssphären mit einer bestimmten Göttergestalt zu verbinden. Selten oder nie ist eine Gottes­ gestalt auf eine einzige Funktion festgelegt, obwohl polytheistische Systeme die Tendenz entwickeln können, die einzelnen Gottheiten vornehmlich durch gewisse spezialisierte Funktionen zu identifizieren. Einem geschicht­ lich gewachsenen Gott ist in der Regel ein ganzer Komplex von mehr oder weniger stark hervortretenden Funktionen zugeordnet, von denen viele sich mit den Zuständigkeiten anderer Götter berühren oder überschneiden kön­ nen. Das Wachstum einer solchen Gottesgestalt scheint so stattzufinden, daß 97

Ebd. 180, vgl. 239.

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die in ihr in Erscheinung getretene und benennbar gewordene Macht als wirksam auch in solchen Bereichen erfahren wird, für welche sie vordem nicht als zuständig galt. So ist der Gott Israels nach dem Ende der Wanderungen der Stämme und ihrer Seßhaftwerdung im Kulturland neu als Urheber der Fruchtbarkeit des Landes entdeckt worden, die vorher Baal zugeschrieben wurde98. Schon aus früherer Zeit wird davon berichtet, daß in der Errettung Israels vor den ägyptischen Verfolgern am Schilfmeer der Gott der geschichtlichen Führung als „Kriegsheld“ entdeckt wurde (Ex 15,3). Die wichtigste Erweiterung ihres Wirkungsbereichs aber hat die Gestalt Jahwes zweifellos durch ihre Verbindung mit dem Schöpfungsgedanken erfahren, der allem Anschein nach nicht von Hause aus zu ihr gehörte99, wohl aber mit dem ugaritisch-kanaanäischen Gott El verbunden war, der vielleicht schon in vorstaatlicher Zeit, jedenfalls aber im Zusammenhang mit dem Königtum Davids in Jerusalem mit dem Gott Abrahams und so dann auch mit Jahwe identifiziert worden ist100. Derartige Erweiterungen des einer besonderen Gottesgestalt zugeschrie­ benen Machtbereichs sind schwerlich eine Besonderheit nur der Religionsgeschichte Israels gewesen. Im Falle Israels bilden sie auch den Rahmen für den Übergang von einem Gottesverhältnis der „Monolatrie“, der Verehrung nur eines einzigen Gottes, die in Israel ihre Grundlage in der alten Anschauung von der „Eiferheiligkeit“ Jahwes hatte101, zum Mono­ theismus als der Überzeugung, daß überhaupt nur ein einziger Gott exi­ stiert. Erst bei Deuterojesaja hat der Gott Israels eindeutig monotheistischen Charakter, und für den Erweis der Einzigkeit Jahwes stützte sich Deuteroje­ saja nicht zuletzt auf den Schöpfungsglauben102. Die Geschichte einer einzelnen Gottesgestalt war immer auch Geschichte einer Auseinandersetzung mit konkurrierenden Göttern und Wahrheitsan­ sprüchen. Das gilt für den Gott Israels sicherlich in besonderem Maße, wegen seines Anspruchs auf ausschließliche Verehrung. Aber das schließt nicht aus, daß prinzipiell jede Gottesgestalt ihre komplexen Konturen im Prozeß solcher Auseinandersetzungen herausbildet. Im Fall des Gottes Isra­ 98 Zu Hos 2,4–17 vgl. den Kommentar von H. W. Wolff im Biblischen Kommentar zum AT XIV/1, Neukirchen 2. Aufl. 1965, 37–55, bes. 40 ff. 99 Siehe den Überblick von G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments 1,1957,140 ff. 100 Zu Gen 14,17–20 ist die Karatepe-Inschrift (ANET 500 b) zu vergleichen, die El zwar nicht als Schöpfer des Himmels und der Erde, aber immerhin als Schöpfer der Erde bezeichnet. Vgl. auch H. Otten: Die Religionen des alten Kleinasien, Handbuch der Orientalistik VIII/1, 1964, 92 ff. bes. 117. Zur Kritik an der These A. Alts von einem besonderen Vätergottglauben in der Frühgeschichte Israels vgl. J.van Seters: The Religion of the Patriarchs in Genesis, in: Biblica 61, 1980, 220–233. 101 Zu Ex 20,3 siehe G. v. Rad: Theologie des Alten Testaments 1, 1957, 203 ff., bes. 209–211. 102 Jes 41, 28 f.; 43, 10; 44, 6 ff.; 46, 9 f. Vgl. R. Rendtorff: Die theologische Stellung des Schöpfungsglaubens bei Deuterojesaja, in: ZThK 51, 1954, 3–13, sowie bes. K. Koch: Die Profe­ ten 11, 1980, 135–140.

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els hat dieser Weg zum Ergebnis des Monotheismus geführt. Bedeutet das angesichts der Ausbreitung der aus dieser Wurzel hervorgegangenen Religionen, daß die Geschichte der Auseinandersetzungen zwischen den Göttern der Weg zur Herausbildung der Einheit der göttlichen Wirklichkeit gewesen ist, die durch die Missionstätigkeit der monotheistischen Weltreli­ gionen schließlich eine die ganze Menschheit umfassende religiöse Weltsi­ tuation heraufgeführt hat, welche zwar das Ringen um die Identität der gött­ lichen Wirklichkeit noch nicht beendet, aber das mehr oder weniger unver­ bundene Nebeneinander der verschiedenen Kulturen abgelöst hat103? Ist al­ so die Einheit der göttlichen Wirklichkeit der eigentliche Gegenstand des Ringens der Religionsgeschichte? Der indefiniten Einheit des Göttlichen in der Spannung zur Pluralität seiner konkreten Gestalten, die die sog. primiti­ ven Kulturen kennzeichnet, stünde dann die definite und explizite Einheit Gottes in den monotheistischen Religionen gegenüber, die die konkreten Formen ihrer Manifestation in die Gestalt des einen Gottes integriert haben. So wie Religion überhaupt dem Selbstverständnis der Religionen zufolge im Wirken der Götter gründet, so muß auch die Einheit der religiösen The­ matik in der Einheit der Gottheit ihren Grund und Ursprung haben. Da das Bewußtsein von einer die Vielheit ihrer Manifestationen dominierenden Einheit der Gottheit nach heutigem Wissensstand in den Anfängen der Kul­ turgeschichte der Menschheit jedenfalls nicht definit, sondern allenfalls im­ plizit in der Spannung des Einen und des Vielen gegeben war, so liegt es na­ he, die Religionsgeschichte als Erscheinungsgeschichte der Einheit Gottes zu betrachten, die von dem einen Gott selbst bewirkt ist als Weg zur Offen­ barung seines Wesens. Eine solche Betrachtungsweise setzt sicherlich den Standpunkt der monotheistischen Religionen voraus104. Sie berücksichtigt freilich die Gesamtheit der Religionen und bezieht sie in das Religions­ verständnis mit ein. Die Affinität zum Standpunkt der monotheistischen Re­ ligionen kann, wenn sie nicht unvermittelt und exklusiv geltend gemacht wird, kaum als Einwand gegen eine solche Betrachtungsweise gelten. Denn angesichts der unbehobenen Pluralität und Konkurrenz der Götter und der Glaubensweisen bleibt es eine Illusion, einen Religionsbegriff formulieren zu wollen, der nicht selber auch durch einen bestimmten Standort in der Re­ ligionsgeschichte gekennzeichnet wäre. Wenn eine angemessene Bestim­ 103 Ein solches Konzept einer Theologie der Religionsgeschichte habe ich 1967 vorgelegt: Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte, in: Grundfragen systematischer Theo­ logie 1, 1967, 252–295. 104 Das gilt für die in der vorigen Anmerkung genannte Skizze einer Theologie der Religionsgeschichte, aber nicht in gleicher Weise von meinen methodischen Erwägungen in Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, 300–303 über die Prüfung des Wahrheitsanspruches religiöser Behauptungen. Vgl. dazu oben Anm. 89. Vor allem setzen die Ausführungen des zu­ letzt genannten Buches die Wahrheit weder eines monotheistischen noch eines sonstigen Gottesglaubens voraus, sondern formulieren ein Kriterium zur Prüfung solcher Wahrheitsan­ sprüche.

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mung des Religionsbegriffs es erfordert, den Primat der den Menschen sich bekundenden Gottheit für das religiöse Verhältnis der Verehrung dieser Gottheit und der Gemeinschaft mit ihr im Vollzug ihrer Verehrung anzuer­ kennen, dann läßt sich bei der Formulierung des Religionsbegriffs auch von der Pluralität und dem Antagonismus der Götter und Gottesvorstellungen nicht absehen. Dagegen spricht auch nicht die Tatsache, daß es faktisch einen einheitlichen Religionsbegriff gibt. Nur darf man sich nicht verhehlen, daß ein solcher einheitlicher Religionsbegriff so oder so selber einen religionsge­ schichtlichen Ort hat, und zwar in der Weise, daß er erst auf dem Boden mo­ notheistischer Religion gebildet worden ist. Die im vorigen Abschnitt behandelte Geschichte des Religionsbegriffs be­ legt diesen Sachverhalt unzweideutig. Erst die Einbeziehung der Gotteser­ kenntnis in den Religionsbegriff bei Augustin im Unterschied zu Cicero hat den modernen Religionsbegriff, der die Gottesvorstellungen mit umfaßt, er­ möglicht. Die von Augustin vertretene These einer Einheit der „wahren“ Religion in der Geschichte der Menschheit von ihren Anfängen an setzte aber den einen Gott als Bezugspunkt voraus. Ähnliches gilt vom Religions­ begriff des Cusaners und von der religio naturalis der frühen Neuzeit. Erst mit Beginn der Moderne wurde die Einheit der Religion auf die Einheit der Menschheit begründet ohne Rücksicht auf die Gestalt der Gottesvorstel­ lung. Aber auch dann noch blieb die Vorstellung von der Einheit der Menschheit bezogen auf die Einheit Gottes, wenn auch als deren Platzhalter das Universum, das Heilige oder die „letzte Wirklichkeit“ fungiert, oder diese Einheit erst in der „Entwicklung“ der Religionen hervorgetreten ist. In der Tat ist der Gedanke einer Einheit der Menschheit, über den Um­ kreis der eigenen Kulturwelt hinaus, seinerseits nicht selbstverständlich. In einer Hochkultur wie dem alten Ägypten waren „Menschen“ die in Ägypten Lebenden, die an der dort von den Göttern begründeten Lebensordnung teilhatten105. Ähnlichen Sinn scheinen die altmesopotamischen Vorstellun­ gen vom Menschen als dem zur Arbeit im Weltstaat der Götter geschaffenen Sklaven zu haben: Der Mensch ist als Glied der von den Göttern begründeten Ordnung gedacht. Entsprechendes mag auch für andere der von Eric Voege­ lin sog. „kosmologischen Reiche“ der alten Hochkulturen gelten. Jedenfalls ist das Auftreten des Gedankens einer Identität des Menschen über die Gren­ zen der eigenen, religiös bestimmten Kulturwelt hinaus nicht selbstver­ ständlich, so selbstverständlich er dem Erben der von biblischer und helleni­ stischer Überlieferung geprägten Kulturwelt geworden sein mag. Die Ein­ heit der Menschheit im Sinne einer prinzipiellen Gleichheit der Glieder aller Kulturen, Völker und Rassen hinsichtlich ihrer Bestimmung als Menschen 105 J. A. Wilson in: Frankfort/Wilson/Jacobsen/Irwin: The Intellectual Adventure of An­ cient Man, (1946) Chicago 1965, 31–121, 33 f., dt. ohne den Beitrag von Irwin unter dem Titel: Frühlicht des Geistes. Wandlungen des Weltbildes im Alten Orient, Stuttgart 1954, 37–136, 39 f.

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ist ein Gedanke, der selber religionsgeschichtliche Voraussetzungen hat. Sie dürften eng mit der Herausbildung monotheistischer Auffassungen Zusam­ menhängen. Im Falle Israels handelt es sich darum, daß die besondere Bezie­ hung des Volkes zu Gott nicht kosmologisch, sondern durch eine göttliche Erwählung begründet wurde, durch den Akt einer Auswahl aus einer Viel­ zahl von Völkern, die jedoch alle auf Gottes Schöpfung des Menschen zu­ rückgeführt wurden, wie die Völkertafeln im 10. Kapitel der Genesis zeigen. Im Falle des Hellenismus war die basale Gleichheit der Menschen durch ihre Vernunftnatur, ihre Teilhabe am göttlichen Logos, gegeben, der dabei als der gemeinsame Gehalt der verschiedenen Gottesvorstellungen der Völker vor­ ausgesetzt wurde. So oder so ist jedenfalls in der kulturellen Überlieferung, die ihre Wurzeln im Glauben Israels und im Denken der Griechen hat, die Idee der Einheit der Menschheit im Gedanken des einen Gottes begründet. Der Gedanke der Einheit der Menschheit ist allerdings in der Moderne, im Prozeß der Säkularisierung der modernen Kultur, von seinen religiösen Wurzeln gelöst worden. Dabei blieb er zunächst noch gebunden an den Ei­ nen Gott der natürlichen Religion, bis schließlich die Idee der Menschheit selber zur Basis des Gedankens der Einheit der Religion unbeschadet ihrer unterschiedlichen Realisierung in den verschiedenen Kulturen werden konnte. In dieser Entwicklung hat die moderne Religionswissenschaft ihren eigenen religionsgeschichtlichen Ort. Damit ist jedoch auch die Frage verbunden, ob der Gedanke der Einheit der Menschheit als Bezugsebene für die Verschiedenartigkeit ihrer Kulturen und Religionen nicht immer noch den Monotheismus als Voraussetzung impliziert. Die Alternative dazu ist nicht eine polytheistische Religion, sondern die atheistische Fassung des Gedankens der Einheit der Menschheit aufgrund der naturalen Gleichheit aller Menschen. Die Vielfalt der Götter wäre dann nur Produkt der men­ schlichen Phantasie, die aus diesem oder jenem Grunde sich Götterbilder er­ schafft. Aber ist es überhaupt möglich, die Einheit der Menschheit und die Gleichheit der Menschen atheistisch zu begründen, oder können sie nur noch, als scheinbar unproblematische Gegebenheiten, vorausgesetzt wer­ den? Eine auf dieser Grundlage arbeitende Religionswissenschaft bliebe je­ denfalls mit der Bürde des Widerspruchs ihrer Erklärungen zum Zeugnis der Religionen selbst belastet, die nicht nur ihre eigenen Erfahrungen und Einrichtungen, sondern ihre kulturelle Welt im ganzen aus dem Wirken der Gottheit herleiten. Wo die Welt der Religion vom Gedanken der Einheit Gottes her als Einheit aufgefaßt wird, da wird diesem religiösen Selbstver­ ständnis nicht widersprochen. Es wird nur die Ambivalenz von Einheit und Vielheit der Gottheit, die das Denken der frühen Kulturen kennzeichnet, in ein Bewußtsein der Einheit überführt, die jene Vielheit in sich aufgehoben hat.

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3. Die Frage nach der Wahrheit der Religion und die Religionsgeschichte Mit der Bestimmung des Wesens der Religion ist die Frage nach ihrer Wahr­ heit bzw. nach der Wahrheit der Behauptungen, die in den verschiedenen Religionen geglaubt und überliefert werden, noch nicht beantwortet. Für rein funktionale Beschreibungen des Religionsbegriffs freilich erhebt sich diese Frage gar nicht, oder ihre Beantwortung wird als Sache persönlichen oder gemeinschaftlichen Bekennens vorausgesetzt106. Bekenner einer Reli­ gion muß es ja jedenfalls geben, bevor nach Funktionen solchen Bekennens (und der ihm entsprechenden religiösen Praxis) für das Leben der Indivi­ duen und der Gesellschaft gefragt werden kann. Begnügt sich die Religions­ theorie als Basis für ihre Untersuchungen damit, daß es faktisch religiös be­ kennende und praktizierende Individuen gibt, dann kann sie sich ganz der Frage nach Inhalten und Funktionen solcher bekennenden Praxis zuwen­ den. Sie wird dann freilich auf eine Klärung der spezifischen Bedingungen religiösen Bekennens und der damit verbundenen Praxis verzichten müssen oder kann allenfalls psychische oder soziale Bedingungen benennen, die der Thematik religiösen Bewußtseins und Verhaltens äußerlich bleiben: Reli­ gion kommt dann nur in reduzierter Gestalt in den Blick, als Ausdruck der Subjektivität individuellen oder auch gemeinschaftlichen Vorstellens und Verhaltens. Die mit dem theologischen Wesen der Religion verbundenen Wahrheitsansprüche, wonach der religiös Bekennende sein eigenes Leben, sowie das Dasein und Wesen der Welt von der Gottheit bestimmt glaubt, die er bekennt, werden dann als sekundär behandelt – ganz im Gegensatz zum Selbstverständnis der Religionen selber. Insofern wird in solchen Beschrei­ bungen das eigentümliche Wesen der Religion von vornherein systematisch verfehlt. Anders steht es mit den religionskritischen Beschreibungen der Religion. Sie nehmen die Wahrheitsansprüche der Religionen ernst, indem sie sich ausdrücklich gegen deren Berechtigung wenden: Das geschieht, indem statt des Daseins und Wirkens Gottes oder der Götter vielmehr der Mensch und bestimmte Bedürfnisse, Wünsche, Kompensationen, Selbstmißverständnis­ se oder Neurosen für die Bildung der religiösen Vorstellungen verantwort­ lich gemacht werden. Dabei wird regelmäßig unterstellt, daß die wahre Natur der Religion von ganz anderer Art sei als das, was die Bekenner der Religionen selber als wahr behaupten. Um diese Unterstellung plausibel zu 106 So bei H. Lübbe: Religion nach der Aufklärung, Graz etc. 1986. Lübbe setzt sich 219 ff. ausführlich mit der Kritik an der funktionalen Theorie der Religion auseinander, besonders mit R. Spaemann: Einsprüche. Christliche Reden, Einsiedeln 1977, 51 ff. 58 sowie ders.: Die Frage nach der Bedeutung des Wortes „Gott“, in: IKZ „Communio“ 1, 1972, 54–72, 57. Vgl. auch Hans J. Schneider: Ist Gott ein Placebo? Eine Anmerkung zu Robert Spaemann und Hermann Lübbe, in: ZEE 25, 1981, 145–147.

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machen, müssen die Kritiker der Religion allerdings den Mechanismus re­ konstruieren, der auf angeblich rein weltlicher, nicht religiöser Basis zur Er­ zeugung religiöser Vorstellungen führt107. Noch bei Feuerbach handelte es sich dabei um die Eitelkeit und Selbstsucht der Individuen, die ihre eigene Endlichkeit auch der menschlichen Gattung zuschreiben, während sie die ei­ gentlich der Gattung zukommende Unendlichkeit für ein fremdes Wesen halten. Die innere Unwahrscheinlichkeit dieser Konstruktion hat Feuer­ bachs Nachfolger zu anderen Beschreibungen des Mechanismus der Erzeu­ gung religiöser Vorstellungen veranlaßt. So sah Marx sie als Ausdruck einer Kompensation für das reale Elend gesellschaftlicher Entfremdung an, einer Kompensation, die aber auch die Funktion einer „Protestation“ gegen dieses Elend haben kann. Doch wieso ist die imaginierte Kompensation gerade mit Gottesvorstellungen verbunden? Diese Frage hat Nietzsche mit der Funk­ tion der Gottesvorstellung für das im Gewissen verinnerlichte Normbe­ wußtsein und für das daraus resultierende Schuldgefühl beantwortet, wäh­ rend Freud die Verbindung von Schuldgefühl und Gottesvorstellung auf die hypothetisch angenommene Ermordung eines Urvaters zurückgeführt hat, der in der individuellen Entwicklung der Ödipuskomplex entspreche108. Freud hat damit Spielraum für die Einbeziehung auch solcher Formen des religiösen Bewußtseins gewonnen, die nicht der Fixierung des Schuldbe­ wußtseins, sondern seiner Verarbeitung dienen, entsprechend der Lösung des Ödipuskomplexes durch Identifikation mit der väterlichen Autorität. Schwer zugänglich für solche Rekonstruktionen des religiösen Bewußtseins bleibt dagegen der Bezug des Gottesglaubens auf die Einheit der Welt, und zwar sowohl des natürlichen Kosmos als auch der ihm entsprechenden ge­ sellschaftlichen Ordnung. Diese „Mythizität“ des religiösen Bewußtseins muß von der psychologischen Religionskritik entweder als sekundär, als Ausdruck eines quasi naturwissenschaftlichen, aber mit noch unzureichen­ den Mitteln unternommenen Bemühens um Welterkenntnis, behandelt wer­ den oder aber als Ausdruck illusionärer Erfüllung des narzisstischen Wun­ sches nach Geborgenheit im Zusammenhang eines von meist väterlicher Au­ torität und Fürsorge durchwalteten Ganzen. Der religionskritischen Bestreitung der Wahrheit des religiösen Redens von Gott und Göttern und göttlichem Handeln an der Welt und am Men­ 107 Zum folgenden vgl. vom Vf.: Typen des Atheismus und ihre theologische Bedeutung, in: Grundfragen systematischer Theologie I, 1967, 347–360, bes. 348 ff. zu Feuerbach und 353 ff. zu Nietzsche, ferner F. Wagner: Was ist Religion? 1986, 90–106. In seinen Ausführungen zu Nietz­ sche betont Wagner 102 mit Recht den nach Nietzsche lebensfeindlichen Charakter der christ­ lich-religiös bestimmten Werte. Das ändert aber nichts am atheistischen Sinn schon der Deu­ tung Gottes als höchster Wert, weil damit, wie Heidegger durchaus richtig gesehen hat, das Sein Gottes auf den wertenden Willen zurückgeführt wird. 108 Siehe dazu die Darstellung und Erörterung bei F. Wagner 260 ff., sowie speziell zum Thema des Narzissmus 296 ff.

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schen sind die Verteidiger der Religion auf seiten der Religionsphilosophie und der Theologie häufig durch Rekurs auf religiöse Erfahrung und Glauben entgegengetreten. Auch solche Religionswissenschaftler, Religionsphiloso­ phen und Theologen, die bei der Beschreibung des Wesens der Religion den Primat der göttlichen Wirklichkeit vor dem religiösen Bewußtsein des Men­ schen hervorheben, greifen nicht selten auf die religiöse Erfahrung oder Glaubenserfahrung, also auf die Subjektivität des religiösen Bewußtseins zu­ rück, wenn nach der Wahrheit der religiösen Behauptungen gefragt wird. Diese, so heißt es dann, erschließe sich nur dem Glaubenden oder dem, der selber eine religiöse Erfahrung macht. Was die neuere evangelische Theologie angeht, so ist bereits im ersten Kapitel die Neigung zur Rechtfertigung ihrer Inhalte durch den Rekurs auf Glaubenserfahrung und Glaubensent­ scheidung behandelt worden (s. o. 52 ff.). In der sprachanalytischen Reli­ gionsphilosophie entspricht diesem Verfahren die Bezugnahme auf „Er­ schließungssituationen“ bei Ian T. Ramsey (s. o. Anm. 61). Eine ähnliche Auffassung findet sich in der neueren Religionsphilosophie etwa bei Hein­ rich Scholz, wenn er der Religionskritik Feuerbachs lediglich entgegenhält, Religion entspringe „nicht aus Bedürfnissen, sondern aus Erlebnissen“, aber später einräumt, ihr Gegenstand existiere „als solcher lediglich für das erle­ bende Subjekt“109. Die Subjektivität der religiösen Wahrheit wird auch da vorausgesetzt, wo das „Ernstnehmen des religiösen Wahrheitsanspruches“ unbeschadet der Vielfalt der Religionen vornehmlich darum gefordert wird, weil deren Inhalte „für den religiösen Menschen Realitäten“ sind110: „Ernst­ nehmen“ bedeutet dabei offenbar nicht die Prüfung der erhobenen Ansprü­ che, sondern ihr „verstehendes“ Geltenlassen111. Derartige Rekurse auf die Faktizität religiösen Erlebens sind in der Tat mit der „Grundaporie“ belastet, daß die Gottheit, die als Urheber des religiösen Bewußtseins behauptet wird, vielmehr als eine Setzung dieses Bewußtseins erscheinen muß. Aber diese Aporie kennzeichnet keineswegs das religiöse Bewußtsein als solches112; denn diesem kann es gar nicht einfallen, seine Subjektivität als Garanten für die Realität seines Gegenstandes auszugeben. Erst die säkulare Kultur der abendländischen Neuzeit hat die Religion zur Sache der Subjektivität, damit auch deren Inhalt für subjektabhängig und partikular erklärt. Religionstheo­ rien, die sich diese Sicht der Dinge zu eigen machen, haben den Vorzug, mit dem säkularen Wahrheitsbewußtsein der öffentlichen Kultur in Einklang zu stehen. Sie haben jedoch auch dann, wenn sie die Überzeugung von der Wahrheit einer positiven Religion, einer bestimmten Gottesoffenbarung, als Angelegenheit subjektiven Erlebens und subjektiver Stellungnahme behan­ 109

H. Scholz: Religionsphilosophie, Berlin 1921, 130 f., 172. F. Heiler: Erscheinungsformen und Wesen der Religion, 1961, 17. 111 Zu C. H. Ratschow: Methodik der Religionswissenschaft (1973) 364 ff., vgl. die Ausfüh­ rungen von F. Wagner a. a. O. 318 ff. 112 So F. Wagner 322, 379, 384 f., 392 f., 443, 546. 110

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delten, selten darauf verzichtet, der Religion als solcher konstitutive Bedeu­ tung für die Menschlichkeit des Menschen zuzuschreiben. Die jeweilige Ak­ tualisierung der religiösen Anlage des Menschen wird dann zwar als nur dem Glaubenden oder Erlebenden gewiß behandelt, die Anlage selber dage­ gen wird als ein allgemeiner Beschreibung zugänglicher Sachverhalt aufge­ faßt. Mit der Annahme einer zur Humanität des Menschen gehörigen religiö­ sen Anlage wird für das religiöse Bewußtsein und seine Äußerungen im allgemeinen, wenn auch nicht im besonderen Wahrheit beansprucht. Diese Wahrheit ist allerdings nicht die Wahrheit der Religion selbst, nicht die Wahrheit ihres Gegenstandes, – nämlich des von einer Religion behaupteten Gottes und seiner Offenbarung, – sondern zunächst nur Wahrheit in dem Sinne, daß Religion konstitutiv für die Wirklichkeit des Menschen ist. Der Klassiker dieser Auffassung von der Wahrheit der Religion ist Schleierma­ cher gewesen. Indem er für die Religion eine „eigene Provinz im Gemüte“ des Menschen forderte, erhob er den Anspruch, daß Religion unveräußerlich zum menschlichen Wesen gehöre, nicht eine sekundäre, von anderen Wur­ zeln abgeleitete und so vielleicht überflüssige Erscheinung sei. So sehr man an Schleiermachers Religionsbegriff beanstanden mag, daß er nicht vom Pri­ mat des Gegenstandes der Religion her gedacht worden ist, so wenig trifft ihn der Vorwurf, daß ihm die Religion als solche (und insofern auch ihr In­ halt) eine bloße „Setzung“ des menschlichen Bewußtseins gewesen wäre. Dazu wäre ja vorausgesetzt, daß das menschliche Bewußtsein auch ohne Re­ ligion schon komplett wäre: Nur unter dieser Voraussetzung ließe sich Reli­ gion als eine „Setzung“ des Bewußtseins erklären, die von diesem vollzogen, aber auch unterlassen werden könnte. An diesem Punkt unterscheidet sich die Religionsauffassung Schleierma­ chers und aller derer, die nach ihm die Unveräußerlichkeit der „religiösen Anlage“ für das Menschsein des Menschen behauptet haben, fundamental von der Religionsauffassung der radikalen Religionskritik von Feuerbach, Marx, Nietzsche, Freud und ihren Nachfolgern113. Die radikale Religions­ 113 Schleiermacher hat freilich der Religionskritik Feuerbachs insofern einen Ansatzpunkt geboten, als jedenfalls in der Erstfassung der „Reden“ der Gottesgedanke nicht als notwendiger Bestandteil oder gar als Fundament der Religion galt. Darum konnte Feuerbach sich mit seiner Auffassung, daß „Gott kein notwendiges Konstrukt zur Erklärung des menschlichen Daseins ist“ (F. Wagner a. a. O. 94), auf Schleiermacher berufen, indem er zugleich gegen Schleiermacher auf den Nachweis der Überflüssigkeit der Religion selbst zielte, weil er als Hegelschüler – an­ ders als Schleiermacher – den Gottesgedanken mit Recht als für den Begriff der Religion grund­ legend beurteilte. Immerhin war für Schleiermacher auch in den „Reden“ keine Religion ohne Inhalt denkbar, so daß ihm mit der These der Unveräußerlichkeit der Religion selbst sehr wohl die „Mittel zur Verfügung“ standen, „um der Verflüchtigung des Gegenstandes und der Inhalte der Religion auf begründete Weise entgegentreten zu können“ (gegen Wagner 95). Daß die In­ halte der Religion für Schleiermachers Religionsbegriff als gleichgültig gelten und durch „belie­ bige Austauschbarkeit“ (73) charakterisiert werden könnten (vgl. 67), trifft schon für die

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kritik steht und fällt nämlich mit der Behauptung, daß Religion nicht konsti­ tutiv zum Menschsein des Menschen gehört, daß sie vielmehr trotz ihres langdauernden Einflusses auf die Menschheit und ihre Geschichte als eine Verirrung zu beurteilen ist oder bestenfalls als eine unreife Gestalt menschli­ cher Wirklichkeitsauffassung, die durch die säkulare Kultur der abendländi­ schen Neuzeit oder auch durch eine erst noch zu schaffende neue Gesell­ schaft im Prinzip überwunden ist und endgültig verschwinden wird. Wenn hingegen Religion konstitutiv für das Menschsein des Menschen ist, dann wird es nie ein allseitig ausgebildetes, unbeschädigtes menschliches Leben ohne Religion geben können. Die Verdrängung dieses Sachverhalts aus dem öffentlichen Bewußtsein der säkularen Kulturwelt wird dann als eine poten­ tielle Gefahr für deren Fortbestand erscheinen. Als Indiz dafür, daß Religion in der einen oder anderen Form konstitutiv für das Menschsein des Menschen ist, darf ihre allgemeine Verbreitung seit den frühesten Anfängen der Menschheit gelten, besonders ihre grundlegen­ de Wichtigkeit für alle alten Kulturen und wahrscheinlich auch für den Ur­ sprung der Sprache114. Daß die moderne säkulare Kultur die Abhängigkeit von Religion nur verdrängt, nicht aber überwunden hat, zeigt sich besonders am Legitimitätsverfall ihrer öffentlichen Institutionen115. Die faktisch allge­ meine Verbreitung der religiösen Thematik in der Menschheit korrespon­ diert der als Weltoffenheit, Exzentrizität oder Selbsttranszendenz beschrie­ benen Eigenart der Struktur menschlichen Verhaltens116. Diese findet ihre lebensgeschichtliche Konkretion im Leben der Individuen in der Relevanz ‚Reden‘ nicht zu, wie die Ausführungen Schleiermachers über die Bildung individueller Reli­ gion in der 5. Rede (Urausg. 261 ff.) zeigen, erst recht nicht für die Glaubenslehre mit ihren Aus­ führungen zum Gang der Religionsgeschichte (§ 8) und über die Notwendigkeit der Erlösung (§ 86 ff.). 114 Siehe dazu den Beitrag des Vf. über „Religion und menschliche Natur“ in dem von ihm hrsg. Band: Sind wir von Natur aus religiös?, Düsseldorf 1986, 9–24, sowie ausführlicher in: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 460 ff., bes. 469 f., sowie 345 ff. 115 Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983, 459 f. 116 Ebd. 32 ff., 40 ff., 57 ff. F. Wagner (a. a. O. 500) hat mich einer „Fehlinterpretation“ des Plessnerschen Begriffs der Exzentrizität beschuldigt. Daß Plessner bei diesem Begriff den Sach­ verhalt des Selbstbewußtseins im Blick hat, ist jedoch auch von mir hervorgehoben worden (s. a. Wagner 502). Allerdings habe ich diesen Sachverhalt im Zuge einer kritischen Erörterung der Position Plessners im Lichte von Schelers Auffassung vom Primat intentionalen Bewußtseins anders als Plessner bestimmt (Anthropologie 60 f.). Zwischen Sachkritik und Fehlinterpretation sollte wohl besser unterschieden werden. Die unbegründete Unterstellung von Wagner (502), ich habe nicht darauf „reflektiert“, daß die Grundstruktur der Exzentrizität (so wie ich sie „her­ ausgestellt“ habe) „das Strukturmoment selbstbezüglichen Selbstbewußtseins immer schon im­ pliziert“, setzt sich darüber hinweg, daß sich meine Ausführungen gegen eben diese Auffassung wenden: Man kann meinen Versuch, das Selbstbewußtsein als gegenüber dem intentionalen Be­ wußtsein sekundär und von ihm abgeleitet darzustellen, sicherlich kritisieren, aber doch wohl nicht sinnvollerweise so, daß man die von mir bestrittene Auffassung dabei als selbstver­ ständlich unterstellt. Genau das aber tut Wagner durchgängig (vgl. 506 f.). Die Bildung der Ich­ instanz vom Andern her im Prozeß der Sozialisation des Kindes kann Wagner sich daher nur

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des sog. Urvertrauens für den Prozeß der Persönlichkeitsbildung, für die Konstitution der Ichidentität117. Im Hinblick darauf kann von einer „Anla­ ge“ des Menschen zur Religion gesprochen werden, die unabtrennbar ist von seiner Humanität. Aus solcher Anlage zur Religion folgt nun allerdings nicht die Wahrheit der religiösen Behauptungen über Wirklichkeit und Wir­ ken Gottes oder der Götter. Auch wenn im Gegensatz zu rein anthropologi­ schen Bestimmungen des Religionsbegriffs der Bezug auf eine göttliche Wirklichkeit immer schon konstitutiv ist für die Religion, läßt sich aus der menschlichen Anlage zur Religion nicht auf das Dasein Gottes schließen118. Es läßt sich nämlich auf dieser Basis nicht ausschließen, daß gerade die Anla­ ge zur Religion die Menschheit in eine natürliche Illusion verstricken könn­ te. Religion wäre dann nicht den Fähigkeiten des Menschen zu realitätsge­ rechtem Verhalten zuzurechnen. Sie wäre dennoch keine „Setzung“119, die einem unabhängig von aller Religion konstituierten Bewußtsein zuzurech­ nen wäre, das eine solche Setzung sowohl vollziehen als auch unterlassen könnte. So hat es die radikale Religionskritik dargestellt. Im Falle einer zur Natur des Menschen gehörenden religiösen Anlage bliebe der Mensch „unheilbar“ religiös auch dann, wenn die Gegenstände re­ ligiösen Bewußtseins durchweg illusionär wären. Die Möglichkeit, daß es sich beim religiösen Bewußtsein göttlicher Wirklichkeit um eine zur Natur des Menschen gehörige Illusion handeln könnte, läßt es jedoch nicht zu, als einen „Aufprall“ (507) vorstellen, weil er ein vorgängiges Vorhandensein eines selbstbewuß­ ten Ich schon unterstellt. 117 Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983, 217–235. F. Wagners Anwendung von N. Luhmanns These der Selbstbezüglichkeit des Vertrauens auf Eriksons Begriff des „Grundvertrauens“ (a. a. O. 293) wird diesem nicht gerecht. Allerdings bedürfen die Ausfüh­ rungen Eriksons der Differenzierung zwischen der symbiotischen Lebenseinheit des Kindes mit seiner primären Bezugsperson und dem eigentlichen Vertrauensakt, der bereits eine Selbstunterscheidung von der Umgebung voraussetzt (Anthropologie etc. 220 ff., s. a. oben 125 ff.). Diese Unterscheidung ist wichtig, um die Annahme eines Grundvertrauens gegen den Verdacht eines Rückfalls in eine narzisstische Wunschwelt zu schützen. 118 So M. Scheler: Vom Ewigen im Menschen (Ges. Werke 5, Bern 1954, 249 ff., bes. 255). Schelers Aussagen über die Unhintergehbarkeit der „Evidenz“ religiöser Akte und der in ihnen erfaßten göttlichen Wirklichkeit (ebd. 130, 154 f., 257) haben in dieser Annahme die Grundlage ihrer Plausibilität. Insofern bildet Schelers Religionsphilosophie ein Beispiel für die im nächsten Absatz zu erörternde Kombination von religiöser Anlage und religiösen Akten als Grundlage für die Behauptung der Wahrheit der Religion. 119 So deutet F. Wagner meine Ausführungen über den möglicherweise illusorischen Charakter einer nur anthropologisch beschriebenen Religion (a. a. O. 498). Wagner läßt es hier an der nötigen Differenzierung fehlen, weil er allen Bewußtseinsakten immer schon ein fertiges Handlungssubjekt unterstellt (vgl. auch 144). Aber nicht jede Illusion beruht auf einer „Set­ zung“. Letzteres ist nur dann der Fall, wenn sie als Produkt einer zur Zeit solcher Setzung noch nicht der Illusion verfallenen Instanz behauptet wird. Im übrigen schreibt Wagner der Auffas­ sung, daß Religion – ob illusionär oder nicht – ein notwendiges Element in der Struktur men­ schlichen Daseins sei, zu Unrecht zirkulären Charakter zu (143 f., vgl. auch 521 f.), da sie viel­ mehr auf bestimmten, auch hier kurz erwähnten kulturgeschichtlichen, vorgeschichtlichen und entwicklungspsychologischen Befunden beruht.

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allein wegen der religiösen Anlage des Menschen schon die Wirklichkeit Gottes zu behaupten. Aus diesem Grund ist es auch nicht zulässig, religiöse Erfahrungen oder Erlebnisse in Kombination mit der Annahme einer Anlage des Menschen zur Religion als Wahrheitsbeweis für die religiösen Behauptungen göttlicher Wirklichkeit und göttlichen Wirkens geltend zu machen. Die vielfältigen und oft entgegengesetzten Behauptungen der Religionen über Götter und ihr Wirken lassen sich ohnehin nicht alle gleichermaßen wegen der zugrunde liegenden allgemeinen Bezogenheit des Menschen auf eine Sphäre des Heili­ gen als wahr behaupten. Aber auch die Wahrheit eines Kernbestands religiö­ ser Gegenständlichkeit, eines Göttlichen überhaupt, ist dadurch noch nicht verbürgt, wenn es richtig ist, daß die Allgemeinheit der Anlage zur Religion noch nicht die Wirklichkeit einer Gottheit erweist. Der Befund, daß Religion für das Menschsein konstitutiv ist, bildet den­ noch eine zwar nicht hinreichende, aber unerläßliche Bedingung für die Wahrheit religiöser Behauptungen über göttliche Wirklichkeit, vor allem aber für die Wahrheit des monotheistischen Glaubens an einen einzigen Gott, jedenfalls dann, wenn der eine Gott als Urheber der Welt gedacht wird. Wenn nämlich der eine Gott Schöpfer des Menschen sein soll, dann muß der Mensch als selbstbewußtes Wesen auch in irgendeiner, noch so in­ adäquaten Form um diesen seinen Ursprung wissen. Sein Dasein als Mensch müßte die Signatur der Geschöpflichkeit tragen, und das könnte dem Be­ wußtsein des Menschen von sich selber nicht gänzlich verborgen bleiben. Wäre Religion kein für das Menschsein konstitutives Thema, dann würde der Integrität menschlichen Lebens nichts mangeln, wo sie fehlt. Damit wäre aber ein schwerwiegender Einwand gegen die Wahrheit des Glaubens an die Wirklichkeit Gottes gegeben. Darum muß auch christliche Theologie an der Frage Interesse nehmen, ob der Mensch seiner Natur nach auf Religion an­ gelegt ist. Wäre das nicht der Fall und ließe sich gar die Entstehung des reli­ giösen Bewußtseins als Produkt einer unabhängig von aller religiösen The­ matik existierenden Subjektivität dartun, etwa als Ausdruck pathologischer Verirrungen ihres Selbstverständnisses, dann wäre jeder, auch der christli­ chen Behauptung göttlicher Wirklichkeit die Basis ihrer Plausibilität entzo­ gen. Das gilt in besonderer Weise im Kontext der abendländischen Kultur der Neuzeit, weil hier einerseits die Religion politisch und gesellschaftlich zur Sache der Subjektivität und ihres individuellen Selbstverständnisses er­ klärt wurde, andererseits die Anthropologie infolge der Ablösung des natur­ wissenschaftlichen Weltbildes von religiösen Voraussetzungen zur Basis der Vergewisserung der Wirklichkeit Gottes wurde120. 120 Dementsprechend habe ich in „Wissenschaftstheorie und Theologie“, 1973, 424 f. der Anthropologie als Basis einer „Religionstheologie“ fundamentaltheologischen Rang zuerkannt. Das hat natürlich nur den Sinn einer methodischen Priorität, nicht aber den, daß die Anthropo­

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Der Glaube an den einen Gott impliziert allerdings nicht nur, daß er die das Dasein des Menschen begründende und vollendende Macht ist, sondern er impliziert auch, diesen Gott als Ursprung und Schöpfer der Welt zu denken. Indem nicht nur die eigene Existenz des Glaubenden und auch nicht nur die Natur des Menschen überhaupt als durch Gott bestimmt erkannt wird, der eine Gott sich vielmehr als die die Welt bestimmende und durchwaltende Macht erweist, ist die Schranke religiöser Anthropozentrik durchbrochen. Damit entfällt die Möglichkeit, die religiösen Gottesvorstellungen, jedenfalls nach ihrer Heil und Geborgenheit verheißenden Seite, pauschal zum Pro­ dukt narzisstischer Wünsche zu erklären; denn für die narzisstische Regres­ sion ist der Gegensatz einer subjektiven Wunschwelt zu dem an der Welter­ fahrung orientierten Realitätsbewußtsein konstitutiv. Sofern der Gott der Religion als die die Welt bestimmende und durchwaltende Macht erkannt wird, ist aber auch der Bann des Verdachtes gebrochen, der Gottesgedanke könnte eine mit der Natur des Menschen verbundene, wenn schon nicht vom Menschen „gesetzte“ Illusion sein. Dieser Bann verschwindet noch nicht damit, daß der Gedanke des Absoluten an ihm selbst gedacht wird, denn auch der Gedanke des Absoluten bleibt – gerade in seiner gedanklichen Abstraktheit – ein menschlicher Gedanke121. Erst dadurch, daß die Welt sich als bestimmt durch den vom Menschen geglaubten und gedachten Gott logie der Sache nach als Fundament der Theologie aufzufassen wäre (vgl. ebd. 419, sowie auch oben 66 f. und W. Pannenberg (Hrsg.): Sind wir von Natur aus religiös?, Düsseldorf 1986, 134 ff., bes. 165 f.). 121 F. Wagner scheint der Meinung zu sein, daß das Denken des Absoluten als absolut die Schranke der Gebundenheit aller sonstigen Bewußtseinsgehalte an die Subjektivität des Bewußtseins überwinde (a. a. O. 576 ff., vgl. 444). Doch warum soll der Gedanke des Absoluten der subjektiven Bedingtheit entnommen sein, wenn doch der Gott des religiösen Bewußtseins ihr nach Wagner immer verhaftet bleibt, obwohl er als freies Gegenüber zum Menschen ge­ glaubt wird? Wagner selbst gesteht zu, daß „das Absolute nur als Gedanke des Absoluten ge­ dacht werden kann“ (587). Daß seine begriffliche Qualifizierung „auf der Selbstauslegung des Absoluten selber beruht“, wie Wagner versichert (ebd.), läßt sich zwar behaupten, aber nicht, wie Wagner meint, „zeigen“ (ebd.). Der Gedanke des Absoluten bleibt sogar entschiedener im Reflexionszusammenhang menschlichen Denkens eingebunden als der Gott der Religion, weil das Absolute ein philosophischer Gedanke ist, bei dem wie bei allen philosophischen Gedanken die Relativität auf das denkende Subjekt immer mitgedacht werden muß, während dem religiö­ sen Bewußtsein als intentionalem Bewußtsein die Reflexion auf die Subjektivität seines Redens von Gott äußerlich bleibt. Indem Wagner den als Selbstauslegung des Absoluten zu denkenden Gedanken des Absoluten in Gegensatz zur Subjektivität des religiösen Bewußtseins stellt, fällt er hinter den Religionsbegriff Hegels zurück, für den die religiöse „Erhebung“ immer doppel­ seitig war: Erhebung des endlichen Bewußtseins über seine Endlichkeit zum Gedanken des Un­ endlichen und Absoluten und zugleich, dieser subjektiven Bewegung des religiösen Bewußt­ seins entgegenkommend, ein Erhobenwerden desselben durch das Absolute (vgl. G. W. F. He­ gel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes. Hrsg. G. Lasson, PhB 64,1966, 77 f., sie­ he auch die Ausführungen zum Begriff des Kultus im ersten Teil der Religionsphilosophie: Begriff der Religion. Hrsg. G. Lasson PhB 59, 158 ff.). Wagner dagegen eliminiert die vom Men­ schen vollzogene religiöse Erhebung zugunsten der einseitig vom Gedanken des Absoluten aus­ gehenden Bewegung. Das ist hegelianisierender – Barthianismus.

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erweist, kann sich das Gottesbewußtsein der Religion seiner Wahrheit verge­ wissern122. So lautet auch in Luthers Großem Katechismus die Antwort auf die Frage zum ersten Glaubensartikel, wer denn Gott sei im Sinne des ersten Gebotes, das sei Gott Vater, der Himmel und Erde geschaffen habe: „Außer diesem einigen halte ich nichts für Gott, denn sonst keiner ist, der hymel und erden schaffen künde“ (WA 30/1,183). Die Frage nach der Wahrheit religiöser Behauptungen über Gott findet al­ so ihre Antwort in der Sphäre der Welterfahrung, indem sich die Welt – mit Einschluß der Menschheit und ihrer Geschichte – als durch Gott bestimmt erweist. Das geschieht nicht in der Weise des kosmologischen Gottesbewei­ ses, der im Rückschluß von der Welt, insbesondere von der Zufälligkeit alles Endlichen, einen von sich aus seienden Ursprung oder Urheber der Welt po­ stuliert. Für den Gottesglauben der Religion ist der Gottesgedanke vielmehr schon Ausgangspunkt der Hinwendung zur Welterfahrung, und die Welter­ fahrung hat die Funktion einer Bewährung oder auch Nichtbewährung der im religiösen Gottesgedanken immer schon beanspruchten Wahrheit, daß Gott die alles bestimmende Wirklichkeit123 ist. Im positiven Fall der Bewäh­ rung oder Bewahrheitung dieses Anspruchs durch die Welterfahrung han­ delt es sich daher um den Selbsterweis des geglaubten Gottes im Medium der Welterfahrung124. Im Falle seiner Nichtbewährung hingegen muß der geglaubte Gott als ein bloß menschlicher Gedanke, eine bloß subjektive Vorstellung des Menschen erscheinen. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für polytheistische Gottesvorstel­ lungen. Auch bei den Gottesvorstellungen polytheistischer Religionen han­ delt es sich um die Verehrung von Mächten, die sich menschlicher Erfahrung als machtvoll und als wirklich erweisen und immer wieder erweisen müssen. Bleibt solcher Machterweis einmal aus, so mag das als vorübergehende Un­ tätigkeit oder auch als Ungnade der Gottheit aufgefaßt werden. Bleibt er aber ständig aus, so wird der Glaube an die Gottheit selbst erschüttert. Sie erscheint als machtlos und damit als unwirklich. Die Prüfung der Wahrheits­ ansprüche, die Religionen mit ihren Behauptungen über Dasein und Wirken der Götter erheben, erfolgt primär also nicht in Gestalt wissenschaftlicher Untersuchungen und Bewertungen, sondern im Prozeß des religiösen Le­ bens selber. Maßstab solcher Prüfung ist auch kein der Gottheit äußerliches 122 In meinen „Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte“ (Grundfragen sy­ stematischer Theologie I, 1967, 252–295) habe ich vom „Umgang“ des Menschen mit der in der Struktur seines Daseins immer schon vorausgesetzten Wirklichkeit des göttlichen Geheim­ nisses gesprochen (283 f.). Seit meiner wissenschaftstheoretischen Arbeit wird stärker betont, daß dieser Umgang in der Erfahrung der Welt und in der Auseinandersetzung mit ihren Impli­ kationen stattfindet, indem die Implikationen der Welterfahrung sich verbinden mit dem un­ ausdrücklichen Wissen des Menschen von Gott, das doch erst an der Erfahrung von den die Wirklichkeit der Welt bestimmenden Mächten zu einem ausdrücklichen Wissen von Gott wird. 123 Zu dieser Nominaldefinition vgl.: Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, 304 f. 124 Ebd. 302.

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Kriterium. Die Gottheit vor das Forum ihr fremder Maßstäbe zu ziehen und danach zu beurteilen, wäre ein irreligiöser Akt, der der Majestät des Gottes zu nahe träte und den Begriff der Gottheit selber aufheben würde. Ein Gott kann nur an dem Maß gemessen werden, das er selber setzt. Eben das ge­ schieht, wenn Behauptungen über göttliche Wirklichkeit oder göttliches Handeln an ihren Implikationen für das Verständnis der endlichen Wirklichkeit der Welt geprüft werden, indem gefragt wird, ob der Gott sich in der Erfahrung der Menschen tatsächlich als die Macht erweist, die zu sein von ihm behauptet wird125. Die Bewahrheitung der religiösen Gottesvorstellungen durch die Welter­ fahrung erfolgt weder bei den monotheistischen noch bei den polytheisti­ schen Religionen in der Form eines einzigen definitiven Aktes, obwohl durchaus bestimmte Ereignisse und Erfahrungen eintreten können, die den Glauben an Macht und Wirklichkeit eines Gottes erschüttern oder auch dauerhaft begründen. Letzteres war beim Glauben an den Gott Israels der Fall im Exodusgeschehen und insbesondere bei der Errettung des Volkes am Schilfmeer (Ex 14,15 ff., bes. 14,31). Götter, die Gegenstand religiöser Ver­ ehrung werden, sind nicht nur Augenblicksgrößen, sondern Mächte, von de­ nen immer wieder bestimmte Machtwirkungen erwartet werden. Da nun der Prozeß der Erfahrung beim einzelnen Menschen wie in der Geschichte der Völker auf eine noch unbekannte Zukunft hin offen ist, und da auch die Wirklichkeit der Welt von ihr selber her immer wieder anders und überra­ schend begegnet, nach moderner Ansicht sogar in sich noch unabgeschlos­ sen, noch im Werden begriffen ist, so stellt sich die Frage nach der Macht der Gottheit immer wieder neu. Ein Gott wird als eine zeitübergreifend identi­ sche Macht geglaubt. Ob er die ihm zugeschriebene Macht auch wirklich be­ sitzt, muß sich immer wieder neu erweisen und kann darum strittig sein. Mit der Unabgeschlossenheit der Welterfahrung hängt ihre Teilhaftigkeit, sowie die Pluralität von Erfahrungsperspektiven der einen und selben Welt­ wirklichkeit zusammen. Menschen verschiedener Kulturen bewohnen die­ 125 Es ist ein Mißverständnis, wenn U. Tworuschka mir unterstellt, daß der von mir aufge­ stellte Maßstab „unverkennbar der jüdisch-christlichen Tradition entstammt“ und daher nicht als allgemeines Kriterium religionswissenschaftlicher Urteilsbildung tauge (Kann man Religio­ nen bewerten? Probleme aus der Sicht der Religionswissenschaft, in: U. Tworuschka/D. Zille­ ßen (Hrsg.): Thema Weltreligionen, Frankfurt und München 1977, 43–53, bes. 46). Ich habe das Kriterium zwar meistens am Beispiel des monotheistischen Gottesgedankens erläutert, nämlich von der Minimaldefinition des Gedankens des einen Gottes als alles bestimmender Wirklichkeit aus. Aber es läßt sich in formal gleicher Weise auf jede Behauptung einer bestimmten, einer Gottheit zugeschriebenen „Macht“ anwenden. Die von Tworuschka angegebenen Bewertungs­ kriterien (49 ff.) bleiben dagegen dem Einwand ausgesetzt, daß sie dem jeweiligen Gottesgedan­ ken äußerlich sind. Das gilt sogar für die „religionsinternen“ (49 f.) Kriterien, insofern diese nicht an der Gottesgestalt, sondern an der „eigenen Theorie“ der religiösen Tradition orientiert werden (50). Tworuschka hat sich offensichtlich nicht vor Augen gehalten, daß damit der Got­ tesgedanke selbst aufgehoben, weil als bloße Setzung des religiösen Bewußtseins behandelt würde.

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selbe Erde. Ihre Wohngebiete grenzen vielleicht an dieselben Meere. Diesel­ be Sonne und derselbe Mond ziehen über ihren Himmel. Aber die darin in Erscheinung tretenden Mächte werden nicht nur verschieden benannt. Sie werden in unterschiedlichen Verbindungen mit anderen Erscheinungen er­ lebt. Sogar die Astralgottheiten, die Sonnen- und Mondgötter der verschie­ denen Kulturen sind nicht einfach identisch, bleiben durch mehr als nur durch ihre Namen unterschieden. In der Begegnung der Kulturen stellen sich dann Fragen: Wer ist die mächtigere dieser Gottheiten? Welches ist der eigentliche, angemessene Name der Macht, die hinter diesen Erscheinungen steht, sich in ihnen bekundet? Und handelt es sich überhaupt um selbstän­ dige Machtsphären oder nur um unterschiedliche Erscheinungsweisen einer einzigen sie durchwaltenden Macht? Welcher Art waren die religiösen Motive und Antriebe, die in der Begrün­ dung der Hochkulturen ihren Ausdruck fanden, etwa in der Reichseinigung Ägyptens im dritten oder Chinas im zweiten vorchristlichen Jahrtausend? Der Übergang der Herrschaft im Zweistromland von einer Stadt auf die an­ dere ist vom sumerischen Mythos dem Sturmgott Enlil zugeschrieben wor­ den. Aber was war eigentlich geschehen, als im frühen zweiten Jahrtausend Marduk, der Stadtgott Babylons, Enlil verdrängte und an seine Stelle trat? Welche Antriebe zu solcher weitreichenden Veränderung und zur altbaby­ lonischen Reichsbildung überhaupt waren in der Eigenart der Gottesgestalt Marduks selber begründet? Welche religiösen Ansprüche standen später hinter dem Aufstieg und der Ausbreitung der assyrischen Militärmacht seit dem späten zweiten Jahrtausend? Welche hinter Aufstieg und Ausbreitung des persischen Weltreichs seit dem siebten vorchristlichen Jahrhundert? Fragen dieser Art sind allem Anschein nach noch wenig eingehend unter­ sucht worden. Meistens hat man wie selbstverständlich religiöse Verände­ rungen als bloße Begleit- und Folgeerscheinungen der politischen und öko­ nomischen Veränderungen in Geschichte und Wechselwirkung der Kultu­ ren aufgefaßt. So beschrieb z. B. Max Weber den Wettbewerb der Götter im religiösen Alltag folgendermaßen: „Wo ein politischer Lokalgott existiert, gerät der Primat natürlich oft in dessen Hände. Wenn sich dann innerhalb ei­ ner zur Lokalgötterbildung vorgeschrittenen Vielfalt seßhafter Gemein­ schaften der Umkreis des politischen Verbandes durch Eroberung erweitert, so ist die regelmäßige Folge, daß die verschiedenen Lokalgötter der ver­ schmolzenen Gemeinschaften dann zu einer Gesamtheit vergesellschaftet werden… Der Lokalgott des größten Herrscher- oder Priestersitzes: der Marduk von Babel, der Ammon von Theben steigen dann zum Range größter Götter auf, um mit dem etwaigen Sturz oder der Verlegung der Resi­ denz oft auch wieder zu verschwinden.“126 Aber ist es wahrscheinlich,

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M. Weber: Wirtschaft und Gesellschaft (1922), 5. Aufl. 1976, 255.

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daß in dem durch Religion bestimmten Leben der alten Kulturen politische und ökonomische Veränderungen aus rein säkularen Motiven erfolgten und religiöse Veränderungen bloße Folgeerscheinungen waren? Muß man nicht damit rechnen, daß in der Regel politisches und ökonomisches Handeln um­ gekehrt einer religiösen Motivation bedurfte? Und müßte diese nicht auf die Eigenarten der Götter zurückgeführt werden, die in diesen Kulturen verehrt wurden? Müßte die Religionsgeschichte also nicht die Form einer religiös begründeten Kulturgeschichtsschreibung annehmen, die kulturelle Verän­ derungen, einschließlich der großen politischen und sozialen Um­ schichtungen im Zusammenhang mit Konflikten zwischen den Ansprüchen der von den Menschen verehrten Götter beschreibt? Gegen die Annahme Webers, religiöse Veränderungen seien normalerwei­ se als Funktionen politischer und gesellschaftlicher Veränderungen aufzufassen, spricht nicht nur das Ergebnis seiner Kapitalismusstudie, die gegen den historischen Materialismus der Marxisten die Tragweite religiöser Motive wie der calvinistischen Prädestinationslehre für gesellschaftliche Entwicklungen der Neuzeit nachwies. In dieselbe Richtung weisen gewisse Besonderheiten der altorientalischen Religionsgeschichte, auf die sich Weber in „Wirtschaft und Gesellschaft“ speziell bezog. Der babylonische Gott Marduk überdauerte nämlich den Niedergang des altbabylonischen Reiches sehr viel länger als der sumerische Sturmgott Enlil den Zusammenbruch Su­ mers. Die von den Hethitern 1531 verschleppte Mardukstatue konnte zurückgewonnen werden. Der Ruf des dieser Statue offenbar besonders eng verbundenen Weisheitsgottes war so groß, daß der Assyrerkönig Tukultini­ nurta I. sie 1234, nachdem er Babylon zerstört hatte, nach Assur mitnahm. Dort aber wurden anscheinend Teile der assyrischen Bevölkerung vom Kult des weisen und milden Marduk so angezogen, daß der assyrische König ver­ gebens diesen Gott durch den Reichsgott Assur zu verdrängen suchte: Der König wurde 1198 durch seinen eigenen Sohn ermordet, und offenbar gab es dabei einen Zusammenhang mit der religiösen Frage, denn die frevelhaft ent­ führte Statue wurde umgehend an Babylon zurückgegeben. Der Vorgang wiederholte sich später noch einmal, als Sanherib 689 Babylon verwüstet und seine Stätte durch Überschwemmung unbebaubar gemacht hatte: Sein Sohn Assarhaddon, der zur babylonischen Partei am assyrischen Hofe ge­ hörte, ließ Sanherib 681 ermorden, verurteilte das Vorgehen des Vaters ge­ gen Babylon als entsetzlichen Frevel und ließ als erstes die Stadt und ihre Tempel wieder aufbauen, um Marduk zu versöhnen. Diese Geschichte der Mardukverehrung nach dem Ende des altbabyloni­ schen Reiches läßt sich in keiner Weise als bloße Folgeerscheinung politisch­ ökonomischer Entwicklungen verstehen. Sie ist vielmehr umgekehrt folgen­ reich geworden für die politische Geschichte Assyriens. Ein anderes Beispiel der Tragweite religiöser Motive für den Gang der politischen Geschichte ist der vergebliche Kampf des Pharao Echnaton gegen den Kult des bisherigen

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Reichsgottes Amun von Theben und für seine Ersetzung durch den Kult der Sonnenscheibe, Aton. Die Religionspolitik Echnatons mag einen ihrer Gründe darin gehabt haben, daß die Verehrung der Sonnenscheibe nicht auf Ägypten beschränkt war, sondern auch und gerade den Gebieten Vorder­ asiens vertraut war, die seine Vorgänger erobert hatten. Genauer gesagt, diese Gebiete waren seit Thutmosis IV. im Namen Atons unterworfen wor­ den127, und die siegreiche Expansion des ägyptischen Neuen Reiches sprach sicherlich für die göttliche Macht Atons. Es wäre verkehrt, in Aton nur ein nachträgliches Symbol der ägyptischen Weltreichbildung zu erblicken. Er schien sich der Erfahrung der Zeitgenossen wirklich als der „Weltgott“ (Eberhard Otto) zu erweisen. Daß der Atonglaube mit seiner monotheisti­ schen Exklusivität scheiterte, dürfte nicht in erster Linie an Machenschaften der Amunpriesterschaft liegen, sondern eher schon daran, daß diese Gottes­ gestalt keine Beziehung zur Todes- und Jenseitsthematik hatte, vor allem aber daran, daß sich auf dem eigensten Felde Atons selber mit dem Aufstieg der hethitischen Macht sein früherer Glanz verlor128. Entscheidend dürfte gewesen sein, daß mit der Atongestalt kein Interpretationspotential verbun­ den war, das einerseits die Themen von Tod und Jenseits, andererseits politi­ sche und militärische Rückschläge Ägyptens in Vorderasien zu verarbeiten erlaubte. Nicht die Veränderungen im Bereich der Welterfahrung als solche, sondern das einer Gottesgestalt eigene Potential des interpretierenden Um­ gangs mit ihnen scheint über ihre Bewährung oder Nichtbewährung in der Welterfahrung ihrer Verehrer zu entscheiden. Das mag als letztes Beispiel die Erfahrung Israels mit seinem Gott in der Umbruchszeit des Untergangs des altjudäischen Königtums und des babylo127

E. Otto: Ägypten. Der Weg des Pharaonenreiches, Stuttgart 1953, 160 f. Ebd. 166 ff., bes. 169. U. Tworuschka (a. a. O. 47) meint die Fragestellung, ob ein ge­ glaubter Gott sich seinen Verehrern tatsächlich als die Macht erweist, als die er geglaubt wird, als „methodisch fragwürdig und außerdem als praktisch undurchführbar“ zurückweisen zu dürfen, ersteres, weil er irrtümlich eine Abhängigkeit des angewandten Kriteriums von christ­ lich-abendländischen Voraussetzungen behauptet (dazu s. o. Anm. 125), letzteres aber, weil wir angeblich „von den Reaktionen antiker Menschen auf erflehte, tatsächlich aber nicht eingetrete­ ne Folgen“ nichts wissen. Nun habe ich nicht von der Gebetserhörung in antiken Religionen gesprochen, sondern von den mit einer Gottesgestalt verbundenen Erwartungen an die erfahre­ ne Wirklichkeit. Dazu sagt Tworuschka lapidar: „Wenn Götter keine Macht haben, dann wer­ den sie aufgegeben, und andere, mächtigere Götter treten an ihre Stelle“ (ebd.). Das ist aber ge­ nau das Thema der Bewährung oder (wie in diesem Fall) Nichtbewährung der dem Gott zuge­ schriebenen Macht, die ich für genauerer Untersuchung und Klärung bedürftig halte als Aus­ gangspunkt für die Behandlung der Frage nach der Wahrheit religiösen Glaubens. Glaubensvorstellungen und Wirklichkeitserfahrung sind eben nicht immer schon von vornher­ ein so „stimmig“, wie sich der religionsphänomenologisch arbeitende Religionswissenschaftler das vorstellen mag. Vielmehr gibt die Geschichte viele Beispiele für die Tatsache eines Ringens um die religiöse Interpretation der Wirklichkeit. Das Urteil, daß Götter Macht haben oder keine Macht haben, ist nur das Ergebnis solcher Auseinandersetzungen, die der Aufklärung be­ dürfen, wenn man den Gang der Religionsgeschichte verstehen will. 128

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nischen Exils belegen. Das alte Israel erwartete in der Königszeit ebenso wie andere Völker den Erweis der Gottheit seines Gottes durch dessen machtvollen Beistand zur Erhaltung und Stärkung des Königtums, in die­ sem Fall der von Gott erwählten Dynastie Davids (vgl. Ps 2,8 f. und 110,1 f.). Noch der Prophet Jesaja hatte zur Zeit der großen Bedrängnis durch die As­ syrer im 8. Jahrhundert die Erwählung Davids und des Zion durch den Gott Israels als unverbrüchlich angesehen. Mußte da nicht die Eroberung Jerusa­ lems durch die Babylonier 586 und das Ende des davidischen Königtums im Sinne von Ri 11,24 als Erweis der Ohnmacht Jahwes gegenüber den Göttern Babylons erscheinen? So hätte es der Logik der von Weber entwickelten religionssoziologischen Grundsätze entsprochen. Aber der Jahweglaube hatte in der Geschichte der Prophetie Israels ein Interpretationspotential ge­ wonnen, das es Jeremia erlaubte, schon im voraus die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier als Machtakt göttlichen Gerichts statt als Ausdruck der Ohnmacht des Gottes Israels zu deuten. Allerdings, nach dem Eintritt der Katastrophe war sich Deuterojesaja im babylonischen Exil sehr wohl bewußt, wie sehr durch die Demütigung Israels der Name Jahwes in der Völkerwelt „entweiht“ war (Jes 48,11). Das gehörte zweifellos zum Hinter­ grund seiner Erwartung, daß durch den Perser Kyros, den er als Bezwinger Babylons erwartete und verkündete, die Gottheit Jahwes in der ganzen Völ­ kerwelt offenkundig werden solle (Jes 45,6; vgl. 48,14–16), – eine Erwar­ tung, die sich freilich so nicht erfüllen sollte, da Kyros nicht im Namen des Gottes Israels sein Reich begründete. Wenn die Entscheidung über die Frage nach der Wahrheit einer Religion im Kern an der Wahrheit ihrer Behauptungen über die Gottheit hängt, die Entscheidung darüber aber im Zusammenhang der Welterfahrung ihrer Ver­ ehrergemeinschaft stattfindet, so bedürfen solche Vorgänge zunächst einmal einer Klärung ihrer allgemeinen Bedingungen. Es ist ja offenbar nicht so, daß Veränderungen im Bereich der Welterfahrung automatisch entsprechen­ de religiöse Veränderungen nach sich ziehen. Sie scheinen vielmehr das reli­ giöse Bewußtsein zu einer Antwort herauszufordern, die so oder anders aus­ fallen kann, und erst an dieser Antwort entscheiden sich in bezug auf die je­ weilige Situation Wahrheit und Fortbestand des betreffenden Glaubens. Wie ist das genauer zu verstehen? Wie lassen sich überhaupt religiöse Be­ hauptungen auf Inhalte der Welterfahrung so beziehen, daß es sich dabei nicht nur um beliebig austauschbare, der Welterfahrung selber äußerlich bleibende, rein subjektive Deutungen handelt? Das scheint nur unter der Be­ dingung möglich zu sein, daß den Inhalten der Welterfahrung selber Sinnim­ plikationen eignen, die erst auf der Ebene religiöser Aussagen explizit the­ matisch werden, von solchen Aussagen aber auch verfehlt werden kön­ nen129. 129

Vgl. zum folgenden die Ausführungen des Vf. in: Wissenschaftstheorie und Theologie,

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Der Gesichtspunkt, daß religiöse Aussagen die Sinnimplikationen profa­ ner Welterfahrung thematisieren, findet sich schon in Schleiermachers Reden „Über die Religion“. Wenn es dort heißt, daß alles Endliche mit seinen Gren­ zen, die seine Besonderheit konstituieren, aus dem Unendlichen „her­ ausgeschnitten“ sei130, so besagt das doch, daß alle profane Welterfahrung als Erfahrung von Endlichem immer schon impliziert, daß dieses Endliche eine Darstellung des Unendlichen, des Universums ist. Nur wird das beim profa­ 1973, 314 ff. und die dabei vorausgesetzten Ausführungen zum Sinnbegriff ebd. 206–224. Die dort entwickelte Auffassung, daß der Bedeutungsgehalt jeder endlichen Erfahrung an einen Kontext von Erfahrungs- und Sachzusammenhängen gebunden ist (kontextueller Sinnbegriff), daß also die der einzelnen Erfahrung und ihren Inhalten zugeschriebene Bedeutung letztlich von einem umfassenden Sinnhorizont abhängt, auch wenn dieser in der Einzelerfahrung nicht thematisiert wird, ist von F. Wagner a. a. O. 471 ff. kritisiert worden. Wagner behauptet, daß nur der Einzelsinn gegeben sein könne, nicht aber das Sinnganze, da dieses nur „von Gnaden ei­ ner begrifflichen Setzung ist“ (474). Wagner geht in seiner Kritik jedoch nicht auf den von mir behaupteten Sachverhalt der Implikation des Sinnkontextes (daher auch eines letzten Kontextes eines unbestimmten Sinnganzen der Erfahrung) im erfahrenen Einzelsinn ein. Sicherlich ist der Einzelerfahrung zunächst nur der Einzelsinn gegeben. Wenn es aber zutrifft, daß jeder Einzel­ sinn, jede Einzelbedeutung von einem Kontext abhängig ist, dann mag der Kontext bei der Er­ fahrung der Einzelbedeutung abgeblendet, also unbestimmt bleiben, ist aber dennoch mitge­ geben. Erst die Interpretation rekonstruiert dann den Kontext als Bedingung der erfahrenen Einzelbedeutung. Darin besteht die Tätigkeit der Sinndeutung, die den in der zu interpretieren­ den Einzelerfahrung implizierten Sinnkontext treffen, aber auch verfehlen oder entstellen kann. Insofern ist – mit P. Tillich zu reden – der in der Weise der Implikation präsente Sinngehalt der hermeneutischen Bemühung explizierender Sinndeutung (und in diesem Sinne der „Sinnform“) immer schon voraus. Das gilt nicht nur für den „unbedingten Sinn“ als Grund aller Sinnformen, auf den sich nach Tillich die Religion richtet (vgl. dazu G.Wenz: Subjekt und Sein. Die Ent­ wicklung der Theologie Paul Tillichs, München 1979,120 ff.), sondern das gilt von allen im the­ matisch erfaßten Einzelsinn (der Einzelbedeutung) durch Implikation präsenten Sinnzusam­ menhängen, die erst durch eine nachfolgende Interpretation ausdrücklich gemacht werden. Na­ türlich gilt das auch und insbesondere für die Weise, wie der unbedingte Sinngrund in der Ein­ zelerfahrung mitgegeben ist als Einheitsgrund der Sinntotalität, die in jeder Einzelerfahrung als Bedeutungshorizont, wenn auch unthematisch und daher unbestimmt, präsent ist. Tillich hat mit Recht behauptet, daß der unbedingte Sinngehalt durch keine Sinnform (sprich: Sinndeu­ tung) eingeholt oder gar überholt werden kann (Religionsphilosophie 1925, Ges. Werke I, 319; vgl. dazu G. Wenz 120 ff.). Seine Begründung dafür, die sich auf den Begriff des Unbedingten stützt, bleibt jedoch anfechtbar (vgl. Wagners Kritik a. a. O. 382 ff.). Die Uneinholbarkeit der in den Einzelerfahrungen unthematisch präsenten Sinntotalität und des ihr zugrunde liegenden unbedingten Sinns durch explizite Sinndeutungen beruht vielmehr in erster Linie auf der impli­ ziten, unthematischen Gegebenheitsweise, weiter auf der Zeitlichkeit der Unabgeschlossenheit der Erfahrung. Daß Tillich dem kontextuellen Sinnbegriff der Hermeneutik Diltheys sachlich nahesteht, wenn er auch nicht von Dilthey abhängig war, wird von Wenz 124 ff. mit Recht be­ tont. Zur ontologischen Auswertung dieses Sinnbegriffs über Diltheys Eingrenzung auf das „geistige Leben“ und seine Erfahrung hinaus vgl. vom Vf.: Sinnerfahrung, Religion und Gottes­ frage, in: Theologie und Philosophie 59, 1984, 178–190, bes. 180 ff. Zu der in Wagners Kritik be­ rührten Problematik der Kategorie des Ganzen ist der dabei nicht genannte Aufsatz: Die Be­ deutung der Kategorien „Teil“ und „Ganzes“ für die Wissenschaftstheorie der Theologie, in: Theologie und Philosophie 53, 1978,481–497, bes. 490 f. zu vergleichen. 130 Über die Religion, 1799, 53.

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nen Erfahrungsbewußtsein nicht thematisch. Erst das religiöse Bewußtsein schaut ausdrücklich im Endlichen das Unendliche und Ganze an, themati­ siert also die Sinnimplikation der profanen Erfahrung, die in dieser selbst nicht ausdrücklich wird. Schleiermacher hat allerdings dabei von religiösen „Anschauungen“, nicht von Aussagen gesprochen. Er ist daher auch nicht auf den Wahrheitsanspruch eingegangen, der mit der Form der Aussage oder Behauptung verbunden ist: Er hat sich also nicht die Frage gestellt, inwieweit religiöse „Anschauungen“ die Sinnimplikationen der profanen Erfahrung treffen oder verfehlen. Dennoch hat er in der 5. Rede von einer mit der christlichen Religion verbundenen Funktion der Kritik an unzureichenden Formen der Vermittlung des Endlichen mit dem Unendlichen in anderen Religionsformen gesprochen131. Impliziert das nicht, daß jene anderen For­ men religiöser Anschauungen den wahren Zusammenhang des Endlichen mit dem Unendlichen verfehlen, jedenfalls aber nur ungenügend erfassen? Es ist Hegels Kritik am Anschauungsbegriff der Religionstheorie von Schleiermachers „Reden“ gewesen, daß die Anschauung selbst hier „zu etwas Subjektivem“ gemacht worden sei132. Schleiermacher habe versäumt, ihre Äußerung zu „befestigen“, die Anschauung also, so wie Hegel selbst es kurz zuvor in seiner Differenzschrift beschrieben hatte, als Integration eines Re­ flexionszusammenhangs zu begreifen. Solche Reflexion hat das Verhältnis des Endlichen zu anderm Endlichen, aber auch zum Unendlichen zum The­ ma, also gerade das, was Schleiermacher mit dem gehaltvollen Bild des Her­ ausgeschnittenseins des Endlichen aus dem Zusammenhang des Unend­ lichen nur andeutete. Nach Hegel wird die in der Anschauung zu vollziehen­ de Synthese dieses Reflexionszusammenhangs „von der Reflexion postu­ liert“ und muß sogar aus ihr „deduziert werden“133. Daß das in zunächst jeweils einseitiger Gestalt geschieht, die Anlaß gibt zu weiterer Reflexion, hat Hegel in seinen späteren großen Werken dargelegt, in denen an die Stelle der spekulativen Anschauung der Begriff des Begriffs getreten ist. Daran soll hier zunächst nur interessieren, daß die spekulative Anschauung als Synthese eines Endliches und Unendliches verbindenden Reflexionszusammenhanges von der Reflexion nicht nur „postuliert“, sondern in ihrer jeweiligen Gestalt offenbar auch wieder kritisiert wird, sofern sie sich nämlich als einseitige und daher unzureichende Synthese erweist. Daraus folgt noch nicht, daß sich eine Reihe aller solcher Synthesen in der Weise aufstellen läßt, daß das jeweils fol­ gende Glied eine Synthese von in jeder Hinsicht höherem Rang als seine 131 A. a. O. 293 ff. Der „polemische“ Charakter des Christentums richtet sich nach Schleier­ macher nicht nur, aber eben auch gegen andere Religion, wobei Schleiermacher wohl in erster Linie an die jüdische Religion zur Zeit Jesu gedacht haben dürfte. 132 G. W. F. Hegel: Glauben und Wissen, 1802, zitiert nach PhB 62b, 1962, 89 f. 133 G. W. F. Hegel: Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie, 1801, zitiert nach PhB 62 a, 1962, 32. „Anschauung ohne diese Synthese Entgegengesetzter ist empirisch, gegeben, bewußtlos“ (31).

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Vorgänger darstellt, und noch weniger läßt sich die Abschließbarkeit einer solchen Reihe durch eine alle Einseitigkeiten ihrer Vorgänger überwindende Anschauung postulieren, die dann der spekulative Begriff der Sache selbst – d. h. hier: des Absoluten – wäre134. Hegels Forderung nach einer Beziehung der „Anschauung“ Schleierma­ chers auf die Reflexion ist geeignet, Schleiermachers Gedanken so zu präzi­ sieren, daß die Strittigkeit religiöser Anschauungen im Prozeß des religiösen Lebens und seiner Geschichte genauerer Analyse zugänglich wird. Wenn re­ ligiöse Anschauungen die implizite Beziehung endlicher Erfahrungsgehalte zum Unendlichen thematisieren, so sind sie der Rückfrage ausgesetzt, ob sie der vollen Komplexität dieser Beziehungen gerecht werden. Das ist jeden­ falls eine sinnvolle Frage, wenn es die Funktion der religiösen Anschauung ist, das komplexe Ganze dieser Sinnbeziehungen auf einen Ausdruck zu bringen, der insofern als „symbolisch“ zu bezeichnen ist, als er in Beziehung auf die jeweilige Einzelerfahrung und also unter einem jeweils konkreten Aspekt das „Ganze“ des Universums zum Ausdruck bringt, um so, wie Schleiermacher sagte, das Unendliche im Endlichen anzuschauen. Daß dazu die religiöse Anschauung für das Ganze repräsentativ sein muß, aus welchem nach Schleiermacher das einzelne Endliche „herausgeschnitten“ ist, wurde in Hegels Auffassung der Anschauung als Synthesis deutlicher erfaßt als bei Schleiermacher selbst, ist aber unausgesprochen vorausgesetzt in den Aus­ führungen der fünften Rede über die „Zentralanschauung“ oder „Funda­ mentalanschauung“ einer Religion, auf die alle übrigen Inhalte der Erfah­ rung ihrer Anhänger bezogen werden sollen. Religiöse Anschauungen sind also der Frage ausgesetzt, ob sie ihre Funktion angemessen erfüllen, das Unendliche im Endlichen zur Anschauung zu bringen135. 134 Die Aufstellung einer derartigen Reihe von metaphysischen Grundbegriffen als „Defini­ tionen) des Absoluten“ hat Hegel in seiner Logik versucht (G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, hg. von G. Lasson, PhB 56, 1967, 59). Ihr entspricht, wenn auch nicht im Sinne einer starren „Anwendung“ der logischen Reihe, die Darstellung der Religionsgeschichte als einer Folge von Religionstypen, an deren Ende die absolute Religion steht. Der wirklichen Religions­ geschichte wird eine solche Typenfolge freilich nicht gerecht, weil im konkreten Prozeß der Ge­ schichte die verschiedenen Kulturen und Religionen nicht nacheinander, sondern auf weite Strecken nebeneinander zu finden sind, sei es beziehungslos oder durch mancherlei Verflech­ tungen miteinander verbunden. Die verschiedenen Kulturen und Religionen haben nebeneinan­ der, manchmal über Jahrtausende hin, ihre eigene Geschichte, die sich nicht auf einen einzigen Typus zusammenziehen läßt. Manche durchlaufen dabei mehrere Entwicklungsphasen, die sich ähnlich auch bei andern beobachten lassen. Die Einheit der Religionsgeschichte kommt nicht durch die Abfolge von Religionen im Sinne einer Typenreihe zustande, sondern resultiert aus den zunehmenden Kontakten, Konflikten und Wechselwirkungen der Kulturen. So ist das He­ gelsche Bild der Religionsgeschichte heute nicht mehr übernehmbar, so bedeutend gegenüber Schleiermacher Hegels Betonung des Primats der Gottesvorstellung für das religiöse Bewußt­ sein bleibt. 135 Vgl. Über die Religion, 259 ff. Insofern kommt religiösen „Anschauungen“ der Charakter von Behauptungen zu, es sind also Wahrheitsansprüche mit ihnen verbunden. Wenigstens im

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Anders gesagt: Die Götter der Religionen müssen sich an der Welterfah­ rung der Menschen als die Mächte erweisen, die sie zu sein – beanspruchen. Sie müssen sich bewähren an den Sinnimplikationen der Welterfahrung sel­ ber, so daß deren jeweiliger Gehalt als Machtäußerung des Gottes verstan­ den werden kann und nicht als Ausdruck seiner Ohnmacht erscheint. Solche Interpretationen sind nicht nach Belieben möglich. Sie hängen einerseits ab von dem mit der Eigenart einer Gottheit gegebenen Interpretationspotential. So erlaubte im Fall der Geschichte Israels die in der Prophetie entwickelte Auffassung Gottes die Deutung des Untergangs Judas als Gerichtshandeln Gottes an seinem eigenen Volk. Andererseits müssen Interpretationen der Welterfahrung deren impliziten Sinngehalt treffen und dürfen ihn nicht ver­ fehlen. So stand der Deutung des Falles Jerusalems als Gerichtshandeln Got­ tes entgegen, daß dieses Ereignis eben auf den ersten Blick als Ausdruck der Machtlosigkeit des Gottes Israels erscheinen mußte. Daher verwies der Pro­ phet Deuterojesaja einerseits auf die prophetische Ankündigung dieses Ge­ schehens im Namen Jahwes (Jes 42,9, vgl. 48,3–6), erwartete andererseits aber doch erst von dem kommenden Heilshandeln der Rückführung der Verbannten aus dem babylonischen Exil und der Erneuerung Jerusalems die Auslöschung der Entehrung, die der Name Jahwes in der Völkerwelt erfah­ ren hatte (Jes 48,11). Die Entscheidung über die Wahrheit einer Religion, d. h. in erster Linie darüber, ob die von ihren Anhängern behaupteten Götter sich als Götter be­ währen, fällt also im Prozeß der Welterfahrung und im Ringen um ihre In­ terpretation. Zum genaueren Verständnis dieses Sachverhalts ist nun noch dreierlei zu beachten. 1. Bewahrheitung oder Nichtbewahrheitung religiöser Behauptungen, insbesondere des Glaubens an Dasein und Wirken der Götter, werden in er­ ster Linie von den Angehörigen der betreffenden religiösen Gemeinschaft, von den Verehrern der betreffenden Gottheit selber erfahren und festgestellt. Dabei wird das Ausbleiben der erwarteten Bestätigung der Macht eines Got­ tes nicht sogleich zur Abwendung von ihm führen, sondern wird zunächst als bloße Anfechtung des Glaubens an ihn erlebt und erduldet werden. Je­ denfalls aber steht die Wahrheit eines geglaubten Gottes in erster Linie für den Glaubenden selbst auf dem Spiel in der Spannung zwischen Glauben und Erfahrung. Diese Spannung tritt sodann im Prozeß religiöser Überliefe­ rung in Erscheinung, wenn es darum geht, daß der von der älteren Genera­ tion bekannte und verehrte Gott auch den Jüngeren in seiner Gottheit evi­ dent werden soll. Hier liegt der vielleicht wichtigste Anlaß zur Veränderung der Glaubensvorstellungen im Zuge der Integration der Welterfahrung Hinblick auf die „Polemik“ des Christentums gegen unzureichende Darstellungen der Präsenz des Unendlichen im Endlichen durch andere Religionen kommt auch bei Schleiermacher die Möglichkeit des Konflikts zwischen religiösen Wahrheitsansprüchen in den Blick.

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in den Glauben an die Gottheit und ihr Wirken. Und schließlich tritt diesel­ be, zur Interpretation der Überlieferung ebenso wie zur Interpretation ge­ meinsamer Welterfahrung nötigende Spannung da auf, wo der Glaube an ei­ nen Gott Menschen nahegebracht werden soll, die bis dahin nicht zum Kreis seiner Verehrer gehörten. 2. Die Frage nach Bewährung oder Nichtbewährung des Glaubens an ei­ nen Gott, damit zugleich nach Wahrheit oder Unwahrheit der Gottheit des Gottes selbst, steht in vielen Fällen unter dem Konkurrenzdruck der Wahr­ heitsansprüche anderer Gottheiten, die denselben Bereich der Welterfahrung als Erweis ihrer Gottheit beanspruchen. Man denke nur an die Auseinander­ setzungen zwischen Jahwe und Baal in der Religionsgeschichte des alten Is­ rael. Solche Infragestellung der Kompetenz eines Gottes durch eine andere Gottesgestalt und ihr alternatives Interpretationspotential bildet vielleicht nicht überall ein Alltagsproblem religiösen Lebens und religiöser Überliefe­ rung. Es tritt besonders in Situationen der Berührung, Mischung oder Kolli­ sion verschiedener Kulturen auf, aber auch als Ausdruck von Verschiebun­ gen innerhalb einer und derselben Kultur. Letzteres gilt z. B. für polytheisti­ sche Kulturen, wenn eine Gottesgestalt dazu tendiert, neue Zuständigkeiten an sich zu ziehen, die bis dahin zur Sphäre anderer Gottheiten gehörten. 3. Die Herausforderung des Glaubens an eine Gottheit zur Bewährung ihrer Macht angesichts einer veränderten Welterfahrung führt gerade im po­ sitiven Fall der Selbstbehauptung des Gottes zur Veränderung im Ver­ ständnis seiner Eigenart und seines Wirkens. Solche Veränderungen werden in den mythologischen Religionen in die Urzeit des Mythos zurückverlegt. Die Änderung der ursprünglichen Ordnung des Mythos und ihres göttlichen Ursprungs kann im mythischen Bewußtsein von der unverbrüchlichen Nor­ mativität des Ursprungs keinen Platz finden. Wo geschichtliche Veränderun­ gen des Gottesverständnisses als solche thematisch werden, da wird die mythische Lebensorientierung durchbrochen. Das ist in der Religionsge­ schichte Israels geschehen136, obwohl sich in den Traditionen Israels und des Christentums eine vielschichtige Nachgeschichte mythischer Stoffe, mythi­ scher Einzelmotive und Denkformen, denen dabei neue Funktionen zu­ wuchsen, nachweisen läßt137. Für Israel ist schon in den Überlieferungen aus der Patriarchenzeit und noch mehr in der Exodustradition, in der Erinne­ rung an die Erwählung Davids und seiner Dynastie, sowie Jerusalems als Ort der Gottesverehrung, und schließlich in der Botschaft der Propheten die 136 Siehe dazu die allerdings der Differenzierung bedürftige Gegenüberstellung der Ge­ schichtstheologie des alten Israel zur Urzeitorientierung des Mythos bei M. Eliade: Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Düsseldorf 1953. Zum Mythosbegriff und seiner Geschichte siehe auch meine Untersuchung über: Christentum und Mythos (1971) in: Grundfragen systematischer Theologie II, 1980, 13–65. 137 Einzelnachweise dazu finden sich in der Untersuchung „Christentum und Mythos“, Grundfragen systematischer Theologie II, 1980, 31–56 und 57 ff.

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Erfahrung geschichtlicher Veränderung selber zum Medium des Gottesbe­ wußtseins geworden. Damit aber mußte auch zu Bewußtsein kommen, daß jede Bewährung des Gottesglaubens in geschichtlicher Situation, jede Erfah­ rung eines neuen Handelns Gottes nicht nur alles Vorherige in ein jeweils neues Licht rückt, sondern auch selbst wieder sich als vorläufig erweist. So erhebt sich die Frage nach einem künftigen endgültigen Selbsterweis der Gottheit Gottes, eine Frage, die sich in Israel besonders in der Prophetie der Exilszeit Bahn gebrochen hat und später von der Apokalyptik in die Erwar­ tung der Endereignisse aufgenommen wurde. Für Israel ist die von ihm erfahrene Geschichte samt ihrer noch unvollen­ deten Zukunft, die die Zukunft der Welt und der Menschheit einschließt, zur Erscheinungsgeschichte Gottes geworden. Die Interpretationen geschichtlicher Welterfahrung als Ausdruck der Macht Gottes, als Handeln Gottes, wirkten zurück auf das Gottesverständnis selber, so daß im Medium der Geschichte die Gottheit Gottes und seine Eigenschaften zunehmend in Erscheinung treten, zwar nicht in gleichmäßigem Fortschreiten, – weil der Gang der Ereignisse auch Zeiten der Verfinsterung kennt, – aber doch auf eine Zukunft hin, in der die Herrlichkeit des Gottes Israels endgültig und für alle Menschen aus seinem geschichtlichen Handeln offenbar sein wird. Wenn die Auffassung der Geschichte als Erscheinungsgeschichte Gottes in Israel darin begründet ist, daß im Unterschied zu den mythologischen Religionen seiner Umwelt die Bewährung der Gottheit Gottes an je neuen Situationen der Welterfahrung thematisch wurde, so daß diese als ein je neu­ es Handeln Gottes verstanden werden konnten, dann wird die geschichtli­ che Form der Bewährung und Selbstbehauptung der Götter in der Welt der Religionen, so wie sie sich im Gang der Religionsgeschichte vollzieht, eben­ falls als Erscheinungsgeschichte der Götter selbst bezeichnet werden müs­ sen. Wo sich der Glaube an einen Gott an der Welterfahrung seiner Verehrer bewahrheitet, da kann man nicht nur von einer Interpretationsleistung der an ihn Glaubenden sprechen, sondern da erweist – wenn auch nur vorläufig – der Gott selbst ihnen seine Gottheit. Eine Betrachtung der Religionsge­ schichte, die die Religionen und ihre Götter nicht nur als menschliche Vor­ stellungen behandelt, sondern die mit ihnen verbundene Wahrheitsfrage ernst nimmt, wird sich einer solchen Sicht der von ihr erforschten und be­ schriebenen religionsgeschichtlichen Veränderungen schwerlich entziehen können. Freilich gibt es auch Gottesgestalten, die in diesem Prozeß ver­ schwinden, weil ihre Machtlosigkeit offenbar wurde. Und auch die Gottheit der über lange Zeit hinweg gegen die immer neuen Herausforderungen der Welterfahrung sich behauptenden Götter bleibt im Fortgang der Ge­ schichte strittig. Das gilt auch für den Gott Israels. Die Glaubenszeugnisse des Alten Testaments sprechen das selbst aus, wenn sie von einem künftigen, endgültigen Erweis der Gottheit Gottes durch ihn selbst sprechen. Der mo­ notheistische Glaube bestreitet die Realität anderer Götter, und seit der

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Verbindung des biblischen Monotheismus mit dem der griechischen Philo­ sophie ist die Nichtexistenz anderer Götter in der christlich geprägten Kul­ turwelt eine kulturelle Selbstverständlichkeit geworden. Doch ein Blick auf die religiöse Weltsituation lehrt, daß die Unumkehrbarkeit dieses Schrittes der Religionsgeschichte noch nicht aller Strittigkeit enthoben ist. Noch mehr ist freilich die endgültige Gestalt der göttlichen Wirklichkeit zwischen den verschiedenen Formen monotheistischen Glaubens strittig, sowie zwi­ schen ihnen und einer die personale Auffassung göttlicher Wirklichkeit in Zweifel ziehenden, atheistischen Religiosität. Die Auffassung der Religionsgeschichte als Kritik der Religionen und „Erscheinungsgeschichte“ des in ihnen verborgenen göttlichen Geheimnis­ ses138, der wahren Wirklichkeit Gottes, mag – oberflächlich gesehen – als eine dogmatisch von einem monotheistischen Standpunkt aus entworfene Sicht erscheinen. Daß das göttliche Geheimnis als Einheit erfaßt wird, die Machtansprüche der Gottesgestalten und die konkreten Konflikte zwischen ihnen letztlich auf die Einheit einer darin in Erscheinung tretenden göttli­ chen Wirklichkeit bezogen werden, entspricht aber nur der Einheit des Reli­ gionsbegriffs, und zwar der darin enthaltenen Annahme einer Einheit der Menschheit in ihrer religiösen Bestimmung und der damit verbundenen Auffassung von einer trotz aller religiösen Pluralität doch bestehenden Ein­ heit der Religionsgeschichte. Man könnte hinzufügen, daß auch eine Bezie­ hung zur Einheit der Welt und zur Einheit der Wahrheit besteht, um die es in der Strittigkeit der Gottheit der Götter und Religionen geht, insofern die Wahrheit des Glaubens an die Gottheit eines Gottes angesichts der Welter­ fahrung und der konkurrierenden Wahrheitsansprüche anderer Götter auf dem Spiele steht. Daß die Annahme einer Einheit der Religion und der Reli­ gionsgeschichte ihrerseits einen kulturgeschichtlichen Ort hat, der durch die Tatsache des Monotheismus bedingt ist, wurde schon erwähnt. Aber damit wird die monotheistische Perspektive nicht dogmatisch ins Spiel gebracht. Daß die Religionsgeschichte nicht nur Geschichte menschlicher Vorstellun­ gen und menschlichen Verhaltens ist, daß es vielmehr in ihr um die Wahrheit der göttlichen Wirklichkeit selber in den Gottesgestalten der Religionen geht, darin ist es begründet, daß die Religionsgeschichte als Erscheinungsge­ schichte der göttlichen Wirklichkeit wie auch als Prozeß der Kritik an unzu­ reichenden Auffassungen der Menschen von der göttlichen Wirklichkeit ge­ lesen werden kann. Die unbeschadet aller Pluralität anzunehmende Einheit der Religion in der Geschichte der Religionen entspricht der Einheit der in dieser Geschichte, durch ihre Veränderungen und Abbrüche hindurch zur Erscheinung kommenden göttlichen Wirklichkeit. Diese aber ist nicht als Resultat gegeben. 138 Vgl. meine „Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte“, in: Grundfragen systematischer Theologie 1, 1967, 252–295, bes. 288 ff.

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Vielmehr bleibt ihre Gestalt strittig zwischen den Wahrheitsansprüchen der Religionen. Das Inerscheinungtreten der göttlichen Wirklichkeit, auch inmitten der noch ungelösten Konflikte religiöser und ideologischer Wahrheitsansprüche, heißt Offenbarung. Die Klärung des Offenbarungsbegriffs und seiner theolo­ gischen Problematik wird zeigen, daß dieser Begriff der Erscheinungs­ geschichte Gottes in der Geschichte der Religionen korrespondiert, nun al­ lerdings als Auslegung des christlichen Glaubens und damit des von diesem Glauben bekannten Gottes und seines Ortes inmitten der Welt der Religio­ nen. Mit der christlichen Rede von der Offenbarung Gottes wird der Er­ scheinungsgeschichte der göttlichen Wirklichkeit im Ringen der Religionen um die wahre Gestalt der Gottheit nicht etwas Fremdes hinzugefügt. Viel­ mehr ist der Offenbarungsbegriff im Gang der Religionsgeschichte selbst zur Bezeichnung für das Ergebnis des Selbsterweises Gottes im Prozeß ge­ schichtlicher Erfahrung geworden. Daß aber die Geschichte die Sphäre des Selbsterweises der Gottheit Gottes ist, ist eine Entdeckung Israels gewesen, deren Erbe das Christentum angetreten hat. Der Selbsterweis Gottes hat Folgen auch für das Verhältnis des Menschen zu Gott, also für die Gottesverehrung, die Religion im engeren Sinne des Wortes. Das religiöse Verhältnis des Menschen zu Gott entspricht nicht im­ mer schon der Wahrheit Gottes, die durch seinen geschichtlichen Selbster­ weis an den Tag gebracht wird. Das religiöse Verhältnis zu Gott bedarf viel­ mehr der Korrektur vom Selbsterweis der göttlichen Wahrheit her, und ge­ rade die Unangemessenheit in der Gestaltung des menschlichen Verhält­ nisses zur göttlichen Wahrheit trägt dazu bei, daß diese erst im Prozeß einer Geschichte sich selbst dem Menschen erweisen kann.

4. Das religiöse Verhältnis Wenn man das Wissen von Gott oder Göttern nicht als Voraussetzung der Religion von dieser unterscheidet, sondern es ihrem Begriff einordnet, wie das seit Augustin geschehen ist, dann geht es bei der Frage nach der Wahrheit der Religion in erster Linie um die Wahrheit ihrer Behauptungen über die Gottheit. Ihnen muß im religiösen Leben der Menschen ein Vorrang zukom­ men, weil die Wirklichkeit des Gottes aller menschlichen Verehrung vorgän­ gig in sich besteht und gerade darum Anspruch auf religiöse Verehrung hat. Indem andererseits das Wissen von der Gottheit zum Begriff der Religion gerechnet wird, betrachtet man schon das menschliche Gottesbewußtsein, wie Augustin es getan hat, als eine Form der Verehrung Gottes. In der Tat muß alle Verehrung Gottes damit beginnen, daß der Mensch überhaupt sei­ ner gedenkt, sich seiner bewußt wird. Religion als Gottesverehrung um­

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faßt freilich auch andere Formen menschlichen Verhaltens. Das Wissen von Gott ist keineswegs die höchste Form der religiösen Verehrung, aber es ist grundlegend für alle anderen. Die Wahrheit der Religion als Gottesvereh­ rung beruht dann darauf, daß sie dem wahren Gott und seiner Offenbarung entspricht. In diesem Sinne genommen setzt der Gedanke der Wahrheit der Religion oder der „wahren Religion“ die Wahrheit Gottes (und also auch die Gegenstandswahrheit der Behauptungen über ihn) schon voraus und bezieht sich darauf, daß der Mensch in seinem Verhalten, in den Formen seiner Got­ tesverehrung, Gott entspricht und nicht etwa sich ihm entzieht oder ihn für seine eigenen Zwecke zu benutzen sucht. Die treffendste Beschreibung dieses Sachverhalts ist in der Geschichte der modernen Religionsphilosophie in Hegels Vorlesungen über den Begriff der Religion gegeben worden. In seiner Vorlesung von 1821 setzte Hegel bei der Darstellung des Begriffs der Religion sogleich dabei ein, daß Religion jeden­ falls „das Bewußtsein von Gott überhaupt“ sei. Im Unterschied zur objekti­ vierenden Form dieses Bewußtseins in der philosophischen Gotteslehre der Metaphysik (der theologia naturalis), sei jedoch im Leben der Religion „die subjective Seite wesentliches Moment“139. Damit hob Hegel nicht so sehr die für ihn selbstverständliche subjektive Bedingtheit der Gottesvorstellungen hervor, sondern den Umstand, daß mit dem Bewußtsein der göttlichen Wirk­ lichkeit ein Bewußtsein von der eigenen Endlichkeit des religiösen Menschen in seiner Geschiedenheit von Gott – in seiner Absonderung und Nichtigkeit, wie es später heißen wird140, – verbunden ist. Diese Form eines Bewußtseins der eigenen Subjektivität gehört nämlich dem religiösen Bewußtsein selber an, nicht erst der kritischen Reflexion auf dasselbe. Hegel hat hier vorweg­ genommen, was die moderne Religionsphänomenologie seit Rudolf Otto als das „Kreaturgefühl“ beschrieben hat, das die Erfahrung „des Numinosen“ begleitet. Aber Hegel ist darin näher an der Konkretheit religiöser Erfahrung geblieben, daß er vom Gottesbewußtsein sprach, statt von einer Abstraktion wie dem „Numinosen“. Das im Bewußtsein des religiösen Menschen mit dem Gottesbewußtsein verbundene Wissen um den eigenen Abstand von Gott bildet sodann den Ausgangspunkt für das Verständnis dessen, was nach Hegel das zentrale Thema des religiösen Lebens ausmacht, näm­ lich für den Kultus, durch welchen die Trennung des Menschen von der Gottheit aufgehoben wird. Hegels Deutung des Begriffs der Religion ist inso­ fern alles andere als intellektualistisch. Das Bewußtsein von Gott, die Vor­ stellung von der Gottheit, bildet zwar die Grundlage, aber erst im Kultus kul­ miniert der Begriff der Religion. Damit hat Hegel den alten Begriff der 139 G.W.F. Hegel: Religionsphilosophie, Band I: Die Vorlesung von 1821, Hrsg. K.H. Ilting, Napoli 1978,65,9 und 69,20 (im Original jeweils gesperrt). 140 So die Ausgabe der Religionsphilosophischen Vorlesung von 1840 bei Ilting 68. In der Vorlesung von 1821 wird vom Wissen des Subjekts als „abgesondert für sich Einzelnes… Ver­ schwindendes Vorübergehendes“ gesprochen (71,3 und 6).

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Religion als cultus deorum aufgenommen und erneuert, indem er den Sinn des Kultus in die Überwindung der Absonderung des Menschen von Gott setzte. Das wiederum ermöglichte es Hegel, den Begriff des Kultus so weit zu fassen, daß alle Formen der Vermittlung des unendlichen Abstandes des Menschen von Gott zur Ermöglichung seiner Teilnahme an der Gottheit darin Platz finden, vom äußerlichen Handeln des öffentlichen Gottesdien­ stes mit seinen Opfern und Ritualen bis hin zu den verinnerlichten Formen des Kultus im Vollzug der Andacht und des Glaubens141. Dabei ist aber der Kultus keineswegs nur als menschliches Handeln gedacht worden. Hegel war sich darüber im klaren, daß ein auf sich gestelltes menschliches Handeln den Abgrund, der die Nichtigkeit des Endlichen von Gott trennt, nie über­ brücken könnte. Dazu ist es nötig, daß die Versöhnung des Getrennten von Gott nicht nur ausgeht142, sondern in ihrem ganzen Vollzug durch ihn getra­ gen wird, wie es im christlichen Verständnis vom Vollzug des Kultus im Me­ dium des Glaubens hervortritt143. Man mag an dieser Stelle in Hegels Begriff des Kultus einen spezifisch lutherischen Akzent entdecken. Freilich kommt darin zugleich die identitätsphilosophische Konzeption zum Ausdruck, für die aus der Verschränkung der Bewegungen des göttlichen und menschli­ chen Selbstbewußtseins durch deren gegenseitige Entäußerung die Einheit des Geistes hervorgeht. Der Kultus überwindet nach Hegel den Abstand, in welchem der religiöse Mensch sich der Gottheit gegenüber vorfindet. Das Wissen um diesen Ab­ stand hätte für Hegel freilich auch Anlaß geben können, die Verfehlung der göttlichen Wirklichkeit im Bemühen des Menschen, sich ihr durch den Kul­ tus zu verbinden, zu thematisieren. Solche Verfehlung ist nach Hegels eige­ ner Beschreibung da unvermeidlich, wo die Erhebung des Menschen zu Gott nicht der Wahrheit Gottes entspricht, nicht von ihrer zuvorkommen­ den Herablassung zur Versöhnung der endlichen Welt getragen ist. Da aber eine volle Entsprechung der religiösen Erhebung des Menschen zur Offenbarung Gottes nach Hegel erst auf der Stufe der absoluten Religion stattfinden kann, müßte das Verhältnis des Kultus zur göttlichen Wahrheit auf allen vorangehenden Stufen noch ein gebrochenes sein. Diesen Sachver­ halt hat Hegel nicht thematisiert, weil er den Kultus einer jeden Stufe der Religionsentwicklung nur zu dem ihr entsprechenden Gottesverständnis in Beziehung setzte, nicht aber zu der erst auf der Stufe der absoluten Religion offenbaren göttlichen Wahrheit. In der Religionswissenschaft der Folgezeit ist schon der Ansatzpunkt für eine solche Fragestellung verlorengegangen. Die Dreiteilung der Hegelschen Beschreibung des Begriffs der Religion – Objekt, Subjekt und Vollzug ihrer 141 142 143

Vgl. a. a. O. 71,20 ff., 77,14 und zum Begriff der Andacht 111,19 ff. A. a. O. 79 f. Vgl. a. a. O. 685 ff.

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Gemeinschaft im Kultus – hat zwar noch in der klassischen Darstellung der Religionsphänomenologie bei Gerardus van der Leeuw ein Echo gefun­ den144. Aber während bei Hegel die Religion durch die Spannung zwischen der absoluten Wirklichkeit Gottes und der endlichen Subjektivität des Men­ schen gekennzeichnet war, ist bei van der Leeuw alles ins Anthropologische verschoben. Das „Objekt“ der Religion wird nur noch unter dem Gesichts­ punkt der menschlichen Vorstellungen von der heiligen Macht behandelt, obwohl erwähnt wird, daß der religiöse Mensch dieses Objekt als handeln­ des Subjekt auffaßt. Der religiöse Mensch ist schon hier, wo es um das Ob­ jekt des religiösen Verhältnisses geht, die Basis der Darstellung. Damit mag es Zusammenhängen, daß das endliche „Subjekt“ der Religion nicht, wie noch bei Otto, unter dem Gesichtspunkt seines Abstandes und seiner Absonderung von der Gottheit in den Blick kommt, sondern nur unter dem der Teilhabe an der Sphäre des Religiösen: Der heiligen Macht entspricht „der heilige Mensch“145. Damit ist die von Hegel herausgearbeitete, noch von Otto gesehene Spannung im religiösen Grundverhältnis verloren. Sie bedarf gar nicht mehr der Auflösung durch den Vollzug des Kultus. Den­ noch schließt sich auch bei van der Leeuw als dritter Teil eine Darstellung der Beziehungen von „Objekt und Subjekt in ihrer Wirkung aufeinander“ an. Aber sie kennt keine Verschränkung von göttlichem und menschlichem Handeln mehr, sondern nur noch das äußere und innere Handeln der betei­ ligten Menschen, und zwar in der Perspektive einer Bemächtigung des Le­ bens durch rituelle Begehung146. Religionsphänomenologie als systematische Religionswissenschaft stellt sich somit dar als Beitrag zu einer Anthropologie des religiösen Verhaltens147. Die Systematik einer solchen Anthropologie kann aber durch die empiri­ 144 So die drei ersten Teile von G. van der Leeuw: Phänomenologie der Religion (1933), 2. Aufl. 1956. Es folgen noch ein vierter („Die Welt“) und ein fünfter Teil („Gestalten“). Die kriti­ schen Bemerkungen von G. Widengren (Einige Bemerkungen über die Methoden der Phäno­ menologie der Religion, 1968, in: G. Lanczkowski (Hrsg.): Selbstverständnis und Wesen der Religionswissenschaft, Darmstadt 1974, 257–271) richten sich nicht gegen diese Systematik des Werkes. 145 Van der Leeuw a. a. O. 208 ff. 146 A. a. O. 383. In dieser Akzentsetzung mag die von G. Widengren beanstandete Einseitig­ keit der Orientierung van der Leeuws an den Religionen schriftloser Völker (Widengren a. a. O. 263) mitgespielt haben. 147 Vgl. dazu meine „Erwägungen zu einer Theologie der Religionsgeschichte“, in: Grund­ fragen systematischer Theologie I, 1967, 252–295, bes. 257 ff., 260 f. Mit dieser positiven Würdi­ gung ihrer Funktion ist dort eine Kritik an der Abstraktion vom geschichtlichen Kontext der Materialien verbunden, die die Religionsphänomenologie vornimmt, indem sie Daten ganz ver­ schiedener Herkunft zur Veranschaulichung typischer Strukturen heranzieht (259 f.). Ähnliche Kritik ist in der Religionswissenschaft besonders auf dem Marburger Kongreß von 1960 vorge­ tragen worden. Vgl. aber schon R. Pettazoni in Numen 1, 1954,1–7, sowie die Bemerkungen von U. Bianchi im Rückblick auf den Marburger Kongreß (Numen 8,1961, 64–78) und die Aus­ führungen von G. Widengren 1968 in dem Anm. 144 zit. Aufsatz.

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schen Befunde allein nicht begründet werden. Das scheinbar empirische Vorgehen der Phänomenologie läßt die Gründe, die der strukturellen Ord­ nung der Phänomene zugrunde liegen, im unklaren. Hier kann nur eine aus­ drückliche Reflexion auf die Zusammenhänge religiösen Verhaltens mit den allgemeinen Gegebenheiten und Strukturen menschlichen Verhaltens wei­ terhelfen. Das Bemühen um eine systematische Ordnung der empirischen Daten religiösen Verhaltens kann dann die Form einer Exemplifizierung, aber auch Differenzierung allgemeiner Annahmen über Grundformen men­ schlichen Verhaltens gewinnen. Die Gegenstandsbeziehung des religiösen Verhaltens wird dabei schon vorausgesetzt. Ihre Spezifizierung erfolgt in der Religionsphänomenologie vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der verschiedenartigen endlichen Medien, in denen die göttliche Macht für den Menschen in Erscheinung tritt, sei es in Naturerscheinungen wie Sonne und Mond, Fluß und Meer, Sturm und Regen, sei es im menschlichen Gemeinschaftsleben in den Mächten von Liebe, Recht, Herrschaft und Krieg, Weisheit und Erfindungskraft. Es fragt sich aber, was eigentlich geschieht, wenn diese Mächte neben den sog. Urhe­ bergöttern oder Hochgöttern zu Gegenständen religiöser Verehrung wer­ den. Auch das ist noch eine Frage, die zur Anthropologie religiösen Verhal­ tens gehören sollte, aber sie kann sich nicht erheben, wenn dessen Gegen­ stand von vornherein nur unter dem Gesichtspunkt menschlicher Vorstel­ lungen von der Gottheit thematisiert wird. Religiöse Vorstellungen können in Spannung zu ihrem Gegenstand stehen. Das haben schon die Erwägungen des vorigen Abschnitts zur Frage nach der Wahrheit religiöser Gottesvor­ stellungen und zur Bedeutung geschichtlicher Erfahrung als Prüfung religiö­ ser Wahrheitsansprüche gezeigt. Die Frage nach allgemeinen Bedingungen solcher Spannungen zwischen Gottesvorstellung und göttlicher Wirklich­ keit gehört zumindest teilweise auch zur Aufgabe einer Anthropologie reli­ giösen Verhaltens. Dazu wäre allerdings, anders als es bei der Religionsphä­ nomenologie der Fall ist, die Annahme einer göttlichen Wirklichkeit voraus­ zusetzen, auf die sich das religiöse Verhalten bezieht. An dieser Stelle liegt die Überlegenheit einer religionsphilosophischen Beschreibung des religiö­ sen Verhältnisses, wie Hegel sie gegeben hat, gegenüber einer Phänomenolo­ gie, die in den religiösen Phänomenen lediglich Äußerungen menschlichen Verhaltens zu entdecken vermag. Die Annahme einer von den religiösen Vorstellungen der Menschen unterscheidbaren göttlichen Wirklichkeit kann sich nicht dogmatisch auf eine bestimmte religiöse Gottesvorstellung stützen. Damit nämlich würde nur eine derartige Gottesvorstellung allen übrigen vorgezogen, nicht aber der Reflexionsschritt zurück hinter alle religiösen Gottesvorstellungen gelei­ stet. Dieser Schritt kann nur religionsphilosophisch unter Rückgriff auf den metaphysischen Begriff des Absoluten als Bedingung aller Erfahrung von Endlichem erfolgen. Der metaphysische Begriff des absolut Unendlichen

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bleibt zwar im Vergleich zum Gott der Religionen defizitär, insofern er nicht den Charakter des Personalen, der personal begegnenden Macht hat. Aber wie er in seinen Anfängen aus einer kritischen Reflexion auf die Behauptungen religiöser Überlieferung über Wesen und Wirken der Götter entwickelt worden ist, so läßt er sich auch auf die Interpretation der Religio­ nen anwenden. In solcher Anwendung bezeichnet der Begriff des wahrhaft Unendlichen oder Absoluten dann die in den religiösen Vorstellungen inten­ dierte, aber von ihnen auch kritisch zu unterscheidende göttliche Wirklich­ keit. Dabei wird diese Wirklichkeit als eine einzige erfaßt, in kritischer Wen­ dung gegen polytheistische Vorstellungen. Insofern konvergiert der philo­ sophische Begriff des Absoluten mit dem Gottesgedanken der monotheisti­ schen Religionen. Allerdings ist solche Konvergenz beim metaphysischen Gedanken des Absoluten ein Ergebnis der Abstraktion von allen Besonder­ heiten der konkreten Begegnung und Erfahrung göttlicher Macht, und diese Abstraktheit bedingt auch die Differenz zur Personalität des einen Gottes monotheistischer Religion. Im Vergleich zur Konkretheit des Gottes der Religion bleibt der metaphysische Begriff des Absoluten defizitär. Sogar der Name „Gott“ kommt dem Begriff des Absoluten nur aufgrund seiner Bezie­ hung zur Religion zu, einerseits im Hinblick auf seinen Ursprung aus der kritischen Reflexion auf die Gottesvorstellungen religiöser Überlieferung, andererseits im Hinblick auf seine religionsphilosophische Anwendung. Das Absolute der Metaphysik ist daher nur als Näherung an die in den Gottesvorstellungen der Religionen intendierte Wirklichkeit zu beurteilen, allerdings als Näherung unter dem Gesichtspunkt vernünftiger Allgemein­ heit148. Das gilt auch für die Frage nach dem Dasein Gottes. Da die Eigenart Gottes der metaphysischen Reflexion allenfalls in sehr allgemeiner und da­ her beschränkter Form zugänglich sein kann, und überdies der metaphysi­ sche Gedanke des Absoluten ohne eine endgültige Theorie der ihm entsprechenden Weltwirklichkeit als Ausdruck eines bloß subjektiven Be­ dürfnisses menschlicher Reflexion erscheinen kann, vermag die Metaphysik auch über das Dasein Gottes nicht definitiv zu urteilen. Sie muß dieses Urteil letztlich dem Streit der Religionen über die Wahrheit ihres Gottesverständ­ nisses überlassen, obwohl ihr selber eine regulative Funktion in diesem Streit zukommt. Die Eigenart der Gottheit wie auch das Dasein der so bestimmten Gottheit bleiben aber auch in den Auseinandersetzungen zwischen den Reli­ gionen strittig. Der metaphysische Begriff des Absoluten kann daher zwar durch die Religionsphilosophie eine Konkretisierung erfahren, die dem je­ weiligen geschichtlichen Standort philosophischer Reflexion entspricht. Er 148 Die kritische Feststellung von Duns Scotus, daß die Metaphysik von Gott nicht in seiner konkreten Wirklichkeit, sondern nur unter dem allgemeinen Gesichtspunkt ihres spezifischen Themas, des allgemeinen Seinsbegriffs, zu handeln vermöge (Ord. I d.3 q 1–2 C, Ed. Vat. III, 1954, p. 38 ff.), gilt mutatis mutandis auch für andere Auffassungen vom Thema der Metaphy­ sik.

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kann aber angesichts der Offenheit der Welterfahrung auch in der Religions­ philosophie nicht zu abschließender Vollendung gebracht werden. Immerhin gestattet es der philosophische Begriff des Absoluten, in einer auf die Selbstoffenbarung der göttlichen Wirklichkeit im Streit der religiösen Wahrheitsansprüche hin offenen Vorläufigkeit, die Gottesvorstellungen der Religionen von der in ihnen intendierten Wirklichkeit kritisch zu unter­ scheiden. Darum kann der Religionsphilosophie auch die Ambivalenz des religiösen Verhältnisses des Menschen zur Gottheit in den Blick kommen, eine Ambivalenz, die darin besteht, daß sich der Mensch zwar einerseits im Zusammenhang der Welterfahrung seiner Verwiesenheit auf das allen seinen Lebensäußerungen immer schon zugrunde liegende göttliche Geheimnis (im Sinne der cognitio Dei innata) ausdrücklich bewußt wird, dieses Geheimnis als die in seiner Welterfahrung ihm begegnende und ihn beanspruchende Macht erfährt, andererseits aber die Unendlichkeit der göttlichen Wirklich­ keit auf begrenzte Formen ihrer konkreten Manifestation festlegt. Man kann diese Ambivalenz des religiösen Verhältnisses sehr unterschied­ lich auffassen und beurteilen. Die Verendlichung der unendlichen Wirklich­ keit des Absoluten durch die religiöse Vorstellung kann als mit den endli­ chen Inhalten der Welterfahrung unvermeidlich verbunden erscheinen, je­ denfalls im Ausgangspunkt des Entwicklungsprozesses der Religion. So fängt Hegels Darstellung der religiösen Erhebung über das Endliche an bei der Erscheinung des Absoluten in Gegenständen der Natur, um dann in den Religionen der geistigen Subjektivität zum Bewußtsein der Differenz des Absoluten von der Naturwelt fortzuschreiten. Die Verbindung der Gottes­ vorstellungen mit den endlichen Inhalten der Welterfahrung kann aber auch zum Ansatzpunkt der Religionskritik werden, die bis hin zu den anthropo­ morphen Vorstellungen von der Gottheit die Unangemessenheit der endli­ chen Vorstellungsgehalte an die Wirklichkeit des Absoluten aufzeigt. Dabei handelt es sich nicht um eine bloß intellektuelle Beschränktheit. Wie die Menschen im Umgang mit der Welt die Herrschaft über die Bedingungen ih­ res Lebens zu gewinnen suchen, so auch im Umgang mit der in den Mächten der Welt konkret begegnenden göttlichen Macht über ihr Dasein. Und das geschieht eben mittels der Endlichkeit der Erscheinungen, die zur Weltwirk­ lichkeit gehören. Van der Leeuw hat mit Recht eine Tendenz zur Lebensbe­ mächtigung im Ursprung aller kultischen Begehung gefunden (s. o. Anm. 146). Er hat dabei die andere Seite, den Drang zur verehrenden Hinga­ be an die sich dem Menschen zeigende göttliche Macht, vielleicht zu sehr zu­ rücktreten lassen. Aber daß der Drang zur Verehrung sich unentwirrbar mit einer Tendenz zur Bemächtigung verbindet, ist schwerlich zu bestreiten. Seltsamerweise hat van der Leeuw nicht den Gegensatz zur göttlichen Wirklichkeit hervorgehoben, in den sich der religiöse Mensch mit solchem Verhalten verstrickt. Um so mehr hat die theologische Religionskritik diesen

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Aspekt des religiösen Verhaltens ins Licht gerückt: So hat Karl Barth Reli­ gion als Eigenmächtigkeit des Menschen im „Widerstand“ gegen die Offen­ barung Gottes gekennzeichnet (KD 1/2, 329), eine Eigenmächtigkeit, die darum auf „Götzendienst und Werkgerechtigkeit“ hinauslaufe (KD 1/2, 343). In späteren Jahren hat Barth die Tatsache der Religion allerdings auch als „Bestätigung“ dafür bezeichnen können, daß der Mensch von Gott her aus seinem Bundesverhältnis zu Gott nicht entlassen, „jenes Verhältnis von Gott her nicht aufgehoben ist“ (KD IV/1, 1953, 537 f.). Das hinderte jedoch nicht, daß Barth auch jetzt noch den religiösen Menschen nur „im Streit“ ge­ gen das von Gott her begründete Bundesverhältnis mit der Menschheit sah (ebd. 538). Er konnte in Anlehnung an Feuerbachs atheistische Rekonstruk­ tion ihrer Genese Religion als Ausdruck der „Angst“ der das Evangelium entbehrenden Menschen kennzeichnen (IV/3, 924). Weil Barth in dieses ne­ gative Urteil auch das Christentum einbezog (1/2, 357 ff.), scheint darin nicht einfach eine Verwerfung der anderen Religionen zugunsten der eige­ nen zum Ausdruck zu kommen. Doch dieser Schein trügt, wenn anders die Trennung der Offenbarung von der Religion, die Barth vornahm, so nicht aufrechtzuerhalten ist, weil göttliche Offenbarung unbeschadet ihrer Priori­ tät vor dem sie aufnehmenden Menschen doch nur offenbar ist und wird, wo sie von diesem empfangen wird, also im Medium von Religion. Die Kurzschlüssigkeit einer Selbstabgrenzung des Christentums von an­ deren Religionen durch Berufung auf göttliche Offenbarung – als ob die an­ deren Religionen ihr Wissen von Gott nicht großenteils auch ihrerseits auf göttliche Offenbarung zurückführten – darf nun aber nicht daran hindern, das Wahrheitsmoment in Barths theologischer Religionskritik aufzunehmen: Religion ist zwar nicht ausschließlich, aber doch immer auch dadurch ge­ kennzeichnet, daß die Menschen sich in ihr „eigensinnig und eigenmächtig“ (1/2, 329) gegenüber dem göttlichen Geheimnis verhalten. Religion geht dar­ in nicht auf, weil sie überall darauf beruht, daß Gott seine ewige Kraft und Gottheit in den Werken der Schöpfung den Menschen kundgemacht hat, wie der Apostel sagt (Röm 1,20). Das wird durch die Verkehrtheit der Menschen, durch ihre Verkehrung der Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in das Abbild der endlichen Dinge (1,23) nicht zunichte gemacht. Die Allgemein­ heit des Verdikts, daß die Menschen dem in den Werken der Schöpfung offenbaren Gott nicht gedankt und ihn nicht als Gott geehrt (1,21), son­ dern seine Herrlichkeit den Abbildern der vergänglichen Dinge beigelegt haben, schließt nicht aus, daß auch von den im Traditionszusammenhang heidnischer Religionen lebenden Menschen gilt, was Röm 8,19 ff. von der ganzen Schöpfung sagt, daß sie nämlich „sehnsüchtig wartet“ auf die Offen­ barung der Söhne Gottes, damit sie frei wird von der Last der Vergäng­ lichkeit. Paulus schließt sich Röm 1,20 ff. der jüdischen Polemik gegen die heidnischen Religionen an mit der Absicht, dieses Urteil auf den Juden selbst

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zurückzuwenden149. Die Verurteilung der heidnischen Religionen ist also bei Paulus kein selbständiges Argumentationsziel. Das ändert freilich nichts daran, daß der Apostel sich in diesem Zusammenhang das Urteil der jüdi­ schen Polemik zu eigen gemacht hat. Immerhin aber wird es doch fraglich, ob diese Sätze als in jeder Hinsicht erschöpfende Würdigung des Phänomens außerbiblischer Religionen gelesen werden dürfen. Der biblische Gesamtbe­ fund zu dieser Frage ist erheblich komplexer, nicht so sehr wegen der milde­ ren Aussagen der Apostelgeschichte zu diesem Thema (Acta 14,16 f.; 17,22 ff.), sondern vor allem angesichts der Tatsache, daß der jüdische Glau­ be sich keineswegs immer völlig abweisend zu allen anderen Göttern verhal­ ten hat: Das Bekenntnis zur Einzigkeit Jahwes konnte auch in der Weise er­ folgen, daß der Gott Israels mit dem kanaanäischen Schöpfungsgott El und später mit dem persischen Himmelsgott (Esra 5,11; 6,9 f.; 7,12 ff.) identifi­ ziert wurde, und sogar die Abstoßung Baals konnte nur so gelingen, daß die Baal zugeschriebenen Funktionen für die Fruchtbarkeit des Landes als sol­ che anerkannt, jedoch für Jahwe beansprucht wurden. Auch in der Perspek­ tive des Glaubens Israels war offenbar nicht alles verwerflich, was mit dem Gottesglauben anderer Religionen zusammenhing. Die jüdische Polemik gegen den Gottesglauben der anderen Völker, deren Urteil Paulus im Römerbrief übernahm, hebt einseitig das Moment der Ver­ kehrung des unvergänglichen Gottes in das Abbild vergänglicher Dinge her­ vor. Aber dieser Aspekt gehört nun eben doch auch zur Wirklichkeit der Religionen. Man darf ihn nicht einfach verleugnen. Er gehört zum religiösen Verhalten des Menschen so sehr, daß Paulus das jüdische Urteil über die Gottlosigkeit der Heiden auf die Juden zurückwenden konnte, und Barth ist durchaus der Intention der paulinischen Argumentation gefolgt, als er auch die Christen mit einschloß in dieses Urteil. Obwohl damit das Gesamtphä­ nomen der Religion nicht hinreichend gekennzeichnet ist, so wird doch zu­ mindest seine Ambivalenz in ein scharfes Licht gerückt. Worin besteht diese Ambivalenz? Allgemein gesprochen, nämlich in der Sprache der Religionsphilosophie, läßt sie sich darauf zurückführen, daß das religiöse Verhältnis des Menschen zum Absoluten, zum wahrhaft Unendli­ chen, daran gebunden ist, daß ihm das Unendliche im Medium der Welter­ fahrung, also im Medium der stets endlichen Inhalte solcher Erfahrung be­ gegnet. Es ist auch für die christliche Theologie wichtig, den Sachverhalt in dieser Sprache zu beschreiben und zu erörtern. Nur so läßt sich nämlich das Mißverständnis überwinden, als ob es sich hier gar nicht um einen Sachver­ halt religiösen Lebens, der nach deskriptiver Erfassung verlangt, handle, sondern nur um den Ausdruck der Selbstabgrenzung der biblischen Offen­ barungsreligion von allen anderen Religionen. Der erwähnte Sachverhalt entspricht zunächst der paulinischen Feststellung, daß Gott sich den Men­ 149

Siehe dazu U. Wilckens: Der Brief an die Römer 1, Neukirchen 1978, 116, vgl. 97 ff.

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schen in den Werken der Schöpfung kundgemacht habe: der unendliche Gott im Medium der endlichen Dinge. Das ist die Voraussetzung dafür, daß der Mensch darauf verfallen kann, die ihm erscheinende göttliche Macht nach dem Bilde dieser endlichen Dinge vorzustellen, in denen sie ihm in Erscheinung tritt. Es verdient Beachtung, daß die paulinische Kritik sich nicht dagegen rich­ tet, daß die unvergängliche Macht Gottes überhaupt in den Gebilden der Schöpfung wahrgenommen wird. Das wird vielmehr auch vom Apostel be­ stätigt. Seine Kritik zielt nur darauf, daß die Macht Gottes nach dem Bilde der vergänglichen Dinge dargestellt und Gott so mit den Geschöpfen (Röm 1,25) verwechselt wird. Dazu ist zu sagen, daß die Religionen im allgemeinen sehr wohl zwischen den Beständen der Weltwirklichkeit, in denen die göttliche Macht sich be­ kundet, und der Gottheit selbst unterschieden haben. Der heilige Stein oder Baum, Feuer oder Wasser sind Träger heiliger Macht und Medium ihrer Er­ scheinung, aber nicht identisch mit der göttlichen Macht selbst150. Ent­ sprechendes gilt für die Gestirne, für Sonne und Mond, und für die Weite des Himmels selbst, der alles umspannt151. Gleichwohl ist mit der Identifikation der göttlichen Macht durch eine bestimmte Sphäre ihrer Manifestation auch immer eine Einschränkung auf einen bestimmten Aspekt der Welterfahrung gegeben. Das gilt sogar für die uranischen Gottheiten, die durch ihre Verbin­ dung mit der Weite des Himmels zwar als allumfassend gedacht werden, als allwissend und häufig als Schöpfer der Welt, die aber gerade durch diese ihre Allgemeinheit von den das Leben der Natur und der Menschen bestimmen­ den, spezifischeren Mächten unterschieden bleiben und deshalb in der Ge­ schichte der Religionen leicht zu „Hintergrundgottheiten“ wurden. Wegen der Beschränktheit der jeweiligen Sphäre ihrer Manifestation spaltet die eine, unendliche Macht sich für den Menschen, der sie vom Medium ihrer Manife­ station her in ihrer Eigenart anzugehen sucht, in eine Vielzahl von Mächten. Diese aber sind wegen ihrer Vielzahl nur noch je besondere Aspekte des einen Unendlichen. Dennoch bleiben sich die Menschen der Einheit des Göttlichen bewußt. Dieses Bewußtsein findet seinen Ausdruck in der Ausbildung der Vorstellung von einer Herrschaft der höchsten, häufig der Himmels- oder Gestirngötter, über die übrigen Götter. Daneben repräsen­ 150 Mit Recht sagte G. van der Leeuw: Es sind „weder die Natur noch die Naturobjekte, wel­ che der Mensch verehrt, sondern die sich in ihnen offenbarende Macht“ (Phänomenologie der Religion, 2. Aufl. 1956, 38). 151 M. Eliade stellte nach einer Übersicht über die verschiedenen Formen uranischer höch­ ster Wesen in den Religionen der Völker fest, man könne sie „nicht auf uranische Hierophanien zurückführen. Sie sind mehr als das, sie sind ‚Gestalt‘, und das setzt eine eigene, nicht aus ura­ nischen Vorgängen oder menschlicher Erfahrung ableitbare Seinsweise voraus“ (Die Religio­ nen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte, Salzburg 1954, 143, vgl. 61–146, bes. 81 f.).

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tiert auch jede einzelne Gottesgestalt für ihre Verehrer häufig, wie Erik Hornung es am Beispiel Ägyptens gezeigt hat, die Gottheit überhaupt in ih­ rer Einheit. Von daher ist die Tendenz verständlich, die sich in der Ge­ schichte so vieler Gottesgestalten beobachten läßt, ihre Zuständigkeit auf weitere, ursprünglich nicht mit ihnen verbundene Wirkungskreise auszu­ dehnen. Zielt der Vorwurf der Verendlichung der unvergänglichen Macht und Gottheit des einen Gottes nun schon auf die partikularisierende Erfassung der Eigenart der göttlichen Macht von den unterschiedlichen Sphären ihrer Manifestation her, oder zielt er erst auf das Kultbild, auf die Darstellung der Gottheit nach dem Bilde geschöpflicher Wirklichkeit? Zweifellos dürfte dies letztere im Mittelpunkt der jüdischen Polemik ge­ gen das Heidentum gestanden haben, die Paulus Röm 1,20 ff. aufnahm. Das ist vom Bilderverbot des Dekaloges (Ex 20,4) her verständlich. Aber handelt es sich bei den Kultbildern der Religionen tatsächlich um Abbilder kreatürli­ cher Wesen, die dabei mit dem unsichtbaren Gott verwechselt werden? Es gibt gewichtige Gründe, das zu bezweifeln. Das Kultbild des Gottes will, wie Hubert Schrade gezeigt hat152, gerade die in den gewöhnlichen Formen der Manifestation der göttlichen Macht verborgene Eigengestalt der Gott­ heit sichtbar machen. Dem dienen nicht zuletzt die anthropomorphen Züge des Kultbildes: Sie drücken nicht in erster Linie eine Menschenähnlichkeit des Gottes aus, sondern vor allem die Verschiedenheit der Eigengestalt der Gottheit von der Sphäre ihres Wirkens. Letztere ist oft nur an den Attribu­ ten erkennbar, die das Gottesbild schmücken. Erst in zweiter Linie bringen die menschlichen Züge der Gottheit auch ihre personale Nähe, ihre Zuwen­ dung zum Menschen, die Nähe des Menschen zu ihr zum Ausdruck: ein Motiv, das auch dem biblischen Gottesverständnis nicht fremd ist. Das Kult­ bild als „Abbild des vergänglichen Menschen“ aufzufassen, ist zweifellos ein polemisches Mißverständnis der damit verbundenen religiösen Intention, ähnlich wie auch die aufklärerisch anmutende Götzenkritik Deuterojesajas, daß die Götzendiener das Werk ihrer eigenen Hände anbeten (Jes 44,9–20), am Selbstverständnis der heidnischen Religionen vorbeiging. Obwohl der Gott im Bilde gegenwärtig geglaubt wird, gilt er doch nicht einfach als mit dem Bild identisch153. Und was das Mißverständnis des Gottesbildes in ­ seinen anthropomorphen Zügen als Abbild des Menschen angeht, so drückt sich in der Neigung archaischer Darstellungen zur Verbindung von anthropomorphen mit theriomorphen Elementen und zu anderen Formen 152 H. Schrade: Der verborgene Gott. Gottesbild und Gottesvorstellung in Israel und im Al­ ten Orient, Stuttgart 1949, bes. das erste Kapitel zum Bildglauben im antiken Vorderasien und Ägypten. 153 Siehe dazu K.-H. Bernhardt: Gott und Bild, Berlin 1956,17–68, ferner auch den Artikel von C. H. Ratschow in RGG I 3. Aufl., 1270 f., der mit der an E. Lehmann anschließenden Fest­ stellung endet: „Jedenfalls ist Bildlosigkeit des Kultes kein Wertmaßstab“ (1270).

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der Stilisierung, die die Menschengestalt der Götterbilder ins unmenschlich Ungeheure verzerren, ein Gefühl für die Transzendenz der Gottheit auch gegenüber dem Menschen aus. Wo aber der Gott rein menschengestaltig dargestellt wird, da handelt es sich eher darum, das Übermenschliche als Maß des Menschlichen sichtbar werden zu lassen, nicht um einen Abklatsch des vergänglichen Menschen. Das biblische Verbot des Götterbildes mag sich denn auch nicht in erster Linie gegen die Form der Darstellung als solche gerichtet haben. Vielmehr dürfte dieses Verbot ähnlich wie das Verbot des „Mißbrauchs“ des Gottesnamens (Ex 20,7) sich vor allem dagegen richten, daß mittels des Bil­ des (wie mittels des Namens) über den Gott verfügt wird154. Kern des Bild­ glaubens war ja die Gegenwart des Abgebildeten in dem ihn nicht nur dar­ stellenden, sondern repräsentierenden, wenn auch nicht mit ihm identischen Bilde. Im Bild ist der Dargestellte selbst anwesend ebenso wie im Namen der Namensträger. Durch das Kultbild wird es daher möglich, daß der Mensch sein Verhältnis zur Gottheit auf einen bestimmten Ort ihrer Gegen­ wart konzentriert und sich ihr Wohlwollen durch den ihr dargebrachten Kult erwirbt. Das muß nicht in der Weise eines „magischen“ Verfügens über die Gottheit zu profanen Zwecken155 geschehen. Doch schon in der from­ men Hingabe des Menschen im Vollzug kultischer Huldigung liegt eine Ambivalenz, deren Kehrseite im magischen Mißbrauch des Gottesnamens und in der perversen Verehrung des Kultbildes, als ob es der abgebildete Gott selbst wäre, hervortritt156. Die jüdische Religionskritik, die sich im Zusammenhang mit dem im De­ kalog ausgesprochenen Verbot des Kultbildes entwickelt hat und in deren Tradition noch die paulinische Argumentation in Röm 1,20 ff. steht, richtet sich also nicht gegen die religiöse Wahrnehmung der göttlichen Macht in den Werken der Schöpfung, nicht einmal gegen die Ästhetik der Darstellung der Gottheit an und für sich, sondern gegen die Verkehrung des religiösen Verhältnisses in ein magisches Verfügen über die Gottheit. Wenn man das sagt, muß freilich sofort hinzugefügt werden, daß in der Sicht des biblischen 154

K.-H. Bernhardt a. a. O. 69–109. W. Dupre (Religion in Primitive Cultures. A Study in Ethnophilosophy, Mouton etc. 1975) weist die seit R. R. Marett (1909) und J.G. Frazer verbreitete Auffassung, wonach sich Re­ ligion aus Magie entwickelt habe, als ein „ideological dogma“ zurück (147, vgl. 146 f.) und cha­ rakterisiert dagegen seinerseits Magie als Verfallsform der Religion, „where a coercive or com­ pulsive attitude toward the world of the symbolic could be noted“ (143); „…magic attempts to reverse the unconditioned presence of the ultimate beginning and end into the availability of objects, formulae, rituals and institutions“ (ebd.). Während die Annahme eines magischen Ur­ sprungs der Religion in scharfem Gegensatz zum Nachweis eines bis auf frühe Zeit zurückrei­ chenden Hochgottglaubens steht, gelingt es Dupre, diesen Konflikt zu vermeiden, indem er statt der seit Levy-Bruhl viel beredeten „unio magica“, die den primitiven Menschen mit seiner Welt verbinde, von einer „unio mythica“ spricht (268 ff.). 156 So auch W. Dupre a. a. O. 146 f. 155

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Gottesglaubens solches Verfügen über die Gottheit nicht nur eine Rander­ scheinung religiösen Lebens ist, sondern das religiöse Verhalten in allen sei­ nen Ausdrucksformen dermaßen durchdringt, daß in polemischer Zuspit­ zung die Verkehrung des Gottesverhältnisses als für den faktischen Vollzug religiösen Verhaltens überhaupt kennzeichnend erscheint. In der propheti­ schen Tradition ist solche Kritik auch nach innen gewendet worden, gegen das religiöse Verhalten des jüdischen Volkes und die damit verbundene Selbstsicherheit. Der Apostel Paulus führte diese Tradition weiter, indem er die jüdische Polemik gegen das Gottesverhältnis der Heiden auf das jüdische Verhalten zu Gott im Zeichen des Gesetzes ausdehnte, und sinngemäß ist diese Kritik ebenso auf das religiöse Verhalten der Christen anzuwenden, wo Anlaß dazu besteht. Darüber darf natürlich nicht vergessen werden, daß das solcher Kritik unterliegende Verhalten im Gegensatz zum eigentlichen Sinn jüdischer und christlicher Frömmigkeit steht. Der Mißbrauch des Gottesverhältnisses zur Verfügung über Gott zwecks Selbstsicherung des Menschen ist und bleibt Perversion des Glaubens. Das aber wird dann auch den außerbiblischen Religionen zugute gehalten werden müssen, unbescha­ det des Rechtes der in Röm 1,20 ff. zusammenfassend geäußerten Kritik. Wie sehr diese Kritik die Struktur des religiösen Verhältnisses selber und dessen schon in seinen Grundlagen angelegte Ambivalenz trifft, bedarf nun noch genauerer Darlegung. Der eigentliche Sinn des Kultus ist die Verehrung der Gottheit und der Verzicht des Menschen auf seine Partikularität angesichts des umfassenden Anspruchs der Gottheit. Das Wesen des Kultus wird nur da realisiert, wo der Mensch ganz von sich absieht, indem nur die Gottheit und ihr Tun für ihn zählt. Das ist der Sinn der kultischen Darstellung und Erinnerung des­ sen, was der Mythos berichtet: Der Mensch wird hineingezogen in das Tun der Gottheit, und er empfängt sein Dasein in erneuerter Reinheit aus ihrer Hand zurück. Um solche Hingabe des Menschen an die Gottheit geht es beispielsweise beim Opfer, obwohl das Opfer auch herunterkommen kann zum bloßen Dienst, den der Mensch der Gottheit darbringt. Die Hingabe an die Gottheit ist auch der Sinn der religiösen Ekstase im kultischen Tanz, in Meditation und Andacht. Doch alle diese Formen religiösen Verhaltens blei­ ben zugleich zweideutig: Jede von ihnen kann auch zum Mittel der Verfü­ gung über die göttliche Macht, zur Technik einer Sicherung des Menschen vor ihrem Anspruch werden oder sie benutzen zur Daseinssicherung des Menschen. Der Ansatzpunkt für solche Verkehrung des religiösen Verhältnisses liegt schon in der Grundform der religiösen Wahrnehmung, daß nämlich das Unendliche im Endlichen, der Schöpfer in seinen Werken manifest wird. Dieser Sachverhalt ermöglicht es, die unbekannte Gottheit durch die Beson­ derheit ihrer Erscheinungsform in der Weltwirklichkeit zu identifizieren. Wo solche Identifikation exklusiv wird, wo also die das besondere Medium

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ihrer Erscheinung übersteigende Wirklichkeit der Gottheit in ihrer Trans­ zendenz verblaßt zugunsten einer Festlegung ihrer Eigenart auf diese beson­ dere Form ihres Erscheinens, da tritt bereits die Verkehrung ein, die das end­ liche Medium der Manifestation zwar nicht einfach mit der Gottheit ver­ tauscht, aber doch als Bestimmungsgrund ihrer Eigenart so zur Geltung bringt, daß die in diesem besonderen Medium (etwa in der Sonne) erschei­ nende göttliche Macht nicht mehr als identisch mit der in andern Aspekten der Welterfahrung begegnenden Gottheit erfaßt wird, die Einheit der Gott­ heit also auseinanderfällt in eine Vielheit göttlicher Mächte und der ihnen ge­ meinsame Welthintergrund nochmals eine eigene Gottheit im Unterschied zu den übrigen definiert. Schon die Bestimmung der Eigenart der Gottheit vom Medium ihrer Manifestation in ihren Werken her kann also zur Verkehrung führen, die im Ergebnis dann in gewissem Sinne das endliche Medium der Erscheinung an die Stelle der Gottheit selber treten läßt. Die Darstellung der Gottheit im Kultbild wehrt der Identifikation mit dem Medium ihres Wirkens, indem das Kultbild die Eigengestalt der Gott­ heit in ihrer Differenz von der Sphäre ihrer Manifestation darstellt. Anderer­ seits aber wird die Gottheit durch das Kultbild nun lokalisiert durch Bin­ dung an einen Ort ihrer kultischen Gegenwart und Ansprechbarkeit. Zwar wird dieser Ort der kultischen Gegenwart der Gottheit durch die strengen Regeln frommer Scheu und sakralen Kultrechts aus der profanen Welt aus­ gegrenzt, damit der Mensch nicht profan über ihre Gegenwart verfügt. Nur unter besonderen, streng zu beachtenden Vorschriften darf er sich ihr nä­ hern. Die Verletzung ihrer Heiligkeit würde den Tod des Frevlers zur Folge haben. Aber die Ausgrenzung eines heiligen Bezirks aus der profanen Welt hat auch zur Folge, daß der Mensch außerhalb des heiligen Bezirks ver­ gleichsweise unbesorgt seinen eigenen Zwecken nachgehen kann. Analoges gilt für die Festsetzung heiliger Zeiten, zu denen man der Gottheit in beson­ derer Weise gedenken und sie verehren soll. Die Zuordnung zu bestimmten heiligen Orten und zu besonderen heiligen Zeiten beschränkt die Gottheit und den Dienst an ihr auf die so ausgegrenzten Lebensbereiche. Durch die Ausgrenzung sakraler Bezirke werden die übrige Lebenswelt und das alltägliche Verhalten profan. Wie aber verhalten sich der sakrale und der profane Lebensbereich zueinander? Einerseits bildet der Kultort das Zentrum der Lebenswelt religiös geprägter Gesellschaften, und die kulti­ schen Feste sind die Höhepunkte des Jahres und gliedern seinen Ablauf. Von ihnen her empfängt das ganze Leben des religiösen Menschen seinen Sinn. Andererseits aber erfüllt damit das sakrale, kultische Leben eine Funk­ tion für die profane Lebenssphäre, und so wird es möglich, die Götter zu verehren nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen ihrer Funktion für den Bestand des Staates und für das Wohlergehen des einzelnen. Die Selbstbehauptung und Selbstsicherung des Menschen mit Hilfe der im Kult verehrten heiligen Macht bleibt freilich unthematisch und untergeord­

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net, solange das Verhältnis religiös bestimmt ist. Der religiöse Mensch will ja gerade auch im profanen Alltag von der göttlichen Wahrheit her leben, die im Kult begangen und gefeiert wird. Daß sich in seinem Verhalten faktisch auch das Gegenteil vollzieht, das Heilige seinem profanen Leben dienstbar gemacht wird, läuft der tragenden Intention der Religion zuwider. Erst die Magie benutzt mit voller Absicht das Heilige für profane Zwecke, ordnet es damit diesen Zwecken unter. Magisches Verhalten ist darum Verfallsform der Religion, weil ihr die Gottheit nicht mehr Selbstzweck ist, wie im Akt der Anbetung. Aber die Übergänge sind fließend, und in den Übergängen zwischen Religion und Magie kommt es zu den Greueln des religiösen Le­ bens, zu den Exzessen des Opfers, des religiösen Fanatismus, zu Machtan­ maßung und Machtmißbrauch der Priester. Die Ekstatik der Anbetung und ihre Verkehrung zum magisch wirksamen Ritus sind oft unentrinnbar miteinander verschlungen. Zumindest die Gefahr des Umkippens von Reli­ gion in Magie ist allgegenwärtig. Das gilt auch für das religiöse Verhalten des Christen, für Kirchgang und Gebet. Die Verkehrung der Anbetung zu einem abzuleistenden Werk und damit zu einem magischen Akt wird durch die Verselbständigung der säkularen Lebenssphäre, besonders in den Anfängen einer solchen Entwicklung, begünstigt. Die radikale Säkularisierung der Le­ benswelt zu einer Welt ohne Gott kann aber auch zum Ausgangspunkt für eine von ihr sich abstoßende Hinwendung zu Gott werden. Das religiöse Verhältnis ist immer von der Zweideutigkeit bedroht, daß es dem Menschen im Verhältnis zur Gottheit vor allem doch um das eigene Ich gehen könnte. Den Ansatzpunkt dafür bildet die Endlichkeit der Sphäre oder Gestalt, in der die Gottheit sich manifestiert und die sich in andere, übergreifende Lebenszusammenhänge einbeziehen und verorten läßt. Dabei wird faktisch die Unendlichkeit oder Absolutheit der Gottheit selbst ver­ fehlt. Sie wird „vertauscht“ mit der endlichen Form ihrer Manifestation. Solche Verendlichung des Unendlichen geschieht außer in der Gottesvor­ stellung und im Kultus auch in derjenigen Sphäre, die den Zusammenhang zwischen diesen beiden vermittelt, im Mythos. Im Mythos wird ja einerseits vom Handeln der Götter berichtet, und andererseits wird das im Mythos Berichtete im Kultus begangen. Der Mythos nun berichtet vom Handeln der Götter in der unvordenklichen Urzeit, in der die Ordnungen der Natur und der Menschenwelt begründet wurden157. Das in der Urzeit vollbrachte Han­ deln der Götter, von dem der Mythos erzählt, wird durch die kultische Be­ gehung für die gegenwärtig Lebenden wirksam. Die Ordnungen ihres Le­ bens und ihr Leben selbst werden dadurch erneuert. Sie werden dabei nicht in ihrer geschichtlichen Wandelbarkeit, sondern nur in der Beständigkeit der von der gründenden Urzeit her festliegenden Ordnung thematisch. 157 Zu dieser Funktion des Mythos siehe vom Vf.: Christentum und Mythos, in: Grundfra­ gen systematischer Theologie II, 1980,13–65, bes. 15 ff.

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Darin besteht die eigentümliche Blickverengung des mythischen Bewußt­ seins, und ihr korrespondiert die beschwörende Festlegung der Götter und ihres Handelns durch den kultischen Vollzug auf das in der gründenden Ur­ zeit Geschehene. Darin besteht die Verfügung über das Wirken der göttli­ chen Macht, die im mythischen Denken und durch das mit ihm verbundene kultische Handeln stattfindet: Das Gegenwärtige und Künftige wird einsei­ tig vom urzeitlich Vollendeten her bewältigt, das als solches abgeschlossen und überschaubar ist. Indem er sich an die mythischen Urbilder alles Ge­ schehens hält, sichert sich der Mensch, wie Mircea Eliade 1953 gezeigt hat158, gegen die Ungewißheit der Zukunft. Das kontingent Neue, das die Zukunft bringt, wird entweder als Anomalie verdrängt oder veranlaßt eine Revision des Bildes der mythischen Urzeit, wird also in sie zurückdatiert. Im Verhältnis zur Grundform mythischen Bewußtseins hat sich in der bi­ blischen Glaubensüberlieferung ein tiefgehender Wandel vollzogen, ein Wandel, der möglicherweise von den nomadischen Wurzeln der Gottesge­ stalt Israels als einer Führungsgottheit ausgegangen ist, sich dann aber, durch die Verbindung mit dem Schöpfungsglauben, umwälzend auf das gesamte Weltverständnis ausgewirkt hat159. Zwar hat es auch in Israel heilige Orte und Zeiten gegeben und die damit verbundene Unterscheidung zwischen heilig und profan. Das Exodusgeschehen wurde, z. B. in Verbindung mit der Passahliturgie und dem Fest der ungesäuerten Brote, in den Farben des my­ thisch Ursprünglichen und Normgebenden dargestellt. Ähnliches gilt für den Gesetzesempfang am Sinai. Auch in Israel wurden spätere Erfahrungen in das Bild der mythischen Urzeit zurückdatiert, während ihre Autorität als unveränderlich und unüberholbar galt. Doch andererseits blieb der Ur­ sprung des Volkes als ein geschichtlich kontingentes Erwählungsgeschehen in Erinnerung, und die Prophetie hat den Gott Israels als den auch weiterhin in den Ereignissen zeitgenössischer Erfahrung geschichtlich Handelnden verstehen gelehrt, in der Geschichte Israels, aber auch im Aufstieg und Nie­ dergang der Weltmächte. Die Geschichtlichkeit des Gotteshandelns wurde schließlich in der Erfahrung des Gerichtshandelns Gottes an seinem Volk als auch die alten Heilssetzungen überschreitend verstanden auf eine verheißene Zukunft hin, die alles Vorherige übertreffen sollte. Damit wurde die Urzeit­ orientierung des mythischen Bewußtseins durchbrochen. Normgebende Be­ deutung konnte schließlich sogar, wie es in den eschatologischen Sekten der nachexilischen Jahrhunderte, besonders in der Makkabäerzeit, vor allem aber in der Botschaft Johannes des Täufers und Jesu von Nazareth geschah, der Zukunft der Gottesherrschaft anstelle der gründenden Urzeit des My­ thos zugeschrieben werden. 158

M. Eliade: Der Mythos der ewigen Wiederkehr, 1953. Einzelnachweise zur folgenden Zusammenfassung finden sich in der Anm. 157 zit. Arbeit 31 ff., 37 ff. 159

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Mit der Wendung von der Urzeitorientierung des mythischen Bewußt­ seins zum Primat der Zukunft Gottes in der eschatologischen Erwartung wurde das Interesse an einer dauerhaft gültigen Ordnung des Lebens und Zusammenlebens der Menschen nicht einfach aufgegeben. Insofern ist die bi­ blische Eschatologie nicht, wie Eliade urteilte, eine Form der Weltflucht160. Um das zu beurteilen, muß man beachten, daß die Züge des Mythos im Zu­ sammenhang des heilsgeschichtlichen Bewußtseins bewahrt bleiben, wenn auch in veränderter Funktion. In Israel wurden Kultus und Königtum histo­ risiert und so in den Bezugsrahmen des heilsgeschichtlichen Bewußtseins eingeordnet. In diesem Rahmen fand auch in Israel die periodische Begehung der für das Volk grundlegenden Heilsereignisse sowie die Erneuerung des Königtums mit jeder neuen Thronbesteigung statt. Aber durch die heilsge­ schichtliche Einordnung wurden die Institutionen von Kultus und König­ tum auch grundsätzlich überholbar. Der Inhalt der eschatologischen Hoff­ nung zielte nun auf die uneingeschränkte Realisierung des Heilssinns dieser Institutionen, die unter den Bedingungen bisheriger geschichtlicher Erfah­ rung diesen Sinn nur in gebrochener Weise zu erfüllen vermochten. Im Chri­ stentum schließlich ist es infolge des christlichen Anspruchs, daß mit Jesus von Nazareth die eschatologische Vollendung angebrochen sei, aber in Ge­ stalt eines geschichtlichen Geschehens, das für die Gemeinde alsbald zur Vergangenheit geworden war, in gewissem Sinne zu einer Renaissance my­ thischer Formen religiösen Lebens gekommen: Das Christusgeschehen rückte in die Funktion einer mythischen Urzeit ein, die im christlichen Kult, in Taufe und Abendmahl, vergegenwärtigt und begangen wird. Die quasi mythischen Strukturen sind jedoch zu Bauelementen eines aus ganz anderen Kräften gewachsenen Organismus geworden. Nicht nur ist hier die Funktion gründender Urzeit einem innergeschichtlichen Ereignis und einem bestimm­ ten Zeitalter der Geschichte zugefallen, sondern sie ist außerdem begründet aus dem Vorgriff auf die auch für die christliche Kirche und ihre Glieder noch ausstehende eschatologische Zukunft und Vollendung der Geschichte. Darum sind im christlichen Kirchenjahr die Elemente quasi mythischer Wiederkehr urzeitlicher Setzungen faktisch etwas anderes geworden, weil sie ihren Sinn in einem nicht mehr mythischen, sondern heilsgeschichtlichen Bezugsrahmen haben. Dennoch ist es wichtig zu sehen, daß der Mythos im Christentum nicht einfach eliminiert, sondern integriert und aufgehoben ist. Das entspricht einem Gottesverständnis, das die Eigenart Gottes nicht aus­ schließlich von seiner Funktion für die uranfängliche Grundlegung der Ord­ nung der Welt bestimmt, aber auch nicht im Gegensatz zu ihr, sondern das Gott als Schöpfer, Versöhner und Erlöser der Welt alle Dimensionen der Le­ benswirklichkeit umgreifend und von der eschatologischen Vollendung 160 M. Eliade spricht a. a. O. 162 f. von einer Vernichtung der Geschichte durch die Eschato­ logie entsprechend der Verdrängung der Zukunft durch den Mythos.

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her die Trennung von heilig und profan aufhebend glaubt. Damit aber ist für das christliche Gottesverständnis maßgebend nicht mehr die Bewußt­ seinsform des Mythos, sondern das Geschehen der Offenbarung, des Selbst­ erweises der Gottheit Gottes im Prozeß der Heilsgeschichte. Es wird zu zeigen sein, daß die Verendlichung des Unendlichen, die das religiöse Verhältnis des Menschen zu Gott kennzeichnet, im Christentum zwar nicht vom kultischen Verhalten der Christen her, wohl aber im Geschehen der Offenbarung Gottes aufgehoben ist. In dem Maße, wie diese Überwindung der im Gottes Verhältnis der Religion stattfindenden Verkeh­ rung sich durch das Glaubensbewußtsein auch auf das Leben der Christen und der Kirche auswirkt, wird das Gottesverhältnis der Menschen durch den Glauben zurechtgebracht. Dabei sind allerdings auch die Glieder der christlichen Kirche, wie die Erfahrungen ihrer Geschichte lehren, gegen die Verkehrung der Religion in Magie nicht geschützt.

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4. Kapitel

Die Offenbarung Gottes 1. Die theologische Funktion des Offenbarungsbegriffs Weil die Wirklichkeit Gottes Voraussetzung menschlicher Gottesvereh­ rung ist, darum nimmt Religion ihren Ausgang von der Gotteserkenntnis. Menschliche Gotteserkenntnis aber kann nur unter der Bedingung wahre, der göttlichen Wirklichkeit entsprechende Erkenntnis sein, daß sie in der Gottheit selbst ihren Ursprung hat. Gott kann nur erkannt werden, wenn er sich selbst zu erkennen gibt. Die Erhabenheit der göttlichen Wirklichkeit läßt sie unerreichbar bleiben für den Menschen, wenn sie sich nicht von sich aus zu erkennen gibt. Wo immer Gott und Götter als dem Menschen unver­ gleichlich überlegene, heilige Macht verstanden worden sind oder gar als die eine, alles umfassende und alles bestimmende Macht, da verstand es sich auch schon von selbst, daß Gotteserkenntnis nur als durch den Gott selbst eröffnete Kenntnis möglich ist. Würde die Gotteserkenntnis des Menschen so gedacht, daß der Mensch aus eigener Kraft der Gottheit das Geheimnis ih­ res Wesens entreißt, so wäre die Gottheit des Gottes von vornherein ver­ fehlt. Eine so verstandene Erkenntnis wäre jedenfalls keine Gotteserkennt­ nis, weil schon ihr Begriff im Widerspruch zum Gottesgedanken stünde. Daher ist Gotteserkenntnis nie anders als durch Offenbarung möglich. Damit ist freilich noch nicht entschieden, welcher Art die Offenbarung ist, durch die Gott (oder der Gott) sich zu erkennen gibt. Die Eigenart der Gottheit mag im Medium ihrer Machtwirkungen als so evident gegenwärtig erfahren werden, daß eine darüber hinausgehende, besondere Offenbarung überflüssig ist. Wenn man Walter F. Otto folgen will, dann wäre das in der griechischen Antike der Fall gewesen1. Die Auffassung der Götter als bei al­ ler Erhabenheit doch menschenähnlicher und darin auch menschlichem Ver­ ständnis zugänglicher Wesen dürfte allerdings schwerlich ohne Vermittlung des Mythos vorstellbar sein und scheint vorauszusetzen, daß der Ent­

1 W. F. Otto: Theophania. Der Geist der altgriechischen Religion, Hamburg 1956 (rde 15) 29 f.: Die griechischen Götter „haben… keine autoritative Offenbarung nötig“; denn: „Sie be­ zeugen sich in allem Sein und Geschehen, und dies mit solcher Offenbarkeit, daß es in den Jahr­ hunderten der Größe, von ganz wenigen Erscheinungen abgesehen, den Unglauben gar nicht gibt“ (29).

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stehungsprozeß der griechischen Mythologie in den Grundzügen abge­ schlossen war2. Im Unterschied dazu wird der Gott der Bibel gemeinhin zu den verborge­ nen Gottesgestalten gerechnet, die nur durch eine spezielle Offenbarung er­ kennbar werden. Dieser Eindruck bedarf jedoch der Differenzierung und in­ sofern auch der Korrektur. Paulus rechnet Röm 1,19 f. damit, daß alle Men­ schen Gott kennen und sogar auch die unvergängliche Macht und Gottheit des einen Gottes aus den Werken der Schöpfung richtig erkennen sollten, obwohl sie faktisch diese Kenntnis verleugnen und durch die Verehrung ge­ schöpflicher Mächte verdrängen. Diese Auffassung entsprach jüdischer Tra­ dition, die letztlich auf den alttestamentlichen Schöpfungsglauben zurück­ geht. Die alttestamentliche Urgeschichte und die Vätergeschichte geben nir­ gends zu verstehen, daß der Schöpfergott, der sich Abraham und seinen Nachkommen in besonderer Weise zugewandt hat, der übrigen Menschheit völlig unbekannt sei. Sowohl Kain (Gen 4,6) als auch Noah (Gen 6,13) wer­ den ohne besondere Umstände von Gott angesprochen, woraus man entneh­ men kann, daß er ihnen bereits bekannt war. In der Erzählung vom Noah­ bund (Gen 9) und der priesterschriftlichen Völkertafel (Gen 10) mögen ur­ sprünglich verschiedene Traditionsstücke (J und P) miteinander verbunden worden sein, aber bei ihrer Verbindung zum jetzigen Text der Genesis fand man offenbar kein Problem darin, daß die Söhne Noahs, – Sem, Ham und Ja­ phet, – die nach Gen 10 Stammväter ganzer Völkerfamilien waren, beim Bundesschluß Gottes mit Noah anwesend waren (Gen 9,8) und mit ihm zu­ sammen von Gott angesprochen wurden. Andererseits aber ist dieser Gott in besonderer Weise der Gott Abrahams und Israels: Abraham und seinen Nachkommen hat er sich durch besondere Verheißungen verbunden, und Mose hat er seinen Namen und seinen Rechtswillen wissen lassen. Diesem Befund in den Überlieferungen Israels entspricht die Tatsache, daß Israel die allgemeine Kennzeichnung elohim für den Gott der Abrahams­ erwählung und des Exodus verwendet hat, einen Ausdruck also, der auch andere Götter bezeichnen konnte (z. B. Ri 8,33; Ri 11,24; Ps 82,1). Die Ver­ wendung dieses Ausdrucks impliziert die Voraussetzung einer allgemeinen Basis der Verständlichkeit des Redens von dem Gott Israels. Aber das besagt natürlich nicht, daß der Gott Israels in seiner Eigenart, in der er sich den Vä­ tern, Mose und dem Bundesvolk bekundet hat, auch den anderen Völkern schon bekannt wäre abgesehen von den Glaubenszeugnissen Israels. Die Ei­ genart Gottes, wie sie sich dem Bundesvolk erschlossen hat, läßt sich nicht schon der Kenntnis von Gott oder einem Göttlichen im allgemeinen entneh­ men. Die Kenntnis der Eigenart Gottes, die Israel zugänglich wurde, 2 Vgl. die Bemerkung von M. P. Nilsson über den Zusammenhang von Anthropomorphisie­ rung und Göttermythologie bei Hesiod (Geschichte der griechischen Religion 1, 1941, 32 f., fer­ ner auch a. a. O. 47 f., 49). Im übrigen rechnete Nilsson eher mit einer Ausbildung der Götterge­ stalten im Kult (206).

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ist daher auch weder ersetzbar durch jene allgemeine Kenntnis, noch wird sie ihretwegen überflüssig. Allerdings ergibt sich auch umgekehrt aus der Kenntnis vom Gott Israels noch nicht ohne weiteres, daß er und er allein identisch ist mit Gott überhaupt. Zunächst erscheint er dem Außenstehen­ den nur als der besondere Gott dieses Volkes neben den Göttern anderer Völker. Daß für das Bundesvolk neben diesem einen Gott keine anderen Götter in Betracht kommen, ist durch das erste Gebot festgelegt (Dtn 5,7; Ex 20,3). Daß er aber nicht nur für Israel, sondern überhaupt der einzige Gott ist, das ist auch dem Glaubensbewußtsein Israels nicht immer selbstverständ­ lich gewesen. Es ist das ein Anspruch, der erst in der Botschaft Deuterojesa­ jas mit Entschiedenheit geltend gemacht wurde, bemerkenswerterweise also in der Situation des babylonischen Exils, in der die jüdischen Exulanten den Machtansprüchen anderer Götter in Konkurrenz zu dem des Gottes Israels unmittelbar ausgesetzt waren. Wie aber läßt sich der Anspruch des Gottes Israels auf alleinige Gottheit er­ härten? Es wird sich zeigen, daß in der Exilssituation dem Offenbarungs­ gedanken eine neue Funktion zugewachsen ist, die ihn verändert hat und ihn schließlich ganz neu prägte. Der Offenbarungsgedanke gewann hier nämlich eine Funktion für die Frage nach der definitiven und exklusiven Wahrheit des Gottes Israels dahingehend, daß er allein wahrhaft Gott ist. Eine vergleich­ bare Funktion ist mit dem Offenbarungsgedanken keineswegs immer und überall schon verbunden. Wenn die Instanz, von der eine Offenbarung, eine Enthüllung von sonst Verborgenem, empfangen wird, im Inhalt des Offen­ barungserlebnisses überhaupt miterfaßt wird, dann wird ihre Realität im Er­ eignis des Offenbarungsempfangs zumeist unproblematisch vorausgesetzt. Das schließt nicht aus, daß auch solches vorausgesetzte Wissen auf einer Selbstbekundung der Gottheit beruht, aber was religiöse Überlieferungen an Offenbarungserlebnissen berichten, bezieht sich eben zumeist nicht auf den Anfang aller Kenntnis von Göttern und Göttlichem überhaupt. Was im Er­ lebnis einer Offenbarung „enthüllt“ wird, ist gewöhnlich verschieden von der offenbarenden Gottheit, und sogar in den Fällen, in denen die Gottheit selber dem Offenbarungsempfänger „erscheint“, pflegt es nicht der Zweck solchen Erscheinens zu sein, daß die Gottheit dadurch ihre Realität beweist, sondern das dem Empfänger Mitgeteilte oder Aufgetragene wird dadurch besonders nachdrücklich autorisiert. Die Frage nach der Realität der Gottheit stellt sich, wenn überhaupt, erst außerhalb solcher Widerfahrnisse, und sie bezieht sich dann eher auf den Inhalt des Gottesverständnisses, wie er durch den Mythos expliziert wird. Eben deshalb aber verbürgt die Tatsache eines Offenbarungserlebnisses noch nicht die Gottheit des Gottes, von dem es empfangen wurde oder auf den es – etwa im Falle eines Traumes – zurückgeführt wird. Eher schon bemißt sich das Gewicht der Enthüllung am bereits vorausgesetzten Rang der Gottheit, der der Offenbarungsempfänger zu verdanken meint, was ihm enthüllt wurde. Vor allem aber kommt es

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darauf an, daß sich das im Offenbarungserlebnis Enthüllte oder das daraus Gefolgerte dann auch anderweitig, im Bereich der Erfahrung, bestätigt: Vor­ zeichen treffen ein – oder sie bleiben aus –, ein Traum erweist sich als Wahr­ traum, der zunächst schwer verständliche, verschlüsselte Sinn eines Orakels erschließt sich im Fortgang der Erfahrung. Entsprechendes gilt auch für die im Offenbarungserlebnis vorausgesetzte Realität der Gottheit, auf die der In­ halt des Erlebnisses zurückgeführt wird. Erst wenn die Realität der in solchen Erlebnissen vorausgesetzten Gottheit selber zum Gegenstand des Offenba­ rungsgedankens wird, gewinnt dieser eine Funktion für die Frage nach der Wahrheit und Allgemeingültigkeit einer bestimmten Gottesauffassung. Erst damit kann der Offenbarungsgedanke zur Grundlage der Überzeugung von der Gottheit des offenbarenden Gottes werden. In den Auseinandersetzungen der Exilszeit um die Gottheit Jahwes, die in den Worten des zweiten Jesaja ihren Niederschlag gefunden hat, ist dieser Schritt zumindest angebahnt worden. Dagegen gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß eine so zu verstehende „spezielle Offenbarung“ schon am Anfang der Glaubensgeschichte Israels gestanden hätte. In diesen Anfängen ist viel­ mehr, soweit der Blick zurückreicht, ein schon vorgegebenes Wissen vom Göttlichen jeweils durch die besonderen Erfahrungen der Menschen modifi­ ziert worden. Das entspricht grundsätzlich dem Befund bei anderen Religio­ nen. Auch dort besteht die Funktion von Offenbarungserlebnissen nicht primär in einem Realitätsbeweis für die offenbarende Gottheit. Ob ein sol­ cher Schritt außerhalb Israels überhaupt vollzogen worden ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Diese Frage kann den empirischen Unter­ suchungen der Religionswissenschaften überlassen bleiben. Man wird aber sagen dürfen, daß die Überzeugung von Wirklichkeit und Macht der Götter in den Religionen gewöhnlich auf anderem Wege begründet wurde, nämlich durch den Mythos und die Stellung der einzelnen Gottheit innerhalb der mythologischen Weltdeutung einer Kultur. Auch wenn dabei der Mythos seinerseits als inspiriert galt, war sein spezifischer Wahrheitsanspruch doch weniger mit solchem inspiriertem Ursprung, den der Mythos mit anderen Formen mantischer Erfahrung teilte, als vielmehr mit seiner Funktion der Weltdeutung verbunden. Im alten Israel entsprach der weltbegründenden Funktion des Mythos einerseits, sofern es nämlich um die gesellschaftliche Ordnung ging, das Gottesrecht, andererseits das heilsgeschichtliche Erwäh­ lungshandeln Gottes zur Begründung des Bundesverhältnisses als Basis der Verbindlichkeit des Gottesrechts für das Volk (vgl. Ex 20,2). Die Rechtsord­ nung der Gesellschaft wurde nicht – wie in den „kosmologischen Reichen“ (E. Voegelin) der alten Hochkulturen – in einer unmittelbaren Entsprechung zur kosmischen Ordnung gesehen. Zwischen der Schöpfung der Welt und ihrer Ordnung einerseits und der Besonderheit des Bundesverhältnisses Is­ raels zu Gott andererseits vermittelten vielmehr die Erwählungstraditionen und also das Bewußtsein einer Geschichte, durch die Israel zum Volke

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Gottes geworden ist. Dabei spielten zwar mancherlei „Offenbarungserleb­ nisse“ mit, aber doch nur als Bestandteile dieser Geschichte. Den Ereignis­ sen dieser die Identität des Volkes begründenden Geschichte wurde aller­ dings mindestens seit dem Deuteronomium, also noch in der späten Königs­ zeit des jüdischen Volkes (7. Jh.), die Funktion zugeschrieben, die Erkennt­ nis der Gottheit Jahwes zu bewirken (Dtn 4,35; vgl. 4,39 und 7,8 f.). Vielleicht ist dieser Gedanke sogar erheblich älter (vgl. Ex 14,31). Wie er sich zu den speziellen „Offenbarungserlebnissen“ verhält, wird noch zu erörtern sein, aber zweifellos geht es hier im Unterschied zu dem, was oben über den Inhalt solcher Erlebnisse gesagt wurde, in besonderer Weise um die Selbstbekundung der Gottheit Jahwes für Israel. Dabei steht weder die Iden­ tität Jahwes mit dem Schöpfergott, noch seine alleinige Gottheit im Unter­ schied zu allen anderen Göttern zur Diskussion. Das ist erst bei Deuteroje­ saja der Fall, aber nun nicht mehr im Rückblick auf das Exodusgeschehen, sondern im Vorblick auf ein zukünftiges Gotteshandeln, das den Gott Is­ raels auch der Völkerwelt als den allein wahren Gott erweisen wird, der der Schöpfer der Welt ist. Es hat den Anschein, daß für Deuterojesaja in der kritischen Situation der Verbannten in Babylon auch die Gottheit Jahwes als Gott Israels an dem von ihm angekündigten, künftigen Heilshandeln hing, das ihn vor allen Völkern als den einen, einzigen Gott, den Schöpfer der Welt, erweisen sollte. Für die späteren Generationen, die die Restitution der jüdischen Kultgemeinde in Je­ rusalem durch die Perserkönige erlebten oder auf dieses Ereignis zurück­ blickten, mußte sich der Sachverhalt anders darstellen: Keineswegs war die ganze Völkerwelt zur Erkenntnis der alleinigen Gottheit Jahwes gelangt. Wohl aber hatte Jahwe sich erneut als der Gott Israels bewährt durch die Wie­ deraufrichtung des Volkes und der Stätte seines Kultes. Die Überzeugung von der Gottheit Jahwes als des Gottes Israels war nicht mehr gebunden an die Erkenntnis seiner alleinigen Gottheit durch die Völkerwelt. Eine für die Exilsperspektive Deuterojesajas so nicht gegebene Kontinuität zu den alten Heilssetzungen Gottes war wiederhergestellt worden. Dabei wurde nun die Überzeugung von der alleinigen Gottheit Jahwes in Verbindung mit dem Schöpfungsglauben festgehalten. Das gehört zur Grundlage der nachexili­ schen Weisheitsliteratur. Aber die universale Anerkennung der alleinigen Gottheit Jahwes durch die Völkerwelt, ohne die der Glaube Israels an Jahwe als den einen, einzigen Gott allerdings in Frage gestellt bleiben mußte, wur­ de zur Sache einer weiter hinausgerückten, endgeschichtlichen Zukunft. Seit Deuterojesaja wurde mit der Zukunft des göttlichen Selbsterweises auch terminologisch der Offenbarungsbegriff verbunden: „Die Herrlichkeit Jahwes wird sich enthüllen, und alles Fleisch wird es gemeinsam sehen“ (Jes 40,5). Hier ist der Kabod Jahwes, also Jahwe selbst, seine göttliche Herrlich­ keit, als Gegenstand der „Enthüllung“ bestimmt. Auch als für die Apokalyp­ tik die Zukunft des göttlichen Selbsterweises, der Offenbarung der Herrlich­

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keit Gottes, weiter hinausrückte und mit der Zukunft des Endes dieser Weltzeit verschmolz, wurde der Gedanke einer künftigen Enthüllung der Herrlichkeit Gottes, also der Gottheit Gottes selbst, in Verbindung mit dem Eintritt der Endereignisse festgehalten (bes. syr. Bar 21,25 u. ö.). Im Lichte der Herrlichkeit Gottes wird dann auch die Bestimmung der Menschen, der Bösen wie der Gerechten, erkennbar (4. Esra 7,42). Die Verknüpfung mit dem Endgeschehen und überhaupt mit der Zukunft, in der das durch pro­ phetisches Wort oder apokalyptische Vision Angekündigte eintreffen wird, besteht jedoch nicht für andere Bereiche alttestamentlicher Offenbarungs­ terminologie. Es ist daher verständlich, daß diese Aussagen rein quantitativ nicht ohne weiteres als repräsentativ für die Offenbarungsvorstellungen des Alten Testaments erscheinen. Andererseits läßt sich vielen der sonst termi­ nologisch als „Offenbarung“ bezeichneten Erlebnisse nicht ohne weiteres entnehmen, daß dem Offenbarungsthema eine so fundamentale Relevanz für die Theologie zukommen muß, wie sie ihm von der theologischen Tradition zumindest seit dem Mittelalter zugeschrieben worden ist. Hinzu kommt, daß auch im Neuen Testament unterschiedliche Offenbarungsvorstellungen aufgetreten sind, deren theologisches Gewicht verschieden ist. Man mag fer­ ner bezweifeln, ob es der Offenbarungsvorstellung wirklich bedarf, um die zentralen Inhalte der Botschaft Jesu und der Christusbotschaft der Apostel zu beschreiben oder zu begründen. Als ein Formalprinzip der Glaubens­ erkenntnis wird der Offenbarungsgedanke nur sehr selten, vielleicht nur Mt 11,27 (Lk 10,22), geltend gemacht. In der apostolischen Christusbotschaft aber scheinen Offenbarungsvorstellungen weniger begründende als interpretierende Funktion gehabt zu haben. Ein ähnliches Bild bietet die pa­ tristische Literatur. Aus diesen Befunden folgt keineswegs, daß der Aufstieg des Offenba­ rungsgedankens schon in der mittelalterlichen Theologie und erst recht in der modernen theologischen Diskussion zur Funktion des Prinzips der Theolo­ gie überhaupt einen Irrweg darstellt. Zunächst einmal behält unbeschadet des differenzierten biblischen Befundes das Argument sein Gewicht, daß Gott nicht erkannt werden kann, wenn er sich nicht von sich aus zu erkennen gibt. Das ist zwar nicht die Pointe aller biblischen Offenbarungsvorstellungen. Es ist aber eine Voraussetzung, die explizit oder implizit aller religiösen Rede von Gott und Göttern und so auch den biblischen Zeugnissen zugrunde liegt. Sie muß deshalb noch nicht immer auch thematisch werden, vielmehr wird sie meistens als selbstverständlich vorausgesetzt. Für die mittelal­ terliche und vor allem für die neuzeitliche Theologie war diese Vorausset­ zung aus noch zu erörternden Gründen nicht mehr selbstverständlich. Dar­ um mußte sie hier explizit thematisch werden, und zwar in der Moderne an­ ders als im Mittelalter und in der frühen Neuzeit: Die nähere Bestimmung des Offenbarungsbegriffs wurde deshalb in der Moderne zu einem zentralen Thema der Theologie.

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Man mag den Rekurs auf einen göttlichen Ursprung der Wahrheitsansprüche theologischer Aussagen als apologetisch bezeichnen3. Es handelt sich dann aber je­ denfalls nicht um eine beliebig zu betonende oder auch zu unterlassende apologe­ tische Bemühung, sondern vielmehr um die Bedingung der Möglichkeit für die Behauptungen christlicher Verkündigung. Nur wenn sie sich von Gott dazu auto­ risiert weiß, kann die christliche Verkündigung ihre Behauptungen verantworten4. Sonst würden diese Behauptungen sofort als Äußerungen menschlicher Subjekti­ vität neben andern solchen Äußerungen und zudem als reichlich anmaßend er­ scheinen müssen. Mag der Wahrheitsanspruch der christlichen Behauptungen auch strittig bleiben, schon die Erhebung des Anspruchs und die Aufstellung der Behauptungen, ohne die christliche Verkündigung hinfällig würde, wäre nicht vollziehbar ohne das Bewußtsein der Autorisierung durch Gott selbst, auf den alle christlichen Aussagen sich letztlich beziehen. Daß dieser Sachverhalt erst im Mit­ telalter als Prinzip aller theologischen Aussagen thematisiert wurde, bedarf einer Erklärung, die wohl auf die andersartige Situation der mittelalterlichen Theologie gegenüber der christlichen Argumentation in der hellenistisch-römischen Kultur­ welt abheben muß. Solche Erwägungen allein genügen jedoch nicht, um das Offenbarungsthema als nicht nur religionsphilosophisch, sondern auch theologisch grundlegend zu erweisen. Wenn der Offenbarungsgedanke als grundlegend für den Anspruch ge­ rade des biblischen Gottes, der allein wahre Gott zu sein, behauptet wird, dann muß dieser Sachverhalt auch in den biblischen Zeugnissen begründet sein. Er braucht deshalb noch nicht überall explizit ausgesprochen zu werden. Auf weite Strecken hin mag es genügen, daß er als Implikation biblischer Aussagen behaup­ tet werden kann. Aber er muß in den biblischen Texten auch explizit hervortreten, wenn anders die biblischen Schriften die maßgeblichen Zeugnisse der Offenba­ rung Gottes sein sollen und die menschliche Beschränktheit ihrer Verfasser, mit der sicherlich zu rechnen ist, schwerlich so weit gehen kann, daß dieser Sachver­ halt ihrem Bewußtsein gänzlich verborgen geblieben sein sollte.

Nun ist es unbestreitbar, daß in den biblischen Zeugnissen von göttlicher Offenbarung ausdrücklich die Rede ist, wenn auch in vielfältiger Terminolo­ gie und Vorstellungsweise. Man muß sich nur freimachen von der Vorstel­ lung, als Offenbarung könne nur eine Mitteilung gelten, die eine erstmalige

3 So J. Barr in seinem vielbeachteten Artikel: Revelation Through History in the Old Testa­ ment and in Modern Theology, in: Interpretation 17, 1963, 193–205, bes. 203 f. Die Kritik von Barr bezieht sich hier speziell auf den Gedanken göttlicher Offenbarung durch Geschichte. Doch später wandte sich Barr auch gegen die Verwendung des Offenbarungsbegriffs überhaupt „as a general term for man’s source of knowledge of God“ (The Concepts of History and Reve­ lation, in: Old and New in Interpretation, London SCM 1966, 65–102, Zitat 88). Auf die Argu­ mente Barrs ist weiter unten noch einzugehen. 4 Das hat K. Barths Lehre vom Worte Gottes mit ihrem Rückgang vom Wort der Verkündi­ gung auf das Zeugnis der Schrift und weiter zurück auf Jesus als das Offenbarungswort Gottes völlig zutreffend beschrieben. Nur ist mit diesem Sachverhalt noch nicht die Wahrheit des mit solchem Rückverweis verbundenen Anspruches erwiesen, daß es sich bei Jesus um die Offenba­ rung Gottes handle.

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Kenntnis von der Gottheit vermittelt5. Ebensowenig darf man erwarten, daß jede Form von Offenbarung Gott selbst auch zum Inhalt hätte, nicht nur zum Autor. Und schließlich muß man damit rechnen, daß auch da, wo der biblische Gott sich selbst bekundet, also eine Erkenntnis seiner selbst vermittelt, seine Gottheit auf weite Strecken hin nur als die allerdings macht­ voll überlegene Gottheit des Gottes Israels erwiesen wird, und zwar nur für die Erkenntnis des Volkes selbst und seiner Glieder, nicht aber seine alleini­ ge Gottheit für alle Menschen überhaupt. Um so bedeutsamer ist es, daß zu­ mindest eine Linie alttestamentlicher Offenbarungsvorstellungen auf den Selbsterweis der Gottheit des Gottes Israels für alle Völker zielt. Man sollte erwarten, daß diese Linie jüdischen Offenbarungsdenkens im Neuen Testament zentrale Bedeutung gewonnen hätte für den Übergang zur Heidenmission, aber auch schon für den eschatologischen Wahrheitsan­ spruch, der mit dem Auftreten Jesu verbunden war. In der Tat wenden eine Reihe von neutestamentlichen Aussagen einen apokalyptisch begründeten Offenbarungsgedanken explizit auf Person und Geschichte Jesu an. Viel häufiger aber sind die Fälle, in denen ein solcher Gedanke als implizit vor­ ausgesetzt nachgewiesen oder doch wahrscheinlich gemacht werden kann. Daneben gibt es allerdings auch anders strukturierte Offenbarungsaussagen im Neuen Testament, und nicht überall wird überhaupt ausdrücklich mit ei­ nem Offenbarungsbegriff argumentiert. Diese Sachlage macht es erforderlich, die Vielschichtigkeit der biblischen Offenbarungsaussagen ausführlicher zu würdigen und den Stellenwert ihrer einzelnen Formen zu bestimmen. Der theologischen Berufung auf eine Of­ fenbarung des biblischen Gottes zur Begründung der Behauptungen der christlichen Lehre würde sonst die biblische Basis fehlen, oder das Vorhan­ densein einer solchen Basis bliebe zumindest zweifelhaft. Die in dieser Un­ tersuchung zu beschreibende Entwicklung der biblischen Offenbarungs­ vorstellungen wird zugleich den Übergang von der in der Welt der Religio­ nen reich belegten Phänomenologie von Offenbarungserlebnissen zum The­ ma der Offenbarung der Gottheit des Gottes Israels als des einen Gottes aller Menschen vollziehen. Es ist von Bedeutung, daß dieser Übergang in der Religionsgeschichte selbst stattgefunden hat und nicht nur der Reflexion heutiger Theologie angehört. Aus dem Resultat dieser Untersuchung wird sich auch eine Veränderung der Form ergeben, in der sich die weitere Explikation der Wahrheitsfrage hinsichtlich der christlichen Botschaft von Gott zu vollziehen hat: Während die Darstellung zunächst mit dem Gottesgedanken als einem Befund 5 Diese Voraussetzung liegt der Kritik von J. Barr am theologischen Offenbarungsbegriff zugrunde: Vgl. den Anm. 3 zit. Beitrag in „Old and New in Interpretation“, 1966, 89 f. und 92. Sein Vorschlag, von „communication“ statt von Offenbarung zu sprechen, wird u. a. damit be­ gründet, daß es Mitteilungen (Communications) geben kann auch „from one already known“ (87).

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menschlichen Sprachgebrauchs, menschlicher Gedankenbildung einsetzte, um in der Welt der Religionen auf die Behauptung göttlicher Wirklichkeit, allerdings verbunden mit einem Streit der Götter um ihre Zuständigkeit für Begründung und Erklärung der Wirklichkeit der Welt und des Menschen zu stoßen, führt die Entwicklung der biblischen Offenbarungsvorstellungen auf einen Punkt, an dem die geschichtliche Erfahrung der Menschen als Er­ weis der Macht und Gottheit der Götter ausdrücklich thematisch wird und in Verbindung damit der Anspruch erhoben wird, daß der Gott der Bibel sich als der eine Gott aller Menschen erweisen werde bzw. sich als dieser eine Gott in Jesus Christus bereits erwiesen habe. Die Frage nach der Wahrheit der christlichen Botschaft wird daher an diesem Punkt die Gestalt der Frage annehmen müssen, ob dieser Anspruch kohärent durchführbar ist, und die Prüfung dieses Anspruchs wird sich von da an in der Form einer systemati­ schen Rekonstruktion der christlichen Lehre von ihrem Ausgangspunkt in der von ihr behaupteten geschichtlichen Offenbarung Gottes aus vollziehen. Eine die Wahrheitsfrage thematisierende systematische Theologie kann nicht unvermittelt mit einer solchen Rekonstruktion einsetzen. Sie muß viel­ mehr den Ausgangspunkt der Rekonstruktion des Wahrheitsanspruchs christlicher Lehre in seiner Vermittlung durch die Wirklichkeit der Religio­ nen, in die er geschichtlich eingebettet ist, gewinnen, ebenso aber den Zu­ gang zum Religionsthema als Zeugnis göttlicher Wirklichkeit allererst er­ schließen durch eine Erörterung des Gottesgedankens und seiner Relevanz für das Selbstverständnis des Menschen überhaupt. Mit der zunächst be­ schreibend festzustellenden Thematisierung göttlicher Offenbarung im Bil­ dungsprozeß einer religiösen Überlieferung, in der Geschichte der jüdischen Religion, erfolgt nun zugleich die Wendung in der Durchführung der Wahr­ heitsfrage zur Rekonstruktion des Redens von Gott in der Überlieferung christlicher Lehre. Dieses Verfahren ließe sich prinzipiell auch auf andere Religionen anwen­ den, soweit in deren Eigenart die Bedingungen dafür gegeben sind. Dazu dürfte erstens gehören, daß die Einheit der göttlichen Wirklichkeit entspre­ chend der Einheit der Religion in ihr thematisch ist. Eine zweite Bedingung dürfte darin bestehen, daß der Erweis der Gottheit des Gottes im Prozeß der Erfahrung der Geschichte, der als das Feld der in der Religionsgeschichte tat­ sächlich stattfindenden Auseinandersetzungen um religiöse Wahrheitsan­ sprüche identifiziert wurde, in der betreffenden Religion thematisch wird. Dabei muß der geschichtliche Selbsterweis der Gottheit nicht nur als Refle­ xion heutiger Religionsphilosophie, sondern als Bestandteil der in der Über­ lieferung der betreffenden Religion bezeugten Selbstbekundung der Gottheit nachgewiesen werden. Damit verbunden ist, wie noch zu zeigen sein wird, die dritte Bedingung, daß die faktisch feststellbare Strittigkeit der Gottheit des Gottes im Prozeß der Geschichte auch ihrerseits in Inhalt und Form ihrer Selbstbekundung als unvermeidlich, wenn auch in ihrem Auftreten zeitlich

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begrenzt, vorgesehen ist. Widerführe nämlich die Bestreitung der Wahrheit ihres Selbsterweises der Gottheit nur äußerlich, so würde allein dadurch schon ein Vorurteil gegen den Anspruch begründet sein, daß es sich bei ihr um die alles, also auch die Weltsituation ihrer eigenen Strittigkeit begründen­ de Wirklichkeit handeln könnte. Wird der folgende Abschnitt also den geschichtlichen Übergang von der allgemeinen Phänomenologie religiöser Offenbarungserlebnisse zur Thema­ tisierung des göttlichen Selbsterweises behandeln, so ist im Anschluß daran auf die Begriffsgeschichte des Offenbarungsbegriffs in der Geschichte der christlichen Theologie einzugehen. Solche begriffsgeschichtlichen Erörte­ rungen haben auch in den vorigen Kapiteln schon eine wichtige Funktion für die Näherbestimmung der jeweiligen Thematik gehabt. Sie dienen außer­ dem der Objektivierung des Sprachgebrauchs in der systematischen Theolo­ gie und begrenzen die auf diesem Felde sonst leicht einreißende Willkür. Die Frage nach dem historischen Ort eines dogmatischen Begriffs ist methodisch unerläßlich für diejenige Genauigkeit, die man von einer systematischen Theologie mit Recht fordern darf, auch im Falle der (begründeten) Abgren­ zung des eigenen Sprachgebrauchs des Theologen von alternativen Begriffs­ bestimmungen. Aber nicht immer kann die begriffsgeschichtliche Klärung im systematischen Gang der Darlegung dieselbe Stellung einnehmen. Wäh­ rend das Religionskapitel ebenso wie die Bestimmung der Begriffe „Theolo­ gie“ und „Dogmatik“ im Eingangskapitel mit einem begriffsgeschichtlichen Überblick einsetzte, konnte im Kapitel über den Gottesgedanken der Ab­ schnitt zur Geschichte der Begriffe „natürliche Theologie“ und „natürliche Gotteserkenntnis“ nicht am Anfang stehen, weil zunächst deren Stellenwert für die Erörterung des Gottesgedankens auszumachen war. Darum beginnt das Kapitel mit Ausführungen über das Wort „Gott“, seine semantische Funktion und sein Verhältnis zur religiösen Erfahrung. Die Vorgegebenheit der Semantik des Wortes „Gott“ vor jeder einzelnen religiösen Erfahrung, deren Interpretation dann eine seiner zentralen Funktionen sein wird, recht­ fertigte die Behandlung der philosophischen Theologie als Durchführung der Frage nach dem Gottesgedanken. Rückblickend vom Religionskapitel her läßt sich sagen, daß die philosophische Theologie damit das Erbe des Mythos wahrnimmt, in dessen Funktion der Welterklärung wohl der ur­ sprüngliche semantische Ort des Gottesgedankens zu suchen ist. Auch bei der Offenbarungsthematik mußte nun zunächst der Rahmen gewonnen werden, innerhalb dessen die theologische Begriffsgeschichte des Offenbar­ ungsbegriffs ihren Ort finden kann. Dabei war der Zusammenhang mit dem Religionskapitel zu wahren, zugleich aber auch die Überleitungsfunktion des Offenbarungsthemas für die in den folgenden Kapiteln zu entfaltende systematische Rekonstruktion der christlichen Lehre zu klären. Auf die Darstellung der Geschichte des Offenbarungsbegriffs wird schließlich eine systematische Erörterung der einander scheinbar ausschlie­

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ßenden, alternativen Konzepte des Offenbarungsverständnisses folgen müs­ sen, in deren Konfrontation die Darstellung der Geschichte der theologi­ schen Reflexion über das Offenbarungsthema einmündet: Ist theologisch von einer Selbstoffenbarung Gottes durch sein Wort oder durch sein Han­ deln in der Geschichte zu sprechen? Es wird sich zeigen, daß diese beiden Konzeptionen einander nicht notwendig ausschließen müssen, insofern die unterschiedlichen biblischen Vorstellungen des göttlichen Wortes einerseits als Bestandteile in den Gedanken einer Selbstoffenbarung Gottes durch sein geschichtliches Handeln eingehen, andererseits aber der Ausdruck „Wort Gottes“ auch zur zusammenfassenden Kennzeichnung des Offenbarungsge­ schehens werden kann.

2. Die Vielschichtigkeit der biblischen Offenbarungsvorstellungen Läßt man sich von den modernen Diskussionen über den Offenbarungs­ begriff leiten, so kann es scheinen, dieser Begriff bezeichne das Ereignis oder den Typus von Ereignissen, in denen ein Mensch erstmalig zur Erkenntnis der Gottheit gelangt. Dem entspricht auf den ersten Blick, daß etwa Ian T. Ramsey Situationen einer „Eröffnung“ (disclosure) als Ausgangspunkt reli­ giöser Erfahrung beschrieben hat6, und schon Schleiermacher erklärte 1799, „jede ursprüngliche und neue Anschauung des Universums“ sei eine Offen­ barung zu nennen7. Allerdings könnte es sich dabei auch um Erfahrungen handeln, die ihrerseits schon eine gewisse Kenntnis der Gottheit voraus­ setzen und ihr lediglich ein neues Moment hinzufügen. Eine solche Auffas­ sung der Funktion von Offenbarungserlebnissen würde besser dem Sachver­ halt entsprechen, daß die Semantik des Gottesbegriffs auf keine einzelne reli­ giöse Erfahrung zurückgeführt werden kann, sondern umgekehrt zu ihrer Interpretation dient8. Ihr ursprünglicher Sitz dürfte in der Mythizität des re­ ligiösen Bewußtseins zu suchen sein. Gegen die Vermutung, bei Offenbarungserlebnissen gehe es um den Emp­ fang einer erstmaligen Kenntnis von der Gottheit, sprechen nun aber auch die empirischen Befunde. Zwar haben viele Völker in ihren religiösen An­ schauungen Vorstellungen von Offenbarungen entwickelt, aber bei deren Inhalten handelt es sich im allgemeinen nicht um Mitteilungen, die unmittel­ bar die Gottheit zum Gegenstand haben. Im Vordergrund steht vielmehr die Eröffnung von innerweltlichen Sachverhalten, die dem Menschen gewöhn­ lich verborgen sind. Dabei handelt es sich besonders um Sachverhalte, die 6 7 8

I. T. Ramsey: Religious Language, London (Macmillan MP 129) 1963, 26 ff. F. D. E. Schleiermacher: Über die Religion, 1799, 118 (Seitenzahl der Urausgabe). S. o. Kap. 2, 74 ff.

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seine eigene Zukunft betreffen9. Die Gottheit ist weniger Inhalt der Offen­ barungserlebnisse als vielmehr Quelle von Informationen über das, was im alltäglichen Leben verborgen ist. Aber sie ist keineswegs die einzige solche Quelle. Daher war es in Israel nötig, die Befragung von Totengeistern und Wahrsagern zu verbieten (Lev 19,31; 20,6; Dtn 18,10 f.). Solche Verbote, ver­ bunden mit der Androhung schwerer Strafen, richteten sich nicht gegen das Interesse am Verborgenen überhaupt, sondern nur dagegen, daß Aufklärung darüber bei anderen Instanzen gesucht wurde als bei dem Gott Israels. Es galt aber als durchaus zulässig, „den Herrn zu befragen“ durch Losorakel, durch Träume oder durch Propheten (1.Sam 28,6). Es ist auffallend, daß un­ ter diesen drei legitimen Wegen der Zukunftserforschung neben Los und Traum auch das Prophetenwort genannt wird, offensichtlich in der Funkti­ on des Orakels. Die Legitimität dieser drei Wege zur Erkundung der Zu­ kunft war zweifellos darin begründet, daß bei ihnen der Gott Israels als der alleinige Herr über das Zukünftige anerkannt blieb: Sowohl der Inhalt der Träume als auch der sachgemäß, nämlich durch den Priester durchgeführte Losentscheid wurden auf den Gott Israels selbst zurückgeführt, und die Auskunft des Propheten galt als Gottes eigenes Wort (vgl. Hiob 33,14 ff.). Mit Losorakel, Traum und prophetischem Orakel befinden wir uns in der Welt der Mantik. Sie umfaßt in anderen Religionen auch noch Formen der Zeichendeutung wie die Beobachtung des Vogelflugs, die Eingeweideschau, das „Gottesurteil“ in den Formen des Duells oder der Feuer- oder Wasser­ probe. Von all diesen Formen mantischer Technik (der sog. induktiven Mantik) ist im Alten Testament nur das Losorakel zugelassen worden, wäh­ rend die Traumerfahrung und die prophetische Eingebung (also die „natürli­ che“ oder „intuitive“ Mantik) anscheinend mit weniger Mißtrauen betrach­ tet wurden10. Jedenfalls aber scheinen die Ursprünge der Offenba­ rungsvorstellungen auch im Falle Israels in der Welt der Mantik zu liegen. Im Christentum ist das Urteil über ein divinatorisches Handeln des Men­ schen zur Erforschung der Zukunft noch abweisender geworden als das im alten Israel der Fall war. Auch das Losorakel soll nicht ohne Not gebraucht werden, da es leicht als Ausdruck eines Übermuts erscheint, der sich nicht scheut, Gott zu versuchen11, indem er eindringen will in das Verborgene der Zukunft, also in die Sphäre, die Gott sich selber Vorbehalten hat: Die ab­ weisende Haltung gegenüber aller mantischen Technik dürfte im Chri­ stentum in einem inneren Zusammenhang mit Jesu Ablehnung einer an Gott 9 Siehe dazu die ausführlicheren Darlegungen in meinem Beitrag „Offenbarung und ‚Offen­ barungen‘ im Zeugnis der Geschichte“, in: W. Kern/H. J. Pottmeyer/M. Seckler: Handbuch der Fundamentaltheologie 2: Traktat Offenbarung, Freiburg 1985, 84 ff., bes. 85 ff. 10 Die Unterscheidung der beiden Grundformen der Mantik geht auf die Stoa zurück (Cic. De divin. I,11; II,26) und ist schon in Platons Gegenüberstellung der göttlichen Inspiration zur menschlichen Zeichendeutung (Phaidr 244 a 5-d 5) vorgebildet. 11 Thomas von Aquin S. theol. II–II,q 95 a 8 c.

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zu richtenden Zeichenforderung stehen. Obwohl Gott von sich aus Wunder wirkt, und zwar auch durch Menschen, galt es doch schon im Urchristentum als vermessen, derartige Zeichen von Gott zu fordern (vgl. Mk 5,7). Das Ver­ langen nach Zeichen gilt anscheinend bereits als „Versuchung“ Gottes, als Eingriff in die Hoheitssphäre seiner Freiheit. Während für das alttestament­ liche Gesetz keineswegs schon jede Zeichenforderung unter das Verbot des Gottversuchens (Dtn 6,16 und Ex 17,7) fiel, hat Jesus die ihm zugemutete Zeichenforderung an Gott zur Legitimation seiner Sendung verworfen (Mt 12,38 f.; 16,1–4 par.)12. Die Problematik der Zeichenforderung und ihre Abweisung durch Jesus sind für das Offenbarungsthema aufschlußreich, weil es der Komplex der „Zeichen“ – sei es als Vorzeichen oder als Beglaubigungszeichen – ebenso wie andere Formen des Orakels mit der Erkenntnis des ansonsten Verborge­ nen zu tun hat, also als ein Medium von „Offenbarungen“ gelten muß. Und während im Hinblick auf sonstige Offenbarungserlebnisse zu sagen war, daß sie gewöhnlich nicht Gott selbst zum Inhalt haben, wird gerade das von Gott her geschehende Zeichen im Alten Testament zur Form seiner Selbstmitteilung. So hat Jahwe in Ägypten „Zeichen“ geschehen lassen, da­ mit die Israeliten ihn „erkennen“ (Ex 10,2), also doch wohl seiner hinter Mose und Aaron stehenden Macht innewerden. Die Herausführung aus Ägypten geschah unter „Zeichen und Wundern“ (Dtn 7,19; vgl. 4,34; 6,22; 26,8)13. Doch auch das Gerichtshandeln Gottes, das Israel angedroht wird für den Fall, daß es vom Weg der Gebote abweicht, wird als „Zeichen und Wunder“ zur Warnung aller folgenden Generationen angekündigt (Dtn 28,46). Schon Jesaja hat sich selbst mit seiner Unheilsver­ kündigung und seine Jünger als „Zeichen und Wunder“, als Vorzeichen und Wahrzeichen Gottes für sein Volk Israel verstanden (Jes 8,18). Ähnlich sollte

12 Das Alte Testament hatte noch ein vergleichsweise unproblematisches Verhältnis zum Zeichen als Legitimation göttlicher Sendung. So dient in der Exodustradition der wunderwir­ kende Stab Moses (Ex 4,2 ff.) bzw. Aarons (Ex 7,9 ff.) ganz offensichtlich der Beglaubigung ih­ rer Sendung, und ähnlich wie Mose verlangt auch Gideon von Gott ein Zeichen zum Beweis da­ für, daß der ihm zuteil gewordene Auftrag tatsächlich von Gott stammt (Ri 6,17 ff.). Hier dient das Zeichen aber nicht erst zur Beglaubigung vor andern, sondern schon zur Selbstverge­ wisserung. Das gilt auch von dem Zeichen, das von Gott zu erbitten Jesaja den König Ahas auf­ forderte (Jes 7,11). Die Weigerung des Königs mit der Begründung, er wolle Gott nicht versu­ chen, wurde von Jesaja keineswegs als Ausdruck seines Glaubens gewertet, sondern vielmehr als Ausdruck mangelnder Bereitschaft, sich ernstlich auf Gott, nämlich auf die ihm durch Jesaja verkündete Botschaft einzulassen. Aus eben diesem Grunde aber lehnte Jesus die Zeichenforde­ rung ab, die an ihn herangetragen wurde: Jesus erwartete von den Hörern seiner Botschaft, daß sie darin auch ohne beglaubigendes Zeichen den Anruf des Gottes Israels hören. Darum wird der Botschaft Jesu gegenüber die Zeichenforderung zu einem Ausweichen vor ihrem Anruf. 13 Zur typologischen Wiederaufnahme dieser mit der Auszugstradition verbundenen For­ mel in der Apostelgeschichte und bei Paulus siehe K. H. Rengstorf in: ThWNT VII, 238 ff., 258 f.; zur johanneischen Kritik an dieser Formel (Joh 4,48) ebd. 242 ff.

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auch Ezechiel dem Volk zum Zeichen werden in seinem Schmerz um den Tod seines Weibes (Ez 24,24 und 27). Formal ähnlich hat noch Jesus sein ei­ genes Auftreten als von Gott dem Volk gegebenes Zeichen hingestellt (Lk 11,30). In diesem Fall handelt es sich freilich um das Zeichen der Nähe, ja so­ gar Gegenwart des Gottesreiches. Trotz seiner Ablehnung der Forderung, sich selbst durch Zeichen zu legitimieren, stand Jesus also dem Zeichen als Medium der Kundgabe der Absichten Gottes und seines Geschichtsplans nicht einfach ablehnend gegenüber. So konnte er nach der Spruchquelle die Anfrage des Täufers, ob er der sei, der da kommen soll, mit dem Hinweis auf die sein Auftreten begleitenden Zeichen, die für die kommende Heilszeit er­ wartet wurden, beantworten (Mt 11,4 f.; Lk 7,22 f.)14. In beiden Fällen han­ delte es sich um von Gott her ergehende, nicht um von Menschen veranstal­ tete oder Gott abgezwungene Zeichen, und dieser Unterschied dürfte erklä­ ren, warum Jesus hier die Zeichenfunktion bejaht, obwohl er andererseits eine Zeichenforderung an Gott ablehnt. Wenn der religionsphänomenologische Boden für das Phänomen der Of­ fenbarung im Umkreis der Mantik liegt, so ist jedenfalls nicht primär an die induktive oder artifizielle, sondern an die intuitive Mantik zu denken, an Traum und prophetische Schau, sowie an die „Zeichen“, die Gott von sich aus geschehen läßt. Eingebungen und „Zeichen“ sind für die Gotteserkennt­ nis von Bedeutung. Jedoch wird die Kenntnis von Gott nicht etwa erst durch sie begründet. Diese verschiedenen Formen von „Offenbarung“ setzen viel­ mehr eine Kenntnis von Gott schon voraus. Das dürfte in Israel ähnlich wie in anderen religiös geprägten Kulturen der Fall gewesen sein. Das hat zur Folge, daß Träume und prophetische Eingebungen auf die Götter zurückge­ führt werden, die man schon kennt. Der Gott ist mit ihnen primär dadurch verbunden, daß er als Urheber solcher „Offenbarung“ gilt. Ist mit dem Inhalt der „Offenbarung“ zugleich ein Bewußtsein davon ver­ bunden, daß Gott ihr Urheber ist, so enthält das Offenbarungsbewußtsein bereits ein Moment der Reflexion15, es sei denn, daß die Mitteilung des Of­ fenbarungsinhalts durch Gott sogar selber geschaut wird, etwa imTraum­ 14 Zur exegetischen Diskussion um die Funktion des Zeichens im Wirken Jesu vgl. den Anm. 9 erwähnten Artikel des Vf. S. 88 Anm. 8. 15 M. Seckler hat im Handbuch der Fundamentaltheologie (2, 1985, 60–83, bes. 67 ff.) im An­ schluß an P. Eicher (Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theologie, 1977, 21 ff., 43 ff.) zwischen Erfahrungsbegriff und Reflexionsbegriff von Offenbarung unterschieden. Diese Un­ terscheidung ist hilfreich für die Klärung der auf den ersten Blick verwirrenden Vielfalt der heute sprachlich als „Offenbarung“ bezeichneten Phänomene, insbesondere für die Abhebung des theologischen Offenbarungsbegriffs, der zweifellos ein Reflexionsbegriff im Sinne Secklers ist, von unmittelbaren, als „Offenbarung“ bezeichneten Erlebnissen. Doch setzt die Reflexion nicht erst auf der Ebene systematisch-theologischer Begriffsbildung ein. Schon das Erlebnis eines „Erleuchtungswiderfahrnisses“ und vor allem die Mitteilung seines Inhalts an andere sind mit Reflexion verbunden. Das gilt insbesondere auch für die Zuschreibung des Offenbarungserlebnisses an eine schon anderweitig bekannte Gottheit als Urheber.

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gesicht (so Gen 28,12 ff.). Die Tatsache der Mitteilung und ihr Inhalt werden als Ausdruck göttlicher Initiative und als Bekundung des Willens Gottes auch dann empfangen, wenn Gott selbst nicht Inhalt und Gegenstand des Erlebnisses ist. Ein in dieser Weise reflektiertes Verständnis von Offenbar­ ungswiderfahrnissen kennzeichnet besonders den prophetischen Wortemp­ fang, die biblische Grundform der Eröffnung des Verborgenen, besonders des noch Zukünftigen, als Ausdruck des göttlichen Willens. Das Ereignis des Wortempfangs ist im alten Israel als ein Ergriffenwerden durch den göttlichen Geist oder auch als Ergriffenwerden von der „Hand“ Gottes beschrieben worden (beides verbunden Ez 3,12 ff.; 8,1 ff.). Dabei scheint es sich um einen Trancezustand zu handeln, der in Num 12,6–8 dem Traum an die Seite gesetzt wird (vgl. auch Dtn 13,2), während Jeremia ihn vom Traum abhebt (Jer 23,25), dabei aber vielleicht weniger die Erlebnis­ form als den Inhalt meint, auf den es ankommt, das „Wort“ Gottes. Dieses bezieht sich vornehmlich auf Gottes bevorstehendes Handeln an seinem Volk, daneben auch auf die Zukunft von Einzelpersonen und anderen Völ­ kern. Zum Verständnis des Wortempfangs darf die Sprachform nicht zu sehr betont werden: Der hebräische dabar bedeutet ebenso das Wort wie die da­ durch bezeichnete Sache16, und um diesen Inhalt geht es beim Wortempfang. Der dem Propheten eröffnete und von ihm mitgeteilte dabar ist das künftige Gotteshandeln selbst, das der Prophet in seinem Ergebnis, seinen Wirkun­ gen vor Augen hat. In einigen Fällen ist noch deutlich erkennbar, wie alltäg­ liche Eindrücke vom Propheten in einer Tiefenschau transformiert und auf das Thema des zu erwartenden Geschehens als Handeln Gottes an seinem Volk bezogen werden. So schaut der Prophet Amos beim Anblick des Senkbleis eines Maurers plötzlich Gottes Handeln an Israel: So wird Gott das Volk prüfen und seine Mängel bloß­ stellen (Am 7,8). In anderen Fällen vermittelt der Doppelsinn der Sprache zwi­ schen Anlaß und Tiefenschau. So wird dem Propheten Amos der Anblick eines Erntekorbs zum Hinweis auf das kommende Gericht (Am 8,1 f.), und der Anblick eines Mandelzweigs vermittelt Jeremia die Botschaft, daß Jahwe „wacht über sei­ nem Worte, um es zu vollstrecken“ (Jer 1,11 f.). Das Bild des kommenden Unheils selbst wiederum tritt ihm entgegen beim Anblick eines kochend überlaufenden Kessels, der die Vision der vom Norden her über das Volk hereinbrechenden Inva­ sion Babylons auslöst (Jer 1,13 f.).

16 O. Procksch wies schon in seinem Artikel zum hebräischen Wortbegriff ThWNT 4,1942, 90 darauf hin, daß dabar weniger den Akt des Sprechens als den Inhalt eines Wortes, den „Be­ griff“ des Dinges bezeichne. Vgl. auch G. v.Rad: Theologie des AT II, 1960, 94 f. Auch die mit dem dabar verbundene Dynamik, die neben andern auch Procksch betonte, muß daher als die der bezeichneten Sache selbst eigene, von ihr ausgehende Dynamik verstanden werden.

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Das prophetische Gotteswort ist in der Regel nur indirekt auf Gott selbst bezogen, insofern Gott als Urheber des geschauten Inhalts gilt17. Dafür ist wieder eine anderweitige Kenntnis von Gott schon vorausgesetzt. Berichten nun aber nicht gerade die prophetischen Überlieferungen auch von grundle­ genden Gotteserfahrungen der Propheten, die sich von allem späteren Wort­ empfang dadurch unterscheiden, daß sie die Vertrautheit des Propheten mit Gott begründen? Wären nicht diese prophetischen Berufungserlebnisse dann im engeren Sinn als Offenbarungserlebnisse zu bezeichnen, insofern sich in ihnen Gott selbst zu erkennen gibt? In der Tat setzt der prophetische Wortempfang voraus, daß der Prophet in besonderer Weise in Gottes Absichten gegenüber dem Volk eingeweiht und zum Zeugnis dafür berufen ist. Der Prophet muß im Thronrat Jahwes gestanden haben, um sein Wort verkünden zu können (Jer 23,18.22). Daher konnte Micha ben Jimla die Lügenpropheten entlarven, indem er den Be­ schluß zu ihrer Betörung aus dem himmlischen Thronrat Jahwes selber be­ richtete (1.Kön 22,19 ff.). So ist auch Jesaja während des Gottesdienstes im Jerusalemer Tempel in den Thronrat Jahwes entrückt und mit seiner Sen­ dung beauftragt worden (Jes 6, bes. 6,8 ff.). Ähnlich empfing auch Ezechiel noch seine Berufung und seinen Auftrag vom Thron Gottes selbst her (Ez 1–3). Erst von einer solchen Grunderfahrung her werden dem Propheten Widerfahrnisse anderer Art zum Anlaß einer Tiefenschau, die in derartigen Anlässen das von Jahwe beschlossene Geschehen der Zukunft, sein Wort, artikuliert findet. Dabei ist die prophetische Entrückung in mancher Hin­ sicht der Art vergleichbar wie die Dichter und Rhapsoden der griechischen Antike sich von der Muse ergriffen und inspiriert wußten, aber die propheti­ sche Inspiration ist von der des Dichters durch die Kenntnis Jahwes als des Urhebers und Auftraggebers des in solcher Entrückung Mitgeteilten ver­ schieden. In einer höchsten Steigerung stellen die Überlieferungen Israels solche Vertrautheit mit Gott und seinem Ratschlag an der Gestalt des Mose dar: Mit Mose allein spricht Jahwe „von Mund zu Mund“, in unmittelbarem Gegen­ über. Von ihm allein heißt es, daß er Gottes Gestalt, sein Antlitz schaut (Num 12,8), während Gott sich den Propheten in Gesichten zu erkennen gibt und durch Träume zu ihnen redet (ebd. 6). Dennoch mußte auch Mose in sol­ che Nähe zu Gott erst berufen werden (Ex 3,4 ff.), und die Berichte von spä­ teren Prophetenberufungen wie der Jeremias berühren sich in einer Reihe von stereotypen Zügen mit der Erzählung von der Berufung des Mose (Jer 1,4 ff., vgl. auch die Berufung Gideons Ri 6,15 ff.). Das Deuteronomium 17 Nach 1.Sam 3,21 wird durch das von ihm her ergehende Wort (vgl. 3,7) auch Gott selbst dem Propheten „enthüllt“ (glh). Hier kommt auch terminologisch die Indirektheit der Bezie­ hung der Enthüllung auf Gott selbst zum Ausdruck. Direkt und unmittelbar hat es die Enthül­ lung mit dem von Gott mitgeteilten Inhalt, dem dabar, zu tun (vgl. auch 9,15). Aber mit diesem Inhalt zugleich wird auch Gott als Urheber seiner Mitteilung dem Empfänger „enthüllt“.

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sieht im Auftreten der Propheten eine Fortsetzung der prophetischen Sen­ dung des Mose (Dtn 18,15), und die Berichte von Entrückungen in den Thronrat Jahwes lassen eine weitergehende Vertrautheit der Propheten mit Gott erkennen als Num 12,6 ff. ihnen zugesteht. Gleichwohl ist keinem Pro­ pheten eine so intime Nähe zu Gott zugeschrieben worden wie Mose. Das Gefühl der Distanz nimmt in der Geschichte der Prophetie zu. Während Je­ saja noch Jahwe selbst schaut und Worte aus den Beratungen seines Thron­ rats vernimmt, sieht Ezechiel nur noch die von Gott ausstrahlende Herrlich­ keit18, und zu den apokalyptischen Sehern spricht nur noch der Engel Got­ tes, nicht mehr Gott selbst. Erst Jesus wagt es, eine Mose nicht nur vergleich­ bare, sondern ihn sogar übertreffende Nähe zu Gott in Anspruch zu nehmen, die Nähe des Sohnes zum Vater. Die prophetischen Berufungserfahrungen hatten zweifellos für ihre Emp­ fänger überragende Bedeutung. Aber sie begründeten nicht eine völlig neue Gotteserkenntnis. Es ist nicht so, daß der berufende Gott den Empfängern der Berufung vorher überhaupt noch nicht bekannt gewesen wäre19. Viel­ mehr ermöglicht die aus der Überlieferung begründete Kenntnis von Gott erst die Interpretation derartiger Erfahrungen20, so sehr auch umgekehrt derartige Erfahrungen das überlieferte Gottesverständnis modifizieren mö­ gen. Sogar für die den Patriarchen zuteilgewordenen Gotteserscheinungen scheint Entsprechendes zu gelten. In der Vätertradition werden alle Isaak und Jakob zuteilgewordenen Theophanien als auf Abraham zurückweisend dargestellt, indem die in Erscheinung tretende Gottheit sich identifiziert als „der Gott deines Vaters Abraham“ (Gen 26,24), bzw. als „der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks“ (Gen 28,13 ff., vgl. 31,13). Für Abra­ ham selbst eine grundsätzlich andere Sachlage anzunehmen, gibt die Tradi­ tion insofern keinen Anlaß, als sie Gen 12,1 wie selbstverständlich von einem Reden Gottes zu Abraham berichtet, so als ob dieser Gott für Abraham kein Unbekannter war. Auch Mose gegenüber identifiziert sich die ihm erscheinende Gottheit als „der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott 18 W. Zimmerli: Ezechiel 1, Neukirchen 1969, 35 f., vgl. 18 ff. Daß auch Jeremia voraussetzt, der Prophet stehe im Thronrat vor Jahwe und habe in dieser Situation seinen Auftrag empfan­ gen, betont K. Baltzer: Die Biographie der Propheten, Neukirchen 1975, 114 f. zuJer 23,21 und 15,19. 19 Darauf hat mit Recht J. Barr hingewiesen: Old and New in Interpretation, London 1966, 82 und 89 f. Seine Kritik am Offenbarungsbegriff und seine Bevorzugung eines Redens von „Kommunikation“ scheint durch ein Verständnis von „Offenbarung“ bedingt zu sein, das eine vorherige Kenntnis von der sich offenbarenden Person ausschließt. Daß ein solcher Offenba­ rungsbegriff den biblischen Zeugnissen nicht gerecht wird, ist richtig. Damit ist jedoch noch nicht jeder Offenbarungsbegriff als ungeeignet oder auch nur als entbehrlich erwiesen. 20 Siehe oben 76 f., sowie mit Bezug auf die biblischen Befunde meinen oben Anm. 9 zitier­ ten Beitrag 93 f.

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Jakobs“ (Ex 3,6). Auch die Gotteserscheinung im Dornbusch ist also nicht als ein isoliert für sich stehendes Offenbarungserlebnis, als eine aus diesem isolierten Ereignis allein evidente Wesensbekundung Gottes aufgefaßt wor­ den, sondern bedurfte der Identifikation durch den Rückbezug auf die Väte­ rüberlieferungen. Das ist der Sinn der „Selbstvorstellung“ der erscheinenden Gottheit: Es handelt sich dabei gerade nicht um ihre grundlegende Selbst­ kundgabe, sondern um Identifizierung unter Berufung auf ein anderes, dem Betroffenen aus der Überlieferung bekanntes Geschehen21. Damit kontrastiert eigenartigerweise der Umstand, daß die Moseüberlie­ ferung doch offenbar eine über das Gottesverhältnis der Väter hinausgehen­ de Vertrautheit Moses mit Gott behaupten will. Das zeigt sich besonders in der Priesterschrift, derzufolge der Jahwename erst Mose mitgeteilt wurde (Ex 6,3), während die Erstgestalt der älteren Erzählung von der Berufung des Mose die Kenntnis dieses Namens schon bei den Vätern voraussetzte. In ei­ ner späteren und noch den heutigen Text von Ex 3 bestimmenden Gestalt der Erzählung (E) verlangt allerdings Moses Frage nach dem Namen des Gottes, der sich ihm als der Gott seiner Väter vorgestellt hat (Ex 3,13), ebenfalls nach einem weiteren Aufschluß über sein Wesen. Das „Erscheinen“ Jahwes vor den Vätern scheint daher noch keineswegs die höchste Form der Gotteser­ kenntnis zu sein. Die Selbstbekundung Gottes durch Mitteilung seines Na­ mens geht offenbar über die Theophanie hinaus. Aber die Mitteilung des Gottesnamens Ex 3,14 geschieht ihrerseits mit spürbarer Abwehr der Zudringlichkeit, die in der Frage nach dem Namen liegt. Diese Abwehr mag mit altorientalischen Vorstellungen darüber Zusammenhängen, daß eine Person oder Sache für den, der ihren Namen kennt, verfügbar wird. Jeden­ falls verweist die Erläuterung des Gottesnamens Ex 3,14 („Ich bin [werde sein], der ich sein werde“) auf die Selbstidentität Gottes, die sich in seinem geschichtlichen Handeln herausstellen wird und sich jeder menschlichen Einflußnahme entzieht22. In sicherlich absichtsvoller Weise wird damit die Frage nach dem Gottesnamen zurückgewendet auf den Auftrag, den Mose erhalten hat und für dessen Ausführung ihm der Beistand des Gottes zuge­ sagt (3,12) wurde, der schon der Gott seiner Väter war (3,15). Das Verlangen nach Gotteserkenntnis wird damit über die Mitteilung des Gottesnamens hinaus an künftige Erfahrungen göttlichen Handelns in der Geschichte ver­ 21 So R. Rendtorff: Die Offenbarungsvorstellungen im Alten Israel, in: Offenbarung als Ge­ schichte (Hrsg. W. Pannenberg) 1961, 32 f. in Auseinandersetzung mit W. Zimmerli: Ich bin Jahwe, in: W. F. Albright u. a.: Geschichte und Altes Testament, Tübingen 1953, 179–209. Auch Zimmerli hat immerhin beiläufig (194) den von Rendtorff betonten Sachverhalt erwähnt. 22 Vgl. G. v. Rad: Theologie des Alten Testaments I, München 1957, 181–187. Dieser Sach­ verhalt ist durch die sprachliche Analyse von R. Bartelmus noch genauer bestimmt worden (HYH. Bedeutung und Funktion eines hebräischen „Allerweltswortes“, St. Ottilien 1982, 232), nämlich als Kombination einer klassifizierenden mit einer Existenzaussage, die den Zeitbezug Zukunft hat. Bartelmus übersetzt: „Ich werde sein, wer immer ich sein werde“. Vgl. auch 234 f., sowie W. H. Schmidt: Exodus (BKAT II,3) Neukirchen 1983, 177 f.

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wiesen: Die Mitteilung des Gottesnamens hat noch nicht den Sinn einer ab­ schließenden und unüberholbaren Selbstoffenbarung. Die dem Exodusgeschehen unterstellte Zweckbeziehung auf die Erkennt­ nis der Gottheit Jahwes (Dtn 4,39, vgl. 7,9) mag auf ältere prophetische „Er­ weisworte“ (wie 1.Kön 20,13.28 f., vgl. 1.Kön 18,37.39) zurückgehen, die die Erkenntnis der Gottheit Jahwes mit dem Eintreffen des in seinem Namen vorausgesagten Geschehens verbinden. Diese Verbindung, durch die das wegen der prophetischen Voraussage als Handeln Gottes identifizierbare Geschehen zum Medium eines göttlichen Selbsterweises wird, mag eine Neubildung der frühen Prophetie gewesen und sekundär in die Darstellung der Exodustradition von Moses Wundertätigkeit in Ägypten eingedrungen sein (Ex 7,17; 8,6.18; 9,14; 10,2). Oder es mag sich umgekehrt verhalten. Je­ denfalls aber hat nach dem Vorgang des Deuteronomiums auch die Prie­ sterschrift in ihrer Darstellung der Exodustradition die Abzweckung des Geschehens auf den Machterweis Jahwes und auf die daraus sich ergebende Gotteserkenntnis aufgenommen (Ex 14,4.18; vgl. schon 6,7; 7,5), und ande­ rerseits ist die Erweisformel von der späteren Prophetie auf die aktuelle und künftige Geschichtserfahrung des Volkes bezogen worden. So hat nach dem Bruch der klassischen Unheilsprophetie mit dem Glauben an den unerschüt­ terlichen Fortbestand der alten Heilssetzung Jahwes die Prophetie der Exils­ zeit die Erweisformel23 für das von ihr angesagte neue Geschehen verwen­ det, und zwar sowohl für das noch zu vollendende Gerichtshandeln Gottes an seinem Volk (Ez 5,13; 6,7.10 u. ö.; 12,15 f., vgl. Jer 16,21) als auch für das danach erwartete neue Heilshandeln (Jes 41,20; 45,3.6; 49,23; aber auch Ez 16,62; 20,42.44; 34,30; 37,13). Die für die Zukunft verheißene Gotteserkenntnis soll zunächst einmal in der Erkenntnis der Macht und Gottheit Jahwes im Spiegel der in seinem Na­ men angesagten Ereignisse bestehen, die als seine Taten und somit als Aus­ druck seiner Macht aufgefaßt werden, weil sie in seinem Namen ange­ kündigt worden sind. In ihnen wird zugleich die Gesinnung Gottes sich aus­ drücken, sowohl in seinem Gerichtshandeln als auch in seiner neuen Zuwen­ dung zu Israel als seinem erwählten Volk. Aus beidem soll nicht nur Israel, sondern sollen auch die Völker den Gott Israels als den wahren Gott erken­ nen: an seinen Gerichten, weil aus ihnen seine Macht und Gottheit als Hüter seines Rechts und der Gerechtigkeit erkennbar wird, an seiner Rettungstat an Israel aber, weil dadurch der „Name“ Jahwes als des Bundesgottes Israels in der Völkerwelt wieder zu Ehren gebracht wird (Ez 36,22 ff., vgl. Jes 48,9 ff.). Im Rückblick auf die Vielgestaltigkeit des alttestamentlichen Redens von

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Dazu siehe W. Zimmerli: Erkenntnis Gottes nach dem Buche Ezechiel, Zürich 1954.

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„Offenbarung“24 läßt sich feststellen, daß dabei in jedem Fall ein Wissen von Gott auf seiten des Empfängers schon vorausgesetzt ist25. Diese vorausge­ setzte Kenntnis wird aber modifiziert durch das Widerfahrnis der „Offenba­ rung“. Im Hinblick auf die Eigenart solcher Widerfahrnisse lassen sich un­ terscheiden erstens Erlebnisse der intuitiven Mantik wie Träume und pro­ phetische Trancezustände, die nicht ein Schauen oder Hören Gottes selbst zum Inhalt haben, aber als Eingebungen Gottes verstanden werden, zwei­ tens derartige Erlebnisse, in denen zugleich ein Schauen Gottes stattfindet wie bei den Gottesbegegnungen der Patriarchen oder in prophetischen Be­ rufungserfahrungen, drittens die Mitteilung des Gottesnamens an Mose. Diese drei Formen von „Offenbarungen“ sind inhaltlich unterschieden. Die Erlebnisformen des Offenbarungsempfangs hingegen scheinen derselben Erlebnisgattung der intuitiven Mantik anzugehören wie auch entsprechende Erfahrungen in andern Religionen. Das mag auch viertens für den Kernbe­ stand der Willensoffenbarung Gottes gelten, die die Tradition mit einem Aufenthalt des Volkes am Berge Sinai verbindet. Anders steht es bei der fünften Form von „Offenbarung“, die in der Gattung des prophetischen Er­ weiswortes vorliegt: Die Erweisworte haben zwar ebenfalls die Form pro­ phetischer Inspiration, aber die Offenbarungsfunktion wird bei ihnen nicht mit dieser Form der Mitteilung, sondern mit den angesagten Begebenheiten der Geschichte verbunden. Sucht man nach Analogien dazu, so wird man sie am ehesten in der Welt der Zeichen und der Zeichendeutung finden. Dabei mag man noch einmal unterscheiden zwischen „Zeichen und Wundern“, die Gott von sich aus wirkt, und Geschichtsereignissen, die als sein Handeln vorausgesagt werden. In beiden Fällen handelt es sich bei den „Zeichen und Wundern“ um geschichtliche Begebenheiten, die ohne alle Beteiligung artifi­ zieller oder induktiver Mantik allein von Gott selbst gewirkt werden. Sie sind natürlich nur im Zusammenhang der religiösen Überlieferung Israels als Taten Gottes identifizierbar26. In einigen Fällen ist die Grundlage dafür durch die prophetische Ankündigung der betreffenden Ereignisse im Na­ men des Gottes Israels gegeben. Aber auch wo den Ereignissen keine solche Ankündigung vorausgeht, sind sie im Zusammenhang der Glaubensüberlie­ ferung Israels als Taten des in der Geschichte handelnden Gottes zu verste­ hen, der der Gegenstand dieser Überlieferung ist. Von diesen fünf Formen von „Offenbarung“ haben die zweite, die dritte und die fünfte Gott nicht nur zum Urheber, sondern auch zum Inhalt. Bei den Gotteserscheinungen, die den Patriarchen zuteil wurden, ist der Infor­ 24 Zur unterschiedlichen Terminologie von Offenbarung als Enthüllung, Inerscheinungtre­ ten, Zuerkennengeben vgl. R. Rendtorff in: Offenbarung als Geschichte, 1961, 23 ff. 25 Wenn es 1.Sam 3,7 von dem jungen Samuel heißt, er „kannte“ Jahwe noch nicht, so ist da­ mit natürlich nicht gemeint, daß er überhaupt noch nichts von dem Gott Israels gehört hatte, sondern daß dieser ihm noch nicht in der Weise prophetischer „Enthüllung“ begegnet war. 26 Das ist schon in „Offenbarung als Geschichte“, 1961, betont worden (100, vgl. 137 f.).

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mationsgehalt, das Neue der jeweiligen Mitteilung, weniger durch die Er­ scheinung als solche als vielmehr durch die mit ihr verbundenen Verheißun­ gen des Landes, des Segens und zahlreicher Nachkommenschaft gegeben. Diese Mitteilungen sind es, die hier neue Momente in das Gottesverhältnis einbringen. Erst bei der Offenbarung des Gottesnamens an Mose wird nach dem Verständnis der Überlieferung selber eine neue Stufe der Gotteser­ kenntnis begründet. Andererseits wird gerade die Offenbarung des Gottes­ namens als eine nur vorläufige Selbstbekundung Gottes charakterisiert, weil der Name seinen Inhalt erst gewinnen soll durch das künftige geschichtliche Handeln Gottes. Wenn man mit dem Begriff der Selbstoffenbarung eine endgültige, unüberholbare Eröffnung des eignen Selbst verbindet, dann muß man urteilen, daß die Mitteilung des Gottesnamens, die Ex 3 berichtet, nicht Selbstoffenbarung in diesem präzisen Sinne bedeutet, obwohl es sich zwei­ fellos schon bei den Gotteserscheinungen der Patriarchen und erst recht bei der Offenbarung des Gottesnamens um Selbstbekundungen Gottes in einem allgemeineren Sinne handelt. Sogar die auf Gott als Urheber zurückgeführ­ ten Eingebungen, die im Traum oder im ekstatischen Zustand einer Trance empfangen werden, schließen ein Moment der Selbstbekundung ein, inso­ fern sie indirekt etwas über ihren Urheber erkennen lassen. Aber um Selbst­ offenbarung im Sinne einer Mitteilung, die darauf zielt, das eigne Selbst zu eröffnen, handelt es sich dabei nicht, schon gar nicht im Sinne einer definiti­ ven Selbsterschließung. Um eine solche geht es am ehesten bei der von den Propheten der Exilszeit als Zweck des künftigen Heilshandelns Gottes be­ zeichneten Gotteserkenntnis. Die folgenden Generationen des Volkes Israel erlebten zwar die Rückkehr der Exulanten, aber nicht die alles Frühere überstrahlende Heilszeit der pro­ phetischen Verheißungen. Statt dessen wurde unter der Erfahrung der wech­ selnden Herrschaftsformen der Weltreiche die eschatologische Erwartung einer endgültigen Verwirklichung des Gottesreiches am Ende der Abfolge der Weltreiche ausgebildet, und in Verbindung damit entstand die Erwar­ tung einer Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes an den Individuen über dieses irdische Leben hinaus durch die Auferweckung der Gerechten und durch das Gericht, dem die Frevler nach ihrem Tode entgegengehen. Dem apokalyptischen Seher wird im Gesicht „enthüllt“ (Hen 1,2; vgl. 80,1; 106,19), was erst am Ende dieses Äons vor aller Welt offenbar werden wird, nämlich „alle die verborgenen Dinge des Himmels, die da geschehen sollen auf der Erde“ (Hen 52,2 vgl. 5). Die apokalyptische Schau der bei Gott verborgenen, ihm schon gegenwär­ tigen, letzten Zukunft der Welt unterscheidet sich vom prophetischen Got­ teswort, das im Lichte des göttlichen Ratschlusses über das erwählte Volk Gottes das innerweltlich in Kürze Bevorstehende zum Gegenstand hatte. Aber die Form der Ankündigung im Wort, das auf das künftige Geschehen als Selbsterweis der Macht und Gottheit Gottes vorausweist, gilt auch für die

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Apokalyptik: „Denn wie alles, was in der Welt geschehen ist, einen Anfang hat im Wort, aber ein offenkundiges Ende (consummatio in manifestatione), so sind auch des Höchsten Zeiten: Ihr Anfang geschieht in Wort und Vorzei­ chen, ihr Ende aber in Taten und Wundern (in actione et in miraculo)“ (4.Es­ ra 9,5). In den apokalyptischen Texten ist von „Offenbarung“ in doppelter Form die Rede: einmal im Blick auf die „Enthüllung“ der eschatologischen Zu­ kunft (und des Weges zu ihr) durch das Gesicht, das dem Seher zuteil wird. Diese Seite entspricht den Offenbarungserlebnissen der intuitiven Mantik, nicht zuletzt auch dem prophetischen Wortempfang. Zum andern aber wird nun auch das künftige Eintreffen des Geschauten, das endzeitliche In-Er­ scheinung-Treten des jetzt noch bei Gott Verborgenen als „Offenbarung“ bezeichnet. Im Zusammenhang damit wird es analog der im prophetischen Erweiswort ausgedrückten Erwartung auch zur Gotteserkenntnis kommen: Die endzeitliche „Offenbarung“ des jetzt noch bei Gott Verborgenen wird verbunden sein mit einem In-Erscheinung-Treten auch der „Herrlichkeit“ Gottes selbst (syr. Bar 21,22 ff., vgl. Jes 60,19 f.; 4.Esra 7,42). Der Sache nach liegt auch hier der Gedanke einer Selbstoffenbarung Gottes durch das künf­ tige Geschehen zugrunde. Allerdings ist dieser Gedanke in den apoka­ lyptischen Texten nicht ausdrücklich thematisch. Das dürfte damit Zusam­ menhängen, daß die Ereignisse der Geschichte und auch das Endgeschehen nicht, wie in der klassischen Prophetie Israels, als ein jeweils neues Gottes­ handeln aufgefaßt werden, sondern als Realisierung eines bei dem ewigen Gott feststehenden Planes. Das apokalyptische Offenbarungsverständnis bildet den Bezugsrahmen für das Verständnis der neutestamentlichen Offenbarungsaussagen. Das gilt auch da, wo die apokalyptischen Vorstellungen modifiziert werden: gerade an diesen Modifikationen läßt sich das Spezifische des neutestamentlichen Redens von Offenbarung ablesen. Dabei tritt jedoch nicht eine völlig andere Gesamtkonzeption dem apokalyptischen Offenbarungsverständnis gegen­ über, sondern die Eigenart der urchristlichen Aussagen gewinnt ihr Profil als Modifikation der apokalyptischen Vorstellungen, eine Modifikation, die freilich im Ergebnis dann doch zu einem neuen Gesamtverständnis göttlicher Offenbarung führt. Zunächst muß im Neuen ebenso wie im Alten Testament das Fehlen einer einheitlichen Offenbarungsterminologie festgestellt werden. Der terminologischen Vielfalt27 entspricht auch hier eine komplexe Viel­ falt von Vorstellungen, von denen jedoch die meisten mehr oder weniger deutlich in einer Beziehung auf das apokalyptische Offenbarungsschema mit seiner Doppelheit gegenwärtiger und zukünftig-allgemeiner Enthüllung ste­ 27 Neben ἀποκαλύπτεσθαι/άποκάλυψις stehen φανεροῦν/φανέρωσις und eine Reihe von Derivaten von (φαίνεσθαι, sowie εμφανίζειν (Joh 14,21 f.), sowie δηλοῦν. Diese terminologi­ sche Vielfalt ist schon von H. Schulte: Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, 1949, beschrieben worden.

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hen. Von dieser Regel gibt es allerdings auch Ausnahmen. Die wichtigste da­ von ist die Offenbarung der Macht und Gottheit Gottes in den Werken der Schöpfung, von der Paulus Röm 1,19 spricht und die sich auf entsprechende Aussagen der jüdischen Weisheitsliteratur und der Psalmen zurückführen läßt. Auf der Hand liegt die Nähe zu apokalyptischen Offenbarungsaussagen in dem Logion Mt 10,26/Lk 12,2: Nichts ist verborgen, was nicht offenbar werden wird (vgl. Hen 52,5). Auf das Offenbarwerden im Endgeschehen verweist in anderer Terminologie (φανεροῦν) auch Mk 4,22 (vgl. Lk 8,17). Gemeint ist das Offenbarwerden der Frommen wie der Frevler im Gericht Gottes (vgl. Röm 2,16, sowie 1.Kor 3,13 und 4,5, sowie 2.Kor 5,10). Hierher gehört auch das künftige Offenbarwerden des Herrn Jesus Christus bei sei­ ner Wiederkunft zum Gericht (1.Kor 1,7: ἀποκάλυψις, so auch 2.Thess 1,7). In anderer Terminologie wird von der Wiederkunft Christi als „Epiphanie“ seiner Gegenwart („Parusie“) gesprochen (2.Thess 2,8; vgl. 1.Tim 6,14; 2.Tim 4,8). Die Wiederkunft Christi wird verbunden sein mit dem Offen­ barwerden seiner Herrlichkeit (1.Pt 4,13; vgl. Tit 2,13). An dieser seiner Herrlichkeit werden dann auch die Glaubenden teilhaben (1.Pt 5,1; vgl. Röm 8,18 f.). Die künftige Offenbarung ihres Heils (1.Pt 1,5) in der Teilhabe an Jesus Christus wird auch durch den Begriff des „Erbes“ bezeichnet (ebd. 1,4), der im Neuen Testament durchweg eschatologischen Sinn hat. Während die Aussagen über die künftige Offenbarung im Endgericht sich – abgesehen von ihrem christologischen Bezug – weitgehend im Rahmen apokalyptischer Vorstellungsweise halten, wird dieser Rahmen bei den Aus­ sagen über die gegenwärtige Eröffnung des zukünftig zu Enthüllenden stär­ ker modifiziert. Allerdings finden sich auch hier Aussagen, die dem apoka­ lyptischen Gedanken einer vorwegnehmenden Enthüllung des bei Gott Ver­ borgenen, erst im Endgeschehen zu Offenbarenden für den apokalyptischen Seher weitgehend entsprechen. Dazu ist die Aussage des Apostels Paulus zu rechnen, daß Gott ihm seinen Sohn offenbar gemacht habe (Gal 1,16)28, aber auch die Antwort Jesu auf das Bekenntnis des Petrus nach Mt 16,17, dem Pe­ trus sei solches (nämlich die erst künftig allgemein zu offenbarende Messia­ nität Jesu) durch den Vater im Himmel „enthüllt“ worden. Spezifisch ist je­ doch in beiden Fällen, wenn man die apokalyptischen Sehern eröffneten Mitteilungen über das Endgeschehen vergleicht, die christologische Konzentration: Nur dieses eine, die Identität des künftigen Messias und Weltenrichters, ist Inhalt der Enthüllung29. 28 Eine Zwischenstellung zwischen solcher Vorausenthüllung eschatologisch zu offenbaren­ der „Geheimnisse“ (dazu unten) und Offenbarungserlebnissen im weiteren Sinne des Wortes nehmen im paulinischen Sprachgebrauch die „Offenbarungen des Herrn“ ein, von denen 2.Kor 12,1 und 7 die Rede ist, während Gal 1,12 deutlich zum Typ der Offenbarungserlebnisse zu rechnen ist. 29 Christologische Konzentration kennzeichnet auch den Eingangssatz der Johannesapoka­

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Eine tiefer einschneidende Korrektur der Vorstellungen apokalyptischer Texte von der vorzeitigen Enthüllung des im Endgeschehen allgemein zu Of­ fenbarenden findet sich in Aussagen, die bereits das irdische Auftreten Jesu als „Offenbarung“ bezeichnen. Solche Aussagen begegnen besonders bei Paulus. Nach Röm 3,21 ist im Sühnetod Christi (3,24 f.) die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden (πεφανέρωται) die durch Gesetz und Propheten „bezeugt“, nämlich als künftig zu offenbarende (vgl. Röm 1,2) verkündet worden ist. Darum kann Paulus auch Röm 1,17 schreiben, durch das Evange­ lium sei die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden (ἀποκαλύπτεται): Das bedeutet nicht, daß das Evangelium dem Apostel durch vorzeitige Enthül­ lung des Endgeschehens in apokalyptischer Schau mitgeteilt worden wäre, sondern als Christusbotschaft hat das Evangelium das Geschehen zum In­ halt, das als solches die „Offenbarung“ der von Gesetz und Propheten be­ zeugten Gerechtigkeit Gottes ist30. Dabei liegt eine eigentümliche Ver­ schränkung der beiden Aspekte apokalyptischen Offenbarungsverständnis­ ses vor, der endgeschichtlichen und der gegenwärtig dem Seher gewährten „Enthüllung“: Das Zeugnis von Gesetz und Propheten zielt nämlich auf die Endvollendung. Diesen Sinn zu entschlüsseln, übersteigt jedoch menschli­ ches Vermögen. Daher ist, ähnlich wie für die Traumdeutung eine von Gott verliehene Gabe der Deutung erforderlich ist (Dan 2,28), auch zur Erkennt­ nis des geheimen Sinns der prophetischen Aussagen eine „Enthüllung“ dieses Sinns durch göttliche Eingebung nötig, wie sie schon im Danielbuch für die Weissagung Jeremias über die siebzig Jahre der babylonischen Herrschaft (Jer 25,11 f.; 29,10) gewährt wird (Dan 9). Verallgemeinert heißt das, daß der göttliche Geschichtsplan in den Worten der Propheten in verschlüsselter Form mitgeteilt worden ist. Die vorzeitige Enthüllung des Endgeschehens kann daher außer in visionärer Form auch durch Belehrung über die verbor­ gene, eschatologische Bedeutung der prophetischen Worte geschehen. So heißt es in den Qumrantexten, Gott habe dem Lehrer der Gerechtigkeit alle Geheimnisse der Worte seiner Knechte, der Propheten, kundgetan (lQHab 7,4–6). Nach Röm 3,21 aber sind diese Geheimnisse nicht etwa nur dem Apo­ stel persönlich enthüllt worden, sondern ihr Inhalt ist durch ein ge­ schichtliches Faktum, nämlich durch das Kreuz Jesu Christi, bereits realisiert worden, nämlich die Gerechtigkeit Gottes, deren geschichtliche Ver­ wirklichung Gesetz und Propheten als göttliche Notwendigkeit verkünden. Allerdings ist diese Verwirklichung nach Paulus, wie er sofort hinzufügt, nur für den Glaubenden schon in Jesus Christus eingetreten (Röm 3,22). Denn die für alle überführende „Offenbarung“ Jesu Christi und des in ihm schon lypse (Apk 1,1), der alles folgende als eine Jesus Christus von Gott eröffnete „Offenbarung“ des Endgeschehens bezeichnet, welche von diesem durch einen Engel seinem „Knecht“ Johannes weitergegeben worden sei. 30 Zu Röm 3,21 als „Basis“ des Römerbriefs und als Erläuterung von Röm 1,17 siehe U.Wilckens: Der Brief an die Römer 1 (EKK VI/1) Neukirchen 1978, 199 f.; vgl. 101 ff.

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Ereignis gewordenen eschatologischen Geschehens in seiner Wiederkunft zum Gericht (1.Kor 1,7) steht ja noch aus. Insofern eignet der Offenbarung, die das Evangelium mitteilt, doch auch noch ein Moment der Vorläufigkeit, entsprechend der vorlaufenden Offenbarung des Endgeschehens, die dem apokalyptischen Seher zuteil wurde. Diese Verbindung von Endgültigkeit und Vorläufigkeit kennzeichnete schon Jesu Botschaft vom Gottesreich, das in Jesu Auftreten bereits anbricht und doch noch zukünftig bleibt. Dieselbe Verbindung von Endgültigkeit und Vorläufigkeit kennzeichnet die christli­ che Osterbotschaft, die die endgültige Heilswirklichkeit des todüberwin­ denden Lebens der Auferstehung als an Jesus schon eingetreten, zugleich aber als für uns noch ausstehend verkündet. Sie kehrt wieder in der paulini­ schen Spannung zwischen dem „Schon“ der Heilsgegenwart und dem „Noch nicht“ ihrer Vollendung31. Gerade mit dieser Spannung aber hängt es nach Paulus zusammen, daß die Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus für die Glaubenden zugänglich ist, so daß den Sündern noch eine Chance zur Umkehr und Teilhabe am Heil eröffnet ist vor dem Eintritt des Endge­ richts32. In der Nachfolge des Apostels wurde dann der auch von ihm schon 1.Kor 2,7–9 für den Heilsplan der göttlichen Weisheit gebrauchte apokalyptische Begriff des „Mysteriums“33 mit dem Offenbarungsbegriff zu einer komple­ xen Gesamtaussage verbunden. Am differenziertesten ist das in dem von den Exegeten durchweg als nachpaulinisch beurteilten doxologischen Schlußsatz des Römerbriefs (Röm 16,25–27) geschehen. Von der Christuspredigt heißt es dort, in ihr werde das „Geheimnis“ des göttlichen Heilsplans enthüllt, der ewige Zeiten hindurch verschwiegen blieb, jetzt aber – d. h. durch Jesus Christus – offenbar geworden ist34. Ähnliche Formulierungen finden sich auch im Brief an die Kolosser (1,26 f.) und im Epheserbrief (3,5 u. 9 f.), in den Pastoralbriefen (2.Tim 1,9 f.; Tit 1,2 f.), sowie im ersten Petrusbrief (1,20). Der Gegenstand des göttlichen Heilsplans, der in Jesus Christus (und zwar nach 1.Pt 1,19 ebenso wie nach Röm 3,21 ff. durch den Sühnetod Christi) 31 Zu dieser die neutestamentlichen Zeugnisse in ihrer Gesamtheit durchziehenden und mit der Verkündigung Jesu selbst verbindenden Thematik vgl. U. Wilckens: Das Offenbarungsver­ ständnis in der Geschichte des Urchristentums, in: Offenbarung als Geschichte, Göttingen 1961, 42–90. Wilckens hat damals allerdings noch nicht die explizite Offenbarungsterminologie der neutestamentlichen Schriften in ihrer Beziehung zum apokalyptischen Offenbarungsbegriff untersucht. 32 So schon U. Wilckens a. a. O. 68: „Das Offenhalten der zukünftigen Erwartung gegenüber der gnostischen Tendenz, die eschatologische Zukunft radikal zu vergegenwärtigen, hatte für Paulus den Sinn, den heilsgeschichtlich zentralen Charakter des Christusgeschickes ὑπέρ ἡμῶν als Gnade festzuhalten…“ 33 Vgl. auch Röm 11,25. Daß der Ausdruck μυστήριον ein apokalyptischer Terminus für den Heilsplan Gottes ist, hat G. Bornkamm in seinem Artikel zu diesem Stichwort in ThWNT 4, 820–823 nachgewiesen. 34 Siehe dazu U. Wilckens: Der Brief an die Römer 3, (EKK VI/3) Neukirchen 1982,147 ff.

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offenbar geworden ist, besteht nach allen diesen Aussagen wie auch bei Pau­ lus (Röm 11,25) in der Einbeziehung aller in die Teilhabe am Heil durch den Glauben. Mit besonderer Betonung hebt das der Epheserbrief hervor. Im er­ sten Petrusbrief (1,1 Off.) wird ebenso wie in der Schlußformel des Römer­ briefs von der Vorausverkündigung dieses Heils durch die alttestamentli­ chen Propheten35 gesprochen, aber Röm 16,25–27 bezieht die in Jesus Chri­ stus geschehene Offenbarung des Heilsplans in sehr bemerkenswerter Weise auf die prophetischen Schriften, von denen es heißt, daß durch sie dieses Of­ fenbarungsgeschehen allen Völkern kund werde (v. 26): Zwar wird die Kundmachung durch die prophetischen Schriften von der in Jesus Christus geschehenen Offenbarung unterschieden36, aber daß in Jesus Christus die Offenbarung des göttlichen Heilsplans stattgefunden hat, wird eben erst durch den Weissagungsbeweis aus den Schriften der Propheten erkennbar. Der Brennpunkt der Offenbarung ist sicherlich Jesus Christus, den das Ke­ rygma bezeugt (Röm 16,25), aber Offenbarung des göttlichen Heilsplans ist sein Geschick doch nur in seinem Rückbezug auf die prophetischen Ankün­ digungen, deren geheimer Sinn nun „enthüllt“ ist. Damit ist der urchristliche Gebrauch des Alten Testaments als Schriftbeweis für die Christusbotschaft und zugleich als Quelle christologischer Aussagen und Titel auf eine knappe, allerdings sehr komplexe Formel gebracht. Daß Jesus in Person die Offenbarung Gottes sei, ist im Neuen Testament nur im Zusammenhang dieses „Revelationsschemas“ in solcher Ausdrück­

35 Daß es sich bei den „prophetischen Schriften“ nicht um die alttestamentlichen Propheten­ schriften, sondern um „den im Entstehen begriffenen Kanon heiliger Schriften“ des Neuen Te­ staments handle, wie mit W. Schmithals, D. Lührmann und E. Käsemann auch U. Wilckens an­ nimmt (a. a. O. 150), halte ich nicht für überzeugend. Da Röm 3,21 eindeutig von dem „Zeug­ nis“ von „Gesetz und Propheten“ für die durch Jesus Christus eingetretene Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes die Rede ist (vgl. auch 1,2 und 15,4), müßten sehr schwerwiegende Grün­ de angeführt werden für die Annahme, daß Röm 16,25–27 ganz andere „prophetische Schrif­ ten“ gemeint sind, für die diese Bezeichnung singulär wäre. Eph 3,5 kann nicht als Parallele her­ angezogen werden, weil dort zwar in auch sonst geläufiger urchristlicher Sprechweise von den „heiligen Aposteln und Propheten“ die Rede ist, denen der Heilsplan Gottes durch den Geist offenbart worden sei, aber nicht von prophetischen Schriften wie Röm 16,25-27. Der wichtigste Grund für die Beziehung dieses Ausdrucks auf urchristliche Schriften scheint denn auch zu sein, daß nach Röm 16,26 die prophetischen Schriften „jetzt“ aller Welt die in Jesus Christus ge­ schehene Offenbarung kundmachen. Könnten aber nicht die alttestamentlichen Propheten­ schriften erst „jetzt“, nachdem Jesus Christus erschienen ist, in ihrer Funktion als Weissagung auf ihn hin erkennbar werden, indem sie umgekehrt das Christusgeschehen als „Offenbarung“ erkennbar machen? So hat bereits Origenes (de princ. IV, 1,6) den Satz verstanden, und diese Tatsache ist unabhängig von seiner problematischen Erweiterung der Textstelle. Das von Ori­ genes der Aussage entnommene Wechselverhältnis von Offenbarung in Jesus Christus und alt­ testamentlicher Weissagung entspricht genau der Funktion des Weissagungsbeweises in der Theologie der frühen Kirche. 36 So U. Wilckens a. a. O. 150 Anm. 708 zur schwierigen Zuordnung der beiden Partizipial­ konstruktionen innerhalb des Satzes.

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lichkeit gesagt worden37. Man muß dazu noch die hymnische Aussage 1 .Tim 3,16 nehmen: Der göttliche Heilsplan38 wurde offenbar („erschien“) im Fleisch. Die späterer Zeit anscheinend nicht mehr verständliche Aussage ist in der Textüberlieferung bald auf den präexistenten Christus oder auch auf Gott bezogen worden. Aber eine ausdrückliche Formulierung, daß Gott „sich selbst“ in seinem Sohn Jesus Christus „offenbar gemacht“ habe, findet sich erst bei Ignatios von Antiochien (Magn 8,2), und auch hier steht noch das „Revelationsschema“ von Röm 16,25–27 im Hintergrund, wie der Zu­ satz verrät, daß dieser Jesus Christus Gottes „aus dem Schweigen hervorge­ gangenes Wort ist“. Allerdings fehlt bei Ignatius in diesem Zusammenhang nicht nur die Bezugnahme auf die prophetischen Weissagungen, sondern an die Stelle des göttlichen Heilsplans ist nun das „Wort“ getreten. Der Sache nach, ohne explizite Offenbarungsterminologie, finden sich ent­ sprechende Aussagen natürlich auch im Neuen Testament, so die Aussage der Fleischwerdung des göttlichen Logos im Prolog des Johannesevange­ liums (Joh 1,14) oder der Eingangssatz des Hebräerbriefes, der den vielfälti­ gen Reden Gottes in der Vergangenheit durch die Propheten sein eschatolo­ gisches Reden „zu uns“ durch den Sohn gegenüberstellt (Hebr 1,1 f.). Solche Aussagen können für sich genommen werden als selbständige Zusammenfas­ sungen der Christusbotschaft. Besonders der johanneische Gedanke von der Inkarnation des Logos hat in diesem Sinne gewirkt und eine überwältigende Wirkungsgeschichte gehabt. Hebr 1,1 f. und Joh 1,14 müssen aber auch im Zusammenhang des neutestamentlichen und des gesamtbiblischen Zeugnis­ ses von dem Offenbarungshandeln Gottes gelesen werden. Sie stellen sich dann – und das gilt auch für Ign Magn 8,2 – als verkürzte Formeln für das Er­ gebnis der Entwicklung der urchristlichen Christologie im Lichte der als Ver­ heißung und Weissagung gelesenen alttestamentlichen Schriften dar, ent­ sprechend den paulinischen Aussagen von der Offenbarung der Gerechtig­ keit Gottes im Sühnetod Christi (Röm 3,21) und dem „Revelationsschema“ von Röm 16,25 f., sowie den übrigen derartigen Aussagen. Blickt man zurück auf die Geschichte der biblischen Offenbarungsvorstel­ lungen, so erscheint das prophetische Erweiswort und besonders seine An­ wendung bei Deuterojesaja als Wendepunkt dieser Geschichte durch Verla­ gerung der entscheidenden „Offenbarung“ in die Zukunft (so schon Jes 40,5). Der apokalyptische Offenbarungsbegriff konnte das im älteren 37 Das Logion Mt 11,27 (Lk 10,22), daß nur der Sohn den Vater kenne und wem der Sohn es offenbaren wolle, bezeichnet zwar den Sohn als Offenbarungsmittler (vgl. auch Joh 17,6), aber erklärt nicht ihn selbst zur Offenbarung des Vaters. Die Funktion des Sohnes entspricht hier am ehesten der des Engels beim Offenbarungsempfang des apokalyptischen Sehers. Die Vorstellung, daß Jesus Christus eine von Gott empfangene „Offenbarung“ weitergibt, findet sich auch im ersten Satz der Johannesapokalypse (1,1), und hier ist die Parallele zur Funktion von Engeln als Mittler apokalyptischer Offenbarung besonders auffallend. 38 Der relativische Anschluß ὁ dürfte ursprünglicher sein als ὁς.

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Sprachgebrauch vorherrschende Motiv des Offenbarungserlebnisses als un­ tergeordnetes Moment in sich aufnehmen im Sinne proleptischer Enthüllung des erst in der Zukunft allgemein zu Offenbarenden. Das Offenbarungser­ lebnis wird damit zu etwas Vorläufigem, dessen Wahrheit an der Zukunft des Selbsterweises der Wahrheit Gottes hängt. Das hindert nicht, daß umge­ kehrt der apokalyptische Seher ebenso wie der Prophet sich bereits im Licht der künftig zu offenbarenden Wahrheit wußten. Sie lebten in dem Bewußt­ sein, daß die endgültige Wahrheit ihnen schon gegenwärtig eröffnet worden war. Erst Jesus hat allerdings den Anspruch erhoben, daß in seiner Verkün­ digung und in seinem Wirken die kommende Gottesherrschaft selbst bereits tatsächlich anbreche. Die christliche Osterbotschaft verstand ihren Inhalt als Bestätigung dieses Anspruchs und konnte darum Jesus und sein Geschick als die schon ergangene Endoffenbarung Gottes und als Quelle gegenwärtiger Heilsteilhabe verkündigen. Zugleich aber blieb sie sich der noch ausstehen­ den Offenbarung Gottes in der Wiederkunft Jesu Christi bewußt und begriff gerade diese Spannung als Bedingung für den gegenwärtigen Zugang zum eschatologischen Heil. Zur Relevanz dieses Sachverhalts für die Frage nach der Wirklichkeit Got­ tes im Konflikt unterschiedlicher und gegensätzlicher religiöser Wahr­ heitsansprüche gehört es, daß der apokalyptische Offenbarungsgedanke und seine urchristliche Umbildung und Weiterbildung zumindest implizit der Strittigkeit der Wirklichkeit Gottes Rechnung tragen, indem sie zugleich die eschatologische Wahrheit seiner Gottheit gegenwärtig in Anspruch nehmen. Darin liegt für eine heutige Betrachtung geradezu ein Indiz ihrer Wahrheits­ fähigkeit: Indem sie die Strittigkeit religiöser Wahrheitsansprüche in ihr ei­ genes Wahrheitsverständnis einbeziehen, bewähren sie sich insoweit an der Wirklichkeit der Welt, wie sie sich für unsere Erfahrung darstellt. Im Falle der christlichen Botschaft gilt das nicht nur für ihre Form, sondern auch für ihren Inhalt; denn gerade der Wahrheitsanspruch, den Jesus erhob, hat ihn ans Kreuz gebracht, und das apostolische Evangelium ist als Botschaft von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus immer auch Wort vom Kreuz.

3. Die Funktion des Offenbarungsbegriffs in der Theologiegeschichte In der patristischen Theologie hat der Offenbarungsbegriff noch nicht die grundlegende Funktion für die Darstellung der christlichen Lehre gewon­ nen, die ihm dann im lateinischen Mittelalter und vor allem in der neuzeitli­ chen Theologie zugefallen ist. Indessen sind sowohl die Gründe für diesen Sachverhalt als auch der faktische Gebrauch des Begriffs in der patristischen

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Theologie39 aufschlußreich gerade auch für die Beurteilung der neuzeitli­ chen Problematik und Funktion des Offenbarungsbegriffs. Bei den apostolischen Vätern wird teilweise noch apokalyptischer Sprach­ gebrauch weitergeführt, vor allem im Hirten des Hermas. Insbesondere der Visionsempfang wird hier als apokalypsis bezeichnet (vis. II,2; II,4; III,1 u. ö.), auch in Verbindung mit der Enthüllung des Weissagungsgehaltes der Schrift (II,2). Sonst findet sich mehr die Vorstellung des Erscheinens oder Erscheinenlassens (φανεροῦσθαι), und zwar sowohl im Hinblick auf das Offenbarwerden des jetzt Verborgenen im künftigen Gericht (so 1.Cl 50,3 von den Frommen), als auch für das gegenwärtige oder schon geschehene Erscheinenlassen der Ordnung des Kosmos (1.Cl 60,1)40, sowie des Herren selbst und seiner Kirche im Fleisch (Barn 5,6 und 6,7; II.Cl 14,3). Der Gedanke der Offenbarung als Epiphanie stellt eine spezifisch patri­ stische Weiterbildung des apokalyptischen Themas von der endzeitlichen Offenbarung des bis dahin Verborgenen dar, vermittelt durch die neutesta­ mentliche Inanspruchnahme der Vorstellung endzeitlicher Offenbarung für die Beschreibung der Bedeutung der Person und des Geschickes Jesu Chri­ sti: Das eigentümlich Paradoxe solcher proleptischen Offenbarung bereitete dem Epiphaniedenken keine Schwierigkeit mehr. Die Wendung von der Selbstoffenbarung Gottes durch seinen Sohn (Ign Magn 8,2) konnte daher zu einem Interpretament der Inkarnationsvorstellung werden. Anlaß dazu bot sich durch die Verbindung des Jesuslogions, daß nur der Sohn den Vater offenbaren könne (Mt 11,27) mit dem Erscheinen des Sohnes im Fleisch. So heißt es bei Irenäus, der Sohn offenbare den Vater, indem er selbst den Men­ schen erschien (adv. haer. IV,6,3 als Auslegung von Mt 11,27). Wenig später heißt es, der Vater habe den Sohn erscheinen lassen, damit er selbst durch ihn allen bekannt werde (adv. haer. IV,6,5). Schon der präexistente Sohn hat nach Justin den Vater offenbart; denn er sei es gewesen, der den Patriarchen in den Gottesbegegnungen, von denen das Alte Testament berichtet, er­ schienen sei. Der Vater selbst nämlich bleibe unsichtbar und un­ aussprechlich, so daß der Sohn an seiner Stelle ihn den Menschen bekannt machen muß. Dazu aber muß er den Menschen irgendwie sichtbar werden (Dial 127,3–128,2). Das geschieht definitiv durch sein Erscheinen im Fleisch. Dazu ist auch nach dem zweiten Klemensbrief der Sohn im Fleische erschie­ 39 Siehe dazu R. Latourelle: L’idée de révélation chez les pères de l’église (Sciences ecclésiastiques 11,1959, 297–344), sowie auch die Belegauswahl im Hist. Wörterbuch der Philos. 6, 1984, 1105–1130, bes. 1106 ff. Die Darstellung im Handbuch der Dogmengeschichte I/la, 1971, geht leider zu wenig auf die Offenbarungsterminologie und die Eigentümlichkeiten des Sprachgebrauchs ein. 40 Davon ist das paulinische Motiv von Röm 1,19 f., das Offenbaren der Gottheit und Macht Gottes in den Werken der Schöpfung, obwohl sachlich eng verwandt, zu unterscheiden. Zum Weiterwirken dieses Gedankens in der Patristik vgl. Handbuch der Dogmengeschichte 1/la, 1971, 32 f. und 90 ff.

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nen (14,3), daß er uns rette (14,2). In ihm hat der alleinige und unsichtbare Gott „uns den Retter und Urheber der Unvergänglichkeit gesandt, durch den er uns die Wahrheit und das himmlische Leben offenbart hat“ (20,5). Denn den „Vater der Wahrheit“ (ebd.) haben wir durch Christus erkannt (3,1). Derselbe Grundgedanke begegnet noch bei Athanasios: Der Logos er­ schien im Leibe, damit wir zur Erkenntnis des unsichtbaren Gottes gelan­ gen (c. Gentes 54, MPG 25,192). Ist in diesen auf die Inkarnation bezogenen Epiphanieaussagen der Be­ gründungszusammenhang für die Offenbarungsfunktion des Erscheinens Jesu Christi nur weggelassen, aber implizit vorausgesetzt, oder liegt ein ganz anderer, hellenistischen Vorstellungen von einer Epiphanie der Gottheit in menschlicher Gestalt analoger Gedanke vor? Der Anklang einiger der zitier­ ten Formulierungen an hellenistische Epiphanievorstellungen ist offensicht­ lich. Darüber hinaus dürfte die Geläufigkeit des Logosgedankens in der hel­ lenistischen Bildungswelt es verständlich machen, daß der apokalyptischurchristliche Gedanke eines göttlichen Geschichtsplans, der von seiner Er­ füllung in Jesus Christus her offenbar geworden ist, in den Hintergrund rük­ ken konnte41 zugunsten einer Reflexion auf eine direkte Offenbarungs­ funktion des Logos, der allerdings in anderem Zusammenhang auch als ver­ bunden mit dem „Mysterium“ der göttlichen Weisheit, dem göttlichen Ge­ schichts- und Heilsplan, gelten konnte. Die Aussagen Justins in seinem Dialog sind dafür besonders aufschlußreich: Sobald der Logos als der Ver­ mittler der Erkenntnis des unsichtbaren Vaters gedacht wurde, legte sich auch die Frage nahe, welche Gestalt er annehmen mußte, um sich den Men­ schen verständlich zu machen. So konvergieren Offenbarungsgedanke und Inkarnationsaussage. Dadurch wird jedoch der alttestamentliche Schriftbe­ weis nicht überflüssig. Seine Bedeutung im Gesamtwerk von Theologen wie Justin oder Irenäus verwehrt es, die Aussagen über das Offenba­ rungsgeschehen der Inkarnation aus dem Zusammenhang mit ihm zu lösen. Allerdings war der Schriftbeweis aus dem Alten Testament nach Irenäus vor allem bei den Juden nötig (adv. haer. IV,23) und erleichterte den Aposteln hier die Missionsarbeit, während die Heiden „das Wort Gottes ohne die Unterweisung der Schriften annahmen“ (adv. haer. IV,24,3), obwohl auch für die Heiden das Alte Testament nützlich ist, weil es die Vorausdarstellun­ gen dessen, was in der Kirche Wirklichkeit werden sollte, enthält, „damit 41 Doch hat noch der Diognetbrief an dieser Basis festgehalten. Nach seinen Ausführungen hat der unsichtbare Gott „sich selbst erwiesen“ (ἑαυτο῀ν ἐπέδειξεν: 8,5), indem er dem Sohn seinen von Anfang an gefaßten Heilsplan mitteilte, so daß dieser vom Sohn „enthüllt“ und zur Erscheinung gebracht werden konnte (8,11): Hier ist der apokalyptisch-urchristliche Gedanke des göttlichen Heilsplans als Gegenstand der Offenbarung noch bewahrt, und die dadurch ver­ mittelte Gotteserkenntnis ist eine indirekte. Nach F. G. Downing: Has Christianity a Revelati­ on?, London 1964, 135, bietet der Diognetbrief „for the first time, something like a theology of revelation“.

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unser eigener Glaube fest sei“ (adv. haer. IV,32,2)42. In Justins Apologie war dieser Gedanke noch sehr viel nachdrücklicher ausgesprochen worden: Auf der Erfüllung der prophetischen Weissagungen beruht bei ihm der entschei­ dende Wahrheitsbeweis für die christliche Lehre (Apol 30–53). Der Glaube an Jesus Christus wäre ohne Grund, „wenn wir nicht Zeugnisse vorfänden, die noch vor seiner Ankunft im Fleische bekannt gegeben waren, und wenn wir diese nicht so bestätigt sähen“ (53). Der Unterschied in der Wertung des alttestamentlichen Schriftbeweises bei Justin und bei Irenäus dürfte damit Zusammenhängen, daß für letzteren die apostolischen Schriften bereits als selbständige Autorität feste Gestalt angenommen hatten. Aber noch Origenes hat die Bedeutung des alttesta­ mentlichen Schriftbeweises ähnlich hoch eingeschätzt wie Justin und ihn im Anschluß an Röm 16,25–27 mit der in Jesus Christus geschehenen Offenba­ rung verknüpft. Dabei ist allerdings gegenüber Röm 16,25 eine Akzentverla­ gerung zu beobachten, die in der Geschichte der christlichen Theologie fol­ genreich geworden ist. Origenes hat wie viele andere altkirchliche Theologen vor ihm unter Berufung auf Mt 11,27 die Offenbarung des Vaters durch den Sohn gelehrt, fügte aber hinzu, daß diese Offenbarung durch den Geist vermittelt sei43. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß er die Aussage von Röm 16,25–27 über die Offenbarung des göttlichen Geheimnisses so auf die dort genannten „prophetischen Schriften“ bezog, daß er diese vom Geist erfüllten, inspirier­ ten Schriften als Vermittlung der im Sohn geschehenen Offenbarung auf faßte (De princ. IV,1,7). Ganz im Sinne seiner Vorstellung von der Verbundenheit von Sohn und Geist im Offenbarungsgeschehen fügt er zwar zu dem Hin­ weis auf die prophetischen Schriften in Röm 16,26 einen Hinweis auf die „Erscheinung unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi“ hinzu, aber dazu war er nur genötigt, weil er das Wort φανερωθένος; in Röm 16,26 auf die prophetischen Schriften bezog, während der Text von der „jetzt“ (d. h. in Jesus Christus) erfolgten „Offenbarung“ des göttlichen Geheimnisses deren „Kundgabe“ (γνωρισθέτος) durch die prophetischen Schriften abhebt44. Die Einbeziehung der prophetischen Schriften in das Offenbarungsgesche­ hen entspricht der Anschauung von der Zusammengehörigkeit von Geist­ wirken und Schriftzeugnis, die Origenes im ersten Kapitel des vierten Buches seines Werkes in einer ausführlichen Darlegung der Lehre von der Inspira­ tion der biblischen Schriften vortrug. Nicht zufällig erscheint das Zitat Röm 16,25–27 am Schluß dieses Kapitels. Daß die das Erscheinen Jesu Christi weissagenden Schriften von Gottes Geist eingegeben sind, konnte Origenes aus 2.Tim 3,16 entnehmen. Er bemerkte dazu aber, daß erst das Kommen 42

Siehe dazu auch Irenäus’ „Erweis der apostolischen Verkündigung“ II,3,86. Origenes De princ. I,3,4: Omnis enim scientia de patre revelante filio in spiritu sancto cog­ noscitur. 44 Siehe dazu U. Wilckens: Der Brief an die Römer 3,1982,150 Anm. 708. 43

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Jesu Christi die göttliche Inspiration dieser Schriften erwiesen habe (IV, 1,6). Für Origenes war das ein Ausdruck der Zusammengehörigkeit von Sohn und Geist im Offenbarungsgeschehen, und daher konnte er umgekehrt folgern, daß auch „die Aufzeichnungen, die sein Kommen und seine Lehre verkün­ den, mit aller Kraft und Vollmacht abgefaßt sind“ (ebd.), so daß die apostoli­ schen Schriften als ebenso inspiriert zu gelten haben wie die des alten Bundes. Wird die Offenbarung des Sohnes durch den Geist vermittelt und hat diese Vermittlung in von Gottes Geist eingegebenen Schriften ihren Niederschlag gefunden, so können die apostolischen Schriften des Neuen Testaments je­ denfalls nicht weniger als inspiriert gelten als der alttestamentliche Kanon. Bei Origenes bahnt sich also bereits eine Auffassung von Offenbarung an, die die Inspiration der biblischen Schriften als Offenbarung versteht. Aber Origenes war andererseits weit davon entfernt, den Offenbarungsbegriff auf die Schriftinspiration einzuschränken. Erst im Mittelalter und vor allem im Altprotestantismus verschob sich der Schwerpunkt des Offenbarungsver­ ständnisses oder jedenfalls der theologischen Funktion des Offenbarungsbe­ griffs auf die Schriftinspiration. In den patristischen Aussagen blieb der Of­ fenbarungsgedanke immer in erster Linie auf Christus bezogen, besonders wohl unter dem Einfluß von Mt 11,2745. Das gilt auch für die ersten Ansätze zum Gedanken einer Lehroffenbarung46. Mt 11,27 blieb verbunden mit dem Inkarnationsgedanken. Daneben blieb von Röm 1,20 her auch der Gesichts­ punkt einer Offenbarung der Gottheit Gottes in den Werken der Schöpfung wirksam und schließlich auch der heilsgeschichtliche (ehemals apokalypti­ sche) Gesichtspunkt, daß das früher Verborgene in späterer Zeit, besonders seit der Erscheinung Christi, „enthüllt“ worden sei47. Eine für die systematische Darlegung der christlichen Lehre grundlegende Funktion ist dem Offenbarungsbegriff in der Patristik noch nicht zugefallen. Es lohnt, darüber nachzudenken, weshalb das so ist. Auch in die helleni­ stisch-römische Kulturwelt trat die christliche Botschaft bereits mit einer für diese Welt fremden Lehre ein. Sie stellte sich auch tatsächlich dar als Bot­ schaft von einem Offenbarungsgeschehen, von der Epiphanie des Sohnes Gottes im Fleische zur Belehrung über den Vater. Aber das war nicht ihre Argumentationsbasis. Der hellenistischen Bildung war sowohl der Gedanke des einen Gottes bereits vertraut als auch die Vorstellung vom göttlichen Lo­ gos, der die Welt durchwaltet. Die christliche Theologie konnte daher 45 Nähere Belege bei P. Stockmeier: „Offenbarung“ in der frühen Kirche, in: Handbuch der Dogmengeschichte I/la, 1971, 48 f.; 62 f.; 67 ff. 46 Daß nur der Sohn den Vater kennt und ihn offenbart, wem er will, veranlaßte Tertullian zu dem Schluß, daß der Sohn diese Offenbarung den Aposteln mitgeteilt habe, und zwar in Ge­ stalt einer ihnen anvertrauten Lehre (de praesc. haer. 21,2,4, CCSL 1, 202 f.). 47 Die große Bedeutung dieses Gedankens für Augustin ist von W. Wieland: Offenbarung bei Augustinus, Mainz 1978, herausgearbeitet und reich dokumentiert worden (bes. 263–313, 320–352, 366–370).

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unmittelbar christologisch argumentieren mit der Behauptung, daß dieser göttliche Logos in Jesus von Nazareth menschliche Gestalt angenommen habe. Eben das besagt auch der Offenbarungsgedanke in seiner zentralen, christologischen Fassung. Eben deshalb aber konnte der Offenbarungsge­ danke die an dieser Stelle notwendige Begründung nicht leisten. Zwar hat Justin den Versuch gemacht, aus dem Wesen des Logos als Offenbarer des Vaters sein Erscheinen in menschlicher Gestalt zu begründen, aber den „Be­ weis“ dafür, daß es sich tatsächlich so verhält, führte er doch erst mit den Weissagungen des Alten Testaments. Auch in der Epideixis des Irenäus folgt auf eine knappe Darstellung der Heilsgeschichte der Erweis ihrer zentralen Aussagen aus der Weissagung des Alten Testaments, wenn auch in der inner­ christlichen Auseinandersetzung die Autorität der apostolischen Schriften bei ihm stärker hervortritt. Die argumentative Kraft des Weissa­ gungsbeweises beruhte nicht auf einem dafür vorauszusetzenden Glauben an die Schriftinspiration, sondern nur auf der Übereinstimmung der Weissa­ gungen mit ihrer Erfüllung in Jesus Christus. Der Glaube an die Inspiration der prophetischen Schriften des Alten Testaments wurde, wie Origenes sagte, selber erst durch die Erfüllung ihrer Voraussagen in Jesus begründet. Jedenfalls galt das für die Nichtjuden. Andererseits bildete die Erfüllung die­ ser prophetischen Ankündigungen in Jesus von Nazareth die Basis des Glaubens an seine Gottessohnschaft und also an die Offenbarung Gottes in ihm durch die Inkarnation des Sohnes, und daraus ergab sich wiederum der Glaube an die göttliche Inspiration auch der apostolischen Schriften. Der Offenbarungsgedanke war also weniger Argumentationsbasis als vielmehr Argumentationsziel, und der Glaube an die Schriftinspiration ergab sich erst als Konsequenz daraus. Das änderte sich im europäischen Mittelalter, für dessen Völker die Kirche längst zur Autorität geworden war, die ihrerseits die Zuverlässigkeit der Au­ toritätsgrundlagen verbürgte, auf die sie sich stützte, nämlich die Autorität der Lehren der Apostel und ihrer Schriften. Der im lateinischen Mittelalter zur Herrschaft kommende Autoritätsgedanke war bereits durch Augustin angebahnt worden48. In der neuen Konstellation, die durch das Gegenüber einer auf göttliche Offenbarung begründeten Autorität einerseits, Vernunft und Erfahrung andererseits gebildet wurde, fiel dem Offenbarungsbegriff eine fundamentale theologische Funktion zu, in enger Verbindung mit der Schriftautorität. So heißt es bei Thomas von Aquin, daß die göttliche Heilswahrheit, weil sie die menschliche Vernunft übersteigt, durch Offenba­ 48 Zum Verhältnis von Kirche und Schriftautorität bei Augustin siehe G. Strauß: Schriftge­ brauch, Schriftauslegung und Schriftbeweis bei Augustin, Tübingen 1959, 48–53 und 63–68, zu den Grundlagen seines Autoritätsgedankens und besonders zur Gegenüberstellung von aucto­ ritas und ratio die ausgezeichnete Untersuchung von K.H. Lütcke: „Auctoritas“ bei Augustin, Stuttgart 1968.

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rung mitgeteilt werden müsse49, und solche Offenbarung sei den Propheten und Aposteln widerfahren und in den biblischen Schriften zu finden50. Dieser Funktionswandel des Offenbarungsbegriffs in der Theologie des lateinischen Mittelalters51 blieb auch für die reformatorischen Anschauun­ gen über das Verhältnis von Offenbarung und Schriftautorität bestimmend, obwohl daneben, vor allem durch den biblischen Sprachgebrauch veranlaßt, auch ältere Vorstellungen von Offenbarung zu finden sind52. Die von Me­ lanchthon und den Dogmatikern der altprotestantischen Orthodoxie formulierte Verknüpfung von Offenbarung und Schriftinspiration53 ist tra­ ditionell gewesen, keine Neuerung, wie schon das oben angeführte Thomas­ zitat lehrt (Anm. 50). Kontroverstheologisch umstritten war erst die Frage nach der Kompetenz zu verbindlicher Schriftauslegung und der Gebrauch der Schrift als Maßstab für eine Kritik an der kirchlichen Überlieferung und an den Autoritätsansprüchen der Amtskirche. Ein nochmaliger, tiefgreifender Wandel des Offenbarungsbegriffs ist in­ folge der Autoritätskritik der Aufklärung eingetreten. Die Zerstörung der Lehre von der Verbalinspiration der biblischen Schriften, die deren Ver­ ständnis als Niederschlag ihrer Offenbarung durch den Geist Gottes an die Propheten und Apostel hatte sichern sollen, wurde zum Ausgangspunkt der Diskussion des Offenbarungsbegriffs in der neueren Theologie. Diese löste sich seit Christoph Matthäus Pfaff von der Vorstellung der Schriftinspirati­ on und ihrer Problematik ab und gewann seit Fichtes „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ 1792 ihr selbständiges Thema mit der Unterscheidung von Wortoffenbarung und Tatoffenbarung, während die Gedanken Semlers, Lessings und Kants zum Offenbarungsthema noch im Bannkreis der Vor­ stellung von Offenbarung als inspirierter Mitteilung verblieben, obwohl sie deren Stellenwert neu veranschlagten, nämlich (so Lessing, aber auch Kant) 49 S. theol. I,1,1 resp.: Unde necessarium fuit homini ad salutem quod ei nota fierent quae­ dam per revelationem divinam, quae rationem humanam excedunt. 50 S. theol. I,1,8 ad 2: . . .argumentari ex auctoritate est maxime proprium huius doctrinae, eo quodprincipia huius doctrinae per revelationem habentur; et sic oportet quod credatur auctoritati eorum quibus revelatio facta est… Auctoritatibus autem canonicae Scripturae utitur proprie et ex necessitate arguendo… Innititur enim fides nostra revelationi Apostolis et Prophetis factae qui canonicos libros scripserunt, non autem revelationi, si qua fuit aliis doctoribus facta. 51 Weitere Belege dazu bei U. Horst: Das Offenbarungsverständnis der Hochscholastik, in: Handbuch der Dogmengeschichte I/la, 1971, 133 ff., 167 ff. Siehe aber auch schon die von M. Seybold ebd. 102 Anm. 53 zitierte Bemerkung Abaelards zu Röm 1,20 von der ehedem ohne Schrift der Vernunft offenbarten göttlichen Natur, die jetzt der Welt „durch das geschriebene Gesetz“ offenbar sei (revelatum est mundo per legem scriptam: PL 178, 802). 52 Belege dazu bei H. Waldenfels: Die Offenbarung von der Reformation bis zur Gegen­ wart, Handbuch der Dogmengeschichte I/lb, 1977, 20–52. 53 So handelt es sich nach Melanchthon bei der Offenbarung als Grundlage der Lehre der Kirche um sententiae a Deo traditae (CR 21, 604), die aus den Schriften der Propheten und Apostel zu entnehmen sind. Vgl. auch die im Offenbarungsartikel des Hist. WB Philos. 6,1984, 1114 f. angeführten Belege.

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als Beitrag zu einer von Gottes Vorsehung geleiteten Bildungsgeschichte der Menschheit. In der durch Fichte ausgelösten Diskussion hat vor allem Carl Ludwig Nitzsch eine für die Folgezeit wegweisende Neubestimmung des Offenba­ rungsbegriffs vorgetragen. In seinen 1805 gehaltenen Vorlesungen über den Offenbarungsbegriff stellte er die „äußerliche und öffentliche“ Offenbarung Gottes der „inneren und privaten“ Offenbarung gegenüber, die die bibli­ schen Schriftsteller empfangen haben und die richtiger Inspiration heißen sollte54. Die Ausführungen von Nitzsch berühren sich, obwohl er Fichte nicht zitiert, mit der von diesem vorgetragenen These der Notwendigkeit ei­ ner Gott als moralischen Gesetzgeber bekundenden Offenbarung in der Sin­ nenwelt55. Dabei identifizierte, wie Fichte und Kant, so auch Nitzsch den In­ halt der Offenbarung mit der moralis religio56. Von dieser Materie der Offen­ barung unterschied jedoch Nitzsch die Form ihrer Bekanntmachung, und da­ zu rechnete er die „Fakten“ der Geschichte des Erlösers, einschließlich der damit verbundenen Wunder und der sein Kommen vorbereitenden Weissa­ gungen57, während Fichte Wunder und Weissagungen vom Inhalt der Offen­ barung ausgeschlossen hatte, weil er dafür „die Möglichkeit des Für­ wahrhaltens“ nicht gegeben sah58. Auch für Nitzsch bestand die Funktion der Wunder und Weissagungen nur darin, auf Gott als moralischen Gesetz­ geber hinzuweisen, und im Hinblick auf diese praktische Funktion glaubte er die gegen beide zu erhebenden theoretischen Bedenken zurückstellen zu können59. Allerdings können historische Fakten nicht unmittelbar Gott of­ fenbaren, sondern nur durch Vermittlung ihrer Wirkungen auf das morali­ sche Bewußtsein60. Nitzsch betonte die Überlegenheit dieser Neufassung des 54 C. L. Nitzsch: De revelatione religionis externa eademque publica prolusiones academicae, Leipzig 1808, 5, vgl. 8. 55 Siehe dazu M. Seckler: Aufklärung und Offenbarung, in: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft, Hg. F. Böckle u. a. 21, 1980, 8–78, bes. 49–54, sowie die Einleitung von H. J. Ver­ weyen zu seiner Neuausgabe der Offenbarungsschrift Fichtes in PhB 354, 1983, ferner M. Kess­ ler: Kritik aller Offenbarung. Untersuchungen zu einem Forschungsprogramm J. G. Fichtes und zur Entstehung und Wirkung seines „Versuchs“ von 1792, Mainz 1986. 56 C.L. Nitzsch a. a. O. 85. Vgl. Fichtes Offenbarungsschrift §9 (PhB 354,81): „Was kann sie aber denn enthalten, wenn sie nichts uns Unbekanntes enthalten soll? Ohne Zweifel eben das, worauf uns die praktische Vernunft a priori leitet: ein Moralgesetz, und die Postulate dessel­ ben“, allerdings so, daß seine Gebote „schlechthin als Befehle Gottes, ohne weitere Deduktion vom Prinzip“ bekannt gemacht werden (82). 57 Nitzsch a. a. O. 18 und 93 ff., sowie bes. 178 ff. (181 f. zu den Wundern, 182 f. zu den Weis­ sagungen). 58 Fichte a. a. O. 79. Allerdings merkte Fichte an, vieles davon könne vielleicht als „versinn­ lichte Darstellung unmittelbarer… Vernunftpostulate“ (a. a. O. 79 f.) gelten. Darin dürfte ein Anknüpfungspunkt für Nitzschs Unterscheidung zwischen Materie und Form der Offenba­ rung liegen. Vgl. dazu M. Kessler a. a. O. 263 ff. 59 Nitzsch a. a. O. 183, vgl. 180 f. 60 A. a. O. 181: Intercedere debet effectus eorum internus et moralis, qui quidem apud testes statim ab ipsis illis factis profiscetur, apud pósteros autem ab eorum fructibus externis.

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Offenbarungsbegriffs über die alte Gleichsetzung der Offenbarung mit der Inspiration der biblischen Schriftsteller oder gar dieser Schriften selbst, die bereits dann zusammenbreche, wenn diese Schriften an einer einzigen Stelle nachweislich Falsches berichten. Die durch die Fakten der heiligen Ge­ schichte ergangene, äußere Offenbarung hingegen werde nicht hinfällig we­ gen der Unvollkommenheiten der biblischen Zeugnisse, die die historische Kritik aufdeckt61. Aber auch die Inspiration der Apostel, als innere Offenba­ rung, gewinne erst durch die Beziehung auf die äußere ihr festes Fundament. Sie enthalte nichts, was nicht schon in dieser vorhanden wäre oder ihr ent­ nommen werden könnte62. Unterscheidung und Zuordnung einer äußeren Offenbarung, einer öffent­ lichen Manifestation Gottes in Ereignissen der Geschichte, und der Inspira­ tion als Wirkung und Deutung jener Ereignisse in der Subjektivität der bibli­ schen Zeugen wurden grundlegend für die weitere Diskussion des Of­ fenbarungsbegriffs in der evangelischen Theologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. August D. Chr. Twesten hat dem Thema 1826 seine für die Folgezeit maßgeblich gewordene terminologische Fassung gegeben durch Festlegung des Ausdrucks „Manifestation“ auf die Bezeichnung der äußeren Offenbarung63. Dabei fiel nun wie schon in supranaturalistischen Beiträgen zum Offenbarungsbegriff64 ein stärkerer Akzent auf den Begriff des Wun­ ders65. Das Auftreten von Ereignissen, die nur aus dem ursprünglichen Grunde der Einheit von Natur und Geist erklärbar sind, soll auf das Dasein Gottes hinweisen. Dieses Hervortreten des Wundergedankens erklärt sich daraus, daß dem Offenbarungsbegriff nicht mehr wie bei Fichte und in seiner Nachfolge die Funktion einer äußerlichen, in der Sinnenwelt erscheinenden Ankündigung und Bestätigung von Vernunftideen, nämlich der moralischen Religion, zugewiesen wurde. Der Inhalt der Offenbarung mußte namentlich 61 A. a. O. 186 f.: …ad removendam illam Naturalistorum dubitationem nihil nobis reliquum esse videtur quam ut aliam sequamur notionem, secundum quam Revelationis perfectio non pendeat a tali Scripturae perfectione, eamque non desideret, imo ne admittat quidem. 62 A. a. O. 44: Neque existimandum est, internam aliquid habuisse, quod non iam fuerit in externa, nec ab ea proficisci potuerit. Zur Begründung dafür verweist Nitzsch auf Joh 14,26. Vgl. zur Sache den ganzen Abschnitt 35–70, sowie 106 ff. 63 A. D. Chr. Twesten: Vorlesungen über die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche I, Hamburg 1826, 400. Vgl. auch K. G. Bretschneider: Systematische Entwicklung aller in der Dogmatik vorkommenden Begriffe I, 3. Aufl. Leipzig 1825, 166 ff. (§28) und kritisch zur Be­ griffsbestimmung Bretschneiders C. I. Nitzsch: System der christlichen Lehre (1829) 3. Aufl. Bonn 1837, 67 f. 64 Nach Fr. Koppen (Über Offenbarung in Beziehung auf Kantische und Fichtesche Philo­ sophie, Lübeck u. Leipzig 1802) kann das subjektive Bedürfnis nach Annahme des Daseins Gottes (86) erst durch „objektive Gründe“ (87) zu der Überzeugung gelangen, daß Gott tat­ sächlich existiert (90), und Anlaß dazu geben, neben der allgemeinen „Einrichtung der Natur“ besondere Begebenheiten „außerhalb des gewöhnlichen Ganges der Natur“ (89) anzunehmen, die den Späteren als „Geschichtsfacta“ überliefert werden (92, vgl. 99 f.). 65 Twesten a. a. O. 363–379.

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in der Schule Schleiermachers als selbständig gegenüber der praktischen wie gegenüber der theoretischen Vernunft gedacht werden66, und das geschah, indem er auf das religiöse Bewußtsein des persönlichen Gottes bezogen und als Begründung dieses Bewußtseins gedacht wurde67. Die Offenbarung Got­ tes muß sich daher sowohl an der Selbsterfahrung des Menschen als auch an den Erscheinungen der Naturwelt bewähren, indem sich die Gottheit in bei­ den „persönlich gegenwärtig zeigt“68. An diesem Punkt trifft die Erörterung einer vom Phänomen der Inspira­ tion zu unterscheidenden „äußeren“ Offenbarung in Ereignissen der Ge­ schichte zusammen mit dem Gedanken, daß die Offenbarung Gott nicht nur zum Subjekt, sondern auch zum ausschließlichen Inhalt und Gegenstand ha­ be. Der Begriff einer Selbstoffenbarung Gottes in diesem strengen Sinn des Wortes hat eine lange Vorgeschichte, die bis auf Philo und Plotin zurückver­ folgt werden kann69. Das Motiv klingt verschiedentlich an in patristischen, scholastischen und reformatorischen Texten, ohne jedoch den exklusiven Sinn zu gewinnen, daß Gott selbst überhaupt einziger Inhalt seines Offen­ barungshandelns sei70. Der Sache nach ist der Gedanke der Selbstoffenba­ 66 Daher grenzte sich K. H. Sack: Christliche Apologetik. Versuch eines Handbuchs, Ham­ burg 1829, an diesem Punkte nun auch Fichte gegenüber ab (73 f., bes. 74 Anm.). 67 A. a. O. 77 ff. 68 A. a. O. 80–88, hier 81. 69 Nach Plotin Enn. III,7,5 ist die Ewigkeit „der sich selbst so wie er ist erscheinen lassende Gott“ (ὁ αἰῶν θεὸς ἐμφαίνων καὶ προφαίνων ἑαυτὸν οἶός ἐστι). Diese Erscheinung findet aber nicht in Zeit und Geschichte statt. Die Offenbarung der göttlichen Ursache in den Welt­ wirkungen ist vielmehr, wie Proklos dartun sollte, nur eine gebrochene (Element, theol. 29, vgl. 125,140). Philo hingegen glaubte, daß Gott immerhin den leiblosen Seelen so erscheine, wie er ist (Somn I,232), und die folgende Anmerkung belegt diesen Gedanken noch für Thomas v.Aquin. Zu Plotin vgl. W. Beierwaltes: Plotin über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt (1967) 2. Aufl. 1981,195 f. 70 Neben Ign Magn 8,2 sind für eine solche Vorstellung von Selbstoffenbarung in der Patri­ stik Aussagen wie Orig. c. Kelsum VII, 42 zu nennen. In der Scholastik des Mittelalters heißt es z. B. bei Bonaventura, Gott tue alles, was er tut, um sich selbst offenbar zu machen (ad sui ma­ nifestationem: II. Sent 16,1,1; Werke II, 394 b). Das heißt freilich noch nicht, daß Selbstoffen­ barung die einzige Form von Offenbarung ist. Auch Thomas von Aquin sprach von Selbstof­ fenbarung Gottes im Hinblick auf das Ziel der Seligkeit: Dominus enim dilectori suo promittit manifestationem sui ipsius, in quo vita aeterna consistet (De car. 13). Die Offenbarung des We­ sens Gottes ist nach Thomas auf die künftige Gottesschau der vom Leibe befreiten Seelen be­ schränkt – mit Ausnahme von Entrückungen, wie sie Mose und Paulus widerfahren sind (De ver. 13,2). Die prophetische Offenbarung hingegen (De ver. 12,7 ff.) läßt nichts von seinem We­ sen erkennen (ebd. 6; S. theol. II-II,173,1). Auch die den Aposteln und Propheten zuteilge­ wordene Offenbarung, auf die sich unser Glaube stützt (S. th. I,1,8,2; vgl. I,1,1), wird man von der den Seligen verheißenen Selbstoffenbarung unterscheiden müssen (vgl. S. th. II-II, 174,6 und 121,4,2: perfectio autem divinae revelationis erit in patria). Obwohl der Glaube im An­ schluß an Hebr 11,1 als prima inchoatio rerum sperandarum in nobis bezeichnet wird (IIII,4,1), spricht Thomas nicht von einer anfänglichen Selbstoffenbarung Gottes für den Glau­ ben, wohl weil dieser ja gerade argumentum non apparentium heißt (ebd.). Näher kommt unter den Thomasinterpreten Cajetan der Auffassung aller Offenbarung als Selbstoffenbarung

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rung im patristischen Gedanken der Epiphanie des Logos (und seinen bibli­ schen Ausgangspunkten in Joh 1 und Hebr 1,1) enthalten, wohl auch schon in der umfassenden Anwendung des prophetischen Erweiswortes bei Jere­ mia und Deuterojesaja. Dort aber ist der Sachverhalt noch nicht terminolo­ gisch als Selbstoffenbarung Gottes bezeichnet. Das ist auch beim sog. Reve­ lationsschema von Röm 16,25–27 noch nicht der Fall, weil hier nicht Gott selbst, sondern das „Mysterium“ seines Heilsratsschlusses als Inhalt der Of­ fenbarung genannt wird. Erst die Philosophie des deutschen Idealismus hat den Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes im Sinne der strengen Identität von Subjekt und Inhalt des Offenbarens gedacht. So sprach Schelling schon 1800 vom Sich-­ Offenbaren des Absoluten, „welches überall nur sich offenbaren kann“71. Bei Schelling72 und noch deutlicher bei Hegel ist das Sichoffenbaren Gottes in erster Linie ein Sichselberoffenbarsein des nach dem Modell des Selbstbe­ wußtseins gedachten göttlichen Geistes. Dem menschlichen Bewußtsein wird Gott nur offenbar insofern es Anteil empfängt an seinem Sichselbstof­ fenbarsein. Dieser Gedanke, der nach Hegel den Begriff des Christentums als absoluter Religion konstituiert73, impliziert sogleich die Einzigkeit der Offenbarung: Gott ist entweder als er selbst offenbar, so wie er sich selber offenbar ist, oder er ist nicht offenbar, jedenfalls nicht im genauen Sinn die­ ses Gedankens. Diese Verbindung des Gedankens der Selbstoffenbarung Gottes mit der Behauptung ihrer Einzigkeit ist später – möglicherweise durch Vermittlung Marheinekes – von Karl Barth übernommen und gegen alle Annahmen einer zweiten Quelle der Gotteserkenntnis geltend gemacht worden74. Wo findet nun aber die Selbstoffenbarung Gottes in der Weise statt, daß der Mensch ihr Empfänger wird, Gott darin nicht nur sich selber, sondern auch dem Menschen offenbar ist? Nach Hegel geschieht das im Christentum (Deus dicens seipsum: Belege in Handbuch der Dogmengeschichte I/la, 28), ferner Melanch­ thon in seinen Loci praecipui theologici (1559) CR 21, 608 i.U. zu 604 f., auch Calvin Inst. I,5,1 (CR 30,41) u. ö. Zum eschatologischen Bezug der Offenbarung siehe auch Luther WA 3,262,5 ff. 71 F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus (1800), Hamburg 1957, 270. Allerdings offenbart Gott „sich“ hier nicht unmittelbar, sondern durch Vermittlung des freien Handelns der Individuen im offenen Prozeß der Geschichte, als „Vereinigungsgrund“ der indi­ viduellen Handlungen (267). 72 F. W. J. Schelling: Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), WW 7, Stuttgart 1860, 347. 73 G. W. F. Hegel: Phänomenologie des Geistes (Hg. J. Hoffmeister): Hamburg 6. Aufl. 1952, 528 f., vgl. Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften 3. Ausg. Heidelberg 1830, §564, sowie Vorlesungen über die Philosophie der Religion (hg. G. Lasson) Hamburg 1966, III. Teil, 3 ff., bes. 5 sowie ders.: Religionsphilosophie. Die Vorlesung von 1821, hg. K. H. Ilting, Neapel 1978,491 f. 495. 74 K. Barth: KD 1/1, 311 ff. Vgl. dazu und zu Barths Verhältnis zu Marheinekes Offenba­ rungsbegriff: Offenbarung als Geschichte (Hrsg. W. Pannenberg 1961) 5. Aufl. 1982, 9 f.

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als der absoluten Religion. Der frühe Schelling dachte eher an den Gesamtpro­ zeß der Geschichte75 oder auch, noch umfassender, an die Schöpfung der Welt, die im Menschen gipfelt76. Bei Schelling wurde der Begriff der Offenba­ rung oder Selbstoffenbarung also auf den ganzen Prozeß des Hervorgangs der Welt der endlichen Dinge aus Gott bezogen, bei Hegel mehr auf das Resultat dieses Prozesses77 in der Gotteserkenntnis des Menschen. Beide Auffassun­ gen erschienen jedoch der Theologie des 19. Jahrhunderts als verdächtig. In ihnen beiden schien sich eine „pantheistische“ Identifizierung des Weltpro­ zesses mit Gott zu äußern. So hat die evangelische Theologie zwar den Gedan­ ken einer Selbstoffenbarung Gottes in der Geschichte entwickelt, blieb dabei aber stärker an bestimmten geschichtlichen Gegebenheiten orientiert und wurde dadurch veranlaßt, den Wunderbegriff zu betonen, statt den Gesamt­ prozeß der Geschichte mit der Selbstoffenbarung Gottes zu identifizieren. Daß der Gedanke der Offenbarung Gottes als Selbstoffenbarung gerade um die Wende zum 19. Jahrhundert zentrale Bedeutung für die Theologie wie auch für die idealistische Religionsphilosophie gewann, bedarf einer Erklärung. Vielleicht ist die Erklärung dafür in der doppelten Tatsache des Verfalls der altprotestantischen Lehre von der Schriftautorität, die mit dem Gedanken der Offenbarung als göttlicher Inspiration verbunden war, und des Verfalls der natürlichen Theologie der Aufklärung zu suchen. Hatte die historischkritische Auflösung der Inspirationslehre dem Glauben an die Schriftautorität als unmittelbarem Ausdruck göttlicher Offenbarung den Boden entzogen, so wurde durch Kants Kritik der rationalen Theologie der Aufklärung die Annahme der Wirklichkeit Gottes überhaupt zweifelhaft. Zwar hatte Kant die Überzeugung vom Dasein Gottes als Postulat der prak­ tischen Vernunft neu begründet, und der frühe Fichte hat den Begriff der Offenbarung neu definiert als geschichtliche Introduktion der auf diesen Gottesgedanken begründeten moralischen Religion durch Begebenheiten in der Sinnenwelt, aber bald wurde die Tragfähigkeit der moralphilosophi­ schen Begründung des Gottesgedankens wieder zweifelhaft. Eine Vergewis­ serung der Wirklichkeit Gottes konnte nun entweder auf eine das Ganze der menschlichen Erfahrung im Prozeß ihrer Geschichte thematisierende, die Entfremdung des Menschen von der Gottesgewißheit als Moment einbezie­ hende und in sich aufhebende metaphysische Reflexion begründet werden oder auf die Selbständigkeit der religiösen Erfahrung, die auf Gott als ihren Grund zurückweist, oder schließlich auf eine Verbindung dieser beiden We­ ge. So oder so mußte jetzt der Gedanke einer Offenbarung Gottes, seiner Selbstoffenbarung, zur Basis der Behauptung seiner Wirklichkeit werden. 75

F. W. J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus (1800), Hamburg 1957, 272. Ders.: Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809) WW 7, Stuttgart 1860,401 f., vgl. 373 sowie 377 (der Mensch als „der höchste Gipfel der Offenbarung“). Zur „Freiheit“ der „Selbstoffenbarung“ Gottes auch 394. 77 Vgl. aber Encycl. §383 f. 76

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Wenn nun die Bezugnahme auf die religiöse Erfahrung als Medium der Gottesgewißheit nicht gänzlich auf die Subjektivität des religiösen Men­ schen zurückfallen sollte, so mußte sich der Theologie die Verbindung des Gedankens einer Selbstoffenbarung Gottes mit den durch Fichte angeregten Erörterungen über eine „äußere und öffentliche“ Offenbarung Gottes durch bestimmte geschichtliche Ereignisse nahelegen. Wenn diese nun aber nicht mehr nur der Hinlenkung des an der Sinneserfahrung orientierten menschli­ chen Bewußtseins auf den der Sache nach in der praktischen Vernunft be­ gründeten Gedanken Gottes als Urhebers einer moralischen Weltordnung dienen, sondern zur Grundlage der Überzeugung von der Wirklichkeit Got­ tes überhaupt werden sollten, so hatte die Berufung auf Gott offenbarende geschichtliche Ereignisse eine viel größere Last zu tragen als das bei Fichte oder dem älteren Nitzsch der Fall war. So mag sich erklären, daß der von Fichte verworfene Begriff des Wunders in der Fortführung der Diskussion des Offenbarungsbegriffs in der Schleiermacherschule neue Aktualität ge­ wann: Das Wunder als aus dem engeren Kontext des Naturgeschehens nicht erklärbare Begebenheit verweist auf eine höhere, in der Welt wirkende Macht, auf den Gott der Religion als den Herrn der Natur. Diese Weiterbildung der von Carl Ludwig Nitzsch entwickelten Gedan­ ken über eine „äußere“ Offenbarung im Gegensatz zum Inspirationsgedan­ ken ist am eindrucksvollsten von Richard Rothe formuliert worden. Nach Rothe ist die Offenbarung Gottes, wenn man sich an die Zeugnisse der Schrift selber hält, nicht als Schriftinspiration zu denken, sondern als „eine stetig in sich zusammenhängende Reihe von wunderbaren Geschichtsthatsa­ chen und Geschichtsveranstaltungen“ aufzufassen78. Diese Reihe von „Ge­ schichtsthatsachen“ zielt auf die Erlösung des Menschen durch Reinigung seiner Gotteserkenntnis. Rothe schließt sich hier der unter dem Einfluß Schleiermachers formulierten These von Carl Immanuel Nitzsch an, daß das offenbarende Wirken Gottes in Verbindung mit seiner erlösenden Tätigkeit zu denken sei79. Weil die Erlösung jedoch „anhebt“ mit der „Reinigung so­ wohl als Kräftigung des Gottesbewußtseins im Menschen“80, so muß die Offenbarung gerade auch im Hinblick auf ihre erlösende Funktion Selbstof­ fenbarung Gottes sein: „Gott, indem er sich offenbart, offenbart sich selbst; Gott und lediglich Gott ist der Gegenstand, den die göttliche Offenbarung offenbart, Gott und sonst nichts.“81 Diese Offenbarung muß „von außen“, von der Sinnenwelt ausgehen, weil – das war schon Fichtes Argument gewesen – der Mensch ein Sinnenwesen ist, und sie muß mit „neuen“ Tatsa­ chen beginnen, wenn anders der Mensch verändert werden soll. Diese 78 R. Rothe: Offenbarung (Theologische Studien und Kritiken 31, Band I, 1858, 3–49), nach dem Abdruck in ders.: Zur Dogmatik, Gotha 1863, 55–120, hier 59. 79 A. a. O., vgl. C.I. Nitzsch: System der christlichen Lehre (1829) 3. Aufl. 1837, 57 f. (§23). 80 R. Rothe a. a. O. 60. 81 A. a. O. 61.

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müssen „so beschaffen“ sein, daß das menschliche Bewußtsein „aus ihnen rein den natürlichen psychologischen Gesetzen zufolge die Idee Gottes, und zwar die richtige, mit Evidenz… erzeugen kann… Diese äußeren Ereignisse müssen also von der Art sein, daß sie einerseits nur vermöge der Idee Gottes erklärbar sind, weil sie aus der Welt (das Wort im weitesten Umfange ver­ standen) nicht können causaliter abgeleitet werden, mit einem Worte, sich als übernatürliche… ausweisen, und andrerseits das richtige Bild Gottes ab­ spiegeln“82. Letzteres sei nur durch eine Reihe von Ereignissen möglich, in deren Folge Gottes Handeln als zwecksetzend und Zwecke realisierend er­ kannt werden kann, weil man nur daraus auf seinen „Charakter“ schließen kann. Rothe begründet den Gedanken einer Offenbarung Gottes als Manifesta­ tion also nicht auf einzelne wunderhafte Begebenheiten, sondern auf die Vorstellung einer stetigen Reihe solcher Ereignisse, einer „übernatürlichen Geschichte“. Dennoch umfaßt diese Geschichte nicht alles Geschehen über­ haupt. Ihr Begriff beruht darum auf dem des Wunders als eines aus dem ge­ wöhnlichen Gang des Geschehens herausfallenden Ereignisses. Gerade des­ halb bedarf es nach Rothe einer zum äußeren Geschehen hinzutretenden In­ terpretation, einer inspirierten Deutung, ohne die das Ausnahmegeschehen „ein wirkungsloses Wetterleuchten“ bliebe83. Anders als bei Carl Ludwig Nitzsch, demzufolge die Inspiration als innere Offenbarung nichts enthalten sollte, was nicht aus der äußeren herleitbar ist (s. o. Anm. 62), muß bei Rothe die inspirierte Deutung zur äußeren Manifestation ergänzend hinzutreten. Das ist die Folge der veränderten Wertung des Wunders. Erst in der Person des Erlösers kommen nach Rothe Manifestation und Inspiration zur Dek­ kung84. In der Angewiesenheit der als Ausnahmegeschehen konzipierten Manife­ station auf eine ergänzend hinzutretende Inspiration liegt auch die Pro­ blematik des von Twesten, Carl Immanuel Nitzsch und Richard Rothe ent­ wickelten Gedankens einer Offenbarung Gottes durch eine übernatürliche Geschichte. Der Gedanke wurde in der Folgezeit viel diskutiert85 und ist auch in der katholischen Theologie wirksam geworden86. Dabei wurde mit Recht in der Regel die Zusammengehörigkeit von Manifestation und Inspira­ 82

Ebd. 66. Ebd. 68. 84 Ebd. 74. 85 So noch bei R. Seeberg: Offenbarung und Inspiration, Berlin 1908, und vor allem bei L. Ihmels: Das Wesen der Offenbarung, in ders.: Centralfragen der Dogmatik, Leipzig 1911, 55– 80. 86 So schon bei J.S. v.Drey: Die Apologetik als wissenschaftliche Nachweisung der Gött­ lichkeit des Christentums in seiner Erscheinung I, Mainz (1837) 2. Aufl. 1844, 117 f. Zur Vorge­ schichte der heilsgeschichtlichen Offenbarungslehre des Zweiten Vatikanischen Konzils in sei­ ner Konstitution Dei Verbum seit Drey und Möhler vgl. bes. H. Waldenfels: Offenbarung. Das Zweite Vatikanische Konzil auf dem Hintergrund der neueren Theologie, München 1969. 83

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tion, von Tat- und Wortoffenbarung betont. Das Problem liegt nicht darin, daß ein solcher Zusammenhang besteht87, sondern darin, wie er aufgefaßt wird. Wenn die Inspiration nicht nur, wie bei C. L. Nitzsch, den Inhalt der äußeren Offenbarung expliziert, sondern ergänzend zu ihm hinzutritt, wie bei Rothe, dann wird zwangsläufig trotz aller Betonung der äußeren Manife­ station als Medium der Offenbarung doch die inspirierte Deutung, bzw. – mit Ludwig Ihmels88 – die „Wortoffenbarung“ entscheidend für den Offen­ barungscharakter der Geschichtstatsachen. Damit geht sowohl der Gewinn eines objektiven Ausgangspunktes für den Offenbarungsbegriff wieder ver­ loren als auch die innere Konsistenz dieses Begriffes selbst89. Martin Kähler hat sich in dieser Diskussionslage dafür entschieden, die Einheit des Offenbarungsbegriffs erneut durch den Begriff des Wortes Got­ tes auszudrücken, den Richard Rothe als dafür ungeeignet beurteilt hatte, weil der biblische Begriff des Wortes Gottes der Klarheit und Deutlichkeit ermangele, die der Offenbarungsbegriff besitze90. Kähler nahm die johannei­ sche Bezeichnung Jesu Christi als Wort Gottes zum Anlaß, diesen Begriff über den Gedanken des inspirierten Wortes hinaus auch auf die Seite des ge­ schichtlich Faktischen im Offenbarungsgeschehen zu beziehen. In dem so gefaßten Begriff des Wortes Gottes ist die Differenz von Manifestation und Inspiration aufgehoben. Es ist „bleibendes geschichtliches Ergebnis“ des In­ einanders beider und vermag „die Stelle der Manifestation sogar wirksamer als diese selbst zu vertreten“91. Kähler hat damit Karl Barths Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes vorbereitet: Wort Gottes ist nicht nur die Verkündigung des Evange­ liums einerseits und die Heilige Schrift andererseits, sondern schon die Per­ son Jesu Christi als Offenbarung Gottes92. Voraussetzung für einen so er­ weiterten Begriff des Wortes Gottes war, daß, wie es auch bei Barth heißt, das Wort Gottes nicht nur „Rede Gottes“, sondern auch „Tat Gottes“ ist93. Doch bei Barth ist es Tat Gottes nur als Rede Gottes94, als Ausdruck der Macht des göttlichen Redens. Der Tataspekt wurde zu einem untergeordne­ 87 Das hat Waldenfels in seiner Kritik an meiner Auffassung verkannt (a. a. O. 164 ff.). Vgl. dazu meine Rezension in ThLZ 101,1976, 50 f f., bes. 52 f. Auch J.P. Mackey: The Problems of Religious Faith, Dublin 1972, hat mir die von mir nirgends vertretene Auffassung zugeschrie­ ben, „that God does not communicate directly with men in verbal communication“ (124). Be­ stritten habe ich lediglich, daß ein derartiger Wortempfang als direkte Selbstoffenbarung Gottes aufzufassen ist. 88 L. Ihmels a. a. O. 64 ff. 89 So urteilt auch J. P. Mackey a. a. O. 122 gegenüber Latourelle. 90 R.Rothe a. a. O. 166. 91 M. Kähler: Offenbarung, in: PRE 3. Aufl. 14 (Leipzig 1904) 339–347, hier 346. 92 K. Barth: KD 1/1, 1932, 114–124, bes. 122. 93 Ebd. 148–168. 94 Barth behandelt im zweiten Abschnitt des dem „Wesen des Wortes Gottes“ gewidmeten § 5 seiner Dogmatik (KD 1/1, 128–194) „das Wort Gottes als Rede Gottes“ und anschließend im dritten Abschnitt „die Rede Gottes als Tat Gottes“. In der Formulierung der These von § 5 ist

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ten Moment einer Auffassung des Wortes Gottes unter dem personalisti­ schen Gesichtspunkt des Aktes der Rede. Die Reduktion der Offenbarung Gottes auf den Gesichtspunkt des göttli­ chen Redens wurde jedoch der komplexen Vielschichtigkeit des biblischen Offenbarungszeugnisses nicht gerecht, insbesondere nicht dem Umstand, daß dem Gedanken einer definitiven Selbstoffenbarung Gottes unter den Offenbarungsvorstellungen des Alten Testaments am ehesten der indirekte Selbsterweis der Gottheit Gottes durch sein Geschichtshandeln entspre­ chend dem prophetischen Erweiswort nahekam, während etwa die Mittei­ lung des Gottesnamens in der Erzählung von Ex 3 nur vorläufigen Charak­ ter hat, weil die Erzählung für den Sinn des Gottesnamens auf das künftige Geschichtshandeln Gottes verweist. Auch die neutestamentlichen Aussagen über die Offenbarung Gottes in Verbindung mit Person und Geschichte Jesu Christi scheinen durch Vermittlung der jüdischen Apokalyptik durchgängig von dem Grundgedanken einer Offenbarung der Gottheit Gottes durch sein Geschichtshandeln, einer Offenbarung, die abschließend erst eschatologisch am Ende der Geschichte stattfinden kann, geprägt und erst auf dieser Grundlage verständlich zu sein, nämlich als Antizipation der Endoffenba­ rung im Auftreten und Geschick Jesu Christi. Darum wurde 1961 unter dem Titel „Offenbarung als Geschichte“ eine Neufassung des Offenbarungsbegriffs auf der Basis des differenzierten ter­ minologischen und sachlichen Befundes in den biblischen Zeugnissen und unter Rückgriff auf die Diskussion des Offenbarungsthemas im 19. Jahrhun­ dert versucht95. Obwohl dabei die neutestamentliche Offenbarungstermino­ logie noch nicht so genau untersucht wurde, wie das hier im vorigen Ab­ schnitt geschehen ist, vielmehr der sachliche Zusammenhang des Auftretens Jesu und der urchristlichen Botschaft von der Auferweckung des Gekreuzig­ ten mit dem auf das prophetische Erweiswort zurückgehenden apokalyp­ tischen Offenbarungsgedanken in den Mittelpunkt gerückt, aber auch dessen Umbildung in der Botschaft Jesu und im urchristlichen Kerygma betont wurde, läßt sich wohl behaupten, daß die Vielschichtigkeit der biblischen Befunde im Hinblick auf das Offenbarungsthema bis dahin noch nie so um­ fassend für die systematisch-theologische Begriffsbildung berücksichtigt worden war. Dennoch wirkte das Buch im Lager der dialektischen Theolo­ gie, also nicht nur im Barthianismus, sondern auch in der Schule Rudolf Bultmanns, als Herausforderung, weil es die fundamentale Funktion des Wortes Gottes für die Theologie in Frage zu stellen schien, mithin die ge­ meinsame Basis der dialektischen Theologie in allen ihren Richtungen. Die von vielen Seiten heftig geäußerte Kritik kreiste daher um die vermeintliche der Gedanke der „Rede Gottes“ als Rede zum Menschen dem der Tat eindeutig übergeordnet (128). 95 Offenbarung als Geschichte, in Verbindung mit R. Rendtorff, U. Wilckens, T. Rendtorff hrsg. von W. Pannenberg, Göttingen 1961 (5. Aufl. 1982).

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Alternative: Wort Gottes oder Geschichte96. Nun war zwar in der Tat be­ stritten worden, daß der Gedanke der Offenbarung Gottes mit dem Begriff des Wortes Gottes in seinen sehr unterschiedlichen biblischen Verwen­ dungsweisen ohne weiteres gleichzusetzen sei, aber damit war die Frage nach dem genaueren Verhältnis beider noch nicht entschieden. Man mag die Auf­ zählung der in den biblischen Texten belegbaren Funktionen des Gottes­ wortes als Vorhersage, Weisung und Bericht, wie der Band „Offenbarung als Geschichte“ (These 7) sie bietet, für unzureichend halten. Doch auch ganz unabhängig von den Thesen dieses Buches bedarf es einer neuen Verhältnis­ bestimmung des Begriffs „Wort Gottes“ zu den andern in den biblischen Texten begegnenden Offenbarungsvorstellungen. Dieser Aufgabe hat sich die Kritik an der geschichtstheologischen Neufassung des Offenbarungsbe­ griffs nicht gestellt, weil die Kritiker – jedenfalls im Bereich der innerprote­ stantischen Diskussion – allzu selbstverständlich der Auffassung von Offen­ barung als Wort Gottes folgten97. Andererseits ist der Entwurf von „Offenbarung als Geschichte“ kaum in seinem Verhältnis zur neueren Problemgeschichte des Offenbarungsbegriffs seit Fichtes Offenbarungsschrift diskutiert worden, vielmehr ordnete man ihn sachlich unrichtig als theologischen Hegelianismus ein. Mögen auch manche Formulierungen der Einleitung einem solchen Mißverständnis Vor­ schub geleistet haben, so ging es doch in der Sache um die Lösung der Aporien, die in Rothes Formulierung des Begriffs der Offenbarung als Manifestation und Inspiration liegen, durch Rückgriff auf die idealistische These der Gesamtgeschichte als Offenbarung Gottes, so aber, daß das ideali­ stische Konzept der Geschichte dabei seinerseits entscheidend korrigiert wurde durch den Gedanken der Antizipation des Ganzen der Geschichte von deren Ende her in der eschatologischen Prägung der Lehre und des

96 Bereits im Nachwort zur zweiten Auflage des Bandes (1963), das sich mit einigen der bis dahin veröffentlichten Stellungnahmen auseinandersetzt (132–148), habe ich mich gegen die Fi­ xierung der Diskussion auf eine derartige Alternative gewendet (136 Anm. 11 gegen G. Klein). 97 So bemerkt P. Eicher in seinem kritischen Bericht zur Diskussion um „Offenbarung als Geschichte“ sogar im Hinblick auf den Disput W. Zimmerlis mit R. Rendtorff, der im Nach­ wort zur zweiten Auflage des Bandes als eine der wenigen um Sachlichkeit bemühten Auseinan­ dersetzungen gerühmt wurde (134), daß „die exegetische Kritik von einem systematischen Wortverständnis geleitet ist“ (Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theologie, München 1977, 436). Vgl. auch die Kritik Eichers an den übrigen Reaktionen von seiten der „Worttheologie“, von denen es heißt, daß sie „im Grunde genommen nur durch die Wiederholung der eigenen Position und nicht durch Neuaufnahme der Problematik selbst“ charakterisiert waren (435). Dadurch wurde die weitere Diskussion des Themas seit Ende der sechziger Jahre jedenfalls in der deutschen evangelischen Theologie blockiert. In der katholischen Theologie hingegen hat die heilsgeschichtliche Offenbarungslehre des Zweiten Vatikanischen Konzils eine Reihe von Untersuchungen zur neueren Geschichte des Offenbarungsbegriffs und seiner Sachproblematik veranlaßt, unter denen neben den Arbeiten von Eicher und Waldenfels noch A. Dulles: Was ist Offenbarung? (1969) dt. Freiburg 1970 hervorzuheben ist.

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Geschickes Jesu98: Weil die Herrschaft des einen Gottes als alles Geschehen umfassend zu denken ist, das Weltgeschehen im Ablauf der Geschichte aber erst von deren Ende her als ganzes in den Blick kommen kann, darum kann die Gottheit Gottes in seinem Königtum über die ganze Welt nur unter der Bedingung in Jesus offenbar sein, daß in ihm das Eschaton der Geschichte antizipativ gegenwärtig geworden ist. Die Umbildung des idealistischen Ge­ dankens der Universalgeschichte durch seine Beziehung auf die biblische Eschatologie, auf das Ende der Geschichte als Bedingung ihrer Ganzheit, er­ möglichte es, die Beschränkung des geschichtlichen Selbsterweises Gottes auf wunderhafte Ausnahmeereignisse aufzugeben. Damit wurde es auch möglich, den Gegensatz der Offenbarung als Manifestation zu einer ergän­ zend hinzutretenden Inspiration insoweit zu überwinden, als der Anbruch der eschatologischen Wirklichkeit in Auftreten und Geschick Jesu impli­ ziert, daß die mit der eschatologischen Zukunft der Geschichte verbundene Erwartung der endgültigen Offenbarung der Gottheit Gottes vor aller Welt bereits in Jesus erfüllt worden ist, obschon noch in der Weise der Antizipa­ tion. Ob die in „Offenbarung als Geschichte“ vorgeschlagene Lösung der Apo­ rien des durch die Differenz von Manifestation und Inspiration gekennzeich­ neten Problemstandes, wie er vor dem Rückgriff Martin Kählers auf den Be­ griff des Gotteswortes bestand, tragfähig ist, das ist eine andere Frage. Das Urteil darüber muß sich an zwei Kriterien orientieren: einmal an der Frage, ob die Integration der unterschiedlichen biblischen Offenbarungsvorstellun­ gen gelingt, zum andern an der systematischen Plausibilität der Vorausset­ zungen, auf denen die vorgeschlagene Lösung beruht, beides im Vergleich zu alternativen Lösungen des Problems, vor allem im Vergleich zur Auffassung von Offenbarung als Wort Gottes.

4. Offenbarung als Geschichte und als Wort Gottes Die Betonung der Geschichtstheologie in den Traditionen des Alten Te­ staments bei Gerhard v. Rad und Ernest Wright, sowie darüber hinaus in der 98 Offenbarung als Geschichte, 103 ff. (These 4). Welche einschneidenden Konsequenzen die Einführung der Kategorie der Antizipation für die Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels, insbesondere mit seiner Logik hat, ist 1970 in meinem Vortrag über „Die Bedeutung des Christentums in der Philosophie Hegels“ angedeutet worden (jetzt in: Gottesgedanke und menschliche Freiheit, Göttingen 1972, 78–113, bes. 111 f.). Eine Korrektur liegt aber schon in der Auszeichnung der eschatologischen Thematik des Endes der Geschichte als Schlüssel zum Verständnis der Bedeutung ihrer Begebenheiten (Offenbarung als Geschichte 95 ff.), wenn man bedenkt, daß für die Philosophie Hegels eine rein präsentische Eschatologie charakteristisch war (dazu P. Cornehl: Die Zukunft der Versöhnung. Eschatologie und Emanzipation in der Aufklärung, bei Hegel und in der Hegelschen Schule, Göttingen 1971).

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heilsgeschichtlichen Theologie Oscar Cullmanns, und vor allem ihre Verbindung mit dem Offenbarungsthema ist 1963 auf heftige Kritik bei James Barr gestoßen99. Barr bestritt anfänglich nicht, daß der Gedanke gött­ licher Offenbarung durch Geschichte im Alten Testament eine Rolle spiele, doch sei das nicht in allen Bereichen des alttestamentlichen Schrifttums der Fall, und es gebe daneben andere, nicht weniger bedeutende Traditionslinien („axes“) in den biblischen Zeugnissen, besonders „the axis of direct verbal communication between God and particular men on particular occasi­ ons“100. Einige Jahre später wiederholte Barr seine Kritik in verschärfter Form: Die biblischen Erzählungen lassen sich nicht durch den Begriff „Ge­ schichte“ zusammenfassen, da es im Alten Testament gar keinen Terminus gibt, der unserem Wort „Geschichte“ entspricht, und weil der heutige Be­ griff von Geschichte oder Historie nur einigen der alttestamentlichen Erzäh­ lungen angemessen ist. Für das Alte Testament liegen in der Tat alle diese Er­ zählungen auf derselben Ebene, aber diese sei eher durch den Begriff „story“ zu kennzeichnen als durch den der Geschichte101. Was das erste dieser beiden Argumente angeht, so ist die auch sonst begeg­ nende Behauptung, das alte Israel habe keinen Terminus für „Geschichte“ gehabt, in dieser Form unzutreffend. Zwar deckt sich sein Geschichtsbegriff nicht mit dem säkularen Geschichtsverständnis der europäischen Neuzeit, das vorzugsweise am menschlichen Handeln orientiert ist. Das alte Israel hat Geschichte nur als Gotteshandeln terminologisch erfaßt. Man sprach von den „Taten Gottes“ oder auch von der „Gesamtheit“ der Taten Gottes. So sind die von Josua nach Jos 24,31 ausgewählten Ältesten solche Männer, die „all das Tun Jahwes in bezug auf Israel“ kannten, also die ganze Geschichte des Auszugs, der Bundesschließung und der Landnahme (vgl. auch Ri 2,7.10). Der Prophet Jesaja klagt das Volk an (Jes 5,12), daß es die von Jahwe gewirkte Geschichte (ma’asä) nicht beachte102. Der 33. Psalm dagegen for­ dert zum Lobe Gottes auf, weil er in seinem Handeln sich treu ist: seine gan­ ze Geschichte geschieht in Beständigkeit (emunáh: Ps 33,4). 99 J. Barr: Revelation through History in the Old Testament and in Modern Theology, in: Interpretation 17, 1963, 193–205. Seltsamerweise rechnete Barr außer den genannten Theologen und mir auch K. Barth und R. Bultmann zu den Verfechtern des Konzepts einer revelation through history (195). 100 A. a. O. 201. 101 J. Barr: The Concepts of History and Revelation, in: Old and New in Interpretation, London 1966, 65–102, bes. 81: From some points of view what is related is rather a story than a history. Vgl. zum Fehlen des Terminus „Geschichte“ a. a. O. 69. Beide Argumente finden sich auch schon in dem Anm. 99 zitierten Aufsatz 198 f. 102 Daß es sich hier um einen Begriff von „Geschichte“ handelt, habe ich schon in Grundfra­ gen syst. Theologie II, 1980,194 betont. Ähnlich Klaus Koch: Die Profeten 1, 1978, 157 ff. und bes. 167 f. Koch weist neben Jes 5,19 besonders auf Jes 28,21 hin, wo der Ausdruck ma'asä futu­ risch gewendet wird. Vgl. auch seine Ausführungen 84 ff. zu Arnos, sowie im zweiten Band sei­ nes Werkes (1980) zu Jeremia (77 ff.) und zu Deuterojesaja (151 ff.).

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Über das einzelne Gotteshandeln hinaus wird an diesen Stellen ein Gesamtbegriff der Taten Gottes gebildet, und zwar nicht als abstrakte Vor­ stellung des göttlichen Handelns überhaupt, sondern im Hinblick auf die Reihe und Abfolge, eben die „Geschichte“ seiner Taten. Allerdings ist dieser Begriff von Geschichte in keiner Weise identisch mit der modernen Geschichtsauffassung, die den Menschen, gesellschaftliche In­ stitutionen, ganze Nationen oder gar die Menschheit zum handelnden Sub­ jekt der Geschichte erklärt. Daher spricht Klaus Koch im Hinblick auf das altisraelitische Geschichtsverständnis von „Metahistorie“103. So mag der Sachverhalt sich aus einer modernen, am säkularen Geschichtsverständnis orientierten Perspektive in der Tat darstellen. Dennoch darf der Ausdruck „Metahistorie“ keinesfalls zu der Auffassung verleiten, als ob es sich für das alte Israel dabei um eine hinter der „eigentlichen“ Geschichte stehende Hin­ tergrundsgeschichte gehandelt hätte. Vielmehr ist die Geschichte der Taten Gottes selber für Israel die eigentliche Geschichte, die alles menschliche Handeln umgreift. Letzteres ist aus diesem Begriff der Geschichte nicht etwa ausgeschlossen, sondern durchaus einbezogen, aber es konstituiert nicht Einheit und Zusammenhang des Geschehens104. Ist nun aber das, was in diesem Geschichtsbegriff des Alten Testaments selbst zusammengefaßt wird, in seinen Bestandteilen identisch mit dem, was wir heute, wenn auch in anderer, profaner Perspektive, „Geschichte“ nen­ nen? Das ist die zweite von James Barr aufgeworfene Frage, und sie hat erheb­ liches Gewicht. In der Tat beurteilt historische Kritik heute viele Bestandteile alttestamentlicher Erzählungen als unhistorisch, Erzählungen, die die altte­ stamentlichen Überlieferungen selber mit auch uns als historisch geltenden Begebenheiten auf gleicher Ebene sehen und als gleichermaßen umgriffen durch das Geschichtshandeln Gottes. Wird angesichts dessen die Einheit des alttestamentlichen Geschichtsstoffes nicht richtiger durch den Begriff „Er­ zählung“ (story) gekennzeichnet als durch den der Geschichte105? Durch eine Entscheidung für die Kategorie der „story“ im Unterschied zur Ge­ schichte würde das Interesse an der Realität des Erzählten jedoch zumindest sekundär. Das aber entspricht keineswegs dem Realismus der alttesta­ mentlichen – und auch der neutestamentlichen – Überlieferungen. An der realistischen Intention der biblischen Erzählungen kann die Theologie nur 103 K. Koch: Die Profeten 1, 1978, 15, 158 u. ö. In seinem Artikel „Geschichte II“ in TRE 12, 1984, 569–586 spricht Koch von „Übergeschichte“, kann aber auch die Vorsilbe in Klammern setzen. 104 Vgl. die Ausführungen von K. Koch: Die Profeten 1,166 zu Jesaja. 105 So nimmt, entsprechend der Empfehlung von J. Barr, in einigen theologischen Veröffent­ lichungen der letzten Jahrzehnte das „story-Konzept“ den Platz des Geschichtsbegriffs als zen­ traler theologischer Kategorie ein. Vgl. dazu D. Ritschl/H. Jones: „Story“ als Rohmaterial der Theologie (Th. Ex. 192) München 1976, sowie D. Ritschl: Zur Logik der Theologie, München 1984, 14–51, 56–60 und passim.

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dann festhalten, wenn sie ihr Zeugnis von einem Handeln Gottes in den real­ en Begebenheiten, die Menschen widerfahren und zum Teil durch sie mitge­ staltet worden sind, darin ernst nimmt, daß auch heute nach dem Handeln Gottes in der Realität jener Geschichte gefragt wird, so wie sie sich heutigem Urteil darstellt, mag das auch nicht ohne kritisches Urteil über die Historizi­ tät mancher Einzelzüge biblischer Texte und ganzer Erzählungen abgehen: Wenn die Theologie in der von den biblischen Texten bezeugten Folge von Ereignissen, so wie sie sich heutigem historischem Urteil darstellt und auf der Basis historisch-kritischer Untersuchungen rekonstruiert wird, das Han­ deln Gottes in der Geschichte sucht, steht sie dem Geist der biblischen Über­ lieferungen näher als wenn sie jene Texte nur als Literatur behandelt, bei der die Faktizität des Berichteten als nebensächlich zu betrachten wäre. Die hi­ storische Rekonstruktion des den biblischen Berichten zugrunde liegenden, tatsächlichen Hergangs steht insofern nicht im Gegensatz zu ihnen und tritt auch nicht einfach beziehungslos an ihre Stelle oder neben sie, weil diese Be­ richte ja vielmehr selber Bestandteile jeder Darstellung der Geschichte Is­ raels und des Urchristentums sein müssen106. Es mag verführerisch sein, durch eine Behandlung der biblischen Überlieferungen als „story“ die Pro­ bleme der historischen Kritik und die Frage nach der Faktizität des Berichte­ ten zu umgehen; doch das könnte nur auf Kosten der Wahrheitsansprüche der Überlieferung geschehen. Wenn die Theologie an der Berufung auf Got­ tes geschichtliches Handeln, auch auf der Ebene der Faktizität festhalten muß, dann darf sie den Begriff der Geschichte nicht aufgeben107. Daran hängt der Wirklichkeitsgehalt der Rede von einer Offenbarung Gottes in Je­ sus Christus und damit auch die Nüchternheit und der Ernst des Glaubens an den Gott der Bibel selber. 106 Gegenüber einer bloßen Geschichte politischer und ökonomischer Fakten ist daher die These formuliert worden, daß der Prozeß des Werdens und der Umbildung der Überlieferun­ gen, aus denen die Kulturen der Menschheitsgeschichte leben, Thema geschichtlicher Darstel­ lung sein muß, Geschichte also in diesem umfassenden Sinn als „Überlieferungsgeschichte“ zu behandeln ist. 107 Das erfordert gewiß intensive Auseinandersetzungen mit dem profanen Geschichtsver­ ständnis der Moderne. Dabei geht es erstens darum, daß der Mensch zwar als Referenzsubjekt, nicht aber als Handlungssubjekt der Geschichte, das die Einheit ihres Ablaufs konstituiert, ge­ dacht werden kann. Dadurch wird die Stelle offengehalten, an der sich noch für Ranke und Droysen die Notwendigkeit einer Theologie der Geschichte meldete. In engem Zusammenhang damit geht es zweitens um eine einschränkende Bestimmung der Rolle des Handlungsbegriffs für das Verständnis geschichtlicher Prozesse, wie sie exemplarisch durch H. Lübbe erfolgt ist. Drittens bedürfen die Grundlagen der Struktur von Geschichte als Darstellungen von Prozes­ sen der Identitätsbildung von Individuen und Gesellschaften der Klärung im Zusammenhang mit (viertens) der Verhältnisbestimmung von Religion und Kultur. Damit verbinden sich weiter die Fragen nach der Einheit der Geschichte, nach der Konstitution historischer Sinngehalte und den Prinzipien historischer Methode (vgl. meine Ausführungen in TRE 12, 1984, 667 ff., sowie den ganzen Artikel ebd. 658–674, ferner auch die Ausführungen über „Mensch und Ge­ schichte“ in: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983,472–501).

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Nun hat aber James Barr 1966 auch den Begriff der Offenbarung einer ge­ genüber 1963 verschärften Kritik unterzogen. Das Auftreten von Offen­ barungsterminologie in den biblischen Texten erschien ihm jetzt als margi­ nal. Daher urteilte er nun, es gebe kaum eine biblische Basis für den Ge­ brauch des Offenbarungsbegriffs als Bezeichnung der Quelle allen menschli­ chen Wissens von Gott oder aller Mitteilungen Gottes an den Menschen108. Dieses Urteil basiert auf der Annahme, daß der Offenbarungsbegriff den Ausgangspunkt aller menschlichen Kenntnisse von Gott bezeichne. Im Hin­ blick auf ein derartiges Verständnis von Offenbarung hat Barr weitgehend recht mit der Behauptung, daß das in der Bibel so nicht der Fall ist109. Die bi­ blische Offenbarungsterminologie rechnet bei aller Mannigfaltigkeit der da­ mit verbundenen Vorstellungen in der Regel mit einer dem Offenbarungs­ geschehen bereits vorausgehenden Kenntnis von Gott. Von dieser Regel gibt es allerdings eine Ausnahme: Das ist die paulinische Aussage, daß alle Men­ schen von Gottes ewiger Macht und Gottheit wissen, weil Gott es ihnen kundgetan hat (Röm 1,19). Diese Aussage besagt zweifellos, daß es keine Gotteserkenntnis gibt, die nicht von Gott ausgeht. Doch gerade dieses Pauluswort gehört nicht zu der in der traditionellen dogmatischen Termino­ logie so genannten „speziellen“, sondern zur „allgemeinen“ Offenbarung. Der in Röm 1,19 bezeichnete Sachverhalt ist nicht identisch mit dem, was Paulus an anderen Stellen, etwa Röm 3,21 oder auch unmittelbar zuvor Röm 1,17 f. als Offenbarung (im eschatologischen Sinne des Wortes) bezeichnet. In aller Regel handelt es sich in den biblischen Aussagen um Offenbarung, der schon eine anderweitige Kenntnis Gottes vorausgeht. Daher wird die Einschränkung des Begriffs bei Barr auf ein Ereignis, das Quelle aller Gottes­ erkenntnis wäre, dem Sachverhalt nicht gerecht. Diese Einschränkung ist aber der einzige Sachgrund für Barrs Bevorzugung des Begriffs „communica­ tion“ gegenüber dem der Offenbarung110. Da also dieses Argument nicht stichhaltig ist, wird die Grundlage für die Ablehnung des Offenbarungsbe­ griffs durch Barr hinfällig. Seine Behauptung, daß Offenbarungsvorstellun­ 108 Old and New in Interpretation, 1966, 88: „In the Bible, however, the usage of the terms which roughly correspond to ‚revelation‘ is both limited and specialized… Thus there is little basis in the Bible for the use of ‚revelation‘ as a general term for man’s source of knowledge of God, or for all real communication from God to man.“ Barr beruft sich dafür auch auf F. G. Downing: Has Christianity a Revelation? London 1964, 20–125. Doch Downing hat infolge seines einseitigen Verständnisses religiöser Sprache als performativ (179), weil Ausdruck von commitment (179 ff., bes. 183), die alttestamentlichen Aussagen über Erkenntnis Gottes ebenso einseitig als „Gehorsam“ unter Ausschluß theoretischer Kenntnis gedeutet (37 ff., 42 f., vgl. 66 ff. zu Paulus u. 124 ff.), während eine angemessene Beschreibung den Gehorsam als Konse­ quenz und so auch als Implikat der wahren Erkenntnis Gottes darstellen müßte. 109 A. a. O. 89 f., 87und 98. 110 A. a. O. 87. Daneben nennt Barr als Gründe seiner terminologischen Entscheidung für „communication“ nur, daß dieser Ausdruck unbelastet durch terminologischen Gebrauch in der Theologie sei und eher linguistische Assoziationen mit sich bringe.

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gen in den biblischen Schriften nur marginal auftreten, ist nur verständlich auf der Grundlage seiner sehr summarischen Bemerkungen zu diesem The­ ma. Eine ausführlichere Untersuchung, wie sie hier im zweiten Abschnitt des Kapitels unternommen worden ist, zeigt die Bedeutung, die vor allem der Entwicklung der Offenbarungsvorstellungen in den biblischen Schriften zukommt. Außerdem erkennt der Leser des früheren Aufsatzes von Barr mühelos, daß der Begriff verbal communication bei ihm selber eigentlich ein Ausdruck für „Offenbarung“ ist, der ursprünglich als Ergänzung des Ge­ dankens einer Offenbarung Gottes durch sein Geschichtshandeln vorge­ schlagen wurde111. Die prinzipielle Ablehnung des Offenbarungsbegriffs in seinen späteren Äußerungen verdeckt nur die Tatsache, daß Barr sich nun­ mehr statt einer bloßen Ergänzung für eine Ersetzung der Auffassung von Offenbarung als Geschichte durch die alte Vorstellung einer Wortoffenba­ rung entschieden hat. Mit der radikalen Ablehnung des Offenbarungsbegriffs überhaupt hat Barr wenig Zustimmung gefunden. Dagegen hat seine Präferenz für den Ge­ danken „sprachlicher Kommunikation“ Gottes mit den Menschen zwei­ fellos dazu ermutigt, die Vorstellung einer Wortoffenbarung so zu erörtern, als ob es sich dabei um die einzig in Betracht kommende Offenbarungsvor­ stellung handle. Sie hat in Basil Mitchell, dem Oxforder Religionsphiloso­ phen, einen entschiedenen Befürworter gefunden im Unterschied zu seinem Kollegen Maurice Wiles112. Mitchell ist allerdings nicht auf die komplexe Vielfalt biblischer Offenbarungsvorstellungen und das Problem ihrer Ge­ wichtung eingegangen, sondern behauptet lediglich, daß die biblischen Zeu­ gen sich „with considerable unanimity“ auf die Führung durch den Heiligen Geist („the guidance of the Holy Spirit“) als Quelle ihrer Einsichten beru­ fen, und daß diese offenbar als verbale Kommunikation Gottes mit ihnen zu verstehen sei113. William J. Abraham hat sodann den Versuch gemacht, der Grundvorstel­ lung von Offenbarung als Wortoffenbarung im Sinne göttlichen Sprechens zum Menschen andere biblische Offenbarungsvorstellungen, vor allem die des göttlichen Handelns durch Geschichtsereignisse, zuzuordnen114. Dabei hält er die verbale Kommunikation Gottes mit Menschen für die unerläßli­ che Basis aller Behauptungen über ein Handeln Gottes in der Geschichte115, 111

Siehe den Anm. 99 zit. Artikel p. 201. B. Mitchell und M. Wiles: Does Christianity need a Revelation? A Discussion, in: Theo­ logy 83, 1980, 103–114, bes. 104 f. 113 A. a. O. 104 (communication) und 109. 114 W. J. Abraham: Divine Revelation and the Limits of Historical Criticism, London (OUP) 1982. 115 A. a. O. 21: „It is only because God has spoken His word that we can have any assurance about what He has done in creation and history and about His intentions and purposes in acting in creation and history.“ 112

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einschließlich der Inkarnation. Gegen die entsprechenden Thesen von Mit­ chell hatte allerdings bereits Maurice Wiles eingewendet, daß die Bibel kei­ neswegs das einzige Buch der Religionsgeschichte sei, das von göttlichen Mitteilungen spricht, die Menschen empfangen haben116. Die Frage der Wahrheit solcher Mitteilungen und des wirklichen Zustandekommens der entsprechenden Vorstellungen ist damit also noch nicht entschieden. Das entspricht genau den Befunden über die verschiedenen Arten mantischer Er­ fahrungen, die im zweiten Abschnitt dieses Kapitels behandelt wurden: Über die Wahrheit (oder den wahren Sinn) von Träumen, Eingebungen oder Orakelworten läßt sich nur aufgrund ihrer Beziehung zur normalen Weltund Selbsterfahrung der Menschen entscheiden. Das gilt auch für Prophetenworte, insofern ihre Wahrheit (auch die Behauptung ihres göttli­ chen Ursprungs) am Eintreffen ihrer Voraussagen gemessen wird. Mit der Berufung auf Inspirationserlebnisse ist über die Wahrheit ihres Inhalts noch gar nichts ausgemacht, zumal auch Abraham zugeben muß, daß die so mit­ geteilte Information nicht als in Sprachlauten ergehend, sondern nach der Art telepathischer Erlebnisse zu denken sei117, so daß eine Interpretation solcher Erfahrungen im Medium menschlicher Sprache noch hinzukommen muß. Solche Interpretation aber ist immer vermittelt durch den Erfahrungs­ kontext118, und dazu gehört, daß, wie der zweite Abschnitt dieses Kapitels am biblischen Beispiel darlegte, auch ein anderweitiges Wissen von Gott im­ mer schon vorausgesetzt ist, damit solche Erfahrungen überhaupt dem Gott der Bibel als Urheber zugeschrieben werden können. Andererseits ist der In­ halt solcher Erfahrungen in aller Regel nicht das Dasein oder Wesen Gottes, sondern Verborgenes anderer Art. Die Frage, wie der biblische Gott als sol­ cher identifiziert wird und wie seine alleinige Gottheit erkannt werden kann, ist mit alledem noch nicht einmal berührt. Eine allgemeine Vorstellung von Inspiration oder Wortoffenbarung vermag erst recht nicht, den weiten Ab­ stand zum Inkarnationsgedanken zu überbrücken, den Abraham mit Recht für christlich zentral hält119. Die im zweiten Abschnitt dieses Kapitels erör­ terten Zwischenstufen des Weges dahin können auf keinen Fall übersprun­ gen werden. Werden die entsprechenden biblischen Sachverhalte aber in ih­ rer Differenziertheit berücksichtigt, dann läßt sich kaum länger behaupten, die tragende Basis dafür sei ein „direct divine speaking“. Von der neuerdings aktuellen, britischen Form der Worttheologie ist die in der deutschen theologischen Diskussion vertraute Gestalt der Worttheo­ logie tief verschieden dadurch, daß das Verständnis von „Wort Gottes“ hier von vornherein christologisch bestimmt ist. Die drei Gestalten des Wortes Gottes bei Barth werden ja so vorgetragen, daß der Anspruch, Wort Gottes 116 117 118 119

83,1980, 112. Abraham a. a. O. 22. Vgl. oben Kap. 2,1, S. 75 ff. Abraham a. a. O. 44–66.

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mitzuteilen, von der christlichen Verkündigung auf die Schrift und von der Schrift auf Jesus Christus als das offenbare Wort Gottes zurückverweist. Er allein, als Offenbarung Gottes, sei unmittelbar „Gottes Wort“, während Bi­ bel und kirchliche Verkündigung das nur „abgeleitet und mittelbar“ sind, so daß sie im Vollzug des Zeugnisses von Jesus Christus erst „je und je“ Gottes Wort werden müssen120. Barths biblische Begründung für seine These, daß Jesus unmittelbar Wort Gottes und darin Gottes Offenbarung ist, ist überraschend kärglich121, wenn man die fundamentale Tragweite der These für den Ansatz seiner Dogmatik bedenkt. Man könnte erwarten, daß hier Joh 1,1 f. genannt würde. Aber viel­ leicht ist das Fehlen dieser Aussage122 kein Zufall, denn gerade der Johan­ nesprolog unterscheidet ja den Logos als solchen von seinem erst an späterer Stelle (1,14 ff.) thematischen Offenbarwerden. Statt des Johannesprologs wird bei Barth Joh 3,34–36 zitiert; aber hier wird vom Sohn eher als Mittler der Worte Gottes gesprochen (vgl. Mt 11,25–27), als daß er selbst als Wort Gottes bezeichnet wäre. Daneben werden als biblische Begründung für die These, daß Jesus Christus als Dei loquentis persona Gottes Offenbarung sei, nur noch die Aussagen des oben besprochenen „Revelationsschemas“ über die Offenbarung des göttlichen Mysteriums (Röm 16,25; Kol 1,26; Eph 3,9) angeführt. Dieses Mysterium aber ist, wie die Exegese der Stellen zeigt, der göttliche Heilsplan zur Einbeziehung auch der Heiden in das Heil. Davon findet sich bei Barth nichts. Statt dessen heißt es, das „offenbarte Wort“ sei dieses Mysterium. Das sagt so erst Ign Magn 8,2, und auch bei Ignatius steht vermutlich, wie oben erörtert wurde, der Gedanke des durch Jesus Christus offenbarten göttlichen Heilsplans im Hintergrund. Sollte auch Barth viel­ leicht in diesem Sinne zu verstehen sein123? Dann wäre freilich der Offenba­ rungsbegriff nicht mehr auf den des Wortes Gottes zurückzuführen, son­ dern die Bezeichnung Jesu als unmittelbares Wort Gottes wäre dann umge­ kehrt als ein Ausdruck für die eschatologische Offenbarung des Heilsplans Gottes in ihm aufzufassen und von daher zu interpretieren. Barth selbst hat sich im weiteren Gang seiner Dogmatik an den Vorstel­ lungsgehalt des Ausdrucks „Wort“ Gottes als „Rede“ Gottes gehalten: Das Wort Gottes ist Rede Gottes (§ 5,2) und als solches auch „Tat Gottes“ (§ 5,3), Rede, die „Geschichte macht“ (KD I/1,148). Als drittes Wesensmoment des Wortes Gottes hat Barth dessen Geheimnischarakter hervorgehoben (§ 5,4). Er hat dabei aber den neutestamentlichen Begriff des Mysteriums (KD I/ 1,171) nicht, wie es exegetisch korrekt wäre, als Geschichtsplan Gottes zur Einbeziehung aller in das Heil, der durch Jesus Christus offenbar geworden ist, erläutert, obwohl das den Intentionen der Theologie Barths keineswegs 120 121 122 123

KD 1/1,120. A. a. O. 121 f. Sie erscheint erst 1/1,141. Dafür könnte die Auslegung von Apc 19,12 f. in KD 1/1,142 sprechen.

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widersprochen hätte. Vielmehr hat Barth zu diesem Begriff Erwägungen über eine Dialektik von Offenbarung und Verhüllung des redenden Gottes durch die welthafte Gestalt seines Redens vorgetragen, die sich zwar assozia­ tiv an die Verbindung der Worte „Offenbarung“ und „Geheimnis“ in Röm 16,25, Kol 1,26 und Eph 3,9 anschließen mögen124, aber exegetisch nicht ge­ deckt sind. Solche Begründungsprobleme der Lehre Karl Barths vom Worte Gottes als Offenbarung und von der Offenbarung als Wort Gottes sind in Eberhard Jüngels Barthinterpretation, die die Entfaltung von Barths Offenbarungsbe­ griff in seiner Trinitätslehre durch den Gedanken einer Selbstinterpretation Gottes in seiner Offenbarung erläutert125, nicht erörtert worden. Man kann das vielleicht auch nicht verlangen, obwohl ohne biblische Begründung die von Jüngel rekonstruierten Gedanken Barths leicht als eine Art Metaphern­ dichtung (im Unterschied zur Metaphysik, die man als Begriffsdichtung be­ zeichnet hat) erscheinen könnten. Seltsamer ist, daß die biblisch-exegeti­ schen Begründungsprobleme für die Auffassung von Offenbarung als Wort Gottes auch in Jüngels Werk zur Gotteslehre nicht umfassend behandelt worden sind. Jüngel sagt mit Recht, „daß ein Gott überhaupt nur dann als Gott gedacht wird, wenn er als sich offenbarender Gott gedacht ist“126. Got­ teserkenntnis kann nur als von Gott ausgehende Erkenntnis gedacht wer­ den. Das ist in der Tat „vernünftig“, wie Jüngel sagt. Aber damit ist nicht schon gesagt, wie sich diese Einsicht, die dem neuzeitlichen Gedanken von Offenbarung als Selbstoffenbarung Gottes zugrunde liegt, zum biblischen Reden von Offenbarung und vom Worte Gottes verhält. Wenn man von dem biblischen Befund ausgeht, daß „Wort Gottes“ in aller Regel nicht Gott selbst, sondern von Gott verschiedene Sachverhalte zum Inhalt hat, so ver­ steht es sich nicht von selbst, daß der Begriff des Logos in Joh 1,1 und der des göttlichen Redens durch die Propheten und zuletzt durch den Sohn Hebr 1,2 besagt, daß Gott „spricht, um sich selbst mitzuteilen“127. Obwohl ferner der Eingangssatz des Hebräerbriefs allerdings von Gott als Redendem 124 Barth berief sich KD I/1, 171 zwar auf „den Sinn, den das Wort Mysterium im Neuen Testament hat“, im Rückgriff auf die 1/1,122 zitierten Belegstellen, definierte dann aber ganz freihändig: „Mysterium ist die Verhüllung Gottes, in der er uns entgegentritt, gerade indem er sich uns enthüllt“ (ebd.). Das ist sicherlich ein auf seine Weise tiefsinniger Gedanke, aber nicht der Gehalt des neutestamentlichen Mysteriumbegriffs, wie er zehn Jahre später von G. Born­ kamm (ThWBNT 3, 809–834) herausgearbeitet worden ist. Man kann Barth nicht zum Vorwurf machen, daß er die später von Bornkamm entdeckten Beziehungen noch nicht gesehen hat. Es überrascht jedoch, daß Barth sich trotz Berufung auf den Sinn des Begriffs im Neuen Testament keine Mühe gegeben hat, seine Definition von „Mysterium“ durch eine Analyse der biblischen Aussagen zu rechtfertigen. 125 E. Jüngel: Gottes Sein ist im Werden. Verantwortliche Rede vom Sein Gottes bei Karl Barth (1966), 3. Aufl. 1976,12 ff., bes. 27. 126 E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt: Zur Begründung der Theologie des Gekreuzig­ ten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 1977, 211. Vgl. auch 309. 127 A. a. O. 12.

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spricht, so gilt das nicht ohne weiteres für den Logosbegriff des Johannes­ prologs. Eine Offenbarungsfunktion ist hier noch nicht mit dem Logos als solchem und seiner Rolle in der Schöpfung der Welt verbunden, sondern erst mit dem Ereignis der Inkarnation (Joh 1,14), und zwar explizit auch hier nur dann, wenn man das Sehen der „Herrlichkeit“ des Logos aufgrund sei­ ner Inkarnation als Anspielung auf Offenbarungsterminologie zu verstehen hat. Auch dann handelt es sich zunächst einmal um die Herrlichkeit des Lo­ gos, nicht unmittelbar um die des Vaters, sondern nur mittelbar, vermittelt durch die Gegenseitigkeit der Verherrlichung von Vater und Sohn (vgl. Joh 17,1 ff.). Das Reden Gottes im Sohn aber, von dem der Eingangssatz des He­ bräerbriefs spricht, dürfte ebenfalls nicht ohne weiteres unmittelbar Gott selbst zum Inhalt haben. Dieser Inhalt besteht vielmehr nach Hebr 2,3 f. zu­ nächst in der Heilsbotschaft Jesu und sodann in den Machttaten ihrer Be­ glaubigung durch Gott (2,4). Mit diesen Feststellungen ist noch nicht gesagt, daß die Wendung von Gott, der sich in seinem Wort offenbart, den biblischen Befunden unange­ messen wäre, aber sie bedarf jedenfalls einer differenzierteren Rechtferti­ gung. Mit einem Hinweis auf Joh 1,1 und Hebr 1,1 f. ist es da nicht getan. Da es neben der Vorstellung vom Wort Gottes auch andere Offenbarungsvor­ stellungen in den biblischen Überlieferungen gibt, ist es unerläßlich, auch auf deren Verhältnis zur Vorstellung des Wortes Gottes einzugehen. Jüngel hat die Kategorie der Offenbarung der theologischen Reflexion auf Gott als Redenden zugeordnet128. An späterer Stelle hat er jedoch umgekehrt die Vorstellung Gottes als eines Redenden gerechtfertigt als „eine Folge des­ jenigen Ereignisses, in dem Gott als Gott sprachlich zugänglich wird und das die Bibel Offenbarung nennt“129. Man wüßte gern, an welche der biblischen Offenbarungsaussagen, die mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen ver­ bunden sind, Jüngel hier denkt. Ein so einheitlicher Befund, wie der Leser des zitierten Satzes vermuten könnte, ist das, was „die Bibel Offenbarung nennt“, ja sicherlich nicht. Man braucht sich nur an den im zweiten Ab­ schnitt dieses Kapitels dargelegten, vielschichtigen Befund zu erinnern. Wenn man unterstellen darf, daß Jüngel an die auch von Barth zitierten Wor­ te Röm 16,25–27, Kol 1,16, Eph 3,9 denkt, dann würde der in ihnen zusam­ mengefaßte, komplexe Sachverhalt die Grundlage für die Vorstellung von dem durch sein Reden sich mitteilenden Gott sein. Das aber hieße, daß die Offenbarung Gottes in der Geschichte, nämlich die Offenbarung seines Ge­ schichtsplans (mysterium) auf das Heil der Menschen hin in Person und Ge­ schick Jesu Christi die Basis für die Vorstellung einer Selbstoffenbarung Gottes durch sein „Reden“ im Sohn wäre. Dem würde ich nicht widerspre­ chen, vorbehaltlich einer Präzisierung der Vorstellung von einer eschatologi­ 128 129

Ebd. A. a. O. 393.

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schen Offenbarung des göttlichen Geschichtsplans durch den prophetischen Gedanken einer Abzweckung des Geschichtshandelns Gottes auf die Er­ kenntnis seiner Gottheit. Aber ist das Jüngels Meinung? Zu den wenigen Dogmatikern der Gegenwart, die die Vielschichtigkeit der biblischen Offenbarungsvorstellungen und ihr Verhältnis zur Vorstellung des Wortes Gottes als ein der Klärung bedürftiges Problem behandelt haben, gehört Gerhard Ebeling. Die Vielfalt der biblischen Offenbarungsvorstel­ lungen wird allerdings nur sehr summarisch erwähnt, in Verbindung mit un­ terschiedlichen Gegenständen als „Offenbarungsträgern“130, aber Ebeling hebt mit Recht hervor, der „nächste Gegenstand“ der Offenbarung sei „der Mensch und seine Welt“131. Das entspricht der Feststellung im zweiten Ab­ schnitt dieses Kapitels, daß es sich in der Regel um eine offenbarende Mittei­ lung über das in der Zukunft Verborgene handelt. Bei Ebeling wird das aller­ dings nicht so genau spezifiziert. Daß der Inhalt der Offenbarung soteriologi­ schen Charakter hat, wie Ebeling behauptet132, gilt sicherlich für die Christu­ soffenbarung, an die Ebeling hier besonders denkt, aber auch für einen großen Teil der durch Offenbarungserlebnisse begründeten alttestamentli­ chen Erwartungen. Die eschatologische Offenbarung der Gottheit Gottes al­ lerdings133, der das nachexilische Israel entgegensah und deren Erwartung den Ausgangspunkt der Botschaft Jesu bildete, umfaßt auch den Aspekt des Gerichts134. Daß es in dieser eschatologischen Offenbarung nicht nur um Mensch und Welt, sondern durchaus auch um die Offenbarung der Gottheit Gottes, nämlich seiner „Herrlichkeit“ geht, sowie auch schon die Abzwek­ kung des in der Prophetie angekündigten Geschehens auf die Erkenntnis Jah­ wes, bleibt bei Ebeling unerwähnt. Angesichts der von Gott verschiedenen Inhalte der Offenbarung ist es zwar „nur bedingt richtig…, Gott als Inhalt der Offenbarung zu bezeichnen“135. Aber Ebeling rechnet mit einer Selbstof­ fenbarung überhaupt nur insofern, als die verschiedenen Offenbarungs­ inhalte Ausdruck des göttlichen Willens sind136, nicht im Hinblick darauf, daß das im Offenbarungsempfang angekündigte Geschehen die Erkennt­ nis der Gottheit Gottes, also seines Wesens, zum Ziel hat. Ebeling geht ins­ besondere gar nicht ein auf die Sonderstellung des prophetischen Erweis­ wortes unter den übrigen Offenbarungsvorstellungen des Alten Testaments, 130

G. Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens I, Tübingen 1979, 250. Ebd. 253. 132 Ebd. 251 f. 133 Sie wird bei Ebeling a. a. O. 250 f. etwas unvermittelt erwähnt. Wie der „Zug zu eschatolo­ gischer Universalität“ aus dem Zusammenhang der alttestamentlichen Offenbarungsgeschichte hervorgeht, wird nicht thematisiert. 134 Dem entspricht bei Ebeling die Unterscheidung von Deus revelatus und Deus abscondi­ tus (254–257), sowie die entsprechende Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Begriff des Wortes Gottes (261, vgl. Bd. III, 249–295). 135 A. a. O.253. 136 A. a. O. 250. 131

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eine Sonderstellung, die eben darin besteht, daß die Funktion des angekün­ digten Geschehens für die Erkenntnis der Gottheit Gottes hervorgehoben wird. Da Ebeling diesen Sachverhalt und seine Tragweite für das neutesta­ mentliche Reden von Offenbarung nicht behandelt, erreicht seine Erörterung des Offenbarungsbegriffs gar nicht die Diskussionsebene der Argu­ mentation, mit der 1961 der Begriff von „Offenbarung als Geschichte“ be­ gründet worden ist. Statt dessen behauptet Ebeling, zur „Präzisierung“ des Offenbarungsbe­ griffs bedürfe es des Begriffs des Wortes Gottes137. Wer sich dessen erinnert, daß Richard Rothe einst umgekehrt urteilte, der biblische Begriff des Wortes Gottes sei angesichts seiner Vieldeutigkeit zu „substituieren“ durch den der Offenbarung138, der wird auf Ebelings Begründung für die Umkehrung die­ ses Urteils warten. Allein, nach einer Begründung dafür sucht man bei Ebe­ ling vergeblich. Es heißt lediglich, der Begriff des Wortes Gottes habe bei den Ausführungen zum Offenbarungsgedanken bereits zu dessen Präzision gedient, „ohne daß dies ausdrücklich hervorgehoben wurde“. Daraus wird sodann gefolgert: Weil der Begriff des Wortes Gottes „der Präzisierung des Offenbarungsverständnisses dient, kommt ihm dogmatisch der Vorrang zu“139. Die Prämisse der Folgerung bleibt unbegründet, und dabei geht es immerhin um die Entscheidung einer der fundamentalen Streitfragen der Theologie. Ebeling fordert mit Recht, daß die Begriffe von Offenbarung und Wort Gottes nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Daß sie aber gerade so aufeinander zu beziehen sind, wie er es vorschlägt, folgt dar­ aus nicht. So bleibt der Leser auf Vermutungen angewiesen zur Beantwor­ tung der Frage, warum Ebeling den Offenbarungsbegriff einer Präzisierung durch den des Wortes Gottes für bedürftig hält und worin diese besteht. Ist schon das über den „soteriologischen Charakter“ von Offenbarung Gesagte der „Präzisierung“ durch den Begriff des Wortes Gottes zu verdanken? Oder ist es die Vielzahl der Offenbarungsvorstellungen, die der Vereinheitli­ chung bedarf und die ihre Vereinheitlichung findet in „dem klaren, verständ­ lichen grundeinfachen Wort, in dem das Angesicht Gottes zum Leuchten kommt“140? Daß gerade die biblischen Vorstellungen vom Gotteswort kei­ neswegs grundeinfach sind, sondern – wie schon Rothe hervorhob (s. o.) – recht verschiedenartig, wird von Ebeling vielleicht deshalb nicht erwähnt, weil er primär an das Wort des Kerygmas141 denkt, das Paulus (1.Thess 2,13) 137

Ebd. 257. R. Rothe: Zur Dogmatik, Gotha 1863, 166; vgl. die Ausführungen ebd. 157–161 zu den unterschiedlichen biblischen Vorstellungen vom Worte Gottes. 139 Ebeling a. a. O. I, 257 f. 140 A. a. O. 260. 141 Das ist die Auffassung vom Gotteswort, die in Ebelings früheren Arbeiten zu diesem Thema im Vordergrund stand, so in „Wort Gottes und Hermeneutik“ (1959), in: Wort und Glaube 1, 1960, 319–348, bes. 326 ff., 342 ff., sowie: Theologie und Verkündigung, Tübingen 138

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als Wort Gottes bezeichnen konnte und dem der Apostel an anderer Stelle (2.Kor l,19 f.) in der Tat eine ähnliche Eindeutigkeit zuschrieb wie Ebeling sie behauptet. Doch mangels ausdrücklicher Äußerungen dazu bei Ebeling müssen das Vermutungen bleiben. Daß der Begriff des Wortes Gottes zur Präzisierung des Offenbarungsbe­ griffs diene, kann Ebeling nur deshalb behaupten, weil er mit dem breiten Spektrum biblischer Vorstellungen vom Gotteswort selektiv umgeht, wobei das reformatorische Verständnis vom Wort des Evangeliums als Zuspruch der leitende Gesichtspunkt zu sein scheint. Ob sich die biblischen Offenba­ rungsvorstellungen diesem Wortverständnis fügen, wird nicht weiter unter­ sucht, sondern deren summarische Darstellung wird von vornherein darauf­ hin stilisiert. Wird aber nicht damit entgegen der von Ebeling aufgestellten Forderung der Begriff des Wortes Gottes doch gegen den Offenbarungsbe­ griff ausgespielt, indem er diesen verdrängt und usurpiert? Dieser Eindruck könnte nur vermieden werden, wenn sich zeigen ließe, daß der Begriff des Wortes Gottes das in den Offenbarungsvorstellungen Intendierte in sich in­ tegriert, bzw. wenn der Begriff des Wortes Gottes so differenziert gedacht würde, daß er diese Integrationsfunktion erfüllen könnte. Das müßte wohl der Fall sein, wenn die ihm von Ebeling zugewiesene Funktion einer Präzi­ sierung nicht als Reduktion verstanden werden soll. Darüber hinaus wäre zu zeigen, ob der so verwendete Begriff des Wortes Gottes dann auch der bibli­ schen Verwendung dieses Ausdrucks entspricht. Die verbreitete Unterschätzung der hier bestehenden Probleme dürfte da­ mit Zusammenhängen, daß die Vorstellung des Wortes Gottes aus ver­ schiedenen Gründen für das christliche Bewußtsein, besonders im Prote­ stantismus, ein hohes Maß an Plausibilität und Selbstverständlichkeit be­ sitzt. Diese vortheologische Plausibilität kann sich stützen 1. auf die große Bedeutung, die der Begriff Wort Gottes in den biblischen Schriften zweifellos hat, wenn auch die damit verbundenen Vorstellungen bei genauerer Betrachtung verschieden sind und „Wort Gottes“ in der Bibel nirgends unmittelbar die Bedeutung einer Selbsterschließung oder Selbstof­ fenbarung Gottes hat, auch nicht in Hebr 1,1 ff., 2. auf die reformatorische Auffassung vom Glauben, der am Wort hängt, nämlich an dem als Verheißungszuspruch verstandenen Wort des Evange­ liums. Zwar waren die Reformatoren weniger an einer Offenbarungsfunk­ tion des Evangeliums interessiert als am Zuspruch der Sündenvergebung, aber immerhin hat Luther das Evangelium, bzw. dessen Gegenstand, Chri­ 1962, 73 f. Siehe auch R. Bultmann: Der Begriff des Wortes Gottes im Neuen Testament, in: Glauben und Verstehen 1, 1934, 268–293, bes. 279 f. Die auch von Bultmann betonte christolo­ gische Bestimmtheit der Anrede des Kerygmas (286) ist von Ebeling in „Theologie und Verkün­ digung“ 74 ff. im Sinne der Begründung auf Jesus präzisiert worden, und von daher wird auch die Aufnahme der Lehre Barths von der dreifachen bzw. ihr Ausbau zur Lehre einer vierfachen Gestalt des Wortes Gottes in Ebelings Dogmatik (I,258 f.) verständlich.

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stus, dem deus revelatus (WA 18,685) im Unterschied zum deus absconditus zugeordnet; 3. auf das Ansehen der Bibel als „Wort Gottes“, wobei die altprotestanti­ sche Inspirationslehre im Hintergrund steht, die aber in der heutigen Wort­ theologie durchweg revidiert und modifiziert worden ist; auf die Anschaulichkeit personaler Kommunikation, die das moderne per­ sonalistische Denken mit der Vorstellung vom redenden Gott verbindet, der durch sein Wort sich selbst mitteilt142. Umgekehrt besteht das stärkste Argument für die Auffassung der Selbstoffenbarung Gottes als Wort Gottes in dem von Eberhard Jüngel im­ mer wieder mit Recht betonten Sachverhalt, daß Gotteserkenntnis nur mög­ lich ist, wenn Gott sich von sich aus zu erkennen gibt. Es liegt dann nahe, daß das in der Weise des Wortes und der Rede geschieht: Wie sollte der un­ sichtbare, geistige Gott sonst mit uns Menschen kommunizieren143? Wenn aber solche Mitteilung nicht anthropomorph gedacht werden soll, also ohne sprachliches Verlauten vorgestellt werden muß, nach Art telepathischer Kommunikation, ist dann die Bezeichnung „Wort“ noch angemessen? Wenn außerdem der biblische Begriff des Wortes Gottes gar nicht die Funk­ tion unmittelbarer Selbstoffenbarung hat, so würde die Vorstellung des re­ dend sich selbst mitteilenden Gottes eine Scheinkonkretheit erzeugen, die den tatsächlichen Sachverhalt eher verdeckt. Einem unvermittelten, gleichsam naiven Geltendmachen der Vorstellung göttlicher Selbstoffenbarung als Wort Gottes stehen eine Reihe von gewich­ tigen Bedenken entgegen. Dazu gehört der mythologisch-magische Ursprung der Vorstellung vom machtvoll wirkenden Gotteswort, insbesondere auch vom göttlichen Wort als Ur­ sprung des Kosmos, der gesellschaftlichen Ordnung oder kultischer Institu­ tionen144. Da die Bedingungen für ein magisches Wortverständnis heute ge­ nerell nicht mehr gegeben sind, muß sich eine heutige Worttheologie von der in manchen biblischen Texten noch wirksamen magischen Auffassung des Gotteswortes absetzen. 1. Die argumentierende Berufung auf das Wort Gottes ist historisch bela­ stet durch die Erinnerung an das Autoritätsmodell theologischer Argu­ mentation, das durch die Entwicklung der historisch-kritischen Schriftfor­ schung zerstört worden ist. Es läßt sich kaum bezweifeln, daß auch die 142

So auch Ebeling Dogmatik 1,260. So B. Mitchell und W.J. Abraham (s. o. bei Anm. 112 ff.). 144 Siehe dazu L. Dürr: Die Wertung des göttlichen Wortes im Alten Testament und im anti­ ken Orient, 1938. Gerade besonders eindrucksvolle alttestamentliche Formulierungen des machtvollen Wirkens des Gotteswortes wie Ps 33,9 (er sprach und es geschah; er gebot und es stand da) oder die Vorstellung von der Schöpfung durch das Wort (vgl. ANET 5,55 n. 6) stehen magischen Auffassungen von einer unmittelbar materielle Wirkungen hervorbringenden Macht des Wortes besonders nah. 143

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Erneuerung einer Lehre vom Wort Gottes als Prinzip der Theologie im 20. Jahrhundert mit einer Hinneigung zu neuen Formen der Autoritätsbin­ dung in den Diskussionen der zwanziger Jahre in Verbindung steht. Die Hinnahme derartiger Autoritätsansprüche fällt aber unter den Bedingungen der Moderne unvermeidlich auf einen Glaubenssubjektivismus zurück. Es hat daher etwas Gewaltsames, wenn in der Theologie „mit der Zumutung begonnen“ werden soll, die im Begriff des Wortes Gottes bzw. in der Auf­ forderung liegt, „Gott als einen Redenden ernst zu nehmen“145. Vielmehr sind gerade die Vorstellungen vom Worte und von einem redenden Gott in hohem Maße interpretationsbedürftig. Sie unvermittelt geltend zu machen mit dem dabei doch wohl unumgänglichen Anspruch auf höchste Autorität des so Mitgeteilten, muß außerhalb des schon eingespielten Verständigungs­ zusammenhangs kirchlichen Redens als autoritäre Zumutung aufgefaßt wer­ den, deren Subjekt aber durchaus der sich einer solchen Sprache bedienende Mensch ist. Andererseits sind derartige Zumutungen unter den Bedingungen der Moderne zum Glück eo ipso unverbindlich. 2. Die Pluralität der biblischen Vorstellungen vom Worte Gottes als pro­ phetisches Wort, das ein göttliches Handeln ansagt, als Thora, die menschli­ ches Handeln gebietet, als unvermittelt schöpferisches Gotteswort, als Be­ zeichnung der christlichen Missionsbotschaft und schließlich als Logos, der in der Person Jesu erschienen ist, darf durch das theologische Reden vom Worte Gottes nicht übersprungen werden. 145 So E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 216. Allerdings schreibt Jün­ gel einige Seiten später (219), diese Zumutung sei „nicht unmittelbar“, sondern impliziere die „Voraussetzung, daß es so etwas wie Glaube gibt“ (219). Wenn Glaube also schon „Voraus­ setzung“ für das Geltendmachen der Zumutung des redenden Gottes ist, wie kann Jüngel dann fordern, daß mit dieser Zumutung zu beginnen ist und nicht vielmehr mit ihrer Voraussetzung, dem Glauben? Oder ist das Beginnen mit jener Zumutung nur Ausdruck des Glaubens? Wie aber ist die Voraussetzung des Glaubens ihrerseits begründet? Wenn diese Frage wieder nur an die Zumutung des redenden Gottes verwiesen würde, läge ein logischer Zirkel vor, da ja der Glaube als Voraussetzung jener Zumutung bezeichnet wurde. Daß letztlich der Glaube in „Gottes Wort“ seinen Seinsgrund hat, bestreite auch ich nicht, vorbehaltlich einer genaueren Erläuterung dieses Ausdrucks. Aber im Argumentationszusammenhang theologischer Begrün­ dung kann der Seinsgrund nicht auch schon Ausgangspunkt seiner Erkenntnis sein. Daß Seinsordnung und Erkenntnisordnung nicht immer zusammenfallen, ist seit Aristoteles geläu­ fig. Daß es sich auch in diesem Falle so verhält, läßt sich gerade an der von Jüngel gegebenen Il­ lustration seiner These zeigen, man könne doch „einen (guten) Bekannten nicht wie einen Un­ bekannten behandeln, nur weil man andere, denen er (noch) unbekannt ist, mit ihm bekannt machen will. Einen Bekannten hat man als den vorzustellen, als den man ihn kennt. Und dazu gehört zunächst einmal, daß er ein Bekannter ist“ (a. a. O. 217 Anm. 9). Bei diesem Beispiel ist „der Bekannte“ E. Jüngels zwar noch nicht als der, als der er vorgestellt werden wird (mit Na­ men, Beruf, Wohnsitz etc.), aber immerhin als ein Mensch unter andern auch für den, dem er vorgestellt werden soll, sinnlich gegenwärtig und jedenfalls unzweifelhaft existent. Gerade das aber ist beim theologischen Reden von Gott nicht von vornherein der Fall. Deshalb muß die Theologie einen sehr viel längeren Weg zurücklegen, bis sie dazu gelangt, Gott „als den vorzu­ stellen, als den man ihn kennt“.

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3. Ebenso muß sich jede Erneuerung einer Theologie des Wortes Gottes auseinandersetzen mit der Tatsache, daß die verschiedenen biblischen Vor­ stellungen vom Gotteswort nicht unmittelbar Gott selbst zum Inhalt haben. Die biblischen Vorstellungen vom Gotteswort teilen die Indirektheit der Be­ ziehung ihres Inhalts auf Gott selbst mit den anderen Offenba­ rungsvorstellungen, die in den biblischen Schriften begegnen: Das Gottes­ wort hat zwar Gott zum Autor, aber sein Inhalt ist nicht unmittelbar iden­ tisch mit Gott, außer in Joh 1,1, wo aber der Logos nicht schon unmittelbar die Offenbarungsfunktion hat, die erst mit seiner Fleischwerdung verbun­ den wird. Daß das biblische Gotteswort in aller Regel nicht unmittelbar Gott selbst zum Inhalt hat, muß bei der Inanspruchnahme der biblischen Vorstellungen vom Gotteswort für den Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes mitbedacht werden. Geschieht das, dann wird die Selbstoffenbarung Gottes als vermittelt durch sein Handeln gedacht werden müssen, weil das durchweg der Inhalt der biblischen Vorstellungen vom Gotteswort ist, sei es nun das Handeln der Schöpfung, sei es das im prophetischen Wort angekün­ digte Geschichtshandeln Gottes, sei es das Handeln Gottes in Jesus von Na­ zareth, auf das sich das urchristliche Kerygma zurückbezieht. Eine Ausnah­ me bildet hier nur das Wort des Gesetzes, welches auf menschliches Han­ deln zielt, das aber seinerseits wieder, vor allem durch seine Unangemessen­ heit zur Forderung des Gesetzes, in einen übergreifenden Zusammenhang göttlichen Handelns einbezogen bleibt. Gerade die Tatsache, daß die verschiedenartigen Offenbarungserlebnisse, die in den biblischen Schriften überliefert sind, mit Einschluß des pro­ phetischen Wortempfangs, aber auch der Gesetzesoffenbarung am Sinai, nicht unmittelbar Gott selbst zum Inhalt haben, diese auf den ersten Blick dem Verständnis von Offenbarung als Selbstoffenbarung Gottes so hin­ derliche Tatsache ermöglicht nun ein einheitliches Verständnis des Offen­ barungsgeschehens, das dennoch der Vielheit biblischer Offenbarungser­ lebnisse den ihnen gebührenden Raum läßt: Sie alle tragen dazu bei, daß Gott sich in seiner Gottheit zu erkennen gibt, insofern sie alle Faktoren sind in der Geschichte göttlichen Handelns, die dem prophetischen Er­ weiswort zufolge darauf abzielt, daß nicht nur Israel, sondern auch die Völ­ ker zur Erkenntnis der Gottheit Jahwes gelangen. Die These von der Indi­ rektheit der Selbstoffenbarung Gottes146 hat also die systematische Funkti­ on einer Integration der verschiedenartigen Offenbarungserlebnisse, von denen die biblischen Schriften Zeugnis geben. Würde direkte Selbstof­ fenbarung in dem Sinne, daß Gott gerade durch die Besonderheit einer be­ stimmten Mitteilung sich selbst unmittelbar zu erkennen gibt, in unter­ schiedlichen Formen, in Verbindung mit verschiedenen Empfängern und

146

Offenbarung als Geschichte, 5. Aufl. 1982, 91 (These 1).

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Ereignissen, berichtet, so würden solche Behauptungen unvermeidlich in Konkurrenz zueinander stehen: Das Selbst Gottes könnte entweder in der Besonderheit der einen Bekundung im Unterschied zur andern offenbar sein oder umgekehrt. Wenn es sich hingegen so verhält, daß die göttlichen Bekundungen zwar durchaus die Form direkter Mitteilung von Gott her haben, aber nur indirekt (insofern sie nämlich Gott zum Urheber haben) et­ was über Gott selbst, über sein Wesen und seine Gottheit erkennen lassen, dann können die verschiedenen Offenbarungsereignisse als Komponenten eines sie alle umfassenden Geschehens göttlicher Selbstoffenbarung verstanden werden, zu dem jedes von ihnen seinen spezifischen Beitrag lei­ stet. Damit wird insbesondere auch eine Konkurrenz zwischen alttesta­ mentlichem und neutestamentlichem Offenbarungszeugnis vermeidbar. Natürlich läßt sich nicht a priori ausmachen, daß es sich tatsächlich so ver­ hält. Anlaß zum Gedanken der Indirektheit der Selbstoffenbarung Gottes gibt aber der Befund in den biblischen Texten selbst, daß der unmittelbare Inhalt des Offenbarungsempfangs, wie auch Gerhard Ebeling feststellt, nicht Gott selbst ist, sondern es mit den Menschen und ihrer Welt zu tun hat. Aber gilt das wirklich ausnahmslos? Berichtet nicht das Alte Testament von Theo­ phanien und von der Mitteilung des Gottesnamens147, von dem das eigen­ tümliche Wesen Gottes nicht zu trennen ist? Während die Berichte von Got­ teserscheinungen vor den Vätern nicht mit dem Anspruch verbunden sind, daß in ihnen das Wesen Gottes kundgegeben würde, kommt die Mitteilung des Gottesnamens an Mose einem solchen Sachverhalt tatsächlich nahe. Doch gerade die Erzählung von Ex 3 wehrt die Zudringlichkeit der Frage nach dem Namen als Inbegriff des göttlichen Wesens ab, indem sie auf künf­ tige Erfahrungen der handelnden Gegenwart Gottes vorausweist148. Ent­ sprechend wird Ex 33,20 ff. Moses Begehren, die Herrlichkeit Gottes zu schauen, dahin beschieden, daß er ihr nachschauen darf, nachdem sie an ihm vorübergezogen ist. Nur durch die Indirektheit seiner Offenbarung wird das 147 H. G. Pöhlmann: Abriß der Dogmatik (1973), 3. Aufl. 1980, 53 hält der These von der In­ direktheit der Selbstoffenbarung Gottes den Hinweis auf Ex 3,14 f. entgegen, ohne weiteren Kommentar, also offenbar in der Meinung, daß der Sachverhalt direkter Selbstoffenbarung dar­ in evident sei. Auf die Ausführungen zu dieser Stelle in „Offenbarung als Geschichte“ (13) geht Pöhlmann indessen nicht ein. Auch R. Knierim ist in seinen Ausführungen zum Thema „Offen­ barung im Alten Testament“, obwohl er die Mitteilung des Gottesnamens als den entscheiden­ den Offenbarungsakt ansieht und damit der These von „Offenbarung als Geschichte“ entge­ gentritt, nicht auf die Ausführungen Rendtorffs zu Ex 3,14 und 6,7 eingegangen (Probleme bi­ blischer Theologie. Festschrift G. v. Rad, Hrsg. H. W. Wolff, München 1971, 206–235, bes. 221, vgl. 233). Daß „das Bekanntmachen des Namens“ der Erkenntnis Jahwes aus seinen Taten „vor­ angeht“, war zwischen Zimmerli und R. Rendtorff in ihrer Diskussion in der Ev. Theol. 22, 1962 gar nicht strittig, wohl aber die Relevanz dieses Sachverhalts für die Erkenntnis der Identi­ tät Jahwes in seiner Gottheit: Dafür verweist bereits Ex 6,7 auf künftige geschichtliche Erfah­ rung (vgl. Offenbarung als Geschichte 13), und ein solcher Verweis dürfte schon in Ex 3,14 f. impliziert sein. 148 S. o. bei Anm. 21 ff.

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Geheimnis der Erhabenheit Gottes in der Offenbarung seiner Gottheit ge­ wahrt. Mit der Indirektheit der Offenbarung hängt eng zusammen, daß es zur Erkenntnis Gottes erst im Nachhinein, im Rückblick auf sein Handeln in der Geschichte kommt, so wie Mose die Herrlichkeit Gottes erst schaut, nachdem sie an ihm vorübergezogen ist. Da die grundlegende Gotteser­ kenntnis Israels nicht auf einem vereinzelten Gotteshandeln beruht, son­ dern auf einer Reihe göttlicher Bekundungen von den Verheißungen an die Väter über das Exodusgeschehen bis zur Besitzergreifung vom Lande der Verheißung, kann die dadurch vermittelte Erkenntnis Gottes erst am Ende der seine Gottheit offenbarenden Ereignisreihe stehen149. Das schließt nicht aus, daß es vorwegnehmende Eröffnungen dieser Zukunft im Sinne mantischer Offenbarungserlebnisse schon in frühen Phasen ei­ ner solchen Ereignisreihe geben kann, wie es bei den Väterverheißungen der Fall ist. Aber die Gottheit des verheißenden Gottes wird erst durch das machtvolle Heraufführen des Verheißenen erwiesen, so sehr umge­ kehrt die Verheißung die Bedingung dafür ist, daß in der Erfüllung des Verheißenen das Handeln des verheißenden Gottes erkannt werden kann150. Das alttestamentliche Paradigma eines solchen Offenbarungsgeschehens ist das Exodusgeschehen, genauer gesagt die ganze Ereignisfolge von der Vätergeschichte bis zur Inbesitznahme Palästinas. Es ist diese Ereignisrei­ he, von der das Deuteronomium sagt, das alles sei geschehen, damit das Volk erkenne, „daß Jahwe allein Gott ist und keiner sonst“ (Dtn 4,35; vgl. 39 und 7,9). Es ist für das alte Israel das grundlegende Offenba­ rungsgeschehen, durch das Jahwe sich als sein Gott erwiesen hat. Auf diese Geschichte gründete sich der Anspruch Jahwes, daß ihm allein göttliche Verehrung dargebracht werde (Ex 20,2 f.), zumal ja der Besitz des Landes die bleibende Lebensgrundlage des Volkes war. Die mit der Landnahme in Palästina abgeschlossene Ursprungsgeschichte Israels ent­ spricht in ihrer Funktion für seine Lebensordnung „der stiftenden Urzeit

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Offenbarung als Geschichte, 95 (These 2). J. Moltmann hat mit Recht die grundlegende Bedeutung der biblischen Verheißungen für das in den biblischen Schriften bezeugte Offenbarungsgeschehen hervorgehoben (Theologie der Hoffnung, München 1964, 74 ff. u. ö.). Die grundlegende Relevanz der Verheißungen ändert jedoch nichts daran, daß erst die geschichtliche Erfüllung des Verheißenen die Verläßlichkeit der Verheißung und die Gottheit des verheißenden Gottes erweist, wobei auch die Modifikati­ on des Verheißungsinhalts durch die Erfahrungen der Geschichte mitzubedenken ist. Vorgän­ giger Glaube an die Verheißung setzt einerseits schon gemachte Erfahrungen mit dem verhei­ ßenden Gott voraus, beruht andererseits aber auf der darin begründeten Antizipation, daß die Verheißungen auch erfüllt werden. Die Verheißungen als solche können „Offenbarungen“ höchstens im Sinne mantischer Offenbarungserlebnisse heißen, deren Wahrheit noch dahin­ steht. 150

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in den Nachbarreligionen“151, also der weltgründenden Funktion des My­ thos für die auf die Vorstellung kosmischer Ordnung begründete Gesell­ schaftsordnung der alten Hochkulturen. Erst wenn man die dem Mythos vergleichbare Funktion der Heilsge­ schichte im alten Israel im Blick hat, ermißt man auch die volle Tragweite der prophetischen Anwendung der heilsgeschichtlichen Denkformen auf die weltpolitischen Umwälzungen der späten judäischen Königszeit und beson­ ders der Zeit des babylonischen Exils mit dem Aufstieg des Perserreiches. Nicht mehr nur die Geschichte Israels, die Völkerwelt wurde nun zum Gegenstand des Geschichtshandelns Jahwes. Nach Ezechiel (36,36) werden am Ende dieser noch unabgeschlossenen Geschichte auch die Völker die Gottheit Jahwes erkennen. „Die Geschichte wird also zum Gottesbeweis, freilich erst an ihrem Ende.“152 Dem entspricht, daß in der von den Exilspro­ pheten Ezechiel und Deuterojesaja erwarteten Vollendung der Geschichte der Gott Israels nicht nur als der einzige von Israel zu verehrende Gott, son­ dern als der einzige Gott überhaupt erwiesen wird. Die Gründungsge­ schichte Israels konnte Jahwe als den Gott dieses Volkes offenbaren, aber noch nicht als den einen Gott aller Völker. Die künftige Vollendung der Weltgeschichte, die der zweite Jesaja erwartete, wird die alleinige Gottheit des Gottes Israels erweisen153. In der Exilsprophetie erfolgte nicht nur eine Wendung von den vergangenen, mit Exodus und Landnahme Israels verbun­ denen Heilstaten Jahwes zur Zukunft eines neuen und endgültigen Heilsge­ schehens154, sondern in Verbindung damit auch eine Universalisierung des 151

K. Koch: Geschichte II, TRE 12,1984, 574. K. Koch: Die Profeten 2, Stuttgart 1980,110; vgl. schon Bd. 1,1978,157 ff. 153 Angesichts der erfüllten Weissagungen der Gerichtsprophetie Israels hielt Deuterojesaja eine solche Erkenntnis sogar schon in seiner Gegenwart für möglich: Koch 2,140, vgl. 127 ff. 154 In „Offenbarung als Geschichte“ schrieb R. Rendtorff 1961, der Selbsterweis Jahwes durch das Exodusgeschehen sei von der späteren Prophetie und in verwandten Aussagen der Psalmen „nicht mehr als alleinige und endgültige Selbsterschließung Jahwes verstanden“ (27) worden. Die endgültige Offenbarung seiner Gottheit sei seit der Exilszeit zu einer „eschatologi­ schen Größe“ geworden (ebd.). In seinem Beitrag: Offenbarung und Geschichte – Partikularis­ mus und Universalismus im Offenbarungsverständnis Israels (Offenbarung im jüdischen und christlichen Glaubensverständnis, hrsg. Jac. Petuchowski u. W. Strolz, Freiburg 1981, 37–49) heißt es dagegen, der grundlegende Selbsterweis Gottes sei am Anfang der Geschichte Israels, nämlich in Exodus und Landnahme, geschehen (47); neben Hos 13,4 und Dtn 4,34–39 (43) ver­ weist Rendtorff dafür auf Ps 76,2; 77,15 ff. (a. a. O. 41). Wenn er seine frühere Auffassung nun mit der Bemerkung charakterisiert, „daß wir damals das ganze Alte Testament eschatologisch interpretiert haben“ (44), so trifft das insofern nicht zu, als „Offenbarung als Geschichte“ durchaus die anfänglich normative Funktion der Gründungsgeschichte Israels im Blick hatte (91 f., 96), zugleich aber auch die Wendung zur Eschatologie beachtete, die in der Prophetie vollzogen wurde und in der Apokalyptik ihre Fortsetzung fand. Die Tragweite dieser Wendung wird heute von Rendtorff bagatellisiert. Zwar betont Deuterojesaja in der Tat, daß Gott sich „als der eine, als er selbst schon erwiesen hat“, und sich durch sein zukünftiges Handeln als der­ selbe offenbaren wird (a. a. O. 46); aber es heißt doch: „Gedenket nicht mehr der früheren Din­ ge, und das Vergangene achtet nicht. Siehe, nun schaffe ich Neues…“ (Jes 43,18). Im Jeremia­ 152

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Gottesverständnisses, der Durchbruch zum Monotheismus. Die propheti­ sche Wendung zur Eschatologie, und zwar zur eschatologischen Zukunft der Weltgeschichte, ist die Bedingung für den jüdischen Monotheismus im Un­ terschied zu bloßer Monolatrie. Sie ist die Voraussetzung noch des christli­ chen Monotheismus und damit auch der christlichen Missionsverkündigung, sowie der Entstehung einer Menschheitskirche aus Juden und Heiden. Die künftige Vollendung der Weltgeschichte durch das Kommen des Rei­ ches Gottes, das alle menschliche Herrschaftsordnung ablösen wird und mit dem Gericht über alle menschliche Ungerechtigkeit, zugleich mit einer Ver­ wandlung der gegenwärtigen Schöpfung und einer Auferstehung der Toten verbunden sein soll, wird auch die Gottheit Gottes, seine göttliche Herrlich­ keit, endgültig offenbar machen vor „allem Fleisch“155. Andererseits gibt es vorlaufende „Offenbarungen“ des noch in der Zukunft verborgenen Endge­ schehens in den Formen der intuitiven Mantik, besonders im prophetischen Wortempfang und im Gesicht des apokalyptischen Sehers: Wie alles in der Welt seinen Anfang hat im Wort und seine Vollendung findet in offenbarer Erscheinung (initium in verbo et consummatio in manifestatione), so auch die künftige Welt Gottes (4.Esra 9,5 f.). Mit solchen vorlaufenden Enthül­ lungen des endzeitlichen Geschehens hat Jesu Verkündigung der nahen Zu­ kunft der Gottesherrschaft die Form der Antizipation gemeinsam. Aber in Jesu Auftreten und Wirken geht es nicht nur um vorlaufende Enthüllung der Zukunft, sondern darum, daß der Kernbestand der jüdischen Zukunftser­ wartung, das Kommen der Gottesherrschaft, bereits selber zur gegenwarts­ bestimmenden Macht wird. Die genauere Erörterung dieses Sachverhalts wird Aufgabe der Christologie sein. Doch bereits hier läßt sich soviel sagen: Im Auftreten Jesu wird die Zukunft Gottes nicht nur im voraus enthüllt, sondern sie wird schon Ereignis, ohne daß sie damit aufhörte, Zukunft zu sein. In ihm bricht die Zukunft Gottes schon an. Dieser Struktur der Ver­ kündigung Jesu entspricht in eigenartiger Weise die christliche Oster­ botschaft, indem sie die Heilszukunft des Auferstehungslebens als an Jesus schon eingetreten und so in ihm auch für uns schon angebrochen verkündet. In diesem besonderen Sinne kann von der antizipatorischen Offenbarung der in der Zukunft des Reiches Gottes vor aller Augen offenbar werdenden Gottheit Gottes in Person und Geschichte Jesu gesprochen werden156. Diese Aussage geht über das neutestamentliche „Revelationsschema“157 insofern hinaus, als dort „nur“ von der Offenbarung des göttlichen Heilsplans in buch findet sich 16,14 f. sogar die ausdrückliche Voraussage, man werde in der künftigen Heils­ zeit nicht mehr sagen: „So wahr der Herr lebt, der Israel aus dem Lande Ägypten heraufgeführt hat“, sondern man werde den Namen des Herrn dann mit seinen neuen Heilstaten verbinden. 155 Jes 40,5; vgl. Ps 98,2 f. Dazu R. Rendtorff in: Offenbarung als Geschichte 29 ff., sowie 39 und 98 ff. (These 3). 156 Offenbarung als Geschichte 103 ff. (These 4). 157 S. o. Anm. 34 ff.

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Jesus Christus die Rede ist. Aber dabei handelt es sich um den Plan des auf das Heil der Menschheit zielenden Geschichtshandelns Gottes überhaupt, der durch seine eschatologische Verwirklichung offenbar werden soll: Diese eschatologische Vollendung, auf die der Geschichtsplan Gottes zielt, ist mit Jesus Christus schon angebrochen, insofern auch die eschatologische Offen­ barung der Gottheit Gottes, die Offenbarung seiner Herrlichkeit, deren endgültiges Inerscheinungtreten jüdische Hoffnung in Verbindung mit den Endereignissen erwartet. Insofern hat Ignatios von Antiochien Magn 8,2 das neutestamentliche Revelationsschema mit Recht in Richtung auf die expli­ zite Aussage der eschatologischen Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Chri­ stus weitergebildet, wie sie der Sache nach auch in der johanneischen Inkarnationsaussage vorliegt und in den mit dieser verbundenen Epipha­ nieaussagen der Patristik ihre Weiterbildung gefunden hat. Der Realismus der eschatologischen Zukunftserwartung ist die Basis des urchristlichen Offenbarungsverständnisses158, wie er auch schon Vorausset­ zung der Verkündigung Jesu vom Kommen der Gottesherrschaft und Be­ zugsrahmen der apostolischen Christusbotschaft gewesen ist. Im Rahmen ei­ nes neuzeitlichen Weltverständnisses stellt sich die Frage, ob diese urchristli­ che Enderwartung sich noch „übernehmen“ läßt, ob sie noch als wahr festge­ halten werden kann oder als zeitbedingt und vom Gang der Geschichte überholte Anschauung verabschiedet werden muß159. Eine Antwort darauf 158 Die eschatologische Erwartung ist das bleibende Ergebnis der Prophetie Israels für das Urchristentum gewesen und allgemeine Voraussetzung des urchristlichen Weissagungsbewei­ ses für das Erscheinen Jesu Christi. Wo der Horizont der eschatologischen Erwartung in der Geschichte des Christentums verblaßt, da verliert regelmäßig auch das Alte Testament seine grundlegende Bedeutung für den christlichen Glauben. Umgekehrt gewährleistet die Fortdauer des eschatologischen Bewußtseins im Christentum auch die bleibende Relevanz seiner jüdi­ schen Ursprünge und die Geltung des Alten Testaments in der christlichen Kirche (vgl. Offen­ barung als Geschichte 107 f., These 5). Es trifft nicht zu, daß das Offenbarungsverständnis von „Offenbarung als Geschichte“ eine sog. Substitutionstheorie vertrete, derzufolge Gott „nur in­ sofern der Gott Israels ist, als die christliche Kirche an die Stelle Israels getreten ist“ (so R. Ren­ dtorff in dem Anm. 154 zitierten Beitrag von 1981,39). Vielmehr bleibt mit der Prophetie Israels und der aus ihr hervorgegangenen eschatologischen Erwartung die Glaubensgeschichte Israels insgesamt unverzichtbare Basis für das Christusbekenntnis und für das christliche Gottesver­ ständnis, wenngleich sie nun aus der Perspektive der Eschatologie und der in Jesus Christus vorweg Ereignis gewordenen eschatologischen Offenbarung gelesen wird. 159 Diese Frage ist mir von I. Berten (Geschichte, Offenbarung, Glaube, Paris 1969, dt. München 1970, 77 ff., 98 ff.) gestellt und von P. Eicher (Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theologie, München 1977, 460 ff.) wiederholt worden. Dazu ist zu sagen, daß es sich hier um eine Frage nicht nur an die Theologie dieses oder jenes Theologen handelt, sondern um eine Frage, die das biblische Offenbarungszeugnis selbst auf seine Wahrheit befragt. Ohne Eschato­ logie, genauer: ohne endgeschichtliche Eschatologie gäbe es auch keine Christologie, und läßt man die eschatologischen Voraussetzungen der Entstehung der urchristlichen Christologie nachträglich weg, dann werden die christologischen und trinitarischen Lehraussagen der Kirche zu nicht mehr ausweisbaren Behauptungen, die nur noch auf formale Autorität hin angenom­ men werden können. Andererseits muß freilich das aus der jüdischen Prophetie hervorgegange­ ne eschatologische Bewußtsein auf seine Allgemeingültigkeit auch im Horizont späterer Erfah­

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muß im Zusammenhang der dogmatischen Entfaltung und Bewährung des christlichen Offenbarungsverständnisses gegeben oder jedenfalls gesucht werden. Sie wird vor allem Sache der Eschatologie sein. Aber Grundlagen für eine Beantwortung dieser Fragen werden schon in der Lehre von der Welt als Schöpfung Gottes gewonnen werden müssen. Es handelt sich um eines der zentralen Themen gegenwärtiger Bewährung des christlichen Gottesver­ ständnisses, aber es kann kein Zweifel daran sein, daß die Eigenart des Chri­ stentums, seines Offenbarungs- und Gottesverständnisses ebenso wie seiner Christologie, nicht zu trennen ist von einer auf die Zukunft der Welt im gan­ zen bezogenen Eschatologie, wie immer sie im einzelnen ausgelegt werden mag. Seit den exegetischen Entdeckungen von Johannes Weiß dürfte ein be­ gründeter Zweifel daran nicht mehr möglich sein, nachdem Bultmanns Ver­ such einer Entzeitlichung der urchristlichen Eschatologie sich den neutesta­ mentlichen Texten gegenüber als unangemessen erwiesen hat. Auch in anderen Punkten, z. B. im Hinblick auf die Beurteilung der christ­ lichen Osterbotschaft, können die mit dem christlichen Offenbarungs­ verständnis verbundenen Wahrheitsfragen erst im Gang der dogmatischen Explikation seines Inhalts behandelt werden. Dagegen gehört die Frage nach der Form der Offenbarungserkenntnis noch zum Offenbarungsbegriff sel­ ber, und hier ist nun nochmals auf das Verhältnis von Offenbarung und Wort Gottes zurückzukommen. Zu den am stärksten umstrittenen Thesen von „Offenbarung als Geschich­ te“ gehörte zweifellos die Behauptung, die Offenbarung Gottes aus den von ihm bewirkten Geschichtstatsachen stehe „jedem, der Augen hat zu sehen, offen“ und bedürfe keiner zusätzlichen inspirierten Deutung160. Diese These richtete sich gegen die von Richard Rothe formulierte Auffassung, wonach die Manifestation Gottes durch Geschichtstatsachen einer ergänzend hinzu­ tretenden inspirierten Deutung bedürfe, die allererst dazu befähige, die Ge­ schichtstatsachen als Ausdruck göttlichen Handelns und so auch als Erweis der Gottheit Gottes zu verstehen. Die Aporie dieser Sicht, die durch das Po­ stulat einer zur Manifestation Gottes äußerlich hinzutretenden inspirierten Deutung der Manifestation die Funktion, Gott zu offenbaren, wieder nimmt, wurde in „Offenbarung als Geschichte“ vermieden durch die Reflexion auf das Ganze der Geschichte von ihrem Ende her, das in Jesus Christus be­ reits vorweg Ereignis geworden ist. Erst für die Ereignisse der eschatologi­ rung befragt werden: Das ergibt sich aus der für das Christentum konstitutiven Verbindung von jüdischem Ursprung und hellenistischem Logos, einer Verbindung, die ihrerseits noch ein­ mal im Bewußtsein der Gegenwart der eschatologischen Heilszukunft in Jesus Christus wur­ zelt. Vgl. Offenbarung als Geschichte 109 ff., wo allerdings das Eingehen des Evangeliums in die geistige Welt des Hellenismus zu einseitig mit dem Stich wort „Gnosis“ verbunden worden ist. Siehe ferner A. J. Friedlander und W. Pannenberg: Der christliche Glaube und seine jüdisch­ christliche Herkunft, EKD-Texte 15, Hannover 1986,13 ff., bes. 17 ff. 160 Offenbarung als Geschichte 98 ff.

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schen Heilszukunft wird ja auch in der späteren Prophetie jene Evidenz in Anspruch genommen, die durch diese Ereignisse die Gottheit Gottes „vor al­ lem Fleisch“ offenbar werden läßt. Wenn dieses Endgeschehen in Person und Geschick Jesu Christi bereits im voraus gegenwärtig geworden ist, dann muß auch dem Christusgeschehen schon jene eschatologische Evidenz eignen. Die Ausführungen des Apostels Paulus in 2.Kor 4,2 scheinen das zu bestätigen161. Das Wort der apostolischen Verkündigung, von dem dort die Rede ist, tritt nicht ergänzend zu einem von sich aus stummen und glanzlosen Geschehen hinzu, verleiht nicht erst dem Heilsgeschehen seinen Glanz, sondern verbrei­ tet den Glanz, der von der Herrlichkeit Christi selber ausgeht, und vermittelt darum auch den lebenschaffenden Geist Gottes, von dem das Geschehen der Auferweckung des Gekreuzigten erfüllt ist, das den Inhalt des apostolischen Kerygmas bildet. Eine umfassendere Begründung dieser Auffassung wird in der Pneumatologie gegeben werden. Sie hat ihre Pointe darin, daß das Wort der apostolischen Botschaft von seinem Inhalt her geisterfüllt ist und darum auch den Geist mitzuteilen vermag. Die These von der Erkennbarkeit der eschatologischen Offenbarung ohne besondere zusätzliche Inspiration richtet sich weder gegen die Funktion des Wortes, des apostolischen Kerygmas, für den Glauben an das Heilsgesche­ hen in Person und Geschick Jesu Christi, noch gegen die Zusammengehörig­ keit von Wort und Geist. Im Gegenteil, sie setzt die Zugehörigkeit des Gei­ stes zu diesem Wort, und zwar wegen seines Inhalts, voraus162. Sie wendet sich nur gegen Auffassungen, die den Geist ergänzend und gleichsam äußer­ lich zum Inhalt des Wortes hinzutreten lassen, so als ob das apostolische Ke­ rygma nicht schon selber von seinem Inhalt her geisterfüllt wäre. Die escha­ tologische Offenbarung Gottes bedarf als Manifestation keiner äußerlich hinzutretenden Inspiration als Deutungsprinzip, weil die Wirklichkeit des Auferstandenen selber den Geist ausstrahlt, der ihn als die Erfüllung der Verheißungen Gottes erkennen läßt. Allerdings ist die eschatologische Of­ fenbarung Gottes in Person und Geschick Jesu Christi vorerst nur prolep­ tisch gegenwärtig, und das impliziert mit dem „Noch nicht“ der christlichen Existenz auch eine Gebrochenheit der Offenbarungserkenntnis im Kontext 161 A. a. O. 99 f. Für die alttestamentliche Offenbarungsgeschichte gilt Entsprechendes erst im Lichte ihrer „Erfüllung“ in Jesus Christus oder aber unter Voraussetzung des Glaubens an den Gott Israels (dessen Gottheit ja der Gegenstand seiner in der Geschichte Jesu Christi pro­ leptisch ereigneten eschatologischen Offenbarung ist). Dieser doppelseitige Begründungs­ zusammenhang ist in „Offenbarung als Geschichte“ 100 nicht, wie es nötig gewesen wäre, ent­ faltet worden, steckt allerdings in dem Hinweis, daß die Gott offenbarenden Ereignisse ihre Be­ deutung, vermöge derer sie durch „die Sprache der Tatsachen“ für die Gottheit Gottes Zeugnis geben, „natürlich nicht als bruta facta, sondern in ihrem überlieferungsgeschichtlichen Kon­ text“ haben. 162 Dieses Thema ist in Offenbarung als Geschichte 100 berührt worden („das Evangelium, das seinerseits dem Geistbereich zugehört“), aber offenbar zu knapp, um den vielen Mißver­ ständnissen vorzubeugen, die in der Diskussion zu dieser These hervorgetreten sind.

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noch fortdauernder Strittigkeit und der auch die Glaubenden selber immer wieder anfechtenden Macht des Zweifels. Diesem Aspekt hat die dritte These von „Offenbarung als Geschichte“ nicht ausreichend Rechnung getragen163. In der Situation des Streites um Faktizität und Bedeutung der Daten der Ge­ schichte Jesu nämlich gewinnt die Funktion des Wortes der apostolischen Verkündigung für die den Glauben begründende Erkenntnis stärkeres Profil als es die Ausführungen dort und zur siebten These erkennen lassen. Die Funktion des durch Gott autorisierten Wortes im Zusammenhang des Offenbarungsgeschehens ist in „Offenbarung als Geschichte“ als eine dreifache beschrieben worden, nämlich „als Vorhersage, als Weisung und als Bericht“164. Diese These versucht gegenüber der damals vorherrschenden, undifferenzierten Verwendung des Begriffs „Wort Gottes“, so als ob es sich dabei um einen von vornherein einheitlichen Sachverhalt handelte, den wichtigsten Verschiedenheiten in den biblischen Vorstellungen vom Worte Gottes Rechnung zu tragen, soweit sie einen Bezug auf das Offenbarungs­ thema haben, daher mit Ausnahme der Vorstellung vom unvermittelt wirk­ samen, schöpferischen Gotteswort und des johanneischen Logosbegriffs, der nicht schon als solcher, sondern erst durch das Ereignis der Fleischwer­ dung die Funktion der Offenbarung hat. In der Diskussion ist die These, daß der prophetische Dabar wesentlich durch seinen Bezug auf vorausgesagte Ereignisse gekennzeichnet ist und in seiner Qualität als Gotteswort von deren Eintreffen abhängt165, trotz man­ cher Kritik nicht widerlegt worden. Auch die Wahrheit der den Vätern gegebenen Verheißungen entscheidet sich erst an ihrer Erfüllung, nicht unabhängig von ihr. Wenn Abraham der Verheißung glaubte, so deshalb, weil er Gott glaubte (Gen 15,6), der ihm mit der Verheißung auch ihre Erfül­ lung verbürgte. So ist auch die Autorität der alttestamentlichen Weissa­ 163 Das gilt trotz der Andeutung ebd. 102 zum Verhältnis von Glaube und Zweifel und der Bemerkungen 105 f. zu der aus der proleptischen Struktur der Christusoffenbarung folgenden „Vorläufigkeit aller christlichen Lebensformen“ (106). 164 A. a. O. 112 (These 7). 165 Dtn 18,21 f., vgl. Jer 28,9. G. Klein (Theologie des Wortes Gottes und die Hypothese der Universalgeschichte, München 1964) hat in seiner Polemik gegen die „hermeneutische Totalausrichtung auf das Eintreffen des Angekündigten“ (14) als „Abwertung des alttestament­ lichen Wortes“ (13) solche Aussagen des Alten Testaments selbst über das prophetische Wort unberücksichtigt gelassen (vgl. 14 f.). Zum Begriff des prophetischen Dabar vgl. bes. K. Koch: Die Profeten I, Stuttgart 1970,164 f. Daß der prophetische Dabar nirgendwo die Funktion nachträglicher Deutung eines Geschehens hat, betont Koch 166 ähnlich wie schon R. Rendtorff: Geschichte und Wort im Alten Testament, Ev. Theol. 22, 1962, 621–649, bes. 631 und 638; zur Problematik bei der Anwendung des Erfüllungskriteriums ebd. 643 ff. Daß sich mit der grundlegenden Funktion des prophetischen Wortes als Voraussage oder Hervorsage (Koch) künftigen Geschehens auch andere, zusätzliche Funktionen verbinden, wie Mahn- oder Schel­ trede, Trostwort, Aufforderung zur Umkehr (H. W. Wolff), wird damit nicht bestritten. Nur sind diese Anschlußfunktionen immer schon abhängig vom Glauben an die geschichtswirkende Kraft des Wortes.

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gungen insgesamt für die christliche Kirche mit Recht aus ihrer Erfüllung in Jesus Christus begründet worden166. Das Christentum ist die Religion der erfüllten Verheißung, die gerade als solche dem Glaubenden wiederum zur Verheißung wird. Die Vorstellung vom göttlichen Wort als Lebensweisung, Gebot oder Ge­ setz ist in Verbindung mit den Thesen von „Offenbarung als Geschichte“ kaum diskutiert worden. Dagegen mußte die Kennzeichnung vor allem des neutestamentlichen Gotteswortes, des Evangeliums, als „Bericht“ den Ver­ fechtern der Worttheologie, besonders in ihrer Bultmannschen Prägung, als unangemessen erscheinen167. In der Tat richtet sich diese Kennzeichnung des neutestamentlichen Evangeliums besonders gegen ein Verständnis des Kerygmas als Entscheidungsruf, bei dem von Grund und Inhalt des apostolischen Evangeliums weitgehend abgesehen werden konnte168. Dage­ gen schließt der Begriff des Berichts weder das subjektive Engagement des Berichtenden für die von ihm berichtete Sache aus, noch die vom berichteten Inhalt selbst ausgehende Nötigung zur berichtenden Weitergabe und zur Erwartung, daß diese das Interesse der Empfänger beanspruchen kann. Al­ lerdings sind diese Momente im Zusammenhang der These sieben von „Of­ fenbarung als Geschichte“ nicht besonders spezifiziert worden. Das Inter­ esse der These konzentrierte sich ganz auf den Primat des Wortinhalts für das Verständnis des biblischen Gotteswortes. Wie aber ist die vom Inhalt der apostolischen Verkündigung ausgehende Nötigung zu seiner Vermittlung in der Form des Wortes genauer zu verste­ hen, und wie ist die apostolische Botschaft in ihrer sprachlichen Gestalt 166 S. o. bei Anm. 35 f. zu Origenes’ Auslegung von Röm 16,25–27. Wenn man mit A. H. J. Gunneweg (Vom Verstehen des Alten Testaments. Eine Hermeneutik, Göttingen 1977, 176 und 196 ff.) den neutestamentlichen Weissagungsbeweis einfach für „unmöglich“ erklärt und die Bedeutung des Alten Testaments für die frühe Kirche darauf reduziert, daß es „die Sprache und mit der Sprache die sprachlich geformten Inhalte liefert, mit deren Hilfe das Christuszeug­ nis nunmehr formuliert wird“ (197), dann gibt man damit den für das frühe Christentum grundlegenden Rechtsanspruch zu solchem Umgang mit dem Alten Testament auf. Gerade wenn heutige Theologie die Differenz zwischen dem historischen Sinn alttestamentlicher Wor­ te und ihrer urchristlichen Inanspruchnahme schärfer erkennt als das früher möglich war, be­ darf die Frage nach dem Recht solcher Inanspruchnahme einer Antwort. Der bloß „sprachliche Zusammenhang“ (197) stellt noch keine Antwort auf die Wahrheitsfrage dar. 167 So fand G. Klein eine „Abwertung des neutestamentlichen Wortes“ in dem „Degrada­ tionsprozeß …, der kerygmatisches Reden zum ‚Reden von…‘ (v. m. gesp.) herabmindert und damit zu jenem ‚bloßen‘ Wort entstellt, das als formalisierter Informationsträger den Abstand zwischen der Offenbarung und dem ihr bestimmten Glauben allererst schafft, den es alsdann mit schier hoffnungslosen Erfolgschancen zu überbrücken trachten muß“ (a. a. O. 19). Für ein ihm als angemessen erscheinendes Verständnis verwies Klein (a. a. O. Anm. 17) auf R. Bult­ mann: Glauben und Verstehen 1, 279 ff., wo das Wort Gottes als „reine Anrede“ ohne Legitima­ tion (284, vgl. 282) gekennzeichnet wird, eine Anrede, die mit der Mitteilung ineinsfällt (292). Ähnlich Glauben und Verstehen 3,19 ff., bes. 30 f. 168 Das ist richtig gesehen worden von H. Th. Goebel: Wort Gottes als Auftrag, Neukirchen 1972, 201.

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durch diesen Inhalt geprägt? Die Beantwortung beider Fragen ist im einzel­ nen erst im Anschluß an Christologie und Versöhnungslehre möglich. Doch das Grundsätzliche zur Funktion des Wortes als „Bericht“ für die Vermitt­ lung des Inhalts der Offenbarung bedarf schon hier einer genaueren Erörte­ rung. Einen wichtigen Ansatzpunkt zur Klärung dieser Frage hat Gerhard Ebe­ ling in seinen Bemühungen um eine Erhellung des Begriffs „Wort Gottes“ vom Wesen von Sprache und Wort her gewonnen169. Nach Ebeling ist das Wort durch die Fähigkeit ausgezeichnet, das Verborgene anwesend sein zu lassen (50 f.), und zwar insbesondere das Vergangene und das Zukünftige (39 f.). Indem es so „das Nichtvorhandene gegenwärtig“ sein lasse, befreie es den Menschen von der Bindung an das Vorhandene (60). Auf diese „Tiefen­ dimension“ der Sprache weist nach Ebeling das Wort „Gott“ hin (58). Ebeling hat hier Beobachtungen zum Wesen der Sprache formuliert, die auch für die Frage nach der Funktion der Sprache in der Vermittlung des In­ halts der Offenbarung, der Gegenwart Gottes in Person und Geschick Jesu, bedeutsam sind. Zur vollen Durchsichtigkeit der Ausführungen Ebelings in „Gott und Wort“ ist allerdings ein Gedanke hinzuzunehmen, den Ebeling in diesem Zusammenhang nicht besonders hervorgehoben, wohl aber an ande­ rer Stelle dargelegt hat170: daß es nämlich beim Reden von Gott immer um das Ganze der Welt wie auch des eigenen Daseins gehe. Dieser Sachverhalt bildet den Horizont für das Gegenwärtigwerden des Vergangenen wie auch des Künftigen in der Sprache und macht erst verständlich, daß es darin zu­ gleich um Gott geht, von dem sowohl die Welt als auch das menschliche Da­ sein in ihrer Ganzheit abhängen und von dem her sie sich in ihrer Ganzheit empfangen. Vergangenes wie auch Künftiges werden durch das benennende Wort anwesend, indem das Wort sie zumindest implizit in Beziehung setzt zum Ganzen des menschlichen Lebens und seiner Welt durch die konnotati­ ven Bezüge, die das gesprochene Wort mit sich bringt171. Das benennende Wort – und entschiedener noch der Satz, der als Behaup­ tung Wahrheit beansprucht und damit die Kohärenz alles Wahren impliziert – kommt immer schon aus einem Vorgriff auf das in der Realität noch un­ vollendete Ganze der Wirklichkeit, und das gesprochene Wort als Ereignis (nicht als Handlung, also nicht als Sprechakt) impliziert darum auch 169 Vgl. zum folgenden bes. G. Ebeling: Gott und Wort, 1966 (= Wort und Glaube 2, Tübin­ gen 1969, 396–432), im Text zitiert mit Seitenzahlen der Erstpublikation. In einer früheren Ge­ stalt seiner Erwägungen (Wort Gottes und Hermeneutik, 1959, Wort und Glaube 1, Tübingen 1960, 319–348) war Ebeling noch von einer Entgegensetzung des personal gedachten Charak­ ters des „Wortgeschehens“ als „Mitteilung“ zu seinem Sinngehalt als „Aussage“ ausgegangen (342). Vgl. dazu meine Kritik in: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 381. 170 G. Ebeling: Theologische Erwägungen über das Gewissen, in: Wort und Glaube 1, 1960, 429–446, bes. 434 f. 171 Siehe dazu: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 362 ff.

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immer schon irgendwie Gott als Grund dieses Ganzen, wenn es zutrifft, daß das Ganze der Welt und die Ganzheit des menschlichen Daseins ihren Grund in Gott haben172. Indem das Wort die Bedeutung der Dinge nennt, die es benennt, wird der verborgene Sinnzusammenhang, der die Dinge und Ereignisse miteinander verknüpft, durch das Wort ausdrücklich artikuliert. Solche ausdrückliche Artikulation kann treffend sein, sie kann aber auch den Sinnzusammenhang verfehlen, der Tatsachen, Ereignisse und Dinge untereinander verbindet. Wörter haben ihre Funktion in Sätzen, und diese können als Behauptungen entweder wahr oder falsch sein. Doch jedenfalls werden die Identität und Bedeutung von Dingen, Tatsachen und Ereignissen, sowie ihr Sinn im Zu­ sammenhang von Geschehen und Geschichte nur durch Sprache explizit ar­ tikuliert. Die zeitliche Struktur der Vergegenwärtigung des Verborgenen in der Sprache durch Ausgriff über das Vorhandene hinaus auf das Sinnganze, auf das die Wortbedeutungen verweisen, ist wegen der Zeitlichkeit der Wirklich­ keit und ihrer Erfahrung als Antizipation eines erst von der Zukunft her sich vollendenden Ganzen der Wahrheit zu verstehen. Von daher ist verständlich, daß die Vermittlung durch Wort und Sprache Wesensmoment der Antizipa­ tion der Zukunft Gottes im Auftreten Jesu war, und daß auch der Offenba­ rungssinn seiner Person und seines Geschicks des Wortes als Medium seiner Artikulation bedarf. Die antizipatorische Form der Sprache entspricht im Falle des apostolischen Evangeliums der Eigenart seines Inhalts. Im „Be­ richt“ von der Geschichte Jesu Christi ist darum dieses Geschehen nicht nur präsent wegen der Form der Rede, wie bei jedem Bericht vom Vergangenen, sondern der Bericht von der Geschichte Jesu Christi läßt sie dem Hörer zum gegenwärtigen Ereignis werden, weil er das Inerscheinungtreten der Zukunft Gottes in dem hier berichteten Geschehen zum Inhalt hat. Ebelings theologische Analyse des Wesens von Sprache und Wort erweist sich als hilfreich zur Erläuterung dessen, was im Falle des apostolischen Evangeliums „Bericht“ heißen kann, über das in „Offenbarung als Geschich­ te“ zur These sieben Ausgeführte hinaus. Allerdings ist der biblische Begriff des Gotteswortes in seinen verschiedenen Schattierungen mit alledem noch nicht erreicht. Es ist zunächst nur ein theologisch vertieftes Verständnis menschlicher Sprache gewonnen. Wenn jedoch das Wort menschlicher Spra­ che in der angedeuteten Weise auf Wirklichkeit im ganzen, nämlich auf den Sinnzusammenhang alles Wirklichen, auf den Kohärenzrahmen seiner Wahr­ heit bezogen ist und so auch auf Gott bezogen ist, dann ist verständlich, daß zumal das treffende Wort in vielen Kulturen als göttlich inspiriert gelten 172 Die Tatsache der Sprache kann nicht Basis eines Gottesbeweises sein. So sind wohl auch Ebelings Ausführungen nicht zu verstehen. Vielmehr gilt unter der Voraussetzung, daß im Hin­ blick auf das Ganze der Welt und des menschlichen Daseins von Gott zu reden ist, daß dieser Bezug sich dann auch im Ereignis des Sprechens und also im Wesen des Wortes bekundet.

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konnte. Wenn so das treffende menschliche Wort, indem es die „Bedeutung“ der Dinge und Ereignisse richtig nennt, sie also in ihre Wahrheit bringt, als in­ spiriert gelten kann, dann kommt in solchem menschlichen Wort Gott als Ur­ sprung der Wirklichkeit im ganzen zu Worte. Das menschliche Wort gehört dann, sofern es treffend und wahr ist, nicht mehr nur dem Menschen, sondern ist Wort Gottes. Mit solchen Erwägungen steht man freilich wiederum noch keineswegs beim spezifisch biblischen Verständnis vom Gotteswort, sondern zunächst beim Wort des Mythos173: Der Mythos erzählt von der göttlichen Grundle­ gung der Welt und ihrer Ordnung. Er verortet die Dinge in dieser Ordnung, indem er sie benennt. Dabei kann das Wort des Mythos als göttliches Wort koinzidieren mit dem Wort, das die Dinge und ihre Ordnung ins Dasein ruft, – dem magisch wirkenden Wort der Götter. Das biblische Verständnis des göttlichen Wortes trägt in vielen Zügen noch Zeichen seiner Herkunft vom mythischen Wortverständnis wie auch von der Vorstellung des magisch wirkenden Götterwortes. Letzteres findet sich in Verbindung mit dem schöpferischen Gotteswort (Ps 33,9), vor allem in der Vorstellung des von den Propheten verkündeten Gotteswortes, das gerade als Unheilsankündigung unfehlbar wirkt (Jes 9,7)174. Spezifisch bi­ blisch ist aber neben der Abzweckung des Wortes auf den Selbsterweis Got­ tes gerade die Modifikation der Vorstellung vom unfehlbar wirkenden Wort durch den Gedanken möglicher Reue Gottes, ein Gedanke, der in der Exil­ sprophetie, jedenfalls in bezug auf Gerichtsdrohungen, aus der Ausnahme zur allgemeinen Regel des göttlichen Verhaltens wurde175. Obwohl der pro­ phetische Dabar sich erst von seiner geschichtlichen Verwirklichung her als Gotteswort erweist, wird er nun doch der Freiheit Gottes anheimgegeben. Das mythische Wort seinerseits wurde verwandelt zum Geschichtsbericht (s. o. Anm. 151). Besser gesagt: Die Funktion des mythischen Wortes als Er­ zählung vom urzeitlichen Geschehen der Begründung der gegenwärtigen Welt- und Lebensordnung wurde übernommen und ersetzt durch den Be­ richt von den geschichtlichen Heilssetzungen Gottes in seinem Erwählungs­ handeln. Andererseits tritt an die Stelle des mythischen Wortes die göttliche Weisheit, die die Weltordnung nicht mehr im Bilde eines urzeitlichen Ge­ schehens, sondern als jederzeitige Regelhaftigkeit des Geschehens begreift und von daher auch die Vorstellung vom göttlichen Wort als Weisung und Rechtssatzung in sich aufnehmen kann. Die Weisheit konnte sich sogar auf

173

Siehe dazu: Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983, 372 ff. Auch G. v. Rad: Theologie des Alten Testaments II, 1960, 93 ff. hat von einem mythisch­ magischen Hintergrund der prophetischen Vorstellung vom machtvoll wirkenden Gotteswort gesprochen. 175 Siehe dazu J. Jeremias: Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, Neukirchen 1975, bes. 75 ff., vgl. 40 ff. 174

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die Geschichte erstrecken in der Vorstellung eines den Ablauf der Ge­ schichte bestimmenden göttlichen Plans176. Darin verbinden sich die beiden biblischen Wege der Modifikation des mythischen Wortes durch Ge­ schichtstheologie und Weisheit, so daß an die Stelle des weltbegründenden mythischen Wortes nun der Gedanke der Offenbarung des göttlichen Ge­ schichtsplans, des göttlichen „Mysteriums“, treten konnte. Der Vorstellung der göttlichen Weisheit nahe verwandt, faßt schließlich der Logosbegriff Philos und des johanneischen Prologs177 die verschiedenen Aspekte des biblischen Wortverständnisses zusammen. Dabei tritt die Kom­ ponente des prophetischen Wortverständnisses in Apc 19,13 deutlicher her­ vor als im Prolog zum Johannesevangelium: Der Reiter auf dem weißen Pferd, Jesus Christus, heißt „das Wort Gottes“ als Erfüller der propheti­ schen Verheißungsworte: „Treu“ und „verläßlich“ ist sein Name (vgl. Joh 1,14c und 17)178. Die in Jesus Christus zur Erscheinung gekommene Ord­ nung der Welt ist also eine geschichtliche, die Ordnung des in ihm offenba­ ren göttlichen Heilsplans zur Errettung der Welt, und auch ihre Realisierung geschieht durch geschichtliche Ereignisse. In Apc 19,13 ist nun freilich ebensowenig wie im Johannesprolog die Kundgabe des Wortes im Begriff des „Wortes Gottes“ schon mitgedacht. Die Kundgabe tritt zum Begriff des göttlichen Logos noch hinzu durch die dem Seher der Apokalypse eröffnete Schau, wie im Johannesprolog durch den Gedanken der Fleischwerdung des Wortes. Dieses Moment der Mittei­ lung scheint erst von Ignatios von Antiochien als geschichtliche Verwirkli­ chung der göttlichen Ordnung im Wortbegriff selber mitgedacht worden zu sein, in der Wendung von dem Wort, in welchem Gott sein Schweigen brach (Magn 8,2). Allerdings steht in dieser Formulierung das Erkenntnismotiv einseitig im Vordergrund. Im Unterschied zu der traditionsgeschichtlich ver­ wandten Formulierung Röm 16,25–27 wird nicht explizit gesagt, daß die Selbstmitteilung Gottes durch sein Wort zugleich die geschichtliche Realisie­ 176 In dieser Vorstellung hat J. Hermisson einen Zusammenhang von Weisheit und prophetischer Geschichtstheologie aufgewiesen: Weisheit und Geschichte, in: Probleme bibli­ scher Theologie (Festschrift G. v. Rad, Hrsg. H. W. Wolff), München 1971, 136–154, bes. 152 f. 177 Eine Beziehung zum Logosbegriff Philos liegt im Prolog des Johannesevangeliums kaum im Sinne direkter Abhängigkeit vor, sondern eher im Sinne der Abhängigkeit von gemeinsamen Vorstufen (so R. Brown: The Gospel according to John 1–12, New York 1966, 520), bei denen die jüdische Weisheitsvorstellung mit dem Logosbegriff in Verbindung gebracht worden sein dürfte. Inhaltlich stehen die Ausführungen des Prologs über den Logos in nächster Nähe zu Prov 8,22 ff., Sir 24 und Sap Sal 7 (ebd. 522 f. und 532 f., vgl. R. Schnackenburg: Das Johannes­ evangelium I, Freiburg 1979, 210 ff., 213, 217 f., 233, 244 f., sowie 257 ff.). Daß an die Stelle des Begriffs der Weisheit der Logosbegriff trat, verbindet den Johannesprolog auch nach Schnak­ kenburg 268 f. eher mit der Vorgeschichte des philosophisch inspirierten Logosbegriffs Philos als mit gnostischen Vorstellungen. 178 Zum alttestamentlichen Hintergrund der Verbindung von „Gnade und Treue (Wahr­ heit)“ vgl. Schnackenburg a. a. O. 248 f. und bes. R. Brown a. a. O. 14 f. mit Verweis auf Ex 34,6, sowie Ps 25,10; 51,7; 86,15.

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rung der Weltordnung des göttlichen Geschichtsplans durch Erfüllung der prophetischen Heils Verheißungen in Jesus Christus ist, ein Sachverhalt, der in Joh 1,14 stärker hervortritt. Bei Ign Magn 8,2 ist der Begriff des göttlichen Logos zur zusammenfassen­ den Bezeichnung des Offenbarungsgeschehens geworden. Eben deshalb be­ darf er der Erläuterung durch den Offenbarungsbegriff, wie denn auch das Ignatiuswort in der Tradition des „Revelationsschemas“ von Röm 16,25–27 u. a. steht. Sowohl die biblischen Vorstellungen vom Worte Gottes als auch die Offenbarungsvorstellungen und die Offenbarungsterminologie der bibli­ schen Schriften sind außerordentlich vielschichtig. Insofern bedürfen beide für den systematisch-theologischen Gebrauch der „Präzisierung“. Aber im Falle des Offenbarungsbegriffs ist solche Präzisierung nicht durch den Be­ griff des Wortes Gottes erfolgt, sondern dadurch, daß das Inerscheinungtre­ ten der von Propheten und apokalyptischen Sehern angesagten Zukunft, das durch das prophetische Erweiswort mit dem Gedanken des Selbsterweises Gottes verbunden worden war, als „Offenbarung“ bezeichnet wurde, „Of­ fenbarung“ sowohl der gegenwärtig verborgenen Inhalte des Endgeschehens als auch der „Herrlichkeit“ Gottes. Von daher wurden mantische Offenba­ rungserlebnisse als vorgängige Enthüllungen des endzeitlich zu Offenbaren­ den bestimmbar. Damit war eine „Präzisierung“ auch des prophetischen Wortverständnisses verbunden, wobei der weisheitlich-prophetische Ge­ danke des göttlichen Geschichtsplans als Inbegriff der prophetischen Weis­ sagung in den Mittelpunkt rückte. Sofern die endzeitliche Offenbarung sich auf diesen Geschichtsplan Gottes bezieht, konnte ihr Inhalt nun auch durch den Begriff des Logos bezeichnet werden, der schließlich, bei Ignatius von Antiochien, auch auf das Offenbarungsereignis selber ausgedehnt werden konnte. Im Hinblick auf diesen komplexen Sachverhalt ist wohl eher von einer Prä­ zisierung179 der Wortgottesvorstellung durch den Offenbarungsbegriff zu sprechen als umgekehrt. Ohne die im Offenbarungsbegriff zusammengefaßte biblische Geschichtstheologie bliebe die Vorstellung des Wortes Gottes eine mythologische Kategorie und ein Instrument unausgewiesener Autori­ tätsansprüche. Der Offenbarungsbegriff integriert seinerseits die verschiede­ nen Aspekte der biblischen Wortgottesvorstellung, besonders das propheti­ sche Wortverständnis, in dem Gedanken des Selbsterweises Gottes durch sein geschichtliches Handeln, dessen Ergebnis aber dem Propheten oder dem apokalyptischen Seher im voraus enthüllt wird. Andererseits kann das Offenbarungsgeschehen selber als antizipatorische Eröffnung der Realisie­ rung des göttlichen Geschichtsplans und des damit am Ende der Geschichte verbundenen Erweises der Herrlichkeit Gottes zum Inhalt einer umfassen­ den Vorstellung vom Worte Gottes werden: Eben dieses Offenbarungsge­ 179

Vgl. die Ausführungen oben bei Anm. 137.

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schehen und nur es kann dann im vollen Sinne „Wort Gottes“ heißen. So ist Jesus Christus das „Wort Gottes“: als Inbegriff des göttlichen Schöpfungs­ und Geschichtsplans und seiner endzeitlichen, aber auch schon antizipatori­ schen Offenbarung. Von einer Selbstoffenbarung Gottes durch dieses sein Wort und dessen Offenbarung ist dabei unter der Bedingung zu sprechen, daß dieses Wort selber eins ist mit der Gottheit Gottes. Diese Implikation des Gedankens der Selbstoffenbarung Gottes durch sein Wort wird durch die Trinitätslehre expliziert. Aber nicht nur die Trinitätslehre, sondern alle Teile der christlichen Lehre sind als Explikation der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus zu verstehen und zu entfalten, so wie umgekehrt der Offen­ barungsgedanke zur zusammenfassenden Beschreibung des Gotteshandelns geworden und so an die Stelle getreten ist, die in andern Religionen der My­ thos einnimmt. Wie nun aber alle Offenbarung Gottes in seinem geschichtlichen Handeln auf die noch ausstehende Zukunft der Vollendung der Geschichte vorgreift, so bleibt umgekehrt ihr Anspruch, die Gottheit des einen Gottes zu offenba­ ren, der Schöpfer, Versöhner und Erlöser der Welt ist, in der noch nicht voll­ endeten Geschichte offen auf künftige Bewährung, offen darum auch für die Frage nach seiner Wahrheit. Diese Frage findet ihre jeweilige Antwort im Leben der Glaubenden durch die erhellende Kraft der Offenbarung Gottes für die Erfahrungen ihres Lebens. Dementsprechend findet die Frage nach der Wahrheit der Offenbarung Gottes im theologischen Denken ihre jeweilige, vorläufige Antwort in der Vergewisserung, daß die Wirklichkeit des Menschen und der Welt als bestimmt durch den Gott der Offenbarung zu verstehen ist. Da dieser Versuch schon unternommen wurde, solange es christliche Lehre gibt, werden die theologische Prüfung des Wahrheitsan­ spruchs der christlichen Offenbarung und seine Vergewisserung sich in der Form systematischer Rekonstruktion der christlichen Lehre vollziehen, aus­ gehend von dem Gottesverständnis, das in dem durch die biblischen Schrif­ ten bezeugten Geschehen der Offenbarung Gottes enthalten ist und in den theologischen Diskussionen, die zur Ausbildung der Trinitätslehre führten, explizit thematisch wurde.

281

5. Kapitel

Der trinitarische Gott 1. Der Gott Jesu und die Anfänge der Trinitätslehre Im Mittelpunkt der Botschaft Jesu steht die Ankündigung der Nähe der Gottesherrschaft. Den Gott aber, dessen Herrschaft er als nahe, ja sogar als in seinem Auftreten schon anbrechend verkündete, nannte Jesus den (himm­ lischen) Vater1. Gott erweist sich als „Vater“, indem er für alle seine Ge­ schöpfe sorgt (Mt 6,26; vgl. Lk 12,30). Dabei läßt er seine Sonne scheinen und Regen fallen auf die Bösen wie auf die Guten (Mt 5,45). Er ist darin Vor­ bild der Feindesliebe, die Jesus lehrte (Mt 5,44 f.), und er ist bereit zu verge­ ben dem, der zu ihm umkehrt (Lk 15,7 u. 10, sowie 11 ff.), ihn um Vergebung bittet (Lk 11,4) und seinerseits andern vergibt (Mk 11,25; vgl. Mt 6,14 f.; 18,23–35). Er läßt sich als Vater anrufen und wird wie irdische Väter – und sogar mehr noch als sie – seinen Kindern auf ihr Bitten hin Gutes geben (Mt 7,11). Das Gebet zum Vater, das Jesus seine Jünger lehrte, verbindet denn auch die Bitte um das tägliche Brot als Inbegriff aller irdischen Bedürfnisse mit der Bitte um Vergebung, die auch hier an die Vergebungsbereitschaft des Betenden gebunden wird (Lk 11,3 f.). Zugleich zeigt das Gebet Jesu, daß seine Verkündigung der Vatergüte Gottes und seine eschatologische Bot­ schaft von der Nähe der Gottesherrschaft zusammengehören; denn das Ge­ bet beginnt mit drei Bitten, die sich auf das Kommen der Herrschaft des Va­ tergottes richten2. Es wird an späterer Stelle, in der Christologie, noch zu zeigen sein, daß Jesu Botschaft von der Vaterliebe Gottes sogar begründet ist in der besonderen Form, die die Ankündigung der Nähe der Gottesherr­ schaft bei ihm annahm. Der Gott Jesu ist kein anderer als der des jüdischen Glaubens, wie er im Alten Testament bezeugt ist. Er ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs (Mk 12,26 f.), der Gott, zu dem Israel sich mit dem Schema von Dtn 6,4 be­ kennt (Mk 12,29). Allerdings ist der Gott Israels im Alten Testament nur 1 Siehe dazu J. Jeremias: Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschich­ te, Göttingen 1966, 15–67, bes. 33 ff. 38 ff. Siehe ferner R. Hamerton-Kelly: God the Father. Theology and Patriarchy in the Teaching of Jesus, Philadelphia 1979, 70–81. 2 Zu der von H. Schürmann (1964) behaupteten Spannung zwischen Eschatologie und Got­ tesgedanken Jesu vgl. W. Schräge: Theologie und Christologie bei Paulus und Jesus auf dem Hintergrund der modernen Philosophie, in: Ev. Theol. 36, 1976, 121–154, bes. 135 f. Gott als Vater ist „für Jesus nicht ohne die Nähe und Zukunft seines Reiches zu denken“ (136).

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verhältnismäßig selten „Vater“ genannt worden. In der älteren Überliefe­ rung geschah das vor allem in der Nathanverheißung (2.Sam 7,14), mit der der Gott Israels sich durch den Akt der Erwählung Davids und seines Hau­ ses zum Vater des Königs als seines adoptierten Sohnes erklärte (vgl. Ps 2,7). In den prophetischen Texten scheint dieses Verhältnis der Vaterschaft auf das Volk übertragen worden zu sein, zunächst in mehr bildhafter Rede, die zwischen Zügen väterlicher und mütterlicher Fürsorge wechselt (Hos 11,1– 4)3, dann aber, in der Prophetie der Exilszeit, in verfestigter Form bei Jere­ mia (31,20). Bei Tritojesaja (Jes 63,16 und 64,8 f.) begegnet der Vatername in der Gebetsanrede an Gott. Dasselbe gilt für das Judentum zur Zeit Jesu. Be­ sonders in der pharisäischen Bewegung scheint die Beziehung zu Gott als Vater eine Individualisierung und Verinnerlichung gefunden zu haben, wie sie auch in Jesu Aussagen über Gott als Vater und in seiner Gebetsanrede be­ gegnet4. Die Intimität der Anrede Gottes als Vater mit dem Wort Abba ist zwar kennzeichnend für das Gottesverhältnis Jesu, sollte aber nicht als Ge­ gensatz zur pharisäischen Frömmigkeit seiner Zeit aufgefaßt werden5. Das Aufkommen der Bezeichnung Gottes als Vater in der Prophetie Is­ raels muß zweifellos in Zusammenhang mit der patriarchalischen Verfas­ sung der jüdischen Familie gesehen werden6. Sie hatte ihre Grundlage insbe­ sondere in der Position des Vaters als Oberhaupt der Sippe und der damit gegebenen Fürsorgepflicht für alle Glieder der Sippe. Es ist vor allem dieser Zug väterlicher Fürsorge, der in den alttestamentlichen Aussagen über Got­ tes väterliche Zuwendung zu Israel auf das Gottesverständnis übertragen worden ist. Die geschlechtliche Bestimmtheit der Rolle des Vaters hingegen tritt gänzlich zurück. Der Glaube Israels ist ja seit seinen Anfängen dadurch gekennzeichnet, daß dem Gott der Vätererwählung, des Exodus und der Si­ naiüberlieferung keine weibliche Partnerin zugeordnet wurde. Die Über­ tragung geschlechtlicher Differenzierung auf das Gottesverständnis impli­ ziert in jedem Fall Polytheismus und mußte darum für den Gott Israels

3 Siehe dazu R. Hamerton-Kelly a. a. O. 38–51, bes. 39 ff. Hierher gehören auch Ps 103,13 sowie Dtn 1,31; 8,5 und 32,6, aber auch Jer 3,4. Die Symbolik mütterlicher Kindesliebe begegnet u. a. in Jes 49,15 und 66,10 f. 4 So E. Rivkin: A Hidden Revolution, Nashville 1978, 310 und J. Pawlikowski: Christ in the Light of the Christian-Jewish Dialogue, New York 1982, 88. 5 L. Snidler verdanke ich den Hinweis darauf, daß sogar die Anredeform Abba sich verein­ zelt in talmudischer Überlieferung findet, die nach seiner Auffassung auf Begebenheiten des er­ sten Jahrhunderts v.Chr. zurückgeht (Bab. Talmud Taan 23b, vgl. Geza Vermes: Jesus the Jew, London, 1973, 210 f.). Die Darlegungen von J. Jeremias (Abba, Göttingen 1966, 59 u. 62 f.) über die Analogielosigkeit der Vateranrede Jesu bedürfen daher der Einschränkung. Siehe auch H. Merklein: Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft. Eine Skizze, Stuttgart 1983, 84, der die These von Jeremias einschränkt, aber doch als spezifisch für Jesus festhält, daß die sonst nur sel­ ten belegte Anrede Gottes als Abba „die für Jesus typische Gottesbezeichnung war“ (ebd.). 6 Näheres dazu bei R. Hamerton-Kelly a. a. O. 55 ff.

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ausgeschlossen bleiben. Vielleicht hat aus diesem Grunde die Vorstellung von Gott als Vater erst relativ spät Eingang gefunden in Israels Reden von seinem Gott. Die Tatsache, daß die Fürsorge des Bundesgottes für sein Volk sowohl in Bildern der Mutterliebe als auch der Vaterschaft beschrieben wer­ den konnte, bringt die Distanz gegenüber jeder Festlegung des Gottes­ verständnisses auf eine geschlechtliche Bestimmung deutlich genug zum Ausdruck. Daher entbehrt auch die phantasievolle Beschreibung der Reli­ gionsgeschichte Israels durch Sigmund Freud7 einer ernstzunehmenden Ba­ sis: Die Transzendenz des alttestamentlichen Gottes gegenüber aller ge­ schlechtlich bestimmten Differenzierung macht ihn unzugänglich für eine Darstellung, die wie Freuds Ödipusthese auf den geschlechtlich bestimmten Spannungen im menschlichen Familienverband beruht. Die in polytheisti­ schen Religionen verbreitete Vorstellung vom Göttervater als patriarchali­ schem Oberhaupt der Götterfamilie mußte dem Alten Testament fremd bleiben. Hier konnte die Vorstellung von Gott als Vater sich nur auf das Verhältnis zu seinen Geschöpfen beziehen. Dabei konnten nur bestimmte Züge des Vaterbildes Anwendung finden zur Veranschaulichung der Fürsorge des Bundesgottes für sein Volk. Das gilt zunächst auch für diejenige Überlieferungslinie, in der die Vor­ stellung von Gott als Vater kein beliebig austauschbares Bild ist, nämlich für die Nathanweissagung und die auf sie begründete Anschauung vom Sohnes­ verhältnis der Könige Judas zum Gott Israels: Auch hier hat die Bezeichnung Gottes als Vater ihre Grundlage in einem Erwählungsakt. Die Vorstellung von einer Adoption des Königs durch Gott konnte der Glaube Israels von der Königsideologie seiner altorientalischen Umwelt übernehmen, weil sie sich der Grundanschauung vom erwählenden Handeln Gottes zuordnen ließ. Die mit dem Akt der Adoption verbundene Vaterschaft Gottes im Ver­ hältnis zum König gab der Vorstellung von Gott als Vater eine Konsistenz, durch die sie sich von bloßer Bildrede unterschied, rückte sie aber zugleich in noch größere Distanz zum Modell eines patriarchalischen Fami­ lienoberhaupts. Gerade die in einem weiteren Schritt auf das Volk Israel aus­ geweitete Adoptionsvorstellung aber dürfte die Voraussetzung für die Ge­ betsanrede Gottes als Vater geworden sein. Verbindungen der jüdischen Vorstellung Gottes als Vater mit patriarchali­ schen Formen der Familie sind also durchaus vorhanden, aber von begrenz­ ter Tragweite. Sie bilden nicht die Grundlage der Gottesvorstellung, die im Vaternamen zum Ausdruck kommt. Diese Grundlage ist vielmehr im Er­ 7 S. Freud: Der Mann Mose und die monotheistische Religion (1937/1939), Ges. Werke XVI, 103–246, bes. 135 ff., 148 ff., 233 ff. Durch die fiktive Annahme, daß Moses ermordet wor­ den sei, versuchte Freud, die Religionsgeschichte Israels mit seiner Behauptung des regelmäßi­ gen Auftretens eines Ödipuskomplexes in der individuellen Lebensgeschichte zu verbinden (ebd. 176–198). Daß der Gott Israels „der Sexualität völlig entrückt“ wurde (226), wird als Aus­ druck von Triebverdrängung dargestellt.

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wählungshandeln Gottes bzw. in seinem Bundesverhältnis zu Israel gegeben. Der souverän erwählende, den Bund gewährende Gott nimmt Ver­ pflichtungen auf sich, die der Fürsorgepflicht des Familienoberhauptes ent­ sprechen. Der sozialgeschichtliche Ausgangspunkt dieser Vorstellung ist si­ cherlich zeitbedingt gewesen. Die Zeitbedingtheit der patriarchalischen Ver­ hältnisse, die in diesem einen Zuge bestimmend für das Gottesverständnis geworden sind, rechtfertigt aber keineswegs die Forderung nach Revision der Vorstellung Gottes als Vater wegen inzwischen eingetretener Verände­ rungen der Familienstruktur und der gesellschaftlichen Ordnung, insbeson­ dere im Hinblick auf das Verhältnis der Geschlechter8. Eine solche Forde­ rung wäre nur dann berechtigt, wenn die Gottesvorstellung als Spiegelbild der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse aufzufassen wäre. Das ist eine Auffassung, die letztlich eine Projektionstheorie der religiösen Gottesvor­ stellung in der Art Feuerbachs voraussetzt9. Die religionsgeschichtlichen Be­ funde, nicht zuletzt hier im Falle des jüdischen Gottesverständnisses, sind anders; denn hier ist erkennbar, daß ein bestimmtes Gottesverständnis, näm­ lich in Israel die Erfahrung des Gottes der Erwählung und des Bundes, be­ reits als Voraussetzung und Kriterium für die Aussonderung derjenigen Zü­ ge patriarchalischer Lebensformen fungiert, die der Veranschaulichung des Verhältnisses Gottes zu David und seinen Nachfolgern bzw. zu seinem Volk Israel dienen können. Diese Züge gehen dann ein in ein Gottesverständnis, das seinerseits dem sich wandelnden Bild menschlicher Vaterschaft als normgebend gegenübertreten kann (vgl. Eph 3,15). Vor ihm kann aber auch alle menschliche Vaterschaft verblassen (Jes 63,15 f.). Gerade darum behält es seine Aussagekraft auch in einer Zeit des Verfalls patriarchalischer Lebens­ formen, in der sogar das Eigenprofil der Vaterrolle überhaupt im Familien­ zusammenhang seine Konturen verliert. Die Vaterschaft Gottes kann dann erst recht zum Inbegriff der umfassenden Fürsorge Gottes werden, einer umfassenden Fürsorge, die durch menschliche Vaterschaft nicht mehr ge­ währt wird. Im Munde Jesu ist die Bezeichnung Gottes als „Vater“ zum Eigennamen geworden. Sie hat damit aufgehört, eine Gottesbezeichnung unter andern zu sein. Sie umfaßt nun alle Züge des Gottesverständnisses, das sich in der Bot­ schaft Jesu erschließt. Sie nennt das göttliche Gegenüber, von dem her Jesus sich selber verstanden hat und auf das er seine Jünger und Zuhörer verweist. Auch die Schöpfertätigkeit Gottes, besonders in seiner providentiellen Fürsorge für seine Geschöpfe (Mt 6,26; 5,45), wurde nun in das Bild seiner väterlichen Güte einbezogen. Ausgangspunkte dazu liegen schon in Dtn 32,6 und Mal 2,10 vor, wo die mit dem Erwählungsgedanken verbunde­ 8 So M. Daly: Beyond God the Father: toward a philosophy of women’s liberation, Boston 1973. 9 Das gilt insbesondere für die Forderung, der Anrede Gottes als Vater eine Anrede als Mut­ ter zur Seite zu stellen.

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ne Auffassung Gottes als Vater erweitert worden ist, so daß Erwählung und Schöpfung des Erwählten koinzidieren. In der Botschaft Jesu kommt die vä­ terliche Fürsorge des Schöpfers freilich immer schon im Zusammenhang mit der Eschatologie, aus der Perspektive der nahen Vollendung seiner Herr­ schaft, zur Sprache. Gerade die Verbindung dieser beiden Themenkreise, die an späterer Stelle noch genauer zu erörtern sein wird, gehört zur Eigenart der Botschaft Jesu und auch seiner Verwendung des Vaternamens. Gott als himmlischer Vater ist aus der Botschaft Jesu nicht eliminierbar. Es ist nicht so, daß die Worte „Gott“ und „Vater“ nur zeitbedingte Vorstellungen wären, von denen sich der eigentliche Inhalt der Botschaft Je­ su ablösen ließe. So hat Herbert Braun den Sachverhalt dargestellt. Nach sei­ ner Auffassung wäre der Verweis auf Gott nur „Ausdruck für den radikalen Gehorsam und für die totale Gnade“ der Bekehrung, Ausdruck für die Au­ torität Jesu10. Nach Braun wäre die Gottesliebe im Sinne Jesu daher nur Aus­ druck für den Gehorsam gegen Jesu Forderung der Nächstenliebe11. Gottes­ liebe und Nächstenliebe fallen zusammen. In dieser These steckt ein Wahr­ heitskern, weil beide in der Tat auf das engste zusammengehören. Davon wird an späterer Stelle noch zu reden sein. Aber sie sind keineswegs einfach identisch12. Vielmehr ist „das Widerfahrnis der Liebe Gottes“ seinerseits Ausgangspunkt und Grund für Jesu Forderung der Nächstenliebe13. Jesus differenzlos mit „Gott“ zu identifizieren, liefe auf Kreaturvergötterung hin­ aus, und daß Jesus selber sich so verstanden, also sich Gott gleich gemacht habe, ist nach dem Johannesevangelium die Anklage und das Mißverständnis seiner Gegner gewesen (Joh 10,33; vgl. 19,7). Ausdrücklich hat Jesus Gott als den Vater von sich unterschieden: Nicht nur der johanneische Christus nennt den Vater „größer“ als sich (Joh 14,28), sondern nach Mk 10,17 f. wies Jesus sogar die Anrede „guter Lehrer“ zurück mit der Begründung: „Nie­ mand ist gut außer dem einen Gott.“ Dem entsprach die Unterscheidung der Zukunft der Gottesherrschaft von ihrem Gegenwärtigwerden in Jesu eige­ nem Auftreten: Die unaufhebbare Zukünftigkeit der basileia ist Ausdruck der Differenz, die Jesus wahrte zwischen sich und dem einen Gott. In Jesu Gebet zum Vater hat diese seine Selbstunterscheidung von Gott ihren klar­ sten Ausdruck gefunden. Ist so die Unterscheidung Gottes als des „Vaters“ von seiner eigenen Per­ son für Jesu Botschaft und Verhalten konstitutiv, so wußte er sich doch zu­ gleich in seinem Wirken dem Vater auf das engste verbunden. Nahm er doch für seine Botschaft vom Primat der Gottesherrschaft eine Autorität in 10 H. Braun: Jesus, 2. Aufl. Stuttgart 1969, 160 f. Vgl. auch schon ders.: Die Problematik ei­ ner Theologie des Neuen Testaments, in: Ges. Studien zum Neuen Testament und seiner Um­ welt, Tübingen 1962, 325–341. 11 H. Braun, Jesus, 162 ff. 12 Dazu W. Schräge in dem Anm. 2 zit. Art. (Ev. Theol. 36, 1976) 144 ff. 13 So Schrage ebd. 143.

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Anspruch, die jede menschliche Autorität bei weitem übersteigt, die Autori­ tät des ersten Gebotes14. Bei aller Unterordnung unter den Vater bean­ spruchte Jesus doch zweifellos, daß Gott nicht anders zu verstehen sei als so, wie er ihn als den himmlischen Vater verkündete. Und da Jesus das Reich des Vaters nicht nur als nahe bevorstehend, sondern auch als in seinem eige­ nen Wirken schon anbrechend verkündete, blieb kein Raum dafür, daß etwa ein künftiges Reden von Gott das seinige überholen könnte. Der himmlische Vater, den er verkündete, ist daher so eng mit Jesu eigenem Auftreten und Wirken verbunden, daß er dadurch als Vater identifiziert ist. Dieser Sachver­ halt liegt der Bezeichnung Jesu als „Sohn“ zugrunde, gleichgültig, ob schon Jesus selbst sich in seinem Verhältnis zum Vater so bezeichnet hat15 oder ob erst seine Jünger und die spätere Gemeinde das getan haben. Jesus ist der „Sohn“, indem an seiner Botschaft von der nahen Königsherrschaft des Va­ ters und an seiner Unterordnung unter dessen Willen, ganz besonders aber an der Funktion seiner Sendung als Offenbarung der Liebe Gottes dieser Gott als Vater erkennbar wird: „Niemand kennt den Vater als allein der Sohn und wem der Sohn es enthüllen will“ (Mt 11,27)16. In diesem Sachverhalt liegt einer der Ausgangspunkte sowohl für die Ge­ schichte der urchristlichen Christologie als auch für die Trinitätslehre, deren Anfänge aus der Christologie herausgewachsen sind. Indem die Aufer­ weckung Jesu als göttliche Bestätigung des in seinem irdischen Wirken im­ plizierten Anspruchs verstanden wurde, mußte Jesus nun, im Lichte von Ostern, als der „Sohn“ des von ihm verkündeten Vaters erscheinen. Als sol­ cher aber ist er auch „Sohn Gottes“ und Messias17, auf dessen Wiederkunft zur Vollendung der Welt die christliche Gemeinde wartet. Nach Röm 1,3 f. ist Jesus durch seine Auferweckung von den Toten in die Würde der Gottes­ sohnschaft eingesetzt worden18. Andererseits aber gehört der Gottessohn auch schon von Ewigkeit her an die Seite Gottes. Die Vorstellung seiner 14 Das hebt auch W. Schrage a. a. O. 139 hervor, allerdings als Beleg für die Unterordnung Jesu unter Gott, während es im Text jetzt um die Kehrseite dieses Sachverhalts geht, darum also, daß Jesus seine eigene Botschaft mit der Autorität des ersten Gebotes verknüpfte. 15 Nach H. Merklein (Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft, Stuttgart 1983) ist ein „direktes“ Sohnesbewußtsein Jesu „exegetisch kaum nachzuweisen“ (89). Dennoch ist in der Eigenart des Verhältnisses Jesu „zu Gott als Vater die eigentliche Wurzel zu diesem nachösterli­ chen Titel“ zu vermuten (M. Hengel: Der Sohn Gottes, Tübingen 1975, 99). 16 Während J. Jeremias (Abba, Göttingen 1966, 47–54) dieses Wort auf Jesus selbst zurück­ führte und als Ausdruck einer ihm zuteil gewordenen Offenbarung des Vaternamens bei seiner Taufe durch Johannes verstand, beurteilt H. Merklein es als „ein Interpretament der Q-Ge­ meinde“ (60 Anm. 4), unter Berufung auf P. Hoffmann: Studien zur Theologie der Logienquel­ le, Münster 1972, 118–142. Siehe auch schon F. Hahn: Christologische Hoheitstitel. Ihre Ge­ schichte im frühen Christentum, Göttingen 1963, 319–330, bes. 328–330. 17 Zum Verhältnis der Bezeichnungen „Sohn“ und „Gottessohn“ vgl. F. Hahn a. a. O. 329 ff. Einen engeren Zusammenhang als Hahn sieht M. Hengel zwischen dem Gedanken der Gottes­ sohnschaft Jesu und der Bezeichnung Jesu als „Sohn“ (a. a. O. 99). 18 Siehe dazu F. Hahn 251–259, sowie 287 ff. und W. Kramer: Christos, Kyrios, Gottessohn.

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„Präexistenz“ steht nicht im Widerspruch dazu, daß seine Gottessohnschaft erst eschatologisch offenbar werden wird oder in einem geschichtlichen Er­ eignis schon offenbar ist, das wie die Auferstehung Jesu die eschatologische Vollendung antizipiert: Daß alles das, was eschatologisch offenbar werden wird, in der verborgenen Welt Gottes, im Himmel, bereits Gegenwart ist, entspricht einer allgemeinen Regel apokalyptischer Vorstellungsweise. Nur von daher ist das hohe Alter der Präexistenzvorstellung im Urchristentum verständlich: Der Weg vom Bekenntnis zur Auferweckung Jesu als Einset­ zung in die Gottessohnschaft zur Vorstellung seiner Präexistenz bei Gott kann nur kurz gewesen sein, da diese Vorstellung schon bei Paulus voraus­ gesetzt wird, und der Schritt zum Präexistenzgedanken konnte sich leicht mit jüdischen Vorstellungen von der Präexistenz der göttlichen Weisheit (Prov 8,22 ff.), des Messias (4.Esra 12,33), des Menschensohnes (Hen 46,1 ff., vgl. 48,6) verbinden19. Vom Präexistenzgedanken aus stellte sich das irdische Wirken und Leben Jesu als Ausdruck einer „Sendung“ des Sohnes in die Welt dar, und gerade in dieser Verbindung ist der Präexistenzgedanke schon bei Paulus vorausgesetzt (Gal 4,4; Röm 8,3)20. Mit der Präexistenzvorstellung brauchte allerdings noch keineswegs die spätere kirchliche Auffassung von der vollen Gottheit des Sohnes verbunden zu sein. Zunächst einmal waren bei der Präexistenzvorstellung „die Über­ gänge von bloßer ‚ideeller‘ Präexistenz – d. h. gewissermaßen nur im Denken Gottes – zu einer ‚realen‘ Präexistenz fließend“21. Außerdem aber schloß der Präexistenzgedanke schon bei der Weisheit nicht die Vorstellung der Ge­ schöpflichkeit aus (Prov 8,22 f.). Die volle Gottheit des Sohnes war damit al­ so noch nicht gegeben. Es gibt jedoch einen anderen Ansatzpunkt in den christologischen Aussagen des Urchristentums, der auf den Gedanken der vollen Gottheit des Sohnes hinführte. Das ist die Anwendung des Kyriostitels auf den zum Messias erhöhten Jesus. Entscheidend dafür dürfte die Deutung von Ps 110,1 ff. auf die Erhöhung des Auferstandenen gewesen sein22. Von daher konnte es dazu kommen, daß auch solche Worte der griechischen Überset­ zung des Alten Testaments, in denen κυριος eindeutig Gottesbezeichnung Untersuchungen zu Gebrauch und Bedeutung der christologischen Bezeichnungen bei Paulus und den vorpaulinischen Gemeinden, Zürich und Stuttgart 1963,105 ff. 19 Weiteres dazu bei M. Hengel 108 ff. 20 Zur Analyse dieser „Sendungsformel“ siehe W. Kramer a. a. O. 108–112 sowie auch die Ausführungen ebd. 112 ff. zu der verwandten Aussage über die „Dahingabe“ des Sohnes Röm 8,32. Analoge Sendungsaussagen wies Kramer vor allem in Verbindung mit der Tradition der Weisheitsvorstellung nach (118 zu Sap Sal 9,9 f.). 21 M. Hengel a. a. O. 109. 22 Siehe dazu F. Hahn a. a. O. 112–132. Während Hahn jedoch einen Zusammenhang mit der in der Jesusüberlieferung bezeugten Anrede Jesu als „Herr“ (74–95) behauptet, spricht W. Kramer von „zwei verschiedenen Vorstellungskomplexen“ (100), die in verschiedenen Uberlieferungskreisen beheimatet seien.

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ist, auf den erhöhten Christus bezogen wurden23. So konnte nun auch der Kyrios im Gebet angerufen werden (2.Kor 12,8; vgl. 1.Kor 1,2; Röm 10,12 f. u. ö.). Auch die in ihrer aramäischen Sprachform überlieferte Bitte um das Kommen des Herrn bei der Mahlfeier (1.Kor 16,22) mußte von daher einen neuen Gehalt gewinnen. Der Kyriostitel impliziert die volle Gottheit des Sohnes. Im Bekenntnis des Thomas Joh 20,28 wird das ausdrücklich durch Nebeneinanderstellung der Bezeichnungen „Gott“ und „Kyrios“ ausgesprochen. Doch ist der Sohn nicht Kyrios in Konkurrenz zum Vater, sondern vielmehr zur „Ehre“ des Vaters (Phil 2,11). Das Bekenntnis zu Jesus Christus als dem einen, einzigen Kyrios schmälert nicht das Bekenntnis zum einen Gott. Das eine wurde viel­ mehr so mit dem andern verbunden, daß alles von dem einen Gott, dem Va­ ter ausgeht, aber zugleich auch alles durch den einen Kyrios vermittelt ist (1.Kor 8,6). Im Römerbrief wird diese Zuordnung noch um ein drittes Glied ergänzt: Von dem einen Gott heißt es hier, daß alles von ihm her und durch ihn und auf ihn zu ist (Röm 11,36). Ist hier neben dem Vater als Ursprung der vermittelnden Tätigkeit des Kyrios auch an den Geist gedacht, der das Leben der Geschöpfe mit dem Schöpfer verbindet? Jedenfalls hat Paulus hier eine Formel stoischer Gotteslehre aufgenommen, sie aber zugleich auf den in den vorangehenden Kapiteln dargelegten Heilsplan Gottes und also auf das Wirken des Kyrios und des Pneuma bezogen24. Der Geist Gottes wird auch sonst als Medium der Gemeinschaft Jesu mit dem Vater und als Vermittler der Teilhabe der Glaubenden an Christus vor­ ausgesetzt oder ausdrücklich genannt. Nach Paulus ist Jesus Christus durch die Kraft des Geistes auferweckt und in die Gottessohnschaft eingesetzt worden (Röm 1,4), und ebenso wird Gott, der Jesus von den Toten aufer­ weckt hat, durch seinen in den Christen wohnenden Geist auch ihre sterbli­ chen Leiber zum ewigen Leben bringen (Röm 8,11). Der Geist der Sohn­ schaft, der den Christen gegeben ist (8,15), ist derselbe, der Jesus in die Sohn­ schaft eingesetzt hat. So beruht alle Sohnschaft auf dem Wirken des Geistes (Röm 8,14). Auch die Evangelien haben die Verbundenheit Jesu mit dem Gott, den er verkündete, auf die Gegenwart und das Wirken des Gottesgeistes in ihm zu­ rückgeführt25. Nach der Überlieferung von der Taufe Jesu durch Johannes 23

Hahn a. a. O. 117 f. U. Wilckens: Der Brief an die Römer 2, Neukirchen 1980, 272 ff. 25 E. Schweizer: Heiliger Geist, Stuttgart und Berlin 1978, 74 f. Neben dem Markusevange­ lium, das Jesu Machttaten als Wirkungen des Gottesgeistes auffaßte (Mk 3,29 f.), sowie Mat­ thäus, der die exorzistische Tätigkeit Jesu als Geistwirkung identifizierte (Mt 12,28 i.U. zu Lk 11,20), hat besonders das Lukasevangelium Jesus als vom Geiste Gottes erfüllt dargestellt (Lk 4,1 und 4,14; vgl. 10,21). Doch lassen sich weder Mt 12,28 noch die lukanischen Angaben über Jesu erste Predigt in Nazareth (zu Jes 61,1: Der Geist des Herrn ist auf mir) dem historischen Auftreten und Reden Jesu selbst zuschreiben (a. a. O. 69 ff.). 24

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wurde ihm bei diesem Anlaß der Geist Gottes zuteil (Mk 1,10 parr.), und da­ mit wurde der Gedanke seiner Adoption zum Sohne verbunden. Aber auch die lukanische Kindheitsgeschichte, die den Ursprung der Gottessohnschaft Jesu bis auf seine Geburt zurückführte, begründet die Bezeichnung Jesu als Sohn Gottes durch das Wirken des göttlichen Geistes, indem sie die Person Jesu schon in ihrem Ursprung zum Geschöpf des Geistes erklärt (Lk 1,35). Auch das Johannesevangelium bezeugt, daß Jesus, dessen Worte „Geist und Leben“ sind (Joh 6,63 f.), selber vom Geist Gottes erfüllt ist, der ihn befähigt, Gottes Worte zu reden (Joh 3,33 f.). Wenn es an späterer Stelle bei Johannes heißt, daß während des irdischen Wirkens Jesu, bevor er „verherrlicht“ wur­ de, der Geist noch nicht da war (Joh 7,39), so bezieht sich das nur auf die Glaubenden, denen der Geist erst später gegeben werden sollte (Joh 14,16 f., vgl. 15,26). Die Beschreibung des Wirkens und Redens Jesu in den Evangelien als Ausdruck der Gegenwart des Gottesgeistes in ihm hat die Funktion, Jesu en­ ge Verbundenheit mit dem Vater auszusagen. Das gilt gerade dann, wenn Je­ sus selbst sich nicht auf den Geist berufen hat. Wenn aber die Darstellung des Redens und Handelns Jesu als vom Geist gewirkt die Gegenwart Gottes selber in ihm beschreibt, dann läßt sich zwischen Gottes Geist und Gott selbst nicht trennen. Vielmehr ist im Wirken seines Geistes Gott selbst ge­ genwärtig. Die Gemeinschaft Jesu als des Sohnes mit Gott als dem Vater läßt sich of­ fenbar nur aussagen, wenn als Drittes auch vom Heiligen Geist gesprochen wird. Denn der Geist Gottes ist die Weise seiner Gegenwart in Jesus wie zu­ vor schon in den Propheten und in der Schöpfung überhaupt, nun aber in der eschatologischen Weise endgültiger Gegebenheit als bleibender Gabe, die Inhalt der eschatologischen Hoffnung Israels war und sich besonders auch in der Erwartung der Geistbegabung des Messias verdichtet hatte. Je­ denfalls macht die Vermittlung der Gemeinschaft Jesu mit dem Vater durch den Geist es verständlich, daß das Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit Gottes und des Kyrios (1.Kor 8,6) durch die ausdrückliche Nennung des Geistes erweitert werden konnte. Das aber geschah in Formulierungen, die die Einbeziehung der Glaubenden in das Sohnesverhältnis Jesu zum Vater (Röm 8,9–16) zum Inhalt haben, wie das in 1.Kor 12,4–6 der Fall ist und in dem Segensgruß, mit dem der zweite Korintherbrief schließt (13,13). Ist doch der Geist auch den Glaubenden gegeben, und durch den Geist empfan­ gen auch sie Anteil am Sohnesverhältnis Jesu zum Vater. Wo von Gott im Verhältnis zum Kyrios und seinem Wirken gesprochen wird, braucht der Geist nicht immer ausdrücklich genannt zu werden, während die Einbezie­ hung der Glaubenden in die Gegenwart Gottes durch seinen Geist die aus­ drückliche Nennung des Geistes veranlaßt, weil nur durch den Geist, also durch Gott selbst, die Glaubenden die Gemeinschaft mit Gott empfangen können. Dieser Gesichtspunkt mag auch zum Verständnis des Aufkommens

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der trinitarischen Taufformel26 beitragen. Dabei ist die Vermittlung schon der Gemeinschaft des Kyrios mit Gott durch den Geist der Sache nach doch immer vorausgesetzt: Nur darum kann ja der Empfang des Geistes die Teil­ habe am Sohnesverhältnis Jesu zum Vater vermitteln, wie Paulus Röm 8,9 ff. darlegt, weil die Sohnschaft Jesu selber schon durch das Wirken des Geistes in ihm begründet ist. Die Implikation des Geistes in der Gegenwart Gottes im Wirken Jesu und in der Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater ist die Basis dafür, daß das christliche Gottesverständnis in der Trinitätslehre und nicht nur in einer Zweieinheit von Vater und Sohn seine ausgebildete und endgültige Gestalt gefunden hat. Man mag dafür gewiß auch auf die Erfahrung des Geistwirkens im Leben der Kirche hinweisen und darauf, daß sowohl nach Paulus als auch nach Johannes Christus und das Wirken seines Geistes in der Kirche vonein­ ander nicht zu trennen sind, wenn auch die paulinischen und die johannei­ schen Vorstellungen von dieser Zusammengehörigkeit bei näherer Betrach­ tung verschieden sind: Die Quelle der spezifischen Gegenwartsweise des Geistes Gottes in der Kirche ist doch in seiner Funktion für die Vermittlung der Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater zu suchen. Wäre der Geist nicht schon für die Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater konstitutiv, dann blie­ be die christliche Lehre von der Gottheit des Geistes eine bloß äußerliche Zu­ tat zum Bekenntnis der Zugehörigkeit des Sohnes zur Gottheit des Vaters. Das frühe Aufkommen einer trinitarischen Taufformel (Mt 28,19) hat zweifellos erheblich zur Ausbildung eines trinitarischen Gottesverständnis­ ses beigetragen. Das gilt vor allem für den christlichen Westen, während die trinitarische Taufformel im Osten erst im 4. Jahrhundert eine entscheidende Rolle für die Ausweitung der Aussage von Nicaea über die volle Gottheit des Sohnes auch auf den Geist gespielt hat27. Der Sitz im Leben für die Ausbildung der Trinitätslehre ist jedoch nicht primär in der Taufe zu suchen, sondern eher in der Katechese28, also in der Entwicklung der kirchlichen Lehre. Diese hatte ihren Ausgangspunkt nicht einfach in einer dreigliedrigen 26 Dagegen spricht nicht, daß die frühesten Belege für die trinitarische Taufformel (Mt 28,19; Did 7, Justin Ap 1,61) den Geist als himmlische Größe in Verbindung mit Vater und Sohn auffassen, nicht als den durch die Taufe verliehenen Geist: G. Kretschmar: Die Geschichte des Taufgottesdienstes in der alten Kirche, in: Leiturgia V, Kassel 1966, 1–342, 33. Die Nennung des Geistes erfolgt nach Justin Ap 1,61 immerhin im Zusammenhang damit, daß er den Täufling erleuchtet. Und wenn Priscillian den Geist als dritten Zeugen (neben Vater und Sohn, vgl. Joh 8,17) nennt (G. Kretschmar: Studien zur frühchristlichen Trinitätstheologie, Tübingen 1956, 214 f.), so handelt es sich jedenfalls um den Geist, der als Paraklet in den Glaubenden die Sohn­ schaft Jesu bezeugt. 27 Dazu vgl. G. Kretschmar: Studien zur frühchristlichen Trinitätstheologie, Tübingen 1956, 125 ff. und 131. 28 So Kretschmar a. a. O. 216. Höher bewertet M. Wiles: Reflections on the Origins of the Doctrine of the Trinity (Working Papers in Doctrine, London 1976, 10 f.) den Einfluß der trini­ tarischen Taufformel bei Justin Apol I,6,13 und 61, bei Irenäus (Epid 6,7) und Origenes (Horn. Ex. VIII,4).

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Formel29, sondern im Gesamtbestand der neutestamentlichen Aussagen über das Verhältnis des Sohnes zum Vater einerseits, zum Geist andererseits. Da­ bei war das Verhältnis dieser drei Größen durch die neutestamentlichen Aus­ sagen noch keineswegs geklärt. Nur ihre Zusammengehörigkeit war deutlich hervorgehoben. Doch schon das Verhältnis des Sohnes zum Vater war trotz der Präexistenzaussagen der neutestamentlichen Schriften nicht eindeutig be­ stimmt. Noch schwieriger war es, den Geist als selbständige Größe einerseits vom Vater, andererseits vom Sohn zu unterscheiden. Vor allem aber war un­ geklärt, wie die Aussagen über den Kyrios und über den Geist mit dem mo­ notheistischen Glauben an die Einheit Gottes zu vereinen waren. Die drei Probleme hängen zusammen. Solange der Geist nicht als eigene hypostatische Größe vom Sohn unterschieden wurde, konnte er als die den Sohn erfüllende Kraft des Vaters verstanden werden, der Sohn seinerseits als das Wort des Vaters, in welchem dessen Geist sich äußert. Umgekehrt läßt sich die hypostatische Verselbständigung des Geistes zu einem Dritten ne­ ben Vater und Sohn als eine Folge der Hypostasierung des Sohnes betrach­ ten30. Demgegenüber kann heutige Kritik an der christlichen Trinitätslehre die Rückkehr zur Auffassung des einen Gottes als Geist fordern, der in Jesus Christus und durch ihn wirksam ist und durch den wiederum Christus den Glaubenden lebendig gegenwärtig ist31. Eine solche Auffassung kann sich am ehesten auf Paulus berufen; denn in seinen Briefen bilden das Wirken des erhöhten Christus und das des Geistes eine unauflösliche Einheit32. Das ist darin begründet, daß der Auferstandene so sehr vom göttlichen Lebensgeist durchdrungen ist, daß er selber „lebendig­ machender Geist“ heißen kann (1.Kor 15,45). Paulus konnte daher gelegent­ lich sogar Kyrios und Pneuma identifizieren (2.Kor 3,17). Doch ist schon we­ gen der in diesem Text unmittelbar folgenden Kennzeichnung des Pneuma durch Zuordnung zum Kyrios, als „Geist des Herrn“ (3,17 b), eine vollständi­ ge Identität ausgeschlossen33. Der Kyrios ist der auferstandene und erhöhte Jesus, dessen Wiederkunft die Gemeinde erwartet. Der Geist ist die Form und Kraft seiner Gegenwart und der Verbindung der Glaubenden mit ihm34. 29 Siehe den Überblick über formelhafte Zusammenfassungen des christlichen Glaubens im Urchristentum bei J. N. D. Kelly: Altchristliche Glaubensbekenntnisse. Geschichte und Theologie (3.ed. London 1972), Göttingen 1972, 14–35, bes. 26 ff. zu binitarischen und trinitari­ schen Formeln. Vgl. auch vom gleichen Autor: Early Christian Doctrines (1958) 2.ed. London 1960, 88 ff. 30 So G. W. H. Lampe: God as Spirit. The Bampton Lectures 1976, Oxford 1977, 210 vgl. 132 f. 31 Das ist die Tendenz der Ausführungen von Lampe; siehe bes. 118. 32 Das ist eindringlich dargestellt worden von I. Hermann: Kyrios und Pneuma. Studien zur Christologie der paulinischen Hauptbriefe, München 1961. 33 So gegen Bousset überzeugend W. Kramer: Christos, Kyrios, Gottessohn, Zürich und Stuttgart 1963,163 ff. Dort auch 165 f. zu den verwandten Aussagen 1.Kor 12,3 und 1.Kor 6,17. 34 Auch G. W. H. Lampe räumt ein, daß Paulus keine vollständige Identität von Kyrios und Pneuma behauptet hat, indem er „Paul’s failure to complete the identification of the Spirit with the

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Schärfer wird bei Johannes zwischen Sohn und Geist unterschieden. Der Geist ist der „andere Anwalt (Paraklet)“, den der Vater im Namen Jesu (Joh oder den Jesus selbst nach seiner Erhöhung vom Vater her senden wird (15,26; 16,7). Die Bezeichnung Paraklet kann im Sinne eines Anwalts oder Fürsprechers der Menschen vor Gott verstanden werden. Sie wird so im Hinblick auf den erhöhten Christus 1 Joh 2,1 gebraucht. Sie kann aber auch im Sinne einer Anwaltschaft für Gott und seine Sache bei den Menschen auf­ gefaßt werden, bzw. für die Sache Jesu nach seinem Weggang35. Jedenfalls ist der Geist als „ein anderer Paraklet“, der erst nach dem Weggang Jesu kom­ men kann, deutlich von Jesus selbst unterschieden36. Dennoch ist die Unterscheidung von Sohn und Geist noch in der Theolo­ gie des zweiten und dritten Jahrhunderts in vieler Hinsicht unklar geblie­ ben37. Die Unklarheiten bezogen sich einerseits auf die Zuordnung zur Weisheit, deren Präexistenz als vom Schöpfer unterschiedene Größe durch Prov 8,22 ff. feststand. Theophilos von Antiochien (ad Autol. II,15 U.ö.) und Irenäus (adv. haer. IV,20,1 ff.) lehrten eine Trias von Gott, Wort und Weis­ heit38, wobei aber Theophilus den Geist mit dem Wort identifizierte (II,10), während Irenäus den Geist der Weisheit zuordnete (vgl. auch IV,7,4). Justin hingegen bezog Prov 8,22 f. auf den Logos und identifizierte folglich die Weisheit mit dem Logos (dial 61,1 ff.) im Unterschied zum Geist. Ihm folg­ ten Athenagoras (suppl. 10,3) und Tertullian (adv. Prax. 6 f.), und diese Zu­ ordnung sollte sich in der späteren Theologie durchsetzen (Orig, princ. 1,2 f.). Der Unklarheit des Verhältnisses von Sohn und Geist zur Weisheit entsprach andererseits eine Unsicherheit in der Frage, welche spezifischen Aktivitäten einerseits dem Sohn, andererseits dem Geist zugeordnet werden sollten: So wurden sowohl die alttestamentliche Prophetie als auch die Geburt Jesu als Werk des Geistes, aber auch als Werk des Logos bezeich­ net39. Bei der Schöpfung waren beide beteiligt als die „beiden Hände“ Got­ present Christ“ beklagt (a. a. O. 118), wodurch es möglich geworden sei, den Geist als ein „Drit­ tes“ neben Vater und Sohn aufzufassen. 35 Siehe den Appendix 5 bei R. Brown: The Gospel according to John XIII-XXI, New York 1970, 1135–1143, sowie ebd. 644: Der Geist ist „ein anderer Paraklet“ insofern er die Sendung Jesu fortsetzt (i.U. zum Sinn des Begriffs in 1.Joh 2,1). Das geschieht sowohl dadurch, daß er „die Welt“ wegen ihrer Verurteilung Jesu anklagt (Joh 16,8 f.), als auch dadurch, daß er die Glaubenden „in alle Wahrheit“ (16,13) leitet (a. a. O. 709–717). 36 Das gilt, obwohl Johannes die Ähnlichkeit des Geistwirkens mit dem Wirken Jesu betont (R. Brown a. a. O. 1141). Bei G.W.H. Lampe (a. a. O. 91 ff.) wird über dieser Ähnlichkeit der Unterschied gänzlich übersehen, der sich schon aus der nachapostolischen Entstehungssituati­ on des Johannesevangeliums ergibt (dazu Brown 1141 ff.). 37 So mit Recht M. Wiles: Some Reflections on the Origins of the Doctrine of the Trinity, in: Working Papers on Doctrine, London 1976,1–17, bes. 10. 38 Siehe dazu G. Kretschmar: Studien zur frühchristlichen Trinitätstheologie, Tübingen 1956, 27–61. 39 Belege bei M. Wiles a. a. O. 5.

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tes40. So scheinen Gott Vater, Sohn und Geist, vor allem aber die beiden letz­ teren, von ihren Funktionen her nicht eindeutig unterscheidbar zu sein, ob­ wohl Irenäus die Offenbarung des Geistes der Prophetie, die des Sohnes der Inkarnation und die des Vaters der künftigen Vollendung zuordnen konnte (adv. haer. IV,20,5). Einen andern Versuch zur Unterscheidung der trinitari­ schen Personen in bezug auf ihre Wirkungssphären hat Origenes unternom­ men. Danach wirkt Gott Vater im All und also in jeglichem Seienden, der Sohn nur in den vernünftigen Geschöpfen und der Geist nur in den Geheilig­ ten, also in der Kirche (princ. I,3,5–8). Ausdrücklich bestritt Origenes, daß der heilige Geist in der unbelebten Schöpfung wirksam sei. Nicht einmal in den vernunftbegabten Geschöpfen wirke er, es sei denn bei ihrer Bekehrung „zum Besseren“. Die Aussage von Gen 2,7 über die Mitteilung des göttlichen Odems an den Menschen wollte er daher als „Gabe nicht für alle, sondern ausschließlich für die Heiligen“ verstanden wissen (princ. I,3,6), und das Wirken des Geistes zur Erneuerung des Angesichts der Erde (Ps 104,30) deutete er auf die Begründung des neuen Gottesvolkes (I,3,7) statt auf das schöpferische Wirken des Geistes zur Belebung der Vegetation41. Dagegen hat Athanasios unter Berufung auf Ps 32,6 die Mitwirkung des Geistes eben­ so wie des Wortes schon bei der Weltschöpfung betont (ad Ser. III,5; vgl. IV,3), obwohl er scharf unterschied zwischen Gottes Geist und dem von ihm geschaffenen und erneuerten Geist des Menschen (ad. Ser. I,9). Die These, daß der Geist vom Sohne nicht zu trennen ist (ebd. I,9, vgl. 14 und 31), impli­ ziert notwendig seine Beteiligung schon bei der Schöpfung. Sie ist denn auch in der Nachfolge des Athanasios von Basilius von Caesarea und Gregor von Nyssa behauptet worden42. Athanasios und die Kappadokier betonten die Beteiligung aller drei Hy­ postasen in jeder göttlichen Tätigkeit als Konsequenz und Bedingung ihrer Wesenseinheit. Infolgedessen aber konnten die Unterschiede und Besonder­ heiten von Vater, Sohn und Geist auch nicht mehr von der Unterschiedlich­ keit ihrer Wirkungssphären her begründet werden43. Gibt es dann überhaupt

40 Siehe G.Kretschmar a. a. O. 34 ff. zu Iren. adv. haer. IV,20,1 sowie zu IV Prol. 4; V,6,1 und 28,4 u. ö. Vgl. auch Theoph. ad Autol. II,18. 41 Zu der einschränkenden Auslegung von Gen 2,7 auf die Soteriologie vgl. W.-D. Hau­ schild: Gottes Geist und der Mensch. Studien zur frühchristlichen Pneumatologie, München 1972, 89 ff. Zur Herkunft dieser Auffassung von Philo und zu ihrer Motivation durch die Ab­ wehr gnostischer Annahmen eines naturhaften Pneumatikertums vgl. den Exkurs 256–272, zur Stellung der Pneumatologie in der Trinitätstheologie bei Origenes 135 ff. 42 Belege bei M. Wiles a. a. O. 13. Wiles bemerkt dazu: „The association of the Spirit with the work of creation is of particular importance, because the exclusion of the Spirit from that sphere of the divine activity was an argument being used both by Eunomius and the Macedonians against his full Godhead.“ 43 Den Gegensatz dieser Auffassung zur Argumentation des zweiten und dritten Jahrhun­ derts hebt M. Wiles 11 ff. mit Recht hervor.

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noch eine Basis für die Behauptung einer Dreiheit im göttlichen Wesen44? Nach Maurice Wiles hätten schon Athanasios und die Kappadokier die Drei­ heit in Gott nur noch aufgrund der kirchlichen Überlieferung, des Offenba­ rungszeugnisses der Schrift und besonders der trinitarischen Taufformel gelehrt. Diese Grundlage aber entfalle für die heutige Theologie, weil die hi­ storisch-kritische Exegese die Behauptung nicht mehr rechtfertige, daß die dreifache Gestalt der Gottheit ein Offenbarungsdatum in Gestalt einer aus­ drücklichen Aussage mit Offenbarungsautorität sei45. Ist diese Argumentation stichhaltig? Sie setzt voraus, daß die Annahme unterschiedlicher Wirkungsweisen von Vater, Sohn und Geist die einzige empirische Argumentationsbasis für die Behauptung ihrer Unterschieden­ heit sein könnte. Diese Voraussetzung ist jedoch weder selbstevident, noch auch dem biblischen Sachverhalt angemessen46. Vielmehr ist die Unterschei­ dung von Vater und Sohn in ein und demselben Geschehen, in der Botschaft Jesu von Gott und seinem kommenden Reich, begründet, und auch die Rede vom Heiligen Geist ist diesem Geschehen zugeordnet: Obwohl die Vorstel­ lung vom Geist Gottes aus dem Alten Testament bekannt ist, wird er doch erst im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Vater und Sohn als ein eige­ nes, drittes Prinzip der göttlichen Wirklichkeit erkennbar. Entscheidend da­ für ist die Unterscheidung des Sohnes vom Vater47. Schon Tertullian und nach ihm Orígenes haben geltend gemacht, daß der Sohn sowohl den Vater als auch den Geist als einen jeweils „anderen“ von sich unterschied48, eine 44 M. Wiles a. a. O. 14: „If there is no distinction whatever in the activity of the Trinity to­ ward us, how can we have any knowledge of the distinctions at all?“ 45 Ebd. 14 f. („a datum of revelation given in clear propositional form“). Eine solche Auffas­ sung befindet sich nach Wiles in „conflict with the whole idea of the nature of revelation to which biblical criticism has led us“ (15). Dieser Ablehnung der Vorstellung von einer „proposi­ tional revelation“ (16) wird man zustimmen müssen. 46 Auch L. Hodgson, gegen dessen Deutung der Trinitätslehre als Resultat der Reflexion auf die „particular manifestations of the divine activity“ Wiles sich wendet (If.; vgl. 14 und L. Hodgson: The doctrine of the Trinity, London 1944, 25), hat nicht von drei verschiedenen Aktivitäten gesprochen, die je gesondert auf eine der trinitarischen Personen zurückwiesen, sondern von einer einzigen göttlichen „activity“, deren spezifische Manifestationen nicht auf einzelne Personen der Trinität führen, sondern „centre in the birth, ministry, crucifixion, resur­ rection and ascension of Jesus Christ and the gift of the Holy Spirit to the Church“. Dieser Ge­ samtsachverhalt enthält nach Hodgson, ohne daß das freilich genauer dargetan würde, das gött­ liche Leben als „mutual selfgiving to one another of Father and Son through the Spirit“ (68). 47 Das wird indirekt auch durch die Polemik G. W. H. Lampes bestätigt, derzufolge der Geist erst durch die „Hypostasierung“ des Logos zu einem „Dritten“ in der Gottheit geworden ist (a. a. O. 210). 48 Tert. adv. Praxean 9: ecce enim dico alium esse patrem et alium filium et alium spiritum… non tarnen diversitate alium filium a patre, sed distribution, nec divisione alium, sed distinctione, quia non sint idem pater et filius, vel modulo alius ab alio… sicut ipse profitetur: quia pater maior me est [Joh 14,28]… sic et pater alius a filio, dum filio maior, dum alius qui generat, alius qui generatur, dum alius qui mittit, alius qui mittitur, dum alius qui facit, alius per quem fit. Bene, quod et dominus usus hoc verbo in persona paracleti non divisionem significavit, sed

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Behauptung, die jedenfalls in der Darstellung des Johannesevangeliums eine solide Grundlage auch im Hinblick auf den Geist hat. Diese Begründung für die hypostatische Unterschiedenheit von Vater, Sohn und Geist geht nicht wie die Darlegung von De principiis von unterschiedlichen Wirkungsberei­ chen der drei Hypostasen aus, sondern argumentiert mit den inneren Bezie­ hungen des Sohnes zu Vater und Geist. Die Selbstunterscheidung des Sohnes einerseits vom Vater, andererseits vom Geist wird damit als Basis für die Be­ hauptung einer dreifachen Unterschiedenheit in der Gottheit erkennbar. Daß diese Linie von Athanasios und den Kappadokiern nicht weiterverfolgt worden ist, erklärt sich daraus, daß die Verschiedenheit der drei Hypostasen im arianischen Streit von niemandem bestritten wurde. Der Kampf ging um die Bestimmung ihrer Einheit mit der Gottheit des Vaters. Das wichtigste Argument, das Athanasios dazu vorbrachte – daß der Vater nicht Vater wäre ohne den Sohn und daher nie ohne den Sohn war (c. Arian I,29, vgl. 14 und 34; III,6), – impliziert zwar auch eine Mehrheit in Gott wegen der Semantik des Vaternamens als Relationsbezeichnung. Aber das war nicht der Zweck, für den Athanasios sich einsetzte, und abgesehen von den Gegebenheiten der Geschichte Jesu würde daraus auch nicht zwingend folgen, daß der Vater als Vater des (einzigen) Sohnes und nicht vielmehr als Vater der Welt oder einer Vielheit von Kindern zu denken ist. Die Geschichte Jesu als des Soh­ nes, und zwar in seiner Selbstunterscheidung vom Vater einerseits, vom Geist andererseits, bleibt daher der Ausgangspunkt für die Begründung der trinitarischen Unterschiede, wobei eine solche Begründung sich natürlich nicht nur auf der Grundlage des johanneischen Zeugnisses bewegen kann wie die Bemerkung des Origenes, sondern die ganze Traditionsgeschichte der Verkündigung Jesu und der Entwicklung der urchristlichen Christus­ botschaft berücksichtigen muß. Zur Erkenntnis der innertrinitarischen Un­ terschiede und Beziehungen, also des inneren Lebens Gottes, kommt es nur durch die Offenbarung des Sohnes, nicht durch unterschiedliche Wirkungs­ sphären des einen Gottes in der Welt. Erst nachträglich lassen sich den be­ reits bekannten trinitarischen Unterschieden auch spezifische Aspekte in der Einheit des göttlichen Wirkens in der Welt zuordnen. Sind Unterschiedenheit und Zusammengehörigkeit von Vater, Sohn und Geist klargestellt, dann erhebt sich freilich um so nachdrücklicher die Frage, dispositionem: rogabo enim, inquit, patrem, et „alium“ advocatum mittet vobis, spiritum verita­ tis [Joh 14,16], sic alium a se paracletum, quomodo et nos apatre alium filium, ut tertium gradum ostenderet in paracleto, sicut nos secundum in filio propter oikonomiae observationem. – Orig. Horn. Num. 12,1: Alius enim a patre filius et non idem filius, qui et pater, sicut et ipse in evange­ liis dicit: „alius est, qui de me testimonium dicit, pater“. Et rursus tertium puto videri puteum posse cognitionem Spiritus Sancti. Alius enim et ipse est a patre et filio, sicut et de ipso nihilominus in evangeliis dicitur: „mittet vobis pater alium paracletum, spiritum veritatis“. Est ergo haec tri­ um distinctio personarum in Patre et Filio et Spiritu sancto… Sed horum… unus est fons; una enim substantia est et natura Trinitatis (GCS Origenes 7, Leipzig 1921, 95,5–13).

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wie damit der monotheistische Charakter des biblischen Gottesglaubens, aber auch der Tradition philosophischer Theologie vereinbar ist. Die Beant­ wortung dieser Frage ist in der athanasianischen Argumentation für die volle Gottheit des Sohnes und, in den Briefen an Serapion, auch des Geistes mehr vorausgesetzt als daß sie dadurch erbracht würde. Das leitende Interesse der Argumentation für die volle Gottheit des Sohnes und des Geistes war es gar nicht, den monotheistischen Charakter des christlichen Gottesverständnis­ ses zu erweisen. Das Interesse an der vollen Gottheit des Sohnes und des Geistes war vielmehr darin begründet, daß nur unter dieser Bedingung die Glaubenden durch Sohn und Geist Gemeinschaft mit Gott selbst erlangen können49. Zwar beteuerte Athanasios auch, er lehre nicht drei Prinzipien, sondern nur eines, das auch im Wort und im Geiste ist (c. Arian. III,15), und er mochte letztlich wohl recht damit haben, daß die These der Homousie des Sohnes und des Geistes die Einheit Gottes besser wahrt als es die Gegner vermochten, die die Einheit Gottes als Monarchie des Vaters nur durch Zu­ weisung einer niedrigeren, geschöpflichen Stufe in der Rangordnung des Sei­ enden an Sohn und Geist glaubten aufrechterhalten zu können. Dennoch war das Verhältnis von Trinitätslehre und Monotheismus mit dem Bekennt­ nis zur vollen Gottheit von Sohn und Geist noch nicht geklärt. Das zeigte sich bald daran, daß Basilius von Caesarea das Verhältnis der einen Gottheit zu den drei Personen mit dem eines Allgemeinbegriffs zu seinen individuel­ len Realisierungen vergleichen konnte50, ohne auf die damit verbundene Ge­ fährdung des Monotheismus durch die Vorstellung einer Mehrzahl göttli­ cher Wesen einzugehen. Dagegen erhob sich bei den Arianern sofort der Vorwurf eines Tritheismus, einer Lehre von drei Göttern statt eines einzi­ gen. Die Sorge um die Bewahrung des biblischen Bekenntnisses zur Einheit Gottes hat die Entwicklung der christlichen Aussagen über die Gottheit des Sohnes und des Geistes von früh an begleitet. Oft wurde diesem Inter­ esse, besonders in den Anfängen trinitarischer Lehrbildung, durch die Unterordnung des Sohnes und des Geistes unter die „Monarchie“ des Vaters Rechnung getragen. Der Sache nach begegnet dieser Gedanke auch bei Iren­ äus, wenn von Sohn und Geist als den beiden „Händen“ Gottes die Rede ist, deren er sich schon bei der Schöpfung bedient habe (adv. haer. IV,20,1; vgl. 49 Athan. c. Arian II, 41, 43, 67 und 70 (vgl. auch I,49 und II,24), sowie zur Gottheit des Gei­ stes ad Serap I,24. 50 Basilius ep. 38,2 f. Auch J. N. D. Kelly (Early Christian Doctrines, London 1958, 2. ed. 1960), der die kappadokischen Väter gegen den schon von ihren arianischen Gegnern erhobe­ nen Vorwurf des „Tritheismus“ verteidigt, jedenfalls was ihre monotheistischen Intentionen angeht (267 f.), bezeichnet diese Erläuterung des Verhältnisses zwischen göttlicher Physis und Hypostasen als „unfortunate“. Zum Vorwurf des Tritheismus siehe K. Holl: Amphilochius von Ikonium in seinem Verhältnis zu den großen Kappadoziern, Tübingen und Leipzig 1904, 142 ff., 173 f. und 218 ff., sowie auch R. Seeberg: Lehrbuch der Dogmengeschichte II (3. Aufl. 1923) 132 ff.

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IV prol. 4). Den Ausdruck „Monarchie“51 hat Irenäus allerdings noch nicht verwendet. Er spielte dagegen eine bedeutende Rolle bei Tertullian ebenso wie für seine Gegner, denen er den Ketzernamen „Monarchianer“ gegeben hat52, weil sie den Gedanken der Monarchie Gottes so undifferenziert auffaßten, daß sie die Teilhabe des Sohnes und des Geistes an der Herrschaft des Vaters im Prozeß der Heilsgeschichte damit nicht vereinen konnten53. Tertullians „monarchianische“ Gegner erblickten in der von den Apologeten des 2. Jahrhunderts entwickelten Lehre vom präexistenten Logos eine Gefährdung des Monotheismus, die Aufrichtung einer Zweiheit oder gar Vielheit von Göttern54, einen Rückfall in gnostische Vorstellungen von „Äo­ nen“ als „Hervorgängen“ aus dem höchsten Ursprung55. Der Unterschied der Auffassung Tertullians von den modalistischen Monarchianern, jeden­ falls von den späteren – wie Sabellius – war allerdings, wie Adolf v. Harnack mit Recht urteilte, „nur ein gradueller“, weil für beide Seiten „die Selbstent­ faltung Gottes zu mehreren Hypostasen durchaus noch offenbarungsge­ schichtlich bedingt ist“56. Erst durch die Lehre des Origenes, daß der Logos oder Sohn vom Vater „ewig“ gezeugt wird, ist der Gedanke einer von Ewig­ keit her bestehenden Dreiheit in Gott erreicht worden57. Aber auch bei Ori­ genes blieb diese Vorstellung noch mit einer Inferiorität des Sohnes als „Ge­ schöpf“ gegenüber dem Vater verbunden58. Die Arianer haben diese Inferio­ rität sogar besonders betont im Gegensatz zum „Sabellianismus“. Sie haben den Gedanken dabei so vergröbert, daß ihnen die von Origenes auch gelehrte Wesenseinheit des Logos mit dem Vater und seine ewige Zeugung unter 51 Vgl. dazu die Ausführungen bei A. Grillmeier: Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, Freiburg 1979, 242 und besonders T. Verhoeven: Monarchia dans Tertullien ‚Adversus Praxe­ an‘, in: Vig. Christ. 5,1951,43–48. 52 Tert. adv. Praxean 10. 53 Tertullian hingegen fand, daß die Einheit der Herrschaft (unicum Imperium, adv. Prax. 3) nicht dadurch beeinträchtigt werde, daß der Vater sie dem Sohn überträgt, der seinerseits den Geist sendet und im Endgeschehen das Reich dem Vater zurückgeben wird (ib. 4). Das ist für Tertullian das oikonomiae sacramentum, quae unitatem in trinitatem disponit (ib. 2). 54 Tert. adv. Praxean 13, vgl. Hippolyt c. Noetum 11, vgl. 14. 55 Tert. adv. Praxean 8. Tertullian antwortet auf diese Anklage, daß die Äonen Valentins den Vater, aus dem sie hervorgingen, nicht kennen und von ihm getrennt sind, während einzig der Sohn ihn kennt und mit ihm so eines ist wie der Strahl mit der Sonne und der Fluß mit der Quelle. 56 A. v. Harnack art. Monarchianismus, in: PRE 3. Aufl. Bd. 13, Leipzig 1903, 332. 57 De princ. I,2,4: Est namque ita aeterna ac sempiterna generatio, sicut splendor generatur ex luce (vgl. I,2,7). Daher gibt es nach Origenes keine Zeit, da der Logos bzw. die Weisheit noch nicht war (I,2,9). In diesem Zusammenhang hat Origenes auch schon das später von Athanasios vorgetragene Argument formuliert, daß der Vater nicht Vater sein kann ohne den Sohn (I,2,10: ...pater non potest esse quis si filius not sit…). 58 M. Wiles weist in seinem Artikel zum Begriff der „ewigen Zeugung“ mit Recht darauf hin, daß diese Aussage bei Origenes nicht auf den Sohn beschränkt ist, sondern für alle geistigen Geschöpfe gilt (Eternal Generation, in: Working Papers in Doctrine, London 1976, 18–27, bes. 22 f. zu de princ. I,2,10; I,4,3 und III,5,3). Als „zweiter Gott“ (c. Cels. V,39) kann der Sohn den Geschöpfen zugeordnet werden als deren erstes (ib. V,37; vgl. auch IV,4,1).

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Ausschluß „einer Zeit, da er noch nicht war“, entgegengehalten werden konnten. Bei Athanasios wurde in seiner Verteidigung der nicaenischen Aus­ sage von der gleichen Gottheit, der Homousie, des Sohnes (und des Geistes) mit dem Vater der Subordinatianismus dann wirklich überwunden, weil Athanasios darauf bestand, daß der Vater als Vater ohne Sohn und Geist nicht gedacht werden kann. Die mit der Vorstellung der Kausalität verbun­ denen Abstufungen göttlicher Seinsfülle traten dagegen zurück. Doch um so dringlicher mußte die Frage werden, wodurch nunmehr die Einheit Gottes gewährleistet sein sollte. Konnte sie auch jetzt noch in der „Monarchie“ des Vaters bestehen, oder mußte sie nun auf ganz andere Weise formuliert und begründet werden? Die frühchristliche Theologie hat die Übereinstimmung des Bekenntnis­ ses zur Gottheit des Sohnes und des Geistes mit dem Monotheismus des Al­ ten Testaments dadurch nachzuweisen versucht, daß sie bestimmte Passagen des Alten Testaments als implizit trinitarisch deutete. Dieses Verfahren mag unter Gesichtspunkten heutiger historisch-kritischer Exegese als abwegig erscheinen. Es steht aber in einem Zusammenhang mit der Auslegungsge­ schichte solcher Texte schon im jüdischen Denken. Dieser Zusammenhang ist bedeutsam. Er zeigt, daß die christliche Auffassung vom Sohn als präexi­ stenter Hypostase neben dem Vater und entsprechende Vorstellungen über den Geist, die auf dem Wege zur Trinitätslehre ausgebildet wurden, keines­ wegs von vornherein im Gegensatz zum Judentum und seinem Glauben an nur einen Gott stehen mußten. Das zeigt sich schon an den Aussagen der Proverbien über die präexistente Weisheit (Prov 8,22 ff.), die zum Ausgangs­ punkt sowohl des johanneischen Logosbegriffs als auch der Logoslehre der frühchristlichen Apologetik wurden. In vergleichbarer Weise hat rabbini­ sche Theologie die präexistente Weisheit Gottes mit der Thora identifi­ ziert59. Aber die Weisheit war keineswegs die einzige Größe, die im jüdi­ schen Denken als Erscheinungsform Gottes zugleich in einer gewissen Selbständigkeit neben Gott vorgestellt wurde. Ein ähnlicher Sachverhalt liegt vielmehr schon in der deuteronomischen Theologie des „Namens“ Jah­ wes vor, von dem es heißt, daß er im Tempel „wohnt“ (Dtn 12,5.11.21 u. ö.), während Gott selbst im Himmel ist (Dtn 26,15)60. Auch die Herrlichkeit Jahwes ist seit Ezechiel und der Priesterschrift als eine eigene, von Gott selbst in gewissem Sinne unterschiedene Größe vorgestellt worden61, die in der eschatologischen Zukunft auf das neue Jerusalem herabkommen wird, um für immer dort zu wohnen (Hes 43,4.7). Die rabbinischen Targume haben 59

Solomon Schechter: Aspects of Rabbinic Theology (1909), New York 1961, 127 ff. Nach G. v. Rad streift diese Vorstellung dinglicher Gegenwart des Namens „hart die einer Hypostase“ (Deuteronomiumstudien, Göttingen 1947, 26). Vgl. auch ders.: Theologie des Al­ ten Testaments 1, München 1957,186. 61 Siehe dazu v. Rads Beschreibung der „Kabodtheologie“ von P in: Deuteronomiumstudien 26 ff. 60

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sodann den Kabod mit der Schekina verbunden62 und dadurch noch deutli­ cher von Gott selbst unterschieden. In allen diesen Vorstellungen äußert sich eine Tendenz, die Formen des Erscheinens und Wirkens Gottes in der Welt von ihm selbst zu unterscheiden. Das hängt zusammen mit der Vorstellung von der Transzendenz Gottes gegenüber der Welt. Die zunehmende Beto­ nung der Transzendenz Gottes hatte zur Folge, daß die Weisen seiner Ge­ genwart in der Welt sich zu selbständigen Hypostasen verdichteten. Solchen Vorstellungen waren die christlichen Auffassungen von Sohn und Geist als Träger der göttlichen Heilsökonomie in den frühen Phasen der Entwicklung christlicher Theologie zunächst in vieler Hinsicht verwandt. Beide konnten daher auch mit jüdischen Vorstellungen von Engeln in Verbindung gebracht werden, und umgekehrt ließen sich alttestamentliche Berichte von Gotteser­ scheinungen, die in jüdischer Exegese auf Engel bezogen wurden, als Belege für das christliche Bekenntnis zur Trias von Vater, Sohn und Geist in An­ spruch nehmen. So haben insbesondere die Erzählung vom Besuch der drei „Männer“ bei Abraham in Mamre (Gen 18,1–16) und die Berufungsvision Jesajas, die schon bei Philo mit der Vorstellung von dem Gott, der von der Kapporeth der Bundeslade, zwischen den beiden Cherubim (Ex 25,22), re­ det, verknüpft worden war, eine wichtige Rolle im altkirchlichen Schriftbe­ weis für die Trinitätslehre gespielt63. Darin steckt ein Sachverhalt von blei­ bender Bedeutung. Die christlichen Aussagen über Sohn und Geist ließen sich an die schon das jüdische Denken beschäftigenden Fragen nach dem Verhältnis von transzendenter Wesenswirklichkeit und Erscheinungsweisen des einen Gottes anschließen. Die christliche Antwort auf diese Fragen, die mit dem Bekenntnis von Nicaea und Konstantinopel zur vollen Gottheit des Sohnes und des Geistes gegeben wurde, besagt, daß die Formen der Gegen­ wart und Offenbarung Gottes in der Welt als wesenseins mit dem transzen­ denten Gott selber, diese also umgekehrt sowohl als transzendent als auch in der Welt gegenwärtig zu denken ist. Exemplarisch ist dieses Thema am Begriff des Logos entwickelt worden. Wie schon bei Philo ist in der christlichen Apologetik des 2. Jahrhunderts der Logos der eigentliche Träger der Offenbarung des transzendenten Gottes in der Welt, sowohl in der Schöpfung als auch in der Heilsgeschichte. Daher konnte Justin die im Alten Testament berichteten Gotteserscheinungen durchweg dem Logos zuschreiben (Apol 63, Dial 127 f.). Spezifisch christlich war erst die Behauptung einer leibhaftigen und endgültigen bzw. voll­ ständigen Erscheinung des Logos in Jesus von Nazareth. Aber andererseits führte gerade die Identifikation des Logos mit Jesus schließlich zur Überzeu­ gung von der vollen Gottheit des Logos. Diese ergab sich nicht aus seiner 62

Belege in ThWBNT II, 1935, 248 f. Dazu ausführlich G. Kretschmar: Studien zur frühchristlichen Trinitätstheologie, Tübin­ gen 1956, 64 f., 82 ff., 86 ff., vgl. auch 92 f. zur Auslegung von Hab 3,2. 63

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kosmologischen Funktion, die eher eine Inferiorität des aus Gott Hervorge­ gangenen gegenüber dem göttlichen Ursprung nahelegte. Die Einheit mit Gott im Sinne der vollen Gottheit des Logos ergab sich aus seiner eschatolo­ gischen Offenbarungsfunktion als Vermittlung der das Heil beinhaltenden Teilhabe an Gott selbst. Dennoch stand in den Anfängen der Logoschristo­ logie der Gedanke seiner Einheit mit dem Vater durch Herkunft von ihm im Vordergrund des Interesses. Die Herkunft des Logos vom Vater schien die monotheistische Legitimität der Christologie zu verbürgen. Ließ sich doch die Vorstellung des Logos aus der des einen Gottes herleiten, der mit der Weltschöpfung seine ihm eigene Vernunft als das Wort, welches den Ur­ sprung alles von Gott Verschiedenen bildet, aus sich heraussetzte64. Mit die­ ser Vorstellung des Hervorgangs war auch die weitere Vorstellung ver­ bunden, daß der Logos an der „Substanz“ des Vaters teilhabe65. Und doch: War mit dem Hervorgang des Logos nicht eine Zweideutigkeit gegeben, durch die entweder der Logos vom Vater unterschieden und an die Seite der Geschöpfe gewiesen war oder aber der Monotheismus preisgegeben wurde? Der Gedanke einer „ewigen“ Zeugung des Sohnes im Unterschied zur Er­ schaffung der Geschöpfe und der geschöpflichen Welt hat hier eine termino­ logische Abgrenzung gebracht. Aber war damit auch schon eine sachliche Klärung erfolgt? Bei Origenes war das sicherlich noch nicht der Fall. Bei Athanasios wurde die Einheit des Sohnes mit dem Vater auf einer anderen Basis als der Ursprungsbeziehung begründet66, nämlich aus der Logik der im Vaternamen implizit gesetzten Bezogenheit auf den Sohn. Damit war jedoch noch nicht die Frage geklärt, wie die Einheit beider näherhin zu verstehen ist. Die Kappadokier bemühten sich um eine solche Klärung. Sie haben den Ausweis der Einheit der drei Personen in der Einheit ihrer Tätigkeit erblickt67. Damit glaubten sie dem Vorwurf des Tritheismus 64 Zur Vorstellung von λόγος ἐνδιάθετοσ und λόγος προφορικός vgl. Theoph. v. Ant. ad Autol. II,10; ähnlich auch Tatian or. 5,1 ff., sowie Tert. adv. Praxean 5. 65 Tert. adv. Praxean 2: unius autem substantiae… quia unus deus, ex quo et gradus isti et for­ mae et species in nomine patris et filii et spiritu sancti deputantur, vgl. 4 :filium non aliunde dedu­ co, sed de substantia patris, sowie 9: pater enim tota substantia est, filius vero derivatio totius et portio. Siehe auch ebd. 43. Zur ähnlichen Auffassung des Origenes von der Einheit der Substanz in den göttlichen Personen vgl. J. N. D. Kelly: Early Christian Doctrines 130 f., bes. auch 235 zu der Konsequenz eines „generischen Verständnisses“ der Substanzeinheit. 66 Soweit Athanasios mit der Teilhabe des Sohnes an der vom Vater empfangenen Natur der Gottheit argumentiert hat (c. Arian I,26–28; II,59 f.), ist auch er nicht über die von Tertullian oder Origenes geäußerten Gedanken hinausgekommen. Vgl. weitere Belege bei Kelly a. a. O. 244 f. 67 Siehe dazu J. N. D. Kelly a. a. O. 266 f. Und vgl. schon die oben Anm. 55 zit. Ausführun­ gen Tertullians. Robert W. Jenson hat in seinem gedankenreichen Buch: The Triune Identity, Philadelphia 1982, 113 f. auf den Gedanken Gregors von Nyssa hingewiesen, daß die Gottheit Gottes selber in der gemeinsamen Tätigkeit besteht, in der Vater, Sohn und Geist miteinander verbunden sind (c. Eun. 2,149 und Ablabius 124 f.). Dieser Gesichtspunkt könnte in der Tat ei­ nen Ansatzpunkt zur Lösung der Schwierigkeiten in der Frage nach dem Verhältnis der drei

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überzeugend zu begegnen. Aber die Einheit der göttlichen Tätigkeit könnte auch als kollektive Einheit von vor aller gemeinsamen Tätigkeit bestehenden göttlichen Wesen gedacht werden, wenn der Gedanke einer einheitlichen Tätigkeit überhaupt mit der Vorstellung von einer Dreiheit göttlicher Perso­ nen verbunden werden soll. Die gemeinsame Tätigkeit ist nicht konstitutiv für die Personen und ihre Unterschiedenheit. Die Theologie des zweiten und dritten Jahrhunderts hatte eine Begründung für die Unterschiedenheit der trinitarischen Personen durch die Vorstellung dreier verschiedener Wir­ kungskreise von Vater, Sohn und Geist zu geben versucht. Die Vorstellung einer einheitlichen göttlichen Tätigkeit hingegen, wie sie das vierte Jahrhun­ dert entwickelte, kann nicht den Konstitutionsgrund unterschiedener Perso­ nen abgeben. Es ist schon viel, wenn sie der Annahme einer Mehrheit göttli­ cher Personen nicht widerspricht. Das läßt sich ausschließen durch die Vor­ stellung eines durchgängigen Zusammenwirkens der drei Personen. Aber dabei muß die Dreiheit der Personen als schon anderweitig begründet vor­ ausgesetzt werden. Ihre Verhältnisse zueinander, auch die Selbständigkeit oder Unselbständigkeit ihres Bestehens, lassen sich aus der Einheit ihres ge­ meinsamen Wirkens nicht erschließen. Es läßt sich lediglich fordern, daß die Konstitution der göttlichen Personen, wenn überhaupt aus andern Gründen eine solche Mehrheit in Gott anzunehmen ist, so gedacht werden muß, daß von daher die durchgängige Gemeinschaft ihres Wirkens auf die eine oder andere Weise verständlich wird. Die Vorstellung eines kollektiven Zusam­ menwirkens von ontologisch unabhängig bestehenden Subjekten ist da­ durch nicht ausgeschlossen, so daß auch der Verdacht eines Tritheismus auf diese Weise nicht schon ausgeräumt werden kann. Es überrascht daher nicht, daß auch die kappadokischen Väter sich genötigt sahen, diesem Verdacht noch auf andere Weise zu begegnen, nämlich durch Reflexion auf die Bezie­ hungen zwischen den Personen, insofern sie für deren Unterschiedenheit und Eigenständigkeit konstitutiv sind. Athanasios hatte den Gesichtspunkt entwickelt, daß bereits die Vorstel­ lung der einzelnen Personen für sich ihre Beziehungen zu den andern impli­ ziert, ohne diese Beziehungen also gar nicht gebildet werden kann. Am einleuchtendsten war ihm das im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Vater und Sohn gelungen. Daß der Vater ohne den Sohn nicht als Vater Personen zur Einheit des göttlichen Wesens bilden, wenn die Einheit des „Strahls“ ihrer ge­ meinsamen Tätigkeit aus den wechselseitigen Beziehungen der Personen gebildet würde. Doch dieser Schritt, den Jenson in der Umbildung des Gleichnisses von Sonne und Strahl (für das Ver­ hältnis von Vater und Sohn) bei Gregor von Nazianz zur Vorstellung von drei Sonnen, die ei­ nen einzigen Strahl erzeugen (or. 31,14 MPG 36,148 f.), angedeutet findet (ebd.), ist nicht ge­ danklich von ihnen entwickelt worden, und außerdem sah sich Gregor zur Umbildung des Gleichnisses deshalb veranlaßt, weil es der Selbständigkeit der aus dem Vater hervorgehenden Hypostasen nicht ausreichend Rechnung trage (vgl. K. Holl: Amphilochius von Ikonium, 1904, 175 zu MPG 36,169B).

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gedacht werden kann, war sein entscheidendes Argument für die volle Gott­ heit des Sohnes gewesen. Auf das Verhältnis des Vaters zum Geist wurde diese Argumentation in den Briefen an Serapion übertragen, obwohl sie hier aus dem Vaternamen nicht mit derselben Evidenz entwickelt werden konn­ te. Erst daraus, daß der Vater Gott ist, gewann das Argument seine Überzeu­ gungskraft, daß er nie ohne seinen Geist gedacht werden kann. Diese Argu­ mentation wurde von den Kappadokiern übernommen im Hinblick auf die Bestimmung der unterschiedenen Eigenart der drei Personen: Ihre Beson­ derheiten sind durch ihre Beziehungen zueinander bestimmt68. Aber dieser logische Gesichtspunkt für die Bestimmung der Besonderheit der trinitari­ schen Personen wurde nicht oder jedenfalls nur eingeschränkt fruchtbar ge­ macht für die Beantwortung der ontologischen Frage nach der Konstitution der Personen: Hierfür nämlich griffen die kappadokischen Väter zurück auf den alten Gedanken, daß der Vater Quelle und Prinzip der Gottheit sei69, Sohn und Geist ihre Gottheit und damit zugleich ihre Einheit mit dem Va­ ter70 also vom Vater empfangen, während der Vater allein ursprungslos ist. Das aber ist der Gesichtspunkt, mit dem der „Subordinatianismus“ in den vornicaenischen Auffassungen von der Trinität verbunden war und der im Kampf um die Formel von Nicaea der Anerkennung der vollen Gottheit des Sohnes im Wege gestanden hatte. Es war ja das Argument der Arianer gewe­ sen, daß der Vater allein ursprungslos und daher auch allein im höchsten Sinne Gott sei, Ursprung alles anderen, ohne selber eines Ursprungs zu be­ dürfen. Dagegen hatte zwar Basilios zwischen der Ursprungslosigkeit der Gottheit als solcher und der Ungezeugtheit des Vaters als dem eigentümli­ chen Merkmal seiner Person gegenüber dem Gezeugtsein des Sohnes unter­ schieden71, aber er ist nicht so weit gegangen wie Athanasios, die relationale Bedingtheit der personalen Unterschiede im Sinne einer wechselseitigen 68 Basilios ep. 38,7 (MPG 32,338B-339A), Amphilochius von Ikonium fgt. 15 (MPG 39,112), Gregor v. Nazianz, or. 29,16 (MPG 36,96 A) und or. 31,9 (MPG 36,141 C). 69 Basilios c. Eun. II,17 (MPG 29,605A), ep. 38,7 (MPG 32,337C) Gregor v. Nazianz or. 2 (MPG 35,445BC), auch or. 29,2 (MPG 36,76B), or. 31,14 (ib. 148 f.), bes. auch Gregor Nyss. adv. Maced. 13 (MPG 45,1317A). Zur Problematik dieses Gedankens im Hinblick auf die Kon­ sistenz der kappadokischen Trinitätslehre vgl. K. Holl: Amphilochius von Ikonium usw., 1904,146 ff. Zum Bild vom Vater als „Quelle“ der Gottheit neben dem noch geläufigeren Bild der Zusammengehörigkeit von Sonne und Lichtstrahl vgl. Tert. adv. Prax. 8, sowie 22 und 29, sowie Origenes in Johann II,3 (MPG 14,109D) und De princ. I,3,7 (60): unus deitatis fons, sowie auch das Fragment seines Kommentars zum Hebräerbrief bei C. H. E. Lommatzsch (ed.): Ori­ genes Opera Omnia 5, Berlin 1835, 297. 70 Nach Gregor von Nazianz or. 40,43 (MPG 36,420B) ist der Vater für die andern beiden Personen sowohl Grund ihres Seins als auch ihres Einsseins mit ihm. „Daß diese Behauptung mit seiner These, πατῆρ sei eine von der οὐσία zu unterscheidende Hypostase, sich logisch nicht reimen ließ, ist ihm so wenig wie Basilius zu Bewußtsein gekommen“ (Holl a. a. O. 174). Die Unvereinbarkeit besteht darin, daß der Vater als Quelle und Ursprung der Gottheit nicht ebenso von der göttlichen ousia unterschieden werden kann wie die beiden anderen Personen. 71 Zur Bedeutung dieser Unterscheidung für die Auseinandersetzung mit dem Arianismus

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Bedingtheit auch auf den Vater anzuwenden, so daß dieser nur in Beziehung zum Sohn als „ungezeugt“ gedacht werden könnte. Vielmehr waren in der Vorstellung vom Vater als Ursprung und Quelle der Gottheit Person des Vaters und Wesen der Gottheit nun doch wieder so zusammengeschlossen, daß dem Vater – und nur ihm – das göttliche Wesen in ursprünglicher Weise eignet, während Sohn und Geist es von ihm empfangen. Das bedeutet gegen­ über Athanasios einen Rückfall in den Subordinatianismus, weil der Ge­ sichtspunkt der wechselseitigen Bestimmtheit der Eigenart der Personen nicht zu dem Gedanken einer ebenso wechselseitigen ontologischen Konsti­ tution ihres Personseins weitergebildet, sondern im Sinne von Ursprungsbe­ ziehungen gedeutet wurde, von denen streng genommen nur in bezug auf Sohn und Geist als konstitutiv für ihr Personsein gesprochen werden konn­ te, wenn doch der Vater als Ursprung und Quelle der Gottheit galt. So läßt sich schwerlich behaupten, daß die Einheit von Vater, Sohn und Geist in der Einheit des göttlichen Wesens im Prozeß der Auseinanderset­ zungen um das Dogma von Nicaea und um die volle Gottheit des Sohnes und des Geistes eine hinreichende Klärung gefunden hätte. Die monotheisti­ sche Intention der kappadokischen Väter wie auch schon der vornicaeni­ schen Theologie ist zwar über jeden Zweifel erhaben. Daß sie auch argumen­ tativ eingelöst worden sei, läßt sich aber nur mit Einschränkungen bejahen. Daher ist es in der Sache begründet, daß spätere Theologie sich hier zu neuen und weitergehenden Bemühungen aufgefordert sah.

2. Die Stellung der Trinitätslehre im Aufbau der Dogmatik und das Begründungsproblem der trinitarischen Aussagen Bei der Darstellung der christlichen Gotteslehre hat sich seit der Hoch­ scholastik ein Verfahren durchgesetzt, das mit der Frage nach dem Dasein des einen Gottes beginnt, dann das Wesen und die Eigenschaften dieses ei­ nen Gottes behandelt, um erst im Anschluß daran die Trinitätslehre vorzutragen72. Diese Darstellungsweise ist auch von der reformatorischen Dogmatik beibehalten worden. Obwohl Melanchthon in seinen Loci communes von 1521 die Gotteslehre ganz ausklammern wollte (CR 21,84), beginnen die späteren Ausgaben der Loci theolo­ vgl. Holl 135 f. J .N. D. Kelly: Early Christian Doctrines (1958) 2.ed. New York und London 1960, 244 weist darauf hin, daß sich diese Unterscheidung schon bei Athanasius anbahnte (244). 72 Dasselbe Verfahren findet sich heute auch in griechisch-orthodoxen Darstellungen der Dogmatik, z. B. bei D. Staniloae: Orthodoxe Dogmatik, Gütersloh 1985. Das Bewußtsein einer Kritikbedürftigkeit dieses Verfahrens ist entscheidend durch K. Rahner geschärft worden (Be­ merkungen zum dogmatischen Traktat „De Trinitate“, in: Schriften zur Theologie 4, 1961, 103– 133, bes. 110 ff., 133).

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gici seit 1535 (ib. 351) mit einem locus de Deo, der nach kurzen Ausführungen über Gottes Dasein und Wesen ausführlich von der Trinität handelt (vgl. die Endfas­ sung von 1559 ib. 607–637). Calvin hat in seiner Institutio religionis christianae seit 1539 ein Kapitel über die Gotteserkenntnis vorangestellt, das jedoch nur von dem einen Gott handelte (CR 29,279–304). Die Trinitätslehre wurde, wie schon in der Erstausgabe von 1535 (ib. 71 f.), erst an späterer Stelle vorgetragen, nämlich bei der Erläuterung des Glaubensbekenntnisses im Anschluß an die Darstellung des Glaubensbegriffs (c. 6,8 ff., CR 29,481–495). Erst in der letzten Ausgabe der Insti­ tutio von 1559 wurde die Trinitätslehre mit der zu einem ersten Buch des gesamten Werkes ausgeweiteten Lehre von der Erkenntnis des Schöpfergottes verbunden und kam im Anschluß an die Behandlung der Gotteserkenntnis aus Natur, Schrift und Vernunft zur Darstellung (Inst. I,13, CR 30,89–116).

Von den altprotestantischen Dogmatikern wurde zwar seit Abraham Ca­ lov73 betont, daß der christliche Gottesgedanke erst mit der Trinitätslehre erreicht sei und ohne diese unvollständig bleibe74. Auch die Theologie der Aufklärung hat an dieser Auffassung festgehalten75. Aber man fühlte sich dennoch durch das Alte Testament legitimiert, der Trinitätslehre eine Darstellung Gottes als des höchsten Seienden (nach Ex 3,14)76 und seiner Eigenschaften vorauszuschicken. Dieser Gedanke wurde verbunden mit dem neutestamentlichen Begriff Gottes als Geist (Joh 4,24), später auch durch ihn ersetzt77. So oder so wurden die Eigenschaften Gottes aus seinem Begriff als höchstem Seienden oder Geist abgeleitet, während die Trinitätslehre als Inhalt der besonderen christlichen Offenbarung zu der in sich fertigen Vorstellung des einen Gottes hinzutrat und dadurch wie ein Anhang zur allgemeinen Gotteslehre wirken konnte. Die Theologie des frühen Mittelalters kannte noch ein anderes Verfahren. Petrus Lombardus handelte im ersten seiner vier Sentenzenbücher vom My­ sterium der Trinität und wendete sich nach einer kurzen Einleitung im 73 A. Calov: Systema Locorum Theologicorum t. 2: De Cognitione, Nominibus, Natura et Attributis DEI, Wittenberg 1655 c. III (De descriptione Dei): Conceptus proprius exprimitur in Dei descriptione tum absoluto termino infiniti… tum relative, quod essentia divina trium sit per­ sonarum, vel in tribus subsistat personis… Qui vero non addunt mentionem trium Personarum in descriptione Dei, eam nequaquam genuinam aut completam sistunt, quum sine iisdem non­ dum constet, quisnam sit verus Deus (182). 74 Vgl. auch D. Hollaz: Examen theologicum acroamaticum I (Stargard 1707) Neudruck Darmstadt 1971, 324. 75 S. J. Baumgarten hat in seiner „Evangelischen Glaubenslehre“ (2. Aufl. Halle 1764) die Trinitätslehre „eine wesentliche Grundwahrheit der nähern Offenbarung Gottes“ genannt, „welche ohne Zerrüttung und Aufhebung der wesentlichsten Stücke der geoffenbarten Heil­ sordnung… nicht beseit gesetzet oder unbekant und unerörtert gelassen, oder gar bestritten und geleugnet werden kan“ (I,425). Entsprechend hat auch J. S. Semler in seinem „Versuch einer freiern theologischen Lehrart“ (Halle 1777) die Trinitätslehre (288 f. und ausführlicher 290– 304) festgehalten, trotz deutlicher Neigung zu einer bloßen Offenbarungstrinität (300). 76 So Hollaz a. a. O. 325. 77 So Semler a. a. O. 271 f., weil ihm die Beschreibung Gottes im Alten Testament als unvoll­ kommen galt (vgl. 263 ff.).

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zweiten Abschnitt sofort dem mysterium trinitatis et unitatis zu. Auch er be­ gann freilich die Erörterung der „rationes et similitudines“ für den trinitari­ schen Glauben der Schrift mit Ausführungen über die natürliche Gotteser­ kenntnis. Aber diese ist nach seiner durch Augustin bestimmten Sicht aus den Spuren der Trinität in den Werken der Schöpfung zu gewinnen, deutli­ cher sodann in der menschlichen Seele zu finden78. Im Gegensatz zum Lombarden und der ganzen an Augustins psycholo­ gischen Analogien der Trinität orientierten Betrachtungsweise hat um die Mitte des 12. Jahrhunderts Gilbert de la Porrée die Auffassung verfochten, daß der Vernunft nur eine Erkenntnis der Einheit Gottes möglich ist. Die Dreiheit der Personen hingegen galt ihm als eine reine Glaubenswahrheit, die von der göttlichen Einheit in keiner Weise hergeleitet werden kann79. Den Versuch einer Herleitung der Dreiheit der Personen aus der Einheit Gottes mit Hilfe der psychologischen Trinitätsanalogien Augustins lehnte Gilbert als „Sabellianismus“ ab80. Derartige Versuche haben in der Früh­ scholastik eine bedeutende Rolle gespielt, und sie gehören zur Entstehungs­ geschichte des später maßgeblich gewordenen Aufbaus der Gotteslehre im Sinne einer Vorordnung der Lehre von der Einheit Gottes vor die Behand­ lung der Trinität. Das systematische Problem des Aufbaus der Gotteslehre wird daher erst unter Berücksichtigung dieser theologiegeschichtlichen Zusammenhänge in seiner Komplexität erkennbar. Die Selbstverständlich­ keit, mit der die spätere Theologie der einmal festgelegten Abfolge der The­ men folgte – zuerst die Lehre vom einen Gott und seinen Eigenschaften, da­ nach die Trinitätslehre – dürfte auf einem Verlust des Bewußtseins von dieser Problematik beruhen. Im Hintergrund der Entscheidungen über den Aufbau der Gotteslehre steht die Sachfrage nach dem Verhältnis von Einheit und Dreiheit Gottes: Läßt sich die Dreiheit aus der Einheit herleiten? In diesem Falle wäre die Abfolge der Themen von Einheit und Dreiheit Gottes im Auf­ bau der Gotteslehre systematisch gerechtfertigt. Diese Abfolge könnte aller­ dings auch als Ergänzung der Aussagen über den einen Gott durch Hinzutre­ ten der trinitarischen Aussagen aufgefaßt werden. Dann aber ergäbe sich ein systematischer Zusammenhang nur unter der Bedingung, daß die Bestim­ mungen der Einheit Gottes als in sich selber unzureichend dargetan werden 78 Petrus Lombardus: Sententiarum Libri Quatuor, Paris 1841, 15 ff. und 19 ff. Die imago Trinitatis in anima (I d.3n.7, p. 20 f.) wird im Anschluß an Augustin De trin. X,12 als memoria, intelligentia, amor beschrieben und auch ihre Differenz von der Dreiheit der Personen in Gott (nach De trin. XV,20 ff.) hervorgehoben. Der Lombarde scheint jedoch dem Ternar mens, noti­ tia ejus, amor (nach De trin. XI,4) den Vorzug gegeben zu haben, weil er besser den Vorrang des Vaters und die Beziehung zum Sohn als Zeugung ausdrückt (mens quasi parens: d.3 n. 18, Sp. 22 f.). 79 Siehe zu Gilbert M. A. Schmidt: Gottheit und Trinitaet, nach dem Kommentar des Gilbert Porreta zu Boethius’ De Trinitate, Basel 1956, 59, vgl. 10, dazu Gilbert PL 64, 1262 C ff. über die Begründung des Seins der geschaffenen Dinge in der göttlichen Essenz 1269 A ff. 80 PL 64, 1279 C f.

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könnten. Andernfalls müssen die trinitarischen Aussagen bei Zugrundele­ gung dieses Aufbaus der Gotteslehre als ein mehr oder weniger überflüssiger und äußerlicher Anhang zur Lehre von dem einen Gott erscheinen. Wenn aber die Ausführungen über die Einheit Gottes als unzureichende Bestim­ mungen des Gottesgedankens dargetan werden, dann ist auch damit schon eine, allerdings negativ vermittelte Herleitung der inneren Differenzierung des göttlichen Lebens aus seiner Einheit gegeben. Diese Problematik des Verhältnisses von Einheit und Vielheit in Gott ist nicht einfach identisch mit der Herleitung von Logos und Geist aus dem Va­ ter, wie sie seit der Logostheologie der Apologeten des 2. Jahrhunderts voll­ zogen worden war: Diese Gedankengänge hatten über die Vorstellung einer ewigen, nicht zeitlichen Zeugung zur Vorstellung dreier gleichermaßen gött­ licher Personen geführt. Damit aber stellte sich bei den kappadokischen Vä­ tern gegenüber der arianischen Anklage ihrer Lehre auf Tritheismus das Problem der Einheit Gottes in seiner Dreiheit ganz neu. Die Herleitung von Sohn und Geist aus der Person des Vaters genügte nicht mehr, diesem Ver­ dacht zu begegnen; denn der Vater war nun selber nur eine der drei Personen in Gott im Unterschied zur Einheit des göttlichen Wesens. Andernfalls, also bei Identifikation des Vaters im Unterschied zu Sohn und Geist mit dem göttlichen Wesen selber, war die Konsequenz unvermeidlich, Sohn und Geist als dem höchsten Gott untergeordnete Hypostasen gelten zu lassen (s. o. Anm. 50). Ebensowenig aber konnte es genügen, die Einheit des göttli­ chen Wesens mit Basilius analog einer Gattungseinheit zu denken, die die drei Hypostasen verbindet. Dadurch mußte erst recht der Verdacht eines Tritheismus erregt werden. Dieser Verdacht war auch nicht durch die Versi­ cherung der Gemeinsamkeit der drei göttlichen Personen in ihrer Betätigung zu entkräften, da die Konstitution ihrer Dreiheit der gemeinsamen Tätigkeit nach außen ja bereits vorausgehen muß. In dieser Lage konnte die Lösung darin gesucht werden, daß die Einheit des göttlichen Wesens aller trinitarischen Differenzierung vorweg behauptet und so bestimmt wurde, daß jede Vorstellung substantieller Unterschiede von ihr ausgeschlossen wurde, sei es auch um den Preis, daß die Unterschei­ dung dreier „Personen“ in Gott damit zu einem undurchdringlichen Ge­ heimnis wurde. Diesen Weg ist Augustin in seinem Werk über die Trinität gegangen. Anlaß dazu bot die These der kappadokischen Väter von der Ge­ meinsamkeit der drei göttlichen Personen in ihrem Wirken nach außen81: Daraus folgte, daß von den kreatürlichen Wirkungen her nur die Einheit Gottes erkennbar ist82. Diese Einheit aber ist als schlechthin einfach, ohne jede Zusammensetzung vorzustellen: Würde doch jede Vorstellung einer 81 Gregor v. Naz. or. 31,9; Gregor v. Nyssa Ex comm. not (MPG 45,180), auch Ambrosius De fide IV, 90 (CSEL 78,187 f.) und De spir. s. II, 59 (MPL 16,786), dazu Augustinus trin. I,4,7 (CCL 50,1968, 36): inseparabiliter operentur und IV,21,30 (CCL 50,202 f.). 82 Vgl. A. Schindler: Wort und Analogie in Augustins Trinitätslehre, Tübingen 1965, 127.

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Zusammensetzung den Gottesgedanken selber auflösen, weil dann auch nach einer Ursache solcher Zusammensetzung gefragt werden müßte, so daß das so Zusammengesetzte nicht als erste und höchste Ursache denkbar wä­ re83. Auf der Basis der Vorstellung von der einfachen Einheit des göttlichen Wesens suchte Augustin nun die Aussagen des trinitarischen Dogmas zu in­ terpretieren: Zunächst einmal kann es sich bei der Dreiheit von „Personen“ nicht um substantielle Verschiedenheit handeln. Daher stand Augustin der Unterscheidung der Personen als „Hypostasen“ kritisch gegenüber, weil das lateinische Äquivalent für hypostasis eben substantia ist84. Aber auch eine ak­ zidentelle Verschiedenheit in Gott kann nicht in Betracht kommen, weil es in Gott wegen seiner Unveränderlichkeit keine Akzidenzien geben kann. Die schon von den kappadokischen Vätern im Anschluß an Athanasios ent­ wickelte Bestimmung der trinitarischen Unterschiede durch den Rela­ tionsbegriff übernahm Augustin jedoch, und zwar in dem Sinne, daß die Verschiedenheiten der „Personen“ lediglich durch ihre Relationen zueinan­ der bedingt sind85. Die Behauptung von Relationen im göttlichen Wesen wi­ derspricht dem Ausschluß akzidenteller Bestimmungen aus dem Gottes­ gedanken nach Augustin nicht, weil die Relationen in Gott nicht Ausdruck irgendwelcher Veränderlichkeit sind, sondern von Ewigkeit bestehen, Akzi­ denzien hingegen veränderliche Bestimmungen sind: Also sind die Relatio­ nen in der göttlichen Wesenheit keine Akzidenzien86. Aber müßte nicht viel­ mehr aus dem Ausschluß akzidenteller Bestimmungen von Gottes schlecht­ hin einfacher Wesenheit (essentia) folgen, daß auch von Unterschieden der Relation in Gott keine Rede sein kann? Eine Herleitung der trinitarischen Unterschiede aus der Einheit des göttli­ chen Wesens hat Augustin nicht versucht. Die psychologischen Analogien, die er in seinem Werk über die Trinität aufgestellt und erörtert hat, sollen le­ diglich eine wenn auch entfernte Vorstellung einer möglichen Vereinbarkeit von Einheit und Dreiheit vermitteln und damit den Aussagen des trinita­ rischen Dogmas eine gewisse Plausibilität verschaffen87. Solche Analogien sind unbeschadet des Satzes von der Gemeinsamkeit der göttlichen Wirkun­ gen nach außen möglich, weil das Bild Gottes in der menschlichen Seele die 83

Siehe dazu vom Vf. Grundfragen syst. Theologie 1,1967, 302 ff., bes. 306. Augustinus trin. VII,5 f. (CCL 50, 260 ff.), vgl. VIII,1 (268). 85 Trin. VIII, 1 : ea dici proprie in ilia trinitate distincte ad singulas personas pertinentia quae relative dicuntur ad invicem… (268), vgl. V,5 (210 f.). Vgl. Gregor von Nazianz or. 29 (PG 36, 73 ff.). Auch die Bezeichnung des Vaters als „ungezeugt“ (ingenitus) ist nach Augustin trin. V,6,7 (212,47–49) als Relationsausdruck, weil Negation einer Relation, zu werten. 86 De trin. V,4,5 f. (209 f.). 87 A. Schindler urteilt, es sehe „fast so aus, als ob wir die aufgezeigten Analogien wohl in uns erblicken, die Trinität bei Gott jedoch nur glauben könnten“ (a. a. O. 215). Jedenfalls aber gelte, im Unterschied zur Darstellung von M. Schmaus (Die psychologische Trinitätslehre des hl. Au­ gustinus, Münster 1927), daß Augustin „eine trinitarische Psychologie und nicht eine psy­ chologische Trinitätslehre anstrebte“ (211, vgl. 229 ff.). 84

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drei Personen ja nicht je für sich, sondern gemeinsam abbildet. Weil aber das Abbild hinter dem Urbild zurückbleibt, konnte Augustin nicht zu einer „psychologischen Trinitätslehre“ im Sinne einer Herleitung der drei göttli­ chen Personen aus der Einheit des göttlichen Geistes gelangen. Er hat im Ge­ genteil das Unzureichende aller psychologischen Analogien der Trinität be­ tont88. Eine Herleitung der Dreiheit aus der Einheit des göttlichen Wesens ist da­ gegen von Ps.-Dionysius Areopagita versucht worden im Anschluß an die neuplatonische Einheitsspekulation des letzten großen Neuplatonikers, Proklos. Die Einheit der beiden in Platons Parmenides (Parm 137 cff. 142 eff.) entwickelten Auffassungen des Einen als überseiendes Eines und als seiendes Eines und Ganzes wurden bei Dionysios im Unterschied zu Prok­ los nicht unmittelbar als Einschluß der Welt mit ihrer Vielheit in das Göttli­ che, sondern trinitarisch interpretiert89. Als das Sein selbst im Sinne von Ex 3,14 (PG 3, 596A, 637A) ist Gott zugleich Denken (869A-C) und als solches sowohl Inbegriff der Ideen als auch bezogen auf die überseiende Einheit, durch die er alles in sich vereint (980)90. Die Dreiheit ergab sich hier aus der Dialektik im Begriff des Einen im Sinne eines Hervorgangs aus dem Einen und der Rückkehr zu ihm. Jahrhunderte später sind diese Gedanken bei Johannes Scotus Eriugena aufgenommen und zum Gedanken Gottes als des sich selbst konstituieren­ den absoluten Grundes, unum multiplex in seipso, entwickelt worden91. Im 12. Jahrhundert haben Thierry von Chartres und Alain de Lille den Sachver­ halt durch die Verbindung von Einheit und Gleichheit im Gedanken der Sichselbstgleichheit der göttlichen Einheit auf prägnante Formeln gebracht, auf die wiederum drei Jahrhunderte später Nikolaus von Kues zurückgrei­ fen sollte92. Man kann darin mit Werner Beierwaltes93 die spezifisch christli­ che Umformung und gedankliche Vollendung der platonisch-neuplatoni­ schen Einheitsspekulation erblicken. Der neuplatonisch inspirierten Herleitung der trinitarischen Dreiheit aus der göttlichen Einheit steht nun hinsichtlich der Argumentationsstruktur 88

So bes. De trin. XV,23, 43 (CCL 50 A 520 f.). Dazu Schindler a. a. O. 216. De div. nom I,5 (PG 3,593 B). 90 Vgl. zur Interpretation W. Beierwaltes : Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt 1985, 211 ff., sowie zu Proklos ebd. 205 ff. 91 De divisione naturae III, Nr. 17 (PL 122, 674 C). Vgl. W. Beierwaltes a. a. O. 337–367, bes. 347 ff. 355. L. Scheffczyk: Die Grundzüge der Trinitätslehre des Johannes Scotus Eriugena, in: J. Auer/H. Volk: Theologie in Geschichte und Gegenwart (Festschrift M. Schmaus), München 1957, 497–518 geht auf diesen Sachverhalt nicht ein. 92 Beierwaltes 368 ff. Schon bei Augustinus heißt es: quod pater et filius et Spiritus sanctus unius substantiae inseparabili aequalitate divinam insinuent unitatem (De trin. I,4,7; CCL 50, 35,4–6). 93 Ebd. 383. 89

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auch Anselm von Canterbury in seinem Monologion nahe. Inhaltlich aller­ dings sind die Gedanken Anselms eher an Augustin orientiert, insbesondere an der Trias Mens, Notitia, Amor aus dem 9. Buch seines Werkes über die Trinität94. Aber während Augustin den sich selbst erkennenden und lieben­ den Geist nur als ein entfernt ähnliches Abbild der Trinität betrachtete, hat Anselm die Dreiheit aus dem Begriff der summa natura als spiritus (Monol. 27) direkt erschlossen. Seine Argumentation läßt sich in vieler Hinsicht ver­ gleichen mit der Art und Weise, wie die frühchristliche Apologetik im 2. Jahrhundert aus dem Begriff Gottes als Geist auf den ihm eigenen und bei der Schöpfung hervortretenden Logos schloß. Aber Anselm entwickelte diese Gedankenreihe im Hinblick auf das Verhältnis von Einheit und Drei­ heit in Gott vor der Schöpfung, unter Voraussetzung des trinitarischen Dog­ mas, und zwar so, daß die Dreiheit aus der Einheit hergeleitet wird und von ihr umgriffen bleibt: der Denkende und sein Gedanke, sowie die beide ver­ bindende Liebe sind ein Geist (Monol. 29 u. 53). Die augustinischen Analo­ gien der Trinität lieferten dabei das Material für die Herleitung der Dreiheit aus dem Begriff der summa essentia als Geist. In ähnlicher Weise hat Richard von St. Victor in seinem Werk über die Trinität die Dreiheit in Gott aus dem Begriff Gottes als summum bonum hergeleitet, der den Gedanken der Liebe (caritas) einschließe (III,2: PL 196, 916 f.). Die als caritas be­ stimmte Liebe müsse aber Liebe zu einem andern sein: Nullus autem pro privato, et proprio sui ipsius amore dicitur proprie charitatem habere. Opportet itaque ut amor in alterum tendat, ut charitas esse queat (916). Daher erfordere die caritas eine Mehrzahl von Personen. Die Liebe Gottes könne aber nur in einer göttlichen Person den ihrer vollauf würdigen Partner finden, und daher sei eine Mehrzahl göttlicher Personen anzunehmen, die aber durch die Liebe so miteinander verbun­ den sind, daß sie alles, auch die Gottheit, gemeinsam haben (III,8: PL 196, 920: utrumque unam eamdemque substantiam communem habere). Die Argumentation aus dem Gedanken der Liebe hat vor der Herleitung der göttlichen Dreiheit aus dem Begriff Gottes als Geist den Vorzug, daß sie wirklich auf den Gedanken eines personalen Gegenübers führt. Die Personalität der in Gott zu unterscheidenden Pluralität hat der vom Begriff Gottes als Geist ausgehenden Argumentation immer Schwierigkeiten bereitet95. Allerdings hängen die Schwie­ 94 Augustinus De trin. IX,2 ff. (CCL 50, 294 ff.). Augustin geht hier aus von der Liebe, so­ fern sie eine Dreiheit von Liebendem, Geliebtem und Liebe umschließt (2). Liebe aber erfordert Erkenntnis des zu Liebenden, und alle Erkenntnis anderer setzt schon Selbsterkenntnis voraus, so daß auch der Liebe zu andern die Selbstliebe vorausgeht (3). So gelangt Augustin zur Drei­ heit von mens, notitia und amor (4). Anselm kommt umgekehrt von dem der summa natura eig­ nen Wort als Ursprung der endlichen Dinge auf das „innere Wort“, das als Gedanke der Äuße­ rung vorausgeht (Monologion 9 f., Werke ed. F. S. Schmitt I,24 f. vgl. Augustinus De trin. IX,7,12; CCL 50, 304,4 ff.), und von da aus auf die Liebe, mit der der summus spiritus sich selbst in dem ihm wesensgleichen Wort oder Sohn liebt (Monol. 49 ff.). 95 So ist es nach Anselm von Canterbury nicht zulässig, Vater, Sohn und Geist durch die gemeinsame Bezeichnung „Personen“ zusammenzufassen: Non enim putandae sunt tres perso­ nae, quia omnes plures personae sic subsistunt separatim ab invicem, ut tot necesse sit esse

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rigkeiten, die sich für Augustin mit der kirchlichen Lehre von einer personalen Dreiheit in dem einen Gott verbanden, vor allem damit zusammen, daß der Per­ songedanke die Vorstellung der individuellen Subsistenz einzuschließen scheint, Unterschiede der Substanz oder Subsistenz aber mit der Einheit der göttlichen es­ sentia nicht vereinbar sind (trin. VII,4,8 ff.; CC 50,257 ff.). Ein zweiter Vorzug der Argumentation Richards besteht darin, daß die Unter­ schiedenheit des Geistes als dritter Person in seiner Argumentation deutlicher her­ vortritt als in der Vorstellung von dem sich selbst denkenden und liebenden Geist. Nach Richard ist die dritte Person nämlich nicht schon mit der den Liebenden und Geliebten verbindenden Liebe gegeben. Diese entspricht vielmehr dem ge­ meinsamen Wesen. Doch erfordert die Liebe als caritas, die einen andern ebenso wie sich selber liebt, daß die durch solche Liebe verbundenen Personen einen Drit­ ten als Teilhaber ihrer Liebe wollen (III,11; PL 196, 922 und III,15; ib. 925). Dieser Argumentation ist allerdings nicht zu Unrecht entgegengehalten worden, daß zur Teilhabe an der Liebesgemeinschaft zweier auch ein Geschöpf in Betracht käme (Thomas v. Aquin S. theol. I,32,1 ad 2). Die durch den Liebesgedanken ermöglichte stärkere Profilierung der Personali­ tät der trinitarischen Personen und ihrer Gemeinschaft konnte nicht verhindern, daß Richards Argumentation in der Wirkung zurücktrat hinter der Herleitung der trinitarischen Bestimmungen aus der Geistigkeit des göttlichen Wesens, obwohl die frühe franziskanische Theologie mit ihrer Betonung des Liebesgedankens Ri­ chard folgte. Auch Richards Argumentation war in Augustins Denken verwurzelt. Dessen neuntes Buch über die Trinität beginnt mit der Dreiheit von Liebendem, Geliebtem und Liebe (trin. IX,2,2; 294,4, vgl. VIII,10,14; 290 f.). Aber Augustin lenkt bereits im nächsten Kapitel von der Liebe auf das Erkennen zurück: Wie könnte jemand lieben, was er nicht kennt? (IX,3,3: quomodo amat quod nescit?, 296,1). Die Argumentation aus dem Begriff des Geistes konnte daher als funda­ mental auch für das Verständnis der Liebe Gottes gelten.

Allen Versuchen zur Herleitung der Dreiheit aus der Einheit trat, wie bereits oben erwähnt, Gilbert de la Porrée entgegen mit dem Vorwurf des „Sabellianismus“ (s. o. Anm. 80). Dieser Vorwurf richtete sich nicht gegen Augustin96, wohl aber gegen den Gebrauch, den Anselm von Canterbury oder auch Petrus Lombardus von den augustinischen Gedanken machten: Augustins psychologische Analogien sollten ja nicht einer Herleitung der Dreiheit aus der Einheit dienen, nicht einmal zur Erkenntnis der Trinität führen, sondern lediglich die zuvor geglaubte Trinität nachträglich veran­ schaulichen. Allerdings hatte Augustin die Einheit Gottes so stark betont, daß für die Dreiheit der Personen streng genommen kaum noch Raum blieb. substantias quot sunt personae… Quare in summa essentia sicut non sunt plures substantiae, ita necplures personae (Monol. 79, p. 85,18–22). Etwas unvermittelt schließt dann das Kapitel mit dem Zugeständnis, daß auf die Frage: Quid tres Vater, Sohn und Geist denn seien, doch irgend­ etwas geantwortet werden müsse und um dieser Notwendigkeit willen die zuvor zurück­ gewiesene Begrifflichkeit dennoch verwendet werden möge (a. a. O. 86,12–14). 96 So M. A. Schmidt: Gottheit und Trinitaet, 1956, 110 f., weil er unterstellt, daß schon Au­ gustin selbst eine „psychologische Trinitätslehre“ entwickelt habe.

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Daher stand Gilbert mit seiner Behauptung, die Dreiheit in Gott sei eine rei­ ne Offenbarungswahrheit, die aus der Einheit Gottes nicht abgeleitet wer­ den könne, Augustin gar nicht fern (vgl. trin. X,6 f.). Ebenso kam es der Auf­ fassung Augustins nahe, wenn ein Jahrhundert später Thomas von Aquin bestritt, daß die Dreiheit der Personen durch Vernunftgründe mit zwingen­ der Notwendigkeit dargetan werden könne: Obwohl sich in jeglichem Ge­ schöpf eine Spur der Trinität finden läßt, ist es doch unmöglich, von daher die göttliche Dreiheit von Personen zu erschließen97. Zwar finden sich bei „platonischen“ Philosophen vereinzelt Gedanken, die der christlichen Trini­ tätslehre nahekommen, aber nicht im Sinne personaler Unterschiede in dem einen Gott98. Angesichts solcher Betonung des Glaubenscharakters der Trinitätslehre ist es allerdings überraschend, daß der systematische Zusammenhang der Got­ teslehre in der theologischen Summe Thomas von Aquins dennoch durch die Herleitung der trinitarischen Aussagen aus dem Begriff des einen Gottes als Geist gekennzeichnet ist. Aus der Vorstellung Gottes als erster Ursache der Welt werden nicht nur die dem Sinn nach negativen Eigenschaften der Ein­ fachheit, Vollkommenheit, Unendlichkeit, Unveränderlichkeit, Ewigkeit und Einheit Gottes abgeleitet, sondern auch seine Geistigkeit als erkennendes (I,14) und wollendes (I,19) Wesen. Daraus wieder wird die Denkbarkeit in­ nergöttlicher Hervorgänge (processiones) begründet, nämlich des Her­ vorgangs der Vorstellung des Erkannten im Intellekt (I,27,1) und der lieben­ den Hinwendung zu dem in der Vorstellung erfaßten Erkenntnisgegenstand durch den Willen (I,27,3). Auf die Vorstellung dieser innergöttlichen Vor­ gänge als Handlungen (actiones) stützt sich die Annahme innergöttlicher Re­ lationen (I,28,4) und auf diese wiederum die Lehre von den Personen als sub­ sistierenden Relationen (I,29,4). So ergibt sich eine Kette logischer Ablei­ tungen von der Vorstellung einer ersten Ursache der Welt bis hin zu den Aus­ sagen über die trinitarischen Personen. Wie ist das aber vereinbar mit der Behauptung, die Erkenntnis der Trinität sei eine rein auf Offenbarung beru­ hende Glaubenserkenntnis? Thomas selbst hat sich diese Frage gestellt99, und 97 Thomas von Aquin: Expositio super librum Boethii de Trinitate ed. B. Decker, Leiden 1955, q1,4 ad 1: Ad primum ergo dicendum quod ea, quae in creaturis sunt plura, in deo sunt un­ um secundum rem. Et ideo quamvis in quolibet ente creato inveniatur aliqua trinitas, ex hoc ta­ men non potest necessario concludi quod in deo sint aliqua tria nisi secundum rationem, et haec pluralitas non sufficit ad personarum distinctionem (76,22–26). Daher heißt es in der responsio des Artikels: Dicendum quod deum esse trinum et unum est solum creditum, et nullo modo po­ test demonstrative probari… (76,10 f.). Dieselbe Auffassung hat Thomas auch schon in seinem Sentenzenkommentar vertreten (I d 2 q a 4, Opera Omnia 7, Paris 1882,40 b). 98 S. theol. I,32,1 ad 1. 99 S. theol. I,32,1 arg. 2: Augustinus vero procedit ad manifestandum Trinitatem Personarum ex processione Verbi et amoris in mente nostra: quam viam supra secuti sumus. Dazu wird auf q. 27,1 und 3 verwiesen. In der Antwort auf dieses Argument beanstandet Thomas nicht die Au­ gustinusauslegung, sondern bemerkt nur: Similitudo autem intellectus nostri non sufficienter

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er hat sie damit beantwortet, daß die Vernunft im Falle der Offenbarungs­ wahrheiten wie der Trinität nur Kongruenzgründe vorweisen könne, die den betreffenden Sachverhalt zwar erläutern, aber dabei schon voraussetzen100. Es handelt sich dabei um eine Argumentation ex hypothesi, wie sie auch in ei­ ner Darstellung der Trinität als Explikation der Selbstoffenbarung Gottes er­ folgt. Aber bei Thomas wird sie in der Form einer Verknüpfung von natürli­ cher Theologie (in der Lehre von dem einen Gott und seinen Eigenschaften) und Trinitätslehre entwickelt, wobei die letztere aus der ersteren hergeleitet wird. So hat bei Thomas von Aquin die Gliederung der Gotteslehre durch Un­ terscheidung und Abfolge der Darstellung des einen Gottes und der Trini­ tät101 ihre für die Folgezeit klassische Form gewonnen. Diesem Aufbau der Gotteslehre liegt der Gedanke der Herleitung der Dreipersönlichkeit Gottes aus dem Begriff seines einheitlichen Wesens zugrunde. Dieser Kon­ struktionsgedanke findet den ihm angemessenen Ausdruck in der klassi­ schen Gliederung der Gotteslehre durch die Abfolge der Themen: Dasein und Wesensbegriff des einen Gottes, Wesenseigenschaften, Trinität. Ohne den Konstruktionsgedanken einer Herleitung der Dreiheit Gottes aus seiner Einheit aber ist auch der Aufriß der Gotteslehre, der die Trinitätslehre auf die Darstellung der Einheit Gottes folgen läßt, seines systematischen Sinnes beraubt. probat aliquid de Deo, propter hoc quod intellectus non univoce invenitur in Deo et in nobis (ad 2). Letzteres wiederum ist darin begründet, daß die geschöpflichen Wirkungen nur in vielfälti­ ger Brechung das spiegeln, was in der göttlichen Ursache in ungeteilter Einheit und Einfachheit enthalten ist (I,13,4 c und 5 c, vgl. ebd. I,12,4 resp. und 13,12 ad 2). Das stimmt überein mit Au­ gustins Auffassung der Einheit Gottes, die jede Zusammensetzung nicht nur aus verschiedenen Substanzen, sondern auch von Substanz und akzidentellen Bestimmungen für das göttliche We­ sen ausschließt (trin. V,4,5 f.; CCL 50, 209 ff.). Allerdings hat Augustin derartige Zusam­ mensetzungen nicht wegen der Einfachheit, sondern wegen der Unveränderlichkeit Gottes be­ stritten. Diese implizierte jedoch für ihn die Einfachheit (vgl. De civ. Dei VIII,6, sowie XI,10,1). 100 S. theol. I,32,1 ad 2: Alio modo inducitur ratio, non quae sufficienter probet radicem, sed quae radici iam positae ostendat congruere consequentes effectus… Trinitate posita, congruunt huiusmodi rationes; non tamen ita quod per has rationes sufficienter probetur Trinitas Persona­ rum. 101 Vorausgegangen waren damit schon die Summe Präpositins von Cremona und die unter dem Namen Alexanders von Haies publizierte Summa Theologica. In der Alexandersumme ist die Herleitung der Trinität aus der Wesenheit Gottes noch nicht so deutlich wie bei Thomas als Grund der Aufteilung der Gotteslehre auf die beiden inquisitiones de substantiae divinae uni­ tate und de pluralitate Divinae Trinitatis (vol. I, Quaracchi 1924, 39–412 und 413–488) erkenn­ bar. Immerhin endet die erste inquisitio mit einem Traktat über den Willen Gottes (n. 266 ff., pp. 360 ff.), und an ihn schließt sich die auf Richard von St. Victor fußende Herleitung der gene­ ratio Filii aus dem Gedanken der caritas an (q.l tit.l, c.l n. 295 p. 416b und bes. q.l, tit.2 c.5, resp. n. 311, p. 453 a). Die Alexandersumme deutet damit eine franziskanische, auf den Gedanken der göttlichen Liebe konzentrierte Version der Konzeption an, die bei Thomas ihre dominikani­ sche, erkenntnisbezogene Gestalt finden sollte.

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Wie sehr der in der westlichen Theologie klassisch gewordene Aufbau der Gottes­ lehre und die Begründung der Trinitätslehre aus der Einheit Gottes sachlich zu­ sammenhängen, kann man sich durch einen Vergleich mit der „Darlegung des or­ thodoxen Glaubens“ vor Augen führen, die Johannes von Damaskus um die Mitte des 8. Jahrhunderts verfaßt hat. Dieses Werk beginnt zwar ebenfalls, nach dem Vorbild der katechetischen Rede Gregors von Nyssa102, mit dem einen Gott, der Unbegreiflichkeit seines Wesens (I,1 f.) und Beweisen für das Dasein Gottes (I,3), worauf dann nochmals seine Unbegreiflichkeit (I,4) und Einzigkeit (I,5) dargelegt werden, bevor dann vom 6. Kapitel des ersten Buches an die Trinitätslehre behan­ delt wird. Aber als Gegenstand der Darlegung wird schon im ersten und zweiten Kapitel der trinitarische Gott benannt. Um seine Wesenseinheit und Unbegreif­ lichkeit, um sein Dasein und Wesen geht es von Anfang an. Daher können sich auch umgekehrt an die Darlegung der trinitarischen Differenzierung des göttli­ chen Wesens103 die Ausführungen über die Eigenschaften des einen und in sich tri­ nitarisch bestimmten göttlichen Wesens anschließen (1,9 ff.). Blickt man auf die in diesem Argumentationszusammenhang enthaltene Begründungsstruktur, dann wird man allerdings sagen müssen, daß auch hier, ebenso wie schon bei Gregor von Nyssa, ein Keim zur Herleitung der trinitarischen Bestimmungen aus der Ein­ heit Gottes, nämlich aus seiner Geistigkeit, erkennbar ist (bes. I,6 u. 7). Nur ist die­ ser Keim noch nicht für die Systematik der Gotteslehre insgesamt bestimmend ge­ worden, wie das später in der lateinischen Theologie des Mittelalters geschehen ist.

In der reformatorischen Theologie ist die systematische Geschlossenheit, die die Gotteslehre in der Hochscholastik gewonnen hatte, verlorengegan­ gen, weil hier nun ernst gemacht wurde mit der Erklärung, daß die Trinität nur aus der Offenbarung erkannt werde. Das bedeutete jetzt, daß die Aussa­ gen der Trinitätslehre aus der Heiligen Schrift zu begründen waren. Diese Forderung wurde zwar durchgängig für alle dogmatischen Aussagen erho­ ben, auch für die Lehrstücke vom Dasein Gottes und von Gottes Wesenheit für sich genommen (absolute considerata). Aber die Aussagen darüber deck­ ten sich nicht nur inhaltlich, unbeschadet ihrer biblischen Herleitung, wei­ testgehend mit Aussagen der scholastischen Philosophie über Gottes Gei­ 102 Gregor v. Nyssa: Oratio Catechetica Magna, PG 45,9–106. Die Rede setzt mit der Recht­ fertigung des trinitarischen Gottesbegriffs gegenüber dem jüdischen Monotheismus ein: Auch die Juden fassen Gott nicht als vernunftlos (ἄλογον) auf (c.l, PG 45,13 A). Die Vernunft muß aber der jeweiligen Natur dessen, der sie besitzt, kongruent sein. Daraus folgt die Ewigkeit des göttlichen Logos, und als ewiger muß er, weil unveränderlich, subsistieren (13 C). Auf dieselbe Weise gelangt man durch analoge Übertragung des bei uns feststellbaren Sachverhalts (ἀναλο­ γικῶς) zum Begriff des Geistes als dritter Hypostase in dem einen Gott (c.2,17). Beim Nyssener finden sich in diesem Zusammenhang ähnliche Erwägungen wie in Augustins Werk über die Trinität: Wir haben in unserer Seele die Grundlage für ein gewisses Verständnis der göttlichen Vernunft und des göttlichen Geistes, sind aber nicht fähig, den Sachverhalt in einer dem göttli­ chen Wesen angemessenen Form auszusagen (MPG 45,18 CD). 103 In diesen Ausführungen (de fide orth. I,6 und 7) folgt Johannes von Damaskus besonders eng, teilweise wörtlich, den in der vorigen Anmerkung zusammengefaßten Darlegungen Gre­ gors von Nyssa.

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stigkeit, Einheit, Einzigkeit, Einfachheit, Vollkommenheit, Unendlichkeit, Ewigkeit etc., sondern sie wurden auch im Hinblick auf ihre von daher gege­ benen gedanklichen Zusammenhänge vorgetragen104. Bei der Trinitätslehre hingegen beschränkte sich die altprotestantische Dogmatik auf eine Begrün­ dung und Präzisierung der Aussagen der Kirchenlehre von der Schrift her. Zwar hatte der spätere Melanchthon die trinitarischen Hervorgänge des Sohnes und des Geistes noch mit Hilfe der psychologischen Analogien der augustinischen Tradition aus der göttlichen essentia spiritualis hergeleitet105. Aber dagegen erhob sich alsbald entschiedener Widerstand, auf lutherischer Seite von Flacius und Hutter, auf reformierter bei Ursin106. Das Ergebnis war, daß in der Mehrzahl der altprotestantischen Darstellungen der Trini­ tätslehre kein durchgängiger gedanklicher Zusammenhang mit den Aussa­ gen über die Einheit des göttlichen Wesens und seiner Eigenschaften mehr entwickelt wurde. Die Erklärung, daß schon die Aussagen über Gottes Wesenheit absolute considerata auf den dreieinigen Gott des christlichen Glaubens zu beziehen seien und die Trinitätslehre dasselbe eine göttliche Wesen zum Gegenstand habe, nur jetzt in anderer Hinsicht, nämlich relative considerata107, konnte unter diesen Umständen die Themen der Gotteslehre nur äußerlich verklammern. Ein innerer gedanklicher Zusammenhang be­ stand nicht mehr, obwohl die auf die Hochscholastik zurückgehende Glie­ derung der Gotteslehre, die einmal Ausdruck eines solchen Zusammenhangs gewesen war, beibehalten wurde. Durch ihren Mangel an innerem Zusammenhang mit der Lehre von der absoluten Einheit Gottes wurde die Trinitätslehre anfällig für Kritik. Solche Kritik wurde zuerst von Sozinianern und anderen Antitrinitariern des 16. Jahrhunderts108 wegen der vermeintlichen Absurditäten der Kirchenleh­ re, aber auch auf der Basis einer kritisch gegen diese Lehre gerichteten Schriftexegese geäußert. Fiel diese Exegese im Hinblick auf Schriftaussagen wie Joh 8,58, Joh 17,5 und bes. Joh 1,1 ff. noch reichlich gezwungen aus109, 104 Vgl. dazu den Überblick bei C. H. Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reforma­ tion und Aufklärung II, Gütersloh 1966, 59–81. A.Calov z. B. stellte die Attributenlehre in Ge­ stalt von Folgerungen aus der descriptio Dei als essentia spiritualis infinita dar: Illa consequuntur vel essentiam, vel infinitatem, vel spiritualitatem (Systema 2,223). 105 Loci theol. 1559: At pater aeternus sese intuens gignit cogitationem sui, quae est imago ip­ sius… Haec igitur imago est secunda persona… Ut autem Filius nascitur cogitatione, ita Spiritus sanctus procedit a voluntate Patris et Filii (CR 21,615 f.). Der Auffassung Melanchthons folgten, außer seinen engsten Schülern, auch einige reformierte Theologen, im frühen 17. Jahrhundert bes. B. Keckermann in seinem Systema ss. theol., 1611 (1,2). 106 Belege bei C. H. Ratschow a. a. O. 90 f. und bei H. Heppe und E. Bizer: Die Dogmatik der evangelisch-reformierten Kirche, Neukirchen 1958, 92 ff. 107 J. F. König: Theologia positiva acroamatica (1664), Pars Prima, § 32. 108 D. Cantimori: Italienische Haeretiker der Spätrenaissance, Basel 1949, 33 ff. (zu Servet), 166 ff. 231 ff. zu L. Sozzini und F. Sozzini. 109 Siehe dazu die Erörterung der sozinianischen Argumentation bei D. F. Strauß: Die christliche Glaubenslehre 1, Tübingen und Stuttgart 1840, 467–475, bes. 472 f.

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so gaben die Arminianer ihr eine auch für den modernen Leser noch ein­ drucksvolle Schärfe: Sie ordneten Sohn und Geist dem Vater unter und wur­ den zu Vorläufern der späteren These, die Theologie müsse sich mit einer bloßen Offenbarungstrinität begnügen im Gegensatz zur Annahme einer ewigen Wesenstrinität110. Zu den Verstandesargumenten gegen die trinitari­ schen Aussagen und zur bibel-exegetischen Kritik an ihnen trat schließlich noch die historische Kritik an der Kirchenlehre, die deren Entstehung auf den spätantiken Platonismus zurückführte111. Dadurch wurde der Eindruck vom unbiblischen Charakter des trinitarischen Dogmas verstärkt, und so ist es nicht verwunderlich, daß sich die Theologie des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts gern auf den Gedanken einer Offenbarungstrinität112 zu­ rückzog, die man in der Schrift bezeugt fand113. Die Tendenz dahin war schon bei Johann Salomo Semler wirksam, und er plädierte für den arminia­ nischen Vorschlag, die genauere Auffassung von der göttlichen Sohnschaft dem privaten Urteil zu überlassen114. Andererseits dürfte mit dieser Tendenz noch Schleiermachers Behandlung der Trinitätslehre Zusammenhängen, mit ihrem Ansatzpunkt in Christologie und Pneumatologie (Der christliche Glaube, §121,2, vgl. 97,2) und deren zusammenfassender Erörterung am Schluß der Glaubenslehre (§§ 170 ff.). Im Verfall der Trinitätslehre in der evangelischen Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts wirkte sich das Fehlen einer inneren systematischen Ver­ knüpfung der trinitarischen Aussagen mit den Vorstellungen von der Einheit Gottes aus. Insofern hat die altprotestantische Theologie selber durch den Abbau der scholastischen Herleitung der Trinität aus der Einheit Gottes die­ sen Verfallsprozeß veranlaßt. Wies man die scholastischen Herleitungen zu­ rück wegen des Offenbarungsursprungs der Trinitätslehre, dann hätte von daher auch die christliche Auffassung von der Einheit Gottes neu durchdacht werden müssen. Auf keinen Fall durfte auf den Nachweis verzichtet werden, daß die Trinität mit der Einheit Gottes vereinbar ist, mehr noch, daß der Gedanke der Einheit Gottes ohne Trinität gar nicht sachgemäß und konsi­ stent gedacht werden kann. Abraham Calov hat einen solchen Zusammen­ hang zwar als Glaubenspostulat behauptet, aber nicht gedanklich entwickelt. In dem Augenblick, da der Anschein entsteht, daß der eine Gott eher ohne 110

Ebd. 476–480, bes. zu S. Episcopius und Phil, van Limborch, Theologia christiana (1689). So Souverain: Le Platonisme dévoilé, Köln 1700, deutsch 1782 von J. F.Chr. Löffler (Ver­ such über den Platonismus der Kirchenväter), 2. Ausg. 1792 mit Löfflers „Kurze Darstellung der Entstehungsart der Dreieinigkeitslehre“. 112 Die Unterscheidung zwischen einer trinitas oeconomica und der trinitas essentialis der Kirchenlehre geht auf Joh. Urlsperger zurück (Vier Versuche einer genaueren Bestimmung des Geheimnisses Gottes des Vaters und Christi, 1769–1774; Kurzgefaßtes System meines Vortra­ ges von Gottes Dreieinigkeit, 1777). 113 Vgl. etwa K. G. Bretschneider: Handbuch der Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche 1 (1814), 3. Aufl. Leipzig 1828, 544 ff. 114 J. S. Semler: Versuch einer freiern theologischen Lehrart, Halle 1777, 298 ff., bes. 301 f. 111

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als mit der Trinitätslehre gedacht werden kann, muß die letztere als ein über­ flüssiger Zusatz zur Vorstellung des einen Gottes erscheinen, wenn sie auch noch so ehrerbietig als Mysterium der Offenbarung behandelt wird. Schlim­ mer noch: Sie wird sich dann zwangsläufig als unvereinbar mit der Einheit Gottes darstellen. Erst in dieser Konstellation können dann auch biblische Exegese und historische Kritik zu Instrumenten der Destruktion der Trini­ tätslehre werden. Die Tatsache, daß im Neuen Testament zwar Anhalts­ punkte für die volle Gottheit von Sohn und Geist zu finden sind, nicht aber eine ausgebildete Trinitätslehre, wird kritisch gegen die letztere geltend ge­ macht werden, weil sie als inkonsistent in sich selber und als unvereinbar mit der Einheit Gottes erscheint. Derselbe Sachverhalt stellt sich in ganz ande­ rem Licht dar, wenn erst die Trinitätslehre die vollständige und in sich konsi­ stente Darstellung der Einheit des sich in Christus offenbarenden Gottes ist. Sie wird dann als Resultat der systematischen Erfassung und Durchbildung eines in den neutestamentlichen Zeugnissen nur angedeuteten, aber der Sa­ che nach im Glauben des Urchristentums implizit vorhandenen Sachverhalts erscheinen. Daß der Verfall der Trinitätslehre in der evangelischen Theologie Aus­ druck und Folge ihrer ungenügenden Vermittlung mit dem Gedanken der Einheit Gottes war, wird dadurch bestätigt, daß es nur der Wiederentdek­ kung der Herleitung der Trinität aus dem Geistbegriff bedurfte, um ihr aufs Neue zentrale Bedeutung für das christliche Gottesverständnis und sogar für den philosophischen Gottesbegriff zu sichern. Lessing ist es gewesen, der die Begründung der Trinität aus dem Geistbegriff als Ausdruck des Selbstverständnisses Gottes im Bewußtsein seiner selbst wiederentdeckt und neu geltend gemacht hat115. Die aus der Philosophie des Selbstbewußtseins entwickelte Gotteslehre der deutschen idealistischen Philosophie hat die Gedanken Lessings aufgenommen und eindrucksvoll ausgebaut. In Hegels Philosophie des absoluten Geistes hat die Erneuerung der Trinitätslehre aus dem Gedanken des seiner selbst bewußten Geistes ihre klassische Gestalt ge­ wonnen. Hegel war sich bewußt, damit im Unterschied zur zeitgenössischen Theologie das Zentraldogma des Christentums überhaupt erneuert zu ha­ ben116. In der Tat verliert ohne die Trinitätslehre auch die Lehre von der 115 G. E. Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts (1780) § 73. Vgl. auch ders.: „Das Christentum der Vernunft“ § 1–12. Daß Lessing, ohne die entsprechenden Lehren der an Augu­ stin anschließenden Scholastik zu erwähnen, doch im wesentlichen damit übereinstimmt, hat schon A. D. Chr. Twesten hervorgehoben (Vorlesungen über die Dogmatik der Ev.-Luth. Kir­ che II/I, Hamburg 1837, 209 Anm.). 116 Sie vor allem dürfte gemeint sein, wenn Hegel in der religionsphilosophischen Vorlesung von 1827 bemerkte, daß „die Grundlehren des Christentums aus der Dogmatik größtenteils verschwunden sind. Nicht allein, aber doch vornehmlich die Philosophie ist es, die jetzt wesent­ lich orthodox ist; die Sätze, die immer gegolten haben, die Grundwahrheiten des Chri­ stentums, werden von ihr erhalten und aufbewahrt“ (Vorlesungen über die Philosophie der Re­ ligion III Hg. G. Lasson, PhB 63, Hamburg 1925, 26 f., vgl. I (PhB 59) 45 ff. und 41 mit der

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Gottheit Christi ihren Halt. Jesus kann dann nur noch als ein göttlich inspi­ rierter Mensch gewürdigt werden, die Kirche als menschliche Glau­ bensgemeinschaft, die unter dem Eindruck der Persönlichkeit Jesu ent­ standen ist. Beides läßt sich am Beispiel der Glaubenslehre Schleiermachers studieren. Mit der Trinitätslehre hingegen stehen Gott und seine Offenba­ rung im Mittelpunkt der christlichen Theologie überhaupt. Im Bewußtsein dieser ihrer zentralen Funktion ist nicht nur die spekulative Theologie des 19. Jahrhunderts der Erneuerung der Trinitätslehre durch Hegel gefolgt. Auch die aus der Schule Schleiermachers hervorgegangene Vermittlungs­ theologie konnte sich ihr nicht entziehen. Die Schüler Schleiermachers hielten jedoch an der geschichtlichen Of­ fenbarung Gottes durch Sohn und Geist als Grundlage der Trinitätslehre fest. Man ging also nicht vom Begriff Gottes als Geist aus, um von da aus spekula­ tiv zur Vorstellung einer Selbstdifferenzierung Gottes in seinem Selbstbe­ wußtsein fortzuschreiten. Die Nötigung zur Entwicklung eines trinitari­ schen Gottesbegriffs fand man vielmehr in den Aussagen der Schrift über die volle Gottheit von Sohn und Geist. Dabei war umstritten, ob über die Drei­ heit Gottes als Vater, Sohn und Geist in seiner geschichtlichen Offenbarung hinausgehend überhaupt noch der Schritt zur Vorstellung einer entsprechen­ den Dreiheit auch in Gottes ewigem Wesen vollzogen werden dürfe und müsse. Nach August Twesten und Carl Immanuel Nitzsch ist dieser Schritt erforderlich, um, wie Nitzsch es formulierte, „die vollkommene Nothwen­ digkeit gerade dieser und solcher Offenbarungsweisen Gottes“ im Gottesge­ danken selber gegen alle unitarischen und deistischen Neigungen zu befesti­ gen117. „Ist Gott nicht, wie er sich offenbart, so ist diese Offenbarungstrias… nicht die absolute“118. Friedrich Lücke hingegen bezweifelte die Notwendig­ keit und exegetische Berechtigung eines solchen Schrittes, weil die Aussagen der Schrift über Gott Vater, Sohn und Geist im Verhältnis Gottes zur Welt ih­ ren Ort haben. Zwar stimmte Lücke der These Twestens zu: „wie Gott sich offenbaret, so sey er auch“. Aber wenn Gott sich als Liebe und Gerechtigkeit offenbare, so seien damit noch nicht „reale immanente Wesensverschie­ denheiten in ihm“ gesetzt, und ebensowenig folge das für die Unterscheidung von Vater, Sohn und Geist. Das Absolute „gestattet keine immanenten Un­ terschiede“119. „Daß Gott… sich selbst und in sich selbst erst offenbar

Betonung, daß Gott als Geist nicht nur in der Vorstellung eines höchsten Wesens, sondern „als dreieiniger Gott gefaßt werden“ müsse). 117 C. I. Nitzsch: Über die wesentliche Dreieinigkeit Gottes, in: Theologische Studien und Kritiken 1841, 295–345, 305. 118 Ebd. 306. Vgl. A. D. Chr. Twesten: Vorlesungen über die Dogmatik der Ev.-Luth. Kirche II/I, Hamburg 1837, 203, vgl. 199 mit Verweis auf Urlsperger. 119 Fr. Lücke: Fragen und Bedenken über die immanente Wesentrinität, oder die trinitari­ sche Selbstunterscheidung Gottes, in: Theologische Studien und Kritiken 1840, 63–112,108.

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werden müsse“, davon finde er „überall in der Schrift, weder bei Johannes, noch sonst, irgend eine Spur“120. Die evangelische Theologie des 19. Jahrhunderts ist trotz einer Vielzahl bedeutender Beiträge zur Trinitätslehre über diese Aporie nicht hinausge­ langt. Der Schritt von den biblischen Aussagen über die Gottheit von Vater, Sohn und Geist zur Vorstellung einer trinitarischen Differenzierung Gottes in seinem ewigen Wesen erschien Lücke und vielen andern mit Recht als ein Sprung zu einer ganz andern, „spekulativen“ Betrachtungsweise, weil die Vorstellungen der Wesenstrinität nicht aus den Gegebenheiten der ge­ schichtlichen Offenbarung, sondern aus bloßen Begriffen des göttlichen Wesens hergeleitet wurden, sei es aus dem Gedanken des göttlichen Geistes oder aus dem der Liebe Gottes. Beide Argumentationswege konnten sich zwar für ihre Ausgangspunkte auf Aussagen der Schrift berufen, nämlich auf die beiden johanneischen Sätze „Gott ist Geist“ (Joh 4,24) und „Gott ist Lie­ be“ (1.Joh 4,8), – neben der rätselhaften Aussage Ex 3,14, welcher die theolo­ gische Tradition seit der Patristik den Gedanken des unveränderlichen Seins Gottes entnommen hatte, die einzigen Sätze der Bibel, die sich wie „Defini­ tionen“ seines Wesens lesen. Aber die Herleitung trinitarischer Un­ terschiede aus diesen Aussagen ist mit fortschreitender exegetischer Einsicht in die Eigenart der neutestamentlichen Texte immer deutlicher als Sprung in ein anderes Genus der Argumentation erkannt worden. Daher wurde die Lehre von der immanenten Wesenstrinität im späteren 19. Jahrhundert wie­ der zurückgedrängt, vor allem unter dem Einfluß der Metaphysikkritik Al­ brecht Ritschls und seiner Schule121. Auch wo man an ihrer Notwendigkeit festhielt, weil Gott in seiner Offenbarung mitteile, „was in Wahrheit Er selbst“ ist, wurden „die Sätze der kirchlichen Lehre über die inneren Bezie­ hungen im Wesen Gottes… als spekulatives Theologumenon“ ausgeschie­ den, weil sie von der geschichtlichen Offenbarung wegführen, „statt darauf auszugehen, in ihm, eben dem zeitlich Gegebenen, das ewige Wesen Gottes zu erkennen“122. Das tiefere Problem, das mit der Herleitung der trinitarischen Unterschie­ de aus dem Begriff des Wesens Gottes verbunden ist, wurde jedoch bei allen von der Geschichtlichkeit der Offenbarung her begründeten Vorbehalten ge­ gen die spekulative Erneuerung der Trinitätslehre noch gar nicht berührt. Das ist die Tatsache, daß vor allem die Ableitung der trinitarischen Unter­ schiede aus einer Selbstdifferenzierung des göttlichen Geistes im Bewußtsein seiner selbst auf eine Aufhebung der Dreiheit der Personen in die Vorstellung 120 Ebd. 94, vgl. 99 zur Herleitung der trinitarischen Unterschiede aus Selbsterkenntnis und Selbstbewußtsein Gottes. 121 Vgl. den Überblick bei F. A. B. Nitzsch/H. Stephan: Lehrbuch der evangelischen Dog­ matik 3. Aufl. Tübingen 1912, 487 ff. und 490 ff. über die Stellungnahmen der einzelnen Dog­ matiker zur Trinitätslehre. 122 J. Kaftan: Dogmatik (1897), 3. Aufl. Tübingen 1901, 228 f.

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eines einzigen persönlichen Gottes hinausläuft. Die Herleitung der trinitari­ schen Unterschiede aus dem Begriff des einen Gottes gerät so in Widerspruch zur Trinitätslehre selbst. Das hatte schon im 12. Jahrhundert Gilbert von Poitiers in seiner Kritik an der Verwendung der augustinischen Trinitätsana­ logien zu einer psychologischen Ableitung der trinitarischen Aussagen er­ kannt und als „Sabellianismus“ abgelehnt (s. o. bei Anm. 80). Wenn auch die spekulativ-psychologischen Deutungen der Wesenstrinität mit dem histori­ schen Sabellianismus, der die Dreiheit Vater, Sohn und Geist auf die ver­ schiedenen Phasen der Heilsökonomie beziehen und beschränken wollte, nicht identisch sind, so ist an der Anklage auf „Sabellianismus“ doch so viel richtig, daß es sich auch bei der psychologischen Deutung der Trinität letzt­ lich um ihre Reduktion auf einen nichttrinitarischen Monotheismus handelt. Bei aller Selbstdifferenzierung in seinem Selbstbewußtsein bleibt der so gedachte Gott doch immer ein einziges Subjekt. Die Momente des Selbstbe­ wußtseins gewinnen keine eigene Subjektivität. Daher haben die Anhänger dieser Denkweise von Anfang an Schwierigkeiten mit der Behauptung dreier Personen oder Hypostasen in dem einen Gott durch das trinitarische Dogma gehabt. Während Augustin an dieser Stelle noch eine Grenze der Aussage­ kraft seiner psychologischen Analogien konstatierte, hat bereits Anselm von Canterbury umgekehrt die Angemessenheit der Sprache des Dogmas von drei Personen bezweifelt123. Die Versuche, innerhalb des psychologischen Modells Sohn und Geist als nicht nur in der Person des Vaters, sondern je für sich „subsistierende“ Relationen auszuweisen124, blieben gekünstelt. Auch auf dem Boden der spekulativen Erneuerung der Trinitätsleh­ 123

S. o. Anm. 95. Thomas v. Aquin S. theol. I, 29,4 resp.: Relatio autem in divinis non est sicut accidens in­ haerens subiecto, sed est ipsa divina essentia. Unde est subsistens, sicut essentia divina subsistit. Der künstliche Schein dieser Argumentation liegt in der Annahme, daß die mit der relatio ver­ bundene Entgegensetzung der Relata bei der Anwendung auf Gott bestehen bleibe, obgleich die Relation ebenso wie andere akzidentelle Bestimmungen in den Aussagen über die Gottheit ununterscheidbar mit dem göttlichen Wesen zusammenfällt. Bei Thomas selbst heißt es an an­ derer Stelle, daß die Relationen vom göttlichen Wesen nicht real verschieden sind (I,39,1: Ex quo sequitur quod in Deo non sit aliud essentia quam persona, secundum rem). In bezug auf das göttliche Wesen können Relationen und Personen nur gedanklich (ratione tantum) unterschie­ den werden. Nur im Verhältnis zum entgegengesetzten Relationsglied besteht jeweils ein realer Unterschied (Comparata autem ad oppositam relationem habet virtute oppositionis realem di­ stinctionem). Thomas glaubte damit eine reale Verschiedenheit der Personen (quod personae realiter ab invicem distinguantur) begründen zu können. Aber wenn die Relationsausdrücke im Verhältnis zum göttlichen Wesen wie alle andern akzidentellen Zuschreibungen nur gedanklich unterschieden werden können, dann gilt das auch für die zwischen ihnen bestehenden Entge­ gensetzungen. Daher ist es Thomas nicht gelungen, die Selbständigkeit der Personen als subsi­ stierende Relationen als denkbar erscheinen zu lassen. Duns Scotus neigte nicht ohne Grund der alternativen Vorstellung einer „absoluten“ Konstitution der göttlichen Personen als Basis ihrer wechselseitigen Beziehungen zu (vgl. dazu F. Wetter: Die Trinitätslehre des Johannes Duns Scotus, Münster 1967, 283–342 zur Kommentierung von I. Sent. d. 26 durch den doctor subtilis). 124

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re kehrte das Problem wieder. Hegel konnte eine Pluralität von Personen zwar vom Gedanken der Liebe her, aber nicht als Entfaltung des Selbstbe­ wußtseins des absoluten Geistes plausibel machen125 und bestimmte sie auch unter dem Gesichtspunkt der Liebe als in Gott „aufgelöst“126. Isaak August Dorner aber, der wichtigste Verfechter einer Wesenstrinität in der protestan­ tischen Theologie der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, machte den be­ zeichnenden Vorschlag, von drei „Seinsweisen“ des einen Gottes statt von drei Personen zu reden127. Ebenso bezeichnend ist es, daß der Vorschlag Dorners auch in Karl Barths nachdrücklicher Erneuerung der Lehre von einer immanenten oder Wesens­ trinität übernommen wurde128. Barth wollte freilich die Trinitätslehre nicht mehr aus einem Begriff Gottes als Geist herleiten. Er wollte sie vielmehr als Ausdruck der Offenbarung Gottes in Jesus Christus verstanden wissen. De facto aber entwickelte die „Kirchliche Dogmatik“ den Gedanken des trinita­ rischen Gottes nicht aus den Gegebenheiten der geschichtlichen Offenba­ rung Gottes als Vater, Sohn und Geist, sondern aus dem formalen Begriff der Offenbarung als Selbstoffenbarung, der nach Barth ein Subjekt der Offenba­ rung, ein Objekt derselben und die Offenbarung selbst als Momente um­ schließt, die zugleich miteinander eins sind129. Dieses Modell einer Offenba­ rungstrinität ist unschwer als strukturell identisch mit dem des seiner selbst bewußten Absoluten erkennbar, zumal wenn das Offenbarsein Gottes in sei­ ner Offenbarung primär als ein Sichselbstoffenbarsein gedacht werden muß130. Das offenbarende Subjekt ist dabei nur ein einziges. Barth konnte ge­ radezu die Trinitätslehre als Darstellung der „Subjektivität Gottes in seiner Offenbarung“ auffassen131. Für eine Mehrzahl von Personen in dem einen Gott konnte bei dieser Sachlage kein Raum sein, allenfalls für unterschiedli­ che „Seinsweisen“ der einen Subjektivität Gottes. Daran änderte sich auch dadurch nichts mehr, daß Barth nachträglich die biblischen Zeugnisse für die Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Geistes je für sich behandelte, um 125 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion hg. G. Lasson, III, 57 und 60 f. (MS), dazu bes. die Ausführungen der Vorlesungen von 1824 (71) und 1827 (75). 126 In der Vorlesung von 1824 heißt es: „In der göttlichen Einheit ist die Persönlichkeit als aufgelöst gesetzt“ (a. a. O. 72). J. Splett: Die Trinitätslehre G. W. F. Hegels, Freiburg 1965, 148 ff. spricht daher mit Recht von einer „Aufhebung der Liebe und damit des Andern als An­ deren“ bei Hegel (150). 127 I. A. Dorner: System der christlichen Glaubenslehre I (1879) 2. Aufl. 1886, 431 und 433, sowie schon 415 ff. 128 K. Barth: Kirchliche Dogmatik 1/1, 1932, 378. Zu Barths Beziehung zu Dorner vgl. meine Ausführungen in: Grundfragen systematischer Theologie II, 1980, 96–111 (Die Subjekti­ vität Gottes und die Trinitätslehre), bes. 99 f. 129 KD I/1, 332 ff. und 312 ff. 130 KD I/1, 502 ff. spricht die Selbstbeziehung Gottes in seiner Offenbarung aus, die aller­ dings bei Barth i. U. zu Hegel immer auf das Geschehen der Inkarnation bezogen gedacht ist (vgl. den Anm. 128 zit. Aufsatz 102). 131 K. Barth Werke V/4, 253 f. (an E. Thurneysen).

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darzutun, daß jeder dieser drei Aspekte der göttlichen Wirklichkeit nicht nur in der Selbstoffenbarung Gottes in Erscheinung tritt, sondern auch dem ewi­ gen Sein Gottes zuzuerkennen ist132. Solche Erwägungen hätten, für sich ge­ nommen, die Grundlage für eine auch inhaltlich von der Offenbarung Gottes ausgehende Trinitätslehre bilden können. Im Zusammenhang der Trinitäts­ lehre Barths fungieren sie jedoch nur als Begründung dafür, daß die zuvor entwickelten Aussagen über die im Begriff der Selbstoffenbarung des einen Gottes enthaltene Dreiheit von Seinsweisen auch für das ewige Sein Gottes in ihm selber Geltung haben. Nicht viel überzeugender ist das Ergebnis der Versuche, die Trinität aus dem Gedanken der Liebe Gottes herzuleiten. Zwar fiel schon an den Darle­ gungen Richards von St. Victor auf, daß dieser Argumentationstyp der Selb­ ständigkeit der Personen mehr Raum läßt als dies bei der Herleitung aus dem Geistbegriff der Fall ist. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheit von Personen als Bedingung des Liebesverhältnisses behauptet wird, wie das auch in Hegels Religionsphilosophie geschehen ist133. Es ist dann jedoch nicht erkennbar, daß die Personen durch die Liebe konstituiert sind, aus ih­ rem Wesen hervorgehen und nicht vielmehr schon anderweitig vorausge­ setzt werden müssen, damit eine Liebesbeziehung vorstellbar wird. Es ist zwar denkbar, daß auch die Hervorbringung von Personen Ausdruck von Liebe sein kann. Dann aber ist immer schon ein Subjekt vorausgesetzt, das als das primäre Subjekt der Liebe zu verstehen ist und dessen Produkte die anderen Personen sind. Damit stellt sich dann auch hier wieder die Vorstel­ lung eines einzigen göttlichen Subjekts ein. Die andern göttlichen Personen sind dann zwar nicht hinsichtlich ihrer Realität zweifelhaft, wohl aber sind sie der ersten Person subordiniert, ihr an Rang nicht gleich. Vor allem aber wird ihre Einheit problematisch: Mögen sie auch noch so eng mit der Liebe verbunden sein, so scheint doch ihr Dasein als Personen ihrer gegenseitigen Zuwendung in der Liebe schon vorausgedacht werden zu müssen, es sei denn, das Personsein ließe sich als konstituiert aus dem Wesen der Liebe, dieses aber als selbständige, in den Personen nur manifest in Erscheinung tre­ tende Realität denken. Meistens ist die Liebe nur als Eigenschaft oder 132

KDI/1,§ 10–12. Siehe die oben Anm. 125 zit. Sätze aus den Vorlesungen über die Philosophie der Reli­ gion. Die Trinitätsbegründung aus dem Gedanken der Liebe ist im 19. Jahrhundert bes. von E. Sartorius (Die Lehre von der heiligen Liebe I, 1840) entwickelt, aber auch von J. Müller als Vor­ aussetzung des göttlichen Verhältnisses zur Welt behauptet worden (Die christliche Lehre von der Sünde, 1838, 3. Aufl. Breslau 1849, Band 2, 182 ff.). Sie findet sich auch bei K. Th. A. Lieb­ ner: Die christliche Dogmatik aus dem christologischen Princip dargestellt I, Göttingen 1849, 127 ff., verbunden mit eingehender Kritik früherer Auffassungen (201 ff., bes. 233–269) unter Betonung der „Reciprocität“ in den trinitarischen Beziehungen (265 f.), und ist nach dem Vor­ gang Liebners (132 f.) von I. A. Dorner (System der christlichen Glaubenslehre 1,409 ff.) als „ethische Ableitung der Trinität“ mit der Herleitung aus dem göttlichen Selbstbewußtsein (405 ff.: „Die logische Trinität“) verbunden worden (427). 133

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Tätigkeit der göttlichen Personen aufgefaßt worden, und dann ist zumindest eine erste göttliche Person als Subjekt der Liebe schon Voraussetzung für das Verständnis der göttlichen Liebe, während sich bei den andern, aus ihr hervorgehenden Personen dann die alten Schwierigkeiten der Subordination unter die erste und außerdem noch tritheistische Gefährdungen der göttli­ chen Einheit ergeben. Weiterhin entsprechen derartige Vorstellungen auch nicht der Aussage von 1.Joh 4,8. Diese besagt nämlich nicht nur, daß Gott liebte sondern daß Gott Liebe ist. Dieser Gedanke wird nicht erreicht, wenn man der Vorstellung folgt, daß Gott ein Subjekt ist, das liebt. Auch unter Voraussetzung einer Pluralität von Personen, die einander in wechselseitiger Liebe zugewandt sind, bleiben die Personen verbunden durch ein anderes – die Liebe nämlich –, das aber dabei nicht als ein Drittes ihresgleichen, als dritte „Person“, gedacht wäre. Gegen die Vorstellung Gottes als eines jenseitigen Subjektes der Liebe und einer Pluralität trinitarischer, durch die Liebe geeinter Personen hat Ludwig Feuerbach die johanneische Identifikation Gottes als Liebe ausspielen können: Die Liebe he­ be solche personalen Entgegensetzungen gerade auf. Eberhard Jüngel ist ausführ­ lich auf diese Kritik eingegangen und hat ihr entgegengehalten, daß sie ein Ver­ ständnis der Liebe im Sinne eines „abstrakten Eros“, als „Inbegriff menschlicher Selbstverwirklichung“ voraussetze134. Aber Feuerbach faßte die Liebe als eine Gattungskraft auf, durch die sich die Gattung als mächtig über die Individuen er­ weise135. Wer gegen Feuerbach die Einheit von Gott und Liebe zeigen will, darf „Gott“ nicht als jenseitige Person voraussetzen, der dann die Liebe als Tätigkeit oder Eigenschaft zugeordnet wird, sondern muß umgekehrt die „drei Personen“ als die geschichtlich konkreten Daseinsformen der Liebe verstehen, die Gott selbst ist. Eberhard Jüngel hingegen stimmt Heinrich Scholz darin zu, daß „die von Gott auszusagende Liebe in der Tat Gott selbst zum Subjekt haben muß“ (462). Er wie­ derholt damit die Identifikation Gottes als Subjekt der Liebe, gegen die Feuer­ bachs Kritik gerichtet war. Obwohl Jüngel betont, es dürfe „das Sein des dreieini­ gen Gottes nicht aus der Logik des Wesens der Liebe deduziert werden“ (433), kommt er faktisch der Argumentation Richards von St. Victor sehr nahe: „Gott ist der von sich aus Liebende… Es muß aber der von sich aus Liebende, da von sich aus zu lieben nicht möglich ist ohne den Bezug auf einen diese Liebe schon immer empfangenden Geliebten, sich seinerseits schon immer auf einen Geliebten bezie­ hen: Gott der Sohn“ (509). Jüngel hat mit dem Wechsel von Barths Modell der Selbstbejahung Gottes in seiner Offenbarung zum Gedanken Gottes als Liebe zweifellos mehr Raum für den personalen Charakter der innertrinitarischen Unter­ schiede gewonnen. Aber indem er den Sohn aus der Selbstdifferenzierung des 134 E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 457–470, hier 464 zu L. Feuer­ bach: Das Wesen des Christentums (1841) hg. W. Schuffenhauer (Werke 5) Berlin 1973, 410 f., 436. 135 Feuerbach a. a. O. 35 ff. Das ist der Sinn des Vorrangs, den Feuerbach dem Prädikat Liebe vor dem Subjekt Gott zuspricht (435 f.). Jüngels Stichworte „Eros“ und „Selbstverwirklichung“ dagegen überschreiten nicht die Orientierung am Individuum, am Subjekt, das Feuerbach nur als Manifestation der Gattung anerkennen will.

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Gottes, den er das Subjekt der Liebe nennt, hervorgehen läßt, wird Gott a parte po­ tiori mit dem Vater identifiziert mit der Folge, daß die Gleichheit von Sohn und Geist mit dem Vater hinsichtlich des göttlichen Wesens zweifelhaft werden muß. Das gilt (ähnlich wie einst beim origenistischen Gedanken einer ewigen Zeugung des Sohnes) unbeschadet der Versicherung, daß der von sich aus liebende Gott „im­ mer schon“ auf den Sohn als Gegenstand seiner Liebe bezogen ist. Zugleich bleibt damit unverständlich, wieso im genauen Sinn des johanneischen Wortes Gott Liebe ist und nicht nur Liebe hat.

Jede Ableitung der Pluralität der trinitarischen Personen aus einem We­ sensbegriff des einen Gottes, sei es als Geist oder als Liebe, führt also in die Schwierigkeiten hier des Modalismus, dort des Subordinatianismus. Auf beiden Wegen werden die Intentionen des trinitarischen Dogmas verfehlt136. Die Argumentation aus dem Gedanken der Liebe steht zwar dem christli­ chen Gottesverständnis und der Trinitätslehre näher als die Ableitung aus dem Gedanken eines göttlichen Selbstbewußtseins, weil sie einer Pluralität der Personen in der Einheit des göttlichen Lebens Raum gibt. Aber diese Pluralität kann ohne Rückgriff auf einen vortrinitarischen Monotheismus der „Subjektivität“ des einen Gottes als des Erzeugers der übrigen Personen nicht aus einer Vorstellung göttlicher Liebe begründet werden, sie kann im Gedanken der göttlichen Liebe nur ihre zusammenfassende Einheit finden. Eine Begründung der Trinitätslehre muß darum ausgehen von der Art und Weise, wie Vater, Sohn und Geist im Offenbarungsgeschehen in Erschei­ nung treten und sich zueinander verhalten. Darin liegt das sachliche Recht der Forderungen nach einer Begründung der Trinitätslehre aus dem Offen­ barungszeugnis der Schrift bzw. aus der Heilsökonomie. Folgt man einem solchen Ansatz, dann entfällt aber der Sachgrund dafür, die Trinitätslehre an die Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften anzuschließen. Vielmehr läßt sich von Gottes Wesen und Eigenschaften dann erst im Zusammenhang der trinitarischen Offenbarung Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist sachgemäß sprechen. Zwar setzt das christliche Reden von Vater, Sohn und Geist, insbesondere aber Jesu Anrede Gottes als Vater ein vorläufiges Ver­ ständnis von Gott immer schon voraus, aber nicht das der philosophischen Theologie, sondern das der Religion, und zwar in dem besonderen Sinne der Einzigkeit des Israel offenbar gewordenen Gottes. Dieses Gottesverständnis 136 Auch W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 326 weist beide Ableitungen zu­ rück, allerdings nicht so sehr aus inhaltlichen Gründen, sondern darum, weil die Trinität „ein mysterium stricte dictum“ (326) sei. Daran ist so viel richtig, daß die trinitarischen Aussagen sich nicht aus abstrakten Vernunftprinzipien ableiten lassen, sondern in der Offenbarung des Sohnes und des Geistes gründen (so auch Kasper a. a. O. zu Mt 11,27; Joh 1,18; 1 .Kor 2,11, sowie 327: „Wir erkennen den dreifältigen Gott nur aus seinen Worten und Taten in der Geschichte“). Der Hinweis auf das Mysterium der Trinität darf jedoch nicht zur Abweisung der Begründungs­ pflicht für die trinitarischen Lehraussagen aus dem Offenbarungszeugnis der Schrift führen: Damit würde ein unbiblischer Begriff von Mysterium an die Stelle des biblischen Zeugnisses vor dem in Jesus Christus offenbarten Heilsmysterium (1.Tim 3,16; Röm 16,25) treten.

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ist seinerseits schon das Ergebnis eines Prozesses der Auseinandersetzung Israels mit seiner religionsgeschichtlichen Umwelt gewesen, wie er bei der Behandlung des Offenbarungsbegriffs im 4. Kapitel erörtert wurde. Aber dieses jüdische Gottesverständnis wird nun in Jesu Beziehung zum Vater noch einmal implizit modifiziert, und die explizite Darstellung dieser Modi­ fikation hat ihren Ausdruck in der christlichen Trinitätslehre gefunden. Die christlichen Aussagen über den einen Gott, sein Wesen und seine Eigen­ schaften, beziehen sich auf den im Verhältnis Jesu zum Vater offenbaren, dreieinigen Gott. Sie können daher erst im Anschluß an die Trinitätslehre er­ örtert werden. So ist es mit Recht in der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths geschehen. Allerdings hat Barth, weil er die Trinitätslehre einem vortrinitari­ schen Gedanken der Einheit Gottes und seiner „Subjektivität“ in seiner Of­ fenbarung unterordnete, noch nicht die Funktion der Lehre von Gottes We­ sen und Eigenschaften für die Trinitätslehre erkennen können, die darin be­ steht, daß erst mit der Frage nach Wesen und Eigenschaften des trinitari­ schen Gottes die Einheit dieses Gottes zum Thema wird, so daß die Verirrungen vermeidbar werden, die mit den Versuchen einer Herleitung der Trinität aus der Person des Vaters oder aus der Einheit des göttlichen Wesens unentrinnbar verbunden sind.

3. Unterscheidung und Einheit der göttlichen Personen a) Der Ansatz bei der Offenbarung Gottes in Jesus Christus und die traditionelle Terminologie der Trinitätslehre Die Erörterungen des letzten Abschnitts führen zu dem Ergebnis, daß eine systematische Begründung und Entfaltung der Trinitätslehre ebenso von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ausgehen muß, wie der historische Weg der Ausbildung der Trinitätslehre in der christlichen Theologie seinen Anfang nahm von der Botschaft und Geschichte Jesu, sowie von der Chri­ stusverkündigung der Apostel. Schon die mittelalterliche Theologie hat auf ihre Weise und mit zunehmender Entschiedenheit die Einsicht in den Offen­ barungscharakter der Trinitätslehre betont. Die reformatorische Theologie war von daher im Recht, allein das Zeugnis der Heiligen Schrift als Quelle für ihre Darstellung anzuerkennen, trotz der systematischen Unzuträglichkei­ ten, die sich dadurch für den Aufbau der Gotteslehre ergaben. Ebenso haben im frühen 19. Jahrhundert die Schleiermacher nahestehenden Theologen wie Nitzsch und Twesten sowie Friedrich Lücke, aber auch schon Karl Gottlieb Bretschneider und andere gegen die Erneuerung des trinitarischen Gottesge­ dankens durch die spekulative Theologie aus dem Begriff Gottes als Geist mit Recht darauf bestanden, daß die christliche Trinitätslehre ihren Maßstab im

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Offenbarungszeugnis der Schrift zu suchen habe137. Dabei haben jedenfalls Twesten und Nitzsch unter Berufung auf Urlsperger die untrennbare Zu­ sammengehörigkeit von Offenbarungstrinität und Wesenstrinität betont138. Sie haben hier klarer gesehen als viele der späteren Theologen: So wie Gott sich offenbart, so ist er auch in seiner ewigen Gottheit. In der Theologie des 20. Jahrhunderts ist dieser Sachverhalt erst von Karl Barth wieder in voller Klarheit erfaßt worden. Dabei ist es das besondere Verdienst Barths, daß er aus dieser Einsicht in seiner „Kirchlichen Dogma­ tik“ auch systematische Konsequenzen für die Stellung der Trinitätslehre im Aufbau der Dogmatik gezogen hat. Man mag darüber streiten, ob die Ein­ ordnung der Trinitätslehre in die Prolegomena zur Dogmatik statt in die Gotteslehre eine sachlich befriedigende Lösung sein kann139, jedenfalls aber muß ihre Behandlung im Anschluß an die Erörterung des Offenbarungsbe­ griffs und vor der Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften als angemes­ sen bezeichnet werden, wenn anders sie die Frage zu beantworten hat, wer der Gott ist, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Diese Frage muß schon beantwortet sein, bevor sinnvoll nach den Wesensmerkmalen dieses Gottes gefragt werden kann140. Wie aber kann der trinitarische Gottesgedanke aus der Offenbarung Got­ tes in Jesus Christus begründet werden, wenn weder in der Botschaft Jesu selbst, noch auch in den neutestamentlichen Zeugnissen eine ausdrückliche Formulierung nachgewiesen werden kann, die besagt, daß der eine Gott in den drei Personen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes existiert? Der Schriftbeweis für die Trinitätslehre, den die altprotestantische Dogmatik noch in großer Breite sowohl aus dem Alten als auch aus dem Neuen Testament geführt hatte, mußte nach dem Aufkommen der historisch-kritischen Schriftauslegung auf eine erheblich schmalere Basis begründet werden. So urteilte bereits Johann Salo­ mo Semler, daß viele der in diesem Zusammenhang angeführten Schriftsteller „für uns ungewis oder unbrauchbar“ geworden seien141. Insbesondere forderte er die

137 So ausdrücklich A. D. Chr. Twesten: Vorlesungen über die Dogmatik der Ev.-Luth. Kir­ che II/l, Hamburg 1837,198 f. Ursprung der Trinitätslehre sei „das eigentümlich Christliche Be­ wußtsein der Erlösung“ (182), während „die Trinität der Spekulation noch nicht ohne weiteres die des Christenthums ist“ (196). 138 S. o. die Anmerkungen 118 f. 139 So W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 379, der dieses Vorgehen Barths in KD I/1, § 8–12 mit seiner Ablehnung natürlicher Theologie verknüpft sieht. 140 W. Kasper selbst möchte die Aussagen über Wesen und Eigenschaften des einen Gottes mit dem Vater „als Ursprung und Quelle der Trinität“ verbinden, insofern „der Vater das eine Wesen Gottes in der Weise besitzt, daß er es weiterschenkt an den Sohn und an den Geist“ (a. a. O. 381). Aber ist der Vater auch ohne den Sohn schon Gott im Sinne des christlichen Glau­ bens? Wird er nicht nur in seiner Beziehung zum Sohn und durch die Offenbarung des Sohnes (Mt 11,27) als Gott erkannt? 141 J. S. Semler: Versuch einer freiem theologischen Lehrart, Halle 1777, 295.

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Beschränkung des Schriftbeweises für die Trinität auf das Neue Testament. Diese Forderung ist seit dem frühen 19. Jahrhundert fast allgemein anerkannt142. Aber auch im Neuen Testament wurde es jetzt schwierig, eine explizite Behauptung der Trinität nachzuweisen143. Am nächsten kommt einer solchen Formel der Taufbefehl Mt 28,19, zumal hier nur von einem einzigen „Namen“ des Vaters und des Sohnes und des heiligen Gei­ stes die Rede ist, auf den hin die Taufe vollzogen wird. Die spätere Vorstellung von dem einen Gott in drei Personen, im Sinne der trinitarischen Theologie des 4. Jahrhunderts, konnte sich damit verbinden, aber man kann sie nicht der Formel selbst schon entnehmen. Diese sagt nichts aus über die Art der Zuordnung von Vater, Sohn und Geist, obwohl der eine Name, der alle drei umfaßt, zweifellos der göttliche Name ist. Die Einheit des Namens hat ihren Ursprung in der sonst übli­ chen Formel von der Taufe auf den Namen des Herrn Jesus (Act 8,16 und 19,5). Sie ist zur dreigliedrigen Formel erweitert worden (vgl. auch Did 7,1.3)144. Von diesem Ursprung in der Geschichte der christlichen Taufe her muß sie interpre­ tiert werden, indem die sachlichen Gründe für die Ausweitung der Taufformel auf den Namen Jesu zur trinitarischen Taufformel gewürdigt werden. Für sich allein genommen bildet die trinitarische Taufformel keine hinreichende Grundlage für einen trinitarischen Gottesbegriff145 im Sinne der Theologie des 4. Jahrhunderts, obwohl sie in der Entwicklung der Trinitätslehre eine herausragende Rolle ge­ spielt hat. Viel weniger noch können die anderen triadischen Formeln im Neuen Testa­ ment als zureichende Basis für die Entwicklung einer Trinitätslehre betrachtet werden. Die dogmatische Tradition hat sich, neben der heute allgemein als sekun­ där beurteilten Erweiterung von 1.Joh 5,7 f.146, besonders auf 2.Kor 13,13 berufen: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemein­ schaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.“ Aber hier werden Gott, Christus und der Geist nur nebeneinander genannt, und zwar die beiden letzteren als von „Gott“ unterschieden. Der Segensgruß bringt zwar ihre Verbundenheit zum Aus­ druck, keineswegs aber eine von allen dreien zu behauptende Gottheit. Das wäre eher der Fall bei Röm 11,36: „Aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist alles“, wenn die drei Glieder dieser Formel mit Sicherheit auf Vater, Sohn und Geist zu beziehen wären. Es handelt sich aber offenbar um eine stoische Formel, die von

142 K. G. Bretschneider: Handbuch der Dogmatik der ev.-luth. Kirche I (1814) 3. Aufl. Leip­ zig 1828, 476–484 mit dem Ergebnis: „Das alte Testament läßt uns also über diese Lehre in Un­ gewißheit“ (483). 143 A. a. O. 484 ff. 144 Siehe dazu G. Kretschmar: Der heilige Geist in der Geschichte. Grundzüge frühchristli­ cher Pneumatologie, in W. Kasper (Hg.): Gegenwart des Geistes. Aspekte der Pneumatologie, Freiburg 1979, 92–130, bes. 128 f., sowie L. Abramowski: Die Entstehung der dreigliedrigen Taufformel – ein Versuch, in: ZThK 81,1984, 417–446, bes. 438 ff. 145 Das hat schon K. G. Bretschneider a. a. O. 484 ff. 488 f. richtig gesehen. 146 Dieses sog. „Comma Johanneum“ lautet: „Denn drei sind es, die Zeugnis geben: [im Himmel der Vater, der Logos und der heilige Geist, und diese drei sind eins; und drei bezeugen auf Erden:] der Geist, das Wasser und das Blut.“ Vgl. dazu R. Schnackenburg: Die Johannes­ briefe, 2. Aufl. Freiburg 1963, 37 ff.

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Paulus auf die Heilsgeschichte übertragen worden ist147. Sie liegt auch 1.Kor 8,6 zugrunde, wo das erste und das dritte Glied ausdrücklich auf Gott den Vater bezo­ gen sind, das zweite aber auf „den einen Herrn Jesus Christus, durch den alles ist und durch den auch wir selbst leben“. Das Fehlen einer Erwähnung des Geistes, aber auch die Beziehung des Namens „Gott“ nur auf den Vater, schließen hier eine trinitarische Deutung aus. In Eph 4,6 sind sogar alle drei Glieder der Formel auf den Vater allein bezogen (vgl. auch Hebr 2,10), während Kol 1,16 nur vom Sohn sagt: „Alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.“ Keine dieser Formeln bringt ein trinitarisches Gottesverständnis zum Ausdruck. Ähnliches gilt für die von der altprotestantischen Dogmatik als Schriftgrund für die Trinitätslehre angeführte Überlieferung von der Taufe Jesu (Mt 3,16 f. parr.): Zwar werden Vater, Sohn und Geist als im Geschehen der Taufe Jesu eng miteinander verbunden genannt, und das mag sogar die Ausbildung der trinitari­ schen Taufformel von Mt 28,19 veranlaßt haben, aber in der Taufgeschichte er­ scheint Jesus keineswegs als im Sinne der späteren Trinitätslehre der Gottheit teil­ haftig. Erst im Rückblick von der Ausbildung der Trinitätslehre her konnte die Überlieferung von der Taufe Jesu als Veranschaulichung der Gemeinschaft der drei Personen der Trinität aufgefaßt und in Anspruch genommen werden, i.U. et­ wa zu einem Adoptionsakt oder auch zur öffentlichen Promulgation des im Erwählungsratschluß Gottes präexistenten „Sohnes“. In einer solchen rückblik­ kenden Interpretation ist die Taufe Jesu dann durchaus mit Recht nicht nur in der Theologie, sondern auch in der Geschichte der christlichen Kunst als eine der klas­ sischen Situationen der Heilsgeschichte behandelt worden, in denen die Trinität zur Darstellung kommt.

Karl Barth hat angesichts dieser Sachlage davon gesprochen, daß es in der Schrift zwar „explizite Hinweise“ auf die Trinität gebe, wir aber „nicht er­ warten dürfen, die Trinitätslehre im Alten oder Neuen Testament geradezu ausgesprochen zu finden“148. Eindeutigere Aussagen finden sich in der Schrift für die Gottheit des Sohnes149 und des Heiligen Geistes150 für sich. 147

U. Wilckens: Der Brief an die Römer II, Neukirchen 1980, 272 ff. KD I/1, 1932, 330 f. 149 Solche Aussagen finden sich besonders in den johanneischen Schriften. So bekennt Tho­ mas: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28), und im ersten Johannesbrief heißt es von Jesus Christus: „Dieser ist der wahre Gott und das ewige Leben“ (1.Joh 5,20). Dazu ist drittens auch die Aussage des Johannesprologs über den Logos zu rechnen, der nicht nur im Anfang bei Gott war, sondern selbst Gott war (Joh 1,1). Diesen Worten stellte die altprotestantische Theologie die singuläre Aussage der Apostelgeschichte zur Seite, daß „Gott“ (aber W liest: κυρίου) sich die Kirche „durch sein eigenes Blut erworben“ habe (Act 20,28, vgl. dazu G. Stählin: Die Apo­ stelgeschichte, NTD 5, Göttingen 1962, 269 f.), sowie 1.Tim 3,16, wo aber die Einfügung des Wortes „Gott“ als Subjekt der Wendung „offenbart im Fleisch“ sekundär sein dürfte. Dagegen dürfte die Anwendung des Kyriostitels auf Jesus Christus durchweg seine volle Gottheit impli­ zieren. Vgl. o. 289 f. bei Anm. 22–24. 150 Daß der heilige Geist, der „vom Vater ausgeht“ (Joh 15,26), auch selber göttlicher Natur ist, kann im Urchristentum ganz allgemein nicht zweifelhaft sein, während die Frage seiner hy­ postatischen Selbständigkeit sich erst verhältnismäßig spät stellte, und erst damit stellte sich auch die Frage nach seinem Verhältnis zur Gottheit des Vaters neu. Unmittelbar impliziert ist 148

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Aber auch in diesen Fällen ist nicht klar erkennbar, wie sich die Gottheit des Sohnes und die des Geistes zu der des Vaters verhalten, den die neutesta­ mentlichen Schriften wie selbstverständlich im Blick haben, wenn sie von Gott schlechthin sprechen151. Dieser Befund legt es nahe, die Aussagen über die Gottheit des Sohnes und des Geistes von der Gottheit des Vaters her zu verstehen. Diesen Weg ist nicht nur die griechische Patristik mit der Herleitung von Sohn und Geist aus dem Vater als Ursprung und Quelle der Gottheit gegangen, sondern auch die westliche Theologie mit ihrer an Augustins Trinitätsanalogien anschließenden Deutung von Sohn und Geist als Ausdruck des Selbstbe­ wußtseins und der Selbstbejahung des Vaters. In beiden Fällen handelt es sich um zusammenfassende spekulative Deutungen, die die unterschiedli­ chen Aussagen der Schrift in eine so in der Schrift nicht entwickelte Gesamt­ anschauung integrieren. Dagegen wäre insoweit nichts einzuwenden, als sol­ ches Vorgehen der Aufgabe systematischer Begriffsbildung im Verhältnis zur Vielfalt (und häufig auch Divergenz) der Schriftzeugnisse durchaus an­ gemessen ist. Probleme erheben sich erst im Hinblick auf die Bewältigung dieser systematischen Aufgabe angesichts der Tendenz der traditionellen Auffassungen einerseits zur Subordination der Gottheit von Sohn und Geist unter die des Vaters, andererseits zur Reduktion dieser beiden Personen auf den Vater als alleiniges Subjekt der Gottheit. Die Forderung nach Begründung der Trinitätslehre aus der Offenbarung Gottes in Jesus Christus lenkte im 19. Jahrhundert von den traditionellen Deutungen auf das biblische Offenbarungszeugnis zurück, verschärfte damit aber die Begründungsschwierigkeiten der Trinitätslehre. Barth glaubte, den Ausweg aus dieser Problematik damit gefunden zu haben, daß er die Dreiheit von Vater, Sohn und Geist aus dem Begriff der Offenbarung herleitete, ge­ nauer gesagt aus dem Satz „Gott offenbart sich als der Herr“, dem er durch grammatische Analyse in seine Bestahdteile nach Subjekt, Objekt und Prädi­ kat die drei Seinsweisen des sich offenbarenden Gottes entnahm152. Es ist nun die Gottheit des Geistes in 1.Kor 2,10, aber wohl auch in 1.Kor 3,16 (vgl. 6,19), sowie ähnlich Act 5,4. 151 Siehe dazu K. Rahner: „Gott“ als erste trinitarische Person im Neuen Testament, in: Zeitschrift f. kath. Theologie 66, 1942, 71–88. Die Tatsache, daß das Wort „Gott“ im Neuen Testament „fast ausschließlich die erste göttliche Person, den Vater, meint“, hat M. Schmaus (Katholische Dogmatik I, 3. Aufl. 1948, 334, vgl. 337) dazu veranlaßt, die Aussagen über Wesen und Eigenschaften des einen Gottes im Zusammenhang mit der Person des Vaters zu behandeln. 152 KD I/1, 323 ff. „Die Trinitätslehre ist eine Analyse dieses Satzes bzw. dessen, was er be­ zeichnet“ (325). Barth nennt ihn die „Wurzel“ der Trinitätslehre (324). Vgl. schon seine Christ­ liche Dogmatik, München 1927,127 f. und die Rechtfertigung dieses Verfahrens in KD I/1, 312 f. gegenüber der damals schon von Th. Siegfried (Das Wort und die Existenz, 1928, 52) ge­ äußerten Kritik. Barth beteuert zwar, er habe „natürlich“ nicht daran gedacht, „die Wahrheit des Trinitätsdogmas aus der allgemeinen Wahrheit einer solchen Formel abzuleiten“ (KD I/1, 312). In der Tat verstand er diese Formel ja, ohne das im einzelnen zu begründen, als Zusam­ menfassung des Offenbarungszeugnisses der Schrift. Aber die Ableitung aus dieser Formel,

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aber nicht dasselbe, die Trinitätslehre aus der Offenbarung Gottes, wie sie in den biblischen Schriften inhaltlich bezeugt ist, zu begründen, und sie aus der formalen Vorstellung eines sich selbst offenbarenden Gottes herzuleiten. Barth entwickelte die trinitarischen Aussagen nicht aus den Inhalten der durch die Schrift bezeugten Offenbarung, sondern aus der in jenem Satz aus­ gedrückten formalen Vorstellung des sich selbst offenbarenden Gottes. Die Struktur dieser Argumentation ist faktisch die der westlichen Trinitätslehre, wie sie sich seit Anselm von Canterbury entwickelt hat, insofern sie die Tri­ nität aus der Subjektivität Gottes, nämlich aus dem in seinem Selbstbe­ wußtsein begründeten Selbstverhältnis, zu verstehen suchte. Dabei ist für Barth auch die Näherbestimmung Hegels maßgeblich geworden, die das Selbstbewußtsein des absoluten Geistes als sein Offenbarsein für sich selber bestimmt hatte, welches wiederum die Möglichkeit seiner Offenbarung nach außen begründet153. Angesichts der Herkunft dieser Argumentation von den psychologischen Trinitätsanalogien Augustins ergibt sich der merkwürdig ironisch anmutende Sachverhalt, daß Barth trotz seiner Kritik an den augu­ stinischen vestigia trinitatis154 seine eigene Lehre faktisch aus deren höchster Gestalt, der imago trinitatis in der menschlichen Seele, entwickelt hat und nicht, wie er forderte, aus dem Inhalt der Offenbarung Gottes in Jesus Chri­ stus. Eine Begründung der Trinitätslehre aus dem Inhalt der Offenbarung Got­ tes in Jesus Christus muß ausgehen vom Verhältnis Jesu zum Vater, wie es im Zusammenhang der Botschaft von der Gottesherrschaft seinen Ausdruck gefunden hat. Die Aussagen des Neuen Testaments über die Gottheit Jesu setzen nämlich seine Gottessohnschaft voraus und sind damit letztlich begründet im Sohnesverhältnis Jesu zum Vater155. Das Verhältnis seiner Botschaft und seines Wirkens zum Vater bildete die Grundlage für das Bekenntnis der christlichen Gemeinde zur Gottessohnschaft Jesu im Lichte der göttlichen Bestätigung seiner Vollmacht durch das Ostergeschehen. nämlich durch deren „Analyse“ (325), ist faktisch auch für den Begründungsgang der Kirchli­ chen Dogmatik bei der Entfaltung der Trinitätslehre maßgeblich geblieben. 153 Zum Zusammenhang der Trinitätslehre Barths mit der von Hegel ausgegangenen spekulativen Theologie vgl. meine Ausführungen in: Grundfragen syst. Theologie II, 1980, 96– 111 (Die Subjektivität Gottes und die Trinitätslehre), bes. 101 f. 154 KD I/1,352–367. 155 Ähnlich W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 298 und 371. Auch J. Moltmann (Trinität und Reich Gottes, München 1980, 81–91) begründet die Trinitätslehre mit Recht aus der Geschichte Jesu als des Sohnes. Dabei sollte jedoch die Verkündigung Jesu vom Vater und seinem kommenden Reich den Ausgangspunkt bilden (vgl. a. a. O. 90), und sie sollte von den daraus erst zu rechtfertigenden Aussagen über die Sendung des Sohnes deutlicher unterschieden werden als das bei Moltmann geschieht, der mit diesen Aussagen einsetzt (81). Auch die Verbin­ dung des Sohnestitels mit der Taufe Jesu in der synoptischen Tradition (81 ff.) muß angesichts des fast allgemeinen Urteils der Exegeten, daß Jesus den Sohnestitel noch nicht selbst für sich in Anspruch genommen hat, aus seiner Verkündigung von Gott dem Vater gerechtfertigt werden.

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Unterscheidung und Verbundenheit Jesu als des Sohnes mit dem Vater bil­ deten sodann die Voraussetzung für das Verständnis des Geistes als einer von Vater und Sohn unterschiedenen, dritten Gestalt, die jedoch mit der Ge­ meinschaft des Vaters und des Sohnes auf das engste verbunden ist. Zwar war die Vorstellung des göttlichen Geistes als der von Gott ausgehenden schöpferischen Kraft jüdischer Tradition seit langem vertraut. Zu einer be­ sonderen, vom Vater unterschiedenen Gestalt wurde der Geist jedoch erst im Christentum infolge der Auffassung Jesu als des präexistenten Gottessohnes und in Unterscheidung von ihm (s. o. 293 ff.). Wenn nun aber die Trinitätslehre Auslegung des Verhältnisses Jesu zum Vater und zu dessen Geist ist, dann ergeben sich daraus einschneidende Fol­ gerungen für die Beurteilung der Terminologie, die die klassische Dar­ stellung dieser Lehre zur Beschreibung der Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Geist entwickelt hat. Während die ostkirchliche Trinitätslehre in engem Anschluß an die johan­ neische Terminologie zwischen „Zeugung“ des Sohnes (Joh 1,14; 3,16; vgl. Lk 3,22) und „Hervorgang“ des Geistes aus dem Vater (Joh 15,26) unter­ schied, faßte das lateinische Mittelalter die Ursprünge von Sohn und Geist als processiones zusammen, sprach also von zwei Prozessionen, die dann als Zeugung des Sohnes und Hauchung des Geistes (nach Joh 20,22) unterschie­ den wurden156. Diese Prozessionen im ewigen göttlichen Wesen, aus denen die Personen des Sohnes und des Geistes resultieren, die ihrerseits durch ihre Relationen voneinander verschieden sind (Vaterschaft oder aktive Zeugung, Sohnschaft oder passives Gezeugtsein, Geist als passives Gehauchtsein), müssen nach der klassischen Trinitätslehre sorgfältig unterschieden werden von den Sendungen des Sohnes (Röm 8,3; Gal 4,4; Joh 3,17; 8,16 u. ö.) und des Geistes (Joh 14,26; 15,26; 16,7), die das Verhältnis des ewigen Gottes zur Welt in der Heilsökonomie betreffen. Während nämlich die „Hervorgänge“ von Ewigkeit im göttlichen Wesen stattfinden, bezieht sich die „Sendung“ von Sohn und Geist ebenso wie die „Gabe“ des Geistes (Act 2,38; 10,45) auf diejenigen, zu denen jemand gesandt oder denen etwas gegeben wird157. Solche scharfen Unterscheidungen zwischen Zeugung und Hauchung ei­ nerseits, Sendung und Gabe andererseits, lassen sich vielleicht rein sprachlo­ gisch rechtfertigen, aber kaum aus der Exegese der biblischen Texte. Was die Hauchung des Geistes angeht, so sind nach Joh 20,22 gerade die Jünger die 156 Zum Zusammenhang dieser Differenz zwischen östlicher und westlicher Terminologie mit dem weiteren Bedeutungsumfang von lat. processio gegenüber griech. ἐκπόρευσις vgl. Y.Congar: Der Heilige Geist (Paris 1979–1980) dt. Freiburg 1982, 385 f., sowie W.Kasper a. a. O. 267 f. Die Unterscheidung von Zeugung und Hervorgang wurde im Osten schon von Jo­ hannes von Damaskus (de fide orth. I,8; MPG 94, 816 C) betont. Zum westlichen Sprachge­ brauch vgl. Thomas v. Aquin S. theol. I,27. – Die im folgenden kurz genannten Grundbegriffe der Trinitätslehre werden zusammenfassend erläutert bei W. Kasper a. a. O. 337–347. 157 Vgl. Thomas v. Aquin S. theol. I,43,2.

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Empfänger der so vermittelten Geistmitteilung. Von einer ewigen Hau­ chung verlautet nichts. Gerade wenn an dieser Stelle die Geistmitteilung an Adam bei der Schöpfung (Gen 2,7) anklingen sollte158, handelt es sich um ei­ nen Akt im Verhältnis Gottes zur geschöpflichen Wirklichkeit. Eher läßt sich bei Joh 15,26 eine Unterscheidung zwischen Hervorgang des Geistes aus dem Vater und Sendung durch den Sohn vermuten; aber die heutige Exe­ gese faßt die beiden Wendungen als parallel auf, analog zu Joh 16,28, so daß es sich um einen und denselben Sachverhalt, die Mitteilung des Geistes an die Jünger, handelt159. Zu einem ähnlichen Ergebnis führt die Untersuchung der biblischen Aussagen über die „Zeugung“ des Sohnes. Wenn im lukanischen Bericht von der Taufe Jesu die Himmelsstimme mit den Worten von Ps 2,7 spricht: „Du bist mein Sohn. Heute habe ich dich gezeugt“ (Lk 3,22), dann bezieht sich das Wort „heute“ nicht auf das Heute der göttlichen Ewigkeit, das keine Vergan­ genheit oder Zukunft außer sich hat160, sondern auf das Ereignis der Taufe Je­ su als Erfüllung des Psalmwortes, so wie Lk 4,21 die Erfüllung der Verhei­ ßung von Jes 61,1 f. im Auftreten Jesu proklamiert. Während der Markusbe­ richt (1,11) Jesus als den erwählten Sohn Gottes proklamiert, bei Matthäus (3,17) die in der Geburt Jesu begründete Gottessohnschaft aus Anlaß seiner Taufe offenbar gemacht wird, bedeutet die bei Lukas bewahrte Wiedergabe der Taufstimme durch Ps 2,7 (statt Jes 42,1) vielleicht wie in Hebr 1,5 und 5,5 die Einsetzung Jesu zum Hohenpriester161. Das kann allerdings kaum für Act 13,33 gelten, da Ps 2,7 hier auf die Auferstehung Jesu bezogen wird162. Jeden­ falls aber geht es bei den neutestamentlichen Bezugnahmen auf die Psalmstel­ le durchweg um die Erfüllung des Psalmwortes in der geschichtlichen Person Jesu Christi. Dadurch ist der Gedanke einer ewigen Gottessohnschaft sicher­ lich nicht ausgeschlossen. Er läßt sich aber auch nicht aus diesen Schriftstellen begründen. Ebensowenig genügt dafür die Berufung auf die Bezeichnung Jesu als „eingeborener Sohn“ Gottes im Johannesevangelium (Joh 1,14 u. 18; 3,16 u. 18): Sie besagt zwar, daß Jesus der „einzige“ (vgl. Lk 7,12; 8,42; 9,38) Sohn Gottes ist, bringt aber nicht schon den Gedanken einer ewigen Zeugung zum Ausdruck163. Erst die Kombination mit Prov 8,23 ergab 158

R. E. Brown: The Gospel according to John XIII-XXI, New York 1970, 1022 f. R. E. Brown a. a. O. 689 und 724 f. 160 So D. Hollaz: Examen theologicum acroamaticum I, Stargard 1707, 463 f. 161 So W. Grundmann: Das Evangelium nach Lukas (Berlin 1961) 8. Aufl. 1978, 107 mit G. Friedrich (ZThK 53, 1956, 265–311, 281 ff.). 162 Siehe dazu J. Roloff: Die Apostelgeschichte, Göttingen 1981, 206 f. Roloff hält das Zitat von Ps 2,7 in Verbindung mit der Taufe Jesu im Text von Lk 3,22 für „sicher sekundär“ und deu­ tet Hebr 1,5 wie Act 13,33 sachlich analog zu Röm 1,4 auf die himmlische Inthronisation Jesu bei seiner Auferstehung: „Durch die Erhöhung hat Gott Jesus zu seinem Sohn gemacht“ (207). 163 So R. E. Brown: The Gospel According to John I-XII (Anchor Bible 29) New York 1966, 13 f.: „Monogenēs describes a quality of Jesus, his uniqueness, not what is called in Trinita­ rian theology his ‚procession‘“ (13). 159

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bei Origenes eine ausreichende biblische Basis für diese Vorstellung (princ. I,2,1–4). Die biblischen Aussagen über die „Zeugung“ des Sohnes beziehen sich al­ so nicht weniger auf die geschichtliche Person Jesu von Nazareth als die über seine „Sendung“. Dabei bildet in den paulinischen und johanneischen Sendungsworten die Präexistenz des Sohnes oder des Logos den Ausgangs­ punkt für den Gedanken seiner Sendung in diese Welt. Im Gegensatz zur Auffassung der klassischen Trinitätslehre kommt der Gedanke der Zeugung also einer Zugehörigkeit des Sohnes zum ewigen Gott weniger nahe als die Sendungsaussagen durch die Präexistenzvorstellung. Auch sie aber müssen als Ausdruck der Implikationen im Verhältnis Jesu zum Vater erwiesen werden, bevor sie irgendeine Relevanz für die Begründung einer trinitari­ schen Gotteslehre gewinnen können. Denn der Präexistenzgedanke, der den Sendungsaussagen zugrunde liegt, enthält noch keineswegs die Überzeugung von der Homousie des Sohnes mit dem Vater. Wenn diese zentrale Behauptung der Trinitätslehre des 4. Jahrhunderts als gerechtfertigt gelten soll, dann muß sie sich als Implikat des Verhältnisses Jesu zum Vater erweisen. Die Traditionsgeschichte der christlichen Theologie kann sehr wohl unter der Leitung des Geistes Christi diesen Sachverhalt richtig entfal­ tet haben, obwohl die dabei als Schriftbeweis angeführten Einzelaussagen der Bibel nicht hinreichend sind. Die Beziehungen zwischen der Person Je­ su, dem Vater und dem Geist können sich als nicht nur geschichtliche, heilsökonomische, sondern darin zugleich das ewige Wesen Gottes kenn­ zeichnende Beziehungen erweisen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß sich ihre Beschreibung auf die traditionellen Begriffe der Hervorbringung, der Zeugung und der Hauchung reduzieren ließe. Die Einsicht, daß der „immanente“ göttliche Logos „streng derselbe“ ist wie der „ökonomische“, also die konkrete, geschichtliche Person Jesu Christi, hat Karl Rahner in seiner Darstellung der Trinitätslehre (Mysterium Salutis, Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik hg. J. Feiner u. M. Löhrer 2, Einsiedeln 1967, 317–401, hier 336) zu der These veranlaßt, immanente und ökonomische Trinität seien identisch (ebd. 328 f.); vgl. schon Karl Rahner: Schriften zur Theologie 4, 1960, 115 f.). „Das, was Jesus als Mensch ist und tut, ist das den Logos selbst offen­ barende Dasein des Logos als unseres Heiles bei uns“ (Schriften 4,123). In der Er­ fahrung Jesu und seines Geistes „ist schon die immanente Trinität selbst gegeben“ (ebd. 128). Infolgedessen hat Rahner eine Revision der traditionellen Unter­ ordnung der ökonomischen „Sendungen“ unter die innertrinitarischen „Hervor­ gänge“ gefordert: Zumindest im Falle Jesu ist die Sendung der Person nicht nur „appropriiert“, sondern ihr eigentümlich (Myst Sal 2,329). Die „Sendungen“ müs­ sen daher den „Ansatzpunkt“ für den ganzen Trinitätstraktat bilden (347, vgl. 341). Dieser Forderung hat Eberhard Jüngel zugestimmt (Das Verhältnis von „ökonomischer“ und „immanenter“ Trinität, ZThK 72,1975, 353–364, 362 n. 2 = ders.: Entsprechungen, München 1980, 274 n. 2). Die Konsequenz daraus müßte eigentlich sein, daß nicht der Gedanke der Selbstmitteilung Gottes durch Sohn und

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Geist, sondern das konkrete Verhältnis Jesu zum Vater Ausgangspunkt der trini­ tätstheologischen Reflexion wird. Rahner kam dieser Konsequenz nahe, indem er als „Differenzierung(en)“ der kirchlichen Lehre von der Zeugung des Sohnes durch den Vater im Lichte der „Selbstinterpretation Jesu“ zu der Feststellung gelangte: „Jesus weiß sich zunächst als der konkrete Eine, der dem Vater gegenübersteht und der uns begegnet als der Sohn…“ (Myst Sal 2,357). Dennoch arbeitete Rahners Ex­ plikation der Trinitätslehre nicht das Gegenüber Jesu zum Vater als seine Selbstun­ terscheidung vom Vater aus, sondern wählte den Gedanken der „Selbstmitteilung“ des Vaters durch den Sohn (357 f.) als Leitgedanken (371 ff.). Eng damit verknüpft ist Rahners Ablehnung der Annahme von drei Subjektivitäten in Gott (366, vgl. 343) zugunsten der Vorstellung eines einzigen sich selbst mitteilenden göttlichen Subjekts. Nach Rahner gibt es „auch ‚innertrinitarisch‘ nicht ein gegenseitiges ‚Du‘“ (366 Anm. 29). Daher geriet er trotz seines Ansatzes beim konkreten Verhält­ nis Jesu zum Vater in Schwierigkeiten mit der kirchlichen Behauptung dreier Perso­ nen im trinitarischen Leben Gottes (385 ff.). Anders als Rahner hat Eberhard Jüngel in seinen Ausführungen über „Jesus Christus als vestigium trinitatis“ (Gott als Ge­ heimnis der Welt, Tübingen 1977,470–505) die personale Differenz zwischen Vater und Sohn bewahrt, indem er die Beziehung Jesu zu Gott als „Ausdruck einer Bezie­ hung Gottes auf Jesus“ (482) thematisierte. Doch auch bei Jüngel gewinnt infolge der Konzentration seiner Ausführungen auf die Identifizierung Gottes mit dem gekreuzigten Jesus (497 ff.) das Gefälle der Vorstellung einer einseitig vom Vater ausgehenden Bewegung, einer vom Vater ausgehenden Selbstunterscheidung (498), maßgebliches Gewicht für die Strukturierung der Trinitätslehre (508 ff. vgl. 520).

b) Die wechselseitige Selbstunterscheidung von Vater, Sohn und Geist als konkrete Gestalt der trinitarischen Relationen Der über alles Menschliche und Geschöpfliche unendlich erhabene Gott ist erkennbar nur durch den Sohn: „Niemand erkennt den Vater als allein der Sohn und wem der Sohn es offenbaren will“ (Mt 11,27). Wer ihn kennt, der kennt auch den Vater (Joh 8,19); denn er ist der Weg zum Vater: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Daher ist die Weise, wie Je­ sus vom Vater geredet hat, der einzige Zugang zur Erkenntnis des Vaters, aber auch des Sohnes; denn nur durch den Vater wird Jesus als der Sohn er­ kannt (Mt 11,27). Jesu Reden vom Vater steht im Zusammenhang der Botschaft von der Nä­ he seiner Herrschaft und des Aufrufs an die Menschen, alle anderen Anlie­ gen der anbrechenden Zukunft Gottes unterzuordnen, ihn dadurch als Gott anzuerkennen. So beginnt auch das Gebet Jesu mit der Bitte an den Vater um die Heiligung seines Namens und das Kommen seines Reiches, auf daß sein Wille auf Erden geschehe, wie er in der Verborgenheit des Himmels oh­ nehin geschieht (Lk 11,2 ff.; Mt 6,9 f.): Darin wird der Name Gottes bei uns geheiligt, daß wir ihn als Gott ehren und seinem Willen Raum geben. So ge­ hören die drei ersten Bitten des Vaterunser eng zusammen.

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Eben darauf, daß der Name des Vaters bei den Menschen geheiligt werde, indem sie seiner Herrschaft die Ehre geben, zielt die ganze Botschaft Jesu. Alles andere, insbesondere die Heilsverkündigung Jesu, ergab sich daraus. Das wird an späterer Stelle noch ausführlicher zu bedenken sein. Hier geht es zunächst nur darum, daß die ganze Sendung Jesu der Ehre des Vaters und seiner Herrschaft diente. Dieser aus der synoptischen Jesusüberlieferung zu erhebende Sachverhalt wird im hohenpriesterlichen Gebet Jesu bei Johannes treffend zusammengefaßt in dem Satz Jesu: „Ich habe dich auf Erden verherrlicht und darin das Werk vollbracht, das du mir zu tun gegeben hast“ (Joh 17,4). Der Herrschaft des Vaters Geltung zu verschaffen bei den Men­ schen, das ist der vornehmste Inhalt und erste Zweck der Sendung Jesu, und indem er dieser seiner Sendung lebt, erweist er sich als „Sohn“, der dem Wil­ len des Vaters dient (vgl. Joh 10,36 ff.). Der Sohnestitel ist der Reflex der Bot­ schaft Jesu vom Vater, ein Reflex, der vom Inhalt dieser Botschaft auf seine eigene Person fällt164. Voraussetzung dafür ist, daß Jesus den Vater von sich selber unterschied als einen „anderen“, der Zeugnis für ihn ablegen wird: So heißt es wiederum bei Johannes (8,18 und 50). Dementsprechend sagt der johanneische Chri­ stus, der Vater sei größer als er (Joh 14,28) und sein eigenes Wort sei „nicht meines, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat“ (14,24). Auch hier wieder pointiert Johannes einen Sachverhalt, der sich auch in der synopti­ schen Jesusüberlieferung findet: Indem Jesus die Anrede als „guter Lehrer“ mit der Begründung zurückweist, niemand sei gut als der eine Gott (Mk 10,18), unterscheidet er sich von Gott und ordnet sich als Geschöpf Gott un­ ter, so wie er es in seiner Botschaft von der Nähe der Gottesherrschaft von seinen Hörern verlangt. Dieselbe Unterordnung unter den Vater äußert sich im Nichtwissen um die Stunde des Endes (Mk 13,32 parr.) und in der Ant­ wort an die Zebedaiden, daß ihm nicht zustehe, die Ehrenplätze an seiner Seite im Himmelreich zu vergeben (Mt 20,23 parr.), und schließlich in der Unterordnung seines eigenen Willens unter den des Vaters im Gebet zu Ge­ thsemane (Mk 14,36 parr.). Alle diese Schriftstellen sind von den Sozinianern als Argumente gegen die volle Gottheit des Sohnes angeführt worden. Die altprotestantische Dogma­ tik hat darauf nur die Antwort gefunden, daß diese Worte Jesu lediglich auf seine Menschheit zu beziehen seien165. Doch diese Auskunft ließ sich schon 164 Vgl. o. 288 f., sowie besonders das dort Anm. 15 zitierte Urteil von M. Hengel über den Ursprung des Sohnestitels. Die nachösterliche Gemeinde hat die Gottessohnschaft Jesu auf seine Auferweckung von den Toten zurückgeführt (Röm 1,4), aber doch im Sinne göttlicher Bestätigung seines vorösterlichen Wirkens. Andererseits wurde die Taufe Jesu als Proklamation seiner Gottessohnschaft überliefert (Mk 1,11 parr.), und zwar in bezug auf seine darauf folgende öffentliche Wirksamkeit. So ist in jedem Falle der Sohnestitel auf Jesu Wirken im Zusammen­ hang mit seiner Botschaft vom kommenden Reich des Vaters zu beziehen. 165 D. Hollaz: Examen theologicum acroamaticum I, Stargard 1707, 456 ff.

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nach den Maßstäben der klassischen Christologie nicht halten, weil es an allen diesen Stellen um die Person Jesu geht, also um den menschgeworde­ nen Logos oder Sohn, nicht nur um seine menschliche Natur. Die altpro­ testantische Dogmatik hat sich durch ihre ausweichende Antwort um die Erkenntnis gebracht, daß Jesus sich gerade in seiner Selbstunterscheidung von Gott als der Sohn Gottes erweist. Es ist nach dem Johannesevangelium die Anklage der Gegner Jesu gewesen, daß er sich selbst zu Gott mache (Joh 10,33; vgl. 19,7), indem er sich eine Autorität anmaße, die ihm nicht zukomme. Die Antwort Jesu darauf lautet: „…ich suche nicht danach, mich selbst zu verherrlichen. Es ist ein anderer da, der danach sucht und darüber befindet“ (Joh 8,30). Dementsprechend bittet Jesus im hohenprie­ sterlichen Gebet den Vater, ihn als seinen Sohn zu verherrlichen (Joh 17,1), eine Bitte, die erfüllt werden wird durch den Geist, den der Vater senden wird (16,14). Indem Jesus sich selbst vom Vater unterscheidet, sich als sein Geschöpf dem Willen des Vaters unterwirft und so dem Anspruch der Gottheit des Vaters Raum gibt, wie er es durch seine Verkündigung der Gottesherrschaft von allen andern verlangt hat, gerade darin erweist er sich als der Sohn Got­ tes und als eins mit dem Vater, der ihn gesandt hat (Joh 10,30). Er ist der Sohn Gottes, indem er in seiner eigenen Person zugleich für alle andern den Anspruch des ersten Gebotes im Kommen Gottes zu seiner Herrschaft ehrt, wie es seine Verkündigung fordert; denn so verherrlicht er den Vater, und das ist der Gegenstand seiner Sendung in die Welt. Die Selbstunterscheidung Jesu als Mensch vom Vater ist konstitutiv nicht nur für seine Gemeinschaft mit dem ewigen Gott im Gegensatz zu Adam als dem ersten Menschen, der wie Gott sein wollte (Gen 3,5) und sich eben dadurch von Gott trennte. Indem Jesus durch seine Sendung und in seinem eigenen Verhältnis zum Vater die Gottheit des Vaters ver­ herrlicht, gehört er selbst als Entsprechung zum Anspruch des Vaters so mit diesem zusammen, daß Gott in Ewigkeit nicht anders Vater ist als im Verhältnis zu ihm. Das unterscheidet Jesus von allen andern Menschen, die seinem Ruf folgen und durch seine Vermittlung an seiner Gemein­ schaft mit dem Vater teilnehmen: Dafür ist immer schon vorausgesetzt, daß er der ist, in welchem sie den Zugang zum Vater haben. Als der so dem Vatersein Gottes Entsprechende ist Jesus der Sohn, und weil darin der ewige Gott als Vater offenbar ist und darum überall nur so Vater ist, wie er es in der Beziehung auf den Sohn ist, darum teilt der Sohn seine Gottheit als das ewige Gegenüber des Vaters. Damit tritt an der menschli­ chen Wirklichkeit der Person Jesu ein Aspekt hervor, der als ewiges Kor­ relat der Gottheit des Vaters zur Person Jesu gehört, aber seiner menschli­ chen Geburt vorausgeht: der ewige Sohn. Doch der ewige Sohn ist eben zunächst ein Aspekt an der menschlichen Person Jesu, und entscheidend für sein Hervortreten ist die Selbstunterscheidung Jesu vom Vater, der

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auch für ihn der eine Gott ist. Darum ist die Selbstunterscheidung vom Vater auch konstitutiv für den ewigen Sohn in seiner Beziehung zum Vater. Der Übergang vom Gottes Verhältnis Jesu zum Gedanken des ewigen Sohnes und damit zur Differenz von Vater und Sohn im ewigen Wesen Got­ tes selbst hängt daran und geschieht dadurch, daß Gott als Vater in Jesu Ver­ hältnis zu ihm offenbar und darum in Ewigkeit nur so der Vater ist, wie er es im Verhältnis zu Jesus ist, darum auch im ewigen Gegenüber zu Jesus als dem Sohn: Weil der ewige Gott nicht unmittelbar von Ewigkeit auf eine zeit­ lich geschöpfliche Wirklichkeit bezogen gedacht werden kann, ohne daß da­ mit deren zeitliche und geschöpfliche Eigenart verloren ginge, indem sie als Korrelat des ewigen Gottes selber ewig wird, muß der Aspekt der Zugehö­ rigkeit Jesu zur ewigen Gottheit des Vaters, als dessen ebenso ewiges Korre­ lat, von seiner menschlichen, geschöpflichen Wirklichkeit unterschieden werden: Das ist die Wurzel der Unterscheidung eines göttlichen und eines menschlichen Aspektes, also zweier „Naturen“, an der Person Jesu. Die dar­ aus sich ergebenden Konsequenzen wird die Christologie noch ausführlich erörtern. Wenn nun die Selbstunterscheidung Jesu vom Vater konstitutiv dafür ist, daß auch im ewigen Gott selber ein Gegenüber, das Gegenüber des Sohnes zum Vater, angenommen werden muß, und wenn dieses Gegenüber als Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater zu denken ist, dann erhebt sich die Frage, ob Ähnliches auch umgekehrt für das Verhältnis des Vaters zum Sohne gilt, so daß auch von der Seite des Vaters aus der Unterschied zum Sohn durch eine Selbstunterscheidung des Vaters vom Sohne gesetzt wäre. Daran schließt sich die weitere Frage an, ob auch das Verhältnis des Geistes zu Vater und Sohn auf solcher gegenseitigen Selbstunterscheidung beruht. Bevor diese Fragen geprüft werden, ist zunächst zu bedenken, daß die Selbstunterscheidung Jesu vom Vater nicht nur dem Vater als Person inner­ halb der Einheit des göttlichen Lebens mit dem Sohne gilt, sondern den Va­ ter als den einen Gott meint, von dem Jesus sich selber unterscheidet. Wenn er gerade darin der ewige Sohn dieses Vaters ist, so folgt daraus, daß er im Akt der Selbstunterscheidung seine Gottheit vom Vater empfängt. Sollte es dazu eine Entsprechung auf seiten des Vaters in seinem Verhältnis zu Jesus geben können? Der Tradition gilt der Vater als allein ursprungslos (ἄναρχος) unter allen drei Personen der Trinität und als Ursprung und Quelle der Gottheit für Sohn und Geist166. In der „Ordnung“ der trinitarischen Personen167 steht er 166 Joh. von Damaskus de fide orth. I,8, MPG 94, 808 ff. Vgl. o. Anm. 69 f., bes. Gregor von Nazianz or. 40,43 (MPG 36, 420 B). 167 Nach Thomas von Aquin S. theol. I,22,3 handelt es sich um eine in der Natur der Sache begründete Ordnung (ordo naturae) gemäß dem Ursprung (secundum originem). Dieser Ge­ sichtspunkt wurde auch in der altprotestantischen Dogmatik (z. B. A. Calov: Systema locorum theologicorum III, Wittenberg 1659,153 ff.) übernommen und wirkte sich in der Lehre von den

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daher an erster Stelle und ist allein in jeder Hinsicht Gott von sich aus (a seipso)168. Solche Bestimmungen scheinen eine echte Wechselseitigkeit in den Beziehungen der trinitarischen Personen auszuschließen, weil die Ord­ nung des Ursprungs unumkehrbar vom Vater zu Sohn und Geist verläuft. Dennoch formulierte Athanasius als entscheidendes Argument gegen die Arianer, daß der Vater nicht Vater wäre ohne den Sohn169. Bedeutet das nicht, daß in irgendeiner Weise auch die Gottheit des Vaters abhängig sein muß von seiner Beziehung zum Sohn, wenn auch in anderer Weise als das beim Sohn der Fall ist? Der Vater ist nicht vom Sohn „gezeugt“ oder „ge­ sandt“. Diese Beziehungen bleiben unumkehrbar. Nur in einer davon ver­ schiedenen Hinsicht könnte über die im Vaternamen ausgedrückte Relativi­ tät seines Vaterseins auf den Sohn hinaus eine Abhängigkeit des Vaters vom Sohn konkretisiert und damit eine echte Gegenseitigkeit in den trinitari­ schen Beziehungen begründet werden. Nach dem Matthäusevangelium ist dem auferstandenen Christus „alle Macht übertragen im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18). Die Spruchquelle schreibt sogar schon dem vorösterlichen Jesus das Wort zu: „Alles ist mir von meinem Vater übertragen“ (Lk 10,22 = Mt 11,27). Nach Johannes hat der Vater „das ganze Gericht dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn so ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 5,23 vgl. 27). Das Wort aus der Spruch­ quelle geht darüber noch hinaus, weil ihm zufolge nicht nur das Gericht, sondern „alles“ dem Sohn übertragen worden ist. Der Sohn ist also nicht nur der Repräsentant der Herrschaft Gottes, sondern ihm ist ihre Ausübung übertragen. Er ist der Inhaber der Herrschaft. Wie der Auferstandene durch die Erhöhung in diese Herrscherstellung eingesetzt wird (Phil 2,9 ff., vgl. Hebr 2,8), so hat er verborgenerweise schon in seinem irdischen Wirken die Herrschaft des Vaters ausgeübt, indem er ihr den Weg bereitete, so daß sie in seinem Wirken schon anbrach. Sein Auftrag ist es, zunichte zu machen, „was sonst noch Herrschaft besitzt, Gewalt beansprucht und Macht ausübt. Denn er soll herrschen, bis Gott ihm alle seine Feinde unter seine Füße ge­ legt hat“ (1.Kor 15,24 f.). Daß Gott es ist, der ihm seine Feinde unter seine Füße legt, wird man auf das Wirken des vom Vater ausgehenden Geistes be­ ziehen dürfen. Wenn das aber geschehen ist, dann „wird sich auch der Appropriationen so aus, daß dieser Ordnung wegen auch das erste der Werke Gottes, die Schöpfung, dem Vater appropriiert wird (194 f.). 168 A. Calov: …a seipso est, quia a nullo alio. Atque ita etiam dicitur αὐτόθεος; non quod so­ lus pater sit SEIPSO DEUS… sed quod solus sit A SEIPSO DEUS, ac αὐτουσίαν illam, per quam Jehovah est, non habeat ab alio, uti Filius et Spiritus Sanctus (a. a. O. III,192). Calvin hatte behauptet: et filium, quatenus Deus est, fatemur ex se ipso esse, sublato personae respectu; qua­ tenus vero filius est, dicimus esse ex patre (Inst. I,13,25, CR 30,2,113). Damit wurde die Abhän­ gigkeit vom Vater auf die personale Relation eingeengt, nicht auch auf die Teilhabe an der Gott­ heit bezogen. 169 Athanasius c. Arian I,29; vgl. 14 und 34, sowie 3,6.

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Sohn dem Vater unterstellen, der ihm alles unterworfen hat, damit dann Gott alles in allem ist“ (ebd. 28). Im Sinne der Unterscheidung von Zeugung und Sendung des Sohnes wäre die Übertragung der Herrschaft des Vaters auf den Sohn und ihre Rückgabe an den Vater in der eschatologischen Vollendung dem Bereich der Sendung und nicht der innertrinitarischen Beziehung zwischen Vater und Sohn zuzu­ rechnen. Wenn aber die innertrinitarischen Beziehungen zwischen Vater und Sohn am Verhältnis der geschichtlichen Person Jesu zum Vater und des Vaters zu ihm abzulesen sind, dann ist der Vollzug der Sendung Jesu Aus­ druck seines Verhältnisses zum Vater und der Beziehung des Vaters zu ihm. Die Übertragung der Macht und Herrschaft des Vaters auf den Sohn ist dann auch als Bestimmung der innertrinitarischen Beziehungen zwischen beiden zu verstehen, ebenso wie die Rückerstattung der Herrschaft an den Vater durch den Sohn. Die beiden Akte der Übertragung der Herrschaft auf den Sohn und ihrer Rückerstattung an den Vater erscheinen dabei zunächst ge­ trennt, der erste bezogen auf die Sendung des Sohnes, der andere auf die eschatologische Vollendung. Aber sie schließen sich in keiner Weise aus, sondern durchdringen sich so, daß beides zugleich gilt: Die Herrschaft des Sohnes besteht ja in nichts anderem als darin, die Herrschaft des Vaters zu verkündigen, ihn zu verherrlichen und ihm alles zu unterwerfen. Darum fin­ det das Reich des Sohnes kein Ende (Lk 1,33) mit der Rückgabe der Herr­ schaft an den Vater, sondern seine Herrschaft vollendet sich darin, daß alles der Herrschaft des Vaters unterworfen, der Vater von der ganzen Schöpfung als der eine Gott geehrt wird. In der Übertragung und Rückerstattung der Herrschaft vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf den Vater wird eine Gegenseitigkeit ihres Verhält­ nisses erkennbar, die in der Vorstellung der Zeugung fehlt. Indem der Vater seine Herrschaft auf den Sohn überträgt, macht er sich in seinem Königtum davon abhängig, daß der Sohn ihn verherrlicht und durch den Vollzug seiner Sendung die Herrschaft des Vaters verwirklicht. Die Selbstunterscheidung des Vaters vom Sohne geschieht also nicht nur dadurch, daß er den Sohn her­ vorbringt, sondern auch darin, daß er dem Sohne „alles übertragen hat“, so daß sein Reich und damit seine eigene Gottheit nun vom Sohn abhängt170: Die Herrschaft, das Reich des Vaters ist nämlich seiner Gottheit keineswegs so äußerlich, daß er Gott sein könnte auch ohne sein Reich171. Mag auch die 170 Der Begriff „Selbstunterscheidung“ wird in der Trinitätstheologie seit dem 19. Jahrhun­ dert verwendet, aber fast durchweg einseitig im Sinne der Hervorbringung einer zweiten und dritten Person der Gottheit durch den Vater. Ausgehend von der Selbstunterscheidung des Soh­ nes gegenüber dem Vater sollte der Ausdruck jedoch in anderem Sinne, nämlich so verwendet werden, daß der sich selbst von anderem Unterscheidende damit sich selber zugleich als abhän­ gig bestimmt von dem anderen, von dem er sich unterscheidet. 171 Karl Barth hat mit Recht den Begriff der Herrschaft Gottes für gleichbedeutend mit dem des Wesens Gottes, also mit der Gottheit Gottes erklärt (KD I/1, 369 vgl. II/l, 519). Auch

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Welt als Gegenstand seiner Herrschaft nicht notwendig zur Gottheit Gottes gehören, weil ihr Dasein seinen Ursprung in der schöpferischen Freiheit Gottes hat, so ist doch das Dasein einer Welt mit der Gottheit Gottes nicht vereinbar ohne seine Herrschaft über sie. Darum gehört die Herrschaft zur Gottheit Gottes. Sie hat ihren Ort schon im innertrinitarischen Leben Got­ tes, in der Gegenseitigkeit der Beziehung zwischen dem Sohn, der sich frei der Herrschaft des Vaters unterwirft, und dem Vater, der seine Herrschaft dem Sohn überträgt172. Erst auf der Grundlage dieses Sachverhalts ist dann von einer trinitätstheo­ logischen Relevanz auch des Kreuzes Jesu zu sprechen. Die Passion Jesu Christi ist nicht ein Geschehen, das nur die angenommene menschliche Na­ tur des ewigen Logos beträfe, als ob es die ewige Ruhe des trinitarischen Le­ bens Gottes gar nichts anginge. Vielmehr „steht im Tode Jesu die Gottheit seines Gottes und Vaters auf dem Spiel“173. Zwar ist es nicht richtig, pauschal vom „Tode Gottes“ am Kreuz zu sprechen, wie es seit Hegel geschehen ist174. Nur vom Sohn Gottes ist zu sagen, daß er gekreuzigt, gestorben und begraben wurde. Auch hier besagt die dogmatisch korrekte Auslegung sol­ cher Aussagen, daß der Sohn Gottes zwar selber, aber nach seiner menschli­ chen Natur gelitten hat und gestorben ist. Unmittelbar vom Tode Gottes selbst in seinem Sohn zu sprechen, ist umgekehrter Monophysitismus175. Dennoch kann es nicht anders sein, als daß Jesus in Person, also in der Person des ewigen Sohnes durch das Leiden und Sterben am Kreuz betroffen wurde, freilich so, daß Jesus in seiner äußersten Erniedrigung und in der Annahme dieses Sterbens die äußerste Konsequenz seiner Selbstunterscheidung vom Vater auf sich nahm und sich gerade darin als der Sohn des Vaters bewährte. Athanasius hat das Königtum Gottes zu den Eigenschaften gerechnet, die ihm in Ewigkeit zu­ kommen, und zwar sowohl dem Vater (c. Arian I,21), als auch dem Sohne (I,46 im Anschluß an Ps 44,7 f. sowie II,13). 172 Siehe dazu auch J. Moltmann: Trinität und Reich Gottes, München 1980, 108 f. „Das Reich Gottes geht also von einem göttlichen Subjekt zum andern über und wandelt dadurch seine Gestalt“ (109). Moltmann betont mit Recht, daß die Gottesherrschaft folglich schon zum innertrinitarischen Leben Gottes zu rechnen ist, zu den opera ad intra. Der Satz, daß die Dreiei­ nigkeit der Gottesherrschaft „voran“ gehe (ebd.), ist dann allerdings irreführend. 173 J. Moltmann: Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1972, 144 mit Bezugnahme auf R. Weth, Ev. Theol. 31, 1971, 227 ff. 174 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion III, hg. G. Lasson (PhB 63) 157 ff., vgl. schon ders.: Glauben und Wissen (1802/3) PhB 62 b, 123 f. Aus der ausgebreite­ ten Literatur zu diesem Gedanken Hegels und seinem Verhältnis zu Nietzsches Wort vom Tode Gottes (Die fröhliche Wissenschaft Aph 125, vgl. 343) sei hier neben der eingehenden Interpretation von E. Jüngel (Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 83–132) nur Chr. Link: Hegels Wort „Gott selbst ist tot“, Zürich 1974, genannt. 175 Bei Hegel heißt es ausdrücklich: „Es ist nicht dieser Mensch, der stirbt, sondern das Gött­ liche; eben dadurch wird es Mensch“ (Jenaer Realphilosophie hg. J. Hoffmeister PhB 67, 268); dazu E. Jüngel a. a. O. 102 und bes. auch 126 f. mit den Aussagen Luthers von 1528 und der Konkordienformel (SD VIII, BSELK 1030 f.).

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Auch der Vater kann nicht als unberührt vom Leiden seines Sohnes gedacht werden, wenn gelten soll, daß Gott Liebe ist. Das Kreuz stellt nicht nur Jesu göttliche Vollmacht, sondern damit auch die Gottheit des Vaters, wie Jesus ihn verkündigt hatte, in Frage. Insofern ist von einem Mit-Leiden auch des Vaters mit dem Leiden des Sohnes zu sprechen176. Im Geschehen der Kreuzigung Jesu Christi ist nicht nur mit dem Sohn auch die Gottheit des Vaters in Frage gestellt, sondern beide sind darin ange­ wiesen auf das Werk des Geistes, der als der Schöpfer allen Lebens Jesus von den Toten auferweckt. Die Auferweckung Jesu ist in vorpaulinischen For­ meln (Röm 1,4; 1.Tim 3,16b) ein Werk des Geistes, und diese Vorstellung steht auch hinter den Ausführungen von 1.Kor 15,44 ff. über die pneu­ matische Wirklichkeit des Auferstehungslebens. Röm 8,11 ist ebenfalls vom Werk des Geistes im Geschehen der Auferweckung von den Toten die Rede, aber in der Weise, daß der Vater es ist, der durch den Geist uns auf erwecken wird, wie er auch Jesus auferweckt hat. Ähnlich ist in der Apostelgeschichte der Vater das Subjekt der Auferweckung Jesu (Act 2,24 u. ö.), aber hier ohne Erwähnung des Geistes. Bei Lukas wie auch bei Paulus ist die hypostatische Eigenständigkeit des Geistes einerseits gegenüber dem Vater, andererseits gegenüber dem Sohn noch wenig ausgebildet. Sie tritt entschieden erst bei Johannes hervor: Der johanneische Christus unterscheidet den Geist von sich als einen „anderen“ Anwalt (Parakleten), den der Vater senden wird (Joh 14,16). Darauf gründete schon die Patristik ihre Aussagen über die hypostatische Eigenständigkeit des Geistes177. Von daher läßt sich sagen, daß in erster Instanz der Geist Gottes als Subjekt der Auferstehung Jesu zu gelten hat. Das schließt nicht aus, daß der Vater durch den Geist gehandelt hat, wie er ja auch in der Sendung des Sohnes handelt, aber eben durch Ver­ mittlung des Geistes bzw. des Sohnes. Ebenso ist die Auferstehung Jesu als Tat auch des Sohnes Gottes selbst zu verstehen, aber wiederum durch die Kraft des Geistes. Alle drei Personen der Trinität wirken in diesem Geschehen zusammen. Aber dem Wirken des Geistes, der der schöpferische Ursprung allen Lebens ist, kommt dabei die entscheidende Bedeutung zu. Insofern darf gesagt werden, daß Vater und Sohn hier auf das Wirken des Geistes angewiesen sind. Noch deutlicher geht solche Angewiesenheit von Vater und Sohn auf den Geist aus den johanneischen Aussagen über die Verherrlichung des Sohnes durch den Geist hervor: Wie der Sohn den Vater auf Erden „verherrlicht“, also seine Gottheit offenbar gemacht hat (Joh 17,4), so wird der Geist den Sohn verherrlichen (16,14). Die Bitte Jesu an den Vater, daß er nun auch ihn, 176 So mit Recht J. Moltmann: Der gekreuzigte Gott, 1972, 188, 230 ff. und zuvor schon E. Jüngel: Vom Tod des lebendigen Gottes (1968), jetzt in ders.: Unterwegs zur Sache, München 1972, 105–125, bes. 117 ff. Nach Jüngel behauptet Gott gerade im Tode Jesu seine Gottheit ge­ gen den Tod, nämlich im Ereignis der Auferweckung Jesu (119). 177 S. o. Anm. 36 und 48.

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den Sohn, verherrlichen möge, wird also durch die Sendung des Geistes und durch sein Werk erfüllt. Durch den Geist wird Jesus als der Sohn offenbar. Damit wird durch ihn auch die Offenbarung des Vaters durch den Sohn vollendet; denn auch nach Johannes wird der Vater nur durch den Sohn er­ kannt (Joh 14,6). Indem der Geist den Sohn verherrlicht, verherrlicht er auch den Vater und die unauflösliche Gemeinschaft beider. Darin liegt eine Selbstunterscheidung, die den Geist als besondere Person neben Vater und Sohn konstituiert und auf diese beiden bezieht: Wie Jesus nicht sich selbst, sondern den Vater verherrlicht und sich gerade darin als eins mit ihm, als der „Sohn“ des Vaters erwies, so verherrlicht auch der Geist nicht sich selbst, sondern den Sohn und mit ihm den Vater: Gerade dadurch, daß er „nicht von sich aus reden“ wird (Joh 16,13), sondern für Jesus Zeugnis ablegt (15,26) und an seine Lehre erinnert (14,26), erweist er sich als der „Geist der Wahrheit“ (16,13). Darin gehört er als von Vater und Sohn unter­ schieden zugleich mit beiden zusammen. Augustin hat den Geist als die ewige Gemeinschaft von Vater und Sohn bezeichnet: Er ist die Liebe (caritas), die Vater und Sohn verbindet178. Von daher ist es verständlich, daß der Vorschlag gemacht werden konnte, die Per­ sonalität des Geistes nicht als eine Einzelperson neben Vater und Sohn, son­ dern als das „Wir“ ihrer Gemeinschaft miteinander aufzufassen179. Dagegen ist von orthodoxer Seite eingewendet worden, daß sich die Person des Heili­ gen Geistes dadurch „verflüchtigt“180. Die Kritik ist berechtigt, weil die Selbstunterscheidung des Geistes von Vater und Sohn, die durch den Geist verherrlicht werden, nicht zur Geltung kommt, wenn er unmittelbar als das „Wir“ der Gemeinschaft von Vater und Sohn aufgefaßt wird. Auch der Geist verherrlicht eben nicht sich selbst, sondern den Sohn in seinem Verhältnis zum Vater und daher auch den Vater im Werk des Sohnes. Dennoch enthält die augustinische Auffassung des Geistes als der Liebe, die Vater und Sohn verbindet, eine tiefere Wahrheit. Führen doch die Evan­ gelien die Verbundenheit Jesu mit dem Vater darauf zurück, daß er vom Geist Gottes erfüllt war181. In den Berichten von der Taufe Jesu wird der Sohn als Empfänger des Geistes dargestellt. Nach Röm 1,4 ist die Sohnschaft Jesu sogar begründet in dem machtvollen Wirken des Geistes bei seiner Auf­ erweckung von den Toten, und strukturell vergleichbar wird auch in der lu­ kanischen Geburtsgeschichte die Sohnschaft Jesu auf seinen Ursprung aus 178 De trin. VI,5,7: ipsa communio consubstantialis et coaeterna (CCL 50, 235, 17 f.), vgl. XV,19,37 (513, 140 ff.). Weitere Belege bei Y. Congar: Der Heilige Geist, Freiburg 1982, 383 f. 179 H. Mühlen: Der Heilige Geist als Person. Beitrag zur Frage nach der dem Heiligen Geist eigentümlichen Funktion in der Trinität, bei der Inkarnation und im Gnadenbund (1963) 3. Aufl. 1966, 157 ff. 180 Dumitru Staniloae: Orthodoxe Dogmatik, Gütersloh 1984, 285. Vgl. auch die kritische Bemerkung von J. Moltmann: Trinität und Reich Gottes, München 1980,185 Anm. 69. 181 Dazu und zum flgd. siehe o. 290 ff.

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dem Wirken des Geistes zurückgeführt (Lk 1,35). Dem entspricht, daß nach Paulus auch die Christen durch den Empfang des Geistes und sein Wirken in ihnen in das Sohnesverhältnis aufgenommen sind (Röm 8,14 f.). Es wurde bereits hervorgehoben, daß die Zugehörigkeit des Geistes zur ewigen Gemeinschaft des Vaters und des Sohnes darin ihren letzten Grund hat, daß sie die Bedingung und das Medium der Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater ist (s. o. 290 ff.). Auch die Mitteilung des Geistes an die Glaubenden wird erst von daher als Einbeziehung in die Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater erkennbar. Andererseits aber wird die Personalität des Geistes, die am klarsten in den Worten des Johannesevangeliums über das Kommen des Parakleten bezeugt ist, auch schon für sein Wirken in der Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater vorauszusetzen sein. Von besonde­ rem Interesse ist hier die Angabe des Lukasevangeliums, daß Jesus durch den Heiligen Geist den Vater pries (Lk 10,21), und der Gegenstand seines Lobpreises ist die Sendung und Vollmacht, die ihm der Vater übertragen hat (10,22). Auch bei Jesus selbst also bestand das Werk des Geistes schon in der Verherrlichung des Vaters, entsprechend der Darstellung bei Johannes, der­ zufolge der Geist den Sohn in seiner Gemeinschaft mit dem Vater und so auch den Vater verherrlicht (Joh 16,14). Das ganze Wirken Jesu also, welches der Erkenntnis und Anerkennung der Gottheit des Vaters unter den Men­ schen und so dem Kommen des Gottesreiches diente, also auf die Verherrli­ chung des Vaters zielte, ist als ein Werk des Geistes in ihm zu verstehen. Das schließt nicht aus, daß es zugleich das Werk des Sohnes ist, der sich demütig der Gottheit des Vaters unterordnet und ihn in solchem Gehorsam durch den Geist verherrlicht, sich darin als Sohn des Vaters erweist. Augustin hat also mit Recht den Geist als das Band der Gemeinschaft zwi­ schen Vater und Sohn beschrieben. Dem bei Augustin damit eng zusam­ menhängenden Gedanken, daß der Geist von beiden, vom Vater und vom Sohne ausgehe182, wird man jedoch nicht folgen können. Er stellt eine Inter­ 182 Der Zusammenhang ist besonders trin. V,11,12 erkennbar: Weil der Geist dem Vater und dem Sohn gemeinsam ist – als Geist des Vaters, aber auch Geist Christi – bezeichnet er die Ge­ meinschaft zwischen ihnen. Das kommt darin zum Ausdruck, daß er ihre gemeinsame Gabe (donum) ist: Ergo Spiritus sanctus ineffabilis quaedam patris filiique communio… (CCL 50, 219,29 f.). Es ist besonders die Auffassung des Geistes als Gabe (trin. XV,18, 32–19,1 f., im An­ schluß an Röm 5,5 und 1.Joh 4,13), die Augustin immer wieder zur These des gemeinsamen Ausgangs des Geistes von Vater und Sohn führt, weil beide die Geber dieser Gabe seien: XV,26, 47 (CCL 50, 528, 90–101) vgl. schon 26,46 (524 f.) und IV,20, 29 (199, 101 ff.). Erst darin, daß der Geist Gabe ist, wird nach Augustin die mit ihm verbundene Relation zu den beiden andern Personen erkennbar, noch nicht in der Bezeichnung als Geist des Vaters und Geist des Sohnes: Sed ipsa relatio non apparet in hoc nomine; apparet autem cum dicitur donum dei: V,11, 12 (219, 23 f.). Seltsamerweise wird aber der Sohn nicht als der primäre Empfänger dieser Gabe beschrie­ ben, sondern nur als mit dem Vater am Geben beteiligt (so u. a. auch V,14, 15 (222 f.), sowie schon IV,20, 29 (199 f.). Vom Empfang des Geistes durch Jesus spricht Augustin nur im Hin­ blick auf seine menschliche Natur (XV,26, 46; CCL 50, 526, 45 f.), und zwar im Hinblick auf seine Geburt (526, 54 ff.; 527, 59 f.), während er es als absurdissimum zurückweist (527,60),

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pretation der geistvermittelten Gegenseitigkeit im Verhältnis von Vater und Sohn in der Terminologie der „Ursprungsrelationen“ dar. Dieser Schritt mag verständlich sein, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß die in der Gottheit bestehenden Relationen ausschließlich den Charakter von Ur­ sprungsrelationen haben, und wenn man von dieser Voraussetzung her die Gemeinschaft von Vater und Sohn durch den Geist zu beschreiben versucht. Das Ergebnis aber ist dem Zeugnis der Schrift nicht angemessen. Dieses Ur­ teil muß nicht nur im Hinblick auf das johanneische Christuswort, daß der Geist vom Vater ausgehe (Joh 15,26), ausgesprochen werden, ein Wort, das von der orthodoxen Kritik am „filioque“ immer wieder angeführt worden ist. Noch viel schwerer als dieses einzelne Wort fällt ins Gewicht, daß – wie bereits erörtert wurde – der Sohn selbst den Geist empfängt. Das läßt sich nicht nur seiner menschlichen Natur zuschreiben, weil Jesus vielmehr als Person Empfänger des Geistes ist. Von wem aber empfängt er ihn? Doch wohl vom Vater. Folglich kann es nur heißen, daß der Geist vom Vater aus­ geht und vom Sohn empfangen wird. Das schließt nicht aus, daß der Sohn ihn weitergibt an die Seinen, also an der Sendung des Geistes zur Einbezie­ hung der Glaubenden in die Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater betei­ ligt ist (Joh 16,7; vgl. aber 14,16 und 15,26: der Vater wird den Geist senden auf Bitten Jesu und in seinem Namen). Durch den Empfang des Geistes wer­ den die Glaubenden der Sohnschaft Jesu teilhaftig. Das ist hinreichend, um die Bezeichnung des Geistes als Geist Christi zu rechtfertigen. Die Mittei­ lung des Geistes geschieht durch den Auferstandenen (Joh 20,22) und durch die apostolische Verkündigung und den Glauben an das Evangelium von der Auferweckung des Gekreuzigten (Gal 3,2): Aber das alles ändert nichts dar­ an, daß der Geist seinen Ursprung beim Vater hat und von ihm ausgeht. Die Theologie des christlichen Westens hat Anlaß, in dieser Frage, die eine so verhängnisvolle Rolle bei der Entfremdung zwischen der östlichen und westlichen Christenheit gespielt hat, nicht nur die einseitig vorgenommene Ergänzung des dritten Artikels im ökumenischen Bekenntnis von Konstan­ tinopel 381 durch Einfügung des „filioque“183 zu bedauern und als unkanoni­ daß er bei seiner Taufe, im Alter von dreißig Jahren, erst den Geist empfangen haben sollte. Durch die Beziehung des Geistempfangs i. U. zur Geistsendung auf die menschliche Natur Jesu statt auf seine Person blendet Augustin also einen erheblichen Teil der biblischen Aussagen für die Bestimmung des Verhältnisses von Sohn und Geist aus. 183 Siehe dazu Y. Congar: Der Heilige Geist, Paris 1979/80 dt. Freiburg 1982, 366–368, so­ wie überhaupt die sehr detaillierten Ausführungen über das filioque 361–413, sowie 435–453. Vgl. auch W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 269 ff.: Der Ausgang des Geistes ab utroque procedens wurde im Westen beiläufig durch das IV. Laterankonzil 1215 (DS 805) er­ wähnt und durch das zweite Konzil zu Lyon 1274 für dogmatisch verbindlich erklärt, sowie mit einer feierlichen Verurteilung der entgegenstehenden ostkirchlichen Auffassung verbunden (DS 850, vgl. 853). Siehe dazu A. Ganoczy: Formale und inhaltliche Aspekte der mittelalterli­ chen Konzilien als Zeichen kirchlichen Ringens um ein universales Glaubensbekenntnis, in: K. Lehmann/W. Pannenberg (Hrsg.): Glaubensbekenntnis und Kirchengemeinschaft, Frei­

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schen Akt zurückzunehmen, sondern auch die augustinische Lehre vom Ausgang des Geistes von Vater und Sohn als eine theologisch unangemessene Formulierung der von Augustin mit Recht betonten Gemeinschaft von Va­ ter und Sohn durch den Geist zu erkennen184. Die Unangemessenheit be­ steht darin, daß dieser Gedanke in der Terminologie einer Ursprungsrelation formuliert wurde. Er wird damit noch nicht häretisch, wie manche überzo­ burg/Göttingen 1982, 49–79, bes. 60 ff. und 70 f. zur Relativierung der Verbindlichkeit des Kon­ zils von Lyon durch Papst Paul VI. (AAS 1974, 620–625). 184 Hinsichtlich der kanonischen Unzulässigkeit der Einfügung des filioque in den Text des Bekenntnisses von Nicaea – Konstantinopel zeichnet sich in den Beiträgen westlicher Theologie aus den letzten Jahrzehnten ein wachsender Konsens ab. Die Wiederherstellung der ursprüngli­ chen Textfassung durch „Weglassung“ des filioque ist neben andern katholischen Theologen auch von Y. Congar befürwortet worden (a. a. O. 451). Voraussetzung dafür sei allerdings die Anerkennung von orthodoxer Seite, „daß das Filioque nichts Häretisches an sich hat, wenn es richtig verstanden wird“ (ebd.). Zurückhaltender äußert sich W. Kasper, indem er urteilt, wenn das filioque nicht häretisch ist, sei auch „nicht mehr einzusehen, weshalb der Westen auf seine Bekenntnistradition verzichten sollte“ (a. a. O. 272). Auf evangelischer Seite haben die Refor­ mationskirchen die im Westen maßgebend gewordene Form des Bekenntnisses übernommen, und noch K. Barth hat das filioque und die Abweisung der orthodoxen Auffassung ausdrück­ lich verteidigt (KD I/1, 500–511), weil er darin die christologische Vermittlung der Selbstoffen­ barung Gottes ausgedrückt fand (502 f., 507 f.). Dabei kam jedoch infolge der Auffassung der Trinität als Ausdruck der alleinigen Subjektivität Gottes in seiner Offenbarung auch bei Barth nicht zur Geltung, daß der Sohn der primäre Empfänger des vom Vater ausgehenden Geistes ist. Schon in der evangelischen Theologie des 19. Jahrhunderts wurden allerdings Zweifel am fi­ lioque laut, weil ein klarer Schriftgrund gegen die griechische Auffassung nicht gegeben sei (A. D. Chr. Twesten: Vorlesungen über die Dogmatik der Evangelisch-Lutherischen Kirche II/ 1, Hamburg 1837, 239 ff., 245). Twesten sah auch, daß die Einigungsformel des Florentiner Uni­ onskonzils 1439, der Geist gehe aus Vater und Sohn tamquam ab uno principio et unica spira­ tione hervor (DS 1300), den Bedenken der Griechen in keiner Weise Rechnung trug (244). Zur gegenwärtigen Diskussion über das filioque vgl. bes. R. Slenczka: Das Filioque in der neueren ökumenischen Diskussion, in dem Anm. 183 zitierten Band „Glaubensbekenntnis und Kir­ chengemeinschaft“, 1982, 80–99, bes. zur ostkirchlichen Diskussion über den Verständigungs­ vorschlag von V. V. Bolotov 1892 (83 f., 89 ff.). Die internationale altkatholische Bischofskonfe­ renz hat schon 1970, die anglikanische Kirchengemeinschaft 1978 die Streichung des Zusatzes aus dem Bekenntnistext des Symbols von Konstantinopel empfohlen, beide vornehmlich aus kanonischen Gründen. Die gleiche Empfehlung wird in der bekannten Studie von Faith and Order ausgesprochen: Geist Gottes – Geist Christi, Hrsg. L. Vischer, Frankfurt 1981, und dem­ entsprechend geht die neue Studie der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung über die Auslegung des nicaenisch-konstantinopolitanischen Bekenntnisses von dessen ursprüngli­ chem Text aus (Ein Gott, ein Geist. Zur Auslegung des apostolischen Glaubens heute, Hrsg. H. G. Link, Frankfurt 1987, 6 und 119). J. Moltmann hat mit Recht betont, daß damit die theo­ logische Frage noch nicht geklärt ist (Trinität und Reich Gottes, 1980,197 f.). Die von ihm vor­ geschlagene Formel, daß der Geist „vom Vater des Sohnes ausgeht und vom Vater und dem Sohn die Gestalt empfängt“ (203), berücksichtigt jedoch ebensowenig wie die augustinische Tradition, daß der Geist den biblischen Zeugnissen zufolge auch vom Sohn empfangen wird und den Gehorsam des Sohnes gegen den Vater vermittelt. Die Beziehung auf den Sohn in der Formulierung des Ausgangs des Geistes „vom Vater des Sohnes“ ist als ein Beitrag zur Klärung des Problems durchaus zu begrüßen, muß aber durch den Gesichtspunkt, daß der Sohn auch schon der erste Empfänger des Geistes und erst so Mittler der Geistsendung an die Glaubenden ist, ergänzt werden.

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genen Reaktionen ostkirchlicher Theologen behauptet haben. Vielmehr äu­ ßert sich in der Fehlinterpretation Augustins ein Mangel, der die trinitäts­ theologische Terminologie in Ost und West gemeinsam belastet hat, der Mangel nämlich, daß die Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Geist aus­ schließlich als Ursprungsbeziehungen verstanden wurden. Mit dieser Auf­ fassung konnte der Gegenseitigkeit in den Beziehungen von Vater, Sohn und Geist nicht Rechnung getragen werden. Der Gesichtspunkt der Gegenseitig­ keit wurde zwar im Gedanken der Perichorese, eines wechselseitigen „Inein­ anderschreitens“ der drei Personen, von Johannes von Damaskus formu­ liert185 und allgemein als Ausdruck der trinitarischen Einheit übernommen, blieb aber in seiner Auswirkung beschränkt wegen der einseitigen Auffas­ sung der innertrinitarischen Relationen nur als Ursprungsrelationen.

c) Drei Personen, aber nur ein Gott Wenn die trinitarischen Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Geist die Form wechselseitiger Selbstunterscheidung haben, dann können sie nicht nur als verschiedene Seinsweisen eines einzigen göttlichen Subjekts, sondern müssen als Lebensvollzüge selbständiger Aktzentren aufgefaßt werden186. Ob man diese Aktzentren auch als drei „Bewußtseinszentren“ zu verstehen hat, hängt davon ab, ob und in welchem Sinne überhaupt die aus menschlicher Selbsterfahrung stammende Vorstellung von Bewußtsein auf das göttliche Leben Anwendung finden kann. Das wird im nächsten Kapitel noch genauer erörtert werden. Wenn hingegen mit der Einheit des göttlichen Lebens auch eine Einheit des Bewußtseins verbunden ist, dann muß man mit Walter Kas­ per und gegen Karl Rahner „sagen, daß das eine göttliche Bewußtsein in drei­ facher Weise subsistiert“187, und zwar so, daß jede der drei Personen sich dar­ in auf die andern als andere bezieht und sich so von ihnen unterscheidet. 185

De fide orth. I,8. D. Staniloae a. a. O. 267 spricht von drei „Subjekten, die füreinander vollkommen transparent, durchschaubar sind“. J. Moltmann kommt einer solchen Auffassung nahe, obwohl er betont, daß die drei trinitarischen Personen „nicht als drei verschiedene Individuen aufzufas­ sen sind, die erst nachträglich in Beziehungen zueinander treten“ (Trinität und Reich Gottes 191). Ausdrücklich von „drei Subjekten“ spricht auch W. Kasper (Der Gott Jesu Christi, 1982, 352). Der Vorschlag von R. W. Jenson (The Triune Identity, Philadelphia 1982, 108 ff.), von drei Identitäten statt von drei Hypostasen zu sprechen, berücksichtigt nicht das Moment der gegen­ seitigen Selbstunterscheidung, das doch wohl dazu nötigt, am Subjektbegriff festzuhalten. 187 A. a. O. 352. Nach W.Kasper a. a. O. „folgert Rahner zu schnell“ aus der Einheit des göttli­ chen Bewußtseins, daß es „keine drei Bewußtseins- und Aktzentren“ in Gott geben könne. Im­ merhin sagt Rahner selbst nur: „… es gibt keine drei Bewußtseine, sondern das eine Bewußtsein subsistiert in dreifacher Weise; es gibt nur ein reales Bewußtsein in Gott, das vom Vater, Sohn, Geist in je der eignen Weise gehabt wird“ (Myst. Sal. 2,387). Im Anschluß an B. Lonergan prä­ zisiert Rahner, daß unbeschadet dieser Einsicht „jede der göttlichen ‚Personen‘ die beiden ande­ ren ‚bewußt‘ hat“ (ebd. Anm. 29). Ob damit der gegenseitigen Selbstunterscheidung der drei 186

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Die als wechselseitige Selbstunterscheidung bestimmten Relationen zwi­ schen den drei Personen lassen sich nicht auf Ursprungsrelationen im Sinne der traditionellen Terminologie der Trinitätslehre reduzieren: Der Vater „zeugt“ den Sohn nicht nur, sondern überträgt ihm auch sein Reich und empfängt es wieder von ihm zurück. Der Sohn wird nicht nur gezeugt, son­ dern ist auch dem Vater „gehorsam“ und „verherrlicht“ ihn dadurch als den einen Gott. Der Geist wird nicht nur gehaucht, sondern „erfüllt“ den Sohn, „ruht“ auf ihm und verherrlicht ihn in seinem „Gehorsam“ gegen den Vater, verherrlicht darin zugleich auch den Vater selbst. So führt er in alle Wahrheit (Joh 16,13) und erforscht die Tiefen der Gottheit (1.Kor 2,10 f.). Es geht nicht an, die in der Schrift bezeugten aktiven Beziehungen des Sohnes und des Geistes zum Vater als für deren Identität nicht konstitutiv zu behandeln und dafür nur die Beziehungen der Zeugung und des Hervor­ gangs bzw. der Hauchung zu berücksichtigen, weil man für die Konstituti­ on der Personen nur die vom Vater zum Sohn und zum Geist führenden Ursprungsrelationen gelten läßt. Keine jener andern Relationen ist für Sohn und Geist in ihrem Verhältnis zum Vater nebensächlich, sondern sie alle ge­ hören zur Eigentümlichkeit der trinitarischen Personen und ihrer Gemein­ schaft. Daher gilt auch von diesem reicher strukturierten Beziehungsge­ flecht, das Vater, Sohn und Geist verbindet, was die Trinitätstheologie seit Athanasius von den trinitarischen Relationen behauptet: Sie konstituieren die unterschiedlichen Eigentümlichkeiten der drei Personen. Diese sind in der Tat nur, was sie in ihren Beziehungen zueinander sind, durch die sie sich sowohl voneinander unterscheiden als auch miteinander vergemein­ schaften. Dabei können die einzelnen Personen nicht, wie es besonders in der westlichen Trinitätslehre versucht worden ist, auf einzelne Relationen reduziert werden. Das ist jetzt schon dadurch ausgeschlossen, daß das Ge­ flecht der Beziehungen zwischen ihnen komplexer ist als es sich der alten Lehre von den „Ursprungsbeziehungen“ der „Zeugung“ des Sohnes und der „Hauchung“ (oder des „Hervorgangs“) des Geistes aus dem Vater dar­ stellte. Die Personen können also nicht einfach mit je einer Relation iden­ tisch sein. Jede von ihnen ist vielmehr Brennpunkt mehrerer Relationen. Damit erhebt sich aber auch die Frage, ob das Beziehungsgeflecht der Peri­ chorese sich noch genauer beschreiben läßt und wie es sich zur Einheit des göttlichen Lebens verhält, die in der kappadokischen Lehre lediglich durch den Ursprung des Sohnes und des Geistes vom Vater innerlich gesichert werden sollte. Die Selbstunterscheidung jeder der trinitarischen Personen von den an­ dern Personen bezieht sich zugleich auf die Gottheit und/oder ihre Eigen­ schaften. Das ist sogar das Thema und die Pointe der Selbstunterscheidung Personen hinreichend Rechnung getragen werden kann, wenn kein Unterschied zwischen Sub­ jekt und Objekt in Gott stattfinden soll, bleibt jedoch fraglich.

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jeder der Personen von der oder den andern Personen. So weist der Sohn von sich weg auf den Vater als den einen Gott, der allein wahrhaft gut ist (Mk 10,18), also allein Gott ist. Dem entspricht die Hingabe des Sohnes an seine Sendung, in der er sein Leben verzehrt im Dienst an der Gottheit des Vaters. Der Geist bestätigt und preist den Sohn als in seinem Gehorsam eins mit dem Vater und als Offenbarer seiner Liebe. Der Vater hat nicht nur dem Sohn seinen Geist übertragen und gießt durch ihn seine Liebe in die Herzen der Glaubenden aus (Röm 5,5), sondern er hat auch dem Sohn sein Reich übertragen, so daß nun der Sohn Gottes Kraft und Gottes Weisheit heißen kann (1.Kor 1,24). Die Beispiele zeigen, daß „Selbstunterscheidung“ nicht streng dasselbe be­ deutet für jede der drei Personen. Schon in bezug auf das klassische, verein­ fachte Verständnis der trinitarischen Relationen als Ursprungsrelationen ist mit Recht gesagt worden, daß die drei Personen nicht im eigentlichen Sinne zusammengezählt werden können188: Ihre Summe ist nicht größer als jede einzelne von ihnen (Aug. trin. VI,7,9). Ihre Verschiedenheit aber ist so groß, daß sie sich nicht wie Exemplare der gleichen Art addieren lassen (trin. VI­ I,4,7 ff.). Die verschiedene Struktur der Personen tritt noch viel deutlicher hervor, wenn man die volle Komplexität der Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Geist berücksichtigt, und zwar gerade im Hinblick auf die unter­ schiedlichen Formen ihrer wechselseitigen Selbstunterscheidung. Nur im Fall des Sohnes ist es ihr Sinn, daß die andere Person, von der der Sohn sich unterscheidet, nämlich der Vater, für ihn der alleinige Gott ist und daß gerade darin die Gottheit des Sohnes selbst gründet, daß er sich so der Gottheit des Vaters unterwirft. Auch der Geist freilich erweist seine eigene Gottheit da­ durch, daß er den Sohn als den Kyrios erkennen und bekennen lehrt (1.Kor 12,3), also dadurch, daß er die Gottheit einer andern Person, des Sohnes, an­ erkennt und bekennt. Aber weder ist der Sohn im Bekenntnis des Geistes der alleinige Gott – er ist der Kyrios nur als der Sohn des Vaters – noch erschöpft sich das Werk des Geistes in der Doxologie. Der Geist war schon zuvor dem Sohn verliehen, bleibend und ohne Maß, um ihn zu seinem Werk zu befähi­ gen. So ist die Form der Selbstunterscheidung des Geistes von Sohn und Vater verschieden von der des Sohnes im Verhältnis zum Vater. Erst recht hat die Selbstunterscheidung des Vaters von Sohn und Geist hinsichtlich der Gottheit beider eine andere Form: Der Vater erkennt nicht im Sohn den einen Gott im Unterschied von sich selber, sondern er überträgt ihm seine Herrschaft, um sie, wie Athanasius schrieb, in ihm von neuem zu besit­ zen189. Seine Liebe wird nicht gemindert dadurch, daß er sie durch den Heili­ gen Geist in die Herzen der Glaubenden ausgießt. Dennoch ist auch im 188

Vgl. dazu W. Kasper a. a. O. 345 f. Athanasius c. Arian. III,36 (PG 26, 401 C): „Da der Vater alles dem Sohn gegeben hat, be­ sitzt der Vater im Sohn alles von neuem.“ 189

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Hinblick auf das Verhältnis des Vaters zu Sohn und Geist von einer Selbstunterscheidung hinsichtlich seiner Gottheit zu sprechen, weil das Offenbarwerden der Gottheit und der Herrschaft des Vaters am Werk des Sohnes und des Geistes hängt. Athanasius hat es gewagt, das johanneische Christuswort „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) so wörtlich zu nehmen, daß ihm der Sohn als die Wahrheit und das Leben auch des Vaters selber galt. So wurde ihm dieses Wort zum Argument gegen die Arianer: „Denn wenn der Sohn nicht war, bevor er gezeugt wurde, so war die Wahrheit nicht immer in Gott. Aber so zu sprechen wäre Unrecht. Denn wenn der Vater war, war in ihm immer die Wahrheit, die der Sohn ist, der sagt: ich bin die Wahrheit.“190 Ebenso ist nach Athanasius der Sohn die Kraft und Weisheit des Vaters (c. Arian 1,11). Darum „wird im Sohn die Gottheit des Vaters geschaut“ (c. Arian 3,5). Wie der Vater nicht Vater ist ohne Sohn (ib 3,6; vgl. 1,29 und 34), so hat er auch seine Gottheit nicht ohne ihn. Mit diesen kühnen Gedanken hat Athanasius das geläufige Verständnis der Gottheit des Vaters tiefgreifend in Frage gestellt, wonach die Gottheit des Vaters ohne jede Bedingung fest­ steht, während sie dem Sohn und dem Geist nur in abgeleiteter Weise zu­ kommt. Die Gottheit des Vaters hat vielmehr ihre Bedingung im Sohn: Es ist der Sohn, der uns den Vater als den allein wahren Gott (c. Arian 3,9, vgl. 7) kennen lehrt. Auch Athanasius konnte vom Vater als „Quelle“ der Weisheit, also des Sohnes sprechen (1,19), aber so, daß man nicht ohne den Sohn, der aus der Quelle hervorgegangen ist, den Vater als Quelle bezeichnen kann. Wenn hingegen der Vater in dem Sinne als Quelle oder Prinzip der Gottheit von Sohn und Geist bezeichnet wird, daß diese beiden zwar vom Vater, nicht aber er von ihnen abhängig ist hinsichtlich der Gottheit, dann ist die Gegen­ seitigkeit der Selbstunterscheidung und damit der trinitarischen Personen, sowie die Gleichheit ihrer Gottheit nicht mehr gewahrt. Die Kappadokier sind mit ihren Aussagen über den Vater als Quelle der Gottheit gelegentlich einer solchen, die Gleichheit der Personen gefährdenden Auffassung zumin­ dest sehr nahe gekommen191, weil nicht ausdrücklich hinzugefügt wurde, daß nur aus der Perspektive des Sohnes der Vater das Prinzip der Gottheit ist. Unterbleibt die Hinzufügung dieser Bedingung, dann sind Sohn und Geist ontologisch inferior gegenüber dem Vater, was doch die Theologie der Kappadokier ebenso zu vermeiden strebte wie Athanasius. 190 Athanasius c. Arian. I,20; vgl. dazu J. Zizioulas: Verité et communion, in: L’être ecclesial, Paris 1981, 75–110, bes. 73 f. 191 Das gilt bes. auch für Gregor von Nazianz or. 40 (MPG 36, 420 B), obwohl Gregor hier nicht das Bild von Quelle und Fluß verwendet hat (i.U. etwa zu Gregor Nyss. adv. Maced., MPG 45, 1317 A), weil dieses Bild das selbständige Bestehen der aus dem Vater hervorgegange­ nen Hypostasen nicht zum Ausdruck bringt (or. 31, MPG 36, 169 f.). Das Bedenken richtet sich jedoch nicht gegen die Auffassung des Vaters als des allein ursprungslosen Prinzips der Gott­ heit. Vgl. dazu das oben Anm. 70 zit. Urteil von K. Holl.

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Der Gedanke, daß die Gegenseitigkeit der drei Personen auch das Verhält­ nis einer jeden von ihnen zur einen Gottheit und ihren Eigenschaften zum Inhalt hat, scheint nach Athanasius nicht weiter verfolgt worden zu sein. Augustin, dem diese Argumentation offenbar durch das Euseb von Vercelli zugeschriebene Werk über die Trinität bekannt wurde192, hat dagegen pole­ misiert, weil man auf diese Weise zu dem Schluß gezwungen werde, daß der Vater die Weisheit nicht durch sich selber besitze, also nicht schon von sich aus weise ist, sondern nur durch den Sohn193. Die weitere Konsequenz hat Augustin scharf erkannt: Weder der Vater, noch der Sohn wären „für sich“ (ad se) als Gott zu bezeichnen194. Er sah darin jedoch eine Verletzung der gleichen Gottheit von Vater und Sohn: Wie nämlich kann der Sohn gleichen Wesens mit dem Vater sein, wenn der Vater gar keine eigene Wesenheit be­ sitzt, sondern sogar sein Sein nur in Beziehung auf den Sohn hat195? Wenn aber umgekehrt auch der Sohn sein göttliches Wesen nur relativ auf den Va­ ter hat, dann wäre die Wesenheit gar nicht mehr Wesenheit, sondern etwas Relatives196. Es ist eine bedeutende Einsicht von Robert W. Jenson, daß Augustin hier nicht nur eine ungeschickte Formulierung der nicaenischen Lehre zurückge­ wiesen hat, sondern eine ihrer Pointen verkannte, die darin besteht, die Beziehungen zwischen den Personen als konstitutiv nicht nur für deren Eigentümlichkeiten, sondern auch für ihre Gottheit darzustellen197. Sicher­ 192

Vgl. die CCL 50,228 zu Zeile 20 f. angeführten Belege. Aug. trin. VI,1,2 (CCL 50,229,26 ff.). 194 A. a. O. VI,2,3: Si haec ita sunt, iam ergo nec deus est pater sine filio nec filius deus sine pa­ tre, sed ambo simul deus (230, 17 f.). 195 A. a. O. VII,1,2: Quomodo ergo eiusdem essentiae filius cuius pater quandoquidem ad se ipsum nec essentia est, nec omnino est ad se ipsum sed etiam esse ad filium illi est? (246,71–74). 196 A. a. O.: Restat itaque ut etiam essentia filius relative dicatur ad patrem. Ex quo conficitur inopinatissimus sensus ut ipsa essentia non sit essentia, vel certe cum dicitur essentia, non essentia sed relativum indicetur (247,96–99). 197 „Augustine’s description of Nicene teaching is accurate. But what he regards as an unfor­ tunate consequence of the Nicene doctrine was in fact the doctrine’s whole original purpose. The original point of trinitarian dialectics is to make the relations… constitutive in God“ (R. W. Jenson: The Triune Identity, Philadelphia 1982, 119). Das positive Urteil über die kappadoki­ sche Interpretation der Trinitätslehre, das Jenson mit seiner Kritik an Augustin verbindet, ver­ mag ich allerdings so uneingeschränkt nicht zu teilen: Um Augustin gerecht zu werden, muß man sehen, daß das Problem der Einheit der Gottheit in den Interpretationen der Kappadokier ungelöst geblieben war (s. o. 302 ff.; 308 f.). Außerdem haben die Kappadokier die Gegenseitig­ keit im Verhältnis der trinitarischen Personen weit weniger scharf als Athanasius erfaßt, sie vor allem auch nicht über Athanasius hinaus als wechselseitige Selbstunterscheidung interpretiert. Gregor von Nyssas Bildgedanke eines Zusammenwirkens der drei Personen in einem einzigen auf uns gerichteten Strahl (Quod non sunt tres dii 124 f., MPG 45,133 B sowie c. Eun. § 149, MPG 45,416 B), den Jenson mit Recht als einen Höhepunkt kappadokischer Theologie rühmt (113), bezieht sich in erster Linie auf die Einheit des göttlichen Wirkens nach außen, nicht auf die internen Beziehungen der drei Personen, und ist außerdem subordinatianisch geprägt: Vgl. dazu K. Holl: Amphilochius von Ikonium in seinem Verhältnis zu den großen Kappadoziern, Tübingen/Leipzig 1904, 218 ff. 193

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lich hat Augustin nicht die Absicht gehabt, sich gegen das nicaenische Dog­ ma selbst oder gegen seine Explikation und Verteidigung durch Athanasius zu wenden. Er suchte vielmehr eine bessere gedankliche Rechtfertigung für die zentrale Behauptung der Homousie der drei Personen. Den Ansatz­ punkt für eine Neubestimmung des Wesensbegriffs selber von der Gegensei­ tigkeit der personalen Beziehungen her hat Augustin in dem ihm durch Eu­ seb von Vercelli vermittelten Gedanken des Athanasius nicht wahrge­ nommen. Statt dessen beharrte er darauf, daß jede der drei Personen für sich und unmittelbar Anteil an der einen Gottheit und ihren Eigenschaften hat, nicht erst durch Vermittlung der personalen Beziehungen198. In der Tat schien dadurch die Gleichheit der Personen gewährleistet, jede Inferiorität hinsichtlich der Gottheit vermieden und zugleich die göttliche Einheit zum beherrschenden Gesichtspunkt erhoben. Aber die Vermittlung des göttli­ chen Lebens durch die gegenseitigen Beziehungen der Personen wurde ver­ flacht zur Vorstellung einer identischen Teilhabe jeder einzelnen von ihnen an der differenzlos gedachten Einheit des göttlichen Wesens199. Die Schwie­ rigkeiten, die schon Augustin selbst im Hinblick auf die Eigenständigkeit der göttlichen Personen empfand200, waren eine direkte Folge davon. Die Gegenseitigkeit und gegenseitige Abhängigkeit der drei Personen der Trinität nicht nur hinsichtlich ihrer personalen Identität, sondern auch hin­ sichtlich ihrer Gottheit hat nun keineswegs zur Folge, daß dadurch die Mon­ archie des Vaters zerstört würde. Ganz im Gegenteil: Durch das Werk des Sohnes kommt das Reich des Vaters, seine Monarchie, in der Schöpfung zur Geltung, und durch das Werk des Geistes, der den Sohn als den Bevoll­ mächtigten des Vaters und darin den Vater selbst verherrlicht, wird es voll­ endet. Sohn und Geist dienen durch ihr Wirken der Monarchie des Vaters, setzen sie ins Werk. Doch der Vater hat sein Reich, seine Monarchie, nicht ohne den Sohn, sondern nur durch Sohn und Geist. Das gilt nicht nur für das Offenbarungsgeschehen, sondern ist auf Grund des geschichtlichen Ver­ hältnisses Jesu zum Vater auch für das innere Leben des dreieinigen Gottes zu behaupten. Dabei ist wiederum der Gesichtspunkt der Selbstun­ terscheidung im Verhältnis des Sohnes zum Vater maßgebend: Der Sohn ist dem Vater nicht subordiniert im Sinne ontologischer Inferiorität, aber er un­ terwirft sich selbst dem Vater. Er ist darin selber in Ewigkeit der Ort der 198 Augustin trin. V,8, 9: Quidquid ergo ad se ipsum dicitur deus et de singulis personis ter di­ citur patre et filio et spiritu sancto, et simul de ipsa trinitate non pluraliter sed singulariter dicitur (216,35–37). 199 R. W. Jenson a. a. O. 120: „The mutual structure of the identities, relative to the power, wisdom and so on, that characterize God’s work and so God, is flattened into an identical pos­ session by the identities of an abstractly simple divine essence“. 200 Dem Anm. 198 zit. Kapitel aus Augustins Werk über die Trinität folgt der berühmte Satz: Dictum est tarnen tres personae non ut illud diceretur, sed ne taceretur (trin. V,9, 10; 217,10 f.). Faktisch stellt dieser Satz weniger die Unangemessenheit der Sprache des Dogmas fest als viel­ mehr die Schranken seiner Interpretation durch Augustin.

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Monarchie des Vaters. Darin ist er eins mit dem Vater durch den heiligen Geist. Die Monarchie des Vaters ist nicht die Voraussetzung, sondern das Ergebnis des Zusammenwirkens der drei Personen. Sie ist das Siegel ihrer Einheit. Daher ist in der immanenten Trinität nicht mit Jürgen Moltmann zu unterscheiden zwischen einer „Konstitutionsebene“ und einer „Relationsebene“ (Trinität und Reich Gottes, München 1980, 200), zwischen der „Konstitution der Trinität“ (179 ff.) aus der Monarchie des Vaters als dem ursprungslosen Ursprung der Gott­ heit durch Zeugung des Sohnes und Hervorgang des Geistes (182) einerseits und der perichoretischen Gegenseitigkeit der personalen Beziehungen im „Leben der Trinität“ (187 ff. 191 f.) andererseits201. Vielmehr ist die Monarchie des Vaters sel­ ber durch die trinitarischen Relationen vermittelt. Wie könnte auch die Einheit im „ewigen Kreislauf des göttlichen Lebens“ und in der „perichoretischen Einigkeit“ der drei Personen gewahrt bleiben, wenn hier die Monarchie des Vaters als „Quel­ le der Gottheit“ keine Geltung mehr (so 192) hätte? Moltmann hat zur Wiederge­ winnung des Gesichtspunkts der Gegenseitigkeit in den trinitarischen Beziehun­ gen bedeutende Einsichten beigetragen und sagt sehr schön: „Die Personen selbst konstituieren ihre Unterschiede wie ihre Einheit“ (ebd.). Das gilt aber nicht zu­ letzt auch für die Monarchie des Vaters selbst. Sie kann nicht in Konkurrenz zum Leben der Trinität bestehen, sondern hat gerade im Leben des Sohnes und des Geistes ihre Realität.

Weil die Gemeinschaft der trinitarischen Personen in der Monarchie des Va­ ters als dem Resultat ihres Zusammenwirkens ihren Inhalt hat, darum und nur darum läßt sich behaupten, daß der trinitarische Gott kein anderer ist als der Gott, den Jesus verkündete, der himmlische Vater, dessen Herrschaft na­ he ist und in Jesu Wirken schon anbricht. Adolf v. Harnack hat mit Recht gesagt: „Nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkündet hat, hinein.“ Aber Harnack war sich auch bewußt, daß diese Feststellung unvollständig ist, wenn nicht hinzugefügt wird: „Aber so, wie er den Vater kennt, hat ihn noch niemand erkannt.“202 Darum ist der Vater nicht abgelöst von der Person Jesu erkennbar, weil nur in Jesu Auftre­ ten und im Glauben an ihn die Herrschaft des Vaters schon anbricht. So ist er der Sohn. Darum wird durch ihn und durch das Werk des ihn, den Sohn, verherrlichenden Geistes, die Monarchie des Vaters schon gegenwärtige Realität. Sind Vater, Sohn und Geist darin vereinigt, daß sie alle zur Monarchie des Vaters beitragen, so ist es doch nicht gerechtfertigt, den Namen „Vater“ außer auf die er­ ste Person der Trinität auch auf den dreieinigen Gott insgesamt zu beziehen. Das ist in der theologischen Tradition geschehen, weil das Wirken Gottes in der 201 Zu den darin begründeten Spannungen in Moltmanns Darstellung der Trinitätslehre vgl. R. Olson: Trinity and Eschatology: The Historical Being of God in Jürgen Moltmann and Wolfhart Pannenberg, in: Scottish Journal of Theology 36 (1983) 213–227, bes. 224 f. 202 A. v. Harnack: Das Wesen des Christentums (1900), Leipzig 1902, 91.

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Schöpfung als Werk der ganzen Trinität und nicht speziell des Vaters gedacht wurde. Biblische Aussagen, die Gott als Vater seiner Geschöpfe bezeichnen, wie Mt 5,16.45.48, Mt 6,4 ff. 14 f. 18 und 26 wurden deshalb auf die ganze Trinität be­ zogen, nicht nur auf den Vater als erste Person. Ebenso verfuhr man mit alttesta­ mentlichen Aussagen, die den Gott Israels als den „Vater“ des Volkes benennen (Dtn 32,6; Jes 63,16). Zu diesem Zweck unterschied die Theologie einen Gebrauch des Vaternamens im Hinblick auf die göttliche Wesenheit (essentialiter) von der Bezeichnung der ersten Person der Trinität durch diesen Namen (personaliter). Das geschah sowohl in der scholastischen Theologie (Thomas v. A.: S. theol. I,33,3), als auch in der altprotestantischen Dogmatik (Abraham Calov: Systema III, Wittenberg 1659, 169–175; David Hollaz: Examen I, Stargard 1707, 432 f. (q 1), sowie noch bei Sigmund Jakob Baumgarten (Evang. Glaubenslehre I, 2. Aufl. Halle 1764, 455 f.). Einem großen Teil der Aussagen Jesu über Gott als himmli­ schen Vater wurde damit eine andere Adresse unterstellt als der Anrede Gottes als Vater durch den Sohn selbst. Sogar das Vaterunser sollte nicht an den Vater Jesu Christi, sondern an die ganze Trinität gerichtet sein. Damit wurde die Einheit der Gottesverkündigung Jesu in exegetisch unbegründeter und sachlich unerträglicher Weise aufgespalten. Der Sozinianer Crellius hat mit vollem Recht bestritten, daß die Bezeichnung Gottes als Vater sich an irgendeiner Stelle der Schrift auf die Tri­ nität beziehen lasse, und die Argumente von Calov gegen ihn (a. a. O. 169 ff.) ma­ chen für den heutigen Leser einen überaus gekünstelten Eindruck und entbehren jeder Überzeugungskraft, wenn man absieht von der in die Schriftauslegung einge­ tragenen These von der Unteilbarkeit der Werke der Trinität nach außen. Sollte nicht eher diese Regel selber sich hier als revisionsbedürftig erweisen? Man braucht den Grundsatz des Zusammenwirkens von Vater, Sohn und Geist in Schöpfung, Versöhnung und Erlösung noch nicht aufzugeben, wenn eine Unter­ scheidbarkeit der Personen in diesen ihren Werken zugestanden wird.

Der Vater ist in seiner Monarchie der eine Gott: Das lehrt gerade der Sohn (Mk 10,18). Das bestätigt auch die Untersuchung des neutestamentlichen Sprachgebrauchs; denn im Neuen Testament steht das Wort „Gott“ fast aus­ nahmslos für den Vater und nie für den dreipersönlichen Gott203. Daraus folgt jedoch nicht, daß man die Lehre von dem einen Gott „als Lehre von Gott dem Vater zu entfalten“ hat204, statt als Lehre von der Einheit des gött­ lichen Wesens in der Dreiheit der Personen. Denn als Vater wird der eine Gott erkannt durch den Sohn im heiligen Geist. Die christliche Theologie sollte sich allerdings der Einsicht öffnen, daß auch die Vorbereitung der Er­ kenntnis Gottes als Vater in der Religionsgeschichte und im Alten Testa­ ment bereits den von Jesus verkündeten Vatergott zum Gegenstand hat. Das bedeutet dann freilich, angesichts der Bindung der Erkenntnis des Vaters an 203 Das ist das Ergebnis von K. Rahners Untersuchung: „Gott“ als erste trinitarische Person im Neuen Testament, in: Zeitschrift f. kath. Theol. 66,1942, 71–88. 204 So W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 187. Von daher kommt Kasper dazu, den Vater „als Ursprung, Quelle und inneren Einheitsgrund der Trinität“ darzustellen (364, vgl. 381). Aber ist dabei nicht vernachlässigt, daß die Vorstellung Gottes als Vater immer schon be­ dingt ist durch das Verhältnis zum Sohn?

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die Vermittlung des Sohnes, daß auch in dieser religionsgeschichtlichen Vor­ bereitung der durch Jesus vermittelten Erkenntnis Gottes als Vater der Sohn schon wirksam ist, obwohl er erst in der Inkarnation definitiv menschliche Gestalt gewonnen hat. Wenn die Schöpfung der Welt durch den göttlichen Logos vermittelt ist, der Logos also schon vor seiner Inkarnation überall in den Geschöpfen wirksam ist, dann ist es nur natürlich, daß auch die Anfänge der Erkenntnis Gottes als Vater durch das Wirken des Sohnes in der Menschheit vermittelt sind, so daß auch in dieser Hinsicht die Inkarnation des Sohnes die Vollendung der Schöpfung des Menschen ist. Es zeigt sich hier, daß das Verhältnis des Sohnes zum Vater und zu seiner Monarchie, wie es seinerseits durch den Geist vermittelt ist, nicht nur die Geschichte Jesu von Nazareth bestimmt, sondern daß in ihr die ganze Heils­ ökonomie zusammengefaßt ist. Die Frage nach der Einheit des trinitarischen Gottes läßt sich nicht ohne Einbeziehung der Heilsökonomie, also nicht im Hinblick auf eine nur immanente Trinität vor der Schöpfung der Welt klä­ ren. Auch wenn letztlich eine Unterscheidung zwischen immanenter und ökonomischer Trinität vollzogen werden muß, weil Gott in seinem ewigen Wesen derselbe ist wie in seiner Offenbarung, vom Geschehen seiner Offen­ barung also ebenso unterschieden wie mit ihm identisch zu denken ist, so ist doch auch umgekehrt die Einheit des trinitarischen Gottes nicht abgesehen von seiner Offenbarung und dem darin zusammengefaßten heils­ ökonomischen Wirken Gottes in der Schöpfung vorzustellen. Die Bedingt­ heit der Monarchie des Vaters und ihrer Erkenntnis durch den Sohn macht es erforderlich, die Ökonomie der göttlichen Beziehungen zur Welt in die Frage nach der Einheit des göttlichen Wesens einzubeziehen. Der Gedanke der Einheit Gottes ist also noch nicht damit geklärt, daß die Monarchie des Vaters ihr Inhalt ist. Wenn die Monarchie des Vaters nicht unmittelbar als solche realisiert ist, sondern nur durch Vermittlung von Sohn und Geist, so muß die Einheit der Gottesherrschaft in der Form dieser Vermittlung ihr Wesen haben. Oder vielmehr: Das Wesen der Monarchie des Vaters gewinnt selber erst seine Inhaltsbestimmung durch jene Vermittlung. Jedenfalls kann die Vermittlung durch Sohn und Geist der Monarchie des Vaters nicht äußerlich sein.

4. Die Welt als Geschichte Gottes und die Einheit des göttlichen Wesens Die von Karl Barth geforderte, wenn auch nicht inhaltlich durchgeführte Be­ gründung der Trinitätslehre aus der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ist durch Karl Rahners These einer Identität von immanenter und ökonomi­

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scher Trinität205 aufgenommen und verschärft worden: Diese These bedeutet ja, daß die Begründung der Trinitätslehre nicht nur von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus ausgeht, um von da aus auf eine Dreiheit im ewigen Wesen Gottes zurückzugehen, sondern daß die Durchführung der Trinitäts­ lehre dann auch wieder die Dreiheit im ewigen Wesen Gottes mit seiner ge­ schichtlichen Offenbarung verbinden muß, weil diese nicht als seiner Gott­ heit äußerlich gedacht werden kann. Dieser Sachverhalt kommt schon bei Karl Barth im Aufbau des zweiten Kapitels seiner Lehre vom Worte Gottes zum Ausdruck, dort allerdings nicht als Entfal­ tung der Trinitätslehre, sondern des Offenbarungsbegriffs. Sie führt in § 8 und 9 (KD I/1, 311–403) vom Offenbarungsgedanken zur Trinitätslehre, in § 10–12 (KD I/1, 404–514) vom Offenbarungswirken des Vaters, des Sohnes und des Geistes auf ihre ewige Gottheit zurück, um dann in §13–15 (KD I/2, 1–221) die „objekti­ ve“ Offenbarung des dreieinigen Gottes in der Fleischwerdung des Sohnes und anschließend (§ 16–18, KD I/2, 222–504) seine „subjektive“ Offenbarung durch den heiligen Geist einzubeziehen. Was hier als Entfaltung des Offenbarungsge­ dankens vorgetragen ist, läßt sich auch als Darstellung der Trinität in der Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität lesen. Es fehlt dann freilich auf der Seite der ökonomischen Trinität das Werk des Vaters, die Schöpfung. Darin mag man eine durch den christozentrischen Offenbarungsbegriff Barths – oder jeden­ falls durch seine Fassung in den Prolegomena zur „Kirchlichen Dogmatik“ – be­ dingte „Engführung“ erblicken. Jedenfalls kommt der Sache nach in diesen Ausführungen Barths die Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität schon zur Geltung.

Den Ausgangspunkt der These Rahners bildete die Feststellung, daß Jesus Christus in Person der Sohn Gottes ist, die Inkarnation also nicht nur durch äußerliche Zueignung (Appropriation) dem Sohn im Unterschied zu den beiden andern Personen der Trinität zugeschrieben wird. Der Mensch Jesus ist „Realsymbol“ des göttlichen Logos. Seine Geschichte „ist das den Logos selbst offenbarende Dasein des Logos als unseres Heiles bei uns“206. Die In­ karnation muß aber im Zusammenhang des heilsgeschichtlichen Wirkens des trinitarischen Gottes als ein besonderer „Fall“ des Eingehens einer trini­ tarischen Person auf die Wirklichkeit der Welt gesehen werden. Zwar ist der „Fall“ der hypostatischen Union des göttlichen Logos mit dem Menschen Jesus einzig, ohne Parallele, aber dennoch steht er im Zusammenhang eines die ganze Heilsökonomie umgreifenden Wirkens des trinitarischen Gottes selbst in der Geschichte der Welt. Dadurch wird, über Rahners Formulie­ rungen des Sachverhalts hinaus, die Schöpfung in die Beziehungen der trini­ tarischen Personen zueinander einbezogen und an ihnen beteiligt. Jedoch werden nur die Personen des Sohnes und des Geistes in der Schöpfung 205 K. Rahner: Bemerkungen zum dogmatischen Traktat „De Trinitate“ (1960), in: Schriften zur Theologie IV, Einsiedeln 1960,103–133, bes. 115 f. 206 A. a. O.123.

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unmittelbar handelnd gegenwärtig, während der Vater nur durch Sohn und Geist in der Welt handelt, selber also der Welt transzendent bleibt. Das ist der in den „Sendungen“ von Sohn und Geist in die Welt zum Ausdruck kommende Sachverhalt. Dennoch ist durch Sohn und Geist auch der Vater auf die Geschichte der Heilsökonomie bezogen. Er hat sich sogar in seiner Gottheit durch die Schöpfung der Welt sowie durch die Sendung von Sohn und Geist zum Wir­ ken in ihr abhängig gemacht vom Gang ihrer Geschichte. Das ergibt sich aus der wechselseitigen Abhängigkeit der trinitarischen Personen voneinander im Vollzug der Übertragung und Zurückgabe des Reiches in Verbindung mit dem heilsökonomischen Eingehen von Sohn und Geist in die Welt und ihre Geschichte. Dieser Sachverhalt einer Abhängigkeit der Gottheit des Va­ ters vom Gang des Geschehens in der Welt der Schöpfung ist zuerst von Eberhard Jüngel, dann auch von Jürgen Moltmann am Beispiel der Kreuzi­ gung Jesu herausgearbeitet worden207. Die Gottheit des Vaters selber ist durch den Tod Jesu am Kreuz, wenn es denn der Tod des Sohnes ist, in Frage gestellt. Dem entspricht, mit Jüngel zu reden, daß der Vater sich als Gott ge­ gen den Tod behauptet durch die Auferweckung des Gekreuzigten. Solche Beschreibungen des Kreuzesgeschehens, die die Gottheit des Va­ ters als durch den Tod des Sohnes mitbetroffen und in Frage gestellt darstel­ len, implizieren die Voraussetzung, daß in den innertrinitarischen Beziehun­ gen die Personen nicht nur hinsichtlich ihres Personseins, sondern auch hin­ sichtlich ihrer Gottheit voneinander abhängen und daß es sich dabei um ge­ genseitige Abhängigkeiten handelt, die nicht nur die Beziehungen von Sohn und Geist zum Vater, sondern auch des Vaters zu den beiden andern Perso­ nen betreffen208. Die Interpretation des Kreuzestodes Jesu als Infragestellung der Gottheit des Vaters weist diese Gegenseitigkeit der trinitarischen Bezie­ hungen in den zentralen Ereignissen der Heilsgeschichte, in Kreuz und Auf­ erstehung Jesu Christi nach. Damit ist über Rahners Aussagen hinaus nun auch die Person des Vaters in den Ablauf der Heilsgeschichte verwickelt, 207 E. Jüngel: Vom Tod des lebendigen Gottes (1968), in ders.: Unterwegs zur Sache. Theo­ logische Bemerkungen, Tübingen 1972,105–125, hier 119. Vgl. ders.: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 132 ff. 248 ff., 270–306. J. Moltmann: Der gekreuzigte Gott, München 1972, 184–204, 222–236. 208 In diesem Sinne habe ich 1977 für eine Ausweitung der Appropriationen- oder Attributionenlehre plädiert über die Zuordnung bestimmter Werke der göttlichen Ökonomie zu einzelnen Personen der Trinität, unbeschadet der Beteiligung der beiden andern, hinausge­ hend auf eine Zuordnung nicht nur göttlicher Eigenschaften, sondern der Gottheit selbst in den inneren Beziehungen der Trinität durch eine Person an eine der andern oder beide andern Per­ sonen (Der Gott der Geschichte. Der trinitarische Gott und die Wahrheit der Geschichte, jetzt in: Grundfragen syst. Theologie II, 1980,112–128, hier 124 f.). Ich habe damit die seinerzeit von Augustin abgelehnte (s. o. Anm. 191 ff.), aber bei Athanasius angebahnte Auffassung von der Gegenseitigkeit der trinitarischen Beziehungen zu erneuern und weiter auszubauen versucht. Der Sache nach gehen die Bemühungen von E. Jüngel und J. Moltmann in ähnliche Richtung.

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und zwar in der Weise, daß der Fortgang ihrer Ereignisse über seine Gottheit ebenso wie über die des Sohnes entscheidet. Das war in Rahners Aussagen über die Unablösbarkeit der Inkarnation von der immanenten Trinität, näm­ lich von der Person des Sohnes, noch nicht der Fall. Erst durch diesen Schritt aber wird Rahners These der Identität von immanenter und ökonomischer Trinität mit Leben erfüllt, weil jetzt die immanente Trinität selbst, die Gott­ heit des trinitarischen Gottes, in den Ereignissen der Geschichte auf dem Spiele steht. Die Verbindung von immanenter und ökonomischer Trinität kann unter solchen Umständen nicht auf die Geschichte Jesu bis zu seiner Auferwek­ kung von den Toten beschränkt bleiben. Vielmehr ist auch die Ausübung der Weltherrschaft Gottes durch den Erhöhten und die Rückgabe des Rei­ ches an den Vater im Endgeschehen (1.Kor 15,28) nunmehr in der Perspekti­ ve der in der Geschichte stattfindenden Auseinandersetzung über die Gott­ heit Gottes, des von Jesus verkündigten himmlischen Vaters, zu sehen. Die Konsequenzen dieser eschatologischen Perspektive der Geschichte Jesu Christi in der Trinitätslehre hat Jürgen Moltmann schon 1972 geltend ge­ macht209, und er hat sie 1980 durch Einbeziehung auch der Pneumatologie ausgebaut210. Er hat überzeugend dargelegt, daß die Verherrlichung des Soh­ nes und des Vaters durch den Geist der personale Akt ist, der das Subjektsein des Geistes gegenüber den beiden andern trinitarischen Personen am ent­ schiedensten zum Ausdruck bringt, und vor allem, daß diese doxologische Aktivität des Geistes als eine innertrinitarische Beziehung gewertet werden muß, weil sie sich nicht nach außen, sondern auf den Sohn und den Vater richtet211. Weil aber die Verherrlichung durch den Geist auch die „Vereini­ gung“ des Sohnes mit dem Vater, sowie nach Joh 17,21 auch die Vereinigung der Menschen mit Gott und in Gott bewirkt212, konnte Moltmann die Voll­ endung der Heilsgeschichte in der Eschatologie mit der Vollendung der Ein­ heit des trinitarischen Lebens Gottes in sich selber verknüpfen: „Wenn alles ‚in Gott‘ und ‚Gott alles in allem‘ ist, dann ist die ökonomische Trinität in die immanente Trinität aufgehoben.“213 Ähnlich hat Robert Jenson die im­ manente Trinität geradezu als die eschatologisch-endgültige Gestalt der ökonomischen Trinität charakterisiert und den Geist als „Prinzip und Quel­ le“ ihrer eschatologischen Vollendung aufgefaßt214. 209

J. Moltmann: Der gekreuzigte Gott, München 1972, 243–255, bes. 254. Ders.: Trinität und Reich Gottes, München 1980,137–143, bes. 140 ff. 211 A. a. O. 141 und 143. 212 A. a. O. 141. 213 A. a. O. 178. 214 R. W. Jenson: The Triune Identity, Philadelphia 1982, 141 f. Allerdings hat Jenson trotz Betonung der Gegenseitigkeit der innertrinitarischen Beziehungen (142) den trinitarischen Geistbegriff noch mit dem der augustinisch-hegelschen Bewußtseinstrinität verbunden und da­ durch die Einheit des trinitarischen Gottes noch als Subjektivität gedacht (144 f.). 210

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Die schwierigsten Probleme dieser These von der Identität der immanen­ ten und der ökonomischen Trinität aber erheben sich erst, wenn ihre Durch­ führung so weit vorangetrieben ist. Walter Kasper hat mit Recht auf das Mißverständnis hingewiesen, „als solle durch diese Gleichsetzung die imma­ nente Trinität in die ökonomische aufgelöst werden“215. Dadurch würde „die heilsgeschichtliche Trinität allen Sinns und aller Bedeutung beraubt. Denn Sinn und Bedeutung hat sie nur, wenn Gott in der Heilsgeschichte als der da ist, der er von Ewigkeit ist…“. In der heilsgeschichtlichen Trinität ist daher die immanente Trinität zu finden216: Gott ist in seinem ewigen Wesen der, als der er sich geschichtlich offenbart. Damit ist die Vorstellung eines Werdens Gottes in der Geschichte, so als ob der trinitarische Gott erst als Resultat der Geschichte, in ihrer eschatolo­ gischen Vollendung, seine Wirklichkeit erlangen würde, abgewiesen: Es mag sich für die geschichtliche Erfahrung der Menschen so darstellen, daß erst mit der eschatologischen Vollendung der Geschichte die Gottheit des von Jesus verkündeten Gottes endgültig erwiesen sein wird. Es mag darüber hinaus die Gottheit Gottes auch der Sache nach ohne die Vollendung seines Reiches undenkbar sein, also von ihrem eschatologischen Eintreten abhän­ gen: Die eschatologische Vollendung wird damit nur zum Ort der Entschei­ dung darüber, daß der trinitarische Gott immer schon, von Ewigkeit zu Ewigkeit, der wahre Gott ist. Die Abhängigkeit seines Daseins von der eschatologischen Vollendung seines Reiches ändert daran nichts. Es wird nur notwendig, der konstitutiven Bedeutung der eschatologischen Vollen­ dung für die Ewigkeit Gottes selbst im Verständnis dieser Ewigkeit Rech­ nung zu tragen. Ebenso wie das Ostergeschehen nicht nur die Erkenntnis begründet, daß Jesus von Nazareth schon in seiner irdischen Geschichte der ewige Sohn Gottes war, sondern durch seine Bestätigungsfunktion rückwir­ kend entscheidet, daß er es war, genauso wird auch die Gottheit des von Je­ sus verkündigten Gottes erst durch die eschatologische Vollendung seines Reiches endgültig und unwidersprechlich offenbar, der Streit zwischen Atheismus und Glaube damit endgültig entschieden sein, zugleich aber auch rückwirkend für alle Ewigkeit; denn das Reden von Gott impliziert seinem Begriff nach den Gedanken der Ewigkeit. Auch die Realität der Auferste­ hung Jesu wird erst im Zusammenhang der eschatologischen Auferstehung 215

W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 335. Ebd. 336. Unverständlich ist allerdings, daß Kasper anschließend erklärt, man könne „die immanente Trinität nicht durch eine Art Extrapolation aus der ökonomischen ableiten“ (ebd.). Man mag darüber streiten, ob der Begründungszusammenhang, der immerhin auch in der dogmengeschichtlichen Entwicklung von der ökonomischen zur immanenten Trinität ge­ führt hat, durch den Terminus „Ableitung“ richtig gekennzeichnet ist: Daß ein solcher Begründungszusammenhang besteht, läßt sich jedoch nur schwer bestreiten, und das sollte von der Theologie sogar betont werden, weil darin die einzig mögliche Rechtfertigung für die For­ meln des trinitarischen Dogmas liegt. 216

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der Toten endgültig und unwidersprechlich entschieden sein, samt allen Konsequenzen daraus für die Person Jesu Christi, die die Kirche schon jetzt zieht aufgrund ihrer Überzeugung von der Wahrheit der Osterbotschaft. Der eschatologischen Zukunft der Vollendung der Geschichte im Reiche Gottes kommt also auch dann eine ausgezeichnete Funktion für die Begrün­ dung des Glaubens an den trinitarischen Gott zu, wenn auf der Basis dieses Geschehens das Dasein Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit, also auch vor Grundlegung der Welt, entschieden sein wird. Was das bedeutet für das Ver­ hältnis von Ewigkeit und Zeit, für das Verhältnis Gottes zur Schöpfung und für das Verständnis des Schöpfungsaktes selbst, damit auch für die Frage der Temporalität aller endlichen Wirklichkeit, wird in den beiden nächsten Ka­ piteln zu klären sein. Jedenfalls aber ist die Antizipation der eschatologi­ schen Vollendung der Welt durch Jesu Verkündigung des Anbruchs der kommenden Gottesherrschaft in der Gegenwart seines geschichtlichen Wir­ kens und die ihm korrespondierende Antizipation der endzeitlichen Toten­ auferweckung in der Auferweckung des Gekreuzigten von den Toten die Basis aller christlichen Behauptungen über Gott, über den Vater ebenso wie über den Sohn und den Heiligen Geist. Schon der Offenbarungsgedanke, der durch das trinitarische Gottesverständnis entfaltet wird, beruht ja auf der Antizipation des Endes der Geschichte in der Person und Geschichte Je­ su Christi. Die ewige Gottheit des trinitarischen Gottes geht in der Ge­ schichte ihrer endgültigen Bewahrheitung noch entgegen, ebenso wie die Wahrheit seiner Offenbarung. Der heilsgeschichtlichen Struktur des für das neutestamentliche Offenbarungsverständnis entscheidenden Begriffs des Mysterion, des göttlichen Heilsplans, entspricht die geschichtstheologische, „ökonomische“ Basis der Trinitätslehre. Die Behauptung der Offenba­ rungstrinität impliziert dabei in jedem Falle, darin hat Walter Kasper recht, die der Wesenstrinität, der trinitarischen Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dieser Sachverhalt läßt den Gang der geschichtlichen Entwicklung der Trinitätslehre in der Patristik von der Er­ kenntnis der Offenbarung des Vaters im Sohne durch das Zeugnis des Gei­ stes hin zur Lehre von der ewigen Homousie von Vater, Sohn und Geist in der Einheit des ewigen Wesens Gottes prinzipiell als sachgerecht erscheinen. Verständlich ist auch, daß im vorläufigen Ergebnis dieser Interpreta­ tionsgeschichte, also mit dem Dogma von Nicaea 325 und Konstantinopel 381, der Gedanke der ewigen Wesenstrinität sich von seinem geschichtlichen Boden ablöste und dazu tendierte, seinerseits nicht nur als Basis aller ge­ schichtlichen Begebenheiten, sondern auch als wegen der Ewigkeit und Ün­ veränderlichkeit Gottes unberührt vom Gang der Geschichte und dem­ entsprechend als unerreichbar für alle kreatürliche Erkenntnis betrachtet zu werden. Waren Sohn und Geist einmal als gleichen Wesens mit dem ewigen und unveränderlichen Vater erkannt, so mußte unter den Bedingungen hel­ lenistischer philosophischer Theologie die so gedachte Trinität in uner­

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reichbare Distanz zu aller geschöpflich-endlichen Wirklichkeit rücken. „Die immanente Trinität verselbständigte sich gegenüber der ökonomischen und wurde heilsökonomisch mehr und mehr funktionslos.“217 Die Anfänge dieser Entwicklung sind schon bei Athanasios zu beobachten. Ge­ genüber der arianischen Argumentation, die darauf zielte, den Sohn als zeitlich entstanden von der unveränderlichen Gottheit des Vaters zu distanzieren, mußte Athanasios bemüht sein, alles Werden und alle Veränderung von der Vorstellung des Sohnes und der Trinität überhaupt fernzuhalten (c. Arian I,35 f.). Auch die Menschwerdung brachte für den unsterblichen Sohn nach Athanasios keine Ver­ änderung mit sich (I,48, vgl. I,62 und III,39). Daß man in irgendeinem Sinne Gott selbst als „geworden“ betrachten könnte, erschien ihm als extreme Verirrung (I,63). Man darf biblische Aussagen über Jesus, die von ihm behaupten, er sei dies oder jenes „geworden“ oder zu etwas „gemacht worden“, nicht auf den Logos als solchen beziehen, sondern nur auf die menschliche Natur Jesu (II,8). Dadurch wurde der ewige Sohn allem Menschlichen, das die Evangelien von Jesus berich­ ten, entrückt. Nicht einmal auf seiten des „theologischen Wissens von Gott“ wollte Athanasios eine Veränderung, ein „allmähliches Entstehen der Dreiheit“ zugeben: „Was ist das aber für eine Religion, die nicht einmal sich selbst gleich bleibt, sondern erst im Laufe der Zeiten zur Vollendung kommt und bald so, bald anders sich verhält? Denn wahrscheinlich wird sie auch ferner einen Zuwachs er­ halten, und zwar ohne Aufhören…“ (I,17).

Heute ist erkennbar, daß mit der Entgegensetzung der ewigen Trinität zu al­ ler geschichtlichen Veränderung eine Vereinseitigung der Trinitätstheologie, eine Ablösung von ihrer biblischen Basis verbunden war. Die Forderung nach Revision dieses Zustandes ist unabweisbar. Aber die damit verbundene Problemlast ist erheblich größer, als es der Theologie bisher bewußt gewor­ den ist. Immanente und ökonomische Trinität als Einheit zu denken setzt die Entwicklung eines Gottesgedankens voraus, welcher nicht nur das Jen­ seits des göttlichen Wesens und seine Gegenwart in der Welt, sondern auch die ewige Selbstidentität Gottes und die Strittigkeit seiner Wahrheit im Pro­ zeß der Geschichte, sowie die Entscheidung über seine Wahrheit durch die Vollendung der Geschichte in der Einheit eines einzigen Gedankens zu um­ greifen vermag. Zugleich muß die Einheit der drei Personen in dem einen Gott auf neue Weise zum Ausdruck gebracht werden. Die Frage der Einheit von Vater, Sohn und Geist in der Einheit des göttlichen Wesens und die Fra­ ge der Einheit der so gedachten immanenten Trinität mit der ökonomi­ schen Trinität hängen miteinander eng zusammen: Die Einheit Gottes in 217 W. Kasper a. a. O. 318. Vgl. auch die Ausführungen von D. Wendebourg: Geist oder Energie. Zur Frage der innergöttlichen Verankerung des christlichen Lebens in der byzanti­ nischen Theologie, München 1980, bes. 182 ff. zu Athanasius sowie 44 ff. zur Endgestalt der von den Vätern des 4. Jahrhunderts ausgehenden Tendenz bei G. Palamas.

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der Dreiheit der Personen muß zugleich den Grund des Unterschiedes und der Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität in sich enthalten. Die damit angedeuteten Aufgaben für das theologische Denken sind noch nicht gelöst mit den bisherigen Ausführungen dieses Kapitels zu den gegen­ seitigen Beziehungen von Vater, Sohn und Geist. Sie sind aber auch in der all­ gemeinen theologischen Diskussion bisher ungelöst. Weder ist mit der These einer „Wechselwirkung zwischen dem Wesen und der Offenbarung“ Gottes schon der Einheitsgrund von immanenter und ökonomischer Trinität ge­ dacht, noch erreicht die „Einigkeit “ der drei Personen in ihrer wechselsei­ tigen Perichorese den Gedanken ihrer Einheit218. Die Perichorese setzt die Begründung der Einheit der drei Personen schon anderweitig voraus. Sie kann sie nur manifestieren. Wird sie für sich betrachtet, so bleibt die Dreiheit der Personen immer ihr Ausgangspunkt. Das Zusammenwirken der drei Per­ sonen nach innen wie nach außen kann die Annahme ihrer Einheit nicht be­ gründen, obwohl umgekehrt ihre anderweitig begründete Wesenseinheit darin ihren Ausdruck finden kann. Daher ist in der traditionellen Trinitäts­ lehre die Einheit der Personen nicht aus ihrer Perichorese, sondern durch ihre Herkunft von der Person des Vaters als Quelle der Gottheit219 oder aus einer Selbstentfaltung des göttlichen Selbstbewußtseins begründet worden. Diese traditionellen Wege zur Begründung der Dreiheit der Personen aus der Ein­ heit des Vaters oder des göttlichen Wesens sind heute nicht mehr gangbar, weil sie entweder in den Subordinatianismus oder in den Sabellianismus füh­ ren. Es ist schon richtig, daß die Einheit von Vater, Sohn und Geist sich in ih­ ren durch wechselseitige Selbstunterscheidung bestimmten heilsgeschicht­ lichen Beziehungen bekundet, insbesondere in ihrem Zusammenwirken zur Manifestation der Monarchie des Vaters in der Schöpfung (s. o. 352 ff.). Aber dieses Zusammenwirken der drei Personen und ihre gegenseitige Perichorese müssen dann auch als Ausdruck der Einheit des göttlichen Wesens gedacht werden. Dazu muß der Gedanke des göttlichen Wesens als solcher themati­ siert werden. Seine Erörterung muß erweisen, ob der eine Gott in solcher Weise sowohl transzendent als auch im Prozeß der Heilsgeschichte gegen­ wärtig gedacht werden kann, daß die Ereignisse der Geschichte wirklich etwas austragen für die Identität seines ewigen Wesens. Ebenso muß sich erweisen, ob im Gegensatz zu dem ontologischen Wesensbegriff, dessen selbstverständliche Geltung Augustin (o. Anm. 196) glaubte voraussetzen zu 218 Die entsprechenden Ausführungen bei J. Moltmann: Trinität und Reich Gottes, 1980, 177 und 191 sind Ausdruck der Schwierigkeiten, mit denen die Trinitätslehre überhaupt durch die Wiederentdeckung des konkret personalen Charakters der trinitarischen Beziehungen im Zusammenhang der göttlichen Heilsökonomie konfrontiert ist. 219 S. o. bei Anm. 69 f. Auch J. Moltmann hat in seinen Ausführungen zur „Konstitution“ der Trinität (a. a. O. 182 f.) auf diesen Gedanken zurückgegriffen im Widerspruch zu seiner Forderung nach Begründung der Einheit der drei Personen aus ihrer wechselseitigen Gemein­ schaft (167 f.). Zur Kritik daran siehe den oben Anm. 201 zit. Aufsatz von R. Olson.

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müssen, der Begriff des göttlichen Wesens als Inbegriff der personalen Bezie­ hungen zwischen Vater, Sohn und Geist gedacht werden kann. Damit wird nicht der Versuch einer Herleitung der trinitarischen Dreiheit aus der Einheit des göttlichen Wesens verbunden sein können. Es handelt sich nur um die Aufgabe, die in den wechselseitigen Beziehungen von Vater, Sohn und Geist offenbare Einheit des göttlichen Lebens und Wesens als sol­ che zu denken. Das erfordert einen Begriff des Wesens, dem die Kategorie der Relation nicht äußerlich ist. Aber es erfordert keineswegs eine Herlei­ tung der im Offenbarungsgeschehen hervorgetretenen Dreiheit von Vater, Sohn und Geist aus dem Begriff des einen Wesens der Gottheit. Als Gestal­ ten des ewigen Gottes sind Vater, Sohn und Geist nicht ableitbar von irgendetwas anderem. Sie haben keine Genese aus etwas von ihnen Verschie­ denem. Auch die Einheit ihres Wesens ist nur in ihren konkreten Lebensbe­ ziehungen zu finden. Die Thematisierung dieser Einheit ist die Aufgabe einer Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften im Zusammenhang christlicher Theologie. Erst mit ihr findet die Lehre vom trinitarischen Gott ihren vorläufigen Abschluß. Vorläufig bleibt dieser Abschluß, weil im Zeichen der Einheit von immanen­ ter und ökonomischer Trinität die ganze restliche Dogmatik in Schöpfungs­ lehre, Christologie und Versöhnungslehre, Ekklesiologie und Eschatologie zur Ausführung der Trinitätslehre gehört. Immer wieder werden daher in diesen noch ausstehenden Teilen der systematischen Theologie die Bezie­ hungen zur Trinitätslehre ausdrücklicher Erörterung bedürfen. Umgekehrt ist die trinitarische Gotteslehre eine vorgreifende Zusammenfassung des ganzen Inhalts christlicher Dogmatik. Aber in einem vorläufigen Sinne kommt die Darlegung des in der Selbstoffenbarung des biblischen Gottes durch die Geschichte Jesu Christi enthaltenen Gottesverständnisses mit der Erörterung der Einheit Gottes in der Dreiheit von Vater, Sohn und Geist doch zum Abschluß. Denn über die Einheit hinaus kann nichts von Gott gesagt werden. Es fragt sich nur, welche konkrete Qualität die göttliche Einheit hat. Auch die Trinitätslehre geht nicht über den Gedanken der Einheit Gottes hinaus, um ihm etwas anderes „beizugesellen“: Das wäre Idolatrie. Dem trinitarischen Glauben der Christenheit geht es nur um das konkrete, in sich differenzierte Leben der göttlichen Einheit. So ist die Trinitätslehre in der Tat „konkreter Monotheismus“220, im Unterschied zu 220 So W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 358 mit Berufung auf J. E. Kuhn und F. A. Staudenmaier. K. Barth hat KD I/1, 370 f. mit Recht behauptet, „daß die Kirche mit ihrer Trinitätslehre den Antitrinitariern gegenüber gerade die Erkenntnis der Einheit Gottes und also den Monotheismus verteidigt hat…“ (370). Gegen Barths Interpretation dieses „christlichen Monotheismus“ (371) durch die Vorstellung von Gott als einem einzigen sich offenbarenden Subjekt hat J. Moltmann (Trinität und Reich Gottes, München 1980, 154 ff., vgl. schon 28 ff.) in Übereinstimmung mit meinen Ausführungen über „Die Subjektivität Gottes und die Trinitäts­ lehre“ (Kerygma u. Dogma 23, 1977, 25–40; jetzt in: Grundfragen syst. Theologie II, 1980,

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Vorstellungen einer abstrakten Jenseitigkeit des einen Gottes und einer ab­ strakten, jede Vielheit von ihm ausschließenden Vorstellung der göttlichen Einheit, durch die der eine Gott faktisch zum bloßen Korrelat der Welt des Diesseits und der Vielheit des Endlichen wird. Erst auf der Basis eines in sich differenzierten Begriffs von der Einheit des göttlichen Wesens läßt sich auch die Vorstellung von den trinitarischen „Personen“ abschließend bestimmen. Bisher konnte dieser Begriff nur vor­ läufig eingeführt werden (o. bei Anm. 186), weil der Begriff des göttlichen Wesens und der Sinn seiner Einheit noch ungeklärt waren. So ließ sich noch nicht zeigen, weshalb die trinitarischen Personen, obwohl selbständige Akt­ zentren und keine bloßen „Seinsweisen“ eines einzigen göttlichen Subjekts, dennoch nicht als verschiedene Exemplare einer gemeinsamen Gattung oder Art aufgefaßt werden müssen, wie es Basilius von Caesarea bei seiner Erläu­ terung des trinitarischen Personbegriffs vorausgesetzt hat (s. o. bei Anm. 50). Weil die Behandlung dieser Frage die Klärung des Gedankens der einen göttlichen Wesenheit voraussetzt, wird das nächste Kapitel noch einmal auf den Personbegriff und auf das Verhältnis von Wesen und Person zurück­ kommen müssen. Für das Verständnis der konkreten personalen Beziehun­ gen innerhalb der Einheit des göttlichen Lebens aber läßt sich erst vom Gang der Darstellung der göttlichen Heilsökonomie der für theologische Refle­ xion überhaupt erreichbare Grad der Klärung erwarten.

96–111, bes. 109 ff.) berechtigte Einwände geltend gemacht. Das rechtfertigt jedoch keineswegs, den Begriff des Monotheismus überhaupt fallen zu lassen und ihn sogar zum Gegenstand theo­ logischer Polemik zu machen, wie es bei Moltmann a. a. O. (144 ff., 156, vgl. schon ders.: Der ge­ kreuzigte Gott, 1972, 236 ff.) geschehen ist. Man wird darin eine terminologische Fehlentschei­ dung Moltmanns erkennen müssen. Auch Moltmann will doch nicht die Einheit Gottes als sol­ che ablehnen (vgl. nur Trinität und Reich Gottes 166 ff., 193 f.). Dem Vorwurf eines Tritheismus an die Adresse Moltmanns kann ich mich daher nicht anschließen (vgl. schon meine Grundfra­ gen systematischer Theologie II, 110, Anm. 34), obwohl auch W. Kasper eine „tritheistische Ge­ fahr“ in seinen Äußerungen wahrnimmt (a. a. O. 360 Anm. 183). Was Moltmann tatsächlich ab­ lehnt, ist ein abstrakter, nicht trinitarischer Monotheismus, wie er im 19. Jahrhundert unter dem Namen eines „Theismus“ vertreten wurde. Die Einheit Gottes als solche wird damit nicht ange­ tastet. Eine andere Frage ist es, ob es Moltmann in seinen Ausführungen über die trinitarische Perichorese einerseits und über die „Konstitution“ der Trinität aus dem Vater als Quelle der Gottheit andererseits gelungen ist, die Einheit des trinitarischen Gottes begrifflich einwandfrei zu formulieren.

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6. Kapitel

Die Einheit des göttlichen Wesens und seine Eigenschaften 1. Gottes Erhabenheit und die Aufgabe vernünftiger Rechenschaft über das Reden von Gott Jeder verständige Versuch, von Gott zu reden-jedes solche Reden also, das sich kritisch seiner Bedingungen und Grenzen bewußt ist – muß mit dem Bekenntnis der unbegreiflichen, weil alle unsere Begriffe übersteigenden Er­ habenheit Gottes beginnen und enden. Man muß damit beginnen, weil das erhabene Geheimnis, das wir Gott nennen, dem Redenden ebenso wie allen Geschöpfen immer schon nah ist und allem Begreifen zuvor unser Dasein umgibt und trägt, daher auch immer schon die oberste Bedingung aller Be­ sinnung darauf und jedes begreifenden Nachvollzugs ist. Enden aber muß alle Gotteserkenntnis mit dem Bekenntnis zu seiner unbegreiflichen Erha­ benheit, weil jede Aussage über Gott, sofern sich in ihr ein Bewußtsein da­ von ausdrückt, wovon sie redet, über sich selbst hinausweist. Zwischen je­ nem Anfang und diesem Ende bewegt sich der Versuch vernünftiger Re­ chenschaft über unser Reden von Gott. Obwohl Gottes Erhabenheit alles menschliche Begreifen übersteigt, folgt daraus doch keineswegs, daß von Gott besser zu schweigen als zu reden wä­ re und daß sich beim Reden von Gott nichts Bestimmtes denken ließe1. Im Gegenteil, es ist in der Geschichte der Menschheit so viel von Gott und Göt­ tern, aber eben auch von dem Einen Gott die Rede gewesen, daß sich durch­ aus ermessen läßt, welcher Verlust und welche Verarmung mit dem Ver­ schwinden des Wortes „Gott“ aus unserer alltäglichen Sprache verbunden wären2. Und zu denken gibt es dabei eher zu viel als zu wenig. Gerade die 1 Der abstrakten These, man könne von Gott nichts wissen, hat Hegel mit Recht entgegengehalten, daß sie den Gedanken Gottes jeder inhaltlichen Bestimmtheit beraube (Be­ griff der Religion, hrsg. G. Lasson PhB 59,40 f.) und zudem Ausdruck einer Position sei, die faktisch das endliche Ich absolut setzt (137 ff.). „Will dieser Standpunkt daher als die Demut auftreten, indem das Ich auf alles Erkennen eines an und für sich Seienden verzichtet, nichts von Gott erkennen will, weil Gott mit seinen Bestimmungen außer ihm ist, so ist diese Demut… vielmehr Hochmut“ (137). „Das Ich heuchelt sich demütig, während es vor Stolz der Eitelkeit und der Nichtigkeit sich nicht zu lassen weiß“ (138). 2 S. o. Kap.2,1 (73 ff.).

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Vielheit und Vielschichtigkeit dessen, was hier zu bedenken ist, führt mit wachsender Einsicht in die Dimensionen dieses Themas zu einer sich fort­ schreitend vertiefenden Erkenntnis der unbegreiflichen Erhabenheit des göttlichen Wesens3. Das Bewußtsein von dieser Sachlage muß keinen Verzicht auf die Anstrengung des Begriffs zur Folge haben. Die Erkenntnis der unbegreifli­ chen Erhabenheit Gottes erschließt sich vielmehr gerade in Verbindung mit der Disziplin begrifflichen Denkens. Wohl die größten Anstrengungen des Begriffs sind in der Geschichte des Denkens auf die Gotteserkenntnis verwendet worden. Ihre Ergebnisse haben sich zwar immer wieder als unzu­ länglich erwiesen, weil der Begriff das Unendliche zwar denken, aber nicht auf unendliche Weise fassen kann. Dennoch waren diese Anstrengungen nicht vergeblich; denn sie bilden Stufen auf einem Wege, dessen Ende nicht abzusehen, dessen Ziel aber schon nahe ist, während der Weg begangen wird. Dem nach Gott Fragenden, ihn Suchenden hat nach der biblischen Überlieferung Gott selbst seine Nähe verheißen: „So ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen“ (Jer 29,13 f.). Und die Bergpredigt Jesu bekräftigt: „Suchet, so werdet ihr finden“ (Mt 7,8). Diese Aufforderung und diese Verheißung gelten sicherlich nicht nur und zuerst der Suche nach begrifflicher Gotteserkenntnis, aber sie um­ fassen doch auch solches Suchen. Die großen Verirrungen auf dem Felde der Gotteserkenntnis kommen nicht dadurch zustande, daß Menschen sich be­ wußt werden, daß ihre Einsicht hinter der Größe dieses Gegenstandes zu­ rückbleibt, sie also im Fragen nach Gott die Schranken ihrer Einsicht über­ schreiten, sondern dort, wo sie ihre beschränkten Vorstellungen verwech­ seln mit der Sache selbst. Nun ist allerdings das Finden Gottes denen verheißen, die ihn da suchen, wo er zu finden ist (Dtn 4,29). Das ist ein Suchen in Erinnerung an den Bund Gottes (ebd. 30 f.). Das Suchen und die Frage nach Gott setzen wie alles Su­ chen schon eine Kenntnis dessen, wonach man sucht, voraus. So setzte auch die philosophische Frage nach der wahren Gestalt der göttlichen Wirk­ lichkeit bereits in ihren griechischen Anfängen eine vorgängige Kenntnis von Gott voraus, nämlich die Kenntnis des Mythos, obwohl sie sich als Fra­ ge nach der wahren Gestalt des Göttlichen kritisch auf die Aussagen des My­ thos in ihrer widerspruchsvollen Vielgestaltigkeit zurückwendete. In ande­ rer Weise ist späterhin auch der Gott der Bibel in die Voraussetzungen der philosophischen Gottesfrage eingegangen. In anderer Weise deshalb, weil 3 Erhaben ist nach Kant „das, was über alle Vergleichung groß ist“ (Kritik der Urteilskraft A 80), „eine Größe, die bloß sich selber gleich ist“ (A 83). Durch seinen Zusammenhang mit der Idee des Unendlichen übertrifft das Erhabene „allen Maßstab der Sinne“ (A 91), darum auch al­ les in der Natur Gegebene (A 108, vgl. 103). Zu den theologischen Implikationen vgl. H. G. Redmann: Gott und Welt. Die Schöpfungstheologie der vorkritischen Periode Kants, 1962, 55 ff.

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der Gott der Juden und der Christen selber eine Gestalt, und zwar die kon­ krete Gestalt, jener Einheit des Göttlichen ist, die die alte philosophische Theologie den Göttern des Mythos entgegensetzte. Darum kann philo­ sophische Kritik gegenüber dem Gott der Bibel nicht dieselbe Form haben wie gegenüber den Gottesgestalten des antiken Mythos. Sie kann, wenn sie dieser Sachlage gewahr ist, dem Gott der Juden und der Christen nicht eine andere, ihm gegenüber selbständige Gestalt der Gottheit entgegensetzen in der Weise, wie das die „natürliche Theologie“ der Philosophen in der Aus­ einandersetzung mit der polytheistischen Mythologie getan hat. Es bleibt freilich die Aufgabe der Kritik am Anthropomorphismus der religiösen Gottesvorstellungen und die Aufgabe einer Formulierung der logischen Be­ dingungen für den Gedanken des einen Gottes als Ursprung der Welt im ganzen. Aber diese kritische Reflexion ist weitgehend auch von der christli­ chen Theologie übernommen worden, so daß an dieser Stelle kein prinzipiel­ ler Gegensatz der philosophischen zur christlichen Theologie zu bestehen braucht. Ein solcher Gegensatz bestand seit dem lateinischen Mittelalter am ehesten in bezug auf die spezifische Traditionsbindung des theologischen Denkens. Aber auch dieser Gegensatz, der sicherlich die unterschiedlichen Ausgangspunkte und das verschiedenartige Verfahren theologischer und philosophischer Gotteslehre kennzeichnet, ist doch nur dann prinzipiell, wenn die Berufung der Theologie auf die Autorität von Schrift und Kirchen­ lehre sich als Vorentscheidung über die Wahrheit der betreffenden Lehrin­ halte mißversteht und wenn andererseits die Philosophie meint, den Begrün­ dungsgang philosophischer Gotteslehre ohne Rücksicht auf religiöse Erfah­ rung und Überlieferung vollenden zu können. Es gibt zweifellos eine Weis­ heit der Welt, die an der Torheit des Kreuzes achtlos vorübergeht. Aber es ist nicht gesagt, daß philosophische Theologie auf eine solche Einstellung festgelegt ist. „Niemand hat jemals Gott gesehen; aber der einzige Sohn, der ihm am nächsten verbunden ist, der hat sein Wesen erschlossen“ (Joh 1,18). Der Gott, der in einem unzugänglichen Licht wohnt (1.Tim 6,16), wird durch den Sohn erkannt (vgl. Mt 11,27). Darum muß sich an den Sohn halten, wer den unbegreiflichen Gott erkennen will. Das ist der Sinn von Luthers Unter­ scheidung zwischen deus revelatus und deus absconditus4. Der vielschichtige Begriff des deus absconditus (vgl. Jes 45,15) umfaßt neben der Verborgenheit Gottes für den Sünder, in seinem Heilshandeln ebenso wie in seinem Ge­ richtshandeln, und der Unergründlichkeit seiner Ratschlüsse auch die Unbe­ greiflichkeit seines Wesens5. Von seiner Offenbarung im Sohne her erschließt sich jedoch das Wesen dieses sonst unbegreiflichen Gottes. Es erschließt sich 4 Das hat E. Jüngel mit Recht betont (Quae supra nos, nihil ad nos (1972), in: Entsprechun­ gen. Theologische Erörterungen, München 1980, 202–251, bes. 229 ff.). 5 Dazu siehe H. Bandt: Luthers Lehre vom verborgenen Gott, Berlin 1958, 99 ff.

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so, daß der verborgene Gott selbst offenbar wird: Sic faciam: Ex Deo non re­ velato fiam revelatus, et tamen idem Deus manebo6. Dieser Prozeß wird al­ lerdings erst im Eschaton vollendet sein. Aber es ist deutlich, daß Luther kei­ nem Dualismus von offenbarem und verborgenem Gott das Wort reden wollte. Es besteht nur solange eine Spannung zwischen diesen beiden Aspek­ ten der einen göttlichen Wirklichkeit wie Prozeß und Ausgang der Ge­ schichte noch offen sind. Der in seiner Regierung des Weltgeschehens und im individuellen Geschick der Menschen verborgene Gott wird erst am Ende der Geschichte in seiner Identität mit dem in Jesus Christus offenbaren Gott endgültig und für jedermann kenntlich sein. Gerade darum muß die Theolo­ gie an beiden Aspekten der göttlichen Wirklichkeit festhalten, auch wenn ih­ re Einheit nicht ohne weiteres sichtbar ist, und diese Spannung bekundet sich unter anderm auch in der Spannung zwischen theologischem und philo­ sophischem Reden von Gott. Verborgen ist in den Widersprüchen der geschichtlichen Erfahrung gerade auch die Einheit Gottes, die Einheit des im Weltgeschehen wirkenden Gottes mit der Offenbarung seiner Liebe in Jesus Christus. Es ist die Einheit des tri­ nitarischen Gottes, die hier auf dem Spiel steht. Eberhard Jüngel hat darauf hingewiesen, daß für Luther die Trinität keineswegs zur Verborgenheit Got­ tes gehöre, weil vielmehr Gott in Jesus Christus als der trinitarische Gott of­ fenbar ist7. Aber die Unterscheidung zwischen verborgenem und offenbarem Gott findet in den trinitarischen Beziehungen selber statt. Luther sah die Einheit des verborgenen mit dem offenbaren Gott in Joh 14,9 bezeugt: Qui enim me videt, inquit Christus, videt et patrem ipsum (WA 43, 459, 30 f.). Da­ mit ist implizit auch ein Zusammenhang der Beziehung zwischen Vater und Sohn mit der Unterscheidung zwischen verborgenem und offenbarem Gott vorausgesetzt. Nicht so, als ob der Vater identisch wäre mit dem verborgenen Gott, so wie der inkarnierte Sohn der offenbare Gott ist. Aber im Offen­ barungsgeschehen wird der verborgene Gott als der Vater Jesu Christi offen­ bar, und die Einheit des verborgenen mit dem offenbaren Gott wird manifest in der Einheit des Vaters mit dem Sohne. Wenn nach Luther die Einheit des verborgenen mit dem offenbaren Gott erst im Lichte der eschatolo­ gischen Herrlichkeit endgültig offenbar sein wird, dann heißt das, daß im Prozeß der Geschichte die Einheit des trinitarischen Gottes selbst noch verborgen ist. Verborgen sind nicht die trinitarischen Unterschiede von 6 WA 43, 459, 24 f., vgl. TR V, 5658 a. Schon am Schluß von De servo arbitrio 1525 hat Lu­ ther auf die Auflösung des Gegensatzes von deus absconditus und deus revelatus durch das lu­ men gloriae verwiesen: WA 18, 785, 20 ff. H. Bandt hat von einer zunehmend stärker hervor­ tretenden Transformation des Gegensatzes in eine geschichtliche Abfolge gesprochen. Diesseits der eschatologischen Vollendung allerdings ist die Einheit von deus revelatus und deus absconditus nur dem Glauben zugänglich, der sich über alle gegenwärtige Erfahrung hinaus der Zukunft Gottes zuwendet. 7 A. a. O. 227, 237 f., 246 f.

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Vater, Sohn und Geist. Diese Unterschiedenheit kennzeichnet gerade die im Offenbarungsgeschehen sich erschließende göttliche Wirklichkeit. Verbor­ gen ist aber die Einheit des göttlichen Wesens in dieser seiner Unterschieden­ heit. In der theologischen Tradition ist der Sachverhalt weithin umgekehrt be­ urteilt worden: Nicht nur das Dasein, sondern auch das Wesen des einen Gottes galten als vernünftiger Erkenntnis von den Werken der Schöpfung her zugänglich, während die trinitarischen Unterschiede nur durch spezielle Offenbarung erkannt werden. In diesem Sinne wurden die Aussagen über das „Mysterium“ der Trinität den Aussagen über den einen Gott und seine Eigenschaften nachgeordnet. Es mag hier genügen, die Darstellung der Gotteslehre bei David Hollaz (1707) als Beispiel für ihre Behandlung in der altprotestantischen Dogmatik anzuführen, weil die hier zu belegende Tendenz zwar auch schon bei Calov und Quenstedt wirksam war, aber in der Spätphase der altprotestantischen Dogmatik bei Hollaz besonders deutlichen Ausdruck gewonnen hat. Hollaz handelt von dem sanctae Trinitatis mysterio als einem suhlimi et arduo(!) articulo fidei (Examen theol. I,401), während die descriptio Dei als essentia spiritualis independens sich sowohl in der „natürlichen“ Gotteslehre der von den geschöpflichen Wirkungen auf den Schöpfer schließenden Vernunft findet (324 obs. 3), als auch im Offenbarungs­ zeugnis der Schrift, wenn auch dort angeblich longe solidius (ib. obs. 4). Inhaltlich fügt die Offenbarung jener allgemeinen Kenntnis des einen Gottes nur die Drei­ heit der Personen hinzu (addit autem mentionem trium personarum Divinitatis, sine qua non est completa Definitio veri DEI, ib.). Ähnlich hat die neuscholastische katholische Schultheologie den Sachverhalt dargestellt. So heißt es bei Matthias Jo­ seph Scheeben, die natürliche Gotteserkenntnis erstreckte sich „auf alle diejenigen Eigentümlichkeiten Gottes…, ohne welche er sich nicht als die erste und höchste Ursache aller wahrnehmbaren Dinge denken läßt. Dahin gehören aber nachweis­ lich alle tatsächlich in der übernatürlichen Offenbarung selbst vorgelegten Attri­ bute Gottes, welche ihm in und vermöge seiner allen drei Personen gemeinschaftli­ chen Wesenheit und Natur zukommen“ (Handbuch der katholischen Dogmatik II (1875) = Ges. Schriften IV, 1948, 28 n. 64). Eine Ausnahme macht Scheeben nur in­ soweit diese Eigenschaften speziell „zu den äußeren übernatürlichen Werken Got­ tes in Beziehung gesetzt werden“ (ebd.). Dagegen liege „die Dreifaltigkeit der göttlichen Personen… über den Bereich der natürlichen Erkenntnis nicht bloß re­ lativ…, sondern absolut… hinaus“ (ebd. n. 66).

Eine solche Urteilsbildung bekundet sowohl eine Unterschätzung der Pro­ bleme, mit denen jede rationale, philosophische Theologie in der Neuzeit zu ringen hat, als auch und vor allem den Ausfall aller Erwägungen über die Reichweite der natürlichen Vernunft bei der Interpretation historischer Ge­ gebenheiten wie der biblischen Texte. Die biblischen Zeugnisse werden nur als Dokumente übernatürlicher Autorität, nicht als religionsgeschichtliche Texte erörtert, deren Interpretation der „natürlichen Vernunft“ durchaus Schlüsse auf das in ihnen implizierte Gottesverständnis gestattet, wenn auch

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dessen Wahrheit dabei noch dahingestellt bleiben mag. Wenn religionsge­ schichtlich gesehen der Weg zur Ausbildung der Trinitätslehre im Christen­ tum seinen Ausgangspunkt in Botschaft und Geschichte Jesu Christi hat und seine theologische Entfaltung im Lichte des Osterglaubens durchaus mit Ar­ gumenten „natürlicher“ Vernunft stattgefunden hat, dann ist die Heraus­ bildung der Überzeugung von einer Dreiheit göttlicher Hypostasen und von ihrer Homousie das in der Entwicklung der patristischen Theologie zwar durch mancherlei Vorurteile der Beteiligten hier und da behinderte, aber in der Logik des Sachverhalts begründete Resultat seiner Auslegungsgeschich­ te. Um so schwieriger wurde es, die Dreiheit von Vater, Sohn und Geist als Ausdruck eines und desselben göttlichen Wesens zu verstehen. Es ist nicht die Dreiheit, sondern die Einheit des trinitarischen Gottes, die seit der Durchsetzung des Dogmas von Nicaea und Konstantinopel im 4. Jahrhun­ dert das zentrale Problem der christlichen Trinitätstheologie gebildet hat. Das gilt für das Verhältnis der christlichen Gotteslehre zur Alternative des nichttrinitarischen Monotheismus, wie er dem Christentum in Judentum und Islam gegenübertrat. Es gilt aber auch für die Bemühungen der christli­ chen Theologie selber, das Verhältnis der trinitarischen Dreiheit zur Einheit Gottes zu klären. Wie muß die Einheit des göttlichen Wesens gedacht wer­ den, um der Dreiheit von Vater, Sohn und Geist Raum zu geben? Das ist die Frage, und weder die Konzeption, die die Einheit Gottes im Vater als Ur­ sprung und Quelle der Gottheit begründet sieht, noch auch die Herleitungen der Trinität aus dem Begriff der Einheit Gottes als Geist oder als Liebe kön­ nen als befriedigende Antwort auf diese Frage gelten. Die altkirchliche Theologie war sich immerhin dessen bewußt, daß die Unbegreiflichkeit Gottes schon für das Wesen des lebendigen Gottes und seine Eigenschaften gilt, nicht nur für die Aussagen der Trinitätslehre. Gegen die Festlegung des Gottesgedankens auf den Begriff der Ursprungslosigkeit bei den Arianern hat Gregor von Nazianz die Unbegreiflichkeit des göttli­ chen Wesens betont (or. 28,10), und Gregor von Nyssa hat sie durch seine Lehre von der Unendlichkeit Gottes begründet8: Wenn Gott unendlich ist, so folgt daraus, daß der Mensch Gottes Wesen nicht abschließend bestimmen kann, weil es „undurchschreitbar“ (ἀδιεξίτητον) ist9. Der Begriff der Unendlichkeit begründet nicht zuletzt auch die Unbegreiflichkeit der Einheit Gottes im Zusammenhang der Trinitätslehre. Darum hat Gregor in seiner Großen Katechese vom „Geheimnis“ der Trinität sprechen können, 8 E. Mühlenberg: Die Unendlichkeit Gottes bei Gregor von Nyssa. Gregors Kritik am Got­ tesbegriff der klassischen Metaphysik, Göttingen 1965, 100–118, bes. 102 f. zu Contra Euno­ mium III,1, § 103 (Jaeger II, 38, 17 ff.). 9 Ebd. 141 f. zu Contra Eunomium I, 368 f. (Jaeger I, 135 f.) und II,69 (246, 14–16). Wie Mühlenberg ausführlich gezeigt hat (147–165), liegt in diesem Gedanken der Ausgangspunkt für die Erkenntnismystik Gregors, die den Aufstieg zur Gotteserkenntnis als einen Weg ohne Ende beschreibt, der gerade als solcher an der Unendlichkeit Gottes teilhat.

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„wie es zählbar ist und doch der Zählung sich entzieht, wie es getrennt zu be­ trachten und doch als Einheit zu erfassen ist“ (3,1). Es handelt sich dabei je­ doch nur um einen Anwendungsfall der aus der Unendlichkeit Gottes fol­ genden Unbegreiflichkeit seines Wesens überhaupt10. Dementsprechend ist auch nach Johannes von Damaskus nicht etwa nur die Trinität, sondern das Wesen des einen Gottes überhaupt unbegrenzt und unbegreiflich (fid. orth. I,5; vgl. I,1 f.). Die Dreiheit der göttlichen Personen gehört ebenso wie die Einheit Gottes und die seine Transzendenz über alles Endliche beschrei­ benden Eigenschaften zu dem, was wir von Gott erkennen, weil er uns nicht gänzlich in Unkenntnis über sich gelassen hat (I,2). Aber das Wesen Gottes erkennen wir mit alledem nicht; denn alle diese Aussagen bezeichnen „nicht das, was er ist, sondern das, was er nicht ist. Wer das Wesen einer Sache ange­ ben will, der muß sagen, was sie ist, nicht was sie nicht ist“ (ebd.). Die Auffassung des Damaszeners von der Unerkennbarkeit des göttlichen Wesens argumentierte im Unterschied zu Gregor von Nyssa weniger von der Unendlichkeit Gottes aus als – im Gefolge der apophatischen Theologie des Areopagiten – mit seiner Verschiedenheit von allem Geschaffenen. Dar­ in folgte ihm auch die lateinische Scholastik. Nach Thomas von Aquin ver­ mag unser Intellekt Gottes Wesen (divina substantia) nicht zu erfassen, weil es durch seine Unermeßlichkeit (immensitas) jeden Begriff, den wir fassen können, übersteigt (c. Gentes I,14). Daher handelte Thomas in der theologi­ schen Summe nach der Darlegung der Argumente für das Dasein Gottes von seinem Wassein (quid sit) primär unter dem Gesichtspunkt, was er nicht ist, – removendo ab eo ea quae ei non conveniunt (s. theol. I,3). Das Verfahren solcher apophatischen Theologie hat aber im Vergleich zur Argumentation des Nysseners aus dem Begriff der Unendlichkeit Gottes den Nachteil, daß ihm der Gegenstand seiner Negationen immer schon auf andere Weise, näm­ lich durch positive Aussagen gegeben sein muß. Diese Basis besteht sowohl bei Thomas als auch schon bei Johannes von Damaskus im Gedanken der Erstursächlichkeit Gottes. Aus dem Begriff Gottes als erster Ursache der Welt werden die negativen Prädikate begründet, die ihn von allen seinen Wirkungen, den Geschöpfen, unterscheiden. Aus der Erstursächlichkeit er­ gibt sich dann aber auch die Möglichkeit zu positiven Aussagen über Gott als Ursache der geschöpflichen Vollkommenheiten. So hat Johannes von Da­ maskus die apophatischen Aussagen ergänzt durch positive, kataphatische Prädikate (fid. orth. I,12), die die in den geschöpflichen Wirkungen vorzu­ findenden Vollkommenheiten auf die göttliche Ursache zurückführen. Die Frage einer Erkenntnis des göttlichen Wesens hat er dabei allerdings nicht, wie man erwarten sollte, nochmals aufgenommen, nachdem er sie für 10 Vgl. Mühlenberg 133 f. Insbesondere verbietet der Begriff des Unendlichen die Annahme einer Zusammensetzung aus drei unterschiedlichen Wesenheiten. Die Unendlichkeit Gottes impliziert die Einfachheit dieses Wesens (122–126).

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die negativen Gottesprädikate überzeugend abgelehnt hatte (s. o.). Bei den positiven Aussagen hätte der Damaszener nur mit der Argumentation Gre­ gors von Nyssa aus dem Begriff der Unendlichkeit Gottes seine Unbegreif­ lichkeit durchschlagend begründen können. Aber er ist mit der Ergänzung der negativen durch positive Gottesprädikate wiederum Ps. Dionysius Are­ opagita gefolgt, der in seinem Werk über die Gottesbezeichnungen die be­ rühmte und bis ins 19. Jahrhundert hinein als maßgeblich betrachtete Metho­ de des dreifachen Weges der Gotteserkenntnis entwickelt hatte: der via ne­ gationis (ἀφαιρέσεως), eminentiae (ὑπεροξῆς) tmd causalitatis (αἰτίας)11. Die beiden letzteren sind eng miteinander verbunden, weil der Rückschluß von den Wirkungen auf die Ursache von der Annahme ausgeht, daß die den Wirkungen mitgeteilten Vollkommenheiten der Ursache in höherem Maße eigen sein müssen, so daß sie von ihr im Modus der Steigerung auszusagen sind, während die geschöpflichen Unvollkommenheiten ihr durch Negation abgesprochen werden. Auch Thomas von Aquin hat die negativen Aussagen der apophatischen Theologie über Gottes Wesenheit ergänzt durch positive Attribute, die nach dem Dreiwegeschema des Areopagiten von der göttlichen Ursache ausgesagt werden. Dennoch blieb es für ihn bei der Unbegreiflichkeit des göttlichen Wesens für jede kreatürliche Erkenntnis12; denn die auf Gott als erste Ursa­ che der Welt zurückzuführenden kreatürlichen Vollkommenheiten sind im göttlichen Wesen wegen seiner Erstursächlichkeit und Unendlichkeit im Modus der ungeteilten Einheit verwirklicht13. Das ist der sachliche Kern der Lehre des Aquinaten, daß die positiven Gottesbezeichnungen auf das göttli­ che Wesen nur analog zutreffen, und darin liegt auch die in ihr enthaltene Wahrheit unbeschadet aller gegen seine Lehre von der analogen Prädikation zu erhebenden Einwände14. 11 De div. nom. VII,3 (MPG 3, 871 f.). Der Areopagit seinerseits hat dieses Schema aus der platonischen Schulphilosophie übernommen, wo es schon im zweiten Jahrhundert im Didaska­ likos des Albinos erscheint. 12 S. theol. I,12,7 unterscheidet Thomas zwischen Begreifen im engeren und weiteren Sinne des Wortes. Im strengen Sinne bedeute es die vollständige Erkenntnis einer Sache aus ihren Prinzipien (... illud comprehenditur quod perfecte cognoscitur; perfecte autem cognoscitur quod tantum cognoscitur quantum est cognoscibile). In diesem Sinne bleibt Gott wegen seiner Unend­ lichkeit für jeden geschaffenen Intellekt unbegreiflich. Thomas fügt jedoch hinzu, daß man in einem weiteren Sinne des Wortes von Begreifen sprechen könne im Gegensatz zum Unverständnis (ib. ad 1: Alio modo „comprehensio“ largius sumitur secundum quod compre­ hensio insecutioni opponitur). 13 Thomas v. A., S. theol. I,13,4 resp.: Quae quidem perfectiones in Deo praeexistunt unite et simpliciter; in creaturis vero recipiuntur divise et multipliciter. Im folgenden Artikel hat Thomas diesen Sachverhalt auf das Kausalverhältnis zwischen Gott und Schöpfung zurückgeführt: … quod divisim et multipliciter est in effectibus, in causa sit simpliciter et eodem modo (I,13,5 resp.). 14 Solche Einwände sind in meiner ungedruckten Heidelberger Habilitationsschrift Analogie und Offenbarung (masch. 1955) ausführlich entwickelt und in meinem Artikel zum Stichwort

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Gegen die auf die Kausalbeziehung der Geschöpfe zu Gott begründeten Analogielehren der Hochscholastik hat Duns Scotus seine These von der univoken Begriffsform der menschlichen Gotteserkenntnis entwickelt. Er hat damit keineswegs die Distanz des Geschöpfes und seiner Gotteserkennt­ nis von der Wirklichkeit des Schöpfers verleugnet, sondern die Bindung un­ seres begrifflichen Erkennens an univoke Begriffe ist im Gegenteil Aus­ druck des Abstandes menschlicher Gotteserkenntnis von dem unendlichen Gott: Gerade weil wir keinen Begriff von Gott in seiner eigentümlichen We­ senheit haben, sind wir angewiesen auf den Gebrauch von Allgemeinbe­ griffen, die – wie vor allem der Seinsbegriff – ununterschieden kreatürliches und göttliches Sein umgreifen, um sodann auf dieser Grundlage zwischen dem unendlichen Sein Gottes und allem Endlichen unterscheiden zu kön­ „Analogie“ in RGG 3. Aufl. I, 1957, 350–353, bes. 351 f., summarisch angedeutet worden. Vor allem ist den Bemühungen der Scholastik der Nachweis nicht gelungen, daß die analoge Prädi­ kation als ein eigenständiges Drittes zwischen univoker und äquivoker Aussageweise bzw. Be­ griffsform aufzufassen sei (so Thomas v. A., S. theol. I,13,5 u. ö.). Dagegen hat bereits Duns Sco­ tus den durchschlagenden Einwand geltend gemacht, daß alle analoge Prädikation ihrerseits schon eine univoke Grundlage erfordert und voraussetzt (bes. Ord. I,8,1 a 3, Opera Omnia ed. Vat. vol. IV, 1956, 191 n 83; vgl. auch 183 a, 67, sowie ferner Ord. I,3,1, vol. III, 1954, 18–29, bes. 20 n. 30). Diese Kritik an der Theorie des analogen Begriffs ist in modifizierter Gestalt von Wil­ helm Ockham und der Mehrzahl der spätmittelalterlichen Theologen übernommen worden. Sie ist bis heute unwiderlegt. Der auf der Grundlage heutiger Sprachphilosophie gern zur Verteidi­ gung der thomistischen Analogielehre geltend gemachte Gesichtspunkt, daß die Eindeutigkeit des Begriffs sekundär sei gegenüber einer ursprünglicheren, Gleichheit und Verschiedenheit umgreifenden Sprachform (so z. B. auch W. Kasper: Der Gott Jesu Christi, Mainz 1982, 125), verwechselt den analogen Begriff mit der analogen Wortbedeutung. Sicherlich ist die partielle Unbestimmtheit, daher auch Plastizität und geschichtliche Wandelbarkeit der Wortbe­ deutungen im alltäglichen Sprachgebrauch sprachphilosophisch fundamental gegenüber der be­ grifflichen Festlegung des Wortes auf einen eindeutigen Wortsinn. Für alle argumentierende Er­ kenntnisbemühung aber ist die Verbegrifflichung der Sprache unentbehrlich, und Begriffe müs­ sen univok sein. In der Geschichte der Verwendung und Ausarbeitung des Analogiebegriffs als Instrument der Erweiterung des Wissens ist darum auch die Annahme eines Kerns univoker Gemeinsamkeit bei aller Beobachtung analoger Verhältnisse entscheidend gewesen. Da es nun bei der Auseinandersetzung um analoge oder univoke Begriffsformen in der Theologie um die Möglichkeit argumentativ zu entfaltender Gotteserkenntnis geht, nützt der Hinweis auf die pri­ märe Unbestimmtheit der Wortbedeutungen im geschichtlichen Leben der Alltagssprache we­ nig. Die Frage der analogen Prädikation hat aber in der aristotelischen Hochscholastik auch nur deshalb so fundamentale Bedeutung gewonnen, weil man auf der Basis aristotelischer Erkennt­ nistheorie annahm, daß aller Sprachgebrauch von der Sinneserfahrung ausgeht und in ihr seine einzige Quelle hat, alle Rede von Gott daher auf übertragenem Gebrauch der Wörter beruhe. Hier sind Zweifel angebracht, wenn die Entstehung und Entwicklung der menschlichen Sprache bereits von Anfang an durch die religiöse Thematik mitbestimmt war (vgl. Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 345 ff., 364 f., 372 f.). Man wird dann damit zu rech­ nen haben, daß die menschliche Sprache und Welterfahrung ihre gemeinsame Urgestalt im my­ thischen Bewußtsein haben, wie es E. Cassirer in seiner Philosophie der symbolischen Formen (1923–1929) gezeigt hat (vor allem im zweiten, dem mythischen Denken gewidmeten Band, so­ wie im 2. Kapitel des 1. Teils von Bd. 3, 2. Aufl. 1954, bes. 71–107). Die Frage der analogen Übertragung unserer Wörter aus einer rein profan gedachten Welterfahrung auf das Reden von Gott verliert dadurch erheblich an fundamentaltheologischem Gewicht.

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nen15. Duns Scotus ist damit bereits der wenig später von Wilhelm Ockham entwickelten Auffassung nahegekommen, wonach wir einen für Gott spezi­ fischen Begriff nur durch Zusammensetzung abstrakt allgemeiner und unterscheidender Termini bilden können16. In der Realität sind Gott und Geschöpf nach Ockham unendlich verschieden17. Daher kommt in der Angewiesenheit unserer Gotteserkenntnis auf univoke Begriffe in Kombi­ nation mit unterscheidenden Bestimmungen der Abstand von der Wirklich­ keit des unendlichen Gottes in besonderer Schärfe zum Ausdruck. Begriff und Wirklichkeit treten damit auseinander18, obwohl es die Aufgabe begriff­ licher Erkenntnis bleibt, durch Kombination allgemeiner und unterschei­ dender Bestimmungen zu einer der eigentümlichen Realität ihres Gegen­ standes sich nähernden Beschreibung zu gelangen. Die Bildung und Zusam­ mensetzung solcher Begriffe aber ist nun nicht mehr natural aus der Eigenart der gegenständlichen Wirklichkeit zu erklären. Sie ist jedoch auch nicht ein­ fach – wie sich erst viel später zeigen sollte – aus der Natur unseres Erkenntnisvermögens zu begreifen, sondern ist weitgehend geschichtlich bedingt, und zwar neben der religiösen vor allem durch die philosophische Sprachbildung, so daß zu ihrer Aufklärung sowohl logische als auch be­ griffsgeschichtliche Untersuchungen erforderlich sind. Daß wir von Gott nur durch Verbindung allgemeiner und unterscheiden­ der Bestimmungen reden können, hat auch das Verfahren der altprotestanti­ schen Gotteslehre geprägt, indem sie ihren Aussagen über die Eigenschaften Gottes eine allgemeine „Beschreibung“ des göttlichen Wesens (descriptio Dei) voranstellte, dem sodann die verschiedenen Eigenschaften zugespro­ chen wurden. Als allgemeine Bestimmung (conceptus communis) wurde da­ bei nicht wie bei Duns Scotus und Ockham der allgemeine Seinsbegriff, son­ dern der der geistigen Wesenheit (essentia spiritualis) verwendet. Dazu trat als unterscheidende Bestimmung (conceptus proprius) der Begriff des 15 Duns Scotus: Ord. I,3,1, Opera ed. Vat. III, 1954, 38 n. 56: Tertio dico quod Deus non cog­ noscitur naturaliter a viatore in particulari et proprie, hoc est sub ratione huius essentiae ut haec et in se. Unsere univoken Begriffe umfassen nicht Gott in seiner Eigentümlichkeit, vgl. ib. 39 n. 57: Univocatio enim non est nisi in generalibus rationibus. Zur Univozität des Seinsbegriffs vgl. ebd. 18 n. 26 f. 16 Wilhelm Ockham: Scriptum in librum Primum Sententiarum (Ordinario I) prol. q.2 (Opera I St. Bonaventure N.Y. 1967, 117, 14 ff.: Sexta concl.). Der Sachverhalt ist schon bei Bruckmüller: Die Gotteslehre Wilhelms von Ockham, 1911, richtig beschrieben worden (32 ff.). 17 Ord. I d 8 q 1 (Opera III, 1977, 178,1); vgl. M.C. Menges: The Concept of Univocity Re­ garding the Predication of God and Creature According to William Ockham, New York 1952, 81 ff. 18 Dieser Schritt ist in der Auffassung des Johannes Duns Scotus von der Univozität auch der höchsten Allgemeinbegriffe, besonders des Seinsbegriffs, bereits angebahnt, aber erst in der konzeptualistischen Erkenntnislehre Wilhelm Ockhams vollzogen worden. Duns Scotus mein­ te noch, daß die Unendlichkeit dem Seinsbegriff als solchen eigen sei als modus intrinsecus und nicht erst durch Attribution hinzugefügt wird (Ord. I,3,1, Opera I, p. 40 n. 58).

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Unendlichen19, bzw. später, wie bei Hollaz, der der Unabhängigkeit. Im Vergleich zum Begriff Gottes als ens infinitum bei Duns Scotus ist diese Be­ schreibung des göttlichen Wesens ontologisch (bzw. metaphysisch) weniger radikal; denn die Beschreibung als essentia spiritualis infinita ordnet die Wirklichkeit Gottes von vornherein einer bestimmten Klasse des Seienden (den entia spiritualia) zu, statt sie zum Seinsbegriff als solchem in Beziehung zu setzen. Die sich hier aufdrängenden kritischen Erwägungen werden noch ausführlich zu erörtern sein. Aber nicht nur die in eine solche Beschreibung eingehende Begrifflichkeit bedarf genauerer Untersuchung, sondern auch die darin schon vorausgesetzten Unterscheidungen von Dasein und Wesen (sei es als essentia oder als substantia), sowie von Wesen und Eigenschaften. Auch im Hinblick auf die konzeptualistische Deutung der Begriffsbil­ dung, die diese als Ausdruck der Subjektivität des um Erkenntnis bemühten Menschen auffaßt, und im Hinblick auf die dadurch gegenüber Thomas von Aquins Erörterung der Bedingungen der theologischen Sprache und Er­ kenntnis tiefgreifend veränderte Sachlage bleibt nun aber seine Hauptthese bestehen: Die Vielheit der Gott zugeschriebenen Prädikate kann ihm wegen der aus seiner Unendlichkeit folgenden ungeteilten Einfachheit seines We­ sens nur im Modus ungeteilter Einheit zukommen. Was das bedeutet, wird im Hinblick auf das Verhältnis von Wesen und Eigenschaften Gottes noch weiter zu erörtern sein. Soviel jedoch läßt sich jetzt schon sagen: Dieser Ge­ danke bringt auf seine Weise zum Ausdruck, daß die Unbegreiflichkeit Got­ tes es mit seiner Unendlichkeit und mit der unendlichen Einheit seines We­ sens zu tun hat. Das ist eine Einsicht, die unabhängig ist von der Methode des Kausalrückschlusses, mit der sie in der Gotteslehre Thomas von Aquins wie in der ganzen Wirkungsgeschichte der auf den Areopagiten zurückge­ henden Lehre von den Gottesbezeichnungen verbunden ist. Daß das vielfäl­ tig von Gott Ausgesagte seinem Wesen nur im Modus der Einheit eignen kann, gilt unabhängig davon, wie solche Aussagevielfalt zustandekommt und wie sie sachlich begründet ist. Erstreckt sich aber ihre Tragweite auch auf die trinitarischen Aussagen in ihrem Verhältnis zur Einheit des göttli­ chen Wesens? Auch in der Trinitätslehre sind mit der Einheit Gottes in der Dreiheit der Personen die größten Verständnisschwierigkeiten verbunden. Auch hier darf die Unterschiedenheit nicht als Geschiedenheit aufgefaßt werden. Allerdings ist im Hinblick auf die Trinität auch deutlich, daß nicht einfach alle Unterschiedenheit in der Einheit des göttlichen Wesens ver­ schwindet, daß vielmehr die Einheit des lebendigen Gottes eine Einheit in Unterschiedenheit ist. Gilt das auch für das Verhältnis von Wesen und Ei­ genschaften Gottes? Die Vermutung liegt nahe, daß das Verhältnis von 19 So z. B. A. Calov: Systema locorum theologicorum t.2: De cognitione, nominibus, natura et attributis Dei, Wittenberg 1655, 176 ff. Zur Entwicklung dieses Verfahrens in der altlutheri­ schen Dogmatik siehe C. H. Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Auf­ klärung II, Gütersloh 1966, 61 ff.

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Wesen und Eigenschaften Gottes jedenfalls in einem Zusammenhang mit der Trinitätslehre steht, der noch der Aufklärung bedarf.

2. Die Unterscheidung von Wesen und Dasein Gottes Die These, daß das göttliche Wesen unbegreiflich sei, hinderte die christliche Patristik nicht, die Erkennbarkeit des Daseins Gottes zu behaupten. So ist nach Johannes von Damaskus die Kenntnis des Daseins Gottes den Men­ schen von Natur aus „eingepflanzt“, wenn sie auch durch die Sünde bis zur Gottesleugnung verdunkelt sein mag20. Gregor von Nyssa hat außer der Existenz Gottes, die er vor allem durch den Schluß aus der Ordnung der Welt auf ihren intelligenten Urheber gesichert glaubte, auch die göttliche Vollkommenheit für vernünftiger Erkenntnis zugänglich gehalten und meinte, daß von daher die Vernunft auch zum Bekenntnis der Einheit Gottes gedrängt werde21. Die Vollkommenheit des göttlichen Wesens galt auch dem Damaszener als sogar von den Ungläubigen zugestanden. Aus ihr begründete er die Behauptung der Unendlichkeit Gottes, und aus dieser wie­ derum leitete er seine Einheit ab22. So wurden unbeschadet der Unbegreif­ lichkeit des göttlichen Wesens mit der Erkenntnis des Daseins Gottes doch auch gewisse Einsichten, wenngleich negativer Art23, hinsichtlich seiner Gottheit verbunden. In der lateinischen Scholastik hat Thomas von Aquin den eindrucksvollen Versuch gemacht, alle Aussagen darüber, was Gott ist, aus dem Nachweis des bloßen Daseins einer ersten Ursache der Welt abzuleiten. Vorausgesetzt war dabei nur die Annahme eines ersten Gliedes in der Reihe der Ursachen überhaupt. Aus der Erstursächlichkeit ergaben sich für Thomas zunächst die Einfachheit, sodann die Vollkommenheit, Güte und Unendlichkeit, sowie Ewigkeit und Einheit Gottes24. Dieser Weg von der Erkenntnis des Daseins einer ersten Ursache zur Be­ stimmung ihrer unterscheidenden Eigenschaften stellte sich der Folgezeit als erheblich schwieriger dar. So sind nach Wilhelm von Ockham zwar die Un­ abhängigkeit und Güte Gottes unmittelbar mit seinem Dasein als erster Ur­ sache verknüpft, nicht aber seine Einzigkeit, Unendlichkeit und Allmacht25. Da Einfachheit für Ockham kein unterscheidendes Prädikat Gottes 20

Joh. Damasc. De fide orth. I,3; vgl. ebd. cap. 1. Gregor Nyss. or. catech. praef. 2. 22 A. a. O. I,5. 23 A. a. O. I,4. 24 S. theol. I,3–11. Diese Eigenschaften kennzeichnen das göttliche Wesen allerdings nur nach seiner Verschiedenheit von den kreatürlichen Wirkungen, sagen also nicht, wie es in sich selber ist, sondern eher, wie es nicht ist (I,3: potius quomodo non sit). 25 Wilhelm von Ockham: Scriptum in librum Primum Sententiarum (Ordinatio) q.2 prol. 21

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mehr war, sondern allen Dingen zukommt, weil nur unsere begriffliche Be­ schreibung auf Zusammensetzung allgemeiner mit besonderen Bestim­ mungen angewiesen ist, konnten aus der Einfachheit Gottes nicht mehr wie bei Thomas von Aquin Eigenschaften abgeleitet werden, durch die Gott sich von den Geschöpfen unterscheidet. Auch die aus der Einfachheit begründete Ununterschiedenheit von Essenz und Existenz in Gott verlor damit ihre für den Gottesgedanken zentrale Bedeutung. Der Spätscholastik traten also das Wissen von Gottes Dasein und die Er­ kenntnis seines Wesens weiter auseinander als das für die christliche Patri­ stik und noch für die Hochscholastik der Fall gewesen war. Pierre d’Ailly bemerkte zu den Ausführungen des Apostels über die natürliche Kenntnis der Menschen von Gott (Röm 1,19 f.), daß die natürliche Vernunft Einsich­ ten nahelege, die sie dennoch nicht evident zu beweisen vermöge, während der schon durch die Offenbarung an Gott Glaubende aus der Erkenntnis der geschöpflichen Wirklichkeit vieles über Gott erschließen kann, was sonst verborgen bliebe26. So heißt es auch bei Luther, es sei „gar eyn gros unterscheyd, [zu] wissen, das eyn Gott ist, und wissen, was odder wer Gott ist“ (WA 19, 207, 11 f.). Die Vernunft wisse nur, daß Gott ist, nicht aber, „wilcher es sey, der da recht Gott heyst“ (206,33). Bei Luther gewann diese Unterscheidung jedoch einen neuen Sinn dadurch, daß er mit Augustin (und Cicero?) eine aller rationalen Argumentation vorausgehende, intuitive Kenntnis von Gott annahm, die beim Sünder durch die ratio verfälscht wird27. Außerdem zielte er auch we­ niger darauf, der natürlichen Vernunft die Fähigkeit zu einer durch Eigen­ schaften bestimmten Gottesvorstellung abzusprechen, als vielmehr darauf, daß ihr die Erkenntnis des wahren Gottes verschlossen bleibt28. Luthers Un­ terscheidung zwischen dem Wissen, daß ein Gott ist, und der Erkenntnis sei­ nes Wasseins deckt sich daher nicht ohne weiteres mit der methodischen Unterscheidung und Abfolge einer Kenntnis des Daseins und der Erkennt­ nis der Wesensbestimmungen des Daseienden, wie sie auch in der protestan­ tischen Theologie wieder üblich wurde29. Allerdings waren sich auch die altprotestantischen Theologen darüber im klaren, daß in der Behauptung des Daseins immer schon eine wenn auch vage (Opera IV, St. Bonaventure N. Y. 1970, 357,9 zur Einheit Gottes.). Vgl. schon F. Bruckmüller: Die Gotteslehre Wilhelms von Ockham, München 1911, 43 ff. 26 Petrus de Ailliaco: Quaestiones super libros sententiarum cum quibusdam in fine adiunc­ tis, Straßburg 1490 (Nachdruck Frankfurt 1968) zu I. Sent. q.2 a.2 X: Hic dico tertio quod licet potuissent hoc aliqua naturali ratione persuadere, non tamen evidenter probare, similiter habitu revelationem quod deus est credenti deum esse multa possunt ex cognitione creaturarum concludi de deo quae aliter non concluderentur. 27 Siehe oben Kap. 2,2 S. 84 bei Anm. 29, sowie Kap. 2,5, 122 f. 28 Siehe dazu P. Althaus: Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1962, 27 ff. 29 Vgl. C. H. Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung II, 1966, 45 ff. sowie ders.: Gott existiert, Berlin 1966, 27 ff.

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und allgemeine Vorstellung vom Wesen des als daseiend Behaupteten mitge­ setzt ist30. Die Frage nach der Existenz von etwas (an sit) ist in der Tat nicht unabhängig von jedweder Vorstellung von etwas (quid sit), um dessen Exi­ stenz es sich handelt31. Auch die „Gottesbeweise“ als Argumente, daß (ein) Gott ist, setzen schon voraus, daß jedenfalls etwas davon bekannt ist, was Gott ist, nämlich, daß er erste Ursache der Welt ist. Die Vorstellung einer er­ sten Ursache hat bereits einen Wasgehalt. Sie enthält einen Minimalbegriff des göttlichen Wesens, dem sich auch die christliche Theologie nicht entzie­ hen kann, solange sie Gott als den Schöpfer der Welt behauptet. Andererseits bleibt die Vorstellung der Erstursächlichkeit so allgemein, daß sie das Spezi­ fische einer Vorstellung von Gott als einer irgendwie personhaften Macht noch gar nicht enthält, geschweige denn die charakteristischen Züge des bi­ blischen Gottes. Schon darum ist der Versuch problematisch, aus der Vor­ stellung der Erstursächlichkeit die konkreteren Aussagen über Gott in seiner Verschiedenheit von den Geschöpfen und in seinen Beziehungen zur Welt abzuleiten, noch mehr aber, die so sich ergebenden Aussagen als sachlich dem biblischen Zeugnis von Gott kongruent zu behaupten. Thomas von Aquin hat dem Versuch einer Herleitung aller Aussagen der christlichen Gotteslehre (mit Einschluß, wenn auch unter Vorbehalten, so­ gar der Trinitätslehre) aus dem Gedanken der Erstursächlichkeit seine klassische Gestalt gegeben. Aber dieses Verfahren ist keineswegs auf Tho­ mas beschränkt. Es geht zurück auf den Areopagiten, hat Johannes von Damaskus und die lateinische Hochscholastik beeinflußt, und seine Wir­ kungen sind noch in der altprotestantischen Darstellung der Gotteslehre zu erkennen, obwohl hier die Aussagen über Gott formal aus der Schrift be­ gründet wurden. Einen andern Weg zur Begründung der Aussagen über Gott hatte Gregor von Nyssa entwickelt, indem er gegen Eunomius bestritt, daß der Gottesbe­ griff durch den Gedanken des ursprungslosen Ursprungs – also der Erstur­ sächlichkeit – bestimmt sei, und ihn durch den Gedanken der Unendlichkeit ersetzte. In der lateinischen Scholastik hat erst Duns Scotus wieder hervorgehoben, daß die Unendlichkeit nicht nur eine Eigenschaft Gottes unter anderen ist, sondern grundlegende Bedeutung für den Gottesbegriff überhaupt hat. 30

C. H. Ratschow: Gott existiert, 1966,41 f. Joh. Duns Scotus: Ord. I d.3 p.l q.1–2: Numquam enim cognosco de aliquo ‚si est‘, nisi ha­ beam aliquem conceptum illius extremi de quo cognosco ‚esse‘… (vol. III p. 6 n.ll). Zu neueren Erörterungen der Problematik der Existenzbehauptung im Zusammenhang mit dem Gottesge­ danken vgl. I. K. Dalferth: Religiöse Rede von Gott, 1981, 547 und 678, sowie M. Durrant: The Logical Status of ‚God‘, London 1973 und Chr. Stead: Divine Substance, Oxford 1977, 7–11 und 267 ff. Die meisten neueren Beiträge zu diesem Thema gehen im Unterschied zu Duns Sco­ tus und zu der von Descartes ausgegangenen Tradition philosophischer Theologie nicht auf die Relevanz des Gedankens des Unendlichen für die Frage nach dem Dasein Gottes ein. 31

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Duns Scotus hat diesen Gedanken nicht wie Gregor von Nyssa alternativ gegen die Begründung der Gotteslehre auf den Gedanken der Erstursächlichkeit gewen­ det32, aber der Gedanke des unendlichen Seins bildet doch faktisch einen gegen­ über der Kausalargumentation selbständigen Ansatz der Gotteslehre bei ihm, weil er sich unmittelbar anschließt an die These, daß der Begriff des Seins der erste be­ stimmte Begriff überhaupt sei, den unser Intellekt bildet. Das Sein nämlich stellt sich unmittelbar entweder als endliches oder als unendliches Sein dar33. So ist der Gedanke des Unendlichen bei Duns Scotus auf das engste mit dem Seinsbegriff als dem Urgedanken unseres Intellektes verbunden.

Noch entschiedener hat Descartes den Primat der Idee des Unendlichen für den Gottesgedanken geltend gemacht34. Im Unterschied zu Duns Scotus war für Descartes nicht das Sein, sondern das Unendliche als solches die erste In­ tuition des Intellektes, auf der alle Erkenntnis anderer Dinge beruht35. Aller­ dings wird in dieser ersten Intuition das Unendliche nicht distinkt als solches erfaßt, sondern nur in einer konfusen Vorstellung. Der Primat der „Idee“ des Unendlichen vor allen andern Erkenntnisinhalten beruht aber darauf, daß nach Descartes alles Endliche durch Einschränkung des Unendlichen ge­ dacht wird. Auf dieser entscheidenden, obwohl von Descartes nur angedeu­ teten These gründete seine Auffassung, daß die „Idee“ des Unendlichen den Gedanken der Vollkommenheit enthält, weil sie offenbar mehr an Realität enthält als alles, was durch Einschränkung des Unendlichen gedacht wird. Hatten Johannes von Damaskus und noch Franz Suarez36 die Unendlichkeit aus der Vollkommenheit Gottes hergeleitet, so kehrte Descartes nun in Kon­ sequenz seines Gedankens, daß unsere Vorstellungen von endlichen Gegen­ ständen durch Einschränkung des Unendlichen gebildet werden, diese Argu­ mentation um und gelangte dadurch zur Gleichsetzung der Idee des Unend­ lichen als solchen mit dem Gottesgedanken der Tradition. Über die Ausführungen von Duns Scotus zur Unendlichkeit Gottes ist 32 Nach Duns Scotus ist die Existenz eines actu Unendlichen quoad nos des Beweises be­ dürftig, und er führte den Beweis dafür mit Hilfe des Gedankens der Erstursächlichkeit, die in allen ihren Formen die Unendlichkeit des Ersten impliziere: Ord. I d.2 p.l q.l (Opera Vat. II, 1950,148–215) bes. n. 145–147 (213–215). 33 Zum Begriff des univoken Seins bei Duns Scotus vgl. bes. Ord. I d.3 p.l q.1–2 B (Opera ed Vat. III, 1954, 18 ff.) über das Unendliche als Modus des Seinsbegriffs (modum intrinsicum illius entitatis) ebd. D p. 40 n. 58 und über das Sein als Erstobjekt des Intellekts ib. q.3, p. 68–123, bes. p. 80 f. n. 129 und p. 85–87 (n.137–139), sowie vor allem p. 1–2, p. 48 ff. und p. 54 f. n. 80 f. 34 Die Bedeutung dieses Gedankens für Descartes ist im Anschluß an E. Gilson vor allem von A. Koyre: Descartes und die Scholastik, Bonn 1923, 18–28 hervorgehoben worden. 35 Med. 3, n. 28: … manifeste intelligo plus realitatis esse in substantia infinita, quam in finita, ac proinde priorem quodammodo in me esse perceptionem infiniti quam finiti, hoc est Dei, quam mei ipsius. 36 F. Suarez: Opera Omnia I, Paris 1886, 47 n. 5 f.: Suarez verstand den Ausdruck „unend­ lich“ als Bezeichnung dafür, daß über Gott hinaus nichts Größeres gedacht werden kann (hanc ipsam negationem per infinitatem significari intelligo), so daß ihm der Beweis der Unendlichkeit Gottes aus seiner Vollkommenheit als „leicht“ (facile) erschien.

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Descartes auch dadurch noch hinausgegangen, daß bei ihm nun ausdrücklich – wie einst bei Gregor von Nyssa – die Begründung des Gottesgedankens aus der Idee des Unendlichen in Gegensatz trat zur Herleitung der Aussagen über Gottes Wesen aus der Erstursächlichkeit. Der lateinischen Scholastik war nicht mehr gegenwärtig gewesen, daß die Ablehnung eines solchen Ver­ fahrens bei Gregor von Nyssa mit seinem Gegensatz gegen den arianischen Gottesbegriff zusammenhängt. Descartes gelangte auf einem anderen Wege zur Ablehnung dieses Verfahrens. Er mißtraute der traditionellen Begrün­ dung philosophischer Theologie, weil sie auf das Argument der Un­ möglichkeit eines infiniten Regresses in der Kausalreihe angewiesen war37. Dieser Typus der Grundlegung der philosophischen Theologie war schon seit Ockham erschüttert, seine Leistungsfähigkeit als weitgehend beschränkt erkannt worden. Unter anderem hatte Ockham auch die zwingende Evidenz einer Ableitung der Unendlichkeit Gottes aus der Erstursächlichkeit bestrit­ ten. Descartes nun fand einen ganz neuen Weg zur Behauptung der Unend­ lichkeit Gottes, indem er von der Intuition des Unendlichen als Bedingung aller Vorstellung endlicher Gegenstände zum Gottesgedanken überging durch den in jener Intuition enthaltenen Gedanken der Vollkommenheit. Damit schien ihm auch die Seinsüberlegenheit Gottes schlechthin und also der Gedanke Gottes als ens necessarium gegeben, so daß Descartes zu einer Erneuerung des ontologischen Argumentes mit seiner Herleitung der Be­ hauptung des Daseins Gottes aus dem Begriff seines Wesens gelangte38. Die Argumentation Descartes’ ist in der Folgezeit beharrlich mißverstanden wor­ den, indem man die Gewißheit des cogito als Basis für die Begründung des Gottes­ gedankens auffaßte. Descartes war an diesem Mißverständnis insofern nicht ganz unschuldig, als die dritte Meditation den Gottesgedanken zunächst als eine der in unserm Geist vorhandenen Ideen einführt. Danach allerdings heißt es ausdrück­ lich, daß die Idee des Unendlichen die Bedingung aller Vorstellung von endlichen Gegenständen mit Einschluß des eigenen Ich sei (s. o. Anm. 35). Der Gedanke des Ich im cogito beruht also immer schon auf der Anschauung des Unendlichen, da er ebenso wie die endlichen Gegenstände der Welt nur durch Einschränkung des Un­ endlichen gebildet werden kann. Daher setzt das cogito sum den Gedanken des Unendlichen bereits voraus, statt seinerseits die Basis für ihn zu bilden. Die in den Darstellungen der neueren Philosophiegeschichte übliche Deutung Descartes’ als Begründer des erkenntnistheoretischen Subjektivismus ist darum verfehlt. Sie schreibt Descartes eine Auffassung zu, die sich erst bei Locke angebahnt hat und erst durch Kant voll ausgebildet worden ist. Descartes hat nicht eine unabhängig vom Gottesgedanken gewisse Subjektivität zur Basis der Überzeugung vom Da­ 37

Vgl. oben Kap. 2,101 bei Anm. 86, sowie Med. 3,55. Zum Verhältnis der beiden Ansätze bei den Begriffen des ens perfectissimum und des ens necessarium vgl. die Erörterung bei D. Henrich: Der ontologische Gottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit, Tübingen 1960,10–22, bes. 14 ff. Die Descartesinterpreta­ tion muß jedoch, über Henrichs summarische Darstellung hinausgehend, beide Begriffe auf Descartes’ Gedanken des Unendlichen zurückführen. 38

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sein Gottes gemacht, sondern stand der auf Augustin zurückgehenden Tradition des sog. Ontologismus39 nahe, der die Intuition Gottes als Bedingung aller sonsti­ gen Erkenntnis behauptet. Der Einsatz der Meditationen beim cogito hat nicht den Sinn einer sachlichen Letztbegründung für alles Folgende, sondern nur die Funktion einer Hinführung zu der für Descartes fundamentalen These über das Unendliche als Bedingung aller Bestimmung endlicher Gegenstände. Das cogito sum nimmt ja auch nur die schon von Augustin entwickelte Argumentation gegen die radikale Skepsis auf40, während erst die Begründung des Gottesgedankens aus dem Primat des Unendlichen für Erkenntnis und Sein alles Endlichen eine Argumentation entwickelt, die den Originalitätsanspruch Descartes’ als verständ­ lich erscheinen läßt.

Die Begründung der philosophischen Theologie bei Descartes scheint mit der Erneuerung des ontologischen Arguments die traditionelle Folgeord­ nung der Fragen, ob Gott ist und was er ist, umgekehrt zu haben: Am An­ fang scheint nun die „Idee“ Gottes als unendlichen und vollkommenen We­ sens zu stehen, und aus diesem Wesensbegriff wird das Dasein gefolgert. Im Hinblick darauf hat E. Jüngel die geistreiche Bemerkung gemacht, bei Des­ cartes habe sich der Mensch zwischen Gottes Wesen und sein Dasein gesetzt und dadurch den Gottesbegriff „zersetzt“41. Diese Beschreibung des Sach­ verhalts wäre zutreffend unter der Voraussetzung, daß die Gewißheit des co­ gito unabhängig wäre vom Gottesgedanken und seinerseits die Basis für des­ sen Erörterung bildete. Dann nämlich hinge es in der Tat am Urteil des Men­ schen, ob dem Wesen Gottes, das zunächst nur als eine „Idee“ unseres Gei­ stes unter andern gegeben ist, Realität im Sinne von Dasein außer uns zukommt oder nicht. Descartes argumentiert jedoch umgekehrt, daß die Gottesidee als Idee des Unendlichen ihrerseits die Bedingung schon der Denkbarkeit alles Endlichen mit Einschluß des Ich selber ist und den Grund ihres Daseins in sich selber hat. Nimmt man das ernst, so verliert die Kritik Jüngels ihren sachlichen Anlaß. Auch Kants Kritik am ontologischen Gottesbeweis trifft die Basis von Descartes’ Neubegründung der philosophischen Gotteslehre nicht. Sie be­ zieht sich auch nicht auf Descartes, sondern auf die Diskussion des ontologi­ schen Arguments im 18. Jahrhundert. Dabei spielte Descartes’ Argumenta­ tion mit der Idee des Unendlichen als primum cognitum keine Rolle mehr. Sie war umgebildet worden zur Idee eines ens realissimum, die Kant als tran­ szendentales Ideal der Vernunft bezeichnete, weil der Inbegriff aller positi­ ven Prädikate der Bestimmung der Einzeldinge durch Zusprechen und Ab­ sprechen einzelner Prädikate schon zugrunde liegt. Die Vorstellung jedes 39 J. Latour betont allerdings in seinem Artikel zu diesem Stichwort (LThK 2. Aufl. 7,1962, 1161–1164), daß die als Ontologismus bezeichnete Richtung katholischer Philosophie des 19. Jahrhunderts sich nur mit Einschränkungen auf Augustin und Bonaventura berufen könne. 40 Augustin c. Acad. III,11,24 und Solil II,1,1. Vgl. A. Koyré a. a. O. 63 f. 41 E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 143 f. vgl. 146–167 und bes. 164 f.

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Einzeldings wird daher durch Einschränkung des Inbegriffs aller Realität ge­ bildet. Insoweit entspricht der Gedanke des transzendentalen Ideals bei Kant der Funktion der Idee des Unendlichen bei Descartes. Aber das tran­ szendentale Ideal wird bei Kant nicht mehr als Bedingung der Gegen­ standserkenntnis, sowie auch des Gedankens des Ich selber aufgefaßt, son­ dern nur noch als ein Abschlußgedanke, der wie die übrigen Vernunftideen die Totalität des Verstandesgebrauchs und ihrer Bedingungen zum Inhalt hat. Andererseits hat Kant sehr wohl anerkannt, daß wir in Raum und Zeit gegebenes Einzelnes nur als Einschränkung der in unserer Anschauung ge­ gebenen unendlichen Ganzheit von Raum und Zeit vorstellen können. Er hat jedoch die Zusammengehörigkeit dieses Sachverhalts mit der Vorstel­ lung eines ens realissimum nicht erörtert, wie sie in Descartes’ These von der „Idee“ des Unendlichen als Bedingung aller Erfahrung von Endlichem be­ gründet ist. Hätte Kant die Zusammengehörigkeit dieser Themen berück­ sichtigt, so hätte auch er vor der Frage gestanden, ob der Gottesgedanke schon Bedingung und nicht erst Abschlußgedanke aller endlichen Gegen­ standsvorstellung ist42. Die Argumentationsebene der dritten Meditation von Descartes lag daher nur unvollständig, wenn überhaupt, im Blickfeld der „Kritik der reinen Vernunft“, obwohl deren Argumentation in der transzendentalen Ästhetik den grundlegenden, von Descartes geltend ge­ machten Sachverhalt voraussetzte, ohne aber auf dessen theologische Impli­ kationen einzugehen. Dennoch bleibt die Argumentation Descartes’ kritikbedürftig, weil sie nicht den Unterschied zwischen einem verworrenen Gewahrsein dessen, was erst die Reflexion als „unendlich“ benennt, und dem Reflexionsbegriff des Unendlichen als solchen herausgearbeitet hat43. Der Primat des Unendlichen vor aller Erfahrung von Endlichem gilt nur für die verworrene Anschauung, die erst durch die Reflexion als Anschauung des Unendlichen bestimmt wird, nicht aber für den daraus hervorgehenden Reflexionsbegriff des Unendlichen selber. Dieser setzt vielmehr umgekehrt die Erfassung des Endlichen schon voraus, indem er sie negiert, und diese Negation bezieht sich nicht nur auf diese oder jene einzelne Gegenstandserfahrung, sondern auf die Zusammen­ fassung aller derartigen Gegenstandserfahrung durch den Begriff des Endli­ chen. Daher kann sich die explizite Vorstellung des Unendlichen erst spät einstellen, auf dem Standpunkt einer Besinnung auf die Welterfahrung insge­ samt, obwohl das in ihr Erfaßte zugleich als Bedingung aller Bestimmung endlicher Gegenstände erkannt wird. Die ursprüngliche, verworrene Intui­ tion des Unendlichen ist daher auch noch keine Gottesidee, wie Descartes meinte44, obwohl sich umgekehrt auf dem Standpunkt eines philosophischen 42 Vgl. dazu meine Ausführungen in: Die Erneuerung der Metaphysik und der Gottesgedan­ ke, Göttingen 1988, 25 ff. 43 Vgl. schon oben Kap. 2, 5,127 ff. 44 Das ist auch den Auffassungen des Ontologismus (s. o. Anm. 39) entgegenzuhalten.

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Gottesgedankens, der durch den Begriff des Unendlichen bestimmt wird, dann in der Tat sagen läßt, daß Gott unserem Geiste schon in der ursprüngli­ chen Intuition des Unendlichen als Bedingung aller Gegenstandsvorstellung gegenwärtig ist. Dieser Standpunkt wurde bei Descartes dadurch erreicht, daß er im Gedanken des Unendlichen den des vollkommenen Inbegriffs aller Realität enthalten sah. Erst daraufhin wurde der Schritt zu der Behauptung möglich, daß zum Inbegriff aller Realität auch das Dasein gehört. Es ist dieser Schritt, der von den Kritikern des auf den Begriff des vollkommensten Wesens begründeten Beweises des Daseins Got­ tes, besonders auch von Kant, bestritten wurde. Dabei wurde allerdings Descartes’ Herleitung der Vorstellung des vollkommensten Wesens aus der Anschauung des Unendlichen als Bedingung aller Gegenstandserfahrung und sogar des eigenen Ich vernachlässigt, vor allem aber der von Descartes selber freilich nicht heraus­ gearbeitete Umstand, daß die konfuse Intuition des Unendlichen noch diesseits der Unterscheidung von Wesensbegriff und Dasein steht.

Aus dieser Erörterung der Neubegründung der philosophischen Theologie durch Descartes aus der Intuition des Unendlichen als Bedingung aller end­ lichen Gegenständlichkeit ergibt sich nun für die Frage nach dem Ver­ ständnis der Erfassung von Wesen und Dasein Gottes im Gang der Gotteserkenntnis, daß der Ausgangspunkt der verworrenen Anschauung des Unendlichen nicht unmittelbar als Gottesidee im Sinne eines Wesensbe­ griffes von Gott in Anspruch genommen werden kann. Dagegen bezeugt die „transzendentale“ Funktion der Anschauung des Unendlichen im menschli­ chen Bewußtsein beim Rückblick vom Standpunkt eines reflexen Begriffs der Unendlichkeit und seiner Verknüpfung mit dem Gottesgedanken in der Tat eine ursprüngliche Gegenwart Gottes im menschlichen Geist, also sein Dasein für diesen, aber ein Dasein, das nicht schon von vornherein als Da­ sein Gottes gewußt ist. Geht also nun doch im Vollzug der Gotteserkenntnis eine Erfahrung oder Kenntnis des Daseins Gottes dem Bewußtsein der Eigenart seines Wesens im Unterschied zu anderem schon voraus, so aber, daß solche Erfahrung oder Kenntnis des Daseins Gottes gerade noch keine Erkenntnis desselben als Dasein Gottes ist? Zur Klärung dieser Frage bedarf es einer allgemeineren Besinnung auf das Verhältnis von Wesen und Dasein. Die Frage nach dem „Wesen“ (dem τί ἐστιν) einer Sache setzt immer schon voraus, daß das Dasein von etwas gegeben ist, aber noch unbestimmt ist, was es ist und um „wessen“ Dasein es sich also handelt. Darum kann die Frage nach dem „Wesen“ nicht als überflüssig abgewiesen werden, obschon man die aristotelische Bestimmung des Wesensbegriffs als Substanz ablehnen mag. Auf die Frage nach dem „Wassein“ dessen, was ist, kann nicht verzichtet werden, weil sonst alle Unterscheidung zwischen Gegenständen der Erfah­ rung hinfällig würde. Das Interesse an der Unterscheidung von Gegen­ ständen richtet sich immer auf das Wassein der Dinge, setzt also das Da von

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etwas überhaupt schon voraus, obwohl wir nur im Ausnahmefall ein noch unbestimmt Daseiendes vor uns haben, dessen Wassein noch in Frage steht. Gewöhnlich nehmen wir etwas immer schon „als etwas“ wahr, aber der Ausnahmefall, daß das Wassein noch in Frage steht, zeigt, daß alle Wahrnehmung eines in seinem Wassein bestimmten Gegenstandes als Be­ stimmung eines abgesehen davon unbestimmten Daseienden zu verstehen ist. Dieses ist in seiner Unbestimmtheit noch nicht einmal als ein Da-seien­ des bestimmt. Erst das in seinem Was bestimmte Dasein wird ausdrücklich als Dasein erfaßt. Hier handelt es sich zunächst nur um das unbestimmte Da, in welchem die Differenz des Seins vom Nichtsein nur erst implizit ent­ halten ist. Gerade dieses unbestimmte Da, das sogar als Dasein noch unvoll­ ständig bestimmt ist, bildet den Bezugspunkt der Wesensbestimmung. Der Begriff des Wesens ist also relativ auf Da(sein), das durch die Erfassung sei­ nes Wasseins (seines τί) als dieses bestimmte, von anderen unterschiedene Etwas erfaßt wird45. Aus dieser Begriffserklärung ergibt sich eine wichtige Konsequenz: Der bloße Ge­ danke von etwas, dessen Existenz allenfalls möglich ist, bildet noch gar keinen We­ sensbegriff, weil das Wassein des Wesens relativ auf das dadurch bestimmte (oder noch zu bestimmende) Dasein ausgesagt wird. Der Wesensbegriff steht zwar der ursprünglichen Bedeutung der platonischen „Idee“ insofern nahe, als die Idee die im sinnlich Wahrgenommenen „erschaute“ Gestalt seines Wesens ist46, aber die Verselbständigung des Wasseins der Idee gegenüber ihrer Erscheinung im konkre­ ten Gegenstand (also der sog. chorismos der Ideen bei Platon) hat beim Wesensbe­ griff keine Entsprechung, weil eben das Wesen das „Was“ eines Daseienden be­ zeichnet und als solches immer schon auf Dasein bezogen ist. Dieser für die aristo­ telische Metaphysik grundlegende Sachverhalt ist in der Metaphysik Avicennas und in der ihm folgenden Tendenz im Seinsverständnis der lateinischen Scholastik des 13. Jahrhunderts dadurch verwischt worden, daß man die geschöpflichen Wesenheiten der Dinge als Möglichkeiten in den Gedanken des Schöpfers präexi­

45 Dieser Sachverhalt ist implizit in der aristotelischen Bestimmung des Wesens (οὐσία) als „das was war zu sein“ (τὸ τί ἠν εἶναι: Met. 983 a 27 f.) enthalten. Er ist von Hegel im Verhältnis des zweiten Buches seiner Wissenschaft der Logik zum ersten Buch zum Ausdruck gebracht und vor allem durch die Bestimmung des Wesens als Reflexion des Daseins expliziert worden (Logik II, PhB 57,7 ff.). Sie findet ihre volle Entfaltung in der „Existenz“ als Erscheinung des Wesens (ebd. 101 ff.), die als Wirklichkeit (169 ff., vgl. Encycl. §142) in ihrer Einheit mit dem Wesen thematisch wird. Hegels Logik des Seins behandelt allerdings das Dasein nicht als das noch unbestimmte Da, das erst durch die Reflexion auf sein Wesen Bestimmtheit empfängt, sondern als schon in sich bestimmtes Dasein, das dann als Dasein des Wesens zur Existenz fort­ bestimmt wird. 46 Siehe dazu J. Stenzel: Studien zur Entwicklung der platonischen Dialektik von Sokrates zu Aristoteles (1917), 3. Aufl. Darmstadt 1961,13 ff., 86 f.

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stent dachte, so daß der Schöpfungsakt darin bestände, den nur möglicherweise existierenden Wesenheiten das Dasein – den actus essendi – hinzuzufügen47. Nur der Gottesbegriff bildete in diesem kosmologischen Konzept eine Ausnahme von der Vorstellung, daß die Wesenheiten als mögliche durch Hinzukommen des Da­ seins in die Existenz treten. Als erste Ursache verdankt Gott sein Dasein keinem andern. Sein Dasein kann also nicht als zu seinem Wesen hinzutretende Bestim­ mung gedacht werden48. Diese Problematik tritt aber erst auf, wenn vergessen ist, daß die Frage nach dem Wesen einer Sache und die Benennung ihres Wesens immer schon ein Dasein voraussetzen.

Die Anwendung dieser Begriffsklärung auf die Frage nach Gottes Dasein und Wesen führt zunächst zu der Einsicht, daß auch in diesem Falle damit zu rechnen ist, daß zunächst ein unbestimmtes Da gegeben ist, das erst durch den Gottesgedanken als Gottes Dasein bestimmt wird. Denn das unbestimmt Daseiende, nach dessen Wassein gefragt wird, ist nirgends schon als das Da­ sein eines bestimmten Wesens erfaßt. Erst nach der Entscheidung über den Wesensbegriff, über das Wassein dessen, was da ist, weiß man, daß es sich im­ mer schon um das Dasein dieses Wesens handelte, auch als es von uns noch nicht als solches erfaßt wurde. Vieles ist in unserer Erfahrung primär in solcher Unbestimmtheit da, bevor es als das, was es ist, „entdeckt“ wird. Das uns gegenwärtige Wirkliche übersteigt immer das, was wir von ihm erfassen und benennen können. In eben solcher Weise ist – wie wir von der explizit religiösen Erkenntnis her sagen können – auch Gott immer schon in allem menschlichen Leben gegenwärtig. Er ist im Menschen und seiner Welt „da“, auch ohne schon als Gott erkannt zu sein49. Er ist da als das 47 Thomas von Aquin: S. c. Gentes II,54 und 55; vgl. S. theol. I, 3,4, dazu die Ausführungen von M.-D. Roland-Gosselin: La ‚De ente et essentia‘ de S. Thomas d’Aquin, Paris 1926, 189 ff. Zum Ursprung dieses Gedankens bei Avicenna siehe dessen Metaphysica sive prima philoso­ phia in ders.: Opera latina, Venetiis 1508, fol. 99 rb: …omne habens quidditatem causatum est, et cetera alia excepto „necesse esse“ (d. i. Gott) habent quidditates quae sunt per se possibiles esse, quibus non accidit esse nisi extrinsecus; primus igitur non habet quidditatem, sed super habentia quidditates fluit esse ab eo (Tract. 8 c. 4). A. M. Goichon hat mit Recht darauf hingewiesen, daß solche Kontingenz der geschöpflichen Dinge in Avicennas deterministischem System nur als lo­ gische Kontingenz zu verstehen ist: Die Dinge sind nicht aus sich heraus notwendig (La philo­ sophie d’Avicenne et son influence en Europe médiévale, Paris 1951, 22 ff.). Thomas von Aquin versucht, diese Auffassung mit dem aristotelischen Prinzip zu vermitteln, daß die Form das Sein gibt (S. theol. I,104,1). Siehe dazu die Ausführungen bei Roland-Gosselin a. a. O. und von E. Gilson: L’être et l’essence, Paris 1948, 96 ff. 48 Daher hat Avicenna Gott als reines Sein ohne Washeit (ohne quidditas) gedacht (cf. vorige Anm.), während Thomas in Konsequenz seines Ansatzes bei der Einfachheit Gottes nur die Differenz von esse und essentia in Gott bestritt: Deus igitur non habet essentiam quae not sit su­ um esse (c. Gentes I,22; vgl. S. theol. I,3,4). 49 Nach C. H. Ratschow haben auch die Aussagen der altprotestantischen Dogmatik über Gottes Existenz primär den Sinn, sein Dasein in der Welt auszusagen (Gott existiert. Eine dog­ matische Studie, Berlin 1966, 36 ff., 47, 62 ff.). Ratschow unterscheidet allerdings nicht zwischen dem als Dasein Gottes bestimmten Dasein und diesem letzteren in seiner Unbestimmtheit.

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unbestimmt Unendliche, das die Urintuition unseres Gewahrseins von Wirklichkeit überhaupt bildet, den Horizont, in welchem wir alles andere durch Einschränkung erfassen. Descartes’ „Idee“ des Unendlichen als Be­ dingung der Erfassung von endlichen Gegenständen ist also noch kein Be­ wußtsein eines Wasseins – also auch kein Gottesbewußtsein – sondern eher ein unbestimmtes Gewahrsein von etwas überhaupt, das mit der fortschrei­ tenden Ausbildung des Bewußtseins endlicher Gegenstände als sie alle (und also die Welt im ganzen) übersteigend bewußt wird. Als unserem Leben und unserer Welt gegenwärtig übersteigt da etwas zugleich alle endlichen Gegen­ stände. Etwas ist da in der Welt, das alle endlichen Gegenstände umgreift und zugleich übersteigt, aber es ist in den Gegenständen der Welt da und in unserm eigenen Leben wirksam. Als „Gott“ wird es benennbar und benannt im Prozeß konkreter Offenbarung, religiöser Erfahrung und Weltinterpreta­ tion, und in der Geschichte des Streites zwischen den Göttern der Religionen nimmt die Bestimmung jenes unbestimmt in unserem Leben gegenwärtigen und wirksamen Geheimnisses ihren Fortgang, das alles umfaßt, ohne im Fortgang der Zeit an ein Ende zu kommen. Statt von „Dasein“ sprechen Paul Tillich (Systematische Theologie I,1956, 273 ff., vgl. 267) und John Macquarrie (Principles of Christian Theology, New York 1966, 105 ff.) von Gott als dem „Sein selbst“ (Tillich) oder als „holy being“ (Macquarrie 105), das auf gar keinen Fall als „a being“ (ebd. 106, 108, auch 98; vgl. Tillich 274 f., 203 f.) aufgefaßt werden dürfe. Man versucht auf diese Weise, der Kritik an den tra­ ditionellen Vorstellungen von Gott als Substanz und Person Rechnung zu tragen und auch (so Macquarrie 109 f.) die Einheit von Transzendenz und Immanenz Gottes zum Ausdruck zu bringen. Aber diese Redeweise, die Heideggers Seinsbe­ griff mit seiner Abhebung vom Seienden, den thomistischen Gedanken Gottes als ipsum esse und (bei Tillich) Gedanken des späten Schelling in einer wenig geklärten Kombination verbindet, bleibt gedanklich unausgewiesen, da sie weder die Vor­ aussetzungen Heideggers, noch die Thomas von Aquins übernimmt, noch auch ei­ nen alternativen, eigenen Zugang zur Ontologie entwickelt. Ohne Univer­ salienrealismus ist die Rede vom „Sein selbst“ nur die Hypostasierung einer Ab­ straktion, einer allgemeinsten Vorstellung, und ein Satz wie der von Macquarrie: „God (or being) is not, but rather lets be“ (108) ergibt keinen klaren Sinn; denn All­ gemeinbegriffe oder abstrakte Vorstellungen können kein Dasein gewähren. Mac­ quarrie selbst gesteht: „Without the beings in and through which it appears and in which it is present, Being would be indistinguishable from nothing“ (187). Ist „Gott“ also nur ein abstrakter Aspekt am konkret Seienden? Wenn Gott als selb­ ständige, und zwar im höchsten Grade selbständige Wirklichkeit gedacht werden muß – schon um Ursprung alles anderen sein zu können –, dann kann zwar sein Sein sich bekunden im endlich Seienden, muß aber von diesem unterscheidbar sein. Das bedeutet auch, daß es unvermeidlich ist, Gott ein Wassein, ein Wesen zu­ zuschreiben. Sonst könnte „Gott“ nicht von anderem unterschieden werden: Dar­ aus folgt weiter, daß es nur um den Preis logischer Inkonsistenz vermeidbar ist, Gott in seiner Unterschiedenheit von anderem als „seiend“ (und insofern als „Seiendes“) zu denken, obwohl der Seinsmodus des göttlichen Seins damit noch

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nicht bestimmt ist: Nur als ein Seiendes neben andern gedacht, wäre Gott in der Tat als endliches Wesen vorgestellt. Darüber führt jedoch nicht der Gedanke Got­ tes als „Sein selbst“ hinaus, sondern nur der der Unendlichkeit Gottes, insofern das wahrhaft Unendliche sowohl vom Endlichen verschieden ist als auch diese Differenz übergreift. Die Rede von Gott als ipsum esse ist nur auf dem Boden des arabischen und christlichen Aristotelismus mit seinem Universalienrealismus sinn­ voll. Dabei war Thomas von Aquin im Unterschied zu Avicenna umsichtig genug, die Vorstellung des Wesens (essentia) Gott nicht einfach abzusprechen (s. o. Anm. 48): Das würde nämlich bedeuten, daß Gott überhaupt nicht mehr als von anderem (dem Endlichen) unterschieden gedacht werden könnte. Es ist also Vor­ sicht geboten gegenüber allzu leichtfertiger Abweisung der Rede von Gott als „ei­ nem Seienden“. Richtig bleibt, daß darin die Gefahr liegt, Gott unversehens wie ein endliches Ding vorzustellen. Doch dem kann nur durch den Begriff der Un­ endlichkeit Gottes angemessen begegnet werden. Dieser Begriff trägt auch dem Anliegen von Macquarrie Rechnung, Gott nicht nur als transzendent, sondern ebenso als immanent zu denken.

Das Dasein Gottes ist also nicht primär als ein überweltlicher Sachverhalt aufzufassen, als ein Dasein jenseits der Welt, sondern zunächst einmal als wirksame Gegenwart in der Weltwirklichkeit selber. Erst daraufhin kann und muß Gottes Dasein auch als das Dasein der Welt und der Weltdinge übersteigend gedacht werden, wenn anders das Wesen Gottes als ewig und so als erhaben über die Vergänglichkeit der geschaffenen Dinge anzuerken­ nen ist. Das ist wichtig für die Zusammengehörigkeit von heilsgeschichtli­ cher Offenbarungswirklichkeit einerseits und ewigem Wesen Gottes andererseits, entsprechend den Aussagen der Trinitätslehre über die Einheit von ökonomischer und immanenter Trinität. Ist das unbestimmt gegenwärtige Da einmal in seinem Wesen benannt und von anderem unterschieden, so stellt sich das Verhältnis von Wesen und Dasein noch unter einem zweiten Aspekt dar: Das Da ist jetzt das bestimmte Dasein dieses bestimmten Wesens. Ist dabei das Wesen nicht auf ein einziges Da beschränkt, also auch in andern raumzeitlichen Momenten gegenwärtig, dann treten das Wesen und sein bestimmtes Dasein auseinander. Das einzel­ ne Daseinsmoment ist vom Wesen der Sache, sofern es für eine Zeitdauer identisch bleibt, verschieden. In ihm kommt das Wesen der Sache nur zur Erscheinung50. Erst der Gesamtumfang der Daseinsmomente fällt wieder mit der Einheit des Wesens zusammen. Wenn das Wesen Gottes – und daher auch der Gesamtumfang seiner Da­ seinsmomente – die endlichen Dinge und ihre Welt übersteigt (was noch ge­ nauer zu klären sein wird im Zuge der Frage nach den Eigenschaften Got­ tes), dann werden die einzelnen Momente seiner wirksamen Gegenwart in der Welt und im Leben der Menschen, sofern sie als Momente des Daseins 50 Zum Begriff der Erscheinung vgl. meine Ausführungen in: Erscheinung als Ankunft des Zukünftigen, in: Theologie und Reich Gottes, Gütersloh 1971, 79–91.

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Gottes zu Bewußtsein kommen, zu Momenten, in denen das Wesen Gottes in Erscheinung tritt. Die einzelne Erscheinung ist vom Wesen verschieden, insofern dieses zwar in ihr zur Erscheinung kommt, aber nur durch den Gesamtumfang sei­ ner Erscheinung und seines Daseins erschöpfend bestimmt werden kann. Sind die Erscheinungen als eine Reihe aufzufassen, so ist deren Totalität nur durch Antizipation ihrer ganzen Abfolge, bei endlichen Reihen also von ih­ rem letzten Glied her bestimmt. Dieser Umstand kann freilich dann vernachlässigt werden, wenn das Wesen in jeder seiner Erscheinungen als dasselbe erscheint. Aber auch das kann nur im Vorgriff auf die ganze Reihe der Erscheinungen entschieden werden. Als Offenbarung des Wesens kann jedenfalls nur der Gesamtumfang seiner Erscheinungen oder aber eine sol­ che Einzelerscheinung gelten, die für jenen Gesamtumfang konstitutiv ist. Gottes Dasein erweist sich in seinem Erscheinen in der Welt als die Welt zugleich übersteigend. Seine Offenbarung in der Welt offenbart ihn als den ewigen. Seine Offenbarung in der Welt durch den Sohn, dessen Erscheinen in der Zeit die Vollendung des Reiches Gottes in der Welt antizipiert, offen­ bart den ewigen Sohn, in Beziehung zu dem der Vater von Ewigkeit her sein Dasein als Vater hat. Im Sohn also hat der Vater sein Dasein, und der Sohn offenbart den einen Gott, also das Wesen Gottes, indem er den Vater offen­ bart. Aber der Vater steht nicht nur an der Stelle des Wesens Gottes, das durch den Sohn offenbar wird und in ihm sein Dasein hat. Vielmehr offen­ bart der Sohn auch das Dasein des Vaters, und dieser offenbart durch die Sendung des Sohnes sein Wesen, seine ewige Liebe (Joh 3,16). Das Wesen des einen Gottes wird offenbar durch beide, Vater und Sohn, und durch ihre Gemeinschaft in einem Dritten, dem Geist, der vom Vater ausgeht und vom Sohn empfangen, sowie den Seinen verliehen wird. Dabei ist der Geist nicht einfach identisch mit der Gemeinsamkeit des göttlichen Wesens, an dem Va­ ter und Sohn teilhaben, sondern er vermittelt die Gemeinschaft beider, in­ dem er vom Vater ausgeht und vom Sohn empfangen wird. In dieser Funkti­ on ist der Geist eine dritte Gestalt des Daseins des einen göttlichen Wesens neben Vater und Sohn51. Mit der Kennzeichnung von Vater, Sohn und Geist als Gestalten des Da­ seins Gottes – sowohl in der Welt als auch, die Welt übersteigend, in Ewig­ keit – ist eine erste Näherbestimmung ihrer Personalität gegeben. In der Per­ son hat das Wesen sein Dasein, so wie das Selbst im Ich in Erscheinung tritt52. Damit ist allerdings noch nicht das Spezifische personalen Daseins im Unterschied zum Dasein der Dinge bezeichnet. Nur lebendige Wesen, die zu 51 Zur Anwendung der Unterscheidung von Dasein und Wesen auf das Verhältnis der drei trinitarischen Personen zur Einheit des göttlichen Wesens vgl. auch C. H. Ratschow: Gott exi­ stiert, Berlin 1966, 49. 52 Zu letzterem siehe: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 217– 235, bes. 233 f.

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ihrer eigenen Bestimmung ein Verhältnis haben, pflegt man Personen zu nen­ nen. Darauf und auf die Personalität der trinitarischen Personen ist an späte­ rer Stelle zurückzukommen. Aber zunächst ist festzuhalten, daß es sich bei den Personen von Vater, Sohn und Geist um die dreifache Gestalt des Daseins Gottes in der Welt wie auch über die Welt hinaus handelt. In ihnen ist der eine Gott nicht nur unbestimmt und unthematisch gegenwärtig wie in jenem un­ begrenzten Felde, das sowohl Bedingung für die Bestimmung jedes endlichen Gegenstandes durch Ausgrenzung („Definition“) ist als auch die endlichen Gegenstände je für sich und in ihrer Gesamtheit übersteigt. Dieses Feld des Unendlichen, auf das hin der Geist des Menschen ursprünglich offen ist, war noch nicht als Dasein Gottes bestimmt. In Vater, Sohn und Geist hingegen hat das göttliche Wesen die bestimmte Gestalt seines Daseins – nicht nur des­ sen Gestalten, sondern seine Gestalt, da ja die drei „Personen“ eine einzige Gesamtkonstellation bilden. Die bestimmte Gestalt des Daseins Gottes als Vater, Sohn und Geist ist aber sachlich eins mit dem grenzenlosen Feld der unthematischen Gegenwart Gottes in seiner Schöpfung. Auch davon wird an späterer Stelle noch genauer zu reden sein. Schon in dem unbestimmten, alles erfüllenden und alles übersteigenden Geheimnis, in welchem alle Dinge ver­ faßt sind, ist der Vater ihnen nahe durch seinen Sohn und in der Kraft seines Geistes.

3. Gottes Wesen und Eigenschaften, sowie ihre Verbindung durch den Begriff des Handelns Das Wesen der Dinge kommt zur Erscheinung im Dasein als ein bestimmtes, von andern unterschiedenes. Es unterscheidet sich aber von andern durch seine Eigenschaften. So tritt der Gott in Erscheinung durch das Wirken sei­ ner Macht, und aus den Eigentümlichkeiten seines Wirkens wird die Eigen­ art seines Wesens erkannt und von anderem unterschieden. Im Namen ist sie gleichsam konzentriert, und darum verleiht nach archaischer Anschauung die Kenntnis des Namens Macht über seinen Träger. Darum weicht die Gottheit der Frage nach ihrem Namen aus (Gen 32,29) und verweist statt­ dessen auf ihr machtvolles Wirken, durch das sie sich bekunden wird (Ex 3,13 ff.). Die Offenbarung des Gottesnamens an Mose aber (Ex 6,2 f., doch vgl. Gen 4,26) ist verbunden mit dem Verbot seines Mißbrauchs (Ex 20,7) zu magischer Verfügung über die Gottheit. Der biblische Gottesname ist keine Formel für das Wesen der Gottheit, sondern Einweisung in die Erfahrung ihres Wirkens (Ex 3,14). Damit ist die Frage nach dem Wesen zurückverwiesen an die Eigenschaften, die das Wir­ ken Gottes kennzeichnen: „Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte“ (Ps 103,8; 145,8; vgl. Ex 34,6). Er ist der Gott der

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Bundesgerechtigkeit, aber auch der ewige und allmächtige, der heilige Gott, vor dessen Zorn der Gottlose und der Sünder zunichte werden. So sind der Eigenschaften Gottes, die in seinem Wirken zur Erscheinung kommen, viele. Wie verhält sich solche Vielheit zur Einheit des göttlichen Wesens? Wie kann das Wesen eines sein in der Vielheit der Eigenschaften? Das ist eine Frage, die die Geschichte der Theologie nicht ohne Grund in Atem gehalten hat. Sie stellt sich unabweisbar, wenn man die Vielheit der Ei­ genschaften als eine reale Vielheit betrachtet und dem Wesen zurechnen will, das durch diese Eigenschaften bestimmt wird. Anders ist es freilich, wenn man die Eigenschaften als etwas den Dingen selbst Äußerliches einschätzt, als ein Mittel unseres Bewußtseins, um die Dinge voneinander zu unter­ scheiden. Damit steht das Ding als ein Ding an sich gleichsam hinter den Ei­ genschaften, die wir ihm beilegen. Doch auch dann kann es nicht beliebig sein, welche Eigenschaften diesem oder jenem Ding zugeschrieben werden. Die Eigenschaften kommen dem Dinge selbst zu. Sie eignen seinem Wesen. Nur dann sind sie dessen Eigenschaften, und nur dann kann sich das durch sie gekennzeichnete Wesen in ihnen bekunden. Sie sind nicht unsere Zutat, obwohl wir es sind, die die Dinge unterscheiden durch Zuschreibung der ih­ nen zukommenden Eigenschaften. Die Unterscheidungen freilich, die wir machen zwischen den verschiedenen Eigenschaften, die wir denselben Din­ gen zuschreiben, mögen auf die Beschränktheit unseres urteilenden Ver­ standes zurückfallen. Denn das Ding ist in seinem Wesen nur eines. Doch andererseits existiert das Wesen des Dinges nur in seinen Eigenschaften, durch die es von andern unterschieden ist. Sie sind die Elemente, aus denen es besteht, und das Ding ist nichts außer der Verbindung dieser seiner Elemente53. Das göttliche Wesen ist kein Ding, das darin aufginge, etwas im Unter­ schied zu anderem zu sein. Dem Begriff des Dinges ist wesentlich, daß es end­ lich ist. Gott aber ist unendlich. Dennoch reden wir von Gott, indem wir ihm Eigenschaften zuschreiben, faktisch wie von einem Gegenstand, den wir durch seine Eigenschaften von andern unterscheiden. Auch menschlichen Personen schreiben wir ja Eigenschaften zu, die ihre äußere Erscheinung und ihren Charakter kennzeichnen und sie von andern unterscheiden. Die Person geht freilich in ihren Eigenschaften nicht auf. Sie ist wie alles Lebendige durch Überschreitung ihres endlichen Ortes auf ihre Umwelt hin charakterisiert. Im Fall der menschlichen Person handelt es sich dabei um eine auf die Welt im ganzen und über sie hinaus ins Unendliche ausgreifende Selbstüber­ schreitung. Die Person ist identifiziert durch ihren Namen, und der Name ist mehr als ein Inbegriff von Eigenschaften. Der Eigenname kennzeichnet die Person in ihrer Einmaligkeit, während alle Eigenschaftsnamen allgemein 53 Zu dieser Dialektik im Verhältnis von Wesen und Eigenschaften vgl. G. W. F. Hegel: Wis­ senschaft der Logik II (PhB 57) 105–114: Das Ding und seine Eigenschaften.

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sind. Sie können auch auf anderes Anwendung finden, wenngleich in anderer Kombination. Andererseits sind Eigennamen entgegen dem archaischen Glauben an die magische Kraft des Namens konventionell. Insofern lassen die Eigenschaften einer Person mehr von ihrem Wesen erkennen als der Na­ me. Wenn gefragt wird, wodurch denn eine Person charakteristisch von an­ dern verschieden ist, so ist es unvermeidlich, neben Kriterien raumzeitlicher Existenz auf Eigenschaften zurückzugreifen, die ihr besonderes Wesen in seiner Eigenart charakterisieren. Im Falle des göttlichen Wesens, das nicht in gleicher Weise durch Bindung an ein leibliches Dasein in Raum und Zeit identifiziert und von andern unterschieden ist, muß der Rekurs auf seine Ei­ genschaften um so wichtiger sein für die Bestimmung seiner Eigenart. Die theologische Tradition hat die Vielheit der Eigenschaften Gottes ent­ weder real unterschieden von der Einheit des göttlichen Wesens sowie auch im Hinblick auf das Verhältnis der Eigenschaften untereinander, oder die Ei­ genschaften wurden als nur gedanklich (ratione) voneinander und vom gött­ lichen Wesen verschieden aufgefaßt, damit die Einheit des göttlichen Wesens gewahrt bleibt. Beide Lösungswege enden jedoch in Aporien. Die Auffas­ sung der Eigenschaften Gottes als real verschieden voneinander und vom göttlichen Wesen gerät in Widerspruch dazu, daß die Eigenschaften Be­ schaffenheiten des Wesens selber sind. Werden sie aber dem Wesen zuge­ schrieben, so scheint dessen Einheit sich aufzulösen. Wird darum die Vielfalt der Eigenschaften als nur gedanklich verschieden aufgefaßt, so bleibt für das göttliche Wesen nur die bestimmungslose Einheit. Die erste dieser Auffassungen ist im christlichen Osten von Gregorios Palamas (1298–1358) entwickelt worden im Streit um die Natur des Lichtes, das Jesus bei seiner Verklärung auf dem Berge Tabor umstrahlt hat54. Danach sind die Eigen­ schaften Gottes als von seinem Wesen ausstrahlende, ungeschaffene „Energien“ real verschieden von der Einheit des Wesens, aber auch von allem Geschaffenen. Ihr Inbegriff ist nach Palamas die Kraft oder Herrlichkeit Gottes bzw. sein Reich. Diese Auffassung empfahl sich durch ihre Betonung der Unzugänglichkeit des göttlichen Wesens bei gleichzeitiger Möglichkeit einer Schau, die alles Geschaffene übersteigt. Aber wie ist es möglich, das von Gottes Wesen ausgehende ungeschaf­ fene Licht vom Wesen Gottes zu unterscheiden und doch als untrennbar mit ihm verbunden zu behaupten, so daß die auf Grund der von Gott ausstrahlenden Ener­ gien von ihm ausgesagten Eigenschaften wirklich Gott selbst zukommen55? 54 Siehe dazu H. G. Beck: Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich, Mün­ chen 1959, 322–332. 55 Soweit heutige orthodoxe Theologie dem Einfluß des Palamismus folgt, wird gern betont, wie bei D. Staniloae, „daß Gott, obwohl er jeweils nur in einem besonderen Werk und in besonderer Weise als wirksam erscheint, er doch zugleich in jedem Werk vollständig enthalten ist“. Von allen seinen Werken gilt, daß „in ihnen allen der seinem Wesen nach eine Gott wirksam“ ist (Orthodoxe Dogmatik, Gütersloh 1985, 137). Aber wie kann man dabei von unerschaffenen Werken Gottes (ebd.) sprechen? Ist diese Vorstellung nicht in sich wider­ spruchsvoll? Mit der Unerschaffenheit wäre die Wesenseinheit gegeben, wie bei den trinitari­

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Die Gegner des Palamismus haben mit Recht geltend gemacht, daß es sich entweder um Eigenschaften handelt, die für sich unselbständig sind und dem gött­ lichen Wesen zukommen, oder aber um eine von diesem verschiedene Sphäre, die dann aber zur Annahme mindestens einer weiteren göttlichen Hypostase neben Vater, Sohn und Geist führt, nämlich der Herrlichkeit oder des Reiches als Inbe­ griff der göttlichen Energien. Eine ähnliche Realunterscheidung der Eigenschaften von der Einheit des göttli­ chen Wesens war zuvor schon im Westen aufgetreten. Das Konzil von Reims 1148 hat diese Gilbert de la Porree zugeschriebene Auffassung verworfen (DS 745), weil sie der Einheit und ungeteilten Einfachheit des göttlichen Wesens zu widerspre­ chen schien. Daß außer der Unterscheidung der drei Personen keine andere reale Verschiedenheit in Gott bestehe, wurde 1442 durch das Konzil von Florenz be­ kräftigt: omniaque sunt unum, ubi non obviat relationis oppositio (DS 1330). Nach der im Westen maßgeblich gewordenen Auffassung sind die Eigenschaften Gottes also weder voneinander, noch vom göttlichen Wesen real verschieden. Ihre Viel­ heit beruht auf der Vielheit der Beziehungen Gottes zur Schöpfung. In der Vielheit seiner Werke kommt die Vollkommenheit der göttlichen Ursache, die in sich un­ geteilt ist, in vielfältiger Brechung zur Darstellung. Die darauf beruhenden Aussa­ gen über Gott bezeichnen zwar etwas Reales in ihm, aber nur insofern er die eine Ursache all der vielfältigen Wirkungen ist. Darum heißt es bei Thomas von Aquin: Quae quidem perfectiones in Deo praeexistunt unite et simpliciter, in creaturis vero recipiuntur divise et multipliciter (S. theol. I, 13,4). Dieser Sachverhalt bildet nach Thomas den Grund dafür, daß unsere positiven Aussagen über Gott seine Voll­ kommenheit nur analog beschreiben können, und geben zugleich an, welcher Art die Unschärfe ist, die sie an sich tragen: …quod divisim et multipliciter est in effec­ tibus, in causa sit simpliciter et eodem modo (ib. 5). Diese Betrachtungsweise hatte aber zur Folge, daß die Vielheit der Eigenschaften nicht eigentlich zu Gott selbst gehört, wie auch die Beziehungen zu den Geschöpfen nicht zum Wesen Gottes selbst gehören. Sie haben nicht den Charakter einer relatio realis, die die Eigenart des sich Beziehenden selbst in seinem Wesen bestimmt, während umgekehrt das Sein der Geschöpfe sehr wohl durch ihre Abhängigkeit vom Schöpfer bestimmt, ihre Beziehung zu Gott also eine relatio realis ist (S. theol. I,45,3 ad 1; vgl. 13,7). In der lateinischen Scholastik beruhen wie bei Palamas die Zuschreibungen von Eigenschaften Gottes auf den von der göttlichen Ursache ausgehenden Wirkun­ gen. Aber in der lateinischen Scholastik handelt es sich dabei nicht um ungeschaffene „Werke“ wie im Palamismus, sondern um die geschöpflichen Wir­ kungen Gottes. Das Wesen Gottes in seiner Einfachheit steht jenseits dieser man­ nigfachen Wirkungen, die von ihm ausgehen. So wird der „Begriff der Einfachheit Gottes zu jenem Alles beherrschenden Prinzip, zu jenem Götzenbild…, das, alles Konkrete verschlingend, im Hintergrund aller jener Sätze steht“ (K. Barth KD II/ 1,370).

sehen Personen. Wenn aber keine solche Wesenseinheit und also nicht ein Viertes in Gott neben den drei Personen stehen soll, dann muß eine Wesensdifferenz der Wirkungen von der Ursache angenommen werden.

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Wenn der Versuch gemacht wird, die Vielheit der Gott zugeschriebenen Ei­ genschaften im Gegensatz zur Einheit seines Wesens auf die Vielheit der Be­ ziehungen Gottes nach außen, zu den geschaffenen Dingen, zurückzuführen, um die Einheit des göttlichen Wesens zu retten, dann folgt daraus nicht nur eine ganz abstrakte und leere Vorstellung vom göttlichen Wesen, sondern – schwerwiegender noch – ein fundamentaler Widerspruch in der Gottesvor­ stellung, der zerstörerische Folgen für den Gottesgedanken überhaupt hat. Dieser innere Widerspruch besteht darin, daß Gott nicht „von seinen Eigen­ schaften real verschieden sein soll, doch von den kosmischen Functionen, welche den Stoff jener Eigenschaften bilden, als ein hinter ihnen stehendes Ding an sich unterschieden wird“56. Von daher ist der Weg nicht weit zur Auffassung der göttlichen Eigenschaften als bloßer Projektionen endlicher Verhältnisse in das göttliche Wesen. Hier wie sonst ist die Feststellung inne­ rer Widersprüche in der Vorstellung vom göttlichen Wesen zum Ausgangs­ punkt für die Projektionshypothese geworden: Jener Befund wird dadurch erklärt, daß es sich bei den Gott zugeschriebenen Eigenschaften um eine Projektion von Beschränktheiten des Menschen und seiner Welterfahrung in die Vorstellung des göttlichen Wesens handle. So hatte schon Kant unter dem Eindruck der Argumente Humes von einem symbolischen An­ thropomorphismus bei den Gott zugeschriebenen Eigenschaften gespro­ chen, und Fichte hat im Atheismusstreit 1798/99 die Vorstellungen von Gott als Substanz und Person für Projektionen endlicher Verhältnisse in das We­ sen Gottes erklärt57. Ludwig Feuerbach hat diese Erklärung für das Zustan­ dekommen der Vorstellungen von Gott nur systematisch ausgebaut. Sie konnte sich dabei nicht zuletzt auch auf die Theologie selbst berufen, die seit Schleiermacher die kosmologische Basis für die Zuschreibung göttlicher Ei­ genschaften anthropologisch umgedeutet hat. Kamen bei der kosmologi­ schen Argumentation der Scholastik die Aussagen über Eigenschaften Got­ tes durch analoge Übertragung der Vollkommenheiten der geschöpflichen Wirkungen auf die göttliche Ursache zustande, so wurde diese Argumenta­ tion nun auf die Anthropologie begründet: Eigenschaften Gottes wurden nunmehr aus der menschlichen Erfahrung einer Abhängigkeit erschlossen, die über die Gegenstände der Welt hinausweist und diese mit umfaßt. Sie wurden allerdings immer noch im Sinne der areopagitischen Dreiwegelehre 56 D. F. Strauß: Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampf mit der modernen Wissenschaft dargestellt, 1. Bd. Tübingen 1840, 542 f. Vgl. schon W. F. Flegel: Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften (1817) 3. Aufl. 1830, §36c. 57 I. Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auf­ treten können (1783) § 57, A 173–175 zu D. Hume: Dialogues Concerning Natural Religion (1779) part 4. J. G. Fichte: Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798), zit. nach H. Lindau (Hrsg.): Die Schriften zu J. G. Fichtes Atheismusstreit, München 1912, 32 ff. Vgl. dazu auch Fichtes Ausführungen in seiner Gerichtlichen Verantwortungsschrift von 1799 (ebd. 225–228).

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gebildet durch Entschränkung und Steigerung58. Die kritische Beschreibung dieses Verfahrens als Projektionstheorie tritt in dem Augenblick in Kraft, in welchem der resultierende Gottesbegriff nicht mehr als in sich einheitlich, sondern als widerspruchsvoll erscheint, weil sich aus den Gott beigelegten Eigenschaften die Spuren der Endlichkeit (im Gegensatz zur Gott zuge­ schriebenen Unendlichkeit) und anthropomorphe Züge nicht entfernen las­ sen. Es bedarf dann nur noch der Angabe eines psychologischen Motives für die projektive Tätigkeit der menschlichen Einbildungskraft in der Erzeu­ gung von Gottesvorstellungen, die dem Wesen Gottes anthropomorphe und endlichen Dingen analoge Eigenschaften zuschreiben. Bedingung solcher Kritik bleibt freilich immer noch die Annahme der Unangemessenheit derar­ tiger Züge im Verhältnis zur Unendlichkeit des göttlichen Wesens. Doch wenn die Eigenschaften, die diesem Wesen zugeschrieben werden, als Projektionen entlarvt sind, dann führt ein einziger Gedankenschritt zum vollendeten Atheismus, nämlich das an Hegel geschulte Argument Feuer­ bachs, daß das Wesen nur in seinen Eigenschaften real ist und ohne sie ein leerer Gedanke bleibt59. Fallen daher die Eigenschaften, dann fällt auch die Annahme eines göttlichen Wesens als Träger dieser Eigenschaften: Fällt der Mantel, so muß der Herzog nach60. Worin es eigentlich begründet ist, daß die traditionelle Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften in solche Sackgassen geriet, bedarf genauerer Er­ wägung. Ihre Basis bestand in allen ihren Formen in der Vorstellung von Gott als Ursache der Welt61. Dabei wurde Gottes Wesen von der Ursachbe­ ziehung zur Welt unterschieden, da er die Welt nicht aus einer Notwendig­ 58 F. Schleiermacher: Der christliche Glaube (1821) 2. Aufl. 1830, §50. K. Barth hat darin nicht ohne Grund die Vorbedingung für die Destruktion der Gotteslehre durch die Projektionstheorie Feuerbachs erblickt (KD II/l, 380 f.). Daß der Rückschluß von den Wirkun­ gen auf die Ursache in Schleiermachers Lehre von den Eigenschaften Gottes auf anthropologi­ scher Basis geführt wird, indem die Eigenschaften Gottes aus unterschiedlichen Aspekten des Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit begründet werden, hat G. Ebeling eingehend gezeigt in: Schleiermachers Lehre von den göttlichen Eigenschaften (1968), in: Wort und Glaube 2, Tübin­ gen 1969, 305–342, bes. 318 ff. 59 L. Feuerbach: Das Wesen des Christentums (1841): „Die Notwendigkeit des Subjekts liegt nur in der Notwendigkeit der Prädikate“ (L. Feuerbach Gesammelte Werke 5, Berlin 1973, 55). „Die Negation des Subjekts gilt für Irreligiosität, ja für Atheismus, nicht aber die Negation der Prädikate. Aber was keine Bestimmungen hat, das hat auch keine Wirkungen auf mich, was keine Wirkungen, auch kein Dasein für mich. Alle Bestimmungen negieren ist so viel als das Wesen selbst negieren“ (ebd. 49, vgl. auch 62). 60 So spricht bei Schiller Verinna zu Fiesco, der sich von ihm beim Gang über eine Schiffs­ planke am Purpurmantel gezerrt fühlt: „Nun, wenn der Purpur fällt, so muß auch der Herzog nach“ (Die Verschwörung des Fiesco zu Genua 5,16). 61 Das gilt für die neuere Theologie nicht weniger als für die Scholastik. Zu Schleiermacher siehe die Anm. 58 zit. Untersuchung G. Ebelings. Auch bei Kant ist das Verhältnis Gottes zur Welt, das die Basis für den symbolischen Gebrauch anthropomorpher Eigenschaftszuschrei­ bungen bildet, durch den Begriff der Ursache bestimmt (Prolegomena § 58, A 176 ff.). Vgl. dazu E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 358–363.

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keit seiner Natur, sondern frei hervorbringt. Die ihm zugesprochenen Ei­ genschaften beruhen jedoch auf seinen Beziehungen zur Welt, die den Bezie­ hungen der Geschöpfe zu ihm korrespondieren. Das gilt sowohl für die ne­ gativen Eigenschaften wie Unendlichkeit und Ewigkeit, die negativ auf End­ liches und Zeitliches bezogen sind, als auch für positive Eigenschaften wie Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart. Sie sind entweder auf eine von Gott verschiedene Welt bezogen, die er in seinem Wissen überschaut und derer er mächtig, der er gegenwärtig ist, oder sie sind dem Sinn nach ebenfalls negativ zu verstehen, nämlich als bloße Negation jeder Beschränkung von Macht, Wissen und Gegenwart Gottes. Die positiven Eigenschaften der Barmher­ zigkeit, Gerechtigkeit und Liebe endlich beziehen sich als Eigenschaften des göttlichen Willens ebenfalls auf eine von Gott verschiedene, geschöpfliche Wirklichkeit, in bezug auf die Gott barmherzig und gerecht handelt und der seine liebende Zuwendung zuteil wird. Von allen Eigenschaften aber, die Gott aufgrund einer Relation zu anderem zugeschrieben werden, scheint zu gelten, daß sie nicht Gott in seinem Wesen zukommen können, wenn anders das göttliche Wesen als beziehungslose, transzendente Selbstidentität vor und außer aller Beziehung zur Welt zu denken ist. Diese Auffassung ergab sich aus der Anwendung der aristotelischen Kate­ gorienlehre auf den Gottesgedanken. Aristoteles hatte das Wesen, das τί ἠν εἶναι der Dinge, als Substanz gedacht, als das allen Veränderungen identisch Zugrundeliegende. Nur die Substanzen bestehen selbständig. Alles andere ist nur etwas „an“ der Substanz, sei es als bleibende Eigentümlichkeit dersel­ ben oder als veränderliche Bestimmung. Zu diesen „Akzidentien“ gehören nach Aristoteles auch die Relationen, im Fall des göttlichen Wesens also seine Beziehungen zur Welt. Nun gibt es in Gott keine Zusammensetzung aus Substanz und Akzidenz62. Darin liegt einer der Gründe dafür, daß die Trinitätslehre zu einer übernatürlichen Glaubenswahrheit erklärt werden mußte, weil sie nämlich Relationen in Gott behauptete, die für die trinitari­ schen Personen konstitutiv sind63. Die Relationen zur Welt aber eignen dem 62 Durch die Einfachheit Gottes ist jede Zusammensetzung, daher auch die von Substanz und Akzidenz, von seinem Wesen ausgeschlossen (vgl. z. B. Thomas von Aquin S. theol. I,3, 6). Andernfalls müßte ein von Gott verschiedener Grund solcher Zusammensetzung angenommen werden. Weil das dem Gedanken Gottes als erster Ursache widerspricht, hat schon Platon alle Zusammensetzung aus dem Gedanken Gottes ausgeschlossen (Staat B 382 e), und die frühchristliche Theologie hat sich seit den Apologeten dieser Auffassung angeschlossen. Zu Beispielen dazu siehe vom Vf.: Grundfragen systematischer Theologie I,1967, 332 ff. 63 Augustin hat das allerdings noch damit gerechtfertigt, daß die Relationen keine Akziden­ tien seien (De trin. V, 5, 6: tamen relativum non est accidens, quia non est mutabile, CC 50, 211, 22 f.). Vgl. dagegen Arist. Met. 1088 a 22 ff. Im Unterschied zu Augustin hat Thomas von Aquin gut aristotelisch die Relation als Akzidenz beurteilt (S. theol. I,28,2), so daß ihm nur deshalb die Unterschiede der personalen Relationen nicht gänzlich in der Einheit göttlichen Wesens ver­ schwanden (vgl. 40,1), weil er dafür im Unterschied zum Auftreten von Relationen im ge­ schöpflichen Bereich als Akzidentien die Vorstellung subsistierender Relationen entwickelte (40,2 ad 4). Vgl. o.321 Anm. 2.

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göttlichen Wesen nicht, weil sie auf seiten Gottes keine realen, sondern nur gedankliche Relationen sind (s. o.). Doch wie können unter solchen Umständen dennoch die Eigenschaften, die Gott als erster Ursache der ge­ schöpflichen Dinge zugeschrieben werden, seinem Wesen zukommen? Das ist nur möglich unter Voraussetzung des neuplatonischen Grundsatzes, daß die in den Wirkungen vorkommenden Vollkommenheiten auch der Ursache eignen müssen, und zwar in höherem Grade als den Wirkungen. Diese Aus­ kunft ist aber nur solange überzeugend, wie man den Begriff der Ursache substantiell, als verursachende Substanz, auffaßte und nicht unter Beschrän­ kung auf die Ursachbeziehung64, die im Hinblick auf die Welt dem göttli­ chen Wesen äußerlich sein soll. Das neuzeitliche Denken hat nicht nur den Begriff der Ursache von der Bindung an den aristotelischen Formbegriff gelöst und auf die Relation der Kausalität im Sinne einer gesetzmäßigen Abfolge von Zuständen reduziert. Es hat überhaupt die Relation von der Zuordnung zum Substanzbegriff ge­ löst und als etwas Selbständiges aufgefaßt, das durch die Endpunkte, „zwi­ schen“ denen die Relation spielt, begrenzt ist. Solange die Relation als ein Akzidenz der Substanz bestimmt wurde, konnte jenes „Zwischen“ nicht als eine einheitliche Realität aufgefaßt werden, sondern nur als zusammenge­ setzt aus zwei Beziehungen z. B. der des Vaters zum Sohne und der des Soh­ nes zum Vater. Ist aber die Beziehung zwischen beiden ein einziger Sachver­ halt, wenn er sich auch von der einen Seite aus anders darstellen mag als von der andern, dann wird die alte Zuordnung des Relationsbegriffs zu dem der Substanz geradezu umgekehrt. Statt ein Akzidenz an der Substanz und so dieser zugeordnet zu sein, wurde nun umgekehrt der Relationsbegriff dem der Substanz übergeordnet, weil von Substanzen nur in Beziehung zu Akzi­ denzen sinnvoll gesprochen werden kann. So erscheint bei Kant in der Kategorientafel der „Kritik der reinen Ver­ nunft“ das Verhältnis Substanz – Akzidenz als eine Unterart der Relations­ kategorie, neben der Kausalbeziehung und der Wechselwirkung65. Die Vor­ aussetzungen für diese Umkehrung der traditionellen Zuordnung von Sub­ stanz und Relation sind in der geometrischen Naturbeschreibung zu suchen, für die Descartes und die Begründer der klassischen Physik bahnbrechend wurden. Die Linie zwischen zwei Punkten ist eine und dieselbe, ob man sie von A nach B zieht oder von B nach A. Der geometrischen Beschreibung der neuen Physik gilt die Natur als „ein Inbegriff von lauter Relationen“, weil ihr überall die Raumanschauung zugrunde liegt. Weil alle Erfahrung auf An­ schauung bezogen ist und folglich auf einen „Raum, der, mit allem, was er enthält, aus lauter formalen oder auch realen Verhältnissen besteht“, darum 64 Dazu siehe H. Dolch: Kausalität im Verständnis des Theologen und der Begründer neu­ zeitlicher Physik, Freiburg 1954. Vgl. auch E. Cassirer: Substanzbegriff und Funktionsbegriff (1910), Neudruck Darmstadt 1969, 255 ff. 65 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781) 2. Aufl. 1787 (B) 106.

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lösen sich die Dinge unserer Wahrnehmung in der Sicht der Naturwissen­ schaft in lauter Relationen auf. „Freilich macht es stutzig, zu hören, daß ein Ding ganz und gar aus Verhältnissen bestehen solle, aber ein solches Ding ist auch bloße Erscheinung.“66 Die Auflösung alles Festen in Relationen, wie sie durch die moderne Naturwissenschaft vollzogen wurde, macht Kants Auffassung der Dinge als bloßer Erscheinungen verständlich. Die Auflösung des alten Substanzbegriffs durch die moderne Naturwissenschaft hat in Kants Unterordnung der Substanzkategorie unter die der Relation die Formulierung ihres Prinzips gefunden. Hegel ist diesen Weg weitergegangen. Nach Hegel gehört es zum Begriff des Wesens, durch sich selber auf anderes bezogen zu sein. Dabei wurde ihm die Beziehung Substanz – Akzidenz zu einem bloßen Spezialfall der Bezie­ hungsstrukturen des Wesens. Das andere, auf das das Wesen als Wesen eines Dinges oder einer Erscheinung primär bezogen ist, ist das Dasein. Der Be­ griff des Wesens setzt immer schon ein Dasein voraus, nach dessen Wesen gefragt wird. Nicht nur die Eigenschaften des Wesens bzw. des Dinges, son­ dern auch sein Dasein stellen sich damit als Aspekte der Relationalität her­ aus, die für den Wesensbegriff als solchen spezifisch ist. Die Veränderungen, die sich im neuzeitlichen Denken im Hinblick auf den Begriff des Wesens und sein Verhältnis zur Kategorie der Relation erge­ ben haben, können nicht folgenlos bleiben für die Theologie und insbeson­ dere für die theologischen Vorstellungen vom Wesen Gottes. Das göttliche Wesen kann nicht mehr als beziehungslose Identität jenseits der Welt ge­ dacht werden. Das in sich Widerspruchsvolle einer solchen Vorstellung ist unübersehbar geworden, weil der Gedanke der Jenseitigkeit selber schon eine Beziehung ausdrückt. Die Anerkennung dieses Sachverhalts braucht nicht zur Folge zu haben, daß die Jenseitigkeit Gottes pantheistisch in der Unendlichkeit der Natur verschwindet, wie im Spinozismus, oder daß sie ein bloßes Moment im göttlichen Prozeß der Hervorbringung und Aufhe­ bung der Welt wird wie bei Hegel oder schließlich ein Korrelat des Weltbe­ griffs wie in der Metaphysik Whiteheads. Doch ist dem theologischen Den­ ken hier eine Aufgabe gestellt, die eine Revision der traditionellen Gottes­ vorstellungen erfordert. Dieser Herausforderung kann sich die Theologie nicht entziehen, wenn sie in der geistigen Auseinandersetzung mit der mo­ dernen Kritik an der traditionellen Gotteslehre und mit dem Atheismus be­ stehen will und in ihren Aussagen über Gott nicht auf eine unverbindliche Bildersprache zurückfallen soll. Dabei wirft der Einzug der Relation in den Substanzbegriff für die Gottes­ lehre nicht nur Probleme auf, sondern eröffnet auch Chancen zur Lösung von bisher unlösbar scheinenden Schwierigkeiten. Dazu gehört die Frage nach dem Verhältnis der Trinität, die durch die wechselseitigen Relationen 66

Ebd. B 340 f. Vgl. G. Martin: Immanuel Kant, Köln 1951, 167.

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zwischen den Personen gekennzeichnet ist, zur Einheit des göttlichen We­ sens. Wenn der Begriff des Wesens als solcher schon relational bestimmt ist, läßt er sich enger mit den Beziehungen zwischen den drei Personen verknüp­ fen als das bisher möglich zu sein schien. Andererseits schließt die relationale Struktur des Wesensbegriffs aber auch die Beziehungen Gottes zur Welt ein. Diese Beziehungen sind schon trinitätstheologisch durch den Grundsatz der Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität in die Gotteslehre ein­ bezogen worden. Aber die Eigenart dieser Einheit der Weltbeziehungen des trinitarischen Gottes mit seinem ewigen Wesen blieb noch ungeklärt. Einen ersten Schritt auf ihre begriffliche Klärung hin vollzogen die Erwägungen über Gottes Wesen und Dasein, indem die trinitarischen Personen als die Gestalten des Daseins des göttlichen Wesens sowohl in der Welt als auch vor aller Welt bezeichnet wurden. Wie aber verhält sich ihr Dasein in der Welt zu ihrem Dasein vor und über der Welt? Auf diese Frage kann vielleicht der Begriff des göttlichen Handelns antworten, insofern das Handeln selber eine Weise des Seins des Handelnden ist, und zwar im Sinne eines Seins außerhalb seiner selbst, indem er durch sein Handeln nicht nur anderes hervorbringt, sondern dadurch auch zeigt und sogar selbst darüber entscheidet, wer er sel­ ber ist und was er vermag. Der Begriff des Handelns bedarf allerdings einer Klärung und Kritik, wenn er nicht nur als anthropomorphe Vorstellung im Reden von Gott Anwendung finden soll. Der Begriff des Handelns Gottes steht im Mittelpunkt des bedeutendsten Beitrags der neueren Theologie zur Lehre von den Eigenschaften Gottes, ei­ ner kleinen Schrift von Hermann Cremer aus dem Jahre 189767. Den Aus­ gangspunkt ihrer Argumentation bilden kritische Überlegungen zur altpro­ testantischen Gotteslehre, deren Problematik Cremer aber auch durch die neuere Theologie nicht überwunden sah: Die Aussagen über Eigenschaften Gottes werden in der theologischen Tradition zwar aus dem Zeugnis der Schrift legitimiert, tatsächlich aber auf die Funktionen Gottes als erster Ur­ sache der Welt begründet. Dagegen wollte Cremer ernst damit machen, daß nur aus der geschichtlichen Offenbarung Gottes Aufschluß darüber zu ge­ winnen ist, „wer Gott ist und was für ein Gott er ist“ (16). Das heißt aber: „wir kennen Gott nur durch sein Handeln für uns und an uns“ (9). Weil Handeln als „zweckvolle Selbstbethätigung“ zu verstehen ist, bekundet es „Eigenschaften seines Willens und Vermögens“, die zugleich „auch Eigen­ schaften seines Wesens“ sind (16 f.). „Der Gott, der handelt, der Zwecke setzt und verwirklicht, kann ebensowenig eigenschaftslos sein wie sein Han­ deln“ (16). So bedeutsam die Einführung dieses Gesichtspunkts durch Cremer ist, so sehr vermißt man bei ihm eine genauere Begründung dafür, weshalb die 67 H. Cremer: Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes, Gütersloh 1897. Die fol­ genden Seitenverweise im Text beziehen sich auf dieses Werk.

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Zweckbeziehung des Handelns68 zur Folge hat, daß sich in ihm im Unter­ schied zur bloßen Ursachbeziehung Eigenschaften ausdrücken, die dem Handelnden zuzurechnen sind. Dieser Mangel kann jedoch ausgeglichen werden. Cremers Behauptung läßt sich als berechtigt erweisen, weil durch die Wahl des Zweckes der Wählende sich selbst mit dem gewählten Zweck identifiziert, indem er ihn als „seinen“ Zweck bejaht. Vorausgesetzt ist da­ bei, daß die Identität des Wählenden selber noch unabgeschlossen, auf Zu­ kunft bezogen und durch den Vorgriff auf Zukunft – also auf „Zwecke“ – konstituiert ist, obwohl ihre Bestimmung durch den jeweils gewählten Zweck nur partiell erfüllt sein mag. Ob diese Voraussetzung sich ohne wei­ teres auf Gott übertragen läßt, wird allerdings noch zu prüfen sein. Jeden­ falls aber ist richtig, daß die Wahl eines Zweckes in einer Beziehung zur Identität des Wählenden steht, der auf den gewählten Zweck hin handelt, so daß er durch die Wahl seiner Zwecke und durch ihre Realisierung in seinem Wesen gekennzeichnet ist, durch sein Handeln also Eigenschaften seines Wesens bekundet. Auch der Gegensatz der Neubegründung der Lehre von göttlichen Eigen­ schaften auf den Begriff des Handelns zur traditionellen Begründung der Aussagen über Eigenschaften Gottes auf die Beziehung der geschöpflichen Wirkungen zu ihrer göttlichen Ursache ist von Cremer mehr angedeutet als im einzelnen aufgewiesen worden. Er besteht darin, daß die bloße Wirkur­ sächlichkeit nur im Falle naturnotwendiger Verursachung einen Rückschluß von der Wirkung auf die Ursache gestattet, weil die aus der Notwendigkeit ihrer Natur wirkende Ursache nur eine ihrer Natur gemäße Wirkung hervorbringen kann. Im Falle kontingent wirkender Ursachen hingegen, wie beim Schöpfungshandeln Gottes im Sinne seiner biblischen Auffassung, hät­ ten auch andere Wirkungen oder gar keine hervorgebracht werden können, so daß von den Wirkungen nicht ohne weiteres auf die Natur der Ursache zurückgeschlossen werden kann. Im Falle personhaften Handelns jedoch bekundet sich das Wesen des Subjekts in der Wahl des Zweckes und seiner Realisierung, so daß die Art des Handelns den Handelnden charakterisiert. Dennoch ist diese Begründung noch nicht ausreichend: Der Handelnde könnte durch sein Handeln vielleicht nur eine Seite seines Wesens bekunden, die wenig spezifisch ist. Das hängt damit zusammen, daß der gewählte 68 Zur konstitutiven Bedeutung der Zweckbeziehung für den Begriff des Handelns im Un­ terschied zum bloßen Verhalten, zum Sichverhalten und Tätigsein ohne Handlungsintention vgl. Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 353 ff., neuerdings auch Chr. Schwöbel: Die Rede vom Handeln Gottes im christlichen Glauben. Beiträge zu einem systema­ tisch-theologischen Rekonstruktionsversuch, in: Marburger Jahrbuch zur Theologie I, hrsg. W. Härle und R. Preul, Marburg 1987, 56–81, bes. 71 ff., sowie R. Preul: Problemskizze zur Rede vom Handeln Gottes, ebd. 3–11, bes. 6 (d). Zum Verhältnis von Intentionalität des Handelns und Zuschreibung von Eigenschaften an den Handelnden vgl. bes. T. F. Tracy: God, Action, and Embodiment, Grand Rapids 1984, 21–44, vgl. 19.

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Zweck ein mehr oder weniger beliebig austauschbarer sein könnte, so daß er für die Person des Handelnden nicht charakteristisch wäre. In diesem Fall ließen sich auch aus ihrem Handeln nicht ohne weiteres Eigenschaften able­ sen, die die handelnde Person in ihrem Wesen kennzeichnen. Auch Cremer scheint sich dieser Schwierigkeit bewußt gewesen zu sein. Daher hat er für seinen Satz, daß die Eigenschaften des göttlichen Handelns Wesensei­ genschaften seien, noch eine zweite, überzeugendere Begründung entwickelt neben der Berufung auf die formale Struktur des Handelns: Diese zweite Be­ gründung stützt sich auf den zentralen Inhalt des göttlichen Handelns, wie er im Neuen Testament bezeugt wird, auf die in Jesus Christus offenbare Liebe Gottes. Von Gottes Liebe zu sprechen besagt, daß Gott „ganz darin aufgeht, für uns und in Gemeinschaft mit uns sein zu wollen und zu sein“ (18). In der Liebe Gottes als Inbegriff seines Wesens sieht Cremer es nun begründet, daß Gottes Verhalten zu uns tatsächlich sein Wesen erkennen läßt, so daß die Ei­ genschaften seines liebenden Handelns wirklich Wesenseigenschaften sind (18 f.). Ist Gottes Liebe der Inbegriff seines Wesens, so folgt daraus, daß alle Eigenschaften Gottes in der Offenbarung seiner Liebe mit offenbar sind, weil er nämlich darin ganz und gar für uns da ist, nichts für sich zurückbe­ hält: „Ist er aber alles, was er ist, für uns in seiner Offenbarung, in seinem Verhalten, so eignen ihm auch überhaupt keine andern… Eigenschaften, als die wir in seiner Offenbarung erkennen, zumal sein Wesen als Liebe es mit sich bringt, daß er in jeder, durch das Verhältnis zu uns gesetzten Beziehung und also in jeder Eigenschaft sein ganzes Wesen bethätigt, oder daß in jeder Eigenschaft alle andern mitgesetzt sind“ (19). Karl Barth hat an dieser Argumentation Cremers beanstandet, daß sie der Freiheit Gottes in seiner Liebe zu wenig Rechnung trage, das Sein Gottes allzu ausschließ­ lich in seinem Verhalten zu uns suche (KD II/1,317). Daher hat Barth die Span­ nung zwischen Freiheit und Liebe zum Grundgedanken seiner Lehre von Gottes Wesen und Eigenschaften gemacht, nicht den Gedanken der Liebe allein. Doch Cremer hat mit Recht die Freiheit als eine Bedingung der göttlichen Liebe selber dargestellt (a. a. O. 24 ff.). Liebe, die sich nicht als freie Zuwendung vollzieht, kann gar nicht im vollen Sinne des Wortes Liebe heißen.

Die Ausführungen Cremers über die Liebe Gottes als Grund dafür, daß er durch sein Handeln Eigenschaften seines Wesens zu erkennen gibt, setzen die Anwendbarkeit des Handlungsbegriffs auf Gott schon voraus. Diese Voraussetzung ist jedoch nicht so selbstverständlich, wie Cremer es unter­ stellt hat. Zunächst steht sie in Spannung zur trinitätstheologischen Entfal­ tung des Satzes, daß Gott Liebe ist. Der Handlungsbegriff scheint anstelle der Dreiheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist die Vorstellung eines ein­ zigen göttlichen Subjekts zu implizieren. Sodann scheint die Vorstellung von Zwecken, die ein Subjekt sich setzt, um sie zu realisieren, eine Differenz zwischen dem Zeitpunkt der Wahl des Zweckes und dem Zeitpunkt seiner

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Realisierung zu erfordern, die nicht leicht mit der Ewigkeit Gottes, dem alle Zeiten gegenwärtig sind, zu vereinen ist. So stellt sich die Vorstellung eines Zwecke setzenden und realisierenden Gottes bei Cremer als reichlich an­ thropomorph dar. Sie steht überdies der scholastischen und der altprotestan­ tischen Gotteslehre näher, als man angesichts der Kritik Cremers an deren Verfahren erwarten sollte: Die Vorstellung eines zweckhaft handelnden Gottes setzt schon voraus, daß Gott Intellekt und Willen besitzt und Vor­ stellungen seines Intellekts zu Zwecken seines Handelns macht, in ähnlicher Weise wie das von menschlichen Personen gilt. Ist diese Voraussetzung halt­ bar? Und was wird aus dem Handlungsbegriff in Beziehung auf Gott, wenn das nicht der Fall sein sollte?

4. Gottes Geistigkeit, sein Wissen und Wollen Es ist eine verbreitete und fast selbstverständlich gewordene Vorstellung, daß Gott – wenn überhaupt mit seiner Wirklichkeit zu rechnen ist – ein selbstbewußt handelndes und in diesem Sinne „persönliches“ Wesen ist69. Sicherlich ist er dabei als erhaben über die Schranken unseres menschlichen Daseins als vernünftige Wesen zu denken, aber eben doch – mit der in der altprotestantischen Dogmatik üblichen descriptio Dei – als essentia spiritualis infinita, wobei essentia spiritualis als allgemeine Kennzeichnung (conceptus communis) zu verstehen ist, die Gott mit den geistigen Wesen unter den Ge­ schöpfen verbindet, während er durch die Unendlichkeit von ihnen un­ terschieden ist70. Nach der Kritik am anthropomorphen Charakter dieser Vorstellung durch Spinoza und Hume, Fichte und Feuerbach71 möchten heutige Theologen gern dem Vergleich mit der Geistigkeit des Menschen als seiner selbst und der Welt bewußten Wesens aus dem Wege gehen. Doch ist das Problem noch nicht mit der Versicherung gelöst, die Rede vom persönli­ chen Gott wolle nicht sagen, Gott „gehöre zur Gattung der Personwesen“72. Genau das besagt nämlich die altprotestantische wie auch zuvor die mittelal­ terlich-scholastische Beschreibung Gottes als essentia spiritualis, und das liegt auch ganz unvermeidlich in der Logik einer solchen allgemeinen Kenn­ zeichnung. Zwar läßt sich ohne inneren Widerspruch behaupten, daß Gott 69 Siehe etwa Fr. Mildenberger: Gotteslehre. Eine dogmatische Untersuchung, Tübingen 1975, 148–151, aber auch K. Barth KD II/l, 611–621. 70 A. Calov: Systema Locorum Theologicorum t. 2: De Cognitione, Nominibus, Natura et Attributis Dei, Wittenberg 1655 c. III, 176 ff. 71 Dazu s. u. bei Anm. 92–97. 72 So W. Joest: Die Wirklichkeit Gottes (Dogmatik Bd. 1, Göttingen 1984): „… wer den Satz vertritt ‚Gott ist Person‘, will damit nicht sagen, Gott sei ‚eine Person‘, er gehöre zur Gattung der Personwesen“(156).

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der Sache nach keinem Gattungsbegriff eingeordnet ist73. Aber man muß dann zugleich zugeben, daß wir von Gott nur in allgemeinen Kennzeichnun­ gen sprechen können, indem wir sie mit unterscheidenden Qualifikationen (wie „unendlich“) verbinden. Dabei ist es offenbar nicht gleichgültig, welche allgemeinen Kennzeichnungen gewählt werden, und ob die Kennzeichnung des göttlichen Wesens als essentia spiritualis, also als geistiges Wesen, sachge­ mäß ist und wenn ja, in welchem Sinne: das ist die Frage, die der Theologie hier gestellt ist. Man sollte ihr nicht ausweichen durch Verweigerung der Re­ flexion auf die Implikationen der Sprache, die Theologie und religiöse Rede benutzen. Die altprotestantische Gotteslehre hatte zumindest den Vorzug, daß die Theologie sich mit großer Energie um gedankliche Rechenschaft darüber bemühte, statt sich auf vage Ausflüchte zurückzuziehen. Ob die Rede vom persönlichen Gott in ihrem vorstellungsmäßigen Gehalt an die Vorstellung eines durch Bewußtsein und Selbstbewußtsein bestimm­ ten „geistigen“ Wesens als Prinzip göttlichen Wollens und Handelns gebun­ den ist, mag hier vorerst offenbleiben: Es ist immerhin denkbar, daß die Vor­ stellung vom göttlichen Willen einen eigenen Ursprung hat und erst sekun­ där mit dem Gedanken einer höchsten Vernunft verbunden sein könnte. Im traditionellen christlichen Gottesverständnis ist dagegen die letztere Vor­ stellung grundlegend gewesen. Ihr soll hier zuerst nachgegangen werden. In den Anfängen der christlichen Theologie war es noch nicht selbstver­ ständlich, den Gott der Bibel als unkörperliche, höchste Vernunft zu den­ ken. Gewiß war durch Paulus (1.Kor 2,11; 2.Kor 3,17) und vor allem durch Johannes (4,24) bezeugt, daß Gott Pneuma ist, aber damit verband sich noch nicht ohne weiteres die im mittleren Platonismus geläufige und bereits von Philo übernommene Auffassung Gottes als Nus. Bei Philo war für die Über­ nahme dieser Vorstellung die biblische Betonung der Unvergleichlichkeit Gottes mit den geschaffenen Dingen maßgeblich, wie sie in Num 23,19 aus­ gesprochen ist: Gott ist nicht ein Mensch74. Wenn man die Andersartigkeit Gottes als Unkörperlichkeit verstand, so ergab sich daraus leicht eine Nähe zur platonischen Auffassung der Geistigkeit Gottes als Nus. Doch erst Ori­ genes hat diese Auffassung in der christlichen Theologie endgültig durch­ gesetzt. Das ganze erste Kapitel seines Werkes De principiis handelt von die­ sem Thema.

73

Deus non est in genere: Thomas von Aquin S. theol. I,3, 5 und c. Gentes I,25. Belege bei H. H. Wolfson: Philo II, 94 ff. Zur Rezeption des Gedankens in der christlichen Apologetik und bei Irenaios vgl. Grundfragen systematischer Theologie I, 1967, 318 ff., für spä­ tere Autoren Chr. Stead: Divine Substance, Oxford 1977,168 ff. 74

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Gegen die bei Tertullian und andern frühchristlichen Theologen begegnende stoi­ sche Auffassung des göttlichen Pneuma als eines feinsten, für uns unsichtbaren Stoffes75 hat Origenes geltend gemacht, daß Gott dann an einen Ort gebunden und ausgedehnt sein sowie eine Gestalt besitzen müßte. In Wahrheit aber sei Gott weder ein Körper noch an einen Körper gebunden, sondern eine in sich ungeteilte geistige Natur (intellectualis natura simplex… et tota mens). Als Vernunft (mens) sei Gott an keinen Ort gebunden, habe weder Ausdehnung noch Teile oder Ge­ stalt. In diesem Sinne sei auch die johanneische Aussage, daß Gott Pneuma ist (Joh 4,24), auszulegen76. Origenes meinte, daß die Unkörperlichkeit Gottes auf das engste mit seiner ungeteilten Einfachheit, einer Implikation der Erstursächlichkeit, verbunden ist und zu seiner Erhabenheit über die materielle Welt gehört, daß aber andererseits seine Geistigkeit eine Nähe unseres Geistes zu Gott einschließt, die diejenigen nicht gelten lassen wollen, die die Geistigkeit Gottes nicht als Vernunft auffassen77. An dieser Stelle wird erkennbar, daß auch die Gegner, gegen die Ori­ genes sich wendete, die Verschiedenheit Gottes von allem Geschöpflichen beton­ ten, dabei aber eben auch seine Verschiedenheit von der menschlichen Vernunft im Blick hatten. Hier liegt die Achillesferse der Argumentation des Origenes: Sie hatte zur Folge, daß alle biblischen Aussagen von Gott, die ihm körperliche Züge zuschreiben, als bloß metaphorisch behandelt wurden, während diejenigen, die sich als Ausdruck seiner vernünftigen Wesensart deuten ließen, als das göttliche Wesen wörtlich (proprie) bezeichnend galten, obwohl sie Gott nur im Modus un­ geteilter Einheit zukommen können78. Wird damit die auch die Vernunftnatur des Menschen übersteigende Erhabenheit Gottes nicht unterschätzt?

Die Auffassung des göttlichen Geistes (Pneuma) als Vernunft (mens) hatte ih­ re Stärke in der Diskussionslage der Spätantike vor allem darin, daß die einzi­ ge Alternative zu ihr die Vorstellung Gottes als einer irgendwie körperlichen Realität zu sein schien. Die damit verbundenen absurden Konsequenzen ei­ ner Teilbarkeit, Zusammengesetztheit, Ausgedehntheit und Ortsge­ bundenheit Gottes schlossen noch für das lateinische Mittelalter79 und den Altprotestantismus diese Alternative aus. Die exegetische Problematik der Identifikation des biblischen Geistbegriffs mit der Vorstellung einer körper­ losen Vernunft ist zwar von der sozinianischen Theologie wieder bemerkt worden, konnte aber noch von Abraham Calov als „krasser Irrtum“ zur Seite geschoben werden, der keiner ausführlichen Widerlegung bedürfe80 wegen 75 Tert. adv. Prax. 7; zur Verbreitung dieser Auffassung siehe A. v. Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte I, 5. Aufl. Tübingen 1931, 574 Anm. 6; ferner Stead a. a. O. 175 ff., 178 ff. 76 Origenes De Princ. I,1, 3 f. und 6. 77 Ib. I,1, 5 und 7: et nolunt hoc intelligi, quod propinquitas quaedam sit menti ad Deum, cui­ us ipsa mens intellectualis imago sit, et per hoc possit aliquid de deitatis sentire natura, maxime si expurgatior ac segregatior sit a materia corporali. 78 Für die spätere, klassische Form dieser Auffassung siehe Thomas von Aquin S. theol. I,13,3. Zur Heraushebung der Vernunft (Logos oder ratio) Gottes bei dem Areopagiten siehe auch De div. Nom. VII,4 (MPG 3, 887). 79 Exemplarisch dafür sind die Ausführungen von Thomas von Aquin S. theol. I,3,1: Utrum Deus sit corpus, sowie vor allem c. Gentes I,20. 80 Abr. Calov: Systema Locorum Theologicorum t. 2: De Cognitione Nominibus, Natura et

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der Absurditäten, die mit der Vorstellung vom Geist als einem materiellen Element verbunden sind. Tatsächlich aber hatte Calovs Gegner, Johann Crellius, in dieser Frage die bessere Schriftauslegung auf seiner Seite. Der biblische Geistbegriff (ruah) bedeutet nämlich nicht Vernunft oder Bewußtsein. Vielmehr wird das ver­ nünftige Denken und Urteilen im „Herzen“ (leb) lokalisiert81. Ruah hinge­ gen wird wie eine geheimnisvoll unsichtbare Naturkraft beschrieben, die sich besonders im Wehen des Windes bekundet82. Dieser Anschauungs­ hintergrund kommt noch im Johannesevangelium zum Ausdruck, wenn es vom Pneuma heißt: Der Geist weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht (Joh 3,8). Diese für den Menschen unberechenbare Kraft gilt im Alten Testament als Ursprung allen Lebens (Ps 104,29; Hiob 34,14 f.). Das wird anschaulich im Atem, der den Menschen belebt (Gen 2,7) und der mit dem letzten Atemzug des Men­ schen zu Gott zurückkehrt, der ihn gegeben hat (Koh 12,7). „Jahwes Atem ist schöpferische Lebenskraft.“83 Von der Anschauung ihres belebenden Wirkens her, in der ganzen Schöpfung und besonders im Menschen, sind auch die ekstatischen Erscheinungen zu verstehen, die mit dem Wirken der ruah verbunden sein können. Dieses Wirken entspricht „nur selten… dem, was wir ‚Geist‘ nennen“84, nämlich dem denkenden Bewußtsein. Auch Stel­ len, wo eine solche Bedeutung des Wortes erwogen werden kann (wie Jes 19,3; 29,24) lassen sich ungezwungener im Sinne von Stimmungen oder Gemütsbewegungen verstehen. Dagegen gehören zu den Gaben und Wir­ kungen des Geistes durchaus auch Verstand und Einsicht (Jes 11,2)85. Von dieser jüdischen Geistvorstellung her sind auch die neutestamentli­ chen Aussagen über den Geist Gottes und sein Wirken zu verstehen86. Das braucht hier noch nicht im einzelnen erörtert zu werden. Es genügt die Fest­ stellung, daß auch in den neutestamentlichen Zeugnissen die Vorstellung vom Geist als der von Gott ausgehenden Lebenskraft seine Funktionen für die Erkenntnis und namentlich auch für die Glaubenserkenntnis umgreift. Es ist also keineswegs überraschend, daß in der Welt des Hellenismus zu­ nächst die stoische Pneumalehre als dem biblischen Reden vom Geist Attributis Dei Wittenberg 1655 c. III q.4 (205 ff., 206) gegen Joh. Crellius: De Deo eiusque At­ tributis, Irenopoli (Amsterdam) 1656 (Bibliotheca Fratrum Polonorum IV) c.15 p. 37. 81 H. W. Wolff: Anthropologie des Alten Testaments, München 1973, 68 ff. und 78 ff. 82 Ebd. 57 ff. Vgl. auch C. Westermann: Theologie des AT, Göttingen 1978, 64 Exkurs. Zum Verhältnis von Geist und Prophetie auch bes. G. v. Rad: Theologie des Alten Testaments II, München 1960, 68 f. 83 Wolff 61, vgl. 58 ff. 84 Ebd. 67. 85 Siehe dazu auch E. Schweizer: Heiliger Geist, Stuttgart 1978, 32 f., bes. 33: „Aber nie ist einfach der Verstand gemeint, sondern der „Geist“, der die Erkenntnis Gottes oder doch des von Gott bestimmten Weges schenkt…“. Vgl. etwa Hiob 32,8. 86 Siehe dazu die Ausführungen von E. Schweizer a. a. O. 68–168 und 170 f.

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verwandt empfunden werden konnte. Ging sie doch zurück auf die auch mit dem griechischen Wort Pneuma verbundene Vorstellung vom Hauch oder Atem87. Diese Vorstellung trat in der griechischen Philosophie vielleicht schon bei Anaximenes auf in dem umstrittenen88 Fragment: „Wie unsere Seele, die Luft (aer) ist, uns beherrschend zusammenhält, so umfassen Hauch (pneuma) und Luft auch die ganze Weltordnung.“ Auch wenn es sich bei diesem Fragment um einen Niederschlag sehr viel späterer Auffassun­ gen, nämlich der Philosophie des Poseidonios handeln sollte89, bliebe es noch bedeutsam als Dokument der Berufung der mittleren Stoa auf die mile­ sische Naturphilosophie. Die Durchsetzung einer auf die vernünftige Seele und ihr Bewußtsein ver­ engten Auffassung vom Pneuma in der christlichen Theologie hängt mit dem Aufstieg der platonischen Schule im 3. Jahrhundert und mit der Option der christlichen Theologie für die transzendente Gottesvorstellung der Platoni­ ker gegenüber dem stoischen Pantheismus zusammen. Die Motivation dazu ist vom Gottesverständnis der biblischen Überlieferungen her durchaus nachvollziehbar, steht doch der biblische Gott als der Ewige der Vergänglichkeit alles Irdischen gegenüber (Ps 102,12 f.; 103,15 ff.; Ps 90,2 und 5 ff.; Jes 40,6–8). Dieser Gegensatz konnte auch als Gegensatz des göttlichen Lebensgeistes gegen das „Fleisch“ als Inbegriff der Vergänglichkeit ausge­ drückt werden (Jes 31,3). Das scheint der platonischen Entgegensetzung des göttlichen Nus und der Ewigkeit der Ideen gegen die Vergänglichkeit der sinnlichmateriellen Welt nahe genug zu kommen. Das Argument, daß Gott kein Körper ist, zog auch daraus seine Kraft. Und dennoch hat die Alternati­ ve, die Identifikation von Pneuma und Nus, die Theologie auf einen dem biblischen Gottesverständnis fremden Weg geführt, auf den Weg einer allzu anthropomorphen Gottesvorstellung. Dabei hätte sich die Theologie schon dadurch warnen lassen können, daß die platonische Philosophie selber sich im Denken Plotins genötigt sah, über den Nus als Gottesbegriff hinauszuge­ hen zum Gedanken des Einen, weil der Nus seinem Begriff nach bezogen ist auf das andere, das er erkennt, und darum nicht selbst die letzte Einheit sein kann90. Darin ist im Grunde schon die Kritik angelegt, die Fichte 1798 so­ wohl gegen die Vorstellung Gottes nach dem Modell des Bewußtseins oder Selbstbewußtseins als auch gegen die Anwendung der Begriffe Substanz und Existenz auf Gott richten sollte: Die Zweiheit von Nus und Noeton, die sich 87 Siehe dazu die Bemerkungen von L. Oeing-Hanhoff im Hist. Wörterbuch der Philosophie 3, 1974, 155 zum Stichwort „Geist“. Vgl. auch die Ausführungen von G. Verbeke ebd. 157–162. 88 Zur Auseinandersetzung um die Echtheit dieses Fragments (B 2) siehe J. Kerschensteiner: Kosmos. Quellenkritische Untersuchungen zu den Vorsokratikern, München 1962, 66–83. Für die Echtheit sind neben W. Kranz vor allem W. Jaeger und R. Mondolfo eingetreten. Kerschen­ steiner selbst schließt sich der Bestreitung der Echtheit durch K. Reinhardt an. 89 So K. Reinhardt: Kosmos und Sympathie, München 1926, 209–213. 90 Plotin Enn. VI,9,2; vgl. III,8,9 sowie V,l, 4.

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beide gegenseitig begrenzen, muß überstiegen werden, wenn die höchste, un­ endliche Einheit gedacht werden soll. Tatsächlich scheinen auch christliche Theologen wie der Areopagit und unter seinem Einfluß stehende Denker wie im Westen Johannes Eriugena die Gefahren einer allzu anthropomor­ phen Gottesvorstellung gespürt zu haben, die mit der Beschreibung des gött­ lichen Wesens als Nus verbunden waren. Es ist wohl nicht so sehr den psy­ chologischen Trinitätsanalogien Augustins, deren beschränkte Aussagekraft der große Kirchenlehrer immerhin ausdrücklich hervorgehoben hat, als viel­ mehr ihrem Gebrauch durch Anselm von Canterbury und vor allem dem Einfluß der aristotelischen Metaphysik in der Hochscholastik zuzuschrei­ ben, daß die Auffassung Gottes als höchste Vernunft sich schließlich doch behaupten konnte. Sie wurde in der Hochscholastik ergänzt durch die Vor­ stellung des göttlichen Willens, weil allein durch den Willen Gott als freie Wirkursache der Welt gedacht werden konnte, wie es der biblische Schöp­ fungsglaube forderte91. Doch die Untersuchungen der Hochscholastik über das Zusammenwirken von Intellekt und Willen in Gott haben trotz aller Ver­ suche zur Entschränkung dieser Vorstellungen die anthropomorphen Züge der Gottesvorstellung noch verstärkt. Die christliche Gottesvorstellung wurde dadurch in hohem Maße anfällig für Kritik. Bereits Spinoza hat sich gegen die Unterscheidung von Wille und Intel­ lekt Gottes gewendet. Nach seinem Urteil ist die göttliche Substanz frei zu nennen, weil sie allein aus der Notwendigkeit ihrer eigenen Natur existiert und handelt, nicht aber deshalb, weil Gott von den Möglichkeiten, die ihm sein Intellekt zeigt, einige durch seinen Willen auswählt und verwirklicht. Wolle man Gott Intellekt und Willen zuschreiben, so müßten sie von den unseren so völlig verschieden sein, daß sie nichts außer dem Namen gemein­ sam hätten; denn während unser Intellekt das Dasein der Dinge, die er er­ faßt, schon voraussetzt, müßte Gottes Intellekt als Ursache der Dinge ge­ dacht werden92. Gott dürfe auch nicht als nach Zwecken strebend vorge­ stellt werden; denn darin läge, daß Gott wie wir dasjenige entbehren würde,

91 Siehe dazu meinen Artikel: Die Gottesidee des hohen Mittelalters in: A. Schaefer (Hg.): Der Gottesgedanke im Abendland, Stuttgart 1964, 21–34, bes. 25 ff. zu Wilhelm von Auvergne: De universo I,1,27 (Opera Omnia, Orléans 1674, I, 623b-624a). 92 Baruch de Spinoza: Ethica Ordine Geometrico demonstrata (1677) I prop. 17 corr. 2 und Scholium: …si ad aeternam Dei essentiam, intellectus scilicet, et voluntas pertinent, aliud sane per utrumque hoc attributum intelligendum est, quam hoc vulgo volent homines… toto coelo differe deberent, nec in ulla re, praeterquam in nomine, convenire possent… Quod sic demon­ strabo. Si intellectus ad divinam naturam pertinet, non poterit, uti noster intellectus, posterior (ut plerisque placet), vel simul natura esse cum rehus intellectis, quandoquidem Deus omnibus rebus prior est causalitate (Hg. C. Gebhardt p. 62,31–63,7). Zu Spinozas Verhältnis zu Moses ben Mai­ mons Ablehnung einer Unterscheidung zwischen Wille und Intellekt bei Gott vgl. Leo Strauss: Die Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelkritik (1930) Neudruck Darmstadt 1981,134 f.

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wonach er strebt93. Darum kann nach Spinoza nur metaphorisch von Gottes Intellekt und Willen gesprochen werden, in derselben Weise wie Phäno­ mene der materiellen Natur, z. B. Bewegung oder Ruhe, von Gott nur metaphorisch ausgesagt werden dürfen94. Über diese Kritik ist David Hume hundert Jahre später noch hinausgegan­ gen. Hatte Spinoza von der göttlichen Ursächlichkeit her argumentiert, so entwickelte Hume, nachdem er im zweiten Teil seiner Dialoge über die na­ türliche Religion den Gottesbeweis aus der Ordnung der Welt, der direkt auf die Annahme einer höchsten, für diese Ordnung verantwortlichen Ver­ nunft führt, entkräftet hatte, seine Einwände gegen die Vorstellung einer göttlichen Vernunft vom Gedanken der Ewigkeit Gottes her. Das Denken unserer Vernunft ist schwankend, ungewiß, fließend im Nacheinander der Gedanken und aus ihnen zusammengesetzt; eliminiert man aber diese Züge, so verschwindet das Wesen unseres Denkens selbst95. Ein denkendes Be­ wußtsein, dessen Akte nicht unterschieden wären, dessen Gedanken nicht in einer Abfolge aufträten, wäre überhaupt keines: Das bestätigt in Humes Dialogen auch Cleanthes, der Verteidiger einer „anthropomorphen“ Auffas­ sung von der göttlichen Vernunft96. Fichte schließlich richtete seine Kritik an der Vorstellung eines persönli­ chen Gottes gegen die Annahme eines göttlichen Selbstbewußtseins, wie es nach den Ergebnissen der Vernunftkritik Kants als Voraussetzung einer Ein­ heit des Gegenstandsbewußtseins unerläßlich wäre: Da ein Selbstbe­ wußtsein immer schon ein anderes jenseits seiner selbst voraussetzt, von dem es sich unterscheidet, kann es „ohne Beschränkung und Endlichkeit schlechterdings nicht“ gedacht werden, so daß man Gott „durch die Beile­ gung dieses Prädikats zu einem Endlichen“ macht, zu einem Wesen nach Art des Menschen97. 93 So heißt es im Appendix zum ersten Teil des Werkes: Deinde baec doctrina Dei perfectio­ nem tollit: Nam si Deus propter finem agit, aliquid necessario appetit quod caret (C. Gebhardt 80,22 f.). 94 Ebd. I prop. 32 corr. 2 (Gebhardt 73,4 ff.). 95 D. Hume: Dialogues Concerning Natural Religion, ed. H. D. Aiken (1948) London 1977: „Our thought is fluctuating, uncertain, fleeting, successive, and compounded; and were we to remove these circumstances, we absolutely annihilate its essence, and it would in such a case be an abuse of terms to apply to it the name of thought or reason“ (30, am Schluß des dritten Teils; vgl. zur Charakteristik des teleologischen Gottesbeweises als einzig diskutabler Rechtfertigung für die Annahme einer uns ähnlichen göttlichen Vernunft ebd. 17). 96 Ebd. Part 4: „A mind whose acts and sentiments and ideas are not distinct and successive, one that is wholly simple and totally immutable, is a mind who has no thought, no reason, no will, no sentiment, no love, no hatred; or, in a word, it is no mind at all. It is an abuse of terms to give it that appellation…“ (32). 97 J. G. Fichte: Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung (1798), zit. nach H. Lindau: Die Schriften zu J. G. Fichtes Atheismus-Streit, München 1912, 34 (S. 16 f. der Originalpublikation im Philosophischen Journal). Nur in Rücksicht dieser Schranken hat Fichte, wie er ein Jahr später in seiner „Gerichtlichen Verantwortungsschrift“ betonte, „das

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Solche Kritik an der Vorstellung eines absoluten Selbstbewußtseins ist von Hegel zurückgewiesen worden mit dem Argument, daß das Selbstbe­ wußtsein gerade im andern seiner selbst bei sich selbst ist98. Aber der Preis für diese Verteidigung der Vorstellung Gottes als Geist im Sinne einer höchsten Vernunft bestand darin, daß einerseits die Trinität und andererseits der Welt­ prozeß nun als notwendige Selbstentfaltung des göttlichen Geistes in seinem Sein beim andern seiner selbst gedacht wurden99. Das Modell der Identität mit sich selbst im andern seiner selbst mag allenfalls auf das Verhältnis der tri­ nitarischen Personen zueinander in der Gegenseitigkeit ihrer Beziehungen Anwendung finden, dann aber nicht im Sinne der Setzung der zweiten und dritten Person durch die erste im Akt ihrer Selbstentfaltung, sondern in dem Sinne, daß für jede der trinitarischen Personen die andern beiden Personen und die Beziehungen zu ihnen konstitutiv sind. In der Beziehung zur Welt hingegen handelt es sich in der Tat um die Setzung ihres Daseins und Soseins durch Gott, aber nicht um eine Selbstentfaltung Gottes als des die Welt schaf­ fenden Subjekts, sondern um die freie Hervorbringung einer von Gott ver­ schiedenen Welt von Geschöpfen aus dem Überfluß seiner Liebe im Zusam­ menwirken von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Das nächste Kapitel wird das genauer explizieren. Hier ist zunächst nur festzuhalten, daß die Struktur des Selbstbewußtseins, durch Vermittlung seines andern bei sich selbst zu sein, zwar in modifizierter Form für die Beziehungen zwischen den trinita­ rischen Personen gelten mag, nicht aber das Verhältnis des den drei Perso­ nen gemeinsamen göttlichen Wesens zur Welt angemessen zu beschreiben vermag100. Darüber hinaus ist noch zu bedenken, daß die Unterscheidung von Ich und Selbst in unserem Selbstbewußtsein Implikationen hat, die sich auch auf die Beziehungen zwischen den trinitarischen Personen nicht

Bewußtsein Gottes geleugnet“'(ebd. 227). Zu Fichtes Kritik an der Vorstellung eines persönli­ chen Gottes vgl. auch F. Wagner: Der Gedanke der Persönlichkeit Gottes bei Fichte und Flegel, Gütersloh 1971, 28–96, bes. 59 f. und 78, 92 ff. 98 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion III. Die absolute Religion, hg. G. Lasson (PhB 63), Hamburg 1929, 60 f. (MS) und 71 f. (Vorlesung 1824), sowie 81 (Vorle­ sung 1827), dazu F. Wagner a. a. O. 241 ff., 251 f. 99 Siehe dazu meine Ausführungen in: Die Bedeutung des Christentums in der Philosophie Hegels (Gottesgedanke und menschliche Freiheit, Göttingen 1972, 78–113) 98 ff. 100 Näheres zum Verhältnis von Hegels Geistbegriff zur christlichen Trinitätslehre in mei­ nem Beitrag: Der Geist und sein Anderes, in: Hegels Logik der Philosophie. Religion und Phi­ losophie in der Theorie des absoluten Geistes, hg. D. Henrich und R.-P. Horstmann Stuttgart 1984, 151–159. W. Jaeschke (Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religi­ onsphilosophie Hegels, Stuttgart 1986) hat zwar eine Kritik an Hegels Religionsphilosophie und Trinitätsinterpretation unter dem Gesichtspunkt mangelnder Übereinstimmung mit dem Sinn der christlichen Dogmen prinzipiell als unbeträchtlich eingestuft (302 f., 322 f.), aber ange­ sichts von Hegels Anspruch, eben diesen religiösen Inhalt auf den Begriff zu bringen, bleibt eine solche prinzipielle Immunisierung der Philosophie gegen theologische Kritik wohl problema­ tisch.

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übertragen lassen. Damit verbindet sich die Frage, ob ein Reden von Selbst­ bewußtsein ohne diese Implikationen noch sinnvoll ist. Es handelt sich darum, daß die Differenz zwischen Ich und Selbst im men­ schlichen Selbstbewußtsein Ausdruck der Tatsache ist, daß wir nicht schlechthin mit uns identisch sind. Wir sind noch auf dem Wege zu unserer Bestimmung, derer wir uns als konstitutiv für unser Selbst bewußt sind. Wir sind daher noch auf dem Wege zu unserer Identität, noch nicht in ihrem Be­ sitz, obwohl wir uns auf sie bezogen wissen, indem wir im Selbstbewußtsein unser Ich mit unserm Selbst identisch wissen trotz der Unterschiedenheit beider101. Für die Beziehungen der trinitarischen Personen zueinander muß jedoch unterstellt werden, daß sich bei ihnen die Unabgeschlossenheit der Selbstidentität, die unser menschliches Selbstbewußtsein in seiner End­ lichkeit charakterisiert, nicht findet. Obwohl die Identität jeder dieser drei Personen durch ihre Beziehungen zu den beiden anderen vermittelt ist, muß angenommen werden, daß in der ewigen Gemeinschaft der Trinität jede der drei Personen gerade durch diese Vermittlung, durch ihre Hingabe an die beiden andern, voll und ganz mit sich selber identisch ist. Das gehört zur Einheit und Vollkommenheit des göttlichen Lebens. Kann man dennoch bei den trinitarischen Personen von einem Selbstbewußtsein sprechen? Oder übersteigt die Form ihrer Selbstbeziehung die Bedingungen unseres Selbst­ bewußtseins so radikal, daß die Anwendung dieser Vorstellung auf das trini­ tarische Leben Gottes irreführend wird? Was die Kritik Humes angeht, die Kant zu dem Eingeständnis eines sym­ bolischen Anthropomorphismus in unserm Reden von Gott nötigte, so ist zu sagen, daß sie nur teilweise durchschlagend ist. Daß für unsere Vernunft das diskursive Denken und die nachträgliche Zusammenfassung der Einzel­ bestimmungen im Begriff charakteristisch sind, daran ist nicht zu zweifeln. Aber es gibt doch auch die Erfahrung der intuitiven Schau einer in sich viel­ fältigen Gestalt, schon im Bereich der Wahrnehmung und ebenso im Bereich des Denkens. Sie mag bei uns abhängig sein von der diskursiven Verarbei­ tung und Unterscheidung der Einzelheiten. Doch die Vorstellung eines in­ tuitus originarius, der das von uns in einem nie abschließbaren Prozeß der Erfahrung Unterschiedene und Verbundene unmittelbar als ganzes und in allen Einzelheiten schaut, bleibt möglich102. Schwieriger ist die Frage nach dem Subjekt eines solchen intuitus originarius zu beantworten, wenn die zu­ vor erörterte Problematik beachtet wird, die in der Vorstellung von einem göttlichen Selbstbewußtsein liegt. Ließe sich aber ein intuitus originarius 101 Siehe vom Vf.: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 185–235, bes. 194 ff., 214 ff., 233 ff. 102 Zur Vorstellung eines intuitus originarius vgl. I. Kant: Kritik der reinen Vernunft (1781) 2. Ausg. 1787 (B) 72, vgl. B 138 f. Dazu ist auch die verwandte Vorstellung eines intellectus ar­ chetypus zu vergleichen (B 723), sowie A. G. Baumgarten: Metaphysica (1779), 7.ed. Halle 1797, §§863–889.

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ohne Subjekt denken103? Es ist deutlich, daß auch an dieser Stelle die Bedin­ gungen jeder uns möglichen Vorstellung von Wissen überschritten werden, wenn wir den Gedanken eines göttlichen Wissens fassen wollen. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Kritik Spinozas an der Vorstellung ei­ nes göttlichen Intellekts. Wir können zwar die Vorstellung von einem schöpferischen Intellekt bilden, weil unsere eigene Vernunft in gewissem Sinne produktiv ist. Sie erzeugt nicht unmittelbar die Gegenstände der Welt, aber doch Gedanken, die in Verbindung mit Willen und Handeln zur pro­ duktiven Veränderung der natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt füh­ ren können. Doch dabei ist unsere Vernunft immer auf etwas ihr Vorgegebe­ nes angewiesen. Das produktive Denken entwickelt sich in der Auseinan­ dersetzung mit den Gegebenheiten der Erfahrung, und seine Umsetzung durch Handeln transformiert eine immer schon vorgefundene Welt. Die Vorstellung eines Denkens, das rein aus sich selber schöpferisch wäre, würde nicht nur die Differenz von Denken und Handeln aufheben, sondern müßte auch hinter die Erfahrungsgebundenheit unseres Denkens zurückgehen. Sie müßte sich als mit der Vorstellung eines intuitus originarius vereinbar aus­ weisen lassen und bliebe dann immer noch in der Aporie der Frage nach der Subjektabhängigkeit oder Subjektlosigkeit eines solchen intuitus hängen. Wer sich dieser Schwierigkeiten bewußt ist, wird dem Urteil Spinozas zu­ stimmen müssen, daß das Reden von einem göttlichen Intellekt im Prinzip ebenso metaphorisch ist wie etwa das Reden von Gott als dem „Fels“ unseres Heils (2.Sam 22,32; vgl. v. 2 u. ö.) oder als „Licht“ auf unserem Wege (Ps 119,105 vom Worte Gottes; vgl. Ps 27,1 u. ö.). Die Bemühungen der tradi­ tionsfreundlichen Richtung moderner analytischer Religionsphilosophie um den Nachweis der Möglichkeit einer unabhängig von der Bindung an einen Leib existierenden Vernunft104 berühren, wie immer man ihren Erfolg beur­ teilen mag, noch kaum die eigentlichen Schwierigkeiten in der Vorstellung einer göttlichen Vernunft. Diese liegen darin, daß sie so viele Änderungen des uns vertrauten Phänomens menschlicher Vernunft erfordert, daß die Vorstellung einer göttlichen Vernunft nur noch metaphorische Signifikanz haben kann. Das heißt allerdings nicht, daß es sich dabei um eine nichtssa­ gende oder beliebig austauschbare Vorstellung handelt105. Die Aussageinten­ 103 Obwohl nach Kant das begleitende Selbstbewußtsein Bedingung der Einheit des Gegen­ standsbewußtsein ist (Kritik r. Vern. B 131 ff.) gibt es doch zweifellos ein Gegenstandsbewußt­ sein bereits ohne Selbstbewußtsein: Siehe dazu D. R. Griffin: The Question of Animal Aware­ ness, New York 1976. Erst das menschliche Bewußtsein ist darüber hinaus mit Selbstbewußt­ sein verbunden, vgl. J. C. Eccles: Animal Consciousness and Human Self-consciousness, in: Ex­ perientia 38,1982, 1384–1391, bes. 1386 f. Auch in der Entwicklung des Menschen aber gibt es bereits Gegenstandsbewußtsein, bevor das Selbstbewußtsein auftritt. 104 R. Swinburne: The Coherence of Theism, Oxford 1977, 102–125 gegen T. Penelhum: Survival and Disembodied Existence, London 1970; vgl. dort bes. 59–78. 105 Mit der Logik metaphorischer Rede hat sich aus theologischer Sicht besonders E. Jüngel immer wieder befaßt, so in: Metaphorische Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Relevanz

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tionen metaphorischer Rede sind rekonstruierbar, oft allerdings nur im Hin­ blick auf die jeweilige Sprechsituation, von der sie stärker abhängig sind als normale Aussagesätze. Metaphorische Wendungen können jedoch auch wie­ derkehrende Bedeutungsschwerpunkte haben, wie etwa die in der Bibel so häufige Rede von Gott als Fels. Was meint die Vorstellung vom Wissen Gottes und der oft damit verbun­ dene Gedanke der Allwissenheit? „Der Herr weiß alle Dinge und sieht, zu welcher Zeit ein jegliches geschehen wird“ (Sir 42,18 f.). Auch das dem Men­ schen Verborgene steht Gott vor Augen. Das gilt nicht nur für die Zukunft, sondern auch für andere Dimensionen des uns Verborgenen, nicht zuletzt für das, was wir gern verborgen halten wollen (Prov 24,12). Die Unentrinn­ barkeit der Gegenwart Gottes hat klassischen Ausdruck im 139. Psalm ge­ funden: „Ich sitze oder stehe, du weißt es; du verstehst meine Gedanken von ferne“ (Ps 139,2). Nirgends kann sich verbergen, wer vor Gottes Gegenwart fliehen möchte. Zur Flucht besteht für sein Geschöpf allerdings auch eigent­ lich kein Anlaß (ebd. 13–16). Gottes Gegenwart, sein „Wissen“ um unsere Bedürfnisse (Mt 6,32), sein „Gedenken“ (Ps 98,3; Lk 1,54, vgl. 1,72) ist der Trost des Frommen. Die Rede vom „Wissen Gottes“ bedeutet also, daß nichts ihm entgeht in seiner ganzen Schöpfung. Alles ist ihm gegenwärtig und wird von ihm in sei­ ner Gegenwart festgehalten. Solches Gegenwärtighalten ist nicht notwen­ digerweise ein Wissen im Sinne unseres menschlichen Bewußtseins und Wis­ sens. Wohl aber läßt sich umgekehrt sagen, daß auch wir uns durch unser Wissen das Gewußte gegenwärtig sein lassen. Dabei werden sofort die engen Schranken deutlich, die solchem Gegenwärtighalten beim Menschen gesetzt sind. Es ist weitgehend gebunden an Gedächtnis und Erwartung, also eigent­ lich eher ein Ersatz für die wirkliche Gegenwart des Gewußten bei uns. Aber auch das der Wahrnehmung Gegenwärtige bleibt uns in seinem Wesen mehr oder weniger verborgen. Unsere Erfahrung von Bewußtsein und Wis­ sen vermag also nur eine schwache Andeutung davon zu geben, was gemeint ist, wenn vom „Wissen Gottes“ gesprochen wird. Wie aber steht es mit der Vorstellung vom göttlichen Willen? Gerade die Wechselbeziehung zwischen dem Willen und dem denkenden Bewußtsein, die die Gotteslehre der Hochscholastik so intensiv beschäftigt hat, dürfte unabtrennbar an die Schranken der Endlichkeit unseres geistigen Lebens ge­ bunden sein: Unser Wille nimmt zu Gegenständen und Sachverhalten Stel­ lung, die wir zuvor im Bewußtsein erfaßt haben, setzt also deren Wahr­ nehmung oder zumindest eine Vorstellung von ihnen voraus. Andererseits der Metapher als Beitrag zur Hermeneutik einer narrativen Theologie, in: P. Ricoeur/E. Jüngel: Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache, Ev. Theologie Sonderheft 1974, 71–122, sowie ders.: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, bes. 394–408. Allerdings wird man daran festhalten müssen, daß das Wort „Gott“ eine ihrer Natur nach unmetaphorische Bezeichnung ist. Zur Metapher wird dieses Wort erst da, wo es auf Götzen Anwendung findet.

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ist die Aufmerksamkeit, mit der sich unsere Wahrnehmung diesem oder je­ nem Gegenstand zuwendet, vom Willen beeinflußbar. Der Akt des Wollens setzt jedoch immer schon eine Vorstellung seines Gegenstandes und damit etwas ihm Vorgegebenes voraus. Wiewohl die Stellungnahme der Willens­ entscheidung dazu verschieden ausfallen kann, sind auch die Möglichkeiten solcher Stellungnahmen wiederum begrenzt, nicht nur durch den Gegen­ stand, sondern auch durch die Umstände der Situation, in der der Wille sich zu entscheiden hat. Im Sinne der Bindung an solche Vorgegebenheiten kann von einem Willen Gottes offenbar nicht gesprochen werden. Auch das Reden von „Zwecken“, die Gott durch sein Handeln verfolgt, muß in einem übertragenen und jedenfalls von der Erfahrung unseres Wol­ lens verschiedenen Sinne verstanden werden. Sie darf nicht analog dazu auf­ gefaßt werden, wenn Gott nicht als ein endliches Wesen vorgestellt werden soll: Der Begriff des Zweckes setzt voraus, daß eine Differenz besteht zwi­ schen dem Gegenstand des Wollens und seiner Realisierung. Der Abstand zwischen der Wahl des Zweckes und dessen Realisierung muß dadurch überbrückt werden, daß die Bedingungen dafür geschaffen, also die für seine Realisierung nötigen Mittel gewählt und eingesetzt werden. Darin zeigt sich wieder die Angewiesenheit unseres Wollens auf ihm vorgegebene Bedingun­ gen. Es vermag das Gewollte nicht unmittelbar zu realisieren. Wäre das der Fall, dann könnte auch der Unterschied zwischen Wollen und Vollbringen fortfallen. Doch was bleibt dann noch vom Begriff des Willens? In einem allgemeineren Sinne hat man den dunklen Drang zu Leben und Selbsterhaltung als Wille zum Leben oder Wille zur Macht bezeichnet. Auch dem Streben nach Selbsterhaltung und Selbsterweiterung jedoch liegt immer noch eine Bedürftigkeit zugrunde, ein Zustand des Mangels, der es nach Spi­ noza verbietet, die Vorstellung des Willens überhaupt auf Gott zu über­ tragen. Es gibt nun aber noch einen anderen Ausgangspunkt für die Vorstellung eines Willens, einen Ausgangspunkt, der nicht in der Selbsterfahrung des Menschen liegt und also auch nicht im Verhältnis des Wollens zum Gefühl eines Mangels einerseits, zur Vorstellung des erstrebten Zweckes anderer­ seits. Es handelt sich vielmehr um die Erfahrung von einer auf den Menschen machtvoll eindringenden Wirklichkeit, die durch solche gerichtete Dynamik „etwas von ihm will“ oder zu wollen scheint, auch wenn noch unbestimmt ist, was sie „will“. Das ist eine Erfahrung, die sich den Menschen in den verschiedensten Kulturen immer wieder aufgedrängt hat106. Vielleicht ist dar­ in sogar der Ursprung der Vorstellung eines Willens überhaupt zu su­ chen. Die Vorstellung eines Willens wäre dann erst sekundär auf die Selbster­ 106 Die klassische Beschreibung dieses Sachverhalts hat G. van der Leeuw gegeben: Phäno­ menologie der Religion, 2. Aufl. Tübingen 1956, §17: Macht und Wille gestaltet im Namen (155–170), sowie schon § 9: Wille und Gestalt (77–86).

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fahrung des Menschen bezogen worden, auf seinen Lebensdrang und seine sonstigen Antriebe. Darauf hätte dann schließlich die Vorstellung eines be­ wußten Wollens im Zusammenspiel von Erkenntnis und Entscheidung auf­ gebaut107. Wie dem auch sei: Die religiöse Erfahrung von einem auf den Menschen eindringenden „Willen“ einer ihm bekannten oder auch unbekannten Gott­ heit oder auch einer dämonischen Macht ist jedenfalls unabhängig von ir­ gendwelchen Vorstellungen über ein Zusammenwirken von Wille und Intel­ lekt auf seiten der Gottheit. Primär dürfte es sich vielmehr um die Erfahrung der Betroffenheit durch eine unbekannte Macht handeln, die erst Bestimmt­ heit gewinnt durch Zuschreibung solcher Erfahrungen an eine namentlich identifizierte Gottheit. Der göttliche Wille mag sich als „Wort“ dieser Gott­ heit artikulieren und dadurch an Bestimmtheit gewinnen. Aber auch damit ist noch keine Vorstellung eines Zusammenwirkens von Wille und Intellekt auf seiten der Gottheit gegeben. Viel eher handelt es sich um eine ihrem We­ sen nach unbekannte Dynamik, die auf den Menschen eindringt und deren Unheimlichkeit erst weicht, wenn sie sich ihm artikuliert: Man weiß dann wenigstens, woran man mit ihr ist. Im Alten Testament fehlt ein einheitlicher Begriff vom Willen Gottes. Statt dessen begegnen auf der einen Seite Vorstellungen göttlicher Befehle und Anordnungen, auf der anderen Seite verschiedene Bezeichnungen für das göttliche Wohlgefallen, die ihren Ursprung in der Annahme des Opfers durch Gott haben mögen (z. B. Lev 19,5; 22,19 u. ö.), dann aber auch zur Be­ zeichnung des göttlichen Willens ganz allgemein werden konnten (Ps 103,21; vgl. 40,9), so besonders im rabbinischen Judentum108. Von daher er­ schließt sich auch die Vorstellung vom göttlichen Willen in der Jesusüber­ lieferung (z. B. Mt 6,10; 7,21; 12,50; 21,31; 26,42 parr.), sowie bei Johannes (Joh 4,34; 5,30; 6,38 f.) und im übrigen Neuen Testament. Vom alttestament­ lichen Sprachgebrauch her besteht ein enger Zusammenhang mit der Vor­ stellung des göttlichen Wortes (vgl. den Parallelismus von Wort und Wille Ps 103,20), aber auch mit dem Gottesgeist, der im göttlichen Wohlgefallen seinen Ausdruck findet, aber auch dem zuteil wird, dem Gott sein Wohlge­ fallen zuwendet (Jes 42,1). Ein Zusammenhang von Wille und Geist Gottes ist im Sinne der biblischen Vorstellungen am ehesten als Konkretisierung der Dynamik des Gottesgei­ stes zu einer bestimmten Willensrichtung zu denken, wie auch das Wort als Artikulation des Geistes (ruah) aufzufassen ist (Ps 33,6). Dieser Geist ist, wie oben gezeigt, nicht als Vernunft (Nus), sondern als schöpferische, belebende 107 Lehrreich zu diesem Thema sind die Untersuchungen von A. Dihle: Die Vorstellung vom Willen in der Antike (1982) Göttingen 1985. Dihle zeigt, wie sich im griechischen Denken erst in der Auseinandersetzung mit der jüdischen und christlichen Religion eine genauere Vor­ stellung vom Willen ausgebildet hat. 108 Siehe die Nachweise von G. Schrenk im ThWBNT 3, Stuttgart 1938, 54 (zu θέλημα).

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Dynamik zu verstehen. Er ist das Kraftfeld der machtvollen Gegenwart Got­ tes (Ps 139,7). So erschließt sich von der Eigenart des biblischen Geist­ verständnisses her auch, was derselbe Psalm über das alles umfassende Wis­ sen Gottes sagt, das ja ebenfalls auf der Gegenwart Gottes bei seinen Ge­ schöpfen beruht. Es ist ein Zusammenhang sehr anderer Art, als ihn die tra­ ditionelle theologische Gotteslehre von der griechischen Vorstellung der Gottheit als Nus her entwickelt hat. Die bei Origenes vollzogene Entscheidung für die Interpretation der jo­ hanneischen Aussage „Gott ist Geist“ (Joh 4,24) im Sinne der platonischen (und aristotelischen) Vorstellung der Gottheit als Nus war darin begründet, daß die einzige zur Verfügung stehende Alternative eine Auffassung des Sat­ zes im Sinne der stoischen Pneumalehre zu sein schien. Das stoische Pneuma aber wurde als eine körperliche, wenn auch überaus feine und in verschiede­ nen Abstufungen den ganzen Kosmos durchdringende Realität vorge­ stellt109. Damit schienen, in platonisch-aristotelischer Sicht, aber im Hin­ blick auf den stoischen Pantheismus auch für die christliche Theologie so unannehmbare Konsequenzen verbunden zu sein, daß jede Deutung der bi­ blischen Aussagen über Gott als Geist im Sinne von Atem oder Wind auszu­ scheiden hatte trotz der offensichtlichen Nähe der entsprechenden stoischen Vorstellung zu vielen biblischen Aussagen über den Geist. Heute ist das Di­ lemma, vor dem sich die patristische Theologie in dieser Sache sah, nicht mehr gegeben. Die in der Nachfolge der stoischen Pneumalehre ent­ wickelten Feldtheorien der modernen Physik110 fassen Feldphänomene nicht mehr als körperhafte Größen auf, sondern als der Materie gegenüber autonom und nur durch ihre Beziehungen zum Raum bzw. zur Raumzeit definiert. Ob der Feldbegriff angesichts seines Ursprungs aus den antiken Pneumalehren auch zur Interpretation der Vorstellung Gottes als Geist herangezogen werden kann, hängt weitgehend von der Erörterung der Be­ ziehungen von Raum und Zeit zur Ewigkeit Gottes ab. Außerdem bedürfen Unterscheidung und Beziehung zu kosmischen Feldern, wie sie Gegenstand der Physik sind, einer Klärung, die erst im Zusammenhang der Schöpfungs­ lehre erfolgen kann. Jedenfalls aber läßt sich schon an dieser Stelle sagen, daß die biblischen Aussagen über den Geist Gottes der modernen, zuerst von Michael Faraday konzipierten Vorstellung eines universalen Kraftfeldes, im Verhältnis zu dem alle materiellen, korpuskularen Gebilde als sekundäre Manifestationen zu betrachten sind, sehr viel näher stehen als der klassischen Vorstellung von Gott als Nus. Von daher ergeben sich überraschende Möglichkeiten für eine Neufassung des Verhältnisses zwischen den trinitarischen Personen und dem ihnen allen 109

M. Pohlenz: Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, Göttingen 1959, I,73 f.,

II,42 f. 110 Zu deren Zusammenhang mit der stoischen Lehre vom Pneuma siehe M. Jammer in: Hist. Wörterbuch der Philosophie 2, 1972, 923–926 (Feld, Feldtheorie).

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gemeinsamen göttlichen Wesen. Die Autonomie des Feldes bedarf keiner Zuordnung zu einem Subjekt, wie das bei der Deutung des Geistes als Nus der Fall ist. Die als Feld gedachte Gottheit kann als in allen drei trinitarischen Personen gleichermaßen in Erscheinung tretend gedacht werden. Auch eine Anzahl menschlicher Personen kann durch einen gemeinsamen Geist zu ei­ ner Lebensgemeinschaft verbunden werden. Allerdings kann sich in einer menschlichen Lebensgemeinschaft jede einzelne Person dem Gemein­ schaftsgeist entziehen. Sie bleibt ihm gegenüber grundsätzlich selbständig, während die trinitarischen Personen gegenüber dem sie verbindenden Geist der Liebe keine Selbständigkeit haben, sondern nur Manifestationen und Gestalten – aber ewige Gestalten – des einen göttlichen Wesens sind. Darin ist der eine Gott der lebendige Gott, wie ihn die Bibel nennt111. Das ist nach dem bisher Gesagten alles andere als überraschend. Wenn der lebenschaffen­ de Geist die Gottheit Gottes, sein Wesen ist, wie sollte Gott dann nicht in sich selber lebendig sein? Die spezifisch christliche Auffassung davon, wie der eine Gott ein lebendiger Gott ist, findet nun aber ihren Ausdruck in der lebendigen Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Die Auffassung des göttlichen Lebens als dynamisches Feld gestattet es durchaus, den göttlichen Geist, der die drei Personen vereint, als vom Vater ausgehend und vom Sohn empfangen und zugleich als das beiden gemeinsa­ me und gerade so auch von beiden verschiedene Kraftfeld ihrer Gemein­ schaft zu denken. Es ist ein altes Problem der Trinitätslehre gewesen, daß der Begriff des Geistes einerseits (nach Joh 4,24) das allen drei Personen gemein­ same Wesen der Gottheit bezeichnet, andererseits aber die dritte trinitarische Person neben Vater und Sohn, die von beiden unterschieden ist und beiden gegenübertritt, indem sie den Sohn im Vater und den Vater im Sohn verherr­ licht. Ergeben sich aus der Auffassung des Geistes als Feld neue Gesichts­ punkte auch zum Verständnis dieses Sachverhalts? Als Feld aufgefaßt wäre der Geist jedenfalls unpersönlich. Der Geist als Person kann nur als konkrete Gestalt der einen Gottheit gedacht werden wie Vater und Sohn. Aber daß der Geist nicht nur das Vater und Sohn gemeinsame göttliche Leben ist, sondern auch als eigenes Aktzentrum beiden gegenübertritt, das würde dann ver­ ständlich, wenn beide – Vater und Sohn – nur im Gegenüber zur Person des Geistes ihre Gemeinschaft untereinander in der Einheit des göttlichen Le­ bens haben. Gerade dadurch, daß beiden – freilich in verschiedener Weise112 – das gemeinsame Wesen der Gottheit gegenübertritt in der Gestalt des Gei­ stes, sind sie miteinander durch die Einheit des Geistes verbunden. Wenn diese Verbundenheit auch den Geist als Person mit einschließen soll, ist vorauszusetzen, daß der personale Geist, indem er den Sohn in seiner Bezie­ 111

Belege bei L. Köhler: Theologie des Alten Testaments (1936), 2. Aufl. Tübingen 1948,

35 f. 112 Verschieden, weil der Geist vom Vater ausgeht, der Sohn aber ihn empfängt, und zwar auch dann, wenn der Geist durch ihn anderen mitgeteilt (gesandt) wird.

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hung zum Vater und den Vater durch den Sohn verherrlicht, zugleich auch sich selbst als dadurch mit beiden vereint „weiß“. Eine Selbstbeziehung ist in anderer Weise auch den Personen des Vaters und des Sohnes eigentümlich. Das wird im letzten Abschnitt dieses Kapitels noch zu erörtern sein. Schon hier aber mag die Bemerkung am Platze sein, daß die trinitarischen Personen in je unterschiedlicher Weise als Personen bestimmt sind. Das gilt auch für die Besonderheiten ihrer Selbstbeziehung, die jeweils durch die Beziehungen zu den andern beiden Personen vermittelt ist. Die Vorstellung vom Nus als Subjekt des göttlichen Handelns hat sich im Gange der kritischen Besinnung aufgelöst. Wenn aber das lebendige Wesen Gottes als Geist eher die Art eines Kraftfeldes hat als die eines Subjektes, wie läßt es sich dann noch rechtfertigen, vom Handeln Gottes zu reden, und wie sollen dann die Eigenschaften des einen Gottes an seinem Handeln ablesbar sein?

5. Der Begriff des göttlichen Handelns und die Struktur der Lehre von den Eigenschaften Gottes Der Begriff des Handelns erfordert ein handelndes Subjekt. Diese Funk­ tion aber kann nach den Ausführungen über das göttliche Wesen als Geist nicht unmittelbar dem Wesen Gottes zufallen. Das ewige Wesen Gottes ist nicht ein weiteres für sich bestehendes Subjekt neben den drei Personen, noch auch das eine, sie alle umgreifende Subjekt, so daß die drei Personen zu bloßen Momenten des Subjektseins Gottes herabgesetzt würden. So bleiben nur die trinitarischen Personen als unmittelbare Subjekte göttlichen Han­ delns. Soweit trotz der Schwierigkeit, dem ewigen Gott ein Zwecke setzen­ des und realisierendes Verhalten zuzuschreiben, dennoch von einem Han­ deln Gottes geredet werden kann, wird es zunächst ein Handeln der trinitari­ schen Personen sein, sei es in ihren Beziehungen zueinander, sei es im Ver­ hältnis zur Schöpfung. Im Hinblick auf das Außenverhältnis der Trinität zur geschöpflichen Welt haben nun die kappadokischen Väter des 4. Jahr­ hunderts gelehrt, daß die trinitarischen Personen hier gemeinsam handeln, und diese Gemeinsamkeit im Handeln nach außen galt ihnen neben der Peri­ chorese und der Einheit des Ursprungs vom Vater, die den Gedanken der Monarchie des Vaters genealogisch explizierte, als Ausdruck ihrer Einheit im göttlichen Wesen113. Diese Darlegungen konnten, wie Kap. 5,1 gezeigt hat, 113 Nach Gregor von Nyssa bezeichnet das Wort „Gott“ geradezu die eine Bewegung göttli­ chen Handelns, die vom Vater durch den Sohn und den Geist auf die Geschöpfe zukommt (Quod non sint tres dii, MPG 45,128 AC), entsprechend dem Bildwort Gregors von Nazianz, wonach Vater, Sohn und Geist einen einzigen Strahl (μία τοῦ φωτὸς σύγκρασις) bilden, der auf die Geschöpfe trifft (or. 31,14; MPG 36, 149 A). Vgl. dazu R. W. Jenson: The Triune Identi­ ty, Philadelphia 1982, 113 f. Gregor von Nyssa mußte allerdings den arianischen Gegnern zuge­

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die Anklage der Arianer (bzw. der Eunominianer), die jungnicänische Trini­ tätslehre bedeute Tritheismus, nicht völlig entkräften, weil sowohl die Peri­ chorese als auch das gemeinsame Handeln nach außen die Mehrheit der Per­ sonen schon voraussetzen und auch nicht über sie hinausführen, die Her­ kunft des Sohnes und des Geistes vom Vater aber zwar auf eine Mehrzahl von Hypostasen hinführt, jedoch wiederum nicht über sie hinaus, so daß da­ durch angesichts der kirchlichen Lehre von der gleichen Gottheit der drei Personen der Eindruck einer Dreiheit von Göttern eher begünstigt wird. Die inzwischen gewonnenen Einsichten in die Geistbestimmtheit des göttlichen Wesens und die Klärung des Verhältnisses aller drei Personen zum Leben des Geistes, das sie durch Vermittlung ihrer Beziehungen zueinander ver­ eint, erlauben es jedoch, die trinitarischen Personen ohne Herleitung aus ei­ nem von ihnen verschiedenen göttlichen Wesen dennoch als Lebenszentren der sie alle umfassenden und durchdringenden Bewegung des göttlichen Geistes zu verstehen, der nur in ihnen sein Dasein hat. Die Personen sind nicht zunächst in ihrer Besonderheit konstituiert – sei es auch durch Hervor­ gang aus dem Vater – um sich dann zur Gemeinschaft der Perichorese und zu gemeinsamem Handeln zu verbinden. Eine solche Vorstellung käme ei­ nem Tritheismus bedenklich nahe. Die trinitarischen Personen sind als die Daseinsweisen des einen göttlichen Lebens immer schon von seiner Dyna­ mik durchdrungen, und zwar durch ihre gegenseitigen Beziehungen zuein­ ander. Das wird noch deutlicher werden, wenn von der Eigenart des göttli­ chen Lebens als Liebe zu reden sein wird. Hier ist zunächst das Verhältnis des gemeinsamen Handelns der göttlichen Personen nach außen zu ihrer Lebenseinheit in der Einheit des göttlichen Wesens zu klären. Die Gemein­ samkeit des Handelns kann die Wesenseinheit weder begründen noch erset­ zen. Es kann sich aber in der Gemeinsamkeit des Handelns von Vater, Sohn und Heiligem Geist die Lebens- und Wesenseinheit manifestieren, durch die die drei Personen immer schon verbunden sind. Der Begriff des Handelns bezeichnet dabei zunächst die Wirksamkeit eines „Willens“, wie er im vorigen Abschnitt beschrieben wurde, nach außen, eine Wirksamkeit, die auch Wirkungen hervorbringt, die von ihr selbst verschieden sind. Im Handeln ist der Handelnde bei dem andern, auf den oder das hin er handelt. Daher verbindet der Gedanke des Handelns Gottes das Sein Gottes in ihm selber mit seinem Sein in der Welt, das inner­ trinitarische Leben Gottes mit der ökonomischen Trinität, der tätigen Ge­ genwart von Vater, Sohn und Geist bei ihren Geschöpfen in der Heils­ ökonomie. Dabei kann der Begriff des Handelns dazu dienen, die Relevanz der heilsökonomischen Tätigkeit Gottes für sein inneres Leben, für die ewi­ ge Selbstidentität seiner Gottheit, zu verdeutlichen. Denn indem der Han­ stehen, daß mit der Einheit des Wirkens noch nicht die Einheit der Substanz ausgesagt sei (MPG 45,128–130).

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delnde im Vollzug seines Handelns bei dem andern ist, das er hervorbringt, verhält er sich zugleich zu sich selbst. Er ist als der so Handelnde er selbst. Dieser Sachverhalt ist nun allerdings eng verknüpft mit der teleologischen Struktur des Handelns, deren Anwendung auf Gott als problematisch er­ schien114, teils wegen der Bedürftigkeit, die sie auf seiten des Handelnden vorauszusetzen scheint, teils wegen der zeitlichen Differenz zwischen Wahl und Realisierung des Zweckes, einer Differenz, die eben durch das Handeln überbrückt wird. Dazu ist inzwischen noch die weitere Schwierigkeit hinzu­ gekommen, daß der eine Gott nicht als von Vater, Sohn und Geist zu unter­ scheidendes Subjekt seines Handelns gedacht werden soll. Gerade dadurch aber wird es nun möglich, die mit der Zweckbeziehung des Handelns ver­ bundenen Schwierigkeiten der Vorstellung von einem göttlichen Handeln zu lösen und das göttliche Handeln als „Selbstverwirklichung“ Gottes in sei­ nem Verhältnis zur Schöpfung zu beschreiben. Das wiederum ist die Bedin­ gung dafür, daß aufgrund des göttlichen Handelns Eigenschaften von Gottes Wesen ausgesagt werden können. Wie es sich damit im einzelnen verhält, ist in den folgenden Ausführungen zu klären. Der Ausgangspunkt für die Vorstellung einer Zweckbezogenheit115 des göttlichen Handelns liegt nicht in der Vorstellung eines göttlichen Subjekts, sondern in der Erfahrung von Tatsachen der Natur und der Geschichte als Wirkungen göttlicher Macht. Darin ist zunächst die Vorstellung göttlicher Tätigkeit begründet, aber noch nicht die eines zweckgerichteten Handelns. Dieser letztere Gedanke wird erst nahegelegt durch die Zusammenhänge, die zwischen den einzelnen Wirkungen der göttlichen Tätigkeit in Natur und Geschichte wahrnehmbar sind. Im Bereich des natürlichen Geschehens fin­ det solche Wahrnehmung statt im Erstaunen über die dem forschenden Blick sich enthüllende Ordnung der geschöpflichen Wirklichkeit, durch die diese sich überhaupt erst als eine Welt, als Kosmos darstellt. Das ist die Wahrneh­ mung, die immer wieder Menschen auf den Gedanken an einen ordnenden Geist als Ursprung des Kosmos geführt hat. Die biblischen Zeugnisse haben sich dieser Wahrnehmung keineswegs verschlossen. So preist der Psalmbeter immer wieder den Gott, der alles so kunstvoll bereitet hat (Ps 139,14) und der die Ordnung begründete, die die Gestirne nicht übertreten (Ps 148,6). In ihr bekundet sich Gottes Weisheit (Ps 104,24). Darum unterstellen die Weisheit

114 Siehe oben 400 f., sowie die Ausführungen zur Kritik Spinozas an der Unterscheidung von Intellekt und Wille in Gott (407). Diese Struktur gilt schon für basic actions im Sinne von T. Penelhum (o. Anm. 104) 40 ff. 115 Man mag damit die Aussagen der alttestamentlichen Weisheitsliteratur über die Verbor­ genheit der göttlichen Weisheit für den Menschen vergleichen. Danach entzieht sich die Weis­ heit dem Verständnis der Menschen, obwohl sie so etwas wie den von Gott der Schöpfung ein­ gesenkten „Sinn“, ihr „göttliches Schöpfungsgeheimnis“ darstellt (G. v. Rad: Weisheit in Israel, Neukirchen 1970, 193 f., 194 ff.; vgl. auch das Kapitel „Grenzen der Weisheit“ ebd. 131–148).

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Salomonis (13,5) und der Apostel Paulus (Röm 1,20), daß aus den Werken der Schöpfung Gottes Wesen bekannt sei, obwohl die Menschen Gott fak­ tisch die ihm zukommende Ehre vorenthalten. Daß in der Ordnung der ge­ schöpflichen Wirklichkeit Beziehungen zwischen Mitteln und Zwecken er­ kennbar werden, findet seine Entsprechung im Gang der Geschichte: So hat der Prophet Jesaja von einem im Gang des Geschehens wirksamen „Plan“ Gottes gesprochen (Jes 5,19; vgl. 14,24 ff.). Dieser Plan Gottes wird aller­ dings erst dann vor aller Augen offenkundig sein, wenn sein „Werk“ (5,12) zur Vollendung gekommen sein wird. Bis dahin ist er den Menschen verbor­ gen, und die Rede davon wird mit Spott bedacht (5,19). Sogar das schon im Gange befindliche „Werk“ wird nicht beachtet (5,12)116. Ähnlich hat auch das Urchristentum die Erkenntnis des göttlichen Heilsplans, des göttlichen „Mysteriums“, das den Gegenstand der Haushalterschaft Gottes (οἰκονο­ μία) über den Gang der Geschichte bildet, erst von seiner Vollendung erwar­ tet, die in der Geschichte Jesu Christi schon angebrochen ist, aber erst durch das noch ausstehende eschatologische Endgeschehen zum Abschluß kom­ men wird. Das Endgeschehen wird sowohl den in der Geschichte han­ delnden Gott offenbaren als auch die Wahrheit über die Welt und die Men­ schen. Das entspricht dem hebräischen Wahrheitsbegriff117, demzufolge Wahrheit nicht im Gegensatz zur Zeit steht, nicht die zeitlose Selbstidentität der Dinge und die Übereinstimmung unserer Urteile mit ihr meint, sondern das, was sich im Prozeß des Geschehens an seinem Ende als das Wesen der Dinge heraussteilen wird. Daher gehört zum Endgeschehen auch das Ge­ richt über die Welt, das Offenbarwerden des wahren Charakters und Wertes der Dinge und Menschen. Die geschichtliche Logik des hebräischen Wahrheitsbegriffs steht nun in einer eigentümlichen Nähe zur Struktur des Handelns, wenn man zunächst einmal von der Frage nach dessen Subjekt absieht. Der Handlungsverlauf ist final strukturiert, vom Ziel oder Zweck des Handelns her bestimmt. Jedes einzelne Glied im Ablauf der Handlung empfängt seinen Sinn erst von ihrem intendierten Ergebnis her. Während allerdings im Gang der Geschichte die Ereignisse kontingent aufeinander folgen, ist im Handlungsentwurf vom Ziel her die Auswahl und Reihenfolge der Mittel festgelegt, und zwar so, daß die Schrittfolge ihrer Realisierung schließlich das angestrebte Ziel hervorbringen wird. Obwohl im Verhältnis zu jedem einzelnen Mittel für sich genommen das Handlungsziel ebenfalls als kontingent erscheinen mag, soll doch die Abfolge der eingesetzten Mittel den Zweck zuverlässig hervorbringen. Daher ist der Geschichtsverlauf als eine Abfolge kontingenter Ereignisse, die nur durch Erzählung wiedergegeben werden kann, von der Hand­ 116

S. o. Kap. 4,2, S. 231 ff. Siehe dazu ausführlicher meinen Artikel: Was ist Wahrheit? in: Grundfragen systemati­ scher Theologie I, Göttingen 1967, 202–222. 117

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lungsrationalität verschieden118, jedenfalls vom Handeln endlicher Subjekte, die selber ihren Ort im Ablauf der Zeit haben, indem sie durch Setzung von Handlungszielen auf eine vom Zeitpunkt der Wahl des Zweckes verschiede­ ne Zukunft vorgreifen und durch die Ausführung der Handlung eine zumin­ dest teilweise Kontrolle über den Ablauf des Geschehens zu erlangen suchen. Eine Vorstellung göttlichen Handelns nach demselben Modell würde Gott wie ein endliches Wesen darstellen, das auf eine von seiner Gegenwart ver­ schiedene Zukunft vorausblickt und durch sein Handeln Verfügung über die Zeit zu erlangen sucht. Andererseits würde damit der Gang der Geschichte in einen im voraus determinierten Ablauf verwandelt, der die Geschöpfe ih­ rer Eigenständigkeit berauben müßte. Beides gehört zusammen. Gewisse Auffassungen von der göttlichen Prädestination und Vorsehung führen eben darum zu einem zur Tyrannis verkehrten Bild der göttlichen Herrschaft über das Weltgeschehen, weil sie Gott nach dem Modell eines endlichen Hand­ lungssubjekts vorstellen. Weltherrschaft eines endlichen Subjekts kann im­ mer nur Tyrannis, weil totale Kontrolle über den Geschehensverlauf, bedeu­ ten. Kann ohne solche Verkehrung überhaupt von einem göttlichen Ge­ schichtsplan, von einer „Ökonomie“ göttlichen Handelns in der Welt ge­ sprochen werden? Es gibt biblische Aussagen, die die Vorstellung einer vor­ gängigen Festlegung des Geschichtsverlaufes durch Gott zumindest nahele­ gen (z. B. Röm 8,28 ff.). Es wird bei der Darstellung der Erwählungslehre noch genauer zu erörtern sein, daß die eigentliche Intention dieser Aussagen dahin geht, das gegenwärtige Heilsgeschehen als in der Ewigkeit Gottes be­ gründet darzustellen. Das ist aber etwas anderes als die Vorstellung eines am Anfang der Zeit gefaßten Vorsatzes, der die Zukunft des Geschichtsverlau­ fes noch außer sich hat, aber den Gang des Geschehens im vorhinein festlegt. Es ist jetzt wohl noch deutlicher geworden, welche Problematik in der Vorstellung von Gott als einem handelnden Subjekt steckt. Das erklärt auch, weshalb der Ausgangspunkt für die Interpretation der Rede von einem nicht nur in der Welt stattfindenden, sondern ihre ganze Geschichte durch seine „Ökonomie“ umgreifenden Handeln Gottes bei der Erfahrung des Zusam­ menhangs im Gang des Weltgeschehens und nicht bei der Vorstellung eines göttlichen Subjekts gesucht wurde. Die Rede vom „Handeln“ Gottes führt die im Weltgeschehen sich zeigen­ den Zusammenhänge auf Gott zurück, Zusammenhänge, die sich erst vom Ende der Geschichte her erschließen und darum den Menschen auf dem We­ ge zu diesem Ende verborgen bleiben wegen der unvorgreiflichen Kontin­ genz der Ereignisfolge, die von Israel als Ausdruck der Freiheit Gottes in seinem Handeln erfahren wurde. 118 Diesen Unterschied hat H. Lübbe herausgearbeitet: Geschichtsbegriff und Geschichtsin­ teresse, Basel 1977.

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Subjekt göttlichen Handelns sind zunächst die drei Personen Vater, Sohn und Geist, durch deren Zusammenwirken das Handeln des einen Gottes Gestalt gewinnt. Das muß der Ansatzpunkt für eine christliche Antwort auf die totalitären Implikationen der Vorstellung von einem ein­ zigen unumschränkt handelnden göttlichen Subjekt sein. Das Reich Gottes in der Welt ist gewiß das Reich des Vaters, seine Monarchie ist die Herr­ schaft Gottes schlechthin, der nicht nur der Sohn dient, sondern auch die Verherrlichung von Vater und Sohn durch den Geist. Aber die Monarchie des Vaters ist vermittelt durch den Sohn, der ihr den Weg bereitet, indem er im Leben der Geschöpfe Gestalt gewinnt, und durch den Geist, der die Geschöpfe befähigt, Gott als ihren Schöpfer zu ehren, indem er sie teil­ nehmen läßt an der ewigen Beziehung des Sohnes zum Vater. Das ist das Handeln des einen Gottes durch Vater, Sohn und Geist, wie es im Lichte der eschatologischen Vollendung des Reiches Gottes in der Welt erkenn­ bar wird. Erst darin ist der eine Gott ein handelnder Gott, so wie er zuvor schon der in der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist lebendige Gott ist. Das Handeln von Vater, Sohn und Geist in der Welt wird nun nicht nur den drei Personen der Trinität, sondern dem einen göttlichen Wesen zugerechnet. Nur darum können aufgrund seines Handelns in der Welt Eigenschaften seines Wesens von Gott ausgesagt werden. Darin stellt sich nun also doch der eine Gott als der handelnde, als Subjekt seines Han­ delns dar. Aber dieses Subjektsein Gottes tritt zur Dreiheit der Personen von Vater, Sohn und Geist nicht als ein viertes hinzu, noch geht es ihnen voran, um in der trinitarischen Differenzierung seine Entfaltung zu finden, sondern es ist Ausdruck ihrer Lebensgemeinschaft im Handeln an der Welt. Das Ziel des Handeln Gottes in der Welt durch das Wirken von Vater, Sohn und Heiligem Geist ist ein doppeltes: einerseits die Erschaffung einer von Gott verschiedenen geschöpflichen Wirklichkeit und ihre Vollendung im Gegenüber zu ihrem Schöpfer, andererseits darin zugleich die Offenba­ rung seiner Gottheit als Schöpfer der Welt. Das entspricht dem Sachverhalt, daß in allem Handeln sowohl etwas in der Welt bewirkt wird durch Realisie­ rung des gewählten Zweckes als auch der Handelnde selbst aus der Art sei­ ner Zwecke, sowie aus der Fähigkeit oder Unfähigkeit, sie zu realisieren, er­ kannt wird. Beim Handeln endlicher Subjekte geht das Subjekt dem Handlungsziel bzw. seiner Realisierung in der Zeit voraus, und das Ziel entspricht einem Bedürfnis des Subjekts. Weder das eine noch das andere läßt sich auf Gott übertragen. Gott ist in seiner Ewigkeit aller Zeit gleichzeitig, und das Ziel seines Handelns, das Offenbarwerden seiner Herrschaft über die Welt seiner Schöpfung, ist nicht Befriedigung eines Mangels in seinem ewigen Wesen, sondern nur die Einbeziehung seiner Geschöpfe in die ewige Gemeinschaft

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des Sohnes mit dem Vater durch den Geist. Insofern ist das Welthandeln Gottes Wiederholung119 seiner ewigen Gottheit im Verhältnis zur Welt. Dabei blickt der handelnde Gott nicht vom Anfang der Welt her ihrer Vollendung wie einer entfernten Zukunft entgegen. Die Zukunft der Welt ist der Modus der Zeit, der der Ewigkeit Gottes am nächsten steht, wie noch genauer zu zeigen sein wird. Das Ziel der Welt und ihrer Geschichte ist Gott näher als ihr Anfang. Darum ist das Handeln Gottes an der Welt eigentlich sein Kommen in die Welt120 in den Zeichen der anbrechenden Gottesherr­ schaft. Auch vom menschlichen Handeln gilt in gewissem Sinne, daß das Ziel des Handelns dem Handelnden am nächsten steht: Um des Zieles willen und von ihm her werden alle anderen Erfordernisse und Umstände des Handlungsvollzuges bedacht. Aber der handelnde Mensch antizipiert nur subjektiv das Ziel, auf das sich sein Streben richtet; es ist noch nicht realisiert. Im Kommen Gottes in die Welt hingegen wird das Ziel ihrer Geschichte, das Reich Gottes, schon real gegenwärtig als Anbruch ihrer Vollendung von ih­ rer Zukunft her. Der handelnde Mensch sucht durch sein Handeln sich selbst zu realisie­ ren, indem er mit der Wahl seiner Zwecke vorgreift auf die Zukunft, um sein Dasein zu ergänzen. Im Handeln ist die Identität des Subjekts einerseits schon vorausgesetzt: Sie muß im Handlungsverlauf durchgehalten werden, damit der gesetzte Zweck erreicht wird. Aber andererseits wird der Zweck erstrebt, um einem Mangel an der Ganzheit und Autarkie des Subjekts abzu­ helfen. Die Identität des Handelnden zu bewahren kann nur gelingen, wenn der Mensch aus der Kraft seiner Bestimmung heraus handelt, die ihn über das, was er schon ist, erhebt, nicht aber aus der Fähigkeit des handelnden Ich, die Einheit des Handlungsverlaufs zu garantieren und zu kontrollieren. Weil das Ich noch auf dem Wege ist, es selbst zu werden, kann von Selbst­ verwirklichung im strengen Sinne des Wortes beim Menschen keine Rede sein: Dazu müßte das handelnde Ich schon zu Beginn seines Handelns im Vollsinn identisch sein mit seiner Bestimmung, die Resultat seines Han­ 119 Auf die Bedeutung des Gedankens einer Selbstwiederholung Gottes bei K. Barth (KD I/ 1, 315) hat E. Jüngel hingewiesen (Gottes Sein ist im Werden, Tübingen 1965, 28, vgl. 25 Anm. 43). Zu beachten ist jedoch, daß der Ausdruck „Wiederholung Gottes“ hier auf die Selbst­ offenbarung Gottes in der Welt, nicht aber auf das innertrinitarische Verhältnis von Vater und Sohn angewendet wird. Letzteres ist dadurch ausgeschlossen, daß der Vater ohne den Sohn gar keine in sich abgeschlossene Größe ist, die „wiederholt“ werden könnte. 120 Vgl. dazu J. Moltmanns Charakteristik der Zukunft Gottes als Adventus (Richtungen der Eschatologie, in: Zukunft der Schöpfung, München 1977, 26 ff., bes. 35 ff.), sowie E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 225 u. ö., bes. 513, auch schon H. J. Iwand: Die Gegenwart des Kommenden, 1955, 37 (bei J. Moltmann zit. a. a. O. 49). Vgl. auch meine Aus­ führungen über Eschatologie, Gott und Schöpfung, in: Theologie und Reich Gottes (1969), Gü­ tersloh 1971, 9–29, bes. 18 ff. und 21, sowie a. a. O. 79–91 über „Erscheinung als Ankunft des Zukünftigen“.

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delns sein soll. Diese Bedingung ist nur im Fall des göttlichen Handelns ge­ geben: Gott verwirklicht sich selbst in der Welt durch sein Kommen in die Welt. Dafür ist sein ewiges Dasein in der Gemeinschaft des Vaters, des Soh­ nes und des Heiligen Geistes schon vorausgesetzt, und das ewige Wesen Gottes bedarf nicht der Vollendung durch sein Kommen in die Welt, ob­ wohl mit der Schöpfung einer Welt die Gottheit Gottes und sogar sein Da­ sein abhängig werden von der Vollendung ihrer Bestimmung in der Gegen­ wart der Gottesherrschaft. Der Gedanke der Selbstverwirklichung entspricht dem Begriff der causa sui, der seit Plotin (Enn VI. 8,13 ff.) als Gottesbezeichnung gebraucht und diskutiert wor­ den ist121. Der Ausdruck ist häufig als in sich widerspruchsvoll abgelehnt worden, da keine Ursache sich selbst hervorbringen könne (z. B. Thomas von Aquin S.c.gent. I,22). Dieses Urteil ist dann evident, wenn ein Begriff von Ursache vor­ ausgesetzt ist, der der Ursache keine Selbstbeziehung zuschreibt. Andererseits konnte die Vorstellung Gottes als causa sui bei Hegel zur Formel des ontologi­ schen Gottesbeweises – als Erzeugung des Daseins aus dem Begriff – werden, weil hier das Absolute als Geist und mithin selbstreflexiv gedacht wurde. Auch hier, wie in der ganzen Vorgeschichte des Begriffs von Plotin bis Spinoza, ist causa sui ein Ausdruck für das unterscheidend Besondere des Absoluten. Die Übertragung dieser Vorstellung auf den Menschen mit der inzwischen schon abgegriffenen Be­ hauptung eines Anspruchs jedes Menschen auf „Selbstverwirklichung“ ist deshalb ein besonders signifikanter Ausdruck für die Selbstvergottung des Menschen in der modernen säkularen Kultur. In der neueren Theologie hat Hermann Schell den Begriff positiv aufgenommen, und zwar zur Beschreibung der Hervorgänge von Sohn und Geist aus der Person des Vaters (Kath. Dogmatik II, Paderborn 1890, 21, 61 ff., 79). Schell wollte auf diese Weise nachdrücklicher als die Tradition die innere Lebendigkeit des dreieini­ gen Gottes zur Geltung bringen. Aber auf die innertrinitarischen Beziehungen ist der Gedanke Gottes als causa sui nicht ohne weiteres anwendbar, weil der Vater im Sohn ein anderes seiner selbst zeugt. Schell arbeitet bei seiner Darstellung der trini­ tarischen Hervorgänge mit der hier in Kap. 5 zurückgewiesenen Vorstellung der „Selbstentfaltung“ (61 ff.). Diese ist jedoch unpassend, da der Vater nie ohne den Sohn war. Aus diesem Grunde bleibt die Anwendung der Vorstellung einer causa sui auf die innertrinitarischen Beziehungen problematisch, obwohl jede Person in den Beziehungen zu den beiden anderen zugleich sich selbst realisiert. Angemesse­ ner scheint der Gedanke dagegen für die Beschreibung des Verhältnisses von im­ manenter und ökonomischer Trinität zu sein: Hier ist in der Tat die Gleichheit von Ausgangspunkt und Resultat gegeben, die die Formel erfordert, im Gegensatz auch zur pantheistischen Deutung des idealistischen Gedankens einer Selbstent­ faltung des Absoluten im Weltprozeß, wonach Gott erst durch den Weltprozeß zur Vollendung seiner selbst käme. Und dennoch ist der trinitarische Gott schon vor seiner Beziehung zur Welt in sich selber vollendet, wie es wiederum Voraus­ setzung des Gedankens der causa sui ist. In der Anwendung auf das Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität bringt der Gedanke darum gerade 121

Siehe dazu den Artikel von P. Hadot im Hist. Wörterbuch der Philosophie 1, 1971, 976 f.

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keine Theogonie, sondern die innere Dynamik der Selbstidentität des trinitari­ schen Gottes in seinem Verhältnis zur Schöpfung zum Ausdruck.

Durch das Zusammenwirken von Vater, Sohn und Geist kommt die Zukunft Gottes zum Anbruch in der Gegenwart der Geschöpfe, in der Welt der Schöpfung, und auf der Basis dieses göttlichen Handelns werden Eigen­ schaften nicht nur von den trinitarischen Personen, sondern von dem ihnen gemeinsamen göttlichen Wesen prädiziert. Es handelt sich dabei um Eigen­ schaften, die den göttlichen Werken in Schöpfung, Versöhnung und Erlö­ sung gemeinsam zukommen, wenn auch in unterschiedlicher Artikulation. An der Identität dieser Eigenschaften wird der in Schöpfung, Versöhnung und Vollendung der Welt handelnde Gott als derselbe erkennbar. Die in seinem Handeln in Erscheinung tretenden Eigenschaften schließen das Handeln Gottes mit seinem ewigen Wesen zusammen. Doch was heißt es, daß die Eigenschaften vom Wesen Gottes prädiziert werden? Ist dabei nicht immer schon ein Begriff des Wesens vorausgesetzt, von dem die Eigen­ schaften ausgesagt werden, die Gott aufgrund seines Offenbarungshandelns zuerkannt werden? Und ist nicht auch dieser vorläufige Wesensbegriff, der durch solche Eigenschaften allererst vollständig bestimmt werden soll, sei­ nerseits schon durch Eigenschaften gekennzeichnet und nur durch sie in sei­ ner Besonderheit charakterisierbar? Es scheint also, daß von zweierlei Arten von Eigenschaften Gottes die Rede sein muß, von denen nämlich, die auf­ grund seines Handelns von ihm ausgesagt werden, und von anderen, die den Gegenstand dieser Aussagen als solchen bestimmen. Wenn es heißt, Gott sei gütig, barmherzig, treu, gerecht, geduldig, so bezeichnet das Wort „Gott“ den Gegenstand solcher Zuschreibungen: Von „Gott“ im Unterschied zu al­ lem anderen wird gesagt, er sei gütig, barmherzig und treu. Was ist damit ge­ sagt, daß all dies von „Gott“ behauptet wird? Das wird durch die Ausdrücke festgelegt, die das Wort „Gott“ als solches erläutern, Ausdrücke wie unend­ lich, allgegenwärtig, allwissend, ewig, allmächtig. Diese Kennzeichnungen Gottes sind schon vorausgesetzt, damit die Offenbarung Gottes in seinem Handeln überhaupt als Offenbarung Gottes verstehbar wird. Von dem so beschriebenen Gott nämlich wird gesagt, er sei gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte. In diesem Sinne hat Hermann Cremer 1897 die „in der Offenbarung sich erschlie­ ßenden Eigenschaften“ der Heiligkeit, Gerechtigkeit, Güte, Weisheit und Barm­ herzigkeit Gottes unterschieden von den mit dem Gottesbegriff schon vorausge­ setzten, in ihm schon „enthaltenen“ Eigenschaften der Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, Unveränderlichkeit und Ewigkeit (Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes 34 ff., 77 ff.). Cremer hat damit die in der Geschichte der Gotteslehre viel verhandelte Frage nach Kriterien für eine Gliederung bei der Dar­ stellung der Eigenschaften Gottes auf eine völlig neue Grundlage gestellt. Die bis dahin üblichen Einteilungen unterschieden zumeist zwischen Eigenschaften, die dem Wesen Gottes in sich selber, und solchen, die ihm im Verhältnis zur Welt

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zukommen122. Schleiermacher hatte dagegen eine neue Einteilung der Eigenschaf­ ten nach den unterschiedlichen Beziehungen der göttlichen Ursächlichkeit zu Schöpfung, Sünde, Erlösung und Vollendung des Menschen und der Welt begrün­ det123. Diese Einteilung brach mit der Regel, daß die Eigenschaften dem göttlichen Wesen in allen seinen Beziehungen zur Welt zukommen müssen, weil sie doch als Eigenschaften des einen Wesens Gottes ausgesagt werden. Die von Schleiermacher vorgenommene Aufteilung der Eigenschaftsaussagen war denn auch nur möglich, weil er diese Aussagen gar nicht auf das Wesen Gottes, sondern nur auf seine Ur­ sächlichkeit in den verschiedenen Bereichen seiner Tätigkeit bezog. Cremer hat gegen „die Unterscheidung verschiedener Gebiete für die Bethätigung der Eigen­ schaften“ mit Recht den Einwand erhoben, daß „in der Offenbarung sich das gan­ ze Wesen Gottes bethätigt und erschließt“ (33), so daß „in jeder Eigenschaft alle andern mitgesetzt sind“ (32, vgl. 19). Gegen die Unterscheidung von Eigenschaf­ ten, die Gott an und für sich eignen, von solchen, die ihm in Beziehung zu den Ge­ schöpfen zukommen, machte er geltend, daß Verhalten und Wesen Gottes un­ trennbar zusammengehören: Sein Verhalten ist „die vollendete Bethätigung seines Wesens“ (19). Das entspricht der im dritten Abschnitt dieses Kapitels entwickel­ ten Einsicht in die relationale Struktur des Wesensbegriffs selbst. An die Stelle der ontologisch gemeinten Unterscheidung zwischen Eigenschaften des göttlichen Wesens für sich und solchen, die im Verhältnis zur Schöpfung begründet sind, setzte Cremer die aussagenlogische Unterscheidung zwischen dem im Akt der Zu­ schreibung von Eigenschaften schon vorausgesetzten Begriff ihres Gegenstandes und den ihm zugeschriebenen Prädikaten selbst. Aber sogar im Hinblick auf die­ sen Unterschied hielt Cremer daran fest, daß alle Eigenschaften Gottes aus seinem Offenbarungshandeln zu erkennen seien; denn der vorausgesetzte Gottesbegriff erhalte doch „seinen wirklichen Inhalt“ erst aus der Offenbarung, die „uns er­ schließt, was Gott sein heißt“ (32).

Der Begriff des göttlichen Wesens wird erst durch die ihm zugeschriebe­ nen Eigenschaften konkret bestimmt. Abgesehen davon ist er unvollständig. 122 C. H. Ratschow: Lutherische Dogmatik zwischen Reformation und Aufklärung 2,1966, 73 f. zit. dazu als Beispiele die Einteilungen der Eigenschaften Gottes in immanente und exe­ rente bei A. Calov und D. Hollaz. Analog dazu ist die Unterscheidung in absolute und relative bzw. in mitteilbare und nichtmitteilbare Eigenschaften Gottes zu verstehen, die in der altrefor­ mierten Dogmatik bevorzugt wurde (H. Heppe/E. Bizer: Die Dogmatik der ev.-reformierten Kirche, Neukirchen 1958, 56 ff.). Beispiele aus der neueren Theologie hat K. Barth KD II/l, 377 ff. bes. 383 zusammengestellt. Die Einteilung der Eigenschaften unter dem Gesichtspunkt des Seins Gottes in sich selber einerseits, des Verhältnisses zur Welt andererseits findet sich auch in der römisch-katholischen Dogmatik. Siehe z. B. M. J. Scheeben: Handbuch der Katholischen Dogmatik 2 (Ges. Schriften IV) 3. Aufl. Freiburg 1948, 51 ff. (§70). 123 Fr. Schleiermacher: Der christliche Glaube, 2. Ausg. 1830, §50,3. Der Leitsatz des §50 sagt ausdrücklich, daß die „Eigenschaften, welche wir Gott beilegen… nicht etwas besonderes in Gott bezeichnen, sondern nur etwas besonderes in der Art, das schlechthinnige Abhängig­ keitsgefühl auf ihn zu beziehen“. Daraus ergibt sich die für Schleiermacher charakteristische Verteilung der Eigenschaftslehre über die ganze Dogmatik. G. Ebelings positive Würdigung dieses Verfahrens ist auf seine mehr als problematische Voraussetzung nicht eingegangen (Schleiermachers Lehre von den göttlichen Eigenschaften, in: Wort und Glaube 2, Tübingen 1969, 305–342, 327 ff., bes. 332 f.).

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Das ändert aber nichts daran, daß eine allgemeine Vorstellung von „Gott überhaupt“ schon Voraussetzung der Zuschreibung von Eigenschaften auf­ grund göttlichen Offenbarungshandelns ist. So ist ja auch im biblischen Re­ den von Gott eine Vorstellung von Gott überhaupt (elohim, theos) schon vorausgesetzt in Aussagen wie der, daß Jahwe allein Gott ist (Jes 43,10 f., oder daß der „Vater“ Jesu Christi der „lebendige und einzig wahre Gott“ ist (1.Thess 1,9). Dementsprechend behauptet die christliche Gotteslehre, daß niemand anders als der trinitarische Gott in der Gemeinschaft von Va­ ter, Sohn und Heiligem Geist der eine, wahre Gott ist. Sie faßt damit den In­ halt der Selbstoffenbarung Gottes in der Ökonomie seines Heilshandelns, das in der Erscheinung des Sohnes kulminiert, zusammen. Daß dieser trinitarische Gott der eine wahre Gott ist, wird in den Aussagen über die Eigenschaften seines Wesens zum Ausdruck gebracht. Der Vorbegriff von „Gott überhaupt“, auf den diese Eigenschaftszuschreibungen bezogen wer­ den, ist nicht selber schon der in der Ökonomie seiner Heilsoffenbarung handelnde Gott. Sein konkretes Wesen wird erst durch die Zuschreibung seiner Eigenschaften erfaßt, ursprünglich in der doxologischen Sprache des Hymnus, der den in seinem geschichtlichen Handeln sich erweisenden Gott lobt und ehrt124. Diese Erwägungen sind folgenreich für die Bestimmung des Verhältnisses der christlichen Lehre von dem einen Gott und seinen Eigenschaften zur philosophischen Theologie. Die philosophische Frage nach der wahren Ge­ stalt des Göttlichen führt zur Formulierung von Bedingungen für ein Reden von Gott, sofern es der dem Göttlichen in der religiösen Überlieferung zu­ geschriebenen Funktion als Ursprung der Welt angemessen sein will. Sol­ chen Minimalbedingungen für ein innerlich konsistentes Reden von Gott muß auch das christliche Reden von Gott genügen, wenn der Gott der Bibel als Schöpfer, Erhalter und Vollender der Welt bezeugt werden soll. Der phi­ losophische Gottesgedanke als Inbegriff jener Minimalbedingungen für das Reden von Gott darf jedoch nicht verwechselt werden mit der konkreten Wirklichkeit Gottes. Er ist nicht identisch mit dem Wesen Gottes, das sich in seinem geschichtlichen Handeln offenbart. Er entspricht aber dem Vorbe­ griff von „Gott überhaupt“, ohne den eine Aussage von Eigenschaften als Eigenschaften Gottes ebensowenig vollziehbar wäre wie das Bekenntnis zum Vater Jesu Christi und zum Gott des trinitarischen Dogmas als zu dem einen, wahren Gott. Die philosophische Theologie mit ihren Aussagen über Einheit, Unveränderlichkeit, Ewigkeit Gottes ist die reflektierte Gestalt der Vorstellung von „Gott überhaupt“, die in allem religiösen Reden von Göt­ tern und ihren Erweisungen mehr oder weniger vage vorausgesetzt ist. 124 Zur Bedeutung der Doxologie für die dogmatische Lehre von Gott siehe E. Schlink: Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem (1957), in ders.: Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen, Göttingen 1961, 24–79, bes. 26 ff., 33, sowie ders.: Ökumenische Dogmatik, Göttingen 1983, 725 ff.

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Darauf beruht ihr berechtigter Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Hinter ihm steht, was den Gotteserfahrungen der Religionen gemeinsam ist, aber in den religiösen Gottesvorstellungen keinen konsistenten Ausdruck findet. Durch Formulierung der Bedingungen für ein konsistentes Reden von Gott überhaupt ist aber noch nicht die konkrete Wirklichkeit Gottes beschrieben mit den Eigenschaften ihres Wesens, die sich durch sein Handeln in einer be­ stimmten Geschichte erweisen. Hermann Cremer hat nun mit Recht darauf hingewiesen, daß die Theolo­ gie die von der Philosophie ausgearbeiteten abstrakten Bedingungen eines Redens von „Gott überhaupt“ nicht einfach übernehmen darf als den Gottes­ begriff, von dem die aus Gottes Offenbarungshandeln abgelesenen Eigen­ schaften ausgesagt werden. Der Gottesbegriff selbst erhält „erst seinen wirk­ lichen Inhalt… durch das Subjekt, dem allein es zukommt, der sich als der ‚al­ lein wahre Gott‘ in seiner Offenbarung bethätigt und dadurch uns erschließt, was Gott sein heißt“125. Daher hat die christliche Gotteslehre auch eine kriti­ sche Funktion im Verhältnis zu den von der Philosophie formulierten Bedin­ gungen konsistenten Redens von „Gott“ überhaupt. Deutliche Beispiele da­ für bietet die Problematik der von der Philosophie formulierten Kriterien der Geistigkeit und Unveränderlichkeit Gottes. Die christliche Theologie kann solche Behauptungen der Philosophie allerdings nur dann entkräften, wenn sie sich dabei, obwohl aus der Perspektive der biblischen Gottesoffenbarung, auf dem Boden der philosophischen Argumentation selber bewegt. Das gilt auch für ihre Grundaussage über den Begriff von „Gott“ überhaupt. Der epochale Beitrag Gregors von Nyssa zur christlichen Gotteslehre bestand in dem Nachweis, daß die Grundform des Gottesgedankens nicht im Begriff einer ersten Ursache zu erblicken ist, wie seine arianischen Gegner behaupte­ ten, sondern im Gedanken des Unendlichen (s. o. 378 f.). Damit ist die Vorstellung der Erstursächlichkeit nicht aus dem Gottesgedanken eliminiert, aber sie verliert ihre fundamentale Funktion und wird zu einem unter­ geordneten Moment. Obwohl sich unter dem Einfluß des Areopagiten bis in die lateinische Hochscholastik hinein der Gedanke der Erstursäch­ lichkeit dann doch wieder in den Vordergrund geschoben hat, ist durch Duns Scotus das Bewußtsein von der fundamentalen Bedeutung der Unend­ lichkeit Gottes für die ganze Gotteslehre erneuert worden. Es ist auch in der altprotestantischen Theologie wirksam geblieben126, und es hat, wie 125 H. Cremer: Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes, Gütersloh 1897, 32. Ab­ gesehen von diesem Subjekt ergeben sich aus dem Gottesbegriff „nur ganz abstrakte Aussagen über die Allmacht, Allgegenwart u.s.w., Aussagen, welche alle in Problemen endigen, ohne eins zu lösen“ (ebd.). Leider hat Cremer den hier behaupteten Sachverhalt nicht im einzelnen in Auseinandersetzung mit der Tradition philosophischer Theologie erörtert und nachgewiesen. 126 So hat A. Calov betont, daß die Unendlichkeit nicht nur als spezifizierende Bestimmung der andern Eigenschaften fungiere, sondern per se conceptus quidditativus Dei sei (Systema Lo­ corum Theologicorum t. 2, Wittenberg 1655 c. III q7 (215 ff.). Die hier abgelehnte Auffas­

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oben gezeigt, mit der Neugestaltung der philosophischen Gotteslehre durch Descartes maßgebliche Bedeutung für die philosophische Theologie der Neuzeit wie auch (bei Schleiermacher) für den Religionsbegriff gewonnen. Es erhebt sich nun die Frage, ob der durch den Gedanken des Unendlichen modifizierte Vorbegriff vom göttlichen Wesen überhaupt dem biblischen Gottesverständnis wirklich entspricht. Dabei ist nicht zu verlangen, daß die Behauptung der Unendlichkeit Gottes explizit im biblischen Reden von Gott nachzuweisen wäre. Es geht vielmehr um die Frage, ob sie – wie es der Funktion einer abstrakten Minimalbedingung des konkreten Redens von Gott entspricht – implizit in den biblischen Aussagen von Gott enthalten ist. Für eine Prüfung dieser Frage liegt es nahe, an die Ergebnisse der Erörte­ rung des Geistbegriffs im vorigen Abschnitt anzuknüpfen, zumal der johan­ neische Satz „Gott ist Geist“ (Joh 4,24) zu den ganz wenigen Worten der Bi­ bel gehört, die explizit das Wesen Gottes als solches charakterisieren. Wenn man von dem Wort Ex 3,14, das von der theologischen Tradition doch wohl zu Unrecht als eine solche Wesensaussage aufgefaßt worden ist, absieht, läßt sich nur noch der ebenfalls johanneische Satz „Gott ist Liebe“ (1.Joh 4,8) als eine ähnlich lapidare Aussage über das Wesen Gottes anführen. Ihr Verhält­ nis zu der Aussage von Joh 4,24 wird noch der Erörterung bedürfen. Aber so viel läßt sich jetzt schon sagen: Der Satz, daß Gott Liebe ist, geht als Zu­ sammenfassung des ganzen Geschehens der Selbstoffenbarung Gottes in Je­ sus Christus über die Bezeichnung Gottes als Geist hinaus, ohne ihr jedoch zu widersprechen. Auch und gerade im Geschehen seiner Liebe ist Gott Geist im Sinne der lebendigen Dynamik der alttestamentlichen Vorstellung vom göttlichen Geist. Läßt sich nun behaupten, daß die biblische Vorstellung des göttlichen Geistes den Gedanken Gottes als unendlich impliziere, so daß der Gedanke des Unendlichen zwar nicht als Wesensbegriff Gottes, aus dem alle anderen Eigenschaften seines Wesens abzuleiten wären127, wohl aber als Vorbegriff des Wesens Gottes aufzufassen ist, auf den sich alle übrigen Aussagen über sung ist u. a. später von Schleiermacher wieder vertreten worden (Der christliche Glaube §56,2). Schleiermacher bezeichnete die Unendlichkeit ebenso wie die Einheit als „eine Eigenschaft aller göttlichen Eigenschaften“, als einen „Kanon“ zur Bildung der Eigenschaftsbegriffe. Diese Stel­ lungnahme Schleiermachers muß im Zusammenhang damit gesehen werden, daß er die Aussa­ gen über Eigenschaften Gottes (mit Ausnahme der Liebe) nicht als Aussagen über das Wesen Gottes verstanden wissen wollte (s. o. Anm. 123), was aber mit der inneren Logik der Zuschrei­ bung von Eigenschaften wie auch mit ihrem Ursprung in der Doxologie (s. o. Anm. 124) nicht vereinbar ist. 127 Dagegen wendete sich H. Cremer mit dem einleuchtenden Argument, daß wir keinen an­ gemessenen Begriff von Gott besitzen (a. a. O. 31). Das wußten aber auch die altprotestanti­ schen Dogmatiker, die wenigstens die „immanenten“ Eigenschaften Gottes aus den Bestandtei­ len ihrer descriptio Dei als essentia spiritualis infinita herzuleiten suchten (wie etwa A. Calov a. a. O. c.4, 221 ff.). Obwohl eine Herleitung im strengen Sinne, also ohne Einführung zusätzli­ cher Faktoren, nicht möglich ist, bleibt doch die Bemühung um einen inneren Zusammenhang der Gott zugeschriebenen Eigenschaften wichtiger, als Cremer es wahrhaben wollte; denn nur

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seine Eigenschaften als Konkretisierung der Eigenart des göttlichen Wesens beziehen? Das wird im folgenden zu erwägen sein. Dabei wird zunächst der Begriff des Unendlichen zusammen mit einer Reihe ihm eng verbundener Eigenschaftsaussagen behandelt werden. Daran werden sich Ausführungen über die „in der Offenbarung Gottes sich erschließenden“ Eigenschaften an­ schließen, die in ihrer Struktur weniger offensichtlich auf den Gedanken des Unendlichen bezogen sind, sich dafür aber alle als Aspekte der andern jo­ hanneischen Grundaussage über das Wesen Gottes als Liebe auffassen las­ sen. Dabei wird sich schließlich die Aussage, daß Gott Liebe ist, als die kon­ krete Gestalt des zuvor als „Geist“ und durch den Begriff des Unendlichen bezeichneten göttlichen Wesens erweisen. Im Vergleich zu Hermann Cremers Entwurf der Lehre von den Eigenschaften Gottes bedeutet das eine Umkehrung im methodischen Gang der Darstellung. Während Cremer wegen der Bestimmtheit auch des „formalen“ Gottesbegriffs selber durch die Perspektive des göttlichen Offenbarungshandelns in der bibli­ schen Geschichte und der darin sich erweisenden Eigenschaften erst nachträglich auf die „in dem Gottesbegriff enthaltenen Eigenschaften im Lichte der Offenba­ rung“ eingeht (77 ff.), sollen diese im folgenden den Ausgangspunkt der Erörte­ rung bilden, nicht weil die „in der Offenbarung Gottes sich erschließenden Eigen­ schaften“ etwa aus ihnen herzuleiten wären, sondern weil die abstrakt allgemeinen Momente der Vorstellung von „Gott überhaupt“ in ihnen aufgehoben sind und als in ihnen aufgehoben zu erweisen sind, so daß sich erst in der Liebe Gottes die kon­ krete Gestalt seines Wesens darstellt.

6. Die Unendlichkeit Gottes: seine Heiligkeit, Ewigkeit, Allmacht und Allgegenwart a) Unendlichkeit und Heiligkeit Gottes Unendlichkeit ist keine biblische Bezeichnung für Gott. Aber sie ist in vielen biblischen Gottesbezeichnungen impliziert, besonders offenkundig in den Gott zugeschriebenen Eigenschaften der Ewigkeit, Allmacht und Allgegen­ wart128. Aber auch das Bekenntnis der Heiligkeit Gottes hängt eng mit dem Gedanken seiner Unendlichkeit zusammen, und zwar so eng, daß der Ge­ danke der Unendlichkeit als Unendlichkeit Gottes zu seiner Erläuterung der Aussage der Heiligkeit bedarf, während Ewigkeit, Allmacht und Allge­ so kann die Behauptung der Einheit Gottes in der Vielheit seiner Eigenschaften gerechtfertigt werden. 128 J. Gerhard hat Ewigkeit und Unermeßlichkeit Gottes als Unterarten seiner Unendlich­ keit bestimmen können (Loci theol. II, 171). Auch nach F. Schleiermacher findet die göttliche im Unterschied zu aller endlichen Ursächlichkeit ihren vollständigen Ausdruck „erst in Ewig­ keit und Allgegenwart zusammengenommen“ (Der christliche Glaube § 51,2).

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genwart sich als konkrete Manifestationen der Unendlichkeit Gottes unter den Gesichtspunkten der Zeit, der Kraft und des Raumes verstehen lassen. Der Begriff des Unendlichen ist nicht primär als Schrankenlosigkeit zu bestimmen. „Denn eigentlich soll doch unendlich nicht dasjenige sein was ohne Ende ist, sondern das dem endlichen, d. h. dem durch anderes mitbe­ stimmten entgegengesetzte.“129 Diese qualitative Bestimmung des Begriffs des Unendlichen ist von der quantitativen Bestimmung des mathematisch­ Unendlichen zu unterscheiden, liegt ihr aber immer schon zugrunde; denn aus der Negation der Endlichkeit folgt die Schrankenlosigkeit, und die Schrankenlosigkeit kann die Form des unbegrenzten Fortgangs in der Reihe endlicher Bestimmungen haben. Die unendliche Reihe – also auch die indefi­ nite Abfolge endlicher Größen in Zeit und Raum – realisiert den Gegensatz des Unendlichen zum Endlichen nur auf einseitige Weise, nämlich durch un­ begrenzte Hinzufügung endlicher Schritte. Die Grundbestimmung im Be­ griff des Unendlichen aber ist der Gegensatz zum Endlichen überhaupt. Darum konnte der Begriff des Unendlichen zur Bezeichnung der göttlichen Wirklichkeit im Gegensatz zu allem Endlichen, also durch anderes Begrenz­ ten und Vergänglichen, werden. An diesem Punkt berührt sich der Begriff des Unendlichen insbesondere mit der Heiligkeit Gottes; denn die Grundbedeutung der Heiligkeit ist die Absonderung von allem Profanen130. Die kultische Absonderung des Heiligen, der Gottheit Geweihten und mit ihr Verbundenen, insbesondere aber der Gottheit selbst und der Orte und Zeiten ihrer Gegenwart hat, wie Gerhard v. Rad betont hat, nicht nur den Sinn, das Heilige vor Verunreinigung durch Berührung mit dem Profanen zu schützen, sondern vor allem den, „die Welt des Profanen vor einer Gefähr­ dung durch das Heilige zu schützen“131. Denn die Berührung mit dem Hei­ ligen bringt Tod (Ex 19,12). Darum erweist sich die Heiligkeit Gottes primär in seinem Gerichtshandeln. Der Tod derer, die Vorsichtsmaßnahmen 129 Fr. Schleiermacher: Der christliche Glaube §56,2. Diese Begriffsbestimmung kommt überein mit derjenigen Hegels (Wissenschaft der Logik I, PhB 56,125 ff.), genauer mit der er­ sten, einfachen Bestimmung des Begriffs des Unendlichen „als Negation des Endlichen“ (125). Endlich zu sein heißt: etwas im Unterschied zu anderem sein, also auch in der Bestimmtheit sei­ nes Seins durch den Unterschied zu anderem konstituiert zu sein (ebd. 104 ff.: Insofern das Ver­ hältnis des Etwas zu Anderem als „immanente Bestimmung des Etwas selbst“ (104) erfaßt ist, ist dieses Etwas als Endliches bestimmt). Hegel entwickelt daraus die berühmte These, daß das Unendliche erst dann als wahrhaft unendlich (126, 132 ff.) bestimmt ist, wenn es nicht nur als Gegensatz zum Endlichen gedacht ist, weil es sonst selber als Etwas gegenüber Anderem und somit als endlich vorgestellt wird. 130 G. v. Rad: Theologie des Alten Testaments I, München 1957, 204 f., vgl. vor allem auch O. Procksch in ThWBNT I (1933) Stuttgart 1957, 88 ff., bes. 92 ff. Stärker als bei R. Otto (Das Heilige, 1917) ist diese Grundbedeutung der Kategorie des Heiligen schon von N. Söderblom: Das Werden des Gottesglaubens. Untersuchungen über die Anfänge der Religion (1915) 2. Aufl. Leipzig 1926,162 hervorgehoben worden (vgl. auch 180 f.). Siehe ferner M. Eliade: Die Re­ ligionen und das Heilige, Salzburg 1954,19 ff. 131 G. v. Rad a. a. O.204.

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im Umgang mit dem Heiligen unterlassen, sich über von ihm gesetzte Schran­ ken hinwegsetzen, veranlaßt die Klage: „Wer kann bestehen vor Jahwe, die­ sem heiligen Gott?“ (1.Sam 6,20). Daher löste auch bei Jesaja in seiner Beru­ fungsvision die Schau des heiligen Gottes (Jes 6,3) als erste Reaktion Schrek­ ken aus: „Weh mir, ich bin verloren; denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen und wohne unter einem Volk mit unreinen Lippen – und habe den König, Jahwe Zebaoth, mit meinen Augen gesehen“ (Jes 6,5). Die Gefährdung der profanen Welt durch das Heilige entsteht nun aller­ dings dadurch, daß Gott nicht gänzlich jenseitig bleibt, sondern seine Gott­ heit in der Welt der Menschen manifestiert. Nur darum müssen aus der pro­ fanen Lebenswirklichkeit Orte und Zeiten des Kultus ausgegrenzt werden. Die in ihrer zerstörerischen Gewalt lebensgefährliche Macht des Heiligen greift über auf die Welt der Menschen, um sie in ihre Sphäre einzubeziehen. So hat Jahwe das Volk Israel erwählt zur Teilnahme an seiner Heiligkeit: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, Jahwe euer Gott“ (Lev 19,2). Die Einbeziehung in die Sphäre der göttlichen Heiligkeit bedeutet zugleich Aus­ grenzung: Das erwählte Volk ist ein seinem Gott geweihtes, heiliges Volk (Dtn 7,6; 26,16; vgl. Ex 19,6). Daraus folgt einerseits, daß das Volk nun unter dem Schutz der nach außen hin furchtbaren Heiligkeit Gottes steht (Ex 15,11; vgl. Jes 10,16), andererseits aber auch, daß das Volk in seinem Verhal­ ten an Regeln gebunden wird, nämlich an den Rechtswillen Gottes (Lev 17 bis 26) als Inbegriff der Verhaltensregeln, die zur Wahrung der Gemein­ schaft der mit Gott verbundenen Menschen untereinander und mit Gott unerläßlich sind. Entsprechend heißt es auch im Neuen Testament, Jesus ha­ be die Seinen „geheiligt“ in der Wahrheit (Joh 17,17–19). Paulus redet die Gemeinden als „berufene Heilige“ an (Röm 1,7 u. ö.), als durch Jesus Chri­ stus geheiligt (1.Kor 1,2), und er bittet Gott, daß er die Glaubenden durch und durch heiligen möge (1.Thess 5,23). Insbesondere hat die Aussonderung des erwählten Volkes für den erwäh­ lenden Gott die Absonderung seiner Glieder von aller Verehrung anderer Götter zur Folge. Die ausschließliche Verehrung Jahwes ist der Gegenstand seiner „Eiferheiligkeit“132, die nicht nur mit dem ersten Gebot verbunden ist, sondern auch alle andern Gebote umschließt. Folge dieser Eiferheiligkeit ist es, daß sich die zerstörende Wirkung der Heiligkeit Gottes auch gegen das erwählte Volk richten kann, wenn es sich seiner Zugehörigkeit zu seinem Gott entzieht (vgl. Jos 24,19). Die Heiligkeit Gottes wird für sein abtrünni­ ges Volk zur Gerichtsdrohung: In diesem Sinne nennt Jesaja Gott immer wieder mit Betonung „den Heiligen Israels“ (Jes 1,4; 5,24; 30,11 ff.; 31,1 f.). Aber gerade die Heiligkeit Gottes begründet über alle Gerichtserfahrung hinaus die Hoffnung auf neues und endgültiges Heil. Trotz der Sünde der

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A. a. O. 204 ff., vgl. Ex 20,5.

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Menschen hält Gott an seiner Erwählung fest. Gerade darin äußert sich seine Heiligkeit, der Unterschied seines Verhaltens von dem der Menschen: „Denn Gott bin ich, und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte, doch nicht ein Vertilger“ (Hos 11,9)133. Der Gegensatz der Heiligkeit Gottes zu allem Irdischen und Menschlichen erweist sich gerade darin, daß er nicht festgelegt ist auf bloße Reaktion gegen das Handeln der Menschen. Die Unvergleich­ lichkeit des Heiligen führt auch bei Deuterojesaja (Jes 40,25) dazu, daß die Bezeichnung Gottes als „der Heilige Israels“ zur Bürgschaft für die Hoff­ nung der Exulanten auf Erlösung wird (Jes 41,14; 43,3.14; 47,4; 48,17; 49,7). Diese Hoffnung ist in nachexilischer Zeit auf das Ganze der profanen Wirklichkeit ausgedehnt worden134. Dem entspricht auch das Gebet Jesu mit der Bitte um die Heiligung des göttlichen Namens (Lk 11,2), die sachlich aufs engste mit der folgenden Bitte um das Kommen des Reiches Gottes verbunden ist. Die Heiligkeit des Vaters, den das hohepriesterliche Gebet Jesu anruft (Joh 17,11), begründet die Bitte um Bewahrung der Glaubenden in der Gemein­ schaft mit ihm. Die Sendung des Sohnes zur Rettung der Welt (Joh 3,16 ff.) zielt auf die Einbeziehung der Welt in die Sphäre der Heiligkeit Gottes. Gerade darin nun, daß die Heiligkeit Gottes zwar einerseits der profanen Welt entgegengesetzt ist, aber andererseits auf die Welt ausgreift, um sie in die Gemeinschaft mit dem heiligen Gott einzubeziehen, ist eine strukturelle Übereinstimmung biblischen Redens von der Heiligkeit Gottes mit dem Be­ griff des wahrhaft Unendlichen festzustellen. Die Vorstellung des Unendli­ chen, die dem Endlichen nur entgegengesetzt wird, ist, wie Hegel gezeigt hat, noch nicht wahrhaft als unendlich gedacht, weil sie noch durch Abgrenzung gegen anderes bestimmt wird, durch Abgrenzung vom Endlichen nämlich. Das so gedachte Unendliche ist selber noch Etwas gegen Anderes, also end­ lich. Wahrhaft unendlich ist das Unendliche erst, wenn es seinen eigenen Ge­ gensatz zum Endlichen zugleich übergreift. In diesem Sinne ist die Heiligkeit Gottes wahrhaft unendlich, weil sie dem Profanen entgegengesetzt ist, aber zugleich in die profane Welt eingeht, in sie eindringt, um sie zu heiligen. In der erneuerten Welt, auf die sich die eschatologische Hoffnung richtet, wird zwar nicht die Differenz zwischen Gott und Geschöpf, wohl aber der Ge­ gensatz zwischen heilig und profan ganz aufgehoben sein (Sach 14,20 f.). Die in die Welt ausgreifende Heiligung ist nach der Botschaft des Neuen 133

Siehe dazu H. W. Wolff: Hosea (Bibi. Kommentar zum AT XIV/1), Neukirchen 1965,

261 f. 134 Man vergleiche dazu die schönen Ausführungen G. v. Rads a. a. O. 206 über den „penetranten Immanenzwillen von Jahwes Heiligkeit“ bes. zu Sach 14,20 f. Wichtig sind die Be­ merkungen v. Rads über die Parallelität der Rede vom Sichverherrlichen Jahwes in seinem Ge­ schichtshandeln zu der Ausdrucksweise Ezechiels vom Sich-heiligen Jahwes in der Geschichte (Ez 20,41 u. ö.): Von daher stellt sich die eschatologische Erwartung einer Zukunft, in der „die Herrlichkeit Gottes die ganze Erde erfüllen wird“, wie es nicht nur Num 14,21, sondern auch in der apokalyptischen Literatur und im Neuen Testament ausgesprochen wird, als Ausdruck der Hoffnung auf eine Einbeziehung der ganzen Schöpfung in die Heiligkeit Gottes dar.

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Testaments vermittelt durch Jesus Christus. Dabei ist sie zugleich das Werk des Geistes (1.Thess 4,7 f., vgl. 2.Thess 2,13; 1.Petr 1,2), der der Heilige Geist heißt, weil er der Geist des heiligen Gottes ist. Auch im Leben des Geistes tritt so die Struktur des wahrhaft Unendlichen in Erscheinung: Als der Geist, der mit dem Wesen Gottes identisch ist (Joh 4,24), ist er der Welt ent­ gegengesetzt (Jes 31,3), aber zugleich ist er als Ursprung allen Lebens in der Schöpfung wirksam und heiligt die Geschöpfe, indem er sie über ihr ver­ gängliches Leben hinaus mit dem ewigen Gott verbindet. Die Eigenart des Geistes ist ebensowenig wie die Heiligkeit Gottes schon erschöpfend charakterisiert durch die Beziehung auf die Struktur des wahr­ haft Unendlichen, das dem Endlichen nicht nur entgegengesetzt ist, sondern diesen Gegensatz zugleich übergreift. Schon die den Geist im biblischen Sinne des Wortes kennzeichnende Dynamik geht über den Inhalt des ab­ strakten Begriffs des wahrhaft Unendlichen weit hinaus. Dieser Begriff ent­ hält eine Paradoxie, die er selber nicht auflöst, sondern nur als Aufgabe und Herausforderung an das Denken formuliert: Er besagt lediglich, daß das Un­ endliche als Negation, als Gegensatz zum Endlichen zu denken ist, zugleich aber als diesen seinen Gegensatz in sich begreifend. Wie das gedacht werden kann, darüber gibt der abstrakte Begriff des wahrhaft Unendlichen keine Auskunft. Der Gedanke der Heiligkeit Gottes und das Verständnis des We­ sens Gottes als Geist kommen einer Auflösung dieses Widerspruchs näher. Beide bringen zum Ausdruck, daß für den transzendenten Gott selbst eine Lebensbewegung charakteristisch ist, die ihn ausgreifen läßt auf das von ihm Verschiedene, um ihm Anteil zu geben an seinem eigenen Leben. Das bibli­ sche Verständnis des göttlichen Geistes in seiner schöpferischen, belebenden Wirksamkeit enthält darüber hinaus den Gedanken, daß Gott das Dasein des Endlichen als von ihm selber verschieden hervorbringt, so daß seine Hei­ ligung nicht Beseitigung der Differenz von Endlichem und Unendlichem be­ deuten wird. Aber wie diese Differenz im Wirken des Geistes Gottes sowohl begründet als auch aufgehoben sein kann, das bleibt im biblischen Reden vom Geist geheimnisvoll: Du hörest sein Sausen wohl, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht (Joh 3,8).

b) Gottes Ewigkeit Der Geist Gottes ist der Hinfälligkeit alles Irdischen – alles „Fleisches“ – ent­ gegengesetzt (Jes 31,3), weil er die Quelle allen Lebens ist und darum in sich selber unbegrenzt lebendig ist. Der Gegensatz gegen die Vergänglichkeit kennzeichnet nicht nur in der Vorstellungswelt Israels das Göttliche. Auch bei den alten Griechen galten die Götter gerade darin als von den Menschen verschieden, daß sie „die Unsterblichen“ sind. Unvergänglichkeit ist gerade­ zu die Definition des Göttlichen, zusammen mit seiner Ursprungsmacht. So

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auch in Israel: „Vorzeiten hast du die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst. Wie ein Gewand zerfallen sie alle, wie ein Kleid wechselst du sie, und sie gehen dahin. Du aber bleibest derselbe, und deine Jahre nehmen kein Ende“ (Ps 102,26–28). Im Unterschied zur griechischen Kosmosfrömmigkeit gelten auch Himmel und Erde nicht als unvergänglich. Nur Gott bleibt bestehen, seine Huld und Ge­ rechtigkeit (Ps 103,17), seine Güte (106,1 u. ö.), seine Wahrheit und Treue (117,2; 146,6), seine Herrlichkeit (104,31). Solcher unbegrenzten Fortdauer entspricht die Unvordenklichkeit seines Daseins. „Ehe denn die Berge wur­ den und die Erde und die Welt geschaffen wurden, bist du Gott von Ewig­ keit zu Ewigkeit“ (Ps 90,2). Von Ewigkeit zu Ewigkeit, daß heißt eigentlich: von unvordenklicher Vergangenheit bis in die fernste Zukunft. Das Hebräi­ sche besitzt bekanntlich keine andere Bezeichnung für Ewigkeit als die un­ begrenzte Dauer, sei es in der Richtung auf die Zukunft oder zurück in die Vergangenheit. Das muß nicht schon heißen, daß Ewigkeit im Alten Testament nur pro­ zessual, als unbegrenzte Zeit, gedacht worden wäre. Im Gegenteil, die zitier­ ten Psalmworte wollen ja die unveränderte Selbigkeit Gottes aussagen. Da­ her heißt es auch, daß die zeitlichen Distanzen vor Gott unbeträchtlich wer­ den: „Denn tausend Jahre sind vor deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergangen“ (Ps 90,4). Warum der gestrige Tag? Warum nicht der heutige? Wir sind gewohnt, Dauer als Gegenwart zu denken, aber der gestrige Tag ist die Zeit, die abgeschlossen vor Augen steht, doch noch als gegenwärtig, nicht versunken in Vergessenheit. So steht alle Zeit als Ganzes Gott vor Au­ gen. Daß gerade von tausend Jahren die Rede ist, bezeichnet nur die große Länge der Zeit, die so vor Gottes Augen steht. Es könnte auch von tausend Lichtjahren die Rede sein oder von jeder beliebigen Länge der Zeit. Die An­ gabe von tausend Jahren hat schon in der frühen jüdischen Exegese Anlaß zu Berechnungen gegeben, die aus dieser Psalmstelle die Gleichung von tausend Jahren gleich einem Tag göttlicher Zeitrechnung folgerten und mit den sie­ ben Tagen der Weltschöpfung kombinierten, um so zu dem Schluß zu gelan­ gen, daß die Weltzeit insgesamt siebentausend Jahre dauern werde135. Aus heutiger Sicht will das als nicht nur spielerisch, sondern fast schon als frivol erscheinen: Die tausend Jahre des Psalms sind nicht als Zeitmaß und als Wink für mögliche Zeitrechnungen gemeint, sondern als Ausdruck für eine beliebig lang zu bemessende Zeit: Jede solche Zeit steht vor Gottes Augen wie der gestrige Tag. Die Sprache des 90. Psalms zeigt, wie schwierig es war, im Gedanken der ewigen Dauer die unbegrenzte Gegenwart auszusagen, der das im Forteilen der Zeit für uns Versinkende gegenwärtig bleibt und der das noch in weiter Zukunft Liegende schon vor Augen steht. Eine ganz andere Ausdrucksform 135

K. Koch: Sabbatstruktur der Geschichte, in: ZAW 95,1983,403–429, bes. 422 ff.

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für denselben Gedanken bot in späterer Zeit die Vorstellung des Himmels als der Wohnung Gottes. Ursprünglich war diese Vorstellung sicherlich rein räumlich gemeint136, bedeutete aber zweifellos auch immer, daß der Ort des Thrones und der Herrschaft Gottes für den Menschen unzugänglich ist. Lag es von daher nahe, den Himmel auch als den Ort zu verstehen, wo die Ent­ scheidungen über das irdische Geschehen getroffen werden und – da Be­ schluß und Ausführung bei Gott eins sind – wo das Künftige, insbesondere das künftige Heilsgeschehen schon gegenwärtig vorhanden ist137, dann wird die Vorstellung des Himmels zu einer Ausdrucksform für den Gedanken, daß der Ewigkeit Gottes alle Zeiten gegenwärtig sind138. Die apokalypti­ schen Seher schauten denn auch im Himmel sowohl das kommende Endge­ schehen als auch Monumente der Urzeit wie den Baum, von dem Adam und Eva im Paradiese gegessen hatten (Hen 33,6). Damit gewann die Bezeich­ nung Gottes als „König der Ewigkeit“ (25,5 und 7) wohl einen neuen, zu­ mindest aber neu nuancierten Inhalt gegenüber dem alten Namen El Olam (Gen 21,33; vgl. Jes 40,28) und auch gegenüber Jeremias Rede von Gott als dem ewigen König (Jer 10,10): Während hier die Vorzeitigkeit Gottes, be­ sonders in Verbindung mit der Weltschöpfung, im Blick steht, scheint sich in den apokalyptischen Texten der Akzent auf die Jederzeitigkeit der göttli­ chen Gegenwart hin zu verschieben. Doch hat schon Deuterojesaja den Ge­ danken der alle Zeit umgreifenden Selbigkeit Gottes ausgesprochen: „Ich bin der Erste und der Letzte, und außer mir ist kein Gott“ (Jes 44,6; vgl. 48,12). „Ich, Jahwe, bin der Erste und bei den Letzten derselbe“ (Jes 41,4). In der Johannesapokalypse heißt Jesus Christus der Erste und der Letzte (Apk 2,8; 21,6; 22,13), und indem hinzugefügt wird: der Lebendige (Apk 1,17), wird zum Ausdruck gebracht, daß er das alle Zeiten umgreifende Le­ ben des Vaters teilt, auf den schon vorher (Apk 1,8) dieselbe Formel bezo­ gen wurde. Sonst begegnet die ausdrückliche Prädikation Gottes als ewig nur bei Paulus in bezug auf Gottes „ewige“ Gottheit (ἀίδιος) und im nach­ paulinischen Schluß des Römerbriefs (Röm 16,26: αἰώνιος). Aber wenn Paulus Gott „unvergänglich“ nennt (Röm 1,23), so ist der Sache nach nichts anderes gemeint. Wenn Jesus in seiner Antwort auf die Frage der Sadduzäer nach der Auferstehung der Toten von dem Gott spricht, vor dem Abraham, Isaak und Jakob lebendig sind (Mk 12,26 f. parr.), dann ist deutlich, daß Gottes Gegenwart das Vergangene ebenso umgreift wie das Künftige. 136

G. v. Rad in ThWBNT 5,1954, 503 f. Ebd. 507 f. zur Vorstellung von der Gegenwart des Wortes Jahwes im Himmel (Ps 119,89, vgl. Ez 2,1 ff. und Jes 34,4) und zu den Nachtgesichten Sacharjas, die das über die Erde kommende Endgeschehen als im Himmel schon gegenwärtig schauen (Sach 1,7–6,8). 138 Siehe dazu ausführlicher meinen Artikel: Zeit und Ewigkeit in der religiösen Erfahrung Israels und des Christentums, in: Grundfragen systematischer Theologie II, Göttingen 1980, 188–206, bes. 199 ff. 137

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Für die frühchristliche Theologie war der biblische Glaube an den ewigen Gott sicherlich das wichtigste Motiv für die Neigung zum Platonismus. Die platonischen Lehren von der Unvergänglichkeit der Ideen wie auch der Gottheit (Phaidon 84, Phaidros 247d, Tim 37dff.) mußten den Christen als wahlverwandt erscheinen. So meinte denn auch Augustinus, daß unter den Philosophenschulen keine den Christen so nahe gekommen sei wie die der Platoniker und daß speziell von ihnen gelte, was Paulus Röm 1,20 sagt, daß nämlich Gott ihnen seine ewige Kraft und Gottheit bekundet habe139. Der platonische Gedanke der Ewigkeit der Ideen und so auch der Gott­ heit war durch den Gegensatz des Ewigen und immer Gleichen gegen alle Veränderung geprägt (Phaid 97d, 80 af.). Das entsprach zwar einem Aspekt des biblischen Zeugnisses von der Ewigkeit Gottes (Ps 102,26–28), aber nicht dem Gedanken, daß Gottes Selbigkeit alle Zeit umgreift und alles Zeit­ liche sich gegenwärtig hält. Die platonische Ewigkeit ist ohne Beziehung zur Zeit. Die Zeitlosigkeit des Ewigen wurde auch in den Spätdialogen Platons nicht auf gegeben, obwohl der Timaios die Zeit immerhin in ein positives Verhältnis zum Ewigen brachte, indem er sie als „bewegtes Abbild der Ewigkeit“ (Tim 37d5) beschrieb: Es blieb doch die Kluft zwischen Urbild und Abbild, zwischen dem immer Gleichen des Ewigen und der kreisförmi­ gen Bewegung der Himmelskörper samt der durch sie bestimmten Zeit. Pla­ ton war weit entfernt davon, die Ewigkeit als Inbegriff des im Nacheinander der Zeit Getrennten zu denken. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung tat aber Plotin, indem er den Begriff der Ewigkeit als Gegenwart der Ganzheit des Lebens bestimmte: Das Ewige ist „Leben, das im Selben verharrt, da es immer das Ganze gegenwär­ tig hat, nicht jetzt dieses, dann ein anderes, sondern Alles zugleich“ als „teillose Vollendung“140. Die so verstandene Ewigkeit ist nach Plotin nicht nur der Zeit entgegengesetzt, sondern sie ist Voraussetzung für das Ver­ ständnis der Zeit selbst: Daß die getrennten Zeitmomente in unserer Zeiter­ fahrung aufeinander und auf ein Ganzes von Zeit bezogen werden können, das ist nach Plotin nur verständlich aus einem Bezug des in der Zeit Getrenn­ ten auf die Ganzheit der Ewigkeit, und dieser Bezug ist vermittelt durch die zeiterlebende Seele. Aber in der Zeit ist das Verhältnis zur Ganzheit des Lebens ein anderes als in der Ewigkeit: „statt des Vollendet-Unendlichen und Ganzen, das Immer-im-Nacheinander ins Unendliche“141. Auch bei 139

De civ. Dei VIII,5 und 6. Enn. III,7,3. Übersetzung nach W. Beierwaltes: Plotin über Ewigkeit und Zeit, Frankfurt 1967, 3. Aufl. 1981, 99. Vgl. auch die Kommentierung dieser Stelle ebd. 162–168. Zur Bedeutung der Zeitauffassung Plotins im Verhältnis zu Platon und Aristoteles, sowie zur weiteren Ge­ schichte des Verständnisses der Zeit darf ich auf meine Bemerkungen über „Sein und Zeit“ in: Der Gottesgedanke und die Erneuerung der Metaphysik, Göttingen 1988, 52–65, bes. 56 ff. hin­ weisen. 141 Enn. III,7,11 (Beierwaltes 129 und 171 ff.). 140

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Plotin gibt es also den platonischen Gegensatz von Ewigkeit und Zeit. Aber die Lehre von der Zeit als Abbild der Ewigkeit wurde bei ihm dahin umge­ deutet, daß die Zeit als Zerfall der Einheit des Lebens in eine Abfolge ge­ trennter Momente erscheint und dabei als Abfolge dennoch konstituiert ist durch den Bezug zur ewigen Ganzheit. Augustin hat die Bedingtheit schon der Zeit selbst, als kontinuierliche Folge, durch ihren Bezug zur Ewigkeit vernachlässigt. Die Zeit galt ihm als Schöpfung Gottes und dadurch von Gottes Ewigkeit getrennt142. Zwar hielt Augustin an der platonischen Auffassung der Zeit als Abbild der Ewigkeit fest, aber im Sinne der platonischen Verknüpfung von Zeit und Bewegung, im Unterschied zu Plotins Auffassung, daß die Zeit schon Vorbedingung ist für das Verständnis der Bewegung143. Daher gab es für ihn keine Zeit vor der körperlichen Bewegung in der Welt der Geschöpfe144, also keine Zeit in der Ewigkeit Gottes, wie auch diese nicht als Bedingung der Einheit der Zeit und so in der Zeit gegenwärtig gedacht wurde. Daher dominiert in den Aus­ sagen Augustins der Gegensatz der Ewigkeit zur Zeit, obwohl er die Ewig­ keit nicht nur als stehende Gegenwart145, sondern auch als alles für uns noch Zukünftige oder schon Vergangene umgreifende Gegenwart gedacht hat146. Anders als Augustin hat Boethius in seiner berühmten Definition der Ewigkeit als gleichzeitiger und vollkommener Gegenwart unbegrenzten Le­ bens147 den plotinischen Gedanken der Ewigkeit aufgenommen. Karl Barth hat diese positive Beschreibung der Ewigkeit als des vollkommenen Lebens­ besitzes mit Recht als echte Dauer, im Unterschied zur bloßen Negation der Zeit, gewürdigt und bedauert, daß die theologische Tradition dieses Boe­

142 Siehe dazu E. Gilson: Introduction à l’étude de Saint Augustin, Paris 1929, 242–252: La création et le temps. Vgl. bes. De Gen. c. Manich. I,2: ante principium temporis non erat tempus. Deus enim fecit et tempora – mundum quippe fecit Deus, et sic cum ipsa creatura, quam Deus fe­ cit, tempora esse coeperunt. Vgl. auch J. Guitton: Le temps et l’éternité chez Plotin et Saint Au­ gustin (1955), Paris 4.éd. 1971,175–222. 143 In den kosmischen Kreisläufen sah Augustin eine aeternitatis quaedam imitatio in der vi­ cissitudo temporum begründet (Enn. in Ps 9,6, Mauriner Ausg. Vercellis 1809, 63 D). Zur Unter­ scheidung von Zeit und Bewegung bei Plotin vgl. Enn III,7, 8, dazu Beierwaltes 217 ff. 144 Ubi enim nulla creatura est, cuius mutabilibus motibus tempora peragantur, tempora om­ nino esse non possunt (De civ. Dei XII, 15,2). Vgl. ib. XI,6: ...recte discernuntur aeternitas et tem­ pus quod tempus sine aliqua mobili mutabilitate non est, in aeternitate autem nulla mutatio est. 145 So Conf. XI, 11, 13. Vgl. Enn. in Ps 71,8: …et hoc vere habendum est aeternum, quod nullo tempore variatur (Mauriner Ausg. II, 991 D). Siehe auch De civ. Dei XII,2, wo Gott nach Ex, 3,14 als das unveränderliche Sein bezeichnet wird. 146 Enn. in Ps 121,6: …ipse unus dies nec ortum habet, nec occasum, nec inchoatur ab hester­ no, nec excluditur a crastino, sed stat semper ille dies (III,771 f.), ib. Ps 101, sermo 2,10:… aetern­ itas ipsa Dei substantia est, quae nihil habet mutabile, ibi nihil est praeteritum, quasi iam non sit, nihil est futurum quasi nondum sit (III,401 BC). Siehe ferner Conf. XI, 13,16. 147 Boethius De cons. phil. V,6,4: Aeternitas igitur est interminabilis vitae tota simul et per­ fecta possessio. Vgl. dazu das Plotinzitat bei Anm. 140.

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thiuswort „nicht fruchtbarer zu machen gewußt hat“148. Sogar Schleierma­ cher hat die Ewigkeit Gottes, indem er sie wie alle andern Eigenschaften Gottes auf die göttliche Ursächlichkeit bezog, als „vollkommen zeitlos“ charakterisiert und sich ausdrücklich gegen Auffassungen gewendet, „wel­ che nur die Schranken der Zeit, nicht die Zeit selbst, für Gott aufheben“149. Gegen solche bloße Entgegensetzung der Ewigkeit zur Zeit gab schon Theo­ dor Haering mit Recht zu bedenken, daß die Bibel zwar einerseits Gottes Erhabenheit über die wechselnde Zeit betont, aber andererseits „ganz unbe­ fangen ein wirkliches Verhältnis Gottes zur Zeit voraussetzt“150. Die Differenz der boethianischen Auffassung vom Verhältnis der Ewigkeit zur Zeit von der zeitlosen Ewigkeit Augustins und Schleiermachers ist u. a. auch von Nelson Pike (God and Timelessness, London 1970, 8 ff. 14) verkannt worden. Die Auffassung der Ewigkeit als der Zeit nur entgegengesetzt liegt seiner einflußrei­ chen Kritik am Gedanken der Ewigkeit Gottes durchgängig zugrunde: Nur von einer schlechterdings zeitlosen Ewigkeit gilt, daß ihre Unveränderlichkeit (43 f.) jede Möglichkeit kontingenter Tätigkeit (action) von Gott ausschließt (113 ff.), so daß auch die Vorstellungen göttlicher Macht und Gottes als eines persönlichen Wesens (121 ff.) inhaltsleer werden. Pike erblickt die einzige Alternative dazu in der Annahme, daß Gott selber in jedem Moment seines Lebens einen „Ort“ im Verlauf der Zeit (temporal position: 118 u. ö.) einnimmt, wenngleich er unsterblich und unvergänglich in seiner Dauer sein mag (49). Diese Vorstellung macht jedoch aus Gott ein endliches Wesen, wenn sie bedeutet, daß Gott in jedem Moment sei­ nes Lebens ebenso wie wir auf eine von seiner Gegenwart verschiedene Zukunft vorausblickt und die Vergangenheit ihm entsinkt. Von beiden Seiten her wäre dann seine Gegenwart begrenzt; er wäre weder der eigenen Zukunft, noch seiner Vergangenheit voll und ganz mächtig. Mit dem biblischen Gottesverständnis, aber auch mit dem philosophischen Gedanken, daß Gott nur als der eine Ursprung aller Dinge angemessen gedacht wird, ist das unvereinbar. Wenn Gott ist, dann muß ihm sein ganzes Leben und damit auch alles von ihm Geschaffene gleichzeitig ge­ genwärtig sein. Dadurch ist aber nicht jeder Unterschied des zeitlich Verschiede­ nen beseitigt. Im Gegenteil: Gerade als hinsichtlich seiner „temporal position“ verschieden ist es dem ewigen Gott gegenwärtig. In derselben Weise kann es auch von ihm bejaht, „gewollt“ und hervorgebracht sein.

Diesem Sachverhalt kann nur Raum gegeben werden, wenn die Wirklich­ keit Gottes nicht als unterschiedslose Identität, sondern als in sich differen­ zierte Einheit zu verstehen ist. Gerade das aber fordert die Trinitätslehre. Barth hat das treffend hervorgehoben und von einer „Ordnung und Folge“ im trinitarischen Leben Gottes gesprochen, die auch „ein Vorher und Nach­ 148

K. Barth KD II/l, 688 mit einem kritischen Seitenblick auf Thomas von Aquin S. theol.

I,10,1. 149

F. Schleiermacher: Der christliche Glaube § 52,1 und 2. Th. Haering: Der christliche Glaube, Stuttgart 1906, 329. Häring resigniert allerdings vor der Aufgabe, die Spannung zwischen Zeit und Ewigkeit in den theologischen Begriff der Ewig­ keit einzuholen. 150

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her“ einschließe151. Letzteres wird allerdings nur im Hinblick auf die Manifestation der Trinität in der Heilsökonomie gesagt werden können. Es entspricht aber der Einsicht von der Identität der immanenten mit der ökonomischen Trinität. Kraft ihrer trinitarischen Differenzierung um­ schließt die Ewigkeit Gottes die Zeit der Geschöpfe in ihrer ganzen Ausdeh­ nung, vom Beginn der Schöpfung bis zu ihrer eschatologischen Vollendung. Barth hat das in seinen Ausführungen über die „Zeitlichkeit der Ewigkeit“ als Vorzeitlichkeit, Überzeitlichkeit und Nachzeitlichkeit zum Ausdruck gebracht152. Im Hinblick auf die Inkarnation des Sohnes wäre allerdings wohl eher von einer „Inzeitlichkeit“ als von Überzeitlichkeit zu sprechen. Tatsächlich hat Barth seine Auffassung von der Ewigkeit Gottes später in dieser Richtung weiterentwickelt, nicht nur im Hinblick auf den Menschen Jesus als den „Herrn der Zeit“, sondern in bezug auf die Lebenszeit des Menschen überhaupt. Die Gegenwart, die Gott uns gibt, „ist unsere Gegen­ wart auf Grund der seinigen, in der seinigen, für die seinige“; darum schrei­ tet sie „vom Gewesenen zum Zukünftigen“, nämlich auf Gott selbst zu: In ihm haben wir es mit „der Quelle, dem Inbegriff und Grund aller Zeit zu tun“, so daß Barth schreiben konnte: „Seine Gegenwart als solche ist die Ga­ be meiner Zeit.“153 Sie ist auch die Grenze meiner Zeit, und indem diese nicht nur an das Dasein anderer Geschöpfe grenzt, sondern an Gottes Ewig­ keit und in sie „eingebettet“154 ist, versinkt sie auch als gewesene nicht ins Nichts, sondern bleibt Gott gegenwärtig. Barths Ausführungen über die Ewigkeit als Quelle, Inbegriff und Grund der Zeit bedürfen allerdings der Bewährung an der philosophischen Beschreibung und Analyse der Zeit als solcher155. Sonst blieben sie bloße theologische Versicherun­ gen, die der Erfahrungswirklicheit der Zeit äußerlich aufgesetzt sind und daher je­ der Verbindlichkeit entbehren. Der Sache nach befinden sich Barths Thesen in großer Nähe zu Plotins Philosophie der Zeit, die hinter der von Barth so hoch ge­ schätzten Zeitdefinition des Boethius steht. Es ist Plotins These gewesen, daß das Wesen der Zeit nur in bezug zur Ewigkeit verstanden werden kann, weil sonst die Übergänge von einem Zeitmoment zum andern unverständlich bleiben. Zum Ver­ ständnis dieses Sachverhalts ist die Anschauung des Ganzen des Lebens, das in der Zeit im Nacheinander seiner Momente gegeben ist, vorausgesetzt, und die simul­ tane Gegenwart dieses Ganzen ist eben die Ewigkeit im Sinne Plotins. Diese 151

KD II/1,693 f. Ebd. 698–722. 153 KD III/2, 1948, 639 f. Die Ausführungen über „Jesus, der Herr der Zeit“ (ebd. 524–616) bilden die christologische Grundlage für diese Aussagen (siehe dazu auch 669 f.). 154 KD III/2, 690, vgl. 685 f. 155 Der von Barth abgewiesene Zugang zum Begriff der Ewigkeit von der Erfahrung der Zeit her (vgl. Thomas von Aquin S. theol. I,10,1), freilich nicht als „Negation des Zeitbegriffs“ (KD II/l, 689), sondern als Bedingung seiner Möglichkeit, ist unerläßlich, wenn es mit Barths eigener an Boethius orientierter These von Gottes possessio vitae als Schlüssel zum Begriff der Ewigkeit, sofern sie doch auch Grund und Quelle der Zeit sein soll, seine Richtigkeit hat. 152

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Begründung der Zeit aus dem Begriff der Ewigkeit ist schon bei Augustin verlorengegangen zugunsten eines Rückzugs auf die platonische Ableitung der Zeit aus der Bewegung der Himmelskörper. Die aristotelische Scholastik hat zwar zwischen Zeit und Bewegung unterschieden, aber die Zeit nur auf den Begriff der Zahl (Thomas v. A. S. theol. I,10,6) und damit auf die zählende Seele begründet. So hat schließlich Kant die Zeit auf die Selbstaffektion des Ich begründen können (Kritik r.V.B 67 f.), obwohl er die Priorität der Ganzheit der Zeit in unserer Zeitanschauung als Bedingung der Erfassung irgendwelcher Teilzeiten erkannte (B 48), die dem analogen Sachverhalt bei der Raumanschauung (B 39 f.) entspricht. Hat Kant die Implikation des Ewigkeitsgedankens in der von ihm zugestandenen Priorität der Zeit als ganzer vor jedem Teil derselben nicht gesehen? Oder hat er sie bewußt vernachlässigt? Die Einheit des Ich, deren wir durch Selbstaffektion gewahr sein sollen, kann jedenfalls nicht erklären, daß die Zeit (und ähnlich auch der Raum) als ein unendliches gegebenes Ganzes in unserer Anschauung aller Er­ fassung von Teilzeiten vorhergeht. Ähnliche Bedenken erheben sich gegen Martin Heideggers Zeitanalyse in „Sein und Zeit“, die eine Modifikation der Zeitlehre Kants darstellt156. Die kritische Einsicht in die Schranken moderner Rekonstruk­ tionen der Bedingungen unserer Zeiterfahrung erlaubt die Annahme, daß Plotins Lehre von der Ewigkeit als Bedingung eines angemessenen Begriffs der Zeit durch die moderne Diskussion des Zeitbegriffs keineswegs überholt ist.

Die Revision der traditionellen Entgegensetzung von Zeit und Ewigkeit ist von Karl Barth besonders energisch betrieben worden. Doch steht Barth da­ mit nicht allein in der Theologie seines Jahrhunderts. Es besteht weithin Übereinstimmung darüber, daß Ewigkeit „weder Zeitlosigkeit, noch die Endlosigkeit der Zeit“ bedeutet157. Dabei fehlt jedoch meistens die bei Barth wenigstens angedeutete trinitarische Begründung. Nach Tillich sind in Gott „die Momente der Zeit nicht voneinander getrennt… Die zerteilten Augen­ blicke der Zeit werden in der Ewigkeit vereinigt.“158 Diese Formulierung vermeidet zwar die Vorstellung der Ewigkeit als einer undifferenzierten Selbstidentität des einen Gottes, der darin nur mit sich identisch wäre. Sie bringt aber weder die Differenz des ewigen Gottes von der Zeitlichkeit der Geschöpfe, noch die Bewegung ihrer Einbeziehung in die ewige Gegenwart 156 Siehe dazu meine Ausführungen in: Der Gottesgedanke und die Erneuerung der Meta­ physik, Göttingen 1988, 60 ff. 157 P. Tillich: Syst. Theologie I (1951) dt. Stuttgart 1955, 322 (in späteren Ausgaben 315). Vgl. schon P. Althaus: Die letzten Dinge (1922) 4. Aufl. Gütersloh 1933, 318 f. und ders.: Die christliche Wahrheit (1947) 3. Aufl. Gütersloh 1952, 276 f. 158 P. Tillich a. a. O. 322 (spätere Auflagen 315) und 324. Seltsamerweise wendet sich Tillich dennoch gegen die Vorstellung einer „Gleichzeitigkeit alles Wirklichen“ (322) in der Perspekti­ ve der Ewigkeit, weil dadurch die Modi der Zeit selbst beseitigt wären. Aber Gleichzeitigkeit besteht für die traditionelle Ewigkeitsvorstellung nur auf der Ebene der Zusammenschau des Verschiedenen, dessen konstitutive Verschiedenheiten dabei gewahrt bleiben, wie es deutlich ist in der von Tillich als „Analogie“ herangezogenen Erfahrung zeitüberbrückender Gegenwart als „Einheit von erinnerter Vergangenheit und vorweggenommener Zukunft“ (323, später 316). Zum augustinischen Hintergrund dieser Analogie siehe: Der Gottesgedanke und die Erneue­ rung der Metaphysik, 1988, 58 ff.

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Gottes zum Ausdruck. Das eben leistet die Vermittlung durch den Gedan­ ken der Einheit von immanenter und ökonomischer Trinität: Begründet schon die Lehre von der immanenten Trinität die Vorstellung einer Vielheit in der Lebensganzheit des einen Gottes, die ihm ewig gegenwärtig ist, so be­ gründet die Lehre vom heilsökonomischen Wirken der trinitarischen Per­ sonen das Dasein einer Vielheit von Geschöpfen und ihre Einbeziehung in das Leben Gottes zur Teilhabe an seiner ewigen Herrlichkeit. Diese trinitarische Vermittlung fehlt in Plotins Lehre von der Zeit. Das Heraustre­ ten der Zeit aus der Ewigkeit konnte daher von Plotin nur in mythischer Begriff­ lichkeit als „Fall“ der Seele aus der ursprünglichen Einheit beschrieben werden (Enn III,7,11; Beierwaltes 294 ff.). Im Unterschied zur christlichen Theologie der göttlichen Heilsökonomie konnte Plotin dem Heraustreten der Zeit aus der Ewig­ keit auch keine positive Bedeutung für den Begriff der Ewigkeit selbst geben.

Der Gedanke der Ewigkeit, der der Zeit nicht nur entgegengesetzt, sondern zugleich positiv auf sie bezogen ist und sie in ihrer Totalität umfaßt, bildet eine geradezu paradigmatische Veranschaulichung und Konkretisierung der Struktur des wahrhaft Unendlichen, das dem Endlichen nicht nur entgegen­ gesetzt ist, sondern diesen seinen Gegensatz zugleich umgreift. Die Vorstel­ lung einer der Zeit nur entgegengesetzten, zeitlosen Ewigkeit entspricht da­ gegen dem schlecht Unendlichen, das in seinem Gegensatz zum Endlichen nur als ihm gegenüber anderes bestimmt ist und sich so selber als endlich er­ weist. Was für Konsequenzen hat nun ein Verständnis der Ewigkeit als konstitu­ tiv für die von ihr unterschiedene Zeit im Hinblick auf das Verhältnis der Geschöpfe, die ihr Dasein im Prozeß der Zeit haben, zur Ewigkeit? Nach Plotin bleibt die Seele auch dann, wenn sie die Einheit ihres Lebens verloren hat und dem Nacheinander der Zeit verfallen ist, auf die Ewigkeit, also auf die Ganzheit ihres Lebens bezogen, aber in der Weise des unendlichen Stre­ bens nach ihr und so, daß die verlorene Ganzheit nur als zukünftige wieder­ gewonnen werden kann159. Die Ewigkeit als in sich vollendete Ganzheit des Lebens erscheint also in der Perspektive der Zeit im Zeichen der von der Zu­ kunft erstrebten Vollendung. Das ist eine bedeutende Einsicht Plotins gewe­ sen. Sie ist ihm aus der Verbindung der platonischen Idee des Guten und des Strebens nach dem Guten mit dem Gedanken der Ewigkeit als vollendeter Ganzheit des Lebens erwachsen: Die Zukunft wird damit konstitutiv für das Wesen der Zeit, weil nur von ihr her dem Zeitlichen jene Ganzheit zuteil werden kann, die die Einheit und Kontinuität des Prozesses der Zeit ermög­ licht. In der Geschichte der philosophischen Erörterung des Zeitbegriffs ist diese Einsicht erst von Heidegger wieder erreicht worden, allerdings auf der

159

Plotin Enn. III,7,11, dazu Beierwaltes 272 f.

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Basis einer nicht mehr theologisch-kosmologischen, sondern rein anthropo­ logischen Analyse der Zeitlichkeit des Daseins160. Die christliche Theologie hat sich die Chance entgehen lassen, mit Hilfe der plotinischen Zeitanalyse die Eschatologie des Neuen Testaments mit dem Verständnis der Ewigkeit Gottes zu verknüpfen: Ist nicht das Kommen der Gottesherrschaft das Kraftfeld, das die Botschaft Jesu und sein Wirken durchströmt? Und ist nicht ihre Zukunft der Anbruch der Ewigkeit Gottes in der Zeit? Die Gottesherrschaft wird Gerechtigkeit und Frieden aufrichten in der Welt und bringt das Leben der Menschen in die Ganzheit, nach der je­ der Mensch sich sehnt. In der Zukunft der Gottesherrschaft wird das Leben der Schöpfung erneuert zur Teilhabe an der Ewigkeit Gottes. In ihr schließt die Ewigkeit sich mit der Zeit zusammen. Sie ist der Ort der Ewigkeit selbst in der Zeit, der Ort Gottes in seinem Verhältnis zur Welt, Ausgangspunkt seines Handelns im Anbruch seiner Zukunft für seine Geschöpfe, Quelle der Kraftwirkungen seines Geistes. Für Plotin freilich blieb das Suchen nach dem zukünftig Ganzen ein leerer Wahn in der Endlosigkeit des Fortgangs der Zeit. Es bedurfte einer Umwer­ tung seiner Zeitanalyse, wenn sie zum Argument für den eschatologischen Glauben der Christen werden sollte. Solche Umwertung ist angelegt in ihrer trinitarischen Interpretation, die im Unterschied zu Plotin Schöpfung und geschichtlichen Gang der Weltzeit umgriffen sieht von der Ökonomie Got­ tes, für die die Weltgeschichte zum Weg wird, der auf die Zukunft seiner Herrschaft hinführt. Augustins Denken hat trotz seiner geschichtstheologi­ schen Orientierung diese Richtung nicht genommen, vielleicht deshalb nicht, weil das Verhältnis von Trinität und Heilsökonomie bei ihm unterent­ wickelt blieb161. So blieb der Gegensatz von Ewigkeit und Zeit der dominie­ rende Gesichtspunkt seines Zeitverständnisses. Aber Augustin hat auf ande­ re und sehr folgenreiche Weise eine wenn auch gebrochene Analogie men­ schlichen Zeiterlebens zur simultanen Gegenwart der Ewigkeit entwickelt: Am Beispiel des Hörens einer Melodie, die in zeitlicher Folge erklingt und doch als ganze wahrgenommen wird, sowie am Beispiel des Satzes der Rede, den wir als ein Ganzes aufnehmen, obwohl seine Teile nur als Folge von Silben gesprochen werden, hat Augustin das Phänomen zeitüberbrücken­ der Gegenwart entdeckt, in der wir durch Erinnerung und Erwartung Vergangenes und Künftiges uns gegenwärtig halten in einer Dauer, die da­ durch ermöglicht wird, daß die Aufmerksamkeit (attentio) das unserer

160 Näheres dazu in: Der Gottesgedanke und die Erneuerung der Metaphysik, Göttingen 1988, 57 ff. 161 Siehe dazu die Bemerkungen zur Trinitätslehre Augustins in meinem Artikel: Christen­ tum und Platonismus. Die kritische Platonrezeption Augustins in ihrer Bedeutung für das ge­ genwärtige christliche Denken, in: ZKG 96,1985,147–161, bes. 159 f.

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Seele Gegenwärtige gleichsam ausdehnt auf das Vergangene und Künftige162. Solche Ausdehnung ist sicherlich im Vergleich zur göttlichen Ewigkeit, der alles gegenwärtig ist und bleibt, immer auch eine Zerdehnung und Zerstreu­ ung, weil wir doch dem Fortgang der Zeit unterworfen bleiben und das in der Zeit Getrennte nur teilweise und vorübergehend als simultane Einheit festhalten können. Dennoch vermittelt die Tatsache zeitüberbrückender Gegenwart und Dauer im Leben der Geschöpfe eine wenn auch entfernte Ahnung der Ewigkeit und eine Form der Teilhabe an ihr163. Augustins Entdeckung der Dauer als zeitüberbrückender Gegenwart, de­ ren Wirkungsgeschichte bis zu Henri Bergson und Martin Heidegger zu verfolgen ist, läßt sich mit der Vermittlung von Zeit und Ewigkeit durch die eschatologische Zukunft der Gottesherrschaft verbinden. Alle zeitüber­ brückende Dauer und alle Erfahrung solcher Dauer im Strom der Zeit kann als Antizipation der eschatologischen Zukunft einer Teilhabe der Geschöpfe an der Ewigkeit Gottes aufgefaßt werden. Damit kommt auch in den Blick, wie das schöpferische Handeln des ewigen Gottes in der Zeit als Anbruch seiner eschatologischen Zukunft im Dasein seiner Geschöpfe genauer ver­ standen werden kann. Im Unterschied zu den Geschöpfen, die als endliche Wesen dem Fortgang der Zeit unterworfen sind, hat der ewige Gott keine Zukunft vor sich, die von seiner Gegenwart unterschieden wäre. Eben darum bleibt ihm auch das Gewesene gegenwärtig. Gott ist ewig, weil er keine Zukunft außer sich hat, sondern die Zukunft seiner selbst und alles von ihm Verschiedenen ist. Keine Zukunft außer sich zu haben, sondern selber die Zukunft seiner selbst zu sein, das ist aber eine Umschreibung vollkommener Freiheit164. Insofern ist der ewige Gott als absolute Zukunft – in der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist – der freie Ursprung seiner selbst und seiner Geschöpfe165.

162 Conf. XI,26, 33: distentio animi. Vgl. zur Funktion der attentio für diese Erfahrung von Dauer in der Zeit Conf. XI,28, 38. 163 Vgl. meine Auseinandersetzung mit der Argumentation von E. A. Schmidt (Zeit und Ge­ schichte bei Augustin, Heidelberg 1985) in: Der Gottesgedanke und die Erneuerung der Meta­ physik, Göttingen 1988, 58 ff. 164 Aristoteles hat Freiheit dadurch definiert, daß der Zweck, um dessentwillen einer ist, mit ihm selber identisch ist: ἄνθρωπος…ἐλεύθερος ὁ ἑαυτοῦ ἕνεκα…ὦν (Met. 982b 25 f.). Zu­ kunft seiner selbst zu sein, macht somit schon beim Menschen das Wesen der Freiheit aus. Aber der Mensch hat die Zukunft seiner selbst gerade nicht in sich selbst, sondern jenseits seiner Ge­ genwart. Darum ist er auch nicht Ursprung seiner Freiheit von seiner Zukunft her. Vgl. J. Splett: Konturen der Freiheit. Zum christlichen Sprechen vom Menschen, Frankfurt 1974, 70 Anm. 3 zu dem aristotelischen Satz und zu seiner Wiedergabe bei Thomas von Aquin durch den Begriff causa sui in Met. lect. 3 n 58 und S. c. gentes III,112: liber enim est qui sui causa est. 165 Erst von der Zukünftigkeit Gottes her leuchtet die Behauptung von P. Althaus (Die christliche Wahrheit, 3. Aufl. Gütersloh 1952, 276) und K. Barth (KD II/l, 685 ff.) ein, daß Gott gerade als der ewige zugleich frei ist.

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c) Gottes Allgegenwart und Allmacht Die Erörterung des Gedankens der Ewigkeit Gottes ergab, daß alle Dinge Gott gegenwärtig sind: Sie sind ihm gegenwärtig als das, was sie sind in ihrer Unterschiedenheit von Gott, sie seien vergangen oder zukünftig, in sich sel­ ber real oder nur möglich. Wie das Vergangene dem ewigen Gott gegen­ wärtig bleibt, so ist auch das Künftige ihm schon gegenwärtig. Daher folgt aus der Ewigkeit Gottes seine Allgegenwart. Während aber zur Ewigkeit Gottes gehört, daß alle Dinge ihm gegenwär­ tig sind und bleiben, legt die Behauptung der Allgegenwart Gottes den Ak­ zent darauf, daß Gott allen Dingen auch am Ort ihres eigenen Daseins ge­ genwärtig ist: Gottes Gegenwart erfüllt Himmel und Erde (Jer 23,24). Die altprotestantischen Dogmatiker haben versucht, den Modus der Gegenwart Gottes bei seinen Geschöpfen (adessentiam Dei ad creaturas) noch genauer zu be­ stimmen: Zunächst wurde betont, daß es sich (entgegen der Auffassung der Sozi­ nianer) um eine Gegenwart des göttlichen Wesens selbst, nicht nur seiner Macht (potentia) und seiner schöpferischen Kraft (virtus) bei seinen Geschöpfen handelt; denn zwischen Gottes Wesen und seiner Kraft kann nicht geschieden werden166. Allerdings ist die Gegenwart Gottes immer als machtvolle Gegenwart (adessentia operosa) zu verstehen, weil mit ihr Erhaltung und Regierung der Geschöpfe ver­ bunden sind167. Die Gegenwart des göttlichen Wesens in der Schöpfung ist ferner nicht zu denken als punktuell an bestimmte Orte gebunden (circumscriptive) oder durch den Raum sich ausbreitend (diffinitive oder definitive), sondern als alles er­ füllend (repletive)168.

Die alles erfüllende Gegenwart Gottes bedeutet nicht, daß Gottes Wesen als durch das ganze Weltall ausgedehnt zu denken wäre. Zwar hat Spinoza Aus­ dehnung als ein Attribut Gottes behauptet169. Doch wenn Gott Ausdehnung besäße, müßte er als Körper existieren oder zumindest als räumlich be­ grenzt. Seine Allgegenwart hat aber den Charakter der mit seinem Wesen identischen Kraft (virtus): Durch seine ewige Kraft und Gottheit ist er seinen 166 Joh. Gerhard: Loci theologici (1610–1625) III,122: ...Deus non tantum virtute et effica­ cia, nec tantum visione et sapientia, sed etiam tota et individua sua essentia sit omnibus rebus praesens; neque enim tantum potentia et scientia, sed etiam essentia est immensus et infinitus. Die Auffassung der Sozinianer berief sich darauf, daß der Bibel zufolge Gott im Himmel sei und nicht bei den Bösen und bei den unreinen Dingen (J. Crellius: Liber de Deo eiusque attri­ butis (Bibliotheca Fratrum Polonorum IV) Amsterdam 1656 c. 27, p. 92 b). Zur Argumentation der Orthodoxie gegen die Sozinianer siehe z. B. D. Hollaz: Examen theol. acroam. I, Stargard 1707, 392 f. Dort auch die Definition der Allgegenwart als adessentia ad creaturas. 167 Hollaz: a. a. O. 393 f. 168 J. Gerhard a. a. O., vgl. Thomas von Aquin S. theol. I,8,2. 169 B. de Spinoza: Ethica II prop. 2: Extensio attributum Dei est sive Deus est res extensa. , Entsprechendes behauptete Spinoza auch von der cogitatio (ib. prop. 1), so daß die beiden von Descartes unterschiedenen Substanzen (res extensa und res cogitans) zu Attributen Gottes als der einen und einzigen Substanz wurden.

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Geschöpfen gegenwärtig, und daher schließt seine Gegenwart auch nicht wie die eines Körpers das gleichzeitige Dasein anderer Dinge am gleichen Ort aus170. Gottes Gegenwart durchdringt vielmehr und umgreift alle Dinge. Wegen der Unermeßlichkeit (immensitas) Gottes übersteigt seine Gegen­ wart alles Geschaffene: Auch der Himmel und „aller Himmel Himmel“ können ihn nicht fassen (1.Kön 8,27). Tritojesaja hat das in dem großartigen Bild ausgedrückt, daß der Himmel nicht nur die Wohnung, sondern selber der Thron Gottes ist, Gott ihn also noch überragt, während er zugleich mit seinen Füßen den Erdboden berührt (Jes 66,1). So „umgreift“ Gott alle Din­ ge durch seine Gegenwart, ohne seinerseits von irgendetwas umgriffen zu werden171. Unermeßlichkeit und Allgegenwart Gottes müssen als ein ein­ heitlicher Sachverhalt verstanden werden172. Gerade als der seine ganze Schöpfung unermeßlich Übersteigende ist Gott auch dem geringsten seiner Geschöpfe noch gegenwärtig. Ebenso wie bei der Ewigkeit Gottes sind da­ her auch bei seiner Allgegenwart die Momente von Immanenz und Transzendenz miteinander verbunden, wie es dem Kriterium des wahrhaft Unendlichen entspricht. Karl Barth hat gegen die herkömmliche Zuordnung der Allgegenwart ebenso wie der Ewigkeit zum „Oberbegriff“ des Unendlichen protestiert (KD II/l, 522–527), weil er den Begriff des Infinitum einseitig als Gegensatz zum Endlichen aufgefaßt hat, so daß die Immanenz Gottes in seiner Schöpfung, die mit der Allgegenwart ausgesagt ist, in der Tat nicht zu ihrem Recht käme. Barth warnt davor, „unsere Erkenntnis Gottes in den Gegensatz der Begriffe Endlichkeit und Unendlichkeit einspannen zu lassen“ (526). Barths Feststellung, daß der Gegensatz zum Endli­ chen für Gott „keine Schranke“ bilde (525), ist der Sache nach ein Plädoyer für den Gedanken des wahrhaft Unendlichen, das dem Endlichen eben nicht nur entgegengesetzt ist, sondern diesen Gegensatz zugleich übergreift. Obwohl man Barths Behauptung, daß der Gedanke der Allgegenwart auf die Seite der Liebe Gottes, der der Ewigkeit dagegen primär auf die Seite der göttlichen Freiheit gehö­ re (522 f.), als Ausdruck einer allzu künstlichen Verteilung der Darstellung der göttlichen Eigenschaften auf die angeblich in Spannung zueinander stehenden Pole von Freiheit und Liebe betrachten mag, ist Barth doch darin zuzustimmen, daß gerade die Allgegenwart Gottes gegen einen Gottesbegriff spricht, der Gott im Verhältnis zur Welt des Endlichen nur als transzendent denkt. 170

Thomas v. Aquin: S.c. Gentes I,68 und S. theol. I,8,2. Durch dieses Bild hat schon die frühchristliche Theologie die Einheit von Immanenz und Transzendenz Gottes im Verhältnis zu seinen Geschöpfen ausgedrückt, z. B. Aristides Apol. I,4: Dico tamen deum… ab nullo comprehensum esse sed ipsum omnia comprehendere… Zu weiteren Belegen aus Philo, Justin, Theophilus von Antiochien, Irenaus siehe: Grundfragen sy­ stematischer Theologie I,331 n. 121. 172 In der altprotestantischen Dogmatik wurde dagegen die immensitas zu den Gott in sich selber zukommenden, absoluten oder „immanenten“ Eigenschaften gerechnet, während von Allgegenwart erst mit dem Weltverhältnis gesprochen werden könne (D. Hollaz a. a. O. 355– 357 und 391 f.). 171

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Gott ist seiner Schöpfung nach dem Zeugnis der Bibel auf verschiedene Wei­ se gegenwärtig. Am geläufigsten ist die Vorstellung vom „Wohnen“ Gottes im Himmel (s. o. Anm. 136), also in dem für den Menschen unzugänglichen Bereich ewiger Gegenwart (vgl. 1.Tim 6,16): Dort hat er seinen Thron er­ richtet (Ps 103,19; vgl. 2,4; 33,14; 113,6; 123,1 u. ö.), im Himmel hat er seine „Wohnung“ (Dtn 26,15; 1.Kön 8,39 u. ö.). Auch das Gebet Jesu ist an den Vater gerichtet, der „im Himmel“ ist (Mt 6,9), und immer wieder verweist seine Botschaft auf den Vater „im Himmel“. Doch so sehr Gott durch sein Wohnen im Himmel für den Menschen verborgen ist (Mt 6,18), so sehr überblickt er von dort das Geschehen auf Erden (Ps 20,7; 80,15; 102,20;113,6), und sein Blick dringt bis ins Verborgene (Mt 6,18, cf. 4 und 6). Die biblischen Aussagen über das Wohnen Gottes im Himmel sind nun besonders auch darum aufschlußreich, weil sie mit der Unterscheidung des Himmels von der Erde implizieren, daß Gott seinen Geschöpfen auf Erden Raum gibt für ein eigenes Dasein, in seiner Gegenwart, aber neben ihm. Die Rede vom Himmel als Ort Gottes ist freilich selber ein räumliches Bild; es soll aber gerade die Unterschiedenheit Gottes vom Raum der irdischen Schöpfung zum Ausdruck bringen. Das tritt noch schärfer hervor, wenn man sich erinnert, daß der Himmel auch ein Bild für die ewige Gegenwart Gottes ist, in der alles Zeitliche Gott gegenwärtig ist. Denn der Himmel als räumlicher Bereich steht heute nicht mehr wie für den antiken Menschen in radikalem Gegensatz zu aller irdischen Wirklichkeit. Für den heutigen Men­ schen ist der kosmische Raum als solcher, in den mit dem Himmel auch die Erde gehört, der Bereich der endlichen Dinge. Dieser kosmische Raum der Schöpfung, der den Geschöpfen ihr Bestehen nebeneinander und nicht nur nacheinander ermöglicht, beruht auf der Gleichzeitigkeit der ewigen Gegen­ wart Gottes und ist doch von ihr unterschieden als der Bereich der Selbstän­ digkeit geschöpflichen Bestehens in der Gleichzeitigkeit des Nebeneinander­ seins. Indem Gott so den Geschöpfen Raum gibt neben sich, gewährt er ih­ nen ihr selbständiges Dasein an je ihrem Ort im Raume und ist dabei zugleich ihnen gegenwärtig, weil er in seiner Unermeßlichkeit nicht nur bei sich selbst, sondern auch am Ort alles anderen ist, dem er das Dasein gewährt. Isaac Newton hat im Anschluß an den Philosophen Henry More den physikali­ schen Raum als die Form der Allgegenwart Gottes bei seinen Geschöpfen aufge­ faßt. In seiner „Optik“ 1706 hat Newton diesen Gedanken durch die Bezeichnung des Raumes als sensorium Dei ausgedrückt (Opticks 3.ed. London 1721, 344 ff.). Das wurde zum Anlaß für die Verdächtigung dieser Vorstellung durch Leibniz als pantheistisch und für die Verteidigung der Gedanken Newtons gegen diese Ankla­ ge durch Samuel Clarke173. Nach Clarke ist der Ausdruck sensorium hier nicht so 173 Siehe dazu meine Ausführungen in: Gott und die Natur. Zur Geschichte der Auseinan­ dersetzungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, in: Theologie und Philosophie 58, 1983, 481–500, bes. 493 ff.

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zu verstehen, als bedürfe Gott des Raumes zur Wahrnehmung der Geschöpfe, son­ dern vielmehr als Mittel zur Hervorbringung der Dinge an je ihrem Ort. Der abso­ lute Raum ist nach Clarke ungeteilt und unteilbar, und als solcher ist er identisch mit der göttlichen Unermeßlichkeit (immensitas)174. Erst durch die Erschaffung endlicher Dinge und durch ihr Nebeneinander im Raume kommt es zu Teilung und Teilbarkeit. So konstituiert Gott durch seine Ewigkeit und Unermeßlichkeit den Raum – und übrigens auch die Zeit seiner Geschöpfe, wie Newton in dem be­ rühmten Scholium Generale formulierte, das er 1713 der zweiten Auflage seiner Philosophiae Naturalis Principia Mathematica hinzufügte (Neudruck Cambridge 1972, II, 761): existendo semper et ubique, durationem et spatium constituit. Diese Gedanken Newtons sind auch durch Albert Einsteins Kritik an Newtons Begriff des absoluten Raumes nicht veraltet, weil Einstein keineswegs nur in Gegensatz zu Newton zu verstehen ist, sondern die Funktion, die der Raumbegriff bei Newton hat, zu einer allgemeinen Feldtheorie der Raumzeit erweitert hat (Vgl. Einsteins Vorwort zu M. Jammer: Das Problem des Raumes (1954), dt. Darmstadt 1960, XIXV, bes. XV). Allerdings hat Newton, weil er seinen Gedanken nicht trinitätstheo­ logisch entfaltet hat (s. u.), die Vereinbarkeit von Transzendenz und Gegenwart Gottes bei seinen Geschöpfen nicht hinreichend zu klären vermocht.

Die Gegenwart Gottes bei den Geschöpfen am jeweiligen Ort ihres Daseins hat in erster Linie die Form der schöpferischen Gegenwart seines Geistes, durch den Gott seine Geschöpfe ins Dasein ruft und im Dasein erhält (Ps 104,29 f.; vgl. Hi 33,4). Der Geist Gottes erfüllt den ganzen Erdkreis (Sap 1,7), so daß niemand ihm entfliehen kann (Ps 139,7). Die Unentrinnbarkeit der Gegenwart Gottes durch seinen Geist besagt, daß Gott auch dem gegen­ wärtig bleibt, der sich von ihm abwendet, obwohl es dem sich abwendenden Geschöpf so scheinen mag, daß Gott abwesend sei (Jes 5,19 und Ps 42,12; 79,10). Der Gottlose denkt, daß sein Tun unbemerkt bleibt (Ps 94,7; 10,11; Jes 29,15). Aber ihm wird die Gegenwart des heiligen Gottes zum Gericht werden. Der Fromme dagegen bittet Gott, daß er sein „Angesicht“ nicht von ihm wende und „verberge“ (Ps 69,18). Denn alle Geschöpfe müssen er­ schrecken, wenn Gott sein Angesicht vor ihnen verbirgt (Ps 104,29), weil sie auf die lebenserhaltende Nähe Gottes durch seinen Geist angewiesen sind. Darum betet der Psalmist: „Verbirg nicht dein Angesicht vor mir, damit ich nicht denen gleich werde, die zur Grube fahren“ (Ps 143,7; vgl. 10,1 ff.; 88,15 u. ö.). Freilich gehört zum Leben der Geschöpfe die Endlichkeit, und sie er­ fahren ihr Enden als Widerspruch zu ihrem Leben. 174 Der Briefwechsel von S. Clarke und G. W. Leibniz ist abgedruckt in G. W. Leibniz: Die philosophischen Schriften, hg. G. J. Gerhardt, Band VII (1890). Die zit. Formulierung von Clar­ ke, die den Kernpunkt der Auseinandersetzung klärt, findet sich p. 368 n. 3: „… Infinite Space is one, absolutely and essentially indivisible: And to suppose it parted, is a contradiction in Terms; because there must be Space in the Partition itself; which is to suppose it parted, and yet not par­ ted at the same time“. Daher ist der unendliche Raum nach Clarke identisch mit der teillosen Unermeßlichkeit (immensitas) Gottes selbst (368 n. 3). Diese Argumentation ist analog der Plo­ tins für die Annahme der Ewigkeit als Bedingung der Zeit mit der Begründung, daß ohne diese Annahme die Übergänge von einem Zeitmoment zum andern unverständlich blieben.

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Doch die Verborgenheit Gottes in der Not des Leidens und der scheinba­ ren Verlassenheit von Gott bedeutet nicht, daß er abwesend oder machtlos ist (Hi 16,12 ff.; 23,2 und 14; 30,19 ff.). Sie bedeutet nur, daß die Geschöpfe die Wege Gottes mit ihnen nicht verstehen, weil sie sich gegen ihr eigenes Leben wenden. In Gottes Verborgenheit aber kann auch die Rettung für das Geschöpf schon auf dem Wege sein (Jes 45,15). Nach der Botschaft des Neu­ en Testaments zielt der verborgene Wille Gottes, das „Mysterium“ seines Heilsplans, durch Vergänglichkeit und Tod hindurch letztlich auf das Heil seiner Geschöpfe (Röm 11,25 ff.; 16,25; Eph 1,9 f., Kol 1,26 ff.). Durch seinen Geist ist der transzendente Gott selbst in seiner Schöpfung gegenwärtig, – aber wie sind seine Transzendenz und seine irdische Gegen­ wart miteinander vereinbar? Die Frage stellt sich noch schärfer im Hinblick auf die Vorstellung, daß der Gott, der im Himmel thront, doch zugleich auch seine Wohnung hat auf Erden, speziell auf dem Berg Zion (Jes 8,18), wo sein „Haus“ steht (Jes 2,3). Diese an Jerusalem und seinen Tempel gebundene Vorstellung ist möglicherweise schon früh kontrovers gewesen, in engem Zusammenhang mit dem Tempelbau als solchem (2.Sam 7,6 f.). In späterer Zeit hat man sie abgemildert zu dem Gedanken, daß nur der „Name“ Jahwes im Tempel wohne, während er selbst im Himmel thront (Dtn 12,5 ff., vgl. 26,15). Auch in der Überlieferung von Salomos Tempelweihgebet wurde die ältere Wohnvorstellung (1.Kön 8,12 f.) abgeschwächt zum Wohnen nur des Namens (8,29), und der Tempelbau bedurfte eingehender Rechtfertigung an­ gesichts des Wohnens Gottes im Himmel. Neben die deuteronomische Auf­ fassung vom Wohnen des Namens Gottes trat die priesterschriftliche Er­ neuerung der möglicherweise alten Vorstellung, wonach nur die „Herr­ lichkeit“ Gottes auf Erden in Erscheinung tritt175. Eine besondere Weise bleibender Gegenwart Gottes bei seinem Volk hat dabei doch auch die Prie­ sterschrift angenommen, wenn sie die ältere Vorstellung von einer Wolkenund Feuersäule (Ex 13,21 f.), die das Volk auf seiner Wanderung begleitet ha­ be, dahin deutet, daß in ihr die Herrlichkeit Gottes verborgen war (vgl. Ex 24,15 f.), um fortan mit dem Volk zu ziehen (Ex 14,36–38, vgl. Num 9,15 ff.), während nach anderer Auffassung der „Engel“ Gottes (Ex 32,34; vgl. 33,2) oder Gottes „Angesicht“ (Ex 33,14) vor dem Volke herzog, um es zu führen. Trotz allen Bemühens um Wahrung der Transzendenz Gottes sogar bei solchen Vorstellungen von seiner Gegenwart durch nahezu hypostatisch verselbständigte Größen wie Name, Herrlichkeit, Angesicht stellt sich doch bei ihnen allen dieselbe Frage nach dem Verhältnis von Transzendenz und Immanenz Gottes. Ähnliches gilt für die Weiterbildung solcher Vor­ stellungen in der rabbinischen Exegese176. Erst die Trinitätslehre hat die Spannungseinheit von Transzendenz und Immanenz Gottes grundsätzlich 175 176

Vgl. G. v. Rad: Theologie des Alten Testaments I, München 1957, 233–240. A. a. O. 296 f.

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zu klären vermocht, nachdem das Problem in den neutestamentlichen Aussa­ gen über das „Wohnen“ der Gottheit Gottes in Jesus Christus (Kol 1,19; 2,9), über den Leib Jesu als den Tempel (Joh 2,19), in welchem der Vater „bleibt“ (14,10), und über das „Wohnen“ des erhöhten Christus (Eph 3,17) und seines Geistes (1.Kor 3,16; Röm 8,9.11) in den Glaubenden noch einmal in voller Schärfe hervorgetreten war. Die Trinitätslehre ermöglicht es, die Transzendenz des „Vaters im Himmel“ mit seiner Gegenwart bei den Glau­ benden durch Sohn und Geist so zu verbinden, daß wegen der Homoousie der drei Personen und ihrer gegenseitigen Einwohnung (Perichorese) nun durch den Sohn und den Geist auch der Vater unbeschadet seiner Transzen­ denz als den Glaubenden gegenwärtig und nah gedacht werden kann (vgl. Joh 14,8 ff.). So erweist sich das trinitarische Leben Gottes in seiner Heilsö­ konomie als die wahrhafte Unendlichkeit seiner Allgegenwart. Entsprechendes gilt auch für die Allmacht Gottes. Allmacht und Allge­ genwart hängen untereinander und mit der Ewigkeit Gottes auf das engste zusammen. Wie ihm in seiner Ewigkeit alle Dinge gegenwärtig sind und er ihnen gegenwärtig ist, so ist er eben dadurch auch aller Dinge mächtig. Got­ tes Allgegenwart ist ihrerseits schon von der Dynamik seines Geistes er­ füllt177, und keine noch so große Macht kann wirksam werden, ohne daß ihr Gegenstand ihr gegenwärtig ist. Allgegenwart ist darum eine Bedingung der Allmacht. Aber durch den Gedanken der Allmacht wird weiter konkreti­ siert, was die Allgegenwart Gottes durch seinen Geist beinhaltet. Dabei ent­ spricht der volle Begriff der Allmacht wieder der Struktur des wahrhaft Un­ endlichen, und auch dieser volle Begriff der Allmacht ist erst durch das trini­ tarische Leben Gottes realisiert. Allmächtig heißt Gott zunächst darum, weil seine Macht keine Grenzen hat, also ebenso grenzenlos, unendlich ist wie seine Allgegenwart und seine ewige Dauer. So bekennt Hiob: „Ich habe erkannt, daß du alles vermagst; nichts, was du sinnst, ist dir verwehrt“ (42,2). Ausweis solcher Allmacht ist nicht nur für Hiob die Schöpfung der Welt (vgl. Röm 1,20) in ihrer Vielfalt. Auch Baruch betet zu Gott: „Du hast Himmel und Erde geschaffen durch deine große Kraft und deinen ausgereckten Arm; für dich ist kein Ding un­ möglich“ (Jer 32,17). Als der Schöpfer aller Dinge hat Gott auch das Recht, wie der Töpfer die mißratenen Gefäße zu zerbrechen, die aus seiner Hand hervorgegangen sind (Jes 45,9 ff., vgl. Jer 18,6 ff. und Röm 10,19 ff.). Er schafft nicht nur das Licht, sondern auch die Finsternis, das Heil ebenso wie das Unheil (Jes 45,7; vgl. Jer 45,4). Dennoch führt die abstrakt gefaßte Vorstellung der unbegrenzten Macht 177 K. Barth KD II/l, 519: „Gottes Gegenwart schließt in sich seine Herrschaft: wie sollte er gegenwärtig sein, ohne zu herrschen? Und seine Herrschaft schließt in sich seine Herrlichkeit: Wie sollte er herrschen, ohne sich selbst zu verherrlichen, ohne herrlich zu sein in ihm selber?“ Über diese Aussage hinaus soll im Text betont werden, daß Allgegenwart die Bedingung all­ mächtiger Herrschaft ist.

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sehr leicht dazu, die Herrschaft Gottes mit der angemaßten Allmacht tyran­ nischer Herrschaft zu verwechseln. Diese Fehldeutung ergibt sich dann, wenn die Macht Gottes als Allmacht im Gegensatz zu dem andern, dessen sie mächtig ist, gedacht wird: die Allmacht als das schlechthin Bestimmende, das durch sie Bestimmte als das ihrer Willkür Ausgelieferte. Diese einseitig im Sinne der Entgegensetzung des Bestimmenden gegen das Bestimmte vorgestellte Macht178 erreicht jedoch den Gedanken der Allmacht gar nicht, so sehr tyrannische Herrschaft auf ihrem Wege nach Allmacht streben mag: Das Bestimmende bleibt immer gebunden an den Gegensatz zum Bestimm­ ten, und es hat diesen Gegenstand seiner Macht außer sich als Vorbedingung seiner eigenen Tätigkeit. Die Macht Gottes aber hat kein anderes außer sich, das ihr vorgegeben wäre, sondern sie ist dadurch gekennzeichnet, daß sie dasjenige überhaupt erst hervorbringt, dessen sie mächtig ist. Erst als der Schöpfer kann Gott allmächtig sein. Darum ist in den biblischen Schriften die Aussage der Allmacht Gottes durchgängig mit dem Hinweis auf sein Schöpfungshandeln verbunden. Als der Schöpfer aber will Gott immer schon das Dasein seiner Geschöp­ fe. Darum kann seine Allmacht den Geschöpfen nicht gänzlich entgegenge­ setzt sein, wenn anders Gott in seinem Handeln mit sich selbst identisch bleibt und sich darin als der Eine erweist. Zwar kann sein Handeln auch Zer­ störung und Unheil bedeuten als Ausdruck seines heiligen Zorns. Aber als das Handeln des Schöpfers bleibt es doch über alles Verderben hinaus auf das Leben seiner Geschöpfe gerichtet. Entsprechendes gilt auch für das Verhältnis Gottes zu seinem erwählten Volk: Bei Jeremia kündigt Gott die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier an, indem er sagt: „Siehe, ich bin der Gott alles Fleisches; sollte für mich etwas unmöglich sein?“ (Jer 32,26). Aber die Ankündigung seines Allmachtshandelns zielt über die Zer­ störung der Stadt hinaus auf die Erneuerung Jerusalems und des Bundes mit dem erwählten Volk (32,38 ff.). Noch umfassender wird die Reichweite der Allmacht Gottes in den Aus­ führungen des Apostels Paulus über den Gott Abrahams umschrieben, „der die Toten lebendig macht und das Nichtsein ins Sein ruft“ (Röm 4,17). Der Schöpfung aus nichts stellt Paulus die Auferstehung der Toten zur Seite. Das Ostergeschehen und die Totenauferstehung, auf die sich die christliche Hoff­ nung richtet, entsprechen der Unumschränktheit der Schöpfungstat Gottes. Nur der Schöpfer kann Tote auf erwecken, und umgekehrt veranschaulicht die Totenauferweckung, was es heißt, Schöpfer zu sein. Aber darüber hinaus liegt in dieser knappen Kennzeichnung des allmächtigen Gottes doch auch, 178 Zur Auseinandersetzung mit dieser Vorstellung von Gottes Allmacht siehe F. Wagner: Die Wirklichkeit Gottes als Geist, in: Evang. Kommentare 10, 1977, 81 ff. Allerdings meint Wagner, mit seiner Kritik den Gedanken der Allmacht überhaupt zu treffen. Zu der hier nahe­ liegenden „Verkehrung“ des Gottesbegriffs „in sein Gegenteil“ vgl. auch K. Barth KD II/l, 589.

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daß sein Schöpfungshandeln sich in der Auferweckung der Toten vollendet: Die Auferweckung der Toten ist die unüberbietbare Bekräftigung des Schöpferwillens, der das Dasein seiner Geschöpfe will. In der Geschichte der Lehre von der Allmacht Gottes ist ihre enge Verbin­ dung mit dem Schöpfungshandeln und der darin begründeten Vollmacht (potestas) Gottes zur Herrschaft über seine Schöpfung179 oft vernachlässigt worden. Besonders die Erörterungen über die Absolutheit der göttlichen Macht und deren Verhältnis zu ihrer Ausübung in der faktisch von Gott be­ schlossenen Heilsordnung haben dabei eine unglückliche Rolle gespielt. Bis zur Hochscholastik gewann diese Unterscheidung noch keine zentrale theolo­ gische Relevanz. Thomas von Aquin behandelte sie im Rahmen der Frage, ob Gott auch tun könnte, was er faktisch nicht tut. Die Antwort lautet, daß er absolut gese­ hen (secundum potentiam absolutam) die Möglichkeit dazu hätte, faktisch jedoch nach der von seinem Willen gesetzten gerechten Ordnung handelt (de potentia or­ dinata: S. theol. I,25,5 ad 1). Für Thomas war ein Handeln Gottes nach seiner ab­ soluten Macht nur eine abstrakte Denkmöglichkeit. Doch die Bindung seines Wil­ lens und seiner Macht an eine bestimmte Ordnung seines Handelns konnte im Sinne des arabischen Aristotelismus so verstanden werden, daß Gott keine Frei­ heit gegenüber einer einmal bestehenden Ordnung des Weltgeschehens und ge­ genüber einer einmal gesetzten Heilsordnung mehr bliebe. Das biblische Zeug­ nis von der Freiheit des göttlichen Handelns in der Geschichte steht einem solchen Determinismus entgegen. Daher hat seit Ende des 13. Jahrhunderts die jüngere Franziskanerschule (Wilhelm von Ware, Duns Scotus, Wilhelm Ockham) 179 K. Barth hat mit Recht betont, daß Gottes Macht „nie bloß als potentia, sondern immer zugleich als potestas zu verstehen ist“ (KD II/l, 591). Es ist ein Verdienst der sozinianischen Gotteslehre gewesen, den engen Zusammenhang von Gottes Macht und Herrschaft hervorzu­ heben (Joh. Crellius: Liber de Deo eiusque attributis, Irenopoli (Amsterdam) 1656 c. 22sq.). Das höchste Wesen werde gerade wegen seiner umfassenden Vollmacht und Herrschaft „Gott“ genannt: Ens supremum ob potestatem et Imperium Deum appellari contendimus. Das gelte so­ wohl wegen seiner Macht als auch wegen seiner Herrschaftsgewalt, ohne die Gott nicht Gott wäre, sobald einmal irgendetwas außer ihm existiert: propter illam potestatem, quae potentiae isti necessario adhaeret, et in qua imperandi ius ita continetur, ut si modo res ulla extra Deum existat, in eam Deus non possit non summum imperium habere (ib. p. 55 b; vgl. schon 32). Auch nach K. Barth ist das Wesen Gottes, seine Gottheit, identisch mit seiner Herrschaft (KD I/1, 369, vgl. 323 f.). Insofern stimmt Barth mit der sozinianischen Auffassung überein, die A. Ritschl wegen ihrer mangelhaften Bezogenheit auf die im Willen Gottes gründende „sittliche Weltordnung“ so hart getadelt hat (Rechtfertigung und Versöhnung III, 4. Aufl. 1895, §31 p. 227 ff.). Ritschl hatte auch die Lehren der altprotestantischen Dogmatik von der Bindung des göttlichen Willens an seine Gerechtigkeit kritisiert, weil sie „nicht weit genug von der sociniani­ schen Weltanschauung sich entfernt“ haben (254), und er hatte dagegen seine Lehre von der Liebe als Wesensbestimmung Gottes in der Beziehung zu seinem Sohn, sowie zu seinem Reich in der Welt entwickelt (§ 34 ib. 256 ff.). Ritschl hat den Mangel der traditionellen Auffassungen von der Allmacht Gottes treffend im Fehlen ihrer Vermittlung mit dem Gedanken der Liebe Gottes erkannt. Es ist ihm jedoch infolge seiner allzu anthropomorphen Auffassung von der göttlichen Liebe als zweckhaft strukturierten personalen Verhaltens (262 ff.) nicht gelungen, den Gedanken der Liebe Gottes mit dem der Allmacht zu vereinen. Dagegen suchte K. Barth die Allmacht Gottes selber als „die Allmacht seiner freien Liebe“ zu verstehen (s. u.).

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die Auffassung entwickelt, daß Gott sehr wohl auch faktisch außerhalb einer ein­ mal gesetzten Ordnung handeln kann. Dabei hat Duns Scotus betont, daß Gott immer geordnet handelt, auch wenn dabei eine bestimmte Ordnung, nach der er handelt, verändert wird. Ockham hat diesen Gesichtspunkt vertieft und auf das von der Bibel bezeugte heilsgeschichtliche Handeln Gottes angewendet, vor allem auf die Ablösung des Alten Bundes durch den Neuen180. Trotz dieser biblischen Motivation führten jedoch die Erörterungen über die absolute Macht Gottes und ihre Beschränktheit oder Unbeschränktheit durch seine Gerechtigkeit, Güte und Weisheit und durch die Regeln der Logik zu einer abstrakten Vorstellung von der göttlichen Allmacht, so als ob der abstrakt gedachte göttliche Wille für sich das konkrete Wesen Gottes wäre.

Bei der Betonung des Gedankens, daß Gott in seinem Handeln nicht für alle Zukunft an eine irgendwann begründete Ordnung des Geschehens ge­ bunden ist, geht es um den geschichtlichen Charakter des göttlichen Han­ delns, um die Offenheit der Zukunft für jede geschichtliche Gegenwart. In der Kontingenz der geschichtlichen Ereignisse kommt die Freiheit des in der Geschichte handelnden Gottes zum Ausdruck. Diese Freiheit ist aber immer die Freiheit des Schöpfers, dessen Handeln auf Wegen, die alle menschliche Voraussicht übersteigen, auf die Vollendung seiner Schöpfung zielt. Der Geschichtlichkeit des göttlichen Handelns wird auch die Auffassung Schleier­ machers nicht gerecht, wonach die Betätigung der göttlichen Allmacht mit dem in ihr begründeten „Naturzusammenhang“ vollkommen kongruent ist, so daß sie „in der Gesamtheit des endlichen Seins vollkommen dargestellt wird“ (Der christliche Glaube §54). Schleiermacher schließt ausdrücklich aus, daß Gottes Allmacht „gleichsam als eine Ergänzung der Naturursachen“ tätig werden könnte (§54,1). Zwar ist der Naturzusammenhang bei Schleiermacher nicht im Sinne der mechani­ stischen Naturwissenschaft der Aufklärung gedacht, da vielmehr „alle mitlebenden Theile“ der Welt als in Wechselwirkung untereinander stehend vorgestellt werden (§32,2), so daß der Gedanke des Naturzusammenhangs sowohl einen „todten Me­ chanismus“ ausschließt als auch „Zufall und Willkühr“ (§34,2). In dieser Weitsicht hat auch das Auftreten von Neuem, das aus nichts Vorhergegangenem abzuleiten ist, Platz (§ 14 Zus., § 93,3, vgl. 13,1), freilich so, daß es immer in einen Entwick­ lungszusammenhang der Menschheit eingeordnet bleibt. Die Gottesbeziehung ist bei Schleiermacher nicht durch die Kontingenz des göttlichen Schöpfungshandelns in jedem Augenblick des kreatürlichen Daseins geprägt, sondern durch die Abhän­ gigkeit der endlichen Dinge insgesamt von einem den „Naturzusammenhang“ als ganzen begründenden Ursprung. Darum hat Schleiermacher auch den Schöpfungsgedanken dem der Erhaltung untergeordnet (§38 ff.). Dabei hat er sein Desinteresse an der Frage erklären können, „ob ein Sein Gottes ohne Ge­ schöpfe gedacht werden könne oder müsse“ (41,2). Bei der Kontingenz der Welt im ganzen geht es aber um die Freiheit der göttlichen Allmacht, die nicht aus 180 Siehe dazu K. Bannach: Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham. Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung, Wiesbaden 1975, bes. 248– 275.

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der Notwendigkeit ihres Wesens eine Welt erschaffen mußte. Ohne diese Freiheit wird der Gottesgedanke faktisch zu einem Korrelat des Weltbegriffs und folglich Gott als auch seinerseits abhängig von der Beziehung zur Welt vorgestellt. Man wird hier der Kritik Karl Barths zustimmen müssen, daß „mit der Aufhebung des Unterschieds zwischen Gottes Können und Tun das Verständnis für die Freiheit Gottes gerade auch in seinem Tun zerstört ist“. „Die Allmacht Gottes ist die All­ macht seiner freien Liebe…“ (II/1, 597). Wenn Barth allerdings fortfährt, daß diese freie Liebe Gottes „mit keinem Zusammenhang und mit keiner Ordnung seiner Werke zusammenfällt“ (ebd.), so wird man dazu sagen dürfen, daß die freie Liebe Gottes – und also sein allmächtiges Handeln – sehr wohl in dem Zusammenhang ihres Werkes an ihr Ziel kommt. Das ist der Wahrheitskern in Schleiermachers Auffassung. Nur muß jener Zusammenhang als Zusammenhang einer Geschichte göttlichen Handelns gesehen werden, die in jeder ihrer Begebenheiten kontingent aus der Zukunft Gottes gegenüber jeder Vergangenheit oder Gegenwart der Welt und ihres wie auch immer gedachten Naturzusammenhangs hervorgeht.

In der Allmacht Gottes ist die Möglichkeit der Welt und der die Welt ausma­ chenden Begebenheiten ihrer Geschichte ebenso begründet wie ihre Wirk­ lichkeit. Mit der Frage danach, wie dies beides zusammenhängt, wie der Schritt von der unvordenklichen Ewigkeit Gottes zur Möglichkeit einer Welt und von da zu ihrer Wirklichkeit zu verstehen ist, rückt die Komplexi­ tät im Begriff der Allmacht als Allmacht des Schöpfers in den Blick. Sie wird im Zusammenhang der Schöpfungslehre noch einer eingehenden Erörterung bedürfen, die zur Behauptung einer trinitarischen Struktur des Schöpfungs­ aktes führen wird. Schon hier ist an Immanuel Kants Widerspruch gegen die Auffassung von Gott­ fried Wilhelm Leibniz (Theodizee § 335), wonach nicht die Möglichkeit, sondern nur die Wirklichkeit der Dinge von Gottes allmächtigem Willen abhängt, zu erin­ nern181. Kant hat schon 1755, in seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, von Gott als einem Wesen gesprochen, „daraus die Natur, auch so­ gar ihrer Möglichkeit nach, in dem ganzen Inbegriff der Bestimmungen, ihren Ur­ sprung ziehet“ (A 149). Und 1763, in seiner Schrift über den „einzig möglichen Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes“, die auf den Gedanken Gottes als Grund nicht nur des Daseins, sondern schon der Möglichkeit der Dinge zielt, wendete Kant sich gegen diejenigen, die „die Abhängigkeit anderer Dinge bloß auf ihr Daseyn eingeschränkt, wodurch ein großer Anteil an dem Grunde von so viel Vollkommenheit jener obersten Natur entzogen… wird“ (A 182). „Welche Schranken, die dem Unabhängigen aus einem ihm fremden Grunde ge­ setzt sein würden, wenn selbst diese Möglichkeiten nicht in ihm gegründet wä­ ren?“ (ebd.). Gottes Schöpferhandeln hat nicht nur den in den Ideen seines Ver­ standes schon als möglich vorhandenen Dingen zu einem Dasein verholfen, son­ dern begründet die Möglichkeit der Dinge selber. Damit hat Kant dazu beige­ 181 Vgl. dazu H.-G. Redmann: Gott und Welt. Die Schöpfungstheologie der vorkritischen Periode Kants, Göttingen 1962, 73–105.

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tragen, dem mit dem Gedanken eines Schöpfergottes untrennbar verbundenen Be­ griff der Allmacht den ihm zukommenden Spielraum zu wahren. In der Theologie hat von andern Erwägungen her Eberhard Jüngel den Vorrang der Möglichkeit vor der Wirklichkeit für ein theologisches Verständnis der ge­ schöpflichen Welt betont, und zwar in dem Sinne, daß schon die Unterscheidung zwischen Möglichem und Unmöglichem – und also die Konstitution des Mögli­ chen als solchen – „Gottes Sache“ sei (Die Welt als Möglichkeit und Wirklichkeit (1969), in: Unterwegs zur Sache. Theologische Bemerkungen, München 1972, 206– 231, 222). Dabei beschreibt Jüngel Möglichkeit „als Zukünftigkeit der geschichtlich existierenden Welt“ (226) in dem Sinne, daß Gott aus seiner Zukunft „das Mögliche auf das Wirkliche zukommen“ läßt (227). Später hat Jüngel den Gedanken der in Gott begründeten Möglichkeit der Welt mit der christlichen Aussage von Gott als Liebe verbunden (Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 464 f.). Damit ist implizit auch eine Beziehung zur Trinitätslehre gegeben, die Jüngels Ausführungen zu diesem Thema allerdings nicht ausdrücklich herausgearbeitet haben (470 ff.). Die Aussagen über Gottes Geschichtlichkeit als „Gottes Sein im Kommen“ (475) legen einen solchen Zusammenhang auch im Hinblick auf die zeitliche Interpreta­ tion des Möglichkeitsbegriffs von der Zukunft Gottes her (s. o.) nahe.

Der mit dem Schöpfungsgedanken verbundene konkrete Begriff der göttli­ chen Allmacht als Macht, die das andere, dessen sie mächtig ist, allererst er­ schafft, ist noch in einer andern Hinsicht mit der Trinitätslehre verbunden, und zwar derart, daß er erst in seiner trinitarischen Durchführung konsistent zu Ende gedacht wird: Der Akt der Schöpfung zielt auf das selbständige Da­ sein der Geschöpfe. Deren Selbständigkeit aber geht faktisch über in die Ver­ selbständigung gegenüber Gott. Zwar entrinnen die Geschöpfe auch in ihrer Verselbständigung, in der Ablösung von Gott, nicht der Allgegenwart und Macht Gottes: Das von der Quelle seines Lebens sich abwendende Geschöpf verfällt der Nichtigkeit. Auch darin noch bestätigt sich negativ die Macht des Schöpfers über sein Geschöpf. Doch andererseits wird mit dem Geschöpf auch die Schöpfungsintention des Schöpfers selbst zunichte. Wenn dem Schöpfer angesichts der Abwendung seines Geschöpfes von ihm nur dessen Preisgabe an die Nichtigkeit bliebe, dann käme darin weniger seine Allmacht als vielmehr die Ohnmacht seines Schöpferwillens zum Ausdruck. Die All­ macht des Schöpfers äußert sich darin, daß er auch das sich von ihm emanzi­ pierende Geschöpf noch retten kann vor der Nichtigkeit, der es sich durch sein Verhalten ausliefert. Solche Rettung geschieht, indem Gott nicht mit sei­ ner Macht und Heiligkeit dem abtrünnigen Geschöpf gegenübertritt, son­ dern selber am Ort des Geschöpfes und unter den Bedingungen seines Da­ seins gegenwärtig wird, damit im Leben des Geschöpfes dasjenige Verhältnis zu Gott realisiert wird, das der Gottheit Gottes entspricht. Das geschieht durch den ewigen Sohn, der in Konsequenz seiner Selbstunterscheidung vom Vater den Platz des Geschöpfes einnimmt, Mensch wird, um so die Verselbständigung des Geschöpfes zu überwinden in der Position des Ge­ schöpfes selber, d. h. ohne dessen Selbständigkeit anzutasten.

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Die Menschwerdung des Sohnes ist also als der höchste Ausdruck der All­ macht Gottes zu begreifen, in der Richtung des göttlichen Willens, die schon durch den Schöpfungsakt gesetzt ist, damit das Geschöpf lebe182. Schon die Schöpfung der Welt beruht – wie noch genauer zu erörtern sein wird – dar­ auf, daß der Logos sich in Ewigkeit vom Vater unterscheidet. Auf der Linie dieser Selbstunterscheidung des Sohnes liegt, daß er sich durch sie nicht nur von der Person, sondern auch von der Gottheit des Vaters unterscheidet und so aus dem innertrinitarischen Leben Gottes heraustritt183, um zum Gesetz einer von Gott unterschiedenen Welt in ihrer Beziehung zu Gott zu werden. Solche Entäußerung des Sohnes (Phil 2,6 f.) ist zugleich als Selbstverwirkli­ chung der Gottheit des trinitarischen Gottes in seinem Verhältnis zu der da­ durch entstehenden Welt zu verstehen. Schon in der ewigen Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater ordnet sich der Sohn dem Vater als dem König der Ewigkeit unter. Die Gottesherrschaft wird nicht erst errichtet im Ver­ hältnis Gottes zur Welt, sondern hat ihren Grund in seinem trinitarischen Leben. Durch seine Unterordnung unter die Monarchie des Vaters ist der Sohn, was er von Ewigkeit ist, der Sohn des Vaters, mit ihm in der Gemein­ schaft der Gottheit verbunden. Diese Unterordnung unter die Monarchie des Vaters wird zum Grundgesetz auch für das Verhältnis der Geschöpfe zum Schöpfer. Durch sie können sie ein selbständiges, von Gott unterschie­ denes Dasein gewinnen, das doch verbunden bleibt mit dem Ursprung ihres Lebens. Indem sie so zum Ursprung einer geschöpflichen Wirklichkeit überhaupt wird, betätigt sich durch die Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater wie durch die Zeugung und Sendung des Sohnes durch den Vater die Allmacht Gottes als allmächtige Liebe, und diese findet ihre Vollendung durch den Geist, dem die Geschöpfe das Leben verdanken, das sie in sich sel­ ber haben, und der sie eingehen läßt auf die Selbstunterscheidung des Sohnes vom Vater als auf das Gesetz allen geschöpflichen Lebens, das die Grundbe­ dingung für die Gemeinschaft der Geschöpfe mit Gott und für ihre Teilnah­ me an seinem Leben bildet. Gottes Allmacht will das Geschöpf – und eine Welt von Geschöpfen – ge­ rade in der für das Endliche konstitutiven Begrenzung und Besonderung. Ge­ rade in seiner Begrenztheit ist das Geschöpf von Gott ewig bejaht. Diese Be­ jahung des Geschöpfes in seiner Grenze, gerade auch angesichts seiner Ver­ steifung auf seine endliche Besonderheit, ist der Sinn der Überwindung „der Welt“ durch den Sohn (Joh 16,33). Denn die „Welt“ ist der Inbegriff des in seinen Beschränkungen eigensinnig Beharrenden, das durch seine Selbst­ affirmation gegen seine Endlichkeit revoltiert und ihr gerade dadurch ver­ 182 Dieser innere Zusammenhang von Inkarnation und Schöpfung ist schon von Athanasios in seiner Schrift über die Menschwerdung des Logos (ca. 320) und dann wieder von Anselm von Canterbury zu Beginn des zweiten Buches Cur Deus Homo herausgearbeitet worden. 183 Siehe dazu die Ausführungen bei Ps. Dionysios Areopagita De Div. Nom 4,13 über ἔκ´στασις τοῦ θεοῦ (PG 3,712 AB).

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fällt. Sie wird überwunden dadurch, daß das Endliche sich als von Gott gerade in seiner Grenze und in der Annahme seiner Grenze ewig bejaht erweist. Die genauere Erörterung des Begriffs der Allmacht Gottes hat somit erge­ ben, daß die Allmacht nur gedacht werden kann als die Macht der göttlichen Liebe, also nicht als Selbstdurchsetzung irgendeiner partikularen Instanz ge­ gen das ihr Entgegenstehende. Allmächtig ist nur diejenige Macht, die das ihr Entgegenstehende in seiner Besonderheit – also gerade in seinen Grenzen – bejaht, und zwar uneingeschränkt, unendlich bejaht, so daß sie ihrem Ge­ schöpf die Chance eröffnet, in der Annahme der eigenen Grenze über sie hinaus zu sein und so selber der Unendlichkeit teilhaftig zu werden.

7. Die göttliche Liebe a) Liebe und Trinität Sowohl Johannes (Joh 3,16) als auch Paulus (Röm 5,5 ff., vgl. 8,31–39) ha­ ben den Wesensgehalt der Geschichte Jesu durch die Aussage gekenn­ zeichnet, daß in ihm die Liebe Gottes zur Welt bzw. zu den Glaubenden ih­ ren Ausdruck gefunden habe und durch Jesus den Menschen zugewendet bleibe. In welcher Beziehung stehen diese Aussagen zur Botschaft und Ge­ schichte Jesu selbst? Offenbar hat schon Jesus selber die liebende und rettende Zuwendung Gottes zu den Menschen und insbesondere zu den Bedürftigen und Verlore­ nen als den Sinn seiner eigenen Sendung verstanden, und zwar so, daß die Zuwendung des Vaters zu den Verlorenen sich eben durch seine eigene Sen­ dung ereignet. Das kommt zunächst im Gleichnis vom verlorenen Schaf zum Ausdruck (Mt 18,12–14), einem Gleichnis, das in der Spruchquelle überliefert wurde und von Lukas (Lk 15,4–7) mit zwei andern Gleichnissen aus gesonderter Überlieferung verbunden wurde – den Gleichnissen von der verlorenen Drachme und vom verlorenen Sohn (Lk 15,8–32). In allen diesen Gleichnissen hat Jesus die Hinwendung seiner Botschaft und seines Wirkens zu den Verlorenen verteidigt184. Die Gleichnisse stellen Gott als den das Verlorene Suchenden und die darin sich erweisende barmherzige Liebe des Vaters dar. Darüber hinaus aber enthalten sie die Pointe, daß die die Liebe Gottes offenbarende Suche nach dem Verlorenen sich durch Jesu eigenes Wirken und seine Botschaft vollzieht185. Als Rechtfertigung des Verhaltens 184

So schon J. Jeremias: Die Gleichnisse Jesu (1947), 4. Aufl. Göttingen 1956, 107–127, bes.

107. 185 So J. Jeremias: Neutestamentliche Theologie I: Die Verkündigung Jesu (1971) 2. Aufl. 1973, 121 im Anschluß an E. Fuchs (Die Frage nach dem historischen Jesus, ZThK 53, 1956,

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und der Botschaft Jesu verstanden veranschaulichen diese Gleichnisse nicht nur eine allgemeine Einstellung Gottes, sondern identifizieren die Sendung und das Wirken Jesu selber als Ereignis der barmherzigen Liebe des Vaters. Die urchristliche Deutung des Todes Christi hat dann diese Selbstinterpreta­ tion Jesu auf die Frage nach dem Sinn seines Todes ausgedehnt und sogar auf dieses Ereignis konzentrieren können (Röm 5,8). Schon im Alten Testament haben der Prophet Hosea (11,1 ff. und 14,8) und nach ihm vor allem Jeremia (31,3) und das Deuteronomium (7,8; 10,15) von der erwählenden Liebe Gottes zu seinem Volk gesprochen. Von dieser Tradition her muß zunächst auch Jesu Selbstverständnis in seiner Sendung gewürdigt werden. Das verlorene Schaf, dem der Hirte nachgeht, ist ja ein Glied der Herde, und gerade wegen seiner Zugehörigkeit zum Ganzen der Herde ist es in seiner Vereinzelung verloren, darum wiederum des Hirten besonders bedürftig. Das unterscheidend Besondere des Selbstverständnis­ ses Jesu in seiner Sendung als Ausdruck der barmherzigen Liebe Gottes kommt erst in den Blick in Verbindung mit der eschatologischen Endgültig­ keit, die seine Botschaft im ganzen kennzeichnet, weil die angekündigte Zu­ kunft der Gottesherrschaft mit ihr schon anbricht. Dabei ist wie in den altte­ stamentlichen Aussagen über die Liebe Gottes zu seinem Volk, so auch bei Jesus zunächst der von ihm verkündigte himmlische Vater das Subjekt der liebenden Zuwendung. Das gilt auch für die paulinischen und johanneischen Aussagen über die Liebe Gottes zur Welt, die in der Sendung des Sohnes und in seiner Dahingabe in den Tod ihren Ausdruck gefunden hat. Einen Schritt weiter ist Paulus allerdings gegangen, indem er die Liebe Gottes, die sich in der Sendung des Sohnes äußert (Röm 8,39; vgl. 8,3), zu­ gleich auch als die Liebe Christi selbst bezeichnet (Röm 8,35; vgl. Gal 2,20). Subjekt der liebenden Zuwendung ist hier nicht nur Gott, sondern auch der Christus. Ein und dasselbe Geschehen wird zwei verschiedenen Subjekten zugerechnet. In der Einheit des Geschehens kommt ihre Gemeinschaft zum Ausdruck, doch um so bemerkenswerter ist es, daß der Christus (bzw. der Sohn) nicht einfach in der durch ihn wirksamen Liebe Gottes aufgeht, son­ dern neben dem durch ihn wirkenden Gott und zugleich mit ihm als Subjekt der Liebestat genannt wird. Ähnlich merkwürdig ist die Aussage, daß durch den Geist, der den Glau­ benden zuteil wird, die Liebe Gottes „in unsere Herzen ausgeschüttet“ ist (Röm 5,5). Wenn das Wort Liebe hier nicht im Sinne der Liebe zu Gott, son­ dern als Aussage über die Liebesmacht Gottes selbst zu verstehen ist186, so 219 f.): „Jesus beansprucht in seinem anstößigen Handeln, die Liebe Gottes zu realisieren“. Noch deutlicher schreibt H. Weder: „Die Suche Gottes nach dem Verlorenen ist im Leben Jesu Ereignis geworden“ (Die Gleichnisse Jesu als Metaphern, 1978, 3. Aufl. 1984, 251 zu Lk 15,8– 10. Vgl. ebd. 174 f. und 261). 186 Siehe dazu U. Wilckens: Der Brief an die Römer I, Neukirchen 1978, 292 ff. Wilckens be­ tont, daß der Genitiv als gen. subj. aufgefaßt werden muß.

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muß man wohl annehmen, daß der in unsern Herzen wirkende Gottesgeist das Subjekt dieser Liebe ist und bleibt, auch insofern sie in und durch uns wirksam wird. Das wird allerdings nicht so eindeutig ausgesprochen wie bei der Liebestat des Versöhnungstodes Christi. Auch dabei jedoch ist nicht völ­ lig geklärt, wie die Vorstellung von der Liebe Gottes in Christus zu fassen ist, wenn ihr Subjekt nicht nur der Vater, sondern auch der Sohn sein kann. Ferner handelt es sich offenbar um dieselbe göttliche Liebe, als deren Sub­ jekt in uns der Geist Gottes erscheint. Jedenfalls ist in diesen Aussagen nicht ohne weiteres der Vater das einzige Subjekt der göttlichen Liebe. Ein ähnlicher Sachverhalt ergibt sich aus den Aussagen des ersten Johan­ nesbriefs. Er wird dort durch den berühmten, durch Wiederholung betonten Satz ausgesprochen: „Gott ist Liebe“ (1.Joh 4,8 und 16). Karl Barth hat in der Gotteslehre der Kirchlichen Dogmatik diesen Satz sogleich auf „Gott“ als Subjekt zurückgeführt, auf „sein Lieben, d. h. seine Tat als die des Lie­ benden“187. Im johanneischen Text müßte dann entsprechend dem dort übli­ chen Sprachgebrauch Gott der Vater im Unterschied zum Sohn als das ei­ gentliche Subjekt der Liebe verstanden werden (wie Joh 3,16). Die Inter­ pretation Barths hängt damit zusammen, daß er „Gott“ als eine einzige „Per­ son“ dachte, als deren „Tat“ dann die Liebe aufzufassen wäre, von der 1.Joh 4,8 und 16 die Rede ist188. Regin Prenter hat dagegen mit Recht bemerkt, daß der Satz „Gott ist Liebe“ mehr sage als die Behauptung, daß Gott die Welt geliebt hat, indem er seinen eingeborenen Sohn sandte zur Rettung aller, die an ihn glauben werden: „Gott ist Liebe. Warum nicht nur: Gott hat uns ge­ liebt? Das wird ja auch gesagt. Warum nicht nur: Gott hat, weil er uns so ge­ liebt hat, eine unendliche Liebe für uns? Warum nicht nur: Gott ist liebevoll? Sondern warum: Gott ist Liebe?“189 Regin Prenter hat klar gesehen, daß der johanneische Satz nicht nur eine Eigenschaft, sondern das Sein oder Wesen Gottes als Liebe bezeichnet. Man wird ihm auch darin zustimmen müssen, daß diese Formulierung erkennen 187

KD II/1,309. Vgl. a. a. O. 319 f. Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß Barth in viel späterem Zu­ sammenhang (KD IV/2, 1955, 860 ff.) noch einmal auf 1.Joh 4,8 und 16, sowie auf die Bedeu­ tung dieser Sätze für das christliche Gottesverständnis eingegangen ist, und zwar sehr viel diffe­ renzierter: Jetzt wurde ausdrücklich betont, daß es sich auch um die Liebe handle, mit der der Sohn den Vater liebt, entsprechend Joh 10,17 und 14,31 (860), und es heißt schließlich in vor­ bildlich ausgewogener Formulierung von Gottes Liebe in Christus: „Er… war dann in seinem Wesen – nun eben der den Sohn liebende Vater, der den Vater liebende Sohn und als solcher, in der Gemeinschaft und Wechselseitigkeit solcher Liebe (als der Gott, der Vater, Sohn und Geist ist) der in sich bewegte, der lebendige, der ewig liebende und als solcher zur Liebe bewegende Gott“ (862). Allerdings hat Barth in diesem Zusammenhang seine früheren Aussagen nicht aus­ drücklich korrigiert, obwohl von den Ausführungen in KD IV/2 her die Frage nach der Einheit der göttlichen Liebe im Verhältnis zur Dreiheit von Vater, Sohn und Geist völlig neu aufgewor­ fen werden müßte. 189 R. Prenter: Der Gott, der Liebe ist. Das Verhältnis der Gotteslehre zur Christologie, in: ThLZ 96,1971,401–413, Zitat 403. 188

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läßt, daß der gehorsame Mensch Jesus durch das Bekenntnis seiner Kirche zu seiner Würde als Kyrios in das Sein Gottes selbst hineingenommen wird als der ewige Sohn190. Allerdings handelt es sich dabei zunächst einmal um die Voraussetzung, nicht um eine Konsequenz der Auffassung des Seins Gottes als Liebe. Dieser Gedanke wurde erst formulierbar auf dem Grunde der Geschichte Jesu, wenn er auch der Sache nach die Bedingung der in ihr offenbaren Gemeinschaft von Vater und Sohn zur Aussage bringt. Vor allem aber erhebt sich nun die Frage, wie das Verhältnis zwischen der Einheit der göttlichen Liebe und der Dreiheit von Vater, Sohn und Geist genauer zu be­ schreiben ist. Prenter hat die Liebe im Anschluß an 1.Joh 4,8 und 16 als die Einheit des göttlichen Seins von Vater, Sohn und Geist bezeichnet: Sie haben nicht nur Liebe als gemeinsame Eigenschaft oder Gesinnung, sondern sie sind Liebe in der „Einheit freier Personen“, bei der „keine Trennung mehr übrigbleibt“ (ebd.). Doch was ist damit gesagt für das Verhältnis zwischen der göttlichen Liebe und der Personalität der trinitarischen Personen? Eberhard Jüngel ist dieser Frage genauer nachgegangen in Auseinanderset­ zung mit der Kritik Ludwig Feuerbachs an der Verknüpfung von Liebe und Gott in der christlichen Gottesvorstellung191. Diese Kritik richtete sich dage­ gen, daß das Christentum der Liebe nur „den Rang eines Prädikats, nicht des Subjekts“ zuerkannt habe. „Solange die Liebe nicht zur Substanz, zum We­ sen selbst erhoben wird, so lange lauert im Hintergrund der Liebe ein Sub­ jekt, das auch ohne Liebe noch etwas für sich ist…“192 Bei diesem Subjekt handelt es sich im Visier der Polemik Feuerbachs um die traditionelle dogma­ tische Vorstellung von Gott als der mit Allmacht begabten essentia spiritualis infinita, die als solche Person, nämlich der eine persönliche Gott sein soll. Jüngel gesteht der Polemik Feuerbachs zu, die Theologie habe aus ihr zu ler­ nen, sich „davor zu hüten, Gott und Liebe in dem Sinn ontologisch zu diffe­ renzieren, daß Gottes Sein eben doch nicht durch Liebe definiert ist“193. Ist diese Lehre aber schon beherzigt, wenn die Theologie Gott als den denkt, der „sein Subjektsein trinitarisch vollzieht“194? So hat es die Lehre Hegels von Gott als absolutem Subjekt getan, und noch Karl Barths Trinitätslehre ist ihr darin gefolgt. Aber Feuerbachs Kritik richtete sich gerade dagegen, dem Wesen der Liebe ein Subjekt zu unterstellen, statt die Liebe selbst als das Wesen, als Substanz zu fassen. Man wird noch nicht die Göttlichkeit dieses 190 Ebd. 406: „Das Sein des gehorsamen Menschen Jesus kann aber, wie es das Bekenntnis zu seinem Herrsein will, in Gottes eigenes Sein nur dann hineingenommen werden, wenn das Sein Gottes als Liebe verstanden wird.“ 191 E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977,430–453 (Der Gott, der Liebe ist. Zur Identität von Gott und Liebe). 192 L. Feuerbach: Das Wesen des Christentums Bd. 1 (Ges. Werke 5, hg. W. Schuffenhauer) Berlin 1956,106 und 107. 193 E. Jüngel a. a. O. 432. 194 Ebd. 433.

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Wesens der Liebe mit Feuerbach bestreiten müssen, wenn man ihm in seiner Kritik an ihrer Zuordnung zu einem absoluten Subjekt ihrer Betätigung zu­ stimmt. Feuerbach befindet sich nämlich darin in Übereinstimmung mit der orthodoxen Trinitätslehre, wonach die Einheit des göttlichen Wesens keine vierte Hypostase neben Vater, Sohn und Geist bildet, auch nicht im Sinne ei­ nes einzigen, Vater, Sohn und Geist als Momente seiner Selbstentfaltung in sich zusammenfassenden und aus sich heraussetzenden Subjekts, schon gar nicht in dem Sinne, daß der Vater dieses Subjekt wäre, welches Sohn und Geist als Momente seiner Selbstentfaltung erzeugt. Daher muß bestritten werden, daß Gott „der ewig sich selber Liebende“ ist195, so sehr in der Tat von Ewigkeit her der Vater den Sohn und der Sohn den Vater, der Geist aber den Vater im Sohn und den Sohn im Vater liebt. Jede der trinitarischen Per­ sonen liebt die anderen – der Vater den Sohn, der Sohn den Vater, der Geist beide in ihrer Gemeinschaft – und gewinnt dadurch, wie es gerade Jüngel in seiner Beschreibung der Wirksamkeit der Liebe zwischen Menschen196 ein­ drucksvoll dargestellt hat, sich selbst. Wenn der Liebende jedoch im andern sich selbst liebt, statt ihn in seiner Andersheit zu lieben, dann fehlt der Liebe die volle Hingabe, die die Bedingung dafür ist, daß der Liebende sich in der Gegenliebe des Geliebten neu geschenkt wird. In der wechselseitigen Liebe der trinitarischen Personen ist die Liebe nicht nur als Bezeichnung ihrer Tätigkeiten in ihren Beziehungen zueinander zu verstehen, sondern – wie Jüngel es an den Beschreibungen der Liebestugend durch Heinrich Scholz und Josef Pieper mit Recht hervorgehoben hat – als „Macht“, die in den Liebenden und über sie in ihrer Zuwendung zueinander

195 Ebd. 451. Einige Seiten zuvor heißt es zum „Gegenüber von liebendem Vater und gelieb­ tem Sohn“: „Gott ist demnach ein sich selber Liebender“ (448). Jüngel selbst fügt noch hinzu, in diesem Gegenüber von Vater und Sohn sei Gott „noch nicht die Liebe selbst“. Aber er fährt fort: Erst die Sendung des Sohnes in die Welt „erlaubt die identifizierende Aussage: Gott ist Lie­ be“ (ebd.). Dann würde also diese Aussage noch nicht das ewige Wesen Gottes in seiner Unab­ hängigkeit vom Dasein einer Welt kennzeichnen? Oder ist Gottes ewiges Wesen erst in der Sen­ dung des Sohnes in die Welt real, – also abhängig vom Dasein einer Welt? Ich stimme mit Eber­ hard Jüngel überein in der Überzeugung, daß immanente und ökonomische Trinität als Einheit zu denken sind. Aber das muß doch wohl so geschehen, daß darin die ewige Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist als der freie Ursprung der Welt und also auch der „Selbstver­ wirklichung“ des trinitarischen Gottes in der Heilsökonomie gedacht wird. Das dürfte auch von Jüngel so gesehen werden (vgl. nur die Ausführungen a. a. O. 48). Andererseits ist die an je­ ner Stelle (448) auftretende Zweideutigkeit in seinen Äußerungen doch wohl nicht zufällig, son­ dern Ausdruck der Problematik, die dann auftritt, wenn Gott nicht nur in der Gemeinschaft der trinitarischen Personen, sondern in einer sie umgreifenden Einheit seines Wesens als Sub­ jekt sich verschenkender Liebe gedacht werden soll. Solche Subjektivität eignet dem trinitari­ schen Gott in der Tat nur in der gemeinsamen Tätigkeit der drei Personen ad extra. Das aber hindert nicht, daß Gott schon „zuvor“ in der ewigen Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist die Liebe selbst ist. 196 A. a. O. 439 ff.

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mächtig wird und sie als „Feuer“ durchglüht197. Nicht die Personen sind der Liebe mächtig, sondern die Liebe hebt die Person über sich selbst hinaus und konstituiert sie dadurch in ihrem Selbstsein198. Sie offenbart sich durch die wechselseitigen Beziehungen der einander in Liebe verbundenen Perso­ nen. Jede von ihnen empfängt sich selbst von der andern her neu, aber weil ihre Hingabe aneinander wechselseitig ist, fehlt darin die einseitige Abhän­ gigkeit im Sinne fremdbestimmter Hörigkeit. Die Personalität jedes Ich ist durch das Gegenüber zum Du konstituiert, aber der Konstitutionsgrund der Person ist dabei nicht das Du für sich, als ein anderes Ich, sondern ist mit Martin Buber in dem „zwischen“ Ich und Du waltenden Geheimnis zu su­ chen199. Dieses Geheimnis aber ist die beide verbindende Macht der Liebe, allgemeiner gesprochen der Geist der Gemeinschaft von Ich und Du. Der Geist, der zwei oder mehrere Personen verbindet, braucht nicht immer als gegenseitige Hingabe von Ich und Du in Erscheinung zu treten. Aber alle Formen solcher Verbundenheit leben letztlich aus der Kraft der Liebe, die sich in der gegenseitigen Hingabe von Liebenden am ursprünglichsten und in ihrer vollkommensten Gestalt manifestiert. Das gilt insbesondere für das trinitarische Leben Gottes. Die Liebe als die Macht, die sich in den Beziehungen der trinitarischen Personen zueinander manifestiert, ist nach 1.Joh 4,8 und 16 identisch mit dem göttlichen Wesen. Sie ist die inhaltlich konkrete Gestalt des „Geistes“ als Eigenart des göttlichen Wesens. Die beiden Aussagen: „Gott ist Geist“ und „Gott ist Liebe“ bezeichnen dieselbe Einheit des Wesens, durch die Va­ ter, Sohn und Heiliger Geist zur Gemeinschaft des einen Gottes verbunden sind200. Dabei sagt der Satz „Gott ist Liebe“, welcher Art der Geist ist, des­ sen „Sausen“ (Joh 3,8) die ganze Schöpfung erfüllt und aus dessen Kraft alles Leben der Geschöpfe hervorgeht: Es ist die Kraft der Liebe, die das andere „sein läßt“201, und zwar kann sie darum geschöpflichem Leben das 197 A. a. O. 445 f. zu H. Scholz: Eros und Caritas. Die platonische Liebe und die Liebe im Sinne des Christentums, Halle 1929, 67 und J. Pieper: Über die Liebe, München 1972,182. 198 Zum Begriff des Selbstseins, seiner Beziehung zum Ich und seiner Bedeutung für das Per­ sonsein des Ich vgl. Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, Kap. 4 und 5 (151–235, bes. 194 ff., 214 ff., 227 ff.). 199 M. Buber: Das dialogische Prinzip (1954) 3. Aufl. 1973. Vgl. dazu M. Theunissen: Der Andere. Studien zur Sozialontologie der Gegenwart, Berlin 1965, 278 ff. und meine Erörterung in: Anthropologie in theologischer Perspektive, 1983,173 ff., insbes. 175–177. 200 So auch K. Barth KD IV/2, 860 und E. Jüngel: Gott als Geheimnis der Welt, Tübingen 1977, 449, bei Jüngel besonders im Hinblick auf den Tod des Sohnes, insofern „Gott inmitten dieser schmerzlichsten Trennung nicht aufhört, der eine und lebendige Gott zu sein, sondern gerade so und zuhöchst Gott ist“. 201 Das ist die Interpretation der Liebe Gottes durch J. Macquarrie: Principles of Christian Theology, New York 1966, 311 f. und schon 183 f. Der Ausdruck „letting be“ bleibt allerdings für sich genommen zweideutig, weil er auch bedeuten kann, daß das andere sich selbst überlas­ sen wird, man kein Interesse mehr an ihm nimmt. Bei Macquarrie soll er freilich eine dem Sein eigene Dynamik, die das Seiende hervorbringt und als es selber „sein läßt“, bezeichnen (99 f.).

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Dasein geben, weil sie zuvor schon in der Wechselseitigkeit des trinitari­ schen Lebens Gottes wirksam ist, indem jede der drei Personen in Ewigkeit die beiden andern „sein läßt“, was sie sind. „Geist“ wurde im vierten Ab­ schnitt dieses Kapitels als ein dynamisches Feld beschrieben, und das gilt nun auch für die Konkretion der göttlichen Geistwirklichkeit als Macht und „Feuer“ der Liebe, das die göttlichen Personen durchglüht und vereint und als das Licht der Herrlichkeit Gottes von ihnen ausstrahlt. Dabei ist die Liebe so wenig wie der Geist für sich selber Subjekt, abge­ sehen von den drei Personen. Als das eine und alleinige Wesen der Gottheit hat sie ihr Dasein nur im Vater, im Sohn und im Heiligen Geist202. Aber sie ist die ewige Macht und Gottheit, die in Vater, Sohn und Geist durch ihre Beziehungen zueinander lebendig ist und die Einheit des einen Gottes in der Gemeinschaft dieser drei Personen untereinander ausmacht. Jede der trinitarischen Personen ist ekstatisch auf eine der andern beiden oder auf beide bezogen und hat in dieser Beziehung zur andern ihre perso­ nale Eigenart, ihr Selbstsein. Der Vater ist nur Vater in seiner Beziehung zum Sohn, im Vollzug der Zeugung und Sendung des Sohnes, der Sohn nur Sohn im Gehorsam gegen die Sendung des Vaters, der die Anerkennung seines Vaterseins einschließt. Der Geist existiert nur so als Geist hypostatisch, daß er im Sohn den Vater und den Sohn als den vom Vater Gesandten ver­ herrlicht. Daß die Beziehungen zwischen den Personen für ihr Personsein konstitutiv sind, hat schon die altkirchliche Relationslehre gesehen. Spätestens mit deren Weiterbildung zur Lehre von der gegenseitigen Einwohnung der drei Personen sind ihre Relationen zueinander nicht mehr nur als logische, sondern auch als existentielle Beziehungen gedacht. In der Gegenseitigkeit solcher ekstatischen Einwohnung vollzieht sich das Leben des göttlichen Geistes als Liebe. Darüber läßt sich insofern noch Genaueres sagen, als die Beziehungen von Vater, Sohn und Geist zueinan­ der verschieden sind, und zwar so tief verschieden, daß auch ihr Person­ Ähnlich hat auch R. Prenter a. a. O. 412 das Sein als „die Macht des Seienden, dazusein“ be­ zeichnet. Dem Seinsbegriff als solchem, in seiner Abstraktheit, kommt solche Macht aber nicht zu. Sie kennzeichnet eher die Dynamik des Geistes im biblischen Sinne des Wortes. Mit dem Seinsbegriff konnte sie nur innerhalb der scholastischen, genauer der thomistischen Metaphysik verbunden werden, die die göttliche Erstursache als den durch sich selbst Seienden bzw. als ip­ sum esse subsistens (S. theol. I,11,4) dachte, während alles andere von ihm das Dasein (den actus essendi) empfängt. – Die Wendung vom „sein lassen“ wird im Text nicht im Sinne einer selb­ ständigen Dynamik des Seins herangezogen, sondern nur als Beschreibung des Wesens der Lie­ be, welche die Dynamik des Geistes teilt und genauer spezifiziert. 202 E. Jiingel ist freilich der Meinung, daß der Gedanke der Liebe Gottes es nicht erfordere, zwischen Wesen und Existenz zu unterscheiden (a. a. O. 410). Allerdings hat Jüngel dabei seine Vorstellung von Gott „als das gerade im Ereignis der Liebe freie Subjekt seiner selbst“ zugrun­ de gelegt (410). Wenn man entgegen dieser Vorstellung an der Behauptung des trinitarischen Dogmas festhält, wonach von drei göttlichen Hypostasen – Vater, Sohn und Geist – in der Ein­ heit des göttlichen Wesens zu sprechen ist, sieht die Sache anders aus. Denn das Wesen hat kein Dasein unabhängig von den Hypostasen, in denen es „subsistiert“.

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sein im Hinblick auf den konkreten Vollzug ihres personalen Daseins ver­ schieden ist. In der Person des Vaters tritt die Sphäre des göttlichen Geistes als schöpferische Kraft ins Dasein, die aber nur durch die Beziehung zum Sohn, in welchem sie Gestalt gewinnt, auch ihrerseits als konkrete Gestalt hervor­ tritt. Erst durch den Sohn und in Gemeinschaft mit ihm ist das göttliche Geheimnis als ein Du ansprechbar, als das Du des Vaters. Dieser Sachverhalt impliziert, daß überall da, wo in Israel und in der Welt der Religionen das göttliche Geheimnis ansprechbar wurde, der Sohn, der göttliche Logos, schon wirksam war. Allerdings ist das in der Welt der Religionen und sogar auch in Israel noch in gebrochener Weise der Fall, weil die Fülle des Logos erst in Jesus menschliche Gestalt angenommen hat. Daß aber in aller men­ schlichen Gotteserkenntnis und Gottesanrede der Sohn schon als Bedingung ihrer Möglichkeit beteiligt ist, sollte nicht überraschen, da ja der Sohn nach christlicher Lehre sogar der Mittler alles geschöpflichen Daseins und Wesens ist. Das Hervorgehen des Sohnes aus dem Vater ist der Grundvollzug der gött­ lichen Liebe, von seiten des Vaters durch die schöpferische Dynamik des Gei­ stes, der das Wesen der Gottheit ist, von seiten des Sohnes aber, indem er sich als hervorgegangen und gesandt weiß und so den Vater als den göttlichen Ur­ sprung seines Daseins von sich unterscheidet und als den einen Gott ehrt. Auch von der Seite des Sohnes her ist der Geist in diesem Geschehen immer schon beteiligt, allerdings nicht in jeder Hinsicht schon als hypostatischer Geist. Das Wesen der Gottheit selbst ist ja Geist. Es ist Geist als dynamisches Feld, und indem seine Manifestation im Hervortreten des Sohnes sich als das Werk des Vaters darstellt, strahlt die Dynamik des Geistes vom Vater aus, aber so, daß sie zugleich vom Sohn als „Gabe“ empfangen wird, ihn erfüllt und durch ihn auf den Vater zurückstrahlt. Als eigene Hypostase tritt der Geist erst dadurch hervor, daß er dem Sohne und so nun auch dem Vater ge­ genübertritt als das beiden gemeinsame göttliche Wesen, durch welches sie nicht nur tatsächlich vereint sind, das ihnen vielmehr auch angesichts ihrer Unterschiedenheit ihre Einheit bezeugt und bewahrt. Nun heißt es zwar vom Vater, daß er von Ewigkeit her den Sohn geliebt habe, und umgekehrt vom Sohn, daß er den Vater liebe, aber es ist nicht davon die Rede, daß der Geist Gegenstand der Liebe von Vater oder Sohn ist. Das ist dann verständlich, wenn der Geist die Liebe selbst ist, durch die Vater und Sohn wechselseitig einander verbunden sind, so sehr er andererseits als Hypostase beiden gegen­ übertritt als der sie beide in ihrer Unterschiedenheit vereinende Geist der Liebe. Als Hypostase aber ist der Geist von Vater und Sohn unterschieden. Er kann daher nicht nur in der Schöpfung wirksam werden, sondern auch als „Gabe“ in die Herzen der Glaubenden ausgegossen werden. Geist und Liebe machen einerseits das gemeinsame Wesen der Gottheit aus und treten andererseits im Heiligen Geist als selbständige Hypostase hervor.

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In anderer Weise wird im Vater das Wesen der Gottheit überhaupt als Per­ son zugänglich. Das geschieht nur durch den Sohn, und insofern tritt der eine Gott auch im Vater nicht ohne den Sohn in Erscheinung. Doch im übri­ gen ist der Sohn unter allen trinitarischen Personen am klarsten vom göttli­ chen Wesen unterschieden. Sowohl der Vater als auch der Geist repräsentie­ ren in bestimmter Weise je für sich die Gottheit als ganze. Beim Sohn ist das am wenigsten der Fall, weil er überhaupt nur durch seine Beziehung zum Va­ ter und erfüllt vom Geist des Vaters der ewigen Gottheit teilhaftig ist. Zwar ist auch der Vater nur in der Beziehung zum Sohn, was er von Ewigkeit ist, aber weil er dabei das göttliche Wesen in seiner Funktion als Ursprung dar­ stellt, ist die Abhängigkeit vom Sohn beim Vater weniger offensichtlich. Zum Bewußtsein davon kommt es nur indirekt, im Medium der Reflexion. Auch im Geist tritt die Einheit des göttlichen Wesens als solche hervor, als selbständige Gestalt allerdings nur in der Beziehung zu Vater und Sohn und in Unterschiedenheit von diesen beiden. In der Person des Sohnes hingegen tritt der eine Gott aus seiner Gottheit heraus. Er tritt der Gottheit in ihrer Vatergestalt gegenüber. Dadurch verliert er freilich nicht die Verbundenheit mit dem Vater in der Einheit des göttlichen Wesens, da er ja vielmehr in sei­ nem Heraustreten der Sendung des Vaters folgt und gerade durch seine Selbstunterscheidung von ihm mit dem Vater vereint bleibt. So kommt ge­ rade im Sohn die innere Dynamik des göttlichen Lebens in seiner Konkre­ tion als Geist und Liebe zum Ausdruck. Die trinitarischen Personen sind also als Konkretionen der göttlichen Geistwirklichkeit zu verstehen. Sie sind die Singularitäten des dynamischen Feldes der ewigen Gottheit. Von den Personen her bedeutet das: Sie haben ihr Dasein nicht je für sich, sondern in ekstatischer Bezogenheit auf das sie übersteigende Feld der Gottheit, das sich in jeder von ihnen und in ihren Be­ ziehungen untereinander manifestiert. Dabei ist aber ihr Bezug auf das ihre je einzelne Personalität übersteigende göttliche Wesen vermittelt durch die Beziehungen zu den beiden andern Personen: Nur durch seinen Bezug zum Vater hat der Sohn teil an der ewigen Gottheit und ist er der Sohn, nur durch den Bezug zum Sohn hat der Vater seine Identität als Vater und ist er (als Va­ ter) Gott, nur durch ihre Beziehung zum Geist haben beide, Vater und Sohn, ihre Einheit und also ihr göttliches Wesen, nur durch seine Beziehung auf den Unterschied und die Gemeinschaft von Vater und Sohn in ihrer Unter­ schiedenheit ist der Geist seinerseits eine unterschiedene Hypostase. Denn noch nicht als hervorgehend aus dem Vater, als Ausstrahlung seines göttli­ chen Wesens, sondern erst in seinem Gegenüber zu Vater und Sohn in ihrer Unterschiedenheit hat der Geist seine volle personale Selbständigkeit. Daß Personen auf andere Personen bezogen sind und dabei ekstatisch ihr Selbstsein außerhalb ihrer selbst gewinnen und nur so als persönliches Selbst ihr Dasein haben, das teilt menschliche Personalität mit den trinitarischen Personen. Historisch sind diese Züge menschlicher Personalität sogar erst im

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Lichte der Trinitätslehre entdeckt worden, durch Übertragung ihres durch Relationen zu andern konstituierten Personbegriffs auf die Anthropolo­ gie203. Daß jedes Ich immer schon aus der Beziehung zum Du lebt und aus der Beziehung zu einem sozialen Kontext als Ich konstituiert ist, das ist eine Einsicht, zu der der trinitarische Personbegriff die entscheidende Anregung geliefert hat. Schon deshalb ist die Behauptung verfehlt, der trinitarische Per­ sonbegriff habe nichts mit der modernen Auffassung von Person zu tun – eine Behauptung, die immer wieder als Entschuldigungsgrund angeführt worden ist, wo moderne Theologen die Anschauung des Dogmas von drei Personen oder Hypostasen in dem einen Gott als beschwerlich empfanden. Doch es gibt in der Tat bedeutende Unterschiede zwischen menschlichem Personsein und der göttlichen Personalität von Vater, Sohn und Geist. Der wichtigste dieser Unterschiede ist wohl der, daß menschliches Personsein nicht so exklusiv durch die Beziehung zu einer oder zwei ande­ ren Personen konstituiert ist, wie das im trinitarischen Leben Gottes der Fall ist. Das menschliche Ich ist als Individuum von seiner Beziehung zu jeder bestimmten anderen (menschlichen) Person immer auch noch unterschie­ den204. Hier ist also die Unterschiedenheit zwischen der Liebe und dem lie­ benden Subjekt gegeben, die Feuerbach bei seiner Kritik an der Verbindung von Gott und Liebe unterstellt hat: Das bedeutet, daß die von Feuerbach der christlichen Gottesvorstellung unterlegte Struktur den Schranken menschli­ cher Personalität verhaftet blieb, in welcher die personale Ekstatik nur un­ vollkommen realisiert ist. In den Beziehungen der trinitarischen Personen zueinander ist ihr Dasein als Personen (ihr Sein als Hypostasen) ganz und gar durch diese bestimmten wechselseitigen Beziehungen erfüllt, so daß sie außerhalb dieser Beziehungen gar nichts sind. Darum fällt ihr Dasein als Personen mit der göttlichen Liebe zusammen, die nichts anderes ist als das konkrete Leben des göttlichen Geistes, so wie umgekehrt die eine Geist­ wirklichkeit Gottes nur in den wechselseitigen Beziehungen der trinitari­ schen Personen ihr Dasein hat und gerade darin als Liebe bestimmt ist. Damit ist eng verbunden ein zweiter Unterschied: Weil im Fall menschli­ cher Personalität die Identität der Person nie schon vollständig und exklusiv durch die Beziehung zum anderen bestimmt ist, darum fallen im menschli­ chen Selbstbewußtsein Ich und Selbst auseinander. Wären wir als menschli­ 203 Siehe dazu: Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 229 f. und die dort angegebene Literatur, bes. H. Mühlen: Sein und Person nach Johannes Duns Scotus. Bei­ trag zur Grundlegung einer Metaphysik der Person, Werl 1954, 4 ff., 82 ff., 90 ff. 204 Das ist darin begründet, daß der Mensch in letzter Tiefe erst durch die Beziehung zu Gott konstituiert ist (Anthropologie in theol. Perspektive 217 ff.) und gerade dadurch in seinen per­ sonalen Beziehungen zu andern bestimmt ist. Die Beziehung zu Gott aber kann sowohl in der Offenheit des Vertrauens auf ihn als auch in der Verschlossenheit gegen ihn realisiert sein (vgl. Mühlen 95 ff., 100 ff.). Diese Ambivalenz wird erst aufgehoben, wo Menschen durch den Geist Gottes zur Teilnahme an der Sohnesbeziehung Jesu zum Vater gelangen (Röm 8,14 ff.).

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che Personen ganz und gar durch ein bestimmtes personales Gegenüber und durch ein bestimmtes Verhältnis zu ihm konstituiert, dann bliebe für den Unterschied von Ich und Selbst und also auch für ein Selbstbewußtsein der uns geläufigen Form kein Raum. Bei den trinitarischen Personen aber ist der Sohn ganz und gar er selbst in der Beziehung zum Vater, der Vater ganz und gar in der Beziehung zum Sohn, so daß beide in sich selber ganz und gar das sind, was sie im Zeugnis des Geistes sind. Der Geist seinerseits aber ist auch in seiner personalen Selbständigkeit nichts anderes als der Geist der Einheit von Vater und Sohn, indem diese nun Gegenstand seines Wirkens ist, ein Gegenstand aber, der in der ewigen Gemeinschaft des göttlichen Lebens im­ mer schon realisiert ist. So bildet die göttliche Liebe die konkrete Einheit des göttlichen Lebens in der Unterschiedenheit seiner personalen Manifestationen und Beziehungen. Die personalen Unterschiede zwischen Vater, Sohn und Geist lassen sich zwar nicht aus einem abstrakten Begriff von Liebe herleiten. Sie sind für un­ sere Erkenntnis nur in der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Jesus Christus zugänglich. Daraufhin aber werden sie und ihre Einheit im göttli­ chen Wesen verständlich als die konkrete Wirklichkeit der sie alle durchpul­ senden göttlichen Liebe, die die Monarchie des Vaters durch den Sohn im Heiligen Geist vollendet.

b) Eigenschaften der göttlichen Liebe Die durch das Offenbarungshandeln Gottes erschlossenen Eigenschaften seines Wesens, wie sie Ex 34,6 (vgl. Ps 103,8; 145,8) zusammengefaßt und wie sie auch im Neuen Testament bezeugt sind, lassen sich durchweg als Ei­ genschaften seiner Liebe verstehen. Sie unterscheiden sich schon der Form nach von den im sechsten Abschnitt behandelten Eigenschaften: Sie verhal­ ten sich zueinander nicht wie das Abstrakte zum Konkreten, sondern wie konkrete Aspekte der Wirklichkeit der göttlichen Liebe. Während die Un­ endlichkeit durch die Heiligkeit als Unendlichkeit Gottes identifiziert, Ewigkeit, Allgegenwart und Allmacht als Beschreibung des göttlichen Gei­ stes spezifiziert wurden und dieser seine konkrete Inhaltsbestimmung in der göttlichen Liebe fand, führen Güte, Barmherzigkeit, Gnade und Huld, fer­ ner Gerechtigkeit und Treue, Weisheit und Geduld Gottes nicht über den Gedanken der göttlichen Liebe hinaus, sondern beschreiben die Liebe nur nach verschiedenen Seiten ihrer Wirksamkeit. Dabei ist die Liebe im Ver­ gleich zu ihnen nicht ein abstrakter Sammelbegriff, sondern die konkrete Wirklichkeit selber, die alle diese Aspekte vereint. Sie sollen hier nur in Kür­ ze angedeutet werden. In der Botschaft Jesu ist der Gott, den er als Vater verkündigte, vor allem durch seine Güte gekennzeichnet und über alle andern Wesen erhaben (Mk

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10,18 parr.). Jesus nahm damit den Gedanken auf, der in der jüdischen Frömmigkeit den Aufruf zu Gotteslob und Dank des Beters begründet (Ps 106,1; 107,1; 118,1 u. ö.). Die Güte des Vaters erweist sich daran, daß er nicht nur seinen Geschöpfen Gutes gibt, wenn sie ihn bitten (Mt 7,11), sondern sie ohne Rücksicht auf Verdienst beschenkt (Mt 20,15). Ihre Vollkommenheit (Mt 5,48) besteht darin, daß der himmlische Vater seine Sonne scheinen läßt über Gute und Böse (5,45). Seine Fürsorge gilt allen seinen Geschöpfen (6,30). In Jesu Aussagen über die väterliche Güte Gottes steht das schöpferische und erhaltende Wirken des Vaters im Mittelpunkt. Doch eng damit verbun­ den ist sein rettendes und vergebendes Handeln als Ausdruck seines Erbar­ mens (Mt 18,33; vgl. Lk 10,37). Der Begriff der Barmherzigkeit (ἔλεος) hat dabei weiteren Sinn als im späteren christlichen Sprachgebrauch, da er im Griechischen häufig hebr häsäd wiedergibt, also für den umfassenden Ge­ danken der Gnade und Huld Gottes steht205. Die barmherzige Zuwendung zum Bedürftigen, Elenden und Hilflosen muß daher als ein spezifischer Ausdruck der Güte und ihrer freien Zuwendung, nicht als eine davon ver­ schiedene Eigenschaft gewürdigt werden. Von daher ist es auch verständlich, daß bei Paulus die Rede von der Gnade Gottes (χάρις) zum zentralen Aus­ druck für die Güte Gottes werden konnte (Röm 3,24; 4,16): Auch hier näm­ lich steht häsäd neben hen im Hintergrund206. Bei Paulus erscheint nun die Güte Gottes, seine Gnade und Huld, nicht mehr nur als eine Eigenschaft des Schöpfers, sondern als wirksam in der Ge­ schichte des Sohnes und insbesondere in seinem Tod für uns, durch den wir die Versöhnung mit dem Vater empfangen haben (Röm 5,8–11). In diesem Geschehen hat die „Gnade“ Gottes (5,15) die Macht der Sünde und des To­ des durch den Gehorsam Jesu Christi (5,20 f.) überwunden207. Damit hat Paulus den schon in der Verkündigung Jesu angelegten Gedanken, daß durch seine Botschaft und in seinem Verhalten der Vater seine die Sünden tilgende Barmherzigkeit den Menschen zuwende (Mt 18,33, vgl. Lk 6,36, Lk 15,20 ff.), auf die Interpretation des Todes Christi und seiner Bedeutung aus­ gedehnt. Dabei zielt nach Paulus das Geschichtshandeln Gottes darauf, daß er sich aller erbarme (Röm 11,30 ff., vgl. 12,1)208. 205 So R. Bultmann in ThWBNT 2, 1935, 479 f. Zum Problem der Wiedergabe von häsäd ebd. 476 f. Aus der Vielzahl der Beispiele sei besonders die geprägte Formel Ex 34,6 f. hervorge­ hoben (vgl. Ps 103,17 u. ö.), ferner Ps 89,15; 89,3; 100,5; 108,5. Das Wort ist oft verbunden mit emet oder emunah. Vgl. auch H.J. Stoebe: Die Bedeutung des Wortes HÄSÄD im Alten Testa­ ment, 1952. 206 W. Zimmerli hat im alttestamentlichen Beitrag zum Artikel χάρις ThWBNT 9, 1973, 366–377 auf die Sinnverschiebung hingewiesen, durch die häsäd anstelle von hen zur Bezeich­ nung der „Bundeshuld“ Jahwes geworden sei (373 ff.). 207 Siehe dazu U. Wilckens: Der Brief an die Römer 1, Neukirchen 1978, 324 ff., vgl. auch ebd. 66 zu Röm 1,5. 208 Ebd. Bd. 3,1982, 2 f. (vgl. Bd. 2, 1980, 262 f.).

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Haben die biblischen Aussagen über Gottes Barmherzigkeit, Gnade und Huld oft den weiten Sinn der Güte, so daß die Bezeichnungen sich nicht ge­ nerell voneinander abgrenzen lassen, so hat die Vorstellung der Gerechtigkeit Gottes in höherem Maße selbständigen Bedeutungsgehalt. Aber auch die Ge­ rechtigkeit erweist sich als ein Aspekt der Liebe Gottes; denn es handelt sich schon beim alttestamentlichen Gedanken der Gerechtigkeit Gottes nicht um die bloße Talion in der gesetzmäßigen Entsprechung von Tat und Tatfolge, Schuld und Unheil, Verdienst und Wohlergehen, sondern um die Bun­ desgerechtigkeit Gottes gegenüber seinem Volk, deren Inhalt „keine Norm, sondern Taten, und zwar Heilserweisungen“ sind209. Daß dieser Zentralge­ danke jüdischen Gottesverständnisses im Reden Jesu von Gott kaum eine Rolle gespielt zu haben scheint, obwohl bei Matthäus von der „Gerechtigkeit des Gottesreiches“210 die Rede ist (6,33) und das Johannesevangelium Jesus die Gebetsanrede „gerechter Vater“ in den Mund legen konnte (Joh 17,25), ist ein bedeutsamer Sachverhalt, der nach einer Erklärung verlangt. Die Er­ klärung könnte darin liegen, daß die Botschaft Jesu eben nicht von der Bun­ destreue des Gottes Israels zu seinem Volk ausging, sondern von der Güte des Schöpfergottes und der nahen Zukunft seines Reiches, dessen Kommen bei aller Gerichtsdrohung über die Ungerechtigkeit der Menschen doch ebenfalls die Züge des Vatergottes und seiner Güte trägt. Bei Paulus dagegen spielte mit der Frage nach dem Verhältnis der Kirche zu Israel auch der Gedanke der Gerechtigkeit Gottes eine zentrale Rolle. Dabei handelt es sich in der paulinischen Argumentation wie in der jüdischen Tradition um die Bundesgerechtigkeit Gottes. In seiner Bundestreue erweist sich Gott als gerecht (Röm 3,3–5), obwohl er auch sein erwähltes Volk in Ungehorsam fallen läßt (vgl. Röm 11,30 ff.); denn er richtet seine Bundesgerechtigkeit auf durch den Sühnetod Jesu Christi (Röm 3,21–26), um sich nicht nur seines Volkes, sondern aller zu erbarmen (11,32), aller derer nämlich, die sein 209 G. v. Rad: Theologie des Alten Testaments I, München 1957, 370, vgl. den ganzen Ab­ schnitt 368–380. Der Heilscharakter der Gerechtigkeit Gottes ist so eindeutig, daß nach v. Rad der Gedanke einer strafenden Gerechtigkeit „eine contradictio in adiecto“ wäre (375). Die Aus­ führungen zum alttestamentlichen Sprachgebrauch bei P. Stuhlmacher: Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, Göttingen 1965, 113–145 betonen mit Recht das „Verkündigungsgeschehen“, das die göttliche Gerechtigkeit zum Inhalt hat, in seiner kultischen Verwurzelung (129). Hinzuzu­ fügen ist nur, daß dieses Verkündigungsgeschehen auf das heilschaffende Handeln Gottes (so auch Stuhlmacher 115 mit K. Koch) gegründet ist und verweist. Besonders wichtig sind die Ausführungen Stuhlmachers zur Apokalyptik 145–175. 210 Zur Deutung dieses Ausdrucks im Sinne der Heil schaffenden Macht der Gottesherr­ schaft siehe P. Stuhlmacher a. a. O. 188–191. Stuhlmacher hebt hervor (188), daß es sich bei Mt 6,33 um eine Einfügung des Evangelisten in die ihm vorliegende Überlieferung handelt, geht aber nicht darauf ein, was es bedeutet, daß dieser Gedanke in der älteren Jesusüberlieferung fehlt. Die aus der Spruchquelle stammende Wendung vom Trachten nach der Gottesherrschaft erscheint bei Lukas (12,31) ohne Hinzufügung von „und nach seiner Gerechtigkeit“. Stuhlma­ cher deutet diese Ergänzung als Ausdruck der auch sonst für Matthäus charakteristischen Beto­ nung des Gedankens der Gerechtigkeit.

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Heilshandeln in Jesus Christus für sich annehmen im Glauben (3,22 u. 26)211. In ähnlichem Sinne ist es zu verstehen, wenn 2.Kor 5,21 die durch den Tod Christi mit Gott Versöhnten als Erweis der Gerechtigkeit Gottes in An­ spruch genommen werden. Es handelt sich dabei nicht mehr nur um das Ver­ hältnis Gottes zu Israel, um seine Bundesgerechtigkeit gegenüber seinem er­ wählten Volk. Indem Paulus den Gedanken der durch Gottes Heilshandeln sich erweisenden Bundesgerechtigkeit ausweitet auf die Völkerwelt, geht es in der Gerechtigkeit Gottes nun um sein Verhältnis zu seiner ganzen Schöp­ fung212. Damit hat Paulus in der Terminologie der Bundesgerechtigkeit Got­ tes der Sache nach den Ansatz der Verkündigung Jesu bei der Schöpfergüte Gottes weitergeführt, die sich im Kommen der Gottesherrschaft als verge­ bende Zuwendung zu den Menschen erweist. Der biblische Sinn des Gedankens der Gerechtigkeit Gottes als heilschaffende Bundesgerechtigkeit ist in der Geschichte der christlichen Theologie schon seit der Auseinandersetzung mit der Gnosis, insbesondere mit Marcion, in den Hinter­ grund getreten: Den antignostischen Vätern ging es um den Nachweis, daß Ge­ rechtigkeit und Güte beim höchsten Gott zusammengehören (Iren. adv. haer. III,25, 2 f., Tert. adv. Marc 2,11). Dabei wurde Gerechtigkeit ebenso wie auf der Gegenseite als strafende Gerechtigkeit verstanden (vgl. schon Justin Apol II,12,6; Theophilus ad Autol. I,3). Seitdem hatte die christliche Gotteslehre Mühe, die Ge­ rechtigkeit Gottes als übereinstimmend mit dem Bild seiner Barmherzigkeit und Güte zu erweisen. So lehrte Thomas von Aquin, daß das Dasein aller Dinge auf Gottes Barmherzigkeit zurückgehe, während in ihrer Ordnung und Verhältnismä­ ßigkeit seine Gerechtigkeit zum Ausdruck komme213. Er konnte aber auch sagen, daß Gottes Gerechtigkeit sich besonders durch Bestrafung der Verworfenen erweise, während seine Güte und Barmherzigkeit an den Erwählten zur Darstel­ lung komme (S. theol. I,23,5 ad 3). Wegen der vorherrschenden Auffassung der Gerechtigkeit Gottes als Strafgerechtigkeit wurde für Luther die Entdeckung des biblischen Sinnes der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes, „durch die er uns

211 Siehe dazu U. Wilckens: Der Brief an die Römer I, Neukirchen 1978, 184–202 und den folgenden Exkurs zum Begriff „Gerechtigkeit Gottes“ (202–233). Wilckens betont mit O. Kuss, daß Paulus Röm 3,21–26 „auf die Tatoffenbarung der Gottesgerechtigkeit“ (188) im Sühnetod Christi (194 ff.) zielt, die die Rechtfertigung der Glaubenden zur Folge hat. Vgl. auch a. a. O. 163 ff. zu Röm 3,1–5. 212 Diese Beziehung des Rechtfertigungsgeschehens zur Schöpfung ist besonders von P. Stuhlmacher a. a. O. 225 ff. bes. 227 betont worden. Vgl. auch 209 ff. und die Ausführungen 91 ff., 98 ff. zu Röm 10,3. 213 S. theol. I,21,4: …quidquid in rebus creatis facit, secundum convenientem ordinem et pro­ portionem facit, in quo consistit ratio iustitiae… Opus autem divinae iustitiae semper praesup­ ponit opus misericordiae, et in eo fundatur. Creaturae enim non debetur aliquid, nisi propter ali­ quid in ea praeexistens, vel praeconsideratum.

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gerecht macht“ (qua nos ex ipso Iustificamur, WA 56, 172, 4 f.), zu einem umwäl­ zenden Erlebnis214. Doch auch die altprotestantische Dogmatik kam wieder auf den Gedanken der Strafgerechtigkeit zurück215. Sogar noch in der neueren Theolo­ gie hat erst Albrecht Ritschl dem biblischen Sinn des Begriffs wieder zur vollen Anerkennung verholfen: Im Alten Testament wurde der Vergeltungsgedanke nicht mit der Gerechtigkeit Gottes verbunden oder auf sie begründet, und diese wieder­ um sei „direct nur auf die Gerechten bezogen“, und auch im Neuen Testament, be­ sonders bei Paulus, bedeute Gerechtigkeit überall „das zum Zwecke des Heiles der Gläubigen folgerechte, die Rechtbeschaffenheit Gottes bezeugende Verfahren“216. Weniger entschieden hat Hermann Cremer sich geäußert. Zwar hielt er am richter­ lichen Charakter der Gerechtigkeit Gottes fest, betonte aber, daß es sich dabei um seine „richtende und dadurch rettende Gerechtigkeit“ handle217. Dadurch wurde Karl Barths Auffassung von der Einheit der göttlichen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in gewisser Weise vorbereitet: Barth hat die Gerechtigkeit Gottes als Ausdruck der Inanspruchnahme des Menschen durch seine Barmherzigkeit gedeutet (KD II/2,432 ff.). Darin kündigt sich bereits die in der Kirchlichen Dogmatik später folgende Behandlung des Gesetzes als Gestalt und Form des Evangeliums an (II/2, 564 ff., 649 ff.). Sicher bleibt Gott allein unsere Gerechtigkeit, „der wir keine eigene Gerechtigkeit entgegenzustellen haben“ (II/ 2, 647). Aber es ergibt sich für Barth doch „schnurgerade“ eine Verbindung zwi­ schen der Gerechtigkeit Gottes und der politischen „Problematik und Aufgabe“ (II/1, 434) einer Wiederherstellung der gestörten Ordnung des Gottesreiches (ebd. 427) in besonderem Hinblick auf die Armen und Elenden (435). In der Botschaft Jesu wird die Hinwendung zu den Armen und Elenden wohl nicht zufällig anders begründet, nämlich aus der Teilnahme an Gottes liebender Zuwendung zur Welt, und nicht als politische Aufgabe. Vielleicht hat das Neue Testament die hier anste­ hende „Problematik und Aufgabe“ in ihrer Komplexität doch realistischer einge­ schätzt als Barth. Jedenfalls aber hat es die Gottesgerechtigkeit bei Paulus aus­ schließlich mit dem Handeln Gottes selbst im Sühnetod Jesu Christi und mit der dadurch bewirkten Versöhnung zu tun. Die Menschen, die diese Versöhnungstat im Glauben empfangen, sind in der Tat aufgefordert, sich ihr entsprechend zu ver­ halten (vgl. 1.Kor 11,27–34). Doch gehört das nicht zu der Gottheit Gottes, und wer das übersieht, wird die Gerechtigkeit Gottes mit Barth schließlich auch wie­ der als verurteilende und strafende Gerechtigkeit darstellen (IV/1, 439 ff.).

Eng mit der Gerechtigkeit Gottes verbunden ist seine Treue. Bei der einen wie bei der anderen geht es um die Identität und Beständigkeit des ewigen Gottes in seiner liebenden Zuwendung zu seinen Geschöpfen. Immer wieder rühmen daher die Psalmen Gottes Huld und Treue in typischer Verbindung 214 H. Bornkamm: Iustitia dei in der Scholastik und bei Luther, in: Archiv für Reformations­ geschichte 39, 1942, 1–46. 215 Vgl. die kritischen Ausführungen von H. Cremer: Die christliche Lehre von den Eigen­ schaften Gottes, Gütersloh 1897, 48 ff., 52 ff., sowie schon A. Ritschl: Geschichtliche Studien zur christlichen Lehre von Gott, in: Ges. Aufsätze NF, Leipzig 1896, 25–176, bes. 161 ff. 216 A. Ritschl: Rechtfertigung und Versöhnung II (1874), 2. Aufl. 1882, 108 f. und 118. Vgl. Bd. III, 2. Aufl. 1883, 296 ff. 217 H. Cremer a. a. O. 56, vgl. den ganzen Abschnitt 46–67.

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dieser beiden Begriffe (Ps 25,10; 26,3; 77,9; 85,11; 86,15; 91,7; 108,5; 115,1; 117,2; 138,2). Häufig steht auch anstelle von emet der verwandte Ausdruck emunah (Ps 27,13; 36,6; 88,12; 89,25.29.34; 92,3; 98,3; 100,5). Dieselbe Verbindung von Huld und Treue begegnet im Prolog des Johannesevange­ liums als Beschreibung der Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes (Joh 1,14: πλήρης χάριτος καί ἀληθείας): In der Fleischwerdung des Sohnes bewährt und vollendet sich die Huld und Treue Gottes zu seinem Bund und, im Sinne des Johannesprologs, zur Schöpfung. Der Sache nach geht es um nichts ande­ res als was anderwärts, vor allem bei Paulus, als Gerechtigkeit Gottes in sei­ nem Heilshandeln beschrieben wird. So spricht denn auch Paulus von der Bundestreue (πίστις) und der Gerechtigkeit Gottes im gleichen Atemzuge (Röm 3,3 und 5), und auch Röm 3,25 ist so aufgefaßt worden, daß die Treue Gottes in der Versöhnung durch das Blut Christi ihren Ausdruck findet218. In der Geschichte der christlichen Gotteslehre sind die biblischen Aussagen über die Treue Gottes seit dem zweiten Jahrhundert219 als Belege für die Behauptung der Unveränderlichkeit Gottes angeführt worden. Während aber das aus der griechi­ schen philosophischen Theologie stammende Prädikat der Unveränderlichkeit Gottes die Vorstellung der Zeitlosigkeit impliziert, drückt der Gedanke der Treue Gottes seine Beständigkeit im Prozeß der Zeit und Geschichte selber aus, insbe­ sondere auch das Festhalten an seinem Heilswillen, an seinem Bund und an seinen Verheißungen, aber auch an den Ordnungen seiner Schöpfung. In diesem Sinne kann Paulus schreiben: „Unwandelbar sind die Gnadengaben und die Berufung Gottes“ (Röm 11,29). So heißt es auch schon Num 23,19, Gott sei kein Mensch, daß er sich etwas gereuen ließe. 1.Sam 15,29 wird das auch im Hinblick auf einen Un­ heilsratschluß Gottes gesagt. Und doch ist nicht nur in der Sintflutgeschichte (Gen 6,6 f.) und in der Erzählung von Sauls Verwerfung (1.Sam 15,10 f.; vgl. v.35), sondern auch immer wieder in prophetischen Texten von einer Reue, also einer Sin­ nesänderung Gottes die Rede220. Dabei stellt sich in der Geschichte Israels aber zu­ nehmend deutlich heraus, daß die Möglichkeit einer Reue Gottes nicht seinen Heilsratschluß betrifft, sondern sich auf seine Strafgerechtigkeit bezieht. Hier 218 So besonders auch K. Barth: Der Römerbrief, 2. Ausg. 1922, 79 f. Auch wenn die Ausle­ gung von πίστις als Treue Gottes für diese Stelle von der heutigen Exegese überwiegend abge­ lehnt wird (U. Wilckens: Der Brief an die Römer 1, 1978, 194), entspricht sie der Sache nach si­ cherlich der paulinischen Theologie. 219 Siehe dazu meine Ausführungen in: Die Aufnahme des philosophischen Gottesbegriffs als dogmatisches Problem der frühchristlichen Theologie (1959), Grundfragen systematischer Theologie 1, Göttingen 1967, 296–346, bes. 327 ff. vgl. 304 f. Bereits die Aussagen des zweiten und dritten der Anaximander zugeschriebenen Fragmente über die Alterslosigkeit des Unendli­ chen und seine Freiheit von Tod und Verderben implizieren die Unveränderlichkeit des ersten Ursprungs (vgl. W. Jaeger: Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953, 39). Auch nach U. Hölscher war der „Kontrast des Endlichen zum Ewigen“ für Anaximander grundlegend (Anaximander und die Anfänge der Philosophie (1953), in: Um die Begriffswelt der Vorsokratiker, hrsg. H. G. Gadamer Darmstadt 1968, 95–176,118). Ausdrücklich hat dann Xenophanes dem Gott alle Bewegung abgesprochen (fg. 26). 220 Vgl. J. Jeremias: Die Reue Gottes. Aspekte alttestamentlicher Gottesvorstellung, Neu­ kirchen 1975.

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besteht die Möglichkeit einer Rettung durch die Selbstbeherrschung des göttlichen Zorns. Im Sühnetod Jesu Christi wird diese Willensrichtung Gottes endgültig fest­ gelegt221. Die These der Unveränderlichkeit Gottes hat sich in der Geschichte der christli­ chen Theologie auf verschiedenen Gebieten verhängnisvoll ausgewirkt. So sah sich Athanasios im arianischen Streit gezwungen zur Umdeutung aller biblischen Aus­ sagen, die vom Sohn ein Werden oder Gewordensein behaupten, weil die Arianer darauf ihre Argumentation gegen die wahre Gottheit des Sohnes stützten222. Dar­ aus mußte sich die Aporie ergeben, daß mit der Inkarnation für den ewigen Gott keine Änderung verbunden ist223, das Stattfinden oder Ausbleiben dieses Ereignis­ ses für ihn also keinen Unterschied macht. Ebensowenig konnte er von dem Lei­ den des Sohnes mitbetroffen sein. Die Unveränderlichkeit Gottes erzwang weiter die Konsequenz, daß alle Veränderung im Verhältnis des Menschen zu Gott nicht von Gott, sondern nur vom Menschen ausgehen kann. Daher mußte die Versöh­ nung von einer durch den Gottmenschen in seiner menschlichen Natur und in Vertretung der Menschheit dargebrachten Satisfaktionsleistung ihren Anfang neh­ men (Anselm von Canterbury Med. XI, PL 158, 765 C, vgl. Cur Deus Homo I,8; II,11). Auch die Veränderung der Einstellung Gottes gegenüber dem Menschen als Sünder mußte wegen der Unveränderlichkeit Gottes mit einer Veränderung auf seiten des Menschen beginnen. Das war das wichtigste Motiv für die Ausbil­ dung der scholastischen Lehre von einer gratia creata: Erst wenn die Seele in ihrer geschöpflichen Realität durch die gratia creata geschmückt ist, kann der unverän­ derliche Gott sich zu ihr anders als zuvor verhalten224. Noch zu Beginn der Neu­ zeit veranlaßte der Gedanke der Unveränderlichkeit Gottes eine weitere, verhäng­ nisvolle Entwicklung: Ihretwegen meinte Descartes alle Veränderungen in der Na­ tur ausschließlich auf geschöpfliche Ursachen zurückführen zu müssen, weil jeder Eingriff Gottes in die einmal geschaffene Welt unvereinbar wäre mit seiner Unver­ änderlichkeit225.

Im Unterschied zur Vorstellung von der Unveränderlichkeit Gottes schließt der Gedanke seiner Treue weder die Geschichtlichkeit, noch die Kontingenz des Weltgeschehens aus, aber umgekehrt brauchen Geschicht­ lichkeit und Kontingenz seines Handelns auch nicht in Widerspruch zur Ewigkeit Gottes zu stehen: Wenn Ewigkeit und Zeit erst in der eschatologi­ 221

So J. Jeremias a. a. O. 119 ff. Athan. c. Arian. II,53 ff., vgl. schon I,35 ff., 54, 60 ff. Gott konnte auch durch die Inkarna­ tion „keinen Zuwachs“ erhalten (1,48). Als ganz absurd erschien es Athanasios, Gott selbst ein Werden zuzuschreiben (1,63). So erfahre der Sohn „auch in der leiblichen Erscheinung keine Veränderung“ (II,6: αὐτὸς ἄτρεπτος μένων, καὶ μὴ ἀλλοιούμενος ἐν τῇ ἀνθρωπίνῃ οἰκονο­ μία καὶ τῇ ἐν σάρκῳ παρουσία). Die biblischen Aussagen über die Treue Gottes bezeugen nach Athanasios diese seine Unveränderlichkeit (II,6 und 10). 223 S. o. Kap. 5. 224 J. Auer: Die Entwicklung der Gnadenlehre in der Hochscholastik I: Das Wesen der Gna­ de, 1942. 225 R. Descartes: Le Monde (1630), Oeuvres de Descartes ed. Adam/Tannery XI, Paris 1967, 35 z. 5 ff. Vgl. dazu meine Ausführungen über „Gott und die Natur“, in: Theologie und Philo­ sophie 58, 1983, 481–500, bes. 485 f. 222

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schen Vollendung der Geschichte koinzidieren, dann ist unter dem Gesichtspunkt der Geschichte Gottes auf jene Vollendung hin Raum für ein Werden in Gott selbst, nämlich im Verhältnis von immanenter und ökono­ mischer Trinität, und in diesem Rahmen ist es dann auch möglich, von Gott zu sagen, daß er selber etwas wurde, was er zuvor nicht war, als er in seinem Sohne Mensch wurde. Mit der Treue Gottes auf dem Wege seines geschichtlichen Handelns und also mit der Offenbarung seiner Gerechtigkeit als des Schöpfers der Welt vollendet sich erst die schöpferische Liebe Gottes. Denn nur durch Treue entsteht Dauerhaftes. Wenn Gott die Selbständigkeit seiner Geschöpfe will, dann hängt das Gelingen seines Schöpferhandelns entscheidend an der Treue seiner schöpferischen Liebe, dem Ausdruck seiner Ewigkeit im Prozeß der Zeit. Ebenso wie die Gerechtigkeit ist auch die Geduld Gottes mit seiner Treue eng verbunden. Dabei steht das Wesen der Geduld dem der Treue insofern besonders nahe, als beide es mit dem Beharren in der Zeit, mit der Identität Gottes im Wechsel der Zeiten zu tun haben. Im Unterschied zur Treue und zur Gerechtigkeit hat jedoch Gottes Geduld nicht unmittelbar seine Heilsabsicht zum Inhalt, sondern bezieht sich auf das Verhalten der Ge­ schöpfe. Mit ihnen hat Gott um seiner Heilsabsicht willen Geduld. Karl Barth hat von der Geduld gesagt, sie sei „da, wo Einer einem Ande­ ren in bestimmter Absicht Raum und Zeit gibt, wo Einer einen Anderen auf ihn wartend gewähren läßt“ (KD II/l, 459). Geduld läßt also dem andern Raum für ein eigenes Dasein und Zeit für die Entfaltung seiner Eigenart. Wenn es sich dabei nicht um die notgedrungene Geduld des ohnmächtig dem Gang der Dinge Zusehenden handelt, sondern um die Geduld des Mächtigen, der sehr wohl in das Geschehen eingreifen könnte, aber sich zu­ rückhält, und wenn seine Geduld überdies noch den eigenen Geschöpfen gilt, die er gewähren läßt, dann ist solche Geduld selber schon eine Gestalt der Liebe, die den Geschöpfen ihr eigenes Dasein gewährt. So ist Gottes Ge­ duld weder gleichgültige Toleranz, noch das ohnmächtige, aber tapfere Aus­ harren im Ertragen von Zuständen, die man nicht ändern kann, sondern ein Moment seiner schöpferischen Liebe, die das Dasein der Geschöpfe will. Dabei wartet sie auf die Antwort der Geschöpfe, in der sich deren Bestim­ mung vollenden soll. In den festgeprägten Formeln, in denen das alte Israel die Eigenschaften seines Gottes zusammenfassend beschrieb (Ex 34,6; Ps 86,15; 103,8; 145,8)226, hatte neben Gnade, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit auch die 226 H. W. Wolff spricht in seinem Kommentar zu Joel 2,3 von einer „alten Bekenntnisfor­ mel“, die hier wie auch in Jon 4,2 und Neh 9,17 aufgenommen und abgewandelt sei (Bibl. Kom­ mentar AT XIV/2, Neukirchen 1969, 58). Die Abwandlung bei Joel und im Jonabuch besteht in der Verbindung mit dem Hinweis auf die Bereitschaft Jahwes, sich das angedrohte Übel gereuen zu lassen, bei Nehemia in der Voranstellung der Bereitschaft zur Vergebung.

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Geduld einen festen Platz. In der Nachsicht seines Gottes mit der Schwach­ heit der Menschen und mit ihren Verfehlungen erkannte Israel einen wesent­ lichen Aspekt der erwählenden Liebe Gottes. Sie ermöglichte dem Volk nach allen Katastrophen und Gerichten immer wieder einen neuen Anfang. Aber man war sich auch dessen bewußt, daß es gefährlich ist, die Nachsicht Gottes zu mißbrauchen. Von seiner Geduld kann nur gesprochen werden angesichts der Drohung seines Zornes, und die Verachtung der Geduld Gottes und sei­ nes Wartens auf die Umkehr der Menschen macht seinen Zorn unaus­ bleiblich (Röm 2,4 f.). Der Zorn ist keine Eigenschaft Gottes, denn sein Handeln ist nicht gene­ rell durch Zorn bestimmt. Daher wird der Zorn Gottes in den biblischen Schriften auch als ein plötzlich losbrechender Affekt beschrieben (Num 11,1; Ps 2,11 f.)227. Er „entbrennt“ (Ex 32,10 ff., Jes 5,25), wenn Gottes Hei­ ligkeit mißachtet wird, und insbesondere, wenn das durch seine Erwählung in den Umkreis der Heiligkeit Gottes einbezogene Volk von ihm abfällt228. Beim Zorn Gottes handelt es sich also um die vernichtende Auswirkung sei­ ner Heiligkeit bei der Berührung mit dem Unreinen (s. o. bei Anm. 131 f.). Er ist die gleichsam naturgesetzliche Folge der Untreue gegen Gott (Ps 78,7–60; Ri 2,10–22), die aber immer wieder unterbrochen, aufgehalten oder abgewendet wird durch sein Erbarmen (Ps 78,38; Arnos 7,2 ff., Hos 11,8 f.) 229. Die Fürbitten Moses und der Propheten, der Appell an seine Bundesge­ rechtigkeit und die Hilflosigkeit seines Volkes vor seinem Zorn motivieren Gottes Reue und „Selbstbeherrschung“230, mit der sein Gnadenwille die Auswirkungen seines Zornes überwindet: „Im Aufwallen des Zorns verbarg ich einen Augenblick mein Antlitz vor dir; aber mit ewiger Güte habe ich mich deiner erbarmt, spricht der Herr“ (Jes 54,8; vgl. Ps 30,6). Gott kehrt immer wieder zur Geduld mit seinem Volk zurück (Jes 30,18), so wie er nach der Sintflut mit derselben Begründung, mit der er das Unheil auf die Menschen losgelassen hatte (Gen 6,6), die Unverbrüchlichkeit der Ord­ nungen der Schöpfung beschließt und garantiert (Gen 8,21 f.)231. So hat Ter­ tullian in seiner Schrift über die Geduld bereits die Erhaltung der Welt durch den Schöpfer als Ausdruck seiner Geduld kennzeichnen können: Sie kommt darin zum Ausdruck, daß Gott „den Lichtglanz des Tages gleichmä­ ßig über Gerechte und Ungerechte ausgießt“ (De pat. 2; vgl. Mt 5,45). Aber das Zurückhalten des Zornes zielt auf die Umkehr der Menschen (Röm 2,4; 227

F. Weber: Vom Zorne Gottes, 1862, 11. J. Fichtner in ThWBNT5,1954, 403 f., 409. Hier gilt mit Hebr 10,31: „Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.“ 229 Ebd. 406 ff. Allerdings kann die Geduld Jahwes ein Ende finden, wie es Arnos seinem Volk verkünden mußte: Am 7,8; 8,2. 230 Ex 32,14; vgl. die Anm. 220 genannte Untersuchung von J. Jeremias, bes. 43 ff., 52 ff., 59 ff., 75 ff. 231 Siehe dazu G. v. Rad: Das erste Buch Mose Kap. 1–12 (ATD 2), Göttingen 1949, 100 f. 228

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vgl. Lk 13,8). Darüber hinaus zielt sie auf den Erweis der Bundestreue Got­ tes im Sühnetod Christi, durch den Gott selber die vernichtenden Folgen seines Zorns aufhebt (Röm 3,25 f.)232. Wenn jedoch Gottes vergebende Lie­ be verachtet wird, kann sich immer noch die Geduld Gottes als Abwarten auf das Endgericht hin auswirken, auf das hin die Frevler ihre Taten aufhäu­ fen (Röm 9,22 f., vgl. 12,19 und Hebr 10,26–31). Mit ihrer Funktion für die Weltregierung Gottes steht seine Geduld der Weisheit nahe, durch die Gott die Welt gegründet hat (Hi 28,25 ff.; vgl. Prov 3,19 f.; Sap 8,4), die aber auch in der Sendung der Propheten (Lk 11,49) wirk­ sam gewesen ist und nach Paulus auch in der Sendung des Kyrios und seiner Kreuzigung (1.Kor 2,7 f.). Die der Welt verborgene Weisheit Gottes kommt in seinem Geschichtsplan (μυστήριον) zum Ausdruck (2,7), der durch den von Christus gegebenen Geist Gottes (2,10 u. 15) im Vorgriff auf den Aus­ gang der Geschichte offenbar ist. „So ergiebt sich uns in der Erkenntnis die­ ses seines Ratschlusses und seiner geschehenen und noch fortgehenden Aus­ führung die Erkenntnis der Weisheit Gottes.“233 Die göttliche Weisheit fin­ det ihren Ausdruck besonders in der „Erhabenheit Gottes über das Gesetz der Folgerichtigkeit… im Verhältnis zu uns und unserer Sünde“234, nämlich in der Erhabenheit seines Heilswillens und der Wege zu dessen Verwirkli­ chung über den Mechanismus von Sünde und Unheil. Das ist auch der Grund, weshalb Paulus am Ende seiner Ausführungen über die Wege der Erwählung Gottes, der „alle in den Ungehorsam eingeschlossen hat, um sich aller zu erbarmen“ (Röm 11,32), in den Lobpreis seiner Weisheit ausbricht (Röm 11,33 ff.)235. Schon im alten Israel hatte es die Weisheit nicht nur mit der Ordnung des Kosmos, sondern auch mit der „Determination der Zeiten“ im Ablauf der Geschichte zu tun236. Angesichts der Unerforschlichkeit der Zukunft für den Menschen und vor allem angesichts der Erhabenheit Gottes über die in­ nere Folgerichtigkeit der Zusammenhänge von Tun und Ergehen im Ablauf des Geschehens mußte sich damit der Eindruck der Verborgenheit der göttli­ chen Weisheit im Gang des Weltgeschehens verstärken. Erst am Ende der Geschichte wird der Ratschluß Gottes erkennbar sein, der ihrem Ablauf zu­ grunde liegt. Die Erwartung des Aufschlusses darüber verband sich mit der Erwartung der endgültigen Offenbarung der Herrschaft Gottes über den Lauf der Geschichte und also seiner Gottheit selber im Endgeschehen237. Mit dem Anbruch dieses Endgeschehens in der Person Jesu war daher für die Urchristenheit nicht nur die endgültige Offenbarung Gottes schon vorgän­ 232 233 234 235 236 237

U. Wilckens: Der Brief an die Römer 1, Neukirchen 1978, 196 f. H. Cremer: Die christliche Lehre von den Eigenschaften Gottes, Gütersloh 1897, 67. Ebd. 72. U. Wilckens: Der Brief an die Römer 2, 1980, 270 ff. G. v. Rad: Weisheit in Israel, Neukirchen 1970, 337–363. S. o. 227 ff.

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gig erfolgt, sondern auch – und eng damit verbunden – das Ziel des göttli­ chen Geschichtsratschlusses (Eph 1,9 f.) in Erscheinung getreten. Jesus Chri­ stus selbst konnte daher als die Verkörperung der göttlichen Weisheit (1.Kor 1,24) oder des göttlichen Logos238 aufgefaßt werden. In ihm erreicht die barmherzige Liebe Gottes ihr Ziel, das Ziel der Versöhnung der Welt. So ist, mit einem schönen Wort Karl Barths, Jesus Christus „der Sinn der Geduld Gottes“ (KD IV/1, 487). Im Walten der göttlichen Weisheit erweist sich die Macht der Liebe über den Gang der Geschichte. Aber ist das wirklich so? Bietet nicht die Menschheit auch zweitausend Jahre nach Christi Geburt noch das Bild einer unversöhnten Welt? Haben die Christen daran viel geändert? Ist nicht die Kirche selber in die Konflikte der Welt hineingezogen worden, und hat sie durch ihre Unduldsamkeit und ihre Spaltungen diese Konflikte nicht sogar noch vermehrt und verschärft? Hat sich der christliche Gott der Liebe damit nicht als ohnmächtig gegen­ über dem Lauf der Welt, als ohnmächtig sogar im Leben der Christen selber und in der Gemeinschaft der Kirche erwiesen, die durch ihre Einheit die Lie­ be Christi in der Welt bezeugen sollte? In der Tat steht mit alledem die Wahrheit der biblischen Offenbarung Gottes in Frage. Die Ausführungen dieses Abschnitts haben zwar die Eigenschaften behandeln können, die Gott auf Grund der biblischen Offenbarungszeugnisse zuzuschreiben sind. Es konnte gezeigt werden, daß diese Eigenschaften – Güte, Gnade, Barmher­ zigkeit, Gerechtigkeit, Treue, Geduld und Weisheit – allesamt als Aspekte der umfassenden Aussage „Gott ist Liebe“ zu verstehen sind. Aber damit ist keineswegs der Nachweis erbracht, daß dieser Gott auch tatsächlich der ewi­ ge, allgegenwärtige und allmächtige Ursprung und Vollender der Welt ist, der Unendliche, der alle Dinge durchwaltet und umgreift. Nicht ohne Grund haben sich die Darlegungen dieses letzten Abschnitts kaum über den Umkreis der biblischen Zeugnisse hinausbegeben, während der sechste Ab­ schnitt die biblischen Aussagen über Heiligkeit, Ewigkeit, Allgegenwart und Allmacht Gottes als Konkretisierungen des wahrhaft Unendlichen nachzuweisen suchte, das auch auf dem Boden philosophischer Reflexion als die Sphäre ausgewiesen werden kann, auf die sich die Aussagen der Religio­ nen über göttliche Mächte beziehen. Kann aber von der Gotteslehre überhaupt der Nachweis erwartet werden, daß der Gott der biblischen Offenbarung, der Gott der Liebe, wirklich der al­ les durchdringend und umgreifend Gegenwärtige, der Ewige und Allmäch­ tige ist, – daß also er und er allein wahrhaft Gott ist? Nach den biblischen Zeugnissen wird dieser Nachweis nicht durch die Argumente irgendeiner Lehre, sondern durch das Handeln Gottes selbst in der Geschichte erbracht. Die urchristliche Botschaft hat allerdings den Anspruch erhoben, daß dieser Selbsterweis Gottes in der Geschichte Jesu, in der Auferweckung des Ge­ 238

S. o. 233 f., 236 f.

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kreuzigten, bereits erbracht sei. Aber das gilt auch der urchristlichen Bot­ schaft zufolge nur im Sinne einer Antizipation des Endgeschehens, dessen Vollendung noch zu erwarten bleibt in der endgültigen Realisierung des Gottesreiches bei der Wiederkunft Christi, in Verbindung mit der Aufer­ weckung der Toten und dem Gericht über diese Welt. Erst die künftige Voll­ endung seines Reiches kann abschließend erweisen, daß die Gottheit Gottes schon in der Geschichte Jesu definitiv offenbar geworden ist und daß umge­ kehrt der Gott der Liebe wahrhaft Gott ist. Auf dem Wege zu jener letzten Zukunft bleibt der Wahrheitsanspruch der christlichen Botschaft von Gott unvermeidlicherweise strittig. Daran kann auch die Theologie nichts ändern. Die Theologie kann den Glauben nicht ersetzen. Aber sie kann zu klären versuchen, inwieweit sich der Glaube, dem Wahrheitsanspruch der christli­ chen Verkündigung entsprechend, im Bunde mit der wahren Vernunft wis­ sen darf.

c) Die Einheit Gottes Ist der ewige und allmächtige Gott, wenn es ihn denn gibt, wirklich „barm­ herzig und gnädig, geduldig und von großer Güte“? Ist der Gott der Liebe wirklich allmächtig, alles umgreifend gegenwärtig und ewig, also wahrhaft Gott? Diese Frage kann so verstanden werden, daß nach dem Erweis der Gott­ heit des Gottes der Liebe an der Wirklichkeit der Welt gefragt wird. Umfas­ send verstanden richtet sich diese Frage an die Erfahrung der Weltwirklich­ keit selbst im Prozeß ihrer Geschichte. In einem eingeschränkteren Sinne, bezogen auf die Reflexion über das Verhältnis von Weltwirklichkeit und re­ ligiöser Gottesverkündigung, handelt es sich um die Frage, ob die Wirk­ lichkeit der Welt, wie sie ist, als Schöpfung des Gottes der Bibel zumindest denkbar ist. Mit dieser Frage werden sich alle noch folgenden Kapitel der Systematischen Theologie zu befassen haben, zunächst Schöpfungslehre und Anthropologie, aber dann auch Christologie, Ekklesiologie und Eschatologie, weil sich zeigen wird, daß Welt und Mensch, so wie sie sind, noch nicht voll dem Liebeswillen des Schöpfers entsprechen, sondern noch der Versöhnung und Vollendung bedürfen. Die eingangs gestellte Frage kann aber auch in einem noch engeren Sinne verstanden werden, nämlich als Frage nach der gedanklichen Vereinbarkeit der Aussagen über Gottes Liebe mit der Unendlichkeit, Heiligkeit, Ewigkeit, Allgegenwart und Allmacht Gottes. So aufgefaßt handelt es sich um die Fra­ ge nach der Einheit Gottes in der Vielheit seiner Eigenschaften, insbesondere im Verhältnis des Gedankens der göttlichen Liebe zu den Eigenschaften, die bereits im sechsten Abschnitt als Konkretisierung des Gedankens des Un­ endlichen bzw. der Forderung, das Unendliche als wahrhaft unendlich zu

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denken, ausgewiesen wurden. Diese Frage gehört noch in den Rahmen der Gotteslehre im engeren Sinne des Wortes. Zunächst ist zu klären, welcher Status dem Gedanken der Einheit Gottes selber zukommt. Handelt es sich dabei um eine weitere, bisher nicht behan­ delte Eigenschaft? Das wird nahegelegt durch die herkömmliche Erörterung der Einheit Gottes im Zusammenhang der Lehre von den göttlichen Attribu­ ten. Dagegen hat jedoch Schleiermacher mit Recht eingewendet, daß die Ein­ heit überhaupt nicht als Eigenschaft aufgefaßt werden könne. Es könne näm­ lich „streng genommen nie die Eigenschaft eines Dinges sein, daß es nur in bestimmter Zahl vorhanden ist“239. Einheit oder Vielheit sind keine Quali­ täten, sondern fallen unter die Kategorie der Quantität. Aber auch numeri­ sche Einheit kann von Gott nicht ausgesagt werden, wenn nicht gesagt wer­ den soll, daß er einer unter vielen ist. Daher hat schon die altprotestantische Dogmatik zwischen numerischer und transzendentaler Einheit unter­ schieden und nur die letztere für Gott gelten lassen240: Gott ist einer und als solcher von andern unterschieden. Allerdings muß auch die Anwendung die­ ses Gedankens von Einheit auf Gott noch eingeschränkt werden. Aus dem Gedanken des wahrhaft Unendlichen ergibt sich, daß auch die Unter­ scheidung zwischen etwas und anderem nicht uneingeschränkt für den als wahrhaft unendlich zu denkenden Gott gelten kann. Als eines, das nicht eines unter anderen ist, ist Gott als absolut zu denken241. Das Absolute ist als eines zugleich alles242. Aber es ist nicht alles in einem (das wäre Pantheismus), 239 Fr. Schleiermacher: Der christliche Glaube (1821), 2. Ausg. 1830, §56,2. Schleiermacher erläutert das so: „Es ist nicht die Eigenschaft der Hand, zwiefach zu sein, sondern die Eigen­ schaft des Menschen, zwei Hände zu haben, des Affen aber viere. Ebenso könnte es auch eine Eigenschaft der Welt sein, nur von einem Gott beherrscht zu werden, nicht aber Gottes, nur Ei­ ner zu sein.“ In der Tat ist in der Geschichte der Philosophie seit der Antike die Einheit der Welt das entscheidende Argument für die Einheit des göttlichen Ursprungs gewesen. Vgl. meine Anm. 219 zit. Ausführungen aus: Grundfragen systematischer Theologie I, 1967, 296 ff., bes. 302 f. Dieses Argument ist auch von Thomas von Aquin angeführt worden (S. theol. I,11,3). Es ist bei ihm das letzte von drei Argumenten, deren zweites die Einheit Gottes aus sei­ ner Unendlichkeit ableitet, weil mehrere aktual Unendliche sich gegenseitig begrenzen, also gegenseitig ihre Unendlichkeit negieren müßten. Das schwächste der drei Argumente von Tho­ mas ist das zuerst angeführte, das von der Einfachheit Gottes ausgeht. 240 D. Hollaz: Examen theologicum acroamaticum I, Stargard 1707, 337: Numerus praedica­ mentalis est Quantitas discreta, non conveniens Deo; sed numerus transcendentalis est differen­ tia rerum singularium. A. Calov: Systema Locorum theol. II, 287. 241 Die Bezeichnung „absolut“, die bei Seneca (ep. 52,1) das außer allem Vergleich Vollkom­ mene bezeichnet, ist zuerst von Tertullian (adv. Marc 2,5) auf Gott angewendet worden. Weite­ re patristische Belege bei R. Kuhlen im Hist. Wörterbuch der Philosophie 1, Basel 1971, 13 f. Häufiger begegnet der Begriff in diesem Sinne erst in Anselms Monologion. Zu Gottes Einheit als unitas absoluta siehe bes. Nicolaus Cusanus: De docta ignorantia I,5, 14: Est igitur unitas ab­ soluta, cui nihil opponitur, ipsa absoluta maximitas, quae est Deus benedictus. 242 Nicolaus von Kues erreichte diese Aussage über den Gedanken des Größten: Maximum itaque absolutum unum est, quod est omnia (de docta ign. I,2,1). Sie ergibt sich aber auch unmit­ telbar aus dem Verhältnis von Einheit, Vielheit und Allheit (vgl. I. Kant, Kritik der reinen

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sondern muß jenseits der Differenz von einem und allem gedacht werden243, also als das Eine, das zugleich alles umgreift. Formeln wie diese sind freilich nur logische Postulate, die aus der Analyse des Gedankens der absoluten Einheit entwickelt werden, aber dabei nicht einmal als möglich, d. h. als in sich konsistent, erweisbar sind, weil bei ihrer Herleitung immer schon die Gegenbegriffe des Vielen und der Allheit im Spiel sind. Indessen ist soviel deutlich, daß die Einheit Gottes weder als Eigenschaft, noch als Zahl gedacht werden kann. Der Gedanke Gottes als des absolut Einen enthält ferner mit der Einzigkeit immer auch schon das Moment der Einzigartigkeit und Un­ vergleichlichkeit, das in der Vorstellung des Heiligen liegt. Die Schwierigkei­ ten im Begriff der absoluten Einheit dagegen sind mit ihrem Verhältnis zum Vielen verbunden. Sie dürften für die bloße Reflexion auf die Einheit als sol­ che unauflösbar bleiben. Im biblischen Verständnis ist die Einheit Gottes nicht nur als Vorausset­ zung seines offenbarenden Handelns, sondern durchaus als dessen Inhalt vorgestellt. In der Antwort Jahwes auf Moses’ Frage nach seinem Namen wird auf Gottes Selbstidentifikation durch sein geschichtliches Wirken ver­ wiesen: „Ich werde dasein als der ich dasein werde“ (Ex 3,14)244. Damit ist nicht die zeitlose Identität des Seinsbegriffs gemeint, wohl aber die Selbst­ identität der Wahrheit Gottes, die durch seine Treue in seinem geschichtli­ chen Handeln in Erscheinung tritt, wie es durch seine Eiferheiligkeit, Güte, Geduld, Gerechtigkeit und Weisheit gekennzeichnet ist. Darauf bezieht sich auch Israels Bekenntnis zur Einzigkeit Gottes: „Höre Israel: Jahwe ist unser Gott, er allein (als einziger)“ (Dtn 6,4). Die Einzigkeit Jahwes war von An­ fang an Ausdruck und ist – im Gange der Religionsgeschichte Israels – Vernunft B 111), wenn eine Einheit gedacht werden soll, die nicht Element einer Vielheit ist: Einheit und Allheit müssen dann koinzidieren. In der neueren Theologie gehörte I. A. Dorner zu den wenigen, die sich auf die Problematik eingelassen haben, welche mit der Behauptung der göttlichen Einheit verbunden ist. Dorner kam dabei zu dem Ergebnis, daß die absolute Einheit, also Einzigkeit Gottes „irgendwie“ auch den Möglichkeitsgrund alles anderen enthalten müsse (System der christlichen Glaubenslehre I (1879), 2. Aufl. Berlin 1886, § 19,1, 220). 243 Daher heißt das Eine bei Plotin auch „nichts von allem“; vgl. W. Beierwaltes: Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt 1985, 41 f.: Gerade als solches ist das absolute Eine nach Plotin ἄπειρον und „nicht-Etwas“. Ge­ nauer wäre wohl zu sagen, daß das absolute Eine als wahrhaft unendlich zugleich etwas und nicht (nur) etwas ist: Das entspräche der areopagitischen Weiterbildung des Gedankens der göttlichen Einheit als „geeint in der Unterscheidung“ (Beierwaltes 214), in der Beierwaltes schon die coincidentia oppositorum des Kusaners (215) angelegt findet. Die Herleitung der ae­ qualitas aus der unitas bei Thierry von Chartres (ebd. 369 ff.) scheint mir dagegen den Charak­ ter einer äußerlichen Reflexion auf das Eine bzw. auf das Verhältnis des Seiend-Einen zum Überseiend-Einen, wie es in den ersten beiden Hypothesen des platonischen Parmenides ent­ wickelt wird (194 f.), zu haben. Das gilt auch für die Homoousie des trinitarischen Dogmas: Sie läßt sich doch wohl nicht aus dem Begriff des Einen entwickeln, wie es in der Schule von Chart­ res versucht wurde (vgl. auch 382 ff.), sondern nur aus der Beschreibung des geschichtlichen Verhältnisses Jesu als des Sohnes zum Vater. 244 Siehe dazu oben Kap. 4,2, 224 f., bes. Anm. 22.

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zugleich auch Resultat seiner Eiferheiligkeit, die keine andern Götter neben sich duldete (Dtn 6,15; Ex 20,5). Insofern besteht ein Zusammenhang zwi­ schen der Einzigkeit des Gottes Israels und seiner Liebe, nämlich durch den in seiner Liebe begründeten Anspruch auf alleinige Gottheit und auf deren Anerkennung durch die, denen er sich offenbart (vgl. noch Mt 6,33 = Lk 12,31, sowie Mt 6,24 = Lk 16,13). Dabei ist die Liebe Gottes über Israel hin­ aus auf seine ganze Schöpfung gerichtet. Die Gerechtigkeit und Selbst­ identität des erwählenden Gottes erweist sich durch seine Treue, – nicht nur zu seiner Erwählung Israels, sondern zu seiner ganzen Schöpfung, auf die das erwählende Handeln Gottes mittels der Erwählung dieses Volkes zielt. Um der Identität seines Namens willen (Jes 48,9; vgl. 43,25; Ez 36,22 f.) über­ läßt Gott seine Erwählten, aber auch seine ganze Schöpfung nicht der Nichtigkeit, sondern überwindet die Abwendung seiner Geschöpfe von ihm durch die Sendung seines Sohnes zur Versöhnung der Welt. Durch die auf die Welt ausgreifende und daher über den Gegensatz zwischen Gott und Welt übergreifende Einheit der Versöhnung durch Liebe wird die Einheit Gottes selbst im Verhältnis zur Welt realisiert. Dadurch wird die zunächst abstrakte Vorstellung der Einheit Gottes als in sich abgesonderter Realität, die der Vielheit sowohl der anderen Götter als auch der Welt nur entgegen­ gesetzt ist, überwunden. Durch die in seinem Offenbarungshandeln sich of­ fenbarende Liebe Gottes wird seine Einheit als Einheit des wahrhaft Unend­ lichen, die den Gegensatz zu seinem andern übergreift, konstituiert. Gewinnt so die Einheit Gottes ihre differenziert ausgebildete, konkrete Gestalt erst im Wirken der göttlichen Liebe, so läßt sich auch im Hinblick auf die übrigen Eigenschaften des göttlichen Wesens dartun, daß sie entwe­ der Erscheinungsformen der Liebe Gottes sind oder aber nur so in ihrem wahren Sinn erfaßt werden können, daß ihre konkrete Manifestation im Walten der göttlichen Liebe aufgehoben ist. Letzteres gilt durchweg von den Eigenschaften der Unendlichkeit Gottes. So zeigte sich bei der Erörterung von Allmacht und Allgegenwart Gottes, daß die mit diesen Begriffen verbundene Problematik sich erst durch ihre tri­ nitarische Interpretation und also durch ihre Auffassung als Ausdruck der Liebe Gottes löst. Erst die Trinitätslehre erlaubt es, die Jenseitigkeit Gottes als Vater und seine Gegenwart bei und in den Geschöpfen durch Sohn und Geist so zu vereinen, daß die bleibende Unterschiedenheit von Gott und Ge­ schöpf dabei gewahrt wird. Entsprechendes ergab sich für das Verständnis der Allmacht Gottes. Die Macht Gottes als des transzendenten Vaters über seine Schöpfung wird erst durch das Wirken von Sohn und Geist vollendet, weil sie erst so von der einseitigen Entgegensetzung des Bestimmens zum Bestimmten frei ist und Gottes Identität in seinem Schöpfungswillen zum Ziele führt. Entsprechendes gilt für das Verständnis der Ewigkeit Gottes: Der Gegen­ satz zwischen Ewigkeit und Zeit wird durch die Inkarnation des Sohnes

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aufgehoben, indem die Zukunft des Vaters und seines Reiches den Menschen durch den Sohn gegenwärtig wird. Sie bezieht dabei nicht nur – wie es die Vorstellung der Hadesfahrt Christi ausdrückt – alle Vergangenheit in sich ein, sondern geht so sehr in die Gegenwart der Menschen ein, daß sie selber zur Vergangenheit wird und der Vergegenwärtigung und Verherrlichung durch das Wirken des Geistes bedarf. Die Aufhebung des Gegensatzes zwi­ schen Ewigkeit und Zeit in der Ökonomie des göttlichen Heilshandelns nach der Weisheit der Liebe Gottes ist die Versöhnung des Gegensatzes zwi­ schen Schöpfer und Geschöpf. Entsprechendes gilt schließlich auch für die Grundaussage der Unendlich­ keit Gottes selber: Der Gedanke des wahrhaft Unendlichen, der das Unend­ liche und das Endliche nicht als bloßen Gegensatz, sondern als diesen seinen Gegensatz zugleich übergreifende Einheit zu denken fordert, enthält zu­ nächst eine bloße Forderung, eine sich auf den ersten Blick als paradox dar­ stellende Aufgabe für das Denken. Er bietet in seiner abstrakt logischen Form noch keine Lösung an für die Frage, wie solche Einheit des Unendli­ chen und des Endlichen in einem in sich einheitlichen Gedanken gedacht werden kann, ohne die Differenz zu verwischen, die zwischen den beiden Gliedern des Gegensatzes besteht. Diese Aufgabe läßt sich nicht, wie Hegel meinte, durch die Logik des Begriffs und des Schlusses auflösen. Die vollen­ dete Einheit von Begriff und Realität in der Idee bleibt selber noch ein blo­ ßes Postulat der metaphysischen Logik. Schon die Dynamik, die dabei der Idee zugeschrieben werden muß, übersteigt die Grenzen der Logik. Sie fin­ det sich erst auf einem ganz andern Felde, in der Dynamik des Geistes, aber des Geistes im alttestamentlichen Sinne dieses Wortes, nicht im Sinne seiner Verschmelzung mit dem Denken. Konkreter stellt sich diese Dynamik in der Eiferheiligkeit des biblischen Gottes dar. Eine Lösung findet die Aufga­ be, den Gedanken des wahrhaft Unendlichen mit Inhalt zu füllen und da­ durch als einen auch seiner Form nach konsistenten Gedanken zu erweisen, aber erst durch den Gedanken der göttlichen Liebe. Die Liebe ist freilich nur als göttliche Liebe unendlich, und sie ist nur als unendliche Liebe, im trinita­ rischen Reichtum ihrer Lebensvollzüge, die göttliche Liebe. Die göttliche Liebe in ihrer trinitarischen Konkretheit – in der Freiheit nicht nur des Va­ ters, sondern ebenso des Sohnes (in seiner Selbstunterscheidung, durch die er mit dem Vater verbunden ist) und des Geistes in der Spontanität seiner Verherrlichung des Vaters und des Sohnes – schließt die Spannung des Un­ endlichen und des Endlichen in sich ohne Beseitigung ihrer Differenz. Sie ist diejenige Einheit Gottes mit seinem Geschöpf, die darin begründet ist, daß die göttliche Liebe das Geschöpf in seiner Besonderheit ewig bejaht und da­ her zwar seine Trennung von Gott, nicht aber seine Verschiedenheit von Gott beseitigt245. 245

Maximus Confessor, Opusc. theol. polem. 8, PG 91, 97 A; vgl. auch PG 91, 877 A, 1113

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Indem die Liebe die konkrete Gestalt der göttlichen Einheit in ihrem Weltverhältnis realisiert, stellt sie sich zugleich als Aufhebung der Vielheit der göttlichen Eigenschaften in die Einheit des göttlichen Lebens dar. Deren Unterschiede verschwinden nicht einfach, aber sie haben ihre Realität nur als Momente der Lebensfülle der göttlichen Liebe. Ebenso haben die Relati­ vität des Wesensbegriffs, die Differenz von Wesen und Eigenschaften, sowie die andere zwischen Wesen und Erscheinung, Wesen und Dasein, ihre kon­ krete Wahrheit in der trinitarischen Dynamik der göttlichen Liebe. Die Lie­ be ist das Wesen, das nur in seiner Erscheinung, in den Gestalten seines Da­ seins, nämlich in Vater, Sohn und Geist, das ist, was es ist, indem es sich in den Eigenschaften seiner Erscheinung ganz und gar gibt und manifestiert. Weil Gott Liebe ist, darum hat er schließlich, nachdem er einmal in seiner Freiheit eine Welt geschaffen hat, auch sein eigenes Dasein nicht mehr ohne diese Welt, sondern ihr gegenüber und in ihr im Prozeß ihrer sie verwan­ delnden Vollendung. Der Gedanke der Liebe ermöglicht es, die Einheit des Wesens Gottes mit seinem Dasein und seinen Eigenschaften und so auch die Einheit der imma­ nenten und ökonomischen Trinität in ihrer eigentümlichen Struktur und Be­ gründung zu denken. Das ergibt sich daraus, daß der Gedanke der göttlichen Liebe sich seinerseits als trinitarisch strukturiert erwies, so daß das trinitari­ sche Leben Gottes als Entfaltung seiner Liebe gedacht werden kann. Ande­ rerseits erlaubt er, das Verhältnis Gottes zur Welt als in Gott begründet zu denken. Wie jedoch vom trinitarischen Gottesverständnis her das Weltverhältnis Gottes zu verstehen ist, das ist damit noch nicht geklärt. Nachdem die in der biblischen Offenbarung begründete Dreiheit von Vater, Sohn und Geist das Problem entstehen ließ, wie dennoch die Einheit Gottes theologisch gewahrt werden kann, und nachdem sich die Lösung dieses Problems von der johanneischen Identifikation des Wesens Gottes als Liebe her ergeben hat, stellt sich nun noch einmal die Frage nach den Funk­ tionen der göttlichen Personen im Weltverhältnis Gottes und nach der da­ mit bestimmten Gestalt, die die Einheit des göttlichen Lebens im Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität annimmt. Mit der Durch­ führung dieser Frage hat es der ganze noch ausstehende Gang der Dogmatik durch die Lehrkreise der Schöpfung, Versöhnung und Erlösung der Welt zu tun. Erst mit der Vollendung der Welt im Reiche Gottes kommt Gottes Lie­ be an ihr Ziel und damit auch die Gotteslehre zu ihrem Abschluß. Erst damit wird die Erkenntnis Gottes als des wahrhaft Unendlichen vollendet sein, der die Welt des Endlichen nicht nur als seinen Gegensatz sich gegenüber hat und somit selber endlich wäre. Insofern ist die christliche Dogmatik BC und 1385 BC, dazu L. Thumberg: Microcosm and Mediator. The Theological Anthropolo­ gy of Maximus the Confessor, Lund 1965, 32 ff.

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in allen ihren Teilen Gotteslehre. Auch die Frage nach der Wirklichkeit Gottes, nach seinem Dasein angesichts seiner durch die atheistische Kritik besonders herausfordernd artikulierten Strittigkeit in dieser Welt, wird erst im Geschehen der eschatologischen Welterneuerung ihre endgültige Ant­ wort finden können, wenn anders Gott als Liebe und so als der wahrhaft Unendliche gedacht wird. Auf dem Wege zu diesem Ziel der Geschichte der Welt, von der Schöpfung bis zur eschatologischen Vollendung, treten auch die Besonderheiten der trinitarischen Personen – des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes – deutlicher hervor, so daß auch vom Gang der systematischen Theologie, bis sie ihren Abschluß in der Behandlung der Eschatologie finden wird, noch ein differenzierteres Verständnis davon zu erwarten ist, was es heißt, daß Gott Liebe ist.

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Register der Bibelstellen Kursivdruck verweist auf Seiten, wo Bibelstellen bzw. Personen nur in Anmerkun­ gen zitiert sind.

1. Altes Testament Gen 2,7 3,5 4,6 4,26 66 f 6,13 8,21 f 9,8 10 12,1 14,17–20 15,6 18,1–16 21,33 26,24 28,12 ff 31,13 32,29 Ex 3,4 ff 3,6 3,12–15

4,2 6,2 f 6,7 6,17 ff 7,5 7,9 ff 7,17 8,6 8,18 9,14

295, 333 337 208 389 471, 474 208 474 208 166, 208 223 163 274 301 435 223 221, 223 223 389 222 224 224, 227, 249, 267, 306, 310, 320, 389, 428, 437, 479 219 131, 224, 389 225, 267 219 225 219 225 225 225 225

10,2 13,21 f 14,4 14,15 ff(31) 14,18 14,36–38 15,3 15,11 17,7 19,6 19,12 20,2 20,3 20,4 20,5 20,7 24,15 f 25,22 32,10 ff 32,14 32,34 33,2 33,14 33,20 ff 34,6 f

219, 225 448 225 176, 211 225 448 163 431 219 431 430 210, 268 163, 209, 268 198 431, 480 199, 389 448 301 474 474 448 448 448 267 279, 390, 467, 473

Lev 17–26 19,2 19,5 19,31 20,6 22,19

431 431 413 218 218 413

Num 9,15 ff

448

485

11,1 12,6–8 14,21 23,19 Dtn 1,31 4,29 f 4,34 4,34–39 4,35 4,39 5,7 6,4 6,15 6,16 6,22 7,6 7,8 7,9 7,19 8,5 10,15 12,5 ff 12,5 12,11 12,21 13,2 18,10 f 18,15 18,21 f 26,8 26,15 26,16 28,46 32,6

474 221, 223 432 402, 471 284 366 219 269 211, 268 211, 225, 268 209 283, 479 480 219 219 431 211, 457 211, 225, 268 219 284 457 448 300 300 300 221 218 223 274 219 300, 446, 448 431 219 284, 286, 354

Jos 10,12 f 24,19 24,31

44 431 252

Richter 2,7 2,10 2,10–22

252 252 474

6,15 ff 8,33 11,24

222 208 180, 208

1 Sam 3,7 3,21 6,20 9,15 15,10 f 15,29 15,35 28,6

222, 226 222 431 222 471 471 471 218

2 Sam 7,6 f 7,14 22,2 22,32

448 284 410 410

1 Kön 8,12 f 8,27 8,29 8,39 18,37 18,39 20,13 20,38 f 22,19 ff

448 445 448 446 225 225 225 225 222

Esra 5,11 6,9 f 7,12 ff

196 196 196

Neh 9,17

473

Hiob 16,12 ff 23,2 23,14 28,25 ff 30,19 ff 32,8 33,4

448 448 448 475 448 404 447

486

33,14 ff 42,2

218, 404 449

Ps 2,4 2,7 2,8 f 2,11 9,6 10,1 ff 10,11 20,7 25,10 26,3 27,1 27,13 30,6 30,18 32,6 33,4 33,6 33,9 33,14 36,6 40,9 42,12 51,7 69,18 76,2 77,9 77,15 ff 78,7–60(38) 79,10 80,15 82,1 85,11 86,15 88,12 88,15 89,3 89,15 89,25 89,29 89,34 90 90,2 90,4

446 284, 333 180 474 437 447 447 446 279, 471 471 410 471 474 474 295 252 413 264, 278 446 471 413 447 279 447 269 471 269 474 447 446 208 470 279, 471, 473 471 447 466 466 471 471 471 435 405, 434 405, 434

90,5 ff 91,7 92,3 98,2 f 100,5 101 102,12 f 102,20 102,26–28 103,8 103,13 103,15 ff 103,17 103,19 103,20 f 104,24 104,29 f 104,31 106,1 107,1 108,5 110,Iff 113,6 115,1 117,2 118,1 119,89 119,105 123,1 121,6 138,2 139,7 139,13–16(14) 143,7 145,8 146,6

405 470 470 270, 411, 471 466, 471 437 405 446 434, 436 390, 466, 473 284 405 434, 466 446 413 418 295, 404, 447 434 434, 467 467 466, 471 180, 289 446 471 434, 471 467 435 410 437 446 471 417, 447 411, 418 447 390, 466, 473 434

Prov 3,19 f 8,22–24 8,23 24,12

475 279, 289, 294. 333 411

Koh (Pred) 12,7

404

Jes allg.

209 f

487

1,4 2,3 5,12 5,19 5,24 5,25 6 6,3 6,5 6,8 ff 7,11 8,18 9,7 10,16 14,24 ff 28,21 29,15 29,24 30,1 30,1 Iff 30,18 31,If 31,3 40–55 40,5 40,6–8 40,12 f 40,25 41,4 41,14 41,20 41,28 f 42,1 42,9 43,3 43,10 f 43,14 43,18 43,25 44,6 44,6 ff 44,9–20 45,3 45,6 45,7 45,9 ff 45,15

431 448 252, 419 252, 419, 447 431 474 222 431 431 222 219 219, 448 278 431 419 252 447 404 404 431 474 431 405, 433 252/, 269 211, 233, 270 405 80 432 435 432 225 163 333, 413 184 432 163, 426 432 269 480 435, 426 163 198 225 180, 225 449 449 367, 448

45,18–21 46,9 f 47,4 48,3–6 48,9 ff 48,11 48,12 48,14–16 48,17 49,7 49,15 49,23 54,8 60,19 f 61,1 f 63,15 f 63,16 64,8 f 66,1 66,10 f

80 163 432 184 225, 480 180, 184 435 180 432 432 284 225 474 228 290, 333 286 284, 354 284 445 284

Jer 1,4 f 1,11 f 1,13 f 3,4 10,10 15,19 16,14 f 16,21 18,6 ff 23,18 23,21 23,22 23,24 23,25 25,11 f 28,9 29,10 29,13 f 31,3 31,20 32,17 32,26 32,38 ff 45,4

222 221 221 284 435 223 269 225 449 222 223 222 444 221 230 274 230 366 457 284 449 450 450 449

488

Ez 1–3 2,1 ff 3,12 ff 5,13 6,7 6,10 8,1 ff 12,15 f 16,62 20,41 20,42 20,44 24,24 24,27 34,30 36,22 ff 36,36 37,13 43,4 43,7

222 435 221 225 225 225 221 225 225 432 225 225 220 220 225 225, 249, 480 269 225 300 300

11,1–4 11,8 f 11,9 13,4 14,8

284 474 432 269 457

Joel 2,3

473

Am allg. 7,2 ff 7,8 8,1 f 8,2

252 474 221, 474 221 474

Jona allg.

473

Hab 3,2

301 435 435 432, 433 286

Dan 2,28 9

230 230

Sach 1,7 6,8 14,20 f

Hos 2,4–17 11,1 ff

163 457

Mal 2,10 2. Spätisraelitisches Schrifttum

Sap (Weisheit Salomonis) 1,7 447 7 279 8,4 475 13,5 418 Sir 24 42,18 f

279 411

Syr Bar 21,22 ff 21,25

228 212

IV Esra 7,42 9,5 9,5 f 12,33

212, 228 228 270 289

äth Hen 1,2 25,5 25,7 33,6 46,1 ff 48,6 52,2 52,5

227 435 435 435 289 289 227 227, 229

489

80,1 106,19

227 227

1 Q Hab 7,4–6

230

3. Neues Testament Mt 3,16 f 3,17 5,16 5,44 5,45 5,48 6,6 6,9 f 6,10 6,14 6,18 6,24 6,26 6,30 6,32 6,33 f 7,8 7,11 7,21 7,28 10,26 11,4 f 11,25–27 11,27

12,26 f 12,28 12,38 f 12,50 16,1–4 16,17 18,12–14 18,23–25 18,33 20,15 20,23 21,31 26,42 28,18 28,19

329 333 354 283 286, 354, 467, 474 354, 467 446 335, 446 413 283, 354 446 480 283, 286, 354 467 411 467 f, 480 366 283, 467 413 27 229 220 258 212, 233, 235, 237 f, 288, 325, 327, 335, 339, 367 283 290 219 413 219 229 456 283 467 467 336 413 413 339 f 292, 328 f

Mk 1,10 1,11 1,27 3,29 f 4,22 5,7 10,17 f 10,18 11,25 12,26 f 12,29 13,32 14,36

291 333, 336 27 290 229 219 287 336, 349, 354, 466 f 228 436 228 336 336

Lk 1,33 1,35 1,54 2,1 3,22 4,1 4,14 4,21 6,36 7,12 f 8,5 8,17 8,42 9,38 10,21 10,22 10,37 11,2 ff 11,3 f 11,20 11,30 11,49 12,2 12,30 12,31 13,8

340 291, 344 411 19 332 f 290 290 333 467 220 411 229 333 333 290, 344 212, 233, 339 467 335, 432 283 290 220 475 229 283 468, 480 475

490

15,1 ff 15,4 15,7 15,8 15,10 15,20 ff 15,32 16,13 Joh 1,1 ff 1,14 1,18 2,19 3,8 3,16 ff 3,17 3,33 f 3,34–36 4,2 4,24 4,34 4,48 5,23 5,27 5,30 6,38 f 7,16 7,39 8,16 8,17 8,18 8,19 8,50 8,58 9,31 10,17 10,30 10,33 10,36 ff 14,6 14,8 ff 14,9 14,10

157 456 157, 456 456 157 467 456 480 244, 258, 260, 266, 316, 329 233, 258, 279 f., 332, 333, 471 323, 333, 367 449 404, 433, 461 332 f, 388, 432, 456, 458 332 291 258 473 306, 320, 402 f, 414 f, 428, 433 413 219 339 339 413 413 27 291 332 292 336 335 336 f 316 135 458 337 287, 337 336 335, 343, 350 449 368 449

14,16 f 14,21 f 14,24 14,26 14,28 14,31 15,26 16,7 16,13 16,14 16,28 16,33 17,1 ff 17,4 17,5 17,6 17,11 17,17–19 17,21 17,25 19,7 20,22 20,28

291, 294, 297, 342, 345 228 336 242, 343 287, 296, 336 458 291, 329, 332 f, 343, 345 294, 345 343, 348 337, 342, 344 333 455 260, 337 336, 342, 344 316 233 432 431 358 468 287, 337 332, 345 290, 329

Act (Apg) 2,24 2,38 5,4 8,16 10,45 13,33 14,16 f 16,4 17,7 17,22 ff 19,5 20,28 26,5

342 332 330 328 332 333 196 19 19 196 328 329 135

Rö 1,2 1,3 f 1,4 1,5 1,7 1,17 f 1,18–20

230, 232 288, 290 333, 336, 342 f 467 431 85, 230, 255 108, 121, 124, 229, 255

491

1,19 f 1,19–21 1,20 1,23 1,25 2,4 f 2,14 2,15 2,16 3,1–5 3,3–5 3,21 3,21–26 3,24 f 3,25 f 3,29 f 4,16 4,17 5,5 5,8 5,8–11 5,15 5,20 ff 6,17 6,63 f 8,3 8,9 8,9–16 8,11 8,14 ff 8,18 f 8,19 ff 8,28 ff 8,35 8,39 9,22 f 10,3 10,12 f 10,19 ff 11,6 11,25 11,29 11,30 ff 11,32

377 84–86, 91, 121–124, 132, 195, 198–200, 235 131, 195, 198–200, : 240, 418, 436, 449 132, 195, 435 132, 197 473 f 108, 131 f 121, 124, 131 229 468 468, 471 230 f, 232, 233, 255 468 f, 471 230, 467 471, 475 82 467 450 344, 349, 456, 457 457, 467 467 467 467 27 291 289, 332, 457 449 291 f 290, 342, 449 290, 465 229 195 420 457 457 475 469 290 449 328 231, 232 471 467, 468 475

11,33 ff 11,36 11,55 ff 12,1 12,19 15,4 16,25 16,25–27 16,26

475 290 448 467 475 232 325, 448 231 ff, 237, 244, 258– 260, 279 f 435

1 Kor 1,2 1,7 1,24 2,7–9 2,10 f 2,11 2,15 3,11 3,13 3,16 4,5 6,17 6,19 8,6 11,27–34 12,3 12,4–6 13,12 15,24 f 15,28 15,44 ff 15,45 16,22

290, 431 229, 231 349, 476 231, 475 330, 348, 402, 475 325 475 72 229 330, 449 229 293 330 290, 329 470 293, 349 291 65 339 340, 358 342 293 290

2 Kor 1,19 f 3,8 3,17 4,2 5,10 5,21 12,1 12,8 13,13

263 43 293, 402 273 229 469 229 290 291, 328

492

Gal 1,12 1,16 2,20 3,2 4,4 4,8

229 229 457 345 289, 332 90

Eph allg. 1,9 3,5 3,9 f 3,15 3,17 4,6

23 448, 476 231 f, 258 f, 360 231, 258 f, 360 286 449 329

Phil 2,6 f 2, 9 ff 339 2,11

455 290

Kol 1,16 1,19 1,26 ff 2,9 2,18

260, 329 449 231, 258, 448 449 135

1 Thess 1,9 f 2,13 4,7 f 5,23

82, 426 262 433 431

2 Thess 1, 7 2,8 2,13

229 229 433

1 Tim 1,10 2,10 3,16 6,14 6,16

27 135 233, 325, 329, 342 229 367, 446

2 Tim 1,9 f 3,16 4,3 4,8

231 237 27 229

Tit 1,2 f 1,9 2,1 2,13

231 27 27 229

1 Petr 1,2 1,4 f 1,10 ff 1,19 f 4,13 5,1

433 229 232 231 229 229

1 Joh 2, 1 4,8 4,13 4,16 5,7 f 5,20

294 320, 324, 344 458 f, 461 328 329

Hebr 1,1 f 1,5 2,3 f 2,10 5,5 10,26–31 10,31 11,1 243

233, 244, 333 260 329 333 475 474

Jak 1,26 f

135

Apk (Offb) 1, 1 1,8 1,17 2,8 19,12 f 21,6 22,13

230, 233 435 435 435 258, 279 435 435

493

Namenregister Abaelard 30, 122, 136, 240 Abraham, W. J. 256 f.,264 Abramowski, L. 328 Alain de Lille 310 Albertus Magnus 14 f., 122 Alexander von Haies 314 Alt, A. 163 Alting, J. 27 Althaus, P. 73, 84, 377, 440, 443 Ambrosius v. Mailand 308 Amphilochius v. Ikonium 304 f., 351 Anaxagoras 89 Anaximander 88, 471 Anaximenes 405 Anselm v. Canterbury 32, 61, 94, 96, 107, 311 f., 321, 331, 406, 455, 472, 478 Aristides 445 Aristoteles 31,88 f., 92, 98, 99, 265, 395, 436, 443 – aristotelisch 12, 14, 29 f., 94, 104, 111, 124, 373, 383 f., 396, 406, 414 Arius (arian.) 298, 304, 308, 339, 361, 416, 417, 427 Arminius – Arminianer 317 Asmus, P. 148 Athanasios 295–300, 302 f., 304 f., 309, 339, 341, 348–350, 351, 352, 357, 361, 455, 472 Athenagoras 19, 27, 294 Auer, J. 310, 472 Augustin 27, 35, 62 f., 91 f., 105, 117, 134–137, 139,165,188, 238, 239, 307– 316, 375, 321, 330 f., 343–347, 349, 351 f., 357, 362, 377, 381, 395, 406, 436 f., 438 ff., 442 f. – augustinisch 12, 94, 121, 358, 440 Avicenna 384 f., 387 Ayer, A.J. 67 Baier, J. W. 138 f.

Balthasar, H. U. v. 116 Baltzer, Kl. 223 Bandt, H. 367 f. Bannach, K. 452 Barr, J. 213 f., 223, 252 f.,255 f. Bartelmus, R. 224 Barth, K. 13, 26, 34, 53–55, 57, 61, 70, 82, 85 f., 114–119, 121, 130, 133, 139, 141 f., 195 f., 273, 244, 248 f., 252, 257– 259, 263, 322, 326 f., 329–331, 340, 346, 355 f., 363, 392, 394, 400, 401, 425, 437–440, 443, 445, 449–451, 458, 461, 470, 471, 473 Bartley, W. W. 57 Basilius v. Caes. 722, 295, 298, 304, 308, 364 Baumgarten, A. 96 f., 409 Baumgarten, S. J. 306, 354 Baur, J. 30 Beck, H. G. 391 Beckermann, A. 22 Beierwaltes, W. 243, 310, 436 f., 441, 479 Beisser, F. 39 Beilarmin, R. 38 f. Berger, P. 153 Bergson, H. 443 Bernhardt, K. H. 198 f. Berten, I. 277 Bianchi, R. 191 Biedermann, A. E. 140, 146–148, 150 Birkner, H. J. 111, 114, 117 Bizer, E. 44, 316, 425 Blanshard, B. 63 Böckle, F. 241 Boehner, Ph. 100 Boethius 307, 313, 437–439 Bolotov, V. V. 346 Bonaventura 94, 243 Bornkamm, G. 84, 85 f., 231, 259 Bornkamm, H. 470 Bousset, W. 293

495

Braun, H. 77,287 Bretschneider, K. G. 49–51, 242, 317, 326, 328 Brown, H. 279 Brown, R. 294, 333 Bruckmüller, F. 377 Brunner, E. 115 Buber, M. 461 Buddeus,J. F. 28, 33, 47 f., 108 f., 139, 142 f Bultmann, R. 53, 249, 252, 263, 272, 275, 467 Buren, P. van 77 Cajetan 243 Calixt, G. 75, 27, 37, 42, 48, 83 Calov, A. 37, 42, 46 f., 133, 306, 316, 317,338 f.,354, 369, 375, 401,403, 425, 427 f., 478 Calvin, J. 41, 43, 84, 306, 339 Campbell, J. I. 76 Cantimori, D. 316 Carnap, R. 67 Cassirer, E. 373, 396 Caterus 96, 101, 102, 127 Chemnitz, M. 13, 40 Cherbury, H. v. 108 Cicero 122 f., 134 f., 165, 218, 377 – ciceronian. 137 Clarke, S. 96, 102, 108 f., 446 Clayton, J. 98 f., 104 Cleanthes 407 Congar, Y., 332, 343, 345 f. Cornehl, P. 117, 251 Craig, W. L. 99, 102 Crellius, J. 354, 404, 444, 451 Cremer, H. 42, 398–401, 424 f., 427 f., 470, 475 Cremona 314 Crusius, Chr. A. 133 Cullmann, O. 252 Daecke, S. M. 66 Dalferth, I. U. 73, 75–79, 81, 378 Daly, M. 286 Dannhauer, J. K. 13 Decker, B. 313

Descartes, R. 94–97, 100–103, 105, 118, 119, 127 f., 155, 379–383, 385, 396, 428, 444, 472 Dihle, A. 413 Dilthey, W. 64, 181 Dionysios Areopagita, Pseudo 310, 372, 375, 393, 427, 455, 479 Dolch, H. 396 Dorner, J. A. 52 f., 141 f., 322, 323, 479 Downing, F. G. 236, 255 Drey, J. S. v. 247 Droysen, J. G. 254 Dürkheim, E. 152–154 Dürr, L. 264 Dulles, A., 250 Duns Scotus 13, 14–16, 32, 35, 46, 84, 193, 321, 373–375, 378 f., 427, 451 f., 465 Dupré, W. 155–157, 160 f., 199 Durrant, M. 78, 378 Ebeling, G. 15, 81 f., 124, 261–263, 267, 276 f., 394, 425 Eccles, J. C. 410 Edelmann. H., 52 Ehrenberg, H. 117 Eicher, P. 130, 220, 250, 271 Einstein, A. 447 Eliade, M. 185, 197, 203 f., 430 Elze, M. 18, 21 Episcopius, S. 317 Erasmus v. Rotterdam 39 Eunomius 378 Euseb v. Caesarea 20, 91 Euseb v. Vercelli 351 f. Farabi, al- 99 Faraday, M. 414 Feil, E. 134 f. Feiner, J. 334 Ferré, N. F. 76, 152 Feuerbach, L. 104 f., 117 f., 119, 147, 168, 170, 195, 286, 324, 393 f., 401, 459 f.,465 Fichte, J. G. 104 f., 144, 240–243, 245 f., 250, 393, 401, 405, 407 f. Fichtner, J. 474

496

Ficino, M. 137 Finkenzeller, J. 35, 46 Flacius, M. 44, 316 Frank, F. H. R. v. 52 Frazer, J. G. 199 Freud, S. 75, 117, 168, 170, 285 Friedlander, A. J.272 Friedrich, G. 333 Fuchs, E. 456 Gadamer, H. G. 88, 471 Galilei, G. 44 Ganoczy, A. 345 Gassendi 102 Gebhardt, C. 406 f. Geiselmann, J. R. 39 Gerhard, J. 12 f., 27, 37, 40,42 f., 48, 83, 429, 444 Gerhardt, G. J. 447 Gestrich, Chr. 113 Geyer, B. 15 Gilbert de la Porreé (G. v. Poitiers) 92, 307, 312 f., 321, 392 Gilson, E. 100, 379, 385 Girgensohn, K. 124 Goebel, H. Th. 275 Gogarten, Fr. 115 Goichon, A. M. 385 Green, T. H. 109 Gregorv. Nazianz 11 ,303 f.,308 f.,338,350, 370, 416 Gregor v. Nyssa 295, 302, 304, 308, 315, 350 f., 370–372, 376, 378–380, 416, 427 Greiner, F. 128 Greive, W. 53 Griffin, D. R. 410 Grillmeier, A. 299 Grose, T. H. 109 Grundmann, W. 333 Guitton, J. 437 Gunneweg, A. H. J. 275 Habermas, J. 22, 34 Hadot, P. 423 Hägglund,B. 30, 37, 42 f. Haering, Th. 438

Härle, W. 399 Hahn, F. 288–290 Hamerton-Kelly, R. 283 f. Hammond, R. 99 Harnack, A. v. 112 f., 299, 353, 403 Hase, K. 131 Hauschild, W.-D. 295 Hazard, P. 45 Heck, E. 136 Heerbrand, J. 37 Hegel, G. W. Fr. 97 f., 103 f., 107, 111, 116, 117, 119, 140, 144 f., 147, 170, 174,182 f., 189–192, 194, 244 f., 251, 318, 322, 331, 341, 365, 384, 390, 393, 394, 397, 408, 423, 430, 432, 459 f., 481 Heidegger, M. 168, 386, 439, 441, 443 Heiler, F. 156–158, 158, 169 Heim, K. 35 Heinimann, F. 87 Heinrich v. Gent 15, 94 Hengel, M. 288 f., 336 Henrich, D. 95 f., 97, 380, 408 Hepburn, R. W. 76 Heppe, H. 316, 425 Hermann, J. 293 Hermisson, J. 279 Herodot 88 Herrmann, W. 53 Hick, J. 761,106 Hippolyt 299 Hirsch, E. 47, 49,122, 126, 130 Hodgson, L. 296 Hölscher, U. 88 f., 471 Hoffmann, P. 288 Holl, K. 303–305,350 f. Hollaz, D. 47,108, 123 f., 138 f., 306, 333, 336, 354, 369, 375, 425,444 f., 478 Hornig, G. 44–46 Hornung, E. 160 f., 161 f., 198 Horst, U. 240 Horstmann, R.-P. 408 Hume, D. 109 f., 139, 143, 393, 401, 407,409 Hunnius, N. 28 Hutter, L. 316 Ignatios v. Antiochien 19, 233, 271,

497

279 f. Ihmels, L. 247, 248 Irenäus, v. Lyon 29, 235–237, 239, 292, 294 f., 298 f., 402, 445, 469 Iwand, H J. 422 Jacobi, Fr. J. 103 Jaeger, W. 88, 405, 471 Jaeschke, W. 408 James, W. 75, 129, 150, 154 Jammer, M. 414, 447 Janowski, H. N. 66 Jaspers, K. 61 Jedin, H. 39 Jeffner, A. 76, 151 Jenson, R. W. 302 f., 351, 358,416 Jeremias, Joachim 283 f., 288, 456 Jeremias, Jörg 278, 471, 474 Jerusalem, J. Fr. W. 134 Joest, W. 67 f., 70, 401 Johannes v. Damaskus 315, 332, 338, 347, 371, 376, 378 f. Johannes Scotus Erigena 310, 406 Jones, H. 253 Jüngel, E. 81, 83, 86, 90, 94 f., 107, 119 f., 130, 259–261, 264 f., 324, 334 f.,341 f, 357, 367, 368, 381, 394, 410 f., 420, 422, 454, 458, 459 f., 461 f. Junius, Fr. 12 Justin 235–237, 239, 292, 294, 301, 445, 469 Justinian 20 Kähler, M. 33, 52, 248, 251 Käsemann, E. 24, 232 Kaftan, J. 320 Kambartel, F. 77 Kamlah, W. 60 Kant, 1.95–98, 102–107, 112, 119, 128, 139, 144 f., 240 f., 245, 366, 380–383, 393, 394, 396 f., 407, 409 f., 440, 453, 478 „Kappadokier“ (s. auch Basilius bzw. Gregor) 295–297, 302 f., 304 f., 308 f., 350, 416 Kasper, W. 92, 325, 327 f., 331 f., 345 f., 347, 349, 354, 359 f., 361, 363 f., 373

Keckermann, B. 13, 316 Kees, H. 161 f. Kelly, J.N. D. 293, 302, 305 Kenny, A. 96, 98–100 Kepler, J. 44 Kern, W. 218 Kerschensteiner, J. 405 Keßler, M. 241 Kierkegaard, S. 105 Kimball, K. C. 152 Klein, G. 250, 274 f. Klemens v. Alexandrien 11 f. Knierim, R. 267 Koch, Kl. 163, 252, 253, 269, 274, 434, 468 Köhler, L. 415 König, J. Fr. 316 Köpf, U. 12, 28, 30, 33, 75, 83 Koppen, F. 242 Koyre, K. 379, 381 Kramer, W. 288 f., 293 Kranz, W. 405 Kretschmar, G. 292, 294 f., 301, 328 Kuhlen, R. 478 Kuhn, J. E. 363 Kuss, O. 469 Laktanz 135,138 Lampe, G. W. H. 293 f., 296 Lanczkowski, G. 157, 159, 191 Lang, A. 160 Latour, J. 381 Latourelle, R. 235, 248 Lauret, B. 75 Leeuw, G. v. d. 156–158, 191, 194, 197, 412 Lehmann, E. 198 Lehmann, K. 24,345 Leibniz, G. W. 94 f, 95–99, 101 f., 104, 106, 446 f., 453 Lengsfeld, P. 39 Lessing, G. E. 240, 318 Leuze, R. 140, 146, 148 Levy-Bruhl, L. 199 Lewis, C. J. 67 Lewis, H. D. 75 f. Leydekker, M. 44

498

Liebner, K. Th. A. 141, 323 Limborch, Ph. v. 317 Lindau, H. 105, 393, 407 Link, Chr. 341 Link, H. G. 346 Lipsius, R. H. 141, 146, 147, 150 Locke, J. 380 Löffler, J. Fr. Chr. 317 Löhrer, M. 334 Loescher, V. E. 47, 55 Loevinger, J. 126 Lohse, B. 30, 84 Lommatzsch, C. H. E. 304 Lonergan, B. 347 Lübbe, H. 153, 167, 257, 419 Lücke, F. 319, 326 Lührmann, D. 232 Lütcke, K. H. 239 Luhmann, N. 172 Luther, M. 24, 30 f., 38–40, 42, 44, 75, 84, 108, 122–127, 130, 175, 243, 263, 367 f., 377, 469 – lutherisch 13, 23, 37, 41, 46, 48 Mackey, J. P. 248 Macquarrie, J. 386 f., 461 Maimonides, Moses 99, 406 Marett, R. R. 156,199 Marheineke, Ph. K. 244 Marsilius v. Padua 35 Martensen, H. L. 141 Martin, G. 397 Marx, K. 117,168,170 Maximus Confessor 481 f. Mazzarella, P. 61 Melanchthon, Ph. 27, 36 f., 41, 85, 108, 112 f., 122–124, 131, 240, 243, 305, 316 Merklein, H. 284, 288 Metz, J. B. 130 Mildenberger, F. 401 Mitchell, B. 256 f., 264 Möhler, J. A. 247 Moltmann, J. 130, 268, 331, 341–343, 346 f., 353, 357 f., 362 f., 364, 422 Mondolfo, R. 405 More, H. 446 Mühlen, H. 343, 465

Mühlenberg, E. 370 Müller, J. 52, 323 Müller, M. 148 Musäus, J. 48, 123 f. Neumann, J. G. 47 Newton, 1.100, 446 f. Niesei, W. 84 Nietzsche, Fr. 75, 117, 168, 170, 341 Nikolaus v. Kues 136 f., 165, 310, 478 Nilsson, M. P. 208 Nitzsch, C. I. 242, 246 f., 319, 326 f. Nitzsch, C. L. 241 f., 246–248 Nitzsch, Fr. A. B. 320 Nygren, A. 129 Ockham, W. 35, 100, 373, 374, 376, 380, 451 f. Oeing-Hanhoff, L. 405 Ogden, Sch. M. 126 Olsen, R. 353, 362 Origenes 19 f., 29, 232, 237–239, 243, 275, 292, 295–297, 299, 302, 304, 334, 402 f., 414 Ott, H. 86 Otto, E. 179 Otto, R. 75, 129, 153–155, 157, 189, 191, 430 Otto, W. F. 207 Palamas, G. 361, 391 f. Panaitios 87 Parmenides 62 Paul VI Papst 346 Pawlikowski, J. 284 Penelhum, T. 410 Petrus Lombardus 30, 36, 306 f., 312 Pettazoni, R. 191 Petuchowski, J. 269 Pfaff, Chr. M. 49, 134, 240 Pfleiderer, 0.140, 146–150 Philipp, W. 100 Philo v. Alexandrien 243, 295, 301, 402, 445

499

Ritschl, A. 53, 82, 111–114, 115, 147, 320, 450, 469 f. Ritschl, D. 253 Rivkin, E. 284 Röhricht, R. 155 Roland-Gosselin, M.-D. 384 f. Roloff, J. 333 Rothe, R. 141, 246–248, 250, 262, 272 Rowe, W. L. 96, 102

Pieper, J. 460 Pierre de Ailly (Petrus de Alliaco) 377 Pike, N. 438 Pilatus, P. 66 Plato, 11 f., 17, 19, 89, 91 f., 99, 135, 218, 384, 395, 436, 442 – platonisch 113, 313, 317, 402, 405, 412, 436 f., 441,479 Platt, J. 85,108, 122 f. Plessner, H. 171 Plotin 243, 405, 423, 436 f., 439–442, 447, 479 Pöhlmann, H. G. 267 Pohlenz, M. 87, 91, 414 Polanus, A. 42 Poseidonios 405 Pottmeyer, H. J. 218 Prenter, R. 457, 462 Preul, R. 399 Preus, R. D. 13, 28, 38, 42, 44, 46 f., 133 Priscillian 292 Procksch, O. 221, 430 Proklos, 243, 310 Ptolemäus – ptolemäisch 31 Puntel, L. B. 34, 62 f. Quenstedt, J. A. 28, 40, 42, 44, 46, 47, 48, 369 Quine, W. V. O. 73 Rad, G. v. 163, 221, 224, 251, 267, 278 f., 300, 404, 418, 430, 432, 435, 468, 474 f Rahner, K. 24, 74, 81, 105, 128, 130, 330, 334 f., 347, 354, 355–358 Ramsay, I. T. 75, 81, 151, 169, 217, 305 Ratschow, C. H. 13, 47, 169, 198, 316, 375, 377 f., 385, 388, 425 Ratzinger, J. 39, 41 Redmann, H.-G. 366, 453 Reinhardt, K. 405 Rendtorff, R. 163, 224, 226, 249 f., 267, 269, 271, 274 Rendtorff, Tr. 49, 81 f., 249 Rengstorf, K. H. 219 Rescher, N. 63, 67 Richard v. St. Victor 311 f., 314, 323 f. Ricoeur, P. 411

Sabellius 299 Sack, K. H. 243 Sartorius, E. 323 Sauter, G. 13, 18, 66 Scaevola, P. M. 91 Schäder, E. 55 Schaefer, A. 406 Schechter, S. 300 Scheeben, M. J. 369, 425 Scheffczyk, L. 310 Scheler, M. 171 f. Schell, H. 423 Schelling, Fr. W. J. 147, 244 f Scherzer, J. A. 13 Schiller, Fr. 394 Schindler, A. 308, 310 Schleiermacher, Fr. D. E. 17, 50–56, 76, 85, 105, 110–116, 118, 126, 131, 140– 142, 144 f., 147, 151, 152–157, 170 f., 181–184, 217, 243, 317, 319, 326, 393, 394, 425, 428, 429 f., 452 f., 478 Schlick, M. 67 Schlink, E. 24, 426 Schlüter, D. 98 Schmaus, M .39, 309, 330 Schmidt, E. A. 443 Schmidt, M. A. 92, 307, 330 Schmidt, P. W. 157 Schmidt, W. 160 Schmidt, W. H. 224 Schmithals, W. 232 Schmitt, F. S. 61, 311 Schnackenburg, R. 279 Schneider, H. J .167 Scholder, Kl. 40, 44, 46 Scholz, H. 169, 324, 460 f.

500

Schrade, H. 198 Schräge, W. 283, 287 f. Schrenk, G. 413 Schürmann, H. 283 Schütte, H.-W. 153 Schuffenhauer, W. 324 Schulte, H. 228 Schwarz, C. 140, 146 Schwarz, R. 126 Schweizer, E. 290, 404 Schwölber, Chr. 399 Scipio d. J. 87 Seckler, M. 35, 141, 218, 220, 241 Seeberg, R. 247 Seidl, H. 96, 98 f. Semler, J. S. 45 f., 48–51, 56, 113, 133, 143, 240, 306, 317, 327 Seneca 478 Serapion 298, 304 Servet, M. 316 Seters, J. v. 163 Seybold, M. 240 Siegfried, Th. 330 Simon, R. 45 Sina, ibn- 99 (s. Avicenna) Slenczka, R. 346 Smith, W. C. 134, 136, 158, 160 Snell, B. 88 Snidler, L. 284 Søderblom,N. 129, 131, 154, 157, 160, 430 Sokrates 89 Souverain 317 Spaemann, R. 153, 167 Spalding, J.J. 134 Spener, Ph. J. 47, 53 Spinoza, B. 44 f., 45, 401,406 f., 410, 412, 418, 423, 444 Splett, J. 322, 443 Staniloae, D. 305, 343, 391 Staudenmaier, F. A. 363 Stead, Chr. 378, 402 f. Stegmüller, W. 67 Stenzel, J. 384 Stephan, H. 320 Stockmeier, W. 238 Stoebe, H. J. 467

Strauß, D. Fr.316, 393 Strauß, G. 239 Strauß, L. 406 Streng, F. J. 152 Strolz, W. 269 Stuhlmacher, P. 468 Stupperich, R. 123 Suarez, F. 379 Swinburne, R. 410 Symeon 11 Szabó, A. 67 Szekeres, A.. 114 f. Tatian 19, 302 Tertullian 91, 121, 238, 294, 296, 299, 302, 304, 403, 469, 478 Thaies v. Milet 88 Theophilos v. Antiochien 294, 302, 445 Theunissen, M. 461 Thierry v. Chartres 310, 479 Thomas v. Aquin 12, 14–16, 27, 28 f., 31, 32, 35 f., 62, 84, 92, 94 f., 98–101, 102, 106, 121, 122, 136, 218, 239 f., 243, 312–314, 321, 332, 338, 354, 371 f., 373, 375–378, 384, 386 f., 392, 395, 402 f.,423, 438, 440, 443, 451, 462 f., 469, 478 Thurneysen, E. 322 Tiele, C.P. 157 Tillich, P. 130, 152, 181, 386, 440 Tindal, M. 48, 108 f. Töllner, J. G. 133 Track, J. 75, 77 f, 81 Tracy, T. F. 120, 128, 399 Trillhaas, W. 151 Troeltsch, E. 129, 141, 149 f. Twesten, A. D. Chr. 242, 318, 319, 326 f., 346 Tworuschka, U. 159, 176 Urlsperger, J. 317, 319, 327 Ursin(us), Z. 85, 316 Valentin 299 Varro, M. T. 91 Verbeke, G. 405 Verhoeven, T. 299

501

Vermes, G. 284 Verweyen, H. J. 241 Vesey, G. N. A. 76 Vinzenz v. Lerin, 21, 23 Vischer, L. 346 Voegelin, E. 165, 210 Volk, H., 310 Waardenburg, J. 160 Wagenhammer, H. 134 Wagner, F. 141, 151, 159, 168–172, 174, 181, 408, 450 Waldenfels, H. 240, 247 f., 250 Wallmann, J. 13, 37,48, 83 Weber, F. 474 Weber, M. 177, 178, 180 Weder, H. 457 Weischedel, W. 130 Weiß, J. 272 Welch, C. 129 Wendebourg, D. 361 Wenz, G. 181 Westermann, Cl. 404 Weth, R .341 Whitehead, A. N. 397 Wickert, U. 18

Widengren, G. 191 Wieland, W. 238 Wilckens, U. 27, 84, 196, 230–232, 237, 249, 290, 329, 457, 467, 469, 471, 475 Wiles, M. 256 f., 292, 294 f., 296, 299 Wilhelm v. Auvergne 406 Wilhelm v. Ockham s. Ockham Wilhelm v. Ware 451 Wilson, J. A. 165 Windelband, W. 154 Wirsching, J. 52 Wittgenstein, L. 67 Wittich, Chr. 44 Wobbermin, G. 149, 157 Wolff, Chr. 96 Wolff, H. W. 163, 267, 274, 279, 404, 432, 473 Wolfson, H. H. 402 Wright, E. 251 Xenophanes 471 Zacharias v. Lingenthal, C. E. 20 Zilleßen, D. 159, 176 Zimmerli, W. 223–225, 250, 267, 467 Zwingli, H. 138

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Sachregister Abba 284 (s. Vater) Absolute, das 63, 64, 105, 119, 129, 147, 174, 183, 192 ff., 244, 319, 322, 423, 478 Absolutheit 64, 451 Absolutheitsthese 149 Akkommodation 44 -sgedanke 44 f., 48, 56 -stheorie 44 Akzidenz (s. Substanz) Allgegenwart (s. Gott, Eigenschaften) Allmacht (s. Gott,Eigenschaften) Analogie, analog 307, 372 f., 392 f., 412, 440, 442 -begriff 373 -lehre 372 f. (s. Trinität) Anthropologie 91, 113 ff., 134, 140, 142, 157, 173, 191, 393, 465 anthropologisch 101 ff., 117, 119 f., 128, 143, 150, 152, 157, 172, 394, 442 An­ thropomorphismus, anthropomorph 194, 198, 264, 367, 393 f., 398, 401, 405 ff., 451 Anthropozentrik, anthro­ pozentrisch 13, 55, 174 Antimodernismus 36 Antitrinitarier (s. Trinitätslehre) Antizipation 64, 66, 71, 249 ff., 268, 270, 277, 360, 388, 443, 477 antizipativ251, 270, 280 f. antizipieren 71, 289, 388, 422 Apokalyptik, apokalyptisch 186, 211 f., 223, 227 ff., 249, 269 f., 280, 289 Apologeten 19, 29, 299, 308, 395 Apologetik, apologetisch 19,32,58, 113, 154, 213, 300 f., 311 äpophatisch 371 äquivok 373

Arianer 298 f., 304, 339, 350, 370, 417, 472 arianisch 297, 308, 361, 380, 416, 427, 472 Arianismus 304 Aristotelismus 387, 451 aristotelisch 12, 13, 29, 30, 31, 94, 96, 104, 111, 121, 124, 373, 383 ff., 395 f., 406, 440 Arminianer 43, 46, 50, 317 assertorisch 67, 70 Atheismus, atheistisch 57, 75, 104, 144, 166, 187, 195, 359, 394, 397,483 Atheismusstreit 104, 393 Auferstehung von den Toten 20, 66, 227, 342, 359 f., 450 f., 476 f. (s. auch Jesus, Auferstehung) Aufklärung 36, 93, 100, 109 ff., 119, 142, 240, 245, 304, 306, 452 -sdogmatik 134 -stheologie 116 Autorität 208, 32, 52, 87, 168, 237, 264 f., 271, 274 -sansprüche 265, 280 -sbindung 265 -sgedanke 239 -sglaube 35 -sinstanz 35 -skritik 240 -swissenschaft 61 (s. Kirche, Schrift) Barthianismus 174, 249 Begreifen 107, 365, 372 Begriff, begrifflich 96 f., 103, 107, 147, 149, 183, 366, 373 f., 377, 383, 481 – des Begriffs 182 -sbildung 249 -sdichtung 259 -sform 373 -sgeschichte 216

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der hist. Ort eines dogm. Begriffs 216 (u. Vorwort) comprehensio 372 Behauptungen 26, 34, 66 ff., 73 ff., 142 f., 173, 182 Bekehrungserfahrung 53, 56,146 Bekenntnis 23 ff., 459 Bekenntnisschriften 49 ff. Bestimmung 165, 187, 212, 450, 474 Bibeltheologie 52 Buddhismus 157 Bund 195, 210, 225, 285 f., 450, 471 Cartesianismus 46, 118 Christentum 19, 23, 41, 50 f., 60, 82, 116, 118, 133 f., 136, 144 ff., 182, 184, 188, 195, 218, 244, 272 Absolutheit 146, 149 Wahrheit 53, 137, 143 f., 146, 149 Wesen 134 Christologie, urchristliche 233, 271, 288 f. Christusoffenbarung 85, 151 Dabar 221 f., 274 (s. Wort Gottes) Dauer 434 f., 437 f., 442 f. (s. Zeit) Deismus, Deisten, deistisch 46, 108 f., 116, 119, 139, 143, 319 Dekalog 198 f. Determinismus, deterministisch 420, 451 dialektische Theologie 53, 249 didache 27 didaskalia 27 doctrina 27, 41 Dogma 18 ff. Autorität 20 Begriff 18 f. dogmata theou 19, 62 Rezeption 20 ff. Wahrheit 18 ff., 26 f. (s. Kirche) Dogmatik 27 ff. Aufgabe 26 f. Begriff 18 f., 27 f.

Dogma, Dogmatik, Lehrverkündi­ gung der Kirche 27 f. Fundamentaltheologie und Dogmatik 58, 72 als Glaubensakt 54 (s. Theologie, systematische) Dogmatismus 20 Doxologie, doxologisch 65 f., 349, 358, 426, 428 Ekstatik, ekstatisch 125, 462, 464 f., 465 Empirismus 94 Endliches 455 (s. Unendliche, das) Endlichkeit 128, 130, 168, 174, 189 Energien 391 f. Engel 230, 233, 301 Entfremdung 117, 168, 245 Enthüllung, enthüllen 209 ff., 222 f., 226 ff., 229, 234 f., 238, 288 (s. Offenbarung) Epiphanie 235 f., 238,244 Erfahrung 56 f., 64 f., 96, 129, 148, 159, 181 f., 188, 210, 234, 268 Erfahrungsbegriff 77, 220 Glaube und Erfahrung 43, 75, 184 Gewissenserfahrung 124 als Kriterium der Theologie 50 ff. religiöse Erfahrung 47 ff., 74 ff., 151, 154, 158, 169 f., 189, 245 f., 367, 386, 418 Selbsterfahrung 106, 125, 257 Welterfahrung 94, 100 ff., 121 ff., 130 f., 154, 175 f., 180 f., 184 f., 257 Erhaltung 100, 444, 452, 474 Erhebung 103 f., 119, 120, 130, 147, 174, 189 f., 194 Erlösung 246 Erscheinung 384, 387 ff., 397, 482 (s. Wesen) Erwählung 166, 210, 285 ff., 432, 475, 480 Erweckungstheologie 52, 141 Eschatologie, eschatologisch 26, 58, 203 ff., 227 ff., 234, 250 f., 269, 270 f., 283, 287, 358,439 Ethik, ethisch 17, 27, 52, 70, 145

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eusebeia 135 Evangelium 23 f., 48, 75, 82, 113, 121, 230, 234, 248, 263, 275, 277, 345 Evangelium und Gesetz 261, 470 Ewigkeit (s. Gott, Eigenschaften; Zeit) Exzentrizität, exzentrisch 127, 171 Feld 414 f., 461,464 -begriff 414 Kraftfeld 414 ff., 442 -phänomene 414 -theorie 414, 447 Fleischwerdung 471 Form 385, 470 -begriff 396 Fundamentaltheologie, fundamentaltheologisch 58, 72, 373 das Ganze, Ganzheit 181 ff., 276 des menschlichen Daseins 81 f., 276 f. der Geschichte 251, 272 des Lebens 125 des Menschen 124 der Welt,-wirklichkeit 81 f., 124, 127, 276 f. Gattung 23, 117, 168, 324, 401 -sbezeichnung 78 f. -skraft 324, 402 -swesen 117 Gebot (e) 48, 122, 126 f., 209, 288, 337, 431 Gefühl 76, 125 f., 129, 131, 153 religiöses 140, 152 ff., 157 Geist 401–416 Auferweckung als Werk des G. 290, 342 als Gabe 463 Gegenwart in Jesus Christus 290 ff., 343 (Wirken) in den Glaubenden 290 ff., 298, 344 f., 349, 457 f. – und Inspiration der Schrift 35, 42 f., 56, 237, 256 Offenbarung und – 237 f., 273 als Ursprung allen Lebens 342, 404, 413, 433, 447, 455 Wirken in und bei der Schöpfung

294 f., 298, 404, 463 (s. Gott als Geist; testimonium inter­ num; Trinität) Geschichte 65, 69 ff., 186, 251 ff., 419 ff., 475 ff., 483 Einheit 254 das Ganze 272 übernatürliche – 247 Geschichtsbegriff 252 f. Geschichtsverständnis, säkulares 252 f. „story“ und – 253 ff. Universal-251 – als Gottesbeweis 269 (s. Offenbarung) Geschichtsplan Gottes 258, 261 f., 270 f., 279 ff., 420, 475 (s. Heilsplan, Mysterium) Geschichtstheologie 251, 280 Geschöpf 16, 85, 87, 93, 283, 286, 336 f., 365, 373 f., 378, 392, 395, 422, 433, 439 f., 443 f., 450 f., 470, 473,481 Selbständigkeit d. – 420, 446, 454, 473 Verselbständigung d. – 454 f. Gesetz 75, 108, 122 f., 200, 219, 230 Gesetz und Evangelium 261, 470 Gericht 227, 229, 231, 235, 261, 270, 419, 477 -serfahrung 431 Gewissen 122, 124 ff., 168 (s. Synderesis) Gewißheit 53, 57, 60, 145 d. cogito 380 f. Glaubens- 39, 53, 68 Gottes-53, 95, 245 f. Selbst- 53 Wahrheits- 46, 60 -sprinzip 93 -sgrundlage 52 f. Vergewisserung 33 f., 60 f., 173 Glaube 25, 27, 30, 44, 47, 49 f., 52 f., 60 f., 67 f., 74 f., 126 ff., 137, 147, 158, 174 f., 188, 190, 200, 265, 268, 274 -nsakt 35 f., 54, 57, 67 -sbewußtsein 51 f. -serfahrung 52 ff., 145,169 -nsgewißheit (s. Gewißheit)

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-nshabitus 51 -nspostulat 317 -nsprinzip 52 -nssubjektivismus 52, 55, 57 -nszwang 20 f. und Theologie 52, 60 f., 265 Grund des – 53 – als „Wagnis“ 54 f., 57 Glaubensartikel 24, 28 f., 31 f., 37 f., 40, 44, 48 f., 92, 119 f., 175, 369 Gnade (s. Gott Eigenschaften) Gnosis, Gnostik 29, 231, 272, 299, 469 antignostische Väter 29, 469 Gott 65, 72, 125 ff., 157, 173, 187, 192 Attribute 369, 478 causa sui 423 Dasein 32, 48, 89, 94 ff., 120, 138, 172, 193, 360, 375 – Strittigkeit 69 f., 107, 193 – und Wesen 376–389 als Denken 310 (s. Nus) deus absconditus/revelatus 261, 367 f. Eigenschaften Gottes 93, 306, 313, 348, 351 f., 365–483 Allgegenwart 395, 411,424, 429 ff., 443 ff., 466, 476,480 Allmacht 376, 395, 424, 429 ff., 449 ff., 466, 476, 480 Allwissenheit 395, 411, 424 Barmherzigkeit 395, 424, 466 ff., 469 f.,476 f. Bundesgerechtigkeit 468 f., 474 Bundestreue 468, 471, 475 Eiferheiligkeit 163, 431, 479 ff. Einfachheit 308, 314, 371, 376 f., 385, 392, 395, 403,478 Einheit 58, 66, 79, 89, 92, 97, 159 ff., 174,187,197 f., 201, 214, 363, 367 f., 376, 406, 426, 477 ff. Einzigkeit 79, 163, 209, 211, 268 f., 376, 479 f. Erhabenheit 365, 403 Ewigkeit 89, 359 f., 376, 395, 401, 407, 414, 424, 426, 429, 430, 433– 444, 449, 453, 466, 472, 476, 480 Geistigkeit 89, 401 ff., 427

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Gerechtigkeit 230, 233, 277, 395, 424, 434, 451 f., 466 ff. Geduld 466, 473 ff. Gnade 466 f., 472 f., 476 Güte 376, 424, 434, 452, 466 ff., 479 Heiligkeit 424, 429 ff., 454, 466, 476 Herrlichkeit 211 ff., 223, 228, 267, 280, 300 f., 391 f., 432, 441, 448 f., 462 Huld 434, 466 f.,470 f. Reue 278, 471, 474 Strafgerechtigkeit 469 f., 471 Treue 466, 470 ff., 476, 479 f. Unendlichkeit 370 ff., 394 f., 427 ff., 429–443, 445, 449, 466, 480 ff. (s. a. Unendliche, das) Unermeßlichkeit 271, 429, 445, 446 f. Unkörperlichkeit 402 f. Ursprungslosigkeit 304, 338, 370, 378 Unveränderlichkeit 89, 309, 314, 360 f., 424 ff., 436 f., 438, 471 f. Un­ vergänglichkeit 88 f., 434 f. Vollkommenheit 376, 379 Weisheit 278 f., 289, 294, 299, 424, 452, 466, 475 f., 479 Zorn 108, 450, 472, 474 Verhältnis von Eigenschaften und Wesen Gottes 375, 389,401, 424 ff. das Eine 310, 405,478 essentia spiritualis infinita 316, 369, 374 f., 401 f., 428,459 Freiheit Gottes 94, 278, 395,400, 406, 421, 443, 445, 451 f., 481 ens necessarium 94 ff., 107, 380 ens perfectissimum 96 ff., 380 ens realissimum 381 ff. als Geist 306, 311, 413 ff., 428, 461 ff. absoluter Geist 107, 318, 322, 331 selbstbewußter Geist 318, 408, 423 als moralischer Gesetzgeber 241 „Gott überhaupt“ 426 f., 429 „Gott“ als Wort 73 ff., 276, 330, 365, 411 als höchstes Gut 35, 94, 150, 311

Handeln Gottes 25 f., 58, 107, 115, 158, 186, 203, 217, 221, 224 ff., 247, 398 ff., 412, 416 ff., 452, 476 Herrschaft Gottes (s. Gottesherr­ schaft, Monarchie des Vaters) als Inbegriff der Ideen 310 als Intellekt 313, 401, 406 f., 410, 413 Leben Gottes 14, 409, 415, 417, 439, 441, 449, 455, 462, 465 f., 481 Gott ist Liebe 324 f., 342, 400, 428, 445, 451, 453, 454 ff.,456–483 Macht, Gottheit als 150,156 f., 163, 176, 189, 191, 194, 197 ff., 225, 227 Name Gottes 88, 106, 199, 208, 224, 226 f., 249, 267, 335, 389, 432, 448, 480 Natur des Göttlichen 11, 87 ff., 135, 395, 406 als Person 104, 193, 386, 393, 401, 458 f., 462 ff. persönlich 243, 401 f., 407, 438, 459 „Rede“ Gottes/„Tat“ Gottes 248 f., 252, 258 ff.,458 Schauen Gottes 226, 243 als Sein 105, 124, 306, 385 ff Selbigkeit Gottes 435 f. Selbstbekundung Gottes 209, 211, 214 f., 224, 227 als Selbstbewußtsein 244, 402, 405, 407 f. Selbsterweis Gottes 107, 175, 214 f., 225, 227, 476 indirekter in der Geschichte 205, 249, 280 zukünftiger 186, 188, 211, 234, 284 Selbstidentität Gottes 361, 395, 417, 423, 440, 479 f. Selbstinterpretation Gottes 259 Selbstverwirklichung Gottes 418, 422 f., 455, 460 Selbstwiederholung Gottes 420, 422 Sichselberoffenbarsein Gottes 322, 331 als ein Subjekt 321 f., 364, 400, 416, 418, 420 f., 458 ff., 462, 464 Subjektivität Gottes 322, 325 f., 331, 459 f.

als Substanz 104, 386, 393, 405 f., 444 Transzendenz/Immanenz Gottes 199, 201,300 f., 362,364,386 f., 397, 445 ff.,480 als erste Ursache 32, 243, 309, 313, 371 f., 376 ff., 393 ff., 407, 425, 427, 462 als Ursprung 15 f., 78 ff., 88 ff., 106, 174, 176, 278, 378, 386, 418, 426, 438, 452, 460, 471, 476 als höchste Vernunft 402 f., 406 ff. als Wahrheit 63 Werden Gottes 359 Wesen Gottes 261, 267, 309, 355 ff., 365–483 und Dasein 376 ff., 397 und Eigenschaften 389 ff. Unbegreiflichkeit d. – 366, 370 ff. Wirklichkeit Gottes 16 f., 54, 59, 65,69 ff., 92, 133 ff., 141 f., 159, 169, 172 f.,234, 368 f.,426 Einheit 159, 161, 164, 215 Strittigkeit 59, 62, 72, 186 f., 234 die alles bestimmende Wirklichkeit 175 Wille Gottes 157, 261, 313, 395, 398, 401 ff., 451 ff. Wissen Gottes 14, 16, 395,401 ff. (s. Absolute, Offenbarung, Schöpfer, Sein, Unendliche, Trinität, Wesen) Gottesbegriff 62, 78 f., 192 f. Gottesbeweise 32, 83, 93 ff., 101 ff., 112, 119, 123, 130, 143, 269, 378, 380 f., 407, 423 Gottesbewußtsein 93 f., 113,127 ff., 138 f., 150,155 f., 186,385 Gotteserkenntnis 11 ff., 65,83 ff., 121 ff., 133 ff., 165, 195, 197, 208, 225, 235 f., 268 f., 307, 365 f., 369, 482 cognitio Dei acquisita 87,121 ff. cognitio Dei innata/insita 87,120 ff. cognitio Dei naturalis 84 ff., 121 ff. cognitio Dei supernaturalis 84, 92 nur durch Gott selber 12, 17, 19, 26 f., 83, 85 f., 107, 135 ff., 207 ff., 244, 255, 259,264 (s. Offenbarung)

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Gottesgedanke 12 f., 58 f., 74 ff., 86, 97, 101 ff., 117 f., 122, 130, 140, 147, 152 f., 160, 174 ff., 382, 385, 395,426 Gottesherrschaft 234, 270, 235 ff., 255, 422 f., 442 ff., 449 ff. Gottesidee 95, 101, 148 Gotteslehre 87 ff., 367, 381, 428 Aufbau 305 ff., 314 f., 325 ff., 369 Gottesverehrung 84, 93, 108, 124, 134 ff., 188 f., 207 Gottheit Gottes 16, 58, 64, 69 f., 142, 186, 215, 251, 261 f., 268, 270 ff., 358 f., 361, 470, 477 f. das Gute 98, 130, 441 (s. Gott) Handeln (s. Gott, Handeln) Handlungsbegriff 254 Handlungssubjekt 254 Hegelianismus 250 Heil 13, 28, 38, 41, 43, 69, 108 f., 138 ff., 174, 229, 231 f., 258, 260, 271, 448, 470 -sabsicht 473 -sgeschichte 15, 52, 58, 69, 205, 299, 301, 357 ff. -shandeln 14, 16, 26, 426, 481 -sökonomie 15, 69, 301, 321, 325, 332, 355 ff., 362, 439, 441 f., 449, 460 -soffenbarung 13, 138, 426 -splan 231 ff., 236, 258, 270 f., 290, 360, 419, 448 (s. Mysterium, Geschichtsplan Got­ tes) Heilige, das 129, 153 f., 157, 158, 165, 173, 430 heilig und profan 154, 201 ff., 430 ff. Heiligung 433 Hellenisierung 113 Hellenismus, hellenistisch 82, 113, 166, 236, 272, 404 Hermeneutik, hermeneutisch 18, 24, 39 f., 45, 181, 274 Himmel 435, 444 f., 446, 448 f. Homousie (s. Trinität) Hypostase, hypostatisch, Hypostasie­ rung, hypostasis (s. Trinität)

Hypothese, hypothetisch 31, 66 ff., 70 Hypothesenbegriff 31, 67 Ich 127 f., 130, 148, 172 -identität 172 Idee, Ideenlehre 98, 102, 107, 110, 384, 405, 436, 441, 453, 481 Idealismus, idealistisch 244 f., 250 f., 318,423 Individualität 117 -sgedanke 110, 144,149 Inkarnation 16, 40, 91, 233, 235 f., 238 f., 257, 279, 322, 355 f., 358, 439, 472, 480 f. Inspiration 12, 41, 218, 222, 226, 237 ff., 243 -sgedanke 42, 246 -slehre 43 ff., 245 Interpretation 24 f., 34, 45,75 ff., 179, 181,184 ff., 217, 223, 257, 369 -spotential 184 f Intuition 379, 381 intuitus originarius 409 f. intuitive Kenntnis von Gott 377 intuitive Schau 409 Urintuition 385 Intuition des Unendlichen (s. Unend­ liche, das) Islam 370 Jesus 25 f., 66, 74, 137, 142, 144, 273 Auferstehung, Auferweckung 231, 288 f., 333, 336, 342 f., 345, 357, 359, 360, 476 f. Botschaft 146, 219, 231, 248, 261, 283, 286 ff., 296, 331, 335 f., 370, 442, 456 f., 466 f., 470 Erhöhung, erhöhter Christus 289 f., 293 f., 339, 358 als Erfüllung des göttlichen Ge­ schichtsplans 236, 258, 270 f., 279 f. als Erfüllung des göttlichen Heils­ plans 258, 270 Gebet Jesu 283 f., 287, 335 ff., 432, 468 (s. Vaterunser) Gegenwart der Gottesherrschaft in Auftreten und Verkündigung Jesu

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231, 283, 287, 288, 353, 457 Gottheit Jesu 78, 336 Gottes Verhältnis Jesu 284, 334 Kyrios 289 ff., 293, 349, 459, 475 Menschensohn 289 Messias 229,288 ff. als Offenbarung Gottes 72, 79, 82, 85, 143, 234, 237 ff., 254, 288, 400, 456 Selbstunterscheidung 335 vom Geist 332 f., 342 ff. vom Vater 287, 296 f. (Gottes)sohnschaft 289 ff., 331, 333, 336, 343 Sohn Gottes 288, 329, 333, 336, 356 Taufe Jesu 288, 290, 329, 331, 333, 336, 343, 345 Tod Jesu 456 f., 467 f. Vorwegnahme des Endes in Auftre­ ten und Geschick Jesu 66, 230 f., 234 f., 237 f., 270 f., 276 f., 360, 388, 419, 475, 477 Wiederkunft 229, 231, 234, 288, 293, 477 (s. Inkarnation, s. Kreuz, Logos, Prä­ existenz) Judentum 113, 144, 300, 370 kataphatisch 371 Katechese 292 Kategorie 78, 128, 251, 260, 280, 478 -nlehre 395 -ntafel 396 Kausalität 396 Kausal -argumentation 379 -beziehung 373, 396 -gedanke 95 -prinzip 99, 102 -reihe 380 -rückschluß 375 -Verhältnis 372 Kerygma 232, 249, 262 f., 273, 275 Kirche 19 ff., 35, 39 f., 54, 60, 135, 236, 271, 275, 292, 295, 319, 458, 468 Autorität 35, 239 f. Lehramt, -autorität, -Verkündigung 21, 24 f., 27, 35, 38 ff., 57

Kirchenlehre 35 f., 38, 49 ff., 75, 360 f., 367 konfessionell 55, 133 Konfessionskirchen 48 f. Kontingenz/kontingent 385, 399, 419, 421, 438, 452, 472 -argument 106 -beweis 98, 101 f. Kosmos 79 f., 88, 90, 168, 264, 414, 418, 475 Ordnung d. – 73, 80, 82, 235, 269, 475 Kreuz Jesu 230, 234, 341 f., 357, 367 Kritik, kritisch 34, 36, 50, 52, 71, 76, 103, 107, 120, 145, 149, 187, 200, 240, 242, 245, 249, 253 Kult(-e, -us)/kultisch 11, 79, 87, 134 ff., 151, 189 f., 200 ff., 264, 431 -bild 198 f., 201 -ort 161, 201 -recht 201 Literalsinn 40 Logos 11 f., 59, 85, 166, 233, 236, 238 f., 244, 258 ff., 265 f., 272, 279 f., 294, 299 ff., 334, 337, 341, 355 f., 361, 455, 463, 476 -begriff 279, 300 -christologie 302 -lehre 300 -theologie 308 Magie/magisch 199, 202, 389, 391 Mantik/mantisch 210, 218, 220, 257, 268, 280 induktive 218, 220, 226 intuitive 218, 220, 226, 228, 270 Materie 96 Materialismus 178 Mensch 69 ff., 104 ff., 121, 127 ff., 261 Identität 165,409, 422, 465 Natur des Menschen 92 ff., 117, 121, 141, 147, 172, 174 und Religion 117 ff., 140 f., 152 ff., 170 ff. (s. Anthropologie, Geschöpf, Reli­ gion) Menschwerdung 361, 455

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Metapher/metaphorisch 130, 147, 403, 407, 410 f. Metaphysik/metaphysisch 11,76, 78 ff., 97, 105, 111 ff., 128, 140, 144, 147 f., 150, 183, 189, 192 f., 245, 259, 384, 397, 406, 462 Metaphysikkritik 320 Modalismus/modalistisch 299, 325 Möglichkeit 384, 453 f. Monarchianer 299 Monarchie des Vaters 298 ff., 352 ff., 455, 466 Monolatrie 82, 270 Monotheismus/monotheistisch 78 f., 82, 109 f., 144 ff., 152 ff., 187, 193, 270, 293, 298 ff., 321, 325, 363 f., 370 Monophysitismus 341 Moral/moralisch 82, 103, 105, 111 ff., 144 f., 241, 246 Mysterium 231, 236, 244, 258 f., 279, 360, 419, 448, 475 (s. Geschichtsplan Gottes, Heilsplan) Mythizität des religiösen Bewußtseins 160, 168, 217 Mythologie, mythisch 11,88 f., 155, 160, 185, 203 f., 208, 367, 373, 441 Mythos 185, 200, 202 ff., 216, 269, 278, 281, 366 f.

ten 238 ff. setzt Kenntnis Gottes schon voraus 210, 220, 223, 226, 255 f. als Kommunikation 214, 223, 252, 255 f. als Manifestation und Inspiration 242, 247 ff.,272 ff. Selbstoffenbarung 72, 104, 217, 225, 227 f., 233 ff., 243 ff., 260 ff., 281, 314, 322 f., 327, 346, 426, 428 als Wort Gottes 251 ff. „Wortoffenbarung“ und „Tatoffen­ barung“ 240, 248, 352 f. (s. enthüllen, Gott, Jesus, Theologie, Wort Gottes) Ontologie/ontologisch 78, 96, 181, 303 ff., 350, 352, 362, 375, 386, 425, 459 Ontologismus 381 f.

Nächstenliebe 287 Neuzeit 18, 20, 22, 31, 73, 93, 94, 99, 142 f., 151, 165, 173, 178, 212, 252 Nus 402,405 f., 413 ff. Objektivismus 42 f., 56 Objektivität 96 f., 101 f. Ödipuskomplex 168, 285 Ödipusthese 285 Ökonomie 420, 426, 481 Offenbarung 12 ff., 32, 34, 41, 55, 58 ff., 82 ff., 107, 115 f., 119 f., 134, 141 f., 147, 164, 188 ff., 207–282, 319 f., 355 f., 360, 367 f., 386, 388, 398, 400, 424 ff., 466, 475 Offenbarungserlebnisse 209 ff., 217 ff. Offenbarung als Geschichte 251 ff. als Inspiration der biblischen Schrif­

Palamismus 391 f. Pantheismus/pantheistisch 405, 446, 478 Papst 21 f. Paraklet 292, 294, 342, 344 (s. Geist, Pneuma) Person 390 f., 460 f., 465 Personalität 461, 464 f. Philosophie 19, 79, 110, 128, 135, 138, 187, 318, 405, 427, 439 Pietas 135 Pietismus/pietistisch 47, 52, 55 f., 75 Platoniker 91, 405, 436 Platonismus/platonisch 11 f., 89,92, 113, 310, 313, 317, 372, 384, 402, 405, 414, 436 f., 440, 441, 478 neuplatonisch 111, 310, 396 Pneuma 290, 293, 402 f., 414 (s. Geist, Paraklet) Polytheismus/polytheistisch 79 ff., 109, 145, 150, 152 ff., 175 f., 185,193, 284 f., 367 potentia absoluta/ordinata 451 Präexistenz/präexistent 233, 235, 289, 294, 299 f., 329, 332, 334,384 Prädestination 178, 420 Prinzip des zureichenden Grundes 101 f. profan 154, 181 f.,373, 432

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Projektion/-shypothese/-stheorie 117, 286, 393 f. Prolegomena 36 ff., 49, 53, 58, 327 Prolepse/proleptisch 66, 234 f., 273 Prophetisches Erweiswort 226, 233, 244, 249, 261, 266, 280 Prophetischer Wortempfang 221 f., 228, 270, 274 Rationalisten 139 Raum 382, 396, 414, 440, 446 f. Reflexion 33, 50, 60 f., 65 ff., 93, 107, 111, 120, 127, 129, 140, 144, 146 f., 154, 174, 182, 191 f., 214 f., 217, 220, 245, 272, 367, 382, 284, 464, 476, 479 Reformation, reformatorisch 23 ff., 35, 38 ff., 123 f., 133,138, 240, 263 Reich Gottes 66, 220, 227, 231, 287, 340 f., 348, 357 ff., 391 f., 451, 468, 470, 482 Relation/relativ 351, 363, 384, 392, 395 ff.,425 Religion 108 f., 115 ff., 133–207 absolute 183, 190, 244 religiöses Apriori 130 f. Begriff der Religion 133 ff., 188 ff. Einheit der Religion 17, 22, 136 f., 165 f., 187, 215 Gegenstand der Religion 153 ff. geoffenbarte 139, 143, 145 natürliche 110 f., 119 ff., 137 ff., 143, 146, 151, 165 moralische 241 f., 245 positive 110 f., 119, 143 f., 151, 169 religio 134 ff., 158 und Kultur 153, 160 ff., 177 ff. Menschsein und Religion 129 f., 151 ff. Selbständigkeit der Religion 140 ff. Ursprung der Religion 109 f., 147, 151, 199 vera et falsa religio 135 ff., 165, 189 Vernunftreligion 110, 140, 144 f., 151, 180 Wahrheit der Religion 17, 58, 167 ff., 184,188 Wesen der Religion 133, 147 ff., 158, 169

Religionen 109 f., 131 f., 136, 143 ff., 463, 466 Religionsgeschichte 109 ff., 128, 146, 148 ff., 160, 163 f., 167–188, 214 f. Religionskriege 55, 93 Religionskritik 57, 116 f., 147, 167 ff., 194,199 Religionsphänomenologie 159,179, 189 ff., 220 Religionsphilosophie 75 f., 145 ff.,154 ff., 169, 189, 193 f., 215, 245,4 10 Religi­ onspsychologie 57, 141,148 Religionstheorie 111, 117, 119, 141, 155 f., 167, 169, 182 Renaissance 136 f. res extensa 444 Revelationsschema 232 f., 258, 270 f., 280 Sabellianismus 299, 307, 312, 321, 362 säkular 73 f., 80, 159, 169, 171, 252 f., 423 Säkularisierung 166, 202 Säkularismus 81 Satisfaktionsleistung Christi 472 Schau 11 f. Schöpfer 16, 59, 70, 80, 90 ff., 104, 116, 123, 126 f., 129, 155, 173 ff., 200, 208, 211, 373, 378, 384, 421, 449 ff., 467, 473 f., 481 Schöpfung 35, 58, 69, 85 f., 115 f., 121 f., 131 f., 166, 195, 199, 208, 210, 229, 287, 294, 298, 301, 307, 355 ff., 369, 389, 392, 418, 422, 434 f., 439, 442, 445, 449 ff., 469, 471, 477, 480 Schöp­ fungsglaube 104, 163, 203, 208, 211 Schuldbewußtsein/-gefühl 75, 118, 168 Seele 89, 121, 125, 135, 243, 307, 309, 315, 331, 405, 440 ff., 472 Sein/Seinsbegriff 33, 63, 374 f., 379, 384 f., 461, 479 Selbst 125 f., 464 – und Ich 388, 408 f., 465 -affektion des Ich 440 -behauptung 114, 116, 119, 201 -bewußtsein 105, 147, 153, 171, 407 f.,

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409 f., 465 -gewißheit (s. Gewißheit) -entfremdung 117 -erfahrung (s. Erfahrung) -erkenntnis 125 -mißverständnis 117 f., 167 -sein 461, 464 -transzendenz 105 f., 171 -Verständnis 105, 173 -Verwirklichung 422 f. Seligkeit 13, 139 Sinn 180, 184 -bewußtsein 153, 161 -ganzes 181, 277 -gehalt 162, 184 -kontext 181 -totalität 181 -Zusammenhang 155, 277 Sozinianer/sozinianisch 40 ff., 316, 336, 354, 403, 444, 451 Sophistik 87 Spekulation/spekulativ 14, 33, 37, 96, 102, 182 f., 319 ff., 330 Spinozismus 397 Sprache 83,171, 276 f., 365, 373 Stoa/stoisch 19, 88, 91, 121, 123, 125, 218, 290, 403 ff., 414 Subjektivismus 47, 68, 141, 380 Subjektivität 43, 51, 56 f., 142 f., 154, 167, 169, 173 f., 191, 213, 242, 246, 380 Subsistenz/subsistieren 312 ff., 321,347, 462 Substanz 309, 383, 395 ff. Sünde 48, 58, 69, 86, 93, 108, 139, 376, 467 Sühnetod Jesu Christi 139, 230 f., 233, 468, 472, 475 Supranaturalisten 139 symbiotisch 125, 127, 172 Syneidesis 125 Synderesis 121 f., 124 f., 130 Systematik/systematisch 29 ff., 58 f., 66, 102, 133, 144 f., 191,238 Talion 468 Taufe 204, 292

testimonium internum 43, 56 Theismus 109, 364 Theogonie 423 Theologie 11–58, 73–121 analytische Methode 13, 133 theologia archetypa 12 Begriff der Theologie 32 f., 37, 46 ff., 83, 91 Disziplinen der Theologie 16 ff. Einheit der Theologie 13, 17 Endlichkeit theologischen Wissens 26, 64 f.,361 Gegenstand der Theologie 13 ff., 37, 69 ff., 133 und Glaube 47, 51 ff. theologia irregenitorum 47, 51 mythische 11, 87, 91 natürliche 12 f., 83 ff., 93 ff., 108 ff., 138 ff., 245, 314, 367 öffentliche und private 48 ff. Offenbarungstheologie 12, 83, 92, 114, 117 geoffenbarte 83 ff., 115 als praktische Wissenschaft 13 philosophische Theologie 73, 79 ff., 104, 107, 111 ff., 120, 143, 298, 360, 367, 369, 380 ff., 426 ff., 471 politische 11, 87, 91 theologia regenitorum 53 spekulative 140, 146, 319, 326, 331 Subjekt der Theologie 46 f., 55 systematische Theologie 28 ff., 70, 215 f. und Vernunft 29 ff., 37 Vernunfttheologie 110 theologia viatorum 83 Wahrheitsanspruch der Theologie 28 f., 58 ff., 74 Wissenschaftlichkeit der Theologie 12, 29 ff. (s. Dogma, Dogmatik, Gott, Meta­ physik, Religion) Theophanie 223 f., 267 Theosophie 13 theozentrisch 59 Thora 265, 300 Tod Gottes/-theologie 61, 341

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Tradition 19, 33, 39 f.,93, 116 -skritik 36 -slehre 42 -sprinzip 38, 42 Trägheitsprinzip 100 transzendental/-philosophisch 111, 128 f., 150 f., 383, 478 transzendentales Ideal 381 f. Trinität 40, 91 f., 283–364, 368, 439, 442, 456 ff., 473 Appropriation/-slehre 339, 356 f. Attributionenlehre 357 Einheit und Dreiheit 92, 302 ff., 307 ff., 355, 361 f., 370, 375, 387, 397 f., 414 ff., 459, 462, 482 filioque 344 ff. Hervorgänge (processiones) 313, 332 f., 423 Homousie 298, 300, 334, 352, 360, 370, 449, 479 Hypostase, hypostatisch, Hyposta­ sierung 293, 295 ff, 308 f., 321, 342, 347, 350, 356, 370, 392, 417, 460, 462 ff. immanente und ökonomische 16, 319, 334 f., 353 ff., 361 ff., 398, 417, 423, 439 f., 460, 482 Offenbarungstrinität 306, 317, 322, 327, 360 Perichorese/perichoretisch 347 f., 353, 362, 364, 416 f., 449 Personen 304 f., 311 ff., 321 ff., 347 ff., 356 f., 364,388 f., 408 f., 414 ff., 421, 460 ff.,483 Daseinsformen,-weisen, Gestalten des Daseins 324, 388 f., 398, 417, 482 Personalität 388 f., 459, 464 Selbstunterscheidung 296 f., 335 ff., 347 ff., 454 f., 464 Unterschiedenheit und Einheit 303 f., 348 Wirken, Wirkungssphären, Tätig­ keit, Handeln 295, 299, 302 f., 308, 354, 416, 441, 460 Relationen 309, 313, 321, 332, 345 ff., 353, 462, 465

Seinsweisen 322 f., 330, 347, 364 Spuren der Trinität (vestigia trinitatis) 307, 313, 331 psychologische Trinitätsanalogien 307 ff., 321, 330 f., 406 Vater, Sohn, Geist 288 ff., 335 ff., 423, 426, 460 ff. (s. Gott, Relation, Wesen) Trinitätslehre 93 f., 259, 281–364, 370, 438, 442, 448, 454 ff., 465, 480 Antitrinitarier 316, 363 Begründung der Trinitätslehre aus der Einheit 309 ff. aus dem Geist 313 ff., 325 f., 358 aus der Liebe 311 f., 314, 320, 322 ff. aus dem Begriff der Offenbarung 322 f., 330 f., 346, 355 f. aus der Selbstentfaltung/-differen­ zierung des göttlichen Selbstbe­ wußtseins/Subjekts 319 ff., 330 f., 335, 347, 364, 408, 423, 460 aus der Selbstunterscheidung Jesu vom Vater 296 f., 325 ff., 336 ff., 466, 478 Mysterium der Trinität 306 f., 313, 318, 325, 369 f. Schriftbeweis 300 f., 315, 319 f., 32 5 ff. trinitarische Taufformel 293, 296, 328 triadische Formeln 328 Stellung in der Dogmatik 305 ff., 314 f., 327 Subordinatianismus/Subordination 300, 304 f., 323, 325, 352, 362 Tritheis­ mus/tritheistisch 298, 302 f., 308, 324, 364, 417 (s. Modalismus, Monarchianer, Sabel­ lianismus) Überlieferung 23, 33, 39, 52, 73, 93, 104, 106, 116, 120, 185, 191, 215, 223 f., 226, 240, 253 f., 367 Unendliche, das 105,184, 202, 375, 379, 389, 471, 477 Anschauung des Unendlichen 382 f. als Bedingung der Gegenstandswahr­ nehmung und des Ich 127, 155, 379 ff.

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Begriff des Unendlichen 155, 371, 374 f., 382, 429 f., 445 und Endliches 103 f., 127 f., 144, 154 ff., 181 ff., 382, 430 ff., 481 Gedanke des Unendlichen 101 ff., 119 f., 128, 174, 378 f., 427, 429, 477 Idee des Unendlichen 96, 101 ff., 127 f., 366, 379 ff. Intuition des Unendlichen 127, 131, 379 f., 392 wahrhaft Unendliches 193, 196, 387, 430 ff., 441,445, 476 ff. unitarisch 319 Universalienrealismus 386 f. Univozität/univok 373 f., 379 Urbild-Abbild 310 f, 436 f. Urteil 34, 62 f. Vater 283 ff., 353 f. (s. Monarchie, Trinität) Vaterunser 335, 354 Verheißung 268, 275 Verherrlichung, verherrlichen 13, 70, 336 ff., 358, 481 Verifikation 33 Verkündigung 23, 29, 55, 60, 73 ff., 90, 118, 120, 273 ff., 345 Vernunft 29 ff., 50, 86 ff., 102 ff., 116, 119, 122, 138 f., 239 f., 243 ff., 307, 369 f., 376 f., 381, 403, 410, 477 Versöhnung 48, 69 f., 190, 467, 470 ff., 480 Versöhnungstod Christi 458 Vertrauen, Grund-, Urvertrauen 106, 126 f., 131, 172 Vieles 164, 478 f. Vielheit 310, 364, 441, 478, 480 f. vis insita 100 Vorgriff 57, 65, 105, 204, 276, 388, 399 Vorsehung 136 Wahrheit 18 ff., 27 ff., 58 ff., 167 ff. – Wahrheitsanspruch 28 f., 33 f., 117, 119 f., 167 – der christlichen Botschaft 59 ff., 143, 214, 477 – der christlichen Lehre 19 f., 28 f.,

45, 51, 70, 215 – der Religionen 17, 93, 145, 167 ff., 192, 194, 234 – Wahrheitsbegriff 34, 62 f. – Wahrheitsbewußtsein 57, 61, 169 – Einheit der Wahrheit 29 f., 62, 136 f. – Wahrheitsfrage 20, 45, 58, 61, 215, 275 – Kohärenz (-theorie) 31 f., 34, 59, 63, 66, 215, 276 f. – Konsensus (-theorie) 21 f., 34, 63 – Korrespondenz 22, 34, 62 – Strittigkeit 34, 59, 62, 69 f., 72 – als vorausgesetzt 32 ff., 45, 56 f. Weisheit (s. Gott, Eigenschaften) Weissagung 233, 237, 239, 241, 274 -sbeweis 232, 239 Welt 58 f., 65, 69 ff., 80, 88, 94 f., 98, 101 f., 125 ff., 148, 154, 168, 174 ff., 186 f., 234, 247, 261, 276, 281, 341, 364, 378, 385 ff., 395 ff., 408, 422, 432 f.,452 ff. -bild 100, 113,173 -erfahrung (s. Erfahrung) – Ordnung der Welt 89, 162, 204, 278 f., 376, 407, 418 Weltoffenheit 171 Wert 149, 154, 168, 419 Wesen – Wesensbegriff 352, 362, 383, 385, 425 – und Dasein 376 ff. – und Erscheinung 387 ff., 482 – und Handeln 398 ff., 421 – und Relation 395 ff., 425, 482 (s. Gott, Relation, Trinität) Widerspruchsprinzip 40 Wissen 11 f., 14, 19, 29, 31, 52, 128 Wissenschaftsbegriff 29 f., 159 Wort Gottes 24, 38, 41 f., 53 f., 115, 138, 221, 248, 258 ff. – als Bericht 274 ff. – dreifache Gestalt 55, 263 – magisch 264, 278 – mythisch 278 f. (s. Dabar, Jesus, Offenbarung, pro­

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phetisches Erweiswort/Wortemp­ fang, Schrift) Wort vom Kreuz 234 Worttheologie 250, 257 f., 264, 275 Wunder 219, 226, 228, 241 f., 246 f. – und Ewigkeit 440 ff., 472,480

(s. Dauer, Gott, Eigenschaften) Zeit 382, 419, 434 Zukunft 64 f., 203, 212, 270, 276, 281, 399, 441, 443, 451 ff. Zweck 247, 398 ff., 406, 412, 418, 421, 443

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